Frieden und Politik: Eine interaktionistische Theorie [1 ed.] 9783428493913, 9783428093915

Henkels Arbeit vermittelt den gegenwärtigen Stand der Friedensforschung mit traditionellen sowie zeitgenössischen Theori

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Frieden und Politik: Eine interaktionistische Theorie [1 ed.]
 9783428493913, 9783428093915

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Michael Henkel· Frieden und Politik

Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 108

Frieden und Politik Eine interaktionistische Theorie

Von Michael Henkel

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Henkel, Michael: Frieden und Politik: eine interaktionistische Theorie / von Michael Henkel. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Beiträge zur politischen Wissenschaft; Bd. 108) Zugl.: Mainz, Univ., Diss., 1996/97 ISBN 3-428-09391-7

Alle Rechte vorbehalten

© 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0421 ISBN 3-428-09391-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97060

Meinen Eltern

Die abendiändische Kultur hinterfragt hartnäckig das kleine Wort den in dem Satz "Ich liebe den Frieden". Aber vielleicht stellt sich die Frage ja gar nicht, vielleicht ist sie von vornherein klar? Weit gefehlt...

Andre Glucksmann l

Vorwort Im folgenden wird eine Theorie des Friedens entwickelt, die sich am sozialtheoretischen Paradigma des Interaktionismus orientiert. Der Friedensbegriff wird fiir drei Ebenen von Interaktion differenziert, nämlich rur die Interaktion von Personen, diejenige der gesamten Gesellschaft im politischen Verband und diejenige von politischen Verbänden. Aus diesem Vorgehen resultiert, daß der eine Begriff des Friedens auf jeder der Ebenen einen je eigentümlichen Charakter aufweist. Es handelt sich beim Frieden also um ein mehrdimensionales Phänomen. Die Differenzierung der Interaktionsebenen und die ihr entsprechende des Friedensbegriffs ist beim Nachvollzug der Argumentation stets zu berücksichtigen, zumal auf eine Indexierung (etwa: Frieden., Friedenn und FriedenIlI) verzichtet wird. Daß es trotz der Differenzierung sinnvoll ist, von einem Friedensbegriff zu sprechen, ergibt sich in der Theorie aus der Bezugnahme auf die Friedensontologie des Augustinus, entspricht darüberhinaus aber auch dem Sprachgebrauch des Alltags. Wo im folgenden von Politik die Rede ist, wird ein an Aristoteles orientiertes Verständnis zugrundegelegt, das noch ausfiihrlicher zu skizzieren ist. 2 An dieser Stelle ist nur darauf hinzuweisen, daß Politik als Gegensatz zur Despotie verstanden wird. Für Politik ist nach dieser Auffassung Freiheit konstitutiv: Politische Ordnung (in der polis oder der Republik als der politischen Form einer Gesellschaft von Freien und Gleichen) steht im Gegensatz zu despotischer Herrschaft und beruht auf der Vereinbarung von Freien und Gleichen. 3 Politisches Handeln kann es dementsprechend nur zwischen letzteren geben. Despotische Herrschaft und die Frage nach deren Frieden, die ein besonderes theoretisches Problem darstellt, sind nicht Gegenstand der Arbeit.

I Andre Glucksmann, Philosophie der Abschreckung, mit einem Vorwort von Jürg Altwegg, Stuttgart 1984, 78.

Siehe § 15 unten. ) Siehe Aristoteles, Politik, 1255 b 16 ff. sowie Dolf Sternberger, Herrschaft und Vereinbarung. Über bürgerliche Legitimität, in: ders., Herrschaft und Vereinbarung (TB-Ausgabe), Frankfurt am Main 1986, 39-52. Siehe ferner Hannah Arendt, Freiheit und Politik, in: dies., Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken I, hrsg. von Ursula Ludz, München 1994, 201-226. 2

8

Vorwort

Die folgenden Ausfiihrungen dienen allein dem erklärenden Verstehen eines komplexen Phänomens und wollen einen Beitrag zur wissenschajilichen Diskussion um den Friedensbegriff leisten. Geht man davon aus, daß die Komplexität der sozialen Realität mit einfachen Formeln nicht angemessen theoretisch zu greifen ist, so ist man fiir ein adäquates Verständnis angewiesen auf Abstraktionen und mannigfache Differenzierungen, auf die Klärung von Begriffen, die im Kontext des Friedensbegriffs stehen und auf die Erörterung der Zusammenhänge, die zwischen den Phänomenen bestehen. Mit der Abstraktion erledigt sich jeder Anspruch auf unmittelbare praktische Wirksamkeit der Theorie. Dies ist hier deshalb zu betonen, weil gerade bei der theoretischen Beschäftigung mit dem Friedensbegriff oftmals zuerst an das praktische Engagement und erst in zweiter Linie an die kontemplative Distanzierung gedacht wird. Daß aus solchem Vorgehen unzureichende Vorstellungen vom Frieden resultieren, wird inzwischen von vielen, die sich mit dem Thema befassen, bemängelt. Um dem zu entgehen, orientiert sich die vorliegende Arbeit an der Einsicht, daß "der Theoretiker ... nicht mehr tun [kann] als die Begriffe wahren unq die Dinge beim Namen nennen. ,,4 Daher scheint auch eine weitere wissenschaftliche Arbeit zu einem Thema gerechtfertigt, das wie kein anderes durch die Jahrhunderte eine längst nicht mehr zu bewältigende Masse an Literatur hervorgebracht hat. Die im November 1996 abgeschlossene Arbeit lag dem Fachbereich Sozialwissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Wintersemester 1996/97 als politikwissenschaftliche Dissertation vor. Für die hier vorliegende Druckfassung wurde das Kapitel über den Begriff der Sozialontologie (§ 4) erheblich erweitert. Mit den dort nunmehr vorgenommenen Präzisierungen bezüglich des Status' einer Sozialontologie wird einigen prinzipiellen Einwänden gegenüber dem Unternehmen einer politischen Ontologie (die als ein Teilbereich der Sozialontologie anzusehen ist) begegnet. Im übrigen wurden neben stilistischen, vereinzelt kleinere inhaltliche Ergänzungen und Verbesserungen vorgenommen, die sich im wesentlichen auf die seit Ende 1996 erschienene Literatur beziehen, die - sofern von Interesse - noch (bis Frühjahr 1998) rezipiert wurde. Zwei dem Text urspünglich beigefiigte Anhänge über Interaktionistische Aspekte des altisraelischen FriedensbegrijJs: Shalom in Gruß und Begegnung sowie über Gesundheit als Metapher des Friedens werden hier nicht mitveröffentlicht. Sie erscheinen gelegentlich als separate Arbeiten. Für Widerspruch, Kritik, Anregungen und Hinweise in der Sache sowie fiir manche psychologische Unterstützung danke ich meinen Freunden in Jena und Bonn, Dr. Michael Dreyer, Ralf Golinski M.A. und Oliver Lembcke M.A. Sie

4 earl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen (1963), 3. Auflage, Berlin 1992, 96.

Vorwort

9

haben frühere Fassungen der Arbeit gelesen und mit mir in kritischem Geiste diskutiert. Wenn ich ihren inhaltlichen Einwänden auch oft nicht gefolgt bin, so haben mir diese doch unter anderem auch manche prinzipiellen Probleme meines Unternehmens immer wieder vor Augen gefiihrt und mich zu zahlreichen Verbesserungen meiner Argumente angespornt. Oliver Lembcke war mir ferner bei der Gestaltung der Druckvorlage am Computer eine große Hilfe. Für die Förderung meiner Arbeit danke ich Professor Dr. Rolf GrÖschner. In der wissenschaftlich höchst anregenden und lebendigen Atmosphäre seines Lehrstuhls fand ich in den Aufbruchsjahren der Jenaer Universität ein in unserer Zeit vermutlich nur noch selten anzutreffendes menschliches und intellektuelles Umfeld, das sowohl Einsamkeit und Freiheit als auch intensiven geistigen Austausch ennöglichte, ohne welche diese Studie nicht hätte entstehen können. Besonders danke ich meinem akademischen Lehrer und Betreuer der vorliegenden Arbeit, Professor Dr. Hans Buchheim, für seine vielfältige ennutigende Unterstützung des Projektes. Für die Erstellung des Zweitgutachtens danke ich Professor Dr. Klaus Dicke, fiir die Erstellung des Dritttgutachtens Professor Dr. Hans-Martin Ger/ach. Dem Fachbereich 12 - Sozialwissenschaften - der Universität Mainz danke ich fiir die Zuerkennung des Dissertationspreises der Johannes Gutenberg-Universität fiir das Jahr 1997, der mir die Drucklegung fmanziell ennöglichte. Über die Anspannungen und Belastungen, die die Fertigstellung der Arbeit mit sich brachten, half mir mit ihrer Lebensfreude, ihrem Verständnis und ihrer Geduld meine Freundin Iris Worch hinweg. Dafiir und fiir mannigfache Unterstützung sei ihr herzlich gedankt. Ganz besonders habe ich vor allem meinen Eltern vielfach Dank zu sagen. Neben so viel anderem ennöglichten sie mir, daß ich unbekümmert meiner Neugierde folgen und ein intensives und daher vergleichsweise langes Studium in Mainz und Bonn ohne größere materielle Sorgen betreiben konnte. Meinen EItern ist - nicht nur deshalb - diese Arbeit gewidmet. Jena, im Juli 1998 Michael Henkel

Inhaltsverzeichnis A. Zum Problem einer politikwissenschaftlichen Theorie des Friedens... 17

§ 1: Einleitung: Die Friedensforschung und die Theorie des Friedens..... 17 § 2: Dieter Senghaas: Die Kultur des Friedens ........................................ 29

B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive .................... 39

§ 3: Dimensionen sozialer Realität: Lebenswelt und Wirklichkeit... ........ 39 § 4: Zum Begriff der Sozialontologie ....................................................... 44 § 5: Ontologie und Sozialontologie des Friedens ..................................... 51 1. Der ontologische Friedensbegriff bei Augustinus ......................... 51 2. Der sozialontologische Friedensbegriffbei Hans Buchheim: Frieden als Existenzial........................................................................ 55

§ 6: Person und Interaktion ...................................................................... 57 1. Interaktion und die Struktur der Person ........................................ 58

2. Subjektive und objektive Interaktion und die Identität der Person 68

§ 7: Der Frieden in der Wirklichkeit.. ...................................................... 69 § 8: Person, Gesellschaft und der Begriff der Mentalität............ ............. 71 § 9: Gewohnheit und Institution ........................ .......... .............. ............... 78

§ 10: Der Frieden in der Lebenswelt.............. ............................................ 82 § 11: Die zwei Aspekte der Kultur und der Begriff des Friedens............... 84 § 12: Unfrieden .......................................................................................... 87 § 13: Unfrieden und Konflikt.. ................................................................... 94 § 14: Unfrieden, Macht, Gewalt und Zwang .............................................. 97

C. Ein interaktionistischer Begriff der Politik ........................................... 105 § 15: Das Problem des Zusammenlebens und die Politik ........................... 106

12

Inhaltsverzeichnis

D. Politik und Frieden: Die Ebenen partikularer und gesamtgesellschaftlicher Interaktion .......................................................................... 117 § 16: Frieden und politisches Handeln ....................................................... 117

§ 17: Die existentielle Repräsentation der Gesellschaft ............................. 121 § 18: Der politische Verband ..................................................................... 131

§ 19: Der politische Verband als Friedenseinheit... .................................... 134

§ 20: Die Verfassung als Friedensordnung des politischen Verbandes ...... 136 § 21: Macht, Souveränität und der Frieden des politischen Verbandes ...... 140

§ 22: Die politische Kultur des Friedens .................................................... 147 § 23: Bürgerkrieg und Unfrieden im politischen Verband ......................... 150

§ 24: Gesamtgesellschaftlicher und innergesellschaftlicher Frieden .......... 157 E. Recht und Frieden .................................................................................... 169

§ 25: Die Vertiefung des Friedens durch Privatrecht ................................. 169 1. Recht, Konflikt und Jurisprudenz .................................................. 172

2. Recht, Autorität und die Vertiefung des Friedens ......................... 178

§ 26: Unfrieden im Recht und der politische Verband ............................... 181 § 27: Verfassungsrecht als Friedensrecht. .................................................. 188

F. Politik und Frieden: Die Ebene internationaler Interaktion ................ 193 § 28: Frieden und das Pluriversum politischer Verbände ........................... 195 § 29: Die Interaktion politischer Verbände und der politische Frieden ...... 200

§ 30: Die Interaktion politischer Verbände und der Frieden der Person .... 205 § 31: Weltgesellschaft, internationale Integration, Völkerrecht und Frieden .............................................................................................. 213 1. Der Weltstaat ................................................................................ 215 2. Exkurs: Frieden durch Ökonomie und die funktionalistische Theorie der Integration ................................................................. 221 3. Völkerrecht, Politik und Frieden ................................................... 226 4. Staatenstaat und Staatenbund ........................................................ 231 § 32: Mentalität und die politische Kultur der Ächtung des Krieges ......... 242 G. Die interaktionistische Theorie der Kultur des Friedens ..................... 253

Inhaltsverzeichnis

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H. Der Frieden in der Welt der Werte ........................................................ 257 § 33: Frieden und Gerechtigkeit... .............................................................. 257 § 34: Frieden und strukturelle Gewalt... ..................................................... 262 § 35: Der Frieden als Wert ......................................................................... 268

§ 36: Frieden und die Friedfertigkeit des Individuwns .............................. 271 l. Die Praxis des Friedens ............................................................................. 275

Literaturverzeichnis ..................................................................................... 277 Personen verzeichnis ..................................................................................... 307 Sachverzeichnis ............................................................................................. 309

Siglen verzeichnis AdR

Niklas Luhmann, Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie Frankfurt am Main 1981.

AFK-Schriften

Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft flir Friedens- und Konfliktforschung e.V. (AFK), hrsg. im Auftrag des Vorstandes der AFK.

BP

Carl Schmitt. Der Begriff des Politischen (Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien). 3. Auflage der Ausgabe von 1963. Berlin 1991.

EF

Immanuel Kant. Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf (1795), (Kants Werke. Akademie-Textausgabe, hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Band VIII: Abhandlungen nach 1781, zuerst 1912), Berlin 1968, 341-386.

EvStL

Evangelisches Staatslexikon, hrsg. von Roman Herzog I Hermann Kunst I Klaus Schlaich I Wilhelm Schneemelcher, zwei Bände 3., neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart 1987.

GA 1,11

George Herbert Mead, Gesammelte Aufsätze, Band 1 (1980), hrsg. von Hans 10as, Frankfurt am Main 1987, Band 2 (1983), hrsg. von Hans Joas Frankfurt am Main 1987.

GeGrb

Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. von Otto Brunner I Werner Conze I Reinhart Koselleck, sieben Bände und ein Registerband, Stuttgart 1972 ff., teilweise Nachdrucke.

GIG

George Herbert Mead Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozial behaviorismus (1934), 9. Auflage, Frankfurt am Main 1993.

GS I, 11, III

Hermann Heller, Gesammelte Schriften, Band I: Orientierung und Entscheidung, Band 11: Recht, Staat, Macht, Band IlI: Staatslehre als politische Wissenschaft, in Verbindung mit Martin Drath, Otto Stammer, Gerhart Niemeyer und Fritz Borinski hrsg. von Christoph Müller, 2., durchgesehene und um ein Nachwort erweiterte Auflage, Tübingen 1992.

G&G

Friedrich H. Tenbruck, Geschichte und Gesellschaft, Berlin 1986.

Siglen verzeichnis

15

HbStR

Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Josef Isensee ! Paul Kirchhof, neun Bände, Heidelberg 1987 t1

HistWbPhilos

Historisches Wörterbuch der Philosophie. hrsg. von Joachim Ritter! Karlfried Gründer, bisher neun Bände, Basel! Stuttgart (ab Band 7 Basel) 1971 t1

Ipsen

Knut Ipsen, Völkerrecht. Ein Studienbuch, 3., völlig neu bearbeitete Auflage des von Eberhard Menzel begründeten Werkes, München 1990.

M&G

Hannah Arendt. Macht und Gewalt (1969), 7. Auflage, München 1990.

NWP

Eric Voegelin. Die Neue Wissenschaft der Politik. Eine EinfUhrung (engl. 1952), in Zusammenarbeit mit dem Eric-VoegelinArchiv an der Ludwig-Maximilians-Universität München hrsg. von Peter 1. Opitz, mit einem Nachwort des Herausgebers und einer Bibliographie, 4. Auflage, München 1991.

PZ I, 1I

Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen (1939), erster Band: Wandlungen des Verhaltens in den westlichen Oberschichten des Abendlandes, 15. Auflage, Frankfurt am Main 1990, zweiter Band: Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf einer Theorie der Zivilisation, 14. Auflage Frankfurt am Main 1989.

RdG

Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft Frankfurt am Main 1993.

RGF I, 11, III

Friedrich August von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit. Eine neue Darstellung der liberalen Prinzipien der Gerechtigkeit und der politischen Ökonomie, Band 1: Regeln und Ordnung, 2. Auflage, Landsberg am Lech 1982, Band 2: Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit, Landsberg am Lech 1981, Band 3: Die Verfassung einer Gesellschaft freier Menschen, Landsberg am Lech 1981.

Rph

Georg Wilhe1m Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse (1821) mit Hegels eigenhändigen Notizen und den mündlichen Zusätzen, (Werkausgabe auf der Grundlage der Werke von 1832-1845 neu ediert, Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Band 7), 2. Auflage, Frankfurt am Main 1989.

RS

Niklas Luhmann, Rechtssoziologie, 3. Auflage, Opladen 1987.

R&S

Wilhelm Henke, Recht und Staat. Grundlagen der Jurisprudenz, Tübingen 1988.

StL

Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, fUnf Bände, 7., völlig neu bearbeitete Auflage, Freiburg, Basel, Wien 1985 ff.

16

Siglen verzeichnis

TdP

Hans Buchheim; Theorie der Politik; MUnchen, Wien 1981.

VL

earl Schmitt, Verfassungslehre (1928), 8. Auflage, Berlin 1993.

Die Werke Immanuel Kants werden nach der Akademieausgabe, abgekUrzt AA, zitiert (Band V, zuerst 1908, Nachdruck Berlin 1968; Band VI, zuerst 1907, Nachdruck Berlin 1968: Band VIII. zuerst 1912. Nachdruck Berlin 1968). Die Nikomachische Ethik (NE) und die Politik des Aristoteles werden nach der Ausgabe der Werke des Akademie-Verlags zitiert: Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung, Band 6: Nikomachische Ethik, hrsg. von Ernst Grumbach, 2., durchgesehene Auflage, Berlin 1960, Band 9: Politik. Buch 1. Über die Hausverwaltung und die Herrschaft des Herrn Uber Sklaven, hrsg. von Hellmut Flashar, Berlin 1991.

A. Zum Problem einer politikwissenschaftlichen Theorie des Friedens § 1: Einleitung: Die Friedensforschung und die Theorie des Friedens In Zeiten des Krieges artikuliert sich die Sehnsucht des Menschen nach der Rückkehr des Selbstverständlichen und der gewohnten Ordnung - nach der Wiederkehr des Friedens. 1 So ist es gerade der Krieg, der die Menschen nach dem Sinn des Friedens fragen und sie den Frieden als einen Wert erkennen läßt. Es verwundert daher nicht, daß es (vor allem in der Neuzeit) der Dualismus von Krieg und Frieden ist, der immer wieder als das selbstverständliche Axiom des Nachdenkens über den Frieden angesehen wird. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Begriff hat infolgedessen oft primär internationale Beziehungen oder das Völkerrechr zum Gegenstand, wobei sich die Aufmerksamkeit meist mehr dem Krieg als dem Frieden selbst zuwendet. Damit entspricht man der Tatsache, daß der Frieden als die Normalsituation stets schon gekannt, der Krieg aber als die Ausnahmesituation zum bewußten Problem wird, das zu bewältigen und zu beenden ist. Wie letzteres zu geschehen hat, muß durchdacht und gedanklich gefaßt werden, während der Frieden gleichsam "von selbst" gelebt wird. Folgerichtig bestimmt man den Frieden via negationis als die Abwesenheit von Krieg, womit Fragen nach dessen Vermeidung, nach dessen Ursachen, nach dessen Beendigung und schließlich - solange der Krieg als Tatsache in der Welt ist - nach dessen Humanisierung wichtig werden. Der Frieden hingegen verschwindet auf diese Weise allzuoft aus dem Blickfeld. I Die Regeln der deutschen Sprache erlauben sowohl den Ausdruck "Frieden" als auch "Friede". In der vorliegenden Arbeit wird (sofern nicht Zitate zu anderem zwingen) die erstgenannte Form verwendet. 2 Im folgenden wird der Ausdruck "international" ausschließlich im Sinne von "zwischen politischen Verbänden" benutzt. Dies entspricht der konventionellen Verwendung in der Literatur, soll aber hier wegen der eigentlich irreführenden Wortkomponente "national" betont werden. Auch der Ausdruck "Völkerrecht" bezieht sich natürlich nicht auf "Völker" als solche, sondern auf politische Verbände. Mit dieser Festlegung soll nicht unterschlagen werden, daß die Weltbühne heute nicht mehr alleine von politischen Verbänden, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren bevölkert wird. Bezugspunkt und nach wie vor Hauptakteur ist jedoch der Staat. Siehe zu dieser Problematik auch unten, 195 f1, insbes. 227 und 232.

2 Henkel

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A. Zum Problem einer politikwissenschaftlichen Theorie des Friedens

Neben der Vorstellung vom Frieden als Abwesenheit des Krieges stehen aber noch andere Begriffe des Friedens. die sich nicht auf außenpolitische Prozesse, sondern auf die Beziehungen von Menschen untereinander und im politischen Verband beziehen. Hier wird der Frieden nicht aus seinem Gegensatz zum Krieg heraus verstanden. Typisch für eine solche Friedensvorstellung ist beispielsweise der shalom-Begriff des antiken Israel. 3 Neben diesen Auffassungen, welchen gemeinsam ist, daß sie den Frieden auf äußeres Handeln bzw. äußere Verhältnisse beziehen, stehen solche vom inneren bzw. vom Seelenfrieden des Einzelnen mit sich selbst oder mit Gott, wie sie insbesondere im Christentum, in anderer Weise etwa bei Epikur entwickelt wurden. 4 Schließlich muß man neben äußerem und innerem noch eine dritte Variante des Friedens unterscheiden, den transzendenten, himmlischen Frieden. 5 3 Siehe zu diesem etwa Claus Westermann, Der Frieden (shalom) im Alten Testament, in: Georg Picht / Heinz Eduard Tödt (Hrsg.), Studien zur Friedensforschung, Band I, Stuttgart 1969. 144-177 und Johannes Pedersen, Israel. Its Life arid Culture 111, Vol. I, Copenhagen 1926, 263-335. Pedersen schreibt (311): "In the olden time peace is not in itself the opposite of war." 4 Der äußere Frieden betriffi den Menschen, sofern er auf Sozialität angelegt und angewiesen ist, der innere Frieden betriffi ihn, sofern er alle Sozialität - nämlich in seinem Selbstverhältnis oder in seinem Verhältnis zu Gott - transzendiert. Diese Differenzierung von äußerem und innerem Frieden ist von derjenigen zwischen innenpolitischem und außenpolitischem Frieden zu unterscheiden, für die meist dieselbe Terminologie verwendet wird. Siehe etwa Frank R. Pfetsch, Internationale Politik, Stuttgart, Berlin, Köln 1994, 222, Dieter Senghaas, Frieden als Zivilisierungsprojekt, in: ders. (Hrsg.), Den Frieden denken. Si vis pacem, para pacem, Frankfurt am Main 1995, 196-223, hier 198 oder Reinhard Meyers, Begriff und Probleme des Friedens, Opladen 1994, 11. 5 Siehe zur Geschichte des Friedensbegriffs und dessen Facetten WUhelm Janssen, Friede, in: GeGrb, Band 2, 543-591 (in durchgesehener und gekürzter Fassung jetzt auch unter dem Titel Friede. Zur Geschichte einer Idee in Europa abgedruckt in: Dieter Senghaas (Hrsg.), Den Frieden denken, 227-275); Jean-Christophe Merle, Zur Geschichte des Friedensbegriffs vor Kant. Ein Überblick, in: Ot/ried Höfle (Hrsg.), 1mmanuel Kant. Zum ewigen Frieden, Berlin 1995, 31-42; Walter Dietze, Einleitung. Abriß einer Entwicklungsgeschichte der Friedensidee vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution, in: Anita Dietze / Walter Dietze (Hrsg.), Ewiger Friede? Dokumente einer deutschen Diskussion um 1800, Leipzig, Weimar 1989, 7-58; Hans-Jürgen Sehlochauer, Entwicklung und Gestaltung des Friedensgedankens, in: ders., Die Idee des ewigen Friedens. Ein Uberblick über Entwicklung und Gestaltung des Friedenssicherungsgedankens auf der Grundlage einer Quellenauswahl, Bonn 1953, 9-56; ferner Ekkehard Kaufmann, Friede, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. von Adalbert Erler / Ekkehard Kaufmann, 1. Band, Berlin 1971, 1275-1292; Ludwig Höd/, Friede, in: Lexikon des Mittelalters, hrsg. von Robert-Henri Bautier u.a., Band IV, München, Zürich 1989, Sp. 919-921; Heinz H. Schrey, Friede, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft (RGG), hrsg. von Kurt Galling, Band 2, 3., völlig neu bearbeitete Auflage, Tübingen 1968. Sp. 1133-1135; Erich Dink/er I Erika Dink/er-von Schubert, Friede in: Reallexikon ftir Antike und Christentum. Sachwörterbuch zur Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt. hrsg. von Theodor K/auser, Band VIII, Stuttgart 1972, Sp. 434-505.

§ 1: Einleitung: Die Friedensforschung und die Theorie des Friedens

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Entsprechend dieser V ielfalt des Begriffs ist der Frieden Gegenstand unterschiedlichster wissenschaftlicher Disziplinen: Beiträge zum Thema fmden sich nicht nur in der Völkerrechtswissenschaft6 oder der Theologie7 , sondern ebenso in der Ethnologie, der Geschichtswissenschaft, der Philosophie, der Psychologie oder der Ethologie. Mit der Etablierung der Sozialwissenschaften und der Politikwissenschaft geriet das Phänomen des Friedens auch in deren Aufmerksamkeitsbereich, wobei man sich hier dem äußeren Frieden und dabei wiederum zunächst primär dem Dualismus Frieden und Krieg zuwandte: Die Lehre von den internationalen Beziehungen befaßt sich ebenso mit der Problematik von Frieden und Krieg wie beispielsweise miltitärstrategisch- und militärpolitisch orientierte Forschungsrichtungen (Strategie studies, Kriegsursachenforschung, Spiel- und Entscheidungstheorie etc.). Teilweise an diese unterschiedlichen Disziplinen anknüpfend, erfolgte nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa und in den USA die Konstitution einer allein dem Frieden gewidmeten wissenschaftlichen Disziplin, der Friedens- bzw. Friedens- und Konfliktforschung. 8 Deren später als "traditionelle Friedensforschung" bezeichnete Variante richtete ihre Aufmerksamkeit entsprechend ihrer geistigen Herkunft gleichfalls vor allem auf die internationalen Beziehungen und orientierte sich infolgedessen überwiegend an dem Gegensatz von Frieden und Krieg. Seit den sechziger Jahren etablierte sich daneben eine marxistisch-sozialistisch ausgerichtete "kritische Friedensforschung". 9 Diese hob sich in An-

6 "Friede und Friedenssicherung, anders und negativer ausgedrückt: Verhütung und Bändigung des Krieges, [waren] von jeher das Zentralproblem des Völkerrechts überhaupt." (Wilhelm G. Grewe, Friede durch Recht? (Vortrag, gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 23. Januar 1985) Berlin, New York 1985, 5). 7 Die Theologie befaßt sich dabei durchaus nicht nur mit dem inneren und dem himmlischem Frieden, sondern auch mit der Frage nach Krieg und Frieden auf Erden, und hierbei besonders mit ethischen Aspekten des Verhältnisses von Krieg und Frieden, etwa mit der Frage nach dem gerechten Krieg. S In Deutschland steht die Gründung einer eigenständigen Friedensforschung im Zusammenhang der Auseinandersetzung um die Wiederbewaffnung und um die Frage einer deutschen Nuklearstreitmacht. (Siehe etwa Dieter S. Lutz, Friedensforschung zwischen Theorie und Realität, in: Jörg Calließ / Reinhold E. Lob (Hrsg.), Praxis der Umwelt- und Friedenserziehung, Band I. Grundlagen. DüsseJdorf 1987, 489-497. hier 491). 9 Zur Unterscheidung zwischen "traditioneller" bzw. "herkömmlicher" und "kritischer Friedensforschung" siehe die Ausftihrungen dazu von Dieter Senghaas im editorischen Vorwort zu: ders. (Hrsg.), Kritische Friedensforschung, 6. Auflage, Frankfurt am Main 1981,7-21, hier 7-12. Aufschlußreich zum "Programm" kritischer Friedensforscher auch die Erklärung zur Friedensforschung (angenommen auf einer wissenschaftlichen Tagung Zum Stand der Friedensforschung am 24./25. April 1971 in der Evangelischen Akademie Berlin-Wannsee) in: Senghaas (Hrsg.), Kritische Friedensforschung, 416-419.



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A. Zum Problem einer politikwissenschaftlichen Theorie des Friedens

spruch und Selbstverständnis ausdrücklich von den herkömmlichen - nunmehr als "traditionell" bezeichneten - Konzeptionen in der Friedensforschung ab, nicht zuletzt indem sie die Blickverengung auf die internationale Politik aufgab und sich auch innergesellschaftlichen Verhältnissen zuwandte. Letzteres fand unter anderem darin seinen Ausdruck, daß nicht mehr Krieg, sondern Gewalt schlechthin, also auch innergesellschaftliche Gewalt, als Gegensatz zum Frieden betrachtet wurde. Heute prägen traditionelle lO und vor allem kritische Friedensforschung ll jeweils in zahlreiche Richtungen und Forschungsansätze zersplittert - die sozial- und politikwissenschaftliche Friedensdiskussion. Will sich eine theoretische Erörterung des Friedensbegriffs nicht von vornherein auf die internationale Ebene und den Dualismus von Krieg und Frieden festlegen und beschränken lassen, so bietet sich an, zunächst Fragestellung und Ergebnisse der kritischen Friedensforschung in den Blick zu nehmen. Dies empfiehlt sich um so mehr, als so auch an jene überlieferten Friedensbegriffe angeknüpft werden kann, welche den Frieden nicht nur aus seinem Gegensatz zum Krieg heraus verstehen. Die Auseinandersetzung mit der kritischen Friedensforschung leistet so den Einstieg in die Problematik einer interaktionistischen Theorie des Friedens. 12

Siehe ferner Manfred Funke, Einleitung: Tatbestand Gewalt - Lernziel Frieden, in: ders. (Hrsg.), Friedensforschung. Entscheidungshilfe gegen Gewalt, Bonn 1975, 9-21, insbes. 15. Zur Fragestellung der kritischen Friedensforschung in Deutschland siehe systematisch z.B. Gertrud Kühnlein, Die Entwicklung der Kritischen Friedensforschung in der Bundesrepublik Deutschland. Untersuchung und Kritik einer neuen Wissenschaft, Frankfurt am Main 1978. 10 Als wichtige Vertreter einer nicht von marxistischen bzw. sozialistischen Prämissen ausgehenden Friedensforschung, die neben der dominierenden kritischen Friedensforschung einflußreiche Positionen vertreten, sind fiir die Diskussion in Deutschland neben anderen vor allem Ernst-DUo Czempiel, Karl W. Deutsch, Anatol Rapoport, Volker Rittberger und Carl Friedrich von Weizsäcker, sowie weitgehend auch die konfessionell geprägte Friedensforschung im Umfeld der christlichen Kirchen zu nennen. Wichtige Beiträge zur Erforschung des Friedensbegriffs liefern auch Dolf Sternberger und Christian Graf von Krockow, ohne daß sich diese explizit in die Reihe der Friedensforscher stellten. Zu von Weizsäckers Friedenskonzept siehe ausfiihrlieh Ulrich Bartosch, Weltinnenpolitik. Zur Theorie des Friedens von Carl Friedrich von Weizsäkker, Berlin 1995, zu demjenigen Sternbergers Jörg Pannier, Das Vexierbild des Politischen. Dolf Sternberger als politischer Aristoteliker, Berlin 1996, 41-66. II "Wenn ... heute in Deutschland von 'Friedensforschung' die Rede ist, dann ist damit ganz überwiegend diejenige Forschung gemeint, die sich selbst in der Tradition der Kritischen Friedensforschung sieht." (Christopher Daase, Vom Ruinieren der Begriffe. Zur Kritik der Kritischen Friedensforschung, in: Berthold Meyer (Redaktion), Eine Welt oder Chaos'). Frankfurt am Main 1996.455-490, hier 459). 12 Im folgenden geht es lediglich um eine grobe Skizze des wissenschaftlichen Kontextes. in dem die vorliegende Arbeit zum Friedensbegriff steht. Eine detaillierte Nach-

§ 1: Einleitung: Die Friedensforschung und die Theorie des Friedens

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Neben der Ausweitung des Friedensbegriffs auf innergesellschaftliche Verhältnisse und Beziehungen ist fiir die kritische Friedensforschung vor allem konstitutiv, daß sie sich als praxis- und handlungs orientierte Wissenschaft mit emanzipatorischem, gesellschaftsveränderndem Anspruch verstand und versteht. Kritische Friedensforschung hat "per definitionem als wertorientierte Wissenschaft eine wirklichkeitsverändernde Zielsetzung, und sie muß als angewandte Wissenschaft auch Anleitungen zur Durchsetzung in der politischen Praxis erarbeiten." 13 Ihrem Selbstverständnis entsprechend weitete sich der Gegenstandsbereich der kritischen Friedensforschung aus. Neben die Themen der traditionell orientierten Friedensforschung (Lehre von den internationalen Beziehungen, Abschreckungstheorie, Lehre von den internationalen Organisationen, Erforschung von Kriegsursachen und -folgen, strategische Studien, Entwicklung alternativer Verteidigungskonzepte, Analyse von Rüstungsprozessen etc.) traten eine Vielzahl neuer Bereiche: Thematisiert wurden beispielsweise Fragen der Entwicklungspolitik und der Nord-Süd-Problematik, solche der Friedenspädagogik, der zeichnung der Geschichte der Friedensforschung seit dem Zweiten Weltkrieg braucht an dieser Stelle hingegen ebensowenig zu erfolgen wie deren Differenzierung in verschiedene Spielarten und "Schulen". Siehe zur Geschichte und Entwicklung der Friedensforschung zahlreiche Fakten und Details in der umfangreichen marxistischen Studie von Jürgen Reusch, Friedensforschung in der Bundesrepublik. Entwicklung, Positionen, Perspektiven, Frankfurt am Main 1986, 6-157; ferner ders., Friedensforschung, in: Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, hrsg. von Jörg Sandkühler, Band 2, Hamburg 1990, 180-186; Hans Günter Brauch, Entwicklungen und Ergebnisse der Friedensforschung (1969-1978). Eine Zwischenbilanz und konkrete Vorschläge fiir das zweite Jahrzehnt, Frankfurt am Main 1979, 19-46 oder Karl Kaiser, Friedensforschung in der Bundesrepublik. Gegenstand und Aufgaben der Friedensforschung, ihre Lage in der Bundesrepublik, mit einem unter Mitarbeit von Reinhard Meyers ausgearbeiteten Verzeichnis von Forschungsinstitutionen und Gesellschaften sowie einer Bibliographie Wissenschaft und Frieden, Göttingen 1970, 14-91. 13 Michael Roick / Fritz Vilmar, Nur kritische Reflexionen oder auch konstruktive Alternativen? Das Beispiel der strikt defensiven Verteidigung, in: Ulrike C. Wasmuth (Hrsg.), Friedensforschung. Eine Handlungsorientierung zwischen Politik und Wissenschaft, Darmstadt 1991,254-271, hier 257. Siehe auch Funke, Einleitung, 15. Zur Friedensforschung als angewandter Wissenschaft siehe ferner die wissenschaftspolitischen Überlegungen Johan Gattungs: Friedensforschung, in: Ekkehart KrippendorfJ (Hrsg.), Friedensforschung, 2. Auflage, Köln, Berlin 1970, 519-536. Gelegentlich wird neben traditioneller und kritischer noch eine dritte Variante zeitgenössischer Friedensforschung genannt, die "revolutionäre" Friedensforschung. Diese in ihrer Bedeutung stets marginal gebliebene und heute gänzlich bedeutungslose Richtung knüpft inhaltlich an die kritische Friedensforschung an, geht aber in ihrem Praxisanspruch über diese hinaus: "Sie will Veränderung der politischen Gegebenheiten, ohne bei der Beförderung von Frieden Gewaltanwendung auszuschließen." (Funke, Einleitung, 17). Zum Programm der revolutionären Friedensforschung wird meist verwiesen auf Lars Dencik, Plädoyer für eine revolutionäre Konfliktforschung, in: Senghaas (Hrsg.), Kritische Friedensforschung, 247-270.

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A. Zum Problem einer politikwissenschaftlichen Theorie des Friedens

Umweltpolitik, ferner feministische Fragestellungen oder neuerdings die Problematik des Rechtsextremismus. So wurde Friedensforschung auch zur Demokratieforschung. 14 Eine solche thematische Bandbreite macht das interdisziplinäre bzw. multidisziplinäre Selbstverständnis der Friedensforschung verständlich, das immer wieder betont wird. 15 Auf diese Weise gerät die Friedensforschung zur "Universalwissenschaft,,16, und der sich hieraus ergebenden "inflationäre[n] Aufblähung ihres Zuständigkeitsanspruchs,,17 entsprechen ein Pluralismus an Forschungsansätzen sowie ein sehr oft bloß fragmentarischer und widersprüchlicher Charakter der Aussagen und Ergebnisse sowie eine problematische Ausweitung der Begrifflichkeit. 18 Der umfassende Anspruch solcher Friedensforschung steht vor dem Hintergrund der Unterscheidung zwischen positivem und negativem Frieden, die vor allem unter Rückgriff auf die Arbeiten Johan Gattungs, dem "Nestor der europäischen Friedensforschung" 19, diskutiert wird und die in engem Zusammenhang mit der kritischen "Praxisorientierung" zu sehen ist. 20 14 "Die Friedensforschung erkennt in der Demokratie die wichtigste Bedingung zur Erreichung ihres Zieles. Friedensforschung ist somit Demokratieforschung. " (Ulrich AIbrecht, Neue Perspektiven der Friedensforschung, in: Wasmuth (Hrsg.), Friedensforschung, 17-27, hier 26). Die Ergebnisse der Studien, die sich dem Verhältnis von Frieden und Demokratie widmen, differieren je nach dem zugrundegelegten Demokratieverständnis. So schreibt Ulrich Albrecht (ebenda): "Demokratischem Verfahren und demokratischer Norm ist der Rekurs auf Gewalt fremd. Demokratische Verfahren und Normen schließen vor allem den Einsatz von Massenvernichtungsmitteln aus." Siehe dazu auch WolfDieter Narr, Demokratie und Frieden, in: Jahrbuch fiir Friedens- und Konfliktforschung, Band 11, Friedensforschung und politische Praxis, hrsg. im Auftrag des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft fiir Friedens- und Konfliktforschung, Düsseldorf 1972,23-33. 15 Siehe beispielsweise Wolfgang Huber, Friedensforschung, in: HistWbPhilos, Band 2 Basel, Stuttgart 1972, Sp. 1119-1122, hier Sp. 1122 und Corinna Hauswedell, Friedensforschung und Friedenswissenschaft an den Hochschulen. Neue Entwicklungstendenzen und Perspektiven, in: Wasmuth (Hrsg.), Friedensforschung, 65-82, hier 67. 16 Egbert lahn, Friedensforschung, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, Bonn 1991, 164-166, hier 165. Siehe ebenso Theodor Ebert, Friedensforschung, in: Wolfgang W. Mickel (Hrsg. in Verbindung mit Dietrich ZitzlafJ), Handlexikon zur Politikwissenschaft, Bonn 1986, 158-162, hier 162. 17 Erwin Häckel, Friedensforschung, in: EvStL, Band I, Sp.1012-1014, hier Sp.1014. 18 Siehe zu letzterem insbesondere Daase, passim, insbes. 464 ff., 467 ff. 19 lngo Arend, Von der Kriegsverhinderung zur Friedensgestaltung. Folgerungen aus der politischen Geschichte der Friedensforschung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Wasmuth (Hrsg.), Friedensforschung, 28-46, hier 29. 20 Siehe dazu knapp beispielsweise lohan Galtung, Peace (1968), in: ders., Essays in Peace Research, Volume I, Peace: Research, Education, Action, Copenhagen 1975, 29-46, hier 29 und passim oder lohan Galtung, Begriffsbestimmung: Frieden und Krieg, in: Calließ / Lob (Hrsg.), Band I, 331-336, hier 331 f. Siehe ferner statt aller

§ I: Einleitung: Die Friedensforschung und die Theorie des Friedens

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Dem negativen Friedensbegriff entspricht die traditionelle Auffassung vom Frieden als Abwesenheit von Krieg bzw. Gewalt. Obgleich die kritischen Friedensforscher den negativen Frieden als notwendige Bedingung des positiven Friedens anerkannten 21 , erschien ihnen diese Vorstellung vom Frieden als Abwesenheit von Gewalt bzw. Krieg als ein zu anspruchsloses Konzept, das sich von vornherein mit dem status qua der Welt abfinde und das bloß affirmativ wirke, indem es die traditionelle Friedensforschung an die politischen und militärischen Gegebenheiten - insbesondere an die Realitäten der Abschreckung und des Ost-West-Gegensatzes - fessele. Demgegenüber hielt man in der Lehre von den internationalen Beziehungen und den an ihr sich anlehnenden Auseinandersetzungen mit dem Friedensbegriff im wesentlichen, wenn auch nicht durchgehend, an dessen Bestimmung als Abwesenheit von Krieg fest. 22 Daß dies im Bereich der internationalen Beziehungen sinnvoll ist, wird im Verlauf der vorliegenden Arbeit zu zeigen sein. In der kritischen Friedensforschung suchte man nach einer den konstatierten Mangel des negativen Friedensbegriffs überwindenden "positiven" Bestimmung des Friedens. Es war allein Gattung, der hierzu systematisch theoretische Überlegungen anstellte. 23 Gattung versucht, mittels einer differenzierenden Be-

Arend. 32 sowie Kühn/ein. Die Entwicklung der Kritischen Friedensforschung, 32-58, insbes. 33 ff. Die Unterscheidung zwischen negativem und positivem Frieden ist indes keine Erfindung Galtungs. Sie findet sich bereits 1934 in der Rechtssoziologie Barna Horwiths, für den der positive Frieden in der "gegenseitigen Förderung", der negative in der "bloßen Nichtvemichtung" besteht: Barna Horwith, Rechtssoziologie. Probleme der Gesellschaftslehre und der Geschichtslehre des Rechts, Berlin 1934, 170. Va/entin Zsijkovits betont zu Recht, daß der Ausdruck "negativer Frieden" nicht von vornherein ein Werturteil impliziere, sondern nur den methodologischen Aspekt der Definitionsweise via negationis angebe. (Va/entin Zsijkovits, Der Friede als Wert. Zur Wertproblematik der Friedensforschung, München, Wien 1973.46). Obwohl dem so ist, verwandeln sich Ausdruck und Begriff bei den meisten kritischen Friedensforschern bewußt oder unbewußt zum Werturteil. Dies ist in erster Linie dem Anspruch der Friedensforschung auf Praxisrelevanz geschuldet, der zu einer doppelten - nämlich sowohl kognitiven als auch normativen - Orientierung der Begriffe und in der Konsequenz schließlich zu unkontrollierten Wertungen führt. Siehe dazu Daase, 468 f. 21 Programmatisch stellt Galtung fest: "The conception ofpeace as 'nonwar' is neither theoretically nor practically interesting ... It is the concept of positive peace that is worth exploring, especially since negative peace is a conditio sine qua non and the two concepts of peace may be empirically related even though they are logically independent." (Ga/tung, Peace, 29. 30). 22 Dies liegt unter anderem darin begründet, daß man sich in der Lehre von den internationalen Beziehungen oft an völkerrechtlichen Auffassungen vom Frieden orientiert, die nach wie vor von dessen Gegensatz zum Krieg oder zum "bewaffneten Konflikt" ausgehen. 23 Ga/tungs klassische Arbeit hierzu ist Gewalt, Frieden und Friedensforschung (1969), in: Senghaas (Hrsg.), Kritische Friedensforschung, 55-104 (auch abgedruckt in: Funke (Hrsg.), Friedensforschung, 99-132; englisch auch in: Ga/tung, Essays in Peace

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A. Zum Problem einer politikwissenschaftlichen Theorie des Friedens

stimmung des Gewaltbegriffs den Begriff des positiven Friedens zu präzisieren. Bei seinen Überlegungen gelangt er so über die Definition des Begriffs der "strukturellen Gewalt" zur Identifizierung von Frieden mit der Abwesenheit struktureller Gewalt. Dies setzt er wiederum mit sozialer Gerechtigkeit gleich. 24 Die mannigfachen theoretischen Schwächen des Konzepts der "strukturellen Gewalt" wurden in zahlreichen Kritiken thematisiert?S Gleichwohl avancierte Galtungs Begrifflichkeit innerhalb der kritischen Friedensforschung zu dem Paradigma26 und fand breite Zustimmung und Anerkennung. Bis heute ist es bei Friedensforschem von ungebrochener Aktualität. 27 Daher ist am Ende der vorresearch, Vol. I, 109- I 34, zitiert wird nach der in Senghaas (Hrsg.), Kritische Friedensforschung wiedergegebenen deutschen Ausgabe). Eine umfassende Darstellung der Theorie Gattungs gibt Mir A. Ferdowsi, Der positive Frieden. Johan Galtungs Ansätze und Theorien des Friedens, München 1981. Zur Entwicklungsgeschichte des Begriffs der strukturellen Gewalt siehe auch lring Fetscher, Strukturelle Gewalt. Entstehung, Bedeutung und Funktion eines sozialwissenschaftlichen Modewortes. in: Friedrich Enget-Janosi / Grete Klingenstein / Heinrich Lutz (Hrsg.), Gewalt und Gewaltlosigkeit. Probleme des 20. Jahrhunderts (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit, Band 4) München 1977,85-93, bes. 85 ff. 24 "Die Abwesenheit von struktureller Gewalt ... ist [das], was wir als soziale Gerechtigkeit bezeichnet haben, und das ist eine positiv definierte Bedingung (gleiche Verteilung von Macht und Ressourcen) ... Ich würde 'positiven Frieden' ... in erster Linie mit 'sozialer Gerechtigkeit' gleichsetzen." (Gattung, Gewalt, Frieden und Friedensforschung, 87, 101; zum Frieden als Abwesenheit von struktureller Gewalt bei Galtung siehe ausführlich Ferdowsi, 82-134). 25 Siehe dazu unten § 34. dort insbes. Fn. 28. 26 Daß die Formel "strukturelle Gewalt" schnell auch zum bloßen Schlagwort herabsank, kann hier vernachlässigt werden. 27 "Es scheint, als ob erst heute dieses Konzept seine Erklärungskraft entwickeln könnte - nach dem Ende des Ost-West-Konflikts", meint Hans Nicktas (Ist die kritische Friedensforschung obsolet geworden? Zur Diskussion der Begriffe und Ziele der Friedensforschung, in: Wolfgang R. Vogt (Hrsg.), Frieden als Zivilisierungsprojekt - Neue Herausforderungen an die Friedens- und Konfliktforschung. 25 Jahre AFK (AFKSchriften. Band XXI). Baden-Baden 1995,92-97, hier 94). Gattungs Begrifflichkeit übernehmen (bei Differenzen im Detail) weitgehend auch die jüngeren Arbeiten von Julia Mehlich und Geratd Wagner. Mehlich sogar trotz ihrer Überzeugung, daß Gattungs Friedensdefinition "in letzter Konsequenz theoretisch nicht haltbar" sei. Siehe Julia Mehlich. Analyse der theoretischen Ansätze und konzeptionellen Vorstellungen zu "Frieden", "Gewalt" und "Konflikt" in der bundesdeutschen Friedensforschung, Leipzig 1994 (zugleich Diss. HU Berlin 1993), Zitat 11; Geratd Wagner, Die ganzheitliche Dimension des Friedens. Grundlagen flir eine umfassende Erforschung und Förderung des Friedens, Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1994. Wagner geht mit seiner Vorstellung vom "ganzheitlichen Frieden" noch über Gattungs Konzept hinaus: "Der Ansatz des positiven Friedens, der vor allem von der Idee der sozialen Gerechtigkeit geprägt ist, bedarf ... einer zusätzlichen Erweiterung, wenn - wenigstens theoretisch - die Gewalt in der Welt auf ein Minimum absinken soll." (125 f.). Die Erweiterung besteht bei Wagner in einer "Kombination von positivem Frieden und ökologischer Orientierung." (126). Das kombinierte Modell bezeichnet er als den "ganzheitlichen Frieden". (Siehe dazu extensiv 124-143). Der ganzheitliche

§ I: Einleitung: Die Friedensforschung und die Theorie des Friedens

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liegenden Arbeit vor dem Hintergrund der hier entwickelten Friedenstheorie

Galtungs Konzept nochmals einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

Bei Gattung wird ein Mangel deutlich, der sich bei anderen Friedensdefinitionen kritischer Friedensforscher meist noch klarer zeigt: Frieden wird schlicht - wenn auch z.B. über den Umweg eines bestimmten Gewaltbegriffs - mit hohen Idealen und Werten identifiziert, deren Gehalt wiederum nicht ausdrücklich erläutert wird. 28 Dadurch aber wird der Begriff letztlich subjektiver Beliebigkeit ausgesetzt und als wissenschaftliches Konzept unbrauchbar. 29 Exemplarisch seien drei weitere Definitionen von Frieden aus der Friedensforschung angeführt, fur welche Frieden mehr als die "bloße" Abwesenheit von Gewalt und Krieg darstelle o: (i.) Wolfgang Ockenfels sieht im Frieden einen in Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit hervorzubringenden Zustand dynamischer Ordnung oder geordneter Entwicklung, eine fortschreitende Vereinigung gleicher Prinzipien, Rechtsnormen und Institu-

Frieden ist für Wagner von vornherein ein normativer Zielbegriff (siehe 126), von dem es "mehr als fraglich ist", ob er "jemals eine Chance auf Verwirklichung hat." (Ebenda). Siehe zu dem Konzept jetzt auch Geratd Wagner, Aspekte umfassenden Friedens. Anmerkungen zu einem erweiterten Verständnis des Friedensbegriffs, in: Wolfgang R. Vogt (Koordination), Frieden durch Zivilisierung? Probleme - Ansätze - Perspektiven (Schriftenreihe des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK) Band I), Münster 1996,218-237, insbes. 228 ff. 28 So bleibt bei Galtung weitgehend offen, was unter sozialer Gerechtigkeit zu verstehen ist. (Siehe aber Galtung, Gewalt, Frieden und Friedensforschung, 102 f. Anm. 18 die Hinweise auf die "Erklärungen der Menschenrechte", die als "Ausdruck" für soziale Gerechtigkeit verstanden werden könnten, die von Ga/tung aber zugleich wegen des "Mangels", "eher personal" zu sein, kritisiert werden). Die Identifizierung des Friedens mit sozialer Gerechtigkeit eröffnet jedenfalls die Möglichkeit, unter dem Titel der Friedenstheorie zugleich auch etwa die Entwicklungsproblematik zu fassen, worauf Gattung selbst (ebenda, 87) hinweist. Auch Definitionen solcher Friedensforscher, die sich nicht zur kritischen Richtung rechnen, leiden unter dem im Text konstatierten Mangel, insbesondere wenn sie sich von außenpolitischen Verhältnissen ab- und innenpolitischen zuwenden. Prominent ist dabei oft - wie bei Galtung - der Gedanke, Frieden mehr oder weniger mit einem Zustand der Gerechtigkeit zu identifizieren. (Siehe auch Definitionen aus dem Umkreis der Kirchen, wie etwa die sogleich angegebene von Wolfgang Ockenfe/s). 29 Beliebig, weil der Frieden auf diese Weise mit verschiedensten Inhalten identifiziert werden kann, je nach Standpunkt und Vorstellung desjenigen, der die Definition gibt; unbrauchbar und überflüssig, weil man auf das so definierte Wort "Frieden" auch verzichten kann, solange die Ausdrücke und die mit ihnen verbundenen Begriffe des Definiens zur Verfügung stehen. So schreibt auch Kühn/ein, Die Entwicklung der Kritischen Friedensforschung, 38: "Die Diskussion ist ... geprägt von individueller Willkür, Wünschen und Neigungen." Aus diesem Umstand resultiert eine mangelnde wissenschaftliche Rechenschaftsfahigkeit. (Siehe ebenda, 38 und 46). 3D Eine Zusammenstellung weiterer Definitionen findet sich in: Senghaas (Hrsg.), Den Frieden denken, 445-459.

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A. Zum Problem einer politikwissenschaftlichen Theorie des Friedens

tionen mit dem Ziel, daß überall die fundamentalen Grundsätze der Menschenrechte gelten und die Würde des Menschen anerkannt wird 31 (ii.) Klaus Schütz definiert: "Frieden ist nicht nur die Abwesenheit von Krieg, sondern auch die Abwesenheit jeglicher Form von personaler wie struktureller Gewalt. Er beinhaltet aber darüber hinaus die Anwesenheit von ökonomischer, politischer und sozialer Gerechtigkeit weltweit ebenso wie eine vollständige, allseitige Abrüstung, ein neues Weltwirtschaftssystem und ein Leben im ökologischen Gleichgewicht. Es wäre verkehrt, ihn statisch als Endzustand zu verstehen. Vielmehr ist er das immer wieder durch Assoziation oder Dissoziation möglichst [sie!] gewaltfrei zu sichernde Produkt dynamischer prozeßhafter Weltbeziehungen. ,,32 (iii.) In Anlehnung an Galtung und Ernst-OUo Czempiel schreiben Anne Ostermann und Hans Nicklas: "Gewalt bedeutet immer eine körperliche, geistige oder seelische Beeinträchtigung von Menschen. Frieden wäre dann also der Zustand, der es den Menschen ermöglicht, im Rahmen des historischen Standes der Entwicklung der Produktivkräfte ihre körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte ohne Einwirkung von Gewalt zu entfalten. Frieden kann nicht verstanden werden als ein utopischer Zustand völliger Gewaltlosigkeit, sondern als ein 'Prozeßmuster', das auf die Ausweitung des Freiheits-, Selbstbestimmungs- und Entfaltungsspielraums der Menschen gerichtet ist.,,33

Die vorstehenden Definitionen lassen den theoretischen Mangel der gängigen "positiven" Friedensbestimmungen leicht erkennen: Es wird keineswegs theoretisch erörtert, was Frieden tatsächlich ist. Statt das Phänomen in begrifflicher Schärfe herauszuarbeiten, werden subjektiv als besonders erstrebenswert erachtete Werte und humanitäre Ansprüche mit dem Wort "Frieden" bezeichnet. 34 Der theoretischen Schwäche solcher nominalistischen Definitionen entspricht auf der anderen Seite, daß mit ihnen ein moralisierender Aktivismus im Dienste des Friedens provoziert wird: Indem man unter Berufung auf die allgemeine Pflicht, dem Frieden zu dienen, Andere auf die jeweils mit Frieden identifizierten Werte zu verpflichten sucht, ist die Chiffre des Friedens geeignet, moralischen Druck auszuüben. Zugleich fordert die Gleichsetzung des Friedens mit hohen Idealen, daß die defizitäre Wirklichkeit, die diesen Idealen nie völlig gerecht wird 35 , zu überwinden sei: Die Verwirklichung des Friedens gebietet so die Beseitigung dieser Zustände - unter Umständen mit Gewalt, die den Anderen verboten, den "Friedensverwirklichem" als Mittel aber vorbehalten wird,

31 Siehe Wolfgang Ockenfels. Die Dynamik des Friedens, in: Heinrich B. Streithofen / Wolfgang Ockenfels. Diskussion um den Frieden, Stuttgart 1974, 33-114, hier 69, 1 \3 und 114. 32 Klaus Schütz. Mobilmachung für das Überleben als Aufgabe von Friedensforschung, Friedenspädagogik, Friedensbewegung, Waldkirch 1981, 26. J3 Anne Ostermann / Hans Nicklas. Erziehung zur Friedensfähigkeit, in: Wasmuth (Hrsg.), Friedensforschung, 164-178, hier 164. 34 Siehe dazu auch Daase, 469. 35 Tatsächlich sollen ja die "positiven" Friedensdefinitionen der Kritik bestehender Zustände dienen.

§ 1: Einleitung: Die Friedensforschung und die Theorie des Friedens

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wie die Definition (ii) von Schütz, wenn auch verstohlen, so doch hinreichend deutlich erkennen läßt ("möglichst gewaltfrei"). Diese ideologischen Aspekte der kritischen Friedensforschung sind hier nicht weiterzuverfolgen. Sie wurden von Gertrud Kühnlein, Friedrich Tenbruck und Helmut Schelsky gründlich kritisiert. 36 Die zitierten Definitionen verdeutlichen ferner, daß es der Friedensforschung nicht gelungen ist, eine auch nur ~nnähernde theoretische Verständigung über den Friedensbegriff oder den konkreten Inhalt des Friedensproblems zu erreichen. So kommt man oft wieder auf die als "bloß negativ" diffamierte Konzeption des Friedens als Abwesenheit von Krieg bzw. Gewalt zurück, wenn man sich konkreten Forschungsgegenständen zuwendet. 37 Allerdings zeichnet sich seit den späten achtziger Jahren - nicht zuletzt infolge der weltpolitischen Umbrüche - ein Wandel in der Friedensforschung auch dort ab, wo diese sich selbst nach wie vor als kritische Friedensforschung versteht. 38 Bei vielen Friedensforschern stellt sich inzwischen nicht nur eine Ernüchterung hinsichtlich der Möglichkeiten praktisch wirksamer Wissenschaft ein. Vielmehr beklagen sie auch zunehmend das Fehlen eines tragfähigen theoretischen Friedensbegriffs. So vermißt etwa Johannes Schwerdtfeger eine theoretische Grundsatzdiskussion um den Friedensbegriff innerhalb der Friedensforschung und fordert diese auf, "die versunkene Diskussion um Friedensbegriffe und Friedensverständnis wieder aufzunehmen. ,,39 36 Siehe Kühnlein, Die Entwicklung der Kritischen Friedensforschung, passim; Friedrich Tenbruck, Frieden durch Friedensforschung? Ein Heilsglaube unserer Zeit, in: Funke (Hrsg.), Friedensforschung, 425-439 und Helmut Schelsky, Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen, Opladen 1975 (IV. Teil, Kapitel 4: Friedensforschung - ein Heilsglaube unserer Zeit, 290-297). 37 Siehe ähnlich auch Dieter Senghaas im Vorwort seines Sammelbandes Den Frieden denken, 9-17, hier 16. 38 Die gegenwärtig betriebene und sich selbst so bezeichnende Friedensforschung sieht sich heute noch überwiegend in der Tradition der kritischen Friedensforschung. "Von ihrem Veralten kann also nicht die Rede sein." - So eine Selbsteinschätzung aus dem Kreis der Friedensforschung (Nicklas, Ist die kritische Friedensforschung obsolet geworden?, 97). 39 Johannes Schwerdtfeger, Frieden - Annäherung an Begriffsbildung und Theoriestatus, in: Bernhard Moltmann (Hrsg.), Perspektiven der Friedensforschung (AFKSchriften, Band XV), Baden-Baden 1988, 42-55, hier 47. Ob jene "versunkene Diskussion" in den sechziger und siebziger Jahren tatsächlich stattgefunden hat, ist freilich fragwürdig. "Seit Johan Galtung Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre mit Nachdruck seine Auffassung vorzutragen begann, das Friedensverständnis müsse über die Negation der 'personalen Gewalt', insbesondere des Krieges hinaus erweitert werden, und sich daran eine teilweise heftig geführte Polemik um den Begriff der 'strukturellen Gewalt' anschloß, hat die wissenschaftliche Diskussion über den Friedensbegriff stagniert; wesentliche Impulse, die zu einer differenzierter gefiihrten Fortsetzung der von Galtung und seinen Anhängern wie Gegnern betonten Debatte hätten Anlaß geben können, blie-

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A. Zum Problem einer politikwissenschaftlichen Theorie des Friedens

Das Bewußtsein der Schwäche subjektivistisch-nominalistischer Definitionen hat so den Blick auf grundlegendere Fragestellungen freigelegt. Neben vereinzelten Ansätzen anderer Autoren hat in den vergangenen Jahren vor allem Dieter Senghaas in mehreren Arbeiten die Bestimmung eines präziseren, differenzierten und rechenschaftsfahigen Friedensbegriffs in Angriff genommen. 40 Es ist vor allem sein Verdienst, daß Gattungs Konzept der strukturellen Gewalt heute nicht mehr das einzige Theorieangebot im Rahmen der Friedensforschung darste llt. 4 1 Der von Senghaas gewonnene theoretische Ansatz liegt inzwischen in ben aus - sieht man von wenigen Ausnahmen wie E. O. Czempiel ab." (Volker Rittberger, Frieden und Friedensfähigkeit, in: Moltmann (Hrsg.), Perspektiven der Friedensforschung, 65-83, hier 66f.). Eine kritische Bestandsaufnahme bezüglich der theoretischen Arbeit am Friedensbegriff gibt auch Senghaas im Vorwort zu ders. (Hrsg.), Den Frieden denken, hier 9-12. Siehe ferner Lothar Brock, Frieden. Überlegungen zur Theoriebildung, in: Senghaas (Hrsg.), Den Frieden denken, 317-340. 40 Siehe dazu folgende Arbeiten: Dieter Senghaas, Die Kultur des Friedens, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament B 43/95 vom 20.10.1995, 3-8; ders., Frieden (vorher schon in etwas kürzeren und minimal veränderten Fassungen abgedruckt in: Dieter Senghaas, Wohin driftet die Welt? Über die Zukunft friedlicher Koexistenz, Frankfurt am Main 1994, 17-49 sowie in: Vogt (Hrsg.), Frieden als Zivilisierungsprojekt, 37-55, hier wird nach der jüngsten Textausgabe zitiert); ders., Konfliktformationen im internationalen System, Frankfurt am Main 1988, 9 f. und 12-29; ders., Hexagon-Variationen. Zivilisierte Konfliktbearbeitung trotz Fundamentalpolitisierung, in: Norbert Ropers / Tobias Debiel (Hrsg.), Friedliche Konfliktbearbeitung in der Staaten- und Gesellschaftswelt, Bonn 1995, 37-54; ders., Friedensforschung und der Prozeß der Zivilisation, in: Moltmann (Hrsg.), Perspektiven der Friedensforschung, 167-174; ders., Dimensionen einer Weltfriedensordnung, in: Politisches Denken. Jahrbuch 1997, hrsg. von Karl GrafBallestrem / Volker Gerhardt / Henning Ottmann / Martyn P. Thompson, Stuttgart, Weimar 1997, 101-116; ders. / Eva Senghaas, Si vis pacem, para pacem. Überlegungen zu einem zeitgemäßen Friedenskonzept, in: Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft, 20 (1992), 230-251 (auch in: Meyer (Redaktion), Eine Welt oder Chaos?, 245-275). Zur Kritik an Senghaas' Überlegungen siehe Helmut König, Dieter Senghaas und die Zivilisationstheorie, in: Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft, 21 (1993), 453-460 und Wolfgang R. Vogt, Zivilisierung und Frieden - Entwurf einer kritischreflexiven Friedenstheorie, in: ders. (Koordination), Frieden durch Zivilisierung?, 91-135, hier 99-106. Siehe zur Thematik ferner Wolfgang R. Vogt, Frieden durch "Zivilisierung"? Zur theoretischen Fundierung der Friedens- und Konfliktforschung nach dem Ende des OstWest-Konflikts, in: ders. (Hrsg.), Frieden als Zivilisierungsprojekt, 13-36; Helmut König, Zivilisationsprozeß und Frieden, in: Mathias Jopp (Hrsg.), Dimensionen des Friedens - Theorie, Praxis und Selbstverständnis der Friedensforschung (AFK-Schriften, Band XVII), Baden-Baden 1992, 107-123; Hans Nicklas, Frieden durch Ausbreitung des bürgerlich-demokratischen Rechtsstaats?, in: Ulrike C. Wasmuth (Hrsg.), Ist Wissen Macht? Zur aktuellen Funktion von Friedensforschung (AFK-Schriften, Band XIX), Baden-Baden 1992, 279-292, insbes. 283-286 sowie jetzt die Beiträge im zweiten Teil des Bandes Vogt (Koordination), Frieden durch Zivilisierung? 41 Auch Wagner versteht seine Arbeit als einen theoretischen Versuch "zu klären, ... was 'Friede' ... eigentlich bedeutet." (Wagner, Die ganzheitliche Dimension des Frie-

§ 2: Dieter Senghaas: Die Kultur des Friedens

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ausreichend systematisierter Form vor. 42 Die darin entwickelten Vorstellungen vom Frieden als Kultur, mit denen sich Senghaas zum maßgeblichen Protagonisten der seit den späteren achtziger Jahren beobachtbaren "kulturwissenschaftlichen Wende" innerhalb der Friedensforschung gemacht hat, sind im folgenden ausführlicher darzustellen. Denn aus der kritischen Auseinandersetzung mit ihnen läßt sich nicht nur ein Teil der Fragestellung für die zu entwickelnde interaktionistische Theorie des Friedens erarbeiten, sondern darüberhinaus kann auch an Senghaas' inhaltliche Überlegungen angeknüpft werden.

§ 2: Dieter Sengbaas: Die Kultur des Friedens Senghaas übernimmt aus der Tradition der kritischen Friedensforschung die weite Perspektive auf den Friedensbegriff, welche diesen nicht auf das Verhältnis zwischen Staaten beschränkt. Ganz im Gegenteil konzentrieren sich seine begriffstheoretischen Ausführungen vor allem auf den innergesellschaftlichen Frieden, ohne daß freilich die Problematik des internationalen Friedens ausgeklammert würde. 43 Zentral ist für diesen Ansatz die Frage, wie innergesellschaftlicher Frieden entsteht und auf Dauer gestellt wird, wie er in der Gesellschaft verankert ist und welchen Gefahrdungen er sich ausgesetzt sieht. Bemerkenswert ist dabei, daß Senghaas von dieser Fragestellung ausgehend den Frieden aus dem Bereich zukünftig erst zu verwirklichender Ideale oder Werte herauslöst und ihn stattdessen als einen bestehenden Zustand betrachtet, dessen Gegenmodellletztlich der Bürgerkrieg ist. 44 Dies ist einer der zentralen Punkte, welche die Senghaasschen Vorstellungen für eine interaktionistische Friedenstheorie kompatibel machen. Ausgehend von diesen Grundannahmen wird die Theorie der Kultur des Friedens breit entwickelt: Senghaas stellt den Frieden in einen differenzierten Kontext von Bedingungen und Zusammenhängen, die einerseits das partikulare, d.h. innergesellschaftliche Handeln der Menschen betreffen, andererseits aber immer wieder auf die pazifizierende Leistung des Staates verweisen. Mit diesem dens, 36 f.). Sein Versuch leidet allerdings - wie in Fn. 27 oben gezeigt - ebenfalls unter der bemängelten Ausweitung und "Überfrachtung" des Friedensbegriffs. Daher eignet er sich nicht als Ausgangspunkt rur die nachfolgenden Überlegungen. 42 Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß Senghaas oft unklar formuliert, seine Terminologie nicht einheitlich anwendet und gerade dadurch gelegentlich unausgesprochene Veränderungen am Konzept vornimmt, die nicht als explizite Fortentwicklung angesehen werden können. Aus diesen Schwächen in der Darstellung des Konzepts ergibt sich die Notwendigkeit, die Senghaassche Friedenstheorie immer erst rekonstruieren zu müssen. 43 Siehe Senghaas, Frieden, 198 ff. und 209 ff. und ders., Kultur des Friedens, 7 f. 44 Siehe Senghaas. Frieden, 198.

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A. Zum Problem einer politikwissenschaftlichen Theorie des Friedens

letztgenannten Punkt knüpft er an die Hobbessche Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit gesamtgesellschaftlichen Friedens an und koppelt so den Friedensbegriff an denjenigen der Politik. Bei der Entfaltung seines Konzeptes greift Senghaas auch auf die Zivilisationstheorie von Norbert Elias zurück. 45 Eine Auseinandersetzung mit dieser liegt fiir die Friedensforschung nicht zuletzt deshalb nahe, weil Elias unter anderem eine historisch fundierte Theorie der gesellschaftlichen Bändigung von Gewalt anbietet. Das ermöglicht es Senghaas, die Vorstellungen der kritischen Friedensforschung von der zentralen Bedeutung des Gewaltbegriffs in seine theoretische Bestimmung dessen, was Frieden ist, zu übertragen, ohne bei einem negativen Begriff des Friedens als Abwesenheit von Gewalt stehenbleiben zu müssen. 46 Vielmehr wird diese Vorstellung in einen komplexen Kontext von sechs Dimensionen des Friedens einbezogen, welche Senghaas als "zivilisatorisches Hexagon" bezeichnet und das sich aus folgenden Faktoren zusammensetzt47 : (I) Die Entprivatisierung von Gewalt durch Herausbildung eines Gewaltmonopols, (2) die Kontrolle des Gewaltmonopols und die Herausbildung von Rechtsstaatlichkeit, (3) die Herausbildung von langen "Interdependenzketten" unter den Menschen und die Internalisierung der Affektkontrolle beim Einzelnen Individuum (Selbstkontrolle, Selbstbeherrschung), (4) die demokratische Beteiligung, (5) soziale Gerechtigkeit und schließlich (6) eine konstruktive (politische) Konfliktkultur.

45 Diese ist breit ausgefUhrt in Norbert Elias, PZ I und 11. Die im engeren Sinne theoretischen AusfUhrungen befinden sich in Band 11, 312-454. Elias hat in zahlreichen weiteren Arbeiten die Zivilisationstheorie weiterentwickelt. Siehe dazu noch Norbert Elias. Zivilisation, in: Bernhard Schäfers (Hrsg.), Grundbegriffe der Soziologie, 4., verbesserte und erweiterte Auflage, Opladen 1995,406-411. Wie auch bei anderen Friedensforschern, die neuerdings vom zivilisatorischen Frieden reden, bleibt die theoretische Anknüpfung an die Eliassche Zivilisationstheorie sieht man von der Übernahme einzelner Ausdrücke einmal ab - bei Senghaas relativ vage und metaphorisch. Das hat zwar unter anderem den Vorteil, daß das Senghaassche Friedenskonzept im Detail nicht zusätzlich mit (zahlreich vorhandenen) Schwierigkeiten der Eliasschen Theorie belastet wird. Andererseits bleibt unklar, worin die Differenzen bestehen und welche Theoriebausteine der Zivilisationstheorie Senghaas nun tatsächlich akzeptiert. Ferner fuhrt nicht zuletzt der Rückgriff auf Elias dazu, daß die Senghaassche Friedenstheorie von begrenzter Reichweite bleibt: Sie hat Geltung nur für die neuzeitlichen modernen Gesellschaften des Westens. Siehe dazu ausfUhrlicher weiter unten 35 f. 46 Die "negative" Vorstellung vom Frieden als einer Konfliktaustragung ohne Gewalt kann auf diese Weise ein wichtiger Orientierungspunkt der Theorie bleiben. Siehe z.B. Senghaas / Senghaas. Si vis pacem, 231 und 234. 47 Siehe zum folgenden Senghaas. Frieden, 198-206 und ders .. Kultur des Friedens, 3-6. In Senghaas / Senghaas. Si vis pacem, 231 f. und ff. werden die Faktoren in einem anderen Ordnungsschema präsentiert.

§ 2: Dieter Senghaas: Die Kultur des Friedens

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"Diese sechs Bausteine des Zivilisierungsprojektes Frieden bzw. Komponenten von Zivilität fUgen sich gewissermaßen zu einem zivilisatorischen Hexagon zusammen ... In ihm wird eine historische Erfahrung aus der neuzeitlichen Geschichte in Teilregionen Europas gebündelt. ,,48 Aus dem Zusammenwirken aller sechs Faktoren resultiert der Frieden, der damit Ausdruck einer spezifischen Kultur ist, welche "als allgemeine Tugenden" bei den Menschen "einsozialisiert und internalisiert,,49 ist. Diese Internalisierung wird ausdrücklich im sechsten Faktor des zivilisatorischen Sechsecks als "konstruktive Kontliktkultur" bezeichnet. Sie ist einerseits Ergebnis der anderen Faktoren, andererseits werden aber diese wiederum von jenen Tugenden der konstruktiven Konfliktkultur getragen, die somit imstande ist, "ein Eigengewicht zu gewinnen und vennittels von Rückkoppelungen stabilisierend und verstärkend auf die sie verursachenden Instanzen zurückzuwirken. ,,50 "Mit anderen Worten: Konstruktive Konfliktbearbeitung kann als Orientierung zu einem Eigenwert werden und damit auch eine Eigendynamik entwickeln. Sie hätte dann Folgewirkungen weit über den öffentlich-politischen Raum hinaus und damit eine allgemeine Ausstrahlungskraft. Konstruktive Konfliktbearbeitung und politische Kultur wären, so betrachtet, gewissermaßen ein und dasselbe."sl Mit dem sechsten Faktor bindet Senghaas mittels der Begriffe der Tugend und der politischen Kultur die objektiven Einrichtungen und Verfahren, in welchen der Frieden sedimentiert ist (Staat als Gewaltmonopol, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Sozialstaat), an die Subjektivität der Menschen: Der Frieden basiert auf "Werteorientierungen, Einstellungen und Mentalitäten. ,,52 Diese subjektiven Phänomene faßt Senghaas unter den Begriff der Kultur53 : "Begreift man Kultur als die Gesamtheit der typischen Lebensformen einer Bevölkerung (einschließlich der sie tragenden Geistesverfassungen und WerteinsteIlungen), dann ließe sich ohne weiteres als Kultur des Friedens die Summe jener Orientierungen bezeichnen, die hier unter dem Stichwort der konstruktiven Konfliktbearbeitung und entsprechender allgemeiner Verhaltenstugenden erörtert wurden."s4 So verweist Senghaas' Konzept auf das Wechselverhältnis zwischen den Frieden tragender Subjektivität ("konstruktive Konfliktkultur") und deren Ob-

48 49

Senghaas. Frieden, 202. Senghaas, Kultur des Friedens, 6.

Ebenda. Ebenda. 52 Diese Trias taucht bei Senghaas mehrmals auf. Siehe etwa ebenda, 3, 6 und 7. 53 Wobei es sich hier (d.h. in bezug auf den sechsten Faktor des Hexagons) um einen engeren Kulturbegriff handelt, der von dem weiteren Verständnis von Kultur mit umfaßt wird. Dieses weitere Verständnis umfaßt die Faktoren des zivilisatorischen Hexagons in ihrer Gesamtheit. 54 Senghaas. Kultur des Friedens, 6. 50 51

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A. Zum Problem einer politikwissenschaftlichen Theorie des Friedens

jektivierung in ihn verkörpernden politischen Institutionen. 55 Zwar gehören mit dem Faktor der Affektkontrolle auch Elemente zur Kultur des Friedens, die nicht primär an Staat und Politik orientiert sind, im wesentlichen konzentriert sich Senghaas' Argumentation jedoch auf den politischen Bereich. So ist die Kultur des Friedens bei Senghaas in erster Linie eine politische Kultur des Friedens. Beide Seiten, d.h. die subjektiven wie die objektiven Faktoren zusammen, bewirken den Frieden im Sinne einer nicht-gewaltsamen Konfliktaustragung: Frieden und Zivilisierung sind "identische Tatbestände".56 Bezieht sich die friedensstiftende Wirkung des zivilisatorischen Hexagons primär auf die inneren Verhältnisse staatlich organisierter Gesellschaften, so sind gleichwohl seine "Dimensionen ... prinzipiell übertragbar auf zwischenstaatliche und zwischengesellschaftliche Beziehungen. ,,57 Senghaas geht in diesem Kontext davon aus, daß zwischen zivilisierten Staaten keine Kriege stattfanden oder solche doch höchst unwahrscheinlich sind, und hofft dementsprechend auf eine Ausbreitung der Zivilisation. Über den Weg der zivilisierten Weltgesellschaft erwartet er sich die Herausbildung einer Weltgemeinschaft bzw. Weltzivilgesellschaft, innerhalb derer "auf ... weltweiter Ebene[,] die Realisierung des zivilisatorischen Hexagons vorstellbar,,58 sei. Diese Realisierung umfaßte auch die "Herausbildung eines (wie immer im einzelnen institutionell ausgestalteten) Gewaltmonopols", das dazu filhrte, daß "den einzelnen Staaten in einem solchen Zusammenhang nur noch eine subsidiäre Rolle zukäme. ,,59 Das so gezeichnete Bild vom Weltfrieden wird von Senghaas jedoch als ein Leitbild - ähnlich der Kantschen Idee des ewigen Friedens - betrachtet, auf das hin sich "die Welt" in einem langen Lernprozeß entwickeln kann. Die gegenwärtige Situation in der internationalen Politik analysiert Senghaas nüchtern und schlägt rur eine Zivilisierung der Politik bzw. des Friedens auf internationaler Ebene nicht einfach eine "Übertragung" des Hexagons vor, sondern postuliert zur Verhinderung von Gewalt "anhaltende Bemühungen um Erwartungsverläßlichkeit (Schutz vor Gewalt), Rechtsstaatlichkeit (Schutz der Frei-

55 Siehe ausdrücklich Senghaas. Frieden, 202, jetzt mit Bezugnahme auf Ralf Dahrendorfs Konzept der "Ligaturen". 56 Senghaas / Senghaas. Si vis pacem, 231; siehe auch Senghaas. Frieden, 197, wo er schreibt: "Gelungene Zivilisierung und Frieden sind ... identische Tatbestände." Siehe auch ebenda, 222. Daß Senghaas einmal von Zivilisation oder Zivilisierung, ein andermal von Kultur spricht, hat offensichtlich keine systematischen bzw. theoretischen Gründe. Zivilisation und Kultur im weiteren Sinne (siehe oben Fn. 53) werden identifiziert. 57 Senghaas. Kultur des Friedens, 7. Siehe dazu ausführlicher ders., Frieden, 209 ff. 58 Senghaas. Frieden, 210. 59 Ebenda.

§ 2: Dieter Senghaas: Die Kultur des Friedens

33

heit/Menschenrechte), ökonomischen Ausgleich (Schutz vor Not) und Empathie (Schutz vor Chauvinismus),,6o, die mit den herkömmlichen Mitteln der internationalen Politik zu erreichen sind. 61 Zusammenfassend stellt Senghaas dazu fest: "Ein weltstaatliches Gewaltmonopol, das als Entwaffnung der Staaten definiert wäre, ist derzeit unwahrscheinlich, aber verwirklichbar sind Formen kooperativ-kollektiver Sicherheit auf bilateraler, regionaler und Weltebene, die die politische Brisanz des durch die vielen einzelstaatlichen Gewaltmonopole hervorgerufenen internationalen Sicherheitsdilemrnas abmildern bzw. relativ verläßlich einhegen können.,,62

Im übrigen setzt Senghaas darauf, daß sich die Staaten intern im Sinne des Hexagons zivilisieren. Dabei legt er die "Vermutung" zugrunde, "daß Gesellschaften, die die Imperative des zivilisatorischen Hexagons intern verwirklicht haben, gelernt haben, Konflikte relativ verläßlich auf friedlichem Wege zu regeln: weshalb mit hoher Plausibilität unterstellt werden kann, daß sie auch, insbesondere wenn sie mit anderen vergleichbaren Gesellschaften vernetzt sind, zwischenstaatliche und zwischengesellschaftliche Konflikte analog zu regeln willens und imstande sind. ,,63 Diese Vorstellungen stimmen prinzipiell mit der von Machiavelli, Montesquieu und Tocqueville formulierten 64 , vor allem aber von Immanuel Kant systematisch entwickelten und in der Politikwissenschaft heute als democratic peace- These65 diskutierten Idee überein, der internationale Frieden werde durch die Friedfertigkeit von Republiken bzw. durch die Übertragung der republikanischen Prinzipien auf die Gemeinschaft von Staaten konstituiert. Gegenüber Kants Konzept des ewigen Friedens legt Senghaas aber von daher einen anderen Schwerpunkt, als bei ihm das pazifizierende Wirken der Republik mit kulturtheoretischen Überlegungen erklärt wird anstatt mit vernunfttheoretischen bzw. geschichtsteleologischen 66 : Mit der Integration von Wertorientierungen, Einstellungen und Mentalitäten als Kulturerscheinungen verweist Senghaas in 60 Ebenda, 222. 61 Siehe im einzelnen zu den Postulaten ebenda, 214-220. 62 Ebenda, 220. 63 Ebenda, 216. 64 Siehe zu den drei Autoren in diesem Kontext knapp Ernst-Dtto Czempiel. Friedensstrategien. Systemwandel durch Internationale Organisation, Demokratisierung und Wirtschaft, Paderborn, München. Wien 1986, 116 ff. sowie die Dokumente 9-11 und 18 (ebenda, 211-213 und 222-224). 65 Siehe dazu die Diskussion in § 32 sowie dort die Literaturhinweise in Fn. 141. 66 Allerdings wäre das Senghaassche Konzept auf einfache Weise mit Kants Geschichtsauffassung zu verbinden. Zu dieser siehe (in bezug auf den ewigen Frieden) Hector Wittwer, Transzendentale Eschatologie und Kritische Geschichtsbetrachtung bei Kant. Die Zweideutigkeit des Ideals vom ewigen Frieden, in: Politisches Denken. Jahrbuch 1995/96, hrsg. von Kar! Graf Ballestrem / Volker Gerhardt / Henning Ottmann / Martyn P. Thompson, Stuttgart, Weimar 1996, 179-196, insbes. 192 ff. 3 Henkel

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A. Zum Problem einer politikwissenschaftlichen Theorie des Friedens

seinem theoretischen Konzept auf den wichtigen Zusammenhang zwischen diesen kollektiven Subjektivitäten, sowie der diesen entsprechenden inneren politischen Ordnung eines Staates und dessen äußerer Politik. 67 Für eine interaktionistische Theorie des Friedens können diese vielschichtigen theoretischen Erwägungen in mehrfacher Hinsicht fruchtbar gemacht werden: Eine wesentliche theoretische Leistung von Senghaas besteht darin, der Frage nachgegangen zu sein, die in der Friedensforschung meist offengelassen wurde: Er versteht den Frieden nicht einfach als Abwesenheit von Gewalt oder Krieg, sondern fragt, wie dieser Frieden, der durch Gewalt und Krieg gestört wird, tatsächlich beschaffen ist und wie er konstituiert wird. Und dies geschieht nicht durch die Projektion wünschenswerter Ideale, sondern in der Frage nach dem Sein, nach der konkreten Gestalt des Friedens. Damit überwindet Senghaas Defizite bisheriger Friedensforschung, die zwar implizit auch davon ausging, daß mit Frieden etwas Existierendes gemeint ist, was durch Gewalt und Krieg gestört wird, ohne daß aber weiter danach gefragt wurde, wie dieser Zustand in seiner Eigenart beschaffen ist.

Senghaas sieht demgegenüber den Frieden in den "typischen Lebensformen einer Gesellschaft" und verweist in diesem Kontext auf Wertorientierungen, Einstellungen und Mentalitäten als den subjektiven Aspekten der (politischen) Kultur des Friedens, deren Wirksamkeit darauf beruht, daß sie als "einsozialisierte" Gewohnheiten selbstverständlich gelebt werden. Hier richtet sich die Aufmerksamkeit Senghaas' also zunächst auf die Ebene partikularer Sozialverhältnisse innerhalb der Gesellschaft. Von da ausgehend ergibt sich sodann der Zugang zum Problem gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens: Der Frieden wird konstituiert durch das staatliche Gewaltmonopol und die innere Ausgestaltung des Staates. Mit der Existenz einer Mehrzahl von politischen Verbänden ist schließlich das Problem von deren Zusammenleben gegeben. Erst auf dieser Ebene von Interaktionsverhältnissen ist dem Gegensatz von Krieg und Frieden nachzugehen.

Senghaas' Theorie behandelt den Frieden somit hinsichtlich der drei Ebenen des Zusammenlebens: (i.) Hinsichtlich der Ebene partikularen Zusammenlebens von Menschen, (ii.) hinsichtlich der Ebene des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens im Staat und (iii.) hinsichtlich derjenigen des Zusammenlebens von Staaten. 68 Senghaas konzentriert sich vor allem auf die zweite Ebene und damit auf den politischen Verband und die diesen tragende politische Kultur. Siehe Senghaas. Kultur des Friedens, 7 f. In: Schwerpunkte und Ziele der Friedensforschung (München, Mainz 1972) hebt Czempiel die Notwendigkeit der Differenzierung dieser drei Ebenen bei der theoretischen Erörterung des Friedensbegriffs hervor. (Siehe, 18 ff., 28 ff. und passim). Wie 67 68

§ 2: Dieter Senghaas: Die Kultur des Friedens

35

Mit der Unterscheidung der Ebenen wird von vornherein die defizitäre Reduktion der theoretischen Betrachtung auf das Gegensatzpaar Frieden und Krieg unterlaufen, ohne daß der Begriff des Friedens zu einem undifferenzierten, allumfassenden catch all-Begriff wird. Die Differenzierung der drei Ebenen des Zusammenlebens ist daher im folgenden mit dem Ziel aufzugreifen, einerseits die unterschiedlichen Gestalten, die der Frieden jeweils annimmt, in ihrer Differenz aufzuzeigen, andererseits aber auch die Zusammenhänge der drei Interaktionsebenen in bezug auf das Phänomen des Friedens zu klären. Durch die Differenzierung der drei Ebenen ist es möglich, bei der Bestimmung des Begriffs an den Begriff der Person anzuknüpfen. Auf diese Weise bleibt die Erklärung des Handeins politischer Verbände mit der Personalität des Menschen und der Existenz des Einzelnen konstitutionell verknüpft. 69 Es ist demnach eine der im folgenden zu lösenden und bei Senghaas offen gebliebenen Fragen, wie die aus einfachen Interaktionsverhältnissen hervorgehenden kollektiven Subjektivitäten mit der Konstitution des politischen Verbandes bzw. des Staates als Friedenseinheit der Gesellschaft und mit dem Handeln des politischen Verbandes im internationalen Verkehr zusammenhängen. Senghaas' Konzept der Kultur des Friedens ist eng verknüpft mit der spezifisch neuzeitlich-abendländischen Ausprägung (politischer) Kultur. Die Errungenschaften des zivilisatorischen Hexagons sind "weltgeschichtlich betrachtet, das zufiillige, konstellationsbedingte Resultat politischer Konfliktlagen.,,7o Aus dieser Orientierung resultiert, daß die Theorie in ihrer Geltung auf die abendländische Entwicklung etwa der vergangenen 500 Jahre beschränkt bleibt: Diese Leistung ist gewiß nicht gering zu achten, jedoch läßt Senghaas' Entwurf infolgedessen aus theoretischer Perspektive einige Fragen offen: Wenn Frieden und modeme abendländische Zivilisation in dem Sinne "identische Tatbestände" sind, daß der Frieden aus spezifisch neuzeitlichen politischen Kulturleistungen resultiert, dann stellt sich die Frage, von welchem Frieden etwa im Alten Teauch in seinen späteren Arbeiten will Czempiel selbst den Begriff des Friedens dort allein auf die Ebene der internationalen Politik angewandt wissen (siehe etwa 22 und passim oder Czempiel. Friedensstrategien, 28 und passim). Czempiels eigenes - durchaus problematisches - theoretisches Friedenskonzept ist hier als solches nicht im einzelnen zu erörtern. 69 Damit vermeidet die vorliegende Arbeit auch die von Friedrich H. Tenbruck kritisierte "Abschaffung des Menschen" in den Sozialwissenschaften. (Siehe Tenbrucks Kritik der Sozialwissenschaften, insbesondere der Soziologie in: Friedrich H. Tenbruck. Die unbewältigten Sozialwissenschaften oder Die Abschaffung des Menschen, Graz, Wien, Köln 1984). 70 Senghaas. Kultur des Friedens. 8, siehe auch ders.. Frieden. 202 f., 196 und 206 ff.. wo sich Senghaas mit dem Eurozentrismusproblem und der Möglichkeit der Übertragung des Hexagon-Modells auf nicht-westliche modeme Gesellschaften kritisch befaßt. 3'

A. Zum Problem einer politikwissenschaftlichen Theorie des Friedens

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stament oder bei Thomas von Aquin die Rede ist. Ferner muß man bei Akzeptanz des zivilisatorischen Friedensbegriffs das Ergebnis hinnehmen, daß beispielsweise die pax Romana keinen Frieden darstellte und daß in der Gegenwart all jene Weltgegenden und Gesellschaften, die von der abendländischen Zivilisation (noch) unberührt sind, per definitionem nicht in Frieden leben können. Eine allgemeingültige Theorie, welche auch jene Formen des Friedens erfaßt, die Senghaas nicht greifen kann, muß sich daher vom Bezug auf die neuzeitliche abendländische Geschichte lösen und die Perspektive erweitern. Dies ist möglich, ohne zugleich auf die Fruchtbarkeit des Kulturbegriffs verzichten zu müssen, die Senghaas in seinem Konzept demonstriert. Dabei kann der Friedensbegriff sogar sinnvoll so weiterentwickelt werden, daß er nicht nur den politischen Frieden des Staates bzw. des politischen Verbandes meint. Die Kultur des Friedens ist demnach über den Bereich der politischen Kultur hinaus allgemeiner zu verstehen. Dies deutet sich bei Senghaas an, wird bei ihm jedoch kaum explizit und bleibt mithin eine zu bewältigende theoretische Aufgabe. Zu deren Lösung sind zunächst fundamentale soziale Zusammenhänge zu erörtern. Der mittels dieser Klärung erarbeitete Friedensbegriff läßt sich dann mit dem Begriff der Kultur verbinden, der im Anschluß an Jan Assmann auf bestimmte Weise zu differenzieren ist. Der auch von Senghaas verwandte Begriff der Mentalität erlangt in diesem Kontext eine zentrale Bedeutung: Mentalität ist das Medium, das alle drei Ebenen des Zusammenlebens miteinander verbindet. Daher wird diesem Phänomen besondere Aufmerksamkeit gewidmet.

Senghaas selbst deutet übrigens an, daß sein Konzept der Kultur des Friedens gegenüber "einer analytischen Rückbindung an friedenstheoretische Überlegungen, die die Konstitutionsbedingungen von Frieden differenziert zu bezeichnen vermögen,,71 offen ist, wenn er das Modell des zivilisatorischen Hexagons als "ein solches analytisches Angebot,,72 bezeichnet. In der vorliegenden Arbeit wird ein anderes Angebot vorgeschlagen, das die Senghaassche Theorie insofern präzisiert, als es dessen Ergebnisse übernehmen kann, zugleich aber über eine größere theoretische Reichweite verfugt. Das bedeutet, daß die Richtigkeit der Senghaasschen Theorie fur die westlichen neuzeitlichen Gesellschaften hier unterstellt wird: Zweifellos dienten und dienen die von Senghaas angefuhrten Faktoren des zivilisatorischen Hexagons 73 der Befriedung der westlichen Gesellschaften und geben deren Frieden sein jeweiliges Gesicht: Es ist ein staatlicher Frieden in liberaler und demokratischer Freiheit bei sozialer Sicherheit und sozialem Ausgleich, der im Kontext ar-

71

Senghaas, Kultur des Friedens, 6.

Ebenda. Hervorhebung hinzugefiigt. Der Faktor der Affektkontrolle ist in diesem Kontext allerdings problematisch und ist einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Siehe dazu unten, 159 ff. 72 73

§ 2: Dieter Senghaas: Die Kultur des Friedens

37

beitsteiliger Differenzierung der Gesellschaft steht und von spezifischen Mentalitäten getragen wird, wobei all diese Faktoren schließlich zu einer zivilisierten (politischen) Konfliktkultur beitragen, welche das Medium gewaltfreier Konfliktaustragung bildet. Mit anderen Worten: Es ist dies der Frieden des demokratischen Verfassungsstaates. 74 Um aber nun unter diesen Prämissen die angestrebte Universalisierung des Senghaasschen Konzeptes zu leisten, muß im folgenden von einer fundamentaleren Perspektive ausgegangen werden, die hier als - in einem (in § 4) noch zu präzisierenden Sinne - sozialontologisch bezeichnet wird. Das Vorhaben einer sozialontologischen Friedenstheorie nimmt seinen Ausgangspunkt von der allgemein-ontologischen Friedenstheorie des Augustinus (§ 5.1.) die jeweils auf die drei Ebenen des Zusammenlebens angewandt wird. Für die Ebene einfacher oder partikularer Interaktionsverhältnisse kann dabei auf die sozialontologische Friedenstheorie Hans Buchheims zurückgegriffen werden, die den Friedensbegriff des Augustinus auf die Eigenart der Personalität des Menschen überträgt (§ 5.2.). Indem der Ansatz Buchheims unter Rückgriff auf George Herbert Meads Philosophie der Sozialität interaktionstheoretisch "unterbaut" wird (§§ 6 und 7), ergibt sich zugleich das sozialontologische Fundament für die Erörterung der Begriffe der Mentalität (§ 8) und der Kultur, mittels derer dann wiederum die Bestimmung der Kultur des Friedens in differenzierter und theoretisch allgemeiner Weise zunächst für einfache Interaktionsverhältnisse erfolgen kann (§ 11). Vom sozialontologischen Fundament ausgehend ist dann der hier verwendete Begriff der Politik zu skizzieren (§ 15), so daß der Beitrag politischen Handeins zur Kultur des Friedens gezeigt werden kann (§ 16). Unter Zugrundelegung des Politikbegriffs und der sozialontologischen Grundlegung ist im Anschluß daran auch für die Ebene des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens der Frieden zu bestimmen - der sich auf dieser Ebene als originär politisches (Kultur-) Phänomen ausweisen läßt (§§ 17 bis 22). Von hier aus kommt schließlich auch die Ebene des Zusammenlebens der politischen Verbände in den Blick (§ 28 bis 30), wobei dann (und erst) in diesem Kontext dem Begriff des Krieges besondere Aufinerksamkeit zu widmen ist.

74 Vor allem diesen Frieden und seine habituellen Voraussetzungen haben zum Beispiel auch die einschlägigen Arbeiten Sternbergers und Peter Graf Kielmanseggs zum Gegenstand. Siehe insbesondere die Arbeiten in Dolf Sternberger. Die Politik und der Friede, Frankfurt am Main 1986 und Peter Graf Kielmansegg, Frieden durch Demokratie, in: Senghaas (Hrsg.), Den Frieden denken, 106-123, hier insbesondere 110-120.

38

A. Zum Problem einer politikwissenschaftlichen Theorie des Friedens

Die so gewonnenen theoretischen Befunde erlauben auch eine sozialtheoretische Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang zwischen Recht, Frieden und Politik (§§ 25 bis 27 und 31.3.). Im Verlauf des hier grob skizzierten Argumentationsgangs werden jeweils einzelne Zusammenhänge geklärt, die in unmittelbarem Kontext der Ergebnisse stehen, wie beispielsweise die Problematik des Zusammenhangs zwischen Frieden und Unfrieden (§ 12) oder desjenigen zwischen Gewalt und Frieden (§ 14). Der Versuch, die Senghaassche Theorie zu präzisieren, fUhrt somit über dessen Ansatz hinaus. Das Senghaassche Konzept dient so als Anknüpfungspunkt und Hintergrund der vorliegenden Arbeit, die in fundamentalerer Weise auf das Verhältnis von Politik und Frieden eingeht, als das bei Senghaas der Fall ist. Gleichwohl bleibt die Orientierung am Senghaasschen Konzept schon deshalb konstitutiv, weil hier prinzipiell dessen Grundfrage - der Frage, was Frieden ist - und dessen Vorstellung von der Kultur des Friedens gefolgt wird. Die vorstehende Skizze zeigt, daß im folgenden weder der innere Frieden des Menschen im Sinne des Seelenfriedens, noch sein Frieden mit Gott, noch auch der himmlische Frieden Gegenstand der Erörterung sein werden. Gewiß legt die hier vorgelegte Theorie des Friedens einige Konsequenzen auch fiir Überlegungen zu jenen Formen des Friedens nahe. Sie hier zu diskutieren fUhrte aber nicht nur über den Rahmen sozialwissenschaftlicher Fragestellung, sondern auch über die Kompetenz des Verfassers hinaus.

B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

§ 3: Dimensionen sozialer Realität: Lebenswelt und Wirklichkeit) Wenn oben davon gesprochen wurde, daß die Universalisierung des Senghaasschen Konzepts eine fundamentalere theoretische Perspektive voraussetzt, so sind damit wissenschaftstheoretische Grundannahmen gemeint, die im folgenden nicht etwa zu behandeln sind, um Allgemeines zur Methode politischer Theorie zu erörtern, sondern um eben jene Perspektive in bezug auf den Begriff des Friedens zu verdeutlichen. Der einzelne Mensch findet sich hineingeboren in eine ihm vorgegebene Welt, die hier als Lebenswelt bezeichnet wird. Die Lebenswelt ist der Bereich menschlicher Praxis im weitesten Sinne 2 und als solcher das Fundament aller Sinnbildungen. 3 Sie ist als die vortheoretische intersubjektive Erfahrungswelt des Menschen ein Universum vorgegebener Selbstverständlichkeiten. Als Fundament aller Sinnbildung ist sie der Bereich intersubjektiver Geltungen, Werte, Prinzipien und Normen. Die Lebenswelt ist keine harmonisch-konfliktfreie Welt. Vielmehr ist sie der Schauplatz von divergierenden Geltungsansprüchen, von Handlungsproblemen und von Unfrieden; in ihr kollidieren partikulare Erfahrungen mit sozial geltenden Deutungen. Als Universum vorgegebener Selbstverständlichkeiten ermöglicht die Lebenswelt die Orientierung des Einzelnen, sie ist rur ihn Grundlage und Ausgangspunkt seiner Weltdeutung und Sinnreservoir rur sein Handeln, in ihr sedimentiert sich das den Menschen Vertraute, an dem sie sich in ihrem

I Die hier vorgenommene Differenzierung zwischen Welt und Wirklichkeit der sozialen Realität wurde angeregt durch die Analysekategorien, die in der Arbeit von Katharina Sobota. Sachlichkeit, Rhetorische Kunst der Juristen, Frankfurt am Main, Bem, New York, Paris 1990, 23 f. entwickelt werden. 2 "Die Lebenswelt ... ist sowohl der Schauplatz als auch das Zielgebiet meines und unseres wechselseitigen HandeIns. " Thomas Luckmann. Theorie des sozialen HandeIns, Berlin, New York 1992, 28. Siehe auch Alfred Schütz / Thomas Luckmann. Strukturen der Lebenswelt, Band 1 (\ 979) 5. Auflage, Frankfurt am Main 1994, 42 und passim. 3 Siehe dazu Edmund Husserl. Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie, hrsg. von Waller Biemel (Husserliana, Band VI), 2. Auflage, Haag 1962 §§ 33 ff. (123 ff.). Zum Sinn begriff siehe ausführlicher unten, 66 f.

40

B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

Handeln orientieren. Die Sinnhaftigkeit der Lebenswelt entspringt selbst der menschlichen Interaktion. Daher wird Lebenswelt hier im Sinne der intersubjektiv-praktisch konstituierten - mit "Lebenswelt" ins Deutsche übersetzten world that is there bei Mead 4 verstanden, womit die Lebenswelt auf unproblematische Weise in einen interaktionistischen Theorierahmen eingeordnet werden kann. 5 Die Präsenz von Sinn in der Lebenswelt ist nicht an Bewußtsein gebunden: auch nicht bewußt verlaufende Handlungen sind sinnhaft. 6 Sinn wird durch Symbole7, insbesondere Sprachsymbole, sozial repräsentiert, und es bedarf der Symbole, um Sinn auf die Ebene des Bewußtseins zu heben. Somit ist die Lebenswelt nicht nur die Welt menschlicher Praxis, sondern auch eine damit untrennbar verbundene Sinn- und Symbolwelt. 8 Entsprechend 4 Zu Meads Konzept der world that is there siehe Hans loas. Praktische Intersubjektivität. Die Entwicklung des Werkes von George Herbert Mead, Frankfurt am Main 1989, 195-209, wo 202 ff. auch deren Verhältnis zum phänomenologischen LebensweItbegriff geklärt wird. 5 Damit wird ein zentraler Mangel der phänomenologischen Vorstellungen von der Lebenswelt insbesondere bei Husserl, Schütz und Luckmann umgangen. Bei diesen wird Lebenswelt als Konstitution eines "einsam-kontemplativ weltkonstituierenden Subjekts gedacht." (loas, Praktische Intersubjektivität, 204; siehe auch Martin W. Schnell. Phänomenologie des Politischen, München 1995, 123). Die Einsichten der phänomenologischen Philosophie und Soziologie in die Strukuren der Lebenswelt bleiben in zahlreichen Details gleichwohl auch in einem interaktionistischen Theorierahmen fruchtbar. Eine kritische Diskussion des Lebensweltkonzeptes Husserls findet sich bei Schnell. Phänomenologie des Politischen, 28-52 und bei Bernhard Waiden/eis. In den Netzen der Lebenswelt, 2. Auflage, Frankfurt am Main 1994 (insbes. 15-33: Die Abgründigkeit des Sinnes. Kritik an Husserls Ideen der Grundlegung). Ausführlich zum phänomenologischen Lebensweltbegriff neuerdings Frank Welz, Kritik der Lebenswelt. Eine soziologische Auseinandersetzung mit Edmund Husserl und Alfred Schütz, Opladen 1996, insbes. 31-88 (zu Husser/) und 115-203 (zu Schütz). Welz bietet neben der ausführlichen Darstellung eine fundierte Kritik des Husserlschen ebenso wie des Schützsehen Ansatzes (89 ff. und 204 ff.), wobei er sein Augenmerk vor allem auf die Verabsolutierung der Subjektivität bei Husserl (siehe insbes. 106 f. und ff.) sowie die Herauslösung des Subjekts aus "seiner praktischen Einbindung in die Welt" (211) bei Schütz richtet. 6 Siehe Mead, GIG, 117 und 120. 1 Das Wort "Symbole" wird hier in einem weiten Sinn gebraucht und meint zwar vor allem Begriffe, die durch sprachliche Zeichen ausgedrückt werden, ebenso aber auch Bilder oder Fahnen etc. Auch vorreflexive und vortheoretische Erfahrung können symbolisch sein. Siehe zum Symbolbegriff namentlich etwa Ernst Cassirer, Der Begriff der symbolischen Form im Aufbau der Geisteswissenschaften (1921/22), in: ders., Wesen und Wirkung des Symbol begriffs, Darmstadt 1959, 169-200, hier besonders 174 ff.; ders., Versuch über den Menschen. Einführung in eine Philosophie der Kultur (1944), 2. Auflage, Frankfurt am Main 1992, besonders. 60 ff. 8 Und als solche ein semantischer Kosmos. Siehe hierzu auch Tenbruck. G&G, 190 f. Tenbruck spricht (191) von einem aus sprachlichen und nicht-sprachlichen Symbolen bestehenden "Sinnkosmos", in dem sich das äußere Handeln des Menschen bewege, das erst mittels jener Symbole sinnhaftes Handeln werden kann. Symbole oder Symbolsy-

§ 3: Dimensionen sozialer Realität: Lebenswelt und Wirklichkeit

41

dem vortheoretischen Charakter der Lebenswelt haben auch deren Symbole einen vortheoretischen Charakter. 9 Die Alltagsterminologie der Lebenswelt ist keineswegs flüchtig und unbeständig, sondern durchaus beständig und traditionenbildend. Durch ihre Orientierungsleistung rur das Handeln der Menschen wirkt sie unmittelbar auf die Gestalt der jeweiligen Gesellschaft zurück. Die Lebensweltsemantik differenziert sich aus und unterliegt verschiedensten Wandlungen, die sich wiederum weitgehend unbemerkt vollziehen und sich dem bewußten Zugriff erst über theoretische Reflexion öffnen. Diese Ausdifferenzierung erzeugt strenggenommen eine Pluralität von Lebenswelten lO , die jedoch auf dem Fundament einer allgemeinen, gemeinsamen Lebenswelt aufbauen. Deren Charakter erschließt sich erst im Zusammenhang mit den Begriffen der Mentalität und des politischen Verbandes. Die Lebensweltsemantiken dienen nicht nur der Beschreibung und Interpretation tagesaktueller Vorgänge; vielmehr sind sie das Medium des Handeins der Menschen sowie Medium politisch-gesellschaftlichen Selbstverständnisses einer Gesellschaft, und erzeugen von daher deren Struktur I I : "Jede menschliche Gesellschaft gelangt ... zu einem Verständnis ihrer selbst durch eine Vielfalt von Symbolen, manchmal höchst differenzierten Sprachsymbolen."12

Die lebensweltlichen Symbole einer Gesellschaft liefern mithin jenen Vorstellungszusammenhang, der rur die Menschen dieser Gesellschaft die Realität

sterne der Lebenswelt werden nachfolgend auch als "Lebensweltsemantik" oder als "Alltagsterminologie" bezeichnet. 9 Siehe dazu Voegelin, NWP, 55 ff. "Theoretisch" und "bewußt" sind natürlich zu unterscheiden. 10 Siehe dazu auch (mit anderer Terminologie) Alfred Schütz, Über die mannigfaltigen Wirklichkeiten, in: ders., Gesammelte Aufsätze, Band I, Das Problem der sozialen Wirklichkeit, mit einer Einführung von Aron Gurwitsch und einem Vorwort von H. L. van Breda, Den Haag 1971,237-298, insbes. 263-269 sowie Niklas Luhmann, Die Lebenswelt - nach Rücksprache mit Phänomenologen, in: ARSP LXXII (1986), 176-194, hier 186. Genaugenommen entspricht jeder partikularen Lebenswelt auch eine eigene Semantik. 11 Die hier skizzierte Vorstellung der Alltagsterminologie oder Lebensweltsemantik hat Ähnlichkeit mit Luhmanns im Kontext von dessen gesellschaftstheoretischen Studien expliziertem Begriff der Semantik. 12 Voegelin, NWP, 53. Ähnlich (wiederum mit anderer Terminologie) Alfred Schütz: "Soziale Kollektive und institutionalisierte Beziehungen sind jedoch keine Gegebenheiten im Sinnbereich der Alltagswirklichkeit... Wir [können] sie nur symbolisch erfassen; die Symbole aber, durch die sie appräsentiert werden, gehören selbst zur ausgezeichneten Wirklichkeit des Alltags und motivieren in ihr unser Handeln." (Alfred Schütz, Symbol, Wirklichkeit und Gesellschaft, in: ders., Gesammelte Aufsätze, Band I, 331-411, hier 407 (aus dem Abschnitt Symbol und Gesellschaft, 401-410».

42

B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

ist, in der sich ihr Leben abspielt. Hieran ist später bei der Erläuterung des PoIitikbegriffes anzuknüpfen. Gleichwohl ist sozialwissenschaftlich weiter zu differenzieren und eine andere Dimension der sozialen Realität von jener Lebenswelt zu unterscheiden. Es ist dies der Bereich, der hier als (soziale) Wirklichkeit bezeichnet werden soll. Diese besteht aus sozialen Prozessen, Relationen, Wirkungen und Strukturen; sie ist ein "hinter" der Lebenswelt liegender Kosmos der Interaktion. Sie entzieht sich dem direkten Blick des Alltags nicht zuletzt deshalb weitgehend, weil sie den Vorgängen in der Lebenswelt (und damit auch tagesaktuellen politischen Ereignissen) gewissermaßen zugrundeliegt. Sie wird sichtbar nur durch eine kritische Klärung des Schleiers der Lebenswelt. Die Lebenswelt ist also als eine kulturell geprägte "Darstellung" der erlebten sozialen Wirklichkeit zu verstehen. Insofern sedimentiert sich die soziale Wirklichkeit in der Symbolik der Lebenswelt. 13 Die Beschreibung und Erklärung der sozialen Wirklichkeit ist Aufgabe der wissenschaftlichen Forschung. Diese bedarf dazu einer eigenen Terminologie, welche stets orientiert bleiben muß an jener Terminologie der Lebenswelt: Deren Symbole nämlich fungieren als "Zeiger" auf die zugrundeliegenden Phänomene. 14 Die Adäquatheit der theoretischen Symbole ermißt sich so an deren Angemessenheit gegenüber den lebensweltlichen Symbolen und der Selbstinterpretation einer Gesellschaft (oder verschiedener Gesellschaften): "Wenn die politische Wissenschaft anhebt, steht sie ... nicht vor einer tabu/a rasa, auf der sie ihre Begriffe einritzen könnte; sie muß von dem reichen corpus der Selbstinterpretation einer Gesellschaft ausgehen, und sie wird ihre Aufgabe auf dem Weg kritischer Klärung der gesellschaftlich präexistenten Symbole lösen müssen." 1S

\3 Es ist darauf hinzuweisen, daß auch die Dimension der sozialen Wirklichkeit letztlich eine gesellschaftliche Konstruktion ist: Sie ist dies insofern, als sie nur wissenschaftlicher Reflexion zugänglich ist, Wissenschaft selbst aber in einer Gesellschaft stattfindet und die Sprache dieser Gesellschaft verwendet. In dieser Sprache ist aber stets schon eine Ontologie implizit enthalten (siehe dazu Franz von Kutschera. Sprachphilosophie, 2., völlig neu bearbeitete Auflage, München 1975, 340 ff.). Sofern die Realität überhaupt fiir die (Sozial-) Wissenschaft nur im Medium der Sprache zugänglich ist, bedeutet die wissenschaftliche Klärung der sozialen Wirklichkeit auch eine Erhellung und Reflexion dieser Ontologie, genauer: ihrer sozialen Aspekte. Aus diesen Zusammenhängen kann sich Wissenschaft nicht herausreflektieren. Daher ist sozialwissenschaftliche Aufklärung der Wirklichkeit Sozialontologie. Zu diesem Begriff siehe weiter unten § 4. 14 Insofern dienen also Worte und Begriffe der Lebenswelt als Wegweiser zu Problemen, welche in ihrer Eigenart aber noch nicht durch die Existenz dieser lebensweltlichen Begriffe geklärt sind. IS Voegelin. NWP, 53; siehe dazu ausfiihrlich ders., Anamnesis. Zur Theorie der Geschichte und Politik, München 1966, 283-354 (Was ist politische Realität?); das von Voegelin beschriebene Phänomen wird in der sozialwissenschaftlichen Methodendiskussion gelegentlich unter dem Stichwort der "doppelten Hermeneutik" behandelt. Siehe

§ 3: Dimensionen sozialer Realität: Lebenswelt und Wirklichkeit

43

Es ist nämlich hier zu beachten, daß "die Selbsterhellung der Gesellschaft durch Symbole ... ein integraler Bestandteil der sozialen Realität" 16 ist. So sieht sich die Sozialwissenschaft und mit ihr die Politikwissenschaft in den Worten Eric Voegelins zwei unterschiedlichen "Reihen von Symbolen" gegenüber, "den Sprachsymbolen, die als integraler Teil des sozialen Kosmion zu dessen Selbsterhellung hervorgebracht werden, und den Sprachsymbolen der politischen Wissenschaft. Die bei den Reihen sind aufeinander bezogen, insoferne als die zweite Reihe aus der ersten hervorgeganf.en ist durch das Verfahren, das vorläufig als kritische Klärung bezeichnet wurde." 7

dazu Anthony Giddens, Interpretative Soziologie. Eine kritische Einführung, Frankfurt arn Main, New York 1984, 95, 179, 199. Siehe dazu ferner Karl Acham, Philosophie der Sozialwissenschaften, Freiburg i. Br., München 1983, 154 f., ders., Geschichte und Sozialtheorie. Zur Komplementarität kulturwissenschaftlicher Erkenntnisorientierungen, Freiburg i. Br., München 1995, 313 f., 348 ff., Thomas Nipperdey, Die anthropologische Dimension der Geschichtswissenschaft, in: ders., Gesellschaft, Kultur, Theorie. Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte. Göttingen 1976, 33-58, hier 42 ff. Siehe in diesem Kontext unter wissenschaftstheoretischen Gesichtspunkten vor allem auch Friedrich August von Hayek, Die "Tatsachen" der Sozialwissenschaften, in: ders., Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, 2., erweiterte Auflage, Salzburg 1976, 78-102, insbes. 102,90 und 92. Von Hayeks dortige Ausführungen erinnern an die viel zu oft übersehenen Bemerkungen Hobbes' in der Einleitung zum Leviathan, wo Hobbes von der Introspektion spricht und feststellt, daß adäquate Kenntnisse und Erkenntnisse im sozialen und politischen Leben der Introspektion entspringen und daß das Lesen in sich selbst auch den Schlüssel zur theoretischen Erkenntnis der sozialen und politischen Welt darstellt, "denn diese Art von Lehre läßt keine andere Beweisführung zu." (Siehe Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates (1651), hrsg. und eingeleitet von lring Fetscher, 5. Auflage, Frankfurt am Main 1992, 6 f., Zitat 7). 16 Voegelin. NWP, 52. Die hieraus resultierende Auffassung von Sozial- und insbesondere Politikwissenschaft braucht an dieser Stelle nicht weiter diskutiert zu werden. Es mag der Hinweis genügen, daß hier Wissenschaft - wie beispielsweise bei Voegelinals besondere Form sozialer Praxis, gewissermaßen als sophisticated common sense betrachtet wird. (Siehe Voegelin. Anamnesis, 351: "Die sogenannten 'Sätze' der Politischen Wissenschaft sind ... Common-Sense-Einsichten in richtiges Handeln betreffend die Existenz des Menschen in Gesellschaft. "). Aus dieser Perspektive ist - um mit Mead zu sprechen - die wissenschaftliche Methode "nichts anderes ... als die strenge und detaillierte Entfaltung unseres Alltagsverstands" bzw. "eine kompliziertere Form der Reflexion." (George Herbert Mead. Rezension von E. W. Hobson: The Domain of Natural Science, London, 1923, in: ders .. GA 11,9-13, hier 11, siehe auch ders., GIG, 402 und ders., Wissenschaft und Lebenswelt, in: ders.. GA H. 14-87, hier 14-52). 17 Voegelin, NWP, 54. Siehe dazu noch Daase , 462 f. und mit Bezug auf die kritische Friedensforschung 481 ff. Die theoretisch-begrifflichen Defizite der Friedensforschung liegen gerade auch in der Tatsache begründet, daß die politische und wissenschaftliche Dimension der Begriffe nicht differenziert werden: "Eine Friedensforschung, die ungezügelt ihrem Drang folgt, Begriffe politisch und wissenschaftlich lesbar zu machen, ruiniert ihre eigenen Konzepte." (Daase, 481).

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

Die Unterscheidung zwischen Lebenswelt und Wirklichkeit gilt auch fiir den Bereich der Politik als einem Teilbereich des Sozialen: Entsprechend den Ausfiihrungen zu Wirklichkeit und Lebenswelt ist offensichtlich, daß die "Tiefenschicht" - d.h.: die Wirklichkeitsdimension - von Politik nicht ohne weiteres der Beobachtung in der Weise zugänglich ist wie ihre lebensweltliche Dimension. Dieser Tatsache korreliert die Notwendigkeit eines spezifischen theoretischen Begriffsapparates zur Erfassung dieser "Tiefenschicht" , während die Beschreibung der tagesaktuellen politischen Vorgänge sich einer "Alltagsterminologie" bedienen kann. 18

§ 4: Zum Begriff der Sozialontologie Sofern sich Sozialwissenschaft der "lebensweltlich unsichtbaren" Wirklichkeit zuwendet, kann diese Wissenschaft als "Sozialontologie" bezeichnet werden. Der im folgenden benutzte Gebrauch dieses Ausdrucks soll angesichts verbreiteter Vorurteile und Mißverständnisse kurz erläutert werden: Sozialontologie im hier verstandenen Sinne erforscht die "Seinsqualität personaler Interaktion,,19 und die hieraus resultierenden Strukturen und Prozesse. Das heißt, es geht in ihr um jene Prozesse, Relationen, Strukturen und Wirkungen, also um jene Interaktionszusammenhänge, aus welchen die soziale Wirklichkeit besteht. Sie ist durch ihre Rückbindung an den Begriff der Interaktion keine Substanzontologie. 20 Diesen Ausfiihrungen entsprechend kann auch von einer politischen Ontologie gesprochen werden, die nach der Eigenart politischer Interaktion fragt. Die politische Ontologie in diesem Sinne ist ein Teilbe-

18 Es bleibt noch darauf hinzuweisen, daß es in der "Alltagsterminologie" auch oft Bezeichnungen flir jene "Tiefenphänomene" gibt, daß jedoch deren Charakter und Eigentümlichkeiten im Alltagsverständnis verschleiert bleiben und sich erst der theoretischen Beobachtung öffnen. Eine Alltagsterminologie flir die Wirklichkeit hingegen gibt es nicht. Bestenfalls können wissenschaftliche Ausdrücke in die Alltagsterminologie adoptiert werden. Es muß also stets das Phänomen der Äquivokation bedacht werden, um Unklarheiten und Verwirrungen zu vermeiden. 19 Hans Buchheim, Einflihrung, in: ders., Beiträge zur Ontologie der Politik, München 1993, 7-12, hier 7. 20 In einem ähnlichen Sinne ließe sich auch etwa die Systemtheorie Luhmanns als Sozialontologie bezeichnen, was hier freilich nicht vertieft werden kann. Diese Behauptung ist natürlich problematisch. (Siehe zur Ontologiediskussion um Luhmanns Theorie Armin Nassehi, Wie wirklich sind Systeme? Zum ontologischen und epistemologischen Status von Luhmanns Theorie selbstreferentieller Systeme, in: Werner Krawietz I Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt am Main 1992, 43-70).

§ 4: Zum Begriff der Sozialontologie

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reich der Sozialontologie. Eine so verstandene Sozialontologie und politische Ontologie ist rein deskriptiv, aus ihren Aussagen läßt sich keinerlei Sollen "ableiten" . Die nachstehenden Ausfuhrungen verstehen sich als sozialontologisch im so explizierten Sinne, wobei die Termini "sozialontologisch" und "interaktionistisch" synonym benutzt werden. Der aus den folgenden Überlegungen resultierende Friedensbegriff ist folglich ein rein wissenschaftlicher und kein lebensweltlicher Begriff. Differenziert man entsprechend diesen Ausfuhrungen das Symbol "Frieden", so kommen nunmehr zwei Aspekte zum Vorschein: Zum einen ist es ein Symbol des (sozialen und politischen) Alltags, politischer Programme und Auseinandersetzungen, fungiert es als Ausdruck von Wünschen und Bestrebungen. Ferner ist es ein Symbol des jeweiligen gesellschaftlich-politischen Selbstverständnisses, durch welche die beteiligten Menschen einen Teil ihres menschlichen Wesens erfahren. 21 Insoweit gehört es der politischen Lebenswelt an. Zum anderen ist der Frieden ein durch Theorie freizulegendes sozialontologisches Phänomen. Die Theorie von Senghaas dringt vor diesem Hintergrund also nicht zu einer sozialontologischen Fragestellung vor, da sie nicht nach der Seinsqualität personaler Interaktion fragt. Sie ist zwar nichtsdestoweniger eine wissenschaftliche Theorie, aber doch insofern eine auf die Lebenswelt fixierte, als sie sich auf das lebensweltliche Selbstverständnis der in demokratischen Verfassungsstaaten lebenden Menschen beschränkt, das sich in den Symbolen des Rechtsstaats, des Sozialstaats oder der Demokratie etc. widerspiegelt. Demgegenüber ist in den folgenden Kapiteln nach den sozial- und politikontologischen Bedingung der Möglichkeit des verfassungsstaatlichen Friedens, den Senghaas zutreffend theoretisiert, zu fragen. Die Klärung dieser Frage fuhrt zu einer allgemeingültigen interaktionistischen Theorie des Friedens. Theorieansätze, die sich als ontologisch bezeichnen (bzw. bezeichnen lassen), begegnen in den Sozialwissenschaften und insbesondere in der Politikwissenschaft nach wie vor - und keineswegs immer zu Unrecht - starker Skepsis und deutlichen Vorbehalten 22 , wobei in den diesbezüglichen politikwissen-

Zu letzterem siehe Voegelin, NWP, 53. Siehe etwa Gerhard Göhler, Die Struktur von Begründungszusammenhängen im normativ-ontologischen Verständnis von Politikwissenschaft, in: ders. (Hrsg.), Politische Theorie. Begründungszusammenhänge in der Politikwissenschaft, Stuttgart 1978, 138-174; Arnold Brecht, Politische Theorie. Die Grundlagen politischen Denkens im 21

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

schaftlichen Beiträgen bisweilen wenig begriffliche Klarheit herrscht und viele der vorfind lichen Urteile offensichtlich einer weitgehenden Unkenntnis ontologischer Ansätze geschuldet ist. 23 Anstatt diese Debatte im einzelnen zu verfolgen, ist im folgenden der Status der hier vorgelegten Sozialontologie zu präzisieren. Das dient insbesondere auch dem Zweck, die hier vertretene Variante einer Sozial- bzw. politischen Ontologie gegenüber anderen in der Politikwissenschaft diskutierten (normativ-) ontologischen Ansätzen abzugrenzen: Wenn in dieser Arbeit von Sozialontologie gesprochen wird, so bezieht sich das auf die Behauptung, daß es spezifische soziale Tatsachen gibt, die letztlich der Natur des Menschen entspringen, wobei über diese Natur hier im wesentlichen angenommen wird, daß der Mensch intentional existiert und einerseits auf Sozialität angelegt und angewiesen ist, andererseits alle Sozialität transzendiert. 24 Darüber hinausgehende fundamental-anthropologische Annahmen werden nicht gemacht. Der Frieden nun ist eine dieser sozialen Tatsachen. Seine Eigenart aufzuklären, ist Aufgabe der vorliegenden Arbeit. Im Kontext dieses theoretischen Unternehmens wird auch der Eigenart anderer sozialer Tatsachen - wie etwa Identität, Handeln, Macht, Staat oder Recht - nachgegangen. Damit wird an konkreten Beispielen erörtert, was lohn R. Searle in seiner Studie über Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit jüngst allgemein expliziert hat. Searie geht es dort um "eine allgemeine Theorie der Ontologie gesellschaftlicher Tatsachen und gesellschaftlicher Institutionen,,25, wobei er seine Untersuchung deshalb als ontologische bezeichnet, weil sie "sich mit der Frage befaßt, wie gesellschaftliche Tatsachen existieren. ,,26 Einige wichtige Resultate der Searleschen Arbeit sind nunmehr vorzustellen, um daran zu demonstrieren, daß eine modeme Sozialontologie nicht mit platonisierenden Vorstellungen arbeiten und auch nicht in irgendeiner Weise "nor-

20. Jahrhundert (1959), 2., durchgesehene Auflage, Tübingen 1976, passim, insbes. 313 ff.; eine typische Darstellung findet sich bei Klaus von Beyme, Die politischen Theorien der Gegenwart. Eine Einflihrung, 7., neubearbeitete Auflage, Opladen 1992, 15 ff.

23 Siehe dazu lehrreich die Bestandsaufnahme von Peter J Opitz, Spurensuche Zum Einfluß Eric Voegelins auf die politische Wissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland, in: ZfP 36 (1989), 235-250. 24 Wobei dieser letzte Aspekt rur die hier entwickelte sozialwissenschaftliche Theorie des Friedens keine Rolle spielt. 25 lohn R. Searle, Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Zur Ontologie sozialer Tatsachen, Reinbek bei Hamburg 1997, 8. 26 Ebenda, 15.

§ 4: Zum Begriff der Sozialontologie

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mativ" sein muß. Vor dem Hintergrund der trotz inhaltlicher Differenzen und unterschiedlicher theoretischer Ausgangspunkte feststellbaren zahlreichen Konvergenzen des Searleschen Ansatzes mit dem hier vorgestellten kann diese Demonstration eine Brücke zur gegenwärtigen philosophischen Debatte um die Sozialwissenschaften schlagen. Solche Hinweise mögen einer Skepsis, die der hier vorgetragenen sozialontologischen Theorie von Sozialwissenschaftlern möglicherweise entgegengebracht wird, anzeigen, wo weitere Klärung gesucht werden kann.

Searles Theorie der Konstitution gesellschaftlicher Tatsachen geht von der Annahme der Existenz einer einzigen Welt aus, wie sie von den Naturwissenschaften beschrieben wird. 27 Diese Welt umfaßt indes geistige (insbes. Bewußtsein und Intentionalität) ebenso wie gesellschaftliche Phänomene. 28 Letztere sind fiir Searle ontologisch subjektiv und epistemisch objektiv, d.h. sie existieren beobachterrelativ (wobei Beobachterrelativität sich in erster Linie auf eine kollektive, nicht auf eine individuelle Subjektivität bezieht), sind aber nichtsdestoweniger objektive Tatsachen. 29 "Der zentrale Bogen auf der Brücke von der Physik zur Gesellschaft ist kollektive Intentionalität, und der entscheidende Schritt auf der Brücke bei der Schaffung gesellschaftlicher Wirklichkeit ist die kollektive intentionale Zuweisung von Funktionen an Gebilde, die diese Funktionen nicht ohne diese Zuweisung verrichten können. ,,30 Damit etabliert Searle ein dem Thomas-Theorem 3 ! verwandtes Konzept der Konstitution gesellschaftlicher Tatsachen auf naturalistischer Grundlage, denn kollektive Intentionaliäe 2 gilt ihm als "ein biologisch primitives Phänomen,,33, das nicht auf anderes, namentlich nicht auf subjektive Intentionalität reduziert werden kann. Ferner bedürfen gesellschaftliche Phänomene im allgemeinen in spezifischer Weise eines "Kerns" roher, d.h. beobachterunabhängig existierender Tatsachen34, womit Searie seine Theorie unter anderem gegenüber einem radikalen Konstruktivismus abgrenzt. 35 So entsteht das Bild einer Hierarchie der Tatsachen36 - von den ro-

Siehe ebenda, 7, 130, 139, 235 f. Zu Searles Geistphilosophie siehe insbesondere John R. Searle, Die Wiederentdeckung des Geistes, München 1993. 29 Zu diesen Differenzierungen siehe Searle, Konstruktion, 19 ff., insbes. 23. 30 Ebenda, 51. 31 Siehe zum Thomas-Theorem unten 107. Bei Searle, der das Thomas-Theorem nicht erwähnt, siehe diesbezüglich Searle, Konstruktion, 54 ff. 32 Der Intentionalitätsbegriff Searles unterscheidet sich von dem in der vorliegenden Arbeit verwendeten (unten 59) in einigen wichtigen Punkten. Siehe dazu John R. Searle, Intentionalität. Eine Abhandlung zur Philosophie des Geistes, Frankfurt am Main 1987. JJ Searle, Konstruktion, 35. 34 "Es [gibt] keine institutionellen Tatsachen ohne rohe Tatsachen." Ebenda, 66; siehe ferner 130 ff., insbes. 133. 27

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

hen Tatsachen der physikalischen Welt bis zu den institutionellen Tatsachen der sozialen Wirklichkeit, wobei alle diese Tatsachen realistisch gedeutet werden. Gesellschaftliche, insbesondere institutionelle Tatsachen entstehen aufgrund einer (kollektiven) Zuweisung, die sich in die Formel fassen läßt: "X zählt als Y im Kontext K". Durch eine solche Zuweisung wird beispielsweise aus einem (physikalischen) Stück Papier Geld, indem es als Geld aufgefaßt wird. Die Tatsache, daß eine Zuweisung der Form "X zählt als Y im Kontext K" iteriert werden kann, ermöglicht die Konstitution der komplexesten gesellschaftlichen Phänomene, wie etwa der Börse, des Footballspiels, des Staates oder des Krieges. 37 Die vorstehende Skizze verdeutlicht, daß die Sear/esche Sozialontologie als philosophische Rahmentheorie rur die hier vorgelegte interaktionistische Sozialontologie des Friedens dienen könnte. Zentrale Konzepte der letzteren wie dasjenige der Identität, der Macht, der Mentalität oder sozialer Regeln etc. können als gesellschaftliche Tatsachen im Sinne Searles interpretiert werden. 38 Dabei ist indes zu beachten, daß Searles Theorie lediglich Konstitution und Existenz sozialer Objekte betrifft. Sie sagt hingegen nichts aus über die spezifischen Eigentümlichkeiten und Charakteristika der konstituierten sozialen Phänomene, also beispielsweise über die Funktionsweise und Eigenlogik einer monetären Ökonomie. Übertragen auf die Problematik des Friedens wäre die Sear/esche Theorie daher nicht etwa in der Weise kurzschlüssig anzuwenden, daß Frieden dasjenige sei, was man als Frieden anerkennt. Die Explikation dessen, was Frieden im sozialontologischen Sinne ist, kann nur insofern an den Searlesehen Rahmen anknüpfen, als dieser die Existenz sozialer Tatsachen allgemein ausweist. Derartige soziale Tatsachen sind auch die personale Identität, wie sie hier im Anschluß an Mead verstanden wird, oder der politische Verband. Der im folgenden zu entfaltende Friedensbegriff nimmt von diesen Phänomenen seinen Ausgang und wird durch die Aufklärung von deren Eigenart, Funktionsweise und Eigenlogik gewonnen.

35 Dazu verwendet er einigen argumentativen Aufwand, indem er den externen Realismus verteidigt. Siehe eben da, 159-206. 36 Siehe ebenda, 130 ff. 37 Zur Formel und ihrer lterierung siehe eben da, 54 ff., 89 ff. und passim, zum Krieg siehe eben da, 98 f. 38 Besonders augenfällig sind die Konvergenzen etwa beim Macht- und beim Mentalitätsbegriff. Zu Searles Machtbegriff siehe ebenda, 99-120. Den Begriff der Mentalität verwendet Searle zwar nicht; indes bezeichnet sein Begriff des Hintergrunds (siehe ebenda 135-157) ein Phänomen, das in vielen Punkten mit dem hier vorgestellten Mentalitätsbegriff (siehe § 8) übereinstimmt. Searles Konzeption von Regeln und regelentsprechendem Verhalten (siehe insbes. Searle, Konstruktion, 152 f., 155 f) weicht von der hier (siehe unten insbes. § 25.1.) vorgestellten in manchen Punkten ab. Sie erscheint mir inzwischen (Juli 1998) überzeugender als mein eigenes Konzept.

§ 4: Zum Begriff der Sozialontologie

49

Vor diesem Hintergrund fügt sich die sozialontologische Theorie des Friedens zwanglos in ein naturalistisches und evolutionistisches Verständnis der Welt ein 39 , in welchem der Geist als aus der Natur hervorgehend verstanden und auf eine abstrakte Zweiteilung der Welt (in Geist und Materie) a la Descartes verzichtet werden kann. 40 Damit mag auch deutlicher gezeigt sein, warum die hier vorgetragene politische Ontologie weder ein "Präskriptivismus,,41 noch eine platonisierende Substanzontologie oder eine politische Theologie sein kann. Sofern sich die sozialwissenschaftliche Kritik normativ-ontologischer Ansätze auf solch letztgenannte Theorien bezieht, trifft sie das vorliegende Konzept nicht. Demgegenüber ist der hier befürwortete sozialontologische Ansatz von den grundsätzlichen Einwänden prinzipiell betroffen, die Georg Vielmetter jüngst formuliert. 42 Nach Vielmetter ist die Annahme distinkter sozialer bzw. semantisch-sozialer Tatsachen abzulehnen. 43 Seine Argumentation gegen eine Sozial-

39 Auch die Sozialtheorie Meads steht in einem naturalistischen und evolutionistischen Kontext. Siehe dazu etwa George Herbert Mead, The Objective Realitiy of Perspecitves, in: ders., The Philosophy of the Present (1932), edited by Arthur E. Murphy, with prefatory remarks by lohn Dewey, Chicago, London 1980. 161-175, hier 172 ff. 40 Siehe dazu etwa Searle, Die Wiederentdeckung des Geistes, 27 ff., 102 ff., 136 ff. und passim. 41 Mit einem solchen indentifiziert Acham, Philosophie der Sozialwissenschaften, 33 ff. die sogenannten normativ-ontologischen Ansätze der Politikwissenschaft. 42 Georg Vielmetter, Die Unbestimmtheit des Sozialen. Zur Philosophie der Sozialwissenschaften, Frankfurt am Main, New York 1998. Zu Vielmetters Verständnis von Sozialontologie siehe dort, 15, Fn. 8. Vielmetter diskutiert als Vertreter einer modernen Sozialontologie exemplarisch Peter Winch, Alfred Schütz und Charles Taylor, deren Auffassungen er als "Interpretation ismus" bezeichnet. Für diesen ist die "These der Existenz sozialer Tatsachen" zentral, die Vielmetter folgendermaßen formuliert: "Es gibt bestimmte Dinge, nämlich intersubjektive, strukturell sprachlich verfaßte Regeln, Typen oder Bedeutungen, die eine entscheidende Rolle bei der Konstitution der sozialen Welt spielen. Die soziale Welt wird durch sie erst gebildet, ohne sie gäbe es keine soziale Welt. Diese Dinge existieren in dem Sinne, daß man sie ... entdecken kann. In diesem Sinn handelt es sich um semantisch-soziale Tatsachen." (Vielmetter, 139). Weiter führt er zur Charakterisierung der interpretationistischen Position aus (139 f.): "Die soziale Welt entsteht mittels ... Verhaltensinterpretationen durch die Angehörigen der jeweiligen sozialen Welt. Es gibt deswegen einen bestimmten Bereich der Wirklichkeit, nämlich die soziale Wirklichkeit. .. Die soziale Wirklichkeit ist als soziale Wirklichkeit real, und damit ontologisch von der physischen Wirklichkeit verschieden." Tatsächlich erfaßt diese Charakterisierung des Interpretationismus auch den hier vertretenen Ansatz, so daß dieser von Vielmetters Kritik betroffen ist und falsch wäre, wenn Vielmetter Recht hätte - was indes (ohne es an dieser Stelle im einzelnen begründen zu können) nicht der Fall ist. 43 "Der soziale Realismus, eine spezielle Sozialontologie ist überflüssig." Vielmetter, 161 f. Siehe im einzelnen vor allem das dritte Kapitel, ebenda, 127-162. Die Zurückweisung der Existenz sozialer Entitäten wird vielfach wiederholt: siehe ebenda, 26, 127, 161 L 206 f., 212, 229 f., 342 f. 4 Henkel

B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

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ontologie knüpft dabei an sprachphilosophische und erkenntnistheoretische Überlegungen Willard Van Orman Quines an, namentlich an die Unbestimmtheitsthese sowie an bestimmte Fassungen des philosophischen Holismus' und der Theorie der Sprachaneignung. Die postempiristische Theorie Vielmetters ist hier nicht im einzelnen zu besprechen, da die Diskussion dieser Grundlagenprobleme zu weit von der Fragestellung der vorliegenden Arbeit wegruhrte. Statt einer detaillierten Auseinandersetzung mit Vielmetter ist hier schlicht ein Punkt festzuhalten: Für Vielmetters Argumentation ist eine naturalistische Annahme konstitutiv, nämlich daß es "nur eine, die natürliche, aus Materie bestehende Welt ... , nur einen Bereich von Gegenständen, nämlich materiale oder physische,,44 gebe und der Mensch Teil dieser Welt sei. Zusammen mit den an Quines Philosophie orientierten Argumenten ergibt sich daraus rur Vielmetter die Ablehnung der Annahme sozialer Tatsachen. Nun zeigen indes die oben skizzierte Argumentation Searles ebenso wie die Sozialtheorie Meads, daß ein naturalistisches Verständnis der Welt keineswegs auch eine Ablehung der Existenz sozialer Tatsachen zur Folge haben muß. Se arie wie Mead .entwickeln vielmehr auf naturalistischer Grundlage und unter Annahme der Existenz einer einzigen Welt eine Sozialontologie. Eine solche ist also (auf naturalistischer Grundlage) möglich. 45 Da die vorliegende Arbeit einerseits explizit an Meads Überlegungen anknüpft, andererseits die allgemeinere Sozial ontologie Searles als philosophische Rahmentheorie verwenden könnte, scheint das Unternehmen einer Sozial- und politischen Ontologie des Friedens insoweit als unproblematisch.

Vielmetter, 20. Es bleibt darauf hinzuweisen, daß Vielmetters These bezüglich sozialer Tatsachen ihn keineswegs zur Behauptung der Sinnlosigkeit der Sozialwissenschaften führt. Im Gegenteil entwickelt er selbst eine höchst interessante und durchaus plausible naturalistische Theorie (sozialwissenschaftlichen) Verstehens und Erklärens als Grundlagentheorie für Sozialwissenschaften. Möglicherweise ist eine Interpretation dieser Theorie des Verstehens denkbar, die letztere von Vielmetters Behauptungen über soziale Tatsachen unabhängig macht. Diese Vermutung wird durch die von Vielmetter selbst behauptete Nähe seiner Theorie zur Sozialtheorie Meads (siehe ebenda, 283 ff.), nach welcher die Identität der Person ja ausdrücklich ein soziales Objekt darstellt, motiviert. Im übrigen zeigt Vielmetters Arbeit wie auch diejenige Searles, daß sich eine zeitgenössische Philosophie der Sozialwissenschaften vor allem auch mit dem Zusammenhang von Sprache und Welt zu befassen hat und zu diesem Zweck die gegenwärtigen Debatten innerhalb der analytisch-pragmatistischen Philosophie nicht ignorieren kann. 44

4S

§ 5: Ontologie und Sozialontologie des Friedens

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§ 5: Ontologie und Sozialontologie des Friedens 1. Der ontologische Friedensbegriff bei Augustinus46 Augustinus entwickelt sein ontologisches Konzept des Friedens in den Kapiteln 12 bis 14 im XIX. Buch der Civitate Dei. 47 Dabei betrachtet er einerseits den Bereich der physis, d.h. er untersucht, was Frieden bei Dingen und Lebewesen überhaupt bedeutet, andererseits aber wendet er seine Bestimmung des Friedens auch auf das Zusammenleben der Menschen an (ohne allerdings zu einer sozialontologischen Fragstellung vorzudringen).

Aus dem Bereich der physis demonstriert Augustinus seine Vorstellung vom Frieden am Beispiel einer verkehrt herum aufgehängten Person. Über diese Verkehrtheit schreibt er, daß sie "den Frieden des Leibes gestört habe" und "darum peinlich empfunden" werde: "Da die Seele mit ihrem Leib von Haus aus in Frieden lebt und um sein Wohlergehen besorgt ist, so empfindet sie jetzt Schmerz. Aber auch wenn sie, durch solche Störung ausgetrieben, entweicht, ist doch der zurückbleibende Leib, solange das Geruge der Glieder erhalten bleibt, nicht ohne einen gewissen Frieden der Teile, folglich ein hängender Körper immer noch da. ,,48

46 Die folgende Darstellung orientiert sich im wesentlichen an der AugustinusInterpretation Buchheims. Zum Verständnis des Augustinischen Friedensdenkens ist die nach wie vor wichtige gelehrte Studie von Harald Fuchs. Augustin und der antike Friedensgedanke. Untersuchungen zum neunzehnten Buch der Civitas Dei (1926), 2., unveränderte Auflage, Berlin, Zürich 1965 hilfreich. Fuchs weist dort (139-154, insbes. 150) unter anderem nach, daß Augustinus auf eine verlorengegangene Schrift des Varro zurückgreift. Siehe auch Joachim Laufs, Der Friedensgedanke bei Augustinus. Untersuchungen zum 19. Buch des Werkes De Civitate Dei, Wiesbaden 1973; Wilhelm Geerlings, De civitate dei XIX als Buch der Augustinischen Friedenslehre, in: Christoph Horn (Hrsg.), Augustinus. De civitate dei, Berlin 1997,211-233 (m.w.N. 232 f.) sowie die Bemerkungen bei Sternberger. Über die verschiedenen Begriffe des Friedens, in: ders.. Die Politik und der Friede, 8-68, hier 42 ff. Über Augustinus' hier nicht weiter interessierendes politisches Denken siehe z.B. Dolf Sternberger. Drei Wurzeln der Politik, (TB-Ausgabe) Frankfurt am Main 1984, 309-380, zum Friedensbegriff des Augustinus einige Bemerkungen dort 338 ff. 47 Die Friedensontologie Augustinus', die Sternberger zu Recht als "tiefgründigste[n] Phänomenologie des Friedens, welche die abendländische Geistesgeschichte kennt" (Sternberger. Über die verschiedenen Begriffe, 42), bezeichnet, ist von der Lehre des himmlischen und des (im weiteren Sinne) irdischen Friedens zu unterscheiden und von dieser unabhängig. Im folgenden wird nach der von Wilhelm Thimme übersetzten und von Carl Andresen eingeleiteten und erläuterten Artemis-Ausgabe Vom Gottesstaat, 2., vollständig überarbeitete Auflage, Zürich, München 1978 Band II (Buch XXI-XXII) zitiert.

4'

52

B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

Bezogen auf den Bereich des Zusammenlebens schreibt Augustinus, daß es niemanden gebe, der keinen Frieden will, und daß auch Kriege nur um des Friedens willen gefiihrt würden: "Friede ist demnach das erwünschte Ende des Krieges. Denn jedermann erstrebt durch Kriegfiihrung Frieden, keiner durch Friedensschluß Krieg. ,,49 Sodann schreibt Augustinus: "Sogar die Räuber wollen mit ihren Spießgesellen in Frieden leben, um den Frieden der anderen um so grimmiger und erfolgreicher anzugreifen. "so

Zusammenfassend stellt der Kirchenvater fest: "Wie es also zwar ein Leben ohne Schmerz geben kann, aber keinen Schmerz ohne Leben, so gibt es auch einen Frieden ohne allen Krieg, niemals aber einen Krieg ohne irgend welchen Frieden, versteht sich, nicht sofern Krieg ist, sondern sofern der Krieg von denen oder inmitten derer geruhrt wird, die irgendwelche Naturen sind. Denn diese könnten keinesfalls existieren, wenn nicht irgendwie auf der Grundlage des Friedens.,,51

Schließlich bezeichnet Augustinus den Frieden eines Dinges oder eines Lebewesens als "die Ruhe seiner Ordnung" bzw. als "die Ruhe seiner Ordnung, in der es keine Störung gibt. ,,52 Demnach existiert alles, was überhaupt existiert, in einer bestimmten Ordnung, die sein Frieden ist: Körper und Pflanze als gesunde Organismen, die Räuberbande als (verschworene) Gemeinschaft etc. Damit ist "Frieden ... die rur ein Ding oder Lebewesen jeweils spezifische Struktur, durch die es in seiner Eigenart existiert. Dieser Frieden kann gestört und beeinträchtigt, aber niemals zerstört werden, es sei denn durch die Vernichtung des Dinges bzw. den Tod des Lebewesens. ,,53

48 Augustinus, Gottesstaat, XIX, Kap. 12 (551). In Kap. 13 (552) bezeichnet Augustinus sodann den Frieden eines Körpers als das geordnete Verhältnis seiner Teile. 49 Ebenda, XIX, Kap. 12 (547). so Ebenda, (547 f.). SI Ebenda, XIX Kap. 13 (553). Aus dem Kontext ergibt sich, daß Augustinus mit Krieg hier nicht den Staaten krieg meint (obgleich das im Zitat Gesagte auch für einen solchen gilt), sondern vielmehr den Unfrieden in dem Sinne, wie er weiter unten dargestellt wird. 52 Ebenda, (552). Wörtlich heißt es dort: "Der Friede aller Dinge [besteht] in der Ruhe der Ordnung." Und: Den Unseligen, die - sofern sie unselig sind - keinen Frieden haben fehlt "die Ruhe der Ordnung, in der es keine Störung gibt." Auch der Frieden einer Gemeinschaft besteht folglich in der ungestörten Ruhe ihrer Ordnung. Der "Friede unter Menschen [besteht] in der geordneten Eintracht." 53 Hans Buchheim, Aurelius Augustinus' Friedensbegriff als Konzept einer modemen Theorie des Friedens, in: ders., Beiträge zur Ontologie der Politik, 73-91, hier 75. Daß Augustinus sich Frieden und Ordnung im Sinne einer Struktur vorstellt, wird in Augustinus. Gottesstaat. XIX. Kap. 12 (551) sowie XIX. Kap. 13 (553) deutlich. wo er von

§ 5: Ontologie und Sozialontologie des Friedens

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Mit anderen Worten: Frieden ist nach Augustinus die je eigenartige oder spezifische Existenzweise eines Dinges oder Lebewesens, die sich in der ungestörten Ruhe seiner Ordnung manifestiert. Mithin existiert "alles was existiert, ... zunächst in Frieden und will deshalb seinen Frieden haben. ,,54 Oder - in den Worten Augustinus': Naturen "können keinesfalls existieren, wenn nicht irgendwie auf der Grundlage des Friedens. ,,55 Damit ist der Frieden die Existenzgrundlage jedes Dinges, Lebewesens und jeder sozialen Gemeinschaft. Harald Fuchs faßt dies pointiert in den Satz: "Was ist, ist befriedet, sonst wäre es nicht.,,56 Das bedeutet im einzelnen: Der Frieden ist für Augustinus als ungestörte Struktur eines Lebewesens diesem Lebewesen vorgegeben und damit Voraussetzung, nicht aber Gegenstand seiner LebensfUhrung. Um als solches zu existieren muß ein Lebewesen nicht bewußt tätig werden. Insofern ist der Frieden Grundlage des Existierens. Zum Bewußtsein kommt der Frieden, die ungestörte Ordnung nur dann, wenn die Ruhe dieser Ordnung gestört wird, d.h. wenn Unfrieden eintritt. Das ist im Falle des physischen Lebewesens der Schmerz. 57 Die Störung des Friedens kann (wie der Schmerz) beseitigt werden, d.h. der Frieden kann dort, wo er gestört ist wiederhergestellt werden. Jedoch ist es nicht möglich, den Frieden als solchen herzustellen: So wie eine Krankheit zur Wiederherstellung der Gesundheit nur zurückgedrängt werden kann, wenn im Körper noch ein letzter Bereich ungestörter Gesundheit besteht, d.h.: solange der Körper noch lebt, so kann der gestörte Frieden nur wiederhergestellt werden, wenn im betreffenden Verhältnis noch ein ungestörter Bereich der Ordnung herrscht. 58 Die ontologische Bestimmung bei Augustinus charakterisiert Frieden als ein Phänomen jenseits von gut und böse, so daß Augustinus von einem gerechten ebenso wie von einem ungerechten Frieden sprechen kann: Der sündige Hochmut, so der Kirchenvater, "haßt ... den gerechten Frieden Gottes und liebt seinen eigenen ungerechten Frieden. ,,59

Augustinus kennt also auch den ungerechten Frieden, der aber doch Frieden bleibt und als solcher einen eigenen Wert hat, und der, insofern er Frieden ist,

"Gefiige" (conpago) spricht. Siehe zum Strukturbegriff bei Augustinus auch Buchheim, Augustinus, 75, Fn. 9. 54 Buchheim, Augustinus, 75. 55 Augustinus, Gottesstaat, XIX, Kap. 13 (553). 56 Fuchs, Augustin und der antike Friedensgedanke, 94. 57 Durch das Empfinden des Schmerzes wird der Frieden freilich nur indirekt bewußt: das Lebewesen "bemerkt", daß ihm etwas fehlt. 58 Siehe dazu ausfiihrlich Fuchs, Augustin und der antike Friedensgedanke, 61 ff., sowie ebenda, 38 f., 56. 59 Augustinus, Gottesstaat, XIX, Kap. \3 (550).

B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

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ein Gut darstellt. Somit ist fiir Augustinus die ungestörte Ruhe der Ordnung nicht identisch mit einer "guten Ordnung": Der Räuber, der "sich allein in Hinterhalt legt und so viele Leute überwältigt, umbringt und ausplündert, wie er eben kann, hält ... mit denen, die er nicht töten kann, und denen seine Untaten möglichst verborgen bleiben sollen, eine Art schattenhaften Frieden aufrecht. ,,60

Die (ethische) Bewertung einer jeweiligen Ordnung ist gegenüber ihrer Friedensqualität sekundär (und selbst relativ zum Standpunkt des Beurteilers); eine Ordnung besitzt qua Ordnung Friedensqualität61 : "Die nicht gestörte Ruhe der Ordnung, die den Frieden ausmacht, ist bei Augustinus nicht eine 'gute Ordnung' von sittlicher Qualität, die herbeizuführen eine moralische Pflicht wäre, sondern sie ist die Struktur, die ein jedes Ding und Lebewesen von Natur aus bzw. als seine Natur besitzt - auch der Mensch. Zwar ist der Frieden als 'Grundlage des Existierens' ein Wert für alles Existierende, aber gerade deshalb ist er auch für uns Menschen nicht ein Wert, den wir erst realisieren müßten, sondern ist unwillkürlich und immer schon gegeben bzw. suchen wir ihn, weil wir ihn wegen unserer Natur suchen müssen. Da es sich also nicht um einen sittlichen Wert handelt, kann für Augustinus auch der ungerechte Frieden Frieden sein. ,,62

Frieden im Verständnis des Augustinus ist im Sinne der Terminologie zeitgenössischer Friedensforschung weder ein positiver noch ein negativer Frieden: Geht Frieden als Fundament des Daseins aller Werthaftigkeit und Bewertung voraus, ist er einerseits kein normativ zu verstehender Begriff (und bezeichnet als solcher daher kein Sollen). Ist Frieden andererseits nicht bloß die Abwesenheit einer Störung, sondern vielmehr die notwendige Bedingung des Lebensvollzugs, die selbst nicht auf bewußte oder reflektierte Weise "hergestellt" oder instituiert werden muß, ist er auch kein "negativer" Frieden - er ist vielmehr "positiver Inbegriff nicht gestörten Existierens. ,,63

Ebenda, Kap. 12 (548). Der ordo-Gedanke spielt auch in der Philosophie des KonJuzius eine zentrale Rolle, für den die richtige Ordnung zum Frieden der Welt mit sich selbst führt. Die richtige Ordnung beginnt für KonJuzius schon bei der rechten Ordnung der Bezeichnungen. Inwiefern diese ordo- Vorstellung ontologischen oder eher ethischen Charakters ist, kann hier nicht vertieft, soll aber als Forschungsdesiderat aufgewiesen werden. Möglicherweise lassen sich hier Konvergenzen im Friedensdenken der großen Philosophen nachweisen. 62 Buchheim. Augustinus, 76. 63 Ebenda. 60 61

§ 5: Ontologie und Sozialontologie des Friedens

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2. Der sozialontologische Friedensbegriff bei Hans Buchheim: Frieden als Existenzial Buchheim geht von der Feststellung aus, daß Augustinus - trotz dessen Bemerkungen zum menschlichen Zusammenleben (etwa einer Räuberbande) - die Frage vernachlässige, was Frieden ist, wenn der Mensch nicht nur überhaupt physisches Lebewesen, sondern darüberhinaus Person ist. Buchheim wendet sich also der Problematik zu, indem er danach fragt, was Frieden als Grundlage des Existierens in Anwendung auf die Tatsache der Personalität des Menschen oder "was Frieden als Grundlage der personalen Existenz bzw. als 'Struktur' des menschlichen Zusammenlebens ist. ,,64

Als zentrale Prämisse dient dabei die Überlegung, daß der Mensch im Modus von Interaktion lebt, daß also diese die strukturelle Grundlage des menschlichen Lebens ist. Daher ist die Buchheimsche Fortfilhrung des Augustinischen Ansatzes sozia/ontologisch. Daß der Mensch in Interaktion lebt "heißt, daß er nicht zunächst lebt und sich dann von Fall zu Fall an Interaktionen beteiligt, sondern daß sein Leben in ständiger Teilnahme an Interaktion verläuft.,,6s

Dabei wird Interaktion nicht allein als bewußtes Tun, sondern vor allem auch als unwillkürlicher Vorgang verstanden. Interaktion hat in Buchheims Terminologie dementsprechend eine subjektive und eine objektive Dimension. Die Ausbildung der Person erfolgt nun ebenso wie die Entstehung sozialer Realität (bzw. die Entstehung von Gesellschaft) im Modus der objektiven Dimension von Interaktion, d.h. sie sind "unwillkürliche Auswirkung jeglicher ausdrücklich gefiihrten subjektiven Interaktion bzw. Momente der Interaktion als objektivem Vorgang.,,66 Für diese objektive Interaktion ist dabei charakteristisch, daß man sie "weder wollen oder 'herstellen' noch nicht wollen oder abschaffen [kann].,,67 Die objektive Interaktion ist mithin die Grundlage der personalen Existenz des Menschen "und damit Frieden nach dem Begriff von Augustinus."

Ebenda, 77. 6S Ebenda, 78. Wobei es zur gemeinsamen Interaktion weder eines gemeinsamen Zwecks noch eines inhaltlichen Konsenses bedarf. (Siehe ebenda, 79 und auch unten 39). 66 Buchheim, Augustinus, 79. Das schließt keineswegs aus, daß der einzelne Mensch sein Selbst auch zum ausdrücklichen Gegenstand eigener Gestaltung macht. Letzteres setzt aber die im Modus der objektiven Interaktion unwillkürlich ausgebildete Identität schon voraus. Siehe dazu ausführlich unten § 6. 67 Buchheim. Augustinus, 79. Die bei den folgenden Zitate sind ebenda, 79 f. 64

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive "Da die Ausbildung der Person im Modus von Interaktion unwillkürlich erfolgt, hat der Frieden im sozialontologischen Sinn seinen Ort nicht in der einzelnen subjektiven Interaktion, an der man ausdrücklich teilnimmt, in die man aus eigenem Entschluß eintreten und aus der man auch wieder ausscheiden kann. Er besteht vielmehr in der objektiven Interaktion, in der sich der Mensch, solange er lebt, befindet, ohne dies ausdrücklich zu wollen und zu wissen. Interaktion als objektiver Vorgang ist die 'Grundlage seines Existierens' als Person, ganz gleich, was er in den subjektiven Interaktionen von Fall zu Fall tut bzw. was ihm widerfährt."

Aus Buchheims Übertragung des Augustinischen Friedensbegriffs auf die Personaliät des Menschen ergibt sich also anders gewendet, daß Frieden die Ungestörtheit personaler Existenz ist. Frieden ist gegeben, solange die Interaktion so gefiihrt wird, daß die Ausbildung der individuell-personalen Existenz ungestört ist. Daraus wiederum folgt, daß Frieden ein elementarer Tatbestand menschlichen Zusammenlebens von existentieller Bedeutung, ein Existenzial im Sinne Martin Heideggers ist. 68 Er kann als solcher nicht Gegenstand von bewußt gestalteter Interaktion oder ausdrücklichen Wo liens sein69 , weil er als objektives Moment der Interaktion jedem bewußten Inhalt stets schon vorausliegt. Frieden ist also mit Interaktion immer schon gegeben und kann infolgedessen nicht hergestellt werden. Er kann jedoch gestört und dementsprechend wiederhergestellt werden. Die Störung des Friedens ist Unfrieden, und es ist dieser Begriff, der den charakteristischen Gegensatz zum Frieden darstellt. Welchen Charakter die Störung des Friedens hat und wie sie wahrgenommen wird, ist weiter unten zu klären. Ebenso wie schon beim Friedensbegriff des Augustinus, gewinnt auch der sozialontologisch verstandene Frieden im Sinne Buchheims einen werthaften Charakter erst durch bewußte Reflexion auf die (Möglichkeit der) Störung des Friedens, d.h. der Störung der objektiven Interaktion. Der Frieden erscheint dabei als etwas, dessen man verlustig gegangen ist und das man wiedererlangen will. Der Frieden als Wert bedarf also der Reflexion, während er als Zustand als ungestörte Ruhe der Ordnung - ein vor-reflexives Sein hat. Der Frieden ist also nicht an sich ein Wert, sondern er gewinnt fiir den Menschen (als - im Unterschied zum Tier - eines sich selbst bewußten Lebewesens) Werthaftigkeit

68 Buchheim wendet den Begriff des Existenzials selbst nicht auf seinen Friedensbegriff an. Zweifellos aber trifft Heideggers Begriff den Gegenstand. Siehe zum Existenzial bei Heidegger dessen Sein und Zeit (1927), 16. Auflage, Tübingen 1986, 44 f. Existenzialien sind "Seinscharaktere des Daseins" (44), wobei Dasein bei Heidegger stets das menschliche Dasein meint, dessen apriorische Grundverfassung das In-der-We/tsein und das Mitsein, also dem cartesischen Solipsismus entgegengesetzt ist. (Siehe dazu Franz Zimmermann. Einführung in die Existenzphilosophie, 2. Auflage, Darmstadt 1988, 91 ff.). 69 Siehe Buchheim, Augustinus, 83.

§ 6: Person und Interaktion

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durch die Erfahrung des Schmerzes oder durch das Bedenken der Möglichkeit einer Störung. Der Verlust des Friedens kann allerdings - entsprechend der Augustinischen Theorie und der Metapher des Schmerzes - nicht total, sondern nur partiell sein, da die Störung des Friedens nur solange möglich ist, als noch Frieden besteht: Der Unfrieden ist kein eigenständiges Phänomen, sondern ist nur möglich, solange das, was gestört wird, noch irgendeine Existenz hat und die Störung infolgedessen beseitigt werden kann. 70

§ 6: Person und Interaktion Die bisherige Darstellung der Friedenstheorien von Senghaas, Augustinus und Buchheim ermöglicht es nunmehr, die im folgenden zu entwickelnde Argumentation detaillierter zu skizzieren: Zunächst ist das sozialontologische Konzept Buchheims unter Anknüpfung an Meads Theorie symbol vermittelter Interaktion interaktionstheoretisch zu unterbauen. Es geht dabei vor allem um die Erläuterung der Vorstellung von der Existenz der Person im Modus der Interaktion sowie hieran anschließend um die Klärung des Buchheimschen Begriffs der objektiven Interaktion. Diese Überlegungen liefern zugleich das Fundament rur die Erörterung der Begriffe der Mentalität (bzw. deren Variante des Ordnungswissens), der Institution und der Gewohnheit. Die auf diese Weise sozialontologisch fundierten Begriffe können sodann mit dem Konzept der Kultur verbunden werden, so daß die Senghaassche Vorstellung der Kultur des Friedens - zunächst für die Ebene partikularer Interaktion - interaktionstheoretisch präzisiert und universalisiert werden kann. Im Kontext dieser Begriffsbestimmung steht sodann die Erörterung der Begriffe des Unfriedens, des Konflikts, der Gewalt, der Macht und des Zwangs. Nachdem im Anschluß daran das hier zugrundegelegte Verständnis von Politik skizziert worden ist, kann das Verhältnis von Politik und Frieden auf jener Ebene der Interaktion betrachtet werden. Sodann wird der Friedensbegriff des Augustinus erneut sozialontologisch fruchtbar gemacht, indem er auf die Ebene gesamtgesellschaftlicher Interaktion übertragen wird. Auch die in diesem Kontext angestellten Überlegungen können mit dem Kulturbegriff verknüpft werden: So läßt sich der Begriff der politischen Kultur des Friedens bestimmen. Der Unterschied zwischen innergesellschaftlichem und gesamtgesellschaftlichem Frieden ist hier ebenso Gegenstand der weiteren Überlegungen wie deren Zusammenhänge. 70

Siehe ebenda, 82.

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

Nach einer Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang von Recht, Politik und Frieden wird der Friedensbegriff Augustinus' schließlich auf die internationale Ebene der Interaktion angewandt. In diesem Kontext ist auch die Verbindung zwischen internationaler Politik und dem Frieden der Person zu besprechen, womit der über den politischen Verband vermittelte Zusammenhang der Ebene der Individuen mit derjenigen der Interaktion politischer Verbände im Hinblick auf den Frieden geklärt wird. 1. Interaktion und die Struktur71 der Person

Der Einzelne wird in die Lebenswelt hineingeboren. Seine Existenz ist in diesem Sinne ein In-der-Welt-Sein. Dieses stellt die unauthebbare Situation des Menschen dar. Das In-der-Welt-Sein ist ein Leben in Situationen: "Das Leben der Person ist eine einzige, ununterbrochene Kette von Situationen, in denen sie sich durchfinden muß.,,72 Das In-der-Welt-Sein ist schon deshalb sozialen Charakters, weil die Lebenswelt eine durch Handeln und Sprechen konstituierte soziale Welt ist. Was dies für die Person im einzelnen bedeutet, gilt es nunmehr genauer zu erläutern 73 :

7\ Neben "Struktur" wird in der vorliegenden Arbeit auch der Ausdruck "Ordnung" und zwar synonym mit "Struktur" - benutzt. Eine Gleichsetzung beider Ausdrücke scheint unproblematisch, wenn man unter Ordnung "jede relativ dauerhafte Strukturierungsleistung in sozialen Beziehungen" (Karl-Siegbert Rehberg, Institutionen als symbolische Ordnungen. Leitfragen und Grundkategorien zur Theorie und Analyse institutioneller Mechanismen, in: Gerhard Göhler (Hrsg.), Die Eigenart der Institutionen. Zum Profil politischer Institutionentheorie, Baden-Baden 1994,47-84, hier 47) versteht. Dies entspricht auch den Vorstellungen des Augustinus, der sich - wie in Fn. 53 erwähnt den Frieden und die Ordnung als eine Struktur vorstellt. 72 Nicolai Hartmann. Das Problem des geistigen Seins. Untersuchungen zur Grundlegung der Geschichtsphilosophie und der Geisteswissenschaften (1933), 3. Auflage, Berlin 1962, 133. Siehe zur Situativität des Lebens ferner Erich Rothacker. Philosophische Anthropologie, 5. Auflage, Bonn 1982, 146 ff. sowie Aron Gurwitsch. Die mitmenschlichen Begegnungen in der Milieuwelt, hrsg. von A. Mi!traux, Berlin, New York 1977,52, 110 ff., 140 ff., 148 ff., 159-168 und passim. 73 Grundlegend ist also hier der Begriff der Person. Dieser gehört zu den komplexesten Begriffen der Philosophie und der Theologie und interessiert hier nur unter dem Aspekt der spezifischen Sozialität und Subjektivität des Menschen, deren Verständnis nachfolgend implizit mitentwickelt wird. Nützlich zum Verständnis des Personbegriffs im Allgemeinen ist der von M. Fuhrmann / B. Th. Kible / G. Scherer / H. P. Schütt / Wolfgang Schild und M. Scherner verfaßte Beitrag: Person, in: HistWbPhilos, Band 7, Sp. 269-338 m.w.N. Siehe auch Nikolaus Lobkowicz. Was ist eine Person?, in: Karl Graf Ballestrem / Hans Buchheim / Manfred Hättich / Heinz Hürten (Hrsg. unter Mitarbeit von Helmut Zens und Werner Schön), Sozialethik und politische Bildung. Festschrift für Bernhard Sutor zum 65. Geburtstag, Paderborn, München, Wien, Zürich

§ 6: Person und Interaktion

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Der Mensch ist die Mitte aller sozialen und politischen Prozesse. Er lebt als Person intentional und ist als intentionale Person Subjekt des Handeins und Sprechens, oder allgemein: der Interaktion. Intentionalität meint dabei, daß der Mensch alle Gegebenheiten, welche er vorfindet, auf sich beziehe4 : Die Welt wird vom Einzelnen nach seinen höchstpersönlichen Kriterien - seiner Erfahrung und Biographie entspringend - geordnet. 75 Diese persönliche Ordnung der Welt konstituiert persönlichen Sinn. Persönlicher Sinn ist zu unterscheiden von inhaltlichem Sinn 76 , der dadurch charakterisiert ist, daß er entweder einer Gegebenheit, einer Sache 77 selbst innewohnt oder einer Person bzw. personalen Beziehungen zugerechnet wird. Inhaltlicher Sinn ist daher personaler oder sachlicher Sinn. 78 Der persönliche Sinn ist der gegenüber dem inhaltlichen Sinn originäre: Die Welt ist, was immer sie sonst noch sein mag, zunächst immer meine Welt, ist stets Welt fiir mich. Ist das In-der-Welt-Sein eine Existenz inter homines, so folgt aus dem Primat persönlichen Sinns, daß jegliche menschliche Situation zunächst vom jeweiligen persönlichen Sinn aller daran Beteiligten geprägt ist. Durch die Aktualisierung persönlichen Sinns in der Situation entsteht in dieser zunächst ein intentionaler Konsens, eine spezifische Variante persönlichen Sinns: "Damit ist folgendes gemeint: Personen, die einander zufallig begegnen, nehmen unwillkürlich voneinander Notiz, nehmen damit aufeinander Bezug und nehmen dies

1995,39-52 und Robert Spaemann, Personen. Versuche über den Unterschied zwischen "etwas" und "jemand", Stuttgart 1996. 74 Siehe Hans Buchheim, Person und Politik, in: ders., Beiträge zur Ontologie der Politik, 13-25, hier 17. Siehe zur Intentionalität auch ders., TdP, 15 f., 20 f., 22 ff. und passim. 75 Siehe Buchheim, Person und Politik, 18: "Die Person ordnet alle Inhalte, die sie weiß, und alle Erfahrungen, die sie macht, letztlich nicht nach sachlichen, sondern nach persönlichen Kriterien." 76 Siehe zum folgenden ausführlich Buchheim. Person und Politik, 17 ff. sowie ders., TdP, 40 f., 67 ff. 77 Der Begriff der Sache, der ursprünglich (wie auch der des Dings) aus der Rechtssprache kommt, meint dabei natürlich nicht nur materielle Gegenstände sondern auch etwa die Gemütlichkeit, Kälte oder Unruhe eines Hauses, die Schönheit eines Gegenstandes, Arbeit, Ferien, Wirtschaft, Erziehung etc. Siehe dazu die Ausführungen bei Henke, R&S, 111-117, von wo die Beispiele übernommen sind. Dort (115) auch der etymologische Befund, daß "Sache" und "Ding" aus der Rechtssprache stammen. Henke unterscheidet die personale Wirklichkeit von der Wirklichkeit der Sachen. 78 Es handelt sich also um persönlichen Sinn, wenn ein Autoschlosser zur ihm vertrauten Praxis des Motoreinbaus feststellt, daß diese Tätigkeit ihm vertraut sei. Die Tätigkeit seIbst jedoch - der Motoreinbau - gelingt nur, wenn sich der Monteur an den sachlichen, mechanisch-technischen Gegebenheiten, also am spezifischen sachlichen Sinn des "Diesen-Motor-In-Diese-Karosserie-Einbauens" orientiert. Dagegen handelt es sich bei der Kollegialität der Autoschlosser in der Werkstatt um personalen Sinn.

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive auch wechselseitig voneinander wahr. Auf diese Weise befinden sie sich unwillkürlich in Interaktion, ohne daß es dafür auch nur den geringsten von ihnen gemeinsam gemeinten inhaltlichen Sinn gäbe.,,79

Der intentionale Konsens ist die fundamentale interaktive Grundsituation aller menschlichen Beziehungen. In der Tatsache, daß der intentionale Konsens ein nicht-inhaltlicher Konsens ist, wird deutlich, daß Interaktion auch ohne gemeinsame Inhalte, ohne sachlichen Grund, ohne inhaltlichen "Minimalkonsens" stattfindet. Aus dem nicht-inhaltlichen Charakter des intentionalen Konsenses erwächst nunmehr das spezifische Problem der Situation: Sofern sich die an ihr Beteiligten nicht unmittelbar nach dem Voneinander-Notiz-Nehmen trennen, stellt sich das Problem des Anschlußhandelns und des Auf-Dauer-Stellens der Interaktion, das Problem der Stabilisierung, welches als Problem des Zusammenseins bzw. des Zusammenlebens zu bezeichnen ist: Der rein formal bestimmte intentionale Konsens kann als solcher nicht handlungsorientierend sein. Er bedarf vielmehr eines Themas, um das gemeinsame Handeln, die Bewältigung der gemeinsamen Situation über den Augenblick hinaus auf Dauer stellen zu können 80 und damit ein Anschlußhandeln in der Situation zu ermöglichen. sI Mittels eines gemeinsamen Themas wird das Dasein des Du als soziales Grundproblem bewältigt, über das vermittelt der Situation ein spezifisches Sosein zugeordnet werden kann. Erst dies macht Anschlußhandeln möglich. Genauer besehen besteht also das zentrale Problem der sozialen Situation hierin, da alles in dieser Situation mögliche Handeln mit Entstehung des sozialen Kontaktes kontingent gesetzt ist (die Beteiligten können so oder auch anders handeln und die Situation bewältigen). Daher muß aus dem potentiell möglichen Handeln eine Möglichkeit selektiert werden. Diese Selektionsleistung setzt Sinnbeziehungen zwischen den Handlungen voraus, um den Beteiligten Orien-

79 Buchheim, Person und Politik, 18. Eine Situation, die beim intentionalen Konsens verharrte, ohne daß die Beteiligten "Worte finden" bzw. die wechselseitige unwillkürliche Bezugnahme in ein Handeln transformieren, müßte "erstarren" und gewissermaßen "ersterben". Die Beteiligten würden sprachlos, irritiert, verunsichert (könnten jedoch prinzipiell die wechselseitige Wahrnehmung der jeweiligen Verunsicherung wiederum als einen inhaltlichen Anknüpfungspunkt für ein Handeln benutzen), schließlich handlungsunflihig. Daher beginnt man anläßlich einer situativen Verlegenheit, vom Wetter zu reden - nicht, um vom Wetter zu reden, sondern um die Situation zu retten, um Anschlußhandeln oder allgemeiner: weitere Interaktion zu ermöglichen. 81 Die inhaltliche Thematisierung, die an den intentionalen Konsens anknüpft, führt nicht unbedingt zu einem inhaltlichen Konsens: Das Thema einer Begegnung kann das Wetter sein, aber ob die Wetterlage von allen an der Interaktion Beteiligten gleich bewertet wird, kann dahinstehen. Entscheidend ist: Der intentionale Konsenses findet seine Anschlußmöglichkeit - und das heißt: die Möglichkeit der Fortsetzung der Interaktion - in einem Thema. 80

§ 6: Person und Interaktion

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tierung tUr und in ihrem Handeln zur VertUgung zu stellen und "die Selektion weiteren Handeins zu steuern. ,,82 Mittels dieser Selektion wiederum erfolgen Festlegungen und Konditionierungen tUr zukünftiges Handeln. So erzeugt Interaktion ihre eigene Geschichte und Tradition und setzt zugleich die Bedingungen der künftigen Fortsetzung (oder Nichtfortsetzung) der Interaktion. 83 Diese Vorgänge konstituieren eine Struktur der Interaktion bzw. eine Ordnung des Handelns. Sinn wird dabei zunächst als tUr den Einzelnen in der Lebenswelt stets schon objektiv vorhanden vorausgesetzt. Die im intentionalen Konsens konstituierte gemeinsame soziale Situation wird unter Rückgriff auf irgendeinen der objektiven Sinngehalte näher definiert. 84 Wie immer eine gemeinsame Situation jedoch von den an ihr Beteiligten definiert wird: Stets ist diese Definition eine Entscheidung, die auf dem jeweiligen persönlichen Sinn der Beteiligten beruht: Es bedarf persönlicher Entscheidung, ob man in die Interaktion eintritt, sie fortsetzt, neu interpretiert, welche die Situation begleitenden Vorgänge und Ereignisse in deren Bewältigung man miteinbezieht etc. Durch die wechselseitig gemeinsame Definition der Situation wird implizit stets ein Wir sinnhaft konstituiert, worin sich zugleich ein Prozeß wechselseitiger Anerkennung vollzieht. 85 Diese Vorgänge werden normalerweise keineswegs bewußt vollzogen. Der das Wir konstitutierende Akt erfolgt vielmehr meist implizite, da er lebensweltlich stets schon in einem Sinnkosmos stattfin82 Niklas Luhmann, Schematismen der Interaktion, in: ders., Soziologische Aufklärung 3: Soziales System, Gesellschaft, Organisation, 3. Auflage, Opladen 1993,81-100, hier 81. 83 Siehe dazu ebenda, 93 und 86. 84 Welche Gehalte prinzipiell auf eine Situation "passen" oder anwendbar sind, wird im jeweiligen Sozialisationsprozeß gelernt. In diesem Prozeß erfährt man, wie man sich in Situationen dieser oder jener Art zu verhalten hat. Ein Modell, wie sich der Prozeß der Konkretisierung allgemeiner Sinngehalte in der jeweiligen Situation vollzieht, entwickelt Hartmut Esser, Die Objektivität der Situation. Das Thomas-Theorem und das Konzept der sozialen Produktionsfaktoren, in: Renate Martinsen (Hrsg.), Das Auge der Wissenschaft. Zur Emergenz von Realität, Baden-Baden 1995, 75-100, hier 89 ff. und ders., Die Definition der Situation, in: KZfSS 48 (1996),1-34, insbes. 6 ff., 12 ff., 17 ff. und 26 ff. 85 Über das Geltenlassen des anderen in seinem Sosein, d.h.: in seinem Selbstverständnis, schreibt Erving GojJman: "Diese Art gegenseitiger Anerkennung scheint ein grundlegendes strukturelles Merkmal von Interaktion zu sein, besonders der Interaktion von direkten Gesprächen." (Erving GojJman, Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation, Frankfurt am Main 1986, 16 f.). Zum Prozeß der wechselseitigen Anerkennung als Grundlage der Identitätsbildung siehe die wichtige Arbeit von Axel Honneth, Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, Frankfurt am Main 1994, auf die insbesondere im Zusammenhang der Klärung des Unfriedens zurückzukommen ist.

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

det, in dem gegenüber jedem beliebigen Begegnenden ein gemeinsames Wir unterstellt werden kann - und unterstellt wird. Erst Reflexion bringt das stets in der Interaktion mitlaufende Wir zum Bewußtsein. Mit der Konstitution des Wir entsteht gemeinsamer persönlicher Sinn. Vor diesem Hintergrund ist nun die Frage zu klären, was es heißt, daß die Person im Modus der Interaktion existiert. Zunächst ist zu erörtern, wie die gemeinsame Definition der Situation, d.h. die Einigung auf einen bestimmten Fortgang der Interaktion, überhaupt möglich ist, wenn diese doch von der jeweils einzelnen - mithin also: subjektiven - Entscheidung der Beteiligten abhängt. Um dies zu verstehen, muß der Einzelne in seiner Identität und Individualität als sozial konstituiert verstanden werden. Ein Verständnis der sozialen Konstitution der Person kann unter Rückgriff auf die Sozialtheorie Meads gewonnen werden. 86 Mead hat gezeigt, wie die Ausbildung und Entfaltung des einzelnen Menschen zu einer Persönlichkeit, zu einer selbständigen Identität im Modus der Interaktion mit anderen Menschen erfolgt. Der Identitätsbildungsprozeß umfaßt das Erlernen oder Internalisieren gesellschaftlicher Geltungen, d.h. Werte, Maßstäbe, Erwartungen; es ist der Vorgang, der herkömmlich mit dem Ausdruck "Sozialisation" bezeichnet wird. 87 Dieser Ausdruck wird hier übernommen und mit dem in den Sozialwissenschaften ebenfalls gebräuchlichen

86 Siehe zu Meads Sozialtheorie insbesondere Mead. GIG; ders., The Individual and the Social Self. Unpublished Work of George Herbert Mead (Edited with an Introduction by David L. Miller), Chicago, London 1982 sowie ders., GA I, darin insbes.: Die soziale Identität, 241-249 und Die Genesis der Identität und die soziale Kontrolle, 299-328, hier insbes. 318 ff.; schließlich ders .. The Implications of the Self, in: ders., The Philosophy ofthe Present, 68-90. Zu Mead siehe einführend Hans loas, George Herbert Mead, in: Dirk Käsler (Hrsg.), Klassiker des soziologischen Denkens, zweiter Band, Von Weber bis Mannheim, München 1978, 7-39 sowie die nützlichen Darstellungen bei Bernhard Miebach, Soziologische Handlungstheorie. Eine Einruhrung, Opladen 1991, 49-65 und Ludwig Nagl, Pragmatismus, Frankfurt am Main, New York 1998, 88-110. Für den vorliegenden Kontext ferner Lothar Krappmann, Mead und die Sozialisationsforschung, in: Hans loas (Hrsg.), Das Problem der Intersubjektivität. Neuere Beiträge zum Werk George Herbert Meads, Frankfurt am Main 1985, 156-178; Ernst Tugendhat. Mead: Symbolic Interaction and the Self, in: Mitchell Aboulajia (Hrsg.), Philosophy, Social Theory, and the Thought of George Herbert Mead, Albany, N.Y. 1991, 169-200; Hans-lose! Wagner, Strukturen des Subjekts. Eine Studie im Anschluß an George Herbert Mead, mit einem Vorwort von Lothar Krappmann, Opladen 1993 und lürgen Habermas, Individuierung durch Vergesellschaftung. Zu George Herbert Meads Theorie der Subjektivität, in: ders., Nachmetaphysisches Denken. Philosophische Aufsätze, Frankfurt am Main 1988, 187-241. Siehe insbesondere auch das Kapitel über Mead in: Honneth. Kampf um Anerkennung, 114-147. 87 Meads Bedeutung rur die Sozialtheorie liegt gerade in seiner Erkenntnis der Einheit von Individuation und Sozialisation. Siehe lOGS in: Klassiker der Soziologie, 35.

§ 6: Person und Interaktion

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Terminus der "Enkulturation" identifiziert: Sozialisation bedeutet immer das Hineinwachsen in eine Kultur durch Internalisierung ihrer Sinngehalte. Es ist an dieser Stelle hervorzuheben, daß Identitätsbildung und Sozialisation als nie abgeschlossene, lebenslange Prozesse verstanden werden müssen: Auch der Erwachsene bildet und entfaltet seine Persönlichkeit in der Interaktion mit Anderen. Zum Meadschen Identitätskonzept erläutert Bernhard Miebach dementsprechend: "Identität im Sinne dieses Interaktionsmodells beschränkt sich nicht auf die im Sozialisationsprozeß übernommenen Haltungen ... , sondern reorganisiert sich auch im Erwachsenenalter fortlaufend durch soziale Interaktion."ss Zentral in Meads Theorie ist, daß der Einzelne zu einem Bewußtsein seiner selbstS9, zu einer Identität allein dadurch gelangt, daß er im Prozeß der Sozialisation lernt, sich selbst aus der Perspektive der Anderen zu beobachten. 90 Vor allem im kindlichen Sozialisationsprozeß sind die "Mechanismen" der Selbstwerdung gut zu beobachten, weshalb sie auch paradigmatischen Charakter haben. Der Einzelne gewinnt dadurch ein Verhältnis zu sich selbst, daß er sich aus der Perspektive Anderer zum Objekt macht. Dies geschieht vor allem durch Rollenübernahme, durch Identifizierung mit Anderen im kindlichen Spiel. Das Kind kann mittels Rollenübernahme jedoch nicht nur Andere, sondern auch sich selbst zum Gegenstand seines eigenen Verhaltens (und Denkens) machen. Es sieht sich selbst zunächst aus der Perspektive einzelner Anderer. Indem es eine Pluralität solcher Perspektiven kennen lernt, entsteht eine immer komplexere Menge von ("gespiegelten") Selbstvorstellungen, die zu einem einheitlichen Selbstbild synthetisiert werden: Diese zu synthetisierenden Vorstellungen des Kindes von dem Bild, das die Anderen von ihm haben, bezeichnet Mead als me. Es ist gewissermaßen der "von außen" kommende Stoff der als Grundlage der Identitätsbildung wirkt. Vom me sind I und se/fzu unterscheiden. Das I ist gewissermaßen das gestaltlose Zentrum der Person, auf das alle Handlungen, Wahrnehmungen, Erfahrungen etc. bezogen werden, das aber selbst niemals im aktuellen Handeln oder Erleben erfahren wird, sondern stets erst retrospektiv in seinen Entäußerungen zugäng-

Miebach, 62. Dieses Selbstbewußtsein darf nicht verwechselt werden mit der neuzeitlichen Vorstellung von Subjektivität, die sich im Begriff des Individuums manifestiert. Selbstbewußtsein im hier zugrundegelegten Sinne des Wortes meint, daß der Mensch ein Dasein ist, das (im Unterschied zum Tier) von seinem Sein weiß. Ein solches Bewußtsein seiner selbst gibt es in jeder Kultur. 90 Mead schreibt in GIG, 214: "Man entwickelt insoweit eine Identität, als man die Haltung anderer einnehmen und sich selbst gegenüber so wie gegenüber anderen handeln kann." Siehe zum Ganzen dort passim. 88

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

lieh iSt. 91 Es umfaßt Spontaneität und Kreativität, aber auch die - hier zu vernachlässigende - biologische Triebaustattung des Menschen. Das I bedarf der me's als des Stoffes des Selbstbezugs zur Bildung des self. "Auf das 'Ich' [= I] ist es zurückzuflihren, daß wir uns niemals ganz unserer selbst bewußt sind, daß wir uns durch unsere eigenen Aktionen überraschen ... Das 'Ich' ist in gewissem Sinne das, womit wir uns identifizieren; es in unsere Erfahrung hereinzubekommen, ist eines der Probleme fast unserer ganzen bewußten Erfahrung; es ist in der Erfahrung nicht direkt gegeben. ,,92 Das self ist demgegenüber die Ich-Identität, die entsteht, sobald das I seine me's zum Gegenstand der Betrachtung macht. "So gibt es also immer den Unterschied zwischen 'Ich' [= I] und 'ICH' [= me). Das 'Ich' ruft das 'ICH' nicht nur hervor, es reagiert auch darauf. Zusammen bilden sie eine Persönlichkeit, wie sie in der gesellschaftlichen Erfahrung erscheint. Die Identität [= selj] ist im wesentlichen ein resellschaftlicher Prozeß, der aus diesen bei den unterscheidbaren Phasen besteht. ,,9 Für diesem Prozeß ist konstitutiv, daß das Kind schon vor der Ausbildung einer Ich-Identität, also auch vor der Unterscheidung zwischen Ich und Du, seine eigenen Entäußerungen (Gebärden, Laute etc.) selbst wahrnehmen kann, damit aber in sich selbst diejenigen Reaktionen auf diese Entäußerung hervorrufen kann, die es im Anderen hervorruft. 94 "Nur dadurch wird die Struktur sozialer Interaktion, die in der Sozialisation ja zunächst nur von einem der Beteiligten wirklich beherrscht wird, rur beide innerlich verfUgbar.,,95 Die Tatsache, daß der Einzelne sich immer wieder mit neuen sozialen Situationen konfrontiert sieht, in welchen er sein Verhalten an seinen Vorstellungen von dem Bild, das Andere von ihm haben, orientiert, verdeutlicht den lebenslangen Charakter des Prozesses der Selbstwerdung. Dieser verläuft normaler-

91 Siehe etwa Mead, Der Mechanismus des sozialen Bewußtseins, in: ders., GA I, 232-240, hier 239 f. 92 Mead, GIG, 217 und 218. Siehe im einzelnen Mead, GIG, 216-229, 236-244 und passim sowie ders., Die soziale Identität, passim und ders., Der Mechanismus des sozialen Bewußtseins, 237 fT. Die Dialektik von I und me verdeutlicht, daß sich die Person in all ihrem Tun, Handeln und Denken, in jeder Entäußerung gleichsam selbst repräsentiert. 93 Mead, GIG, 221. 94 So werden das Erlernen und der Gebrauch der sinnhaften Sprache verständlich: Auch hier liegt eine Situation vor, "in der der Einzelne in sich selbst die Reaktionen auslösen und auf sie reagieren kann unter der Bedingung, daß der gesellschaftliche Reiz auf ihn die gleiche Wirkung ausübt wie auf andere. Das zum Beispiel geschieht in der Sprache; sonst würde die Sprache als signifikantes Symbol verschwinden, weil der Einzelne nicht den Sinn des von ihm Gesagten erfassen könnte." Mead, GIG, 187. Zu Meads Begriff des signifikanten Symbols siehe eben da, 100-115 und ders., Die Genesis der Identität und die soziale Kontrolle, 323. 95 Joas, Praktische Intersubjektivität, 107.

§ 6: Person und Interaktion

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weise unwillkürlich, ist also durchaus keine aktive Selbstgestaltung. Gleichwohl aber kann die Person auf sich selbst reflektieren und dabei das eigene Denken und Verhalten in Rechnung stellen. Dies ermöglicht die bewußte Gestaltung eigenen HandeIns und Verhaltens. Mithin kann der Einzelne seine Persönlichkeit in gewissem Umfang auch aktiv formen. Das für die neuzeitliche Subjektivität typische Streben nach Individualität ist Ausdruck dieser Möglichkeit. 96 Insofern in jedem sozialen Kontakt die Situation des wechselseitigen Intendierens auftritt, diese jedoch immer den beschriebenen Prozeß der wechselseitigen Identifizierung hervorruft, wird auch deutlich, warum - wie Buchheim feststellt - im intentionalen Konsens "die Tatsache sozial aktuell [wird], daß die Person im Modus der Interaktion mit ihresgleichen existiert. ,,97 Um nämlich überhaupt Person zu sein, bedarf sie, wie Mead herausgearbeitet hat, der Interaktion auch, wenn für diese kein irgendwie gearteter inhaltlicher, insbesondere: sachlicher Grund besteht. 98 Die Ausbildung von Identität und Selbstbewußtsein ist also als sozialer Prozeß zu verstehen. Die Vorstellung eines von der Gesellschaft unabhängigen oder "vor" ihr bestehenden Individuums erweist sich dementsprechend als inadäquat. 99 Weil die Person erst in Interaktion zu dem wird, was sie ist, kann man sagen, daß sie im Modus der Interaktion existiert. lOo Dementsprechend

96 Siehe dazu Nik/as Luhmann, Individuum, Individualität, Individualismus, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Band 3, Frankfurt am Main 1989, 149-258. Luhmann zeigt in dieser Arbeit, daß sich die Vorstellungen von Individualität und Individuum (und damit die dementsprechenden von Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung) parallel zur und in engem Zusammenhang mit der modernen Gesellschaftsstruktur seit dem 17. Jahrhundert entwickelt hat. Siehe ferner Char/es Tay/or, Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identität, Frankfurt am Main 1994. 97 Buchheim, Person und Politik, 18. 98 Das wird besonders deutlich im kindlichen Sozialisationsprozeß: Wo sollten sachliche Gründe für das Handeln des Kleinkindes herkommen? Um überhaupt sachliche Gründe zu haben, muß man zunächst interagieren und lernen, was ein sachlicher Handlungsgrund überhaupt ist. 99 Siehe dazu ausführlich Norber! E/ias, Die Gesellschaft der Individuen, 2. Auflage, Frankfurt am Main 1987 passim, insbes. 17-98 (dort 90: "Die Gesellschaft ist nicht nur das Gleichmachende und Typisierende, sondern auch das Individualisierende."); ders., PZ I, XLIII-LXX und die pointierten Zusammenfassungen Meads in: GIG, 216 und 182 sowie Mead, The Individual, 51: "The self-consciousness is in the relation to other selves, i.e., in social conduct. Our own selves arise in this conduct." 100 Das gilt in einem gewissen Sinne auch dann, wenn der Mensch ganz alleine ist: Er hat auch in dieser Situation weiterhin teil an der sozialen Sinnwelt, die ihn geprägt hat. Ein sicheres Gespür für diesen Umstand zeigt Kar/ Marx, wenn er im Kapital einmal ironisierend feststellt, daß Robinson sich selbst auf seiner Insel als einen guten Engländer betrachtete. (Siehe Kar/ Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Erster Band, Buch I, Der Produktionsprozeß des Kapitals (MEW, Band 23), Berlin (DDR) 1968, 91). Schnell bemerkt, daß "auch im Selbstbezug die Anderen noch implizit ge-

5 Henkel

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

konstatiert Hegel, daß der Einzelne "ohne die Relation zu anderen Personen" keine "wirkliche Person" sei. IOI Dieser Befund läßt sich in der Aussage resümieren, daß in der sozial vermittelten Ich-Identität des Einzelnen die Struktur seiner Person liegt. Überall verweisen die Prozesse der Identitätsbildung und der Sozialisierung auf die Kategorie des Sinns, auf die nunmehr präzisierend einzugehen ist. Die zu besprechenden Phänomene der Mentalität, der Gewohnheit und der Institution sind nämlich als Sinngebilde zu verstehen. Als solche resultieren sie aus partikularer Interaktion. Die folgenden Ausführungen dienen dazu, die Kategorie des Sinns als durch Interaktion konstituiert auszuweisen. Nach Mead entsteht Sinn "nur insoweit ... , als irgendeine Phase der vom Individuum im anderen ausgelösten Handlung auch in diesem selbst ausgelöst werden kann.,,102 Der Sinn einer Entäußerung Egos (d.h. Egos Geste l03 oder sprachliche Äußerung) liegt in der Reaktion Alters auf eben diese Entäußerung l04 , wobei die Reaktion (als Re-Aktion) wiederum die Entäußerung Egos fortsetzt. Indem Ego seinerseits auf die Reaktion Alters reagiert, konstituiert wiederum Egos Reaktion Sinn, der mit jenem Sinn der Reaktion Alters (auf Egos "ursprüngliche" Entäußerung) "verknüpft" ist, da dieser von jenem "umschlossen" und fortgebildet wird. Auf diese Weise konstituiert sich in einem wechselseitigen Prozeß eine (sinnhafte ) gesellschaftliche Handlung. lOS Somit ist "Sinn ... in der Struktur der gesellschaftlichen Handlung impliziert" und als "die Entwicklung einer objektiv gegebenen Beziehung zwischen bestimmten Phasen

genwärtig sind" und daß "jede Isolation ... ein sekundäres Herauslösen aus einem sozialen Ganzen [ist], weIches nicht der Zeit, sondern seiner Natur nach dem Einzelnen vorgeht." (Schnell, Phänomenologie des Politischen, 12). Dem entspricht die Feststellung, daß alles Handeln soziales Handeln ist. Siehe dazu sogleich. 101 Hege I, Rph, § 331 Anm.

102Mead,GIG.121,Fn.15.

103

Weniger genau könnte hier auch schon von "Handlung" gesprochen werden.

Meads Sprachgebrauch ("Geste") ist aber deshalb präziser, weil die erste Geste in einem

beginnenden sozialen Handlungsprozeß die Handlung lediglich eröffnet. Wie diese Handlung dann weiter verläuft ist von der Reaktion (d.h. der antwortende Geste) Alters auf diese erste Geste abhängig. So ist der Handlungsvollzug ein wechselseitiger "Anpassungsprozeß", der aus Gesten aufgebaut ist, wobei - um die Sache zu kompliziereneine Geste nur gedanklich isoliert werden kann; sie ist eigentlich kein diskreter Vorgang sondern ein kontinuierlicher Prozeß, der in eine andere Geste übergeht. 104 Diese Reaktion bezieht sich auf die antizipierte Vollendung der in der Geste begonnenen Handlung. Siehe Mead. GIG, 188. lOS Zum Begriff der gesellschaftlichen oder sozialen Handlung siehe Mead, GIG, 45 f. (mit Fn. 7 auf Seite 45, wo auch auf Meads Arbeit über Die Genesis der Identität und die soziale Kontrolle (= ders., GA I, 299-328, hier 313) verwiesen wird).

§ 6: Person und Interaktion

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der gesellschaftlichen Handlung ... ist [er] nicht ein gsychisches Anhängsel zu dieser Handlung und keine 'Idee' im traditionellen Sinne.,,1 6 Der auf diese Weise konstituierte Sinn ist schließlich im Falle sprachlicher Äußerungen mit (Sprach-) Symbolen identifiziert und wird über Symbole vermittelt dem Bewußtsein zugänglich. Entspringt Sinn auf diese Weise dem interaktiven Prozeß und ist insofern gemeinsamer Sinn, so handelt es sich bei ihm gewissermaßen um ein objektives Geschehen, das der Welt objektive Bedeutung verleiht. Als objektiver Sinn ist er inhaltlicher Sinn, an dem der Einzelne sich orientieren kann, den dieser aber genauso gut auf seine eigene persönliche Orientierung beziehen kann, indem er auf "die Relevanz abhebt, die der Inhalt rur ihn hat." 107 Insoweit der Einzelne an der Welt teilhat, liefert ihm der objektive Sinn die notwendigen Orientierungen rur sein und in seinem Handeln, indem er jeweils Elemente objektiven Sinns subjektiv aktualisiert. Damit gewinnt die Welt rur ihn einen sozial vermittelten subjektiven Sinn. 108 Da der sozial konstituierte Sinn Bedingung des subjektiven Handeins ist, ist alles Handeln in diesem Sinne

soziales Handeln. 109

106 Mead, GIG, 121 und 115. Zu Meads Sinnbegriff siehe ausführlich Mead, GIG, 115-122 sowie ders., Soziales Bewußtsein und das Bewußtsein von Bedeutungen, in: ders., GA I, 210-221 und ders., Der Mechanismus des sozialen Bewußtseins, passim. Siehe allgemein zum Sinnbegriff Hartrnut Esser, Soziologie. Allgemeine Grundlagen, Frankfurt am Main, New York 1993,469 ff. und besonders 485 ff. 107 Buchheim, TdP, 68. 108 Wie die vorstehend skizzierten Prozesse differenziert theoretisch modelliert werden können, hat Hartrnut Esser mit seinem Konzept der sozialen Produktionsfunktionen gezeigt, welches sowohl spontanes und unreflektiertes als auch kalkulierendes Handeln berücksichtigt. Esser kommt in seinen Studien zu dem Ergebnis, daß "die Menschen ... ihre Situation ohne Zweifel selbst [definieren], aber sie ... das nicht aus freien Stücken [tun], nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten, stets von ihnen selbst aber in Interaktionen neu als Gleichgewicht konstituierten und so keineswegs immer beabsichtigten Umständen." (Esser, Die Definition der Situation, 32. Siehe zum Ganzen dort passim sowie ders., Die Objektivität der Situation, 89 ff. und 95 ff.; ferner zu diesen Zusammenhängen Hans Joas, Die Kreativität des HandeIns, Frankfurt am Main 1992, 218 ff. sowie Peter L. Berger / Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie (1966), mit einer Einleitung zur deutschen Ausgabe von Helmuth Plessner, Frankfurt am Main 1980, 139 ff.). 109 So auch deutlich Tenbruck, G&G, 146, 149, 171 und Michael Oakeshott in seiner Besprechung von 1. D. MaMott, The State and the Citizen, in: Mind N. S. LVIII (1949), 378-389, hier 386 und 387 f. Auf Seite 386 schreibt Oakeshott: "The 'private individual' ... is an institution, a social ... creation, whose desires, emotions, ideas, intelligence, are social in their constitution. Nothing ... is more certain than that this individual would collapse, Iike a body placed in a vacuum, if he were removed from the 'external' social world which is the condition of his existence." Und auf Seite 387 stellt er pointiert fest: "There can be no such thing as a non-social action or activity."

5'

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

2. Subjektive und objektive Interaktion und die Identität der Person Die beiden von Buchheim als subjektive und objektive Interaktion thematisierten Aspekte von Interaktion können nun im Anschluß an Mead erläutert werden. Sofern Interaktion von den an ihr Beteiligten bewußt und ausdrücklich gestaltet wird, ist sie subjektive Interaktion. Sofern sie darüber hinaus ein Vorgang ist, der aus sämtlichen Beiträgen der an ihr Beteiligten objektiv resultiert (die Interaktion als Ganze), ist sie objektive Interaktion. 110 Die objektive Interaktion zeigt Interaktion als objektives Sinngeschehen, welches weit über den jeweiligen subjektiven Sinngehalt hinausgeht. Allerdings ist hier ein Mißverständnis möglich, das sich aus der Terminologie ergibt: Auch subjektive Interaktion hat stets eine objektive Seite, insbesondere sofern sie zum Entstehen der gesamtgesellschaftlichen Interaktion als von niemandem intendierten Effekt beiträgt. III Der Begriff der objektiven Interaktion läßt sich mittels der unwillkürlichen Aspekte der Identität - mittels des Meadschen I - in der Identitätsbildung der Person bestimmen: Sofern sich das I der bewußten Bestimmung entzieht, indem es in der Selbstreflexion schon seinen Charakter verändert, es also "in der Erfahrung nicht direkt gegeben" 112 ist, ist sein Charakter als unwillkürlich zu bezeichnen. Den unwillkürlichen und unbewußten Charakter des I hat Axel Honneth hervorgehoben: "Die praktische Spontaneität, von der unser Handeln im Alltag geprägt ist, geht auf die Leistungen eines 'Ich' zurück, das dem 'Mich' ... als eine unbewußte Kraft entgegengesetzt ist: während dieses die sozialen Normen beherbergt, durch die ein Subjekt sein Verhalten gemäß den gesellschaftlichen Erwartungen kontrolliert, ist jenes die Sammelstätte all der inneren Impulse, die in den unwillkürlichen Reaktionen auf soziale Herausforderungen zum Ausdruck kommen." 1I3

Läßt man eine substanzontologische oder theologische Vorstellung des Zustandekommens des I beiseite, so bleibt letzteres nur auf diejenigen Aspekte 110 Diese objektive Interaktion wäre in ihrer Fülle nur für einen idealen Beobachter aus der Perspektive des archimedischen Punktes erkennbar. Diesen Punkt gibt es aber nicht. Daher bleibt die Fülle der objektiven Interaktion für die Handelnden selbst, die sie immer schon durch einen Filter - den Filter des Meadschen me - wahrnehmen, unerkennbar. Es kann vom Handelnden immer nur auf einzelne Gesichtspunkte der objektiven Interaktion rekurriert werden, indem er sie thematisiert. Damit verändern diese aber ihren Charakter: sie werden subjektiviert und bleiben mithin abstrakt. III ZU dieser Variante von Interaktion, über die sich ein Verständnis des politischen Verbandes erschließt, siehe unten 122 ff. 112 Mead, GIG, 218. 113 Honneth, Kampf um Anerkennung, 130 f., Hervorhebung hinzugefügt.

§ 7: Der Frieden in der Wirklichkeit

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von Interaktion zurückzufilhren, die jenseits der willentlichen Beeinflussung liegen, also auf die objektive Interaktion im Sinne Buchheims. Dies schließt eine bewußte Selbstgestaltung nicht aus, eine solche rekurriert jedoch immer schon auf das I, welches das selbstgestalterische Denken und Handeln stets bereits vorfindet. Die Identität nun ist jenes Gesamt, das entsteht, wenn das I seine me's - und zwar in einer je unwillkürlichen Art und Weise - reflektiert. Daher kommt durch das I ein schöpferisches Moment in die Identität, welches sich dem steuernden Zugang entzieht. Die Ausbildung der Person ist also den unwillkürlichen Aspekten der Interaktion geschuldet, weil das I in unwillkÜTlichschöpferischer Weise das me und beide zusammen die personale Identität konstituieren. 114

§ 7: Der Frieden in der Wirklichkeit Die vorstehenden Überlegungen nahmen ihren Ausgang bei der Friedensontologie des Augustinus und bei der sozialontologischen Anwendung dieses Friedensverständnissses bei Buchheim. Nach Augustinus ist der Frieden eines Dinges oder Lebewesens "die Ruhe der Ordnung, in der es keine Störung gibt." Der jeweilige Charakter des Friedens ergibt sich folglich aus der Eigenart der jeweiligen Existenz bzw. Ordnung, die eine je andere bei unbelebten Dingen, bei nicht personalen wie personalen Lebewesen, schließlich bei nicht-personalen Subjekten ist. Buchheim betrachtet nun, was im Sinne Augustinus' Frieden bei personalen Lebewesen ist. Die dabei zu beantwortende Frage lautet demnach: Was ist die spezifische Exi-

114 Die skizzierten Sachverhalte könnten auch in der Theoriesprache Luhmanns dargestellt werden. Wenn Luhmann die operative Trennung zwischen Kommunikation als selbständigem Prozeß einerseits und Bewußtseinssystemen andererseits hervorhebt, so ähnelt dies der hier vorgenommenen Differenzierung in subjektive und objektive Interaktion: So wie die objektive Interaktion in aller Interaktion jenseits des Einflusses der Handelnden immer mitläuft, so bleibt Kommunikation auch bei Luhmann ein selbständiger, selbstreferenzieller Prozeß. während die Bewußtseinssyteme (deren Gedankenwelt mit der subjektiven Interaktion zu parallelisieren wäre) ebenfalls selbstreferenziell geschlossen und damit füreinander und für die Kommunikation intransparent bleiben: "Menschen können nicht kommunizieren ... Nur die Kommunikation kann kommunizieren" so in seiner pointierten Ausdrucksweise Niklas Luhmann, Wie ist Bewußtsein an Kommunikation beteiligt?, in: ders., Soziologische Aufklärung 6: Die Soziologie und der Mensch, Opladen 1995, 37-54. Kommunikation und Bewußtseinssysteme wirken aber insofern aufeinander ein, als sie sich wechselseitig irritieren (siehe eben da, 44 ff. und Luhmann, Was ist Kommunikation?, in: ebenda, 113-124, hier 122 ff.). Diese Andeutungen müssen hier ausreichen, womit ein weiteres Desiderat der Forschung markiert wäre: Die Kompatibilität des hier präsentierten Zugangs zum Friedensproblem mit der Luhmannschen Systemtheorie.

70

B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

stenzweise der Person, worin liegt die ungestörte Ruhe ihrer Ordnung, was ist die Grundlage ihres Existierens? Buchheims Antwort hierauf ist, daß der Mensch in Interaktion existiert, wobei diese Existenz einer spezifischen Dimension von Interaktion geschuldet ist, der objektiven Interaktion. Insofern diese die Grundlage personaler Existenz darstellt, ist die ungestört verlaufende objektive Interaktion Frieden im Sinne des Augustinus, angewandt auf die Personalität des Menschen.

Die Vorstellung von der Existenz der Person in Interaktion ebenso wie der Begriff der objektiven Interaktion konnten in Anschluß an die Interaktionstheorie Meads präzisiert werden, so daß sich der sozialontologische Begriff des Friedens der Person wie folgt formulieren läßt: Da die Person in Interaktion existiert, ist das 1 der Person der Frieden: Das 1 bildet den Kern der unwillkürlichen Ausbildung der Person in Interaktion. Insofern sich daher die Existenz des Menschen als Person in die Interaktion erstreckt, liegt der Frieden in der Ungestörtheit eben jener objektiven Interaktion, welche zur Ausbildung des 1 fuhrt. 115 Der so bestimmte interaktionistische Frieden zeigt das Phänomen allein auf der Ebene der sozialen Wirklichkeit. Daher ist Frieden in diesem Verständnis ein verborgenes, im lebensweltlichen Alltag nicht direkt "sichtbares" Phänomen. Für den Zusammenhang von Lebenswelt und Wirklichkeit in bezug auf diesen Friedensbegriff bedeutet das, daß in jeder lebensweltlichen Interaktion der Frieden des 1 immer schon vorhanden ist und gleichsam verborgen "mitläuft". Dies gilt allerdings nur so lange, als der Frieden ungestört bleibt, d.h. so lange kein Unfrieden eintritt. 116 Der Frieden ist also lebensweltlich nicht in irgendeinem Verständnis bewußt-willkürlich herstellbar. Die unwillkürlich verlaufende Ausbildung der Person - ihr Frieden - kann nicht Gegenstand willkürlicher Gestaltung sein, denn das 1 entzieht sich - wie Mead immer wieder hervorhebt - dem bewußt-gestalterischen Zugriff. Das sozialontologische Gegebensein des Friedens erklärt, warum die lebensweltlichen Friedensvorstellungen dem Phänomen sehr oft nicht gerecht werden: Der Frieden als ungestörte objektive Interaktion ist (obgleich der Begriff sehr eng gefaßt ist) gewissermaßen zu allgemein, da er in allen Interaktionsverhältnissen schon gegeben ist, sofern diese an der Ausbildung der Person beteiligt sind. Es bleibt nunmehr zu erörtern, wie sich der solcherart bestimmte Frieden in der Lebenswelt manifestiert. Die Klärung dieser Frage fuhrt über die Bestim115 Diese begriffliche Klärung orientiert sich am Vorschlag einer besseren F ormulierung von Buchheim in einem Brief vom 29.8.96 an den Verfasser. 116 Was unter Unfrieden zu verstehen ist, wird sogleich breiter erörtert. Siehe § 12.

§ 8: Person, Gesellschaft und der Begriff der Mentalität

71

mung der Begriffe der Mentalität, der Institution und der Gewohnheit zu einer sozial ontologisch fundierten Vorstellung von der Kultur des Friedens.

§ 8: Person, Gesellschaft und der Begriff der Mentalität Die in Anschluß an Buchheim und Mead vorgestellten sozialontologischen Ausfiihrungen zur Identitätsbildung und zum Sinnbegriff in § 6 bilden auch das theoretische Fundament fiir die Erweiterung der Theorie Senghaas'. Dabei wird im folgenden der Blick von der Realitätsdimension der Wirklichkeit auf denjenigen der Lebenswelt gerichtet: Nachdem der Frieden der Person in seiner sozialontologischen Dimension dargestellt wurde, gilt es nunmehr, ihn auch in seiner lebensweltlichen Dimension zu bestimmen. Das ermöglicht es schließlich, die Vorstellung von der Kultur des Friedens auf dem entwickelten theoretischen Fundament zu präzisieren. Allgemein wird unter Mentalität ein vergleichsweise wenig reflektierter Komplex von Meinungen und Vorstellungen verstanden ll7 , der mit einem Bild von der Realität verbunden ist. Mentalität bezeichnet ein allgemeines Wissen um die Art und Weise der (individuellen und gemeinsamen) Lebensfuhrung und des Umgangs mit den Dingen. Mittels dieses Wissens, das selbst aus der sozialen Praxis heraus entsteht, behandelt der Einzelne die zu bewältigenden Alltagsprobleme personaler wie sachlicher Art in einer je typischen Weise. Das gesamte Wahrnehmen, Denken und Handeln der Person in spezifischen Kontexten ist eine Konkretisierung dieses allgemeinen Wissens. Mit Theodor Geiger kann man Mentalität als eine "geistig-seelische Disposition" 118 bezeichnen, die vom Einzelnen im Prozeß der Sozialisation angeeignet wird und die ihn fiir bestimmte Verhaltens- und Denkweisen disponiert, andere fiir ihn von vornherein ausschließt. 119 117 So Dietrich Rüschmeyer, Mentalität und Ideologie, in: Rene König (Hrsg.), Soziologie (Das Fischer Lexikon, Band 10) Frankfurt am Main 1958, 180-184, hier 181. Zum Verständnis des Folgenden siehe neben der angegebenen Literatur (mit jeweils anderer Terminologie) aus soziologisch-anthropologischer Perspektive William Graham Sumner, Folkways (1906), hier nach der auszugsweisen Wiedergabe in: ders., On Liberty, Society and Politics. The Essential Essays of William G. Sumner, edited by Rohert C. Bannister, Indianapolis 1992, 357-372, aus philosophischer Perspektive Nicolai Hartmanns Ausführungen zum objektiven Geist im zweiten Teil des zitierten Buches, insbesondere die Abschnitte I-IV. 118 Theodor Geiger, Die soziale Schichtung des deutschen Volkes. Soziographischer Versuch auf statistischer Grundlage, Stuttgart 1932 (hier zitiert nach dem FaksimileNachdruck dieser ersten Auflage von 1932, mit einem Geleitwort von Bernhard Schäfers, Stuttgart 1987), 77. 119 Die Wirksamkeit theoretischer Konstrukte, reflektierter Pläne, abstrakter moralischer Imperative etc. hängt davon ab, ob sie einer Mentalität angemessen sind. Dies gilt

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

Der allgemeine Begriff der Mentalität meint ein unreflektiertes, nicht-theoretisches. praktisches Wissen. Es ist dem denkenden und handelnden Menschen als Horizont vorgegeben, aus dem auszubrechen ihm nicht möglich ist, ohne daß dies vom Einzelnen als Beschränkung empfunden würde. Der Begriff der Mentalität wird im folgenden in Orientierung an Michael Oakeshotts Konzept des praktischen Wissens entwickelt und mit diesem identifiziert. Mentalität in einem engeren Verständnis wird im Anschluß daran als Variante praktischen Wissens bestimmt, die sich auf das Zusammenleben von Menschen als solches bezieht.

Oakeshott stellt dem sprachlich explizierbaren technischen Regel- bzw. Methodenwissen die Kategorie des praktischen Wissens gegenüber und hebt hervor, daß jede konkrete menschliche Tätigkeit heide Komponenten des Wissens enthält. 120 Das praktische Wissen ist nur in der konkreten Anwendung überhaupt vorhanden, es ist nicht abstrahierbar und insbesondere nicht in abstrakte Regeln zu fassen. 121 Es kann also - anders als technisches Wissen - nicht aufgeschrieben, daher aber auch nicht "gelehrt" oder "gelernt" werden. Es wird vielmehr in der Praxis selbst erworben. 122 Praktisches Wissen muß das technische Regelwissen

vor allem auch für politische "Ideen" (und Ideologien), Theorien und Konzepte: Diese können nur dann wirksam werden, wenn sie in einer Mentalität gewissermaßen auf "fruchtbaren Boden fallen", das heißt: wenn sie der mentalitätsmäßigen Disposition einer Gruppe oder einer Gesellschaft entsprechen und von dieser aufgenommen werden können. Erst dann verlieren sie ihren Charakter als textmäßig niederzulegende theoretische Entwürfe und Konstruktionen. So schreibt Geiger: "Sie sind mögliche Kulturgüter und werden faktisch [erst; M.H.] dazu, indem und soweit sie von den gesellig lebenden Menschen in den Strom ihres geistigen Verkehrs [d.h.: in ihre Mentalität; M.H.] aufgenommen werden." (Theodor Geiger, Bemerkungen zur Soziologie des Denkens, in: ARSP XLVII (1959), 23-53, hier 37. Das Verhältnis von Mentalität und Ideologie bildet einen zentralen Gegenstand von Geigers soziologischen Studien). 120 Siehe Michael Oakeshott, Rationalism in politics (1947), in:, ders., Rationalism in politics and other essays (Foreword by Timothy Fuller), new and expanded edition, Indianapolis 1991, 5-42, hier 12. Oakeshotts Überlegungen stehen im Kontext seiner Kritik rationalistischer Vorstellungen, nach welchen es zum adäquaten Handeln außer einer "vorurteilsfreien Ratio" nur des technischen Wissens bedarf. Verfugt man über die beiden technisch-instrumentellen Voraussetzungen, so ist man nach Ansicht des Rationalismus in der Lage, jede Aufgabe des HandeIns zu bewältigen. selbst wenn zuvor völlige Unkenntnis herrschte. 121 "It exists only in use." (Oakeshott, Rationalism, 12). Wie weiter unten im Anschluß an Peter Winch noch darzustellen ist, ist die Behauptung Oakeshotts zu relativieren, daß praktisches Wissen nicht in abstrakte Regeln zu fassen sei: Auch das praktische Wissen ist Regelwissen, das durchaus in das Licht des Bewußtseins gehoben werden kann. Siehe dazu die Ausführungen weiter unten 74 f. 122 Siehe Oakeshott, Rationalism, 15 und ders., The tower of Babel, in: ders., Rationalism in politics, 465-487, hier 468 f. Der Begriff der Praxis kann hier nicht problematisiert werden. Er wird nachfolgend im Sinne von Oakeshotts conduct- und practice-

§ 8: Person, Gesellschaft und der Begriff der Mentalität

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ergänzen, da die Kenntnis von Regeln alleine noch nicht zum Handeln befiihigt - und Handeln selbst nicht in der Anwendung von Regeln besteht. 123 Dazu bedarf es praktischer Kenntnisse, beispielsweise darüber, wann und wie die abstrakten Regeln anzuwenden sind, wie eine Tätigkeit zu gestalten ist, um in ihrem Verlauf die Regeln sinnvoll anwenden zu können etc. 124 Praktisches Wissen im Sinne Oakeshotts ist also als "impliziten Wissen,,125 zu charakterisieren. Es wird auch vom Ausfiihrenden selbst nicht explizit in dem Sinne gewußt, daß er es adäquat ausdrücken und in Worte fassen könnte. Es ist enthalten in den Traditionen, im Üblichen eines Verhaltens oder Handelns, in der Form, wie eine Tätigkeit gewöhnlich ausgeübt wird. Zu Recht bezeichnet Oakeshott das praktische Wissen daher als "traditional knowledge". 126 Praktisches Wissen existiert als vorgegebener Kontext fiir jeden Bereich menschlichen Verhaltens, es setzt uns erst instand, überhaupt in irgendeinem Bereich zu handeln. 127 Wo immer über "Ziele" oder "Zwecke" nachgedacht wird, geschieht dies nicht unabhängig vom praktischen Wissen. Immer schon Konzepten verstanden, steht also aristotelischen und Hegeischen Vorstellungen näher als dem Marxschen Praxis begriff. Siehe dazu neben den Arbeiten in der Sammlung Rationalism in politics insbesondere Michael Oakeshott, On Human Conduct (1975), Oxford 1991, im ersten Teil 1-107, insbes. 31 ff., 54 ff. und 86. Siehe auch schon die frühen Überlegungen in Michael Oakeshott, Experience and its Modes (1933), Cambridge, New York, Port Chester, Melbourne, Sydney 1991,246-321 (Practical Experience). Zu Oakeshotts Begriffen des conduct und der practice siehe Paul Franco, The Political Philosophy ofMichael Oakeshott, New Haven, London 1990, 167-178 und passim. Siehe auch (ohne Bezug auf Oakeshott) Rüdiger Buhner, Handlung, Sprache, Vernunft. Grundbegriffe praktischer Philosophie, Neuausgabe mit einem Anhang, Frankfurt am Main 1982, zum Handlungsbegriff61-121, vor allem 74 ff. 123 "The pursuit of the activity does not consist in the application of ... principles." (Michael Oakeshott, Rational conduct (1950), in: ders., Rationalism in politics, 99-131, hier 122). 124 Oakeshott veranschaulicht dies am Beispiel der Tätigkeit des Kochens: Zum einen gibt es eine "Technik des Kochens", die man einem Kochbuch entnehmen kann (das "Rezept"). Soll das Gericht gelingen, gehört zur konkreten Tätigkeit des Kochens freilich mehr: Nämlich ein Wissen um die richtige Umsetzung des im Rezept Vorgeschriebenen, um das richtige Maß an Gewürzen etc. All dies aber ist etwas, das sich nicht im Kochbuch aufschreiben läßt, sondern das der persönlichen Erfahrung erwächst. (Siehe Oakeshott, Rationalism, 12 f.). Das Gesagte gilt natürlich rur alle Tätigkeitsbereiche, also auch beispielsweise rur wissenschaftliche Tätigkeit oder rur juristisches Entscheiden. 125 Der Begriff des impliziten Wissens wurde vor allem von Michael Polanyi geprägt. Siehe dessen Implizites Wissen (1966), Frankfurt am Main 1985 (darin insbes. 18 ff. eine Bestimmung des Begriffs) und ders., Personal Knowledge. Towards a Post-Critical Philosophy (1958), 2. impression with corrections London 1962. 126 Oakeshott, Rationalism, 12. 127 "A particular action ... never begins in its particularity, but always in an idiom or a tradition of activity." (Oakeshott, Rational conduct, 120). Oakeshott bestimmt den Begriff "idiom of activity" folgendennaßen: "By an 'idiom of activity' I mean a knowledge of how to behave appropriately in the circumstances." (Ebenda, 121).

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

finden die Überlegungen im Feld vorhandener allgemeinerer Kenntnisse statt, die zwar nicht schon auf das je konkrete Problem "zugeschnitten" sind, gleichwohl aber das fur dessen Lösung notwendige Wissen bereitstellen. 128 Darüber hinaus aber ist das praktische Wissen auch die Grundlage nicht nur von Bedürfnissen sondern auch des individuellen und des kollektiven Willens. 129 Es ist zu bedenken, daß die Übernahme praktischen Wissens durch den Einzelnen nicht ausschließlich als unbewußter Prozeß gedacht werden muß. Auch eine bewußt angenommene Praxis wird mit ihrer Routinisierung zu unreflektiertem praktischem Wissen im Sinne Oakeshotts. Beispiele hierfiir fmden sich überall im Alltag: So ist etwa das Erlernen eines Instrumentes ein zwar zunächst durch Bewußtsein angeleiteter Vorgang, zunehmende Übung fuhrt jedoch rasch zum "Absinken" der Fertigkeiten ins Unbewußte. 130 Tatsächlich kann fur den geübten Instrumentalisten Bewußtsein sogar störend wirken. 131 Im Anschluß an Peter Winch sind Oakeshotts Überlegungen zu ergänzen: In seiner Auseinandersetzung mit Oakeshott macht Winch darauf aufmerksam, daß auch das implizite Wissen ein Rege/wissen ist. Für Winch sind Regeln dabei

128 Siehe Oakeshott, Rational conduct, 110 f. sowie Peter Winch, Die Idee der Sozialwissenschaft und ihr Verhältnis zur Philosophie (1958), Frankfurt am Main 1974, 72. 129 Siehe Oakeshott, Rational conduct, 124 ff. Aus dem Gesagten folgt, daß Menschen nicht an sich Bedürfnisse oder einen Willen haben. Beide entstehen erst im Kontext der jeweiligen historisch gewordenen Mentalität. 130 Siehe dazu in bezug auf soziale Kontexte Berger / Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, 72 ff. 131 Ein vom Blatt abspielender Schlagzeuger etwa bewältigt gleichzeitig das Entziffern und Verstehen einer komplexen Zeichenfolge (das ist das abstrakte Regelwissen) und koordiniert zugleich nicht nur seine vier Gliedmaßen unabhängig voneinander, sondern auch noch die Finger seiner Hände, den Druck seiner Füße auf die Pedale etc. All diese Vorgänge zusammen sind die praktische Umsetzung des abstrahierten und auf der Partitur niedergelegten Wissens in das Spiel. Der Musiker wird am besten spielen, wenn er all dies tun kann, ohne darauf bewußt achten zu müssen und stattdessen selbst der Musik lauschen kann, zu der er gerade beiträgt, wobei er unter Umständen natürlich noch den Dirigenten im Auge behalten muß. Und bei alledem wird er Zeit haben, mit seinen Gedanken "irgendwo anders" zu sein. Vorgänge dieser Art finden sich natürlich nicht nur bei Tätigkeiten wie dem Spielen eines Instrumentes oder dem Autofahren. Sie finden sich auch in allen Bereichen des menschlichen Umgangs miteinander, in den unzähligen Ritualen und Routinen des partnerschaftlichen Alltags, einer Dienstbesprechung, eines Vereinsabends etc. Siehe zum Vorstehenden auch die Studie von Julian Jaynes, Der Ursprung des Bewußtseins durch den Zusammenbruch der bikameralen Psyche, Reinbek bei Hamburg 1988, 33-64, insbes. 38 f. (Beispiel eines KlavierspieIers). 45 ff. legt Jaynes dar, daß Bewußtsein auch zum Lernen nicht unbedingt notwendig ist, 110 findet sich (in etwas anderem Kontext) das Beispiel des Autofahrens. Für den Bereich des Zusammenlebens siehe zur integrierenden Gewohnheitsbildung bei Paaren die materialreiche sozialphänomenologische Studie von Jean-Claude Kaufmann, Schmutzige Wäsche. Zur ehelichen Konstruktion von Alltag, 2. Auflage, Konstanz 1994.

§ 8: Person, Gesellschaft und der Begriff der Mentalität

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Bewertungskriterien fiir Handlungen. 132 Diese präskriptiven bzw. nonnativen Regeln werden also auch unbewußt angewandt. 133 Gilt das bisher zum praktischen Wissen ausgefiihrte überhaupt fiir partikulare Tätigkeitsbereiche und einzelne fachliche Kenntnisse, so gilt es insbesondere auch fiir den Bereich des Zusammenlebens von Menschen als solchem. Der Einzelne erwirbt nicht nur praktisches Wissen beispielsweise im Bereich der Kochkunst, sondern auch von der Art und Weise, wie Existenz in Gesellschaft gestaltet wird. Auch dieses Wissen wird durch Teilnahme am gesellschaftlichen Leben erworben.

Das praktische Wissen in bezug auf das Zusammenleben ist die Mentalität. 134 Sie konstituiert gemeinsamen Sinn, der wiederum das adäquate Handeln des Einzelnen orientiert. Mentalität bezeichnet eine allgemeine Vorstellung, wie man das Leben zu Leben hat, eine Vorstellung von der gemeinsamen Lebensfiihrung. Sie stellt mithin einen allgemeinen sinnhaften Lebensentwurf dar, der freilich (im Ganzen) nicht explizit vorliegt und nicht aus der Reflexion erwächst (auf den aber reflektiert werden kann). Die Mentalität liefert die nichtreflektierte Selbstauslegung einzelner ebenso wie sozialer Gruppen. Das durch Mentalität konstituierte gemeinsame Selbstverständnis der Menschen, das gemeinsame Wir, repräsentiert gemeinsamen persönlichen Sinn. Insofern leistet Mentalität eine Integration der jeweiligen Gruppe l35 : Die Gruppe bildet vennittelt durch die Mentalität eine (kollektive) Identität aus. Dementsprechend kann Christian Meier schreiben: "Es gibt Identität nicht nur bei Individuen, sondern auch bei Gesellschaften. Sie stellt gleichsam einen Kern im gesellschaftlichen Feld dar, der in irgendeiner Weise darauf drängt, daß eine Gesellschaft in etwas wesentlichem sich treu bleibe. Seine Wirkung

132 Siehe Winch, Idee, 45 und passim. Die Auseinandersetzung mit Oakeshott findet sich ebenda, 71-86. 133 Siehe Winch, Idee, 76 f. und ferner die Diskussion von Winchs Handlungstheorie bei Waiden/eis, 79-93 (Das Geregelte und das Ungebärdige. Funktionen und Grenzen institutioneller Regelungen), hier 85. Der Unterschied zwischen Regelwissen und praktischem Wissen besteht also nicht in der Normativität des einen und der Nicht-Normativität des anderen. Bei beiden Formen des Wissens handelt es sich vielmehr im wesentlichen um präskriptives Regelwissen. Gleichwohl kann und muß Oakeshotts Differenzierung aufrechterhalten werden: In der Tat ist es der Charakter der Bewußtheit, der dazu führt, daß beide Formen des Wissens eine voneinander zu unterscheidende Eigenlogik und Rationalität entwickeln. 134 Genau genommen muß man von einer Pluralität von Mentalitäten sprechen, wobei diese auf einem Fundament allgemeiner, d.h. gesellschaftsweiter Mentalität - dem später so gekennzeichneten Ordnungswissen - "aufruhen". 135 Siehe Rüschemeyer, 181. Zum Begriff der Integration siehe Rudolf Smend, Integration, in: ders. Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 3., wiederum erweiterte Auflage Berlin 1994, 482-486 und ders., Intergrationslehre, in: ebenda, 475-481. Näheres dazu unten 129 f.

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive besteht in eigenständigen Prozessen, in denen bestimmte Haltungen, Erwartungen und Wertschätzungen reproduziert werden, sich in Erwartungserwartungen stabilisieren und damit unabhängig werden vom Vorhandensein der Motive, aus denen sie ursprünglich erwachsen waren. Es institutionalisiert sich damit ein Kraftzentrum, das weit über alle Meinungen und alles persönliche Sich-Verpflichtet-Fühlen hinausgeht, vielmehr diese seinerseits hervorruft und befestigt." 136

Entsprechend der Pluralität der Mentalitäten existiert auch eine Pluralität kollektiver Identitäten. Man kann etwa zugleich Christ, Wissenschaftler und Kegelclub-Mitglied sein, wobei die jeweilige Identität in unterschiedlichen Situationen zu aktualisieren ist. Elemente des allgemeinen Lebensentwurfs einer Mentalität verdichten sich in einer Leitidee im Sinne Maurice Haurious. Die Leitidee ist Bestandteil der Mentalität und hat wie diese einen unreflektiert-selbstverständlichen Charakter. 137 Sie kann aber in einem Symbol repräsentiert und dadurch dem Bewußtsein zugänglich werden. Mit Winchs Einsicht in den präskriptiven Charakter des praktischen Wissens und der Mentalität ist auch das Phänomen der normativen Kraft des Faktischen zu erklären: Aus der Praxis entwickeln sich normative Geltungen, die sich im praktischen Wissen und in der Mentalität sedimentieren. Genau dies meinte Ge-

136 Christian Meier, Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, 3. Auflage Frankfurt am Main 1995, 248 mit Hinweis auf Odo Marquard / Karlheinz Stierle (!'Irsg.), Identität, München 1979. Zur kollektiven Identität siehe auch die theoretischen Uberlegungen von Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992, 130 ff.; sowie Heinrich Rombach, Phänomenologie des sozialen Lebens. Grundzüge einer Phänomenologischen Soziologie, Freiburg, München 1994, 146 ff., der eine eigene Terminologie benutzt. Die Problematik kollektiver, kultureller und politischer Identität wird in den letzten Jahren besonders in der angelsächsischen Literatur diskutiert, wo zahlreiche Arbeiten hierüber erschienen sind. Siehe beispielsweise Richard Jenkins, Social Identity, London, New York 1996 (Jenkins knüpft unter anderem besonders an Meads Sozial theorie an, siehe Jenkins, 20 und passim); P. W Preston, Political/ Cultural Identity. Citizens and Nations in aGIobai Era, London, Thousand Oaks, New Delhi 1997, bes. 3-12, 54-76. 137 Der Begriff der Leitidee steht bei Hauriou im Kontext seiner bekannten Institutionentheorie, insbesondere entwickelt in: Maurice Hauriou, Die Theorie der Institution und der Gründung (Essay über den sozialen Vitalismus), in: ders., Die Theorie der Institution und zwei andere Aufsätze, mit Einleitung und Bibliographie hrsg. von Roman Schnur, Berlin 1965, 27-66. Nach Hauriou wird "die Idee allgemein ... im Unterbewußtsein verobjektiviert bleiben. Gewiß wird sie von Zeit zu Zeit in bewußten Willensäußerungen subjektiviert werden. Das wird aber, zumindest scheinbar, nur vorübergehend vorkommen, während die Beschäftigung mit dem Objektiven im Unterbewußtsein der Erinnerung fortwährend anhält." (Hauriou, 38). Haurious Begriff der Leitidee wird im übrigen nur in funktionaler Hinsicht übernommen. Die platonisch-thomistisch-Iebensphilosophischen Implikationen des Ideenbegriffs Haurious bleiben daher unbeachtlich.

§ 8: Person. Gesellschaft und der Begriff der Mentalität

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org Jel/inek, mit dem Begriff der normativen Kraft des Faktischen. 138 Es handelt sich bei dieser nicht darum, daß einer kruden Faktizität ein normatives Sollen entspringe. Vielmehr liegt die normative Kraft in beobachteten Regelmäßigkeiten des Handeins. Was Jellinek als das Faktische ansieht, ist also die soziale Praxis selbst. Umgekehrt wird Praxis wiederum von den Normen geprägt. weshalb in diesem Kontext Hermann Heller von der "normalisierenden Kraft des Normativen" 139 spricht. Man kann den Zusammenhang zwischen Faktizität und Normativität folglich als dialektisch bezeichnen. Entspringt jeder Praxis Normativität, so kann es im sozialen Kosmos eine krude Faktizität, wie sie in der Trennung zwischen "Sein" und "Sollen" unterstellt wird, überhaupt nicht geben. 140 Dementsprechend haben praktisches Wissen, Mentalität und Traditionen normativen Charakter: Der soziale Kosmos ist ein normativer Kosmos, in dem "das Faktische ... das Normative [umfaßt).,,141 Auf diese Überlegungen ist im Kontext der Auseinandersetzung mit dem Begriff des Rechts zurückzugreifen. Die bisherigen Feststellungen bezogen sich allgemein auf menschliche Praxis und insoweit auf die Pluralität des praktischen Wissens, der Mentalitäten und Identitäten innerhalb einer Gesellschaft. Die spezifische Variante der Mentalität als Wissen um die Art und Weise der Lebensfiihrung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene oder als das Wissen um die Ordnung des Zusammenlebens aller in einer Gesellschaft ist in Anlehnung an Voegelin l42 nochmals speziell begrifflich 138 Siehe Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Auflage Berlin 1914, 337 ff. Aufschlußreich hierzu auch Bernhard Waiden/eis, Die Herkunft der Normen aus der Lebenswelt, in: Waiden/eis, 129-149. 139 Heller, Staatslehre (1934), in: ders., GS III, 79-395, hier 365. 140 Das bedeutet freilich nicht, daß die Unterscheidung zwischen "Sein" und "Sollen" in den Bereichen der Sprache und der Logik nicht konstitutiv wäre. Nur darf man die hierfür relevanten sprachphilosophischen Befunde nicht ohne weiteres auf die Beschaffenheit der Welt übertragen. Die diesbezüglichen Verwirrungen verschwinden, "wenn man einsieht, daß Sein und Sollen semantische Kategorien sind, zwei disjunkte Bedeutungsbereiche, nicht zwei nebeneinender getrennt bestehende Welten" - so Dta Weinberger, Grundlagenprobleme des institutionalistischen Rechtspositivismus und der Gerechtigkeitstheorie, in: Peter Koller / Werner Krawietz / Peter Strasser (Hrsg.), Institution und Recht. Grazer Internationales Symposion zu Ehren von Ota Weinberger (Rechtstheorie, Beiheft 14), Berlin 1994, 173-284, hier 231. Auch Luhmann plädiert dafür, daß "die übliche Entgegensetzung von Faktischem und Normativem ... aufgegeben werden [sollte]." (Luhmann, RS, 43). Siehe ferner Henke, R&S, 144 ff. mit einer Kritik der abstrakten Trennung von "Sein" und "Sollen" und ders., Staatsrecht, Politik und verfassunggebende Gewalt, in: ders., Ausgewählte Aufsätze. Grundfragen der Jurisprudenz und des Öffentlichen Rechts, hrsg. von Ralf Gräschner und Jan Schapp Tübingen 1994, 131-160. hier 159. 141 Luhmann, RS, 43. 142 Für die Mentalitätstheorie sind neben den Büchern NWP und Anamnesis auch Voegelins frühe Schriften Über die Form des amerikanischen Geistes, Tübingen 1928

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

auszuzeichnen. An diese Überlegungen ist dann später in der Darstellung des politischen Verbandes als der Friedenseinheit der Gesellschaft anzuknüpfen. Nach Voegelin bildet sich durch das Faktum sowie die Art und Weise gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens unwillkürlich eine Ordnung aus, die ein Verständnis vom Menschen (ein "Menschenbild") und des Zusammenlebens der Menschen umfaßt. Identität und Eigenart der betreffenden Gesellschaft erwachsen dann diesem gemeinsamen Selbstverständnis, das unreflektiert entsteht, aber auch Gegenstand der Reflexion werden kann. Voegelin bezeichnet dieses Selbstverständnis als Ordnungswissen. 143 Insofern dieses die Grundlage der Konstitution eines Wir auf gesamtgesellschaftlicher Ebene darstellt, wirkt es integrativ fiir die Gesamtgesellschaft l44 , und da die gesamtgesellschaftliche Ordnung selbst aus der am Ordnungswissen orientierten Praxis hervorgeht, ist "fiir jede Gesellschaft ... das Selbstverständnis ihrer Ordnung konstitutiv." 145 Wie im Falle der innergesellschaftlichen Mentalität kondensieren sich Elemente des Ordnungswissens in einem Entwurf allgemeinen Verhaltens, an weIchem sich wiederum zukünftige Praxis orientieren kann: Dieser ist die Leitidee des Zusammenlebens, die in einem Symbol repräsentiert und auf diese Weise bewußt gemacht werden kann. Mentalität und Ordnungswissen bilden also die sinnhaften und symbolischen Grundlagen des Zusammenlebens und der Konstitution der Gesellschaft. 146

§ 9: Gewohnheit und Institution Praktisches Wissen und Mentalität als Fonnen des Wissens finden ihren Ausdruck in Ordnungen des Handeins, die wiederum auf jene zurückwirken und sie prägen. Im folgenden werden von den Manifestationen der Mentalität im Handeln zwei besonders wichtige Fonnen herausgegriffen: Gewohnheiten l47 und Institu-

(insbesondere die allgemeineren Überlegungen in der Einleitung) sowie Rasse und Staat, Tübingen 1933 (insbes. 117 tT.) von Interesse. 143 Siehe insbes. Voegelin, Anamnesis, 283-354 passim. 144 Zur Integration auf gesamtgesellschaftlicher Ebene siehe neben den bereits in Fn. 135 oben genannten Arbeiten Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht (1928), in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, 119-276, hier 136 ff., 148 ff., 160 ff., 170 ff. 145 Voegelin, Anamnesis, 284. 146 Siehe dazu auch Esser, Soziologie, 469-492, insbes. 480 ff., 484 ff. und 490 ff. 147 Zum Begriff der Gewohnheit siehe ausfiihrIich Gerhard Funke, Gewohnheit, in: HistWbPhilos, Band 3, Sp. 597-616; Tenbruck, G&G, 93-97 und passim sowie Amold

§ 9: Gewohnheit und Institution

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tionen. 148 Beim Blick auf diese sozialen Phänomene wird die Aufmerksamkeit vom epistemischen Aspekt (praktisches Wissen, Mentalität, Ordnungswissen) wieder zuruckgerichtet auf den Handlungs- oder Tätigkeitsaspekt von Interaktion 149 : In Gewohnheiten und Institutionen repräsentieren und tradieren sich praktisches Wissen und Mentalität. Die Übernahme der Mentalität verläuft über Gewohnheitsbildung, die erst zu einer dauerhaften Verankerung von Sinn im einzelnen Menschen überhaupt fuhrt und über die auch ein schöpferisches Moment verwirklicht wird: In der Art und Weise, wie der Einzelne sich die Gehalte seiner Kultur in seinen Gewohnheiten aneignet, repräsentiert sich die Eigentümlichkeit der individuellen Person. 150 Gewohnheiten stellen das stabilisierte orientierte - gewissermaßen im Subjekt "institutionalisierte" - Handeln des Einzelnen dar, sie sind die Verwirklichung verinnerlichter Dispositionen sinnhaften Handelns. 151 Die eingeübten und neuerworbenen Gewohnheiten erscheinen als eine "zweite Natur" 152 des Menschen, als das Medium, in dem seine Individualität zum Ausdruck kommt.

Gehlen, Unnensch und Spätkultur. Philosophische Ergebnisse und Aussagen, 5. Auflage Wiesbaden 1986, passim. 148 Unverzichtbar zum Begriff der Institution nach wie vor Berger I Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, 49-98, insbes. 56 ff. und passim, sowie Gehlen, Unnensch und SpätkuJtur, insbes. 7-121; siehe auch Arnold Gehlen, Mensch und Institutionen, in: ders., Anthropologische und sozialpsychologische Untersuchungen (Mit einem Nachwort von Herbert Schnädelbach), Reinbek bei Hamburg 1986, 69-77, besonders 70 ff.; H. Dubiel, Institution, in: HistWbPhilos, Band 4, Sp. 418-424. Einen allgemeineren Überblick vennittelt Johann August Schülein, Theorie der Institution. Eine dogmengeschichtliche und konzeptionelle Analyse, Opladen 1987. Zum "neuen Institutionalismus" in der gegenwärtigen politikwissenschaftlichen Diskussion siehe die Beiträge in den von Gerhard Göhler besorgten Sammelbänden Göhler (Hrsg.), Grundfragen der Theorie politischer Institutionen: Forschungsstand, Probleme, Perspektiven, Opladen 1987 und ders. (Hrsg.), Die Eigenart der Institutionen. Zum Profil politischer Institutionentheorie, Baden-Baden 1994. Siehe auch den ausführlichen Literaturbericht von dems. I Rainer Schmalz-Bruns, Perspektiven der Theorie politischer Institutionen, in: PVS 29 (1988), 309-349. 149 Diese Differenzierung ist freilich abstrakt. Konkret fallen Handlung und praktisches Wissen zusammen, wie etwa Oakeshott immer wieder betont. Siehe nur Oakeshott, Experience and its Modes, 252: "Practice is itself a fonn of experience, a world of ideas." 150 Siehe Funke, Gewohnheit, Sp. 607. 151 Trotz des gleichsam instinkthaften Charakters des gewohnheitsmäßigen Handeins ist dieses ein sinnhaftes Handeln. (Siehe Tenbruck, G&G, 94 f. und Berger I Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, 57). 152 Dieser Ausdruck ist ein Topos in der Diskussion um Gewohnheiten und Institutionen. Er findet sich beispielsweise mehnnals bei Funke, Gewohnheit, bei Searle, Konstruktion, 152 oder bei John Dewey, The public and its problems (1927), reprint, 5. Auflage, Athens 1991, 162. Hegel spricht von Gewohnheit als der "andern Natur". (Hegel, Rph, § 268 Zusatz, siehe auch ebenda, § 151 und Zus.).

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

Der subjektiven Aneignung von Sinngehalten in Gewohnheiten korreliert die objektive soziale Geltung von Verhaltensformen oder -mustern. Diese werden als Institutionen bezeichnet. 153 Institutionen können daher als objektive Manifestation praktischen Wissens im allgemeinen und der Mentalität im besonderen angesehen werden, deren subjektive Seite die Gewohnheiten sind. Sozialen Institutionen ist einerseits eine Orientierungsleistung, andererseits eine Ordnungsleistung zuzusprechen l54 : Beide Leistungen sind eng miteinander verknüpft und lassen sich nur theoretisch unterscheiden. In der Realität fallen sie zusammen. Indem Institutionen Orientierungsmuster tur das Handeln und den Umgang der Menschen miteinander bereitstellen, strukturieren sie diese und bilden so eine soziale Ordnung aus. 155 Institutionen stellen auf diese Weise die sozialen Beziehungen auf Dauer. 156 Ihre Orientierungsleistung beruht auf der Selektion von Sinn 157 und der Schaffung typischer Erwartbarkeiten, in welchen sich der normative Kern der Institutionen manifestiert. Dieser entspringt der die Institution tragenden Mentalität: Institutionen existieren nicht einfach als beobachtbare Verhaltensregelmäßigkeiten, vielmehr sind sie, was nach den Austuhrungen zum präskriptiven Regelcharakter impliziten Wissens nicht verwundern kann (freilich nicht nur) Komplexe von Normen. IS8 Institutionen umfassen tur gewöhnlich Orientierungsleistungen sowohl im Bereich personalen als auch in demjenigen sachlichen Sinns l59 : In Institutionen 153 Daß Gewohnheiten die subjektive Seite der Institutionen darstellen, wird bei Berger / Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, 57 ff. und Gehlen besonders deutlich. Gehlen schreibt: "Alle Institutionen [werden] als System verteilter Gewohnheiten gelebt." (Urmensch und Spätkultur, 23, siehe auch ebenda, 28 und 41). Siehe auch (mit anderer Terminologie) Tenbruck, G&G, 213. 154 Siehe beispielsweise die Begriffsbestimmung von Gerhard Göhler, Politische Institutionen und ihr Kontext. Begriffliche und konzeptionelle Überlegungen zur Theorie politischer Institutionen, in: ders. (Hrsg.), Die Eigenart der Institutionen, 19-46, hier 22 und dazu ebenda, 37 ff. 155 Es sei hier an die Identifizierung von "Ordnung" und "Struktur" erinnert. Siehe dazu oben Fn. 71 zu § 6. Zur Ordnung durch Institutionen siehe Tenbruck, G&G, 212 f. 156 Siehe beispielsweise Gehlen, Urmensch und Spätkultur, 88 f. sowie eben da 42 und passim. 157 Siehe dazu Luhmann, RS, 68 f. 158 Der normative Aspekt von Institutionen wird in der Institutionentheorie Dta Weinbergers besonders betont. Siehe beispielsweise Dta Weinberger, Soziologie und normative Institutionentheorie, in: Recht und Institution (Helmut Schelsky-Gedächtnissymposion Münster 1985), hrsg., von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster, Berlin 1985, 33-58, hier 40 ff., besonders 41 f. 159 Während es reine "Sachinstitutionen" nicht gibt, existieren durchaus Institutionen, die primär oder sogar rein personaler Natur sind - etwa in Form des politischen Verbandes. Aber selbst hier lagert sich am personalen Sinn schnell auch sachlicher Sinn an. Die Differenzierung von personalen und sachlichen Aspekten von Institutionen korreliert nicht der Unterscheidung Haurious zwischen institutions personnes und institutions choses, zwischen Personen- und Sachinstitutionen.

§ 9: Gewohnheit und Institution

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treffen personale und sachliche Fragen - also sowohl solche des Zusammenlebens als auch solche des Zusammenwirkens (im weitesten Sinne) - aufeinander, was besonders an der Institution Recht deutlich wird. 160 Institutionen stellen daher Handlungsordnungen dar, welche der konkreten Bewältigung beider Arten von Problemen dienen. Den institutionellen Handlungsvorgaben kann sich der Einzelne nicht ohne weiteres entziehen. Denn als gemeinsamer Sinn stehen diese Vorgaben oder Orientierungsmuster dem Einzelnen objektiv und weitgehend unverfiigbar gegenüber - sie entwickeln eine Eigenlogik und eine Eigendynamik. 161 Indem man sich spezifischen Situationen nicht entzieht und in ihnen zu handeln unternimmt, setzt man sich von vornherein den Erwartungen der anderen Beteiligten aus. 162 Um nun überhaupt handeln und eigene Ziele, Absichten, Vorhaben verwirklichen zu können, muß der Einzelne diese Erwartungen fiir sein Handeln berücksichtigen, was - und genau dies ist ja die Leistung der Institution - ihm gewissermaßen selbstverständlich und automatisch gelingt, weil er selbst die Situation durch den Filter des gemeinsamen Sinns der Institution wahrnimmt. Somit werden Institutionen nicht per se als Zwang oder Fremdbestimmung empfunden, obgleich auch das unter gewissen Umständen der Fall sein kann. 163 Verknüpft man diese Befunde mit dem zur Existenz der Person ausgefiihrten, dann ergibt sich folgendes Resultat: Die sozialtheoretische Betrachtung läßt in den Prozessen der Ausbildung und Entfaltung der Person zwei Aspekte eines umfassenderen gesellschaftlichen Prozesses unterscheiden: Der Einzelne wird in einen ihm vorgegebenen und in diesem Sinne unverfiigbaren Sinn- und Handlungskosmos hineingeboren, der sich in sozialen Institutionen manifestiert. In der subjektiven Aneignung von deren Sinn in Form von Gewohnheiten im (lebenslangen) Sozialisationsprozeß wird er Bestandteil der sozialen Ordnung und Mitglied seiner Gesellschaft. Genau hier verlaufen lebensweltlich die beschriebenen Identitätsbildungsprozesse: Die Institutionen verkörpern (als Handlungsmuster) die organisierten Haltungen der Anderen, deren Übernahme durch Ego diesem sein me vermittelt. 164 Die übernommenen Haltungen der Anderen stellen also jenen "Stoff' seiner Identitätsbildung dar. Und eben durch die Reflexion hierauf gewinnt Ego sein self, seine Identität. 165 Vermittelt durch die Teilnahme an der im Sinnrah-

Zum Charakter des Rechts siehe unten § 25.1. Siehe dazu Berger / Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, 62 ff. 162 Siehe Luhmann, RS, 68. 163 Siehe eben da, 68 f. und Mead, GIG, 308 f. 164 Siehe beispielsweise Mead, GIG, 218. 165 Siehe oben 63 f. 160 161

6 Henkel

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

men der Institution verlaufenden Interaktion bildet sich der Einzelne so als einmalige und besondere Person aus: "Auf jeden Fall könnte es ohne gesellschaftliche Institutionen ... , ohne die organisierten gesellschaftlichen Haltungen und Tätigkeiten, durch welche gesellschaftliche Institutionen geschaffen werden, überhaupt keine wirklich reife Identität oder Persönlichkeit geben. Die in den allgemeinen gesellschaftlichen Lebensprozeß eingeschalteten Individuen, deren organisierte Manifestationen die gesellschaftlichen Institutionen sind. können nämlich nur insoweit eine wirklich ausgereifte Persönlichkeit entwickeln oder besitzen, als jedes von ihnen in seiner individuellen Erfahrung die organisierten gesellschaftlichen Handlungen oder Tätigkeiten spiegelt oder erfaßt, die die gesellschaftlichen Institutionen verkörpern oder repräsentieren."166

Der andere Aspekt des Prozesses besteht darin, daß der Einzelne durch Teilnahme am Leben seiner Gesellschaft auch wieder (und zwar vor allem auf unwillkürliche Weise) auf dieses zurückwirkt und es verändert, daß durch seine Praxis Institutionen, Mentalitäten und das Ordnungswissen "lebendig" und in Bewegung bleiben: Die Interaktionsprozesse generieren also sowohl personale Identität als auch soziale Realität, insbesondere die Lebenswelt.

§ 10: Der Frieden in der Lebenswelt Ist soziale Wirklichkeit nur erkennbar über eine Klärung und theoretische Rückführung lebensweltlicher Phänomene 167, so kann umgekehrt nach den lebensweltlichen Komplementärphänomenen sozialer Wirklichkeit gefragt werden. Das gilt auch für den Frieden der Person im Sinne der obigen sozialontologischen Begriffsbestimmung: Er gewinnt seine Gestalt in der Lebenswelt. Dies wird besonders deutlich für den Fall der Störung des Friedens, in welchem dessen Sein in der Negation (indirekt) erfahrbar wird. Aber neben dieser noch zu erörternden negativen Erscheinungsweise des sozialontologischen Phänomens in der Lebenswelt steht auch eine "positive", die sich über die theoretische Reflexion erschließt. Der sozialontologische Friedensbegriff bestimmt den Frieden der Person zunächst rein formal als nicht gestörte objektive, d.h. unwillkürliche Interaktion. Diese objektive Interaktion hat aber lebensweltlich sinnhaften Charakter. Bei der Betrachtung der lebensweltlichen Dimension des Friedens steht in Frage, wie eine Sinnordnung und eine dementsprechende Ordnung des Handeins entstehen. Das Fehlen einer sinnhaften Ordnung würde zum allgemeinen Nicht-

166 Mead, GIG, 309. Der Terminus "organisiert" weckt hier allerdings womöglich falsche Assoziationen und wäre besser durch "strukturiert" oder "geordnet" zu ersetzen. 167 Siehe dazu oben § 3.

§ 10: Der Frieden in der Lebenswelt

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Verstehen und damit zur Unmöglichkeit von auf Dauer gestellter Interaktion fuhren. 168 Vom sozialontologisch formalen Begriff des Friedens als der nicht gestörten objektiven Interaktion ausgehend, stellt sich so die Frage, wie in der Lebenswelt eine Ordnung gemeinsamen Sinns entsteht. Die Antwort auf diese Frage liegt in den oben entwickelten Zusammenhängen von Sinn, Mentalität, Institution und Gewohnheit: Der Bereich potentiell im 1 der Person aktualisierten Sinns objektiver Interaktion ist selbst schon geordnet: Seine Ordnung liegt in den Institutionen, den Gewohnheiten und den diesen zugrundeliegenden Mentalitäten einer Gesellschaft, die zugleich das willkürliche Handeln des Einzelnen orientieren, indem sie vorgeben, wie spezielle Probleme einer Interaktion zu bewältigen sind. Sofern der Einzelne auf diese Weise orientiert subjektiv interagiert und sich um die Lösung der in der Interaktion zu bewältigenden Aufgaben bemüht, trägt er zugleich zur Fülle der objektiven Interaktion bei. Damit aber leistet er unwillkürlich das seine zur Ausbildung seiner Person und der Person des je Anderen. Das aber heißt, daß die Ausbildung und Entfaltung der Person derjenigen der Gewohnheiten und Institutionen korreliert und eng mit diesen verwoben ist. Wird Interaktion derart orientiert ge fuhrt, verläuft sie friedlich, gleichgültig welches ihr spezielles Problem ist: Der Einzelne bleibt in seiner Existenz ungestört, findet sich - geleitet von seinen Gewohnheiten - in der Situation zurecht, kommt mit ihr klar und zieht seine Erfahrung aus ihr - und zwar, weil er weiß, wie zu handeln ist. Mit anderen Worten ermöglichen die der Mentalität entspringenden Gewohnheiten und Institutionen gelingende Interaktion in der Lebenswelt. Andererseits werden durch diese gelingende Interaktion Mentalität, Institutionen und Gewohnheiten wiederum ständig bestätigt, gestärkt und verändert. Damit aber wird auch zur Fülle, zur Differenzierung und zur Stabilisierung der Interaktion beigetragen. Auf diese Weise erfährt der stets schon gegebene Frieden unwillkürlich eine Vertiefung, da die Person sich an der Fülle des objektiven Sinns orientieren und sich auf ihn hin (im Sinne jenes Rekurrierens des 1 auf das me zur Bildung des se/j) entwerfen und ausbilden kann: Daher ist "die Vertiefung des Friedens unwillkürlicher Effekt gelungener Interaktion.'''69 In bezug auf das Verhältnis von Frieden als Wirklichkeitsphänomen und (demselben) Frieden in seiner lebensweltlichen Erscheinung bedeutet dies, daß

168 Tatsächlich existiert dieses Phänomen des Nicht-Verstehens ja im Falle psychopathologischer Erscheinungen. Unabhängig von der Frage nach deren physiologischen Ursachen ist allgemein festzuhalten, daß hiervon betroffene Personen in einer anderen Welt leben. Ohne dies hier weiterzuverfolgen, verdeutlicht der Hinweis doch, worauf es im vorliegenden Kontext (auch) ankommt: Nämlich zu erklären, warum das Unwahrscheinliche - nämlich das geordnete und friedliche Zusammenleben zahlloser Menschen, die gleichsam ihre eigene Welt im Kopf haben - doch der Normalfall ist. 169 Buchheim, Augustinus, 85.

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

Institutionen, Gewohnheiten und Mentalitäten das lebensweltliche Medium der ungestörten Existenz der Person als Person darstellen. Das heißt, daß sich der Frieden der Person lebensweltlich in den sozialen Institutionen sedimentiert und vertieft. Die sozialen Institutionen stellen den Frieden auf Dauer, stabilisieren und sichern ihn, über die Gewohnheiten wird er im Verhalten des Einzelnen insofern verwirklicht, als sie zum Gelingen der Interaktion beitragen und Störung des Friedens nicht entstehen lassen. Die Ungestörtheit des Friedens innerhalb einer Gesellschaft - und damit seine Vertiefung - hängt mithin von der Internalisierung von kulturell geprägten Verhaltensweisen ab. Damit ist allgemein formuliert, wie der lebensweltlich verborgene Frieden des Iiebensweitlich zum Ausdruck kommt. Der Zusammenhang ergibt sich innerhalb des interaktionistischen Paradigmas dadurch, daß die LebensweIt mit ihren sinnhaften Gehalten aus denselben Interaktionsverhältnissen heraus entsteht, welche auch den Frieden der Person konstituieren. Im Frieden spiegelt sich auf diese Weise die bereits betonte Tatsache wieder, daß "Individuum und Gesellschaft [grundsätzlich] als zwei Seiten des identischen Zusammenhangs und als ein innerer Realzusammenhang zu betrachten [sindl" 170 Mit dem Ausweis der Institutionen und Gewohnheiten als dem lebensweltlichen Sitz des Friedens ist erneut verständlich geworden, warum es so schwierig ist, des Inhalts des Friedens habhaft zu werden: Da man sich immer schon im Medium von dessen Selbstverständlichkeit bewegt und daher in der entsprechenden Mentalität befangen ist, wird man auch nicht der Tatsache gewahr, daß es gerade diese Selbstverständlichkeiten sind, welche den Frieden - in seinen lebensweltlichen Aspekten - ausmachen.

§ 11: Die zwei Aspekte der Kultur und der Begriff des Friedens An dieser Stelle ist nunmehr der bisher in einem unspezifischen Sinne gebrauchte Begriff der Kultur zu präzisieren. Dabei kann zunächst von einem allgemeineren Verständnis von Kultur ausgegangen werden. Senghaas beispielsweise bestimmt Kultur als "Gesamtheit der typischen Lebensformen einer Gesellschaft" 171 und lehnt sich dabei an gängige Definitionen an, die Kultur als "raum-zeitlich eingrenzbare Gesamtheit gemeinsamer materieller und ideeller Hervorhringungen, internalisierter Werte und Sinndeutungen sowie institutionalisierter Lebensformen von Menschen" 172 bestimmen. Tenbruck, G&G, 176. Senghaas, Kultur der Friedens, 6. 172 So statt vieler Hans Joachim Klein, Kultur, in: Schäfers (Hrsg.), Grundbegriffe der Soziologie. 174-176, hier 174. Siehe beispielsweise noch Michel Leiris, Rasse und 170 171

§ 11: Die zwei Aspekte der Kultur und der Begriff des Friedens

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Jan Assmann hebt in seinen Studien über Mensch und Gesellschaft im alten Agypten zwei Aspekte von Kultur hervor, die im antiken Ägypten in ihrer Ei-

genart besonders deutlich ausgeprägt waren, die aber in einem gewissen Sinne "zum Wesen der Kultur überhaupt zu gehören,,!73 scheinen und die tatsächlich von den allgemeinen Definitionen impliziert werden: Es sind dies die Aspekte des Selbstverständlichen und Unbewußten einerseits, des Anspruchsvollen und Bewußten andererseits. "In beiden Richtungen ist Kultur das Ergebnis gesellschaftlicher Produktion, d.h. eine Gesellschaft produziert ... Unbewußtheit, indem sie Bereiche und Entscheidungen in die Implizitheit und Unthematisierbarkeit des Selbstverständlichen abdrängt, und sie produziert Bewußtheit, indem sie das orientierende Wissen pflegt und verbreitet.,,174 Daß diese Unterscheidung das Phänomen adäquat trifft, zeigen solche engeren Bestimmungen des Kulturbegriffs, die jeweils nur auf einen der beiden Aspekte abheben. So bezeichnet einerseits der von Assmann zitierte Sozialpsychologe Peter R. Hofstätter Kultur als "die Summe der Selbstverständlichkeiten in einem Gesellschaftssystem"175, während andererseits Arnold Gehlen feststellt: "Die Kultur ist das Unwahrscheinliche, nämlich das Recht, die Gesittung, die Disziplin, die Hegemonie des Moralischen.,,176 Noch deutlicher wird dieser bewußte Charakter von Kultur bei Hermann Heller: Für ihn ist Kultur "Herrschaft und Gestaltung von Natur, Gesellschaft und Persönlichkeit... Wir beherrschen aber nur, was wir vernunftgesetzlich erkennen. Deshalb ist steigende Kultur in einer Richtung immer und notwendig steigende Rationalisierung aller Lebensbeziehungen, ein 'Prozeß der Umwandlung des Rassenmäßigen zum Reflektierten·... In dieser, wie in vielen anderen Hinsichten bedeutet steigende Kultur steigende Verselbständigung der Individuen, Persönlichkeitsgestaltung, erweiterte,

Zivilisation, in: ders., Die eigene und die fremde Kultur. Ethnologische Schriften Band I, hrsg. und mit einer Einleitung von Hans-Jürgen Heinrichs, Frankfurt am Main 1985, 72-118, hier 91. 173 Jan Assmann, Gebrauch und Gedächtnis. Die zwei Kulturen des pharaonischen Ägypten, in: ders., Stein und Zeit. Mensch und Gesellschaft im alten Ägypten, München 1991,16-31, hier 16. 174 Ebenda. 175 Peter R. Hofstätter, Einführung in die Sozialpsychologie, 5., durchgesehene und verbesserte Auflage Stuttgart 1973, 93. Die fundamentale Bedeutung des Selbstverständlichen für Individuum und Gesellschaft bringt Hofstätter in diesem Werk an zahlreichen Stellen zum Ausdruck. Seite 93 f. findet sich die Zurückweisung der begrifflichen Trennung von Kultur und Zivilisation; Seite 181 hebt Hofstätter in Anlehnung an C. S. Ford hervor, daß Kultur die Lösungen häufig wiederkehrender Probleme speichere; Seite 265 f. Bemerkungen zur an die Sprache gekoppelten Selbstverständlichkeit der eigenen Kultur. 176 Amold Gehlen, Das Bild des Menschen im Lichte der modernen Anthropologie, in: ders., Anthropologische und sozialpsychologische Untersuchungen, 55-68, hier 60.

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

wenn auch keineswegs immer vertiefte Herrschaft des bewußten menschlichen Verhaltens gegenüber den irrationalen gesellschaftlichen Verhältnissen." 177

Die bei den Aspekte der Kultur dürfen nun nicht als voneinander getrennt verstanden werden 178; vielmehr stehen sie in einem dialektischen Wechselverhältnis zueinander: Das bewußt Gepflegte kann zur unbewußten Selbstverständlichkeit hinabsinken ebenso wie umgekehrt eingespielte Selbstverständlichkeiten des Handeins und unreflektierte Elemente der Mentalität ins Licht des Bewußtseins gehoben und Gegenstand von Reflexion werden können. Die beiden Aspekte zeigen Kultur also in jeweils typischen Ausprägungen: Es gibt typisch unbewußte Bereiche der Kultur ebenso wie typisch bewußte. Greift man nun den Aspekt der unreflektierten Selbstverständlichkeiten heraus, so läßt sich Assmanns Behauptung der gesellschaftlichen Produktion dieses Kulturaspekts ohne weiteres interaktionstheoretisch klären: Mentalität, Gewohnheiten und Institutionen - unbewußte Elemente der Kultur - bilden sich in der Interaktion von Menschen unwillkürlich aus. Insofern der Frieden lebensweltlich in eben diesen sozialen Phänomenen existiert, ist er als kulturelles Phänomen zu kennzeichnen. Damit ist Senghaas' Konzept der Kultur des Friedens prinzipiell bestätigt, allerdings zunächst in einem Bereich, der bei Senghaas kaum zur Sprache kommt, nämlich im vorpolitischen Raum der partikularen InteraktionsverhäItnisse. Fokussiert man nur die unbewußte Seite der Kultur, so läßt sich die (kollektiv-) subjektive Dimension des zivilisatorischen Hexagons, die bei Senghaas zum einen in der konstruktiven Konfliktkultur, zum anderen in der Affektkontrolle beim Individuum zur Sprache kommt, jetzt genauer bestimmen: Die subjektive Seite der Kultur des Friedens liegt in der Mentalität - als kollektiver Subjektivität - und den Gewohnheiten des sozialen Miteinanders ganz allgemein (und nicht nur in bezug auf den Umgang mit Konflikten). Diese subjektiven sind um die ihnen entsprechenden vorpolitischen objektiven Phänomene zu ergänzen, also um die Institutionen, die im Wechselverhältnis mit den subjektiven Verhaltensweisen stehen. Die auf den Bereich des Staates bezogenen Faktoren des zivilisatorischen Hexagons sind der bewußten Seite der Kultur - und hier wiederum dem Bereich

177 Hermann Heller. Die politischen Ideenkreise der Gegenwart, in: ders., GS I, 267-412. hier 279. Siehe zum Hellerschen Kulturbegriff und dessen Zusammenhang mit Hellers Staatstheorie Gerhard Robbers, Hermann Heller: Staat und Kultur, BadenBaden 1983, besonders 92 ff. 178 Gerade die Tatsache jedoch, daß die beiden Aspekte im alten Ägypten ein sehr viel deutlicher als in anderen Gesellschaften unterschiedenes Eigenleben fiihrten, hat bei Assmann offenbar die Sensibilität fiir die Notwendigkeit der begrifflichen Unterscheidung geschärft.

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der Politik - zuzuordnen und daher vom bisher Erörterten noch nicht erfaßt. Sie werden im Kontext des Begriffs der politischen Kultur behandelt. 179 In bezug auf die Senghaasschen Vorstellungen bleibt noch bilanzierend festzuhalten: Aus der Tasache, daß der (lebensweltliche) Frieden ein kulturelles Phänomen ist, resultiert die Kulturrelativität des Friedens. Dieser hat dementsprechend historisch unterschiedliche Ausprägungen, Formen und Inhalte. Das bedeutet, daß auch (im Sinne der Eliasschen Theorie) "nicht-zivilisierte" Gesellschaften in Frieden leben und ihren Frieden haben. Dies ist der Fall, weil auch solche Gesellschaften ihre spezifischen Mentalitäten ausprägen und dementsprechende Gewohnheiten und Institutionen hervorbringen, in deren Rahmen sich die Menschen zu Personen ausbilden und die jene Orientierungen für das Gelingen des Zusammenlebens der Menschen zur Verfügung stellen, welche gelingende Interaktion ermöglichen, so daß auch dort Unfrieden der Ausnahmefall bleibt. Man kann also gewissermaßen von einer lebensweltlich-geschichtlichen Pluralität des Friedens sprechen: Die jeweilige gesellschaftliche Gestalt des Friedens, repräsentiert in Institutionen, Gewohnheiten und Mentalitäten, ist als lebensweltliches Komplementärphänomen eine je konkrete historische Variante des sozialontologisch bestimmten Friedens als das I der Person. Damit ist die Reichweite der Senghaasschen Theorie für den Bereich partikularer Interaktionsverhältnisse über den Geltungsbereich des neuzeitlichen Abendlandes hinaus ausgeweitet und universalisiert. Auf diese Weise können die Einsichten berücksichtigt werden, daß "die Menschheit ... soziologisch viel reicher [ist], als unser beschränkter Zivilisationshorizont ahnen läßt,,180 und daß die Natur des Menschen bei wechselnder kultureller Ausprägung gleichwohl gleichbleibt, ohne daß die Idee der Verknüpfung von Frieden und Kultur ihre Gültigkeit verlöre.

§ 12: Unfrieden Nachdem der Friedensbegriff für die innergesellschaftliche Ebene des Zusammenlebens sowohl in seiner sozialontologischen als auch in seiner lebensweltlichen Dimension begrifflich entwickelt ist, wird im folgenden der Problematik der Verletzung und Störung des Friedens nachgegangen. Dabei ist zunächst wiederum der Wirklichkeitsaspekt zu betrachten, der dann im Gang der Argumentation zur Ebene der Lebenswelt weiterführt. Siehe unten § 22. Wilhelm E. Mühlmann, Rassen, Ethnien, Kulturen. Modeme Ethnologie, Neuwied, Berlin 1964, 55. 179 180

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

Das spezifische theoretische Problem bei der Betrachtung der Verletzung und Störung des Friedens in seiner sozialontologischen Dimension besteht in der Tatsache, daß Frieden im interaktionistischen Sinne ein soziales Sein, ein Existenzial meint, das immer schon dort besteht, wo Menschen zusammen sind. Demnach ist Frieden als ungestörte objektive Interaktion ein Normalzustand des sozialen Lebens und fundamentale Bedingung der Möglichkeit rur jede hervorbringende, gestalterische, schöpferische, moralische oder emotionale Interaktion. In diesem Sinne ist der Frieden Grundlage allen Existierens des Menschen in Sozialität. 181 Wenn der Frieden also eine Seinsqualität menschlicher Personalität und der willkürlichen Disposition entzogen ist, so stellt sich die Frage, was man unter seiner Störung oder Verletzung zu verstehen hat. Die Erörterung dieser Frage muß auf die theoretischen Ausführungen zur Eigenart der Existenz der Person und zur objektiven Interaktion zurückgreifen: Ist Frieden die ungestörte Existenz des Menschen als Person bzw. die objektive Interaktion als Grundlage der personalen Existenz des Menschen, so besteht seine Verletzung oder Störung in der Verletzung oder Störung dieser Existenz bzw. dieser objektiven Interaktion. Dieses Phänomen ist als Unfrieden, dem spezifischen Gegensatz zum Frieden zu bezeichnen. Unfrieden entsteht, wenn ein Interaktionspartner sein Tun gegen die Personalität des Anderen richtet: "Er tut dies. indem er dem Betreffenden z.B. absichtlich Schaden zufligt. ihn kränkt, bloßstellt, mißhandelt etc.; er macht, was der andere erreicht hat, mit Absicht zunichte und zerstört, was dieser aufgebaut hat; er bringt den anderen in eine antinomisehe Situation, in der dieser schuldig werden muß, wie immer er sich auch entscheide." IS2 Unfriedliche Interaktion ist also diejenige Interaktion, die ihrem subjektiven Sinn nach entweder eine Negation des Anderen als Person intendiert oder das

intersubjektive Band der objektiven Interaktion zerstören will und vom Anderen so erfahren wird 183: Mit dem unfriedlichen Akt, der selbst Interaktion ist, wird der Andere deshalb getroffen, weil dieser als Person im Modus der Interaktion existiert und so in seiner Personalität von der objektiven Interaktion abhängig ist. Unfriedliche Interaktion negiert also die Gemeinsamkeit der Interaktionspartner als Personen durch das willentliche Versagen der Möglichkeit der Ausbildung und Bewährung des Anderen als Person,I84 ISI Er ist damit auch Grundlage und Bedingung sowohl eines inneren Friedens des Einzelnen mit sich selbst wie auch eines Friedens mit Gott. IS2 Buchheim, Augustinus, 80. IS3 Siehe ebenda, 81. IS4 Daß dies möglich ist, setzt natürlich nicht das Vorliegen des Personbegriffs in einer historischen Gesellschaft voraus.

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Man kann diese Art der Interaktion als feindschaftliehe Interaktion qualifizieren, sofern man unter Feindschaft die "seinsmäßige Negierung eines anderen Seins,,185 versteht. Seinsmäßige Negierung bedeutet - bezogen auf den im I der Person bestehenden Frieden - ein destruktives Abzielen auf den Personenkern des Anderen. 186 Solche Interaktion kann unterschiedliche Fonnen annehmen, von welchen Gewalt nur eine, allerdings besonders ausgezeichnete ist. In seinen Untersuchungen zum Zusammenhang von persönlicher Identität und Mißachtung beispielsweise unterscheidet Honneth drei Fonnen der - wie er es nennt "Mißachtung", nämlich Vergewaltigung (als allgemeinerer Begriff rur Gewaltanwendung), Entrechtung und Entwürdigung. 187 Charakteristisch fiir diese Formen des Handeins ist nach Honneth nicht, daß sie den Anderen in seiner Handlungsfreiheit beeinträchtigen oder ihm Schaden zurugen. Vielmehr ist mit ihnen "jener Aspekt des schädigenden Verhaltens gemeint, durch den Personen in einem positiven Verständnis ihrer selbst verletzt werden, welches sie auf intersubjektiven Wegen erworben haben.,,188 Das Gesagte erhellt, daß dem Unfrieden eine andere sozialontologische Qualität eignet als dem Frieden: Jener hat kein eigenes Sein, er ist vielmehr die 185 Schmitt, BP, 33. Der Feind in diesem Verhältnis ist inimucus, nicht hostis. Diese wichtige und später noch aufzugreifende begriffliche Unterscheidung ist alt. Schmitt verweist für den hostis-Begriff auf Digesten 50, 16, 118 (Pomponius) und zitiert aus Forcellinis Lexicon totius Latinitatis III, 320 und 511 (Schmitt, BP 29, Fn. 5): "Hostis is est cum quo publice bellum habeamus ... in quo ab inimico differt, qui est is, quocum habeamus privata odia. Distingui etiam sic possunt, ut inimicus sit qui nos odit; hostis qui oppugnat." Schmitt selbst interessiert sich hauptsächlich für den hostis. Daß dies oft übersehen wird, führt immer wieder zu Mißverständnissen bezüglich des berüchtigten Freund-Feind-Kriterium des Politischen. Zur Unterscheidung zwischen inimicus und hostis siehe Schmitt, BP, 29 f. und 102 ff. 186 Das Schädigen eines anderen ist also noch nicht schon per se Feindschaft. 187 Interessant dabei ist, daß die bei den letztgenannten Formen anders als die Gewalt historisch variabel sind. Das zielt auf die Kriterien ab, die innerhalb einer Kultur ein Handeln als destruktiv erkennen lassen. Siehe Honneth, Kampf um Anerkennung, 215 ff. 188 Honneth, Kampf um Anerkennung, 212. Honneth stellt seine Beobachtungen allerdings nicht sub specie pacis an. Die Einsichten seiner Studie (im vorliegenden Kontext insbesondere, 212-225) sind gleichwohl für das Verständnis des Unfriedens in mehrfacher Hinsicht fruchtbar zu machen, solange man sich der Schwächen der moraltheoretischen Perspektive des Autoren bewußt bleibt. Diese Perspektive versperrt ihm den Blick auf die sozialontologische Problematik seines Themas, obgleich seine tiefgründige Studie über weite Teile einen durchaus sozialontologischen Charakter hat. In seiner moraltheoretischen Perspektive mag der Grund liegen, daß Honneth das destruktive Wirken feindschaftlichen Handeins mit Meads Begriff des me anstatt mit jenem des I verknüpft. Denn im me bestehe die "Rückversicherung im Anderen", welche für das "normative Selbstbild eines jeden Menschen" notwendig sei (212). So richtig letzteres ist, so sehr verfehlt Honneth den Kern der Sache, indem er Meads Feststellung unberücksichtigt läßt, daß es das / ist, "womit wir uns identifizieren." (Mead, GIG, 218).

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Störung des Seins des Friedens. Während der Frieden sich von selbst und ganz unwillkürlich einstellt, wo Menschen interagieren, muß unfriedliche Interaktion bewußt und absichtsvoll verlaufen. Insofern liegt also der Unfrieden auf der Ebene der subjektiven Interaktion. Damit erweist sich das Verhältnis zwischen Frieden und Unfrieden als asymetrisch. Unter dem Aspekt des Unfriedens als subjektiver Interaktion kann man diesen auch als destruktiv geführte (subjektive) Interaktion bezeichnen. 189 Das hat verschiedene Konsequenzen: Zielt destruktiv gefiihrte Interaktion auch auf den Personenkern des Anderen, so gilt doch, daß der Angefeindete, sofern er schon eine Identität ausgebildet hat (also schon primär sozialisiert ist), in der weiteren Ausbildung und Entfaltung seiner Person nicht einmal durch diese destruktiv gefiihrte Interaktion gehindert ise 90 : Denn als Interaktion bleibt auch destruktiv gefiihrte Interaktion unwillkürliches Moment der Struktur der Existenz des Angefeindeten als Person - daher hat unfriedliche Interaktion einen paradoxen Charakter: Destruktiv gefiihrte Interaktion beschädigt als solche entgegen ihrer Absicht die Struktur der Person des Anderen noch nicht. Vielmehr desavouiert sie den Anderen, d.h. sie negiert das, was sie als Interaktion bewirkt (nämlich: zur Existenz Alters als Person beizutragen) "obgleich sie es bewirkt, ausdrücklich." 191 Hieraus wird leichter ersichtlich, warum Unfrieden bewußt und ausdrücklich vollzogen werden muß: Wenn dem Anderen als Person geschadet werden soll, deren besondere Identität in ihrem I besteht, sich das I aber unwillkürlich in jeglicher Interaktion ausbildet und entfaltet, so muß unfriedliche Interaktion, will sie sich überhaupt eine Chance ihrer Wirksamkeit eröffnen, die Absicht der

189 Es ist hier jedoch wichtig zu beachten, daß der Begriff der destruktiv geführten subjektiven Interaktion das Phänomen nur auf der Ebene der Lebenswelt faßt und daher in bezug auf die Wirklichkeitsdimension des Friedens ungenau ist. (Siehe auch Buchheim, Augustinus, 8\). 190 Siehe Buchheim, Augustinus, 80 f. 191 Ebenda, 80; dort auch Fn. 18 zur besonderen Angemessenheit des Ausdrucks "desavouieren" für das Gemeinte: desavoieren bezeichnet "in unserem Sprachgebrauch ein Verhalten ... , das sich für den Betroffenen destruktiv auswirkt, ohne daß ihm aktiv etwas zuleide getan würde. Jemanden desavouieren heißt, ihm die Dignität entziehen, ihm die Glaub- und Vertrauenswürdigkeit nehmen." Gerade an diesem Punkt erweist sich übrigens, daß die oben angestellte Vermutung einer Parallelität des hier vorgestellten Identitätskonzeptes und der Unterscheidung von subjektiver und objektiver Interaktion mit Luhmannschen Vorstellungen als fruchtbar. Da es nach Luhmann "keinen unmittelbaren Kontakt zwischen verschiedenen Bewußtseinssystemen [gibt]" (Die Autopoiesis des Bewußtseins, in: Luhmann, Soziologische Aufklärung 6, 55-112, hier 58), können diese sich auch nicht als Bewußtseinssysteme unmittelbar destruieren.

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Destruktion mitkommunizieren. Eine solche Negation anderen Seins kann aber nur durch Ausdrücklichkeit geschehen. 192 Die Desavoierung wird ungeachtet ihrer objektiven Wirkung, subjektiv schmerzlich erfahren und fordert den Betroffenen zu einem ausdrücklichen Sichverhalten heraus. Die Auswirkung des Unfriedens auf die personale Existenz des Betroffenen bemißt sich nach der Weise, wie dieser auf die Erfahrung des Unfriedens reagiert. Dies aber jst eine Frage der jeweiligen Persönlichkeit: Auch in Feindschaft und Negation bleibt die Möglichkeit rur den Angefeindeten, sich als Person zu bewähren. 193 Das heißt, daß derjenige, gegen den sich die destruktive Interaktion richtet, in seiner Reaktion auf die Anfeindung auf sich selbst reflektieren und gerade in Auseinandersetzung mit der Anfeindung sein Selbst gestalten und verwirklichen kann. Insofern beinhaltet die Möglichkeit ausdrücklicher Selbstgestaltung auch diejenige, Feindschaft gleichsam stoisch leerlaufen zu lassen. Andererseits kann der Betroffene auch dem in der Desavouierung erfahrenen Schmerz nachgeben. Damit erreicht die destruktiv geruhrte Interaktion tatsächlich über die Reaktion des Betroffenen, was ihr als solcher nicht gelingt: Nämlich daß dessen Personalität tatsächlich in Mitleidenschaft gezogen wird. Die aufgezeigte Möglichkeit bewußter persönlicher Bewährung in der Feindschaft setzt eine Identität und ein Selbstbewußtsein schon voraus. Sind diese nicht vorhanden, so kommt die potentiell destruktive Wirkung der Feindschaft zur vollen Entfaltung. Was Feindschaft im schlimmsten Falle bewirken kann, ist daher besonders deutlich bei Kindern zu sehen. Ein hierrur anschauliches Beispiel ist der Fall des fast l4jährigen Mädchens Genie, die von ihrem Vater seit ihrem Alter von 20 Monaten in einem Zimmer eingesperrt und ohne Kontakt zur Außenwelt gefangengehalten wurde. 194 "Sie 192 Dieser Punkt scheint für Mißverständnisse besonders empfänglich zu sein. Gewiß gibt es Situationen, in welchen sich eine Person durch das Handeln des anderen zutiefst gekränkt fühlt, ohne daß eine feindselige Absicht vorlag. Ein solches Interaktionsverhältnis ist nicht Unfrieden, sondern ein Mißverständnis oder Narzismus etc., gehört also eher in das Feld kognitiver Dissonanzen oder gar der Pathologie. Die Destruktion muß sich als solche erkennbar machen und auch als solche verstanden werden. Deshalb ist auch ein Voodoo-Fluch, mit dem eine räumlich entfernte Person z.B. getötet werden soll, keine destruktive Interaktion. Eine Verfluchung in der face-to-face-Situation hingegen kann destruktiven Charakters sein. 193 Dies wurde etwa von Karl Jaspers herausgearbeitet. In seinem Werk über die Psychologie der Weltanschauungen behandelt Jaspers zwar nicht explizit die Situation der Feindschaft, zeigt aber anhand anderer Situationen menschlichen Leidens, daß der Einzelne aus diesen Kraft gewinnen und als Person gestärkt aus ihnen hervorgehen kann. Siehe Karl Jaspers, Psychologie der Weltanschauungen (1919), München 1985, 247 ff. und 241 ff. 194 Dieser Fall wird mit Hinweisen auf weitere Literatur dargestellt von John C. Eccles, Das Rätsel Mensch. Die Evolution des Menschen und die Funktion des Gehirns,

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wurde bestraft, wenn sie irgendein Geräusch machte, und niemals sprach jemand mit ihr.,,195 Genie wurde also nicht nur einfach vernachlässigt, sondern unmenschlich in dem Sinne behandelt, daß ihr Vater ihr die Möglichkeit der Entfaltung zur selbständigen Person verweigerte, indem er ihr menschliche Interaktion vorenthielt bzw. die Interaktion, wenn er sie fiihrte, feindschaftlich fiihrte. 196 An diesem Beispiel wird auch besonders deutlich, daß destruktiv gefiihrte Interaktion, will sie Wirkung entfalten, immer wieder neu gewollt sein und immer wieder neu begonnen werden muß, ohne daß er dabei immer, wie oben mit Honneth schon ausgewiesen wurde, die Gestalt von Extremfällen annähme: Alltäglichere Beispiele von Unfrieden bestehen, wo der Andere in den Grundlagen seines Selbstverständnisses, seines So-Seins bewußt bloßgestellt und abgelehnt wird, in der bewußt eingenommenen Gleichgültigkeit gegenüber dem Anderen, in dessen Beleidigung oder in seiner ausdrücklichen Verachtung. Wenn davon gesprochen wurde, daß der Frieden lebensweltlich ein verborgenes Phänomen ist, so ergibt sich aus dem Charakter des Unfriedens, daß dieser lebensweltlich nicht verborgen bleibt: Der Ort des Unfriedens ist die Lebenswelt. Sein bewußter und ausdrücklicher Charakter macht ihn in der Lebenswelt unmittelbar erfahrbar und bringt damit auch den Frieden als dasjenige, dessen aktuelles Fehlen schmerzlich erfahren wird, zu Bewußtsein 197: "Die Ausdrücklichkeit der Desavouierung ... bringt dem Betroffenen zum Bewußtsein, was normalerweise ungewußt bleibt: daß die objektive Interaktion die 'Grundlage seines Existierens' als Person bzw. die Struktur seines Lebens als personales Wesen ist. Und zwar geschieht das Bewußtwerden indirekt in der negativen Weise, daß sich die Grundlage als in Frage gestellte und bedrohte erweist. Im Schmerz, dem ihm das bereitet, wird der Betroffene dieser Grundlage gewahr, und er erfahrt auf diese Weise den Frieden als entbehrtes GUt.,,198

München 1989, 137 ff. Siehe ausfiihrlich Susan Curtiss, Genie: A Psycholinguistic Study ofa Modern-Day "Wild-Child", New York 1977. 195 Eccles, Rätsel Mensch, 137. 196 Eccles stellt fest, daß es beim fast völligen Entzug kultureller Teilhabe "wie es beim Mädchen Genie geschah, ... nicht [gelingt], sich zu einem Menschen mit Eigenpersönlichkeit zu entwickeln." (John C. Eccles, Interaktion von Gehirn und Geist, in: ders. / Hans Zeier, Gehirn und Geist. Biologische Erkenntnisse über Vorgeschichte, Wesen und Zukunft des Menschen, Frankfurt am Main 1984, 125-194, hier 184). Genies Menschenleben habe erst nach ihrer Entdeckung und Befreiung begonnen und sie habe erst nach Jahren der Zuwendung "ein menschliches Selbst mit einem ansehnlichen Spielraum an Gefiihlen und Fertigkeiten" entwickelt. (Siehe Eccles, Rätsel Mensch, 138 und 140 - dort das Zitat). 197 Wenngleich dieses Fehlende von den je Betroffenen nicht unbedingt terminologisch als Frieden identifiziert wird. 198 Buchheim, Augustinus, 81.

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Hier wird wiederum deutlich, daß der Unfrieden immer nur partiell sein kann. Die Identität bleibt auch im Unfrieden existent und kann sich - wie gezeigt - in ihm sogar bewähren. Aber selbst, wo der Unfrieden sein Ziel erreicht, ist er nicht total, insofern er noch als Unfrieden erfahren und erlebt, also von der intakten Identität als das Nicht-Intakte, als die Störung der Ruhe erfahren wird. Unfrieden vermag die Identität zwar zu negieren, nicht aber sie aufzuheben, es sei denn durch Tötung des Betroffenen. Der Tod ist aber in diesem Sinne ein Grenzfall: er wäre zwar der totale Unfrieden, aber im Augenblick des Erfolgs auch das Ende der Interaktionsbeziehung, mithin also auch das Ende des Unfriedens selbst. Durch die Erfahrung der gestörten Ordnung durch Unfrieden erscheint der Frieden der Person, vermittelt über das Bewußtsein, lebensweltlich als ein Wert an sich. Damit ist wieder die Asymmetrie von Unfrieden und Frieden thematisiert, die nun auch in bezug auf das Problem des Friedens als Wert ausgewertet werden kann: Ist der Frieden in seiner Wirklichkeitsdimension ein Modus des personalen Seins, so ist er an sich kein Wert. Indem aber seine Störung lebensweltlich bewußt erfahren wird, erscheint er selbst dem Bewußtsein als ein Wert an sich. So ist die Werthaftigkeit des Friedens analog derjenigen der Gesundheit, die im Alltag nicht bewußt ist und erst durch die Erfahrung der Krankheit als ein Gut erkannt wird. Ist der Frieden lebensweltlich in Institutionen und Gewohnheiten verankert, so kann nach den Folgen destruktiver Interaktionfür diese gefragt werden. Destruktive Interaktion wirkt nicht unmittelbar zerstörerisch auf soziale Institutionen, da sie (i.) immer konkrete Feindschaft in bezug auf Personen ist und (ii.) Institutionen objektiven Charakter haben. Deshalb wirken sich einzelne destruktive Interaktionsakte nicht unmittelbar auf den Interaktionszusammenhang, den Institutionen darstellen, aus. Mithin ist Unfrieden vom Standpunkt des Kollektivs aus betrachtet ein partielles Phänomen, eine Verletzung (nicht aber eine Beseitigung) des in den Institutionen sedimentierten Friedens, die geheilt werden kann - und in der Regel geheilt wird. Denn erstens trifft eine unfriedliche Handlung nicht Gewohnheiten oder Dispositionen, die als solche vom einzelnen Akt des Unfriedens nicht berührt werden. Zweitens vollzieht sich auch ein Akt unfriedlicher Interaktion im Kontext einer Vielzahl von Institutionen und Gewohnheiten, die jenseits des partikularen Unfriedens das Handeln auch der direkt Beteiligten disponieren. So bleibt der Unfrieden gesellschaftlich gesehen gewissermaßen in den Frieden "eingebettet", die lebensweltliche Friedensordnung der Gesellschaft bleibt trotz partieller Störungen intakt. Der Akt des Unfriedens vollzieht sich in der Normalität des Friedens und stört ihn nur partiell. Die "Einbettung" des Unfriedens in den Frieden bedeutet so nicht nur die Möglichkeit, den partiell gestörten Frieden wiederherzustellen. Vielmehr erklärt

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sich von ihr aus auch die Normalität des Friedens: Destruktive Interaktion muß stets vor der Wirksamkeit der in Gewohnheiten und Institutionen tief sedimentierten Formen gelingender Interaktion vollzogen werden. Diese sind aber als ins Unbewßt-Selbstverständliche abgesunkene Elemente der Kultur von großer Persistenz und Beharrungskraft gegenüber Feindschaft. Allerdings ist hier die Dauer des Unfriedens in Rechnung zu stellen: Eine Ehe beispielsweise ist normalerweise nicht durch einmaligen Unfrieden zerstört. Aber sie ist erschüttert. Erst der fortgesetzte Unfrieden zerstört die Beziehung durch die Zerstörung des gemeinsamen Wir, die wiederum vermittelt ist durch das Desavoieren der Person(en). Aus der Perspektive der Gesellschaft betrachtet ist natürlich auch da, wo eine konkrete Ehe zerstört wurde, deshalb noch nicht die gesellschaftliche Institution der Ehe in Frage gestellt. Dieses Beispiel verdeutlicht einerseits, daß auch destruktive Praxis normative Kraft entfalten kann. Andererseits zeigt es aber, daß der Unfrieden zu seiner Wirksamkeit unvergleichlich mehr des bewußten Engagements bedarf, um sich gegenüber der Persistenz des selbstverständlich eingelebten Friedens durchzusetzen.

§ 13: Unfrieden und Konflikt Die vorstehende Charakterisierung des Unfriedens legt es nahe, zwischen Konflikt und Unfrieden zu unterscheiden. In der Tat besteht zwischen beiden ein qualitativer Unterschied: Konflikte sind Auseinandersetzungen um Inhalte, um Interessen, Absichten und Belange von Personen. Weil jede Person solche verfolgt und sich selbst gerade in der Verfolgung und Erreichung ihrer Interessen, Absichten und Belange ausbildet und verwirklicht l99 , sind Konflikte ein unvermeidbarer Bestandteil menschlicher Sozialität, da im sozialen Leben immer wieder unterschiedliche Interessen, Absichten und Belange aufeinandertreffen. Folglich muß man von der Konflikthaftigkeit menschlicher Existenz sprechen. 2oo Die Quelle von Konflikten liegt in der Möglichkeit des Menschen, Nein sagen zu können, d.h. in dessen Fähigkeit zur Negation. 201 Informationen, BeSiehe dazu Honneth, Kampf um Anerkennung, passim. Daß der Konflikt dementsprechend zur Kultur gehört und insofern integrativen Charakter hat, ist heute in Konfliktsoziologie und Kulturwissenschaften wohl communis opinio. Deutlich hat Georg Simmel den Konflikt als integratives Prinzip herausgearbeitet. (Siehe Georg Simmel, Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung (1908), 6. Auflage Berlin 1983, darin das Kapitel Der Streit, 186-255). 201 Da diese Möglichkeit in allen sozialen Situationen präsent ist (so Luhmann, Konflikt und Recht, in: ders., AdR, 92-112, hier 99), kann man auch von daher von der konflikthaften Existenz des Menschen sprechen, selbst wenn nicht alle Negationen da199

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§ 13: Unfrieden und Konflikt

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hauptungen, Anspruche und eben auch: Erwartungen können vom Anderen bezweifelt oder negiert werden. 202 Der Konflikt gewinnt soziale Existenz, sobald der Zweifel bzw. die Negation kommuniziert werden 203 : Derjenige, dem gegenüber die Negation kommuniziert wird, muß hierauf reagieren. In der konflikthaften Interaktion tritt aller sachliche Sinn gegenüber persönlichem Sinn in den Hintergrund: Die Grunde der Meinungsverschiedenheit oder der Gegnerschaft bilden nun den Gegenstand der Interaktion, der Konflikt gewinnt seine Eigendynamik, die sich unter anderem darin äußert, daß nunmehr verschiedene inhaltliche Themen in den Konflikt hineinassoziiert werden können. Das liegt an der Verknüpfung von inhaltlichem mit persönlichem Sinn: Der Stoff des Konflikts betrifft stets inhaltlichen Sinn, wird aber erst zum Konflikt, wenn dieser inhaltliche Sinn auf die jeweilige Person bezogen ist, also zu persönlichem Sinn hinzukommt und der Person (als ihr "Standpunkt") "zugerechnet" wird. Jeder Konflikt impliziert als spezifische Form von Interaktion schon eine Anerkennung des Anderen als Person, und findet insoweit im Medium des Friedens statt. Von dort her enthält der Konflikt auch von vornherein die Möglichkeit des Ausgleichs und des Kompromisses, welche wesentlich zum Konfliktbegriff gehören. 204 Die Möglichkeit des Kompromisses erwächst dem persönlichen Element der Konfliktbeziehung: Die Personen können ihre Absichten, Interessen, Vorstellungen und Ansichten im Laufe der Interaktion modifizieren. Da dies rur die Beteiligten wechselseitig gilt, liegt hierin die Möglichkeit des Kompromisses. Konflikte sind immer Konflikte um etwas, haben also eine Sache im weitesten Sinne - also Interessen, Werte, Ziele, Meinungen, Anspruche etc. - zum Gegenstand. Insofern es aber stets um Inhalte geht, meinen Konflikte nicht das Sosein des jeweils Anderen, ihre Inhalte sind Interessen, Werte, Ziele, Meinungen, Anspruche etc.: Ein Konflikt als solcher desavouiert niemals die Ausbildurch sozial aktualisiert werden, daß man sie zum Ausdruck bringt, der Konflikt also latent bleibt. 202 Natülich kann ein Konflikt schon durch ein bloßes Nebeneinander in dem Sinne auftreten, daß Alter gerade den (räumlichen) Platz einnimmt, den Ego einnehmen will. Dadurch entsteht ein Zwangsverhältnis, das zum Gegenstand eines Konflikts werden kann. 203 Siehe dazu in systemtheoretischer Terminologie Luhmann, Konflikt und Recht, 99 ff. 204 Insofern ist es problematisch, den Konfliktbegriff mittels "Unvereinbarkeit" zu bestimmen. (Siehe so etwa statt vieler Zsijkovits, Der Friede als Wert, 55). Angemessener ist die Auffassung, Konflikt "as a kind of contest" anzusehen. (Thomas C. Schelling, The Strategy of Conflict (1960), with a new preface by the author, Cambridge, London 1980,3).

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

dung des Anderen als Person. Genau letzteres aber ist, wie oben gezeigt, das Ziel destruktiv geführter Interaktion: Indem sie die Personalität des Anderen angreift, geht es gar nicht mehr um diesen oder jenen strittigen Inhalt. Es geht vielmehr darum, dem Anderen als Person, d.h. in seinem Sosein zu schaden. Konflikt und Unfrieden sind also kategorial zu unterscheidende Phänomene. 2os Nun kann aber ein Konflikt auf zwei unterschiedliche Arten und Weisen ausgetragen werden: Entweder friedlich oder aber unfriedlich. Wird der Konflikt unfriedlich ausgetragen, so wird der Konflikt(stoff) zwar zum Anlaß destruktiv geführter Interaktion, der Konflikt als solcher aber tritt gegenüber der destruktiven Interaktion zurück und wird sekundär: Ein Interaktionsverhältnis wird "transformiert", wenn es vom friedlichen Konflikt in einen unfriedlichen umschlägt: Nicht mehr daß der Andere ein widerstreitendes Interesse verfolgt, sondern daß es dieser bestimmte Andere ist, mit dem man sich streitet, wird nun Gegenstand der Interaktion. 206 So sind zwei unterschiedliche Elemente unfriedlicher Konfliktaustragung zu unterscheiden: Einmal der Gegenstand des Konfliktes selbst und sodann die Art und Weise von dessen Austragung. Da die beiden Phänomene gewissermaßen auf unterschiedlichen Ebenen liegen, können sie auch unabhängig voneinander von den Beteiligten behandelt werden. Das heißt: Man kann einerseits die Destruktivität der Interaktion beseitigen, ohne damit auch den Konflikt schon zu lösen, andererseits kann man den Konflikt lösen, ohne daß damit auch die destruktive Interaktion schon be endet wäre: Die Feindschaft kann auch ohne Konflikt weiterbestehen und sich sozusagen eines Konfliktes nur als eines willkommenen Anlasses bedienen. Vor diesem Hintergrund ist es daher immer schon ein Gewinn, wenn es gelingt, eine Feindschaft bzw. den Unfrieden als Konflikt darzustellen. Es gilt in diesem Kontext zu beachten, daß Unfrieden nicht unbedingt des Konfliktes als seines Anlasses bedarf. Feindschaft als eigenständiges Phänomen kann auch beispielsweise einfach tradiert worden sein: Man kann etwas "gegen den anderen haben", auch ohne konkreten inhaltlichen Anlaß, auch wenn ein solcher vielleicht einst den Ausschlag rur das feindselige Verhältnis gab. Nun geht es nur noch darum, die Feindschaft zu pflegen und dem Anderen als Person zu schaden, wo immer man kann, durch Beleidigung, durch Ignorieren, durch zur Schau gestellten Haß und sonstige Gemeinheiten, die den Anderen als solchen treffen sollen. 205 Wenn daher beispielsweise Galtung den Konflikt als das Gegenteil des Friedens bezeichnet, greift dies theoretisch zu kurz. Siehe Johan Galtung, Theorien des Friedens, in: Senghaas (Hrsg.), Kritische Friedensforschung, 235-246, hier 235. 206 Siehe dazu Buchheim, Augustinus, 88 und zur Eskalationslogik von Konflikten Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren (1969), 2. Auflage Frankfurt am Main 1989,101.

§ 14: Unfrieden, Macht, Gewalt und Zwang

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In der Lebenswelt stehen psychologisch gesehen die sozialtheoretisch zu trennenden Phänomene Konflikt und Unfrieden oft in einem untrennbaren Zusammenhang: So können beispielsweise fortwährende Niederlagen auch bei friedlich ausgetragenen Konflikten 207 die Bereitschaft zu destruktiv geführtem Handeln dadurch steigern, daß sie dem Betreffenden beständig Entfaltungsmöglichkeiten entziehen und somit - im Sinne der nonnativen Kraft des Faktischen - seinen Selbst-Entwurf und sein Selbstverständnis (partiell) in Frage stellen. Damit gewinnt dieses Phänomen eine existentielle Bedeutung: Die Infragestellung des Selbstverständnisses der Person kann - bei mangelnden Kompensationsmöglichkeiten - Feindschaft produzieren. 2os Mit anderen Worten: Fortwährende Konfliktniederlagen können vom Einzelnen als Feindseligkeit gegenüber der Person Egos (nicht bloß als Gegnerschaft in Konflikten) interpretiert werden und so zu einer feindseligen Haltung oder Aggression ihrerseits führen. Diese Zusammenhänge verweisen auf die Möglichkeit, daß Menschen einander auch ohne Absicht schaden können, was man auch als strukturelle Verursachung von Unfrieden (nicht aber als strukturellen Unfrieden) bezeichnen könnte. Solche Phänomene, die den Unfrieden psychologisch begünstigen können, sind jedoch erstens vom Unfrieden selbst zu unterscheiden. 209 Zweitens aber stehen auch sie im Kontext der Resistenz und Tiefe der Kultur des Friedens, bleiben daher gewissennaßen pathologisch.

§ 14: Unfrieden, Macht, Gewalt und Zwang Wenn hier als charakteristischer Gegenbegriff zum Frieden derjenige des Unfriedens ausgezeichnet wurde, so bleibt nunmehr zu erläutern, in welchem Verhältnis die Gewalt zum Frieden steht. Dies ist nicht nur deswegen notwendig, weil in der Friedensforschung üblicherweise Gewalt als der Gegenbegriff zum Frieden verstanden wird und sich eine theoretische Arbeit zum Friedensbegriff schon von daher mit der Thematik auseinanderzusetzten hat. Die Klärung des Verhältnisses von Gewalt und Frieden (bzw. Unfrieden) erfolgt vielmehr auch im Hinblick auf die Erörterung des Zusammenhangs von Recht und Frieden sowie im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit Galtung. 207 Die Möglichkeit auch fortgesetzter faktischer Niederlagen in Konflikten widerspricht natürlich keineswegs dem Begriff des Konflikts, für den, wie gezeigt die Möglichkeit des Kompromisses und des Ausgleichs konstitutiv ist. 208 Einen solchen Zusammenhang zwischen dem Selbstverständnis der Person und feindseligem Handeln deutet beispielsweise Gof/man, Interaktionsrituale, 18, an. Auf die (psychologische) Problematik der Ursachen von Unfrieden kann hier nicht vertiefend eingegangen werden. 209 Siehe auch Fn. 192 oben: Daß jemand einen Vorgang als destruktiv interpretiert, heißt nicht, daß sozialontologisch tatsächlich Destruktion vorliegt.

7 Henkel

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

Die Notwendigkeit einer Klärung der im Umfeld des Gewaltbegriffs stehenden Begriffe der Macht und des Zwangs ergibt sich unmittelbar aus diesem Kontext, da die theoretische Diskussion dieser Phänomene nach wie vor unter einem Mangel an Differenzierung leidet. Dieser Mangel wird im deutschen Sprachraum schon durch die terminologischen Gegebenheiten begünstigt: Ebenso wie die lateinische weist die englische Sprache bezüglich der hier zu erörternden Begriffe ein Unterscheidungsvermögen auf, das der deutschen Sprache fremd ist: Das Englische differenziert zwischen violence, force und power, was ziemlich genau den Begriffen violentia, vis und potestas entspricht. Im Deutschen hingegen werden alle diese Ausdrücke meist mit "Gewalt" wiedergegeben. 2lO Damit werden unterschiedliche Phänomene mit einem Wort bezeichnet, wodurch Unklarheiten auch im Verständnis der Begriffe fast unvermeidlich sind. Der hier zu explizierende Gewaltbegriff entspricht dem lateinischen violentia-Begriff und ist im folgenden von anderen Phänomenen zu differenzieren. Als genereller Ausgangspunkt dient hier Hannah Arendts grundsätzliche Unterscheidung zwischen den Phänomenen der Macht und der Gewale 11 : "Zwischen Macht und Gewalt gibt es keine quantitativen oder qualitativen Übergänge; man kann weder die Macht aus der Gewalt noch die Gewalt aus der Macht ableiten, weder die Macht als den sanften Modus der Gewalt noch die Gewalt als die eklatanteste Manifestation der Macht verstehen. ,,212

Macht ist - ebenfalls im Anschluß an Arendt - als ein Potential213 aufzufassen, genauer genommen als ein sozial vermitteltes Potential, etwas sozial zu bewirken: 210 Zum sprachlichen Befund siehe Ulrich Matz, Politik und Gewalt. Zur Theorie des demokratischen Verfassungsstaates und der Revolution, Freiburg, München 1975, 49 f. und ders., Gewalt, in: StL, Band 2, Sp. 10 18-1023, hier Sp. 1018 zur Differenzierung der Phänomene Macht und Gewalt sowie zum sprachlichen Befund. Zur verworrenen Geschichte des Gewaltbegriffs im Recht siehe Jochen Hofmann, Anmerkungen zur begriffsgeschichtlichen Entwicklung des Gewaltbegriffs, in: Alfred Schöpf (Hrsg.), Aggression und Gewalt. Anthropologisch-sozialwissenschaftliche Beiträge (Studien zur Anthropologie, hrsg. von Alfred Schöpf, Band 9) Würzburg 1985, 259-272. 211 Zu den Defiziten einer mangelnden Unterscheidung dieser Phänomene und zu Arendts eigener Bestimmung von Macht und Gewalt siehe Arendt, M&G, passim, insbes.36-58. 212 Arendt, M&G, 58. Siehe auch Matz, Politik und Gewalt, 49. Klar differenziert zwischen Gewalt, Macht, Zwang, Autorität und Herrschaft auch der - im übrigen ambivalent zu beurteilende - Aufsatz von Wilhelm Sacher, Ist Gewaltlosigkeit in der Politik realisierbar? Politikwissenschaftliche Überlegungen zur Irenologie, in: Hans Hablitzel/ Michael Wollenschläger (Hrsg.). Recht und Staat. Festschrift für Günther Küchenhoff zum 65. Geburtstag am 21.8.1972, zweiter Halbband, Berlin 1972,963-983, hier 967 f. 2IJ Zu Recht verweist Arendt auf den lateinischen Ausdruck für "Macht": potentia. (Hannah Arendt. Vita activa oder Vom tätigen Leben (1958), 5. Auflage München 1987, 194).

§ 14: Unfrieden, Macht, Gewalt und Zwang

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"Macht entspricht der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen

zu handeln.,,214

Das heißt, daß eine Person im sozialen Kontext dann über Macht verfugt, wenn sie zu ihrem Handeln die - explizite oder implizite - Zustimmung anderer Personen erhält. 215 Demnach ist Macht "immer ein Machtpotential, und nicht etwas Unveränderliches, Meßbares, Verläßliches wie Kraft oder Stärke. Stärke ist, was ein jeder Mensch von Natur in gewissem Ausmaße besitzt und wirklich sein eigen nennen kann; Macht aber besitzt eigentlich niemand, sie entsteht zwischen Menschen, wenn sie zusammen handeln, und sie verschwindet, sobald sie sich wieder zerstreuen.,,216

Obgleich sie sich stabilisieren und der Stärke (im Sinne Arendts) ähnlich werden kann, hat Macht originär einen fluenten Charakter. Denn da das Potential, welches Macht ist, von anderen positiv bedingt ist, also von deren Einstellung und Verhalten abhängt2\?, (ver)schwindet sie, wenn die anderen, die einer Person deren Macht vermitteln, ihre - unwillkürliche oder ausdrückliche - Zustimmung entziehen oder versagen. 218 Dementsprechend trifft Elias' Feststellung zu, daß "Macht eine Struktureigenrumlichkeit menschlicher Beziehungen -

214 Arendt, M&G, 45 (Hervorhebung hinzugefügt). 215 "Alle Macht beruht auf der, willigen oder widerwilligen, Anerkennung der Machtunterworfenen." (Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie (1932; dies ist die 3., ganz neu bearbeitete und stark vermehrte Auflage der Grundzüge der Rechtsphilosophie von 1914), zitiert nach der Gesamtausgabe, hrsg. von Arthur Kaufmann, Band 2, Rechtsphilosophie II, Heidelberg 1993, 206-450, hier 311). Diese Bestimmung gilt für handelnde Subjekte generell, also auch für künstliche, nicht-personale Subjekte, etwa juristische Personen. 216 Arendt, Vita activa, 194, siehe auch ebenda, 240. Arendts Machtbegriff stimmt mit demjenigen von Thomas Hobbes überein: Macht und Stärke bei Arendt entsprechen dem, was Hobbes "zweckdienliche" bzw. "natürliche" Macht nennt. (Siehe Hobbes, Leviathan, 10. Kapitel (66-74), hier insbes. 66). Stärke meint dabei insbesondere körperliche Kraft, aber auch, wie Hobbes ausführt, "Schönheit, Klugheit, Geschicklichkeit, Beredsamkeit, Freigebigkeit und Vornehmheit." (Leviathan, 66). 217 Siehe dazu auch Hans Buchheim, Die Ethik der Macht, in: ders., Beiträge zur Ontologie der Politik, 61-72, hier insbes. 63 f. 218 Die vielzitierte voluntaristische Machtdefinition von Max Weber (siehe Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie (1922),5., revidierte Auflage, besorgt von Johannes Winckelmann, 1972, Studienausgabe Tübingen 1980, 28: "Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht") charakterisiert Macht weniger als ein sozial vermitteltes Potential denn als Stärke und zeichnet daher als typisch aus, was eigentlich ein Grenzfall ist, nämlich die stabilisierte Macht. Dies gilt erst recht für Webers Herrschaftsdefinition. Macht und Herrschaft stehen bei Weber charakteristischerweise in einem engen sytematischen Zusammenhang mit dem Begriff des Kampfes. 7'

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

aller menschlicher Beziehungen [ ist]. ,,219 Diese Bestimmungen sind fiir eme Abgrenzung gegenüber dem Gewaltbegriff ausreichend 220 ; Während Macht ein in menschlichen Interaktionsbeziehungen entstehendes

Potential darstellt, erweist sich Gewalt als eine bestimmte Weise des Vollzugs von Interaktion, die an das Merkmal des Körperlichen gebunden ist. In Anlehnung an eine Definition von Rolf-Peter Calliess kann man Gewalt als physisch vermittelte Interaktion bestimmen. 221 Dies entspricht der alltäglichen Vorstel-

219 Norbert Elias, Was ist Soziologie?, 6. Auflage, München 1991, 77. (Hervorhebung hinzugefügt). 220 Wer von Macht und Gewalt spricht, muß spätestens seit Weber auch über Herrschaft reden. Dies erfolgt an anderer Stelle (unten 143), nämlich im Kontext der Charakterisierung des politischen Verbandes, wo auch auf den Machtbegriff zurückzukommen ist. 221 Am Beispiel des Strafrechts, auf welches die in der Literatur seit langem feststellbare begriffliche Ausdehnung des Gewaltbegriffs allerdings nicht beschränkt ist (wie man etwa am Beispiel Gattungs unschwer erkennen kann), macht RolfPeter Calliess gegen die Ausweitung des Begriffs geltend, daß Gewalt an das Merkmal der Körperlichkeit einer Einwirkung gebunden bleiben muß und arbeitet zu diesem Zweck die Differenz von Zwang und Gewalt heraus. (Siehe RolfPeter Calliess, Der Begriff der Gewalt im Systemzusammenhang der Straftatbestände, Tübingen 1974, passim, insbes. 25 ff. Gegen eine Ausweitung des Gewaltbegriffs siehe auch Arthur Kaufmann, Gerechtigkeit - der vergessene Weg zum Frieden. Gedanken eines Rechtsphilosophen zu einem politischen Thema, München 1986,86 ff.). Calliess' eigener Gewaltbegriff kann jedoch nicht unmittelbar übernommen werden: Denn zum einen bleibt der Begriff unklar, indem er einmal als Situation definiert (Gewalt als "gegenwärtig soziale Situation, die durch die Herstellung einer primär auf physischer Vermittlung beruhenden aggressiv-interpersonellen Beziehung gekennzeichnet ist"; ebenda, 32), an anderen Stellen aber als "soziale Beziehung" ausgezeichnet wird (siehe z.B. ebenda, 16). Das Abheben auf die Situation ermöglicht es Calliess, umittelbare Gewaltandrohung schon als Gewalt zu definieren (siehe eben da, 31 f.), womit aber die Differenzierung zum Zwang wieder relativiert ist. Dies ist zwar im Kontext des Strafrechts durchaus sinnvoll (siehe dazu auch Rainer Keller, Strafrechtlicher Gewaltbegriff und Staatsgewalt, Berlin 1982, passim), im hier erörterten Zusammenhang jedoch kann nur an Calliess' Bestimmung der Gewalt als "operativem Medium" (ebenda, 20 und passim, siehe auch RolfPeter Calliess, Gewalt und Recht, in: Kurt Röttgers / Hans Saner (Hrsg.), Gewalt. Grundlagenprobleme in der Diskussion der Gewaltphänomene, Basel, Stuttgart 1978, 50-60, hier 53) sowie am Merkmal der physischen Vermittlung angeknüpft werden. (Siehe dazu auch Maximilian Forschner, Gewalt und politische Gesellschaft, in: Schöpf(Hrsg.), Aggression und Gewalt, 13-36, hier 18 f, wo der Unterscheidung zwischen Gewaltandrohung und Gewalt das Wort geredet wird, wobei Forschner zutreffend bemerkt, daß "in konkreten Situationen mitunter die Grenzen [verschwimmen]." (18». Gewalt als soziale Beziehung zu betrachten, ist vor dem Hintergrund der sogleich folgenden Ausführungen zum instrumentalen Charakter der Gewalt inadäquat, insofern Gewalt (als "Instrument" oder "Mittel") keine Eigenständigkeit als Interaktionsverhältnis haben kann, sondern nur eine Weise des Vollzugs einer Interaktionsbeziehung ist. Eine andere Form physisch vermittelter Interaktion - die Zärtlichkeit - macht dies vielleicht leichter einsehbar: Zärtlichkeit dient dem Ausdruck einer bestimmten Einstellung - in diesem Sinne ist auch Gewalt ein Ausdrucksmittel.

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lung, die Gewalt als eine körperlichen Schaden verursachende körperliche Einwirkung versteht. 222 Die Bindung an das Physische rückt Gewalt in die Nähe des Phänomens Stärke. Der Einsatz von Gewalt ist nicht auf Einstellung oder Verhalten anderer angewiesen. Gewalt kann jeder einsetzen, der über seinen Körper verfugt, und Gewaltmittel dienen dementsprechend dazu, "menschliche Stärke bzw. die der organischen 'Werkzeuge' zu vervielfachen."m Eine Maschinenpistole ist dementsprechend ein Gewalt- jedoch kein "Machtmittel" (sie vergrößert die Stärke des Armes). Auch vom Ohnmächtigen kann sie - ganz ohne Zustimmung, Einwilligung oder Interessenübereinstimmung anderer - eingesetzt werden. Gewalt ist wesentlich einseitiges Einwirken, kein wechselseitiges Handeln. 224 Wenn nun, wie Hege! schreibt, "meinem Körper von anderen angetane ... mir angetane Gewalt [ist]"m, kommt im Akt der Gewalt die Mißachtung und Verletzung des anderen als Person zum Ausdruck. 226 Insofern dies der Fall ist, erweist sich Gewalt als eine Variante des Unfriedens, d.h. der Desavouierung der objektiven Interaktion, die konstitutiv fiir die Existenz des Anderen als Person ist. 227 Dementsprechend kann auch Gewalt die Person in ihrer Identität nicht unmittelbar betreffen, da sie als Weise subjektiver Interaktion deren objektive und unwillkürliche Seite, weIche die Ausbildung der Person bewirkt, nicht treffen kann. Für die Wirksamkeit der Gewalt kommt es also wie bei Unfrieden überhaupt auf die Art des Sich-Verhaltens zu ihr an: "Ich kann mich aus meiner Existenz in mich zurückziehen und sie zur äußerlichen machen, - die besondere Empfmdung aus mir hinaushalten und in den Fesseln frei sein ... 228 - Ich kann 222 Grundsätzlich gibt es auch Gewalt gegen Sachen, die hier aber nicht zu berücksichtigen ist: Hier geht es nur um personale Interaktion. 223 Arendt, M&G, 47. 224 Zum komplizierten Verhältnis von Macht und Gewalt siehe im Sinne dieser Ausflihrungen im einzelnen Arendt, M&G, 47 ff., dies., Vita activa, 193 ff. und Matz, Politik und Gewalt, passim. 225 Hegel, Rph, § 48 Anm. Zuvor schreibt Hege/: "Insofern ich lebe, ist meine Seele ... und der Leib nicht geschieden, dieser ist das Dasein der Freiheit, und Ich empfinde in ihm. Es ist daher nur ideen loser, sophistischer Verstand, weIcher die Unterscheidung machen kann, daß das Ding an sich, die Seele, nicht berührt oder angegriffen werde, wenn der Körper mißhandelt und die Existenz der Person der Gewalt eines anderen unterworfen wird." Mead bemerkt an einer Stelle, daß "die körperlichen Erfahrungen ... flir uns um eine Identität organisiert [sind]. Der Fuß und die Hand gehören zur Identität." (Mead, GIG, 178). 226 Siehe dazu auch Honneth, Kampf um Anerkennung, 214 f. Wichtig ist hier zu sehen, daß im Akt der Gewalt selbst diese Mißachtung zum Ausdruck kommt. 227 Siehe in diesem Sinne auch Forschner, 21, der Gewalt als eine Form der Aggression bezeichnet, wobei er letztere in einer Weise bestimmt, die dem hier zugrundegelegten Begriff des Unfriedens sehr nahe kommt. 228 Hegel, Rph, § 48 Anm.

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B. Person und Frieden aus interaktionistischer Perspektive

aber auch an der Gewalt zerbrechen. Dies wird etwa deutlich in der Gewaltanwendung bei der Folter oder bei dem, was man früher "körperliche Züchtigung" nannte: Für diese Phänomene ist Gewalt das typische Mittel und schon in der Gewalt liegt der Unfrieden der Folter. Zugleich verweist die Folter besonders deutlich darauf, daß Zwang und Gewalt zu differenzieren sind: Der Folter kommt es auf den Zwang an, dem die Gewalt nur als ein Mittel dient: Mit diesem soll auf den Willen des Anderen eingewirkt werden (der Gefolterte soll z.B. gezwungen werden, eine bestimmte Aussage zu machen). Damit ist im speziellen Fall der Folter wie auch allgemein die Einwirkung auf den Willen, der Zwang, verschieden von der Einwirkung auf den Körper, der Gewalt. Die Phänomene sind folglich kategorial zu unterscheiden, wenngleich sie empirisch eng miteinander zusammenhängen. 229 Gewalt hat rur den Betroffenen passiven Charakter, er erleidet sie, während Zwang aktiv von ihm etwas fordert, nämlich ein bestimmtes Tun (wobei natürlich auch Unterlassen ein Tun ist). Daher bestimmt sich Zwang stets von der Seite desjenigen, der vom Zwang betroffen ist: Folgt er dem Willen eines Anderen freiwillig, so handelt es sich filr ihn hierbei nicht um Zwang. Erst, wenn der Wille des Anderen gegen den eigenen Willen durchgesetzt wird, liegt fiir letzteren Zwang vor. So ist Zwang aus der Perspektive des Zwingenden eine Disposition (während Gewalt eine Weise physischen Einwirkens ist). Da die einzelne Person nun im sozialen Leben in der Regel niemals ihren Willen in reiner Form, entsprechend ihrer "ursprünglichen" subjektiven Absichten, Interessen etc. durchsetzen kann, sondern dem stets die Absichten oder Interessen Anderer entgegenstehen, ist Zwang ein Bestandteil fast aller Interaktionsverhältnisse. Schon die Tatsache, daß Alter dort steht, wo Ego jetzt gerne stünde, bedeutet filr letzteren ein Zwangslage (die zum Konflikt werden kann). Eine Zwangslage ist demnach eine Gegebenheit, die im sozialen Miteinander schlichtweg vorgegeben ist und sich als solche nicht destruktiv gegen die Person bzw. ihre Ausbildung und Entfaltung richtet. Daraus aber geht klar hervor, daß Zwang an sich keinen destruktiven Charakter hat, sondern ebenso wie Macht eine prinzipielle "Struktureigentümlichkeit menschlicher Beziehungen" (Elias) ist. Daß das gesamte soziale Leben von Zwängen durchwirkt ist, bedeutet keine Beschädigung personaler Existenz, die sich nicht zuletzt auch im Umgang mit Zwang zu bewähren hat.

229 Siehe zu diesem Begriff des Zwangs ausfiihrIich Matz, Politik und Gewalt, 52 ff., insbes. 54 sowie 78-88 (Zur Phänomenologie des Zwangs), insbes. 82 f., dort auch zur Nähe von Zwang und Gewalt (55).

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Zwang wird nicht nur von anderen Personen ausgeübt, sondern auch von faktischen Gegebenheiten - hier handelt es sich um die berühmten Sachzwänge, die aufgrund ihres Soseins ein bestimmtes Handeln erfordern. Die Tatsache, daß ein Automobil mit Benzin betrieben wird, zwingt den Nutzer dazu, gelegentlich zu tanken. Auch solche Sachzwänge haben keinen destruktiven Charakter. Es ist also Zwang an sich keine Variante des Unfriedens. Er kann aber insbesondere in Kombination mit Gewalt unfriedlichen Charakter annehmen (etwa bei der Folter) und dann als destruktiver Zwang bezeichnet werden. 230 Mit diesen Bestimmungen erweisen sich die Phänomene Macht, Gewalt und Zwang als voneinander kategorial verschieden: Sie meinen etwas je anderes in bezug auf die menschlichen Interaktionsverhältnisse. 231 Für die Diskussion des Friedensbegriffs bedeutet dies zunächst, daß es sich bei der Fixierung auf die Gewalt als dem charakteristischen Gegenbegriff zum Frieden um eine Beschräkung der Perspektive handelt. Zwar ist Gewalt Unfrieden und steht daher im Gegensatz zum Frieden, aber sie deckt als Variante des Unfriedens nur einen Teil jener Phänomene ab, die den Frieden der Person stören (wie etwa das Beleidigen, Kränken oder Bloßstellen des Anderen). Nicht in negativer Korrelation zum Frieden der Person stehen Macht und Zwang. Beide gehören zur Struktur sozialer Existenz.

230 Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, daß es mit physischen Mitteln vollzogenen Zwang gibt, der gleichwohl keine Gewalt darstellt, wie beispielsweise das Einsperren in ein Gefängnis oder eine Sitzblockade. Solche Zwangshandlungen mit physischen Mitteln richten sich natürlich nicht destruktiv gegen Personen. Der Mangel der Unterscheidung zwischen physischem Zwang dieser Art und Gewalt hat gerade im Strafrecht zu vielen Unklarheiten geführt, die letztlich - über die Interpretation dessen, was eigentlich physischer Zwang ist, als "psychischer Gewalt" - auch die Rechtssicherheit zu gefährden imstande sind. 231 So wird abermals ein Defizit der Weberschen Machtdefinition offensichtlich: Insofern sie auf den widerstrebenden Willen des Machtunterworfenen abhebt, beschreibt sie ein Zwangsverhältnis.

C. Ein interaktionistischer Begriff der Politik Auch das im folgenden darzustellende Verständnis von Politik geht vom interaktionistischen Paradigma aus. I Mit diesem Ansatz kann nicht nur auf die insbesondere von Aristoteles auf den Begriff gebrachten Vorstellungen der Griechen angeknüpft werden. Diese sahen im "Handeln (7tpaHEtv) ... die im eigentlichen Sinne politische Tätigkeit. ,,2 Vielmehr entspricht ein interaktionistisches Politikverständnis solchen zeitgenössischen sozialwissenschaftlichen Richtungen, welche im Handeln die "Grundform des gesellschaftlichen Daseins des Menschen,,3 erkennen und rur welche dementsprechend eine Handlungstheorie die "Grundlage der Sozialwissenschaften,,4 darstellen muß. Die Konvergenz des interaktionistischen Ansatzes mit jenen handlungstheoretischen Konzepten ergibt sich aus der Tatsache, daß Handeln im allgemeinen und politisches Handeln im besonderen als Sonderformen von Interaktion überhaupt zu verstehen sind, welche sich durch spezifische Charakteristika von anderen Formen der Interaktion unterscheiden. In der Darstellung des Politikbegriffs kehren die drei Ebenen des Zusammenlebens von Menschen wieder, die der Behandlung des Friedensbegriffes hier allgemein zugrundeliegen. Das ermöglicht es, das Verhältnis von Frieden und Politik auf allen drei Ebenen darzustellen und zugleich die Zusammenhänge dieser drei Ebenen aufzuzeigen. Im folgenden gilt die Aufmarksarnkeit zunächst dem politischen Handeln personaler Subjekte. Dabei wird davon ausgegangen, daß in allen Interaktionsverhältnissen (von Menschen) ein politisches Element aktuell werden kann, auch in solchen, die nicht in einem primären Sinne politisch sind. 5 In diesen I Es wird hier das dieser Arbeit zugrundeliegende Verständnis von Politik nur soweit expliziert, als es für die Bestimmung des Verhältnisses von Frieden und Politik notwendig ist. Das heißt, daß im folgenden keine abgeschlossene Theorie der Politik vorgelegt wird. 2 Arendt, Vita activa, 19. J Luckrnann, Theorie des sozialen Handeins, 4. 4 Ebenda, 7, siehe auch ebenda, I f. 5 Obgleich Karl Rohe einem auf nicht-staatliche Bereiche "ausgeweiteten" Politikverständnis skeptisch gegenübersteht, konstatiert er, daß Politik als eine grundsätzlich überall auffindbare besondere Verhaltensweise angesehen werden kann. Er nennt als Beispiel die Rede "von der klugen Politik einer Frau" im Kontext familiärer Beziehungen. (Karl Rohe, Politik. Begriff und Wirklichkeiten. Eine Einführung in das politische

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C. Ein interaktionistischer Begriff der Politik

Fällen ist Politik ein Modus der Interaktion6 , der hier mit Aristoteles als Klugheit bezeichnet wird. Von der Politik als Modus ist Politik als Status zu unterscheiden. Diese Form der Politik kommt in den Blick, wenn man die Ebene einfacher Interaktionsverhältnisse verläßt und diejenige der gesamtgesellschaftlichen Interaktion betrachtet. Aus noch zu erörternden Gründen gewinnt nur hier - bei der Bewältigung des Problems gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens - das politische Element der Interaktion volle soziale Aktualität und Realität - und zwar im politischen Verband. 7 Mit dem politischen Verband steht schließlich auch die internationale Ebene des Zusammenlebens zur Diskussion. Auf dieser Ebene sind die handelnden Subjekte nicht Personen, sondern die politischen Verbände als nicht-personale Subjekte. Da die Existenz dieser Subjekte eine rein politische ist, ist deren Handeln untereinander primär politischen Charakters.

§ 15: Das Problem des Zusammenlebens und die Politik Es wurde oben gezeigt, daß die gesamte Wahrnehmung und "Weitsicht" einer Person in der Lebenswelt durchwirkt ist von den durch das praktische Wissen geprägten Deutungen und Wertungen: Jede Situation ist immer schon Situation im Kontext von sinnhafter Interpretation und von Sinn verweisungen. Sie steht also in einem (unbewußten und unreflektierten) Deutungszusammenhang. Tritt nun die Situation ins Bewußtsein, so liegen das praktische Wissen und dessen Variante der Mentalität unmittelbar auch den bewußten Deutungsakten, d.h. also demjenigen zugrunde, was Menschen sich vorstellen, weIche Meinungen sie sich bilden, was sie rur "natürlich" oder selbstverständlich halten, was als relevant erscheint und was sie als fremd, unbekannt, unlogisch oder unsinnig zurückweisen, sowie demjenigen, was sie sinnlich wahmehmen. 8 Das praktische Denken, 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage Stuttgart, Berlin, Köln 1994, 138 und 64). 6 Zu einer ausführlichen politiktheoretischen Herleitung dieses Befundes siehe Buchheim, TdP, 104 ff. 7 Der politische Verband ist damit der in einem primären Sinne politische Bereich menschlicher Interaktion. Der Begriff des politischen Verbandes ist hier als Gattungsbegriff zu verstehen. Ihm sind als Artbegriffe beispielsweise derjenige der polis oder der des Staates zugeordnet. Staat ist die modeme Form des politischen Verbandes im Westen (welcher sich in dieser Hinsicht inzwischen bis nach Asien ausgebreitet hat), also "ein konkreter, an eine geschichtliche Epoche gebundener Begriff' (earl Schmitt). 8 Siehe dazu speziell im Hinblick auf die Problematik der Situativität Alfred Schütz, Strukturen der Lebenswelt, in: ders., Gesammelte Aufsätze, Band IlI, Studien zur phänomenologischen Philosophie, hrsg. von Ilse Schütz, Den Haag 1971, 153- 170, hier

§ 15: Das Problem des Zusammenlebens und die Politik

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Wissen fundiert und durchdringt mithin unsere gesamte Weitsicht, unser Wissen von der Welt. Insofern ist alle Realität - und insbesondere die politische Realität - sozial konstruiert. William Isaac Thomas hat diesen Sachverhalt in seinem berühmten Thomas-Theorem zum Ausdruck gebracht: "Wenn die Menschen Situationen als real definieren, so sind auch ihre Folgen real.,,9 Der im Thomas-Theorem bezeichnete Konstruktionscharakter der Lebensweit wurde oben in einem wissenschaftstheoretischen Kontext schon besprochen. Insofern Politik Bestandteil der Lebenswelt ist, sind die aus dem Theorem resultierenden Zusammenhänge tUr den Bereich der Politik zu erörtern, wo sie von besonderer Bedeutung sind. 10 Das fundamentalste Element der lebensweltlichen Situation bildet der formale intentionale Konsens. Die Situation des Wechselseitig-Voneinander-Notiz-Nehmens steht tUr jeden der Beteiligten immer schon in einem inhaltlichen Deutungszusammenhang, dem anderen die Situation bestimmenden Element. Beide Elemente der zwischenmenschlichen Situation verweisen auf die Notwendigkeit von deren praktischer Bewältigung:

Jede Situation stellt je neue konkrete Aufgaben, die problematisch in dem Sinne sind, als wegen der Unauthebbarkeit des In-der-Welt-Seins die Fortsetzung der Interaktion geleistet werden muß, ferner der Mensch einerseits auf Sozialität angelegt und angewiesen ist, zugleich aber als Individuum mit höchst persönlichen Anliegen, Vorhaben und Interessen existiert. Und überall trifft der Einzelne auf ebensolche Anliegen, Vorhaben und Interessen von Anderen, welche der Verwirklichung seiner eigenen entgegenstehen. Die in einer Situation zu bewältigenden Probleme sind zwar einerseits solche inhaltlichen Sinns, andererseits zunächst und primär solche persönlichen Sinns 11: Das bedeutet, daß jede soziale Situation vor jenen inhaltlichen Anfor156-158; ausfiihrIich ferner Alfred Schütz / Thomas Luckmann, Strukturen der LebensweIt, Band 1, 133-223 und 224-276. 9 William I. Thomas / Dorothy S. Thomas, The Child in America (1928), hier zitiert nach einem Auszug in: William I. Thomas, Person und Sozialverhalten (I 95 \), hrsg. von Edmund H. Volkart, Neuwied am Rhein, Berlin 1965, 102-116. hier 114. Zum ThomasTheorem, insbesondere zur Problematik von Subjektivität und objektiven Strukturen siehe die oben 61, Fn. 84 angegebenen Arbeiten Essers hierzu. Von anderen philosophischen Ausgangspunkten ausgehend gelangen Winch wie auch Searle zu den gleichen Resultaten wie Thomas. Siehe Winch passim, insbes. 25 und 34 f, wo er schreibt: "Gesellschaftliche Beziehungen sind Manifestationen von Realitätsvorstellungen." Zu Searle siehe oben, 47. 10 Diese Erörterung selbst hat entsprechend den einleitenden wissenschaftstheoretischen Überlegungen sozialontologischen Charakter. 11 Siehe im einzelnen dazu Buchheim, TdP, 70 ff. und 81 ff.

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C. Ein interaktionistischer Begriff der Politik

derungen stets die Aufgabe stellt, mit den anderen Beteiligten überhaupt auszukommen, wodurch das Erfordernis der Gestaltung gemeinsamen persönlichen Sinns gegeben ist, welcher die Interaktion in der jeweiligen Situation orientiert. Das in der Situation Miteinander-Auskommen stellt sich insoweit vor aller inhaltlichen Problematik als Aufgabe gelingenden Zusammenseins. 12 Diese Aufgabe steht als die Bedingung von deren Möglichkeit logisch vor aller Bewältigung sachlicher Probleme. Damit ist das primär zu bewältigende Problem einer jeden sozialen Situation das des persönlichen Zusammenseins bzw. -lebens der Beteiligten in ihr 13 , auch wenn dieses Problem daher nicht andauernd aktuell ist, weil die Interaktion stets schon in einem vorgegebenen Rahmen stattfindet, weIcher die Orientierungen schon "routinemäßig" vorgibt - nämlich im Rahmen der Mentalität und ihrer Manifestationen. Eine problematisch gewordene Situation zu bewältigen, ist nun der Sinn politischen HandeIns. Das heißt: Die Aufgabe der Gestaltung des Zusammenlebens der Menschen, d.h. die Bewältigung der personalen Problematik jeglicher Situation, ist die spezifische Aufgabe politischen Interagierens. Politik betrifft also denjenigen Bereich menschlicher Sozialität, in welchem es um die Gestaltung des Zusammenlebens geht, während beispielsweise ökonomisches oder technisches Handeln das Zusammenwirken (insbesondere zur Erreichung von Zwecken) - also: inhaltlichen Sinn - betreffen. 14 Daß Politik auf das Zusammenleben bezogen ist, hat in aller Deutlichkeit Johannes Althusius 1603 in seiner Politica methodice digesta festgestellt: "Politik ist die Lehre vom Zusammenleben der Menschen. Es bildet sich nach ihren Regeln, es wird nach ihnen gefiihrt und erhalten. Deswegen heißt Politik auch 'Kunst der Zusammenfiigung'. Die Entstehung (und Pflege) dieses Zusammenlebens zu fördern, ist der Sinn der Politik.,,15

12 Siehe dazu schon oben 60. 13 Dieses Problem stellt sich nicht erst mit dem Auftauchen der Idee des Individuums (im neuzeitlichen Sinne), der Subjektivität und der individuell verstandenen Freiheit. Es wäre vielmehr eine unangemessen eingeschränkte Perspektive, wollte man das spezifische Problem der sozialen Situation - nämlich deren Bewältigung als solcher - an den neuzeitlichen "Gegensatz" zwischen Individuum und Gesellschaft koppeln. Freilich verschärft das neuzeitliche Konzept des Individuums die Problematik der Bewältigung sozialer Situationen, insbesondere auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Auf dieser Ebene ist das Problem des Zusammenlebens im übrigen unumgänglich und muß gelöst werden. Siehe dazu unten die Paragraphen 17 und 18. 14 Aus dieser Tatsache resultieren auch die unterschiedlichen Rationalitäten von Politik einerseits, Ökonomie, Technik, Wissenschaft etc. andererseits. 15 Zitiert nach dem Auszug aus Althusius' Politica methodice digesta, der abgedruckt ist in der kommentierten Textsammlung von earl Joachim Friedrich, Die politische Wissenschaft, Freiburg, München 1961, 98-129, hier 105. Im Orginal heißt es: "Politica est ars homines ad vitam socialem inter se constituendam, colendam & conservandam consociandi. Unde cruIlßt(i)'tlKll vocatur." (Johannes Althusius, Politica Methodice di-

§ 15: Das Problem des Zusammenlebens und die Politik

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Das Problem der Bewältigung einer sozialen Situation ist stets ein gemeinsames Problem aller daran Beteiligten - es betrifft eine Pluralität von Menschen. Zur Veranschaulichung des Vorganges, in dem dieses Problem gelöst wird, kann man an eine zufällige Begegnung von Menschen als Modellsituation denken: Stellt man sich eine Gruppe von Menschen vor, die zufällig zusammenkommen, so wird sich unter ihnen schnell auf der Grundlage gemeinsamer Mentalität unwillkürlich eine Praxis des Miteinanderauskommens herausbilden. Insofern ist das Problem ihres Zusammenseins filr sie nicht aktuell. Es kann aber aktuell werden, wenn nicht-routinemäßig zu bewältigende Situationen eintreten und auf diese Weise Aspekte des Zusammenseins fraglich werden l6 , z.B. wenn zwischen Fremden auf einem Campingplatz Konflikte auftreten. In solchen Fällen ist die Praxis des Zusammenseins in gemeinsamer Situation bewußt zu gestalten. Das Spezifikum dieser Gestaltung besteht darin, daß die Handelnden den persönlichen Sinn der Anderen in Rechnung stellen, daß Ego in der konkreten Situation die persönliche Organisation der Welt Alters in sein Handlungskalkül miteinbezieht und demgegenüber sachliche Aspekte nachordnet oder zur Disposition stellt. Es erweisen sich also filr den, der innerhalb eines sozialen Kontextes eigene Absichten verfolgt, "die Absichten, Interessen, Vorstellungen und Eigenheiten der anderen Beteiligten als Konditionen der Verwirklichung dieser seiner Absicht. Mit diesem Tatbestand muß der Betreffende, will er seinen Zweck erreichen, auf eine bestimmte Weise umgehen. Und zwar muß er die Absichten, Interessen, Vorstellungen und Eigenheiten der anderen in Rechnung stellen, muß ihnen Rechnung tragen. Er muß also die eige-

gesta atque exemplis sacris & profanis illustrata... , Editio tertia Herbornae Nassoviorum 1614, zitiert nach dem zweiten Neudruck Aalen 1981,2). Althusius steht mit diesen Vorstellungen natürlich in der Tradition des Aristoteles. Siehe zu Althusius: Carl Joachim Friedrich, Johannes Althusius und sein Werk im Rahmen der Entwicklung der Theorie von der Politik, Berlin 1975, dort 70-76 zu dem Grundbegriff der Consociatio Symbiotica und zum Aristotelismus des Althusius insbes. 76. Daß es der Politik stets um das Zusammenleben geht, ist in jüngerer Zeit (nicht nur bei Protagonisten der Ökonomischen Theorie der Politik) immer wieder in Vergessenheit geraten. Auch beispielsweise Hermann Hel/er versteht unter Politik "die Ordnung des Zusammenwirkens menschlicher Gegenseitigkeitsbeziehungen aller Art" oder meint, daß "politisch im eminenten und beispielgebenden Sinn ... die selbständige Organisation und Aktivierung des gebietsgesellschaftlichen Zusammenwirkens" sei. (Hermann Heiler, Der Sinn der Politik, in: ders., GS 1,431-435, hier 433 und ders., Staatslehre, 311). Solche Vorstellungen verkennen, daß Bedingung der Möglichkeit des Zusammenwir!rens von Menschen deren Zusammenleben ist. Ausdrücklich differenziert Helmut Coing zwischen Zusammenleben und Zusammenwirken in bezug auf den Staat. Siehe Helmut Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 4. Auflage, Berlin, New York 1985, 232. 16 Zur Unterscheidung von Routine- und problematischen Situationen siehe Schütz / Luckmann, Band I, 150.

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C. Ein interaktionistischer Begriff der Politik

ne Absicht ?ewissermaßen im Modus der Absichten etc. der anderen Beteiligten verfolgen." 1

Sofern es also darum geht, die Situation allen Beteiligten akzeptabel zu machen, müssen deren Absichten, Vorstellungen, persönliche Eigenheiten etc. wechselseitig so miteinander in Einklang gebracht werden, daß die Interaktion in der gemeinsamen Situation gelingen kann. Jeder muß dabei in seinem Selbstverständnis in die Situation integriert werden. Das heißt, daß als Minimalbedingung der zuträglichen Interaktion jedem das entgegengebracht werden muß, was man ihm als Person in der konkreten Situation allgemein schuldet. Eine solche Situationsbewältigung ist als politisch zu charakterisieren. Dieses Verständnis von Politik als Modus läßt sich in seinen Charakteristika unter Anlehnung an den Begriff der Klugheit (qJPOVTWl~) im Sinne des Aristoteles präzisieren. 18 Klugheit ist das Vermögen, die konkrete Situation als Anwendungsfall des Allgemeinen zu beherrschen, dadurch aber auch den Sinn jenes Allgemeinen zu rechtfertigen und konkret zu bestimmen. Klugheit vermittelt das Allgemeine mit dem Einzelnen, so daß das Allgemeine erst im konkreten Handeln wirklich wird. 19 Das Allgemeine kann verschiedener Art sein, es kann (i.) Oakeshotts explizitem Regelwissen entsprechen, also beispielsweise ein Gesetz sein, das im konkreten Fall anzuwenden ist - hier handelt es sich um einen Sonderfall, um die iuris-prudentia. 20 Es kann aber auch (ii.) implizites allgemeines Wissen 17 Buchheim, Person und Politik, 13. Siehe auch Arendt, Vita activa, 174 und Rohe, Politik, 2. Auflage, 62. 18 Da es in der vorliegenden Arbeit nicht um eine Theorie der Politik und auch nicht um eine Aristoteles-Interpretation geht, können hier theoretische Details und Probleme der von Aristoteles insbesondere im VI. Buch der Nikomachischen Ethik entwickelten phronesis-Lehre nicht diskutiert werden. Zum zugrundegelegten Verständnis der Aristotelischen phronesis siehe Theodor Ebert, Phronesis. Anmerkungen zu einem Begriff der Aristotelischen Ethik (VI 5, 8- 13), in: Otfried Höjfe (Hrsg.), Aristoteles. Die Nikomachische Ethik, Berlin 1995, 165-185); Ernst Vollrath, Die Rekonstruktion der politischen Urteilskraft, Stuttgart 1977, 84 ff.; ders., Grundlegung einer philosophischen Theorie des Politischen, Würzburg 1987, 222 ff.; Voegelin, Anamnesis, 124 ff. Siehe jetzt auch Ralf Elm, Klugheit und Erfahrung bei AristoteIes, Paderborn, München, Wien, Zürich 1996 (zugleich Diss. phi\. Tübingen 1994), insbes. Teil III., 187 ff. Zum Klugheitsbegriff allgemein aufschlußreich Jose! Pieper, Traktat über die Klugheit (1937), 7. Auflage, München 1967 und Bernhard Sutor, Kleine politische Ethik, Opladen 1997,45 ff. 19 Siehe etwa Aristoteles, NE, 1141 b 15 ff. sowie dazu Vollrath, Grundlegung, 237, Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik (1960), (= ders., Gesammelte Werke, Band I, Hermeneutik I) 6. Auflage Tübingen 1990, 317 ff., insbes. 326 ff. und am Beispiel der Rechtsfindung ders., Was ist Praxis? Bedingungen gesellschaftlicher Vernunft (1974), in: ders., Gesammelte Werke, Band 4, Neuere Philosophie II. Probleme. Gestalten, Tübingen 1987, 216-228, hier 224 f. 20 Dieser Fall ist hier zu vernachlässigen und wird später (177) behandelt.

§ 15: Das Problem des Zusammenlebens und die Politik

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sein, welches von der Klugheit vorausgesetzt und von ihr im Handeln verwirklicht wird. Diese Fonn des allgemeinen Wissens aber ist die Mentalität, die insofern konstitutiv fiir das kluge Handeln in der Situation ist. Der Handelnde muß beispielsweise darum wissen, was man im Allgemeinen unter Freundschaft versteht oder daß man sich auf einem geselligen Ball entsprechenden vorgegebenen Fonnen gemäß zu verhalten hat. Diese Leitideen der Freundschaft oder der gesellschaftlichen Etikette sind sozial als ein Allgemeines objektiv vorgegeben. Ohne Wissen um sie ist eine problematische Situation nicht zu bewältigen, also etwa: die Freundschaft zu retten oder einen gesellschaftlichen Fauxpas zu venneiden. Die situationsgemäße Anwendung der jeweiligen Leitidee, z.B. also die Gestaltung einer bestimmten Freundschaft, das Verhalten auf einer ganz bestimmten geselligen Veranstaltung, bleibt aber eine konkret situativ zu bewältigende, unaufhebbare Aufgabe des jeweiligen Hier und Jetzt. 21 Damit ist deutlich, daß es nicht ausreichend ist, das Allgemeine zu kennen?2 Vielmehr ist das Allgemeine angemessen in die je vorliegende Situation zu vennitteln, dem Handelnden müssen also auch die besonderen Umstände dieser Situation bekannt sein. Erst so kann er wissen, wie er allgemeine Vorgaben umzusetzen hat, wann er ihnen überhaupt folgen soll, was er tun muß, damit bestimmte allgemeine Regeln anwendbar sind. Mit der Gebundenheit an eine je konkrete Situation bleibt Klugheit auf ein Hier und Jetzt bezogen, sie ist daher als Ipräsentisch"23 zu kennzeichnen. Für das politische Handeln ist seine Situativität charakteristisch. Situativität meint dabei, daß über den in der Mentalität

21 Was denn nun je das Kluge, das der Situation angemessene ist, läßt sich nicht mehr weiter theoretisch bestimmen. Um Genaueres zu wissen, muß man, so Aristoteles, den Klugen beobachten (Aristoteles, NE, 1140 a 24 f.; siehe auch ebenda 1104 a 7) - das entspricht der Konzeption des praktischen Wissens, wie sie oben im Anschluß an Oakeshott vorgesteHt wurde. Siehe dazu Vollrath, Grundlegung, 238, der bei Aristoteles in bezug auf diese Problematik eine Zirkularität ("nicht in einem formal-logischen Sinn") feststeHt (dazu auch Vollrath, Rekonstruktion, 92). Zum Situationsbegriff und zur Situativität des Handeins bei Aristoteles jetzt Alejandro G. Vigo, Zeit und Praxis bei Aristoteles. Die Nikomachisehe Ethik und die zeit-ontologischen Voraussetzungen des vemunftgesteuerten Handeins, Freiburg, München 1996, 76 ff. 22 Aristoteles, NE, 1141 b 15. 23 So kennzeichnet Gadamer unter Rückgriff auf einen Kierkegaardschen Terminus die Klugheit: "Die tpPOV17O"I;ist also stets 'präsentisch'." (Hans-Georg Gadamer, Praktisches Wissen (J 930), in: ders., Gesammelte Werke, Band 5, Griechische Philosophie I, Tübingen 1985,230-248, hier 243). Das auf das Zusammenleben gerichtete politische Handeln basiert also wie aHes Handeln auf technischem und praktischem Wissen im Sinne Oakeshotts. (Siehe besonders Oakeshott, Rationalism, 13 und 14).

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C. Ein interaktionistischer Begriff der Politik

gegebenen Sinn frei disponiert wird, wn die Situation fiir alle Beteiligten zuträglich zu gestalten. 24 Hier wird die besondere politische Bedeutung der Zusammenhänge ersichtlich, welche im Thomas-Theorem formuliert sind: Wie eine konkrete Situation des Zusammenseins fiir die Beteiligten verbindlich interpretiert und defmiert wird, ist Ausgangspunkt und stets auch Resultat politischen Handeins der an der Situation Beteiligten25 : Der klug Handelnde kann etwa eine Streitsituation durch geschickte Argumentation "entschärfen" und den Streit schlichten, indem er die Sichtweisen der Beteiligten unter neuen Gesichtspunkten darstellt, Kompromißvorschläge eröffnet, Alternativen aufzeigt oder durch Formelkompromisse die Situation rettet. Auf diese Weise erfolgt die gemeinsame verbindliche Defmition der gemeinsamen als solche problematisch gewordenen Situation durch bewußtes, deliberatives Handeln, das die jeweilige Leitidee situationsadäquat - und das heißt: dem jeweiligen Selbstverständnis der Beteiligten entsprechend - verwirklicht. 26 Durch derart integrierendes Handeln wird die Leitidee in bezug auf die jeweilige Situation interpretiert und auf diese angepaßt, zugleich aber auch ausdifferenziert und entfaltet. Die bewußte politische Situationsdefmition habitualisiert sich und wird Bestandteil der Mentalität, indem sie als von den Beteiligten akzeptierte Grundlage ihres weiteren Zusammenseins unbefragt praktiziert wird - bis erneut eine problematische Situation eintritt. So entwickelt sich die Leitidee anläßlich einzelner zu bewältigender Probleme des Zusammenlebens der Gruppe als das aus der Praxis der Gruppe erwachsene Selbstverständnis ihrer Ordnung in der Weise weiter, daß sie auch fernerhin das Verbindende zwi-

24 Eine umfassende theoretische Herleitung des Begriffes der Politik als primär situativ orientierter Interaktion ist Buchheim, TdP, passim, insbes. 104 f. 25 Klassisch fUr die Bedeutung von Deutungen im politischen Raum ist Hobbes' Behemoth. Hier wird deutlich, daß nicht soziale Tatsachen "an sich" bedeutsam sind, sondern daß erst ihre soziale Deutung Folgen fUr das Handeln von Menschen zeitigt. Herfried Münkler schreibt in der von ihm besorgten Ausgabe des Behemoth: "Was Hobbes damit geliefert hat ist das Credo jeder konservativen Revolutionsanalyse: Nicht die gesellschaftlichen Gegensätze, nicht wirtschaftlicher Ruin und soziales Elend sind es, die zu revolutionären Ausbrüchen fUhren, sondern verantwortlich fUr diese Ausbrüche sind diejenigen, deren Reden und Schriften eine bestimmte materielle Lage als Elend, soziale Beziehungen als Unterdrückung, wirtschaftlichen Austausch als Ausbeutung und Ausplünderung bezeichnen und sie damit als solche überhaupt erst ins Bewußtsein treten lassen." (Herfried Münkler, Thomas Hobbes' Analytik des Bürgerkriegs, in: Thomas Hobbes, Behemoth oder Das Lange Parlament, hrsg. und mit einem Essay von Her/ried Münkler, Frankfurt am Main 1991, 215-238, hier 219; siehe auch Schnell, Phänomenologie des Politischen, 274 und f.). 26 Zwar ist politisches Handeln ein bewußtes Handeln, gleichwohl ist es in der Regel nicht reflektiert und wird meist nicht als politische Aktivität gewußt.

§ 15: Das Problem des Zusammenlebens und die Politik

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sehen allen zu ihr gehörenden bleibt und so zugleich die fundamentale Verbindlichkeit rur deren Zusammensein darstellt Erst wenn es gelingt, die problematisch gewordene Situation in einer Art und Weise darzustellen, daß die hieraus resultierende, rur alle akzeptable Situationsdefinition zum Gelingen der gemeinsamen Interaktion beiträgt, kann diese auf Dauer gestellt werden. Und daß solches gelingt, ist nur dann möglich, wenn die Ansichten, Absichten und Vorhaben, das heißt: Selbstverständnis, persönlicher Sinn und So-Sein aller Beteiligten bei der Situationsdefinition in Rechnung gestellt werden: "Immer geht es also in der Politik nicht darum, was ist, sondern wie das, was ist, unabhängig davon, wie es 'wirklich' ist, unter dem Aspekt des Selbstverständnisses der Beteiligten ausgelegt wird. Die Auslegung ist für das politische Denken spezifischer als die Tatsache.'027

Daher interessiert sich der politisch Denkende und Handelnde in erster Linie rur die personalen Eigenheiten der Beteiligten: Für deren Interessen, Vorlieben, Idiosynkrasien, soziale Herkunft, Bildung und Ausbildung, beruflichen Werdegang, Hobbys etc. Solches Wissen ermöglicht es, den Anderen besser beurteilen, d.h. seinen persönlichen Sinn, sein So-Sein, seine Identität besser in Rechnung stellen zu können. Fundament allen politischen HandeIns sind daher soziale Kompetenz und menschliche Erfahrung, Dinge, die der Teilnahme an der Praxis selbst entspringen. Wer aus einem reichen Fundus des Wissens um die Lebensart seiner Gesellschaft schöpfen kann, weiß, wie man problematischen Situationen angemessen begegnet und in ihnen angemessen handelt. 28 Die deliberative Definition einer fraglich gewordenen Situation zeigt die besondere Bedeutung der Sprache rur das Politische: Politik hat es mit Meinungen, mithin etwas Veränderlichem zu tun 29 (Aristoteles spricht von den Dingen, "die zu Zweifel und Überlegung veranlassen können,,3o im Unterschied zum ewig Seienden und Unveränderlichen), mit den Vorstellungen und Meinungen der Menschen, die über Sprechen und expressives Verhalten verändert und neu 27 Hans Buchheim, Was heißt politisch denken?, in: Neue Rundschau 79 (1968), 255-272, hier 264, siehe auch ebenda. 263 und 268. 28 Siehe dazu beispielsweise Gadamer, Praktisches Wissen, 239. Buchheim schreibt in diesem Kontext: "Wirklich gute Politik kann ... nur derjenige machen, der über genügend Humanität und Urbanität verfügt, um mit seinen Verhandlungspartnern einen Bezirk von Gemeinsamkeit zu schaffen, auf den die Differenzen bezogen werden können." (Buchheim, Was heißt politisch denken?, 261). Hierin wird deutlich, daß Politik ein ethisches Moment eignet: nur, wer den anderen als Person anerkennt, kann seine Vorstellungen auf politischem Wege umsetzen. Wer die Anerkennung des anderen nicht leisten will, muß seine Vorstellungen letztlich despotisch verfolgen. 29 Oakeshott charakterisiert die Welt der Praxis als "instable" (Experience and its Modes, 262). Zum Meinungshaften siehe Vollrath, Rekonstruktion, 49 ff. 30 Aristoteles, NE, VI 1143 a 5. Siehe auch eben da 1140 a 31 ff. und 1141 biO f.

8 Henkel

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C. Ein interaktionistischer Begriff der Politik

geordnet werden können. Daß Aristoteles den Grund von Politik in der Sprache sah, verwundert also keineswegs. Man muß in der Tat vom rhetorischen Charakter der Politik sprechen. 3 ) Die Probleme des Zusammenseins sind solche (gemeinsamen) persönlichen Sinns. Daher ist politisches Denken und Handeln in einem spezifischen Sinne "unsachlich", auch wenn es meistens mit der Lösung von Sachfragen verbunden ist. Für politisches Denken und Handeln ist entscheidend, daß "jede Sache jemandes Sache ist.,,32 Dementsprechend sind politische Entscheidungen "niemals nur rein sachlich.,,33 Rein sachliches Denken und Handeln ist vielmehr unpolitisch und aus sachlicher Perspektive erscheint politisches Handeln umgekehrt oft als irrational. Diesen wichtigen Aspekt von Politik hebt Carl Schmitt hervor, wenn er die spezifisch politische (d.h. personale) Rationalität der katholischen Kirche der Sachrationalität der Ökonomie gegenüberstellt. Der politischen Idee des Katholizismus, so Schmitt, "widerspricht alles, was das ökonomische Denken als seine Sachlichkeit und Ehrlichkeit und Rationalität empfindet. Der Rationalismus der römischen Kirche erfaßt moralisch die psychologische und soziologische Natur des Menschen und betrifft nicht, wie Industrie und Technik, die Beherrschung und Nutzbarmachung der Materie.,,34 In seiner Schrift über den Begriff des Politischen stellt Schmitt - seine frühen Gedanken zum Katholizismus fortfiihrend - fest, daß Sachfragen unterschiedlichster Art ihren rein sachlichen Charakter verlieren, wenn sie in den Fokus 3) Siehe dazu Peter Ptassek / Birgit Sandkaulen-Bock / Jochen Wagner / Georg Zenkert, Macht und Meinung - die rhetorische Konstruktion der politischen Welt, mit einem Vorwort von Rüdiger Bubner, Göttingen 1992. In diesem Kontext von Interesse auch Stephan Woljf, Der rhetorische Charakter sozialer Ordnung. Selbstverständlichkeit als soziales Problem, Berlin 1976 und allgemein auch Mohammed Rassem, Die Politik und das Reden, in: Hans Maier / Ulrich Matz / Kurt Sontheimer / Paul-Ludwig Weinacht (Hrsg.), Politik, Philosophie, Praxis. Festschrift flir Wilhelm Hennis zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1988, 270-279, insbes. 275 ff. 32 Buchheim, Person und Politik, 13 und ders., Was heißt politisch denken?, 255. 33 Karl Rohe, Politik. Begriff und Wirklichkeiten. Eine Einflihrung in das politische Denken, 1. [!] Auflage, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1978, 40. Rohe hebt die Unterscheidung zwischen "menschlichen" und "sachlichen" Aspekten im politischen Handeln deutlich hervor (siehe Rohe, Politik, 2. Auflage, 62 ff.) und zeigt, daß flir politisches Handeln gerade jener menschliche Aspekt charakteristisch ist. Wenn er aber (Politik, 2. Auflage, 168) betont, "daß Politik stets nicht nur einen sozialrationalen, sondern auch einen sachrationalen Kern besitzt, der nicht ... vernachlässigt werden darf', so relativiert er mit der Rede vom sachrationalen Kern die zutreffende Beobachtung vom prinzipiell personalen Charakter von Politik. Richtig bleibt, daß (im weiten Sinne des Wortes) politische - also: personale - Fragen immer wieder mit Sachfragen verknüpft sind, aber diese sind eben gerade nicht typisch flir Politik. 34 earl Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form (1923), Neuausgabe nach der 2. Auflage von 1925, Stuttgart 1984,23.

§ 15: Das Problem des Zusammenlebens und die Politik

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politischen Denkens und Handeins geraten. Dann werden "die bisherigen 'rein' religiösen, 'rein' wirtschaftlichen, 'rein' kulturellen Kriterien und Motive zurückgestellt und den völlig neuen, eigenartigen und, von jenem 'rein' religiösen oder 'rein' wirtschaftlichen und andern 'reinen' Ausgangspunkt gesehen, oft sehr inkonsequenten und 'irrationalen' Bedingungen und Folgerungen der nunmehr politischen Situation unterworfen. ,,35 Nach dieser Skizze bleibt noch darzustellen, warum das politische Moment in partikularen Interaktionsbeziehungen sekundärer Natur ist. Dies läßt sich daran verdeutlichen, daß jede partikulare Interaktion über sich hinausweist: Damit ist gemeint, daß eine solche Situation stets auf außer ihr liegenden Sinn verweist: Menschen, die sich beispielsweise in einem Kegelclub zur gemeinsamen Freizeitgestaltung treffen, sind in ihrem Verhalten, Handeln und Denken nicht nur vom Sinn und Zweck dieses Vereins bestimmt, wenn sie sich treffen. Vielmehr sind sie noch mannigfach durch außerhalb ihrer gemeinsamen Situation bestehenden Sinn beeinflußt: man ist noch Mutter, übt einen Beruf aus, ist Parteimitglied etc. Dieser Sinn ist der "Kegelclub-Situation" von außen vorgegeben und rur die an der aktuell zu bewältigenden Situation im Club Beteiligten unverrugbar. Die Kegelclub-Situation ist also keine die Beteiligten als ganze Person umfassende, "reine" Situation, sondern jede ihrer möglichen Bewältigungen steht unter außerhalb ihrer selbst bestehenden Konditionen, die zu berücksichtigen sind und die daher einen rein situativen Umgang mit ihr selbst nicht möglich machen. In der Konsequenz bedeutet dies, daß das situative Problem als solches - und damit das politische Element der Interaktion - in den innergesellschaftlichen Verhältnissen sekundär ist. Ferner ist alles Disponieren der Clubsituation am gemeinsamen Zweck orientiert und an dessen Vorhandensein gebunden, über das in der Situation selbst ebenfalls nicht oder nur sehr beschränkt disponiert werden kann. Das politische Element in dem Kegelclub wird zwar dann bestimmend, wenn es um die Existenz des Clubs selbst und die Art und Weise der Gestaltung des Umgangs miteinander in ihm geht: In dieser Situation tritt der gemeinsame inhaltliche Zweck des Clubs ebenso wie der außer der Situation selbst liegende Sinn zurück: Die Aufmerksamkeit gilt nunmehr der Gestaltung des Clublebens als solchem. Gleichwohl bleibt aber dieses situative Handeln in außerhalb der Situation liegenden Sinn eingebunden. Es gibt hier insofern also keine "reine" Situativität. Grundsätzlich anders ist dies erst auf der Ebene des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens. Hier gibt es keinen in bezug auf dieses Zusammenleben außerhalb der Situation liegenden, nicht disponiblen Sinn. Gerade das aber ist der Grund, warum Politik "rein" nur auf dieser Ebene vorkommt. 36 3S Schmitt, SP, 39. Arendt stellt fest, daß menschliche Angelegenheiten nicht so wie Sachen zu handhaben seien. (Arendt, Vita activa, 172). 36 Dazu ausführlicher unten § 18.

D. Politik und Frieden: Die Ebenen partikularer und gesamtgesellschaftlicher Interaktion § 16: Frieden und politisches Handeln Will man den Zusammenhang von politischem Handeln und Frieden (im Sinne der ungestörten Existenz der Person) erklären, so muß man sich zunächst der Frage widmen, wie das Verhältnis von Lebenswelt und Wirklichkeit zu bestimmen ist: Denn der Frieden entzieht sich einer willkürlichen Gestaltung, weil er seine Existenz auf der Ebene objektiver, unwillkürlicher Interaktion hat. Willkürliches und ausdrückliches Handeln aber kann auf unwillkürlich verlaufende Vorgänge keinen Einfluß nehmen. Der lebensweltlich verborgene Frieden ist der Gestaltung durch menschliches Handeln nicht unmittelbar zugänglich. Damit ist schon ein erstes Ergebnis gewonnen: Der Frieden als die ungestörte Existenz der Person kann durch lebensweltlich-bewußtes Handeln. also auch durch politisches Handeln nicht "hergestellt" werden. Damit stellt sich die Frage, was politisches Handeln überhaupt zum Frieden beitragen kann. Zur Beantwortung dieser Frage muß man die Zusammenhänge beider Bereiche der sozialen Realität - Lebenswelt und Wirklichkeit - im Hinblick auf den Frieden in Erinnerung rufen. Die Lösung der theoretischen Problematik liegt dann im Rückgriff auf die Begriffe der gelingenden Interaktion, der Mentalität und der Institution. Letztere stellen das lebensweltliche Medium der ungestörten Existenz des Menschen als Person dar. Der Frieden der Person (in seiner Wirklichkeitsdimension) sedimentiert. festigt und vertieft sich (lebensweltlich) in den sozialen Institutionen. Die sozialen Institutionen beugen der Destruktionsneigung und damit dem Unfrieden vor. Sind Gewohnheiten und Institutionen Ausprägungen einer Mentalität, so beruht der Frieden in seiner lebensweltlichen Dimension innerhalb einer Gesellschaft letztlich auf der Internalisierung der Verhaltensweisen und Lebensformen, also auf der Mentalität (oder genauer: den Mentalitäten in) dieser Gesellschaft. Die in ihnen gesicherte gelingende Interaktion ist durch Unfrieden gefährdet. Unfrieden ist aber, anders als der Frieden, kein lebensweltlich verborgenes Phänomen. Er hat seine Existenz vielmehr in der Lebenswelt, wird in ihr erlebt und erfahren. Während daher lebensweltliche Praxis nicht direkt den sozialontologischen Frieden zum Gegenstand ihrer Gestaltung machen kann, ist ihr ein gestaltendes Umgehen mit dem Unfrieden und damit gleichsam indirekt auch

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

ein gestaltender Umgang mit dem Frieden möglich. Genauer muß gesagt werden: Lebensweltlich ist ein gestaltender Umgang mit dem durch Unfrieden gefährdeten, lebensweltlich in der Mentalität und ihren Ausdrucksformen sedimentierten Frieden möglich. Und genau hier ist der Ort politischen Handeins. Orientieren Mentalität, Institutionen und Gewohnheiten im Alltag ganz selbstverständlich das Handeln der Menschen und wird dadurch schon der Frieden vertieft, so tritt das gewöhnlich sekundäre politische Element der Interaktion in den Vordergrund und wird bestimmend, wenn Inhalte, Gewohnheiten, bisherige Bräuche etc. situativ neu disponiert und damit die Grundlagen rur künftiges friedliches Miteinanderleben gelegt werden.' Auf diese Weise wird der Frieden gefestigt und vertieft und damit: gesichert, indem den an einer Situation Beteiligten der Grund unfriedlichen Handeins entzogen wird. Politisches Handeln läßt den Anderen in dessen durch sein Selbstverständnis geprägter Besonderheit zur Geltung kommen, vermittelt ihm damit Anerkennung und entzieht möglicher Feindschaft und der aus dieser resultiernden destruktiven Interaktion auf diese Weise den Boden. Dies geschieht im dargestellten Prozeß der gemeinsamen Definition der Situation, durch welche alle Beteiligten in ihrem jeweiligen Selbstverständnis Anerkennung finden und gerade dadurch Feindschaft vorgebeut - wenngleich nicht ausgeschlossen - wird. Politisches Agieren ist dabei, wie aus der obigen Skizze des Politikbegriffs resultiert, keineswegs auf den Umgang mit Konflikten beschränkt, sondern wirkt überall dort den Frieden vertiefend und festigend, wo problematische Situationen rational, also im Sinne des Selbstverständnisses der Beteiligten und ihrer allgemeinen Vorstellungen von der Art und Weise ihres Zusammenlebens, bewältigt werden. Man kann sich dies an einem Beispiel veranschaulichen: Die "Rettung des Ehefriedens" in einer rur diesen problematischen Situation erfolgt durch gemeinsame verbindliche Neudefinition der Leitidee jener betreffenden Beziehung - und damit der fraglich gewordenen Situation. Diese Neudefinition - die übrigens nicht notwendig einen sprachlich-expliziten Charaker zu haben braucht, sondern in (allerdings bewußt kommunizierten) Gesten oder einem bestimmten (wiederum bewußten) Verhalten bestehen kann 2 -, ermöglicht das Fortbestehen der Beziehung ohne weitere Verletzung des je individuellen Selbstverständnisses. Sie erfolgt aus konkretem Anlaß, stellt diesen aber in den I Dabei ist zu beachten, daß niemals alle Inhalte zugleich infrage stehen können bzw. infrage gestellt werden können. Probleme des Zusammenlebens entzünden sich stets an Einzelfragen, in spezifischen Kontexten und Hinsichten, die relativ isoliert behandelt werden können. 2 Dies widerspricht nicht den obigen Ausfiihrungen zum rhetorischen Charakter von Politik. Auch "expressive Spielzüge" haben rhetorischen Charakter. (Zu diesem Begriff siehe im Kontext der Konflikttheorie Walter L. Bühl, Theorien sozialer Konflikte, Darmstadt 1976. 66 f.).

§ 16: Frieden und politisches Handeln

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umfassenden Kontext der Beziehung und des gemeinsamen Selbstverständnisses von dieser bei den Beteiligten, an dem sich wieder das je individuelle Selbstverständnis orientiert. So kann etwa ein Mann, der seine Frau durch bestimmtes Verhalten. etwa fortgesetzte Nicht-Zuwendung und Vernachlässigung, und sei es aus äußeren (z.B. beruflichen) Anlässen, gekränkt hat (vielleicht ganz ohne sein Wollen und Wissen\ wird er dieser Lage gewahr, durch eine Geste, durch das Absagen eines beruflichen Termins zugunsten eines gemeinsamen Kino-Besuchs und ausdrücklicher Zuwendung zu seiner Frau das gemeinsame Wir stärken und festigen. Dies vollzieht sich dadurch, daß durch sein Handeln die problematisch gewordene gemeinsame Situation unter Anknüpfung an die gemeinsame Geschichte der Beziehung neu definiert wird. Gelingt dies, d.h. wird hier tatsächlich klug gehandelt, so werden sich beide Partner in ihrem jeweiligen Selbstverständnis in der neu definierten gemeinsamen Situation wiederfinden. Damit aber ist einer zunehmenden Gefiihrdung des Beziehungsfriedens vorgebeugt, mithin der Frieden der Beziehung wieder gestärkt und vertieft. 4 Solch situationsadäquates Handeln wird im lebensweltlichen Alltag normalerweise nicht explizit als friedensvertiefende Leistung gewußt oder ausdrücklich unter der Maßgabe vollzogen, daß damit nun "der Frieden" vertieft und gefestigt würde. In der konkreten Situation ist die Motivlage der Handelnden auf gesprochene Worte, gezeigte Gefilhle oder vollzogene Gesten gerichtet, die in den lebensweltlichen Kontext eingeordnet werden. Indem aber dann klug gehandelt wird, erfolgt die Vertiefung und Festigung des Beziehungsfriedens von selbst. In diesem Beispiel ist das Gemeinsame die Leitidee der konkreten Ehe (die sich wiederum in Orientierung an gesellschaftlichen Vorstellungen von Beziehungen oder "Ehe" herausgebildet hat). An diese wird im klugen Handeln angeknüpft. Die aktuelle Krise in der Beziehung wird unter Rückgriff hierauf beigelegt, indem das Konzept unter den in der Situation gegebenen Umständen und Bedingungen neu aktualisiert wird. 5 So läßt sich nunmehr ein weiteres Ergebnis festhalten: Politisches Handeln vermag zwar den Frieden der Person nicht herzustellen; vielmehr vollzieht es sich stets schon auf dessen Fundament. Aber es trägt maßgeblich zur Vertiefung Hier liegt natürlich kein destruktives Handeln vor. Das Gelingen dieses HandeIns ist selbstverständlich nicht allein von einem der Beteiligten abhängig. Ego erreicht seine Absichten - die Festigung der Beziehung - nur, wenn er sie im Modus der Absichten Alters wahrnimmt. Politisches Handeln hat wesentlich pluralen Charakter und kann nicht als einseitig verstanden werden. Somit ist die Festigung oder Vertiefung des Friedens durch politisches Handeln stets ein gemeinsames Werk der Beteiligten. 5 Viel anschauliches Material zu elementaren Interaktionsweisen in Beziehungen, deren Institutionalisierung und zum Umgang der Partner mit der Beziehung findet sich scharfsinnig interpretiert in der sozial phänomenologischen Studie von Kaufmann, Schmutzige Wäsche. 3

4

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

und Sicherung des Friedens bei. Dies geschieht auf eine in gewissem Sinne völlig unspektakuläre Weise, nämlich dadurch, daß politisches Handeln jeweils anstehende Probleme des Zusammenlebens bewußt auf eine Art und Weise bewältigt, wie es der jeweiligen Kultur des Friedens entspricht. Damit wird nicht nur möglicher Destruktivität vorgebeugt. Vielmehr vertieft sich als unwillkürlicher Effekt solcher bewußt gestaltender gelingender Interaktion der Normalzustand des Friedens. Insofern ist also die Erreichung des Friedens als eines abstrakten Ziels nicht Gegenstand klugen HandeIns. Vielmehr dient letzteres dem Frieden überall dort, wo es die Mentaliät, die Institutionen und Gewohnheiten, also die Kultur des Friedens je konkret im Umgang mit den Menschen pflegt. Als Fortbildung jener Ausprägungen der Kultur, in welchen der Frieden der Person seinen lebensweltlichen Sitz hat. ist politisches Handeln selbst Bestandteil der Kultur des Friedens: aus dieser Perspektive ist es der kluge - konstruktive gestalterische Umgang der Menschen miteinander im Sinne ihrer gemeinsamen Lebensformen, der fur Dauerhaftigkeit des Normalzustandes des Friedens in der Lebenswelt konstitutiv ist, da auf diese Weise Unfrieden und Feindschaft vom Zusammenleben ferngehalten werden. Darüberhinaus kann politisches Handeln aber auch dort, wo der Ausnahmefall des Unfriedens eingetreten ist, zum Frieden zurückfuhren und ihn wiederherstellen. Dabei ist zu bedenken. daß der Unfrieden niemals total ist. Denn erstens bleibt auch destruktiv gefuhrte Interaktion stets Interaktion, zweitens bestimmt die Destruktion nicht die Situation in ihrer Gesamtheit. Dadurch bleiben auch in der Situation des Unfriedens mannigfache Möglichkeiten der Aktualisierung gemeinsamen persönlichen Sinns. der politischem Handeln Anknüpfungspunkte zur Gestaltung der Situation eröffnet, die zur Abwendung und Beendigung der feindschaftlichen Destruktion genutzt und entwickelt werden können. Die Aufgabe ist dabei, die feindschaftliche Situation so zu definieren, daß der Andere aufgrund der neuen Definition seine Feindseligkeit beendet: Feindschaft als Variante persönlichen Sinnes ist dem gestaltenden Umgang mit persönlichem Sinn ebenso zugänglich wie Freundschaft oder Partnerschaft. Da nun das Personale im "Zuständigkeitsbereich" politischen Handeins liegt, ist es gerade - und nur - dieses, das den selbst friedlichen Weg aus Feindschaft und Destruktion eröffnen und gestalten kann. Arendt stellt einmal fest, daß "das Politische, das Handeln und Sprechen" mit dem "Personhaften ...• mit dem 'Wer einer ist' ... zu tun,,6 habe. Wenn nun Feindschaft sich gerade an dem So-Sein des Anderen entzündet. daran, daß er

6 Hannah Arendt. Kultur und Politik. in: dies., Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken I. hrsg. von Ursu/a Ludz, München 1994, 277-304, hier 301.

§ 17: Die existentielle Repräsentation der Gesellschaft

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der ist, der er ist, so findet sich das Gesagte in Arendts Aussage unmittelbar bestätigt. Eine Pazifizierung der Situation durch kluges Handeln kann auf verschiedenen Wegen erreicht werden, indem gemeinsamer persönlicher Sinn aktualisiert wird, beispielsweise durch den Versuch, Vertrauen herzustellen, durch das Betonen gemeinsamer Interessen oder durch die Darstellung des Unfriedens als Konflikt. Den Unfrieden zu beenden, erfordert mithin den Umgang mit dem Anderen als Person in der spezifischen Situation, die im Hinblick auf dessen Selbstverständnis so darzustellen ist, daß er von seinem destruktiven Handeln abläßt. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß es für den politischen Erfolg keine Garantie gibt, daß alles Verhandeln und Auf-den-anderen-Zugehen zur Aufhebung der Feindschaft vergeblich sein kann. Aber wenn ein Handeln überhaupt aus der Situation des Unfriedens herausführen kann, so ist es allein der präsentisch gestaltende Umgang mit persönlichem Sinn, in diesem Falle mit der Feindschaft des Anderen, der den Frieden wiederherzustellen vermag. Damit kann die Vorstellung von der in der Mentalität und deren Äußerungsformen sich manifestierenden Kultur des Friedens in bezug auf politisches Handeln präzisiert werden: Indem politisches Handeln im Sinne der Aristotelischen Klugheit bewußt die je überkommenen Lebensweisen pflegt und insofern es manifesten Unfrieden beseitigt, trägt es zugleich zur Vertiefung und Festigung des Friedens in der Lebenswelt, zur Kultur des Friedens bei.

§ 17: Die existentielle Repräsentation der Gesellschaft Die bisherigen Betrachtungen zum Verhältnis von Frieden und Politk bewegen sich auf der Ebene einfacher Interaktionsverhältnisse, auf welcher der Frieden mit der sozialen Existenz der Person verknüpft und Politik als Modus der Interaktion personaler Subjekte zu bestimmen ist. Als nächstes ist die Ebene des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens in den Blick zu nehmen. Zuerst ist dafür der Charakter des Friedens für diesen Bereich zu bestimmen. Dies erfolgt, indem der allgemein-ontologische Friedensbegriff des Augustinus' auf die gesamtsoziale Situation übertragen wird. Demnach gilt es, die Frage zu beantworten, was die spezifische Struktur der gesamtgesellschaftlichen Interaktion ist, d.h. auf welche Weise diese in ihrer Eigenart existiert. Die ungestörte Ruhe dieses Existierens ist dann Frieden in bezug auf das gesamtgesellschaftliche Zusammenleben.

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

Die Erarbeitung dieses Friedensbegriffs fuhrt direkt auch zum Begriff der Politik als Status und zum Befund einer existentiellen Verknüpfung von Frieden und Politik auf der Ebene gesamtgesellschaftlicher Interaktion. Die theoretische Behandlung der Situation auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene von Interaktion bedarf zunächst der Klärung dessen, was mit gesamtgesellschaftlicher Interaktion überhaupt gemeint ist. Dazu können Vorstellungen aufgegriffen werden, die John Dewey im Kontext seiner Theorie des Staates entwickelt hat: Dewey charakterisiert dort das Öffentliche folgendermaßen: "The characteristic of the public ... springs from the fact that all modes of associated behavior may have extensive and enduring consequences which involve others beyond those directly engaged in them.,,7

Diese Konsequenzen von Handlungen unterscheidet Dewey ausdrücklich von der "variety of associative ties which hold persons together in diverse ways. ,,8 Ohne auf Einzelheiten und Probleme der Theorie Deweys eingehen zu müssen, können seine Vorstellungen vom public doch in das interaktionistische Paradigma übersetzt und hier fruchtbar gemacht werden. Demnach ist die Situation dadurch gekennzeichnet, daß alle partikularen Interaktionen, beabsichtigte wie nicht beabsichtigte, einen nicht-intendierten Effekt haben, in den andere involviert sind. Dieser unwillkürliche Effekt ist von der willkürlichen Interaktion zu unterscheiden. 9 Bezieht man diese Zusammenhänge auf alle stattfindenden Interaktionen überhaupt, so ergibt sich als deren Folge ein alle partikularen Interaktionen umfassender Effekt. Dieser Effekt ist nun selbst eine Form der Interaktion: es ist die gesamtgesellschaftliche Interaktion, welche mithin alle partikularen (und in diesem Sinne innergesellschaftlichen) Interaktionen umfaßt und als deren unwillkürliches Resultat eine zusätzliche, zu diesen Interaktionen hinzukommende, von niemandem beabsichtigte Interaktion sui generis darstellt. Die gesamtgesellschaftliche Interaktion ist nicht-intendierter Effekt sämtlicher partikularer Interaktionen, und in diesem spezifischen Sinne "keine" personale Interaktion, obwohl sie aus personaler Interaktion hervorgeht. Das heißt: Ihr fehlt als - unwillkürlicher Effekt - das subjektive Moment. An der gesamtgesellschaftlichen Interaktion ist man nicht "beteiligt", sie "ergibt" sich, während man an der personalen Interaktion beteiligt ist. 10 Dewey, The public and its problems, 27. Ebenda, 38. 9 Dabei ist gegenüber Dewey darauf hinzuweisen, daß die unbeabsichtigten Effekte natürlich nicht nur die unmittelbar nicht beteiligten Personen betreffen, sondern auch die Beteiligten selbst. 10 Es muß ausdrücklich betont werden, daß die gesamtsoziale Interaktion zwar objektiv vorhanden ist, jedoch nicht mit der objektiven Interaktion verwechselt werden darf, wie sie oben begriftlich bestimmt wurde. 7

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§ 17: Die existentielle Repräsentation der Gesellschaft

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Man mag sich diesen Zusammenhang (mit einem allerdings immer noch zu wenig abstrakten und daher nicht völlig adäquaten Bild) veranschaulichen, indem man sich einen Beobachter vorstellt, der das Treiben in einer Kneipe betrachtet: Er sieht einzelne Gruppen von Leuten in Gespräche vertieft, miteinander Billard spielen etc. - also: interagieren. Diese partikularen Interaktionen, die "associative ties", verlaufen als solche unabhängig voneinander, stehen aber gleichwohl in einem gemeinsamen Zusammenhang und bilden "das gesellige Treiben" in der Kneipe, dessen Vothandensein als solches den einzelnen Besuchern gar nicht bewußt zu sein braucht, das aber von jenem Beobachter wahrgenommen wird: Die partikularen Interaktionen erzeugen eine Gesamtsituation, welche von jenen nicht intendiert ist und ihnen gegenüber, obwohl aus ihnen hervorgehend, unabhängig besteht. Gelegentlich wird vom umfassenden "Beziehungsnetz" 11 oder vom "Gewebe,,12 gesprochen, das die Gesellschaft sei. Bei der Verwendung dieser Metaphern darf nicht aus dem Blick geraten, daß die Gesellschaft als Totalität aller Interaktionen nicht lediglich die Summe der partikularen Interaktionen ist. Wichtig ist, die Gesellschaft als das Interaktionsgefilge zu betrachten, das als Faktum zu allen anderen zusätzlich hinzukommt und die anderen in sich enthält - insofern ist es notwendig, diese Form von Interaktion als eine eigene Ebene von Interaktionsverhältnissen zu b6handeln. Dem Vorhandensein der gesamtgesellschaftlichen Interaktion entspringt das spezifische Problem gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens, das daraus resultiert, daß das unwillkürliche Involviertsein in die gesamtgesellschaftliche Interaktion "kein Entschluß [ist], keine Zwecküberlegung, kein Teilverhältnis, sie ist die konkurrenzlose Identität des Menschen, der in einer einzigen Gruppe aufgewachsen ist, in der sich sein Dasein in jeder Beziehung erfilllen muß. Alle unterscheidbaren Gruppen, zu denen er kraft irgendwelcher Rollen gehören mag, sind bloß Teile einer größeren Gruppe, der er sich zurechnet." 13 Weil dies filr jeden Einzelnen gilt, umfaßt die gesamtgesellschaftliche Interaktion "ausnahmslos alle in dem betreffenden Fall zusammenlebenden Personen.,,14 11 Siehe so etwa Tenbruck, G&G, 218 und passim oder Elias, Was ist Soziologie?, 12 oder 139 wo der Autor von "Netzwerken" spricht. Öfter als diesen Ausdruck verwendet Elias neben dem Schlüsselwort "Figuration" aber die Ausdrücke "Geflecht", "Interdependenzkette" oder "Gefüge". Siehe Elias, ebenda, passim oder ders., Die Gesellschaft der Individuen, passim. 12 So beispielsweise Henke, R&S, 77 und ff., der sowohl vom Netz als auch vom Gefüge spricht. 13 Tenbruck, G&G, 287, siehe auch ebenda, 218. (Die Rede von der "konkurrenzlosen Identität" ist allerdings unklar und irreführend. Daß sich Tenbruck an der zitierten Stelle auf authentische Gesellschaften (dieser Ausdruck stammt von Claude LeviStrauss und ersetzt pejorative Termini wie den der "primitiven Gesellschaft") bezieht. ändert nichts daran, daß die Aussage für alle Gesellschaften gilt). 14 Buchheim, TdP, 89.

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

Da das Faktum der Gesellschaft rur den Einzelnen unverrugbar vorgegeben ist, er also nicht die Wahl hat, zu einer Gesellschaft zu gehören oder nicht, dies aber gleichzeitig rur alle einzelnen gilt, stellt sich das Problem, wie mit diesem Faktum umzugehen und wie es zu gestalten ist. Dieses Problem wird stets dann sozial aktuell, wenn die Beteiligten ihr Zusammenleben deshalb gestalten müssen, weil sie faktisch in der gleichen Gesellschaft leben, ohne daß sie "eigentlich", das heißt: "privat" etwas miteinander zu tun haben. Das so charakterisierte Problem ist das des öffentlichen Zusammenlebens, im Unterschied zum privaten. Während dieses Problem des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens im Falle authentischer Gesellschaften 15, die eine sehr geringe Bevölkerungszahl aufweisen und den Charakter von face-to-face-societies haben, noch relativ anschaulich vor Augen steht, ist diese Anschaulichkeit bei Großgesellschaften nicht mehr gegeben. Gleichwohl besteht das Problem rur diese wie rur jede andere historische Gesellschaft auch. Die Größe des zu integrierenden gesamtsozialen Interaktionsgeruges ist abhängig von unterschiedlichsten vorgegebenen Faktoren etwa geographischer, klimatischer, wirtschaftlicher, technischer oder religiöser Art, die dem Problem selbst vorausliegen. 16 Wie auch immer die Grenzkriterien im einzelnen bestimmt werden, sie beziehen sich stets auf eine Gesamtheit bzw. Allgemeinheit der Dazugehörigen, auf ein Wir und damit auf eine kollektive Identität. 17

Siehe zu diesem Terminus siehe Fn. 13. Als Kriterien der Zugehörigkeit wird man zwischen "sozialen Grenzziehungen" und territorialen Grenzen unterscheiden, wobei deren jeweilige Bedeutung als Zugehörigkeitskriterium historisch kontingent und das Territorial-Kriterium vermutlich meist von sekundärer Bedeutung ist. Die soziale Zugehörigkeitsgrenze kann etwa auf einer gemeinsamen Religion, auf gemeinsamer Abstammung oder auch auf einem gemeinsamen Problem beruhen. Die territoriale Grenze darf nicht strikt im modemen Sinne einer eindeutigen Grenzlinie gedacht werden. Das jeweilige Territorium kann hier auch einen offenen Horizont meinen (etwa bei nomadischen Völkern). Das bedeutet, daß das Territorium nicht einfach als "natürliche" Gegebenheit relevant ist, sondern selbst in einern sozialen bzw. politischen Deutungszusammenhang steht. (Siehe gegen ein naturalistisches Verständnis des Staatsgebietes Heller, Staatslehre, 239 ff., insbes. 243 und Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, 168 f., wo (169) Smend vom "Gebiet als Gegenstand geistiger Erlebnisse" spricht. Zur Unterscheidung zwischen sozialer und territorialer Grenze siehe Mühlmann, Rassen, Ethnien, Kulturen, 248 ff.). 17 Siehe dazu oben 75 f., insbes. das Zitat von Meier. Die Problematik von Mitgliedschaft und Inklusion, die mit den obigen Ausführungen angesprochen ist, braucht hier nicht weiter vertieft zu werden. Siehe aus der zahlreichen jüngeren Literatur hierzu beispielsweise Gerhard Preyer, Mitgliedschaftsbedingungen. Zur soziologischen Kerntheorie einer Protosoziologie, in: ders. (Hrsg.), Strukturelle Evolution und das Weltsystem. Theorien, Sozialstruktur und evolutionäre Entwicklungen, Frankfurt am Main 1998, 71-119. 15

16

§ 17: Die existentielle Repräsentation der Gesellschaft

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Um das Problem des Zusammenlebens zu bewältigen, bedarf es auch einer spezifischen Leitidee, das heißt eines rur alle Beteiligten gemeinsam verbindlichen Konzepts dieses Zusammenlebens. Allerdings erscheint das Problem der das Zusammenleben integrierenden Leitidee hier in ganz anderer Weise als dies in partikularen Interaktionsverhältnissen der Fall ist: Die gesamtgesellschaftliche Interaktion ist nämlich als neben den partikularen Interaktionen existierende zusätzliche Interaktion sui generis kein Subjekt, keine Einheit (gewissermaßen als "die" Gesellschaft). "Gesellschaft" ist als solche in ihrer Gesamtheit eine nicht handhabbare und handlungsunfiihige Vielheit. Sie kann daher auch nicht als ein partikulares und nicht-öffentliches Problem behandelt und nicht von Einzelnen gestaltet werden. Deshalb geht es darum, jenes Faktum gesamtsozialer Interaktion, das die Gesellschaft ist, dennoch als ein partikulares Faktum darzustellen l8 , das heißt, ihm seinen Status der Unwillkürlichkeit zu nehmen und es bewußt handhab bar und gestaltbar zu machen. Das Problem also ist, die Vielheit in eine Einheit der Vielheit, in ein Subjekt zu transformieren. Erst wenn dies gelungen ist kann das Faktum der pluralen Gesamtheit einer Gesellschaft "zu den einzelnen partikularen Gegebenheiten in Beziehung gebracht werden. als wäre es selbst eine, ohne dabei aber seine absolute Allgemeinheit einzubüßen. Nur so kann die Gesellschaft selbst handlungsfahige Einheit werden, und das heißt: sich zu ihren Bestandteilen verhalten, als sei sie seIbst einer davon. Nur so ist es schließlich möglich, daß die Gesamtheit der Gesellschaft inner~esellschaftlich repräsentiert und als innergesellschaftliche Position definierbar wird." 9

Eine Eigenart der gesamtsozialen Interaktion besteht darin, daß dort, wo sie selbst als solche zu gestalten ist, das heißt: wo das gesamtsoziale Zusammenleben als solches zu gestalten ist, die Notwendigkeit besteht, sich an einer einzigen Leitidee zu jener Gestaltung zu orientieren. Das bedeutet, daß diese bewußt zu objektivieren und zu entwickeln ist. Dazu ist vorausgesetzt, daß es sich bei der entsprechenden Leitidee um ein allen Gemeinsames, ein Allgemeines handelt, da es bei der Bewältigung der gesamtsozialen Situation um ein alle betreffendes Problem geht, das nur gemeinverbindlich gelöst werden kann, wenn das Konzept, welches das Zusammenleben ordnet, rur alle akzeptabel und in diesem Sinne zustimmungsfiihig ist: Denn erstens geht es in diesem Fall um einen Inhalt, der dasjenige Verhalten orientiert, das jeder jedem Anderen innerhalb des öffentlichen Raumes als Person schlechthin schuldet - das heißt: Es geht um fundamentale Nicht-

18 Siehe dazu Hans Buchheim, Der demokratische Verfassungsstaat und das Problem der Demokratisierung der Gesellschaft (Sonderauflage der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz), 0.0. 1975,5. 19 Ebenda.

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

Destruktivität des Handeins auf gesamtsozialer Ebene. 20 Zweitens erwächst die Verbindlichkeit der Leitidee für alle an der gesamtsozialen Interaktion Beteiligten aus dessen bewußter Objektivierung. Es muß mit anderen Worten ein gesamtgesellschaftliches Wir als das gemeinsame Selbstverständnis aller Gesellschaftsmitglieder verbindlich werden. 21 Innergesellschaftlich werden die Leitideen (z.B. Freundschaft, Kollegialität, Ehe etc.) konkret verwirklicht22 : Sie können, ausgefaltet in Gewohnheiten und Institutionen, jeweils unterschiedlich konkretisiert werden, ohne daß sie bewußt oder gar ausgesprochen oder in einem Diskurs verhandelt werden müßten, das heißt: ohne daß die Idee erst explizit auszuformulieren wäre, was jedoch auch möglich ist (man lebt nicht "die" Freundschaft sondern: eine FreuI'ldschaft). Demgegenüber muß die Leitidee, nach welcher das gesamtgesellschaftliche Zusammenleben gestaltet werden soll, manifest werden, um Verbindlichkeit zu erlangen - dies deshalb, weil die gesamtsoziale Interaktion als solche nicht gehandhabt werden kann, solange sie nicht bewußt zu einem gesellschaftlichen Faktum gemacht wurde. Erst dann wird sie auch als partikulare Interaktion handhabbar. Dies verdeutlicht, daß die Leitidee des Zusammenlebens - anders als auf partikulares Zusammenleben bezogene Leitideen - notwendig eines sie repräsentierenden Symbols als Träger bedarf, denn erst über die Symbolisierung wird die Leitidee greifbar und Gegenstand bewußter Gestaltung. Daraus resultiert eine spezifische Dialektik in der Entwicklung und Differenzierung der Leitidee und der Form des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens: Einerseits muß die Leitidee ausdrücklich gesetzt und gestaltet werden, andererseits habitualisiert sie sich wieder und sinkt ins Unbewußte des Ordnungswissens ab. So in das Ordnungswissen integriert, kann sie sich als dessen Bestandteil unwillkürlich in der Praxis verändern. Wird dann das Problem des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens anläßlich einer besonderen Gegebenheit wieder aktuell, so muß auch die Leitidee wieder ins Bewußtsein gehoben und bewußt gestaltet werden. Insofern wird sie also nicht in der Weise verobjektiviert und verbindlich gemacht, daß sich die Gesellschaft in einem einmal i20 Hierin liegt im engeren Sinne das Problem des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens: Es geht darum, daß diejenigen, die der gesamtgesellschaftlichen Situation nicht entfliehen können (und das sind zunächst einmal faktisch mindestens alle, die in eine Gesellschaft hineingeboren werden), die minimale Anerkennung seitens beliebiger anderer Personen müssen erwarten können, die dieselbe Situation mitkonstituieren und gleichermaßen an ihr teilhaben. Das politische Problem lautet mithin: Wie ist gesamtgesellschaftlicher Friede möglich? 21 Das schließt nicht aus, daß ein und dieselbe Gemeinschaft mehrere Identitäten ausgebildet hat. Es muß aber unter diesen eine "herausgegriffen" und verbindlich objektiviert werden. 22 Siehe dazu in § 8 oben die Ausführungen zum praktischen Wissen und zur Mentalität.

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gen Akt auf die Leitidee einigt und in Zukunft ihr Zusammenleben hierauf ausrichtet. Vielmehr erfahrt die Leitidee ihre verbindliche Umsetzung aufgrund besonderer einzelner Anlässe, die das öffentliche Zusammenleben als solches betreffen. Dabei werden einzelne, der Leitidee entsprechende Lösungen in konkreten Situationen bewußt entwickelt. Diese Lösungen definieren die gesamtgesellschaftliche Situation aufgrund des entsprechenden Anlasses im Sinne der Leitidee verbindlich und legen sie fest. Die solcherart sich vollziehende fortgesetzte Bewältigung des Problems des Zusammenlebens aus Anlaß einzelner, konkreter Notwendigkeiten, erscheinen erst der rückblickenden Reflexion als aus einer allgemeinen Leitidee entfaltet. Diesen Prozeß beschreibt in einzigartiger Weise Hegel im Kontext seiner Erörterung der Entwicklung der Verfassung in den folgenden von ihm überlieferten Worten: "Was dem Bewußtsein vorliegt, ist eine einzelne Not, die Abhilfe erfordert. Was nach und nach sich einschleicht und zur Gewohnheit wird, wird später zum Gesetz gemacht, und anderes kommt in Verfall und wird aufgehoben.,,23 Nach der auf diese Weise durch bewußtes Gestalten sich entfaltenden Leitidee bzw. dem Konzept des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens kann "jeder beliebige einzelne mit jedem anderen beliebigen einzelnen verkehren ... , auch wenn den bei den dafür weder eine besondere gemeinsame Sachorientierung noch individuelles Einander-Kennen zur Verfügung stehen. Dieses Konzept betrifft also das, was Personen einander als Personen schlechthin schulden, auch wenn sie einander fremd oder nicht durch gemeinsam verfolgte Zwecke verbunden sind.,,24 Dadurch, daß dieser Prozeß aufgrund konkreter Anlässe aktualisiert wird, erkennt sich die Gesellschaft als solche erst in der konkretisierten Leitidee des Zusammenlebens selbst. Das heißt: Wird die gesamtgesellschaftliche Interaktion als solche sich selbst zum Gegenstand, so wird das Faktum gesamtsozialer Interaktion zum sozialen Faktum 25 , "die" Gesellschaft konstituiert sich selbst als Subjekt, indem die gesamtsoziale Situation verbindlich definiert wird. Dadurch wird das subjektive Moment gewonnen, das dem Faktum der gesamtgesellschaftlichen Interaktion an sich fehlt. Die Definition der Situation besteht in der allgemein verbindlichen Objektivierung der Leitidee (oder des gemeinsamen Selbstverständnisses aller) und dem sie repräsentierenden Symbol, in welchem sich die Gesellschaft artiku23 Georg W F. Heget, Philosophie des Rechts. Die Vorlesung von 1819/20 in einer Nachschrift, hrsg. von Dieter Henrich, Frankfurt am Main 1983, 229. Siehe auch Buchheim, TdP, 142 und ders., Wie der Staat existiert, in: ders., Beiträge zur Ontoplogie der Politik, 27-49, hier 31. 24 Buchheim, Wie der Staat existiert, 29. 25 Siehe dazu Buchheim, TdP, 93 ff. und ders., Der demokratische Verfassungsstaat,

5f.

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

liert. 26 Auf diese Weise ist der Akt der Objektivierung identisch mit der Subjektwerdung der Gesellschaft. In diesem Prozeß tritt die Gesellschaft überhaupt erst als solche - d.h. als handelndes Subjekt - in ihre Existeni7: Es wird nämlich die Leitidee in konkreter Verwirklichung des Ordnungswissens nicht nur faktisch praktiziert, sondern es wird vielmehr im Akt der Objektivierung zusätzlich ein Repräsentanr 8 (künstlich) geschaffen. Erst in ihm wird die Gesellschaft handlungsfahig. 29 So fuhrt Voegelin aus:

Zu dieser Artikulation und zum folgenden siehe Voegelin, NWP, 64 ff. Es mag paradox erscheinen, wenn einerseits vom Faktum der gesamtgesellschaftlichen Interaktion die Rede ist, andererseits Gesellschaft erst existent wird, indem sie einen Repräsentanten hervorbringt. Dieses Paradox kann dadurch entstehen, daß man sich Gesellschaft als eine selbständige Entität denkt, die man womöglich auch noch als einen zeitlich vor dem politischen Verband existierenden "Naturzustand" vorstellt: Was wäre dann "Gesellschaft" gewesen, wenn diese noch nicht "existierte"? Hierzu ist folgendes zu bemerken: (i.) In einem gewissen Sinne gab es niemals einen identifizierbaren Anfang des Repräsentanten der Gesellschaft: Mit dem Menschsein gab es immer auch schon diesen als die Existenzfonn der Gesellschaft. Er hatte, nach allem was wir wissen, anfänglich die Fonn der Familie oder der Sippe. Insofern war menschliche Gesellschaft immer schon als Subjekt auch existent. (ii.) Von diesem Punkt aus evo1uierte der politische Verband: Mit der gesellschaftlichen Evolution veränderte sich auch seine Gestalt: Von der Horde führt der Weg über segmentäre Gesellschaften, Stammesgesellschaften und weitere "Stufen" über antike Großreiche bis zum mittelalterlichen Reich und zum modemen Verfassungsstaat. (Einen interessanten Versuch der Darstellung und Erklärung dieser Evolution präsentiert Hannes Wimmer, Evolution der Politik. Von der Stammesgesellschaft zur modemen Demokratie, mit einem Vorwort von Anatol Rapoport, Wien 1996). Es gibt Zeiten ohne gesellschaftlichen Repräsentanten, aber diese sind immer nur der Ausnahmefall, der vom Nonnalfall her zu erklären ist. Und diese Erklärung zeigt jenen Ausnahmefall als den Fall des Bürgerkrieges. Siehe dazu unten § 23. 28 Siehe zum Begriff der Repräsentation ausführlich Voegelin, NWP, 57-83 und passim; Heinz Rausch, Repräsentation und Repräsentativverfassung. Anmerkungen zur Problematik, München 1979; Siegfried Landshut, Der politische Begriff der Repräsentation, in: ders., Kritik der Soziologie und andere Schriften zur Politik, Neuwied am Rhein, Berlin 1969, 347-360 sowie die Arbeiten in Heinz Rausch (Hrsg.), Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, Darmstadt 1968. Knapp dazu auch Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie und Repräsentation. Zur Kritik der heutigen Demokratiediskussion, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie. Studien zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrecht, Frankfurt am Main 1991, 379-405, hier insbes. 390 ff. 29 Repräsentation bedeutet allgemein Vergegenwärtigung, Darstellung oder Vorstellung. Zur Wort- und Begriffsgeschichte siehe umfassend Hasso Hofmann, Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert (1974), 2. Auflage, Berlin 1990; Rausch, Repräsentation und Repräsentativverfassung, insbesondere 29-86 (zur Repräsentationsvorstellung im klassischen Latein dort 114-136) sowie Johannes Kimme, Das Repräsentativsystem unter besonderer Beachtung der historischen Entwicklung der Repräsentation und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zug\. Diss. iur. Mainz 1987), Berlin 1988, 22-105. 26

27

§ 17: Die existentielle Repräsentation der Gesellschaft

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Der "Prozeß, in dem eine Vielzahl von Menschen sich zu einer handlungsfiihigen Gesellschaft gestaltet, soll die Artikulierung einer Gesellschaft, ihr Durchbruch zur historischen Existenz genannt werden. ,,30

Der Repräsentant der Gesellschaft kann als handlungsflihiges Subjekt die Leitidee verbindlich durchsetzen, was wiederum nur deshalb möglich ist, weil er nichts anderes verkörpert als das auf das gesamtsoziale Zusammenleben gerichtete Selbstverständnis aller Beteiligten - ihr gemeinsames Wir, das damit filr die Ordnung der Gesellschaft als Einheit konstitutiv ist. Diesen Aspekt der Repräsentation hebt Siegfried Landshut hervor: "Präsent und wirksam gemacht wird jenes besondere Prinzip, das die Einheit und Gemeinsamkeit der politischen Lebensgemeinschaft ausmacht, ein ... Prinzip, das als ein Imperativ der Lebensführung oder, nach dem Ausdruck des lohannes Althusius, als regula vivendi ... oder als way of Iife die Glieder der Gemeinschaft bindet und die substantielle Einheit des Gemeinwesens bewirkt. ,,31

Entsprechend den obigen Ausfilhrungen ergibt sich, daß die Konstitution des Repräsentanten nicht als einmaliger Akt vorzustellen ist. Es handelt sich vielmehr um einen ständig ausdrücklich zu aktualisierenden Prozeß der Integration 32 , d.h. der Aktualisierung und Konkretisierung der Leitidee. Im Prozeß der Integration wird im Repräsentanten die "Herrschaft des Volkes als Einheit über

30 Voege/in, NWP, 65. (Hervorhebung hinzugefiigt). In seiner kenntnisreichen und tiefgehenden Studie zeigt Heinz Rausch unter anderem, daß "auch etwas repräsentiert werden [kann], das erst im Repräsentanten in Erscheinung tritt." (Rausch. Repräsentation und Repräsentativverfassung, 265). 31 Landshut, 355. Landshut schreibt weiter (355 f.): "Eine solche Leitidee der Lebensfiihrung, auf die hin sich das Leben einer Vielheit als ein Gemeinsames versteht und das die Besonderheit eines Gemeinwesens im Unterschied zu anderen ausmacht, vermag auch allein die Identität einer politischen Gemeinschaft durch die Zeit ... zu verbürgen und begründet überhaupt die Möglichkeit, daß die Gemeinsamkeit, das Gemeinwesen ... als ein Eigenständiges und institutionell Befestigtes dem einzelnen gegenüber und über ihm steht." Siehe dazu noch Voege/in, Anamnesis, 284 sowie mit bezug auf Hauriou und den Begriff der Leitidee ders., NWP, 79 ff. 32 Siehe zur Integration vor allem die zitierten Arbeiten Smends, insbesondere Verfassung und Verfassungsrecht, 136 ff., 142 ff., 148 ff., 160 ff. und 170 ff.; ferner Manjred Mols, Integration, in: StL, Band 3, Sp. 111-118, hier besonders Sp. 116 f. Seit Kelsens Polemik gegen Smend (Hans Kelsen, Der Staat als Integration. Eine prinzipielle Auseinandersetzung, Wien 1930) beruht die Kritik an Smends Konzept insbesondere in der Staatsrechtslehre bisweilen auf Mißverständnissen, so etwa bei losej Isensee, Staat und Verfassung, in: HbStR, Band I, § 13, 591-661, hier Rn. 59, wo ein TotalitarismusVorwurf gegen Smend erhoben wird. Gegen solche Mißverständnisse ist mit Konrad Hesse hervorzuheben, daß Einheitsbildung "nicht die Herstellung eines harmonischen Zustandes allgemeiner Übereinstimmung, vollends nicht die Aufhebung sozialer, politischer oder organisatorisch-institutioneller Differenzierungen durch totale Gleichschaltung [bedeutet]." (Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland. 20., neubearbeitete Auflage, Heidelberg 1995, Rn. 7).

9 Henkel

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

das Volk als Vielheit,,33 konstituiert. Aus dem prozeßhaften Charakter der Integration resultiert, daß auch Repräsentation selbst als dynamisch zu verstehen ist. 34 In ihrem Repräsentanten kann die Gesellschaft über die Art und Weise ihres Zusammenlebens als Ganze und über jedes Einzelproblem, das dem Faktum des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens entspringt, disponieren. Der Repräsentant trifft die entsprechenden Entscheidungen im Sinne der Leitidee des Zusammenlebens, und zwar ohne daß alle Einzelnen daran explizit beteiligt sein müssen. Vielmehr entscheidet er in ihrer aller Sinn. 35 Der Repräsentant, der zugleich eine Institution (besonderer Art 36) ist, vergegenwärtigt also mit anderen Worten das Selbstverständnis oder die Identität dieser Gesellschaft und darin die Gesellschaft als solche. Diese Repräsentation kann man mit Voegelin als "existentielle Repräsentation" (im Unterschied zur Repräsentation im deskriptiven Sinne) bezeichnen. 37 In ihrem Repräsentanten wird die Gesellschaft als Einheit der Vielheit handlungsfähig und erst als handlungsfähiges Subjekt kann sie die Leitidee, auf die sie sich für die Bewältigung ihrer öffentlichen Probleme geeinigt hat, verbind33 Hermann Heller, Die Souveränität. Ein Beitrag zur Theorie des Staats- und Völkerrechts (1927), in: ders., GS 11, 31-202, hier 99. 34 Hasso Hofmanns Feststellung, Voegelins Repräsentationsbegriff sei "mehr statisch", ist also zumindest ungenau. (Siehe so Hofmann, Repräsentation, 31). Zum dynamischen Charakter der Repräsentation siehe besonders Rausch, Repräsentation und Repräsentativverfassung, 240, 244, 249, 258 und 252 mit ausdrücklicher Bezugnahme auf Smend. 35 Das ist ein entscheidendes Kriterium von Repräsentation: Der Repräsentant ist nicht an einen formalen Auftrag gebunden, er hat einen freien Gestaltungsspielraum, innerhalb dessen er schöpferisch im Sinne des Konzepts handeln kann. Deshalb ist Repräsentation nicht etwa Stellvertretung im zivilrechtlichen Sinne. "Der Repräsentant ist unabhängig, daher weder Funktionär, noch Agent, noch Kommissar." (Schmitt, VL, 212). 36 Er ist eine bewußt - wenngleich nicht in einem einmaligen Gründungsakt - geschaffene Institution. 37 Siehe dazu Voegelin, NWP, 57 ff. Siehe auch Rausch, Repräsentation und Repräsentativverfassung, 246: "Politische Repräsentation ist daher existentiell für eine politische Gemeinschaft, weil diese nur durch ihren Repräsentanten artikuliert in Erscheinung treten kann." (Siehe auch ebenda, 257). Folgerichtig bezeichnet Rausch Repräsentation als eine "ontologische Kategorie" (ebenda, 253 und passim), wobei nach den vorstehenden Ausführungen genauer von einer sozialontologischen Kategorie zu sprechen wäre. An Voegelins Konzept der existentiellen Repräsentation orientiert sich auch die Arbeit von Man/red Hättich, Zur Theorie der Repräsentation, in: Rausch (Hrsg.), Zur Theorie und Geschichte, 498-509, insbes. 501 und ff. sowie 508. Siehe zu den Repräsentationstheorien von Voegelin und Hättich Kimme, Das Repräsentativsystem, 119-123, zu derjenigen Rauschs ebenda, 127-130. Den Gedanken der existentiellen Repräsentation hat in aller Klarheit schon Hobbes auf den Begriff gebracht. Siehe das 16. Kapitel von dessen Leviathan (123-127), hier 125 f. und dazu Hofmann, Repräsentation, 388 f.

§ 18: Der politische Verband

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lich durchsetzen. Erst als handelndes Subjekt wird das Faktum der gesamtgesellschaftlichen Interaktion "handhabbar" . Es sei nochmals betont, daß hier einer der zentralen Unterschiede im Vergleich zu partikularen Interaktionen besteht: Während dort die verschiedenen Leitideen (Freundschaft, Kollegialität etc.) ohne weiteres konkret und unbewußt gelebt werden (können), hängt die Verwirklichung der gesamtgesellschaftlichen Leitidee an ihrer bewußten und ausdrücklichen Gestaltung. Dies hat seinen Grund darin, daß die gesamtgesellschaftliche Interaktion an sich unwillkürlich verläuft und deshalb zu ihrer Gestaltung bewußt und allgemein verbindlich aktualisiert werden muß. So betont Heller: "Niemals aber ergibt die relative natürliche oder kultürliche Einheitlichkeit der Gebietsbewohner an sich schon die Einheit des Staates. Diese ist letztlich immer nur als das Ergebnis bewußter menschlicher Tat, bewußter Einheitsbildung ... zu begreifen.,,38 Aus dem erstens künstlichen und zweitens geistigen Charakter des existentiellen Repräsentanten resultieren zwei Umstände: (i.) Da der Repräsentant weder Personalität noch - infolgedessen - ein eigenes Bewußtsein hat, muß er selbst wieder repräsentiert werden, und zwar von natürlichen Personen, die daher in einem doppelten Sinne als Repräsentanten zu betrachten sind. 39 (ii.) Der Repräsentant der Gesellschaft existiert als nicht-intentionales Subjekt: Das heißt, er bezieht (vermittelt durch die ihn repräsentierenden Personen) nur solche Gegebenheiten auf sich, die er bewußt auf sich beziehen will.

§ 18: Der politische Verband Wenn fiir politisches Handeln (Politik als Modus) dessen Situativität als charakteristisch herausgestellt wurde, so kann dieses Charakteristikum auch auf die gesamtgesellschaftliche Ebene, d.h. auf die gesamtsoziale Situation angewandt werden. Diese Situation zeichnet sich dadurch aus, daß aller prinzipiell verfiigbare Sinn zur Gestaltung der gesamtgesellschaftlichen Interaktion aus dem Sinnfundus der Gesellschaft selbst stammt. Jeglicher außerhalb der Ge-

38 Hel/er, Staatslehre, 341. Siehe auch Hegel, Rph, § 258 Zus.: "Der Staat ist der Geist, der in der Welt steht und sich in derselben mit Bewußtsein realisiert ... Nur als im Bewußtsein vorhanden, sich selbst als existierender Gegenstand wissend, ist er der Staat." Dasselbe hat Hobbes im Sinn, wenn er die Schöpfung des Staates in der Einleitung des Leviathan mit jenem "fiat" vergleicht, "das Gott bei der Schöpfung aussprach". 39 Siehe dazu Hartmann, 320 ff.

9*

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

samtgesellschaft liegende Sinn hat rur deren Zusammenleben als solches keinerlei Relevanz. 4o Für die Übertragung des Begriffs des politischen Handeins auf die gesamtgesellschaftliche Situation bedeutet das: Besteht der Sinn politischen Handeins in der Bewältigung einer Situation als solcher durch deren verbindliche Definition41 , so gewinnt das politische Element der Interaktion auf gesamtgesellschaftlicher Ebene volle soziale Aktualität und Realität, weil die Situation auf dieser Ebene nicht unter einschränkenden Bedingungen steht, die ihr von außerhalb ihrer selbst gelegenem Sinn auferlegt sind. Daher ist rur die gesamtgesellschaftliche Situation jeglicher Sinn total disponibel. 42 Alle Inhalte, die als Orientierung zur Bewältigung der Situation herangezogen werden können, sind nach Maßgabe der Umstände in dieser Situation gestaltbar. Deshalb kann nur hier rein an der Situation als solcher orientiert gehandelt werden. Nur hier kann das gemeinsame Handeln rein "präsentisch" sein. Nur hier kommt Politik in reiner Form vor. Das bedeutet aber, daß die verbindliche Definition der gesamtgesellschaftlichen Situation, die Selbstartikulation der Gesellschaft in der Verbindlichmachung einer Leitidee ein rein politischer Akt ist. Die Definition der gesamtgesellschaftlichen Situation schöpft aus dem Ordnungswissen der Gesellschaft als dem gesamtgesellschaftlich gemeinsamen persönlichen Sinn (das jenes Allgemeine darstellt, welches nun situationsgerecht zu verwirklichen ist). Sie "entspringt" insofern der gesamtgesellschaftlichen Mentalität, ordnet und disponiert, organisiert im Sinne Hellers dieses Wissen in der Anwendung auf die jeweiligen Probleme der Situation.43 Der Repräsentant der Gesellschaft tritt also durch rein politisches Kalkül und Handeln in seine Existenz, weshalb diese eine rein politische ist. Der Repräsentant der Gesellschaft ist der politische Verband. 44 40 Demgegenüber ist die partikulare Situation - wie dargestellt - dadurch geprägt, daß die je Beteiligten stets noch in anderen Sinnkontexten stehen, die der jeweiligen Situation unverfiigbar vorgegeben sind. Siehe das Beispiel des Kege\clubs (oben 115) sowie Buchheim, TdP, 92. 41 Siehe oben § 15. 42 Hierin liegt ein zentrales Moment der Souveränität des politischen Verbandes. Siehe zum Souveränitätsbegriff die unten Fn. 85 angegebene Literatur. 43 Zu Hellers Begriff des Organisierens siehe die Definition in: Heller, Staatslehre, 342, wobei allerdings zu beachten ist, daß Heller auch an dieser Stelle vom Zusammenwirken anstatt vom Zusammenleben von Menschen spricht. Zum Organisationsbegriff bei Heller siehe Lutz Berthold, Transitive Macht, intransitive Macht und ihre Verbindung: Hermann Hellers Begriff der Organisation, in: Gerhard Göhler u.a., Institution Macht - Repräsentation. Woflir politische Institutionen stehen und wie sie wirken, Baden-Baden 1997, 349-359. 44 Voegelin spricht in diesem Kontext von der "politischen Gesellschaft" und schreibt, daß diese existent wird, "wenn sie sich artikuliert und einen Repräsentanten

§ 18: Der politische Verband

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Das allgemeine Wissen um die Art und Weise das Zusammenleben kommt also im politischen Verband bewußt und verbindlich zum Ausdruck. 45 Unter Rückgriff auf das oben zum Ordnungswissen ausgefUhrte bedeutet dies: Im politischen Verband objektiviert sich das zur Leitidee verdichtete Ordnungswissen einer Gesellschaft, gewinnt das all-gemeinsame Wir46 Aktualität. Politik begegnet im politischen Verband als Status. 47 Wenn also das Problem des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens, der Bewältigung der gesamtsozialen Situation als das politische Problem schlechthin bezeichnet wurde, ist dies vor dem skizzierten Hintergrund ohne weiteres verständlich: Das Problem kann nur politisch gelöst werden. Mit der Existenz des politischen Verbandes ist zugleich der nicht-politische Raum konstituiert, der Bereich des Privaten und - in der Neuzeit - der Bereich der unpolitischen Gesellschaft. Letztere, die Gesellschaft im engeren Sinne, ist von der Gesellschaft im Sinne des gesamtgesellschaftlichen Interaktionszusammenhangs zu unterscheiden. Politischer Verband einerseits und die unpolitischen Bereiche der Gesellschaft (im engeren Sinne) und des Privaten andererseits sind vielmehr als unterschiedliche Aggregatzustände jenes gesamtgesellschaftlichen, allumfassenden Interaktionszusammenhangs zu verstehen. 48 Diese hervorbringt." (Voegelin, NWP, 81, Hervorhebung hinzugefügt). Ähnlich, wenn auch ungenauer, meint Dewey: "A public articulated and operating through representative officers is the state." (Dewey, The public and its problems, 67). Arendt bezeichnet den Staat als Repräsentanten "des öffentlich Gemeinsamen." (Arendt, Vita activa, 100); siehe zum "Staat als Repräsentation" auch Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2., durchgesehene Auflage, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1966, 232-340, besonders § 18 (234-253), dort etwa 236 und 238. Krügers breit entfaltete Repräsentationstheorie weicht allerdings in entscheidenden Punkten von der hier vorgestellten ab. Zu einer Kritik des Krügersehen Ansatzes siehe Hättich, Zur Theorie der Repräsentation, 506 ff. 45 "Nur als im Bewußtsein vorhanden ... ist ... der Staat." (Hegel. Rph, § 258 Zus.). 46 Zum Wir-Bewußtseins im politischen Verband siehe Heller, Staatslehre, 346, zur Allgemeinheit ebenda, 351 f. 47 Insofern Politik nur als Status rein existiert, kann für eine adäquate Bestimmung des Politikbegriffs der Bezug auf den politischen Verband oder den Staat nicht aufgegeben werden. Siehe dazu etwa Heller, Staatslehre, 311. 48 Siehe zu den Aggregatzuständen im Sinne dieser Ausführungen Roman Herzog, Allgemeine Staatslehre, Frankfurt am Main 1971, 141 und 145; RolfGräschner, Freiheit und Ordnung in der Republik des Grundgesetzes. Für eine republikanische, nicht aber republikanistische Rechts- und Staatslehre, in: JZ 51 (1996),637-646, hier 643 f. und Horst Dreier, Rechtsethik und staatliche Legitimität, in: Universitas 48 (1993), 377-390, hier 385; zur Diskussion um die Problematik von "Staat und Gesellschaft" (im engeren Sinne der seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert entstandenen Gesellschaft) die Arbeiten in dem Sammelband von Ernst-Wolfgang Bäckenfärde (Hrsg.), Staat und Gesellschaft, Darmstadt 1976 sowie Hans Heinrich Rupp, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, in: HbStR, Band 1, § 28 (1187-1223). Festzuhalten ist, daß der hier präsentierte Ansatz Staat und Gesellschaft (im engeren Sinne) nicht als getrennte Entitäten, sondern als zu unterscheidende Aggregatzustände eines umfassenden Interaktionszusammenhanges verstehen läßt.

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

Unterscheidung ist filr die Differenzierung von gesamtgesellschaftlichem und innergesellschaftlichem Frieden konstitutiv. 49

§ 19: Der politische Verband als Friedenseinheit Greift man nun auf die Friedensbestimmung des Augustinus zurück und wendet sie auf die Eigenart der Existenz einer Gesellschaft als Ganzes an, so ergibt sich folgender Befund: Der politische Verband ist die Existenzform der Gesamtgesellschaft als Subjekt. Wenn die Gesellschaft aber nur im politischen Verband existiert und in ihm ihre Identität aktualisiert, dann ist dieser selbst der Frieden der Gesellschaft. Oder anders ausgedrückt: Der politische Verband ist die Gesamtgesellschaft - die Vielheit - im Zustand des Friedens, er ist die Friedenseinheit der Gesellschaft. 50 Die Gesellschaft existiert im politischen Verband in Frieden. Somit ist der Sinn des politischen Verbandes der gesamtgesellschaftliche Frieden. Aus der Darlegung des politischen Charakters des politischen Verbandes folgt das Ergebnis, daß sich der gesamtgesellschaftliche Frieden als das Werk der Politik erweist. Der Frieden einer Gesellschaft als solcher ist politischer Natur. Das Problem des Friedens auf der Ebene der Gesamtgesellschaft existiert nach allem Gesagten also ausschließlich als Problem des politischen Verbandes. Dazu sei nochmals betont, daß es die Gesamtgesellschaft als Subjekt neben dem politischen Verband nicht gibt. Vielmehr ist der politische Verband die Gesamtgesellschaft als Subjekt, als handlungsfähige Einheit im Zustand des Friedens. Er ist die Antwort auf das Problem, wie gesamtgesellschaftliches Zusammenleben in Frieden möglich ist. Die Notwendigkeit der ausdrücklichen Herstellung des politischen Verbandes verweist darauf, daß der gesamtgesellschaftliche Frieden nicht in dem Sinne immer schon vorhanden ist, wie dies beim Frieden in einfachen Interaktionsverhältnissen der Fall ist: Der gesamtgesellschaftliche Frieden muß vielmehr gestiftet werden. Für den Fall der gesamtgesellschaftlichen Interaktion ist mit der Anwendung des allgemein-ontologischen Friedensbegriffs des Augustinus der Frieden ein Siehe dazu unten § 24. Daher ist die Stiftung des politischen Verbandes die Stiftung des gesamtgesellschaftlichen Friedens und der politische Verband ist der schon gestiftete gesamtgesellschaftliche Frieden. 49

50

§ 19: Der politische Verband als Friedenseinheit

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weiteres Mal sozialontologisch bestimmt. Dieser Befund ist noch in zwei wesentlichen Konsequenzen weiterzuverfolgen: Es ist erstens zu klären, was Unfrieden auf gesamtgesellschaftlicher Ebene, was also die gestörte Ruhe der Existenz der Friedenseinheit des politischen Verbandes bedeutet. Zweitens sind die Zusammenhänge zwischen gesamtgesellschaftlichem und innergesellschaftlichem Frieden zu erläutern, die apriori insofern miteinander verknüpft sind, als sie aus der Existenz des Menschen in Interaktion resultieren. Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausfiihrungen wird der Friedenscharakter des politischen Verbandes fundamental verkannt, wenn die Friedensstiftung als dessen sekundäre Aufgabe angesehen wird. sl Der Frieden der Gesell-

schaft ist Sinn und Zweck des politischen Verbandes, und alle Aufgaben, welche er darüber hinaus wahrnimmt, sind demgegenüber sekundär. Aus diesem

Grund sind der gesamtgesellschaftliche Frieden bzw. der politische Verband "an sich selbst Zweck" (Kant S2 ).

5\ So schreibt beispielsweise Roman Herzog, daß "Gefahrenabwehr nach außen" und "Daseinsvorsorge" zwei "genuine Staatsaufgaben" seien, welchen Staaten (i.e.: politische Verbände) ihre Entstehung verdankten. Und obgleich er zuvor in Anlehnung an Georg Jellinek ausführt, daß der "Gesamtzweck" des Staates im Schutz der individuellen und kollektiven Existenz liege, meint er sodann, daß eine menschliche Organisation wie der Staat über jene genuinen Staatsaufgaben hinaus "zusätzliche Aufgaben zu übernehmen" pflege. Dazu bermerkt Herzog: "An erster Stelle ist hier der Schutz der inneren Sicherheit und des inneren Friedens zu nennen, der sich historisch im allgemeinen mit dem Begriff der Rechtsprechung verbindet." Die Sicherung des inneren Friedens sei "historisch ungleich jünger" als die Erfüllung der genuinen Staatsaufgaben. (Siehe Roman Herzog, Ziele, Vorbehalte und Grenzen der Staatstätigkeit, in: HbStR, Band III, § 58 (83-120), hier Rn. 8 f., Rn. 4, Rn. 15 und Rn. 26; siehe auch Roman Herzog, Staaten der Frühzeit. Ursprünge und Herrschaftsformen, München 1988, 75 ff.). Nicht nur vom Standpunkt der hier vorgelegten Argumentation erweist sich die Staatszwecklehre als unhaltbar, denn sie übersieht, daß der politische Verband originär auf das gesamtgesellschaftliche Zusammenleben gerichtet ist, nicht aber auf kollektives Zusammenwirken zur Erreichung von Zwecken wie "Verteidigung" oder "Daseinsvorsorge" (im Sinne der organisierten Wasserbewirtschaftung in frühzeitlichen politischen Verbänden, die Herzog zur Untermauerung seiner Thesen als Beispiele heranzieht). Da jedes Zusammenwirken das Zusammenleben schon notwendig voraussetzt, kann die Staatszwecklehre auch nicht erklären, wie der Staat in seine Existenz tritt. (Zur Kritik der Staatszwecklehre siehe etwa Smend. Verfassung und Verfassungsrecht. 160 ff. oder Krüger, Allgemeine Staatslehre, 196 f.). 52 Die Stelle bei Kant lautet vollständig: "Verbindung Vieler zu irgend einem (gemeinsamen) Zwecke (den Alle haben) ist in allen Gesellschaftsverträgen anzutreffen; aber Verbindung derselben, die an sich selbst Zweck ist..., mithin die in einem jeden äußern Verhältnisse der Menschen überhaupt, welche nicht umhin können, in wechselseitigen Einfluß auf einander zu gerathen, unbedingte und erste Pflicht ist: eine solche ist nur in einer Gesellschaft, so fern sie sich im bürgerlichen Zustande befindet, d.i. ein gemeines Wesen ausmacht, anzutreffen. (Immanuel Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, AA VIII, 273-313, hier 289. Zum politischen Verband / Staat als Selbstzweck siehe auch Hegel, Rph, § 258 und m. w.N Krüger, Allgemeine Staatslehre, 190 ff., insbes. 192 und ff. sowie 196 f.).

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

Alles Handeln des politischen Verbandes selbst bzw. das auf ihn bezogene Handeln von Personen ist damit - sofern es seinen Sinn nicht verfehlt oder destruktiven Charakter annimmt - dem gesamtgesellschaftlichen Frieden verpflichtet. Die Pflege des politischen Verbandes bedeutet Pflege des gesamtgesellschaftlichen Friedens. So ist Dolf Sternberger zuzustimmen, wenn er feststellt: "Der Gegenstand und das Ziel der Politik ist der Friede. Das Politische müssen und wollen wir zu begreifen suchen als den Bereich der Bestrebungen, Frieden herzustellen, Frieden zu bewahren, zu gewährleisten, zu schützen und freilich auch zu verteidigen. Oder, anders ausgedruckt: Der Friede ist die politische Kategorie schlechthin. Oder, noch einmal anders ausgedruckt: Der Friede ist der Grund und das Merkmal und die Norm des Politischen, dies alles zugleich. ,,53

Durch die Friedensleistung, die der politische Verband erbringt, gewährleistet er mit seiner Existenz etwas, das auf keine andere Weise erbracht werden kann 54 und auf das der Mensch in Gesellschaft doch notwendig angewiesen ist. In dieser Hinsicht hat der politische Verband ethische Qualität.

§ 20: Die Verfassung als Friedensordnung des politischen Verbandes

Ist der politische Verband die Gesamtgesellschaft als Subjekt und Friedenseinheit, so wird in Differenz dazu Verfassung als die Slruktur55 dieses Subjekts verstanden. Der Begriff der Verfassung bleibt in diesem Kontext auf seinen Bezug zum gesamtgesellschaftlichen Zusammenleben beschränkt, die geseJ/-

Ausruhrlich hat in jüngerer Zeit die Nichtinstrumentalität des politischen Verbandes und der (politischen) Praxis Oakeshott behandelt in: On Human Conduct, dort vor allem 168 fI, siehe dazu auch Franeo, 190 t1, insbes. 193 f 53 Dolf Sternberger, Der Begriff des Politischen (1962), in: ders., Die Politik und der Friede, 69-88, hier 76. 54 "Auf keine andere Weise" - dies gilt unter der Prämisse des hier zugrundegelegten PolitikbegrifTs, rur den Freiheit, konstitutiv ist. Prinzipiell besteht auch die Möglichkeit, den gesamtgesellschaftlichen Frieden auf despotische Weise herzustellen, die indes per se un-, ja anti-politisch ist und hier nicht weiter verfolgt wird. 55 Wobei hier "Struktur" und "Ordnung", wie oben ausgeruhrt, identifiziert werden. Wenn Einheit und Struktur begrifflich unterschieden werden, so ist dies natürlich eine theoretische Abstraktion, die vorgenommen wird, um zwei Momente isoliert betrachten zu können, die in der Realität untrennbar zusammengehören. Der politische Verband ist nur als geordnete Einheit zu denken, wie umgekehrt die Verfassung nur als Einheil zu verstehen ist.

§ 20: Die Verfassung als Friedensordnung des politischen Verbandes

13 7

schaftliche Ordnung innerhalb des politischen Verbandes insoweit ausgeklammert. 56

Verfassung ist nicht - wie in Deutschland heute weithin angenommen wird verkürzend als nur rechtliche Ordnung oder gar als Verfassungstext zu verstehen. Vielmehr ist über diese Aspekte hinausgehend Verfassung vor allem die tatsächliche politische Verfaßtheit einer Gesellschaft. Dabei ist zu beachten, daß Verfassung in diesem Sinne durchaus normativen Charakters ist, ohne daß diese Normativität schon auf das Recht zu beschränken wäre: Die Normativität der Verfassung entspringt der Normativität der Leitidee, die den politischen Verband trägt. 57 Eine Verfassung in diesem Sinne hat jeder politische Verband. Im Anschluß an die hier vorgelegte Begrifflichkeit kann man Verfassung als die entfaltete und differenzierte Form der Leitidee des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens bezeichnen, wie sie im Laufe der Zeit anläßlich der Bewältigung konkreter Aufgaben evoluiert. Anders ausgedrückt besteht in der Verfassung die differenzierte Grundorientierung des Handeins und Lebens des politischen Verbandes, also dessen Struktur oder Ordnung. Da die Verfassung die Konkretisierung der Leitidee ist, diese aber dem Ordnungswissen der Bevölkerung entspringt, ist die je konkrete Verfaßtheit eines politischen Verbandes gleichsam "mentalitätsrelativ" . Im verfaßten politischen Verband existiert eine Gesellschaft in ihrer Besonderheit. Die Wirksamkeit einer Verfassung ist mithin von deren Übereinstimmung mit dem Ordnungswissen abhängig. Wenn Hege/ feststellte, daß "jedes Volk ... die Verfassung [hat], die ihm angemessen ist und filr dasselbe gehört,,58, so sind es genau diese Zusammenhänge, die hier in den Blick geraten. Hege/ filhrt weiter aus: "Die Verfassung eines bestimmten Volkes ... [hängt] von der Weise und Bildung des Selbstbewußtseins desselben ab; in diesem liegt seine subjektive Freiheit und damit die Wirklichkeit der Verfassung. Einem Volke eine, wenn auch ihrem Inhalte nach mehr oder weniger vernünftige Verfassung apriori geben zu wollen, - dieser Einfall übersähe gerade das Moment durch welches sie mehr als ein Gedankending wäre ... 56 Diese Differenzierung setzt die oben eingefuhrte von politischem Verband (bzw. Staat) einerseits und Gesellschaft andererseits voraus. 57 Dies ist hier vor allem deshalb zu betonen, weil in der Literatur oft eine "empirische" Verfassung von der "normativen" Verfassung unterschieden wird, wobei dann der Verfassung im empirischen Sinn Normativität mehr oder weniger abgesprochen wird, während andererseits die Normativität der normativen Verfassung dann auf rechtliche Normativität beschränkt wird. (Siehe etwa Dieter Grimm, Verfassung, in: StL, Band 5, Sp.633-643, hier 633 oder die Verfassungstypologie Schmitts in: VL, 3 ff. Differenzierter hingegen Heller, Staatslehre, 361 ff., insbes. 364 f.). Es bleibt festzuhalten, daß das Sein einer Verfassung immer schon normativ ist (ohne deshalb auch zugleich rechtlich sein zu müssen). 58 Hegel, Rph, § 274 Anm.

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

Das Volk muß zu seiner Verfassung das Gefuhl seines Rechts und seines Zustandes haben, sonst kann sie zwar äußerlich vorhanden sein, aber sie hat keine Bedeutung und keinen Wert.,,59

Wenn nun aber oben davon gesprochen wurde, daß sich die Gesellschaft in der objektivierten Leitidee selbst erkennt und im politischen Verband zum Bewußtsein ihrer selbst gelangt, kann man von der Verfassung als der differenzierten politischen Identität einer Gesellschaft sprechen. Die Verfassung als die Struktur des politischen Verbandes differenziert sich im Laufe der Zeit aufgrund neuer konkreter Aufgaben unter sich wandelnden Bedingungen zum Zwecke der Gestaltung des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens immer weiter aus. Auf diese Weise bilden sich verschiedenste Institutionen des politischen Verbandes, welche immer zugleich der Festigung und Vertiefung, also: Ausgestaltung des gesamtsozialen Friedens dienen. 6o Neben ihren funktionalen Aspekten sind die Institutionen des politischen Verbandes daher stets Konkretisierungen der Leitidee des Zusammenebens und damit des gesamtgesellschaftlichen Friedens. Umgekehrt wirken Gestalt und Praxis des politischen Verbandes auf das zugrundeliegende Ordnungswissen zurück. So entfaltet jeder politische Verband in seiner Verfassung seine besondere, den jeweiligen Bedingungen seiner Existenz (und das heißt: seiner politischen Identität) entsprechende Friedensordnung. Das Panorama geschichtlicher Gesellschaften offenbart eine Vielzahl unterschiedlicher Leitideen (die man in diesem Kontext auch als Gerechtigkeitsvorstellungen bezeichnen kann), an welchen sich das jeweilige gesamtsoziale Zusammenleben orientierte. So ist in authentischen Gesellschaften das Konzept der Verwandtschaft dasjenige, mittels dessen das Zusammenleben der Menschen gestaltet wird. 61 Im klassischen Griechenland war es das Konzept des Athener-Seins oder des Korinther-Seins etc. 62 , in der Römischen Republik war

59 Hegel, Rph, § 274, § 274 Anm. und § 274 Zusatz. Wenn Hegel im Zitat vom "Selbstbewußtsein" des Volkes spricht, so meint er damit den reflektierten Modus der Selbstauslegung der Gesellschaft - also den expliziten Charakter des verfaßten politischen Verbandes. 60 "Jener Habitus der Regeitreue, der dem Frieden des Zusammenlebens Vorrang einräumt vor der Durchsetzung der eigenen Überzeugungen und Interessen, setzt offenbar eine gemeinsame kollektive Identität voraus." (Kielmansegg, 116 f.). 61 Siehe statt aller nur Karl-Heinz Kohl, Ethnologie - die Wissenschaft vom kulturell Fremden. Eine Einfiihrung, München t 993, 53 ff. "Verwandtschaft" meint dabei natürlich kein biologisches Faktum, sondern ein soziales Klassifikationsmuster - also ein Symbol, das dazu dient, soziale und politische Verhältnisse zu ordnen und das "keineswegs eine entsprechende biologische Eindeutigkeit aufweisen" (Kohl, 5 t) muß. 62 Siehe dazu etwa Meier, Entstehung des Politischen, 247-272 passim.

§ 20: Die Verfassung als Friedensordnung des politischen Verbandes

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es der mos maiorum 63 , im mittelalterlichen europäischen Reich das Christ-Sein, im aufgeklärt-absolutistischen Staat die Vemunft64 , im modemen westlichen Verfassungsstaat ist es das Konzept der Person. 65 Die Beispiele verdeutlichen, daß die jeweiligen Leitideen des Zusammenlebens einem Volk nicht ohne weiteres heteronom oktroyiert werden können. 66 Vielmehr entstammen sie dem Fundus der jeweiligen Kultur, was zugleich bestätigt, daß der politische Verband. "von Voraussetzungen [lebt], die er selbst nicht garantieren kann,,67: Wenn ein Konzept des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens nicht mehr in der Bevölkerung verankert ist und kein neues

63 Siehe dazu Christian Meier, Res publica amissa. Eine Studie zu Verfassung und Geschichte der späten römischen Republik (1966), 2. Auflage der Neuausgabe von 1980, Frankfurt am Main 1988, hier insbes. 54 f. 64 Das ist natürlich eine sehr pauschale und vereinfachende Feststellung. Es wäre am konkreten Einzelfall zu überprüfen, wie das Konzept des Zusammenlebens in der Zeit des aufgeklärten Absolutismus jeweils verstanden wurde. 65 Es ist hier das Menschsein selber, an dem orientiert das Zusammenleben aller gestaltet wird, wobei hier die Menschen als Freie und Gleiche aufgrund ihres Menschseins angesehen werden. Genau dies bringt Hege! auf den Begriff, wenn er im Kontext seiner Ausführungen zur bürgerlichen Gesellschaft feststellt: "Der Mensch gilt so, weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener usf. ist." (Hege!, Rph, § 209 Anm.). Und zum modernen Staat meint Hege!: "Das Prinzip der modernen Staaten hat diese ungeheure Stärke und Tiefe, das Prinzip der Subjektivität sich zum selbständigen Extreme der persönlichen Besonderheit vollenden zu lassen und zugleich es in die substantielle Einheit zurückzuführen und so in ihm selbst diese zu erhalten." (Hege!, Rph, § 260, siehe auch eben da, Zus. und § 261). Zur politischen Identität, die den gesamtgesellschaftlichen Frieden im modernen Verfassungsstaat trägt, siehe auch Kie!mansegg, 116 ff. 66 Diesen Fall gibt es natürlich auch. Er kann aber hier nicht weiterverfolgt werden. Man kann sich bei Betrachtung der heteronomen Bestimmung des Zusammenlebens zunächst an der Aristotelischen Unterscheidung zwischen politischer und despotischer Herrschaft orientieren, welche kategorial zu unterscheiden sind. Nur wo das Konzept des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens von allen Gesellschaftsmitgliedern frei gewählt ist (im Sinne von nicht-oktroyiert; was bedeutet, daß Traditionen etc., in welche man hineingeboren wird, in diesem Sinne frei gewählt sind), kann es sich um politische Herrschaft handeln. Die Problematik ergibt sich dann aus derjenigen der freien Wahl: Die Christianisierung der Heiden etwa ist nicht von vornherein als despotischer Akt anzusehen (hier war es in der Tat so, daß häufig eine Wahl vorlag: So entschieden oft germanische Ratsversammlungen, daß der neue, der christliche Gott anzunehmen sei, da er sich als stärker erwiesen habe). Bei der Kolonisierung Amerikas wiederum sah das anders aus. Hier muß von Despotie gesprochen werden. 67 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: ders., Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt am Main 1991, 92-114, hier 112. Böckenförde bezieht die Formulierung auf den freiheitlichen Staat der Neuzeit, sie trifft aber für alle politischen Verbände zu. Siehe auch Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, Berlin 1978, 37 und Krüger, Allgemeine Staatslehre, 210.

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

Konzept die Kraft zur Einung der Gesellschaft hat, zerbricht der politische Verband als die Friedenseinheit der Gesellschaft im Bürgerkrieg. 68 Damit verweist die je konkrete Gestalt, die der Frieden in einer Verfassung gewinnt, auf die politische Kultur der sie tragenden Gesellschaft. 69

§ 21: Macht, Souveränität und der Frieden des politischen Verbandes

Die Schaffung des politischen Verbandes ist zugleich Herstellung einer gesamtgesellschaftlichen Machtdisposition: Dies ist noch immer am besten mit Hobbes' Theorie der Autorisierung zu erklären: Was hier als Repräsentant der Gesellschaft bezeichnet wird, ist eine Variante dessen, was Hobbes eine künstliche Person nennt: "Die Worte und Handlungen einiger künstlicher Personen werden von den durch sie Vertretenen als eigene anerkannt. Damit ist die Person der Vertreter und derjenige, welcher dessen Worte und Handlungen als eigene anerkennt, der Autor; in diesem Falle handelt der Vertreter mit Autorität... So nennt man das Recht auf irgendeine Handlung Autorität.,,70

Entsteht Macht, wenn ein Subjekt zu dem, was es tut, die Zustimmung anderer Subjekte erhäle 1, so daß es nunmehr auch in deren Namen handelt, so beschreibt Hobbes hier einen Machtbildungsprozeß. 72 Überträgt man diese Vorstellungen auf die gesamtgesellschaftliche Ebene, so ergibt sich, daß der künstliche Repräsentant über das gesamtgesellschaftliche Machtpotential verfiigt, da er von allen Beteiligten autorisiert ist, im Sinne der von ihnen akzeptierten Leitidee die das gesamtgesellschaftliche Zusammenleben betreffenden Angelegenheiten verbindlich zu gestalten: Denn alle Angehörigen des politischen Verbandes unterstellen sich in diesen Angelegenheiten dessen Handeln und manifestieren darin ihren Willen zum politischen Verband bzw. ihren Willen zur Verfassung. 73 Dazu unten § 23. Siehe dazu ausfiihrlich unten § 22 sowie Abschnitt G. 70 Hobbes, Leviathan, 123. Zum Autoritätsbegriff siehe die gelehrte Studie von Theodor Eschenburg, Über Autorität, Frankfurt am Main 1976, dort \03 ff. zu Hobbes. 71 Siehe dazu oben 98 f. 72 Siehe auch Arendt, M&G, 46: Das Kennzeichen der Autorität sei "die fraglose Anerkennung seitens derer, denen Gehorsam abverlangt wird; sie bedarf weder des Zwanges noch der Überredung." 73 Heller bemerkt einmal bezüglich des "Willens zum Staat": "Sicher kann der Gemeinwillen nicht als Ich-Bewußtsein verstanden werden; als habitueller Zustand eines mehr oder minder klaren Wir-Bewußtseins ist er aber in ausnahmslos jedem Individuum wirksam. Mag der Arbeiter die Zoll- oder Steuergesetze, die militärischen Normen oder 68

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§ 21: Macht, Souveränität und der Frieden des politischen Verbandes

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In der Festlegung aller Beteiligten auf eine verbindliche Leitidee liegt zugleich ihre Zustimmung, das an diesem Konzept orientierte Handeln zur Bewältigung der gesamtgesellschaftlichen Aufgaben zu akzeptieren. In der Zustimmung, die keineswegs ein ausdrücklicher, proklarnativer Akt sein muß, liegt die Ermächtigung aller an das künstliche Subjekt "politischer Verband", in ihrer aller Namen zu handeln. Sie vermittelt dem politischen Verband seine Macht und ist Bedingung der Möglichkeit seines Handeins. 74 Die Zustimmung wird letztlich nur solange gegeben, wie' der politische Verband im Sinne des Ordnungswissens, d.h. des allgemeinen Selbstverständnisses oder des Wir der Gesellschaft - und damit auch deren Gerechtigkeitsvorstellungen - handelt, d.h. solange er als legitim anerkannt wird. Auf diese Weise stabilisieren das Ordnungswissen und die diesbezüglichen Gewohnheiten als das Fundament des politischen Verbandes auch dessen Macht. Je selbstverständlicher das Ordnungswissen daher gelebt wird, desto stabiler ist der hierauf ruhende politische Verband, desto sicherer auch der gesamtgesellschaftliche Frieden. 75 Gleichwohl verliert selbst die in der Institution des politischen Verbandes stark verfestigte Macht nicht ihren Charakter eines Potentials, das von der Zustimmung der von ihr Betroffenen abhängig ist. Daher wird die Macht des politischen Verbandes zwar um so stabiler, je selbstverständlicher und gefestigter das auf das Ganze der Gesellschaft gerichtete Ordnungswissen und die Gewohnheiten sind. Doch auch wenn sie dadurch der Stärke immer ähnlicher wird, kann sie niemals absolut stabil sein. So muß auch diese Macht gepflegt werden. Das tut der politische Verband, indem er die Interessen aller Beteiligten stets berücksichtigt, einzelne und partikulare Gruppen nicht dauerhaft vernachlässigt, all sein Handeln in Übereinstimmung mit dem Ordnungswissen vollzieht. Gleichwohl verfugt der politische sonst etwas im Staate bekämpfen. Solange er sie in Kauf nimmt, weil er etwa die sozialpolitische Gesetzgebung, das Arbeitsrecht usw. des gleichen Staates will, ist der Staatswille gesichert ganz ebenso, wie umgekehrt, wenn etwa der Unternehmer die Staatsform, die Sozialgesetzgebung usw. in Kauf nimmt, weil sein Privateigentum und die ihm genehme Zollpolitik garantiert ist. Mag der eine den Militärdienst verweigern, der andere Steuern hinterziehen, der dritte morden; solange sie alle im nächsten Augenblick selbst auf den Schutz des Staates rechnen und ihn damit nicht nur theoretisch anerkennen, sondern in der Regel zur Konstituierung des Staatswillens selbst ... beitragen, ist dieser Ausgleich vollzogen. In diesem Sinne ist der individuelle souveräne Staatswille im Individuum und in der Gemeinschaft wirklich, weil in bei den wirkend, im Staat durch individuelle Willensentscheidungen aber Werk geworden, das Einzigkeitscharakter trägt." (Heller, Souveränität, 109, fast wörtlich so auch in ders., Staatslehre, 346). 74 Siehe dazu auch Heller, Staatslehre, 350. 75 Die Weimarer Republik kann hier als illustrierendes Negativ-Beispiel herangezgen werden: Sie war ein schwacher Staat, weil die republikanische Mentalität, derer es zur Stabilisierung der ersten deutschen Republik bedurft hätte, in nur unzureichendem Maße vorhanden war. Der Staat war daher auch nicht konfliktresistent und konnte so leicht zwischen den divergierenden politisch extremen Interessen zerrieben werden.

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

Verband nicht gänzlich frei über seine Macht. Prozessen der politischen Desintegration ist er in letzter Konsequenz schutzlos ausgeliefert. Da die Macht des politischen Verbandes auf der allgemeinen Akzeptanz ein und derselben Leitidee zur Gestaltung der gemeinsamen Angelegenheiten beruht, überragt sie sämtliche partikularen Machtpotentiale in bezug auf das allgemeine Zusammenleben. Diese Machtüberlegenheit ist folglich der Zustimmung aller zur Leitidee des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens geschuldee6 : Nach dieser nämlich werden die partikularen Machtpotentiale in den umfassenden Gesamtzusammenhang des Verbandes integriert. Das ist möglich, weil Macht keine "feste Habe" ist, also zu den veränderlichen Dingen gehört und daher der Beeinflussung der Situationsdefinition unterliegt. Mittels der gesamtgesellschaftlich verbindlichen Situationsdefinition können mithin auch die partikularen Mächte geordnet werden: Jegliche Macht läßt sich in Beziehung setzen zu den allgemeinen Vorstellungen vom Zusammenleben und diesen Vorstellungen entsprechend gestalten, wobei der politische Verband die Durchsetzungsfähigkeit hat, dies prinzipiell ohne auf Widerstand zu treffen - zu tun. 77 Hieraus resultiert auch, daß politische Konflikte - das heißt solche Konflikte, die sich auf das gesamtgesellschaftliche Zusammenleben beziehen -, stets im Rahmen des gesamtgesellschaftlichen Friedens bleiben, solange alle Konfliktparteien sich bei deren Austragung an der gemeinsamen Leitidee orientieren. Darüberhinaus aber ist der politische Verband hinsichtlich solcher Konflikte von den Beteiligten selbst autorisiert, ihre friedliche Austragung zu garantieren 76 Es spielen auch andere Faktoren noch eine Rolle, die hier vernächlässigt werden können. Siehe aber Buchheim, Wie der Staat existiert, 30. 77 Damit besitzt er das Potential, das Zusammenleben aller am gemeinsamen Konzept ausgerichtet so zu organisieren, daß die Leitidee auch dort wirksam ist, wo der Einzelne "von sich aus" zwar danach hätte handeln sollen, diese Leistung aber nicht zu erbringen im Stande ist. Vor diesem Hintergrund erschließt sich die oben 136 erwähnte ethische Qualität des politischen Verbandes: Insofern der politische Verband eben jene Leistungen erbringt, "die die einzelnen aus eigener moralischer Kompetenz nicht erbringen können oder die sie schuldig bleiben, müssen sie auf andere Weise als durch moralisch motiviertes Handeln erbracht werden, nämlich im Wege rational kalkulierter objektiver Vorkehrungen." (Hans Buchheim, Anmerkungen zu Machiavellis "11 Principe", in: ders., Beiträge zur Ontologie der Politik, 121-145, hier 136, siehe zur Problematik des ethischen Charakters des politischen Verbandes ausführlicher ebenda, 135 f, ders., Politik und Ethik, München 1991, 21 ff. sowie Bäckenfärde, Der Staat als sittlicher Staat, passim.). Stellt der politische Verband diese Vorkehrung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene dar, hat er insoweit ethische Qualität, als er jene Leistungen erbringt. Er kompensiert damit das moralische Ungenügen der einzelnen - und ist deshalb das ethische Minimum in Bezug auf das gesamtsoziale Zusammenleben. Hierauf kann jedermann jederzeit rekurrieren, und solange dieses Minimum gegeben ist, ist ein erträgliches Zusammenleben von Menschen, mag eine Gesellschaft in ihrem Innern noch so abstrakt oder "kalt" werden, möglich.

§ 21: Macht, Souveränität und der Frieden des politischen Verbandes

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und die Konflikte im Zweifel zu lösen. Und er verfugt zugleich über das Potential, seine Lösung verbindlich durchzusetzen. 78 Für den modemen Rechtsstaat hat Ernst-Wolfgang Böckenförde dies betont: "Die Notwendigkeit des Staates als Entscheidungseinheit erfordert auch seinen Charakter als Machteinheit... Und diese Machteinheit ist nicht lediglich ein Hilfsmittel staatlicher Friedens- und Rechtswahrung, sondern ebenso deren Voraussetzung. Nur als schon bestehende und sich erneuernde Machteinheit vermag der Staat die Herstellung und Sicherung des innerstaatlichen Friedens gegenüber dessen mannigfachen Gefiihrdungen zustande zu bringen und die Geltung der Rechtsordnung als ein Mittel der Friedenswahrung zu gewährleisten. ,,79

Der politische Verband als Friedenseinheit der Gesellschaft ist (i.) gesamtgesellschaftliche Machtdisposition. Dementsprechend bedeutet (ii.) Pflege der Macht des politischen Verbandes auch Pflege des gesamtgesellschaftlichen Friedens. Andererseits hat und ist der politische Verband im Hobbesschen Sinne auch die gesamtgesellschaftliche Autorität. Infolgedessen kann man in Abwandlung jener berühmten Formel Hobbes' resümieren: Auctoritas non veritas facit pacem. Mit der theoretischen Charakterisierung des politischen Verbandes als einer Machteinheit oder als der gesamtgesellschaftlichen, also politischen Autorität, kann auf den Begriff der Herrschaft völlig verzichtet werden. Das, was mit Herrschaft zumeist gemeint ist - die überlegene Durchsetzungsfähigkeit des politischen Verbandes - ist durch den Begriff der gesamtgesellschaftlichen Machtdisposition bezeichnet. Dies braucht hier nicht vertieft zu werden, ist aber einer Erwähnung wert, weil der Begriff der Herrschaft originär ein unpolitisches Phänomen bezeichnet80, und dieses unpolitische Phänomen oft noch mit dem Begriff der Gewalt assoziiert wird, von der Arendt einmal zutreffend feststellt, daß sie "wesentlich un- oder antipolitisch,,81 sei. Von daher sind der Gedanke, der politische Verband beruhe irgendwie auf Gewalt, oder die "trostlose Meinung" (Heller 82 ), er zeichne sich durch das spezifische Mittel der Gewaltsam78 Hier ist dann auch der Ort der Gewalt im politischen Verband, die unter Umständen dessen Mittel zur Durchsetzung der verbindlichen Lösungen öffentlicher Angelegenheiten sein kann. Siehe dazu sogleich im Text. 79 Bäckenfärde, Der Staat als sittlicher Staat, 14 und 15. 80 Siehe zu einer Kritik des Herrschaftsbegriffs, gegen den unter Rückbesinnung auf Aristoteles und Hobbes der Begriff der vereinbarten Regierung in Stellung gebracht wird, Dolf Siernberger, Herrschaft und Vereinbarung. Uber bürgerliche Legitimität, ders., Vorrede und Einleitung, in: ders., Herrschaft und Vereinbarung, 9-25, hier 16 ff. sowie ders., Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, in: eben da, 26-38. Siehe ebenso Arendt, Vita activa, 31 ff., insbes. 34. 81 Arendt, M&G, 65. Das liegt schon in der Tatsache begründet, daß Gewalt ein gewissermaßen solipsistisches Phänomen ist, Macht und Politik aber mit der Pluralität von Menschen verknüpft sind. 82 Siehe Heller, Staatslehre, 310.

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

keit aus 83 , unzutreffend, was nach obiger Differenzierung dieser Phänomene nicht verwundern kann. Hiervon ist aber zu unterscheiden, daß der politische Verband über das "Monopollegitimer ". Gewaltsamkeit" (Max Weber 84 ) in den ihn originär betreffenden Angelegenheiten verrugt und darüberhinaus auch in solchen innergesellschaftlichen Angelegenheiten verrugen kann, rur welche die Zuständigkeit an ihn delegiert wurde, wie es etwa rur den Fall der Rechtssetzung und -durchsetzung im modemen Verfassungsstaat der Fall ist. Gewalt ist aber auch dadurch weder der Grund des politischen Verbandes, noch ist sie ein rur ihn spezifisches Mittel (schon gar nicht rur den modemen Verfassungsstaat). Es ist also keineswegs der Fall, daß der gesamtgesellschaftliche politische Frieden auf Gewalt in irgendeinem Sinne beruht. Aus dem Subjektcharakter des politischen Verbandes und dessen überlegener Macht resultiert unmittelbar seine Souveränität. Der Begriff der Souveränität ist dabei in einem sozialontologischen Sinne - also nicht als Rechtsbegriff - zu verstehen. 85 Im Anschluß an Buchheim kann man die Souveränität dann so be-

83 So bekanntermaßen namentlich Max Weber. Siehe zur Gewalt als Spezifikum der Politik beispielsweise dessen Politik als Beruf (1919), Stuttgart 1992, 6 und passim sowie ders., Wirtschaft und Gesellschaft, 29 f. und 517 ff. 84 Weber, Politik als Beruf, 6, siehe auch ebenda, passim, ferner ders., Wirtschaft und Gesellschaft, 516 und 518 f. Weber unterscheidet dort sehr klar zwischen dem Monopol legitimer Gewaltsamkeit als Rechtsdurchsetzungsmonopol einerseits und Gewalt als dem Spezifikum des politischen Verbandes ganz allgemein andererseits. 85 Diese Unterscheidung ist in sachlicher Hinsicht von Bedeutung, weil die juristische Diskussion des Souveränitätsbegriffs - begriffsgeschichtlich erklärbar - noch heute sehr stark von absolutistischen Vorstellungen geprägt scheint, die zu einer fantastischen Verwirrung in der Diskussion geführt haben, in Deutschland besonders im 19. Jahrhundert im Kontext des Problems der Bundesstaatlichkeit (und der Frage nach dem Souverän im Reich von 1871). Die Vorstellung von der Souveränität als einer gleichsam monistischen Entität hat dahin geführt, daß man zu Konstruktionen wie nicht-souveränen oder halb-souveränen Staaten gelangen konnte oder aber den Begriff der Souveränität völlig verwarf. Die in der deutschen juristischen Diskussion des 19. Jahrhunderts entwickelten Vorstellungen scheinen auch heute noch überall dort wirksam zu sein, wo etwa von "Souveränitätsabgabe", "Souveränitätsverzicht" oder "Souveränitätsverlust" von Staaten die Rede ist (siehe dazu unten 238 f.). Um die Pandorabüchse der juristischen Souveränitätsdiskussion hier gar nicht erst zu öffnen, wird der Souveränitätsbegriff im folgenden von den sozialontologischen Prämissen ausgehend quasi nominalistisch (aber in Ubereinstimmung etwa mit ethnologischem Sprachgebrauch, siehe unten Fn. 89) bestimmt. Theoretisch relevant wird der so bestimmte Begriff später erneut bei der Behandlung des internationalen Friedensproblems. Zur Geschichte des Souveränitätsbegriffs siehe nach wie vor grundlegend Helmut Quaritsch, Staat und Souveränität, Band 1 (bisher einziger Band), Die Grundlagen, Frankfurt am Main 1970, dort 395 ff. zur Neuheit der Souveränität in der Neuzeit. Siehe auch für die Begriffsgeschichte bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts ders., Souveränität. Entstehung und Entwicklung des Begriffs in Frankreich und Deutschland vom 13. Jh. bis 1806, Berlin 1986 und für die deutsche Diskussion im 19. Jahrhundert detailliert und

§ 21: Macht, Souveränität und der Frieden des politischen Verbandes

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stimmen, daß sie folgende Faktoren umfaßt: Das souveräne Subjekt kann (i.) über sich selbst und (ii.) zumindest teilweise über das verrugen, was es selbst hervorgebracht hat: Die bloß teilweise Verrugungsmöglichkeit hierüber resultiert zum einen aus dem Umstand, daß das Hervorgebrachte oft ein mit anderen Subjekten gemeinsam Hervorgebrachtes ist, über das auch nur gemeinsam disponiert werden kann. Zum anderen kann das Hervorgebrachte eine Eigendynamik entfalten, die sich "von außen" nicht mehr vollständig kontrollieren läßt. Schließlich unterliegt es der Verrugung des handelnden Subjekts, wie es (iii.) auf die Umstände und Bedingungen, welchen es unterworfen ist, reagiert, wobei es auch frei ist in der Art, wie es mit seinen eigenen Hervorbringungen umgeht. 86 Diese Bestimmung bezieht sich auf handelnde Subjekte überhaupt, also sowohl auf Personen wie auch auf den politischen Verband. 87 Die "Entdeckung der Souveränität" als eines Rechtsbegriffs erfolgt gemeinsam mit der historischen Herausbildung des neuzeitlichen Staates 88 ; und als Rechtsbegriff hat sich die Souveränitätsidee bis heute nicht von ihrem historischen Entstehungskontext gelöst. Während daher der juristische Souveränitäts-

auf breiter Materialbasis Michael Dreyer, Föderalismus als ordnungspolitisches und normatives Prinzip. Das föderative Denken der Deutschen im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main, Bem, New York, Paris 1987, passim, besonders 286 ff. und 590 ff. Für die zeitgenössische Diskussion siehe noch immer Peter Häberle, Zur gegenwärtigen Diskussion um das Problem der Souveränität, in: AöR 92 (1967), 259-287; Albrecht Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, in: HbStR, Band I, § 15 (691-708); sowie die der aktuellen Diskussion gewidmeten Teile der Arbeit Michael W. Hebeisen, Souveränität in Frage gestellt. Die Soveränitätslehren von Hans Kelsen, earl Schmitt und Hermann Heller im Vergleich, Baden-Baden 1995 (zugleich Diss. Bem 1994), insbes. die Einleitung, 19-57 und den Ausblick auf die gegenwärtige Souveränitätsdiskussion 571-666; siehe auch Ernst-Wolfgang Bäckenfärde, Die verfassunggebende Gewalt des Volkes - Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie,90-112. 86 Zu dieser Bestimmung des Souveränitätsbegriffs siehe detailliert Hans Buchheim, Von der Föderation zur Republik souveräner Staaten, in: ders., Beiträge zur Ontologie der Politik, 51-60, hier 53-59, insbes. 54; siehe auch ders., Wie der Staat existiert, 45 ff. 87 Die Souveränität der Person beschreibt Hegel (ohne hier von Souveränität zu sprechen) mit folgenden Worten: "In diesem Elemente des Willens liegt, daß ich mich von allem losmachen kann, alle Zwecke aufgeben, von allem abstrahieren kann. Der Mensch allein kann alles fallen lassen, auch sein Leben: er kann Selbstmord begehen; das Tier kann dieses nicht; es bleibt immer nur negativ; in einer ihm fremden Bestimmung, an die es sich nur gewöhnt." (Hegel, Rph, § 5 Zus.). 88 "Die Souveränität des weltlichen Herrschaftsapparats war die Antwort auf die sozialen und geistigen Differenzierungsprozesse des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit." (Quaritsch, Staat und Souveränität, 512, zum Ganzen dort 395 ff. und knapp resümierend 506-512). 10 Henkel

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begriff eng mit jenem des modemen Staates verknüpft ist, ist vom sozialontologischen Verständnis her zu betonen, daß politische Verbände überhaupt - also auch die vomeuzeitlichen - im Sinne der hier angegebenen Bestimmung als souverän zu verstehen sind - und zwar deshalb, weil sie Subjektqualität haben. 89 Und als solche, das heißt als Repräsentanten der jeweiligen sie konstituierenden Gesellschaft, sind sie deren Friedenseinheit. Damit ist noch nicht gesagt, daß sie auch etwa das rechtliche Gewaltmonopol innehaben, das unter den Bedingungen konfessioneller Pluralität und sich allmählich durchsetzender Subjektivität am Beginn der Neuzeit zentral rur die Befriedung der Gesellschaften ist. Unter dem Begriff der Souveränität haben dies die französischen Juristen (die Politiques) im konfessionellen Bürgerkrieg des 16. Jahrhunderts (insbesondere Jean Bodin) sowie vor allem auch Hobbes theoretisiert, weIche den Frieden als politischen Wert an sich herausarbeiteten. 9o Daß aber die neuzeitliche staatliche Friedensleistung durch Konstitution eines auch rechtlichen Gewaltmonopols erbracht werden konnte, hat mit der Besonderheit der den neuzeitlichen politischen Verbänden zugrunde liegenden Leitidee des Zusammenlebens (und mit den spezifischen historischen Bedingungen) zu tun, die dann auch eine besondere Gestalt der Souveränität zur Folge hat. Das ist aber zu unterscheiden von dem generellen Faktum der Souveränität des politischen Verbandes als eines Subjektes überhaupt. Souveränität des politischen Verbandes bedeutet also zunächst nichts anderes als "Selbstbestimmung" in den eigenen Angelegenheiten. Was dabei als eigene Angelegenheit betrachtet wird, bestimmt sich jeweils konkret in der Situation und aus der Perspektive des jeweiligen Ordnungswissens. Daher ist es möglich, daß die Geschichte politische Verbände kennt, die "hardly more than a sha-

89 So kann Mühlmann ohne weiteres auch von der Souveränität authentischer Gesellschaften sprechen. Siehe Mühlmann, Rassen, Ethnien, Kulturen, 251 und 249, wo er Souveränität als "gruppenhafte Selbstbestimmung und Selbstzuordnung" bezeichnet. Auch beispielsweise Dieter Claessens spricht von Souveränität im Kontext seiner Beschäftigung mit einfachen Gesellschaften. Siehe Dieter Claessens, Das Konkrete und das Abstrakte. Soziologische Skizzen zur Anthropologie (1980), Frankfurt am Main 1993,85 ff., insbes. 87. 90 Siehe die Ausführungen zur Souveränität als Bedingung des gesamtgesellschaftlichen Friedens zu Beginn der Neuzeit bei Martin Kriele, Einführung in die Staatslehre. Die geschichtlichen Legitimitätsgrundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, 5., überarbeitete Auflage, Opladen 1994, 46-52 und passim sowie Roman Schnur, Die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg des 16. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des modernen Staates, in: Hans Barion I Ernst ForsthojJl Werner Weber (Hrsg.), Festschrift für earl Schmitt zum 70. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern (1959), 3. Auflage, Berlin 1994,179-219, insbes. 186 ff.; ferner Kielmansegg. hier 107 ff.

§ 22: Die politische Kultur des Friedens

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dOW" 91 sind - man mag an das mittelalterliche Reich oder die meisten akephalen Gesellschaften denken. 92 Aus dem interaktionistischen Friedenskonzept resultiert, daß es politisch befriedete Gesellschaften gibt, die gleichwohl in ihrem Innern ein relativ hohes Maß an Unfrieden haben, was in unterschiedlichem Maße vermutlich fiir alle historische Gesellschaften gilt.

§ 22: Die politische Kultur des Friedens Vor dem Hintergrund der Erörterungen zum politischen Verband als Friedenseinheit der Gesellschaft ist nunmehr auf die Problematik der Kultur des Friedens zurückzukommen. Ist die Kultur des Friedens zunächst ganz allgemein in bezug auf menschliche Interaktion bestimmt worden, so gilt es jetzt, die Aufmerksamkeit auf den Bereich der politischen Kultur zu richten. Dabei soll an die obigen Ausfiihrungen zum Kulturbegriff angeknüpft werden. Wenn hier von politischer Kultur die Rede ist, so beschränkt sich dies auf den Bereich der Politik als Status. Politik als Modalität des Handeins in partikularen Interaktionsverhältnissen wurde demgegenüber dem allgemeinen Verständnis von Kultur zugeordnet. Politische Kultur betrifft also den Bereich des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens und des hierauf gerichteten Handelns, bezieht sich mithin auf den politischen Verband. Wenn man vor diesem Hintergrund Kultur mit Senghaas als Gesamtheit typischer Lebensformen einer Gesellschaft auffaßt 93 , so wird man politische Kultur nicht nur als den Inbegriff von Einstellungen, Meinungen und Verhaltensweisen der Mitglieder eines politischen Systems gegenüber diesem verstehen 94 , sondern den Begriff weiter fassen. Er umfaßt dann die Gestalt des politischen Systems bzw. die Verfassung ebenso wie das Ordnungswissen, die entsprechenden Traditionen, Normen und Dewey, The public and its problems, 41. Natürlich ergeben sich hier zahlreiche Einzelprobleme, die nur durch detaillierte historische Forschung aufzuhellen sind und wenigstens rur den Fall des mittelalterlichen Reiches vermutlich nicht einmal eindeutige Ergebnisse zutage fördern würden. 93 Siehe Senghaas, Kultur des Friedens, 6. 94 Hierauf wird der Begriff der politischen Kultur in Anlehnung an die wegweisenden empirischen Studien von Almond und Verba auch heute noch häufig eingeschränkt; siehe Christian Fenner, Politische Kultur, in: Nohlen (Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, 510-517 oder Dirk Berg-Schlosser, Politische Kultur, in: Mickel (Hrsg.), Handlexikon zur Politikwissenschaft, 385-388. Zur Erforschung der politischen Kultur (in Deutschland) umfassend Wolf Michaeliwand, Paradigma Politische Kultur. Konzepte, Methoden, Ergebnisse der Political-Culture Forschung in der Bundesrepublik. Ein Forschungsbericht, Opladen 1985. Darin werden auch die Begriffsbildungen der Klassiker Almond, Verba und Nye vorgestellt. 91

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Prinzipien sowie die Arten und Weisen des politischen Verhaltens der Angehörigen eines politischen Verbands (einschließlich des "politischen Personals"). Wenn der politische Verband die Gesellschaft im Zustand des Friedens darstellt, so ist die diesen hervorbringende politische Kultur zugleich Friedenskultur oder Kultur des gesamtgesellschaftlichen Friedens. Als spezifisch rur die Institution des politischen Verbandes wurde hervorgehoben, daß dieser eine ausdrückliche Schöpfung darstellt, daß er also gestiftet werden muß. Weil das Zusammenleben der Menschen im politischen Verband bewußt zu gestalten ist und die Integration immer wieder bewußt vollzogen wird, muß man die politische Kultur als eine Bewußtseinskultur bezeichnen. Damit läßt sich an die Assmannsche Differenzierung anknüpfen: Der gesamtgesellschaftliche Frieden ist eine bewußte kulturelle Schöpfung und ist daher dem bewußten Bereich der Kultur zuzuordnen. Dabei darf auch hier nicht die Dialektik zwischen dem bewußten und dem unbewußten Aspekt der Kultur übersehen werden: Das bewußte politische Handeln ruht zwar einerseits auf einem habitualisierten und unbewußten Fundament, dem Ordnungswissen, auf. 9s Andererseits aber sinken die bewußten Leistungen wieder in die unbewußte Sphäre ab, wo sie sich habitualisieren und als Normalität das gleichsam maschinenhafte Funktionieren des öffentlichen politischen Lebens gewährleisten. 96 Gleichwohl ist es rur den Bereich der Politik typisch, daß in ihm bewußt gehandelt wird: Das Allgemeine des Ordnungswissens muß konkret aktualisiert werden. Bei dieser Aktualisierung handelt es sich um einen bewußten Vorgang, der sich im Medium der Sprache vollzieht. Er ist ein kluges Abwägen, Ausgleichen, Verhandeln, ein gestalterisches Umgehen mit den Vorstellungen der Allgemeinheit von der Art und Weise ihres Zusammenlebens. 97 Das Gelingen solchen Handeins bestimmt die konkrete Gestalt des politischen Verbandes (seine Verfassung) und damit auch die Gestalt des jeweiligen gesamtgesellschaftlichen Friedens. Es hat dessen Fortbestand zum unmittelbaren Resultat und wirkt ferner wieder auf seine habituellen Fundamente zurück. Damit rückt in den Blick, daß der Frieden des politischen Verbandes von den politischen Tugenden seiner 95 Karl W Deutsch schreibt dementsprechend, daß Politik "in ihrem Kern ... auf dem Wechselspiel zwischen kooperativen Gewohnheiten einschließlich ihrer durch Drohungen erzeugten Abwandlungen" beruhe. (Karl W Deutsch, Analyse internationaler Beziehungen. Konzeptionen und Probleme der Friedensforschung, Frankfurt am Main 1968, 29). 96 Siehe dazu auch Heller, Staatslehre, 363 f. 97 In diesem Sinne schreibt Volker Gerhardt im Anschluß an Platon, daß Politik "eine ausdrücklich gehandhabte Kunst gemeinschaftlicher Lebensführung" sei. Volker Gerhardt, Der groß geschriebene Mensch. Zur Konzeption der Politik in Platons Po Iiteia, in: Internationale Zeitschrift für Philosophie, 1997,40-56, hier 5 I.

§ 22: Die politische Kultur des Friedens

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Bürger abhängt98, und es ist angemessen, die politische Kultur des Friedens auch mit dem zu identifizieren, was Hegel die politische Gesinnung oder den Patriotismus99 , Sternberger Verfassungspatriotismus 100 nennt. Und hier trifft sich das Konzept wieder mit den Vorstellungen Senghaas'. Wenn Verfassung nach Sternberger institutionalisierter Streit ist lOl , so treffen sich in diesem Punkt politische Kultur des Friedens bzw. Verfassungspatriotismus mit dem, was Senghaas politische Konfliktkultur nennt. 102 Aber die politische Kultur des Friedens bezieht sich nicht nur auf den politischen Konflikt, sondern überhaupt auf die Gestaltung des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens. Und dies wiederum gilt nicht nur rur den neuzeitlichen Verfassungsstaat in seiner spezifischen Ausprägung und der ihm entsprechenden politischen Kultur, wie Senghaas sie beschreibt. Vielmehr muß man von der politischen Kultur des Friedens überall dort sprechen, wo eine Gesellschaft sich in ihrem politischen Verband selbst zur verfaßten Existenz bringt. Denn diese Existenz ist der Frieden auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Damit muß man die "Gesamtheit" der Kultur des Friedens inhaltlich differenzieren: Ging es bezüglich der allgemeinen Kultur des Friedens um die partikularen Interaktionsverhältnisse, so geht es bei der politischen Kultur des Friedens um den gesamtgesellschaftlichen Frieden. Den unterschiedlichen Interaktionsebenen entsprechen unterschiedliche Charakteristika der Kultur: Während rur erstere charakteristisch ist, daß sie eine - wenn auch nicht ausschließlich unbewußte Kultur darstellt, die in partikularen Mentalitäten, Gewohnheiten des Handeins und gesellschaftlichen Institutionen besteht, in welchen sich der Frie98 Diese hat (vor allem tUr den Frieden des demokratischen Verfassungsstaates) Christian Grafvon Krockow charakterisiert in: Christian Grafvon Krockow, Gewalt tUr den Frieden? Die politische Kultur des Konflikts, München 1983 (63-92), auch unter dem Titel Die Tugenden der Friedensfahigkeit, abgedruckt in: Senghaas (Hrsg.), Den Frieden denken, 419-441. 99 Siehe dazu Hegel, Rph, § 268. 100 Siehe insbesondere Dolf Sternberger, Verfassungspatriotismus, in: ders., Verfassungspatriotismus (Dolf Sternberger, Schriften, Band X), hrsg. von Peter Haungs / Klaus Landfried / Elsbeth Orth / Bernhard Vogel, Frankfurt am Main 1990, 13-16, ders., Verfassungspatriotismus. Rede bei der 25-1ahr-Feier der "Akademie tUr Politische Bildung", in: ebenda, 17-38. Sternbergers Begriff läßt sich nicht nur auf den demokratischen Verfassungsstaat (den er in erster Linie im Blick hat) anwenden, sondern kann auf alle Formen des politischen Verbandes übertragen werden. 101 Siehe Sternberger, Der Begriff des Politischen, 79 f. 102 Senghaas selbst spricht am Ende seiner Arbeit Frieden (223) von "Bürgergesinnung" und weist damit schon auf den hier explizierten Zusammenhang zwischen politischer Kultur des Friedens und Verfassungspatriotismus hin, ohne daß er selbst seinen Begriff der Bürgergesinnung in diesem Sinne fruchtbar gemacht hätte.

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

den der Person lebensweltlich sedimentiert, so ist rur letztere charakteristisch, daß sie - wenn auch nicht ausschließlich - dem bewußten Bereich der Kultur zuzuordnen ist. Diese Charakteristika haben unmittelbare Folgen rur die Pflege der jeweiligen Kultur: Während sich der unbewußte Frieden der Kultur gewissermaßen von selbst perpetuiert, bedarf die politische Kultur des Friedens der ausdrücklichen Pflege und Hinwendung. Daß hierzu der politische Verband jeweils zwar einen gewissen Beitrag leisten kann, liegt auf der Hand, daß es aber seine Bürger selbst sind, von dessen Existenz der politische Verband, also: der gesamtgesellschaftliche Frieden - abhängig ist, wurde schon mehrfach betont. Wo die politische Kultur des Friedens nicht gepflegt wird, wo der Wille zum gemeinsamen Zusammenleben aufgekündigt wird, etwa durch strukturelle Benachteiligung einzelner Gruppen oder durch die Fundierung des Konzepts gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens auf solchen "Wahrheiten", die nicht von allen geteilt werden \03, dort ist der Frieden des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens gefährdet - diese Gefahrdung kann sich zum Bürgerkrieg, der Negation jenes Friedens, steigern.

§ 23: Bürgerkrieg und Unfrieden im politischen Verband Im Sinne des Friedensbegriffs Augustinus' ist der politische Verband identisch mit dem Frieden auf gesamtgesellschaftlicher Ebene: Der politische Verband stellt mit seiner Verfassung die der Gesamtgesellschaft eigentümliche Weise ihrer Existenz dar. Hiervon ausgehend ist nunmehr danach zu fragen, was Unfrieden in bezug auf diesen Frieden bedeutet. Worin liegt die Störung der Ruhe des politischen Verbandes? Es ist dazu in Erinnerung zu rufen, daß der gesamtgesellschaftliche Frieden nicht "von Natur aus" existiert, sondern gestiftet werden muß. Dies hat zur Konsequenz, daß es hier, anders als beim Frieden der Person, einen totalen Unfrieden geben kann, der nicht zugleich das Ende aller Interaktion überhaupt (also gewissermaßen "Tod") bedeutet. Dieser totale Unfrieden ist die Abwesenheit des politischen Verbandes - der Bürgerkrieg. 104

103 "Es ist Kultur, den Frieden mehr zu lieben als die Wahrheit." (Bernard Willms, Die Antwort des Leviathan. Thomas Hobbes' politische Theorie, Neuwied, Berlin 1970, 131). 104 An dieser Stelle eröffnete sich die Problematik der Despotie, da der Frieden des politischen Verbandes nicht nur "von unten" - etwa durch Bürgerkrieg - gestört werden kann, sondern auch "von oben" - in Form despotischer Herrschaft. Diese Problematik ist aber, entsprechend der Fragestellung der vorliegenden Arbeit, hier nicht zu verfolgen.

§ 23: Bürgerkrieg und Unfrieden im politischen Verband

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Der Bürgerkrieg ist dadurch gekennzeichnet, daß das Zusammensein von Menschen, die aufgrund vorgegebener und sozial aktualisierter Gegebenheiten zusammenzuleben gezwungen sind (also sich zumindest dauerhaft im selben geographischen Raum finden), nicht nach einer rur alle verbindlichen Leitidee gestaltet werden kann. Diese Unmöglichkeit resultiert aus der Partikularität und der Konkurrenz verschiedener politischer Identitäten, welche wiederum aus dem Rekurs auf jeweils unterschiedliches Ordnungswissen resultieren. Insoweit fehlt es also an einem al/-gemeinsamen, aktualisierten Ordnungswissen und einer al/-gemeinsamen politischen Identität. Dadurch aber kommt kein allgemeiner Wille zum Zusammenleben, kein gemeinsamer Wille zum politischen Verband zustande. Aus den partikularen Selbstverständnissen und Identitäten der beteiligten Gruppen folgt die konkurrierende Pluralität partikularer politischer Ordnungsmodelle. So prallen unterschiedliche Vorstellungen von der Art und Weise des Zusammenlebens, mit welchen sich die jeweiligen Gruppen identifizieren, unvermittelt aufeinander, was unter der Bedingung, sich objektiv in derselben Situation zu befinden, Feindschaft bedeutetlOs: Unterschiedliche Identitäten bedeuten ein unterschiedliches So-Sein des Anderen. 106 Wenn Feindschaft aber die "seinsmäßige Negierung eines anderen Seins" (Schmitt) ist, so resultiert daraus, daß Feindschaft bei Abwesenheit des politischen Verbandes inimicitia, nicht hostitia ist. Die Feinds'chaft im Bürgerkrieg ist dadurch kollektiv-persönliche Feindschaft: Die Anderen sind Feinde, die man "unter Antipathiegeruhlen haßt." 107 Dies läßt sich mit Peter Graf Kielmansegg am konkreten Beispiel des nordirischen Bürgerkrieges leicht veranschaulichen: "Im nordirischen Fall stehen zwei Gemeinschaften unversöhnlich einander gegenüber. Sie trennt nicht diese oder jene Streitfrage, sondern ihre Identität; nicht was sie tun, zu tun beabsichtigen, einander zufugen wollen, sondern wer sie sind. Auf der ei105 Man darf nicht den Fehler begehen, diesen theoretischen Befund auf die internationale Ebene zu übertragen und daraus zu folgern, daß politische Verbände oder Zivilisationen "von Natur aus" untereinander in einem feindschaftlichen Verhältnis stünden. Dies ist mitnichten der Fall, und zwar deshalb, weil es auf internationaler Ebene keine analog zur gesamtgesellschaftlichen gemeinsame Situation gibt. Dazu im einzelnen unten 198. 106 Das die verschiedenen kollektiven Identitäten fundierende Ordnungswissen fuhrt auch zu unterschiedlichen Vorstellungen von Gerechtigkeit. Es prallen also im Bürgerkrieg auch verschiedene Gerechtigkeitskonzepte aufeinander. So kann Schmitl schreiben: "Das Kennzeichen dieses Bürgerkrieges besteht darin, den andern als Verbrecher, Mörder und Gangster zu behandeln. In einem schauerlichen Sinn ist der Bürgerkrieg ein gerechter Krieg, weil jede der Parteien unbedingt auf ihrem Rechte sitzt wie auf einer Beute. Jeder nimmt Rache im Namen des Rechts." (earl Schmitt, Amnestie oder die Kraft des Vergessens, in: ders., Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 19161969, hrsg., mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Günler Maschke, Berlin 1995, 218 f, hier 218). 107 Schmitt, BP, 29.

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

nen Seite eingewanderte Engländer, Schotten, auf der anderen Seite Iren; auf der einen Seite Protestanten, auf der anderen Katholiken. Wir haben es mit zwei kollektiven Identitäten zu tun, nicht mit einer. In einer langen Geschichte blutiger Feindschaft, die dem Haß immer neue Nahrung gab, sind diese zwei Identitäten im Gegeneinander erstarrt.'0108

Das Beispiel bestätigt zum einen die Fruchtbarkeit der Differenzierung von Unfrieden und Konflikt und zum anderen die Auffassung Hobbes', daß der Krieg nicht in pennanenter Gewaltsamkeit besteht, sondern als ein Zeitraum zu charakterisieren ist, "in dem der Wille zum Kampf genügend bekannt ist." 109 Sofern im Bürgerkriegszustand Politik als Status nicht existiert, sondern nur als Modus aktuell sein kann, markiert diese Situation auch die Aufgaben politischen Handeins: Es geht darum, den Unfrieden als einen Konflikt darzustellen und so aus der Zone der Feindschaft hinauszuführen. Das ist stets möglich, solange die Parteien überhaupt interagieren - neben den Kampfhandlungen und der praktizierten Feindschaft besteht immer die Möglichkeit, Gespräche zu führen und zu verhandeln, um Gemeinsamkeiten als Anknüpfungspunkte für ein Zusammenleben zu finden. Letzteres bedeutet, ein gemeinsames Ordnungswissen in die gemeinsame politische Sphäre "hineinzuziehen" und als gemeinsame Identität darzustellen und zu aktualisieren. Das heißt: Es muß ein Feld gefunden werden, das gegenüber der Feindschaft neutral ist und von dem aus das Gemeinsame für alle Beteiligten annehmbar gestaltet werden kann. Ob solches gelingt, ist im historisch konkreten Fall von einer Vielzahl von Faktoren abhängig. Entscheidend aber ist, ob sich bei den Parteien eine gemeinsame politische Kultur des Friedens ausprägen kann, aus der die kollektive Bereitschaft hervorgeht, mit der verfeindeten Partei gemeinsam das Zusammenleben zu gestalten. Daß gerade dafür entscheidend ist, wie tief sich die Gegensätzlichkeiten in den jeweiligen Mentalitäten verfestigt haben, liegt auf der Hand: jahrundertealte Feindschaften sind schwerer aus der Welt zu schaffen als solche, deren Gründe weniger tief in den kollektiven Subjektivitäten verankert sind. Die Ruhe des politischen Friedens ist allerdings nicht erst im Falle der Abwesenheit des politischen Verbandes gestört. Schon früher kann Unfrieden eintreten. Dabei darf auch hier dieser nicht mit Konflikt verwechselt werden. Die Ruhe der Ordnung des politischen Verbandes wird nicht schon durch politische

108 Kielmansegg, 116. Das nordirische Beispiel weist die Besonderheit auf, daß es eine Ordnungsrnacht und eine auf Geltung Anspruch erhebende "gemeinsame" Verfassung gibt. Aber die Tatsache, daß hier dennoch faktisch Bürgerkrieg herrscht, bestätigt, daß eine (letztlich oktroyierte) Verfassung unwirksam und der Bürgerkrieg auf der schnell überschrittenen Schwelle zum manifesten Ausbruch bleibt, wenn die Menschen nicht gewillt sind. zusammen nach einem gemeinsamen Konzept zu leben. 109 Hobbes, Leviathan. 96.

§ 23: Bürgerkrieg und Unfrieden im politischen Verband

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Konflikte gestört. Diese sind immer Streit auf dem Boden der jeweiligen gemeinsamen Ordnung. Und auch, wenn eine der Positionen von diesem Boden aus (d.h. im Rahmen der politischen Verfaßtheit) eine Veränderung der Ordnung anstrebt, kann nicht sinnvoll von Unfrieden gesprochen werden. I \0 Unfrieden herrscht vielmehr nur dort, wo sich das Handeln - nicht schon das partikulare Denken, das den politischen Verband, der nur in der öffentlichen Interaktion seine Wirklichkeit hat, nicht treffen kann - öffentlich gegen den politischen Verband als solchen richtet. Seiner Intention nach wendet sich der gegen den politischen Verband als solchen gerichtete Unfrieden dabei gegen die Leitidee des allgemeinen Zusammenlebens. Auch diese Form des Unfriedens muß sich daher in subjektiv-bewußt destruktiv gefilhrter Interaktion äußern. Dementsprechend besteht auf der Ebene des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens eine gewisse Asymmetrie zwischen Frieden und Unfrieden, die hier allerdings von anderer Art ist als jene auf der Ebene einfacher Interaktionsverhältnisse: Nicht nur der Unfrieden, sondern auch der Frieden des politischen Verbandes ist eine bewußte und ausdrückliche Schöpfung. Jedoch hat letzterer sein habitualisiertes Fundament im Ordnungswissen, weshalb sich der Frieden des politischen Verbandes in der Befangenheit, das heißt Selbstverständlichkeit dieses Ordnungswissens bewegt, gegen welche anzugehen die dauerhaft-ausdrückliche Negation der gemeinsamen Ordnung erfordert. Dies ist mit großem subversivem Energieaufwand verbunden, wogegen die selbstverständlich eingelebte Ordnung auf der politischen Kultur einer Bevölkerung beruht und davon profitiert, daß jede nicht explizit unfriedliche Handlung als Zustimmung zu dieser Ordnung wirkt und schon damit den Frieden festigt. Daher trifft filr diese öffentliche Ordnung zu, was Niklas Luhmann im Kontext des Themas "lnstitutionalisierung" feststellt: "Jeder hat am Anfang die Freiheit zu protestieren; aber niemand kann, wenn er überhaupt an Interaktionen teilnehmen will, unaufhörlich gegen alles Imlizierte explizit protestieren. Ihm bleibt, wenn es ihm nicht gelingt, die ... Themenentwicklung selbst zu führen, nur der Gesamtprotest durch Abbruch der Beziehung oder das Sicheinlassen auf ihre Basis unterstellten Konsenses und auf ihre Selektionsgeschichte, die nur noch in Einzelheiten beeintlußt werden kann. Das Fortsetzen der Teilnahme wird dann, ob gewollt oder nicht, zur Darstellung von pauschal erteiltem Konsens, und Darstellungen binden, da die übrigen Teilnehmer entsprechende Erwartungen bilden. Qui tacet consentire videtur." I I I

110 Diese Unterscheidung wird bei Mehlich durch die Einführung des Begriffs der "friedlichen Gewalt" (dieser wird Mehlich, 8, definiert) völlig verwischt, so daß sie dann schreiben kann: "Gewinnt beispielsweise eine bestimmte Partei eine Wahl, begrenzt dies die Möglichkeit einer anderen Partei, ihr Potentielles zu verwirklichen. Aber das sind Formen friedlicher Gewalt." (Ebenda, 6). III Luhmann, RS, 68, das folgende Zitat ist ebenda, 69.

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

Wer gegen diese Selbstverständlichkeiten agieren will hat die "Last der Verbalisierung und Explikation" gegen sich. Aber im politischen Verband ist selbst die bloß verbalisierte Negation nicht ausreichend: Um die organisierte Institution des politischen Verbandes in ihrer Ordnung zu stören, bedarf es der ausdrücklichen Tat. Dies erklärt, warum Unfrieden der Ausnahmefall auch dort bleibt, wo Frieden künstlich gestiftet werden muß. Um erfolgreich zu sein, muß destruktive Negation des politischen Verbandes daher dauerhaft aktualisiert sein, sie kann nicht in eine unreflektierte Selbstverständlichkeit absinken, sondern fordert revolutionären Aktivismus. 112 Formen dieses gegen den politischen Verband gerichteten Unfriedens sind Terrorismus und Revolution, die beide den Keim zum Bürgerkrieg im skizzierten Sinne in sich tragen. 113 Auf der gesamtsozialen Ebene ist Unfrieden also schon mit destruktiv geführter subjektiver Interaktion hinreichend qualifiziert. Der Begriff des Desavouierens kann (und braucht) hier deshalb nicht angewandt werden, weil durch destruktive Interaktion gegenüber dem politischen Verband als solchem .keine personale Identität betroffen ist. Allerdings wird er durch natürliche Personen wiederum repräsentiert, so daß sich die eigentlich auf den politischen Verband zielende Destruktion letztlich auf diese richten muß. Für die personalen Repräsentanten des politischen Verbandes ist dann die entsprechende destruktive Interaktion Unfrieden im Sinne des Desavouierens. Das bedeutet, daß lebensweltlich identische Sachverhalte - nämlich Unfrieden gegenüber Personen - sozialontologisch gesehen doch zu differenzierende Phänomene sind: Gewalt beispielsweise, die sich gegen einen Politiker in seiner Eigenschaft als Politiker wendet, ist ihrer Intention nach etwas anderes als Gewalt zwischen Privaten in einer Wirtshausschlägerei, obgleich es beidemale Gewalt ist und beidemale Menschen betroffen sind. Die genaue Qualifizierung der Kriterien dafür, wann ein Akt als gegenüber dem politischen Verband destruktiv aufgefaßt werden muß, läßt sich nicht abstrakt bestimmen. Hier kommt es stets auf die jeweilige politische Verfassung

112 Auch sie kann allerdings - durch die normative Kraft des Faktischen - eine revolutionäre Mentalität bei den Beteiligten erzeugen. 113 Auf Revolution und Terrorismus kann hier nicht näher eingegangen werden, da eine Untersuchung von deren Eigenart und von den Zusammenhängen zwischen Bürgerkrieg, Revolution und Terrorismus unter dem Gesichtspunkt des politischen Unfriedens den Rahmen der Arbeit sprengte. Siehe aber zur Revolution und deren Nähe zum Bürgerkrieg Neithard Eu/st / Jörg Fisch / Reinhart Kosel/eck / Christian Meier, Revolution, Rebellion, Aufruhr, Bürgerkrieg, in: GeGrb, Band 5, 653-788, etwa 727 und 787 (Kosel/eck), und zum Terrorismus die systematische Studie von Georgios Kaouras, Terrorismus. Historische und politische Komponenten des terroristischen Phänomens, Frankfurt am Main, Berlin, New York, Paris, Wien 1994.

§ 23: Bürgerkrieg und Unfrieden im politischen Verband

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selbst an, die davon betroffen ist. Prinzipiell liegt die Entscheidung, wann ein solcher Akt vorliegt, auf seiten des politischen Verbandes. Vor diesem Hintergrund ist auch der Zusammenhang von politischem Konflikt im politischen Verband und dem Unfrieden zu betrachten. Erst wo ein politischer Konflikt in Destruktion gegenüber der Verfassung selbst transformiert wird, betrifft er unmittelbar die Substanz (nämlich die Leitidee) des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens. tIier geht es dann nicht mehr eigentlich um den Konflikt als vielmehr überhaupt darum, den Willen zum Zusammenleben aufzukündigen. Gesamtgesellschaftlicher Unfrieden tritt dann ein, wenn der Wille zum Zusammenleben in Frieden ausdrücklich negiert wird (und dazu bedarf es wiederum noch nicht einmal unbedingt eines aktuellen Konfliktes). Daher hat Schmitt auch richtig beobachtet, wenn er feststellt, daß "die Gleichung: politisch = parteipolitisch" nur möglich sei, "wenn der Gedanke einer umfassenden, alle innerpolitischen Parteien und ihre Gegensätzlichkeiten relativierenden politischen Einheit (des 'Staates') seine Kraft verliert." 114 Schmitt weiter: "Wenn innerhalb eines Staates die parteipolitischen Gegensätze restlos 'die' politischen Gegensätze geworden sind, so ist der äußere Grad der 'innerpolitischen' Reihe erreicht, d.h. die innerstaatlichen, nicht die außenpolitischen Freund- und Feindgruppierungen sind fiir die bewaffnete Auseinandersetzung maßgebend. Die reale Möglichkeit des Kampfes ... bezieht sich bei einem derartigen 'Primat der Innenpolitik' konsequenterweise nicht mehr auf den Krieg zwischen organisierten Völkereinheiten (Staaten oder Imperien), sondern auf den Bürgerkrieg."lIs Überhaupt ist Schmitts problematisches Freund-Feind-Kriterium des Politischen vor dem Hintergrund der Möglichkeit von destruktiver Interaktion, die gegen das gesamtgesellschaftliche Zusammenleben gerichtet ist, durchaus fruchtbar zu machen: Der Staat wird bei Schmitt zutreffend als in sich befriedete 114 Schmitt, BP, 32. Die zitierte Stelle flihrt unmittelbar so fort: "... und infolgedessen die innerstaatlichen Gegensätze eine stärkere Intensität erhalten als der gemeinsame außenpolitische Gegensatz gegen einen anderen Staat." Hierzu ist zweierlei zu bemerken: Genauer hätte Schmitt hier nicht von einer "stärkeren Intensität" der Gegensätze sprechen dürfen. Vielmehr handelt es sich bei dem "Umschlag" von friedlichem Konflikt zur unfriedlichen Konfliktaustragung um eine andere Qualität im Modus der Interaktion. Ferner ist die negative Definition der staatlichen Einheit über den Gegensatz zu anderen Staaten ungenügend. Genau diese (außenpolitische) Blickverengung im Verein mit der Betonung des Kampfes hat Schmitt dahin geführt, das Potential seines Kriteriums des Politischen nicht im vollen Maße ausschöpfen zu können. Stattdessen hat er den Weg des politischen Existenzialismus weiterverfolgt. (Siehe dazu Heiner Bielefeldt, Kampf und Entscheidung. Politischer Existentialismus bei Carl Schmitt, Helmuth Plessner und Karl Jaspers, Würzburg 1994, 19-66 sowie Christian Grafvon Krockow, Die Entscheidung. Ein Untersuchung über Ernst Jünger, Carl Schmitt, Martin Heidegger (1958), Frankfurt am Main, New York 1990, 54 ff.). 115 Schmitt, BP, 32.

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

Einheit begriffen 116, innerhalb derer "alle Gegensätze, Konflikte und Auseinandersetzungen unterhalb der Ebene einer Freund-Feind-Gruppierung" 117 bleiben. Erst wenn das Fundament der Homogenität - in den Worten der vorliegenden Arbeit: die sich in der Leitidee gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens verdichtende Mentalität - seine Bindekraft verliert, wird die Möglichkeit des Bürgerkrieges - also: des gesamtgesellschaftlichen Unfriedens - aktuell. In diesem Kontext des Ausnahmezustandes (der aber eben die Ausnahme ist, deren Verständnis dasjenige des Normalfalles voraussetzt) ist das Verhältnis zwischen Frieden und politischem Verband ohne Bezug auf die Kategorie der öffentlichen Feindschaft nicht adäquat zu erfassen: Wer den öffentlichen Frieden des politischen Verbandes ausdrücklich destruiert, schließt sich selbst aus dessen Allgemeinheit aus und setzt sich der Möglichkeit aus, zum hostis erklärt zu werden. Wie jedoch der politische Verband auf ein solches Handeln reagiert, ist dessen Entscheidung. Das heißt, daß die hostis-Erklärung, durch welche einzelne oder Gruppen zu public enemies bestimmt werden, auf dessen Seite liegt. 118 In der Situation des Bürgerkrieges wird schließlich jegliche Allgemeinheit in Bezug auf das gesamtgesellschaftliche Zusammenleben ausdrücklich negiert. Damit fällt auch die Kategorie des hostis weg, Feindschaft wird im Bürgerkrieg, wie schon festgestellt, kollektiv-persönliche Feindschaft - inimicitia. Solange das Konzept des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens akzeptiert und in Geltung ist, sich also die Gesellschaft im politischen Verband repräsentiert weiß, lassen sich die auf dieses Zusammenleben gerichteten Konflikte und inneren Friedensbedrohungen stets unter Rekurs auf das Konzept des Zusammenlebens politisch beilegen. Erst wenn die Autorität des politischen Verbandes verschwunden ist, wird dies nicht mehr gelingen. 119 116 "Die Leistung eines normalen Staates besteht aber vor allem darin, innerhalb des Staates und seines Territoriums eine vollständige Befriedung herbeizuführen, 'Ruhe, Sicherheit und Ordnung' herzustellen und dadurch die normale Situation zu schaffen." (Schmitt, BP, 46). Siehe dazu und zum Schmittschen Denken von der Situation des Ausnahmezustandes her auch die kritische Auseinandersetzung mit Schmitt von Kay Waechter, Studien zum Gedanken der Einheit des Staates. Über die rechtsphilosophische Auflösung der Einheit des Subjektes, Berlin 1994, 15-72. 117 Ernst- Wolfgang Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk earl Schmitts. in: ders., Recht, Staat, Freiheit, 344-366, hier 346. 118 Siehe dazu Schmitt, BP, 46 f. und ff. Auf Seite 46 schreibt Schmitt, daß es die innerstaatliche Feinderklärung "in allen Staaten ... in irgendeiner Form" gebe. Wie schwer sich der freiheitliche Verfassungsstaat aber hiermit tut, verdeutlichen für die Bundesrepublik Deutschland beispielsweise die rechtliche Behandlung politischer Terroristen einerseits, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über Radikale im öffentlichen Dienst (BVerfDE 39, 334) aus dem Jahre 1975 andererseits. 119 Es muß ein Desiderat einer theoretischen Arbeit bleiben, dies an historischen Beispielen konkret zu erweisen. Gewiß wäre die Geschichte des mittelalterlichen Reiches ein lohnender Gegenstand für eine solche Untersuchung. Es sei aber darauf hingewie-

§ 24: Gesamtgesellschaftlicher und innergesellschaftlicher Frieden

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Da es beim bisher Beschriebenen um die gesamtsoziale Interaktion geht, bedeutet all das nicht, daß Unfrieden innerhalb eines politischen Verbandes mit dessen Existenz ausgeschlossen wäre. Eine solche Annahme widerspräche - wie der Blick auf die Statistiken zur Gewaltkriminalität lehrt - jeder empirischer Evidenz. Diese paradox anmutende Behauptung, die zur theoretischen Problematik des Zusammenhanges von partikul~rem und gesamtgesellschaftlichen Frieden führt, ist nun zu erörtern. Die Erörterung ist ein Schritt zur Klärung des Zusammenhangs der drei Ebenen des Zusammenlebens in bezug auf den Frieden.

§ 24: Gesamtgesellschaftlicher und innergesellschaftlicher Frieden Es ist bereits erwähnt worden, daß der Frieden des politischen Verbandes von den Menschen nicht anders erlebt und wahrgenommen wird, als der innergesellschaftliche Frieden im Sinne der ungestörten objektiven Interaktion: Auch der öffentliche Frieden kommt lebensweltlich nur zu Bewußtsein, wenn er gestört wird oder wenn die Möglichkeit des Unfriedens reflektiert wird. Im alltäglichen Leben bleibt er als die - sei es politische, sei es vor- bzw. nichtpolitische - selbstverständliche Lebensweise unbemerkt. Mit anderen Worten wird der Frieden in beiden Formen nur vor dem Hintergrund des Unfriedens im Sinne destruktiv geführter Interaktion erfahren. Daß auch der Frieden des politischen Verbandes so wahrgenommen wird, findet seinen Grund darin, daß die Gesellschaft im politischen Verband zum gesellschaftlichen Faktum geworden ist, das als solches erkennbar ist. Was jedoch lebensweltlich als identisches Phänomen erscheint, ist sozialontologisch kategorial zu unterscheiden. Hierzu ist in Erinnerung zu rufen, daß es sen, daß die schwindende Autorität des politischen Verbandes noch nicht hinreicht, um dessen Untergang herbeizuführen. Benötigt werden vielmehr stets auch ein alternatives Konzept des öffentlichen Zusammenlebens und die Menschen, welche dieses Konzept umzusetzen trachten. Auf dieses Phänomen verweist auch Arendt: "Die innere Zersetzung der Staatsmacht macht Revolutionen möglich; sie sind keineswegs eine notwendige, errechenbare Folge. Die Geschichte kennt zahllose Beispiele von völlig ohnmächtigen Staaten, die über lange Zeiträume fortbestehen konnten. Entweder gab es niemanden, der die bestehende Macht auch nur auf die Probe stellte, oder das Regime hatte das Glück, in keinen Krieg verwickelt zu werden und keine Niederlage zu erleiden. Denn Machtzerfall wird häufig nur manifest in direkter Konfrontation; und selbst dann, wenn die Macht schon auf der Straße liegt, bedarf es immer noch einer Gruppe von Menschen, die auf diese Eventualität vorbereitet und daher bereit ist, die Macht zu ergreifen und die Verantwortung zu übernehmen." (Arendt, M&G, 50). Als historisches Beispiel hierzu kann man die Agonie der späten römischen Republik betrachten. Siehe dazu und zur Alternativlosigkeit der republikanischen Verfassung in der Krise der späten römischen Republik Meier, Res publica amissa, insbes., 201 ff.

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

sich bei der gesamtgesellschaftlichen Interaktion um eine Interaktion sui generis handelt, die zu allen partikularen Interaktionsformen hinzukommt. Der Frieden des politischen Verbandes bezieht sich allein auf diese Interaktion, er betriill allein dasjenige Verhalten, das jeder jedem Anderen kraft Zugehörigkeit schuldet. Als zur handlungsfähigen Einheit integrierte Gesamtgesellschaft stellt der politische Verband einen anderen Aggregatzustand und ein anderes "Bezugssystem" dar als jene partikularen Interaktionen, die prinzipiell auch unter der Bedingung gesamtgesellschaftlichen Friedens in Gefahr sind, unfriedlich geführt zu werden, wie jeder Mord und jede Vergewaltigung aufs Neue bestätigen. Die beiden Ebenen von Interaktionsverhältnissen sind daher unbedingt theoretisch zu differenzieren, obgleich sie miteinander in einem dialektisch vermittelten Zusammenhang stehen. 120 Dieser Zusammenhang wird aber erst deutlich, wenn zunächst geklärt ist, daß die Vorstellung vom Frieden (der Person) als ungestörter objektiver Interaktion nicht mit dem Frieden auf gesamtgesellschaftlicher Ebene verwechselt werden darf. Denn ersterer ist geknüpft an die Ausbildung der individuellen Identität, während letzterer sich auf eine ganz anderen Form der Interaktion bezieht, die keinen direkten Einfluß auf die personale Entwicklung des Menschen hat: Das Faktum der gesamtgesellschaftlichen Interaktion betriill nicht den Einzelnen. 121 Diese Überlegungen haben interessante Konsequenzen für die theoretische Bewertung von Gesellschaften hinsichtlich deren friedlichen oder unfriedlichen Charakters: Aus dem Vorgesagten ergibt sich nämlich die paradox anmutende Situation, daß es politische Verbände als Friedenseinheiten gibt, die in ihrem Innern gleichwohl ein höchst unfriedliches - insbesondere gewaltsames - Gesicht zeigen. Zu denken ist beispielsweise an Gesellschaften, welche die Fehde kennen. Ganz richtig differenziert der Kulturanthropologe Frank R. Vivelo daher, wenn er über die Fehde schreibt: "Es ist ... wichtig, sich daran zu erinnern, daß nicht die gesamte Gemeinschaft, sondern nur eine kleine Partei, die sich um die Hauptbeteiligten formiert, an der Fehde beteiligt ist." 122 Aus der Perspektive der bisherigen Ausführungen ergibt sich bezüglich solcher Gesellschaften folgendes Bild: Auch innergesellschaftlich unfriedliche Gesellschaften befinden sich als politisch geeinte Gesellschaften im Zustand des

120 Von einer "Trennung" von politischem Verband und Gesellschaft kann also nicht die Rede sein. 121 Die nicht-intendierte gesamtsoziale Interaktion ist daher nicht gleichzusetzen mit der objektiven Interaktion, obgleich sie natürlich auch "objektiv" vorhanden ist. Siehe dazu schon oben 68. 122 Frank Robert Vive/o, Handbuch der Kulturanthropologie. Eine grundlegende Einfiihrung, herausgegeben und mit einer Einleitung von Justin Stang/, München 1988, 209. Völlig am Gegenstand vorbei jedoch Vive/os Außerungen zu Macht und Autorität, 204 ff. .

§ 24: Gesamtgesellschaftlicher und innergesellschaftlicher Frieden

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Friedens. Das resultiert - pointiert ausgedrückt - schon daraus, daß sie als solche überhaupt identifiziert werden können. Innergesellschaftliche Destruktivität muß sich im Rahmen eines intakten politischen Verbandes nicht unmittelbar desintegrierend auf das Zusammenleben der Gesamtgesellschaft auswirken. Erst wo innergesellschaftliche Destruktivität zum Problem rur das gesamtsoziale Zusammenleben - also zum politischen Problem - wird, erreicht sie die Ebene des politischen Verbandes. 123 Daraus folgt etwa, daß auch z.B. vorneuzeitliche politische Verbände den gesamtgesellschaftlichen Frieden darstellen und sichern, auch wenn in ihrem Innern Gewalt und Fehde möglich und wirklich sind. 124 Vor diesem Hintergrund ist auf einen Aspekt des zivilisatorischen Hexagons Senghaas' zurückzukommen: Senghaas nennt die Affektkontrolle bei den Individuen als Faktor der Kultur des Friedens. Dieses Theorieelement ist eng mit der Eliasschen Zivilisationstheorie, insbesondere mit den dort entwickelten Vorstellungen von der gesellschaftlichen Pazifizierung, verknüpft: Affektkontrolle meint dabei "die in differenzierten Gesellschaften sich aus diversen komplexen Handlungszusammenhängen ergebende Selbstkontrolle bzw. Selbstbeherrschung. Sie ist Grundlage nicht nur von Aggressionshemmung und Gewaltverzicht, sondern darauf aufbauend von Toleranz und Kompromißfähigkeit." 125 Bei Elias, an den sich Senghaas hier explizit anlehnt, ergibt sich die Affektkontrolle als Resultat der Verlängerung gesellschaftlicher Interdependenzketten und funktionaler "Verflechtungen". Sie ist daher gebunden an die historische Ausdifferenzierung der sozialen Welt, insbesondere an die neuzeitliche Entwicklung im Bereich der Ökonomie. 126 Diese Verflechtungen erzwingen eine 123 Innergesellschaftlicher Unfrieden kann also gesamtgesellschaftlich relevant und insofern politisch werden. Genau dies war ja in Europa in der Zeit der religiösen Bürgerkriege im 16. und 17. Jahrhundert der Fall. 124 Hierzu liefert die ethnologische Forschung reichlich Anschauungsmaterial. Siehe nur Kohl, 65: "Als die dunkle Kehrseite der politischen Egalität erweist sich indes die Gewalt. Selbst bei der nach außen so friedlichen Jäger- und Sammlergesellschaft der !Kung-San kommt es innerhalb der Gruppe gehäuft zu Totschlägen, wenn Streitigkeiten nicht gütlich beigelegt werden können... In romantisierenden Darstellungen der segmentären afrikanischen Gesellschaften wird oft übersehen, daß nicht nur das Gleichheitsbewußtsein, sondern auch die offene körperliche Gewalt zu den Determinanten der Akephalie zählt." 125 Senghaas, Frieden, 200, siehe auch ders., Kultur des Friedens, 4 f. 126 Siehe insbes. Elias, PZ 11, 336 ff. Knappe Zusammenfassungen der Eliasschen Theorie finden sich besipielsweise bei Hans Joachim Krüger, Aspekte der Zivilisationsanalysen von Norbert Elias, in: Helmut Rrackert I Fritz Wefelmeyer (Hrsg.), Kultur. Bestimmungen im 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1990, 317-343, insbes. 325 ff. oder bei Artur Rogner, Zivilisation und Rationalisierung. Die Zivilisationstheorien Max Webers, Norbert Elias' und der Frankfurter Schule im Vergleich, Opladen 1989, 18-27 und 28-65. Eine sehr geraffie Zusammenfassung zentraler Aussagen der Theorie findet sich in Elias, PZ 11,321 f. und 422 f., etwas ausführlicher von Elias selbst ist: Elias, Zi-

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

verstärkte Selbstkontrolle beim Individuum, da nur eine solche die erhöhten Anforderungen an die Berechenbarkeit des Handeins ermöglicht. So schreibt Elias beispielsweise zu den Anforderungen im Verkehrswesen der modemen Gesellschaft (das Verhalten auf einer verkehrsreichen Straße betreffend): "Diese äußere Regulierung ist von Grund auf darauf abgestimmt, daß jeder Einzelne sein Verhalten ents~rechend den Notwendigkeiten dieser Verflechtung aufs genaueste selbst reguliert." 27

Der Steigerung der Selbstzwänge auf der sozialen Mikroebene entspricht nun ein Wandel auf makrosozialer Ebene: Hier erfolgt gleichzeitig mit jenem Prozeß eine sich langfristig vollziehende zunehmende Integration gesellschaftlicher und insbesondere politischer Strukturen. Die Gewalt wird monopolisiert, der Staat entsteht, die "natural wirtschaftender n] Krieger-Gesellschaft" 128 weicht der Zivilisation. Auf diese Weise erfolgt in einem historisch gerichteten Prozeß die Zivilisierung - und das heißt vor allem auch: die Pazifizierung - des Verhaltens von Individuen. Die Gewalt in den sozialen Beziehungen nimmt ab. 129 Am Eliasschen Zivilisationsmodell interessiert im vorliegenden Zusammenhang nur die funktionalistische Pazijizierungstheorie, die in ihm enthalten ist. \30 Dabei ist vor allem die Frage des Zusammenhangs zwischen partikularer und gesamtgesellschaftlicher Interaktion zu erörtern.

viIisation. Für den Kontext der vorliegenden Arbeit siehe jetzt auch Jonathan Fletcher, Violence and Civilization. An Introduction to the Work of Norbert Elias, Cambridge (UK) 1997, insbes. 6 tT., 31 tf., 55 tf. und 176 tf. 127 Elias, PZ II, 318. 128 So etwa ebenda, 318, 205 und passim. 129 Siehe dazu insbes. Elias, PZ I, 263-283. 130 Die Eliassche Zivilisationstheorie wurde von verschiedenen Seiten aus kritisiert. Die profundeste Kritik ist diejenige Hans Peter Duerrs, der nicht nur methodologische Schwächen des Eliasschen Konzepts aufweist, sondern vor allem anhand einer überwältigenden Menge empirischer Belege aus Ethnologie und Geschichte die gesamte Theoriekonstruktion Elias' prinzipiell in Frage stellt. Seine konsequente Theorieverweigerung hindert Duerr jedoch an der vollen Ausschöpfung der von ihm geleisteten Arbeit. Siehe Hans-Peter Duerr, Der Mythos vom Zivilisationsprozeß, Band I, Nacktheit und Scham, 4. Auflage, Frankfurt am Main 1992, Band II, Intimität, Frankfurt am Main 1990, Band III, Obszönität Wld Gewalt, 2. Auflage, Frankfurt am Main 1993, Band IV, Der erotische Leib, Frankfurt am Main 1997. Im hier diskutierten Kontext ist vor allem der dritte Band dieses Werkes von Interesse. Zur Kritik am Konzept Elias' siehe auch Fletcher, 37f. Die im folgenden entwickelte Kritik am Eliasschen Funktionalismus läßt sich mutatis mutandis auch auf solche Vorstellungen übertragen, welche die soziale als eine synergetische Ordnung konzipieren, der die gesellschaftsbefriedende Leistung zugesprochen wird. Ein prominenter Vertreter solcher Vorstellungen ist Friedrich A. von Hayek; siehe dazu vor allem dessen RGF I, passim und zur Friedensleistung der spontanen Gesellschaftsordnung RGF II, 151 tf.

§ 24: Gesamtgesellschaftlicher und innergesellschaftlicher Frieden

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Die Eliassche Pazifizierungstheorie weist zwei tUr den Kontext der vorliegenden Arbeit relevante Aspekte auf: (i.) Die Behauptung, daß die individuelle Feindseligkeit - und damit innergesellschaftlicher Unfrieden - infolge zunehmender funktionaler Verflechtungen abnehme, und (ii.) die Behauptung, daß mit dieser Abnahme und aus gleichen Gründen die Pazifizierung der Gesellschaft durch Zentralisierung der Gewalt im Staat einhergehe. I3J Dabei wird der Staat als "gesellschaftliche Zentrale"132 gedacht, die infolge funktionaler Notwendigkeiten entstehe (Möglichkeit besserer Koordination und Regulierung 133 ) und der auch die Gewaltfunktion und besonders große gesellschaftliche Stärke zufalle, nachdem die Gewalt in den partikularen Beziehungen schwindet. Die Eliassche Theorie der Staatsentstehung ist also funktionalistisch: Der Staat ist Resultat gesellschaftlicher, insbesondere wirtschaftlicher Verflechtungen. 134 Aus der funktionalistischen Theorie Elias' ergeben sich nun zwei - nur schwer miteinander vereinbare - Ergebnisse: Zum einen zieht Elias die Konsequenz, daß aus der Zunahme gesellschaftlicher Differenzierung (oder in seinen Worten: der Verflechtungen) letztendlich ein Weltstaat, ein "politisches Zentralinstitut der Erde" resultieren müsse: "Man sieht die ersten Umrisse eines erdumfassenden Spannungssystems von Staatenbünden, von überstaatlichen Einheiten verschiedener Art, Vorspiele von Ausscheidungs- und Vormachtkämpfen über die ganze Erde hin, Voraussetzung tur die Bildung eines irdischen Gewaltmonopols, eines politischen Zentral instituts der Erde und damit auch für deren Pazifizierung."m Zum anderen hält es Elias aber auch tUr möglich (und diese Möglichkeit entspricht seinen theoretischen Voraussetzungen), daß eine Zunahme der individuSo etwa Elias, PZ 11, 422 f. So beispielsweise ebenda, 227 und passim. Zum Monopolcharakter dieser Zentrale siehe insbesondere ebenda, 142-159. I33 Siehe etwa ebenda, 227. \34 So führt E/ias, nachdem er die funktionalen Prozesse als ungeplante, einer jeweiligen Eigenlogik unterworfene Vorgänge ausgezeichnet hat, aus: "So, nicht aus einem gemeinsamen Plane Vieler, sondern als etwas Ungeplantes, hervorgehend aus dem Mitund Gegeneinander der Pläne vieler Menschen, kommt es zu der zunehmenden Funktionsteilung, so auch zu der Integration von immer größeren Menschenräumen in der Form von Staaten und zu vielen anderen geschichtlich-gesellschaftlichen Prozessen." (E/ias, PZ 11, 476; zur Funktionalismusthese ferner deutlich ebenda, 152-157 und 225 f. Zu E/ias' Vorstellungen vom Staat siehe auch die späte Arbeit Norbert E/ias, Die Fischer im Mahlstrom, in: ders., Engagement und Distanzierung. Arbeiten zur Wissenssoziologie I, hrsg. von Michael Schröter, Frankfurt am Main 1983, 73-183, insbes. 121-138 und passim; in dieser Arbeit finden sich auch E!ias' Überlegungen zur internationalen Politik, d.h. zur Interaktion von politischen Verbänden). IJ5 E/ias, PZ 11 452. Siehe dazu auch Volker Rittberger, Internationale Organisationen - Politik und Geschichte. Europäische und weltweite zwischenstaatliche Zusammenschlüsse (unter Mitarbeit von Bernhard Zangl), 2., durchgesehene Auflage, Opladen 1995,248 f. \31

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II Henkel

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

ellen Affekt- und Selbstkontrolle schließlich einen Staat überhaupt überflüssig machen könnte: "Individuelle Selbstzwangapparaturen wären in diesem Fall stark und zuverlässig genug, um jeden zentralen Fremdzwang überflüssig zu machen ... Das wäre eine sehr fortgeschrittene Form menschlicher Zivilisation. Sie würde, wie man sehen kann, ein Ausmaß, eine Breite und eine Struktur individuellen Selbstzwangs erfordern, wie sie auf der gegenwärtigen Stufe des sozialen und innerhalb seiner des Zivilisierungsprozesses noch nicht erreichbar sind. Auch ist ungewiß, ob sie je erreichbar sein werden, wenngleich sich der Versuch lohnen würde.,ol36

Die Vorstellung Elias', daß die gesamtgesellschaftliche Befriedung eine funktionale Resultante zunehmender gesellschaftlicher Verflechtungen und einer gesteigerten individuellen Selbstdisziplin und Affektkontrolle, also der Zivilisierung individuellen Verhaltens sei, ist mit der hier vorgeschlagenen Theorie nicht zu vereinbaren. Ohne hier eine sozialpsychologische Theorie der Aggression und des Unfriedens skizzieren zu müssen, kann doch vor dem Hintergrund der bisherigen Ausfilhrungen zum Punkt (i.) behauptet werden, daß der innergesellschaftliche Frieden, d.h. der Frieden der Person lebensweltlich sich in sozialen Institutionen und den diesen entsprechenden Gewohnheiten überhaupt sedimentiert und in ihnen gesichert ist. Aus dieser Perspektive bedarf es keiner besonderen Affektkontrolle (im Sinne Elias~ zur Pazifizierung von Interaktionsverhältnissen. Darüberhinaus ist aber die Unterscheidung zwischen persönlichem und inhaltlichem (insbesondere: sachlichem) Sinn hier von großer Bedeutung. Feindschaft bzw. Unfrieden ist eine Kategorie persönlichen Sinns. Demgegenüber beruhen alle funktionalen Verflechtungen stets auf inhaltlichem, das heißt vor allem: sachlichem Sinn. Zwischen diesen besteht keinerlei notwendige Verknüpfung. Das bedeutet aber apriori, daß es zwischen Unfrieden und Arbeitsteilung oder funktionaler Disziplin keinen Zusammenhang gibt. Dieser theoretische Befund wird durch das empirische Material, das Hans Peter Duerr zu diesem Punkt der Eliasschen Zivilisationstheorie zusammengetragen hat, bestätigt. 137 Im Eliasschen Modell wird ferner die Tatsache übersehen, daß innergesellschaftliches Handeln auf einer kategorial anderen Ebene verläuft als die gesamtgesellschaftliche Interaktion, daß also - anders als oben unter (ii.) behauptet - kein linearer Zusammenhang zwischen gesamtgesellschaftlichem Frieden und partikularen Interaktionsverhältnissen bestehen kann. 138 136 Elias, Die Fischer im Mahlstrom, 124 f. 137 Siehe dazu die knappe Zusammenfassung seiner zentralen Thesen, die Duerr in der Auseinandersetzung mit Kritikern formuliert: Duerr, Mythos, Band III, 9-31. 138 Duerr stellt fest, daß es zwar einen "Zivilisationsprozeß im Sinne eines Wandels der gesellschaftlichen 'Makrostruktur' gegeben hat", womit er vor allem den Wandel des politischen Verbandes und der Wirtschaft meint, und fUhrt dann aus: "Was ich bestreite, ist zum einen, daß diese Entwicklung eine Intensivierung der sozialen Kontrolle mit sich

§ 24: Gesamtgesellschaftlicher und innergesellschaftlicher Frieden

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Der politische Verband, also auch der neuzeitliche Staat, bezieht sich auf die Problematik des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens, während sich die Eliasschen Interdependenzen, auch wenn sie sich über weite geographische Räume erstrecken und sehr viele Menschen involvieren, partikulare Interaktionsverhältnisse bleiben, die zudem bei Elias explizit das Zusammenwirken von Menschen betreffen. Das Zusammenleben wird aber nach Kriterien personaler Rationalität bewältigt, während das Zusammenwirken der Sachrationalität, die typisch eine Zweck-Mittel-Rationalität darstellt, unterliegt. Das Problem des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens kommt Elias überhaupt nicht in den Blick, weshalb bei ihm Politik auch keine systematische Rolle spielen kann. Dem entspricht sein Verständnis des Staates als eines Monopols oder einer gesellschaftlichen Zentrale. Daß im Staat (bzw. überhaupt im politischen Verband) die Gesellschaft selbst zum handelnden Subjekt wird, entgeht dem Zivil isationsmodell. Damit läßt sich in bezug auf die Affektkontrolle im Theoriegebäude Elias' und im Hexagon Senghaas' feststellen, daß (a) die Zurückdrängung von Unfrieden in partikularen Interaktionsbeziehungen nicht von individueller Affektkontrolle abhängt, sondern lebensweltlich den gesellschaftlichen Mentalitäten, Institutionen und ihnen entsprechenden Gewohnheiten zu verdanken ist. Darüberhinaus bleibt (b) auch tUr den Frieden des politischen Verbandes die Affektkontrolle irrelevant, da sie sich auf partikulare Interaktion bezieht, als solche aber keine Auswirkungen auf die gesamtsoziale Interaktion im politischen Verband haben. Aus dem Vorgesagten resultiert schließlich, daß die gesamtgesellschaftliche Befriedung nicht durch den Zerfall zivilisierten Verhaltens (im Sinne Elias) geflihrdet ist. Die Bedeutung der Affektkontrolle beim Individuum als Element des zivilisatorischen Hexagons sowohl filr den Frieden in partikularen Interaktionsverhältnissen als auch tUr den Frieden des politischen Verbandes ist vor dem skizzierten Hintergrund skeptisch zu beurteilen: Zur politischen Kultur des Friedens leistet funktional erzwungene Affektkontrolle im Sinne Elias' keinen Beitrag. Der Damm gegen Unfrieden in bezug auf partikulare Interaktionsverhältnisse brachte, und zum anderen, daß sie dem Menschen einen ganz andersartigen 'Triebhaushalt' angezüchtet hat, einen neuen 'psychischen Habitus', der sich durch höhere Schamschranken und Peinlichkeitsbarrieren, durch eine Reduktion von Unmittelbarkeit, Spontaneität, Aggressivität und Grausamkeit sowie eine Intensivierung und Stabilisierung der Höflichkeit, 'Etikette' und gegenseitiger Rücksichtnahme vom früheren 'Habitus' unterscheidet." (Duerr, Mythos, Band III, 26). Duerrs Studien legen die Vermutung nahe, daß trotz der Monopolisierung der Gewalt beim Staat das Maß innergesellschaftlichen Unfriedens heute im Vergleich zu früheren Zeiten nicht geringer, sondern eher größer ist. (Siehe etwa das Kapitel über Notzucht und Zivilisationsprozeß, ebenda, 408-412 und explizit zu dieser These Hans Peter Duerr, Die Brutalisierung der modernen Gesellschaft, in: ders., Frühstück im Grünen. Essays und Interviews, Frankfurt am Main 1995, 129-138).

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

besteht nicht in der Affektkontrolle, sondern in sozialen Institutionen und Gewohnheiten überhaupt. Das Phänomen Frieden ist also in der dargestellten Weise zu differenzieren. Dennoch bleibt die Aufgabe, das Unterschiedene wieder dialektisch zusammenfuhren und in seinen Zusammenhängen ausweisen: Zu erarbeiten sind daher die sozialontologischen Gegebenheiten, die der gewissermaßen "holistischen" Friedenserfahrung in der Lebenswelt entsprechen. Diese Friedenserfahrung läßt erkennen, daß innergesellschaftlicher und gesamtgesellschaftlicher Frieden nicht abstrakt nebeneinander gestellt werden können. Sie verweisen vielmehr aufeinander und sind miteinander verbunden 139 - und zwar in folgender Weise: Einerseits beruht der gesamtsoziale Frieden des politischen Verbandes auf Voraussetzungen, die ihm selbst vorgegeben sind, nämlich auf dem ihm letztlich unverfiigbaren Ordnungswissen und den diesem entsprechenden Gewohnheiten. So ist er in seiner Existenz verwiesen auf die Bewegungen der Gesellschaft und darauf, daß aus dieser - und das heißt: aus einzelnen Interaktionsverhältnissen - immer wieder Sinnpotentiale erwachsen, welche dem politischen Verband seine Fortexistenz unter sich verändernden Bedingungen ermöglichen. Andererseits aber ist der politische Verband umgekehrt Bedingung der Möglichkeit des innergesellschaftlichen Friedens: Er bildet den unverzichtbaren Rahmen aller innergesellschaftlichen, partikularen Interaktionen. Erst wo der gesamtgesellschaftliche Frieden gesichert ist, d.h. wo verbindliche Übereinkunft darüber herrscht, was jeder jedem Anderen qua Zugehörigkeit schuldet, auch wenn beide keine gemeinsamen Interessen, Absichten etc. verfolgen und auch ansonsten "nichts miteinander zu tun haben", können die partikularen Interaktionen ihre friedliche Form finden, da sie auf dem politischen Frieden gewissermaßen aufruhen. Denn durch die Verbindlichkeit der Leitidee des gesamtsozialen Zusammenlebens hat der Einzelne prinzipiell die Gewähr, daß er mit jedem beliebigen Anderen, auch wenn er diesen nicht kennt, friedlich verkehren kann. Dies erst schafft überhaupt die Basis rur Gemeinsames, das über dasjenige, was jeder jedem Anderen schuldig ist, hinausgeht, also die Basis rur gemeinsame persönliche ebenso wie gemeinsame sachliche Orientierung. Alle partikularen Interaktionen haben mithin den Frieden des politischen Verbandes zur Voraussetzung, innerhalb dessen sie sich vollziehen. Insofern gewährleistet der politische Verband den innergesellschafilichen Frieden. 139 Diese Zirkularität macht erneut (siehe schon oben 128, Fn. 27) deutlich, daß man keinen historischen Anfang von als Einheit existierenden Gesellschaften in dem Sinne annehmen darf, daß zuerst eine Gesellschaft bestanden hätte, die sich dann erst aufgrund neuer Probleme - etwa der Notwendigkeit der Errichtung großer Bewässerungsanlagen - auch politisch integriert hätte. Mit dem Menschsein treten Gesellschaft und politischer Verband zugleich auf.

§ 24: Gesarntgesellschaftlicher und innergesellschaftlicher Frieden

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Vor dem Hintergrund des Vorstehenden (insbesondere der Auseinandersetzung mit Elias) ergibt sich, daß der logische Zusammenhang zwischen gesamtgesellschaftlichem und innergesellschaftlichem Frieden nicht "linear" oder chronologisch gedacht werden darf. Keinesfalls bestehen die partikularinnergesellschaftlichen Friedensverhältnisse (also etwa "die Familie") zeitlich vor dem öffentlichen Frieden. Vielmehr ist das Problem des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens zeitlich betrachtet mit dem Menschsein immer schon aufgegeben: Es besteht gleichzeitig neben jenem des je partikularen innergesellschaftlichen Zusammenlebens. Begrifflich betrachtet jedoch liegt der Frieden des politischen Verbandes vor den partikularen Friedensverhältnissen. Wenn Aristoteles davon spricht, daß die polis "früher" oder ursprünglicher sei als der Einzelne l40 , so kann man dies im Sinne des hier entfalteten Friedenskonzepts so interpretieren, daß der Frieden des politischen Verbandes logisch umfassender ist als die partikularen Friedensverhältnisse zwischen Menschen. Das heißt, daß der politische Verband in diesem Sinne einen logischen Vorrang vor den partikularen Interaktionen hat. 141 Das Wechselverhältnis zwischen öffentlichem und partikularem Frieden hat seinen Grund in der kollektiven Existenz des Menschen, oder genauer: in seinem Angelegt- und Angewiesensein auf Sozialität: Zum einen ist die gesamtgesellschaftliche Friedensleistung des politischen Verbandes - als Bedingung der Möglichkeit des Umganges der Menschen einer Gesellschaft überhaupt - unverzichtbar rur den Einzelnen, was dieser freilich in der Regel erst dann bemerkt, wenn der gesamtsoziale Frieden gestört ist. Zum anderen bedarf er des partikularen oder "privaten" Friedens, um überhaupt erst sich zur Person zu entfalten. In der "ganzheitlichen" Friedenswahrnehmung der Menschen spiegelt sich also die Tatsache, daß der Frieden des politischen Verbandes zwar nichts zur Entfaltung der Person in konkreten sozialen Verhältnissen beiträgt, da sich dieser Frieden lediglich auf die rei publicae bezieht. Dennoch aber ist dieser Frieden rur die Entfaltung der Person als Bedingung von deren Möglichkeit unverziehtbar. Deshalb wäre es eine verkürzte Perspektive, glaubte man, daß rur den Frieden schon dadurch genug geleistet wäre, daß der politische Verband seine eigene Fortexistenz sichert. Gewiß: dies bleibt eine unverzichtbare Grundbedingung rur den Frieden überhaupt. Daß der Frieden aber auch innergesell-

Siehe Aristoteles, Politik, 1253 a 19 und 25. Das Aristotelische "früher" wird hier also nicht in einem zeitlichen Sinne verstanden. Siehe dazu beispielsweise Max Müller, Philosophische Grundlagen der Politik, in: Thomas Würtenberger / Werner Maihofer / Alexander Hollerbach (Hrsg.), Existenz und Ordnung. Festschrift filr Erik Wolf zum 60. Geburtstag, Frankfurt arn Main 1962, 282-308, hier 299 f. 140 141

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D. Politik und Frieden: Partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion

schaftlich gefestigt und vertieft wird, gehört ebenfalls zu den Gestaltungsaufgaben des politischen Verbandes. 142 Daß er prinzipiell die Bedingungen zur Vertiefung des innergesellschaftlichen Friedens herstellen kann, liegt in seiner überlegenen Macht. Es ist dem politischen Verband unter gegebenen Bedingungen zum Beispiel möglich, die Selbstverteidigung unter den Mitgliedern seiner Gesellschaft überflüssig zu machen, das Recht zu monopolisieren und zu pazifieren und eine gewaltfreie Kontliktaustragung innerhalb der Gesellschaft zu gewährleisten. Hierin liegt der innergese/lschajt/iche Aspekt der oben verwendeten Formulierung: Auctoritas non veritas facit pacem. Die jeweilige Intensität des innergesellschaftlichen friedensgestaltenden Wirkens des politischen Verbandes ist historisch gesehen abhängig von der jeweiligen Mentalität einer Bevölkerung. Je tragfiihiger, stabiler und umfanglicher die auf das partikulare Zusammenleben gerichteten Mentalitäten sind, d.h. je selbstverständlicher die innergesellschaftlichen Institutionen sind, desto "kleiner" ist der öffentliche Raum, desto weniger muß der politische Verband sich um die innergesellschaftlichen Verhältnisse kümmern, desto weniger präsent muß er sein. Das bedeutet unter Bedingungen steigender Individualisierung und Partikularisierung fiir die gegenwärtigen Verhältnisse in den westlichen Gesellschaften umgekehrt, daß die Bedeutung des politischen Verbandes fiir den innergesellschaftlichen Frieden zunimmt. Dieser Befund wird ohne weiteres durch die Entwicklungen der vergangenen 150 Jahre bestätigt. Schmitts Verabschiedung der Epoche der Staatlichkeit l43 war daher etwas verfrüht. Denn obgleich heute der Staat aufgrund der dargestellten Umstände viele Aufgaben übernimmt, die zuvor innergesellschaftliche Angelegenheiten waren und wenn er so im politischen Alltagsgeschäft meist nur noch als Leistungsstaat und Versorgungsanstalt wahrgenommen wird, so kann dies den theoretischen Blick nicht darüber hinwegtäuschen, daß trotz all dieser neuen Aufgaben (und in ihnen) der Kern des Staates die Herstellung und Gewährlei-

142 Von hier aus und vor dem Hintergrund der Ausfiihrungen zur Kultur des Friedens wäre eine - nach wie vor ausstehende - Theorie des Kulturstaates zu entwickeln. 143 Siehe die berühmte Feststellung vom Ende der Epoche der Staatlichkeit im Vorwort zum Begriff des Politischen von 1963, Schmitt, BP, 10. Wie Schmitt auch Joseph H Kaiser, Staatslehre, in: StL, Band 5, Sp. 188-199, hier Sp. 195. Daß der "Begriff des Staates und der Staatenwelt" heute - namentlich nach dem Ende des Ost-West-Konflikts - "veraltet" sei, ist eine Ansicht, die gegenwärtig einige Zustimmung findet. Siehe etwa Ernst-OUo Czempiel, Vergesellschaftete Außenpolitik - Notwendiger Beitrag zur Reform der UNO, in: Meyer (Redaktion), Eine Welt oder Chaos?,337-369, die vorstehenden Zitate dort 357. Siehe auch unten 239 mit den Fn. 127 f

§ 24: Gesamtgesellschaftlicher und innergesellschaftlicher Frieden

167

stung des gesamtgesellschaftlichen Friedens bleibt. 144 Daß er darüber - über seinen Selbstzweck - hinaus heute auch zunehmend fi.Ir innergesellschaftlichen Frieden in der Verantwortung steht, ist demgegenüber sekundär. Für das Problem, wie die einzelnen Ebenen menschlicher Interaktion in bezug auf den Frieden miteinander zusammenhängen, bedeutet dies, daß der Frieden des politischen Verbandes mit demjenigen der Person insofern verknüpft ist, als aus den partikularen Interaktionsverhältnissen, in welchen der Frieden der Personen sich verwirklicht, zugleich das Problem des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens resultiert. Dieses ergibt sich ebenfalls unmittelbar aus der Personalität des Menschen. Es wird gelöst in der Form des politischen Verbandes, der die gesamtgesellschaftliche Interaktion im Zustand des Friedens darstellt. Obgleich der politische Verband nun einerseits von aus der Gesellschaft - d.h. aus partikularen Interaktionen - hervorgehenden Sinnleistungen existentiell abhängt und so mit der Existenz der einzelnen Menschen verbunden ist, ist er andererseits wiederum Bedingung der Möglichkeit fi.Ir die Vertiefung des innergesellschaftlichen Friedens, indem er Raum schafft fi.Ir die Fülle möglichen Interagierens, d.h. fi.Ir die Fülle einer reichen Kultur, innerhalb deren sich die einzelnen als Person entfalten können.

144 Dies wird auch durch jüngere empirische Studien wie etwa diejenigen in Wolf Linder (Hrsg.), Die Zukunft des Staates (Schweizerischs Jahrbuch rur politische Wissenschaft, Band 30) Bem 1980 belegt.

E. Recht und Frieden § 25: Die Vertiefung des Friedens durch Privatrecht In der im weitesten Sinne rechtswissenschaftlichen Literatur trifft man immer wieder auf den Hinweis, daß es sich beim Recht um eine Friedensordnung handele, daß "die vielleicht elementarste Funktion des Rechts ... die Sicherung des inneren Friedens" I sei, daß das Recht dem Frieden diene, sogar daß das Recht Frieden sei und ähnliche Formeln. 2 Obwohl - oder gerade: weil - in diesem Punkt Einigkeit zu herrschen scheint, wird die Problematik des Zusammenhangs zwischen Frieden und Recht sowie der Rolle der Politik in diesem Kontext in der Regel nicht vertiefend oder systematisch behandelt. So erfahrt man in den einschlägigen Texten weder etwas darüber, welcher Begriff von Frieden diesen gängigen Vorstellungen zugrundeliegt, noch aufweiche Weise das Recht dem Frieden dient. Deutlich wird in der Regel lediglich, daß rechtliche Regelung und Entscheidung von KonflikI Erhard Kausch, Die gesellschaftliche Funktion des Rechts, in: Dieter Grimm (Hrsg.), Einfiihrung in das Recht. Aufgaben, Methoden, Wirkungen, Heidelberg 1985, 1-39, hier 21. 2 Exemplarisch die Formel "Frieden durch Recht", die den Titel einer der jüngsten Aufsatzsammlungen zu Kants Ewigem Frieden darstellt (siehe die Angaben dazu in Fn. 4, 194 unten); statt aller sei zur Friedensfunktion des Rechts verwiesen auf Karl Larenz, Richtiges Recht. Grundzüge einer Rechtsethik, München 1979, 33 tf. oder Gustav Radbruch, Grundzüge der Rechtsphilosophie (1914), in der Gesamtausgabe, hrsg. von Arthur Kaufmann, Band 2, 9-204, hier 169, 170 und 174. Siehe auch ders., Rechtsphilosophie, 314, wo Radbruch in Anlehnung an Paul Johann Anse/m von Feuerbach feststellt, daß das positive Recht "Frieden im Handeln" begründen solle. Mit besonders charakteristischen begrifflichen Unklarheiten und Widersprüchlichkeiten Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 142 f.: "Die Rechtsordnung ist Friedensordnung. Das zeigen uns vor allem ihre Anfänge. Der Friede und das Recht kommen gemeinsam; das Recht bringt den Frieden, und Herstellung des Friedens ist Voraussetzung fiir die Entfaltung des Rechtes ... Die staatsrechtliche Ordnung des politischen Lebens setzt an die Stelle des gewaltsamen Kampfes um die Macht eine Friedensordnung, die die politische Auseinandersetzung an bestimmte friedliche Formen bindet. Oft ist sie das Ergebnis schließlicher Verständigung nach vorangegangener kriegerischer Auseinandersetzung gewesen." Ähnliche Formeln finden sich vor allem auch in der philosophischen Literatur. Siehe statt aller etwa Wolfgang Kersting, "Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein", in: HöjJe (Hrsg.), Immanuel Kant. Zum ewigen Frieden, 87-108, hier 87: "Nur durch das Recht gelangen Menschen und Staaten zum Frieden."

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E. Recht und Frieden

ten mehr oder minder mit Frieden identifiziert werden, oder umgekehrt, daß Unfrieden in (rechtlichen) Konflikten besteht. 3 Da hier also ein Klärungsbedarf besteht, wird das Verhältnis von Recht, Frieden und Politik im folgenden unter Zugrundelegung der bisherigen Ausfilhrungen eingehender betrachtet. In einem ersten Schritt wird der Beitrag des Rechts zum Frieden erörtert und die Rede von der Friedensleistung des Rechts präzisiert, wobei die Aufmerksamkeit zunächst den Privatrechtsverhältnissen gewidmet ist. Im Anschluß daran wird in einem zweiten Schritt auf die positive Korrelation des Rechts zum Unfrieden eingegangen. Diese Dimension wird von juristischen Autoren oft übersehen, von Rechtssoziologen und Rechtsanthropologen aber um so deutlicher herausgearbeitet. Dem ist hier zu folgen, da nur unter Einbeziehung beider Aspekte das Verhältnis des Rechts zum Frieden angemessen zu klären ist. Dieses stellt sich so als ein durchaus ambivalentes Verhältnis dar. Die Beobachtung erfolgt zunächst auf der Ebene des Privatrechts und bezogen auf den Frieden der Person. Die Politik gerät dabei unter zwei Gesichtspunkten in den Blick: Erstens - als Modus von Interaktion - bei der Betrachtung der juristischen Entscheidungsfindung, die hier allerdings nur ganz knapp erwähnt werden kann, vor allem aber zweitens bei der Erörterung der Rolle, die der politische Verband filr die Pazifizierung des Rechts spielt. In einem weiteren Paragraphen (§ 27) wird die Ebene des Privatrechts verlassen und die Aufmerksamkeit auf diejenige des Verfassungsrechts gerichtet, womit zugleich der Frieden des politischen Verbandes Gegenstand wird. Das Völkerrecht ist später (§ 31.3.) zu behandeln. Die Erörterung des Zusammenhangs von Frieden und Recht setzt eine Auseinandersetzung mit dem Begriff des Rechts voraus, dessen Verständnis hier (nur) bis zu dem Punkt zu skizzieren ist, an dem jener Zusammenhang transparent gemacht werden kann. 4 Da hier keine eigenständige (interaktionistische) Rechtstheorie entfaltet werden kann, besteht die Notwendigkeit, auf andere Ansätze zurückgreifen und unter diesen eine Auswahl treffen zu müssen. Die folgenden Überlegungen orientieren sich vor allem an der (vor-autopoietischen) Rechtssoziologie Luhmanns und verdanken einige wichtige Einsichten der

3 So erfolgt etwa bei Erhard Kausch eine implizite Identifizierung von Konflikt und Unfrieden. Siehe Kausch, Die gesellschaftliche Funktion des Rechts, 21 ff. 4 Es ist noch darauf hinzuweisen, daß hier kein rechtsdogmatischer Anspruch erhoben wird. Das in der Rechtsdogmatik ungeklärte Verhältnis von Zivil- und Verfassungsrecht wird nicht als solches problematisiert. Die hier vorgenommene Differenzierung von Privat- und Verfassungsrecht ergibt sich aus der zugrundeliegenden Differenzierung der Phänomenbereiche Gesellschaft und politischer Verband und wird - an dieser orientiert - vorausgesetzt.

§ 25: Die Vertiefung des Friedens durch Privatrecht

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Theorie des Rechtsanthropologen Leopold Pospisil. 5 Dazu einige rechtfertigende Erläuterungen: Auf Luhmanns Theorie kann hier vor allem deshalb zurückgegriffen werden, weil deren Normbegriff mit einer interaktionistischen Auffassung von Recht ohne weiteres vereinbar ist. Luhmanns Begriff der Erwartungserwartung6 nämlich ließe sich auch mittels Meads Begriff der Rollenübernahme theoretisieren. Recht könnte so als spezifische Form des verallgemeinerten Anderen aufgefaßt werden. 7 Luhmanns Theorie bietet sich ferner deshalb an, weil sie einen uni versalistischen Anspruch erhebt, mithin auf historische wie gegenwärtige Gesellschaften angewandt werden kann (wie Luhmann selbst ausfiihrlich demonstriert), wobei sie zugleich die evolutionäre Entwicklung des Rechts zu theoretisieren vermag. Schließlich wird sie der Ambivalenz des Rechts in bezug auf den Frieden in besonderem Maße gerecht. Pospisils Theorie beansprucht nicht nur universale Geltung, sondern darüberhinaus weitgehend sowohl von Juristen als auch von Sozialwissenschaftlern akzeptiert werden zu können. 8 Ihre theoretische Stärke liegt darin, daß sie sich von eurozentrischen Rechtsvorstellungen und Befangenheiten löst und auf breiten kulturvergleichenden Forschungen sowie auf der Auseinandersetzung mit zahlreichen gängigen Rechtstheorien basiert. Inhaltlich wichtig ist vor allem, daß PospiSils Konzeption das Recht auf die Strukturen von Gesellschaft bezieht9 und der Autorität einen zentralen Platz in der Bestimmung des Rechtsbegriffs zuordnet. 10

5 Leopold Pospisil, Anthropologie des Rechts. Recht und Gesellschaft in archaischen und modemen Kulturen (1974), München 1982. Eine ganz knappe - wenn auch nicht sonderlich präzise - Darstellung zentraler Elemente der Pospisilschen Theorie findet sich bei Uwe WeseI, Frühformen des Rechts in vorstaatlichen Gesellschaften. Umrisse einer Frühgeschichte des Rechts bei Sammlern und Jägern und akephalen Ackerbauern und Hirten, Frankfurt am Main 1985, 61-66. 6 Als Grundlage der Orientierung, "Koordination" und Stabilisierung von Interaktion. Siehe dazu sogleich. 7 Luhmanns anderweitig (z.B. Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, 3. Auflage, Frankfurt am Main 1988,551 ff.) geäußerte Kritik am (symbolischen) Interaktionismus ist vor diesem Hintergrund im vorliegenden Kontext daher unbeachtlich, zumal die Systemtheorie als solche hier nicht übernommen wird. 8 Siehe PospiSil, 55. 9 Siehe dazu vor allem ebenda, 137-171. 10 PospiSil legt seinen Überlegungen übrigens eine der hier vertretenen Unterscheidung zwischen Lebenswelt und Wirklichkeit ähnliche methodologische Differenzierung zugrunde. (Siehe eben da, 41 und 59 f.). Daß Pospisil die Normativität des Rechts vermutlich infolge rechtsrealistischer Einflüsse - nicht hinreichend beachtet, kann vernachlässigt werden, da hier mit Luhmann das Recht gerade vom Begriff der Norm her bestimmt wird.

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E. Recht und Frieden

1. Recht, Konflikt und Jurisprudenz

Die Bestimmung des Rechtsbegriffs kann an die Feststellung anknüpfen, daß die soziale Welt präskriptiven bzw. nonnativen Charakters ist. 11 Ganz allgemein ist Recht zunächst als eine Sonderfonn jener Nonnativität der sozialen Welt zu betrachten. Andere Varianten sind etwa Sitten, Gebräuche, moralische Vorschriften etc. 12 Sie alle stellen mit nonnativem Anspruch versehene Fonnen einer verfestigten Praxis dar und sind im Sinne der oben vorgenommenen Begriffsbestimmung aus Interaktion hervorgehende, sich in Interaktion fortbildende und in Interaktion ausdifferenzierte soziale Institutionen. 13 Sie gelten daher stets fiir eine Mehrzahl von Menschen, wobei hier die Eingrenzung des jeweiligen Geltungsbereiches (insbesondere im Sinne von Geltungsgebiet) vorerst außer acht bleiben kann. 14 Als Fonnen von Gewohnheiten werden die nonnativen Institutionen zunächst ganz selbstverständlich praktiziert und akzeptiert. 15 Das heißt: Auch ohne daß die Handelnden explizit um die einzelnen Regeln ihres Verhaltens wissen, richten sie ihr Tun doch an diesen aus - sie besitzen also ein "Wissen wie ... ", auch wenn sie nicht zugleich über ein "Wissen, daß ... " verfii-

Siehe oben 55. Zur keineswegs immer klaren Unterscheidung zwischen diesen Phänomenen siehe beispielsweise Radbruch, Rechtsphilosophie, 274 ff. (Recht und Sitte); Kurt See/mann, Rechtsphilosophie, München 1994, 68-70 und Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 187-194 und 15 ff. 13 Damit ergibt sich aus dem in der vorliegenden Arbeit entwickelten sozialontologischen Zugang zu normativen Phänomenen - insbesondere zum Recht - unmittelbar, daß es "ewiges" Recht oder "ewige" Normen ebensowenig geben kann wie "ewige" Werte. Dies schließt substanzontologische und die meisten theologischen naturrechtlichen Vorstellungen schon im Ansatz aus. Zu Recht spricht Voege/in von der "irrefilrende[n] Annahme unveränderlicher Werte" (Eric Voege/in, Äquivalenz von Erfahrungen und Symbolen in der Geschichte, in: ders., Ordnung, Bewußtsein, Geschichte. Späte Schriften eine Auswahl, hrsg. von Peter 1. Opitz, Stuttgart 1988, 99-126, hier 111, siehe auch 106). Vor diesem Hintergrund ist die Behauptung, sogenannte normativ-ontologische Theorieansätze in der Politikwissenschaft "orientierten" sich an "ewigen Werten", höchst problematisch. Für eine interaktionistische Sozialontologie - die als Ontologie auch keineswegs "normativ" sein kann - treffen solche Vorstellungen jedenfalls nicht zu. (Zu der genannten Behauptung siehe beispielsweise earl Böhret / Werner Jann / Eva Kronenwett, Innenpolitik und politische Theorie. Ein Studienbuch, 3., neubearbeitete und erweiterte Auflage Opladen 1988,402 sowie 405). Siehe dazu bereits oben ###. 14 Siehe dazu unten 178 f. 15 "Daß allgemeine Verhaltensregeln zur Geltung kamen ... geschah durch die Entwicklung von Gewohnheiten, auf die sich die Erwartungen der Individuen gründen konnten." (Friedrich A. von Hayek, RGF I, 116, siehe auch ebenda, 136). 11

12

§ 25: Die Vertiefung des Friedens durch Privatrecht

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gen. 16 Nonnen und Prinzipien haben also den Charakter des Regelwissens im Sinne Winchs. 17 Mit Luhmann sind (Rechts-) Nonnen als eine spezifische Fonn von Verhaltenserwartungen zu verstehen: Verhaltenserwartungen nämlich, auf deren Enttäuschung nicht durch Aufgabe der Erwartungen reagiert wird. 18 Mit anderen Worten sind Nonnen "kontrafaktisch stabilisierte Verhaltenserwartungen.'''9 "Ihr Sinn impliziert Unbedingtheit der Geltung insofern, als die Geltung als unabhängig von der faktischen Erfüllung oder Nichterfüllung der Norm erlebt und so auch institutionalisiert wird. Das Symbol des 'SolIens' drückt in erster Linie die Erwartung solcher kontrafaktischer Geltung aus, ohne diese Erwartungsqualität selbst zur Diskussion zu stellen; darin liegt der Sinn und die Funktion des 'Sollens,.,,20

Hervorzuheben ist, daß die nonnativen Erwartungen nicht einfach das Verhalten des jeweils Anderen betreffen (müssen), sondern sich in der Regel auf dessen eigene Erwartungen beziehen, also Erwartungserwartungen darstellen. 21 Das Vorliegen kontrafaktisch stabilisierter Verhaltenserwartungen ist konstitutiv fiir das Vorhandensein von Recht. Nonnative Erwartungen entstehen aus der praktischen Bewältigung konkreter Probleme einfacher Interaktionsbeziehungen, wobei die gelungene Art und Weise der Situationsbewältigung als Modell fiir zukünftige gleichartige Fälle herangezogen wird. Die Grundlage hierfiir besteht in der Möglichkeit der Ab16 Dabei muß natürlich auch das "Wissen wie ... " nicht bewußt sein. Diese Punkte betont insbesondere von Hayek immer wieder. Siehe beispielsweise dessen, RGF I, 110 und passim; ders., RGF III, 213 und ders., Die Verfassung der Freiheit (1960), Tübingen 1971, 180 und 33. Siehe auch Polanyi, Implizites Wissen, 16 und ff. 17 Siehe zu Winch oben 74 f. 18 "Für normative Erwartungen gilt[,] daß man sie nicht fallen läßt, wenn jemand ihnen zuwiderhandelt." Luhmann, RS, 42. Demgegenüber werden Erwartungen "als kognitiv ... erlebt und behandelt, die im Falle der Enttäuschung an die Wirklichkeit angepaßt werden." (Ebenda). Unterscheidung und Terminologie gehen übrigens auf einen Aufsatz Galtungs von 1959 zurück: Expectations and Interaction Processes, in: Inquiry 2 (1959), 231-234, nachgewiesen bei Niklas Luhmann, Positivität des Rechts als Voraussetzung einer modernen Gesellschaft, in: ders., AdR, 113-153, hier 115, Fn. 3. 19 Luhmann, RS, 43, genauso auch ders., RdG, 134; siehe ferner RdG, 61, 80 f. und passim. Die kontrafaktische Aufrechterhaltung von Erwartungen kann man auch als Rechtssicherheit bezeichnen, die sich als Erwartungssicherheit erweist. (Siehe dazu Luhmann, RS, 129,38 f. und 100). 20 Luhmann, RS, 43. Von hier aus gelangt Luhmann zu der mit dem hier vertretenen interaktionstheoretischen Ansatz übereinstimmenden Feststellung, daß das Faktische das Normative umfasse. Siehe oben 76 f. und Luhmann, RS, 43: "Der Sinn des Sollens [ist] nicht weniger faktisch als der Sinn des Seins. Faktisch ist alles Erwarten, seine Erfüllung wie seine Nichterfüllung." 21 Siehe Luhmann, RS, 33 ff. und 52 und dazu Werner Gephart, Gesellschaftstheorie und Recht. Das Recht im soziologischen Diskurs der Moderne, Franfkurt am Main 1993,99.

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E. Recht und Frieden

straktion. Mittels dieser wird gemeinsamer Sinn der originären Ausgangssituation, an welchem orientiert die Interaktion in ihr abläuft, über die Situation hinaus festgehalten, indem die konkrete Situationsdefinition in eine Richtung entfaltet und so isoliert und abstrahiert wird. 22 Durch wiederholte Anwendung des - nunmehr abstrakten - "normativen Situationsbewältigungsmodells,,23 festigen sich die Erwartungen der Beteiligten, daß sich das Handeln der anderen in ähnlichen Situationen, welche in Zukunft auftreten mögen, an eben diesem Modell orientieren wird. Auf diese Weise kann das Modell sukzessive generalisiert werden. 24 Es gibt wieder, wie allgemein auf bestimmte vorkommende Fälle zu reagieren iSt. 25 Dieser Vorgang läßt sich als originäre normative Abstraktion bezeichnen, in der die Praxis ihre normative Kraft entfaltet26 und die Normen sozial institutionalisiert (d.h. im Sinne Luhmanns sozial generalisiert) werden. 27 Da dieser Prozeß zunächst auf einer unreflektierten Ebene verläuft28 , werden die präskriptiven Regeln und die ihnen entsprechenden Erwartungen als selbstverständliche Gewohnheiten gelebe 9 und kommen in ihrem abstrakten Charakter gar nicht zum Vorschein, da sie je konkret unreflektiert angewandt und auf die jeweilige Situation hin orientiert praktiziert werden. Insofern man schon hier von Recht in einem sehr weiten Sinne reden kann, ist Recht "kein Bestand an Normen, kein abstraktes Schema rur das richtige Handeln, es ist vielmehr das rechte Handeln selbst und die rechte Entscheidung in der konkreten Situati-

22 Siehe zu dieser originären Abstraktion die Ausfiihrungen in von Hayek, RGF I, 47 ff. und ders., Die Verfassung der Freiheit, 180, Fn. 4, zur Abstraktheit rechtlicher Regeln ebenda, 178-194, insbes. 179-185. 23 Auch Friedrich Müller spricht mehrfach von Normen als Modellen. Siehe beispielsweise Friedrich Müller, Strukturierende Rechtslehre, 2., vollständig neu bearbeitete und auf neuestern Stand ergänzte Auflage, Berlin 1994, 168 ff. und passim sowie ders., Juristische Methodik, 5., auf neuestem Stand bearbeitete und ergänzte Auflage, Berlin 1993 passim. 24 Zum Recht als kongruenter Generalisierung siehe Luhmann, RS, 94 ff. 25 "Das Recht ermöglicht es, wissen zu können, mit welchen Erwartungen man sozialen Rückhalt findet, und mit welchen nicht." (Luhmann, RdG, 131 f.). 26 Zum Phänomen der normativen Kraft des Faktischen siehe bereits oben 76. 27 Siehe dazu Luhmann, RS, 64-80. 28 "Menschen handeln nach abstrakten Regeln in diesem Sinn, lange bevor sie sie formulieren können ... Daß eine Regel im Handeln allgemein befolgt wird, bedeutet daher nicht, daß sie nicht noch zu entdecken und in Worten zu formulieren wäre." (von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 180). Eine historische Betrachtung muß hier natürlich noch differenzieren. Ein simples Stufenmodell dürfte den tatsächlichen Entwicklungen vermutlich nicht einmal fiir authentische Gesellschaften angemessen sein. Theoretisch sind die unreflektierten und reflektierten Prozesse allerdings zu unterscheiden. Und aus dieser Unterscheidung ergibt sich der logisch vorranginge Charakter der unreflektierten Prozesse. 29 Siehe die Hayek-Zitate in Fn. 15 und in der vorherigen Fn.

§ 25: Die Vertiefung des Friedens durch Privatrecht

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on. ,,30 - Man sieht daran, wie sehr Nonnativität und damit auch das Recht zunächst in der Mentalität fundiert sind, während sie erst mit zunehmender Bewußtwerdung und Vergesetzlichung den Charakter von technischem Regelwissen im Sinne Oakeshotts annehmen. Mit der Vorstellung vom Recht in diesem sehr weiten Sinne ist der Rechtsbegriff aber noch nicht hinreichend bestimmt, weshalb nunmehr eine weitere Präzisierung vorzunehmen ist: Nonnative Erwartungen werden im Falle ihrer Enttäuschung problematisch und treten dann erst überhaupt ins Bewußtsein: Aus der Enttäuschung oder dem Widersprechen von Erwartungen erwächst der Konflikt um das Recht, das heißt darum, wessen Erwartungen legitim waren und inwiefern sie dies waren. Dieser Konflikt ist nur mittels der Sprache zu bewältigen. Er führt zur Heraushebung des Rechts aus dem unreflektierten Selbstverständnis der Rechtsgewohnheit, durch seine Bewußtmachung und sprachliche Fixierung. In diesem Sinne gilt, daß das Recht erst im Streit oder Konflikt um das Recht "sichtbar" wird oder sich "das Recht ... dort [zeigt], wo es verletzt ist.,,31 Der rechtliche Konflikt ist eine Sonderfonn von Konflikten überhaupt. Er ist ein solcher um die je legitimen nonnativen Erwartungen: "Die Erwartung des einen [wird] zur Enttäuschung des anderen. Nonnprojektion steht gegen Nonnprojektion. Das Recht selbst ist im Streit. ,,32 Der Rechtskonflikt bezieht sich also auf einen partikularen Einzelfall. Er betrifft in der Regel sowohl persönlichen als auch inhaltlichen Sinn, was sich auch in der Struktur rechtlicher Nonnen widerspiegelt, die sowohl einen persönlichen als auch einen inhaltlichen Aspekt haben. 33 30 Arthur Kaufmann, Gesetz und Recht, in: Würtenberger / Maihofer / Hollerbach (Hrsg.), Existenz und Ordnung, 357-397, hier 383. Recht ist also ein bestimmter Modus sozialer Praxis. Diese Auffassung konvergiert mit der Normentheorie Müllers und dessen Konzept der Konkretisierung von Rechtsnormen. Siehe dazu die in Fn. 23 gennanten Studien dieses Autors. 31 Luhmann, RS, 111. Siehe auch ders., RdG, 567: Das Recht "würde ohne Konflikte nicht entstehen bzw. nicht erneuert und vergessen werden." Wilhelm Henke stellt fest: "Ausgangspunkt allen Rechts ist der Streit." (Wilhelm Henke, Recht, in: ders., Ausgewählte Aufsätze, 196-208, hier 202). Zum Thema Recht und Konflikt ausführlich Klaus F. Röhl, Rechtssoziologie. Ein Lehrbuch, Köln, Berlin, Bonn, München 1987, §§ 51-53 (= 443-481). 32 Luhmann, RS, 116. 33 Die Kopplung gemeinsamen persönlichen und inhaltlichen Sinns im Recht spiegelt sich in der Differenzierung der Rechtsnorm in Normprogramm und Normbereich bei Müller, wobei im Normprogramm als dem "normativen Leitgedanken" (siehe etwa Müller, Strukturierende Rechtslehre, 17, 149, 156, 184 ff. und passim) der gemeinsame persönliche Sinn, im Normbereich der inhaltliche (meist: sachliche) Sinn repräsentiert ist. Auch diese Vorstellung geht davon aus, daß "Sein" und "Sollen" nicht getrennte Realitätsbereiche darstellen. Vielmehr meint nach diesem Modell "die Normativität der Norm ... die realen und als realmöglich formulierten Sachstrukturen des Normbereichs immer schon mit, ist als sachbestimmte Normativität von ihnen schon immer mitgeprägt

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E. Recht und Frieden

Aufgabe der Rechtsfmdung ist, den jeweiligen Konflikt unter Rekurs auf Sachverhalt und Norm zu lösen, wozu spezifische Verfahren der Rechtsfmdung34 entwickelt werden, in welchen schließlich mit Autorität über das Recht über die legitime Erwartung - verbindlich entschieden wird. Mit Pospisil wird neben der Normativität Autorität als Merkmal zur Bestimmung des Rechtsbegriffs hinzugenommen, wobei Autorität hier formal bestimmt wird und meint, "daß die Entscheidungen und der Rat einer Autoritätsperson von den übrigen Gruppenmitgliedern befolgt werden. ,,35 Aus dieser mit den obigen Ausführungen zum Machtbegriff 36 einfach zu vereinbarenden funktionalen Bestimmung geht hervor, daß die rechtsentscheidende Autorität durchaus nicht zugleich auch eine politische oder sonstige Autorität sein muß. 37 Mit dem Merkmal der Autorität ist die doppelte Institutionalisierung des Rechts3B bezeichnet, die ein wichtiges Unterscheidungskriterium zwischen Recht und anderen Formen der Normativität darstelle 9 : Die Normen des Rechts werden von einem eigens hierauf spezialisierten "Stab" verbindlich interpretiert.

und mitbegrundet." (Müller, Strukturierende Rechtslehre, 169. Zum "Sein-SollenProblem" in diesem Kontext Müller, ebenda, 328-332 und passim, siehe auch ders., Juristische Methodik, 72 ff., 107 f.). 34 Damit sind nicht nur Gerichtsprozesse gemeint, sondern rechtliche Verfahren aller Art, also auch solche in authentischen Gesellschaften. Zu einem erweiterten Verfahrensbegriff siehe Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 38 ff.; als Beispiel fiir ein nichtgerichtliches Rechtsverfahren authentischer Gesellschaften denke man an die in der ethnologischen Literatur zu einiger Berühmtheit gelangten nith-Gesänge der östlichen und westlichen Eskimo, über die E. Adamson Hoebel, Das Recht der Naturvölker. Eine vergleichende Untersuchung rechtlicher Abläufe (1954), Freiburg i.Br. 1968 auf den Seiten 119-126 ausfiihrlich berichtet. Daß man hier trotz starker ritueller Elemente tatsächlich von einem Verfahren sprechen kann, wird durch den offenen Ausgang und die Zurechnung des Erfolgs zum "besseren" Sänger (und nicht zu höheren Mächten) deutlich. (Siehe dazu auch Wesei, Recht, 133 ff.). 3S PospiSil, 74. PospiSil bezeichnet dies als "das einzig wichtige Kriterium fiir das Vorhandensein von 'Autorität'." Siehe so auch ebenda, 71, 97 und passim, zum Merkmal der Autoriät umfassend 71-112. Obgleich Pospisil in erster Linie Einzelpersonen im Blick hat, kann es sich bei der entsprechenden Autorität im Prinzip auch um eine Mehrzahl von Menschen handeln, was Pospisil selbst (71) andeutet. 36 Siehe § 14. 37 Es ist eines der Verdienste Pospisils, daß er den Bereich des Rechts von demjenigen der Politik genau unterscheidet, was insbesondere auch in seiner Theorie der Rechtsebenen deutlich wird. (Siehe dazu Pospisil, 137-171). Daß dasselbe fiir Luhmann gilt, bedarf keiner besonderen Betonung. Siehe dazu auch weiter unten 185 f. 38 Zur doppelten Institutionalisierung des Rechts siehe Paul Bohannan, The Differenting Realms of the Law, in: ders. (Hrsg.), Law and Warfare. Studies in the Anthropology of Contlict, Austin, London 1967, 43-56, hier 45-50, insbes. 48, wo Bohannan zur double institutionalization schreibt: "Central in it is that some of the customs of some of the institutions of society are restated in such a way that they can be 'applied' by an institution designed (or, at very least, utilized) specifically for that purpose." 39 Siehe ebenda, 45 f.

§ 25: Die Vertiefung des Friedens durch Privatrecht

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Das Finden einer adäquaten und fiir die Beteiligten zumutbaren Rechtsentscheidung erfordert Erfahrung und ein sicheres Urteil, insbesondere ein praktisches Wissen um die allgemeine Lebensweise der jeweiligen Gruppe 40 , vor allem das Wissen darum, wie das Allgemeine der rechtlichen Norm jeweils konkret zu verwirklichen ist - also: Klugheit, iuris-prudentia. 41 So kann man die Rechtsfindung als einen der Modalität nach politischen Akt bezeichnen, wobei die primäre Orientierung der Entscheidung an der jeweiligen Rechtsnorm erfolgt und insofern an die Abstraktheit des Rechts gebunden bleibt. Rechtsfindung ist als Akt der Klugheit ein schöpferischer Prozeß, keineswegs eine ("logische") Subsumtion: "Rechtsfindung ist nie bloße Subsumtionsarbeit, sie bedarf ... auch dort, wo sie im Rahmen des Textes Gesetzesanwendung ist, der übergeordneten positiven Rechtsgrundsätze. ,,42

Die im Prozeß kluger Urteilsfindung sukzessive (insbesondere durch die rechtliche Autorität erfolgende) bewußte Artikulation des Rechts43 stellt einen weiteren Abstraktionsprozeß dar - eine gewissermaßen sekundäre Abstraktion. In dieser kommt es zur Fixierung des Rechts in versprachlichten Rechtsnormen (in vielen Rechtskulturen in Form positiver44 Gesetze), die meist den Charakter Siehe von Hayek, RGF I, 136. Zur Rechtsklugheit siehe Gadamer, Wahrheit und Methode I, 330 ff., ders., Hermeneutik als theoretische und praktische Aufgabe (1978), in: ders., Wahrheit und Methode. Ergänzungen. Register (= ders., Gesammelte Werke, Band 2, Hermeneutik 11), Tübingen 1986,301-318, hier 310 f. und RolfGröschner, Judiz - was ist das und wie läßt es sich erlernen?, in: JZ 42 (1987),903-908. 42 Josej Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts. Rechtsvergleichende Beiträge zur Rechtsquellen- und Interpretationslehre (1956), 4., unveränderte Auflage, Tübingen 1990, 254. Zum kreativen Charakter der Rechtsfindung siehe dort 248 ff., 258 ff. Die jüngere Methodendiskussion in der Rechtswissenschaft konvergiert hinsichtlich der Kritik am Subsumtionsmodell. die z.T. auch anhand einer Kritik der Sein-SollenDichotomie entwickelt wird. Demnach ist Rechtsanwendung kein "Schließen", sondern ein Prozeß der Konkretisierung, der von den Autoren jeweils unterschiedlich interpretiert wird. Siehe zur Problematik der Rechtsfindung und zur Kritik am Subsumtionsmodell vor allem Jan Schapp, Hauptprobleme der juristischen Methodenlehre, Tübingen 1983 (dort zur Kritik arn Subsumtionsmodell 62 ff., insbes. 67 ff., zum Sein-SollenProblem 21 ff.); Müller, Juristische Methodik, insbes. 168 ff.; ders., Strukturierende Rechtslehre, 184-200, 66 und passim, zur Praxis der Rechtsfindung Rolf Gröschner, Dialogik und Jurisprudenz. Die Philosophie des Dialogs als Philosophie der Rechtspraxis, Tübingen 1982, 84 ff. Zur Konkretisierung insbes. im Verfassungsrecht auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 60 ff. 43 Das heißt nicht, daß dieses Recht in diesem Prozeß geschaffen wird, worauf von Hayek immer wieder hinweist. 44 Positivität bedeutet hier nicht primär bewußte "Herstellung", Setzung und Veränderung von Recht durch einen Gesetzgeber. Vielmehr wird sie lediglich verstanden als Bewußtheit oder bewußte Annahme geltenden Rechts. Mit Kaufmann kann daher gesagt 40 41

12 Henkel

178

E. Recht und Frieden

von abstrakten Regeln im Sinne Oakeshotts haben. Ihre Eigenart besteht in ihrem im Vergleich zum gelebten Recht weiter abstrahierten Charakter und in ihrem "Gesetztsein", d.h. hier insbesondere auch in ihrem bewußten Charakter. 45 Mit der sprachlichen Artikulation 46 beginnen Ausdifferenzierung und Evolution des Rechts zu einem System mit seinen Eigentümlichkeiten und Problemen. 47

2. Recht, Autorität und die Vertiefung des Friedens Die hier skizzenhaft vorgestellten Prozesse der Rechtsfindung verdeutlichen, daß die Entwicklung des Rechts aus Einzelfällen sozialer Beziehungen heraus erfolgt und auch auf die gerechte Bewältigung solcher partikularer Verhältnisse gerichtet ist. Recht bezieht sich also zunächst auf Verhältnisse einzelner bzw. "Privater" oder auf solche partikularer Gruppen zueinander. Rechtsverhältnisse sind partikulare lebensweltliche Interaktionsbeziehungen und beziehen sich dementsprechend auf den innergesellschaftlichen Frieden, auf den Frieden der Person. Dies ist Gegenstand der folgenden Ausfiihrungen. Der Beitrag des (Privat-) Rechts zum Frieden läßt sich nun genauer bestimmen: Das Recht gehört zur Lebenswelt. Es kann daher den Frieden im Sinne werden: "Positiv ist eine Norm vielmehr ... dann, wenn sie in einem solchen Maße ... bestimmt ist, daß sie 'justiziabel' ist, daß man sie 'anwenden' kann." (Kaufmann, Gesetz und Recht, 385). Der so verstandene Begriff der Positivität ist also auf alle Kulturen anwendbar, sofern sie überhaupt eine Rechtssprache und rechtliche Verfahren kennen; er ist nicht beschränkt auf die jüngeren Entwicklungen des Rechts in der Neuzeit. 45 In diesem Sinne ist ein Gesetz "erstarrtes Recht, gefrorenes Recht, Recht in einem bestimmten Status des Werdens." (Kaufmann, Gesetz und Recht, 385; siehe auch von Hayek, RGF I, 116). 46 Die sprachliche Artikulation des Rechts ist zu unterscheiden von dessen Verschriftlichung. Diese Unterscheidung ist insbesondere für die Evolution des Rechts bedeutsam. Siehe dazu Luhmann, RdG, 245-256 und 119 ff sowie die kenntnisreiche Studie von lack Goody, Die Logik der Schrift und die Organisation von Gesellschaft, Frankfurt am Main 1990, 211-276. 47 Zur Ausdifferenzierung und zur Evolution des Rechts siehe ausfuhrlich Luhmann. RdG, 239-269; ders .. Evolution des Rechts, in: ders., AdR, 11-34; ders., Ausdifferenzierung des Rechtssystems, in: ebenda, 35-54; ders., RS, 105 f.. 132-205 sowie Heller, Staatslehre, 373 ff., insbes. 374 (mit besonderem Bezug auf den verfassungsrechtlichen Normenzusammenhang). Es ist notwendig, sich vor Augen zu halten, daß das Recht nicht immer und nicht überall von der Gestalt ist. die es in der modernen Industriegesellschaft herausgebildet hat, daß es insbesondere erst seit relativ kurzer Zeit positives im Sinne von veränderbarem und lernfahigem Recht ist. (Siehe zu letzterem Luhmann, RS, 190-205, 207-217 und passim, ders., RdG, passim, insbes. 515 ff und ders., Positivität des Rechts, insbes. 122 ff). Fixpunkt der hier vorgelegten Auseinandersetzung ist zum einen, daß (i.) alle Gesellschaften Recht kennen (siehe Luhmann, RS, 103 und 105 f sowie Pospifil, 136) und daß (ii.) die grundsätzlichen Mechanismen der Rechts auch unter Bedingungen von dessen Positivierung in bezug auf seinen Friedensbeitrag stets die gleichen sind.

§ 25: Die Vertiefung des Friedens durch Privatrecht

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ungestörter objektiver Interaktion nicht "herstellen". Als lebensweltliche Institution orientiert Recht das Handeln der Menschen, es stellt eine Sinnordnung dar, die gelingende (bewußte wie gewohnheitsmäßige) subjektive Interaktion ermöglicht: "Die Norm verspricht nicht ein normgemäßes Verhalten, sie schützt aber den, der dies erwartet. Sie gibt ihm damit zugleich Vorteile in der Interaktion an die Hand, besonders in Fällen. wo die Norm selbst nicht umstritten ist.,,48

Auf diese Weise leistet das Recht - wie andere Institutionen auch - eine Vertiefung und Sicherung des Friedens innerhalb der Gesellschaft: Die Funktion des Rechts oder des rechtlichen "SolIens", das Erwarten zu stabilisieren, trägt dazu bei, die Orientierung des Einzelnen in seinem und rur sein Handeln zu sichern, was als ein wichtiger Beitrag zum Gelingen von Interaktion anzusehen ist. 49 Aber neben dieser Herstellung von Sicherheit besteht eine Besonderheit der friedensvertiefenden Leistung des Rechts gegenüber anderen Institutionen darin, daß es auf die Regelung von Konflikten "spezialisiert" ist. Das Recht ermöglicht mittels Verfahren und klugen Umgangs mit Rechtsansprüchen die friedliche Austragung von Konflikten. Diese Leistung beruht wesentlich darauf, daß sich die Gegner im Rechtsstreit der das gemeinsame Recht verbindlich bestimmenden Autorität unterwerfen, deren Urteil sie sich beugen. Die rechtliche Autorität, ausgestattet mit der Macht, die streitenden Parteien auseinanderzuhalten, schafft also einen Raum des Friedens - das heißt hier: eine Situation, in der destruktives Handeln untersagt ist. "Diesen Raum des Friedens zu schaffen, ist zunächst nur eine Frage der Macht. Einer muß stärker sein als beide Streitenden, damit er den Streit unterbrechen und sie trennen und zwingen kann, das Urteil abzuwarten und sich ihm, wenn es gefallen ist, zu fUgen. Dieser Mächtige darf aber nicht blind auf eine Seite des Streits treten, um aus deren Sieg Vorteil zu ziehen oder damit nur Frieden ist.,,50

48 Luhmann, RdG, 135. (Hervorhebung hinzugefUgt). In diesem Kontext ist die in der Arbeit bisher selbstverständlich benutzte Differenzierung zwischen Frieden und Sicherheit ausdrücklich hervorzuheben. Diese Unterscheidung wird nicht immer klar genug vorgenommen. Sicherheit ist als Abwesenheit von Gefahren oder Bedrohungen zu verstehen, die eine Verletzung des Friedens zur Folge haben können, die aber selbst noch keine Friedensverletzung darstellen. Siehe zur Unterscheidung von Frieden und Sicherheit etwa Dieter S. Lutz, Sicherheit, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Rüstung, Frieden, Sicherheit (Mit einem Vorwort von Egon Bahr), München 1987, 289-290; siehe auch Meyers, Begriff und Probleme des Friedens, 52 ff. und im Hinblick auf die internationale Politik Daniel Frei, Was ist unter Frieden und Sicherheit zu verstehen?, in: Wolfgang Heisenberg / Dieter S. Lutz (Hrsg.), Sicherheitspolitik kontrovers. Auf dem Weg in die neunziger Jahre, Bonn 1987, 43-53, insbes. 51 ff. 50 Henke, Recht, 203. 49

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Die Möglichkeit, sich einer gemeinsam akzeptierten Rechtsautoriät zu unterwerfen resultiert ebenso wie jene, daß überhaupt gemeinsames Recht anerkannt wird, aus der Tatsache, daß das Recht selbst der gemeinsamen Mentalität und Lebensweise entspringt. Dies ermöglicht auch die Beugung unter eine gemeinsame Autorität, die nämlich das gemeinsame Rechtsbewußtsein verkörpert und der Autorität gerade aufgrund dieser Tatsache zuwachsen mag. Dies gilt auch im modemen Rechtsstaat, der selbst die Rechtsautorität ist, die letztlich vom gemeinsamen Ordnungswissen getragen wird, das auch die Akzeptanz des Rechts trägt. Georg Simmel schreibt einmal treffend: "Die gemeinsame Unterordnung unter das Gesetz, die beiderseitige Anerkennung, daß die Entscheidung nur nach dem objektiven Gewicht der Gründe erfolgen soll, die Einhaltung von Formen, die für beide Parteien undurchbrechlich geiten, das Bewußtsein, bei dem ganzen Verfahren von einer sozialen Macht und Ordnung umfaßt zu sein. die ihm erst Sinn und Sicherheit gibt - all dies läßt den Rechtsstreit auf einer breiten Basis von Einheitlichkeiten und Übereinstimmungen zwischen den Feinden ruhen; so bilden, nur in geringerem Maße, die Parteien einer Verhandlung, eines kaufmännischen Geschäftes eine Einheit, indem sie, bei aller Entgegengesetztheit der Interessen, gemeinsam verbindende - verbindliche - Normen anerkennen."sl

Auf der gemeinsamen Basis läßt sich das Recht finden, lassen sich Konflikte um das Recht auf friedlichem Wege beilegen. Der Beitrag des Rechts zum Frieden der Person besteht also nicht darin, daß es diesen Frieden erst in irgendeiner Weise konstituiert, sondern darin, daß es den Frieden lebensweltIich durch seine Orientierungsleistung (als normative Verhaltenserwartung) vertieft und sichert, da es dem Einzelnen gerade in Fällen möglichen Konflikts gelingende Interaktion ermöglicht, zum anderen aber auch im Falle des Konflikts ermöglicht, diesen durch autoritative Entscheidung beizulegen und gerade nicht eskalieren zu lassen, so daß ein Umschlagen in Unfrieden abgewendet wird. So wird auch riskante und zum Unfrieden disponierte Interaktion als normale Form der Interaktion möglich, was in seiner Friedensleistung gerade in modemen konfliktreichen Gesellschaften von kaum zu überschätzendem Wert ist.

SI Georg Simmel, Der Streit, in: Waller L. Bühl (Hrsg.), Konflikt und Konfliktstrategie. Ansätze zu einer soziologischen Konflikttheorie, München 1972, 65-112, hier 77. (= Auszug aus Simmel, Soziologie, 186-255; zitiert wird nach dem Abdruck bei Bühl). Siehe zur Anerkennungstheorie des Rechts auch Radbruch, Grundzüge der Rechtsphilosophie. 159 ff. und ders .. Rechtsphilosophie. 311 f.

§ 26: Unfrieden im Recht und der politische Verband

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§ 26: Unfrieden im Recht und der politische Verband Der friedensvertiefenden und -sichernden Leistung steht aber prinzipiell die positive Korrelation des Rechts zum Unfrieden gegenüber, so daß man von einem ambivalenten Verhältnis des Rechts zum Frieden sprechen muß. Dieser positiven Korrelation zum Unfrieden - und zwar in erster Linie in dessen Fonn der Gewalt - ist nunmehr nachzugehen. Die dabei zu behandelnde Problematik entspringt der Tatsache, daß neben dem konstitutiven Merkmal der nonnativen Verhaltenserwartung und neben dem der Autorität, die in ganz erheblichem Ausmaß rur die Friedensleistung des Rechts verantwortlich ist, noch das bisher nicht behandelte Merkmal des Zwangs steht. Zwar ergibt sich aus Luhmanns Nonnbegriff, daß die Durchsetzung des Rechts gegenüber der Aufrechterhaltung der Erwartung sekundär ist. 52 Gleichwohl "gehört die Aussicht auf Sanktionen zu demjenigen symbolischen Instrumentarium, an dem man erkennen kann, ob man im Sinne des Rechts erwartet oder nicht. ,,53 Daß daher der Anspruch des Rechts, auch gegen Verstoß durchgesetzt zu werden, ein (wenn auch nicht ausschließliches und umfassendes) Kriterium des Rechts bleiben muß 54 , ohne Zwang oder Sanktion zum entscheidenden Merkmal zu machen, ergibt sich gerade aus dem Charakter der Nonn als auch bei Enttäuschung aufrechtzuerhaltender Erwartung: Der Geltungsanspruch der Nonn muß auch bei deren Mißachtung, Übertretung oder Verletzung dargestellt werden. Der Zwang ist ein zentrales Darstellungsmittel zu diesem Zweck. Bei der Darstellung des rechtlichen Geltungsanspruchs wirkt sich dabei eine Eigentümlichkeit nonnativen Erwartens in besonderem Maße aus. Es ist dies die Rigorosität des Rechts: Orientiert man sich im Handeln allein an den Kategorien des Rechts, d.h. gestaltet man eine Interaktionsbeziehung als Rechtsverhältnis, so erfolgt in der konkreten Situation durch den abstrakten Charakter der Rechts eine Verengung der Realität dieser Beziehung in der Fülle all ihrer Momente und Elemente: Durch Orientierung an den rechtlichen Kategorien wird in der Gestaltung einer Interaktionsbeziehung zwischen Privaten, wie auch im rechtlichen Verfahren die Realität der Beziehung auf einige wenige, nämlich die rechtlichen bzw. rechtlich relevanten Elemente reduziert. Diesen Vorgang bringt Gustav Radbruch einmal zum Ausdruck, wenn er feststellt, daß der Jurist imstande sein

Siehe Luhmann, RS, 61 und ders., RdG, 134 f. und 152 f. Luhmann, RdG, 135. 54 Pospisil betrachtet Sanktion als "ein notwendiges Kriterium des Rechts" (Pospisil, 131), ohne zu den "Zwangstheoretikern" des Rechts zu gehören. Er verweist (ebenda, 135) auch darauf, daß das Kriterium die Möglichkeit der Unterscheidung zwischen Recht und Sitte bietet. 52

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muß, "im lebendigen Menschen nur ein juristisches Schema zu sehen. ,,55 Es ist also stets eine Abstraktion, wenn eine Situation allein durch Orientierung am Recht bewältigt wird oder wenn eine Situation auf ihren rechtlichen Gehalt reduziert wird. Das Beharren auf dem Recht und seine Durchsetzung führen zum Ausschluß des Kompromisses, solange man die Beziehung allein am Recht - d.h. der auch bei Enttäuschung aufrecht zu erhaltenden Erwartung - orientiert. Wenn daher das normative Erwarten auch im Falle der Enttäuschung aufrechterhalten wird, das beanspruchte Recht durchgesetzt und dieser Anspruch dargestellt werden soll, bedeutet dies die Notwendigkeit des Zwangs zur Durchsetzung des Rechts und zur Darstellung von dessen Geltung, das heißt aber auch: der Gewaltanwendung als ultima ratio der Rechtsdurchsetzung. 56 "Nonnen, für die eine Möglichkeit der Erzwingung nicht ins Auge gefaßt werden kann und die auch nicht als Prämissen für erzwingbare Verhaltensvorschriften dienen, verlieren ihre Rechtsqualität. ,,57

Der Rechtszwang kann also destruktiven Charakter annehmen, wobei dies nicht erst im Falle der Gewalt als Zwangsmittel gilt. Pospisil weist darauf hin, daß in zahlreichen Rechtskulturen Sanktionen zur Durchsetzung des Rechts existieren, die auch ohne Gewaltsarnkeit durchaus destruktiven Charakter in dem Sinne haben, als sie die Ruhe der Ordnung der Person treffen. Er nennt als Beispiele öffentliche Verhöhnung, Mißachtung oder Bloßstellung eines Verurteil-

55 Radbruch, Rechtsphilosophie, 333. Siehe dort auch die Rede von der "Künstlichkeit des Rechtssubjekts gegenüber dem realen Vollsubjekt" , die Radbruch (eben da, 364) von Siegfried Marck zitiert (und zwar Marck, Substanz- und Funktionsbegriff in der Rechtsphilosophie, 1925, 117). 56 Zu Recht weist Luhmann, der sogar vom "Primat der physischen Gewalt bei der Abwicklung von Rechtsverstößen" (RS, 107) spricht, darauf hin, daß Gewalt primär ein Darstellungsmittel oder Symbol und erst in zweiter Linie ein Durchsetzungsmittel des Rechts ist. Der Wert der Gewaltfür das Recht beruht demnach "nicht auf den durch sie bewirkten physischen Wirkungen und deren weiteren Wirkungen, sondern gerade umgekehrt auf ihrer Generalisierung als Symbol, die das Unterlassen ihrer Anwendung ermöglicht. Die demonstrative Darstellung physischer Kraft, die symbolische Exekution, ist eine eigens darauf abgestellte Schau, die als Schau und nicht über die physischen Folgen des physischen Vollzugs zu wirken bestimmt ist... Zunächst und vor allem ist physische Gewalt ein Mittel der Darstellung und der Vergewisserung, nicht der Durchsetzung, von Erwartungen." (RS, 108; siehe dazu auch Ca//iess, Gewalt und Recht, 55). Es darf hierbei nicht vergessen werden, daß auch die symbolische Funktion der Gewalt auf dem Wissen um die Möglichkeit von deren tatsächlicher Anwendung und schließlich im Zweifelsfalle auf eben dieser Anwendung beruht. 57 Luhmann, RS, 219.

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ten. 58 Es besteht also auch eine positive Korrelation des Rechts zum Unfrieden, insbesondere zur Gewalt. 59 Wenn Augustinus sowohl den gerechten als auch den ungerechten Frieden kennt 60 , so eröffnen die hier entwickelten Überlegungen, daß auch der Unfrieden sowohl ein wenn nicht gerechter, so doch rechtmäßiger ebenso wie ein ungerechter oder unrechtmäßiger Unfrieden sein kann. Diese Rigorosität des Rechts geht auf dessen Struktur zurück: Es ist zum einen der inhaltliche Sinn. dem die Person im Recht untergeordnet wird. Zwar hat das Recht aufgrund seiner Normativität auch eine persönliche Dimension, aber im Recht kann die Orientierung am persönlichen Sinn der Norm nur sekundär sein. Denn seine ordnende Leistung beruht ja gerade darauf, daß das in der Norm enthaltene Interaktionsmodell auf Dauer gestellt wird, also die jeweilige situative Problematik gerade nicht in erster Linie situativ und unter Berücksichtigung der jeweiligen personalen Besonderheiten der Situation gelöst werden soll, sondern unter Rückgriff auf eben jenes generalisierte Modell. So ist die Rigorosität des Rechts zum anderen dessen typisierendem Charakter und schließlich seiner Systemhaftigkeit geschuldet. All dies hat Simmel im Blick, wenn er, seine bereits zitierten Ausfiihrungen zur Gemeinsamkeit der um das Recht Streitenden fortfiihrend, von der "reinen Sachlichkeit" des Rechtsstreites spricht: "Die gemeinsamen Voraussetzungen, die alles bloß Persönliche von dem Rechtsstreit ausschließen, tragen jenen Charakter der reinen Sachlichkeit, dem nun seinerseits die Unerbittlichkeit, die Schärfe, die Unbedingtheit des Streitcharakters entspricht.,,61

Die "Rechtsfeindschaft" wächst sich im Falle der Gewaltanwendung zur Durchsetzung des Rechts zum Unfrieden aus: Wer auf seinem Rechtsstandpunkt beharrt, muß dies in letzter Konsequenz mit Gewalt durchsetzen. Das Beharren auf dem Recht setzt daher auch die Bereitschaft zum Unfrieden voraus: Fiat iustitia pereat mundus. So kann gerade das Recht zum unfriedlichen Charakter einer Gesellschaft beitragen, sofern es nicht pazijiziert wird. Pazifizierung des Rechts ist Voraussetzung dafiir, daß das Recht seine oben beschriebene friedensvertiefende Leistung entfalten kann. Ansonsten ist es risikoreich, sich auf das Recht / auf sein Recht zu berufen, da man solches unter Umständen mit Unfrieden zu bezahlen

Siehe Pospisil, 35, 127 ff., 133. Natürlich besteht stets die Möglicheit, um des Friedens willen gar nicht erst auf das Recht zu rekurrieren. Diese Frage, ob man auf das Recht zurückgreift oder nicht, ist seinerseits keine Rechtsfrage. sondern in erster Linie eine solche der Klugheit. 60 Siehe oben 53 f. 61 Simmel, Der Streit. 77, siehe auch ebenda, 78 f. 58

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hat. 62 Klar haben Luhmann und Martin Kriele diese Verhältnisse mit Blick auf den neuzeitlichen Staat zum Ausdruck gebracht: "Das Recht [muß] gesicherten Frieden voraussetzen, wenn es mehr leisten soll als die bloße Konditionierung physischer Gewalt. Und das verweist auf die Abhängigkeit der Evolution des Rechts von der parallellaufenden Evolution des politischen Systems.,,63 Und: "Der innere Friede ist die fundamentale Voraussetzung für die Entwicklung und Durchsetzbarkeit eines Rechts, das die Freiheit schützt und Gerechtigkeit schafft. ,,64

Das Recht kann seine innergesellschaftliche friedensvertiefende Leistung erst entfalten, wenn seine Nicht-Destruktivität gewährleistet und durchgesetzt ist. Oben wurde darauf hingewiesen, daß der hier angesprochene Frieden als der Voraussetzung des Rechts einer Autorität geschuldet ist, die jedoch selbst wieder auf Zwang und Unfrieden zurückgreifen kann, um das Recht durchzusetzen: Die positive Korrelation des Rechts zum Unfrieden besteht ja nicht etwa nur rur den Fall, daß innerhalb einer Interaktionsbeziehung zur Selbsthilfe gegriffen wird und jede Partei ihren vermeinten Rechtsanspruch selbst durchzusetzen sucht. Sie besteht vielmehr auch, wo Recht durch Autoriät entschieden wird; auch das Urteil der rechtlichen Autorität muß durchgesetzt, seine Geltung dargestellt werden. Und die Mittel hierzu sind immer wieder auch solche, die rur die Person Unfrieden bedeuten, was am deutlichsten bei der Gewalt sichtbar ist. Ein Weg, wie trotz der nicht aufzuhebenden Verknüpfung von Recht und Unfrieden das Recht in einem erheblichen Ausmaß pazifiziert werden kann, ist die Monopolisierung der Rechtsdurchsetzung, insbesondere der Gewalt im politischen Verband. Es ist nämlich keineswegs so, daß der politische Verband, obgleich allgemein Bedingung der Möglichkeit friedlicher Austragung von Rechtskonflikten, stets zugleich auch schon die rechtliche Autorität darstellt. Vielmehr sind das Recht und sein Unfrieden Sonderfalle innergesellschaftlicher

62 Dies ist vermutlich einer der wichtigsten Gründe dafür, warum das Recht in einfacheren Gesellschaften keine so herausragende Rolle wie in der heutigen Wirtschaftsgesellschaft spielt: Ihnen gelingt dessen sichere Pazifizierung nicht, weshalb man sich zur Regulierung von Konflikten anderer Mittel bedient - oder beim Rekurs auf das Recht den Unfrieden in Kaufnimmt. 63 Luhrnann, RdG, 281. Dem Hinweis auf das "politische System" im Kontext der Rechtsentwicklung ist weiter unten zu folgen. Ebenda, 425 schreibt Luhrnann: "Das Recht (und vor allem: das Privatrecht) [kann] sich nur entwickeln .... wenn politisch Frieden gesichert, also freie Gewaltausübung verhindert werden kann" Siehe auch ebenda, 411 und 437 f. 64 Krie/e, Einführung in die Staatslehre, 47. Der Satz geht wie folgt weiter: " ... er ist Voraussetzung für ein planvolles Wirtschaften, für Zusammenarbeit und Vertrauen in den zwischenmenschlichen Beziehungen, und er ist fundamentale Voraussetzung dafür, daß nicht alle geistigen Kräfte des Menschen aufs Überleben und Durchkommen konzentriert sind, sondern daß sich Sittlichkeit, Kultur, Kunst, Wissenschaft und Wohlstand entfalten können."

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Interaktion. Das Recht hat seine Existenz unabhängig vom politischen Verband, was gelegentlich in Vergessenheit gerät. Kraft seiner überlegenen Macht ist es gleichwohl dem politischen Verband prinzipiell möglich, die Zuständigkeit für die nicht-destruktive Beilegung von Rechtskonflikten in seine Verantwortung zu ziehen. Genau dies hat der neuzeitliche Staat geleistet. Er hat den Raum des Friedens, in dem der Konflikt um das Recht friedlich ausgetragen werden kann, in seine Zuständigkeit genommen: "So überlegen war in alter Zeit die Macht der Götter, die mit dem Ritus der 'Hegung' des Gerichts herbeigerufen wurden und den Rechtsfrieden und das gerechte Urteil bei Strafe göttlichen Zorns gewährleisteten. Später war es die Macht des Herrschers, sofern er als Gerichtsherr den Richter und das Verfahren bestimmte. Heute ist es der Staat, sichtbar im Gerichtssaal anwesend in Gestalt der 'Justizwachtmeister,.,,65

Damit befinden sich die partikularen Rechtsstreitigkeiten in öffentlicher Verantwortung. Durch ihre Monopolisierung wird die Gewalt zurückgedrängt, und dadurch vergrößern sich die Möglichkeiten, daß die am Rechtsstreit beteiligten Parteien ihr Recht in einer Art und Weise durchsetzen, die dem Frieden der Person nicht widerspricht. Wo dies, wie im neuzeitlichen Rechtsstaat, gelingt, ist die Pazifizierung des Rechts der Autorität des politischen Verbandes geschuldet. Erst die politische Pazifizierung des Rechts ermöglicht dessen Ausdifferenzierung zur uns heute bekannten Komplexität. Die Zurückdrängung der Gewalt durch ihre Monopolisierung ist Bedingung hierfür, da Gewalt die Komplexität des Rechts zunichte macht. 66 Es darf hierbei nämlich nicht aus dem Blick geraten, daß Recht als solches keineswegs dem politischen Verband zugeordnet sein muß. Historisch betrachtet ist die Koinzidenz von Recht und politischem Verband eine späte Erscheinung. Recht ist ein eigenständiges soziales Phänomen, das in Europa erst im Laufe einer langen Entwicklung beim politischen Verband monopolisiert wurde, indem dieser allmählich für die Rechtssetzung und -durchsetzung in die Verantwortung trat. 67 Zunächst aber ist das Recht ein eigenständiges, von der jeweiligen politischen Einheit und deren Aufgaben und Potentialen getrenntes Phänomen. 68 In dieser Tatsache liegt übrigens die Möglichkeit begründet, daß Henke, Recht, 203 f. Siehe auch ders., R&S, 412 ff. 66 Siehe Calliess, Gewalt und Recht, 55 und Luhmann, Rechtszwang und politische Gewalt, in: ders., AdR, 154-172, hier 165. 67 Der Monopolisierung des Rechts beim politischen Verband muß nicht zugleich auch die Vereinheitlichung des Rechts auf dem betreffenden Gebiet entsprechen. Allerdings wird durch die Monopolisierung der Gewalt das betreffende Gebiet zugleich zu einem einheitlichen Rechtsraum. 68 Hier herrscht insbesondere in der juristischen Literatur nach wie vor eine gewisse Verwirrung. Dort werden Recht und Staat immer wieder als irgendwie "identisch" betrachtet, was etwa in der Aussage zum Ausdruck kommt daß sich "das Recht auf das staatlich organisierte Zusammenleben der Menschen (der 'Gesellschaft')" beziehe. (Rene 65

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es einerseits gemeinsames (Privat-) Recht in verschiedenen Gesellschaften geben kann, ohne daß diese einen gemeinsamen politischen Verband konstituieren. Andererseits bedeutet die Unabhängigkeit des Rechts vom politischen Verband, daß innerhalb eines politischen Verbandes verschiedene Rechtsordnungen bestehen können (was auch der historische Normalfall ist).69 Die Unabhängigkeit des Rechts vom politischen Verband bestätigt, daß letzterer kein primär rechtliches Phänomen sein kann. Die gegenteilige Auffassung ist ein Produkt moderner europäischer rechtsstaatlicher Verhältnisse: Erst im neuzeitlichen Rechtsstaat wird zum einen das Recht beim Staat monopolisiert, zum anderen aber wird erst in ihm das politische (und oft auch das gesellschaftliche) Leben weitgehend durch rechtliche Kommunikation vermittelt. 70 Im Recht geht es charakteristischerweise um ganz andere Probleme als im politischen Verband: Dessen Sinn ist der gesamtgesellschaftliche Frieden, der Sinn des Rechts ist die Regelung von partikularen Interaktionsverhältnissen als Rechtsverhältnissen. Wenn etwa Otfried Höfle schreibt, daß "innerhalb der politischen Grundeinheiten, der Einzelstaaten ... der Friede durch die Rechtsform des Zusammenlebens erreicht,,71 werde, so ist dies zumindest ungenau: Der gesamtgesellschaftliche Frieden wird durch die politische Form gesamtgesellschaftlicher Interaktion, d.h. im politischen Verband erreicht, und innerhalb der Gesellschaft bedeutet die Rechtsförmigkeit der Interaktion keineswegs immer

Marcic, Geschichte der Rechtsphilosophie. Schwerpunkte - Kontrapunkte, Freiburg 1971, 302). Solche Auffassungen erklären sich unter anderem daraus, daß im Verfassungsstaat alles staatliche Handeln an Verfassungs- und Verwaltungsrecht gebunden bleibt, wodurch man aus juristischer Perspektive leicht geneigt ist, dieses nur noch als rechtliches Handeln wahrzunehmen. Zudem wird die Vorstellung einer "Einheit" von Recht und Staat durch das modern-rechtsstaatliche Spezifikum befördert, daß die politische Kommunikation im Rechtsstaat am Recht orientiert ist. Rechtstheoretisch propagiert wurde die Auffassung von der Identität von Recht und Staat im übrigen durch die einflußreiche Reine Rechtslehre Hans Kelsens, über dessen Identitätstheorie Radbruch treffend schreibt, daß sie "rein definitorisch-analytische Bedeutung, aber keinerlei rechtsphilosophisch-politischen Gehalt" habe. (Radbruch, Rechtsphilosophie, 419). 69 Zur Mehrzahl von Rechtssystemen innerhalb eines politischen Verbandes und über einen solchen hinaus siehe vor allem Pospisil, 137-171, explizit etwa 138, 147 f. und 170; dazu, daß auch die angeblich einheitlichen Rechtssysteme moderner Gesellschaften tatsächlich aus einer Mehrzahl von Rechtssystemen bestehen, ebenda, 154 ff. (unter anderem mit Bezug auf Weber); eben da, 164 f. zum politische Verbände übergreifenden Recht - unter anderem am Beispiel der EGKS. 70 Siehe zu letzterem die Hinweise bei Gerd Roellecke, Der Zustand des Rechtsstaates, in: Der Zustand des Rechtsstaates (Cappenberger Gespräche der Freiherr-vomStein-Gesellschaft e.V., Band 21) Redaktion Karl Teppe, Köln 1986,27-47, hier 27 ff. 71 Ot/ried Höffe, Eine Weltrepublik als Minimalstaat. Zur Theorie internationaler politischer Gerechtigkeit, in: Reinhard MerkeI! Roland Wittmann (Hrsg.), "Zum ewigen Frieden". Grundlagen, Aktualität und Aussichten einer Idee von Immanuel Kant, Frankfurt am Main 1996, 154-171, hier ISS.

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auch Frieden. Hier ist also nach dem Ausspruch Wilhelm Henkes zu differrenzieren, daß "die Aufgabe Recht ... nicht dieselbe wie die Aufgabe Staat [ist]."n Schließlich bleibt der Hinweis, daß auch durch die politische Verantwortung fur den Frieden in den Rechtsverhältnissen Gewalt als Mittel zur Darstellung und Durchsetzung des Rechts letztlich nicht aus der Welt geschafft ist: Auch der Staat muß - gerade um der Sicherheit und der Garantie des Rechts wegen - im äußersten Falle, wenn Verfahren l!nd Symbole an ihr Ende gekommen sind, Gewalt anwenden. Insofern ist es völlig korrekt, wenn Weber vom Monopol der legitimen Gewaltsamkeit des Staates spricht, was in diesem Kontext allerdings etwas anderes bedeutet als die gesamtgesellschaftliche Machtdisposition des politischen Verbandes: Sie meint tatsächlich die Anwendung von Gewalt zur Erzwingung des Rechts. 73 Die positive Korrelation des Rechts zur Gewalt zum Unfrieden - bleibt so prinzipiell auch in Gesellschaften bestehen, in denen Selbstjustiz beseitigt ist, und die Rechtsautorität im politischen Verband zusammengezogen wird. 74 Das heißt: Unfrieden - und zwar bezüglich des Friedens der Person - entsteht auch in dem Fall, in dem der Staat Gewalt zur Durchsetzung des Rechts anwendet, gleichviel, ob dies (politisch) legitim ist oder nicht und ob der Unfrieden gerecht ist oder nicht. Damit läßt sich resümierend feststellen, daß das Verhältnis des Rechts zum Frieden ambivalent ist: Unzweifelhaft trägt das Recht zum Gelingen von Interaktion, gerade auch in der Situation des Konflikts herbei. Es dient, als generalisierte Verhaltenserwartung oder im Konflikt vermittelt über die rechtliche Autorität nicht-destruktiven Beilegung von Konflikten innerhalb der Gesellschaft. Daher muß ihm eine friedensvertiefende und -sichernde Leistung zugesprochen werden. Gleichwohl steht es an sich in positiver Korrelation zum Unfrieden: Die Durchsetzung des Rechts um seiner selbst willen geht unter Umständen auf Kosten des Friedens. Dabei aber ist es nicht der gesamtgesellschaftliche Frieden, der durch das Beharren auf dem Recht gefährdet ist, sondern es ist der innergesellschaftliche Frieden, denn das Recht bezieht sich immer auf partikulare Konflikte innerhalb der Gesellschaft. 75 Diese Beobachtung bestätigt, daß politisch, d.h. hier: gesamtgesellschaftlich - befriedete Gesellschaften in ihrem lnnern aufgrund eines Rechtsrigorismus gleichwohl - um des Rechtes willen durchaus unfriedliche Gesellschaften sein können. 76 Dies liegt an der Ver-

Henke, R&S, 414. Siehe dazu auch Buchheim, Wie der Staat existiert, 36 f. Siehe dazu schon oben Fn. 56. 74 Siehe dazu Luhmann, RS, 110 ff. 75 Anders ist dies beim beim Verfassungsrecht. Siehe dazu die Ausführungen unten § 27. 76 So kann William Graham Sumner in seiner auf zahlreiche ethnologische Studien zurückgreifenden Arbeit über den Krieg schreiben: "The duel is a ... case of a conventionalized fight in the midst of a peaceful civil order." Dies bezeichnet er als "a kind of 72

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schiedenheit der Bereiche von rechtlicher als partikularer und der auf den gesamtgesellschaftlichen Frieden gerichteten politischen Interaktion. Wenn und wo die friedliche Austragung rechtlicher Konflikte eine Leistung des politischen Verbandes ist, ist sie letztlich auch eine politische Kulturleistung. Sie ist dann gegeben, wenn das politische Konzept des gesamtsozialen Zusammenlebens so geartet ist, daß auch die partikularen Konflikte um das Recht in eine gesamtsoziale Verantwortung genommen werden. Gehört eine solche Auffassung einmal zum Selbstverständnis einer Gesellschaft, so ist damit zugleich die Bedingung der Möglichkeit gegeben, immer mehr partikulare Lebensbereiche rechtlicher Regelung zu überantworten: Wo das Recht politisch befriedet ist, können innergesellschaftliche Konflikte sehr viel gefahrloser als zuvor "auf dem Rechtswege" gelöst werden. Diesen hier knapp theoretisch umrissenen Weg hat das Abendland erfolgreich beschritten: Die politische Hegung des Rechts schuf hier erst eine der zentralen Voraussetzungen dafiir, daß sich der modeme Rechtsstaat ausdifferenzieren und seine spezifische Dynamik entfalten konnte: Dies bedingte auch, daß die Zahl der Konflikte sich in ungeahntem Maße hat ausweiten können 77 , ohne daß dem eine proportionale Zunahme von Gewalt und Unfrieden folgte. Insofern gewährleistet der modeme Staat auch im Bereich des Rechts den innergesellschaftlichen Frieden.

§ 27: Verfassungsrecht als Friedensrecht Die bisherigen Ausfiihrungen zum Recht beziehen sich nur auf das Privatrecht, d.h. also auf Rechtsverhältnisse zwischen einzelnen Personen oder Personengruppen 78 innerhalb der Gesellschaft. Darüber hinausgehend bleibt die Ebene des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens im Staat in den Blick zu nehmen. Diese begegnet unter rechtlichen Gesichtspunkten im Staats- bzw. Verfassungsrecht. Weiter oben wurde auf den Aspekt der Verfassung als der tatsächlichen politischen Verfaßtheit einer Gesellschaft abgehoben. Dieser Verfassungs begriff

lawful war." (William Graham Sumner, War (1903), in: ders., On Liberty, Society and Politics, 298-322, hier 308). 77 Das Recht dient nicht nur der Lösung, sondern erzeugt selbst Konflikte, flir deren Lösung es dann wiederum zuständig ist. Siehe dazu Luhmann, Konflikt und Recht, 104 f.; ders., RdG, 282 und 139 sowie Roellecke, 43 ff. zur "Konflikthaftigkeit des Rechts". 78 Varianten hiervon brauchen im Kontext der Friedensproblematik nicht problematisiert werden.

§ 27: Verfassungsrecht als Friedensrecht

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schließt nicht aus, Verfassung auch als eine hieraus abstrahierte und in rechtliche Fonn gegossene Nonnen- und Prinzipienordnung zu verstehen, die das gesamtgesellschaftliche Zusammenleben zum Gegenstand hat. 79 Soweit Verfassung auch als explizite Rechtsordnung verstanden wird, treffen in ihr Politik und Recht in einer spezifischen Weise aufeinander, die man mit Luhmann als strukturelle Kopplung bezeichnen kann. 80 Aus dieser strukturellen Kopplung des politischen Subjekts Staat mit dem Rechtssystem resultiert der oft besprochene politische Charakter des Verfassungsrechts 81 : "Es hat es nicht nur am Rande und in mittelbaren Auswirkungen, sondern unmittelbar mit Bestand, Fonn und Aktion politischer Einheit zu tun, sein Gegenstand betrifft sozusagen das Gravitationsfeld des Politischen selbst. ,,82 Verfassungsrecht ist dementsprechend einem gänzlich anderen Regelungsbereich verpflichtet als die bisher behandelten innergesellschaftlichen Rechtsverhältnisse. Entfaltet sich das Verfassungsrecht auch anhand einzelner Konfliktfälle, so ist es doch nicht auf die Regelung bloß dieser Einzelfälle gerichtet, sondern es judiziert diese Einzelfälle im Hinblick auf die politisch-rechtliche Gesamtordnung einer Gesellschaft, das heißt: es ist rückgebunden an die Vorstellungen dieser Gesellschaft davon, wie sie ihr Zusammenleben gestalten will. In diesem Sinne ist Verfassungsrecht politisches Recht. Daraus aber folgt, daß Verfassungsrecht Friedensrecht ist. Dabei darf nicht in Vergessenheit geraten, daß Verfassung stets mehr ist als das Verfassungsrecht und die dementsprechende Dogmatik: Der in rechtliche Fonn gegossene Teil stellt nur eine Seite der Verfassung dar, die selbst nicht

79 Siehe zu einem in diesem Sinne adäquaten Verfassungsbegriff und zum Verhältnis zwischen rechtlicher und faktisch gelebter ("normaler") Verfassung Heller, Staatslehre, 361 ff., insbes. 366 ff., 373 ff.. 385 ff. 80 Zum Begriff der strukturellen Kopplung in der Systemtheorie Luhmanns siehe jeweils ausflihrIich RdG, 440-495, ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft, erster Teilband, Frankfurt am Main 1997, \00 ff. und ders., Die Politik der Gesellschaft, unveröffentlichtes Manuskript, Bielefeld 1996, Kapitel 9 (Strukturelle Kopplungen). (Ich danke Herrn Prof. Dr. Luhmann flir die Erlaubnis, das Manuskript einsehen und zitieren zu dürfen). Zur Verfassung als strukturellem Kopplungsmechanismus insbes. RdG, 470-481 sowie Niklas Luhmann, Verfassung als evolutionäre Errungenschaft, in: Rechtshistorisches Journal 9 (1990), 176-220, hier insbes. 194 ff. In RdG, 478 weist Luhmann darauf hin, daß die Verfassung den Staat "als zu verfassendes Realobjekt" voraussetze. Zum Zusammenhang von Staat und Verfassung siehe auch lsensee, insbes. Rn. 121 ff. 81 Daß Verfassungsrecht politisches Recht ist, wird oft gesehen (siehe etwa Martin Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie?, Berlin 1988, 178 ff. mit zahlreichen Nachweisen in Fn. 753 auf Seite 178 sowie Müller, Strukturierende Rechtslehre, passim), aber zumindest hinsichtlich des gesamtgesellschaftlichen Friedens in seinen Konsequenzen meist nicht hinreichend weiterverfolgt. 82 So Bäckenfärde zum Staatsrecht allgemein in Anlehnung an Schmit! in: Bäckenfärde, Der Begriff des Politischen, 349.

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E. Recht und Frieden

wirksam wäre, wenn sie nicht dem Fundament des sie tragenden Ordnungswissens und dem aus diesem resultierenden politischen Willen zur Verfassung entspräche. 83 Daher trägt sich die rechtlich geformte Verfassung nicht selbst84 : Daß sich der Staat in die Form auch einer rechtlichen Verfassung entfaltet, setzt seine Existenz als Friedenseinheit mit der Verfassung als politischer Friedensordnung schon voraus. Das bedeutet, daß die Verfassung im rechtlichen Sinne nicht konstitutiv ist für die Stiftung des gesamtgesellschaftlichen Friedens. Die rechtliche positivierte Verfassung ist ein neuzeitliches Phänomen, das spezifisch neuzeitlichen Bedingungen geschuldet ist. 85 Mit der Verrechtlichung (oder genauer: "Teilverrechtlichung") der Verfassung kann eine Gesellschaft die Ordnung ihres Zusammenlebens in weiten Bereichen reflexiv ausgestalten, indem es diese Ordnung der Rationalität des Rechts unterwirft. Insofern erweitert das Verfassungsrecht den Bereich bewußter Selbstgestaltung der politisch existenten Gesellschaft und ist unverzichtbar rur diese Gestaltung unter den Bedingungen raschen gesellschaftlichen Wandels einerseits und des neuzeitlichen Gestaltungswillens gegenüber menschlichen Angelegenheiten andererseits. Die bereits erwähnte Blickverengung auf die Verfassung als Rechtsordnung kann zur Folge haben, daß die Abhängigkeit des Verfassungsrechts vom zugrundeliegenden politischen Willen zur Verfassung in Vergessenheit gerät und vernachlässigt wird. 86 Auf diese Weise geraten dann aber auch die Konsequenzen aus 83 Siehe dazu Konrad Hesse, Die normative Kraft der Verfassung (Freiburger Antrittsvorlesung), Tübingen 1959 passim, insbes. 12 ff.; dort schreibt Hesse (17): "Die Intensität der normativen Kraft der Verfassung ist ... in erster Linie eine Frage des Willens zur Norm, des Willens zur Verfassung." 84 Siehe neben Hesse, Die normative Kraft der Verfassung auch ders., Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 42 ff., Rn. 692. 85 Eine (entscheidende) dieser Bedingungen ist die Tatsache, daß die partikularen sozialen Beziehungen immer stärker in rechtlicher Form gefaßt wurden. Hieraus ergab sich die Notwendigkeit, die politisch-öffentliche Ordnung gegenüber der Privatrechtsordnung "anschlußfahig" zu machen: Verfassungsrecht liefert "Grundlagen und Maßstäbe für Normsetzung und Normverwirklichung in der unterverfassungsrechtlichen Rechtsordnung" und gewährleistet neben dieser "Garantie von Legalität auch die Erzeugung, Anerkennung und Erhaltung von Legitimität im Sinn des inhaltlich akzeptierten 'Richtigen' des Sozial verbands. " (Müller, Juristische Methodik, 178). Zum liberal-aufklärerischen Verfassungsverständnis der Neuzeit siehe Dieter Grimm, Verfassung II. Konstitution, Grundgesetz(e) von der Aufklärung bis zur Gegenwart, in: Heinz Mohnhaupt I Dieler Grimm, Verfassung. Zur Geschichte des Begriffs von der Antike bis zur Gegenwart, Berlin 1995, 100-141 passim, Ernst-Wolfgang Bäckenfärde, Geschichtliche Entwicklung und Bedeutungswandel der Verfassung, in : ders., Staat, Verfassung, Demokratie, 29-52, insbes. 33 ff. und Schmitl, VL, 36-41. 86 Das ist nicht nur ein theoretisches, sondern vor allem auch ein staatspraktisches Problem - nämlich das Problem der Juridifizierung der Verfassung. Siehe dazu Hans Buchheim, Probleme der Juridifizierung der Verfassung, in: Delle! Merlen I Rudolf Morsey (Hrsg.), 30 Jahre Grundgesetz (Vorträge und Diskussionsbeiträge der 47. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung 1979 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer), Berlin 1979, 19-34, hier insbes. 27 ff.

§ 27: Verfassungsrecht als Friedensrecht

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dem Blick, die aus der Tatsache der Verankerung des Verfassungsrechts im politischen Willen fiir seinen Charakter als Friedensrecht resultieren: Ist die Verfassung die Struktur des politischen Verbandes, so können verfassungsrechtliche Konflikte auch nur diese Struktur, d.h. die konkrete Ausgestaltung des gesamtgesellschaftlichen Friedens in Bereichen betreffen, welche dem Zugriff des Rechts zugänglich sind. Die Lösung dieser Konflikte stellt insoweit also einen unmittelbaren Beitrag zur Vertiefung des gesamtgesellschaftlichen Friedens dar. Die jeweilige Akzeptanz der verfassungsrechtlichen KonfliktIösung bleibt aber abhängig vom politischen Willen zur Verfassung. Das heißt: Wenn verfassungsrechtIiche Entscheidungen nicht mehr auf allgemeine Akzeptanz treffen, so liegt hierin eine Gefährdung des gesamtgesellschaftlichen Friedens. Denn als Modus der Behandlung von Konflikten unterscheidet sich das Verfassungsrecht nicht prinzipiell vom Zivilrecht. Es unterscheidet sich aber von diesem qualitativ insofern, als die Inhalte verfassungsrechtlicher Konflikte keine partikularen Belange oder Sachfragen betreffen, sondern stets eng mit dem gesamtgesellschaftlichen Zusammenleben als solchem verbunden sind. Daher handelt es sich bei ihnen um Konflikte, die den gesamtgesellschaftlichen Frieden - wenn auch oft auf vermittelte Weise - immer mitbetreffen.

F. Politik und Frieden: Die Ebene internationaler Interaktion Die Aufmerksamkeit ist nunmehr auf die Ebene des Zusammenlebens von politischen Verbänden zu richten. Es ist in erster Linie diese Ebene, auf der das Friedensproblem sowohl in der Friedensforschung als auch in der Rechtswissenschaft (Völkerrecht) behandelt wird. Aus der bisherigen Argumentation ergibt sich ein spezifischer Zugang zu dem Problem, der eng mit der oben entwikkelten Vorstellung von der Konstitution des politischen Verbandes verknüpft ist. Von daher resultiert eine Sichtweise, die sich von manchen der heute gängigen (und vom Begriff eines positiven Friedens beeinflußten) Vorstellungen darin unterscheidet, daß allein eine "negative" Bestimmung des Friedens im Bereich der internationalen Beziehungen als sinnvoll erscheint, sofern der Begriff möglichst genau gefaßt werden soll. Frieden ist demnach als Abwesenheit von Krieg zu verstehen. Eine hierüber hinausgehende "positive" Bestimmung l erweist sich hingegen als problematisch. 2 I Siehe etwa Czempiel, Friedensstrategien, 47 und passim, wo zum Begriffsmerkmal der abnehmenden Gewalt noch dasjenige der zunehmenden Verteilungsgerechtigkeit im internationalen System hinzugenommen wird. Czempiel ist bezüglich der Unterscheidung von negativem und positivem Frieden skeptisch und schreibt: "Wer den 'negativen' Frieden als permanente Absenz organisierter militärischer Gewaltanwendung einrichten will, muß ... sehr viele Ordnungen herstellen, die den Anforderungen des 'positiven Friedens' zuzurechnen sind, aber viel genauer formuliert werden können." (Ernst-DUo Czempiel, Der Friede - sein Begriff, seine Strategien, in: Senghaas (Hrsg.), Den Frieden denken, 165-176. Leider bleibt der Autor selbst die genaueren Formulierungen in seinen begriffstheoretischen Überlegungen oft schuldig). Siehe auch etwa Volker Rittberger, Ist Frieden möglich?, in: Universitas 40 (1985), 1139-1149, der - ausgehend von der Behauptung, daß "Friede ... mehr [ist] als kein Krieg" (eben da, 1139) - nach diesem "Mehr" sucht. Siehe ferner Kar! Dietrich Bracher, Frieden und Krieg, in: ders. / Ernst Fraenkel (Hrsg.), Internationale Beziehungen (Das Fischer Lexikon, Band 7) 6. Auflage, Frankfurt am Main 1977, \08-119, hier 110, nach dem Frieden "auch positiv gefaßt werden [kann] als Erfordernis des geregelten Zusammenwirkens oder der fortschreitenden Integration." 2 Zwar werden im folgenden einzelne völkerrechtliche Probleme berührt, es ist jedoch zu betonen, daß die Problematik des internationalen Friedens und des Krieges von einem politiktheoretischen Standpunkt aus behandelt wird. Hierauf ist deshalb hinzuweisen, weil sich einerseits die Völkerrechtslehre gerade mit dem Friedensproblem sehr intensiv und breit auseinandersetzt und andererseits politikwissenschaftliche Erörterungen internationaler Beziehungen oftmals auf die Erkenntnisse der Völkerrechtslehre zurückgreifen. Dadurch werden jedoch bestimmte fundamentale Fragestellungen schon begriftlich ausgeblendet, da die Völkerrechtslehre ihre eigene Terminologie entwickelt hat, innerhalb derer sich alle Phänomenbetrachtungen bewegen. Auf diese Weise wird ein sozialontologischer Zugang oft schon systematisch versperrt. Im folgenden wird

13 Henkel

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F. Politik und Frieden: Die Ebene internationaler Interaktion

Die Rede von der Abwesenheit des Krieges gilt es im folgenden zu präzisieren. Dies geschieht auch hier unter Zugrundelegung des Friedensbegriffs Augustinus'. Dies setzt voraus, zunächst die Eigenart der Existenz des Pluriversums politischer Verbände zu erörtern. Die Anwendung des Augustinischen Friedensbegriffs hierauf führt zu dem womöglich überraschenden Resultat, daß vom Frieden "zwischen" politischen Verbänden nur in einer gleichsam indirekten Weise gesprochen werden kann. Anknüpfend an die bisherigen Ausführungen ergibt sich dann, daß Frieden in bezug auf die internationalen Beziehungen sozialontologisch betrachtet Abwesenheit von Krieg meint.

Lebensweltlich resultiert aus diesem Befund die Frage, wie mit dem Krieg umzugehen ist, insbesondere wie er verhindert, gehegt und beendet werden kann. Die dauerhafte Abwesenheit des Krieges - d.h. ein im Sinne Kenneth E. Bouldings stabiler oder dauerhafter Frieden3 - wird so zur Aufgabe. Die Frage, ob Frieden sein sol/, ist hier nicht zu klären, zum einen weil sie den Zuständigkeitsbereich sozialonologischen Fragens überschreitet, zum anderen, weil sie bereits von Kant in seiner Schrift Zum ewigen Frieden 4 auf theoretisch andemgegenüber umgekehrt vorgegangen: Die Problematik wird sozialontologisch entwickelt und an vereinzelten Punkten wird auf völkerrechtliche Überlegungen zurückgegriffen. 3 "Dauerhafter Frieden (stable peace) kann als eine Situation zwischen zwei unabhängigen Staaten definiert werden, in der beide keinerlei Kriegsabsichten gegeneinander hegen." (Kenneth E. Boulding, Dauerhafter Frieden zwischen Staaten - Ein Lernprozeß, in: Senghaas (Hrsg.), Den Frieden denken, 307-316, hier 307). 4 Kant, EF. Kants Überlegungen zum internationalen Frieden sind für die folgende Diskussion von zentraler Bedeutung, weshalb auch darauf zu verweisen ist, daß sich Kant auch an anderen Stellen seines Spätwerkes zur Problematik des internationalen Friedens geäußert hat, namentlich in der Schrift über den Gemeinspruch, in der Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (AA VIII, 15-31), ferner in Muthmaßlicher Anfang der Menschengeschichte (AA VIII, 107-123), in der Metaphysik der Sitten. Erster Theil. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (AA VI, §§ 53-62 und den Beschluß). Zu den hier zu vernachlässigenden konzeptionellen Unterschieden der Kantschen Ausführungen zum Frieden in den einzelnen Schriften siehe Reinhard Brandt, Vom Weltbürgerrecht, in: Höfle (Hrsg.), Immanuel Kant. Zum ewigen Frieden, 133-148, hier 137ff. Die Literatur über die Kantsche Friedensschrift ist längst nicht mehr überschau bar. Jüngere monographische Beiträge zu ihrer Diskussion sind Volker Gerhardt, Immanuel Kants Entwurf 'Zum ewigen Frieden'. Eine Theorie der Politik, Darmstadt 1995 und Georg Cavallar, Pax Kantiana. Systematisch-historische Untersuchung des Entwurfs 'Zum ewigen Frieden' (1795) von Immanuel Kant, Wien, Köln, Weimar 1992; neuere Aufsätze finden sich in: Höfle (Hrsg.), Immanuel Kant. Zum ewigen Frieden; Merkel/ Wittmann (Hrsg.), "Zum ewigen Frieden". Grundlagen, Aktualität und Aussichten einer Idee von Immanuel Kant; Matthias Lutz-Bachmann / James Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht. Kants Friedensidee und das Problem einer neuen Weltordnung, Frankfurt am Main 1996 und im ARSP 82 (1996), Heft 2; siehe ferner Ernesto Garzon Valdes, Die Pax Republicana bei Kant, in: Os kar W. Gabriel/ Ulrich Sarcinelli / Bernhard Sutor / Bernhard Vogel (Hrsg.), Der demokratische Verfassungsstaat. Theorie, Geschichte,

§ 28: Frieden und das Pluriversum politischer Verbände

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spruchs volle Weise beantwortet wurde. Kants Antwort auf diese Frage ist nichts hinzuzufiigen. Wie aber ein stabiler Frieden eingerichtet werden kann, ist eine Frage, die hier von Interesse ist. Es liegen verschiedene wissenschaftliche Konzepte vor, die dieser Frage nachgehen, und zwei dieser Konzepte sind kurz zu problematisieren: (i.) Die Vorstellung der internationalen Integration, die in verschiedensten Varianten ausgearbeitet wurde. 5 Hier wird - in Analogie zu den entsprechenden Prozessen auf der Ebene des einzelnen politischen Verbandes die Vorstellung entfaltet, daß aus Integrationsprozessen internationale bzw. supranationale Organisationen und Gebilde resultieren, die den internationalen Frieden - im Sinne dauerhafter Abwesenheit von Krieg - auf Dauer stellen und garantieren. (ii.) Die Vorstellung vom Frieden durch Völkerrecht. Für die nachfolgende Diskussion ist besonders darauf hinzuweisen, daß die vorliegende Arbeit eine begriffstheoretische Klärung verfolgt. Für die Ebene der internationalen Beziehungen besteht dabei jedoch in besonderem Maße die Schwierigkeit, daß eine Begriffsbestimmung sich unter der Hand zu einer Theorie internationaler Beziehungen auswächst. Eine solche aber soll hier nicht entwickelt werden. Es geht allein um den Ausweis begrifflicher Differenzierungen im Kontext der sozial- bzw. in diesem Bereich: der politikontologischen Bestimmung des Friedensbegriffs. Daß dabei Themen der Theorie internationaler Beziehungen berührt werden müssen, ist unvermeidlich.

§ 28: Frieden und das Pluriversum politischer Verbände Die Anwendung des allgemein-ontologischen Friedensbegriffs Augustinus' auf den Bereich der Interaktion politischer Verbände verlangt, nach der Eigenart der Existenz der Vielheit politischer Verbände und ihrer Beziehungen untereinander zu fragen. Der politische Verband hat als handelnde Einheit die Qualität eines nichtpersonalen Subjekts. Ebenso wie personale Subjekte ist er als Handelnder frei darin, wie er unter gegebenen Bedingungen von seiner Fähigkeit des HandeIns tatsächlich Gebrauch macht. Insofern ist der politische Verband aufgrund seiner Probleme. Festschrift für Hans Buchheim zum 70. Geburtstag, München 1992, 79-95. Zur gegenwärtigen Diskussion der Kantschen Friedensschrift siehe Manuel Fröhlich, Mit Kant, gegen ihn und über ihn hinaus: Die Diskussion 200 Jahre nach Erscheinen des Entwurfs "Zum ewigen Frieden", in: ZPol 1997, Heft 2,483-517. 5 Siehe nur den Überblick von Jürgen Bellers I Erwin Häckel, Theorien internationaler Integration und internationaler Organisationen, in: Volker Rittberger (Hrsg.), Theorien der Internationalen Beziehungen. Bestandsaufnahme und Forschungsperspektiven (PVS Sonderheft 2111990), Opladen 1990, 286-3 JO sowie Meyers, Begriff und Probleme, 58 ff. 13'

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F. Politik und Frieden: Die Ebene internationaler Interaktion

Subjektqualität souverän. Wurde oben der Zusammenhang von gesamtgesellschaftichem Frieden und innerer Souveränität erläutert, so ist nunmehr der Aspekt der äußeren Souveränität zu behandeln. Dieser ist eng verknüpft mit den Fragen der politischen Autarkie des politischen Verbandes und der Identität der diesen konstituierenden Gesellschaft. Anders als personale Subjekte ist der politische Verband autark. Das heißt: er ist in dem Sinne "selbstgenügsam", daß er in seiner Existenz als politisches Subjekt nicht auf äußere Instanzen angewiesen ist. Dies gilt aber nicht nur fur seine Existenz, sondern ebenso fur seine Struktur, die dem Selbstverständnis der ihn konstituierenden Gesellschaft erwächst. Hierauf wurde schon mit der Formel Voegelins hingewiesen, daß die politisch existente Gesellschaft "eine kleine Welt" darstellt, "ein Kosmion, von innen mit Sinn erfüllt durch die menschlichen Wesen, die sie in Kontinuität schaffen und erhalten als Modus und Bedingung ihrer Selbstverwirklichung. ,,6 Sein Selbstverständnis ebenso wie seinen Sinn für die in ihm lebenden Menschen gewinnt der politische Verband aus den Vorstellungen ebendieser Menschen davon, wie sie ihr öffentliches Zusammenleben gestalten wollen. Hieraus resultiert, daß der politische Verband, anders als personale Subjekte, fur die Bildung seiner Identität nicht auf Interaktion mit seinesgleichen angewiesen ist. Mit anderen Worten: Der politische Verband existiert nicht im Modus der Interaktion mit seinesgleichen. Daher ist sozialontologisch das originäre Verhältnis zwischen politischen Verbänden ein solches der Nicht-lnteraktion. 7 Dieser Befund mag nicht nur vor dem Hintergrund der Tatsache, daß die Geschichtsschreibung uns vor allem von Verhältnissen politischer Verbände untereinander, von Bündnissen, Kriegen und Friedensverträgen ebenso wie von Kolonialismus oder internationalen dynastischen Heiraten berichtet, befremdlich anmuten. Vor allem die Existenz des Völkerbundes, der UNO und zahlreicher internationaler Organisationen, der Prozeß der europäischen Einigung und insbesondere: die Verflechtung der Weltwirtschaft lassen die Vorstellung der Autarkie politischer Verbände fragwürdig erscheinen. In diesem Kontext ist aber an die sozialontologische Fragestellung zu erinnern: Zunächst sind die Prozesse und Strukturen aufzudecken, welche den genannten Phänomenen zugrundeliegen. Und obgleich mit den internationalen Organisationen etc. neue Wirklichkeiten geschaffen werden, ist zunächst zu klären, von wo diese Wirklichkeiten ihren Ausgang nehmen. Daher bleibt zunächst nach der Existenzweise politischer Verbände zu fragen. Erst von dort her werden jene Interaktionsphänomene zwischen politischen Verbänden und die Herausbildung internationaler In-

6

7

Voegelin, NWP, 52. (Hervorhebung hinzugefügt). Siehe dazu und zum folgenden auch Buchheim, TdP, 98 f.

§ 28: Frieden und das Pluriversum politischer Verbände

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stitutionen verständlich. 8 Um dieses Primäre, d.h. um die politische Existenz und um die aus der spezifischen Existenzweise politischer Verbände resultierende Eigenart ihrer Interaktion untereinander, ist es hier zu tun. Wenn das originäre Verhältnis von politischen Verbänden untereinander ein solches der Nicht-Interaktion ist, so bedeutet das erstens, daß der "natürliche" Zustand unter politischen Verbänden kein Kriegszustand, kein bellum omnium contra omnes9 ist, denn Krieg ist ein Modus von Interaktion. 10 Zweitens bedeutet es, daß jegliche Interaktion zwischen politischen Verbänden auf deren freiem Entschluß beruht. Dies resultiert aus dem Charakter des politischen Verbandes als eines nicht-intentional existierenden Subjekts, das bewußt konstituiert wird: Jeder Bezug auf den anderen und auf sich selbst ist ein ausdrücklicher Akt, den der politische Verband vollziehen oder eben (da er auf den anderen existentiell nicht angewiesen ist) auch: unterlassen kann. Das heißt, daß es im Verhältnis zwischen politischen Verbänden anders als bei personalen Kollektiven keine gemeinsame, unentrinnbare Situation gibt, welche alle beteiligten Subjekte jeweils in ihrer gesamten Existenz umfaßt und sie vor das Problem des Zusammenlebens 11 stellt, das dann von ihnen gemeinsam zu bewältigen wäre. Es gibt zwischen den politischen Verbänden insofern kein politisches Problem. Wenn politische Verbände aber miteinander interagieren (was der lebensweltliche NormalJall ist), so hat diese Interaktion andererseits originär politischen Charakter, was (i.) aus der Tatsache resultiert, daß der politische Ver-

8 Das bedeutet, daß der hier vertretene sozial- bzw. politikontologische Ansatz keineswegs den neuesten Entwicklungen auf zwischenstaatlicher und zwischengesellschaftlicher Ebene widerspricht. Im Gegenteil: Die politikontologische Differenzierung eröffnet einen Zugang zur Erklärung aktueller Entwicklungen und macht beispielsweise verständlich, warum etwa eine Staatsauffassung, die den Staat lediglich als das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit begreift, angesichts etwa des europäischen Einigungsprozesses und der Befugnisse der EU, inadäquat ist und sein muß. 9 Daher ist Kants Ansicht, Staaten "lädierten" sich "in ihrem Naturzustande (d.i. in der Unabhängigkeit von äußeren Gesetzen) schon durch ihr Nebeneinandersein" (Kant, EF, 354) nicht zutreffend. Hobbes ist zwar zuzustimmen, wenn er den "Naturzustand" zwischen politischen Verbänden als ein Verhältnis zwischen autarken Subjekten beschreibt (siehe Hobbes, Leviathan, 97 f.), dieser Zustand ist aber nicht als ein Kriegszustand zu denken. Den natürlichen Kriegszustand zwischen den Staaten verstehen Kant wie auch Hobbes als einen solchen, in dem zwar "nicht immer ein Ausbruch der Feindseligkeiten" herrscht, aber "doch immerwährende Bedrohung mit denselben." (Kant, EF, 349, siehe auch ders., Metaphysik der Sitten, 344). Aus dem sozialontologischen Befund ergibt sich auch, daß ein politischer Verband in seinen Außenverhältnissen an sich durchaus nicht nach Vergrößerung seiner Macht, nach Expansion oder dergleichen streben muß. 10 Zum Begriff des Krieges siehe ausführlicher weiter unten § 30. 11 Da die Existenz des politischen Verbandes nicht von der Interaktion mit andere politischen Verbänden abhängt, braucht er sich nicht um die Gestaltung eines Miteinander, nicht einmal um diejenige eines Nebeneinander, zu kümmern.

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F. Politik und Frieden: Die Ebene internationaler Interaktion

band eine primär politische Existenz hat. Daher ist sein Handeln nach außen wie nach innen zunächst rein politischer Natur. Genauer betrachtet stellt sich (ii.) die Situation in den internationalen Beziehungen darüber hinaus wie folgt dar: Durch die Interaktion wird eine gemeinsame Situation künstlich konstituiert. Der jeweilige gemeinsame Sinn dieser Interaktion ist nun aber vollständig disponibel: Gerade aufgrund des Fehlens einer originär - d.h. unverfiigbar vorgegebenen - gemeinsamen Situation gibt es in der künstlich geschaffenen Situation auch keinen vorgegebenen, unverfiigbaren Sinn. Deshalb wiederum können die Beziehungen der politischen Verbände, insbesondere ihre Probleme und Konflikte auch rein situativ bewältigt werden; und dies um so mehr, als die einzelnen Interaktionen zwischen politischen Verbänden gerade infolge ihrer Künstlichkeit voneinander isoliert gehalten werden können. Aufgrund ihrer Autarkie gibt es im internationalen Interaktionsgeschehen originär nur subjektiven Sinn filr die einzelnen Akteure. Jeder darüber hinausgehende gemeinsame Sinn ist hingegen Produkt ausdrücklicher Interpretation und Übereinkunft. 12 Das bedeutet nicht, daß solche Interaktion nicht auch unwillkürliche Effekte und unintendierte Folgen haben kann. Diese können aber von den Akteuern ignoriert werden und drängen sich durchaus nicht als ihnen gemeinsames Problem auf. Alle Interaktion politischer Verbände verläuft daher auf deren "subjektiv-bewußter" Ebene. Wegen der existentiellen Nicht-Angewiesenseins des politischen Verbandes auf andere politische Verbände ist er in der Gestaltung seiner Außenbeziehungen vollständig frei. Interagieren politische Verbände, so entstehen durch ihre fortgesetzte interaktive Praxis gleichwohlInteraktionsmuster und Gewohnheiten des Umgangs miteinander, die wiederum normative Kraft und ein Eigenleben entfalten: Es 12 In der Diplomatie spiegelt sich die Tatsache, daß es keinen vorgegebenen gemeinsamen Sinn in den Verhältnissen der politischen Verbände gibt, darin wider. daß ein gemeinsames Verständnis und die Interpretation einer Situation immer erst ausdrücklich (beispielsweise in Verhandlungen) herzustellen ist. Zu diesem Zweck hat sich die spezifische Form der Sprache der Diplomatie herausgebildet, deren außerordentlicher Nuancenreichtum einerseits der Ausdrücklichkeit der gemeinsamen Situationsdefinition geschuldet ist, andererseits die Möglichkeit der Anpassung an die Situation enthält. Die Diplomatensprache ist eine auf Situativität hin orientierte und in diesem Sinne politische Sprache (vielleicht politische Sprache in ihrer reinsten Form). So schreibt Wilhelm Grewe: "Flexibilität und Bewahrung der Manövriertreiheit sind das A und 0 der Philosophie der Diplomatensprache. " (Wi/helm G. Grewe, Die Sprache der Diplomatie (mit einem Nachwort von Rolf Italiaander), Hamburg 1967, 27; diese Arbeit ist unter dem gleichen Titel in einer gekürzten Fassung erneut veröffentlicht in: Gerd-Klaus Kaltenbrunner (Hrsg.), Wozu Diplomatie? Außenpolitik in einer zerstrittenen Welt, Freiburg, Basel, Wien 1987, 17-42. Siehe zur Problematik auch die nach wie vor höchst lehrreichen Ausführungen von Fred Charles Ikte, Strategie und Taktik des diplomatischen Verhandeins (1964), Einleitung zur deutschen Ausgabe von Wi/helm G. Grewe, München 1965, insbes. die Ausführungen über Die Bedeutung der Genauigkeit, 48 ff.).

§ 28: Frieden und das Pluriversum politischer Verbände

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entstehen mit anderen Worten internationale Institutionen, von welchen im vorliegenden Kontext Völkerrecht und internationale Organisationen von besonderer Bedeutung sind. 13 Im Alltag internationaler Praxis bilden diese Institutionen oft den nicht hinterfragten und selbstverständlich akzeptierten Rahmen der Beziehungen zwischen den politischen Verbänden. Dadurch entsteht der lebensweltliche Eindruck, daß auch die Interaktion zwischen politischen Verbänden "natürlich" und unverzichtbar ist. Tatsächlich aber besteht immer die Möglichkeit, daß sich ein politischer Verband aus diesen Interaktionen zurückzieht, ohne daß dadurch seine politische Existenz - und das heißt: sein gesamtgesellschaftlicher Frieden - als solche tangiert wären. Die Autarkie des politischen Verbandes in der Interaktion mit anderen politischen Verbänden ist mit dem Begriff der äußeren Souveränität bezeichnet, die hier zuallererst dessen "Selbstbestimmung" (oder genauer: die Letztentscheidungsfähigkeit über sich selbst) im Außenverhältnis bezeichnet. Äußere Souveränität bedeutet ferner die souveräne Gleichheit der politischen Verbände als politischer Verbände, die als Faktum konstituiert wird durch ihre wechselseitige faktische Anerkennung (in einem nicht-juristischen, d.h. nicht-völkerrechtlichen Sinne). 14 Äußere Souveränität des politischen Verbandes bedeutet also, daß er gegenüber anderen politischen Verbänden originär unabhängig ist und zwar solange, als er nicht in politische oder Rechtsverhältnisse mit anderen politischen Verbänden eintritt. Diese Rechtsverhältnisse können schon durch Teilnahme am internationalen politischen Verkehr konstituiert werden l5 , was dem oben darge13 Der Begriff der internationalen Institutionen wird hier in einem (den obigen Ausfiihrungen zum Begriff der Institution entsprechenden) weiten Sinne gebraucht. Er ist zu unterscheiden vom Begriff der internationalen Organisation, umfaßt diesen aber als einen Sonderfall. Einen anderen Fall internationaler Institutionen stellen internationale Regime dar. (Siehe dazu mit Blick auf das Problem internationalen Friedens Michael Zürn, Vom Nutzen internationaler Regime fiir eine Friedensordnung, in: Dieter Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, Frankfurt am Main 1997, 465-481; siehe ferner Otto Keck, Der neue Institutionalismus in der Internationalen Politik, in: PVS 32 (1991), 635-653, hier insbes. 637 f; Beate Kohler-Koch, Zur Theorie und Empirie internationaler Regime, in: dies. (Hrsg.), Regime in den internationalen Beziehungen, BadenBaden 1989, 17-85 und Harald Müller, Die Chance der Kooperation. Regime in den internationalen Beziehungen, Darmstadt 1993, dort 26 und passim zu den Regimen als Institutionen, zur Geschichte und Begrifflichkeit des Regime-Ansatzes 9-53). Besonders fruchtbar ist der Begriff der international gouvernance, der "eine von den Staaten selbst errichtete Schranke der 'internationalen Anarchie', eine sich selbst auferlegte Einschränkung der souveränen Handlungsfreiheit [bezeichnet]." (Volker Rittberger, Über die Friedensleistung internationaler Regime, in: Senghaas (Hrsg.), Den Frieden denken, 341-362, hier 342). 14 Dies bedeutet aber auf das Völkerrecht bezogen, daß jeder Staat für sich Völkerrechtssubjekt ist. 15 Zur völkerrechtlichen Lehre der Entstehung des Völkergewohnheitsrechts siehe WoljJHeintschel von Heinegg, in: Ipsen, § 16, Rn. 2 ff. Danach wird dieses Recht durch

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F. Politik und Frieden: Die Ebene internationaler Interaktion

stellten Prozeß der Institutionen bildung entspricht. wobei hier die Besonderheit jene Bewußtheit und Ausdrücklichkeit der Teilnahme am internationalen Verkehr ist, während die natürliche Person unwillkürlich in Interaktionsbeziehungen gerät. Aber auch auf internationaler Ebene gilt, daß "das Fortsetzen der Teilnahme ... zur Darstellung von pauschal erteiltem Konsens [wird], und Darstellungen binden, da die übrigen Teilnehmer entsprechende Erwartungen bilden ... So kommt es zum Engagement kraft Dabeiseins. ,,16 Wendet man den ontologischen Friedensbegriff des AlIglistinus auf die Ebene der Interaktion politischer Verbände untereinander an, so sind zwei Fragestellungen zu unterscheiden: (i.) Zum einen ist die existentielle Eigenart des Zusammenlebens politischer Verbände zu betrachten, also Augustinus' Begriff auf die Pluralität politischer Verbände oder das internationale System anzuwenden (§ 29). Zum anderen aber können (ii.) die Konsequenzen der Eigenart der Interaktion politischer Verbände rtir den Frieden im Sinne der ungestörten Existenz des Menschen als Person geklärt werden (§ 30).

§ 29: Die Interaktion politischer Verbände und der politische Frieden

Ist das originäre Verhältnis politischer Verbände zueinander ein solches der Nicht-Interaktion und ihre politische Existenz von innen konstituiert, so bedeutet dies, daß die Eigenart der Existenz auf der Ebene des internationalen Zusammenlebens in der politischen Existenz der einzelnen politischen Verbände besteht. 17 Deren Neben-, Mit- und Gegeneinander stellt keine Entität dar 18 , die zwei Elemente konstituiert, nämlich durch allgemeine Übung und die Anerkennung dieser Übung als Recht, wobei Anerkennung nicht als vertraglicher Akt gedacht werden muß. (Siehe ebenda Rn. 12 ff.). 16 Luhmann, RS, 68. Aus der Souveränität und der ihr entsprechenden rechtlichen Unabhängigkeit resultieren völkerrechtlich das Prinzip der Nichtintervention und dasjenige der Staaten immunität. Unter Intervention wird im Völkerrecht "die Einmischung eines Staates in die inneren und äußeren Angelegenheiten eines anderen Staates verstanden. Eine verbotene Intervention liegt aber nur dann vor, wenn erstens die Einmischung in Bereiche der staatlichen Angelegenheiten erfolgt, die der ausschließlichen staatlichen Zuständigkeit obliegen, und sie zweitens unter Androhung oder Anwendung von Zwang erfolgt." (Horst Fischer, in: lpsen, § 57, Rn. 50). Der Grundsatz der Staatenimmunität besagt, daß ein Staat bezüglich seiner hoheitlichen Tätigkeiten nicht vor dem Gericht eines anderen Staates angeklagt werden kann. (Siehe dazu Christian Gloria, in: lpsen, § 26, Rn. 16 ff.). 17 Das bedeutet keineswegs, daß politische Verbände isolierte, abgeschlossene und gewissermaßen impermeable Entitäten sind. Auch im Zustand der Nicht-Interaktion und des Nicht-Verhältnisses politischer Verbände sind theoretisch Interaktionsverhältnisse zwischen ihren Bürgern, beispielsweise Wirtschaftsbeziehungen zwischen ihnen - also:

§ 29: Die Interaktion politischer Verbände und der politische Frieden

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im Sinne des Friedensbegriffs Augustinus' eine Ruhe ihrer Ordnung haben könnte. Die Rede vom Pluriversum muß in bezug hierauf also ganz wörtlich genommen werden, woraus sich ergibt, daß der originäre Zustand politischer Verbände nicht als Frieden im Sinne des Augustinus bezeichnet werden kann. Damit ist das Verhältnis zwischen politischen Verbänden originär weder ein Zustand des Krieges noch ein Zustand des Friedens, sondern ein Drittes, für das eine Bezeichnung offenbar fehlt. 19 Man ist also bezüglich des Friedens auf internationaler Ebene wieder zurückverwiesen auf die Ebene der einzelnen politischen Verbände. Deren Frieden wird von innen heraus konstituiert, gleichviel ob und wie viele andere politische Verbände es noch geben mag. Der politische Verband verdankt seinen Frieden sich selbst. Wenn vom Frieden in den internationalen Beziehungen die Rede ist, so ist diesem Befund entsprechend dieser Frieden der jeweiligen politischen Verbände - ihre politische Existenz - gemeint. Dies ist die sozialontologische oder genauer politikontologische Grundsituation, von der bei der Betrachtung des Friedensproblems auf dieser Interaktionsebene auszugehen ist, bei der aber nicht stehen geblieben werden kann. Wenn Frieden im Kontext der internationalen Beziehungen stets der Frieden der politischen Verbände ist, so kann weiter gefragt werden, was hieraus für deren tatsächlich stattfindende Interaktion folgt. Denn daß diese Interaktion stattfindet, ist ebensowenig zu leugnen wie die Tatsache, daß sie auf das innere Leben des politischen Verbandes gerade heute von großer Bedeutung ist. Geht man von der politikontologischen Grundsituation aus, so bedeutet friedliche Interaktion politischer Verbände eine solche Interaktion, welche deren existentielle Ordnung nicht von außen stört. Will man diese Art der Interaktion näher charakterisieren, so kann man danach fragen, welche Interaktion überhaupt von außen (durch einen anderen politischen Verband oder Akteur der internationalen Politik) den Frieden des politischen Verbandes zu stören imstande ist, welche Interaktion also für den politischen Verband Unfrieden ist. Unfrieden in den Beziehungen politischer Verbände kann hier nicht mit dem Begriff des Desavouierens verknüpft werden: Ein nicht-intentional existieren-

transnationale Politik - durchaus denkbar. Zur Bestimmung von transnationaler Politik als internationalem Handeln gesellschaftlicher, insbesondere wirtschaftlicher Gruppen bzw. Institutionen siehe beispielsweise Pfetsch, Internationale Politik, 33. 18 Die substantivierende Rede vom internationalen System verstellt den Blick auf diese sozialontologische Tatsache. 19 Max Müller zitiert aus dem Großen Herder von 1957 folgende Feststellung: "Der Friede setzt eine Gemeinsamkeit der Partner voraus. Der in bloßer Verhältnislosigkeit gründende Nichtkrieg ist in diesem Sinne kein Frieden." (Zit. nach Max Müller, Der Friede als philosophisches Problem, in: Senghaas (Hrsg.), Den Frieden denken, 21-38, hier 31).

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F. Politik und Frieden: Die Ebene internationaler Interaktion

des, nicht-personales Subjekt kann nicht in dem Sinne desavouiert werden, daß seine Identität durch ein Handeln von außen in dem Sinne geschädigt würde, daß seine "Dignität" oder "Würde" etc. in Mitleidenschaft gezogen wäre. Damit bleibt zur Bestimmung des Unfriedens der Begriff der destruktiven Interaktion. Diese kann im Verhältnis politischer Verbände zueinander verschiedenste Formen annehmen, die hier allein dadurch charakterisiert werden, daß dem anderen Schaden zugeftigt werden soll. Es ist nunmehr danach zu fragen, ob der Frieden des politischen Verbandes durch das schädigende Handeln eines anderen von außen gestört werden kann. Dabei sind zwei Fälle zu unterscheiden, nämlich (i.) derjenige der Anwendung nicht-gewaltsamer Mittel zur Verfolgung der Schädigungsabsicht und (ii.) derjenige der Anwendung gewaltsamer Mittel. Die nicht-gewaltsamen Mittel können unterschiedlichster Art sein und beispielsweise in außenpolitischer Isolierung, Handelsembargos etc. bestehen Die gewaltsame Art des Verfolgens der eigenen Absichten im Verhältnis politischer Verbände ist Krieg, wobei auch zwischen politischen Verbänden weder Konflikte allgemein, noch solche, die aus einer Schädigungs- oder Destruktionsabsicht hervorgehen, bereits mit Gewalt (also Krieg) identisch sind. 20 Im folgenden ist zunächst das nicht-gewaltsame destruktive Handeln eines politischen Verbandes in seiner Auswirkung auf den Frieden eines anderen, sodann der Fall der gewaltsamen Interaktion politischer Verbände zu betrachten. Die Erörterung des Krieges fordert, die Ebenen der Interaktion zwischen Menschen in die Untersuchung der Ebene internationaler Beziehungen einzubeziehen. Richtet man den Blick auf den Fall derjenigen Interaktion, hinter der eine Schädigungsabsicht steht, so ergibt sich, daß auch diese den Frieden des betroffenen politischen Verbandes infolge von dessen autarker politischer Existenz nicht stört: Destruktiv geftihrte Interaktion kann dessen Frieden, d.h. seine politische Existenz nur treffen, wenn dieser existentiell irgendwie von jenem oder der Interaktion mit ihm abhängig ist. Genau das gilt aber nicht rur den politischen Verband. Zwar wird der betroffene politische Verband das Handeln des 20 Dies hier ausdrücklich hervorzuheben scheint nicht trivial zu sein, wenn man bedenkt, daß in einem überwiegenden Teil der Literatur über internationale Beziehungen oder zur Friedenforschung die Differenzierung zwischen Konflikt und Krieg nach wie vor nicht deutlich oder überhaupt nicht vorgenommen wird. Deutlich die Differenzierung von Konflikt und Gewalt aber beispielsweise bei Michael Barkun, Law without Sanctions. Order in Primitive Societies and the World Community, New Haven, London 1968, 51: "If conflict is to be the mode of interaction, it can be expressed violently or nonviolently." Und ausdrücklich in bezug auf internationale Konflikte eben da, 55: "The manifestly incompatible goals that countries seek ... necesserily produce international conflict, even though the expression of the conflict is not always in form ofwar."

§ 29: Die Interaktion politischer Verbände und der politische Frieden

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anderen als Aggression und Schädigung wahrnehmen, er ist aber völlig frei in der Art und Weise seiner Reaktion hierauf. Und da er in seiner politischen Existenz unabhängig vom anderen ist, kann er sich dessen Absichten und den diesen folgenden Handlungen gegenüber prinzipiell gleichgültig verhalten. Das bedeutet nicht, daß destruktive Interaktion sich nicht auf den politischen Verband und seine Bevölkerung negativ auswirke und daher die Abwendung und das Ende der destruktiven Interaktion gewünscht würde. Das Gegenteil wird der Fall sein: destruktive Interaktion trifft zwar nicht die Existenz des politischen Verbandes und damit seinen Frieden, sie kann aber als Zwang empfunden werden (und tut dies in der Regel) und nachhaltige negative Folgen für die politische Gemeinschaft haben. Nur sind negative Folgen keineswegs als Unfrieden zu klassifizieren. Das ist beispielsweise im ökonomischen Bereich leicht zu erkennen: Betrachtet man etwa die politisch motivierte wirtschaftliche Diskriminierung eines politischen Verbandes in Form eines Handelsembargos durch einen anderen als schädigendes Handeln 21 , so ist festzustellen, daß ein solches Embargo die politische Existenz des ersteren überhaupt nicht betrifft. Die unmittelbare Wirkung ist allein ökonomischer Natur und betrifft insoweit "lediglich" die Gesellschaft (im engeren Sinne) bzw. die einzelnen Menschen. Unabhängig davon kann sich ein Embargo zwar durchaus negativ und destabilisierend auf die politische Existenz des betroffenen politischen Verbandes auswirken. Diese Wirkung entfaltet es aber bestenfalls und dann nur indirekt auf dem Umweg über die den betroffenen politischen Verband konstituierende Bevölkerung. Die Art und Weise dieser indirekten politischen Wirkung ökonomischer Maßnahmen entzieht sich jedoch wiederum dem Zugriff des embargierenden politischen Verbandes, denn wie der Betroffene auf die Maßnahmen reagiert, ist eine Frage von dessen Innenverhältnissen. Daher ist zumindest die politische Wirksamkeit von Embargos zurückhaltend einzuschätzen. Es ist generell wichtig zu erkennen, daß ökonomische Subsistenz von politischer Existenz als theoretisch voneinander völlig unabhängig zu betrachten sind. 22 Das Sein des politischen Verbandes hat mit dem Zusammenleben und der Existenz einer Gesellschaft als Ganzer - mit all-gemeinsamem persönlichen Sinn - zu tun. Demgegenüber geht es in der Ökonomie um die materielle Siche21 Im Völkerrecht werden Embargomaßnahmen als unfreundliche Handlung qualifiziert (siehe Gloria, in: Ipsen, § 39, Rn. 13) und die UN-Charta (Art. 41) kennt das Embargo als friedliche Sanktionsmaßnahme der Staatengemeinschaft als Ganzer (siehe ebenda Rn. 12). Im Embargo wird also jedenfalls kein Unfrieden gesehen. 22 Siehe hierzu namentlich Heller, Staatslehre, 319 ff. Unter Rückgriff auf die griechische Vorstellungewelt arbeitet Hannah Arendt die Unterschiedenheit von ökonomischer von politischer Sphäre menschlicher Existenz heraus. Siehe Arendt, Vita activa, passim. Anhand der Studien Arendts läßt sich die Unterscheidung von persönlichem Sinn (der Politik) und sachlichem Sinn (z.B. der Ökonomie) gut veranschaulichen.

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F. Politik und Frieden: Die Ebene internationaler Interaktion

rung des physischen Bestandes, die ohne weiteres als Angelegenheit partikularer Gruppen oder gar Einzelner innerhalb des politischen Verbandes angesehen werden kann. In der Ökonomie ist es um den zweckrationalen Umgang des Menschen mit der Natur und mit knappen Ressourcen zur Sicherung seiner physischen Existenz und daher um das Zusammenwirken der Menschen hinsichtlich dieser Probleme - insofern um sachlichen Sinn - zu tun. Dies umfaßt nicht nur Koordination landwirtschaftlicher oder produzierender Tätigkeiten, sondern natürlich auch den Handel und zwar auch jenen, der über politische Grenzen hinweg stattfindet. Die Unabhängigkeit der Probleme läßt sich am Beispiel der Existenz ökonomisch rur sich nicht überlebensfähiger politischer Verbände (wie heute etwa Luxemburgs) demonstrieren. Eindrucksvoll wird der theoretische Befund auch durch die aktuellen ökonomischen Entwicklungen hin zu einer Globalisierung der Wirtschaft bestätigt: Zum einen wird in ihnen sichtbar, daß es immer weniger Sinn macht, von "Volkswirtschaften" zu reden. Zum anderen vollziehen sich diese Prozesse unabhängig von der Tatsache, daß das Zusammenleben der Menschen auf dem Globus nach wie vor und bis auf weiteres regional - in Staaten - organisiert ist. 23 Daß ökonomische Faktoren gleichwohl eine (aussen-) politische Rolle spielen können zeigt sich etwa an aus ökonomischen "Gründen" geruhrten Kriegen 24 oder an ökonomisch motiviertem Kolonialismus und Imperialismus. In solchen Fällen jedoch werden ökonomische Probleme 23 Dieser Befund wird noch transparenter aus systemtheoretischer Perspektive: Nach dieser operiert das - internationalisierte - Wirtschaftssystem unabhängig von den - jeweils nationalen oder regionalen - politischen Systemen. Siehe dazu Niklas Luhmann, Politik und Wirtschaft, in: Merkur 49 (1995), 573-581. 24 Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß (i.) "gerade in der modernen Geschichte ... ökonomische Motive bei der Entstehung von Kriegen eine sehr geringe Rolle gespielt haben und zwingende ökonomische Motive, d.h. solche, die im Interesse der biologischen Erhaltung des Staatsvolkes unabweisbar gewesen wären, nie den Ausschlag gaben." (Gala Mann / Harry Prass, Krieg, in: dies. (Hrsg.), Außenpolitik (Das Fischer Lexikon, Band 7), Frankfurt am Main 1958, 143-160, hier 145). Ausdrücklich aufgrund umfangreicher Studien so auch der Kriegswissenschaftler und Völkerrechtler Quincy Wright, War I (The Study of War), in: International Encyclopaedia of the Social Sciences, edited by David S. Sills, Volume 16, 0.0. 1968, 453-486, hier 461-463, besonders 463. Siehe jetzt auch im Anschluß an Wright KarlOtto Hondrich, Unser Verhältnis zum Krieg, in: Peter Krasemann (Hrsg.), Der Krieg - ein Kulturphänomen? Studien und Analysen, Berlin 1992, 44-56, hier 49. Es ist ferner (ii.) zu beachten, daß die wirtschaftlichen Interessen in der Regel generell nicht jene außenpolitische Bedeutung haben, welche ihnen oft zugesprochen wird. Siehe zu den Wirtschaftsinteressen in der Außenpolitik allgemein immer noch lehrreich Deutsch, Analyse internationaler Beziehungen, 130 ff. Siehe ferner Henning Behrens / Paul Noack, Theorien der Internationalen Politik, München 1984, 198 ff. (zur Imperialismustheorie; zur Kritik siehe dort, 214 f.) sowie Paul Noack, Internationale Politik. Eine Einführung, 4. Auflage, München 1977, 28 ff. Zur Bedeutung ökonomischer Faktoren für den Imperialismus siehe insbesondere Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 521 f.

§ 30: Die Interaktion politischer Verbände und der Frieden der Person

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(historisch kontingent) zum Politikum. sind hier also nicht mehr als ökonomische Fakten bedeutsam. sondern als politische. Auch fur den Fall tatsächlich stattfindender Interaktion zwischen politischen Verbänden gilt so das bereits oben Festgestellte: Da deren Identität nicht in Interaktion mit anderen politischen Verbänden konstituiert wird. kann sie auch nicht durch aus Schädigungsabsichten erfolgende Interaktion getroffen werden. Das bedeutet. daß auch nicht-ge~altsame destruktive Interaktion den politischen Frieden nicht stört. also nicht dessen Negation. d.h. Unfrieden sein kann. Bezieht man die Verhältnisse politischer Verbände untereinander auf diesen Befund, so läßt sich von Frieden auch in den internationalen Beziehungen insofern sprechen. als diese Beziehungen (selbst im Falle erfolgreicher Schädigung) den Frieden des politischen Verbandes nicht tangieren. Gleichwohl ist auch bei diesem terminologischen Vorschlag mit Frieden alleine derjenige des politischen Verbandes gemeint: Da dessen politische Existenz nur von ihm selbst abhängt. kann die Interaktion mit anderen seinesgleichen seinen Frieden nicht stören. Die internationale Interaktion ist im Normalfall also stets friedlich (was nicht heißt, das sei wiederholt: konfliktfrei).25

§ 30: Die Interaktion politischer Verbände und der Frieden der Person

Es bleibt nunmehr die Aufgabe, den Unfrieden in der gewaltsamen destruktiv geführten Interaktion politischer Verbände zu suchen. Da Gewalt an das Kriterium der Körperlichkeit gebunden ist26, gerät damit die Ebene der partikularen Interaktion von Menschen, d.h. vor allem: der Frieden der Person - in den Blick, da der politische Verband selbst keinen Körper hat, gegen den Gewalt anzuwenden wäre. So wird auch der Zusammenhang der internationalen Politik mit der Ebene einfacher Interaktion - in bezug auf den Frieden - in den Blick genommen. Auf diese Weise kann geklärt werden, warum es sinnvoll ist, in den internationalen Beziehungen den Frieden als die Abwesenheit des Krieges zu bestimmen. Sofern Frieden als die ungestörte Existenz des Menschen als Person verstanden wird, die der Interaktion innewohnt, sofern diese zur Ausbildung der Person beiträgt und nicht gestört wird, liegt er auf einer anderen Ebene von Interaktionsbeziehungen als der Frieden des politischen Verbandes. Dementsprechend haben die Interaktionsverhältnisse zwischen politischen Verbänden keinen Einfluß auf den Frieden der Bürger. Denn betrifft schon die gesamtgesellschaftli25 26

Zum relevanten Ausnahmefall - dem des Krieges - sogleich. Siehe dazu oben 100 f.

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F. Politik und Frieden: Die Ebene internationaler Interaktion

che Interaktion die Ausbildung der Person als solche nicht, so kann erst recht die Interaktion zwischen politischen Verbänden "als objektiver Vorgang nicht Modus einer unwillkürlichen Ausbildung der Beteiligten als Person sein. ,,27 Dies gilt prinzipiell auch rur die schädigende Interaktion politischer Verbände, ungeachtet der Tatsache, daß sich diese auf das Leben der Bevölkerung schädigend auswirken mag. 28 Jedoch gibt es hier eine einzige Ausnahme: den Krieg.

Krieg ist die gewaltsame Form schädigender Interaktion politischer Verbände. 29 Insofern er ein Modus der Interaktion politischer Verbände darstellt, ist er zwar nicht der adäquate Gegenbegriff zum Frieden im Sinne der ungeBuchheim, Augustinus, 89. Es ist daran zu erinnern, daß Schädigung noch nicht ein Desavouieren des anderen als Person ist. 29 Damit ist er zum einen dem Bereich der Politik zuzuordnen: Da die Beziehungen zwischen politischen Verbänden, unabhängig von ihrem jeweiligen Inhalt, allererst politischer Natur sind, bleibt die Art und Weise, wie diese Beziehungen gestaltet werden, d.h. insbesondere: welche Mittel angewandt werden, ebenfalls eine politische Frage. Folglich ist es auch eine politische Frage, ob Beziehungen gewaltsam gestaltet werden oder nicht. Zum anderen wurde oben der instrumentelle Charakter von Gewalt aufgewiesen. Vor diesem Hintergrund ist also das bekannte Diktum von Clausewitz' über die Instrumentalität des Krieges zutreffend, daß nämlich "der Krieg nichts ist als die fortgesetzte Staatspolitik mit anderen Mitteln." (Carl von Clausewitz, Vom Kriege (1830), vollständige Ausgabe im Urtext, drei Teile in einem Band, hrsg. von Werner Halweg, 19. Auflage (Jubiläumsausgabe, mit erneut erweiterter historisch-kritischer Würdigung von Werner Halweg), 1980, Nachdruck Bonn 1991, 179, siehe ebenso 210 und 990. An der letztgenannten Stelle heißt es: "Der Krieg ist nichts als eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel."). Wie alle Gewalt hat der Krieg instrumentalen Charakter. Er ist auf die Erreichung eines politisch gesetzten Zwecks gerichtet. Der so verstandene Kriegsbegriff folgt der neuzeitlichen Tradition des Nachdenkens über den Krieg. Natürlich tauchen mit dieser an den politischen Verband gebundenen Bestimmung zahlreiche Probleme sowohl der theoretischen als auch der historischen Klassifikation bewaffneter Auseinandersetzungen auf, welche hier nicht verfolgt werden können. Im Kontext der vorliegenden Arbeit ist der auf den politischen Verband bezogene Kriegsbegriff ausreichend. Daß man den Begriff des Krieges anders und weiter fassen kann, zeigen eindrucksvoll etwa lohn Keegan, Die Kultur des Krieges. Berlin 1995 passim, oder die anthropologisch-ethnologischen Studien in Martin A. Nettleship / R. Dalegivens / Anderson Nettleship (Hrsg.), War, Its Causes and Correlates, The Hague, Paris 1975. Siehe auch Hans-Peter Hasenfratz, Krieg und Frieden in archaischen Gemeinschaften, in: Fritz Stolz (Hrsg.), Religion zu Krieg und Frieden, Zürich 1986, 13-29 sowie die Aufzählung bei Andrew P. Vayda, War II (Primitive warfare), in: International Encyclopaedia of the Social Sciences, Volume 16,468-472, hier 468 und zum Wandel der Kriegsvorstellungen in Europa Wilhelm lanssen, Krieg, in: GeGrb, Band 3, 567-615 passim. Nach wie vor unentbehrlich für die Auseinandersetzung mit dem Begriff des Krieges ist Wrights monumentale Studie über den Krieg in Geschichte und Gegenwart, seine Zusammenhänge mit Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, öffentlicher Meinung, human nature etc., Qiuncy Wright, A Study of War, Second Edition (1965), with a Commentary on War since 1942, 2nd Impression, Chicago, London 1967. 27

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störten Ausbildung der Person. Gleichwohl gibt es zwischen der gewaltsamen Interaktion der po litischen Verbände und der ungestörten Existenz der Person einen unmittelbaren Zusammenhang: Da Gewalt an das Merkmal der Körperlichkeit gebunden ist, können es nur die Menschen sein, die unmittelbar vom Krieg (sofern dieser gewaltvermittelte Interaktion ist) betroffen werden, obgleich er Modus eines Verhältnisses zwischen politischen Verbänden ist. Der Krieg nämlich wird ausgefochten von realen Menschen; und es sind ebendiese, die auch die Gewalt des Krieges erfahren. Gewalt aber beeinträchtigt die Grundlage des Existierens der Person und ist daher Unfrieden. Diese Feststellungen betreffen primär die Kombattanten, fast immer aber auch die Zivilbevölkerungen der beteiligten politischen Verbände oder Teile von diesen. Der Unfrieden des Krieges ist damit generell an dessen Gewaltsamkeit gebunden. Obgleich also Krieg nicht den charakteristischen Gegensatz zum Frieden der Person darstellt, betrifft er gerade diesen unmittelbar. Von daher ist es durchaus korrekt, wenn von alters her die Menschen den Krieg als den Gegensatz zum Frieden verstanden. Insofern bleibt es dann auch richtig, wenn der Frieden als Abwesenheit von Krieg, das meint: von kriegerischer Gewalt, bezeichnet wird. Da der Frieden der Person im Falle der Gewalt dann wiederhergestellt ist, sobald diese Gewalt ein Ende hat, ist die Bestimmung des Friedens im Außen verhältnis politischer Verbände als Abwesenheit des Krieges zumindest dann die einzig sinnvolle, wenn man einen genau bestimmten Begriff von ihm haben will; in bezug auf die Interaktion politischer Verbände herrscht rur die Person Frieden, sofern in diesen Beziehungen keine Gewalt angewandt wird, also kein Krieg herrscheo:finis belli pax es!. Zu beachten bleibt allerdings, daß mit dem Frieden, von dem hier die Rede ist, jener Frieden der Person gemeint ist, der aus einfachen Interaktionsverhältnissen resultiert, nicht der Frieden des politischen Verbandes, obgleich es letzterer ist, der den Krieg führt. Den politischen Verband trifft die Gewaltsamkeit des Krieges gar nicht, da seine Existenz eine geistige ist. Ihn betrifft Krieg nicht als gewaltvermittelte Interaktion, sondern als Zwangsverhältnis. Insofern beeinträchtigt noch nicht einmal der Krieg die politische Existenz des politischen Verbandes, d.h. seinen Frieden. 3 ! 30 Von einem ganz anderen Ausgangspunkt gelangt auch Czempiel zu der Feststellung: "Der Friede, so muß man formulieren, ist das Werk des Gewaltverzichts." (Czempiel, Der Friede, 168) Allerdings knüpft Czempiel hieran Konsequenzen, die den Friedensbegriffwieder idealisieren und sogar zu Widersprüchen in Czempiels Vorstellungen führen. 3! Genau genommen ist der Frieden des politischen Verbandes nur dann von außen gestört, wenn er zugleich zerstört ist, das heißt, wenn er nicht mehr existiert. Solches kann Kriegsfolge sein, militärische Unterwerfung jedenfalls bedeutet noch nicht auch Auflösung des unterworfenen politischen Verbandes. Das läßt sich im Völkerrecht etwa

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Den Zusammenhang zwischen Krieg und personaler Existenz hebt schon Rousseau deutlich hervor, der außerdem den Unterschied zwischen hostis und mimicus implizit thematisiert, wenn er feststellt: "Der Krieg ist also keine Beziehung von Mensch zu Mensch, sondern eine Beziehung von Staat zu Staat, in der die Einzelnen nur durch Zufall Feinde sind, nicht als Menschen und nicht einmal als Bürger, sondern als Soldaten; nicht als Glieder des Vaterlandes, sondern als seine Verteidiger. Kurz, ein Staat kann in Anbetracht dessen. daß sich zwischen Dingen unterschiedlicher Natur auf Dauer keine wahre Beziehung herstellen läßt, nur andere Staaten zu Feinden haben und nicht Menschen.,,32

Diese berühmte Bestimmung Rouesseaus ist interaktionstheoretisch zu ergänzen und zu präzisieren: Krieg ist die mit Gewalt ausgetragene destruktive Interaktion VOn politischen Verbänden, die den Frieden der Menschen im Sinne ihrer ungestörten Ausbildung als Person deshalb stört, weil Gewalt eine Variante des Unfriedens im Sinne einer Störung jenes Friedens darstellt 33 Die Tatsache, daß der Krieg ein Verhältnis zwischen politischen Verbänden bezeichnee 4 , hat - wie Rousseau verdeutlicht - spezifische Auswirkungen auf daran erkennen, daß "Besetzung - auch Totalbesetzung - nicht [bedeutet], daß die Staatsgewalt des besetzten Staates etwa automatisch erlischt, sondern nur, daß sie soweit zurücktritt, als der Okkupant die Regelungsgewalt an sich zieht." (Knut Ipsen, in: Ipsen, § 67, Rn. 22). 32 Hier zitiert nach Jean-Jacques Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts, in Zusammenarbeit mit Eva Pietzcker neu übersetzt und herausgegeben von Hans Brockard, durchgesehene und bibliographisch ergänzte Ausgabe Stuttgart 1986, 12 f. Siehe zur Entwicklung des staatsbezogenen Kriegsbegriffs Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum (1950),3. Auflage, Berlin 1988. 112-183, zu Rousseaus Lehre vom Krieg insbes. 121 ff. 33 Krieg wird hier wie etwa bei von Clausewitz faktisch verstanden, womit die interaktionistische Bestimmung des Krieges von juristisch geprägten Definitionen, wie etwa derjenigen Wrights, entscheidend abweicht. Wright bezeichnet Krieg als rechtlichen Zustand (legal condition) "which equally pennits two or more hostile groups to carry on a conflict by armed force." (Wright, A Study of War, 8 und 698, siehe auch ders., War I, 453). Bei von Clausewitz ist der Krieg "ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen." (von Clausewitz, Vom Kriege. 191 f). Natürlich wirft auch die interaktionistische Bestimmung des Kriegsbegriffs Probleme auf, etwa fUr Fälle geographisch weit auseinanderliegender politischer Verbände, die einander den Krieg erklären, ohne daß ihre Truppen miteinander kämpfen. Juristisch orientierte Bestimmungen haben hier u.U. weniger Schwierigkeiten. Zumindest eines ist jedoch klar: Wenn nicht gekämpft wird, hat der Krieg als solcher keinen Einfluß auf den Frieden der Menschen als Personen. 34 Es ist an dieser Stelle daran zu erinnern, daß hier der "klassische" Krieg im Mittelpunkt steht. Schon bei diesem gibt es zahlreiche - insbesondere rechtliche - Faktoren, die zu Variationen der einfachen Schemata fUhren. So müssen z.B. Kriege, die die Staatengemeinschaft entsprechend Art. 42 der UNO-Charta führt, aufgrund ihrer Eigenart einer besonderen Betrachtung unterzogen werden. Hier kann nur auf die Besonderheit solcher Kriege, die Bündnisse gegen ihre eigenen Mitglieder fUhren, hingewiesen werden. In ihnen nimmt der Krieg den Charakter einer quasi-polizeilichen Rechtsexekution an, womit besondere rechtliche und ethische Probleme verbunden sind. Otto

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den Charakter dieser Gewaltsarnkeit: Die Soldaten im Krieg begegnen einander nicht in persönlicher Feindschaft. 35 Sie sind als Angehörige regulärer Streitkräfte Repräsentanten 36 ihres eigenen politischen Verbandes und nicht in persönlicher Sache tätig. Der Feind ist also hier hostis, nicht inimicus. 37

Kimminich weist auf die "paradoxe und nicht ungefährliche Entwicklung" hin, daß "der Wandel von der Kriegsfreiheit zum Kriegsverbot und zur Friedenspflicht der Staaten ... dazu gefiihrt hat, daß jeder Angriffskrieg - und selbstverständlich auch seine Vorbereitung - ein internationales Verbrechen ist." (Otto Kimminich, Die Funktion des Rechts bei der Verhinderung, Verursachung und Beilegung von Konflikten, in: Rudolf Weiler / Valentin Zsijkovits (Hrsg.), Unterwegs zum Frieden. Beiträge zur Idee und Wirklichkeit des Friedens, Wien, Freiburg, Basel ) 973, 443-467, hier 446, Fn. 6; Hervorhebung hinzugefügt). Hier geht es um die Problematik des diskriminierenden Kriegsbegriffs im Völkerrecht, die unter anderem Schmitt diskutiert hat. Siehe Carl Schmitt, Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff () 938), 2. Auflage, Berlin ) 988, insbes. 37 ff.; Wilhelm G. Grewe. Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 2. Auflage Baden-Baden 1988, 728 ff. 35 Dies gilt begrifflich gesehen nicht für den Weltanschauungskrieg und auch nicht für den Bürgerkrieg. Der Weltanschauungskrieg richtet sich nicht gegen einen anderen politischen Verband. Vielmehr geht es in ihm darum, eine spezifische Lebensweise als solche zu bekämpfen und in letzter Konsequenz - zu vernichten. Ein solcher Krieg richtet sich also gegen Menschen, die Träger irgendwelcher (ggf. nur zugesprochener) Eigenschaften oder Merkmale sind. Der Weltanschauungskrieg ist Gesinnungskrieg. In ihm werden die Menschen - wie im Bürgerkrieg - zum inimicus deklariert, während der politische Krieg nur den hostis kennt. Im Weltanschauungskrieg diskriminieren sich die Feinde in den Worten Carl Schmitts "gegenseitig als Verbrecher und Piraten." (Schmitt, Nomos, 114). Er ist keine Erfindung des 20. Jahrhunderts, auch beispielsweise die Religions- und Parteikriege vergangener Zeiten waren "ihrer Natur nach Vernichtungskriege." (Schmitt, eben da; siehe dazu beispielsweise auch Norbert Ohler, Krieg und Frieden im Mittelalter, München 1997,68 f.). Schmitt hat dargelegt, daß Weltanschauungskriege nicht gehegt werden können. Solange jedoch der Krieg ein Modus der Interaktion politischer Verbände bleibt und sich mithin nicht gegen die Menschen selbst richtet, kann er rechtlich gehegt - und das heißt: humanisiert - werden. (Zur diesbezüglichen rechtlichen Problematik, zu den Vorstellungen vom gerechten Krieg, von der iusta causa belli, der Diskriminierung des Kriegsgegners und schließlich der Hegung des Krieges als Leistung europäischer politischer Kultur siehe Schmitt, Nomos, passim, insbes. 91 ff. und 112 ff.). Vom Weltanschauungskrieg ist im übrigen der totale Krieg zu unterscheiden. Bei diesem kommt es primär auf die Aufhebung der Unterscheidung zwischen Kombattanten und NichtKombattanten an. Der totale Krieg ist als solcher kein Weltanschauungskrieg, während das Umgekehrte der Fall ist. 36 In seiner inzwischen klassischen (und auch nach dem Ost-West-Konflikt noch lehrreichen) Studie über Frieden und Krieg bezeichnet Raymond Aron den Soldaten ausdrücklich als Repräsentanten und stellt ihn dem Diplomaten, der ebenfalls Repräsentant ist, zur Seite. Siehe Raymond Aron, Frieden und Krieg. Eine Theorie der Staatenwelt (1962), mit einem Geleitwort zur Neuausgabe von Richard Läwenthal, Frankfurt am Main 1986, 14. Arons Vorstellungen vom Repräsentanten des politischen Verbandes stimmen mit den Überlegungen Hartmanns zur Repräsentation überein. (Siehe Hartmann, 320 ff.). 37 Siehe zu dieser Unterscheidung bereits oben 89, Fn. 185. 14 Henkel

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Dies ist der zentrale Grund dafur, daß der Krieg - sofern nicht Weltanschauungskrieg - zum Wohle der Kombattanten und der Zivilbevölkerung rechtlich gehegt und damit in einem ethischen Sinne humanisiert werden kann. Der Soldat wird im Krieg nicht in seinem Sosein negiert, sondern als Repräsentant des politischen Verbandes betrachtet, dem er angehört. Da dieses Repräsentant-Sein nichts mit der jeweiligen Person des Soldaten als solcher zu tun hat, ist es auch möglich, seine Person im Krieg zu schützen, wie das klassische Kriegsvölkerrecht besonders eindrucksvoll zeigt. 38 Man kann diesbezüglich vom Frieden im Krieg sprechen, sofern die Person als solche vor Desavouierung geschützt werden sol1.39 Der Krieg beeinträchtigt die Menschen nicht nur sofern er ein Gewaltphänomen darstellt. Mit anderer destruktiver Interaktion politischer Verbände hat er gemein, daß er von den Menschen (sowohl von Kombattanten als auch NichtKombattanten) als Zwangsverhältnis empfunden wird. Als ein solches ist der Krieg zwar kein Unfrieden. Dies heißt jedoch nicht, daß er von den Menschen nicht als Übel empfunden würde, dessen Ende ersehnt wird. Diese Zwangswirkung des Krieges resultiert aus der Tats.ache, daß die Menschen ihm unentrinn31 So gibt es heute eine Vielzahl kriegsvölkerrechtlicher Regelungen (insbes. das sog. "Haager" und das "Genfer" Recht), die beispielsweise bewaffnete Schädigungshandlungen begrenzen, bestimmte Methoden des Kampfes ebenso wie bestimmte Kampfmittel verbieten, verwundeten. kranken oder schiffbrüchigen Streitkräfteangehörigen oder Gefangenen und schließlich auch der Zivilbevölkerung Schutz gewähren. (Siehe dazu einfUhrend das 15. Kapitel von Knut lpsen und Horst Fischer in: Ipsen (= §§ 61-71, hier insbes. § 66 Rn. 10 ff. und § 67) mit zahlreichen Literaturhinweisen; ferner 0110 Kimminich, Einftihrung in das Völkerrecht, 5. Auflage (Nachdruck der 4., ergänzten und verbesserten Auflage 1990), Tübingen, Basel 1992, 423 ff. Zur Hegung des Krieges siehe Schmill, Nomos. passim.; 0110 Kimminich, Schutz der Menschen in bewaffneten Konflikten. Zur Fortentwicklung des humanistischen Völkerrechts, München, Mainz 1979 (insbes. 130-167, 167-197 und 197-230). 39 Daher schreibt Hegel: "Die neueren Kriege werden ... menschlich gefiihrt, und die Person ist nicht in Haß der Person gegenüber" (Hegel, Rph, § 338 Zus.). Mühlmann weist darauf hin, daß "die kriegsrechtiichen Errungenschaften des geregelten Kampfes [,) schon bei Naturvölkern zu finden" seien und spricht in diesem Kontext von "formellen Einschränkungen und Milderungen". (Wilhelm E. Mühlmann, Krieg und Frieden, in: Wilhelm Bernsdorfl Friedrich Bülow (Hrsg.), Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1955, 269-273, hier 272; siehe dazu ausfiihrlich die zum Teil außerordentlich lehrreiche Studie von Müh/mann, Krieg und Frieden. Ein Leitfaden der politischen Ethnologie. Mit Brücksichtigung völkerkundlichen und geschichtlichen Stoffes, Heidelberg 1940,113-123). Aus der Verknüpfung des den Krieg hegenden Rechts und der Regularität der Kämpfenden ergeben sich besondere Probleme fiir die Behandlung irregulärer Kombattanten (insbes. Partisanen) im Krieg. Siehe hierzu Schmitt, Theorie des Partisanen; ders. (mit Joachim Schicke/), Gespräch über den Partisanen, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos, 619-636 (mit Anmerkungen und einern Anhang Maschkes zu dem Text, ebenda, 636-642) und die Beiträge in: Herfried Münkler (Hrsg.), Der Partisan. Theorie, Strategie, Gestalt, Opladen 1990.

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bar ausgesetzt sind, weil er ein Verhältnis zwischen politischen Verbänden darstellt: Über den Krieg entscheidet der politische Verband, die zur Handlungseinheit integrierte Allgemeinheit. Der Einzelne vermag daher weder durch seine persönliche Friedensgesinnung noch durch eigene Entscheidung der Gewaltsamkeit des Krieges, in den er involviert ist, ein Ende zu setzen. Krieg ist gleichwohl kein metaphysisch oder etwa biologisch zu verstehendes Schicksal40 , das über die Menschen kommt. Denn auch die Entscheidungen des politischen Verbandes sind Menschenwerk und unterliegen menschlicher, genauer: politischer Gestaltungfähigkeit. Dies wird schon an der Bestimmung des Krieges als eines Mittels der Politik deutlich. Es ist eine politische Entscheidung, ob der Krieg beginnt und ob er endet, und ob diese Entscheidungen fallen, ist keine Frage von Ursachen und Wirkungen, sondern politischer Gestaltung im Umgang der beteiligten politischen Verbände mit einer gemeinsamen Situation. 41 Dementsprechend stellt Quincy Wright treffend fest: "War ... arises immediately in the world of symbols, not in the world of conditions.,,42

40 Angesichts der (insbesondere ethologischen) Diskussion um die biologisch programmierte Aggressivität des Menschen sowie psychologischen Konzepten vom Todesoder Tötungstrieb des Menschen, der zum Krieg führe, ist dies zu betonen. Zu einer prägnanten Kritik dieser Auffassungen siehe z.B. Aleida Assmann / Jan Assmann, Kultur und Konflikt. Aspekte einer Theorie unkommunikativen Handeins, in: Jan Assmann / Dietrich Harth (Hrsg.), Kultur und Konflikt, Frankfurt am Main 1990, 11-48, hier 14 ff. 41 Hiervon zu unterscheiden ist, daß der Krieg seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten und seiner eigenen Dynamik unterworfen ist, die auf der spezifischen Funktionsweise des Militärs und den Notwendigkeiten von militärischer Strategie und Taktik beruhen. Diese militärische Dynamik des Krieges liegt nicht nur als solche außerhalb der politischen Steuerung. Sie trägt darüber hinaus auch die Möglichkeit in sich, daß der von von Clausewitz betonte Primat der Politik gegenüber dem Krieg ("Das Unterordnen des politischen Gesichtspunktes unter den militärischen wäre widersinnig, denn die Politik hat den Krieg erzeugt; sie ist die Intelligenz, der Krieg aber bloß das Instrument, und nicht umgekehrt." - von Clausewitz, Vom Kriege, 993; siehe dazu mit bezug auf von Clausewitz auch Aron, Frieden und Krieg, 33 ff., 38 ff. und 55 ff.) zurückgedrängt wird und stattdessen gewissermaßen ein Primat des Krieges notwendig wird. So kann das politische Mittel Krieg zum (Selbst-) Zweck transformieren: Der Krieg kann in dem Sinne zum totalen Krieg eskalieren, als alle Anstrengungen des betreffenden politischen Verbandes auf die Kriegsführung konzentriert werden. Diese Aussagen beziehen sich aber auf die jeweilige Innenpolitik der kriegführenden politischen Verbände. 42 Wright, A Study of War, 1084. Deutlich wird dies auch bei Mann / Pross, Krieg, 152, die dort zutreffend feststellen: "Der Krieg wird unvermeidlich, weil man ihn für unvermeidlich hält; darum macht man ihn." (Hervorhebung hinzugefügt; siehe ferner ebenda, 153) In diese Richtung argumentiert auch Julien Freund, Friedensforschung Kriegsforschung. Lerne den Krieg kennen, um ihn zu vermeiden, in: Gerd-Klaus Kaltenbrunner (Hrsg.), Bereiten wir den falschen Frieden vor? Vom Gestaltwandel internationaler Konflikte, Freiburg, Basel, Wien 1976. 17-37, hier 33: "Wenn der andere will, 14"

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F. Politik und Frieden: Die Ebene internationaler Interaktion

Dabei bietet nicht nur der Krieg selbst als Interaktionsverhältnis der politischen Verbände genug Gelegenheit, daß die Parteien auch im politischen Gespräch miteinander bleiben. 43 Vielmehr hat der Krieg einen nicht-umfassenden Charakter in dem Sinne, daß er andere Interaktionsverhältnisse zwischen den Parteien nicht ausschließt. Gerade weil die politischen Verbände ihre einzelnen Interaktionen voneinander isoliert halten können, kann es neben dem Krieg (und zeitgleich mit ihm) auch zahlreiche andere, nicht-kriegerische Beziehungen geben, die als Anknüpfungspunkte und gemeinsame Basis für eine Beendigung des Krieges dienen können. Und schließlich gibt es gerade heute internationale Organisationen, in deren Rahmen sich die kriegführenden Parteien treffen (sofern beide in ihnen Mitglieder sind) und welche Möglichkeiten bieten, um (auch mit Hilfe Dritter) im politischen Gespräch zur Beendigung des Krieges zu bleiben. 44 Bei diesen kurzen Bemerkungen muß es im vorliegenden Kontext bleiben. Das Vorstehende läßt nun die Vermutung zu, daß die innere Gestaltung des jeweiligen politischen Verbandes durchaus von Bedeutung ist für dessen Entscheidungen über Krieg oder Nicht-Krieg. Davon wird sogleich noch die Rede sein. Wichtig bleibt die Feststellung, daß es bei der Frage über Krieg und NichtKrieg (d.h. Frieden) um eine die Allgemeinheit betreffende Frage geht, die nicht zur Disposition des Einzelnen steht. Sie ist keine Frage pazifistischer Gesinnung des Einzelnen, sondern eine der Außenverhältnisse einer politischen Gemeinschaft als solcher. Daher kann der Krieg vom Einzelnen durchaus als "Schicksal" erlebt werden - allerdings gilt dies überhaupt für die Geschicke einer politischen Gemeinschaft, die für den Einzelnen immer Schicksalsgemeinschaft ist - was freilich oft erst in Zeiten der Not zu Bewußtsein gelangt.45 Als Fazit läßt sich nunmehr zusammenfassend feststellen: (i.) Im Verhältnis der politischen Verbände untereinander meint Frieden stets den von außen undaß ich sein Feind sei, so bin ich es, trotz aller unterwürfiger Freundschafts- und Friedensbekundungen. " 43 "Kriege sind fast immer von Verhandlungen begleitet gewesen." (Pfetsch, Internationale Politik, 223). Zur Diplomatie im Krieg siehe die ausführliche Studie Hans von Hentig, Der Friedensschluß. Geist und Technik einer verlorenen Kunst (1951), München 1965. 44 Zur Rolle internationaler Organisationen als konferenzdiplomatischen Dauereinrichtungen und Arenen der Diplomatie und Kooperation siehe Volker Rittberger, Internationale Organisationen - Politik und Geschichte, 25 sowie ders., Internationale Organisationen, Theorie der, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, 2., völlig neu bearbeitete Auflage München 1991,363-372, hier Rn. 7. 45 Allerdings bleibt es dem Einzelnen überlassen, wie er hierauf reagiert: Man kann auswandern und sich so der Schicksalsgemeinschaft seines Volkes entziehen, der Soldat kann desertieren und damit den Anspruch der Allgemeinheit an ihn zurückweisen (womit er sich dem Risiko aussetzt, als Deserteur zum public enemy erklärt zu werden).

§ 31: Weltgesellschaft, internationale Integration. Völkerrecht und Frieden

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gestörten politischen Frieden, den sie sich selbst verdanken. Der Frieden der politischen Verbände - ihre politische Existenz - wird nicht durch Interaktion mit anderen politischen Verbänden beeinträchtigt. Dies gilt auch fiir den Fall destruktiv gefiihrter Interaktion. (ii.) Der Frieden der Person bedarf als seiner positive Bedingung in bezug auf die internationale Ebene der Abwesenheit des Krieges. denn nur das internationale Verhältnis des Krieges beeinträchtigt den Frieden der Person und zwar infolge seiner Gewaltsamkeit. DaTÜberhinaus wird der Krieg vom politischen Verband wie von den Menschen auch als zu beendendes Zwangsverhältnis erfahren. Will man von Frieden auf der Ebene des Zusammenlebens politischer Verbände sprechen, so gewinnt man einen sozialontologisch genauen Begriff, wenn man ihn auf den Frieden der Person bezieht und ihn als Abwesenheit von Krieg (als der positiven Bedingung ungehinderter Entfaltung der Person) bestimmt.

§ 31: Weltgesellschaft, internationale Integration, Völkerrecht und Frieden Der hier vorgenommenen Bestimmung des Friedensbegriffs fiir den Bereich der internationalen Beziehungen kann entgegengehalten werden, daß sie sich an einer längst i.iberkommenen Vorstellung des politischen Verbandes und der Souveränität orientiere, welche der gegenwärtigen Situation in der internationalen und supranationalen Politik nicht mehr gerecht werde. Angesichts des Faktums der Weltgesellschaft, zunehmender internationaler Verflechtungen und der Herausbildung inter- bzw. supranationaler Organisationen scheint dieser Einwand auf den ersten Blick berechtigt, weshalb ihm hier nachzugehen ist. Dabei geht es im folgenden nur darum, die Konsequenzen der genannten Entwicklungen für den Begriff des Friedens als Abwesenheit von Krieg aufzuzeigen. In erster Linie wird zu diesem Zweck geklärt, inwiefern der Begriff des (internationalen) Friedens heute in der Tat in einem weltgeschichtlich neuen Kontext der Internationalisierung zu sehen ist und wie sich dieser neue Kontext auf den Frieden der einzelnen politischen Verbände auswirkt. Es ist dabei zu zeigen, daß an der obigen Bestimmung mit guten GrUnden festzuhalten ist. Die Argumentation verläuft wie folgt: Zunächst wird das Faktum der Weltgesellschaft erläutert, das als allgemeiner Hintergrund fiir die Auseinandersetzung mit den ji.ingsten internationalen Entwicklungen angesehen werden kann. Dieser Klärungen folgt eine Auseinandersetzung mit verschiedenen theoretischen Modellen, die in Reaktion auf die zunehmende internationale Verflechtung in der Theorie der internationalen Beziehungen entwickelt wurden. Diese Modelle haben das Problem der Verhinderung des Krieges zum Bezugspunkt und verstehen sich so meist auch explizit als Theorien des internationalen Friedens. Die Auseinandersetzung hiennit kann sich an einem Schema orientieren,

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F. Politik und Frieden: Die Ebene internationaler Interaktion

das Raymond Aron in seiner Studie über Frieden und Krieg verwendet: Aron unterscheidet zwei Arten von Theorien, die den Weg einer Zurückdrängung und schließlichen Überwindung des Krieges aufzeigen46 : Zum einen solche, welche die Überwindung des Krieges im Völkerrecht sehen und die dabei prinzipiell an der Existenz eines Pluriversums von Staaten festhalten, zum anderen solche, die diese Leistung einer Überwindung der Pluralität von Staatlichkeit zusprechen, die also den Gedanken internationaler Integration verfolgen. Diesem - sehr groben - Schema entsprechend, wird nachfolgend zunächst die Idee des Weltstaates (§ 31.1.) und sodann jene des Friedens durch Völkerrecht betrachtet (§ 31.3.), wobei nicht beabsichtigt ist, die unterschiedlichsten Theorien im Detail zu besprechen oder auch nur einen in irgendeinem Sinne vollständigen Überblick über die Entwürfe zu vermitteln. Es geht allein um die Explikation der Grundideen und deren Zusammenhang mit der Problematik des internationalen Friedens. In einem weiteren Schritt werden in Anlehnung an Kant die Modelle eines Staatenstaates und eines Staatenbundes erörtert, wobei der Staatenstaat im Sinne der Unterscheidung Arons ein "Mischmodell" insofern darstellt, als einerseits an der Pluralität der Staaten festgehalten und zugleich andererseits die Idee der politischen Integration aufgegriffen wird (§ 31.4.). In diesem Kontext wird der Begriff der Souveränität nochmals zu behandeln sein. Zwar erheben auch die folgenden Ausführungen einen theoretischen Universalitätsanspruch. Gleichwohl bleibt zu bedenken, daß die zu erörternden Entwicklungen im wesentlichen weltgeschichtlich sehr jungen Datums sind. Daher können die theoretischen Gehalte zwar generell auch "rückwärts" in die Geschichte extrapoliert werden, gleichwohl erfolgt ihre Ausarbeitung hier in Auseinandersetzung mit den internationalen Prozessen der Gegenwart und primär im Hinblick auf diese. Die ohne weiteres mögliche Modifikation der theoretischen Aussagen für deren Anwendung auf andere historische Epochen internationaler Politik muß demgegenüber unberücksichtigt bleiben. Um dies deutlich zu machen, wird im folgenden meist nicht mehr allgemein vom politischen Verband, sondern überwiegend vom Staat gesprochen. Die weitere Diskussion ist vor dem Hintergrund einer kurzen Betrachtung des Faktums der Weltgesellschaft zu filhren. Die Vorstellung einer Weltgesellschaft läßt sich auf empirische Untersuchungen47 ebenso wie auf theoretische Überlegungen stützen, wobei insbesondere Luhmann eine theoretische Präzisie46 Siehe dazu Aron, Frieden und Krieg, 815 ff. (Der Frieden durch das Gesetz) und 853 ff. (Der Frieden durch den Weltstaat), zu der Unterscheidung ausdrücklich 818 ff. und 853. 47 Siehe beispielsweise James Dilloway, Is World Order Evolving? An Adventure into Human Potential, Oxford, New York, Beijing, Frankfurt u.a. 1986 oder Peter Heintz, Die Weltgesellschaft im Spiegel von Ereignissen, Dissenhofen (eH) 1982.

§ 31: Weltgesellschaft, internationale Integration, Völkerrecht und Frieden

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rung vorgenommen hat. 48 Man kann insoweit von der Existenz einer WeItgesellschaft sprechen, als die Menschen sich faktisch zunehmend über die Grenzen der Staaten hinweg in intendierten wie nicht-intendierten Interaktionsverhältnissen befinden, wobei die Besonderheit heute darin besteht, daß diese Verhältnisse sich auf den gesamten finiten Globus erstrecken. Daher spricht Luhmann davon, daß "die Weltgesellschaft ... ein evolutionär völlig neuartiges Phänomen,,49 sei.

In der Weltgesellschaft überschreiten Menschen, Technik, Wirtschaft, Medien und Wissenschaft die Grenzen von Staaten und etablieren sich weltweit, wobei in den einzelnen Bereichen Konvergenzen und sachliche Intergrationsprozesse (etwa: ökonomische Integration im Sinne gemeinsamer Märkte) feststellbar sind. 50 1. Der Weltstaat

In Analogie des Leviathanvertragsmodells läßt sich - ausgehend vom Faktum der Weltgesellschaft - ein Weltstaat denken, der von allen auf der Welt lebenden Menschen konstituiert würde und mit dem per definitionem ein welt-

48 Luhmann geht in seiner Konzeption vom Kommunikationsbegritf und der Gesellschaft als umfassendem Kommunikationssystem aus. Siehe Niklas Luhmann, Die Weltgesellschaft, in: ders., Soziologische Aufklärung 2: Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft, 4. Auflage, Opladen 1991,51-71 und ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft, erster Teilband, 145 tf. Eine theoretische Konzeptionalisierung im Anschluß an die Unterscheidung von Gemeinschaft und Gesellschaft bei Tännies und Weber entwickeln Ma-

thias Albert I Lothar Brock I Hilmar Schmidt I Christoph Weller I Klaus Dieter Wolf,

Weltgesellschaft: Identifizierung eines Phantoms, in: PVS 37 (1996),5-26. Siehe auch

Eva Senghaas-Knobloch, Wie theoriefähig ist der Frieden? Zu systemischen und lebensweltlichen Dimensionen der Weltgesellschaft, in: Jopp (Hrsg.), Dimensionen des Friedens, 51-66 sowie Buchheim, TdP, 99 f. und die Diskussion der übernationalen Gesellschaft im Kontext der Entwicklungen im Völkerrecht bei Aron, Frieden und Krieg,

129-136 und 846 tf. 49 Luhmann, Die Weltgesellschaft, 57. 50 Siehe dazu Dilloway, Is World Order Evolving?, passim. Sachliche Integration wird hier von politischer Integration unterschieden, wobei sich diese Unterscheidung an derjenigen von persönlichem und sachlichem Sinn orientiert. Sachliche Integration verläuft zwar in der Regel nicht unabhängig von der Politik, weil sie wesentlich von dieser initiiert und betrieben wird, sie ist aber als solche selbst keine politische Integration, selbst wenn z.B. ein ökonomischer Zusammenschluß in einer ökonomischen Organisation politische Komponenten aufweist. (Siehe insbesondere zur Unterscheidung von politischer und ökonomischer Integration etwa Ruth Zimmerling, Externe Einflüsse auf die Integration von Staaten. Zur politikwissenschaftlichen Theorie regionaler Zusammenschlüsse, Freiburg i.Br., München 1991, 17, 30 tf., 73 tf., 112 und passim; siehe auch Deutsch, Analyse internationaler Beziehungen, besonders 272-289).

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F. Politik und Frieden: Die Ebene internationaler Interaktion

weiter Frieden unter den Menschen erreicht wäre. 51 Ein solcher Weltstaat könnte dabei prinzipiell föderalen Charakter haben (und hätte diesen vennutlich auch). Gegen die Idee eines Weltstaates ist vor allem in Stellung gebracht worden, daß ein solcher zum einen "nur ... durch gewaltsame Welteroberung,,52 zu errichten, zum anderen, daß er in besonderem Maße der Gefahr ausgesetzt wäre, sich zu einer Despotie zu entwickeln - und, so Kant, "zuletzt doch in Anarchie,,53 verfallen müsse. Trotz solcher Warnungen vor dem Weltstaat finden sich immer wieder (namentlich in der Philosophie) Autoren, die in ihm die letztlich einzige Möglichkeit sehen, den Weltfrieden zu erreichen und auf Dauer zu stellen, wobei die Wege, wie ein solcher Staat zustande zu kommen hätte, ebenso wie seine konkrete Ausgestaltung, unterschiedlich (und meist nur vage) vorgestellt werden. 54 Es soll hier weder darüber befunden werden, ob ein Weltstaat wünschenswert ist, noch ob er notwendigerweise einen Weg in die Knechtschaft darstellen muß. In Anknüpfung an die Überlegungen zum Ordnungswissen und dessen Zu51 Mutatis mutandis kann man die nachfolgenden Überlegungen auch auf einzelne Weltregionen anwenden, also etwa auf Europa und einen europäischen Bürgerstaat. Dasselbe gilt flir die späteren Überlegungen zu Staatenbund und Staaten staat. 52 Karl Jaspers, Die Atombombe und die Zukunft des Menschen. Politisches Bewußtsein in unserer Zeit (1958), 7. Auflage, München 1983, 146. 53 Kant, EF. 367. Zu einer engagierten Kritik der Weltstaatsidee siehe auch Rittberger, Internationale Organisationen - Politik und Geschichte, 249. 54 Einen unitarischen Weltstaat befürwortet offensichtlich Bertrand RusselI, Der Weg zum Weltstaat, in: Der Monat I (1948),4-8. Dort (5) bezeichnet Russell den Weltstaat (wörtlich: "eine Weltregierung mit einem militärischen Monopol") als das einzige System, das Kriege unmöglich mache (siehe auch eben da, 7). Siehe auch ders., Moral und Politik (1954), Frankfurt am Main 1988, 198 fT. Ein unitarischer Weltstaat ist ferner die Konsequenz der Zivilisationstheorie Elias'. (Siehe dazu schon oben 161). Demgegenüber plädieren etwa Carl Friedrich von Weizsäcker und Arnold Toynbee flir einen föderalen Weltstaat. Siehe Carl Friedrich von Weizsäcker, Der ungesicherte Friede, 2. Auflage, Göttingen 1979, beispielsweise 35: "Der Weltfriede, den wir jetzt schaffen müssen ... ist Weltinnenpolitik. Ich vermute, daß er einer, möglichst föderativen, Zentralautorität mit Waffenmonopol bedürfen wird." Toynbee entwickelt seine Ideen in Arnold Toynbee, Menschheit - woher und wohin? Plädoyer flir den Weltstaat (1966), Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1969, 130 ff., insbes. 132 f. In der politischen Philosophie ist die Problematik eines Weltstaates seit einiger Zeit - unter anderem ausgelöst durch die Debatte um Kants Friedensschrift - Gegenstand verstärkten Interesses. Dabei haben sich etwa Ju/ian Nida-Rüme/in oder Christoph Horn flir einen Weltstaat ausgesprochen; siehe Ju/ian Nida-Rüme/in, Ewiger Friede zwischen Moralismus und Hobbesianismus, in: Merkel/ Wittmann (Hrsg.), "Zum ewigen Frieden. Grundlagen, Aktualität und Aussichten einer Idee von Immanuel Kant, 239-255, hier 251 ff. und Christoph Horn, Philosophische Argumente flir einen Weltstaat, in: Allgemeine Zeitschrift flir Philosophie, 21 (1996), 229-251. Sieher ferner Kaufmann, Gerechtigkeit, 116 ff., insbes. 121. Zur Diskussion auch Wolfgang Kersting, Philosophische Friedenstheorie und internationale Friedensordnung, in: ders., Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend. Abhandlungen zur praktischen Philosophie der Gegenwart, Frankfurt am Main 1997,316-350. hier 332 ff.

§ 3 I: Weltgesellschaft, internationale Integration, Völkerrecht und Frieden

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sammenhang mit der Konstitution eines politischen Verbandes ist hier nur den Bedingungen nachzugehen, welche erfiillt sein müßten, um den Frieden unter allen Menschen auf dem Wege eines ihnen gemeinsamen Weltstaates zu erreichen. Entscheidend ist bei dieser Frage das politische Bewußtsein der Menschen: Ein Weltstaat setzt nicht nur ein gemeinsames abstraktes Konzept voraus, an welchem orientiert das weltweit-gemeinsame Zusammenleben zu organisieren und zu gestalten ist. 55 Vielmehr muß dieses Konzept einem gemeinsamen Ordnungswissen entspringen, d.h. einem auf gemeinsamer Erfahrung beruhenden Wissen darum, wie jene konkrete Organisation und Gestaltung vorzunehmen sind. Und damit solches wirksam werden kann, müssen die Menschen ihr Nebeneinander auch als gemeinsames Problem erfahren und deuten. Erst, wenn das weltweite Zusammenleben aller Menschen diesen als Problem bewußt wird, können sie sich auch auf einen gemeinsamen Staat einigen, kann eine Integration zum Weltstaat erfolgen, wobei diese Integration, analog zum traditionellen politischen Verband stets ein ausdrücklicher politischer Akt wäre. Auf diesem Wege ist ein Weltstaat durchaus denkbar und seine Idee ist angesichts der Weltgesellschaft heute weniger unrealistisch denn je. Gleichwohl kann auch gegenwärtig keineswegs von einem Bewußtsein eines weltweiten Problems des Zusammenlebens aller Menschen auf dem Globus gesprochen werden, von einem weltweit gemeinsamen Ordnungswissen und einem dementsprechenden gemeinsamen Wir sogar noch weniger. Dabei ist an dieser Stelle daran zu erinnern, daß Mentalitäten und Ordnungswissen sich auf persönlichen Sinn beziehen. Daß in diesem Bereich keine weltweiten Gemeinsamkeiten vorliegen, muß nicht zugleich bedeuten, daß es gar keine weltweiten gemeinsamen Identitäten oder gemeinsames praktisches Wissen gebe: Mit den Globalisierungen von Technik, Wirtschaft, Wissenschaft etc. können auch globale oder doch grenzüberschreitende Identitätsbildungen einhergehen (z.B. eine globale Identität der Naturwissenschaftler). Dieses Phänomen ist historisch besonders aus dem Bereich religiöser Identität bekannt: Es existieren religiöse Identitäten über politische Grenzen hinweg, ohne daß hier-

55 Ein solches Konzept, das weltweit Anwendung finden kann, liegt schon vor: es ist die Leitidee, die den Verfassungsstaaten westlicher Prägung zugrundeliegt, die Leitidee der Person. Diese ist an sich universell, da hier der Mensch nicht gilt "weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener usf. ist", sondern "weil er Mensch ist" (Hegel, Rph, § 209 Anm., siehe schon oben 139, Fn. 65). Aber wie man an jenen Staaten sehen kann, ist die Ausgestaltung des politisch-öffentlichen Lebens in ihnen trotz des gemeinsamen abstrakten Bekenntnisses zur selben Leitidee höchst unterschiedlich, weil sie auf unterschiedlichem Ordnungswissen, auf unterschiedlicher Geschichte und unterschiedlichen Traditionen basieren. Demnach genügt das abstrakte Bekenntnis alleine noch nicht (was etwa bei den Menschenrechten leicht zu erkennen ist).

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F. Politik und Frieden: Die Ebene internationaler Interaktion

aus eine Konsequenz fUr den gesamtgesellschaftlichen Frieden der einzelnen politischen Verbände folgte. 56 Entscheidend ist nämlich, daß die weltweiten Identitäten durchaus nicht zu einer gemeinsamen politischen Identität, zu einem gemeinsamen Ordnungswissen der Menschen fuhren. Schon oben wurde die Pluralität und Gleichzeitigkeit von kollektiven Identitäten hervorgehoben. 57 Hiernach kann eine gemeinsame Identität erst dann auch zur Integration in einem politischen Verband fuhren, wenn eine konkrete unter mehreren Identitäten politisch wird, d.h. als Leitidee des gemeinsamen Zusammenlebens übernommen wird. Es kann also etwa ein weltweit gemeinsames praktisches Wissen im Bereich der Wirtschaft und eine diesem entsprechende Weltwirtschaft geben, ohne daß dieses praktische Wissen auch eine gemeinsame politische Identität zur Folge hätte. 58

56 In diesem Kontext ist das Phänomen des Gottesfriedens (in einem nicht nur auf die mittelalterliche treuga-Dei-Bewegung beschränkten, sondern weiteren Sinne) besonders interessant. Beim Gottesfrieden wird aufgrund einer gemeinsamen religiösen Identität und des daraus resultierenden gemeinsamen religiösen Kultes zwischen unabhängigen politischen Verbänden oder Gruppen das Schweigen der WatTen vereinbart. Das Religiöse wird also in dem Sinne politisch, als fUr bestimmte Situationen die gemeinsame nicht-kriegerische Interaktion an religiösem Sinn orientiert wird. Daß dieses Fundament in der Regel nicht hinreicht, dauerhaft den Frieden zu sichern, mag als Hinweis darauf gelten, daß die gemeinsame Religion nicht zugleich auch eine tragfähige Mentalität der Kriegsächtung darstellt. Zu einer solchen Mentalität siehe ausfUhrlieh unten § 32; zu diesem Gottesfrieden im weiteren Sinne siehe mit zahlreichen historischen und ethnologischen Beispielen Mühlmann, Rassen, Ethnien, Kulturen, 313-319. Dort stellt Mühlmann (319) fest: "Die politische Einigung, die ja mit der Erweiterung des Friedensgebietes gleichbedeutend ist, kommt als dauernde Leistung nicht auf religiöser Grundlage zustande. Sie ist die Leistung eines spezifisch politischen Willens." Siehe dazu auch Mühlmann, Krieg und Frieden. Ein Leitfaden der politischen Ethnologie, 132 tT. Zur mittelalterlich-abendländischen Gottes- und Landfriedensbewegung siehe Ohler, 299-304. 57 Siehe oben 75 f. und die Literaturhinweise dort in Fn. 137. 58 Hier wird wieder auf die Unterscheidung zwischen sachlichem und persönlichem Sinn rekurriert. Der Mangel diese Unterscheidung kann dann zu theoretischen Schwierigkeiten fUhren, wenn man einerseits den Weltstaat fUr nicht "sonderlich wünschenswert" hält und ihn ablehnt, andererseits aber das Faktum der Weltgesellschaft akzeptiert, zugleich aber klären will, warum aus der Weltgesellschaft kein Weltstaat resultiert. Kersting gibt hier unter anderem als Argument an, daß die Welt kein gemeinsames "Kooperationssystem der Weltbürger" sei, da "vielfältige Interdependenzen und umfassende Handlungsbeziehungen ... noch kein kooperatives Unternehmen zu wechselseitigem Vorteil" darstellten. Welcher Art "Unternehmen" aber ist dann beispielsweise die globale Marktwirtschaft zuzurechnen, wenn nicht einem solchen zu wechselseitigem Vorteil? Entscheidend fUr die politische Integration eines Weltstaates ist jedoch überhaupt nicht die Frage, ob es globale Interdependenzen zu wechselseitigem Vorteil gibt (es gibt sie). Entscheidend ist, daß aus solchen Interdependenzen noch kein gemeinsamer Wille aller Menschen zum Weltstaat resultiert, da sich jene Interdependenzen und Kooperationen auf sachlichen Sinn beziehen, nicht aber auf das Problem des weltweiten Zusammenlebens aller Menschen. Zu Kerstings Argumentation siehe Wolfgang Kersting, Weltfriedensordnung und globale Verteilungsgerechtigkeit. Kants Konzeption eines

§ 31: Weltgesellschaf't, internationale Integration, Völkerrecht und Frieden

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Supranationale Identitäten sind bisher zudem inhaltlich höchst partikular und eben in der Regel nicht auf das Zusammenleben, sondern auf das Zusammenwirken zur Verfolgung gemeinsamer Zwecke (sofern diese als gemeinsame Zwecke erkannt werden) gerichtet, das sich immer schon im Rahmen gegebener politischer Verbände und deren Frieden abspielt. Daher gilt trotz des Faktums der Weltgesellschaft, daß sich die politische Interaktion der Menschen nach wie yor an geographisch regional differenzierten Sinngehalten orientiert, welche die Gesellschaften sich aufgrund ihrer jeweils besonderen Geschichte zu politisch existenten Subjekten artikulieren läßt. Das Vorstehende gilt es beim Gebrauch des Gesellschaftsbegriffs zu bedenken. Dieser bleibt in der vorliegenden Arbeit auf die politische Organisation der Menschen bezogen und ist dementsprechend "alt-europäisch", ohne daß damit zugleich das Faktum der Weltgesellschaft geleugnet werden müßte 59 : Der Gevollständigen Rechtsfriedens und die gegenwärtige politische Philosophie der internationalen Beziehungen, in: Reinhard Merkel/ Roland Wittmann (Hrsg.), "Zum ewigen Frieden". Grundlagen, Aktualität und Aussichten einer Idee von Immanuel Kant, 172-212, 197 f., die Zitate sind auf 199, 197 und 197 f. Eine umfangreichere Fassung der Arbeit Kerstings findet sich unter dem Titel Globale Rechtsordnung oder weltweite Verteilungsgerechtigkeit? Über den systematischen grund riß einer politischen Philosophie der internationalen Beziehungen, in: Politisches Denken. Jahrbuch 1995/96, 197-246. 59 Im übrigen sollte in diesem Kontext wenigstens darauf hingewiesen werden, daß man das Vorhandensein der Weltgesellschaft auch skeptischer betrachten kann, als dies hier getan wird. Dort, wo es historisch überhaupt Beziehungen zwischen Mitgliedern unterschiedlicher politischer Verbände gab, waren Wirtschaft, Technik und Wissenschaft meist international und gab es so betrachtet auch früher schon "Weitgesellschaften". Das tatsächlich Neue ist heute, daß "Welt" für uns jetzt den finiten Globus umfaßtund zunehmend weltweit über Medien und Verkehrsmöglichkeiten subjektiv erfahrbar wird. Das quantitative Anwachsen globaler ökonomischer, technischer und wissenschaftlicher Interaktion in der Neuzeit besagt daher eigentlich noch wenig über qualitative Wandlungen hin zu einer neuen Weltgesellschaft. Die Rede von der "Neuerung", die in der "Konstituierung eines weltweiten Bewußtseinshorizontes" (Luhmann, Die Weltgesellschaft, 67, Fn. 12; siehe auch 54 f.) zu sehen sei, könnte sich als Neuauflage alter Vorstellungen erweisen, nämlich daß der euro-amerikanische Kulturkreis die "Welt" sei; denn wie es mit einem "weltweiten Bewußtseinshorizont" in verschiedenen Teilen der Welt tatsächlich bestellt ist, wäre noch zu überprüfen. Es sei aber auch darauf hingewiesen, daß Luhmann über sein Postulat der Weltgesellschaft nicht zur Konsequenz eines Weltstaates gelangt. Die politische Organisation bleibt bei ihm regionalen politischen Subsystemen der Weltgesellschaft überlassen, zumal er die Übertragung der europäisch-neuzeitlichen Kombination von Recht und Politik im modernen Staat auf das "System der Weltgesellschaft" zu Recht skeptisch beurteilt. (Siehe ebenda, 57 und ausfiihrlich zur politischen Organisation der Weltgesellschaft in Terrotorialstaaten Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, Kapitel 5 (Der Staat der Gesellschaft), Abschn. III.). Obwohl Dilloway, Is World Order Evolving?, 34 ff. in den UN eine Stufe auf dem Weg zur sich ausbildenden Welt-Organisation sieht, bedeutet letztere fiir ihn keinen '''superstate' , and perhaps not even a world government." (Ebenda, 20 I). Einen skeptischen Standpunkt gegenüber Faktum wie gegenüber dem Begriff der Weltgesellschaft vertritt Gerhard Wagner, Die Weltgesellschaft. Zur Kritik und Über-

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seIlschaftsbegriff im Kontext der Friedensproblematik bleibt auf kollektive politische Identitäten ausgerichtetet. Gesellschaft bedeutet in diesem Sinne, daß ein gemeinsames Wir sich durch gemeinsame Geschichte und Erfahrung ausbildet, welche weltgeschichtlich immer regional ausdifferenziert sind und an weichen die politische Konstitution der betreffenden Kollektive anknüpft. 60 Daher ist die Weltgesellschaft heute kein politischer Begriff. 61 Dieses Resultat wiederum ist nicht gleichbedeutend damit, daß das Faktum der Weltgesellschaft keine politische Relevanz oder politische Konsequenzen hätte. Tatsächlich gehen mit den gesellschaftlichen Globalisierungsprozessen mannigfache politische Probleme wie die Internationalisierung des Warenverkehrs, der Dienstleistungen, des Verbrechens, der Migrationsströme etc. einher. Ferner fUhren die Globalisierungsprozesse zur Zunahme von Akteuren auf allen Ebenen von Interaktionsbeziehungen. 62 Jedoch sind die aus den Globalisierungsvorgängen resultiewindung einer soziologischen Fiktion, in: Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft, 24 (1996), 539-556. Wagner macht (543 f.) unter Hinweis auf J Friedman darauf aufmerksam, daß Globalisierung kein historisch neues Phänomen sei und weist auf die Bedeutung der Raum- und Mondflüge für die Wahrnehmung der (einen) Menschheit hin (546 tT., insbes. 549 f.). Eine Kritik Luhmanns findet sich 546; Wagners eigene Vorschläge, die globale Gesellschaft angemessen zu konzeptionalisieren 551 tT. 60 Dabei waren die Grenzen zwischen derart unterschiedenen Kollektiven nicht "von Natur aus" scharf gezogen, aber sie wurden scharf durch die in bezug auf ihre Grenzen gewissermaßen kontingente Konstituierung politischer Verbände durch jene Menschen, die sich jeweils in ihnen zusammenfanden. 61 In diesem Sinne spricht auch Schmitt davon, daß "Menschheit ... kein politischer Begriff' ist. (Schmitt, BP, 55). Daß die Menschheit kein politischer Begriff ist, schließt allerdings nicht aus, daß sie nicht beispielsweise ein ökonomischer oder ein moralischer Begriff ist. Vor diesem Hintergrund ist auch die einfache Transformation des Leviathanvertragsmodells auf weltgesellschaftliche Verhältnisse zu beurteilen. Gewiß läßt sich die Vorstellung eines Urzustandes ohne weiteres globalisieren, so daß dessen Überwindung durch den staatskonstituierenden Vertrag einen Weltstaat und damit (in Analogie zum Modell des politischen Verbandes als des Repräsentanten der Gesellschaft) den weltweiten politischen Frieden unter den Menschen herstellte. Der heuristische Wert des Modells ist aber in bezug auf eine abstrakt gedachte Weltgesellschaft im Urzustand viel geringer als beim partikularen politischen Verband, weil bei letzterem immer schon ein gemeinsames Fundament, das dem politischen Konstitutionsakt vorausliegt, ohne weiteres mitgedacht werden kann, während der globale Urzustand völlig abstrakt bleiben muß. Wolfgang Kerstings Argument, daß es "innerhalb der begrifflichen Arrangements des Naturzustandsarguments nicht möglich" sei, "Grenzen zu ziehen und unterschiedliche Vertragsgemeinschaften anzunehmen" und daß der "Naturzustand ... selbst so groß wie die Welt" sei, ist daher logisch zwar zutreffend, zugleich aber auch nicht mehr besonders spannend, weil die eigentlichen Probleme hier umgangen werden. (Die Zitate sind aus Kersting, Weltfriedensordnung und globale Verteilungsgerechtigkeit, 180). 62 Die sich aus dem Vorstehenden ergebenden theoretischen Probleme werden gegenwärtig beispielsweise unter dem Stichwort global governance diskutiert. Siehe etwa Dirk Messner I Franz Nuscheler, Global Governance. Herausforderungen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, in: Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 337-361; Dirk Messner, Die Transformation von Staat und Politik im Globalisierungsprozeß, in: ders.

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renden Probleme als politische Probleme zunächst solche in den Beziehungen der Staaten untereinander (und haben dementsprechend eine internationale Verflechtung auch der Politik zur Folge) oder aber der einzelnen Staaten in ihren Binnenverhältnissen. In bezug auf das Problem des Friedens kann man resümieren, daß der Weltstaat eine Denkmögl ichkeit bleibt und jedenfalls vor dem Hintergrund auch real möglich ist, als er sich in Analogi~ einzelner Staaten unter den aufgewiesenen Bedingul1gen realisieren ließe. Daß jedoch die Realisierung der Bedingungen zur Ermöglichung eines Weltstaates heute in Sicht wäre, wird man trotz aller weltweiten Verflechtung kaum behaupten können. Das friedliche Zusammenleben aller Menschen auf dem Globus bedarf nach wie vor der Vermittlung durch die Staaten, in welchen die Menschen leben. 2. Exkurs: Frieden durch Ökonomie und die funktionalistische Theorie der Integration Wenn heute von Globalisierung die Rede ist, bezieht sich dies gerade nicht auf die Probleme des Zusammenlebens von Menschen in einem gemeinsamen politischen Verband. sondern auf funktionale Teilbereiche, in welchen sachlicher Sinn die Orientierungen liefert. Auch wenn sich diese Bereiche weltweit vereinheitlichen, hat dies fiir das globale Zusammenleben der Menschen nur Konsequenzen, die über die Staaten vermittelt sind. In diesen Kontext sind auch jene Konzeptionen einzuordnen, welche einen (Welt-) Frieden - also den auf Dauer gestellten Nicht-Krieg - von einem möglichst weltweiten ökonomischen Marktsystem erwarten. Diese Vorstellungen haben eine längere Tradition 63 und finden sich beispielsweise bei Joseph A. Schumpeter. 64 Man kann die ökonomischen Friedenstheorien als Varianten dessen ansehen, was in der Theorie der internationalen Beziehungen als Funktionalismus bekannt ist. 65 Da der funktionalismus in be(Hrsg.), Die Zukunft des Staates und der Politik. Möglichkeiten und Grenzen politischer Steuerung in der Weltgesellschaft, Bonn 1998, 14-43, bes. 21 tT., 28 tT. 63 Sie sind vor allem unter dem Schlagwort "Frieden durch (Frei-) Handel" bekannt, dessen Theorie beispielsweise Tocqueville, Richard Cobden, Jean-Babtiste Say oder John A. Hobson vertraten. Siehe dazu Czempiel, Friedensstrategien, 146-155; siehe ferner Iring Fetscher, Modelle der Friedenssicherung (Mit einem Anhang: Marxistischleninistische friedenskonzeptionen) 2. Auflage, München 1973,38-43. 64 Siehe dazu Czempiel, Friedensstrategien, 152-154 sowie den als Dokument 26, ebenda, 228 tT. abgedruckten Text Schumpeters. 65 Siehe zum Funktionalismus die detaillierte Darstellung bei Zimmerling, Integration von Staaten, 66 tT. und 89 ff.; ferner Behrens / Noack, Theorien, 135 tT. sowie in bezug auf die funktionalistische Konzeption internationaler Organisationen Klaus Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen. Darstellung und kritische Analyse eines Topos im Reformprozeß der Vereinten Nationen, Berlin 1994, 224-340. Explizit als Friedenstheorie wird der Funktionalismus behandelt von Eva Senghaas-Knobloch, Frieden durch Integration und Assoziation. Literaturbericht und Problemstudien (Stu-

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zug auf den Frieden die umfassendere Theorie darstellt, soll die Aufmerksamkeit diesem gewidmet werden. In ihrer in erster Linie von David Mitran/ 6 repräsentierten Form versteht sich der Funktionalismus vor allem auch als Theorie des internationalen Friedens. Er sieht die Möglichkeit der Beseitigung des Krieges in der Aufhebung der Kriegsursachen, welche vor allem in ökonomischen und sozialen Lebensbedingungen der Menschen verortet werden, wobei diese Probleme nicht mehr adäquat von den Nationalstaaten zu meistern seien. Die Lösung wird darin gesehen, daß die politische Organisation der Menschheit in souveränen Staaten von einer funktionalen Organisation abgelöst werden soll: in einer zunehmenden Zahl funktionaler Bereiche - und zwar insbesondere im ökonomischen Bereich - soll die Zusammenarbeit über politische Grenzen hinweg verstärkt und vertieft werden, "insbesondere in technischen Fragen und im Bereich der Wohlfahrtssicherung. Als Effekt einer solchen Zusammenarbeit ... entwickeln sich mit der Zeit Strukturen und Muster internationaler Kooperation und Solidarität, welche eine tragfähige Grundlage für friedliche Beziehungen zwischen den Staaten ... abgeben."67 Auf diese Weise erfolgt durch funktionale Koordination eine Integration zwischen den Staaten, die zur Errichtung supranationaler Institutionen fuhrt. Am Ende dieses Prozesses steht diesen Vorstellungen entsprechend einerseits eine Vielzahl funktionaler supranationaler Organisationen, die wiederum andererseits, wie Daniel Frei festhält, "die Trennmauern zwischen den Staaten von unten allmählich erodieren und schließlich völlig zum Verschwinden,,68 bringen: "World government will gradually evolve through their perfonnance. ,,69 Ausgangspunkt dieser Vorstellungen ist die theoretische Trennung von politischem und funktional-sachlichem Bereich, wobei Politik als dissoziativ, Sachlichkeit hingegen als assoziativ verstanden wird. 7o Die theoretische Pointe des Mitranyschen Funktionalismus besteht dann darin, daß der Frieden - bisher stets bedroht durch die Politik der Staaten - als Resultat einer Entpolitisierung gedacht wird. Mithin fUhrt die Logik des Funktionalismus "letztlich vom Unpolitischen zum Politischen. Die politische Integration würde sozusagen auf leisen Sohlen und hinter dem Rücken der Mächtigen zustandegebracht werden.'071

dien zur Friedensforschung, hrsg. von Georg Picht und Heinz E. Tödl, Band 2) Stuttgart 1969, 13-25. 66 Einen guten zusammenfassenden Überblick über Mitranys Ideen, die schon in den dreißiger Jahren entwickelt und in mehreren Publikationen dargestellt und fortentwickelt wurden, findet man in der Arbeit David Mitrany, The Functional Approach to World Organization, in: International Affairs 24 (1948),350-360. 67 Dicke, Effizienz und Effektivität, 335. 68 Daniel Frei Integrationsprozesse. Theoretische Erkenntnisse und praktische Folgerungen, in: Werner Weiden/eid (Hrsg.), Die Identität Europas, Bonn 1985, 113-131, hier 123. 69 Mitrany, Functional Approach, 358. 70 Für diese Auffassung typisch ist etwa Mitranys Aussage, der funclional approach "should help to shift the emphasis from political issues which divide, to those social issues in which the interest of the peoples is plainly akin and collective; to shift the emphasis from power to problem and purpose." (Mitrany, Functional Approach, 359). 71 Frei, Integrationsprozesse, 123.

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Die spätere Fortentwicklung des funktionalistischen Ansatzes im Neo-Funktionalismus - insbesondere durch Ernst B. Haas - nimmt Abstand von den unpolitischtechnizistischen Vorstellungen Mitranys und bezieht politische Prozesse mit in die Überlegungen zur Integration ein. Integrationsprozesse werden dabei als eine Art Stufenprozeß vorgestellt, bei welchem einem spillover-Effekt zentrale Bedeutung zukommt72 : Eine hinreichende funktionale Integration in einem Sektor (vornehmlich: in der Wirtschaft) führt demnach zu einem "Überlaufen" auch in andere Sektoren, insbesondere jenen der Politik. 73 Dabei ging man zunächst davon aus, daß der "Spillover unausweichlich und automatisch stattfindet,,74, gab diese Annahme vom spillover als hinreichender Bedingung politischer Integration jedoch später auf. Sie wurde ersetzt von der Vorstellung des spillover als nunmehr lediglich notwendige Bedingung75 , wobei dem Hinwirken auf politische Integration durch funktionale Interessengruppen und politische Eliten eine besondere Rolle zugedacht wird: Durch erfolgreiche partielle (sachliche) Problemlösungen werde in diesen der Wunsch wach, erfolgreiche Kooperation zu erweitern und auch auf die Austragung politischer Konflikte auszuweiten. 76 An dieser Stelle kann die Darstellung des Funktionalismus in der Theorie der internationalen Beziehungen abgebrochen werden. Die funktionalistische Theorie wurde vielfultig kritisiert, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, daß der Faktor Politik von ihr theoretisch inadäquat eingeordnet wurde. 77 Aus der Perspektive der hier entwickelten Theorie ergibt sich folgende prinzipielle Schwäche funktionalistischer Vorstellungen von Integration 78: Funktionalismus und Freihandelstheorie übersehen, daß sich funktionale bzw. ökonomische Beziehungen an sachlichem Sinn orientieren. Sie sind Kooperationsbeziehungen zum Zwecke des Zusammenwirkens. Der Frieden des politischen Verbandes - und dementsprechend seine Störung von außen - ist ein Problem des Zusammenlebens, mithin persönlichen Sinns. Funktionale Interaktion ist dementsprechend nicht geeignet, Probleme des Zusammenlebens, die immer Probleme persönlichen Sinns sind, zu bewältigen. Die Frage beispielsweise, wie eine Gesellschaft mit ihren Kranken oder Alten umgeht, ist eine Frage die sich ökonomisch nicht beantworten läßt (oder, da das ökono72 Siehe insbesondere Ernst B. Haas, The Uniting of Europe. Political, Social, and Economic Forces 1950-1957 (1958), reissued Stanford 1968, dort zur "sector integration" und zum spillover insbes. 287-299, zu Haas' Integrationsbegriff 11-19. Nach Czempiel formulierte bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts Emeric Cruce, der als erster die These "Weltfriede mittels Welthandel" begründete, eine spillover-These. (Siehe Czempiel, Friedensstrategien, 149 und Kurt von Raumer, Der Gedanke des ewigen Friedens im Aufstieg Europas in: ders. Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance, Freiburg i. Br., München 1953, 1-207, hier 147). 73 Siehe dazu Zimmerling, Integration von Staaten, 93 f. 74 Ebenda, 94. 75 Siehe ebenda. 76 Siehe Behrens / Noack, Theorien, 138 f. 77 Siehe dazu beispielsweise Zimmerling, Integration von Staaten, 104 ff. Frei, Integrationsprozesse, 123 konstatiert einen inneren Widerspruch der Theorie. Besonders die Automatismus-Thesen der Funktionalisten stießen auf deutliche Kritik. Siehe etwa (ohne explizite Nennung aber mit deutlichem Bezug auf den Funktionalismus) Aron, Frieden und Krieg, 864 ff. 78 Siehe auch schon in anderem Kontext die Kritik am Funktionalismus Elias' oben 159 ff.

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mistische Denken vor nichts Halt macht: deren ökonomische Lösung als solche unmenschlich ist). Darüberhinaus aber übersieht die Theorie, daß Ökonomie oder Technik vor allem auf gesellschaftlicher Ebene ablaufen, diese aber nicht unmittelbar fUr die Entscheidung über Krieg bzw. Nicht-Krieg relevant ist. Bezüglich dieses Zusammenhangs zwischen internationalem Frieden und funktionaler Integration ist vielmehr festzuhalten, daß Wirtschaftsbeziehungen, technologische oder wissenschaftliche Zusammenarbeit nur im Rahmen des Friedens gedeihen können, der von den politischen Verbänden gewährleistet wird. Sie setzen also den Nicht-Krieg voraus 79 Dem widerspricht nicht, daß funktionale, insbesondere auch wirtschaftliche Zusammenarbeit, den Frieden vertiefen kann und eine friedliche Gesinnung begünstigen mag, also gewissermaßen dialektisch auf den Frieden zurückwirkt. 80 Funktionale Beziehungen stiften als solche den Frieden aber nicht und sind fUr ihn auch nicht verantwortlich. Das Problem des Krieges ist ein durch und durch politisches Problem, welches durch funktionales Zusammenwirken keineswegs aus der Welt zu schaffen ist. Dies nicht angemessen zu sehen liegt letztlich daran. daß der Funktionalismus den Sinn des Staates bzw. des politischen Verbandes verkennt: Der Staat ist, wie aufgezeigt, politischer Natur, seine Existenz - d.h. der gesamtgesellschaftliche Frieden - Selbstzweck. 81 Er kann daher apriori nicht durch funktionale Organisation substituiert werden. Daher bleiben auch die Probleme der internationalen Politik - etwa die Frage der Integration politischer Verbände - prinzipiell politischer Natur, woran sich selbst dann nichts ändert, wenn viele funktionale Bereiche, die in der Neuzeit herkömmlicherweise dem Staat überantwortet wurden, auf funktionale (supranationale) Organisationen übertragen werden. Diese "auszulagernden" funktionalen Bereiche können die Ökonomie, soziale Sicherung, die Organisation militärischer Verteidigung 82 und vieles mehr umfassen. Wie immer diese funktionalen Fragen und 79 Im übrigen sind internationaler Handel und allgemein eine internationale Ökonomie abhängig von der staatlichen Politik: Internationale Märkte beispielsweise müssen politisch eingerichtet werden, Waren aus anderen Ländern müssen eingefUhrt werden dürfen etc. 80 Gerade in bezug auf die Ökonomie sollte jedoch nicht übersehen werden, daß sie zwar auf den Frieden angewiesen ist, daß sie aber andererseits natürlich vom Krieg profitieren kann. (Siehe dazu das unabhängig von den im Buch präsentierten teilweise problematischen Thesen aufschlußreiche Material. das William McNeil/, Krieg und Macht. Militär, Wirtschaft und Gesellschaft vom Altertum bis heute. München 1984, zusammengetragen hat). Entscheidend bleibt im vorliegenden Kontext, daß Handel prinzipiell ein Verhältnis zwischen Privaten bleibt, das als solches das Verhältnis der politischen Verbände zueinander gar nicht tangiert. Darauf weist in Anlehnung an Aron auch Czempiel hin, wenn er hervorhebt, daß die Wirtschaft das Kriegsrisiko deshalb nicht mindern kann, weil durch sie der "Naturzustand" zwischen den Staaten nicht beendet wird. (Siehe Czempiel, Friedensstrategien, 152; die Vorstellungen vom Frieden durch Freihandel beurteilt Czempiel zu Recht skeptisch: Die Annahme, daß "Gewinninteressen von sich aus den Frieden produzieren würden" (ebenda, 149) treffe nicht zu. Zum Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Krieg siehe auch die Diskussion von vier diesbezüglichen Doktrinen (Merkantilismus, Liberalismus, Nationalökonomie und Sozialismus) bei Aron, Frieden und Krieg, 287-328, wo auch der bereits (204 mit Fn. 24) angesprochene Imperialismus behandelt wird; wichtig fUr die Thematik vor allem auch Karl Polanyi, The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen (1944), 2. Auflage, Frankfurt am Main 1990 passim). 81 Siehe dazu ausfUhrlich die theoretische Herleitung dieser Zusammenhänge oben § 17 sowie § 19, bes. 135 f. 82 Die Organisation militärischer Verteidigung ist offensichtlich ein Problem des Zusammenwirkens, weshalb eine Streitmacht durchaus nicht zum Begriff des politischen

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Probleme gelöst werden, sie beantworten nicht die Frage, wie eine Gesellschaft zusammenleben will und wie sie im politischen Verband ihr Verhältnis zu anderen politischen Verbänden gestalten will. Da funktionale Substitution der Politik nicht möglich ist, bleibt mit der Existenz eines Pluriversums von politischen Verbänden auch die Problematik der Art und Weise ihrer Interaktion in der Welt. Mitranys funktionalistische Hoffnung83 bleibt daher utopisch. Aber auch die neo-funktionalistischen Theorien bleiben inakzeptabel, wenn sie einen kausalen Konnex zwischen funktionaler und politischer Integration - und zwar "in Richtung" der einen auf die andere - postulieren. Zweifellos existieren wechselseitige Beeinflussungen zwischen funktionalen und politischen Prozessen, da sie füreinander wechselseitig Umwelten darstellen, innerhalb derer sich ihre Operationen vollziehen. Doch lassen sich diese Wechsel wirkungen nicht als Kausalprozesse vorstellen. Ökonomie, Technik, internationaler Tourismus oder Wissenschaft werden dann politisch relevant, wenn sie politisiert werden, wenn sie als politische Probleme definiert werden. Wann solches der Fall ist, ist jedoch keine Frage von Automatismen, sondern eine Frage des politischen Prozesses. Daher gilt einerseits etwa bezüglich ökonomischer Integrationsprozesse, was Ruth Zimmerling deutlich formuliert: "Ökonomische Integration - im wirtschaftswissenschaftlichen Sinn der Einrichtung einer Freihandelszone, einer Zollunion oder eines Gemeinsamen Marktes, also als bewußt eingeleiteter Prozeß - ist ... zweifellos ein politischer Prozeß.,,84 Umgekehrt gilt andererseits, was Karl W. Deutsch in bezug auf den Zusammenhang funktionaler Integrationsprozesse und außenpolitischer Sicherheit resümiert: "Wir können ... folgern, daß Funktionalismus und funktionale Arrangements als solche nur geringen Einfluß auf den Erfolg oder Mißerfolg von Bemühungen um die Errichtung verschmolzener Sicherheitsgemeinschaften haben. ,,85 Daher ist eine funktionalistische Theorie des internationalen Friedens im Ansatz verfehlt. Ihr Mangel besteht zusammengefaßt darin, daß sie funktionalen Zusammenhängen auf einem Gebiet Wirksamkeit zusprechen. das einer ganz anderen Logik gehorcht, als es dem Zusammenwirken - sei es zum Zweck der Gewinnmaximierung, des technischen Fortschritts oder der Wahrheitssuche - entspricht. Bei aller grundsätzlichen theoretischen Problematik verweist der Funktionalismus dennoch auf einen Zusammenhang, der für internationale Integrationsprozesse von Bedeutung ist: Tatsächlich nämlich können funktionale Verflechtungen auch auf Mentalitäten zurückwirken. Aus diesen Rückwirkungen wiederum mag ein gemeinsames Ordnungswissen resultieren, das Grundlage einer Transformation des politischen Verbandes sein kann. Das bedeutet, daß im Schoße des alten Ordnungswissens und des diesem entsprechenden politischen Verbandes allmählich ein neues Ordnungswissen entstehen kann, mittels dessen Aktualisierung der bestehende politische Verband durch einen neuen ersetzt werden mag. der über die Grenzen des alten hinausgreift und mehrere eheVerbandes zu rechnen ist. Folglich kann sie vom politischen Verband ohne weiteres auch gemeinsam mit anderen politischen Verbänden organisiert (etwa in einem Verteidigungsbündnis) oder überhaupt anderen Instanzen übertragen werden (etwa einer privaten Söldnerarmee). 83 Mitrany schreibt in dem bereits zitierten Aufsatz, daß er weniger eine Theorie präsentiere als "an anxiety." (Mitrany, Functional Approach, 350). 84 Zimmerling, Integration von Staaten, 112 m.w.N., siehe zum Ganzen ebenda, 109 ff. 85 Deutsch, Analyse internationaler Beziehungen, 282. 15 Henkel

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malige politische Verbände umfaßt. 86 Entscheidend ist hier jedoch. daß eine solche Transformation niemals "automatisch" aus funktionalen Verflechtungen resultiert. sondern stets Resultat ausdrücklichen politischen Handeins aufgrund eines gemeinsamen politischen Willens der einzelnen politischen Verbände sein wird. Im übrigen bleibt jedoch darauf zu verweisen. daß die Wirkungen funktionaler Verflechtungen auf Mentalität und Ordnungswissen erstens nicht steuerbar sind. da sie unwillkürlich verlaufen und daß sie abhängig sind vom schon vorhandenen Ordnungswissen. auf dessen Boden sie fallen: In diesem Kontext darf man nicht abermals den funktionalistischen Fehlschluß begehen und beispielsweise annehmen. daß der Umgang mit moderner Technik zu einem demokratischen Bewußtsein fUhren muß. Bezüglich des Zusammenhangs zwischen funktionalen Verflechtungen und Interdependenzen und politischen (Integrations-) Prozessen kann man daher mit Lothar Brock resümieren, daß "Politik ... durch Verflechtungen ... eben nicht ersetzt, sondern neu herausgefordert [wird].,,87

3. Völkerrecht, Politik und Frieden Im Verkehr der politischen Verbände untereinander hat sich das Völkerrecht als Institution herausgebildet. Schon im Titel des völkerrechtlichen Werkes von Hugo Grotius, Oe iure belli ac pacis libri tres (1625), wird deutlich, daß die zentralen Themen des Völkerrechts Krieg und Frieden88 sind. Darauf ist nunmehr einzugehen, wobei eine Konzentration auf die Frage nach dem Beitrag des Völkerrechts zum internationalen Frieden im Sinne des Nicht-Krieges bzw. der Verhinderung des Krieges erfolgt. In erster Linie ist dabei zu erörtern, ob das Völkerrecht den internationalen Frieden, wie immer wieder behauptet, tatsächlich stiftet. Auch auf der internationalen Ebene hat der oben entwickelte Begriff des Rechts Gültigkeit, sofern Recht im Sinne institutionalisierter normativer Verhaltenserwartungen verstanden wird. 89 Zumindest in der jüngsten Geschichte braucht man sich im Völkerrecht aber nicht mehr nur auf dieses konstitutive Merkmal des Rechts und einen dementsprechenden "schwachen" Rechtsbegriff (welcher dem oben angegebenen Begriff des Rechts in weiterem Sinne analog ist, wobei auf internationaler Ebene die Besonderheit besteht, daß Recht aus bewußter und ausdrücklicher Interaktion resultiert und auch ausdrücklich als 86 Zur Bestätigung dieser Feststellung wären genauere historische Forschungen notwendig. Man könnte etwa an die Transformation des griechischen polis-Pluriversums in das Reich Alexanders des Großen denken. 87 Brock, Frieden. Überlegungen zur Theoriebildung, 337. 88 Siehe die eingangs (19, Fn. 6) zitierten Sätze Grewes. Coing schreibt (Grundzüge der Rechtsphilosohie, 143): "Dem modemen Beobachter wird die Verbindung von Frieden und Recht vor allem am Völkerrecht deutlich. Den Frieden zu schaffen und zu sichern, ist sein Kemproblem. " 89 Siehe oben 173.

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solches anerkannt sein muß, wenngleich sich die rechtliche Interaktion auch habitualisieren mag) zu beschränken: Mit der Einrichtung von internationalen Institutionen wie dem IGH wird auch das Völkerrecht in zunehmendem Maße doppelt institutionalisiert, besteht also auch hier eine Autorität, die über die Verbindlichkeit des Rechts entscheidet. 90 Der Begriff des Völkerrechts ist also unproblematisch. Die Subjekte und Objekte des Völkerrechts sind in erster Linie die Staaten. 91 Die kontrafaktisch stabilisierten normativen Erwartungen bilden sich in deren Interaktion untereinander heraus. Das so entstehende Recht wird als Völkergewohnheitsrecht (customary internationallaw) bezeichnet: Dieses ist, formuliert in der gängigen Formel des IGH-Statuts 92 "Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung." Mit den völkerrechtlichen Verträgen, der Hauptrechtsquelle des Völkerrechts93 hat das Völkergewohnheitsrecht gemeinsam, daß seine Regeln ausdrücklich festgestellt werden müssen. 94 Anders als bei jenem reicht bei diesem jedoch eine "allgemeine" Anerkennung aus, während Völkervertragsnormen von den je beteiligten Parteien ausdrücklich anerkannte Regeln sein müssen. 95 Indem nun die Regeln des Völkerrechts das Verhalten der politischen Verbände zu orientieren vermögen und auf diese Weise Erwartungen sichern, tragen sie zu gelingender Interaktion von Staaten bei. Gelingende Interaktion 90 Wobei, wie oben (§§ 25 und 26) deutlich gemacht wurde, Rechtsautorität und Rechtszwang bzw. Sanktion unterschiedliche Merkmale des Rechts sind. Das Vorhandensein einer Rechtsautorität muß nicht zugleich das Vorhandensein der Möglichkeit bedeuten, das Recht auch durchsetzen zu können. 91 Der Staat gilt nach wie vor als die "'Normalperson' des Völkerrechts". (So in der Überschrift des § 5 von Volker Epping, in: lpsen, 55). Die Völkerrechtssubjektivität anderer Akteure der internationalen Politik ist eine abgeleitete, die selbst wiederum auf den Staat als Akteur verweist. Siehe etwa für die Völkerrechtssubjektivität von bundesstaatlichen Gliedstaaten Epping, in: Ipsen, § 5, Rn. 18, für internationale Organisationen, von welchen freilich nur die international governmental organizations (IGO's) völkerrechtlich relevant, sind ebenda § 6, Rn. 3. Nicht-gouvernementale internationale Organisationen haben hingegen "grundsätzlich keine Völkerrechtssubjektivität." (Ebenda, Rn. 20). Für die Völkerrechtssubjektivität der letzteren ist Voraussetzung, daß sie auf Dauer angelegte Vereinigungen von zwei oder mehreren Staaten sind; siehe schließlich für das Individuum eben da, § 7, Rn. 4 und für Sonderfalle und Ausnahmen wie das IKRK, den Malteserorden etc. ebenda, § 8. 92 Art. 38 Abs. 1 Iit. B. 93 Die dritte "Rechtsquelle" des Völkerrechts, die (nicht mit den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts zu verwechselnden) allgemeinen Rechtsgrundsätze können hier nicht zuletzt aufgrund ihrer schwindenden Bedeutung vernachlässigt werden. Siehe dazu aber knapp Heintschel von Heinegg, in: lpsen, § 17. 94 Hierin zeigt sich wieder, daß die einzelnen Akte in der internationalen Interaktion bewußt und voneinander isoliert vorgenommen werden (können). 95 Siehe Heintschel von Heinegg, in: lpsen, § 17, Rn. 4.

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meint dabei nicht, daß Interaktion in den Verhältnissen politischer Verbände irgendwie zur Entfaltung von deren Identität beiträgt. Vielmehr ist damit in diesem Kontext gemeint, daß das Gelingen der zwischenstaatlichen Interaktion möglichen Anlässen gewaltsam geführter destruktiver Interaktion vorbeugen kann. Insofern fundiert das Völkerrecht einerseits immer schon auf nichtkriegerischer Interaktion von Staaten, da es sich nur innerhalb einer solchen Interaktion ausbilden kann. Die nicht-kriegerische Interaktion wiederum ist ein politisches Werk, da die Entscheidung über Krieg und Nicht-Krieg eine politische Entscheidung ist. Folglich konstituiert das Völkerrecht nicht den nichtkriegerischen Zustand, es leistet jedoch einen Beitrag zu dessen Sicherung und Vertiefung, d.h. es trägt zu dessen Dauer bei. 96 Darüberhinaus aber bestehen mit der Existenz internationaler Gerichte (lGH, Seerechts-Gerichtshof in Hamburg) seit jüngerer Zeit internationale Rechtsautoritäten, die zur friedlichen Beilegung von Konflikten zwischen Staaten beitragen können. 97 Dennoch ist das Verhältnis des Rechts zum Frieden auch auf der Ebene der Interaktion zwischen Staaten ambivalent. Aus der schon beschriebenen "Gewaltnähe des Rechts" (Luhmann) ergibt sich die Anwendung von Gewaltder Krieg - im Verhältnis der politischen Verbände als ultima ratio zur Durchsetzung der je eigenen Rechte oder auch des gemeinsamen Rechts, d.h.: der Krieg wird zum Duell bzw. zur bewaffueten Rechtsexekution zwischen politischen Verbänden. 98 Das Problem des Friedens entzündet sich mithin auch im Bereich des Völkerrechts an dessen Durchsetzung; es verweist hier direkt auf die Politik99 : Während es auf einzelgesellschaftlicher Ebene durch die Monopolisierung der Gewalt beim souveränen Staat bewältigt wird, wäre es im Verhältnis zwischen den Staaten nur mittels einer internationalen Institution zu lösen, die auch über ein Rechtsdurchsetzungsmonopol verfügte, d.h. die imstande wäre, das 96 Zum Kriegsvölkerrecht, das dem Schutz der Menschen im Krieg dient, siehe schon oben 210. 97 Die Schwierigkeit besteht darin, daß die Zuständigkeit internationaler Gerichte (und Schiedsgerichte) "stets auf einer Vereinbarung der Parteien" (Kimminich, Einführung, 502) beruht, nicht jedoch automatisch gegeben ist. Damit verweisen auch diese Mechanismen des Rechts auf den politischen Willen der Staaten, sich den Verfahren zu unterwerfen. 98 Zur begrifflichen Unterscheidung von bewaffneter Rechtsexekution und Staatenduell siehe Her/ried Münkler, Krieg und Frieden, in: ders., Gewalt und Ordnung. Das Bild des Krieges im politischen Denken, Frankfurt am Main 1992, I 1-53, hier 32 ff. Als bewaffnete Rechtsexekution gilt der Krieg im Falle eines Konflikts, "bei dem die eine Seite im Recht und die andere im Unrecht ist", als Staatenduell, wenn "beide Seiten ... begründete Rechtsposition[en] für sich in Anspruch nehmen [können]." (32). 99 Es sei an die Feststellung Luhmanns (RdG, 281) erinnert, daß "das Recht gesicherten Frieden voraussetzen muß" und daß solches auf die Abhängigkeit (der Evolution) des Rechts vom politischen System verweist. Siehe schon oben 184.

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Recht auch zu erzwingen. loo Solange eine solche Institution nicht existiert und die Staaten in letzter Konsequenz auf Selbsthilfe angewiesen bleiben, gilt für die Interaktion politischer Verbände noch immer prinzipiell Hegels Feststellung: "Der Streit der Staaten kann ... , insofern die besonderen Willen keine Übereinkunft finden, nur durch Krieg entschieden werden.,,101

Die Durchsetzung und Behandlung des Völkerrechts bleibt mithin abhängig von den einzelnen souveränen Staaten: Das Fehlen einer übergeordneten Machtdisposition mit Gewaltmonopol überläßt die Pazifizierung des Völkerrechts deren Willen, verweist also wieder direkt auf die innere politische Kultur der Staaten. Diese bestimmt letztlich deren Geneigtheit nicht nur zur gewaltsamen Rechtsdurchsetzung, sondern auch, ob sie sich schiedsgerichtlichen Verfahren bzw. internationalen Gerichten unterwerfen. Der Frieden im internationalen Verkehr bliebe aber auch dann prekär, wenn es ein Rechtsdurchsetzungsmonopol im Völkerrecht gäbe: Denn das Recht kann nicht ohne die Negation des Friedens erzwungen werden, wenn sich ein Staat dem Urteil der Rechtsautorität nicht beugt und andere Strafmaßnahmen nicht die erwünschte Wirkung zeitigen. Die Problematik der Pazifizierung des Völkerrechts bleibt also Sache der Politik, d.h. des politischen Verkehrs der Staaten untereinander: Das jeweils situativ orientierte Kalkulieren und Handeln führt etwa durch FormeIkompromisse, durch Ausklammern strittiger Fragen, kurz: durch bargaining zur Institutionalisierung von Erwartungen und Umgangsformen, welche den Rückgriff auf Gewalt zur Durchsetzung des Rechts solange überflüssig machen, als der Friedenswille bei den Beteiligten diese Institutionen trägt: "Aus dieser Perspektive gewinnt die Aufrechterhaltung von Rechtsdurchsetzung und Rechtsbefolgung mit dem Mittel der Machtbalance und anderen sich aus der Struktur des internationalen Systems ergebenden Instrumentarien den Stellenwert einer durch das 'langsame Bohren harter Bretter', 'mit Leidenschaft und Augenmaß' anzugehenden und bleibenden Aufgabe.,,102

100 Daß ein solches Monopol nur ein Staaten staat, nicht aber ein Weltstaat im Verständnis der obigen Ausftihrungen (§ 31.1.) sein kann, ergibt sich schon begrifflich: Wenn es nur noch einen Staat gibt, kann es kein Völkerrecht mehr geben. Zum Staatenstaat siehe unten unter Punkt 4. 101 Hegel, Rph, § 334. flegels Aussage, daß es zwischen den Staaten "keinen Prätor, höchstens Schiedsrichter und Vermittler" (ebenda, § 333 Anm.) gebe, trifft so heute jedoch schon nicht mehr zu. Es bleibt allerdings bisher und bis auf weiteres dabei, daß das Völkerrecht - um mit Gerhart Niemeyer zu sprechen - "law without force" ist. (Siehe Gerhart Niemeyer, Law Without Force: The Function of Politics in International Law, Princeton, London, Oxford 1941).

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Der politische Umgang mit (Rechts-) Konflikten ist daher eines der zentralen Felder des diplomatischen Handelns 103 , wobei sich die Staaten heute (unter anderem) hierfür mit den internationalen Organisationen Instrumente geschaffen haben, in welchen die beschriebenen politischen Prozesse institutionalisiert sind und die als Foren der Diplomatie dienen. Die internationalen Organisationen leisten so einen wichtigen Beitrag zum dauerhaften Frieden, indem sie zum Gelingen der am Völkerrecht orientierten Interaktion der Staaten beitragen und dem Ausbruch von Gewalt in den internationalen Beziehungen vorbeugen oder der diplomatischen Beendigung bereits ausgebrochener Gewalt zwischen Staaten dienen. 104 So steht hinter den friedensvertiefenden Leistungen des am Völkerrecht orientierten internationalen Verkehrs und der internationalen Organisationen letztlich der politische Wille zum Frieden bei den beteiligten Staaten: Opus politicae pax. Dies betont hinsichtlich des Völkerrechts und vor dem Hintergrund nicht nur einer intimen Kenntnis des Völkerrechts, sondern auch einer solchen der internationalen Politik und des diplomatischen Verkehrs Wilhelm Grewe, der zum Problem des internationalen Friedens feststellt: "Geschichtliche Erfahrung und gesunder Menschenverstand sprechen dafür, daß das Hauptgewicht immer nur auf außer-rechtlichen, vorwiegend politischen Mitteln und Wegen der Friedenssicherung liegen kann ... Das Völkerrecht kann zur Lösung dieses Problems manches beitragen, indem es passende Rechtsformen anbietet, derer sich die Politik bedienen kann. Primär aber handelt es sich um Probleme des politischen Willens, der Einschätzung und des Einsatzes politischer Kräfte, nicht um eine Frage der Rechtsordnung und ihrer gerichtsförmigen Durchsetzung." lOS Damit ist die Pazifizierung des Pluriversums politischer Verbände ebenso wie diejenige des Völkerrechts das Werk politischer Kultur, d.h. hier des friedensgewillten klugen Umgangs mit den Regeln des Völkerrechts, also bei-

102 Jost Delbrück / Klaus Dicke, Zur Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, in: Uwe Nerlich / Trutz Rendtorff(Hrsg.), Nukleare Abschreckung - Politische und ethische Interpretationen einer neuen Realität, Baden-Baden 1989, 797-818, hier 807. 103 Zur friedlichen Streitbeilegung im Völkerrecht siehe die knappe Darstellung bei Kimminich, Einführung, 301 ff. und Fischer, in: lpsen, § 60 (Die friedliche Streitbeilegung). Zur Diplomatie siehe die oben in den Fn. 12 und 43 genannten Arbeiten. Siehe hierzu Edith Oeser, Der internationale Streit. Völkerrechtliche Regelungsbedingungen ftir die Staaten, Berlin (DDR) 1987. 104 Siehe dazu die in Fn. 44 genannten Arbeiten Rittbergers. lOS Grewe, Friede durch Recht?, 23 f. Dieses Urteil bestätigt Grewe auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der internationalen Gerichtsbarkeit in Grewe, Epochen, 777 ff. Eine dem Urteil Grewes entsprechende Sichtweise bildet auch den Hintergrund der Aronschen Überlegungen in dessen Frieden und Krieg, passim, insbesondere Arons Lob der Klugheit, 675.

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spielsweise mit der Frage, ob auf solche Regeln im konkreten Fall tatsächlich zurückgegriffen werden soll und wenn ja, auf welche, wie sie zu interpretieren sind oder schließlich: ob man sich internationaler Gerichtsbarkeit unterwirft (die erst im Falle, daß dies geschieht, ihren Beitrag zum Frieden leisten kann). Es läßt sich demnach resümieren, daß auch im Bereich des Völkerrechts das Recht selbst die Nicht-Destruktivität des Handeins der Akteure nicht konstituiert. Vielmehr ist das Verhältnis des Völkerrechts zum Frieden (im Sinne des Nicht-Kriegs) ambivalent: Zum einen trägt das Recht als (heute auch doppelte) Institution auf der Ebene der Interaktion von Staaten zur Vertiefung und Sicherung des politisch bereits konstituierten Friedens bei, indem es Verhaltenserwartungen und damit gemeinsame Handlungsorientierungen institutionalisiert. Damit orientiert und erleichtert es das Gelingen des alltäglichen Verkehrs der politischen Verbände. Zum anderen aber besteht die bereits konstatierte prinzipiell positive Korrelation des Rechts zur Gewalt, die letztlich auch das letzte Mittel zur Durchsetzung des Völkerrechts bleibt, selbst im Fall der Existenz eines Rechtsdurchsetzungsmonopols in Form eines Staatenstaates. Immer schließlich geht es im Völkerrecht nicht um einen "Weltfrieden", sondern stets um die Beziehungen von Staaten untereinander. Es bleibt also auch sein Beitrag bezogen auf den jeweiligen Frieden der einzelnen politischen Verbände. Aus diesen Ergebnissen kann man auch ersehen, daß einerseits jene den Wert des Rechts rur den internationalen Frieden überschätzen, welche die Schaffung des Friedens dem Recht (oder gar: der Gerechtigkeit) zuschreiben und die insofern das Recht als eine Voraussetzung "rur die Schaffung und Erhaltung des Friedens,,\06 sehen. Andererseits unterschätzen nicht nur diejenigen die Friedensfunktion des Völkerrechts, die dessen Existenz leugnen, sondern auch jene, die den Frieden von der Gesinnung und Friedfertigkeit des einzelnen Individuums abhängig machen wollen. Sie übersehen, daß in der Rechtsbefolgung und in der verfahrensmäßigen Verfolgung von Rechtsansprüchen durch die Staaten stets schon die Absage an das Mittel der Gewalt liegt und damit das nichtkriegerische Verhältnis von Staaten untereinander gestärkt wird.

4. Staatenstaat und Staatenbund Die bisherigen Ausruhrungen haben ergeben, daß einerseits eine Integration zum Weltstaat vor dem Hintergrund der Weltgeselischaft zwar denkbar und heute weniger utopisch ist als etwa zu Dantes Zeiten, daß aber dennoch auf lan-

106 So trotz Skepsis gegenüber der Formel, daß Recht Friede sei, Kimminich, Die Funktion des Rechts, 447.

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ge Zeit nicht mit einer solchen politischen Weltorganisation zu rechnen ist. Das weltweite Zusammenleben der Menschen in Frieden bleibt vermittelt durch die Staaten und der Frieden zwischen den Staaten meint daher nach wie vor deren politischen Frieden sowie den Frieden der Menschen als Personen. Diese Lage voraussetzend entfaltet das Völkerrecht seine friedenssichernde und -vertiefende Wirkung. Gleichwohl finden internationale Integrationsprozesse statt. Bei diesen sind die handelnden Subjekte aber nicht die Weltbürger, sondern vielmehr die Staaten, die sich in gemeinsamen internationalen Organisationen zusammenfinden, wobei diese "nicht nur als Bestandteil nationalstaatlicher Strategien zur Bewältigung spezifischer Aufgaben betrachtet werden, sondern darüberhinaus als Momente in einem Prozeß wachsender Auflösung von Nationalstaatlichkeit und zunehmender Transnationalisierung staatlicher und administrativer Aufgabenerfüllung, die den internationalen Organisationen eine autonome Rolle - z.T. unabhängig von den Nationalstaaten - zuweist." 107 Im Prozeß der Institutionalisierung internationaler Organisationen wird also ein Vorgang sichtbar, der einerseits durch die Existenz des Pluriversums von Staaten gekennzeichnet ist, andererseits dadurch, daß neben den Staaten zunehmend supranationale Akteure auf der Bühne der internationalen Politik agieren, innerhalb derer die sie konstituierenden Staaten nicht mehr nur rein außenpolitisch agieren, sondern innerhalb der überstaatlichen Strukturen zugleich auch "innenpolitisch" ("europa-innenpolitisch", "welt-innenpolitisch" etc.) handeln. Senghaas spricht diesbezüglich von einer (neben der Realität der Staaten) "zweiten Realität der Welt.,d08 Diese kann man auch als "Zwischen lage" im Bereich der internationalen Politik und des Völkerrechts bezeichnen. Bezüglich der Frage, welche Konsequenzen diese Zwischenlage für den dauerhaften Frieden im Sinne Bou/dings hat, ist in Anlehnung an Kant die Möglichkeit eines den weltumspannend-allgemeinen Frieden zwischen den Staaten institutionalisierenden Staatenstaats zu erwägen. Dieser ist als ein politischer Verband zu verstehen, "in dem die Staaten im ganzen die Rolle der einzelnen Bürger im Staat spielen würden,,109 und der über ein Gewaltmonopol für die Pa-

Bellers / Häckel, Theorien internationaler Integration, 291 . Senghaas, Frieden, 212. 109 Jaspers, Die Atombombe, 148. Zu diesem Modell bei Kant siehe Otfried HäjJe, Völkerbund oder Weltrepublik?, in: ders. (Hrsg.), Immanuel Kant. Zum ewigen Frieden, 109-132, insbes. 115 ff. (116: "Die 'Bürger' dieser Völkerrepublik [sind] nicht ". einzelne Menschen, sondern Einzelstaaten."); zum Charakter eines Staaten staates (oder einer Staatenrepublik) siehe ferner Hans Buchheim, Von der Föderation zur Republik souveräner Staaten und die Ausführungen HäjJes in dessen Beitrag Eine Weltrepublik als Minimalstaat, passim sowie in Otfried HäjJe, Für und Wider eine Weltrepublik, in: Internationale Zeitschrift für Philosophie 1997,218-233. 107

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zifizierung des zwischen seinen Bürgern geltenden (Völker-) Rechts verfugen würde. Genau einen solchen stellt sich Kant als "positive Idee" vor, wenn er schreibt, daß Staaten "nach der Vernunft" den "gesetzlosen Zustand[e], der lauter Krieg enthält" überwinden können, indem "sie, eben so wie einzelne Menschen, ihre wilde (gesetzlose) Freiheit aufgeben, sich zu öffentlichen Zwangsgesetzen bequemen und so einen ... Välkerstaat (civitas gentium) .. , bilden.''' 10 Den Staaten staat konzipiert Kant dabei als Organisation, die der Institutionalisierung des Friedens zwischen den Staaten dient, wobei Frieden fur Kant nichts anderes als die Abwesenheit des Krieges meint. Der Zweck des Staatenstaates ist also der auf Dauer gestellte Frieden. Da die Staaten nach Kant die Unterwerfung unter einen Staatenstaat "durchaus nicht wollen" 111, bleibt nur das der positiven Idee entsprechende "negative Surrogat" des "den Krieg abwehrenden .,. Bundes.,,112 Auch ein solcher suche Lesenswert zum Thema sind noch immer die Überlegungen Georg Jellineks, der sich sehr systematisch mit den Fragen der Integration von Staaten auseinandergesetzt hat, und zwar zuerst in dem eigens der Problematik gewidmeten Werk Die Lehre von den Staatenverbindungen, Berlin 1882, wo er den Begriff des Staatenstaates benutzt (der bei ihm eine Kategorie möglicher "Staatenverbindungen" darstellt), zu dem Jellinek ausführt, daß bei diesem "die der souveränen Gewalt Subjicirten ... nicht sowohl Individuen als vielmehr Staaten [sind]." (138, zur Charakterisierung des Staatenstaates ebenda, 137-157). Den Staatenstaat (als ein in seinen Augen historisch überholtes Phänomen) unterscheidet Jel/inek vom Bundesstaat, in welchem sich der Gesamtstaat "ein directes Verhältniss zu dem Volke [bewahrt]" (278) und in dem die Gliedstaaten nicht souverän sind (siehe ebenda). Am Souveränitätsbegriff entspinnt sich auch die Problematik der Jellinekschen Überlegungen, die hier nicht weiterzuverfolgen sind. Siehe aber zum Souveränitätsproblem in diesem Kontext unten 239 ff., zu Jellineks Überlegungen auch ders., Allgemeine Staatslehre, 737-787 (Die Staatenverbindungen). 110 Kant, EF, 357. (Erste Hervorhebung im letzten Zitat hinzugefügt). Gelegentlich wird behauptet, daß Kant den Staatenstaat ablehne oder als utopisch verwerfe. Tatsächlich spricht er im zweiten Definitivartikel von einem "Widerspruch" in der Vorstellung des "Völkerstaats" (siehe Kant, EF, 354). Aber dieses Argument ist nur eines, während Kant, wie die Zitate im Text zeigen, an anderer Stelle positiv vom Staatenstaat spricht. Daher muß man in dieser Frage bei Kant eher von einem "Schwanken" sprechen (so Matthias Lutz-Bachmann, Kants Friedensidee und das rechtsphilosophische Konzept einer Weltrepublik, in: ders. / Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, 25-44, hier 43). Jedenfalls folgt aus Kants eigenen Prämissen das Postulat der Staatenrepublik, wie er selbst - ebenfalls im zweiten Definitivartikel - deutlich ausspricht. Dies ist der entscheidende Ertrag für den vorliegenden Kontext, während es von untergeordneter Bedeutung ist, was Kant nun "wirklich" wünschte. Siehe dazu neben Lutz-Bachmann, Kants Friedensidee, 40 ff. (insbes. 43) auch HöjJe, Völkerbund oder Weltrepublik?, 119 ff. Auch Kant thematisiert seine Überlegungen übrigens schon vor dem Hintergrund der Einsicht, daß sich eine Weltgesellschaft herausbildet. (Siehe Kant, EF, 360). 111 Kant, EF, 357. Hervorhebung hinzugefUgt. 112 Ebenda, 357. Kant war realistisch genug zu sehen, daß dieser Bund auch weiterhin der Gefahr des Ausbruchs feindseliger Neigungen gegenüberstünde (ebenda, 357),

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"alle Kriege auf immer zu endigen." 113 Voraussetzung rur diese Leistung des Bundes - ebenso wie mutatis mutandis des Staatenstaates - ist jedoch die innere republikanische Verfassung der beteiligten Staaten. I 14 Anders als Kant zu seiner Zeit noch annehmen mußte, besteht heute jedoch bel den Staaten (zumindest im Ansatz) der politische Wille, in bestimmten Bereichen auf die Ausübung ihrer Souveränitätsrechte zu verzichten und sich einer gemeinsamen Autorität zu unterwerfen. 115 Damit aber wäre die notwendige Bedingung zum Zusammenschluß eines Staatenstaates als internationaler Friedenseinheit errullt, ohne daß nationale politische Identitäten der Völker erst in eine politische "Weltidentität" als Grundlage eines Weltstaates transformiert werden müßten. Daß zur Gründung eines Staatenstaates keine gemeinsame politische Identität der Völker vorausgesetzt ist, hat seinen Grund darin, daß die Beziehungen zwischen Staaten auf einer anderen Ebene der Interaktion verlaufen. Sie umfassen die Staaten nicht mit all deren inneren Aspekten, sondern betreffen stets nur partikulare Belange im Verhältnis zu anderen Staaten. 116 Es ist dabei rur ein Volk folglich nicht notwendig, die Art und Weise seines Zusammenlebens zu ändern oder aufzugeben. Für den Staaten staat genügt - was schwer genug ist der partikulare außenpolitische Wille der einzelnen Staaten, gewisse gemeinsame Angelegenheiten einer übergeordneten Instanz zu übertragen. Für den einzelnen Staat bliebe die Einigung auf einen Staatenstaat daher eine Angelegenheit, zu der viel leichter die Zustimmung des Volkes zu erwarten wäre, wohingegen ein Weltstaat, der von den Menschen zu konstituieren wäre, eine gemeinsame politische Identität voraussetzte. Ist eine solche gemeinsame politische Identität beispielsweise schon in Europa nicht zu erkennen, so läßt sich eine solche noch weniger weltweit ausmachen.

sein Frieden also, wie Hegel später feststellte "mit Zufälligkeit behaftet bliebe." (Hegel, Rph, § 333 Anm., siehe unten 238). 113 Kant, EF, 356. 114 Siehe den Ersten Definitifartikel zum ewigen Frieden, eben da, 349 ff. und dazu die Interpretation von Wolfgang Kersting, "Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein". 115 Mit einem solchen Akt der Unterwerfung verlieren die Staaten jedoch nicht ihre Souveränität und übertragen diese auch keinem anderen Subjekt. Souveränität im hier verstandenen Sinne kann man gar nicht verlieren, da sie zum Subjekt qua Subjekt gehört. Vielmehr verzichten die Staaten auf die Aktualisierung ihrer Souveränitätsrechte. Dies entspricht - bei allen Unterschieden - genau jenem Vorgang, der in den Vertragstheorien beschrieben wird, wo das Individuum auf die Ausübung seiner ursprünglichen Rechte verzichtet, indem es sich dem politischen Verband durch Vertragsschluß mit allen anderen unterwirft und damit seine "wilde Freiheit" (Kant) zugunsten der bügerlichen Freiheit eintauscht. 116 Daß diese Beziehungen dann Folgen auch flIr die Bevölkerung des einzelnen Staates haben (können), ist selbstverständlich.

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Gleichwohl bleibt die Pazifizierung innerhalb des Staatenstaates eine gemeinsame politische Leistung der einzelnen Staaten, die deren Frieden immer schon voraussetzt: Die Konstitution des Staatenstaates als dem institutionalisierten Nicht-Krieg ist vom Willen der beteiligten Staaten abhängig, der jedoch nicht einfach gegeben ist, sondern einer spezifischen politischen Kultur, und zwar einer Kultur der Ächtung des Krieges, erwächst. Eine solche politische Kultur muß jedoch nicht notwendig zu einem Staatenstaat fuhren, sondern kann ihre friedenssichernde und -vertiefende Leistung auch schon innerhalb eines Staatenbundes entfalten; genau dies hat Kant gesehen, wenn er den Bund zwischen Staaten als zur Sicherung des Friedens ausreichend ansah, obgleich ein solcher Bund bloß "negatives Surrogat" eines Staatenstaates ist. Die politische Leistung, die Beziehungen zwischen den Staaten in einem Staatenstaat ebenso wie in einem Staatenbund dauerhaft auf nicht-kriegerische Weise zu gestalten, ist daher Grundlage, nicht jedoch Folge aller weiteren Verflechtungen und Beziehungen zwischen den Gesellschaften und den Staaten, also auch etwa Grundlage transnationaler wirtschaftlicher Beziehungen, Grundlage eines gemeinsamen Rechtsraumes l17 und Grundlage sonstiger (nichtpolitischer) Integrationsprozesse. Dies kann man an der westeuropäischen Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg exemplarisch ablesen: Eine der längsten Perioden ohne Krieg, die Europa je erlebt hat, ist dem Willen souveräner Staaten zu danken, ihre Beziehungen auf friedliche Weise zu bewältigen. Daß sich heute die Herausbildung eines europäischen Staatenstaates andeutet, liegt demgegenüber nicht in der Notwendigkeit des Friedens, sondern ist darin begründet, daß man gerade auf dem Grund des bündischen Friedens in die Lage versetzt ist, auf übernationale Entwicklungen in Wirtschaft, Technik, Ökologie usw. auch politisch gemeinsam reagieren zu können. Den Frieden als Grund und nicht als Folge der solche Entwicklungen gestaltenden gemeinschaftlichen Politik von Staaten anzusehen, hebt am Beispiel Europas Hermann Lübbe hervor: "Der Friede, der in den Europäischen Gemeinschaften eine gewisse Ordnung gefunden hat, die nun in der Europäischen Union fortgeführt und gefestigt werden soll, ist ... weniger das Resultat als die Voraussetzung der Vergemeinschaftung europäischer Politik.,,118 In diesem Sinne ist die europäische Einigung ein Prozeß der Friedensvertiefung zwischen den Staaten, nicht ein solcher der Friedensherstellung. Sie dient 117 Wobei die Durchsetzung des gemeinsamen Rechts ohne weiteres den einzelnen Staaten obliegen kann, wie aus den obigen Ausführungen zur Unterschiedenheit von Recht und Politik hervorgeht. 118 Hermann Lübbe, Weg mit dem kulturellen Weihrauch. Europa: das geistige Erbe begründet noch keine politische Union, in: Rheinischer Merkur, 7. Juni 1996, 19 f., hier 19.

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der Vertiefung und Sicherung des Friedens gerade dann am besten, wenn sie nicht in erster Linie als Friedensprozeß verstanden wird l19 , sondern wenn alle konkret anfallenden politischen Probleme rur alle Beteiligten angemessen und akzeptabel gelöst werden - wenn ihre gemeinsame Interaktion gelingt: Denn so wird möglichen Anlässen zur Gewaltanwendung von vornherein vorgebeugt. In diesen theoretischen Kontext kann man die Äußerung Knut Ipsens stellen, der am Beispiel der Europäischen Union die Tatsache, daß Kriege zwischen deren Mitgliedern "auf immer ausgeschlossen" seien, als "die entscheidende Sekundärwirkung der vielfältigen Integration,oI20 bezeichnet. Die Modelle des Weltstaates einerseits, des Staatenstaates und des Staatenbundes andererseits sind gleichermaßen als Modelle rur einen globalen Frieden zu verstehen, die sich jedoch vor allem darin unterscheiden, daß die Bürger des ersteren Individuen, die der letzteren jedoch Staaten sind, was auch den Charakter des mit ihnen jeweils erreichten Friedens betrifft: Im Weltstaat handelt es sich um einen gesamtgesellschaftlichen Frieden der Weltgesellschaft, wobei zugleich die Ebene internationaler Politik verschwunden ist, aller Unfrieden ist nunmehr innerer Unfrieden, der, wird er total gedacht, ein weltweiter Bürgerkrieg darstellte. Entsprechend den obigen Erläuterungen zum Verhältnis von gesamtgesellschaftlichem und innergesellschaftlichem Frieden ist nicht davon auszugehen, daß mit dem Weltstaat zugleich das Problem des Unfriedens innerhalb der Weltgesellschaft gelöst wäre, auch wenn der Weltstaat die Rechtsdurchsetzung bei sich monopolisierte. Auf diese Probleme haben die Kritiker des Weltstaates zu Recht immer wieder hingewiesen und Kants Berurchtung, der Weltstaat ende letztlich wieder in Anarchie und vermutlich in der Wiederkehr des Staatenpluriversums, hat apriori gute Argumente rur sich. Staaten staat und Staatenbund hingegen heben das Pluriversum der Staaten nicht auf, sondern dienen der Sicherung des Nicht-Krieges unter den Mitgliedern, während der Frieden der Individuen durch die einzelnen Staaten vermittelt bleibt. Der Frieden eines Staatenstaates oder eines Staatenbundes muß als Fundament rur alle anderen Formen der Integration von Staaten, nicht als deren Ziel betrachtet

119 Anders Czempiet, der der Auffassung ist, daß "der westeuropäische Integrationsprozeß in erster Linie als Friedensprozeß begriffen und vorangetrieben werden" müsse. (Czempiel, Friedensstrategien, 105). 120 Knut Ipsen, lus gentium - ius pacis? Zur Antizipation grundlegender Völkerrechtsstrukturen der Friedenssicherung in Kants Traktat "Zum ewigen Frieden", in: Merket / Wittmann (Hrsg.), "Zum ewigen Frieden". Grundlagen, Aktualität und Aussichten einer Idee von Immanuel Kant, 290-308, hier 296. Siehe in diesem Sinne (aber bezüglich des Ausdrucks "Sicherheit" in weniger klarer Formulierung) auch den insgesamt außerordentlich lehrreichen Beitrag von Heinhard Steiger, Frieden durch Institution. Frieden und Völkerbund bei Kant und danach, in: Lutz-Bachmann / Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht, 140-169, hier 162: "Die EU ist insgesamt gesehen keine Staaten verbindung zur allgemeinen Sicherung des Friedens zwischen den Mitgliedsstaaten. Wohl aber soll sie der Förderung des Friedens zwischen ihnen dienen."

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werden. Erst wo der gemeinsame Wille gesichert ist, die Beziehungen untereinander auf nicht-kriegerische Art zu gestalten, können sich internationale Integrationsprozesse und Formen der Kooperation entfalten. Diese wiederum können vertiefend auf den Friedenswillen der beteiligten Staaten zurückwirken. Angesichts der sich heute vollziehenden Prozesse inter- und supranationaler Politik kann nicht davon ausgegangen werden, daß Weltstaat, Staatenbund und Staatenstaat die einzigen Möglichkeiten darstellen, in welche jene Prozesse einmünden können. Noch ist nicht sichtbar, welche politischen Formen sich hier herausbilden, und es ist auch denkbar, daß überkommene Denkmodelle zu deren begrifflicher Fassung nicht ausreichen. Dem Bewußtsein liegen einzelne Probleme internationaler Politik vor, deren Bewältigung durch die Staaten nur allmählich Gestalt gewinnt und erst den Rückblickenden in seinem Sinn begrifflich faßbar wird. Auch hier also hat das Wort Hegels seine Berechtigung: "Was dem Bewußtsein vorliegt, ist eine einzelne Not, die Abhilfe erfordert. Was nach und nach sich einschleicht und zur Gewohnheit wird, wird später zum Gesetz gemacht, und anderes kommt in Verfall und wird aufgehoben." 121

Was sich hier aber nach und nach einschleicht, ist noch weitgehend offen und rur die wissenschaftliche Reflexion gegenwärtig nicht deutlich zu erkennen. Wohin immer jedoch sich diese Prozesse entwickeln, rur den Frieden der Menschen bleiben die Staaten die relevanten Akteure. Infolge zunehmender Verflechtungen und politischer Notwendigkeiten mögen immer mehr Kompetenzen auf internationale Organisationen übergehen und mögen sich Wirtschafts-, Kommunikations- oder Rechtsräume vereinheitlichen. Dabei verändern die Staaten ihren Charakter hinsichtlich der von ihnen errullten Funktionen. Dennoch ist zweierlei festzuhalten: (i.) Wie in der Auseinandersetzung mit den funktionalistischen Vorstellungen deutlich wurde, ist Arons Feststellung zutreffend, daß "es [nicht] genügt ... , daß die Einzelnen sich besuchen und sich kennen, Waren und Ideen austauschen, damit der Friede zwischen den souveränen Einheiten herrsche, obwohl diese Beziehungen wahrscheinlich fur die ... Bildung einer internationalen oder supranationalen Gemeinschaft unerläßlich sind."l22 (ii.) Die internationale Integration bedarf stets des politischen Willens der Staaten und basiert dementsprechend auf deren Existenz, also ihrem Frieden. Diesen Willen vorausgesetzt, können vor dem Hintergrund der Weltgesellschaft (regionale und schließlich eine weltweite) internationale politische Autoritäten, die den internationalen Frieden sichern, entstehen, aber dies geschieht, wie Aron resümiert, "unter der Bedingung, daß die Regierungen mit

121 Hegel, Philosophie des Rechts. Die Vorlesung von 1819/20 in einer Nachschrift, 229. Siehe schon oben 127. 122 Aron, Frieden und Krieg, 130.

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Hinblick auf den [gemeinsamen, Anm. d. Verf.] Bundesstaat handeln und daß die Völker dem zustimmen."m Für den internationalen Frieden bleiben die Staaten daher konstitutiv, mögen sie auch viele traditionelle Funktionen an inter- und supranationale Organisationen abgeben und vielleicht sogar ihr eigenes Aufgehen in einem "Superstaat" der Individuen beschließen. Selbst im Staatenstaat ist die Gewährleistung internationalen Friedens gemeinsame Sache der einzelnen Staaten insofern. als der Frieden stets auf deren politischen Willen - und damit auf ihre politische Kultur des Friedens - angewiesen bleibt. Daher gilt. was Heget im Hinblick auf Kants Entwurf des Staatenbundes schreibt, auch im Hinblick auf den Staaten staat: "Die Kantische Vorstellung eines ewigen Friedens durch einen Staatenbund. welcher jeden Streit schlichtete und als eine von jedem einzelnen Staate anerkannte Macht jede Mißhelligkeit beilegte und damit die Entscheidung durch Krieg unmöglich machte. setzt die Einstimmung der Staaten voraus, welche auf moralischen. religiösen oder welchen Gründen und Rücksichten. überhaupt immer auf besonderen souveränen Willen beruhte und dadurch mit Zufälligkeit behaftet bliebe.'''24

Schließlich aber muß fur den Staaten staat an eine bereits in anderem Kontext konstatierte Paradoxie erinnert werden: Der Staatenstaat, der als System kollektiver Sicherheit über die Macht verfugte, die friedlichen (Rechts-) Beziehungen seiner Mitglieder untereinander zu gewährleisten, könnte unter Umständen gezwungen sein. zur Durchsetzung des gemeinsamen Rechts auf das Mittel der Gewalt zurückzugreifen. Daher bleibt selbst in einer so geordneten Staatenwelt die Möglichkeit von Kriegen nicht aufgehoben, ebensowenig wie das innerstaatliche Gewaltmonopol die Möglichkeit der Gewalt zur Sicherung und Durchsetzung des Rechts abgeschafft hat. Allerdings änderte sich im Staatenstaat der Charakter des Krieges: Er würde zur "innenpolitischen" Rechtsexekution. 125 Damit ist das grundsätzliche Verhältnis zwischen Frieden, Staatenstaat und Staatenbund skizziert. Gleichwohl bleibt noch auf den Begriff der Souveränität zurückzukommen, der im Kontext der Diskussion von Integrationsprozessen

Ebenda, 865. Hegel, Rph, § 333 Anm. (Letzte Hervorhebung hinzugefügt). Diese richtige Einsicht steht bei Hegel selbst im Kontext von dessen problematischer VölkerrechtsKonzeption, der hier nicht gefolgt wird. 125 Siehe dazu schon die Bemerkungen oben in Fn. 34. Unabhängig von Schmitts antiuniversalistischer Polemik und seinen ritualisierten Attacken gegen den Völkerbund sind seine diesbezüglichen Feststellungen durchaus zutreffend, wenn er als Resultat der "Universalisierung" des Völkerrechts die Kriminalisierung des Feindes erkennt und feststellt, daß ein universaler Bund den Krieg nicht aus der Welt schafft, sondern vielmehr neue gerechte Kriegsgründe schafft. Siehe etwa Schmitt, BP, 57 f., 77 und 103 f. und ders., Nomos, passim, insbes. 232-255 sowie ders., Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff, insbes. 37 ff. 123

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von Bedeutung ist und dessen Problematik in der bisherigen Erörterung meist nur implizit angeklungen ist. Angesichts der Weltgesellschaft und der zur Konstitution internationaler Organisationen und supranationaler Gemeinschaften fiihrenden Prozesse der internationalen Politik wird gerade im Hinblick auf den dauerhaften internationalen Frieden immer wieder vom Ende der nationalstaatlichen Souveränität oder des (National-) Staates gesprochen, die entweder gefordert 126, konstatiert 127 oder (z.B. von der funktionalistischen Theorie) als Resultat jener Prozesse erwartet werden. 128 In bezug auf das Problem des Friedens und den hier verwendeten Souveränitätsbegriff129 ist dazu folgendes zu konstatieren: Die Souveränität im hier gemeinten Verständnis ist lediglich gebunden an den Subjektcharakter des politischen Verbandes und darf nicht verknüpft werden mit einzelnen Funktionen oder mit der Erfiillung von Zwecken, welche der politische Verband - historisch kontingent - über seine gesamtgesellschaftliche Friedensleistung hinaus übernommen hat. Sie darf insbesondere auch nicht mit dem vermischt werden, was die realistische Schule der Theorie internationaler Beziehungen mit power po/ities bezeichnet. Beim Begriff der Souveränität geht es allein um die kollektive Selbstbestimmung, die keineswegs der Abgabe von Funktionen und Leistungen des Staates

126 So beispielsweise der in der Friedensforschung in den achtziger Jahren populäre Autor Jonathan Schell in seinem Buch Das Schicksal der Erde. Gefahr und Folgen eines Atomkriegs (1982), 5. Auflage, München, Zürich 1982 passim, insbesondere 203-261, wo Schell seine Kritik des "Souveränitätssystems" ausführt. Schell skizziert dort die Alternative einer zu treffenden Entscheidung zwischen der Rettung des Lebens einerseits oder der Aufrechterhaltung des Pluriversums souveräner Staaten andererseits. Eine gründliche Kritik der Schellschen Vorstellungen findet sich bei Sternberger, Über die verschiedenen Begriffe, 47 ff. und 17. 127 Siehe etwa Peter Saladin, Wozu noch Staaten? Zu den Funktionen eines modernen demokratischen Rechtsstaats in einer zunehmend überstaatlichen Welt, Bem, München, Wien 1995,28 f., ff.; Reimund Seidelmann, Kants "Ewiger Friede" und die Neuordnung des europäischen Sicherheitssystems, in: Klaus Dicke / Klaus-Michael Kodalle (Hrsg.), Republik und Weltbürgerrecht. Kantische Anregungen zur Theorie politischer Ordnung nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, Weimar, Köln, Wien 1998, 133-180, hier 168, 173, 175 f. oder Thomas Meyer, Die Transformation des Politischen, Frankfurt am Main 1994, 42: "Der Nationalstaat verliert also seine politische Souveränität nach außen. Er verliert aber ebenso folgenreich auch seine Souveränität nach innen." Siehe auch oben 166 mit Fn. 143. Die gegenwärtige Souveränitätsskepsis steht in einer langen Tradition, die eng mit den theoretischen Verwirrungen um den Souveränitätsbegriff verknüpft ist. Siehe dazu Dreyer, Föderalismus, passim, insbesondere 387 ff. das Kapitel über Hugo Preuß, einen prominenten Gegner der Souveränitätsidee. 128 Siehe auch beispielswese Kaiser, Staatslehre, in: StL, Band 5, Sp. 195. 129 Siehe dazu oben 144 ff.

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an inter- oder supranationale Organisationen widerspricht. Souveränität geht nicht dadurch verloren. daß das Subjekt vielen (von ihm selbst meist nicht wesentlich zu verändernden) Bedingungen unterworfen ist oder daß es sich selbst beschränkt indem es etwa auf die Ausübung seiner Selbstbestimmung verzichtet. Eine Übertragung von Funktionen und Leistungen des Staates auf andere (insbesondere: internationale) Instanzen ist dementsprechend weder ein Souveränitätsverzicht noch eine Aufgabe der Souveränität, sondern es ist der freie Verzicht auf die ErfUllung jener Funktionen und Aufgaben. So kann ein Staat beispielsweise seine Verteidigung 130 ebenso wie die Rechtsetzung und die Rechtsdurchsetzung delegieren 131, denn beide betreffen nicht seinen Subjektcharakter und seine politische Existenz. Folglich widerspricht es nicht der so verstandenen Souveränität, wenn ein Staat gemeinsam mit anderen einen Staatenstaat gründet. Indem er hierin einwilligt, gibt er gewisse VerfUgungsrechte 132 freiwillig auf, bleibt aber an sich - solange als Subjekt existent - frei, ob er dies rückgängig machen will oder nicht. 133 Andererseits verfugt er, hat er einmal eingewilligt, nicht mehr gänzlich über die Resultate seines Handeins, sofern diese aus einem gemeinsamen Handeln mit anderen hervorgegangen sind und ein Eigenleben entwickeln. Daher wird ceteris paribus der Staat, der Bürger eines Staatenstaates ist, kein Interesse daran haben, seine Entscheidung zurückzunehmen und den Staatenstaat wieder zu verlassen. Daß letzteres als Möglichkeit gegeben bleibt, widerspricht diesem Faktum jedoch ebensowenig, wie 130 Es mag vielleicht sein, daß einzelstaatliche Souveränität "ihren augenfälligsten und für manche 'leuchtendsten' Ausdruck" in einer eigenen Streitmacht gefunden hat (Heinrich von Treitschke würde dem gewiß zustimmen). Jedoch darf der "Ausdruck" der Souveränität nicht mit dieser selbst verwechselt werden. Daß Souveränität im 19. und noch in unserem Jahrhundert mit militärischer Stärke assoziiert wurde, bedeutet nicht, daß dies auch heute oder morgen noch gilt. Souveränität bedeutet die freie Verfügung über die eigene Reaktion auf gegebene Umstände. Wenn angesichts neuer weItpolitischer Lagen nationale Streitkräfte nicht mehr funktional sind, können die Staaten aufgrund einer solchen Situation militärische Bündnisse oder internationale Streitkräfte schaffen, ohne dadurch ihre Fähigkeit zu verlieren, auch weiterhin frei auf gegebene Umstände zu reagieren - in diesem Fall jedoch nicht mehr mit eigenen Streitkräften. Das Zitat ist aus Saladin, Wozu noch Staaten?, 31. (Hervorhebung hinzugefügt). 131 Siehe oben 185 f., wo dargestellt wird, daß die Rechtsautorität durchaus nicht mit der Autorität des politischen Verbandes zusammenfallen muß und daß innerhalb eines politischen Verbandes mehrere Ebenen des Rechts etabliert sein können, was heute etwa in der der Rechtssetzung durch die EU anschaulich ist. 132 Horst Dreier beispielsweise spricht zutreffend von der "Übertragung nationaler Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen." (Horst Dreier, Souveränität, in: StL, Band 4, Sp. 1203-1209, hier Sp. 1208). 133 Siehe Buchheim, Von der Föderation zur Republik souveräner Staaten, 55 f. und Hans Buchheim, Der neuzeitliche Staat und die heute bestehenden Möglichkeiten politischer Staatenverbindungen, in: RudolJ Burger / Hans-Dieter Klein / WolJgang H. Schrader (Hrsg.), Gesellschaft, Staat, Nation, Wien 1996, 111-118, hier 114 f.

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die Tatsache, daß dem einzelnen Individuum beispielsweise immer die Möglichkeit bleibt, anstatt einen Konflikt vor Gericht auszutragen, zur Gewalt zu greifen. Daß ein solcher Griff zur Gewalt wiederum Folgen hat, ändert an der Möglichkeit ebensowenig, wie die Möglichkeit des Austritts eines Staates aus seinem Staatenstaat nicht dadurch beeinträchtigt wird, daß diese Handlung vermutlich mannigfache (negative) Konsequenzen zeitigte. Vor dem Hintergrund der Tatsache, daß bei diesem Thema angesichts der zu beobachtenden internationalen Prozesse Wunsch und Wirklichkeit bisweilen verwechselt werden, ist im Kontext dieses theoretischen Befunds an die bestehende politisch-rechtliche Lage zu erinnern, von der bezüglich der weltweit am weitesten fortgeschrittenen supranationalen Organisation - der EU - das Bundesverfassungsgericht im Maastricht-Urteil feststellt: "Die Bundesrepublik Deutschland ist ... auch nach dem Inkrafttreten des UnionVertrags Mitglied in einem Staatenverbund, dessen Gemeinschaftsgewalt sich von den Mitgliedstaaten ableitet und im deutschen Hoheitsbereich nur kraft des deutschen Rechtsanwendungsbefehls verbindlich wirken kann. Deutschland ist einer der 'Herren der Verträge', die ihre Gebundenheit an den 'auf unbegrenzte Zeit' geschlossenen Unions-Vertrag (Art. Q EUV) mit dem Willen zur langfristigen Mitgliedschaft begründet haben, diese Zugehörigkeit aber letztlich durch einen gegenläufigen Akt auch wieder aufheben könnten. Geltung und Anwendung von Europarecht in Deutschland hängen von dem Rechtsanwendungsbefehl des Zustimmungsgesetzes ab. Deutschland wahrt damit die Qualität eines souveränen Staates aus eigenem Recht und den Status der souveränen Gleichheit mit anderen Staaten i.S. des Art. 2 Nr. 1 der Satzung der Vereinten Nationen.,,134 Vor diesem Hintergrund braucht angesichts der jüngeren internationalen Prozesse weder auf den Begriff der Souveränität verzichtet, noch deren Ende beredet zu werden. 135 Politische Verbände sind im politikontologischen Sinne souverän, solange sie existieren und mit dieser Existenz korreliert ihr Frieden. Daß sie aber zum Zwecke der Sicherung des eigenen Friedens auf die Ausübung von Souveränitätsrechten verzichten, sich in Verträgen binden und verpflichten können, daß sie supranationale Gemeinschaften mitbegründen können, bleibt davon unberührt. Gesamtgesellschaftlicher Frieden und Souveränität fallen im politischen Verband zusammen. Die bisherigen Ausfiihrungen verweisen darauf, daß internationale Integration und Völkerrecht mit dem Friedensproblem insoweit zusammenhängen, als mittels ihrer der Zustand des Nicht-Krieges zwischen Staaten stabiler und sicherer gemacht werden kann. Der Frieden, der dabei zu sichern ist, ist jener der 134 BVerfGE 89, 155 (190). (Hervorhebung hinzugefügt). Befremdlich an diesen Worten ist allein die kasernenhafte Rede von "Befehlen". \35 "Souveränität bleibt ... auch gegenwärtig das ... Stichwort für Freiheit und Unabhängigkeit eines Volkes nach außen wie innen." (He/mut Quaritsch, Souveränität, in: HistWbPhilos. Band 9, Sp. 1 104-1109, hier Sp. 1108). 16 Henkel

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Staaten selbst und liegt als solcher jenen internationalen Prozessen und Institutionen voraus. Er muß dementsprechend als deren Möglichkeitsbedingung angesehen werden. Die Bedingung der Möglichkeit internationaler Integration und gemeinsamer Rechtspraxis setzt den Willen zum Frieden also voraus, und dieser bedarf zu seiner Entstehung, Wirksamkeit und Entfaltung des Fundaments einer Mentalität der Ächtung des Krieges. Dieser gilt nunmehr die Aufmerksamkeit.

§ 32: Mentalität und die politische Kultur der Ächtung des Krieges Der Mentalität der Kriegsächtung kommt vor dem Hintergrund internationaler Integration und Kooperation besondere Bedeutung zu, weil einerseits die Möglichkeit des Krieges und der Gewalt nicht aus der Welt zu schaffen ist, andererseits aber der Rekurs auf sie keineswegs eine determinierte Notwendigkeit darstellt. Innergesellschaftlich ist es die Leistung einer Kultur des Friedens und der ihr entsprechenden Institutionen (besonders des pazifizierten Rechts), den Rekurs auf Gewalt und Unfrieden zu minimieren. Es bleibt nun zur Vervollständigung nach der Entsprechung einer Kultur des Friedens auf internationaler Ebene zu fragen, wobei Kultur des Friedens hier - gemäß dem Friedensbegriff rur diese Ebene - nur heißen kann: eine Kultur der Vermeidung und Ächtung des Krieges. Wenn zum einen die innere Ordnung des politischen Verbandes Ausdruck des diesem zugrundeliegenden Ordnungswissens, zum anderen sein Frieden eine Leistung politischer Kultur ist, so kann danach gefragt werden, ob sich das Ordnungswissen und die hierauf aufbauende politische Kultur einer Bevölkerung nicht auch auf die Gestaltung der Außenbeziehungen des politischen Verbandes - und das heißt hier: auf die Entscheidungen zu Krieg oder Nicht-Krieg (die auch Bedingung der Möglichkeit internationaler Kooperation und Integration ist) - auswirken. Es ist vor allem Kant mit seiner auch 200 Jahre nach ihrem Erscheinen aktuellen Schrift Zum ewigen Frieden, der in diese Richtung weist. Frieden bedeutet auch rur Kant Abwesenheit des Krieges. 136 Er erscheint bei ihm als sittliche Pflicht, als Gebot der Vernunft. 137 Die Verwirklichung des ewigen Friedens d.h. der dauerhaften Abwesenheit von Krieg - sieht der Philosoph in einem "Friedensbund (foedus pacificium)" republikanischer Staaten, der ihm - wie bereits ausgeruhrt - als das "negative Surrogat,,138 eines Staatenstaates gilt. Der republikanische Charakter der Mitgliedsstaaten ist dabei konstitutiv, da Kant \36 \31 138

Siehe Kant, EF, 343 und 348 f. Siehe Kant, EF, 356 und ders., Metaphysik der Sitten, 354. Kant, EF, 357, siehe schon oben 233.

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nämlich mit einem pragmatischen Argument postuliert, daß Republiken untereinander keinen Krieg führen werden, da in ihnen die Menschen, welche "alle Drangsale des Krieges" erleiden, auch über ihn zu beschließen haben. 139 Die schon vor Kant ausgesprochene These 140 vom friedfertigen Charakter der Republiken wird in der politikwissenschaftlichen Diskussion seit einiger Zeit als democratic peace-These diskutiert. 141 In dieser Debatte wird davon ausgegangen, daß das Phänomen nicht monokausal zu erklären ist, sondern viele verschiedene Faktoren die Friedfertigkeit von Republiken begünstigen, wobei der Einfluß der konkreten institutionellen Gestaltung eines politischen Verbandes sowie der Tiefe seiner republikanischen politischen Kultur von besonderer Bedeutung ist. Bei einzelnen skeptischen Urteilen l42 findet sich Kants Auffassung Kant, EF, 351. Siehe auch ders., Gemeinspruch, 311. Siehe oben 33 mit dem Hinweis in Fn. 64. 141 Die democratic peace-These hat eine inzwischen unüberschaubare Literatur hervorgebracht. Ausführlich dazu jetzt die Monographie von Bruce Russett, Grasping the Democratic Peace. Principles for a Post-Cold War World, Princeton, New Jersey 1993; siehe schon früher ders., Controlling the Sword. The Democratic Governance of National Security, Carnbridge (Mass.), London 1990, 119-145 (If All the World Were Democratic) sowie James Lee Ray, Democracy and International Conflict. An Evaluation of the Democratic Peace Proposition, Columbia 1995; aus der älteren Literatur siehe mit Bezug auf Kant insbesondere Wright, A Study of War, 839-848, insbes. 847 f. Die These wird seit längerer Zeit unter anderem im Journal of Peace Research und im Journal of Conflict Resolution intensiv diskutiert, siehe dort Scott Gates 1 TorbjrJrn L. Knutsen 1 Jonathon W. Moses, Democracy and Peace: A More Sceptical View, in: Journal of Peace Research 33 (1996), 1-10; John R. Oneall Frances H. Oneall Zeer Maoz 1 Bruce Russett, The Liberal Peace: Interdependence, Democracy and International Conflict, 1950-85, in: Journal of Peace Research 33 (1996), 11-28; Georg Serensen, Kant and Processes of Democratization: Consequences for Neorealist Thought, in: Journal of Peace Research 29 (1992),397-414; Spencer R. Weart, Peace among Democratic and Oligarchie Republics, in: Journal of Peace Research 31 (1994), 299-316; siehe schließlich Steve Clan, Mirror, Mirror on the Wall ... Are the Freer Countries more Pacific?, in: The Journal of Conflict Resolution 28 (1984), 617-648. Siehe für die Diskussion im deutschen Sprachraum Volker Rittberger, Zur Friedensfähigkeit von Demokratien. Betrachtungen zur politischen Theorie des Friedens, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 44/87 vom 31. Oktober 1987, 3-12, bes. 8fT. und Ernst-Otto Czempiel, Kants Theorem: Warum sind die Demokratien (noch immer) nicht friedlich?, in: ZIB 3 (1996), 79-10 1, und die an diesen Beitrag sich anschließende Diskussion im gleichen Heft. 142 Siehe etwa die Studie von Gates 1 Knutsen 1 Moses, Democracy and Peace: A More Sceptical View. Die Autoren vetreten vor dem Hintergrund ihres Beispiels des Grenzkrieges zwischen Peru und Ecquador im Februar 1995 bezüglich der democratic peaceThese einen skeptischeren Standpunkt. Das Beispiel der nicht gerade als demokratische Musterstaaten bekannten Kriegsparteien verweist aber schon darauf, daß stets mehrere Einflußfaktoren eine Rolle spielen und daß auch nach dem "Grad" der Demokratisierung bzw. der Republikanisierung gefragt werden muß. Zu einer skeptischeren Sicht siehe auch Michael W. Doyle, Die Stimme der Völker. Politische Denker über die internationalen Auswirkungen der Demokratie, in: Höffe (Hrsg.), Immanuel Kant. Zum ewigen Frieden, 221-243 sowie Johan Galtung, Frieden mit friedlichen Mitteln. Friede und Konflikt, Entwicklung und Kultur, Opladen 1998, 97 ff. 139

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doch generell bestätigt, die Differenzen im Detail werden auf Unterschiede der institutionellen Ausgestaltung der Republiken und ihrer politischen Kultur zuTÜckgefuhrt. 143 Mit Kant behauptet die demoeratie peaee-These nicht, daß Republiken generell keine Kriege fuhren und nicht einmal. daß sie sich niemals auch untereinander bekriegen. Was behauptet wird und sich prinzipiell bestätigt findet, ist die Tendenz. daß Kriege unter Republiken selten(er) sind und möglichst vermieden werden. 144 Die demoeratie peaee- These ist hier nicht im einzelnen zu diskutieren. Vielmehr soll hier von der Akzeptanz des republikanischen Kriteriums ausgehend danach gefragt werden, was ihm als Bedingung fur seine Wirksamkeit zugrundeliegen muß. Die Voraussetzung der republikanischen inneren Verfaßtheit wird also als hinreichendes, nicht jedoch notwendiges Kriterium fur die außenpolitische Friedfertigkeit politischer Verbände gefaßt. 145

143 Siehe beispielsweise Weart, Peace among Democratic and Oligarchic Republics. passim. 144 So formuliert Wright (A Study of War, 847) vorsichtig: "Democracy has inherent possibilities of being the more peaceful form of government." Siehe auch die Formulierung von Michael W Doyle: "Preliminary evidence does appear to indicate that there exists a significant predisposition against warfare between liberal states." (Michael W Doyle. Kant, Liberal Legacies, and Foreign Affairs, in: Philosophy and Public Affairs, 12 (1983), zitiert nach dem Auszug unter dem Titel Liberal States and War, in: Lawrence Freedman (Hrsg.), War, Oxford, New York 1994. 105-107, hier S.106. Siehe ferner etwa Rittberger, Zur Friedensfähigkeit von Demokratien, 11). 145 Das zeigt sich schon daran, daß es historische Epochen gab, in welchen Frieden auch von nicht-republikanischen Staaten dauerhaft eingehalten wurde, etwa die Epoche zwischen 1815 und 1914, in der sich "die europäischen Großmächte ... nur dreimal für kürzere Zeiträume im Krieg [befanden]: sechs Monate im Jahre 1859, sechs Wochen im Jahre 1866 und neun Monate in der Zeit 1870/71", und die man daher als hundertjährigen Frieden (in Europa) bezeichnen kann. (Das Zitat ist aus Karl Polanyi, The Great Transformation, 356, siehe zur historischen Erklärung ebenda). Mann und Pross vertreten (1958) die Auffassung, daß die These, totalitäre Regime brauchten den Krieg, zumindest durch "die russische Erfahrung" nicht bestätigt werde: "Die Beherrscher der Sowjet-Union bedürfen eines Gegners, eines allenfalls zu erfindenden Drucks von außen; dem Krieg selber sind sie, solange sie irgend konnten, stets aus dem Weg gegangen." Mann / Pross, Krieg, ISS). Sie lehnen sich damit an die Auffassung der realistischen Schule an, daß "das Herrschaftssystem ... fur die Erklärung des Außenverhaltens der Staaten völlig irrelevant" sei, weil letzteres von der Struktur des internationalen Systems abhänge. (Siehe dazu Ernst-Dtto Czempiel, Kants Theorem und die zeitgenössische Theorie der internationalen Beziehungen, in: Lutz-Bachmann / Bohman (Hrsg.), Frieden durch Recht. 300-323, hier 305, von wo auch das Zitat stammt). Die Diskussion dieser Problematik muß den democrafie peace-Forschern überlassen bleiben; es kommt an dieser Stelle nur darauf an zu zeigen, daß die außenpolitische Friedlichkeit nicht nur auf die republikanische Verfaßtheit zurückgeführt werden kann, sondern daß sie vielmehr eines Fundamentes bedarf, das unter Umständen auch in anderen Herrschaftsformen Wirksamkeit entfalten kann. Dieses Fundament ist daher als die notwendige Bedingung für die Friedenstendenz politischer Verbände anzusehen.

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Die notwendige Bedingung dafiir, daß politische Verbände ihre Beziehungen auf nicht-gewaltsame Weise gestalten ist in einer Kultur der Venneidung und Ächtung des Krieges als eines Mittels der Außenpolitik zu sehen. Hinweise auf diese Zusammenhänge finden sich schon bei Kant. An diese und an die obigen Ausfiihrungen zu Mentalität und Ordnungswissen ist im folgenden anzuknüpfen. Kant geht davon aus, daß die Neigung zum (außenpolitischen) Frieden beim Menschen nicht einfach gegeben ist 146 und zeigt dann im Rahmen einer teleologischen Geschichtskonzeption, daß die Natur den Menschen zum Frieden drängt und sie somit das ihre zur Verwirklichung der sittlichen Friedenspflicht beiträgt. 147

Es sind dabei nach Kant verschiedene Zwänge, welche den Menschen zum Frieden drängen. So etwa zwingen die künstlichen Verhältnisse in der Welt da146 Kant meint. daß der Krieg "auf die menschliche Natur gepfropft zu sein [scheint)." (EF, 365. siehe auch im vierten Präliminarartikel. 345). Er hat dabei nicht den Krieg an sich im Blick. der ja ein Verhältnis zwischen politischen Verbänden darstellt. Vielmehr spricht er von einem kriegerischen Ethos, einer kriegerischen Mentalität: Der Krieg gelte "sogar als etwas Edles. wozu der Mensch durch den Ehrtrieb. ohne eigennützige Triebfedern beseelt wird ... so daß Kriegsmulh (von den amerikanischen Wilden sowohl. als den europäischen in den Ritterzeiten) nicht bloß. wenn Krieg ist ...• sondern auch, daß Krieg sei, von unmittelbarem großen Werth zu sein geurteilth wird." (Ebenda, 365). Was Kant hier verwirft. hat er an anderer Stelle anders beurteilt. nämlich in der Kritik der Urtheilskraft (1790; AA V. 165-485), wo er ausfuhrt: "Selbst der Krieg, wenn er mit Ordnung und Heiligachtung der bürgerlichen Rechte gefilhrt wird, hat etwas Erhabenes an sich und macht zugleich die Denkungsart des Volks, welches ihn auf diese Art filhrt, nur um desto erhabener. je mehreren Gefahren es ausgesetzt war und sich muthig darunter hat behaupten können: da hingegen ein langer Frieden den bloßen Handelsgeist, mit ihm aber den niedrigen Eigennutz. Feigheit und Weichlichkeit herrschend zu machen und die Denkungsart des Volks zu erniedrigen pflegt." (263). 147 Siehe den ersten Zusatz Von der Garantie des ewigen Friedens. EF, 360 ff. Hier nennt Kant drei Faktoren, mit der die Natur das ihre zur Erreichung des ewigen Friedens tut: Erstens zeigt er, daß der "Mechanism der Natur" auf dem Umweg über die selbstsüchtigen Neigungen der Menschen "den Widerstreit ihrer unfriedlichen Gesinnungen ... so zu richten" imstande ist. "daß sie sich unter Zwangsgesetze zu begeben einander selbst nöthigen und so den Friedenszustand. in welchem Gesetze Kraft haben. herbeifilhren müssen." (366). Zweitens filhrt Kanl den Pluralismus von Sprachen und Religionen ins Feld. der "bei anwachsender Cultur und der allmähligen Annäherung der Menschen zu größerer Einstimmung in Principien zum Einverständnisse in einem Frieden leitet. der nicht wie jener Despotism ... durch Schwächung aller Kräfte. sondern durch ihr Gleichgewicht im lebhaftesten Wetteifer derselben hervorgebracht und gesichert wird." (367). Schließlich nennt Kant drittens den Handelsgeist. "der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann." (368). Zu Kanls teleologischer Lehre siehe insbesondere auch ders .• Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, dort vor allem den siebenten Satz zur Rolle der Natur bei der Herstellung des Völkerbundes. den Kant dort als Foedus Amphictyonum bezeichnet: 24 ff. .

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zu, die "innere Cultur" eines Staates aufrechtzuerhalten, damit dieser seine internationale Stellung nicht verliert. Ferner verweist Kant darauf, daß die bürgerliche Freiheit nicht mehr angetastet werden kann, ohne zugleich gesamtwirtschaftliche Einbußen zu provozieren. Schließlich ist die Unberechenbarkeit des Krieges zu nennen: Der Krieg ist ein unsicheres und daher bedenkliches Mittel zur Austragung zwischenstaatlicher Konflikte geworden. 148 Mit diesen Faktoren verweist Kant auf Erfahrungen, die zu einer Ablehnung des Krieges fUhren, wobei seine Argumentation unter Bedingungen der elektronischen Zivilisation besonders stichhaltig wird. Gleichwohl liegt hier eine Problematik, die unter Rückgriff auf das Konzept der Mentalität theoretisch bewältigt werden kann, während sie bei Kant nicht direkt behandelt wird. Die Schwierigkeit des Kantschen Gedankens, die aufgezeigten Faktoren fUhrten im Verein mit der republikanischen Verfaßtheit des Staates dazu, daß die Menschen dem Krieg nicht mehr zustimmten, liegt in derjenigen der Aggregierung individueller Interessen zu einem Gesamtinteresse. Auch wenn der Krieg fUr den Einzelnen eine große Last und sogar eine Gefiihrdung seines Lebens darstellt, ist damit noch nicht selbstverständlich, daß die Kriege deshalb ein Ende finden, da sie Angelegenheit der politischen Verbände, nicht von einzelnen Individuen sind. Wie die Interessen von Individuen zu einem Gemeininteresse aggregiert werden ist eine Frage kollektiven Lernens und kollektiver Subjektivität, die unter Zugrundelegung der bereits entwickelten Begriftlichkeit geklärt werden kann. Für die Friedfertigkeit des politischen Verbandes ist es nicht ausreichend, wenn einzelne zur Einsicht von der Drangsal des Krieges gelangen; und zwar weder, wenn es sich bei diesen Einzelnen um die maßgebenden Politiker, noch wenn es sich um alle Einzelnen handelt. 149 Vielmehr muß die außenpolitische Friedfertigkeit in die Verfassung des politischen Verbandes auf die Weise integriert sein, daß sie dessen Handeln nach außen bestimmt, sie muß also Element seines Willens werden. 150 Das heißt, daß sie in die Leitidee des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens der Menschen im politischen Verband (!) "hineingezogen" werden muß. Dies setzt aber voraus, daß aus der Leitidee des gemeinsamen Zusammenlebens (im jeweiligen Volk) der allgemeine Wille zum 148 Siehe dazu Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, 27 f. 149 Es fUhrt daher zu einer Unterschätzung der Problematik, wenn man mit Czempiel (und im Anschluß an Kant) nur danach fragt, weIches Interesse das einzelne Gesellschaftsmitglied am Krieg haben sollte, und von diesem Blick auf das Individuum ausgehend - eingedenk der Tatsache, daß "nur wer direkt betroffen ist, ... sich gegen Gewalt und Krieg" wende - zur Beendigung von demokratischen Staaten gefUhrter Kriege eine "gleiche Lastenverteilung unter allen Bürgern" bezüglich der Kosten der KriegsfUhrung fordert. (Czempiel, Kants Theorem und die zeitgenössischen Theorie, 312). 150 Die Integration des Friedenswillens in die Verfassung bedeutet natürlich nicht, daß in einer Verfassungsurkunde der Wille zum Frieden oder die Ächtung des Krieges explizit niedergelegt sein muß.

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außenpolitischen Frieden, d.h.: zum Nicht-Krieg, resultieren und bewußt gemacht werden muß. Dabei ist zu beachten, daß es nicht schon die moralische Ablehnung des Krieges ist, die schließlich zu dessen politischer und rechtlicher Ächtung fiihrt. Vielmehr bedarf es einer reflektierten kollektiven Erfahrung der Völker, welche gerade (aber nicht nur) unter den spezifischen Bedingungen der europäischen Neuzeit gemacht werden konnte: Diese Bedingungen bestanden vor allem im technologischen Wandel der Kriegsfiihrung, der zur Folge hatte, daß die vom Krieg verursachten Zwänge immer stärker das Gesamtleben des Staates beeinträchtigten; im Wandel der Schlacht als Aufeinandertreffen von großen Kollektiven (insbes. von Volksheeren), nicht mehr "nur" als Duell zwischen Kabinettsheeren; in der Veröffentlichung und publizistischen Diskussion des Kriegsgeschehens etc. All diese Faktoren fiihrten zur kollektiven Erfahrung des Krieges und zur Ausbildung eines in bezug auf die Außenpolitik friedlichen Ordnungswissens. Und erst auf dem Weg über dieses konnte die Ablehnung des Krieges konstitutiv fiir den Staatswillen werden: Durch Reflexion auf die negative allgemeine Kriegserfahrung wurde der Staatswille zum internationalen Frieden Bestandteil der jeweiligen politischen Kultur und als solcher konstitutiv fiir das Handeln des Staates: Die Ächtung des Krieges wurde so zum bewußten Inhalt völkerrechtlicher Vereinbarungen. 151 Es ist also gerade der Krieg selbst, der kollektive Friedfertigkeit von Völkern und damit die Friedfertigkeit politischer Verbände erzeugt. Die Kriegserfahrung kann über kollektives Lernen zu einem Element der Verfassung werden, wobei sich dieses Element an der kollektiven Ablehnung des Krieges ausbildet. Entsprechend den obigen Ausfiihrungen zur Eigenart praktischen Wissens 152 genügt zur politischen Wirksamkeit die abstrakte Forderung "Frieden soll sein" nicht: Der Gehalt dieser Forderung muß vielmehr in das Ordnungswissen einer Gesellschaft aufgenommen werden. Man kann vor diesem Hintergrund mit Karl Otto Hondrich vom Krieg als Lehrmeister des Friedens sprechen. 153 Diese Sicht 151 Dabei hat die neuzeitliche Vorstellung vom internationalen Frieden als Gut an sich ihr Paradigma in der Erfahrung der konfessionellen Bürger- und Staatenkriege. Die Theoretiker, welche diese Erfahrung auf den Begriff brachten und den Frieden als einen politischen Wert an sich theoretisierten, waren die bereits erwähnten französischen Politiques und Thomas Hobbes. Siehe dazu die Literaturhinweise oben 146, Fn. 90 und den dazugehörigen Text. 152 Siehe § 8, insbes. Fn. 119. 153 Siehe KarlOtto Hondrich, Lehrmeister Krieg, Reinbek bei Hamburg 1992. Hondrich setzt sich ausflihrlich damit auseinander, daß das Erlebnis des Kriegsleids zur kollektiven Friedfertigkeit fuhrt und präsentiert dazu eine Fülle interessanter Beobachtungen. Er betont, daß "das Erlebnis vergangenen Leids ... als ein nicht nur gedachtes, sondern körperlich und seelisch geflihltes ... der stärkste und unmittelbarste Lehrer der

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der Dinge findet sich im Prinzip auch bei Kant, der davon spricht, daß es die Verwüstungen, Umkippungen und die innere Erschöpfung der Kräfte - also "viel traurige Erfahrung,,154 - seien, weIche die Menschen zum Friedenswillen fuhrt. Eine ähnliche Einsicht fonnuliert auch Bou/ding. 155 Hier bleibt hervorzuheben, daß es sich um kollektive Erfahrungen handeln muß, soll die Ablehnung des Krieges außenpolitische Wirksamkeit entfalten. Dieser Gedanke ist unabhängig von einer teleologischen Konzeption der Geschichte. Wenn Kant in der Beförderung der Friedfertigkeit des politischen Verbandes nach außen die Natur am Werke sieht, so ist diese Leistung vor dem Hintergrund der obigen Ausfuhrungen zum Kulturbegriff stattdessen der Kultur - und zwar der politischen Kultur - zuzurechnen. 156 Vennittelt über die politi-

Friedfertigkeit" sei - "aber auch der unerwünschteste." (Ebenda, 20). Er verweist darauf, daß die kollektiven Vorstellungen sich "nicht etwa im intellektuellen Diskurs, in der sachlichen Verhandlung" (ebenda, 8) verändern. Hondrichs Auffassung der kollektiven Vorstellungen entspricht genau den hier als praktisches Wissen, Mentalität und Ordnungswissen bezeichneten Phänomenen. (Siehe ebenda, 43 ff., wo Hondrich (44) auch darauf hinweist, daß die kollektiven Vorstellungen kein "rätselhaftes 'kollektives Unbewußtes' im Sinne der Psychoanalyse" sind). Das Phänomen des kollektiven Lernens aus dem Krieg verdeutlicht, daß Krieg nicht nur einen instrumentalen Charakter für die Politik hat, sondern auch eine identitätsbildende politisch-existentielle Dimension aufweist, die ebenfalls schon von von Clausewitz hervorgehoben wurde und die auch Hegel in seinen oft mißverstandenen Ausfiihrungen zum Krieg im Sinne hatte. Mit der existentiellen Dimension des Krieges ist dabei das Phänomen gemeint, daß eine politische Gesellschaft im Krieg zu einem geschärften Bewußtsein ihrer eigenen politischen Identität gelangt. Siehe dazu Hondrich, eben da, 55 ff. und Her/ried Münkler, Instrumentelle und existentielle Auffassung des Krieges bei Carl von Clausewitz. in: ders., Gewalt und Ordnung, 92-110. Die Geschichte ist reich an Beispielen für diese Prozesse. Siehe etwa für die Rolle der gemeinsamen Kriegsführung bei der Ausbildung der polis-Identität in Athen Michael Stahl, Aristokraten und Tyrannen im archaischen Athen. Untersuchungen zur Überlieferung, zur Sozialstruktur und zur Entstehung des Staates, Stuttgart 1987. 155 ff. und 160 ff. oder für die Ethik, die sich in späterer Zeit aus der Kriegsführung mit der Phalanxtechnik ergab, Oswyn Murray, Das frühe Griechenland, München 1982, 159 ff. Siehe ferner etwa Ohler, 318 f. 154 Kant, Ideen zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, 24. ISS Siehe Boulding, Dauerhafter Frieden zwischen Staaten, 313. 156 Daß unter Umständen auch die Bejahung des Krieges identitätsbildend wirken kann, ist beispielsweise den Schriften einiger Autoren der sogenannten Konservativen Revolution zu entnehmen. (Siehe hierzu die Studie von Ste/an Breuer, Anatomie der Konservativen Revolution, Darmstadt 1993. Breuer sucht (33 ff., insbes. 47 f.) die Gemeinsamkeit der Autoren der Konservativen Revolution unter Rückgriff auf Geigers Mentalitätsbegriff zu erklären). Allerdings war die in dieser Literatur manifestierte heroisch-existenzialistische Kriegsauffassung für das deutsche Volk ebensowenig repräsentativ wie die sich darin ausdrückende Kämpfermentalität; beide wurden nicht zu prägenden Elementen von dessen politischem Selbstverständnis. Das Beispiel bestätigt die Vorstellung von einer sich über den Weg der Reflexion ausbildenden Mentalität: Die reflektierte Bewertung des Krieges fuhrt zur Ausprägung von Gewohnheiten, die

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sche Kultur und die Leitidee des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens ist so auch das einzelne Individuum mit der internationalen Politik verknüpft. Während Kant seine Überlegungen in ihrer Geltung auf die neuzeitlichen Republiken beschränkt 157 , gilt die Überlegung von der kollektiv erlernten Friedfertigkeit wohl rur alle politischen Gesellschaften. Wenngleich man exemplarisch auf die neuzeitliche Entwicklung in Europa verweisen kann, ist es doch möglich, daß die entsprechenden Konstellationen prinzipiell bei jedem politischen Verband eintreten können, also nicht an die neuzeitliche Form des liberalen Verfassungsstaates gebunden sind, sondern gerade als eine Bedingung rur dessen Friedfertigkeit angesehen werden müssen. Dies wird unter anderem durch die Forschungen zur democratie peace-These bestätigt, die auch etwa rur die antiken demokratischen Gemeinwesen Griechenlands oder die mittelalterliche Schweiz eine wechselseitige Friedfertigkeit erkennen lassen. 158 Ein anderes Beispiel scheint die Konföderation von Irokesen-Stämmen im 16. Jahrhundert zu sein, von der in der ethnologischen Literatur berichtet wird. William G. Sumner schreibt zu dieser: "One of the most remarkable examples of a peace-group which could be mentioned is the League of the Iroquois which was formed in the sixteenth century; it deserves to be classed here with the peace-institutions of civilized states. This league was a confederation of five, afterward six tribes of Indians, to maintain peace. By Indian usage blood revenge was a duty; but the Iroquois confederation put a stop to this, as between its members, by substituting laws and civil authority. It was ... a great peaceconfederation." 159

schließlich in unreflektierte Selbstverständlichkeit absinken und so das kollektive Selbstverständnis mitprägen. 157 Siehe Kam, EF, 353. 158 Siehe dazu Weart, Peace among Democratic and Oligarchie Republics, 303 und Bruce Russell I William Antholis, 00 Democracies Fight Each Other? Evidence from the Peleponnesian War, in: 10urnal of Peace Research 29 (1992), 415-434. Bei kritischer Bewertung der problematischen Quellen- und Datenlage kommen Russell und Antholis in ihrer differenzierenden Arbeit zum Ergebnis, daß in Griechenland "Normen" "that 'democracies should not fight each other' were just being born." (Ebenda, 430). Kriege zwischen Demokratien fanden statt, blieben nach dem Befund der Autoren aber eine Ausnahme, die eher auf das Konto anderer Faktoren als auf dasjenige der politischen Verfaßtheit gehen. (Siehe differenziert dazu ebenda, 424-427). Siehe zum Ganzen noch Russell, Grasping the Democratic Peace, 43-71, bes. 52 f. 159 Sumner, War, 310 f. Siehe zu diesem Irokesenbund und seinem politischen Charakter ausführlicher Mühlmann, Krieg und Frieden. Ein Leitfaden der politischen Ethnologie, passim, besonders 149 ff. und 144. An anderer Stelle bemerkt Mühlmann, daß "Konföderationen wie die der Irokesen u.a. Indianer ... kein kultisches, sondern [ein, M.H.] ausgesprochen politisches Gesicht [tragen]." (Mühlmann, Krieg und Frieden, in: Bernsdorfl Bülow (Hrsg.), Wörterbuch der Soziologie, 271).

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Trotz der erkennbaren Tendenzen zum Frieden zwischen politischen Verbänden (hier fallen Republik und politischer Verband in eins l60 ) hat es immer wieder Kriege gegeben, nicht nur zwischen diesen und despotischen Regimen, sondern auch zwischen ihnen untereinander. Es stellt sich daher die Frage, in welchem Verhältnis die im Ordnungswissen verankerte Friedensgesinnung eines politischen Verbandes zu den von ihm tatsächlich geführten Kriegen zu sehen ist. Hier sind zunächst zwei Feststellungen zu treffen, die eine gemeinsame Erklärung haben: (i.) Die Friedensgesinnung von politischen Verbänden oder Republiken schließt (auch bei Kanl) den Krieg gegen Angreifer als Mittel der Selbstverteidigung nicht aus. So bleibt Krieg weiterhin legitime Möglichkeit im politischen Kalkül. (ii.) Auch die Friedensgesinnung von Republiken ist keine Garantie dagegen, daß nicht doch ein Krieg sogar unter ihnen ausbrechen kann. 161 Diese Feststellungen erklären sich ohne weiteres aus dem Begriff der Politik: Wenn das situative Kalkül für Politik, mithin auch für Außenpolitik, wesentlich ist, so kann es unter den besonderen Bedingungen einer gegebenen Situation politisch klug und notwendig sein, Krieg zu führen. Die Umstände einer solchen konkreten Situation können die politische Notwendigkeit zur Folge haben, daß sich der betreffende politische Verband auch über seine eigene außenpolitische Friedensgesinnung hinwegsetzt, welche nur ein Element jener Leitidee darstellt, an welcher orientiert er handelt. Gegenüber diesem Element können in der fraglichen Situation andere Elemente (etwa: der Wille zur Beibehaltung der politischen Unabhängigkeit) den Vorrang einnehmen, so daß Krieg zu führen rationaler ist, als andere Konstitutiva des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens preiszugeben. Vor diesem Hintergrund muß stets mit der Möglichkeit des Krieges gerechnet werden. Daher besteht die Leistung der außenpolitischen Friedensgesinnung eines Staates nicht darin, daß der Krieg als Mittel der Politik aus der Welt geschafft wird, sondern darin, daß seine Anwendung als nonnales oder alltägliches Mittel der Politik diskreditiert ist. Insofern ist die politische Kultur der Ächtung des Krieges das Sediment des außenpolitischen Friedens, das seine Wirksamkeit aber stets unter gegebenen Bedingungen und im Kontext verschiedener Faktoren in konkreter Situation neu entfalten muß, wobei dann insbesondere der spezifischen institutionellen Verfaßtheit des jeweiligen politischen Verbandes eine besonders wichtige Rolle zukommt. Eine republikanisch-demokratische Verfaßtheit ohne das friedliche Element im Ordnungswissen jedoch reichte weder Siehe dazu schon oben im Vorwort, 7. Zum Krieg zwischen griechischen Demokratien siehe Russeu! Antholis, 424 ff., zu den Kriegen des Irokesenbundes im Kontext des Zusammenhangs von (innerem) Frieden und (äußerem) Krieg siehe Mühlmann, Krieg und Frieden. Ein Leitfaden der politischen Ethnologie, 189 f. 160 161

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zur Vermeidung und Verhinderung von Kriegen l62 noch dazu aus, den Krieg völkerrechtlich zu verbieten. Vor diesem Hintergrund ist daher die völkerrechtliche Ächtung des Krieges im 20. Jahrhundert zu bewerten. Man mag hier fiir die europäisch-amerikanische Neuzeit tatsächlich von einem politischen Fortschritt sprechen: Hier wird seit der frühen Neuzeit der internationale Frieden im Sinne der Ächtung des Krieges erstmals ausdrücklich als "J:>rojekt" in Angriff genommen: Während der Krieg zuvor trotz der in der democratie peace-These zusammengefaßten Tendenzen als "normales" Mittel der Außenpolitik betrachtet wurde, häufen sich seit der Renaissance die Friedensrufe und Friedenspläne der politischen Denker und Publizisten l63 , die auf die Erfahrungen der Völker treffen und schließlich einen Prozeß einleiten, in welchem sich in den Staaten Europas und in den USA schließlich ab etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts die von Kant formulierte Idee, daß der Frieden Pflicht sei, in der Politik der Staaten durchsetzt. Diese Entwicklung gipfelt nach den Zwischenschritten des Völkerbundes und vor allem des Briand-Kellogg-Paktes im völkerrechtlichen allgemeinen Verbot des Krieges in der Charta der Vereinten Nationen (Art. 2 Nr. 4).164 Die rechtlich proklamierte Ächtung des Krieges hat diesen ebensowenig als Wirklichkeit wie als Möglichkeit beseitigt. Im Verein mit einer tief sedimentierten Kultur der Ächtung des Krieges bestehen aber mit den rechtlichen Vorgaben historisch neue Möglichkeiten, den Krieg zurückzudrängen und den Frieden der Staaten in Systemen kollektiver Sicherheit zu sichern und zu vertiefen, da die Normalität des Krieges als Mittel der Politik nicht mehr akzeptiert ist. Dennoch muß am Schluß nochmals hervorgehoben werden, daß die Ächtung des Krieges eine Leistung politischer Kultur ist, die ebensowenig wie die Zurückdrängung der rechtlichen Gewalt durch ihre Monopolisierung beim Staat diese aus der Welt geschafft hat, imstande ist - und sei sie auch rechtlich kodifiziert - den Krieg als Möglichkeit aus der Welt schaffen. Solange es politische Verbände gibt, die über ihr Handeln selbst bestimmen können, existiert auch die Möglichkeit des Krieges. 165

162 So kann demokratisch-republikanische Gesinnung ja auch zu einem nicht notwendigerweise gewaltlosen "liberalen Imperialismus" (Doyle) fuhren. 163 Siehe hierzu die kommentierte Dokumentation von von Raumer, Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance, sowie die einschlägigen Arbeiten, die 18 oben in Fn. 5 aufgeflihrt sind. 164 Ausfuhrlich zur neuen Epoche des nachklassischen Völkerrechts Grewe, Epochen, 677-808, besonders 728 fT. und 783 ff. Siehe auch Kimminich, Einflihrung, 82 ff. und zum Gewaltverbot der UN-Charta ausflihrlich Fischer, in: Ipsen, § 57, Rn. 9 ff. und Jost Delbrück, Wirksameres Völkerrecht oder neu es "Weltinnenrecht"? Perspektiven der Rechtsentwicklung in einem sich wandelnden internationalen System, in: Senghaas, (Hrsg.), Frieden machen, 482-512, hier 484 ff. 165 Siehe dazu deutlich Schmit!, BP, 51 f. und ff.

G. Die interaktionistische Theorie der Kultur des Friedens Die vorstehenden Ausführungen nahmen ihren Ausgang von Senghaas' Theorie der Kultur des Friedens. Das zivilisatorische Hexagon, das Senghaas entwickelt, um die Identität von Frieden und (insbesondere: politischer) Zivilisierung l aufzuzeigen, beschränkt sich in seiner Gültigkeit auf das neuzeitliche Europa. Die in der vorliegenden Arbeit vorgestellte Theorie ermöglicht es, unter Anknüpfung an Senghaas dessen Idee der Kultur des Friedens zu universalisieren und damit auf alle historischen Gesellschaften anwendbar zu machen, wobei Kultur als lebensweltliches Phänomen zu verstehen ist. Die Kultur des Friedens umfaßt, wie Senghaas ausführt, sowohl subjektive wie objektive Aspekte. Die subjektiven Aspekte bestehen dabei nicht nur in einer konstruktiven Konfliktkultur des Verhaltens der Individuen. 2 Vielmehr gehören zur subjektiven Seite der Kultur des Friedens alle Gewohnheiten und Mentalitäten, insofern sie den lebensweltlichen Rahmen für die Ausbildung des Menschen als Person in Interaktion darstellen. Diesen Phänomenen entsprechen die Institutionen als der objektiven Seite von Mentaliät und Gewohnheit. Senghaas fokussiert seine Aufmerksamkeit auf politische Institutionen, also auf den neuzeitlichen Verfassungsstaat als demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Dabei gerät ihm aus dem Blick, daß es bereits die innergesel/schajt/ichen, vorpolitischen Institutionen sind, in welchen sich lebensweltlich der Frieden (der Person) sedimentiert. Hierher gehören beispielsweise die Familie (welche Form sie auch immer haben mag), das (Privat-) Reche ebenso wie Schulen, Vereine oder Kneipen. Als notwendige Bedingung der Möglichkeit der Entfaltung der Person sind all diese Institutionen kulturelle Ausprägungen des innergesellschaftlichen Friedens. Daher sind auch die vorpolitischen Ausprägungen der Kultur in ein universal gültiges Konzept der Kultur des Friedens miteinzubeziehen.

1 Siehe Senghaas / Senghaas, Si vis pacem, 231 und Senghaas, Frieden, 197, wo er schreibt: "Gelungene Zivilisierung und Frieden sind ... identische Tatbestände." 2 Senghaas nennt in Anlehnung an Elias die "Zivilisierung der Affekte" als weiteren Faktor auf der subjektiven Seite, der aber - wie gezeigt - skeptisch zu beurteilen ist. 3 Im Bereich des Rechts allerdings besteht - wie ebenfalls ausgeführt - im demokratischen Verfassungsstaat eine Verknüpfung der Ebenen partikularer und gesamtgesellschaftlicher, d.h. staatlicher Interaktion.

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G. Die interaktionistische Theorie der Kultur des Friedens

Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene muß Senghaas' Konzept in der Weise erweitert werden, daß nicht erst mit dem neuzeitlichen Verfassungsstaat der gesamtsoziale Frieden gestiftet wird. Vielmehr ist der modeme Verfassungsstaat eine Variante des politischen Verbandes und es ist dieser, welcher die Befriedung der Gesamtgesellschaft leistet indem er deren Existenz darstellt und ihre Identität aktualisiert. So ist beispielsweise die antike polis ebenso Friedenseinheit und Friedensordnung ihrer Gesellschaft wie die politischen Einheiten authentischer Gesellschaften in der Vielfalt ihrer Formen. Dajeder politische Verband eine ausdrückliche Schöpfung der Menschen ist, beruht er auf deren Willen zum Zusammenleben und ist daher von der jeweiligen politischen Kultur einer Gesellschaft existentiell abhängig. Man kann somit Senghaas' zivilisatorisches Hexagon des neuzeitlichen Verfassungsstaates weiterentwickeln zu einem historisch universalen Hexagon der Kultur des Friedens, das - wenn auch als Graphik wenig inhaltliche Aussagekraft - folgende Gestalt hätte: Politischer Verband Institution

~-+-+...,-~

Politische Kultur

Gewolmheit ~-..ar-+--#o-~ Ordnungswissen Mentalität

Das Senghaassche Hexagon4 ist nunmehr als die rur den neuzeitlichen demokratischen Verfassungsstaat und seine Gesellschaft gültige Variante dieses universalen Modells zu betrachten. Für andere politische Verbände und Gesellschaften wären entsprechende Konkretisierungen des universalen Hexagons zu erarbeiten.

4 Die entsprechende Graphik findet sich bei Senghaas, Kultur des Friedens, 4 und Frieden, 203.

G. Die interaktionistische Theorie der Kultur des Friedens

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Das Konzept der Kultur des Friedens wird von Senghaas zu Recht nicht nur auf partikulare und gesamtgesellschaftliche Interaktion beschränkt, sondern auch auf die Interaktion politischer Verbände angewandt. Vor dem Hintergrund der hier entwickelten Auffassung vom internationalen Frieden als Abwesenheit des Krieges bedeutet die Kultur des Friedens eine Kultur der Ächtung des Krieges, welche Grundlage und Vorausesetzung fiir internationale Intergrationsprozesse nicht nur wirtschaftlicher und sonstiger funktionaler, sondern auch politischer Art sein kann und heute in Teilen der Welt schon ist. Die politische Kultur der Ächtung des Krieges, die ihre Wirksamkeit nach den Erkenntnissen der demoeratie peaee-Forschung besonders unter republikanischen Bedingungen entfaltet, fiihrt dazu, daß das Mittel des Krieges in den Verhältnissen politischer Verbände gemieden wird. Hierauf aufbauend kann der Frieden mittels Völkerrecht und internationalen Organisationen sicherer gemacht und vertieft werden. Diese Prozesse können in die Bildung von (regionalen) Staaten staaten und schließlich in einen Welt-Staatenstaat einmünden, was bedeutet, daß die beteiligten politischen Verbände auf die Ausübung eines erheblichen Teils ihrer Souveränitätsrechte verzichten. Die politische Kultur der Ächtung des Krieges ist somit Fundament jeglicher gelingender politischer Integration, die stattfinden kann, ohne daß die beteiligten Völker ihre politische Identität aufgeben müßten. Vor dem Hintergrund der interaktionistischen Friedenstheorie, welche die Senghaassche Vorstellung von der Identität von Kultur und Frieden in der Lebenswelt bestätigt, drängt sich nunmehr die Frage danach auf, wie und an welcher Stelle innerhalb dieses Konzepts der Unfrieden - und namentlich: die Gewalt - ihren Platz haben. Zur Beantwortung dieser Frage, muß man gewissermaßen einen Standpunkt auf der Metaebene der Betrachtung beziehen. Von dort her scheint es eine unzulässige Vereinfachung zu sein, mit Senghaas von der "Unkultur von Gewalt,,5 oder - bezogen auf die Interaktion politischer Verbände - mit Ekkehart KrippendorfJvon "politischer Unvernunft" des Krieges 6 zu sprechen. Schon die Verknüpfung des Rechts mit der Gewalt, welche ersterem als Mittel zur Darstellung seines Geltungsanspruches dient, verweist darauf, daß man Gewalt und Unfrieden nicht einfach aus dem Bereich der Kultur verdammen kann. Ähnliches gilt fiir den Krieg: Insofern der politische Verband eine Kulturleistung darstellt und fiir die Menschen unverzichtbar ist, kann der Krieg als Mittel der politischen Selbstbehauptung der Menschen nicht einfach als Dummheit und Irrtum oder Fehler in der Kultur verurteilt werden. In jüngster Zeit hat vor allem Hondrieh zu Recht wieder hervorgehoben, daß der Krieg mit

Senghaas, Kultur des Friedens, 7. Siehe etwa Ekkehart KrippendorjJ, Staat und Krieg. Die historische Logik der Unvernunft, Frankfurt arn Main 1985. 5

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G. Die interaktionistische Theorie der Kultur des Friedens

der kollektiven politischen Identität von Gesellschaften verknüpft ise - das heißt mit deren Freiheit und Selbstbestimmung. Wie immer unser moralisches Verhältnis zum Krieg sein mag, und wie sehr gerade angesichts der Atombombe die moralische Problematik des Krieges verschärft ins Bewußtsein tritt: Zunächst einmal muß Krieg als rationales Mittel der kollektiven Selbstbehauptung, also der Behauptung gemeinsamer Existenz und Unabhängigkeit und auch gemeinsamer Freiheit angesehen werden. Daher aber gibt es keinen Grund, den Krieg von vornherein aus der Kultur herauszuhalten. Wenn man nun aber an der Identität von Kultur und Frieden festhalten will, so scheint hier die Gefahr des Widerspruches zu lauem. Aber dieser Eindruck täuscht. Man kann und muß nämlich den Unfrieden als das Andere der Kultur ansehen, das mit ihr untrennbar verknüpft ist. 8 Und gerade diese Sichtweise scheint den theoretischen Gehalt der Vorstellung von der Kultur des Friedens zu vergrößern: Denn das eigentlich Interessante ist die Einsicht in jene Zusammenhänge, welche offenbar werden lassen, daß und wie Unfrieden kultiviert und zurückgedrängt wird und daß Unfrieden von vornherein gegenüber der Kultur des Friedens immer nur Negation, nicht aber Bestimmendes sein kann. Daß gerade in dieser Negation wiederum eine kulturschaffende Kraft zu stecken scheint, ist eines der größten Rätsel der Menschheit, dessen theoretische Klärung kulturphilosophischer (um nicht zu sagen: kulturmetaphysischer) Reflexion vorbehalten bleiben muß.

7 Siehe Hondrich, Lehrmeister Krieg, besonders. 40 tf. und ders., Unser Verhältnis zum Krieg, besonders 51 ff. Aus der zitierten Literatur siehe zu diesem Themenkomplex insbesondere noch Mühlmann, Krieg und Frieden. Ein Leitfaden der politischen Ethnologie, passim. 8 In einem ähnlichen Sinne sprechen auch Aleida und Jan Assmann von der Gewalt als dem Anderen der Kommunikation und stellen zum Krieg fest: "Aus der Kultur, die er ... zerstört, ist er in einem anderen Sinne ... hervorgegangen." (Assmann IAssmann, Kultur und Konflikt, 13).

H. Der Frieden in der Welt der Werte Aus der Perspektive der vorgelegten interaktionistischen Theorie des Friedens ergeben sich zahlreiche Konsequenzen für dessen ethische Betrachtung. Dieses Thema muß im einzelnen einer Studie zur (politischen) Ethik (des Friedens) vorbehalten bleiben und kann daher hier nicht ausführlich diskutiert werden. Es müssen einige allgemeinere Hinweise genügen, mittels derer zu verdeutlichen ist, wie die hier vorgelegte Theorie für solche Betrachtungen fruchtbar gemacht werden kann. Etwas breiter ist jedoch auf die Galtungsche Vorstellung vom Frieden als der Abwesenheit struktureller Gewalt einzugehen. Damit wird die Diskussion wieder zum Ausgangspunkt der Arbeit zurückgeführt.

§ 33: Frieden und Gerechtigkeit Zunächst ist das Problem des Zusammenhangs von Frieden und Gerechtigkeit herauszugreifen. Die konditionale oder durch Konjunktion nebeneinandergestellte Verbindung der beiden Begriffe ist ein fester Bestandteil abendländischen Denkens. Die ältesten Quellen hierzu finden sich im Alten Testament. I Auch heute wird immer wieder davon gesprochen, daß der Frieden das Werk der Gerechtigkeit oder Gerechtigkeit gar Frieden sei. 2 Nach den obigen Ausführungen ist hier zunächst bezüglich der drei Ebenen von Interaktion zu differenzieren. Für den Frieden der Person ergibt sich dabei, daß dieser völlig unabhängig von der Gerechtigkeit im politischen Verband und in der Gesellschaft ist. Der Mensch bildet sich in Interaktion auch unter widrigen und ungerechten politischen und sozialen Umständen im Sinne des Identitätsbildungskonzepts Meads zu einer Person aus und kann sich auch in solchen Umständen als Person I So wird etwa Jes 32. 17 der Frieden als die Frucht der Gerechtigkeit bezeichnet. Zahlreiche Belege aus der Rechtsgeschichte und der Geschichte der Theologie (bis zum späten Mittelalter) finden sich bei Hans Hattenhauer, Pax et iustitia (Berichte aus den Sitzungen der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften e.V. Hamburg, Jg. I) Hamburg 1983. 2 So aus der zahlreichen Literatur beispielsweise Kaufmann, Gerechtigkeit; siehe dazu auch Zsijkovits, Der Friede als Wert, 87-95 oder Anton Rauscher, Recht und Gerechtigkeit als Voraussetzung und Grundlage des Friedens, in: Weiler / Zsijkovits (Hrsg.), Unterwegs zum Frieden, 219-233.

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H. Der Frieden in der Welt der Werte

bewähren. 3 Aber auch wenn der Einzelne in direkter Interaktion Ungerechtigkeit von anderen erfahrt, ist damit der Frieden seiner Person solange nicht berührt, wie diese Ungerechtigkeit nicht in Unfrieden und Destruktion umschlägt. Auch hier gilt wieder, daß sich die Person auch unter schwierigen Umständen bewähren kann. Allerdings wird in diesem Kontext eine Problematik erneut sichtbar, die schon oben ausfilhrlich diskutiert wurde: Ebenso wie das Beharren auf dem Recht schnell auch zu Unfrieden filhren kann, ist dies beim Beharren auf der Gerechtigkeit der Fall. Das skizziert in klaren Worten Henke: "Die Gerechtigkeit [ist] zwiespältig, so daß jeder Schritt auf sie zu gleichzeitig von ihr wegführt. Es hatte sich gezeigt, daß das Urteil darüber, was gerecht sei, durchaus und unentrinnbar subjektiv ist und daß darum über Gerechtigkeit, sobald es nicht nur um allgemeine Formeln, sondern um ein bestimmtes Tun und Lassen geht, leicht und oft Streit entsteht. Gerechtigkeit zu verwirklichen bedeutet also immer, ein subjektives Urteil zu verwirklichen und, wo Streit besteht, sich auf eine Seite zu schlagen, um dem einen Urteil gegen das andere, einer Gerechtigkeit gegen die andere zum Sieg zu verhelfen, die Forderung nach Gerechtigkeit also einerseits zu erfüllen, andererseits zu unterdrücken. ,,4

Dementsprechend steigert sich der Streit um Gerechtigkeit "oft zu Kampf und Rache"s, so daß "Gerechtigkeit und Frieden ... einander entgegengesetzt [sind]. ,,6 Der Rekurs auf Gerechtigkeit zur Herstellung des Friedens ist vor diesem Hintergrund also problematisch, und zwar nicht nur deshalb, weil das Beharren auf der Gerechtigkeit Feindschaft und Unfrieden zu erzeugen vermag, sondern auch, weil bei den Autoren sehr oft offengelassen wird, welcher Frieden (im Sinne der drei Interaktionsebenen) denn durch Gerechtigkeit hergestellt werden soll. Der Frieden der Person, der hier behandelt wird, kann damit nicht gemeint sein. Anders liegen die Zusammenhänge zwischen Frieden und Gerechtigkeit auf der Ebene der gesamtgesellschaftlichen Interaktion, wobei aber nicht mehr von der Gerechtigkeit einzelner Handlungen, sondern vielmehr von derjenigen einer Ordnung zu sprechen ist: Sofern man hier Gerechtigkeit mit der Legitimität des politischen Verbandes identifiziert, ist dessen Existenz - und das heißt: der gesamtgesellschaftliche Frieden - unmittelbar mit jener verknüpft. Das resultiert daraus, daß der politische Verband aus der freien Entscheidung aller Beteiligten hervorgeht und sich in ihm als dem Repräsentanten der Gesellschaft auf diese Die totalitäre Erfahrung unserer Zeit dürfte dies hinreichend anschaulich machen. Henke, R&S, 411 f. 5 Ebenda, 412. 6 Ebenda, 414. Von diesem Befund aus bestimmt Henke die Aufgabe des Rechts, "Gerechtigkeit und Frieden zu vereinigen." (Ebenda). 3

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§ 33: Frieden und Gerechtigkeit

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Weise die in deren Ordnungswissen sedimentierten Vorstellungen von der richtigen Weise des gemeinsamen Zusammenlebens wiederspiegeln: Der Repräsentant wird nur akzeptiert, wenn er einem bei allen Repräsentierten bereits vorhandenen "Bild" - das im Ordnungswissen vorliegt - eines Repräsentanten entspricht. 7 Hierbei gilt es jedoch zu beachten, daß das Urteil darüber, welche Art der politischen Ordnung die Menschen jeweils als gerecht bzw. legitim ansehen, nur von den Betroffenen selbst geflHlt werden kann. Für diese gilt in bezug auf ihr gesamtgesellschaftliches Zusammenleben der Satz opus iustitiae pax, in dem Sinne daß das den politischen Verband konstituierende Ordnungswissen der jeweiligen Gesellschaft die Gerechtigkeit und Legitimität ihrer Verfassung erzeugt. 8 Die Beurteilung einer politischen Ordnung von außen als "ungerecht" ist rur den Frieden der Menschen innerhalb des jeweiligen politischen Verbandes hingegen irrelevant. 9 Worauf es einzig ankommt ist, daß die Menschen die jeweilige Ordnung aus freien Stücken akzeptieren, d.h., daß diese Ordnung tatsächlich eine politische, eine Ordnung auf Basis der Zustimmung Freier und Gleicher ist. Im vorliegenden Kontext wurde von vornherein nur dieser politische Fall behandelt. \0 Aus der Verknüpfung von politischem Frieden und Gerechtigkeit ergibt sich, daß eine Gesellschaft zur Wahrung ihrer Identität, die durch das Ordnungswissen mit ihren Gerechtigkeitsvorstellungen unmittelbar verbunden ist, ihren Frieden zur Disposition stellen kann. Das bedeutet, daß es rur eine Gesellschaft stets eine Option darstellt, ihren Frieden zu riskieren, um ihre Gerechtigkeit, d.h. die Art und Weise ihres Zusammenlebens zu wahren, also: rur ihre Freiheit Krieg

7 Siehe dazu die Überlegungen Gadamers zur Repräsentation im Bild, die mutatis mutandis auf den vorliegenden Gegenstand zu übertragen sind ("Die Repräsentation des Bildes ist ein Sonderfall der Repräsentation als des öffentlichen Geschehens") in: Gadamer, Wahrheit und Methode I, 146 f. und 153 f., hier insbes. 147, von wo auch das Zitat stammt. Von Interesse in diesem Kontext auch Günter Figal, Freiheit, Repräsentation, Gerechtigkeit. Zu drei Grundbegriffen der politischen Philosophie, in: Peter Fischer (Hrsg.), Freiheit oder Gerechtigkeit. Perspektiven politischer Philosophie, Leipzig 1995, 70-86, insbes. 83 tf. 8 So ausdrücklich rur den modernen Verfassungsstaat Senghaas, Frieden, insbes. 201 f. 9 Sehr klar differenziert diese Zusammenhänge jetzt auch Czempiel, Der Friede, 166 ff. 10 Für die Betrachtung von Despotien ergeben sich aus den skizzierten Zusammenhängen allerdings besondere theoretische Probleme, denn offensichtlich hat auch eine Despotie als Subjekt ihre Existenz und stellt unter diesem Gesichtspunkt den gesamtgesellschaftlichen Frieden dar. Diesen Problemen wäre in einer gesonderten Untersuchung nachzugehen, die hier Desiderat bleiben muß.

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zu führen. I I Wenn man in Anlehnung an von Clausewitz davon ausgeht, daß der Krieg mit der Verteidigung beginnt, so folgt daraus, daß er zu vermeiden ist, indem sich der angegriffene politische Verband dem Angreifer unterwirft. 12 Mit der Unterwerfung gibt ein Volk jedoch unter Umständen seine politische Identität und seine Gerechtigkeitsvorstellung, d.h. seine Vorstellung davon, wie es zusammenleben will, mit seinem politischen Verband preis. Der Frieden des politischen Verbandes kann daher die Gerechtigkeit kosten. 13 In einer solchen Situation steht der Frieden des politischen Verbandes als ein Wert neben dem anderen Wert der Gerechtigkeit und es ist die Tragik eines Volkes, sich in gegebener Situation hier entscheiden zu müssen. Denn der eine Wert ist nun nur um den Preis des anderen zu haben. Und von hier aus ist offenbar, daß es für einen politischen Verband höhere Werte als den des NichtKrieges geben kann. Hier gerät ganz automatisch die Ebene der Interaktion politischer Verbände in den Blick: Für diese ist der Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Frieden (im Sinne von Nicht-Krieg) wiederum neu - und besonders schwierig - zu bestimmen. Gerechtigkeit kann hier einerseits allgemein die Art und Weise des Umgangs der politischen Verbände miteinander betreffen, zum anderen aber auch als Sonderfall dasjenige Handeln eines politischen Verbandes, das dessen Bewertung der Art und Weise der politischen Ordnung einer anderen Gesellschaft folgt. Hier ist nur auf den zweiten Punkt einzugehen. Bei diesem kehrt die bereits angesprochene Problematik wieder, daß die Vorstellungen von der Gerechtigkeit einer politischen Ordnung relativ sind, woraus auch die Kulturrelativität des jeweiligen politischen Friedens resultiert. 14 Daher treffen mit zwei politischen Kulturen oder politischen Verbänden

11 An dieser Stelle eröffnet sich das weite Feld der Problematik des gerechten Krieges, das hier nicht betreten werden soll. Siehe dazu beispielsweise James Turner Johnson, just war, in: David Miller / Jane/ Coleman / William Connolly / Alan Ryan (Hrsg.), The Blackwell Encyclopaedia of Political Thought (1987), reprint Oxford, Cambridge (Mass.) 1995,257-260 (m.w.N.); Michael Walzer, Just and Unjust Wars. A Moral Argument with Historical Illustrations, New York 1977; Reiner Sleinweg (Redaktion), Der gerechte Krieg: Christentum, Islam, Marxismus (Friedensanalysen. Vierteljahresschrift für Erziehung, Politik und Wissenschaft, Band 12) Frankfurt am Main 1980; Schmit/, Nomos, passim; Janssen, Krieg, 571-576 zum Konzept des gerechten Krieges in der mittelalterlichen Theologie; Grewe, Epochen, 131 ff., 240 ff., 254 ff. und passim; Ohler, 66 ff.; Meyers, Begriff und Probleme des Friedens, 102 ff. sowie Dieler Blumenwitz, Die Einhegung des Krieges durch die Völkerrechtsordnung, in: Bernd Ri// (Hrsg.), Völkerrecht und Friede (Beiträge der Tagung 'Völkerrecht und Friede' der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung), Heidelberg 1985, 23-35, hier 25 ff. 12 Siehe dazu und zum folgenden Hondrich, Unser Verhältnis zum Krieg, 51 ff. 13 So auch Aron, Frieden und Krieg, 831. 14 Siehe dazu oben 87.

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auch zwei Gerechtigkeitsvorstellungen und deren Anspruche aufeinander. ls Ohne daß ein solches Aufeinandertreffen gleichsam "automatisch" zum Krieg fuhren muß (hierfilr gibt es aus der oben entwickelten theoretischen Perspektive keinen Anhaltspunkt), liegt doch gerade hierin die Möglichkeit des Krieges. An dieser Möglichkeit entzündet sich beispielsweise nicht nur die politisch- bzw. staatsethische Problematik der Intervention, deren Lösung von unmittelbarer Relevanz filr den Frieden betroffener politischer Verbände ist. Vielmehr eröffnen sich hier auch die Problematik des in einem Bürgerkrieg interessierten Dritten sowie insbesondere jene des Konflikts der Kulturen, die - angestoßen von Samuel P. Huntington - in der gegenwärtigen politikwissenschaftlichen Debatte intensiv diskutiert wird. 16 Die theoretischen Schwierigkeiten, die im Kontext des Aufeinandertreffens politischer Kulturen stehen, verweisen darauf, daß auch auf der internationalen Ebene das Beharren auf der jeweiligen Gerechtigkeit, also der Versuch, die eigene Gerechtigkeitsvorstellung durchzusetzen, leicht zum Unfrieden, d.h. zum Krieg fuhren kann. So resümiert Czempiel zutreffend: "Der Krieg also ist das Werk der Gerechtigkeit, müßte man - Thomas umkehrend eigentlich sagen, wenn man im Kontext des internationalen Systems ... argumentiert. ,,17

Hier kehrt also in anderer Perspektive das Problem des Krieges um der eigenen Gerechtigkeitsvorstellung willen wieder, wobei nun in den Blick kommt, daß das Wort opus iustitiae pax zwar filr den gesamtgesellschaftlichen Frieden Gültigkeit hat (in bezug auf die jeweilige Gesellschaft), rur internationale Verhältnisse jedoch solange nicht zutrifft, als es keine gemeinsame Vorstellung von Gerechtigkeit gibt, was aus Czempiels Feststellung implizit hervorgeht. 18 InsoSiehe so ausdrücklich Czempiel, Der Friede, 167. Siehe dazu den die Diskussion auslösenden Aufsatz Samuel P. Huntington, The Clash of Civilizations?, in: Foreign Affairs 72 (1993), 22-49 und die Beiträge anderer Autoren im selben Band der Foreign Affairs sowie Huntingtons Replik: IfNot Civilizations, What? Paradigms ofthe Post-Cold War World, in: ebenda 186-194 und nunmehr monographisch ders., Der Kampf der Kulturen. The Clash of Civilizations. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München, Wien 1996. Siehe auch Bassam Tibi, Krieg der Zivilisationen. Politik und Religion zwischen Vernunft und Fundamentalismus, Hamburg 1995 und die Beiträge in Vo/ker Pesch (Hrsg.), Ende der Geschichte oder Kampf der Kulturen? Der Universalismus des Westens und die Zukunft der internationalen Beziehungen, Greifswald 1997. 17 Czempie/, Der Friede, 167. 18 In diesem Kontext sind auch die Konzepte vom Zusammenhang zwischen Frieden und Entwicklung einzuordnen, deren Problematik (unabhängig von anderen Schwierigkeiten, die sich vor allem aus der Vorstellung vom Frieden durch ökonomische Prosperität ergeben) unmittelbar aus dem Gesagten resultiert: Wohin soll ein Land sich "entwickeln"? Und wenn es schließlich "entwickelt" ist, wird dann der Frieden sicherer sein? Und wiederum: Welcher Frieden ist gemeint? Siehe zur Problematik besipielsweise Zsijkovits, Der Friede als Wert, 95 ff. sowie aus anderer Perspektive und mit anderer IS

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fern sich aber im Völkerrecht und in inter- bzw. supranationalen Organisationen auch eine gemeinsame Gerechtigkeitsordnung objektiviert hat, kann man von einer den politisch konstituierten Frieden sichernden und vertiefenden internationalen Institutionalisierung des Friedens sprechen. Deren Wirksamkeit bleibt aber vom auf einer Kultur der Ächtung des Krieges basierenden klugen und der jeweiligen Situation angemessenen - also: politischen - Umgang mit dieser Ordnung abhängig. Dieser kurze Problemaufriß muß hier genügen, um die Konsequenzen der interaktionistischen Friedenstheorie fUr das ethische und moralische Problem des Friedens hinsichtlich seines Zusammenhangs mit der Gerechtigkeit anzudeuten.

§ 34: Frieden und strukturelle Gewalt Vor dem Hintergrund der interaktionistischen Friedenstheorie und der Überlegungen zur Thematik "Frieden und Gerechtigkeit" kann nunmehr Galtungs Konzept der strukturellen Gewalt einer detaillierteren kritischen Interpretation unterzogen werden. In den vergangenen Jahren hat Galtung seine Friedenstheorie weiterentwickelt und insbesondere um eine kulturtheoretische Dimension erweitert. 19 Dies hat zur EinfUhrung des Begriffes der "kulturellen Gewalt" gefUhrt, der systematisch am Begriff der strukturellen Gewalt orientiert ist. Demnach werden unter kultureller Gewalt "jene Aspekte der Kultur, der symbolischen Sphäre unserer Welt" verstanden "- man denke an Religion und Ideologie, an Sprache und Kunst, an empirische und formale Wissenschaften (Logik, Mathematik) -, die dazu benutzt werden können, direkte oder strukturelle Gewalt zu rechtfertigen oder zu legitimieren. ,,20 Kulturelle Gewalt bezieht sich mithin auf die "ideologische Seite" direkter oder struktureller Gewalt. Da das Konzept der strukturellen Gewalt nach wie vor das Zentrum der Galtungschen Theorie bildet, von dem aus sich auch das Verständnis der kulturellen Gewalt erschließt, konzentriert sich die folgende Erörterung auf dieses Konzept. Zunächst sind dessen zentralen Elemente kurz zu rekapitulieren. Fragestellung Kersting, Weltfriedensordnung und globale Verteilungsgerechtigkeit, passim, mit einer genauen und zutreffenden Kritik der "kosmopolitischen Rawlsianer", 191-206. 19 Siehe dazu jetzt Galtung, Frieden mit friedlichen Mitteln. In einem gewissen Sinne kann man diese Studie als Summe des Galtungschen Friedensdenkens bezeichnen. Zu dem Buch siehe die knappe Auseinandersetzung: Michael Henkel, Besprechung von: Johan Galtung, Frieden mit friedlichen Mitteln, in: ZPol 1998, Heft 1. 427 f. 20 Galtung, Frieden mit friedlichen Mitteln, 341, siehe auch 18 und 69. Beispiele kultureller Gewalt gibt Galtung ebenda, 352 ff. an, die Zusammenhänge zwischen direkter, struktureller und kultureller Gewalt werden ebenda, 348 ff. aufgezeigt.

§ 34: Frieden und strukturelle Gewalt

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Für Galtung ist der Begriff der Gewalt zur Bestimmung des Friedensbegriffes von zentraler Bedeutung, was sich aus seinem Postulat ergibt, daß nach ihm flir einen tragfähigen - oder besser: konsenstahigen - Friedensbegriff "der Satz Frieden ist Abwesenheit von Gewalt ... seine Gültigkeit behalten [SOIl].,,21 Galtung lehnt jedoch einen engen Gewaltbegriff (Gewalt als intendierte negative physische Beeinträchtigung) ab, da durch einen solchen im Verein mit der genannten Gleichsetzung von Frieden mit Abwesenheit von Gewalt "zu wenig verworfen und negiert,,22 würde. Daher erweitert Galtung den GewaltbegrifT mit folgender Defmition: "Gewalt liegt dann vor, wenn Menschen so beeinflußt werden, daß ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potentielle Verwirklichung." Und: "Gewalt wird hier definiert als die Ursache für den Unterschied zwischen dem Potentiellen und dem Aktuellen ... Mit anderen Worten, wenn das Potentielle ~rößer ist als das Aktuelle und das Aktuelle vermeidbar, dann liegt Gewalt vor." J

An diese begrifflichen Bestimmungen knüpft Galtung seine Unterscheidung zwischen personaler (direkter) und struktureller (indirekter) Gewalt. 24 Letztere zeichnet sich dadurch aus, daß es bei ihr keinen personalen Akteur gibt: "Hier tritt niemand in Erscheinung, der einem anderen direkten Schaden zuftigen könnte; die Gewalt ist in das System eingebaut und äußert sich in ungleichen Machtverhältnissen und folglich in ungleichen Lebenschancen.,,2s

Die Konsequenz des erweiterten GewaltbegrifTs ist eine entsprechende Ausweitung des FriedensbegrifTs: "Ein erweiterter Begriff von Gewalt führt zu einem erweiterten Begriff von Frieden: Frieden definiert als Abwesenheit von personaler Gewalt und Abwesenheit von struktureller Gewalt. Wir bezeichnen diese beiden Formen als negativen Frieden bzw. positiven Frieden.,,26

Ga/tung, Gewalt, Frieden und Friedensforschung, 56. Ebenda, 58. 23 Ebenda, 57 und 58. Eine Konsequenz dieses Gewaltbegriffes ist, daß "verstärkte Gewalt sowohl durch die Vergrößerung des Potentiellen als auch die Verringerung des Aktuellen zustande kommen [kann]." (Ebenda, 64). 24 Siehe ebenda, 62 f. 2S Ebenda, 62. In einer jüngeren Publikation charakterisiert Ga/tung strukturelle Gewalt wie folgt: "Die strukturelle Gewa/t .,. ist eingebettet in die Sozialstruktur. Sie ist ebenfalls in der Lage zu töten, tut dies jedoch meist langsam (durch Hunger und Elend, Krankheit und Tod [sie!]) und wird in der Regel nicht von irgendeiner klaren Absicht gelenkt. Sie ist einfach da." (Galtung, Begriffsbestimmung: Frieden und Krieg, 332). Zum komplexen Verhältnis zwischen struktureller und personaler Gewalt nach Ga/tungs Konzeption siehe Gewalt, Frieden und Friedensforschung, insbes. 75 ff. 26 Ga/tung, Gewalt, Frieden und Friedensforschung, 86. 21

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Die strukturelle Gewalt wird von Gattung mit sozialer Ungerechtigkeit gleichgesetzt, womit eine entsprechende Identifizierung von Frieden mit sozialer Gerechtigkeit einhergeht: "Die Abwesenheit von struktureller Gewalt ... ist [das], was wir als soziale Gerechtigkeit bezeichnet haben, und das ist eine positiv definierte Bedingung (gleiche Verteilung der Macht und Ressourcen)." Und: "Ich würde 'positiven Frieden' ... in erster Linie mit 'sozialer Gerechtigkeit' gleichsetzen.'.27

Frieden als soziale Gerechtigkeit - das ist das Ergebnis der Galtungschen Ausfiihrungen. Ganz bewußt wird der Friedensbegriff hier als Wertbegriff gefaßt. Die Konzeption Galtungs bietet mannigfache Anknüpfungspunkte fiir Kritik, die von verschiedenen Autoren bereits formuliert wurde, weIche jedoch die Popularität des Konzepts kaum beeinträchtigte. 28 Nachfolgend wird die Konzeption Galtungs im Lichte des interaktionistischen Friedensbegriffs und seiner Konsequenzen betrachtet. Zunächst treffen vom Standpunkt der interaktionistischen Theorie des Friedens auch auf Gattungs Konzept generell die oben skizzierten Einwände gegen eine Identifizierung von Frieden mit Gerechtigkeit zu. Über diese generellen Einwände hinaus ist insbesondere Gattungs Ausweitung des Gewaltbegriffs zu problematisieren: Sie führt zu einer Entdifferenzierung der Begriftlichkeit und auf diese Weise zu deren mangelnder analytischer Brauchbarkeit. Der Begriff der strukturellen Gewalt erklärt nämlich letztlich alle Verhältnisse als Gewaltverhältnisse 29 und gewinnt infolgedessen einen nahezu tautologischen Charak" ter: Wenn alle Verhältnisse Gewaltverhältnisse sind, kann nichts mehr unterschieden werden. Auch inhaltlich sind die Konsequenzen des Begriffs problematisch:

Ebenda, 87 und 101. Siehe zur kritischen Auseinandersetzung mit Ga/tungs Konzept etwa Hans Kamm/er, Die Begriffe des "Friedens" und der "Gewalt" in einigen neueren Ansätzen der Friedensforschung, in: ZfP XXI (1974), 363-371; Iring Fetscher, Die strukturelle Gewalt und die Friedensforschung heute, in: Universitas 34 (1979), 337-342; ders., Strukturelle Gewalt; Gerd Mie/ke / Erich Schmitz, Galtungs Konzept der strukturellen Gewalt, in: Dieter Oberndörfer / Wolfgang Jäger (Hrsg.), Die neue Elite. Eine Kritik der kritischen Demokratietheorie, Freiburg 1975, 345-382, zur Kritik dort insbes. 358 ff., 364 ff. und 368 ff.; Daase, 471 ff.; sowie Bernhard Sutor, Politik. Ein Studienbuch zur politischen Bildung, Paderborn 1994, 374-376. Siehe auch Kühn/ein, Die Entwicklung der Kritischen Friedensforschung. Die von den Kritikern vorgetragenen Argumente lassen Autoren wie beispielsweise Mehlich und Wagner weitestgehend unbeeindruckt. (Siehe dazu oben 24, Fn. 27). 29 "Strukturelle Gewalt herrscht überall: zwischen den Ländern und innerhalb der Länder." (Gattung, Frieden mit friedlichen Mitteln, 361). 27

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§ 34: Frieden und strukturelle Gewalt

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Bestimmt man wie Ga/tung Gewalt als Ursache für faktische Ungleichheiten (wobei diese wiederum als Differenz des Aktuellen gegenüber dem Potentiellen definiert werden), so ergibt sich hieraus etwa, daß ein Erfinder, welcher die Möglichkeiten "somatischer Verwirklichung" (etwa durch Entdeckung eines nebenwirkungsfreien Schmerzmittels) vergrößert, damit Gewalt ausübt. Denn er vergrößert "das Potentielle".30 Diese Gewalt würde erst verschwinden, wenn alle Menschen gleichen Zugang zu dem neuen Schmerzmittel hätten. Erst wenn alle Kräfte zur globalen Verteilung des Mittels mobilisiert wären, würde Gewalt aufhören und Frieden möglich. Dieses Beispiel rechtfertigt die Charakterisierung des Galtungschen Konzepts als utopisch: Gattung übersieht das Faktum der Knappheit der Ressourcen, aus der sich eine Notwendigkeit von Präferenzordnungen ergibe I: Die aufgewandten Ressourcen zur globalen Verbreitung des Schmerzmittels stehen nicht mehr für andere Zwecke zur Verfügungwodurch per se wiederum strukturelle Gewalt entstünde. Galtung rechnet also einerseits nicht mit der Endlichkeit der Welt, andererseits nicht mit der Realität von Zielkonflikten. )2 Berücksichtigt man jedoch die Endlichkeit der Welt und die Knappheit der Ressourcen, so resultiert aus der Anwendung von Galtungs Konzept, daß Gewalt ein immerwährendes Phänomen darstellt. Die Gewalt - insbesondere die strukturelle Gewalt - ist gleichsam an die Realität gekoppelt, überall und unentrinnbar. Damit ist aber zugleich die Unmöglichkeit des Friedens festgestellt.))

Siehe Gattung, Gewalt, Frieden und Friedensforschung, 64. Siehe dazu Kammter, Der Begriff des "Friedens" und der "Gewalt", 367. J2 Siehe dazu Sutar, Politik, 375. JJ Diese Konsequenz der Konzeption wird durch den Begriff der kulturellen Gewalt noch verstärkt: Kulturelle Gewalt stellt gewissermaßen den geistigen Überbau der anderen Gewaltarten, insbesondere der strukturellen Gewalt dar. Sie ist tief in die Strukturen unserer Weitsicht, unserer Denkformen und Sprache verankert. Durch Gattungs Begriffsbestimmungen wird mithin eine universelle Verknüpftheit aller Dinge und Werte suggeriert, die dem praktisch-emanzipatorischen Anspruch seiner Theorie zuwiderläuft und letztlich zu Resignation führen muß: Wenn alles mit allem zusammenhängt, führt jedes Handeln zu einer unberechenbaren Veränderung des Gesamtsystems. Dies hat Luhmann treffend beschrieben: "Hinge alles von allem ab, wäre es kaum möglich, durch bestimmte Eingriffe bestimmte Wirkungen zu erzeugen." (Luhmann, RS, 325). Da zudem die kulturelle Gewalt in Sprache, Weitsicht und Denkweisen eingeprägt ist, wäre letztlich eine bewußte Transformation der Kultur(en), ja des Seins überhaupt notwendig, um Gewalt zu redizieren. Aus ideologiekritischer Perspektive birgt eine solche Theorie natürlich interessante psychologische Risiken: Entweder treibt sie den Friedenskämpfer in die Resignation oder in einen Verfolgungswahn und den diesem entsprechenden blinden Aktivismus. Angelegt ist letzteres schon in der Theorie, die nämlich darauf verweist, daß es stets Personen gibt (vor allem Gattungs "topdogs"), die von einem strukturell gewaltsamen status qua profitieren (siehe Gattung, Gewalt, Frieden und Friedensforschung, 79). Von hier bis zu einer Verschwörungstheorie ist nur ein kleiner Schritt. 30 31

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Vor diesem Hintergrund erweist sich die Fruchtbarkeit der Unterscheidung zwischen Zwang und Gewalt: Was Gattung als strukturelle Gewalt bezeichnet, entspricht weitgehend dem, was hier unter Zwang - insbesondere unter Sachzwang - verstanden wird: Daß ein neues Schmerzmittel nicht sogleich überall auf der Welt jedem zur Verfilgung steht, resultiert aus mannigfachen Zwängen, mit denen die Menschen umzugehen haben, und die sie oft durchaus abbauen können. Diese Zwänge stellen aber keine Störung ihres Friedens dar, auch wenn sie den Menschen unter Umständen schaden. Denn Schaden bedeutet an sich noch nicht Unfrieden. Zwänge gehören zu den Bedingungen der Entfaltung der Person, die schlichtweg vorgegeben sind. Der Frieden der Person wird erst beeinträchtigt, wenn der Zwang einen destruktiven Charakter annimmt - wie etwa bei der Folter. Berücksichtigt man dies, so kann einerseits an einer richtigen Einsicht festgehalten werden, die sich aus Galtungs Konzept ergibt: Menschen können einander auch dann Schaden zufilgen, wenn sie (direkte) Gewalt ablehnen. Darüberhinaus können selbst "Strukturen", welche mit positiven Absichten geschaffen wurden, anderen Menschen schaden und sogar das genaue Gegenteil von dem erreichen, was mit ihnen intendiert wurde, (z.B. weil sie als Zwang wirken). Andererseits aber bedeutet all dies jedoch noch keinen Unfrieden im Sinne der ungestörten objektiven Interaktion, sondern ist gewissermaßen dem Bereich der Widrigkeiten des Lebens zuzurechnen, die als solche nicht aus der Welt zu schaffen sind. Wenn Zwang - ein strukturelles Merkmal der Welt - den Frieden erst tangiert, wenn er zum destruktiven Zwang wird, so erweist sich vor diesem Hintergrund die Galtungsche Idee eines unpersönlich wirkenden Unfriedens generell als problematisch: Zur Destruktion gehört die Intention von Menschen, Unfrieden muß immer - wie oben gezeigt - beabsichtigt und gewollt sein. Ihn daher von personalen Akteuren zu trennen, wird dem Phänomen nicht gerecht. Mit dieser Kritik wird somit nicht nur ein bloß terminologischer Unterschied gegenüber Galtungs Konzept eingefilhrt. Es handelt sich vielmehr um eine Differenz der Phänomene: Zwang bedeutet keine Beeinträchtigung der Personalität des Menschen und stört als solcher nicht dessen Frieden. Zwang zunächst als strukturelle Gewalt und dann als Abwesenheit von Frieden zu bestimmen, identifiziert nicht nur zu unterscheidende Phänomene, sondern filhrt auch zu einer Unterschätzung des Wertes des Friedens filr die Person einerseits, zu einer Überschätzung der negativen Konsequenzen alltäglicher Zwangsverhältnisse andererseits. Diese Überschätzung wird auch darin deutlich, daß Galtung folgende Umstände unbeachtet läßt: Zwar wirken positive gesellschaftliche Umstände als günstige Faktoren filr eine Selbstverwirklichung des Individuums. Sie garantieren aber eine solche noch nicht. Vielmehr ist eine Selbstverwirklichung gerade auch in der Auseinandersetzung mit widrigen Umständen möglich. Auch

§ 34: Frieden und strukturelle Gewalt

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die Beseitigung aller widrigen Umstände ist nicht gleichbedeutend mit der Emanzipation und Selbstverwirklichung des Menschen. Schließlich bleibt zu erwähnen, daß selbst bei sehr weitgehender Abwesenheit struktureller Gewalt noch immer schlechte gesellschaftliche Verhältnisse existieren können - und zwar bedingt durch die Unvollkommenheit menschlichen Tuns. Diese Unvollkommenheit besteht völlig unabhängig von menschlicher Böswilligkeit, und selbst beste Absichten können die größten Katastrophen verursachen, was sich aus Galtungs "eigenen Überlegungen ergibt. Die Ausweitung des Friedensbegriffs bei Ga/tung hat mannigfache theoretische Probleme zur Folge, von welchen einige hier erörtert wurden. Für eine emanzipatorische Friedensforschung, die selbst politisch wirken will, mag ein solches Konzept fruchtbar sein, und in der Tat wurde die Formel von der strukturellen Gewalt rasch zu einem ideologischen Identifikationssymbol. Für eine differenzierende Bestimmung des Friedens leistet das Ga/tungsche Konzept jedoch zu wenig, da es zu viele Phänomene der Realität unter einen Begriff zu subsumieren trachtet, wodurch die Mannigfaltigkeit und Komplexität der Welt auf eine inadäquate Weise reduziert wird. Dieser Mangel der Ga/tungschen Theorie wird durch die Erweiterung des Konzeptes um den Begriff der kulturellen Gewalt noch erheblich verstärkt: Weltanschauungen und kulturelle Deutungsmuster, religiöse Überzeugungen, Kunstformen, wissenschaftliche Methoden etc.- all diese Manifestationen von Kultur fallen dem Verdikt der Gewaltsamkeit anheim und werden unter den Begriff der Gewalt gefaßt. Die Möglichkeit, hierbei noch Differenzierungen vornehmen zu können, reduziert sich bei diesem Vorgehen Ga/tungs ganz erheblich. 34 Auch die Identifikation tendenziell friedlicherer Kulturen und Kosmologien hilft dann gegen die Allgegenwart von Gewalt wenig, denn nicht nur wäre es bereits wieder Gewalt, solche kulturellen Muster etablieren zu wollen, sondern Sozialisation als Enkulturation ist bereits von vornherein "ein Akt der Gewalt".35 So endet Ga/tungs Friedenstheorie letztlich in zahlreichen Aporien, deren Überwindung - konsequent zu Ende gedacht - eine Art Transformation des Seins erforderte. Daß theoretische Beschränkungen in Form begrifflicher Entdifferenzierungen, wie sie aus der Ga/tungschen Friedenstheorie resultieren, nicht notwendig sind, hat Senghaas gezeigt. Dessen Konzept der Kultur des Friedens vermag die Komplexität des Phänomens adäquater zu greifen und bietet - wie hier demonstriert - die Möglichkeit der theoretischen Weiterentwicklung unter Anknüpfung an interaktionstheoretische Konzepte. 34 Die mangelnde Differenzierungsflihigkeit, die aus Galtungs Theorie resultiert, läßt sich exemplarisch an Galtungs Gleichsetzung von Jesus Christus, Mohammed, Adolf Hitler, Josef Stalin und Ronald Reagan oder an dem Dreischritt "Hitlerismus, Stalinismus, Reaganismus" erkennen. (Siehe Galtung, Frieden mit friedlichen Mitteln, 444, 417ff.). 35 Galtung, Frieden mit friedlichen Mitteln, 342, Fn. 270.

268

H. Der Frieden in der Welt der Werte

§ 35: Der Frieden als Wert Die in den beiden vorherigen Paragraphen skizzierte Thematik ist ein Teilbereich der allgemeineren Problematik des Friedens als eines Wertes, die nunmehr angesprochen werden soll. Sie wird systematisch vor allem von Valentin Zsijkovits behandelt. 36 Wie für eine überwiegende Mehrheit von Autoren, welche zumindest implizit davon ausgehen, ist auch für Zsijkovits der Frieden ein "Zentralwert", der sich aus "Teilwerten" zusammensetzt. 3? Als wichtigste dieser Teilwerte gelten ihm Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit und Freiheit. 38 Die Argumentation Zsijkovits' ist hier nicht im einzelnen zu besprechen. Es soll vielmehr auf prinzipielle Konsequenzen hingewiesen werden, die sich aus dem interaktionistischen Friedensbegriff für eine Vorstellung vom Frieden als Wert ergeben. Für die Ebene des Friedens der Person wurde dargelegt, daß dieser schlechthin in (objektiver) Interaktion gegeben ist, sofern letztere nicht desavouiert wird. Frieden ist "das immer gegebene Substrat aller Sozialität,,39, mithin ein Existenzial. Das bedeutet aber, daß der Frieden der Person an sich kein Wert wie etwa Gerechtigkeit oder Freiheit ist. Er gewinnt werthaften Charakter rur den Menschen erst, wenn seine Verletzung in der Desavouierung der objektiven Interaktion schmerzlich erfahren bzw. wenn auf die Möglichkeit der Störung des Friedens reflektiert wird. In diesen Fällen aber ist der Frieden der Person ein Wert an sich, dessen Realisierung durch Wiederherstellung des Friedens nicht zugleich auch die Realisierung anderer Werte bedeutet. 4o Der Frieden der Person stellt sich auch in ungerechten und unfreiheitlichen Kontexten, insbesondere auch in ungerechten und unfreiheitlichen politischen Ordnungen ein. Dies zu verstehen, braucht man sich nur in Erinnerung zu rufen, daß der Frieden der Person das unwillkürliche Resultat von Interaktion überhaupt darstellt. Seine Realisierung setzt also keineswegs die Realisierung gerechter oder freier Verhältnisse bzw. allgemeiner: die Realisierung anderer Werte voraus.

36 Siehe Zsijkovits, Der Friede als Wert, passim. 37 Siehe ebenda, 41 ff. und 121 ff., insbes. 132 ff. Zsijkovits schreibt (132): "Der

Zentralwert 'Friede' realisiert sich in Teilwerten, die untereinander ein Ergänzungs-, Verursachungs- und Konkurrenzverhältnis aufweisen." 38 Siehe beispielsweise eben da, 133. 39 Buchheim, Augustinus, 83. 40 Siehe schon oben 93.

§ 35: Der Frieden als Wert

269

Auf der Ebene des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens ist der Frieden nicht unwillkürlich gegeben, sondern muß gestiftet werden. Er ist hier insofern kein Existenzial, sondern immer wieder neu bewußt zu leben und fortzuschreiben. Obgleich sich auch dieser politische (Integrations-) Prozeß durch Habitualisierung in einem gewissen Grade verselbständigt und der politische Verband schließlich - getragen von der politischen Kultur - wie eine Maschine funktioniert, kann man auf dieser Ebene vom Frieden als einem politischen Wert sprechen, der durchaus in einem Wechselverhältnis mit anderen Werten steht, wie am Beispiel der Gerechtigkeit bereits bemerkt wurde. Trotz dieser - hier im einzelnen nicht zu verfolgenden - Zusammenhänge ist hervorzuheben, daß der Frieden, den der politische Verband als solcher darstellt, ein Wert sui generis ist, was herauszuarbeiten die Leistung der französischen Politiques und Hobbes' zu Beginn der Neuzeit war. Der Frieden des politischen Verbandes als eines Wertes an sich ergibt sich trotz jener Zusammenhänge nicht gleichsam von selbst aus der Realisierung anderer Werte. Vielmehr bedarf er stets ausdrücklicher politischer Entscheidung, die sich in der gegebenen Situation auch über andere Wertvorstellungen und Wertrealisierungen hinwegsetzen kann. Dieser Frieden bleibt also gegenüber jenen anderen Werten in einem gewissen Umfang unabhängig. Der internationale Frieden, verstanden als Nicht-Krieg, stellt einen Wert dar, insoweit ihn die politische Gesellschaft im Falle des Krieges als entbehrtes Gut erfährt oder sie auf die Möglichkeit des Krieges reflektiert. Allerdings ist diese Beurteilung ambivalent: Da der Frieden des politischen Verbandes unter Umständen um eines anderen Wertes willen zur Disposition gestellt wird, kann man die Abwesenheit von Krieg hier nicht ohne weiteres als Gut bezeichnen, der Wert des Nicht-Krieges muß in gegebener Situation vielmehr relativ zu anderen Werten ermittelt werden. Dabei kann sich herausstellen, daß andere Werte wichtiger sind, als der Frieden: "Es gibt offenkundig Güter, die noch erstrebenswerter sind als der Zustand absoluter Gewaltlosigkeit...; absolute Gewaltlosigkeit wird zum Negativum, wenn sie diese Werte opfert.,,41 Was so letztlich hinter der Werthaftigkeit nichtkriegerischen Verkehrs politischer Verbände auftaucht, ist die (von außen) ungestörte Ruhe der politischen Ordnung einer Gesellschaft. Wo der internationale Frieden als Wert verstanden wird, meint man daher in erster Linie die Werthaftigkeit der eigenen politischen Ordnung oder politischer - also: friedlicher - Ordnung im Sinne von Verfassung überhaupt. Die knappen Skizzen zur Problematik von Frieden und Gerechtigkeit bzw. zu derjenigen des Friedens als Wert zeigen, daß eine Differenzierung der Begriffe aus theoretischer Perspektive notwendig und sinnvoll ist: Wird der Frieden mit

41

Sacher, Ist Gewaltlosigkeit in der Politik realisierbar?, 975.

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H. Der Frieden in der Welt der Werte

der Verwirklichung von Werten identifiziert, so gerät er als ein eigenständiges Phänomen aus dem Blick. Für die Handlungsebenen der Interaktion von Personen ebenso wie von politischen Verbänden filhrt das zum Verkennen der Tatsache, daß es in beiden Fällen Frieden auch unter ungerechten Bedingungen geben kann. Außerdem wird auf diese Weise verdunkelt, daß es gerade das Festhalten an Werten sein kann, aus dem der Unfrieden resultiert. Dies wiederum gilt insbesondere filr den politischen Verband in seinen Innen- wie auch in seinen Außenverhältnissen: Terrorismen, Revolutionen und Kriege wurden stets unter Berufung auf Werte legitimiert. Und wie immer man zu jener Legitimität und zu jenen Werten stehen mag, ihre Realisierung auf den genannten Wegen bedeutet zunächst einmal Unfrieden. Es spricht also alles dafilr, die Phänomene als zu unterscheidende und selbständige zu behandeln, mithin auch: die Begriffe zu differenzieren. Nachdem in der Friedensforschung lange Zeit das Gegenteil hiervon praktiziert wurde und man den Frieden mit allen möglichen Werten identifizierte, läßt sich heute deutlich die Tendenz erkennen, begrifflich zu unterscheiden. An den jüngsten Überlegungen Lothar Brocks läßt sich besonders deutlich ablesen, daß sich die Friedensforschung auf ihre raison d'etre, nämlich "Frieden und Friedensfähigkeit von Gesellschaften als Probleme an sich - also Primärprobleme sozialer Interaktion - zu betrachten"42, besinnt. Brock filhrt dazu weiter aus: "Frieden als Problem an sich zu behandeln, heißt nicht notwendigerweise, daß damit andere Wertdimensionen ausgeklammert werden, sondern daß das Forschungsfeld Frieden gegenüber anderen Forschungsfeldern unterscheidbar wird. In diesem Sinne wäre eine Kernproblematik der Friedensforschung zu identifizieren, der andere Forschungsbereiche ... gegebenenfalls zuzuordnen wären, ohne in ihr aufzugehen. ,,43

Damit verabschiedet sich die Friedensforschung (von Ausnahmen abgesehen) von ihrem universalwissenschaftlichen Weg und befreit sich von einem Ballast, der bisher größere Schritte auf dem Weg zur Erkenntnis verhinderte. Folgerichtig und zutreffend wird daher auch die Unterscheidung zwischen Friedensforschung und Friedensethik hervorgehoben, so von Brock im Kontext des internationalen Friedensproblems: "Das Problem liegt also nicht darin, wie dem Frieden immer weitere Wertdimensionen und Problemfelder zuzuordnen sind, sondern darin, zu systematischen Aussagen über die Faktoren zu gelangen, die das Verhalten und Verhaltensänderungen von Kollektiven in Konflikten bestimmen. Dies ist die Aufgabe der Theoriebildung. Darüber hinaus sind auch Wertorientierungen rur die Güterabwägung zu entwickeln, die erforderlich sind, wenn Frieden und Gerecht1keit miteinander in Widerspruch geraten. Dies ist die Aufgabe der Friedensethik.,,4

Brack, Frieden. Überlegungen zur Theoriebildung, 327. Ebenda. 44 Ebenda, 328.

42 43

§ 36: Frieden und die Friedfertigkeit des Individuums

271

Die Auseinandersetzung mit der Wertproblematik des Friedens verweist damit einmal mehr darauf, daß vor der Rekonstruktion der Zusammenhänge die Begriffsbestimmung stehen muß.

§ 36: Frieden und die Friedfertigkeit des Individuums Kurz einzugehen bleibt nun noch auf die Problematik des Zusammenhangs der Friedfertigkeit des Individuums mit dem Frieden. Auch in diesem Kontext ist es notwendig, zwischen den drei Ebenen der Interaktion zu unterscheiden. Unmittelbar relevant ist die Friedfertigkeit des Individuums tUr den Frieden nur auf der Ebene einfacher Interaktionsverhältnisse: Hier bedeutet Friedfertigkeit den Verzicht auf destruktives Handeln gegenüber dem Anderen. Sie setzt keine besondere moralische Anstrengung vom Einzelnen voraus, sondern resultiert schon aus einem den allgemeinen Lebensformen und Institutionen einer Gesellschaft entsprechenden Verhalten. Der an den Formen des Üblichen orientierte Umgang mit den Mitmenschen trägt als gelingende Interaktion stets schon zur Vertiefung des Friedens der Person und der Kultur des Friedens bei. Dabei muß die Interaktion gerade nicht ausdrücklich als "friedliche" getUhrt werden: Denn mit ihrer subjektiven Interaktion tragen die Beteiligten stets schon zur Ausbildung der Person des jeweils Anderen unwillkürlich bei, da jede subjektive Interaktion zugleich objektive Aspekte hat. Weil der Frieden "Substrat aller Sozialität ist, muß im Bezugrahmen der subjektiven Interaktion seine Vertiefung unwillkürlich anfallendes Nebenprodukt sein und bleiben. Wer meint, den Frieden selbst zum Zweck der Interaktion und Gegenstand ausdrücklicher Gestaltung machen zu können, verfehlt ihn gerade; während er sich einbildet, in diesem Sinn den Frieden zu fördern, heftet er dessen Begriff in Wahrheit einen - im Grunde beliebigen - Interaktionszweck an.,,45

Der Frieden selbst kann also durchaus nicht Ziel einer ausdrücklichen Handlung sein, er stellt sich vielmehr unwillkürlich ein, wenn die Menschen ihre gemeinsamen Probleme, welcher Art sie auch sein mögen, je angemessen bewältigen. Der Frieden hat daher auch den Charakter eines Prozesses. An dieser Stelle muß die Differenzierung zwischen Unfrieden und Konflikt in Erinnerung gerufen werden: Sofern Konflikte eine Struktureigentümlichkeit menschlicher Beziehungen darstellen, wäre eine Friedfertigkeit, weIche auch die Abschaffung des Konflikts verfolgte, ein Selbstrnißverständnis. Wenn Konflikte zur menschlichen Existenz gehören, kann es nicht darauf ankommen, sie

45

Buchheim, Augustinus, 85.

272

H. Der Frieden in der Welt der Werte

als solche zu beseitigen (womit etwas Unmögliches versucht würde). Es geht vielmehr darum, Konflikte auf friedliche Art und Weise auszutragen und ein Umschlagen in Unfrieden zu verhindern. Gerade dies aber ist die Leistung politischen HandeIns im Sinne der Klugheit: In Situationen des Konflikts ist es der kluge Umgang miteinander, der dessen Verschärfung entgegenwirken und zu einer fur alle Beteiligten angemessenen Lösung fuhren kann. Auf diese Weise dient politisches Handeln indirekt dem Frieden der Person durch Minderung der Wahrscheinlichkeit des Unfriedens. Daß Konflikte riskiert und friedlich ausgetragen werden können, verweist auch auf den Friedensbeitrag des Rechts: Dieses ermöglicht es, Konflikte in geregelten Verfahren auf der Basis gemeinsamer Anerkennung des Rechts unter Verzicht auf Gewalt und Unfrieden auszutragen, zumindest solange hinter dem Recht eine anerkannte Autoriät steht, welche den Rechtsfrieden zu garantieren vermag. Eine Friedensgesinnung, die vom Einzelnen forderte, Konflikte zu vermeiden und so fur eine konfliktfreie Welt zu arbeiten, verlangte zu viel und arbeitete ihrer eigenen Absicht entgegen: Indem sie letztlich Selbstverleugnung und Kleinmut llirderte, trüge sie gerade nicht zur Selbstverwirklichung des Einzelnen bei, die immer im Kontext einer auch konflikthaften sozialen Umwelt stattfindet. Bezogen auf die Ebene des Zusammenlebens im politischen Verband kann ein angemessenes Verständnis von Friedfertigkeit nur vor dem Hintergrund der Eigenart des gesamtgesellschaftlichen Friedens erreicht werden. Friedfertigkeit bedeutet hier in erster Linie ein der jeweiligen politischen Kultur entsprechendes Handeln, das den Willen zur gemeinsamen Verfassung ausdrückt und aktualisiert. Friedfertigkeit in bezug auf den Frieden des politischen Verbandes bedeutet hier nichts anderes als Verfassungspatriotismus im Sinne Sternbergers. Der politische Frieden ist unmittelbar von dieser Art Friedfertigkeit abhängig, da sich der Frieden des politischen Verbandes nicht unwillkürlich einstellt, sondern eine ausdrückliche und bewußte politische Kulturleistung ist46 , die auch bewußter Pflege bedarf. Nicht übersehen werden darf in diesem Kontext jedoch, daß sich die subjektive Gesinnung auf die Friedensleistung des politischen Verbandes bezieht und sie trägt, daß sie selbst aber nicht schon den gesamtgesellschaftlichen Frieden

46 Die Friedensgesinnung des Verfassungspatriotismus ist keine individualistische, sondern bleibt auf das Ganze bezogen, ist also eine Variante des Gemeinsinns. In diesem Sinne ist Sternberger zu verstehen, wenn er feststellt, daß der Frieden nicht das Ergebnis friedfertiger Gesinnung, sondern politischer Klugheit sei. (Siehe Sternberger, Das Wort "Politik" und der Begriff des Politischen, in: ders., Die Politik und der Friede, 107-119, hier 116).

§ 36: Frieden und die Friedfertigkeit des Individuums

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zu leisten imstande ist. Friedfertigkeit kann die Friedensleistung des politischen Verbandes niemals ersetzen, da subjektive Interaktion generell auf der Ebene partikularer Interaktion verläuft, während sich der Frieden des politischen Verbandes auf die gesamtgesellschaftliche Interaktion bezieht. Eine Friedensgesinnung, die glaubte, den politischen Verband überflüssig machen zu können, unterläge derselben Kritik wie die Theorie Elias', welche die Vorstellung zur Konsequenz hat, daß eine genügend starke Disziplinierung der Affekte beim Individuum letztlich den politischen Verband ersetzen könnte. Wenn Sternberger die Verfassung immer wieder als institutionalisierten Streit darstellt, so verweist er darauf, daß auch im öffentlichen Zusammenleben Frieden nicht mit Konfliktfreiheit zu verwechseln ist. Vielmehr ermöglicht der Frieden des politischen Verbandes die Austragung politischer Konflikte ohne Unfrieden und Gewalt - gerade dies ist seine Leistung, und gerade indem er diese erbringt, ermöglicht er auch seine eigene Fortentwicklung, indem er die konstruktiven Kräfte der Pluralität von Meinungen, Interessen und Anschauungen innerhalb seiner Gesellschaft sich entfalten läßt. 47 Schließlich ist die Ebene der internationalen Politk zu betrachten. Hier ist daran anzuknüpfen, daß nicht das Individuum sondern der politische Verband Subjekt des Handeins ist. Aus diesem Sachverhalt resultiert, daß Gesinnung und Handlung des Einzelnen keinen unmittelbaren Einfluß auf den Frieden - im Sinne von Nicht-Krieg - haben können. Dies zu übersehen ist das Mißverständnis Franz Alts48 ebenso wie jener Friedenspädagogik49 , die den Weltfrieden durch subjektive Friedfertigkeit und Abbau individueller Aggression 50 herbeifUhren zu können glaubt. Die diesbezüglichen Argumente brauchen hier nicht wiederholt zu werden. 51

Siehe dazu insbesondere Sternberger, Der Begriff des Politischen, 76 ff. Siehe Franz Alt, Frieden ist möglich. Die Politik der Bergpredigt (1983), 14. Auflage, München 1983. 49 Siehe statt aller nur die jüngeren Beiträge in: Calließ / Lob, Praxis der Umweltund Friedenserziehung, Band I, hier insbes. die Beiträge in Teil B. VI. auf 553-636 sowie Band 3, Friedenserziehung, Düsseldorf 1988. 50 "Von der Aggressivität des Individuums, wie gesellschaftlich vermittelt auch immer man sie definiert, fUhrt kein direkter Weg zur Aggression von Kollektiven und zum ... Krieg ... , weil wir es mit ganz unterschiedlichen Aggregaten zu tun haben." (Czempiel, Schwerpunkte und Ziele der Friedensforschung, 31. Seltsamerweise bemerkt Czempiel nicht, daß sein Argument nicht nur rur individuelle Aggressivität, sondern auch rur individuelle Friedfertigkeit gilt, wenn er, \09 ff. die Bergpredigt - allerdings in einer eigenwilligen Lesart - für die internationale Politik fruchtbar machen will. Siehe dazu auch die Hinweise hier in Fn. 52). 51 Sie wurden bereits ausruhrlieh im Kontext der Behandlung des Kriegsbegriffs diskutiert. Siehe oben 211 ff. und 246. 47 48

18 Henkel

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H. Der Frieden in der Welt der Werte

Es sei lediglich nochmals betont, daß die Verhinderung des Krieges eine Frage politischen Kalküls des politischen Verbandes ist, das als solches außerhalb des Koordinatensystems individueller Moral liegt. Zur Befriedung der Staatenwelt die Moral, womöglich noch in Gestalt der Moral der Bergpredigt zu bemühen, ist daher von vornherein verfehlt. 52

52 Siehe dazu mit aller notwendigen Bestimmtheit und Differenziertheit der Argumentation die Kritiken Hättichs und Sternbergers an Alts Vorstellungen, die auch auf dessen Zerrbild christlicher Religion und Moral kritisch eingehen: Man/red Hättich, Weltfrieden durch Friedfertigkeit? Eine Antwort an Franz Alt (1983), 3. Auflage, München 1983 und Sternberger, Über die verschiedenen Begriffe, 54 ff. Sternberger geht auch auf Czempiels Schwerpunkte und Ziele der Friedensforschung ein, wo (109 ff.) ebenfalls die Bergpredigt bemüht wird. Zur "Politik der Bergpredigt" siehe kritisch schon Max Weber, Politik als Beruf, 68 ff., der in diesem Kontext seine Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik einführt. Die Argumente Hättichs und Sternbergers sind mutatis mutandis auch auf die Friedenspädagogik zu übertragen.

I. Die Praxis des Friedens Mit dieser Skizze von Konsequenzen, die sich filr eine ethische Betrachtung des Friedens ergeben, gelangt die interaktionstheoretische Arbeit am Friedensbegriff zu ihrem Ende. Es bleiben nunmehr noch einige abschließende Hinweise zu ergänzen. Zentrales Anliegen der interaktionistischen Theorie des Friedens ist, den Friedensbegriff ausgehend von einem Paradigma gleichwohl differenziert zu entwickeln. Entsprechend der jeweils betrachteten Ebene der Interaktion offenbarte der Frieden dabei spezifische Eigentümlichkeiten, die hier nicht noch einmal zusammenfassend vorgestellt werden müssen. Die Differenzierung des Begriffs soll es ermöglichen, einer komplexen Realität gerecht zu werden. Dabei war die Vorstellung leitend, daß es zur Theoretisierung des Friedens nicht ausreicht, ihn mit einem Kanon hoher (ethischer) Werte zu identifizieren. Mit einer solchen verfehlten Strategie wird nämlich regelmäßig nicht nur eine Verschiebung der theoretischen Problematik erreicht, sondern Frieden erscheint hier als etwas erst künftig zu Erlangendes, etwas, was nur möglich, aber nicht wirklich ist. Eine solche Sichtweise vernachlässigt aber, daß schon die Bestimmung von Frieden als Abwesenheit von Gewalt oder Krieg von einem Zustand ausgeht, der mit der Gewalt oder dem Krieg nicht mehr gegeben ist, ihnen aber gleichwohl voraus liegt. Dieses Voraus liegende zu bestimmen war die Absicht der vorliegenden Arbeit: Der Frieden ist demnach nicht etwas Zukünftiges, etwas, was heute nur unvollkommen oder überhaupt nicht existiert, sondern Grundlage allen Handeins und Schaffens des Menschen überhaupt und damit Bedingung der Möglichkeit der Verwirklichung von Werten und Zielen. Dies gilt rur den Frieden auf allen drei Ebenen der Interaktion, wobei der Frieden des politischen Verbandes mit demjenigen, um den es in den internationalen Beziehungen geht, identisch ist. Beim Frieden handelt es sich also um ein - jeweils verschieden existierendes - fundamentales Phänomen, das lebensweltlich in der Kultur verankert ist und daher als solches kaum zu Bewußtsein kommt. Auch der Frieden des politischen Verbandes als ausdrückliche und bewußte Leistung wird kaum explizit als Frieden erfahren, sondern in den Prozessen der politischen Integration geht es meist um konkret zu lösende Probleme des Zusammenlebens, die jedoch tatsächlich aus sozialontologischer Perspektive Friedensprobleme sind. Und auch die beIS'

276

I. Die Praxis des Friedens

wußte Friedensleistung des politischen Verbandes veralltäglicht sich in unreflektierten Gewohnheiten und im Ordnungswissen einer Gesellschaft. So entschwindet der Frieden dem lebensweltlichen Blick und wird nur dann bewußt, wenn er verletzt oder seine mögliche Verletzung bedacht wird. Insofern sich der Frieden so hinter der alltäglichen Praxis dem Blick verbirgt, gilt rur ihn, was Oakeshott vom conduct sagt: "Conduct is as nearly as possible without reflection. And consequently, most of the current situations of life do not appear as occasions calling for judgement, or as problems requiring solutions; there is no weighing up of alternatives or reflection on consequences, no uncertainty, no battle of scruples. There is, on occasion, nothing more than the unreflective following of a tradition of conduct in which we have been brought up.'"

Obgleich diese Arbeit nicht den Anspruch auf praktische Relevanz erhebt, gibt sie rur den, der wissen will, was rur den Frieden zu tun ist, einige Hinweise. Man könnte diese Hinweise dahingehend zusammenfassen, daß die beste Pflege, die man dem Frieden - aufweJcher Ebene der Interaktion auch immer - angedeihen lassen kann, in der Pflege der jeweiligen Kultur, inklusive und insbesondere: der politischen Kultur liegt. Diese Pflege erfolgt nicht dadurch, daß man sich daran macht, "den Frieden zu verwirklichen". Sie erfolgt vielmehr durch die alltägliche Praxis, die daher von sich aus eine Praxis des Friedens ist. Daß zu dieser Praxis Konflikte und ihre Bewältigung ebenso gehören wie der immer auch mögliche Einbruch von Unfrieden als dem Anderen der Kultur, ist selbstverständlich.

, Oakeshott, The tower of Babel, 468.

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20 Henkel

Personenverzeichnis • Alt, Franz 273

Epikur 18

Althusius,lohannes 108, 129 Arendt, Hannah 98 f., 120 f., 143

Frei, Daniel 222

Aristoteles 7, 105 f., 110, 113 f., 165

Fuchs, Harald 53

Aron. Raymond 2\4. 237 Assmann. lan 36, 85 f., 148 Augustinus 13,37.51-58.69 f., 121, 134, 150, 183, 194 f., 200 f.

Galtung, lohan 22-26. 28, 97, 257, 262-267 Gehlen, Arnold 85 Geiger, Theodor 71

Bodin, lean 146

Genie 91 f.

Böckenförde, Ernst-Wolfgang 143

Glucksrnann, Andre 7

Boulding, Kenneth E. 194, 232, 248

Grewe, Wilhelm G. 230

Brock, Lothar 226,270

Grotius, Hugo 226

Buchheim, Hans 37, 55-57, 65, 68-71, \44 Calliess, Rolf-Peter 100

Haas, Ernst B. 223 Hauriou, Maurice 76

von Clausewitz, Carl 260

Hegel, Georg W. F. 66, 101, 127, 137, 149,238

Czempiel, Ernst-Otto 26, 26\

Heidegger, Martin 56 Heller, Herrnann 77,85,131 f., 143

Dante Alighieri 23\

Henke, Wilhelm 187,258

Descartes, Rene 49

Hobbes, Thomas 30, 140, 143, 146, 152, 269

Deutsch, Karl W. 225 Dewey, lohn 122 Duerr, Hans Peter 162 Elias, Norbert 30, 87, 99, 102, 159-163, 165,273

Höffe, Otfried 186 Hofstätter, Peter R. 85 Hondrich, Kar1 0.247,255 Honneth, Axe1 68, 89, 92

• Es werden nur jene Namen angeruhrt, die sich im Haupttext der Arbeit finden.

20'

308

Personenverzeiehnis

Huntington, Sarnuel P. 261

Quine, Willard V. O. 50

Ipsen, Knut 236

Radbruch, Gustav 181 Rousseau, Jean-Jacques 208

Jellinek, Georg 77 Schelsky, Helmut 27 Kant, Immanuel32 f., 135, 194 f., 214, 216, 232-236, 238, 242-246, 248-251 Kielmansegg, Peter Graf 151 Kriele, Martin 184 Krippendorff, Ekkehart 255 Kühnlein, Gertrud 27 Landshut, Siegfried 129 Lübbe, Hermann 235 Luhmann, Niklas 153,170 f., 173 f., 181, 184,189,214 f., 228

Schmitt, Car1114, 151, 155, 166 Schumpeter, Joseph A. 221 Schütz, Klaus 26 f. Schwerdtfeger, Johannes 27 Searle, lohn R. 46-48, 50 Senghaas, Dieter 28-39.45,57,71,84, 86 f., 147, 149, 159, 163,232, 253-255, 267 Simmel, Georg 180, 183 Stemberger, Dolf 136, 149,272 f. Surnner, Williarn G. 249

Maehiavelli, Nieeolo 33

Tenbruck, Friedrieh F. 27

Mead, George H. 37. 40, 48, 50, 57, 62 f., 65 f., 68, 70 f., 171,257

Thomas von Aquin 36, 261

Meier, Christi an 75 Miebach, Bemhard 63 Mitrany, David 222 f., 225 Montesquieu, Charles de 33 Nieklas, Hans 26 Oakeshott, Michael 72-74, 110, 175, 178, 276 Ockenfels, Wolfgang 25 Osterrnann, Änne 26 Pospisil, Leopold 171, 176, 182

Thomas, Williarn I. 107 Tocqueville, Alexander de 33 Vielmetter, Georg 49 f. Vivelo, Frank R. 158 Voegelin, Erie 43,77 f., 128, 130, 196 Weber, Max 144, 187 Winch, Peter 74, 76, 173 Wright, Quincy 211 Zimmerling, Ruth 225 Zsifkovits, Valentin 268

Sachverzeichnis * Anerkennung 61,95, 118

Feind 180,208 f.

-

-

als hostis 156, 208 f.

-

als inimicus 208 f.

politischer Verbände 199

aucloritas non veritas facit pacem 143, 166 Autorisierung 140, 142

Feindschaft 89, 91-94. 96, 118, 120 f., 151 f., 156, 162, 183,258

-

-

im Bürgerkrieg 151

-

im Krieg 208 f.

als Machtbildungsprozeß 140

Autorität 143,156,179-181. 184 f., 227, 234.237. 272 s.a. Rechtsautorität Bewußtsein 40, 47, 53,62 f., 65, 67, 74, 76,86,92 f., 106, 126 f., 131, 138, 148, 157, 175,212,217,226,237, 256,275

fiat iustitia pereat mundus 183 finis belli pax est 207 Folter 102 f., 266 Freund-Feind-Kriterium 155 f. Freiheit 7, 25 f., 32 f., 36, 137, 153, 184, 233,246,256,259,268

Briand-Kellogg-Pakt 251

Frieden

Bürgerkrieg 29,140,146, 150-157,236, 261

-

als Abwesenheit struktureller Gewalt 24,26,257,263 f., 267

-

-

als Abwesenheit von Gewalt 23, 25-27,30,34,207,263,275

-

als Abwesenheit von Krieg 17 f., 23, 25-27,34, 193-195,205,207,213, 231,233,242,255,260,269,273, 275

Unfrieden und 150-157

democratic peace-These 33, 243 f., 249, 251,255 Demokratie 30 f., 37, 249 f., 253 f. Desavouierung 90-92, 95, 101, 154, 201 f., 210, 268 Desintegration 142, 159 Despotie 7, 216, 250 Embargo 202 f. europäische Integration / Europäische Union (EU) 196,235 f., 241

-

als Existenzial 55 f., 88, 268 f.

-

als lebensweltlich verborgenes Phänomen 70, 84, 92, 117

-

als Moment der Interaktion 55 f.

-

als Sinn des politischen Verbandes 134-136, 186

-

als ungestörte objektive Interaktion / ungestörte Existenz der Person 56, 70, 82 f., 88, 117, 157 f., 179, 200, 205-208, 266, 268

, Das Sachregister bezieht sich nur auf den Haupttext.

Sachverzeichnis

310 -

als ungestörte Ruhe der Ordnung 52-54, 56, 69 f., 152, 182, 20 I, 169

-

als Wert 17, 25 f., 53 f., 56, 93, 146, 260,264,266,268-271

-

als Zivilisierungsprojekt 31

-

Asymmetrie zwischen F. und Unfrieden 90, 93, 153

-

bei Augustinus 51-54

-

bei Buchheim 55-57

-

bei Ga/tung 23-25, 262-268

-

bei Senghaas 29-36

-

Definitionen des -s (in der Friedensforschung) 25 f.

-

durch Ökonomie 221-226

-

funktionalistische Theorie des -s 160-163,221-226

-

Dualismus I Gegensatz von F. und Krieg 17 f., 20, 207

-

gesamtgesellschaftlicher 30,57, 122, 134-136, 138, 141-144, 148-150, 157-167, 186-188, 190 f., 196, 199, 218,224,236,241,258,261,272

-

gesamtgesellschaftlicher: muß gestiftet werden 134, 148, 150,269

-

der Gesellschaft ist politischer Natur 134 Herstellung des -s 54, 70, 143, 166, 179, 235, 258, 56, 117

-

lebensweltlicher 70, 82-84, 86 f., 92 f, 117

-

mit Gott 18,38

-

negativer 22 f, 27, 30, 54, 193,263

-

Normalität des -s 17, 88, 93, 120, 205

-

öffentlicher 156 ff., 165

-

partikularer 157, 163 f., 165, 167

-

der Person s. unter Person

-

Pluralität des lebensweltlichen -s 87 des politischen Verbandes 36, 134-136,140-148,150,153, 156-158,163-165,167.170,201 f., 205,207, 223, 260, 269. 272 f.. 275 s.a. unter Frieden, gesamtgesellschaftlicher

-

positiver 22-24, 26, 54, 193, 263 f. Praxis des -s 275 f. Seelen- 18,38 -

stabiler (Bou/ding) 194 f.

-

transzendenter 18

-

und Gewalt 20,89,97-103, 144, 205-213, 255

-

und politisches Handeln 117-121, 272 Vertiefung des -s 83 f., 117-121, 138, 166 f., 169, 178 f., 181, 183 f., 187, 191,224,228,230-232,235-237, 251,255,262,271

in der Wirklichkeit 69-71 in Institutionen 84, 87, 93, 117, 149f., 162, 179

Wahrnehmung des -s 165

innergesellschaftlicher 29,57, 134 f., 157-167, 178, 187 f., 236, 253 internationaler 29,32 f., 195,201, 205,213 f., 222, 224 f., 226, 230 f., 234,237-239,242,247,251,255, 262,269 f. -

Kultur des -s 29-36,57,71,84-86, 97,120 f., 147-150, 152, 159,163, 238,242,253-256,267,271 Kulturrelativität des lebensweltlichen -s 87, 260

politischer 134-136, 136-140, 140-147,164,200-205,213,259 f., 272

Wiederherstellung des -s 53, 56, 120, 207,268 Friedensforschung 17-29,30, 34, 54, 97, 193,267,270 -

kritische 19-21, 23 f., 27, 29 f.

-

traditionelle 19-21, 23

Friedenspädagogik 21, 273 Friedfertigkeit außenpolitische 244, 246-249 -

des Individuums 213, 271-274

Sachverzeichnis -

von Republiken 33, 243, 250

Gerechtigkeit 25, 138, 141, 184,231, 268 f. -

soziale 24, 26, 30, 264

-

und Frieden 231, 257-262, 269 f.

Gesellschaft 7,29,33-37,41-43,47,55, 65,75,77 f., 81-85,87,93 f., 113, 117.123,138,140 f., 143, 146-149, 156-161. 163 f., 166 f., 171, 179 f., 183-190.196,203,219 f., 235, 247, 249, 253 f., 257-259, 269-273, 276 -

als gesellschaftliches Faktum 125-127,157

-

als nichtintendierte gesamtgesellschaftliche Interaktion 122 f.

-

Faktum der 123-125. 127, 130, 158 s.a. Repräsentant; Repräsentation; Weltgesellschaft; WeItzivilgesellschaft

-

311

des Staates 31, 33 f., 144, 161, 184 f., 187,238.251

Gewohnheit 34, 57, 66, 71, 78-84, 86 f., 93 f., 117 f., 120, 126 f., 141, 149, 162-164,172,174 f., 198,237,253, 276 Handeln 18,29,39-41. 46,58-61,63,65, 67-69,71,73,75,77-83,86,89,93, 97,99,101,103,105.110 f., 117, 126,147,153,156,160,162,174, 179,181,271 f., 275 -

alles H. ist soziales H. 67

-

des politischen Verbandes 35. 106. 136 f., 140 f., 195. 198, 202 f., 232, 240, 246 f.. 251. 260

-

politisches I kluges 7, 105 L 108, 111,115,117-121,131 f., 132,147f., 152,226,229 f., 262, 272

hostitia 151

gesellschaftliche Tatsachen (bei Searle) 46,48

I (bei Mead) 63 f., 68-70, 83 f., 87, 89 f.

Gewalt 30,32,89, 100-103, 143 f., 154, 159-161,205-211,241 f., 255, 272 f.

-

bei Mead 62-65, 68 f., 257

-

kollektive I gesellschaftliche 75 f., 78, 124,130, 134, 151 f., 196,217-219, 254,256,259

Identität

-

als Grundlage des Staates 143

-

als physisch vermittelte Interaktion 100

-

als spezifisches Mittel von Staat und Politik (bei Weber) 143 f.

-

personale 48, 62-66, 68 f., 76 f., 81 f., 89-91,93, 101, 113, 123, 154, 158,

-

als Variante des Unfriedens 101, 103

-

politische 138, 151, 196,202,205, 218,220,228,234,255 f., 260

-

religiöse 217

-

als Vollzugsweise von Interaktion 100

-

Begriff der 24 f., 26, 30, 98-10 I

-

direkte (bei Galtung) 262 f., 266

In-der-Welt-Sein 58 f., 107

-

in den internationalen Beziehungen 202, 205-211, 228-231

inimicitia 151, 156

-

kulturelle (bei Galtung) 262, 267

-

strukturelle (bei Galtung) 24, 28, 257, 262-267

-

und Frieden s. unter Frieden

-

und Recht 181 184,187,228-231, 238,255

GewaltmonopoI30-33, 146, 160 f., 229, 232

Individualität 62, 65, 79 Institution 46 f., 57, 66, 71, 78-84, 86 f., 93 f., 117 f., 120, 126, 130, 149, 162-164,166, 172, 179,233,242, 253,271 -

internationale I supranationale -en 196 f., 199 f., 228 f., 230-232, 242, 262

-

politische 32, 138, 141, 148, 154,253

Sach verzeichnis

312

Institutionalisierung 153, 173 f., 229 -

doppelte I. des Rechts 176, 227

-

Völkerrecht als I. 226. 231

Integration 33. 75. 78. 110. I 12. 124-126, 129 f.. 142. 148. 158. 160. 195, 217 f.. 222-226. 231. 235, 238. 246. 269. 275 funktionalistische Theorie der I 221-226 internationale 195. 213 f.. 217. 221-226.231 f .. 235-237, 241 f.. 255 -

ökonomische 215, 225

intentionaler Konsens 59-61. 65. 107 Intentionalität 46 f.. 59. 131. 197. 20 I 1nteraktion destruktiv geführte 90-93. 96. 118. 120,153-155.157

-

politischer Verbände: ist politisch 197 f.

-

politischer Verbände: originär weder Krieg noch Frieden 197. 201

-

politischer Verbände und der Frieden der Person 205-213

-

subjektive 55 f., 68 f., 90.101,179, 271 f.

-

Themen der 60, 95. 153

-

unfriedliche 88, 90, 93, 118, 153, 158

internationale Organisationen 195 f.. 199, 212 f.. 222. 224. 230. 232. 237-241. 255. 262 internationale I zwischenstaatliche Beziehungen 17. 193-195. 198 f.. 210 f.. 205. 207 f.. 212 f.. 222 f., 230 f.. 234 f.. 237-239. 242. 245.275 Lehre von den / Theorie der -n B. 19, 21,23.195,221

destruktiv geführte zwischen politischen Verbänden 202 f.. 205-208, 210.213,228

Internationaler Gerichtshof (IGH) 228

Ebenen der 7,34 f., 57, 149, 158, 201 f., 205, 220, 234, 257 f., 270 f, 275

Klugheit 106, 110 f., 121, 177, 272 s.a. Handeln, politisches / kluges

feindschaftliche 89, 92 gelingende 83 f., 87, 94, 110, 113, 117,120,179 f., 188,227,236,271 gesamtgesellschaftliche 57, 68, 106, 122-127,131,133 f., 157 f., 160, 162 f, 167, 186,255,258,272 internationale / I. politischer Verbände 58,195-202,205-207,212 f., 228-231,236,255,260.270 Mensch existiert im Modus der I. 55-57, 59, 62 f., 65, 70, 88, 135,253

Konflikt 30-33,57,86,94-97, 102, 109, 118,142 f., 149, 152 f., 155 f, 166, 169 f., 172, 175 f., 179 f., 187-189, 191,230,241,265,270-273,276 im politischen Verband 142 f., 152 f., 15Sf., 166, 188,273 -

-kultur 30 f., 37, 86, 149,253

-

der Kulturen 261

-

und Recht 170, 172, 175 f., 179 f, 184 f., 187 f., 191,230

-

und Unfrieden 94-97, 152,271

objektive 55-57, 68-70, 82 f., 88, 92, 101,157 f., 179,266,268

-

zwischen politischen Verbänden 198, 202,205,223,228,230,246

partikulare / innergesellschaftliche 37, 57,66,86 f., 115, 121-123, 125 f, 131,134,147,149,153,158, 162-165,167,173,178,184 f., 186, 188,205,207,258,270-272

Krieg 17-21,23,25-27,32,34 f., 37, 48, 52, 152, 155, 193-197, 202, 204-215, 222, 224, 226, 228 f., 233-238, 242-251, 255 f., 259-262, 269 f., 272 f., 275

politischer Verbände: ist künstlich 197 f.

-

Ächtung des -es 242-251, 255, 262 als gewaltsam ausgetragene destruktive Interaktion 202, 206, 208

Sachverzeichnis -

als ultima ratio der Rechtsdurchsetzung 228

313

Macht 46,48,57,97-103, 140-144, 176, 179, 185, 229, 238, 264

-

Hegung des -es 194, 210

-

als Potential 98-100, 140 f

-

Human isierung des -es 17, 210

-

fluenter Charakter der 99

-

kollektive Erfahrung des -es 247 f.

-

-

Möglichkeit des -es 238, 242, 250 f., 261,269

des politischen Verbandes 140-144, 166,185,187

-

verfestigte 141

-

und der Frieden der Person 205-213 s.a. Bürgerkrieg

Kriegsvölkerrecht 210 Kultur 31,36.57.63,79,84-87,94,120, 139,147-150.167,177,182,253, 261. 267. 275 f.

me (bei Mead) 63 f, 69, 81, 83 Mentalität 31, 33 f, 36 f, 41, 48, 57, 66, 71-80, 92-84. 86 f, 106, 108 f, 111 f.. 166, 175. 180,217, 225f., 242-251. 253, 117f., 121, 132, 137, 149.152.156,163

-

des Friedens 37.57.71,86 f.. 97, 120 f.. 147-150.152,159,242-251, 253-256. 267. 271

-

der Ächtung des Krieges 242-251

-

als praktisches Wissen in bezug auf das Zusammenleben 72, 75

-

des Friedens (bei Senghaas) 29-38, 57, 86 f.. 159, 253, 255

-

-

zwei Aspekte der 84-87, 148 s.a. Gewalt, kulturelle; Konfliktkultur; Konflikt der Kulturen; politische Kultur

bei Geiger 71 s.a. Ordnungswissen; Wissen, praktisches

Lebenswelt / lebensweltlich 39-45, 58, 61,70 f., 81-84, 86, 92 f., 97,106 f, 117-121,150,154,157,162-164, 178-180,194,197,199,253,255, 275 f. Frieden in der L. 82-84, 86 f, 92, 121,255,275 Politik als Bestandteil der L. 107 -

Semantik, Symbole und Terminologie der 40-43 s.a. Sinn; Wirklichkeit, soziale

Legitimität 187,259,270 -

Minimalkonsens 60 Moral der Bergpredigt 274 Moralische Problematik des Friedens 262 Moralische Problematik des Krieges 247, 256 Moralität 271,273 Norm / Normativität 26,39,68, 75, 77, 80,94,136 f, 147, 171-183, 189, 198 -

als kontrafaktisch stabilisierte Verhaltenserwartung 173, 180 f, 226 f

normalisierende Kraft des Normativen (Heller) 77 normative Kraft des Faktischen 76 f, 94, 97,174,198

des politischen Verbandes 141,258 f

Leitidee 76, 111 f, 118 f, 126, 131, 151

ökonomische Subsistenz 203 f

-

-

des (gesamtgesellschaftlichen) Zusammenlebens 78,125-133,137-142, 146,153,155 f, 164,218,246,249 f

Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts 241

und politische Existenz 203

Ontologie -

politische 8, 44 f, 46, 49 f. s.a. Sozialontologie

opus politicae pax 230

314

Sachverzeichnis

Ordnungswissen 57, 78 f., 82, 126, 128, 132 f.. 137 f., 141. 146-148, 151, 153, 164, 180, 190, 216-218, 225 f., 242, 245,247,250,259,276

als Friedenseinheit der Gesellschaft 35.78,134-136,140,143,147, 155 f.. 158, 190,254

Person

als nicht-personales Subjekt 106, 195, 202

Angelegt- und Angewiesensein auf Sozialität 46, 107, 165

-

als Handlungs-. Entscheidungs- und Machteinheit 143, 195, 211

-

Autarkie des -n -es t 96, 198 f., 202

existiert im Modus der Interaktion s. unter Interaktion

ist die Gesellschaft als Einheit 129, 134. 158

Frieden der 58. 70 f., 82-84, 87, 89, 93,103,117.119 f., 150,158,162, 167.170.178.180.185,187.205, 207. 213. 253. 257 f., 266, 268. 271 f.. s.a. Frieden als ungestörte Existenz der Person

originäres Verhältnis der NichtInteraktion zu anderen politischen Verbänden 196 f., 200

transzendiert alle Sozialität 46 s.a. Frieden als ungestörte Existenz der Person; me; I, Identität, personale; Intentionalität; Interaktion; seI[

politische Existenz des politischen Verbandes t 06, 132, t 97 f., 199-203, 205, 207. 213, 240 Realität 41,71, 107,232,265,267,275 -

polis 7, 165,254

Politik passim

soziale 8, 42 f, 55, 71, 82,106,117, 132 s.a. Lebenswelt; Wirklichkeit, soziale

Recht 38, 46,58,77,137,143, 169-191, 226,238,253

-

als Gegensatz zur Despotie 7

-

als Gestaltung des Zusammenlebens 106, 108, 115, 118, 120, 124, 134, 148 f., 163

-

als Klugheit s. unter Handeln, politisches I kluges; Klugheit

-

als Institution 81, 179, 242

-

als Modus von Interaktion 106, 110, 121,131,147,170

ambivalentes Verhältnis zwischen R. und Frieden 187, 171, 181, 187,228

-

Artikulation des -s 177 f.

-

Autorität als Merkmal des -s s. unter Rechtsautori tät

als Status (gesamtgesellschaftlicher Interaktion) 106,122,133,147,152

-

Beitrag des -s zum Frieden 169 f, 179 f., 183, 187,272, s.a. Frieden, Vertiefung des -s

Begriff der 105-115 rhetorischer Charakter der 114 politische Kultur 31 f, 34-36, 87, 140, 153,188,229 f, 242-251, 253-256, 260,267,272,276 -

(als Kultur) des Friedens 32, 34, 105, 147"152, 163,238

-

der Ächtung des Krieges 235, 242-251, 255, 262

abstrakter Charakter des -s 177 f., 181 f.

-

doppelte Institutionalisierung des -s 176,231

-

Friedensleistung des -s 169, 181, 183 f., 170, 180

-

Geltungsanspruch des -s 181

-

Pazifizierung des 170, 183, 185 Rigorosität des -s 181, 183, 187

politischer Verband passim -

und Frieden 97,169-191,228

Sachverzeichnis -

und Gewalt 182 f.. 185, 187,228 f.. 231, 238, 251. 255 und Konflikt I Konflikt um das R. 169 f.. 175, 179 f., 184 f., 187-189, 191,230,272

-

Revolution 154, 270 Rollenübernahme 63, 171 Schicksalsgemeinschaft 212

und politischer Verband 184-187

Selbstbewußtsein 65, 91,137

und Unfrieden 170, 181, 183 f., 187, 258

Selbstverwirklichung 196, 266, 272

selj (bei Mead) 63 f., 81, 83

und Zwang 182, 184,229

Sicherheit 33, 179 f., 187,225.238,251

Rechtsautorität 171, 176 f., 179-181, 184, 187,227-229,272 Rechtsdurchsetzung 182, 184 f., 187,229, 236. 238. 240 -

315

-smonopol 166. 184.228 f.

Sinn 39 f.. 59-63, 66-68, 71, 78-84, 106, 112,115,131 f., 164, 167, 179, 196, 219 -

gemeinsamer 67. 75. 81, 83.174.198

-

Rechtsfindung I Rechtsentscheidung 176-178

gemeinsamer persönlicher 62, 75. 108. 114. 120 f.. 132.203

-

Rechtsstaat I Rechtsstaatlichkeit 30-32, 45, 143, 180, 185 f., 188,253

inhaltlicher 59 f., 67, 95, 107 f.. 162, 175,183

-

objektiver 67 f., 83

-

persönlicher 59, 61, 95, 107, 109, 113 f., 120 f., 162, 175, 183,217,223

des Völkerrechts 227,230 f.

-

personaler 59, 80

Regelwissen 72, 74, 110, 173, 175

Regeln (präskriptive I des HandeIns) 48, 72-75,78, 111, 172, 174, 178 -

-

Repräsentant (der Gesellschaft) 129-131, 140, 146, 156, 258 f.

sachlicher 59, 80, 95, 162, 204, 221, 223

-

subjektiver 67 f., 88, 198

-

-

und Symbol 40

im -en artikuliert sich die Gesellschaft als handlungsfahige Einheit 128-130

Repräsentation 129 f.

Situation 58-61, 64 f., 76, 81, 83, 106-113,115,118-121,123,127, 132,146,151 f., 173 f., 181-183, 187, 197,201,250,262,269,276

-

durch Institution 82, 87

-

-

durch Personen 154, 209 f.

Definition der 61 f., 107, 112 f., 118, 127,142,174

-

dynamischer Charakter der 130

-

-

existentielle (bei Voegelin) 130

gemeinsame60f., 109f., 115, 119, 198,211

-

gesamtgesellschaftIiche 121-123, 125, 127, 131-133

-

Problem der 60, 108 f.

-

politischer Verband als R. der Gesellschaft 132

existentielle R. der Gesellschaft \21-131 der Leitidee 76, 78, 126 f. des praktischen Wissens I der Mentalität 79 -

von Sinn 40, 75

Republik I republikanische Verfassung 7, 33, 234, 242-244, 246, 249 f., 255 -

römische 138

Situativitätl situativ 111 f., 115, 131, 183,198,229,250 -

des menschlichen Lebens 58

Souveränität! souverän 144-146, 196, 199,213 f., 222, 228 f., 235, 237-241 -

äußere 196, 199

316

Sachverzeichnis

-

als Rechtsbegriff 144 f.

-

innere 144-146

im politischen Verband 150-157, 201 f,205 in der Interaktion politischer Verbände 205.207 f., 210

Souveränitätsrechte -

Verzicht auf ihre Ausübung 234,241, 255

und Recht 181-188 s.a. Bürgerkrieg: Frieden, Asymmetrie zwischen Frieden und Unfrieden: Gewalt: Interaktion, destruktiv geflihrte: Interaktion, destrukti v geführte zwischen politischen Verbänden; Krieg

Souveränitätsverzicht 240 Sozialisation 31, 34, 62-64, 66, 71, 81, 90, 267 Sozialontologie -

Begriff der 8, 44-50

Staat 29,31-36.46.48,86, 122, BI, 139,143.145.155.161-163.166. 184-190, 204, 208. 214 f.. 221 f., 224, 227-242. 246 f., 250 f.. 274 -

funktionalistische Theorie der -sentstehung (bei Elias) 160-162 s.a. politischer Verband; Staatenbund; Staatenstaat; Weltstaat

Staatenbund 214, 231-242

Vereinte Nationen (UNO) 196,241,251 Verfassung 127.136-140,147 f, ISO, 154 f., 188-191. 234, 246 f.. 259, 269, 273 -

als Friedensordnung 136-140, 190

-

als politische Identität einer Gesellschaft 138

-

als politische Verfaßtheit 137, 188, 269

Staatenstaat 214, 231-242, 255 -

als strukturelle Kopplung 189

kollektive 34 f., 47,86, 152,246

-

Norrnativität der 137

Subjektqualität des politischen Verbandes I des Staates 106, 128-131, 134, 136,141,144,146,163,189, 195-197,202,219,232,239 f., 273

-

rechtliche 137, 189 f

-

Wille zur 140,190 f, 272

Subjektivität 31,47,65, 146 -

Symbole 40-43,45,67, 76, 78, 126 f., 181,187,211 Terrorismus 154,270 Thomas-Theorem 47, 107, 112 Tradition 41,61,73,77,147,276

traditional knowledge bei Oakeshott 73 Tugend 31 -

politische 148

Unfrieden 38 f., 53, 56 f., 70, 87-103, 117,120 f., 135, 147, 150-157, 161-163,170,180-188,201-203, 207 f., 210, 236, 242, 255 f., 258, 261,266,270-272,276 als das Andere der Kultur 256, 276

Verfassungspatriotismus 149,272 Verfassungsrecht 170, 188-191 -

als Friedensrecht 188-191

-

politischer Charakter des -s 189

-

stiftet nicht den gesamtgesellschaftlichen Frieden 190

Verfassungsstaat 37,45, 139, 144, 149, 249,253 f. Völkerbund 196,251 Völkerrecht 17, 170, 193, 195, 199,214, 226-231, 232 f, 241, 247, 251, 255, 262 Beitrag des V. zum internationalen Frieden 228, 230-232, 255 Frieden durch 195, 226 -

Frieden und 226-231

-

Pazifizierung des -s 229 f.

Sachverzeichnis Weltgesellschaft 32. 213-215, 217, 219 f., 231, 236 f, 239 Weltstaat 33, 161, 214-221, 231, 234, 236 f Weltzivilgesellschaft 32 Werte, s. unter Frieden als Wert "Wir" 61 f.. 75.78.94,119. 124. 126, 129,133,141,217,220 Wirklichkeit -

soziale 42-44, 47 f., 70 f.. 82 f., 87, 93, 117 s.a. Lebenswelt; Realität, soziale

Wissen 71 f.. 74, 85. 107. 110 f., 113. 119, 133 -

implizites 73 f.

-

Mentalität als W. 71 f., 77

-

praktisches 72-80, 106 f., 177,217 f., 247

-

Zivilisierung -

mit Frieden identisch (bei Sellghaas) 32,253

-

der Konfliktkultur (bei SellglJaas) 37

-

der Politik (bei Sellghaas) 32

-

des Verhaltens 160, 162

-

des Verhaltens und Pazifizierung der Gesellschaft 163

Zusammenleben / Zusammensein 5 I f.. 55 f., 72. 75. 77 f.. 81. 87. 106-115, 118,120.123 f.. 126. 142, 151 f., 163,166,186,204,217 f.. 221. 232 Ebenen des -s 34-37. 105, 157 -

gesamtgesellschaftliches / öffentliches 34,37,78,115,121,125-127,129, 132-134,136-140,142,146-153, 155 f, 159, 163-165, 167, 188-191, 196,203,234,246,249 f., 259, 269, 272 f., 275

-

politischer Verbände 34, 37, 106, 193, 200, 213

-

Problem des (gesamtgesellschaftlichen / öffentlichen) -s 60, 106, 108-115,120,123-127,167,197,223

-

Wille zum 150 f., 155, 254

praktisches W. bei Oakeshott 72-74

world that is there (bei Mead) 40 s.a. Lebenswelt

Zivilisationstheorie (Elias) 30, 159-163 Kritik der 162 f. und Affektkontrolle 30, 32, 86, 159, 162-164 und Aggressionshemmung 159 -

und lnterdependenzkenen 30, 159, 162 f.

und Selbstkontrolle 30, 159 f.

zivilisatorisches Hexagon (Senghaas') 30-33,35 f., 86, 159, 163,253 f.

technisches Regelw. 72, 175 "W. wie" und "W. daß" 172 s.a. Ordnungswissen; Regelwissen

317

Zwang 57,81,98,102 f., 181 f., 184, 203,207,210,213,266 zweite Natur 79