Frieden und Friedenssicherung in der Frühen Neuzeit: Das Heilige Römische Reich und Europa. Festschrift für Maximilian Lanzinner 3402147645, 9783402147641

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Frieden und Friedenssicherung in der Frühen Neuzeit: Das Heilige Römische Reich und Europa. Festschrift für Maximilian Lanzinner
 3402147645, 9783402147641

Table of contents :
Title
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Guido Braun / Arno Strohmeyer: Einleitung
1. Landfriedenswahrung und Reichsversammlungen im 15. und 16. Jahrhundert
Gabriele Haug-Moritz: FRIEDEN IM LAND DIE SÄCHSISCH-BRANDENBURGISCH-HESSISCHE ERBEINUNG (1451/57–1555)
Dietmar Heil: ZUR FRIEDENSPROBLEMATIK AUF DEN REICHSTAGEN KAISER MAXIMILIANS I. (1493–1519)
Alfred Köhler: Die Friedenssicherung im Heiligen Römischen Reich Mitte des 16. Jahrhunderts
Marc von Knorring: Der „friedenssichernde“ Reichsdeputationstag zwischen Augsburger Religionsfrieden und Dreissigjährigem Krieg
Josef Leeb: SUPPLIKATIONEN ALS KONFLIKTE AUF DEM REICHSTAG
Helmut Neuhaus: Die Gesandten Zar Iwans IV. auf dem Regensburger Reichstag des Jahres 1576
2. Der Westfälische Friedenskongress und die Friedensordnung im Reich und in Europa im 17. Jahrhundert
Michael Rohrschneider: Sicherheitskonzeptionen in den spanischen Instruktionen zu den Friedenskongressen von Köln und Münster (1636–1645)
Konrad Repgen: Maximilian Graf Trauttmansdorff – Chefunterhändler des Kaisers beim Prager und beim Westfälischen Frieden 
Maria-Elisabeth Brunert: Friedenssicherung als Beratungsthema der protestantischen Reichsstände in der Anfangsphase des Westfälischen Friedenskongresses
Dorothée Goetze: KAISERLICHE UND BAYERISCHE BÜNDNISPRAXIS IN DER SCHLUSSPHASE DES WESTFÄLISCHEN FRIEDENSKONGRESSES
3. Leitvorstellungen, Ökonomie, Medien und Kultur des Friedenschliessens im 16. bis 18. Jahrhundert
Guido Braun: Frieden und Gleichgewicht bei Leibniz
Christoph Kampmann: VÖLKERRECHTSBRUCH ALS POLITISCHE STRATEGIE? Ein bekannter Fall und ein unbekannter Plan der Diplomatenführung unter Kaiser Leopold I.
Peter Rauscher: Zwischen Krieg und Frieden. Kaiserliche Finanzkrise und Friedenspolitik im Vorfeld des Dreissigjährigen Kriegs (1612–1615)
Peter Arnold Heuser: KASPAR SCHETZ VON GROBBENDONK ODER PEDRO XIMÉNEZ? Studien zum historischen Ort des „Dialogus de Pace“ (Köln und Antwerpen 1579)
Arno Strohmeyer: Die Theatralität interkulturellen Friedens
Heinz Durchardt: Fernwirkungen - Zur Rezeptionsgeschichte von Ter Borchs Friedensgemälde
Zusammenfassungen
VERZEICHNIS DER AUTORINNEN UND AUTOREN
Personenregister

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Sduiftenreihe der Vereinigung zur Erfoncbung der Neueren Geschichte

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Guido Braun/Arno Strohmeyer (Ung.)

Frieden und Friedenssicherung in der Frühen Neuzeit Das Heilige Römische Reich und Europa Festschrift fü· r M o.m. • -.-'aD L anz.nner -

Aschendorff A_Verlag

SCHRIFTENREIHE DER VEREINIGUNG ZUR ERFORSCHUNG DER NEUEREN GESCHICHTE E.V. 36

Guido Braun und Arno Strohmeyer (Hrsg.)

Frieden und Friedenssicherung in der Frühen Neuzeit Das Heilige Römische Reich und Europa

Festschrift für Maximilian Lanzinner zum 65. Geburtstag

2013

Rheinische Friedrich-WilhelmsUniversität Bonn

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Universität Salzburg, der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität Bonn und privater Förderer.

© 2013 Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG, Münster Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbeson­ dere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funk­ sendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speiche­ rung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergütungsansprüche des § 54 Abs. 2 UrhG werden durch die Verwer­ tungsgesellschaft Wort wahrgenommen. Gesamtherstellung: Aschendorff Druckzentrum GmbH & Co. KG, Druckhaus Münster Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier ∞ ISBN 978-3-402-14764-1

Inhaltsverzeichnis Guido Braun, Arno Strohmeyer Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX 1. Landfriedenswahrung und Reichsversammlungen im 15. und 16. Jahrhundert Gabriele Haug-Moritz Frieden im Land – Die sächsisch-brandenburgischhessische Erbeinung (1451/57–1555). Zur Kontinuität spätmittelalterlicher Formen der Friedewahrung im Reich des 16. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Dietmar Heil Zur Friedensproblematik auf den Reichstagen Kaiser Maximilians I. (1493–1519). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Alfred Kohler Die Friedenssicherung im Heiligen Römischen Reich Mitte des 16. Jahrhunderts. Eine thematische und autobiographische Annäherung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Marc von Knorring Der „friedenssichernde“ Reichsdeputationstag zwischen Augsburger Religionsfrieden und Dreißigjährigem Krieg. Eine Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Josef Leeb Supplikationen als Konflikte auf dem Reichstag. Möglichkeiten und Grenzen der Konfliktregulierung durch Reichsversammlungen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Helmut Neuhaus Die Gesandten Zar Iwans IV. auf dem Regensburger Reichstag des Jahres 1576. Mit zwei Quellenanhängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

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Inhaltsverzeichnis

2. Der Westfälische Friedenskongress und die Friedensordnung im Reich und in Europa im 17. Jahrhundert Michael Rohrschneider Sicherheitskonzeptionen in den spanischen Instruktionen zu den Friedenskongressen von Köln und Münster (1636–1645). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Konrad Repgen Maximilian Graf Trauttmansdorff – Chefunterhändler des Kaisers beim Prager und beim Westfälischen Frieden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Maria-Elisabeth Brunert Friedenssicherung als Beratungsthema der protestantischen Reichsstände in der Anfangsphase des Westfälischen Friedenskongresses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Dorothée Goetze Kaiserliche und bayerische Bündnispraxis in der Schlussphase des Westfälischen Friedenskongresses. . . . . . . . 259 3. Leitvorstellungen, Ökonomie, Medien und Kultur des Friedenschliessens im 16. bis 18. Jahrhundert Guido Braun Frieden und Gleichgewicht bei Leibniz. . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Christoph Kampmann Völkerrechtsbruch als politische Strategie? Ein bekannter Fall und ein unbekannter Plan der Diplomatenentführung unter Kaiser Leopold I.. . . . . . . . 323

Inhaltsverzeichnis

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Peter Rauscher Zwischen Krieg und Frieden. Kaiserliche Finanzkrise und Friedenspolitik im Vorfeld des Dreißigjährigen Kriegs (1612–1615). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Peter Arnold Heuser Kaspar Schetz von Grobbendonk oder Pedro Ximénez? Studien zum historischen Ort des „Dialogus de pace“ (Köln und Antwerpen 1579). . . . . . . 387 Arno Strohmeyer Die Theatralität interkulturellen Friedens: Damian Hugo von Virmont als kaiserlicher Großbotschafter an der Hohen Pforte (1719/20). . . . . . . . . . 413 Heinz Duchhardt Fernwirkungen: Zur Rezeptionsgeschichte von Ter Borchs Friedensgemälde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 Zusammenfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . 459 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461

Einleitung von Guido Braun, Bonn, und Arno Strohmeyer, Salzburg Vormoderne Friedensforschung zeichnet sich zweifellos durch ein beachtliches zukunftsweisendes Potential aus1. Jüngere Forschungs­ beiträge haben die Erkenntnismöglichkeiten durch neue Frage­ stellungen, Analysekategorien und Methoden sogar noch erheb­ lich gesteigert2. Dies gilt unbeschadet der erwiesenen „Bellizität“ des Zeitalters3 und obwohl es im frühneuzeitlichen Europa trotz der enormen Zahl von über 2 000 Friedensschlüssen zwischen 1450 und 1789 kaum Jahre gab4, in denen an keiner Stelle des Kontinents Krieg herrschte5. Ungeachtet der Erfolge bei der Friedensstiftung, 1

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Ähnlich formuliert Espenhorst, Martin: Vorwort. In: Heinz Duchhardt: Frieden im Europa der Vormoderne. Ausgewählte Aufsätze 1979–2011. Hrsg. und eingeleitet von Martin Espenhorst. Paderborn [u.a.] 2012, VIIf, hier VII. Vgl. etwa Schmidt-Voges, Inken, Westphal, Siegrid, Arnke, Volker, Bartke, Tobias (Hrsg.): Pax perpetua. Neuere Forschungen zum Frieden in der Frühen Neuzeit. (Bibliothek Altes Reich, 8) München 2010; Kamp­ mann, Christoph, Lanzinner, Maximilian, Braun, Guido, Rohrschnei­ der, Michael (Hrsg.): L’art de la paix. Kongresswesen und Friedensstiftung im Zeitalter des Westfälischen Friedens. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 34) Münster 2011; Duchhardt, Frieden im Europa der Vormoderne (wie Anm. 1), vereint neuere Beiträ­ ge und ältere, die Forschungsgeschichte schrieben; von französischer Seite: Bély, Lucien: L’art de la paix en Europe. Naissance de la diplomatie mo­ derne, xvie–xviiie siècle. (Le nœud gordien) Paris 2007. Von grundsätzlicher Bedeutung der programmatische Aufsatz von Burk­ hardt, Johannes: Die Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit. Grundlegung ei­ ner Theorie der Bellizität Europas. In: Zeitschrift für historische Forschung 24 (1997), 509–574. So lautet das Ergebnis der Herausgeber der „Europäischen Friedensver­ träge der Vormoderne“, vgl. Espenhorst, Martin: Zur Einführung. In: Duchhardt, Frieden im Europa der Vormoderne (wie Anm. 1), IX–XIV, hier IX. Unter Berücksichtigung von zwölf europäischen Ländern (darunter auch Russland und das Osmanische Reich) gelangt André Corvisier zu dem Schluss, dass es im gesamten 17. Jahrhundert nur zwei Jahre ohne jedweden Krieg gab; Corvisier, André: Présence de la guerre au xviie siècle. In: Lu­ cien Bély, Jean Bérenger, André Corvisier: Guerre et paix dans l’Europe du

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die sich keineswegs nur an dieser großen Zahl geschlossener Frie­ densverträge ablesen lassen, gelang es in der Vormoderne also nicht, in Europa eine dauerhafte Friedensordnung zu etablieren. Dennoch ist der praktische und theoretische Beitrag gerade der Frühen Neu­ zeit, mit der sich der vorliegende Band näherhin beschäftigt6, zur Friedenssicherung tatsächlich als sehr beachtlich zu veranschlagen und die Beschäftigung mit dieser Thematik auch für die Gegenwart lohnend7. Friedenswahrung war gerade, aber keineswegs ausschließlich, aus deutscher Sicht an der Schwelle zur Neuzeit nicht nur ein Problem der äußeren Sicherheit. Der Friede zwischen „Staaten“ wurde um xviie siècle. Bd. I. (Regards sur l’histoire, 77) 2. Aufl. Paris 1991, 13–27, hier 13; vgl. ferner die Chronologie des conflits 1618–1721, ebd., 16ff. Weiterhin weist Corvisier darauf hin, dass die Unterscheidung von Krieg und Frieden keineswegs immer eindeutig sei, sodass kaum von einem „totalen Frieden“ gesprochen werden könne: On peut difficilement parler des entre-deuxguerres comme de périodes de paix totale avant le traité de Ryswick (1697). Si l’on négocie tout en combattant, on n’hésite pas non plus à entrepren­dre des opérations militaires en temps de paix; Corvisier, André: Évolution du caractère de la guerre. In: Bély/Bérenger/Corvisier, Guerre et paix (wie oben), 41–49, hier 47. 6 Zu Frieden und Friedenswahrung im Spätmittelalter vgl. jüngst Naegle, Gisela: Frieden schaffen und sich verteidigen im Spätmittelalter. (Pariser Historische Studien, 98) München 2012 (mit einer Auswahlbibliographie 1990–2011, 383–400). Ferner für Mittelalter und Frühe Neuzeit den sehr lehrreichen Sammelband von Duchhardt, Heinz (Hrsg.): Zwischenstaat­ liche Friedenswahrung in Mittelalter und früher Neuzeit. (Münstersche historische Forschungen, 1) Köln, Wien 1991. 7 Vgl. etwa die Beiträge bei Braun, Guido (Hrsg.): Assecuratio pacis. Fran­ zösische Konzeptionen von Friedenssicherung und Friedensgarantie, 1648–1815. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 35) Münster 2011. Die Ergebnisse dieses Bandes verdeut­ lichen auch, dass Friedenssicherung analytisch nicht immer scharf von Friedensstiftung zu trennen ist, denn das Streben nach einer „Sicherung“ (oder „Garantie“) des Friedens – diese beiden Begriffe waren selbstver­ ständlich nicht deckungsgleich, besaßen aber, wie das Buch belegt, erheb­ liche Schnittmengen – beeinflusste in bedeutendem Maße den Prozess der Aushandlung des Friedens an sich und konnte unter Umständen sogar zu dessen Scheitern beitragen, wenn über die Sicherungsbestimmungen keine Übereinkunft erzielt werden konnte wie zwischen Frankreich und Spanien 1648. Ferner konnten intendierte Maßnahmen zur Absicherung des Frie­ dens in der Zukunft geradezu neues Konfliktpotential schaffen, etwa beim Heiratskontrakt nach dem Pyrenäenfrieden von 1659.

Einleitung

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1500 noch sehr unscharf vom Frieden innerhalb von Gemeinwesen unterschieden. Securitas interna und securitas externa waren demge­ mäß aufs Engste miteinander verknüpft (auch noch für einen gro­ ßen Denker des 17. Jahrhunderts wie Leibniz, der zwischen beidem allerdings kategorial differenzierte)8, ebenso wie sich am Beginn der Neuzeit erst eine klarere Trennung des weltlichen vom religi­ ösen Frieden etablieren musste. Letzteres setzte die Fähigkeit zur Ausklammerung der religiösen Wahrheitsfrage voraus, um unab­ hängig von ihrer (letztgültigen) Entscheidung den Frieden im Welt­ lichen herstellen oder wahren zu können. Besonders für die Reichs­ politik des 15. und 16. Jahrhunderts war die Erhaltung von Frieden und Ordnung im Inneren ein virulentes Problem, das mit Schlag­ worten wie der „Wahrung des Landfriedens“ verknüpft war9, auch nach dem „Ewigen Landfrieden“ von 1495 und nachdem das Kon­ fliktpotential der Konfessionsspaltung durch die Land- und Re­ ligionsfriedensregelung von Augsburg 1555 (zunächst) entschärft werden konnte. Für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts hat Ma­ ximilian Lanzinner diese Thematik eingehend untersucht10. Doch auch das 17. Jahrhundert mit seinen Konflikten zwischen Monarch 8

Der Begriff „securitas“ („Sicherheit“) sowie dessen Synonyme und Ent­ sprechungen in den diversen Volkssprachen gewannen erst im 17. Jahr­ hundert ihre Bedeutung als Leitbegriffe der politischen Verkehrssprache. Vorher war der umfassendere Begriff „pax“ vorherrschend, unter dem auch der innere Friede bzw. die innere Sicherheit mit verstanden wurden. Im 17. Jahrhundert wurde Friedenssicherung bzw. -wahrung gerne zum Teil mit dem Begriff „securitas“ (oder etwa Französisch „sûreté“) bezeichnet, der selbstverständlich auch andere semantische Felder als den „Frieden“ ab­ deckte, zum Teil mit spezifischen Wendungen wie „assecuratio pacis“, die teilweise Neuprägungen dieser Zeit waren; vgl. ebd. (mit weiterer Litera­ tur). Zur Entwicklung der Friedensvorstellungen und der Ordnungskon­ zepte zur Friedenswahrung in der Frühen Neuzeit vgl. ferner grundsätzlich Asch, Ronald G., Voss, Wulf Eckart, Wrede, Martin (Hrsg.): Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die au­ ßereuropäische Welt. (Der Frieden, 2) München 2001. 9 Zum Begriff „Landfrieden“ vgl. Carl, Horst: Artikel „Landfrieden“. In: Friedrich Jaeger (Hrsg.): Enzyklopädie der Neuzeit. 16 Bde. Stuttgart 2005–2012, hier Bd. VII (2008), Sp. 493–500. 10 Lanzinner, Maximilian: Friedenssicherung und politische Einheit des Reichs unter Kaiser Maximilian II. (1564–1576). (Schriftenreihe der His­ torischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 45) Göttingen 1993.

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und Ständen, innerständischen Gegensätzen, sozialen Unruhen so­ wie den konfessionellen Auseinandersetzungen illustriert – nicht zuletzt durch die große Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges –, wie schwierig sich die Etablierung einer friedlichen Koexistenzord­ nung der unterschiedlichen politischen Akteure und Konfessionen im Reich gestaltete, in dem die Friedenswahrung – anders als bei­ spielsweise in England oder in Frankreich – seit dem Mittelalter in wesentlichen Bereichen dezentral organisiert war. Daher lassen sich auch auf beiden Ebenen typologische Analogien bei den vor­ geschlagenen oder erprobten Formen und Mechanismen der Frie­ denswahrung beobachten: Dies gilt auch für „moderne“ Konzepte wie die „kollektive Sicherheit“, die nicht allein bei den Konzepti­ onen zur Regulierung der Beziehungen zwischen den europäischen Mächten eine Rolle spielte (wie der vorliegende Band belegt), son­ dern die sich auch im Heiligen Römischen Reich, etwa in Form der Landfriedenseinungen, ausmachen lassen, sodass sich vom Reich durchaus als einem System kollektiver Sicherheit sprechen lässt11. Sowohl auf der Ebene des Reiches als auch auf europäischer Ebe­ ne gehörten Begriffe, welche die Wahrung und Sicherung von Frie­ den (nach innen und außen) bezeichneten, in der Frühen Neu­ zeit zu den Schlüsselbegriffen der politischen Verkehrssprache. So wurden Konzepte wie das „Gleichgewicht“ als Frieden wahrende Ordnungsvorstellung auf das Reich wie auf die europäische „Staa­ tenwelt“ bezogen. Es spricht daher aus gegenwärtiger Sicht vieles dafür, bei der Friedenssicherung in der Frühen Neuzeit sowohl das Alte Reich als auch Europa als Untersuchungsräume einzubezie­ hen12. Dieser Versuch wird im vorliegenden Buch unternommen. Der Band ist in drei Abschnitte gegliedert, die zentrale thematische Aspekte der Friedensstiftung und -sicherung im frühneuzeitlichen Heiligen Römischen Reich und im zeitgenössischen Europa bün­ deln. Der erste Abschnitt vereint sechs Beiträge über Landfriedens­ 11

Carl, Horst: Landfrieden als Konzept und Realität kollektiver Sicherheit im Heiligen Römischen Reich. In: Naegle, Frieden schaffen (wie Anm. 6), 121–138, Zitat 137. 12 Allerdings steht dies ganz im Gegensatz zur älteren Forschung und ent­ springt einem in den letzten Jahrzehnten vollzogenen Paradigmenwechsel bei der Bewertung des Alten Reiches; vgl. Härter, Karl: Sicherheit und Frieden im frühneuzeitlichen Alten Reich. Zur Funktion der Reichsverfas­ sung als Sicherheits- und Friedensordnung 1648–1806. In: Zeitschrift für historische Forschung 30 (2003), 413–431 (mit weiterer Literatur).

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wahrung und Konfliktregulierung auf Reichsversammlungen im 15. und 16. Jahrhundert. Den Anfang bildet eine Studie von Gabriele Haug-Moritz, die sich mit einem von der Forschung vernachlässig­ ten Aspekt der Friedenssicherung beschäftigt, dem Erbeinungswe­ sen. Erbeinungen waren Verträge zur Schlichtung gegensätzlicher erbrechtlicher Ansprüche, um die Anwendung physischer Gewalt einzudämmen sowie Frieden, Ruhe, Recht und Gerechtigkeit her­ zustellen. Am Beispiel der sächsisch-brandenburgisch-hessischen Erbeinung – der historische Hintergrund von Heinrich von Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“ – zeigt sie auf, wie sich im Reich um 1500 die Friedewahrung sukzessive wandelte. Mittelalterliche und frühneuzeitliche Konzepte lösten sich dabei allerdings nicht schlag­ artig ab, sondern ergänzten einander eine Zeit lang, was die „lan­ ge Dauer“ des Verfassungswandels im Reich verdeutlicht. Gegen­ stand des Beitrags von Dietmar Heil ist die Konfliktlösung im Zuge der Verhandlungen auf den Reichstagen unter Maximilian I. Vor dem Hintergrund der Reichsreform mussten sich die Stände vor­ nehmlich in vier Bereichen mit der Friedensproblematik beschäf­ tigen: der äußeren Sicherheit, in den Augen der Reichsstände vor­ wiegend ein habsburgisches Problem, der verfassungsmäßigen Neuordnung von Landfrieden und Reichsjustiz, unmittelbar anste­ henden friedenspolitischen Fragen auf interständischer Ebene sowie lokal begrenzten Friedensstörungen wie etwa der Raubkriminalität. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass die friedenssichernde Funktion der Reichstage sehr differenziert beurteilt werden muss. Während sie etwa bei der Bändigung der alltäglichen Gewaltkriminalität fast vollständig versagten, durchdrang die Wormser Ordnung im Lau­ fe des 16. Jahrhunderts langsam den Reichsverband, dessen Um­ wandlung in eine Friedensordnung dadurch gefördert wurde. Wis­ senschaftsgeschichtlich und autobiographisch nähert sich Alfred Kohler dem Thema. Ausgehend von der Feststellung, dass es sich bei der Friedenssicherung um eine Kernfrage der frühneuzeitlichen Reichsgeschichte handelt, zeigt er auf, wie sich die auf die Edition von Quellen orientierte Reichstagsaktenforschung unter dem Ein­ fluss seines akademischen Lehrers Heinrich Lutz ab den späten 1960er Jahren an der Universität Wien etablierte. Vor dem Hinter­ grund des Paradigmenwechsels von der politischen Geschichte zur Sozialgeschichte skizziert der emeritierte Wiener Ordinarius seine wissenschaftliche Karriere, in deren Verlauf er sich quellennah mit dem Konfessionskonflikt im Reich, vor allem aber auch der Land­

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friedenssicherung in der Epoche Karls V. und Ferdinands I., aus­ einandersetzte. Marc von Knorring analysiert in seinem Beitrag die friedenssichernde Funktion der Reichsdeputationstage, die zwi­ schen dem Augsburger Religionsfrieden und dem Dreißigjährigen Krieg stattfanden. Im Mittelpunkt stehen die Tage von 1564, 1569 und 1590 sowie der mit diesen eng verwandte Tag von 1586, die sich schwerpunktmäßig mit der Landfriedenswahrung und der Lan­ desverteidigung beschäftigten. Seine Untersuchung zeigt, dass die­ se Reichsversammlungen in besonderem Maße von der Tagespolitik bestimmt und von einzelnen Akteuren zur Durchsetzung indivi­ dueller Interessen genutzt wurden. Aufgrund ihrer relativ schma­ len Legitimationsbasis und der Verflechtung mit dem Konfessions­ konflikt blieben sie in vielfacher Hinsicht wirkungslos, so auch bei der Friedenssicherung. Die Frage, inwieweit auf Reichsversamm­ lungen Konflikte reguliert wurden, die zu Supplikationen führten, steht im Mittelpunkt der Studie von Josef Leeb. Untersucht werden 653 Bittschriften, die zwischen 1556 und 1586 auf sechs Reichsta­ gen, zwei Reichsdeputationstagen sowie je einem Reichskreis- und Kurfürstentag eingebracht wurden. Vor allem wenn sie Reichsstän­ de untereinander austrugen, blieben die Konflikte in der Regel un­ gelöst. Doch schon alleine die Möglichkeit, sie auf diese höchste institutionelle Ebene des Reichs zu verlagern und damit Rechtsan­ sprüche oder anderweitige Forderungen öffentlich zu dokumentie­ ren, konnte regulierend wirken. Der letzte Beitrag der Sektion, er ist von Helmut Neuhaus verfasst, beschäftigt sich mit der Gesandt­ schaft Zar Iwans IV. auf dem Reichstag in Regensburg 1576. Im Mittelpunkt steht die Edition zweier Berichte, die das Auftreten der 28 Personen umfassenden Legation dokumentieren: die Chronik des erzbischöflich-salzburgischen Hofrats und Reichstagsgesand­ ten Johann Baptist Fickler sowie der Textteil einer zeitgenössischen Holzschnittfolge des Prager Illuminierers und Buchdruckers Mi­ chael Petterle, welche die Diplomaten vor ihrer Audienz bei Kaiser Maximilian II. zeigt. Der zweite Abschnitt umfasst vier Beiträge, die sich mit dem West­ fälischen Friedenskongress und seiner Bedeutung für die Friedens­ ordnung im Reich und in Europa im 17. Jahrhundert beschäftigen. Eine Reihe von Friedenskongressen – dazu zählt insbesondere der Kongress von Münster und Osnabrück – wandte sich in der Frü­ hen Neuzeit (mit je unterschiedlichen Prioritäten) neben Proble­ men des Friedens in seiner europäischen Dimension auch (wie die

Einleitung

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Reichsversammlungen) Fragen von Frieden und Sicherheit im Inne­ ren politischer Gemeinwesen, namentlich im Heiligen Römischen Reich, zu. Aus europäischer Sicht war – zumindest seit der fran­ zösischen Kriegserklärung an Spanien 1635 – der französisch-spa­ nische Krieg der Hauptkonflikt. Michael Rohrschneider greift mit seinem Beitrag über die Sicherheitskonzeptionen, die sich in den spanischen Instruktionen für den geplanten Kölner Kongress 1636 und für die Westfälischen Friedensverhandlungen 1645 greifen las­ sen, ein von der Forschung wenig behandeltes Sujet auf. Weit besser untersucht sind die französischen Konzeptionen für die „Assecura­ tio pacis“ im Frieden mit Spanien und dem Kaiser, wie sie Kardinal Richelieu in der zweiten Hälfte der 1630er Jahre entwickelt hatte, wobei die Forschung auch hier ein wesentliches Augenmerk auf die französische Hauptinstruktion von 1643 und ihre Vorstufen aus der Regierungszeit des 1642 verstorbenen Kardinalpremiers richtete13. Nicht nur für die Kongresspolitik und die politischen Ordnungs­ konzeptionen der französischen Seite, sondern auch für die Spani­ er stellte die Sicherung des Friedens, wie Rohrschneider eindrück­ lich darlegt, ein Hauptproblem dar, und auf beiden Seiten lässt sich die konzeptionelle Verknüpfung der Sicherheit des Friedens mit den Leitvorstellungen der Ehre und Reputationswahrung konsta­ tieren. Dabei wird insbesondere deutlich, dass Formen kollektiver Sicherheit keineswegs ein Spezifikum der französischen Konzepti­ onen von Friedenssicherung waren, sondern dass die spanische Sei­ te ebenfalls auf dem Prinzip der kollektiven Friedenswahrung ba­ sierende Ordnungskonzepte entwickelte. Die Politik des kaiserlichen Prinzipalgesandten auf dem Westfä­ lischen Friedenskongress, Maximilian Graf von Trauttmansdorff, sah sich mit der Aufgabe der Stiftung von Frieden und Sicherheit sowohl auf europäischer Ebene als auch im Reichsverband (ein­ schließlich der in ihm herrschenden konfessionellen Gegensätze) konfrontiert. Obwohl Trauttmansdorff unter den vielen Händen, die in Münster und Osnabrück am Westfälischen Frieden mit­ wirkten, und unter den leitenden europäischen Staatsmännern sei­ 13

Zu nennen sind aus deutscher Sicht vor allem Fritz Dickmann, Hermann Weber und Klaus Malettke; vgl., mit einer Würdigung der früheren For­ schung, Braun, Guido: Die französische Diplomatie und das Problem der Friedenssicherung auf dem Westfälischen Friedenskongress. In: Braun, Assecuratio pacis (wie Anm. 7), 67–130.

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Guido Braun, Arno Strohmeyer

ner Zeit wohl der größte Anteil an diesem Friedenswerk zukommt, exis­ tiert bislang keine einschlägige politische Biographie. Umso mehr ist es Konrad Repgen, dem Mitbegründer und langjährigen Herausgeber der maßgeblichen historisch-kritischen Edition der Akten des Westfälischen Friedenskongresses („Acta Pacis Westpha­ licae“, APW), der im Jahr 2013 seinen 90. Geburtstag feiert, zu dan­ ken, dass er der Politik des Grafen Trauttmansdorff beim Westfä­ lischen Frieden im vorliegenden Band einen grundlegenden Beitrag widmet. Zwar kann dieser Aufsatz eine detaillierte Monographie nicht ersetzen, aber die Hauptprobleme und die Grundzüge der Politik des kaiserlichen Chefunterhändlers werden darin prägnant skizziert. Dem souveränen Überblick Repgens, aus dessen Händen Maximilian Lanzinner vor zehn Jahren die Leitung der APW über­ nahm, ist es zu verdanken, dass die Probleme und Konzeptionen im Umfeld von 1648 mit denen des Prager Friedens 1635 in Beziehung gesetzt werden. Sein Beitrag verdeutlicht insofern die prägende Rolle Trauttmansdorffs für die kaiserliche Politik im Dreißigjäh­ rigen Krieg weit über den Westfälischen Friedenskongress hinaus. Auch hinsichtlich der Verfahren und Mechanismen der Friedens­ stiftung, denen die jüngere Geschichtswissenschaft verstärkt ihre Aufmerksamkeit zuwendet, regt Repgen zu weiterer Forschung an, denn er führt vor Augen, wie sehr die Handlungsmöglichkeiten po­ litischer Akteure durch bestimmte Verhandlungsformen (etwa das Verhandeln über Mediatoren im Unterschied zu direkten Unter­ handlungen) beeinflusst wurden. Die beiden folgenden Beiträge der Sektion wenden sich der Rolle der Reichsstände beziehungsweise dem Verhältnis von Kaiser und Ständen zu. Maria-Elisabeth Brunert widmet sich der Friedenssi­ cherung als Thema reichsständischer Beratungen in der Anfangs­ phase des Westfälischen Friedenskongresses. Schon vor dem Beginn der eigentlichen reichsständischen Gremienarbeit, die mit der Ein­ berufung der Kurien durch das Reichsdirektorium einsetzte, kon­ stituierte sich im Herbst 1645 in Osnabrück ein Ausschuss unter Beteiligung fürstlicher und städtischer Gesandter, die über das ge­ samte Spektrum der Verhandlungsthemen für die anstehenden Frie­ densschlüsse mit Frankreich und Schweden berieten. Dabei waren die Sicherung und Garantie der späteren Friedensbestimmungen bereits ein wichtiges Beratungsthema. Wenngleich – nicht zu­ letzt unter konfessionellen Vorzeichen – teilweise sehr weitgehen­ de Maßnahmen zur Friedenswahrung wie etwa die Ausweisung der

Einleitung

XVII

Jesuiten als Friedensstörer erörtert wurden, konzentrierte sich der Ausschuss schließlich auf das gegenüber den katholischen Reichs­ ständen und den Großmächten potentiell Durchsetzbare und anti­ zipierte durchaus zentrale Vertragsinhalte zur Friedenssicherung wie die Antiprotestklausel der Verträge von 1648. Der Schlusspha­ se der Westfälischen Friedensverhandlungen wendet sich Dorothée Goetze zu und nimmt dabei wie Repgen die politisch maßgebenden Akteure in den Blick. Obwohl gerade 1648 die Kernprobleme des Reichsfriedens abschließend beraten und entschieden wurden, fällt die Behandlung dieses Verhandlungsjahres in den einschlä­ gigen Darstellungen eher knapp aus. Dies mag nicht zuletzt an der Quellenlage liegen, denn mehrere Bände der politischen Kor­ respondenzen beteiligter Signatarmächte aus der Schlussphase des Kongresses erschienen erst in den letzten Jahren beziehungswei­ se befinden sich derzeit in der Druckvorbereitung. Als Bearbeite­ rin des abschließenden Bandes der kaiserlichen Korrespondenzen in den APW vermag Goetze aus ihrer Edition wichtige Erkennt­ nisse über das kaiserlich-bayerische Bündnis 1647–1648 zu vermit­ teln. Dabei nimmt sie sich sowohl der militärischen Funktionsweise dieser Allianz als auch ihrer politischen Bedeutung und Umset­ zung vor allem in den letzten zehn Monaten vor der Vertragsun­ terzeichnung an. Im Kern konstatiert Goetze eine zunehmende Entfremdung zwischen dem Kaiser und dem politisch-militärisch wichtigsten katholischen Reichsfürsten. Zugleich attestiert sie dem bayerischen Kurfürsten, in der Endphase der Friedensberatungen unter pragmatischer Auslegung seiner Bündnisverpflichtungen in eine führende Rolle geschlüpft zu sein. Gestaltung und Abschluss des Friedens hingen zuletzt wesentlich von ihm mit ab. Nachdem die beiden ersten Abteilungen des Bandes die institutio­ nelle Verdichtung der Behandlung der Friedens- und Friedenssiche­ rungsproblematik auf den Reichsversammlungen hauptsächlich im 16. Jahrhundert und auf dem Westfälischen Friedenskongress Mit­ te des 17. Jahrhunderts in den Blick genommen haben, widmet sich die dritte Sektion strukturell ausgewählten Problemen der Leitvor­ stellungen, der Ökonomie, der Medien und der Kultur des Frie­ denschließens und der Sicherung des Friedens in der Frühneuzeit. Ausgangspunkt ist auch dabei zunächst die Westfälische Friedens­ ordnung von 1648, in welcher der Universalgelehrte Leibniz das Fundament zur Wahrung von Frieden, Recht und Sicherheit so­ wohl im Reich als auch in Europa erblickte. In seinem Aufsatz über

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Guido Braun, Arno Strohmeyer

die Friedens- und Gleichgewichtsvorstellungen bei Leibniz legt Guido Braun dar, wie das Reich zu einem Modell für eine europä­ ische Friedens- und Gleichgewichtsordnung avancierte, indem seine politischen Regelungsmechanismen auf Europa transferiert wurden. Das angewandte Kräftemodell basierte auf naturwissenschaftlichen Prinzipien, die Leibniz in den Raum des Politischen übertrug. In der Herstellung beziehungsweise Wahrung des mächtepolitischen, kaiserlich-ständischen und konfessionellen Gleichgewichts sah Leibniz einen Weg zu einem sicheren Frieden. Als wesentlichen Friedensstörer nahm Leibniz in seiner Zeit König Ludwig XIV. von Frankreich wahr. Der kaiserlich-französischen Konflikte in ludovizianischer Zeit nimmt sich Christoph Kampmann an, der ebenfalls betont, dass die Gefahr für die Sicherheit des Reichs im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts ganz wesentlich von außen, vor allem in Gestalt der aggressiven Politik des französischen Königs Ludwigs XIV., gekommen sei14. Durch den Vergleich der spektakulären Entführung Wilhelm Egons von Fürstenberg, eines notorischen Parteigängers Ludwigs XIV. im Reich, im Niederlän­ dischen Krieg mit dem (letztlich verworfenen) Plan zur Verschlep­ pung des französischen Gesandten beim Regensburger Reichstag, Louis Rousseau de Chamoy, im Vorfeld des Spanischen Erbfolge­ krieges macht Kampmann auf kaiserlicher Seite analoge politische Strategien mit der Absicht der Konflikteskalation und einer klaren Zwei-Parteien-Bildung aus, die einer Zwischenstellung keine Ent­ faltungsmöglichkeit bieten wollte. Derartige Schritte zur Schwä­ chung der französischen Präsenz in Deutschland gehörten zu den Anstrengungen des Wiener Hofs, Frankreichs politischen Einfluss unter den Reichsständen systematisch zurückzudrängen15, die ihrer­ seits im Zusammenhang mit den von Wien und namentlich Kaiser Leopold I. favorisierten Maßnahmen zur Verbesserung der Sicher­ heitslage im Heiligen Römischen Reich standen. Einen wichtigen Grund für die kaiserliche Friedenspolitik im Vor­ feld des Dreißigjährigen Krieges sieht Peter Rauscher in der Finanz­ krise, in der sich der Kaiserhof seinerzeit befand. Seine detaillierte Analyse der kaiserlichen Finanzen legt offen, dass Matthias – trotz seiner umgehend nach dem Herrschaftsantritt ergriffenen finanzpo­ litischen, aber letztlich erfolglosen Konsolidierungsmaßnahmen – 14 15

Kampmann in diesem Band, 324. Ebd., 325.

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schlicht die Mittel zu einer Fortsetzung des Türkenkrieges oder ei­ ner militärischen Lösung von Konfessionskonflikten fehlten. Seine Studie verdeutlicht, dass die Friedenspolitik des Kaisers und seines leitenden Ministers Kardinal Melchior Klesl im engen Zusammen­ hang mit den ökonomischen Zwängen zu interpretieren ist. Die fehlenden wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Kriegfüh­ rung bedeuteten jedoch keine dauerhafte Friedenswahrung, denn eine nachhaltige Deeskalation gelang ebenso wenig wie eine Lösung der schwelenden Konflikte ohne militärische Mittel, die letztlich in den Dreißigjährigen Krieg mündeten. Wie zahlreiche militärische Auseinandersetzungen in der Frühen Neuzeit, so wurde auch der Dreißigjährige Krieg von vielfältigen Sondierungen, Plänen und Projekten zur Wiederherstellung des Friedens begleitet. Mit der Bellizität des Zeitalters korrelierte eine verstärkte Sehnsucht nach Frieden und Sicherheit, die ihren Nie­ derschlag nicht zuletzt in den zeitgenössisch sehr zahlreichen Frie­ densschriften und -utopien hatte. Mit einem im Umkreis des „Kölner Pazifikationstages“ von 1579 anonym erschienenen Traktat, der zu den bedeutendsten Friedens­ schriften des Achtzigjährigen Krieges zählt, befasst sich Peter Arnold Heuser. Er weist die strittige Autorschaft dem irenischen Humanisten Pedro Ximénez zu und kann damit die Entstehungs­ bedingungen dieses wichtigen Beitrages zur frühneuzeitlichen Frie­ densdiskussion näher eingrenzen. Das Friedensdenken, die Friedensschriften und besonders die Frie­ densutopien der Frühen Neuzeit bilden schon seit vielen Jahr­ zehnten einen etablierten Forschungsgegenstand. Obwohl die­ se Themen in Deutschland keineswegs immer „hoffähig“ waren, lässt sich doch konstatieren, dass mit der frühen Bundesrepublik und den Forschungen Kurt von Raumers die Bahn für einschlägige Untersuchungen nach dem Trauma des „Dritten Reiches“ und des Zweiten Weltkrieges – erneut – gebrochen wurde16. Zugleich setzte im Übrigen in Bonn die historische Friedensforschung mit der Lan­ 16

Raumer, Kurt von: Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance. (Orbis Academicus [IV, 3]) Freiburg/Breisgau, München 1953. Zur Renaissance der Friedensforschung nach 1945 bzw. der Rolle von Raumers vgl. u.a. Braun, Guido: Einleitung. Frankreich und das Problem der Friedenssicherung in der Frühen Neuzeit. In: Braun, Assecuratio pa­ cis (wie Anm. 7), 13–40; Duchhardt, Frieden im Europa der Vormoderne (wie Anm. 1), 55f, 133f, 180f.

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Guido Braun, Arno Strohmeyer

cierung der Aktenedition APW ein. Für das Innovationspotential der Friedensforschung spricht ihre in den vergangenen Jahren voll­ zogene Öffnung für neue Themen, Fragestellungen, Ansätze und Methoden, die nicht zuletzt im Zusammenhang mit der kultura­ listischen Wende in der Geschichtswissenschaft stehen. Dazu zäh­ len beispielsweise Studien zum Zeremoniell und zur Kommuni­ kation, insbesondere auch zur interkulturellen, nonverbalen und symbolischen Kommunikation, sowie zu den visuellen Translati­ onsleistungen von Friedensprozessen17. Am Beispiel der Mission des Damian Hugo von Virmont (1719/20) untersucht Arno Strohmeyer die Inszenierung des Friedens in der habsburgisch-osmanischen Diplomatie. Im Zentrum stehen drei Hauptstationen der Gesandtschaft: der Grenzübertritt bei Paraćin (Serbien), der Einzug in Konstantinopel und die Antrittsaudienz bei Sultan Ahmed III. Die Untersuchung der bei diesen Gelegen­ heiten ans Tageslicht tretenden symbolischen und rituellen Verhal­ tensformen zeigt Denkmuster und Leitvorstellungen auf, mit denen es gelang, die fundamentalen kulturellen Brüche zu überwinden, die Habsburger und Osmanen voneinander trennten – eine unab­ dingbare Voraussetzung für den Friedensprozess. Den Abschluss des Bandes bildet der Artikel von Heinz Duchhardt, der das The­ ma „Friedenssicherung“ aus rezeptionsgeschichtlicher Perspektive betrachtet. Gegenstand seiner Untersuchung ist Gerard ter Borchs 17

Vgl. z.B. Kampmann/Lanzinner/Braun/Rohrschneider, L’art de la paix (wie Anm. 2); Espenhorst, Martin: Frieden durch Sprache? Studien zum kommunikativen Umgang mit Konflikten und Konfliktlösungen. (Veröf­ fentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für Universalgeschichte, Beiheft 91) Göttingen 2012; Duchhardt, Heinz, Espenhorst, Martin: Frieden übersetzen in der Vormoderne. Translations­ leistungen in Diplomatie, Medien und Wissenschaft. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für Universal­ geschichte, Beiheft 92) Göttingen 2012. Zu den Reichstagen als Kommuni­ kationsräumen: Lanzinner, Maximilian, Strohmeyer, Arno (Hrsg.): Der Reichstag 1486–1613. Kommunikation – Wahrnehmung – Öffentlichkeiten. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akade­ mie der Wissenschaften, 73) Göttingen 2006. Zu Sprache, Wahrnehmung, Differenzerfahrungen und Missverständnissen bei Friedenskongressen vgl. ferner Rohrschneider, Michael, Strohmeyer, Arno (Hrsg.): Wahrneh­ mung des Fremden. Differenzerfahrungen von Diplomaten im 16. und 17. Jahrhundert. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 31) Münster 2007.

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Gemälde der Ratifizierung des Friedens von Münster, das zu den bekanntesten Visualisierungen eines Friedensvertrags überhaupt zählt. Duchhardt macht deutlich, dass dieses 1648 entstandene Bild kompositorische Ähnlichkeiten zur Darstellung einer Sitzungspau­ se des Wiener Kongresses aufweist, die der französische Maler Jean Baptiste Isabey 1815/16 anfertigte. Diese Übereinstimmungen las­ sen sich durch eine Reihe historischer Zusammenhänge erklären, die der Verfasser aufzeigt. Was lässt sich als Fazit des Bandes festhalten? Die Einzelstudien enthalten eine Vielzahl an Erkenntnissen, die am Ende zusammen­ gefasst sind. Im Folgenden wird auf drei Punkte näher eingegangen, die den Herausgebern besonders wichtig erscheinen, da sie über­ greifende Ergebnisse zutage bringen und Perspektiven künftiger Forschung aufzeigen: 1. Quelleneditionen: Der Band wäre ohne historisch-kritische Quelleneditionen nicht zustande gekommen, denn diese bilden das Fundament einer Reihe von Beiträgen. Im ersten Abschnitt sind dies die Studien von Dietmar Heil, Marc von Knorring und Josef Leeb, die maßgeblich auf der Auswertung der „Deutschen Reichs­ tagsakten“ beruhen. Helmut Neuhaus präsentiert in seinem Beitrag zwei Dokumente, und Alfred Kohler zeigt auf, wie eng eine univer­ sitäre Laufbahn mit der Edition von Quellen verbunden sein kann – was freilich eher die Ausnahme als die Regel darstellt, da die­ se mühsame und zeitraubende Tätigkeit in der scientific community nur selten durch entsprechende Karrieresprünge belohnt wird. Auch die Artikel des zweiten Abschnitts entspringen maßgeblich der Auswertung von Quelleneditionen, denn alle vier Autorinnen und Autoren stützen sich auf in den „Acta Pacis Westphalicae“ ver­ öffentlichte Dokumente, eines der ertragreichsten Editionsunter­ nehmen der deutschen Geschichtsforschung, das von der 1957 ge­ gründeten „Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V.“ (Bonn) durchgeführt wurde18. Sie sind zudem mit dem Vorha­ ben beruflich eng verbunden: Michael Rohrschneider, Maria-Elisa­ 18

Vgl. dazu Lanzinner, Maximilian: Die Acta Pacis Westphalicae und die Geschichtswissenschaft. In: Kampmann/Lanzinner/Braun/Rohrschnei­ der, L’art de la paix (wie Anm. 2), 31–71; ferner Lanzinner, Maximili­ an: Die „Acta Pacis Westphalicae“ (APW) seit dem Gedenkjahr 1998. In: Schmidt-Voges/Westphal/Arnke/Bartke, Pax perpetua (wie Anm. 2), 49–72; Lanzinner, Maximilian: Das Editionsprojekt der Acta Pacis Westphalicae. In: Historische Zeitschrift 296 (2013) [im Druck].

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Guido Braun, Arno Strohmeyer

beth Brunert und Dorothée Goetze haben selbst Bände der APW bearbeitet, Konrad Repgen ist die Gründung des Unternehmens zu verdanken, das er lange Zeit leitete. Die große Bedeutung der APW für die historische Friedensforschung ist darüber hinaus daran zu erkennen, dass drei Autoren der dritten Sektion – Guido Braun, Christoph Kampmann, Peter Arnold Heuser – an dem Vorhaben ebenfalls mitgearbeitet haben. Insgesamt ist es daher nicht verwunderlich, dass vier Verfasser – Al­ fred Kohler, Helmut Neuhaus, Konrad Repgen, Guido Braun – ex­ plizit auf die Bedeutung kritischer Quelleneditionen für die histo­ rische Friedensforschung hinweisen und die Unverzichtbarkeit weiterer Editionsvorhaben betonen. Unabdingbar ist dafür deren digitale Präsentation, die bei den Bänden der APW bereits in An­ griff genommen wurde und Analysemöglichkeiten schafft, welche die Beantwortung noch nicht da gewesener Fragestellungen erlau­ ben19. 2. Pluralität der Analysekategorien und Methoden: Bei der Konzi­ pierung des Bandes gingen die Herausgeber davon aus, dass es in der Forschung keine allgemein gültige oder unumstrittene Defi­ nition von Frieden gibt, sich jedoch die Unterscheidung zwischen einem negativen und einem positiven Begriffsverständnis etabliert hat20. Um die Perspektive nicht einzuengen, stellten sie es den Au­ torinnen und Autoren frei, welche von beiden Auslegungen sie ih­ ren Beiträgen zugrunde legen möchten. Demgemäß wird in diesem Band Frieden einerseits in Anlehnung an Thomas Hobbes als Ab­ wesenheit von Krieg oder wenigstens als Zustand geringer kollek­ tiver beziehungsweise militärischer Gewaltverdichtung definiert21. Andererseits werden darunter bestimmte, in der Vorstellungswelt der Zeitgenossen existierende beziehungsweise anzustrebende sozi­ 19

Vgl. dazu die Homepage von „Acta Pacis Westphalicae (APW) digital“ http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/ausgaben/uni_ausgabe.html?proj ekt=1290080792&recherche=ja&ordnung=sig . 20 Vgl. Wolfrum, Edgar: Krieg und Frieden in der Neuzeit: Vom West­ fälischen Frieden bis zum Zweiten Weltkrieg. (Kontroversen um die Ge­ schichte) Darmstadt 2003, 10–14; Ziemann, Benjamin (Hrsg.): Perspekti­ ven der historischen Friedensforschung. (Frieden und Krieg, 1) Essen 2002. 21 Hobbes, Thomas: Vom Menschen. Vom Bürger. [1642]. Hamburg 1994, § 12: Denn was ist der Krieg anderes als jene Zeit, wo der Wille, mit Gewalt seinen Streit auszufechten, durch Worte und Taten deutlich erklärt wird? Die übrige Zeit nennt man den Frieden.

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ale, politische, religiöse und rechtliche Lebensverhältnisse verstan­ den. Die Beiträge zeigen, dass in der empirischen Praxis beide Be­ griffsauslegungen operationalisierbar sind. Darüber hinaus machen sie deutlich, dass es eine „innere“, auf die interne Ordnung des Ge­ meinwesens bezogene, und eine davon nicht immer deutlich zu un­ terscheidende „internationale“, auf die Außenbeziehungen gerich­ tete Dimension von Friedenssicherung gibt. Beide Dimensionen müssen bei einer umfassenden Behandlung des Gegenstandes be­ rücksichtigt werden. Das Spektrum der untersuchten Krisenherde und Konfliktfelder ist denkbar breit. In den Blick geraten Mächterivalitäten, der Konfes­ sionskonflikt, Fehden, kulturelle Differenzen, Verfassungsgegensät­ ze zwischen Kaiser und Reichsständen, machtpolitische Interessen der Akteure sowie der Expansionismus der Dynastien. Folglich ist auch die Palette der Instrumente und Verfahren zur Friedenssiche­ rung, die in den Beiträgen analysiert werden, ausgesprochen bunt: Friedenskonferenzen, allen voran der Westfälische Frieden, Frie­ densverträge, bi- und multilaterale Bündnisse, diplomatische Mis­ sionen, Friedenspläne, Rechtsordnungen wie der Landfrieden und Mächtekonstellationen, beispielsweise eines Kräftegleichgewichts (dessen friedenssichernde Funktion bei den Zeitgenossen allerdings umstritten war). Dabei ist zu berücksichtigen, dass etliche dieser Instrumente und Verfahren ebenso der Kriegsvorbereitung dienen oder zu Konflikten führen konnten. Die Beiträge folgen unterschiedlichen Ansätzen, die auf verschie­ dene Möglichkeiten historischer Friedensforschung verweisen. Na­ mentlich hervorzuheben, da ihr in der Historiographie gegenwärtig besonderes Erkenntnispotenzial zugesprochen wird, ist die akteurs­ zentrierte oder zumindest akteursorientierte Perspektive, die das Denken und Handeln einzelner Protagonisten als Ausgangspunkt wählt oder wenigstens dessen besondere Bedeutung hervorhebt22. Gabriele Haug-Moritz etwa betont die wichtige Rolle der Ver­ tragschließenden bei den von ihr untersuchten Erbeinungen23, ein ähnliches Ergebnis wie die Feststellung Marc von Knorrings, die Reichsdeputationstage seien oftmals zum Spielball der Interes­ 22

Vgl. etwa Thiessen, Hillard von, Windler, Christian (Hrsg.): Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wan­ del. (Externa, 1) Köln [u.a.] 2010. 23 Vgl. Haug-Moritz in diesem Band, 16.

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sen einzelner Persönlichkeiten verkommen und friedenssichernde Funktionen hätten sie erst bei entsprechendem Engagement der Reichsstände erhalten24. Ebenso meint Dorothée Goetze in ih­ rer Untersuchung über die kaiserliche und bayerische Bündnispra­ xis am Westfälischen Friedenskongress, die individuelle Zielsetzung der Bündnispartner sei für deren Verhandlungsstrategie verantwort­ lich gewesen25. Die Akteursorientierung ist auch in den Beiträgen zu erkennen, die Einzelpersonen in den Mittelpunkt rücken: Kon­ rad Repgen untersucht in seinem Beitrag den kaiserlichen Haupt­ unterhändler bei den Verhandlungen in Münster und Osnabrück, Maximilian Graf von Trauttmansdorff, Guido Braun das Konzept des Kräftegleichgewichts im politischen Denken von Gottfried Wil­ helm Leibniz, Christoph Kampmann Entführungen repräsentativer Persönlichkeiten als Methode der Politik, Peter Arnold Heuser die Autorenschaft eines Friedensplans und Arno Strohmeyer eine di­ plomatische Mission. Friedensforschung kann sich jedoch ebenso auf Institutionen kon­ zentrieren, wie die Studien von Dietmar Heil, Marc von Knorring, Josef Leeb und Helmut Neuhaus zeigen, die sich mit der friedens­ sichernden Funktion von Reichsversammlungen beschäftigen. Mit den Verhandlungen auf Friedenskongressen befassen sich Micha­ el Rohrschneider, Maria-Elisabeth Brunert und Dorothée Goetze. Ihre Studien veranschaulichen einen kommunikationsgeschicht­ lichen Zugang zur Thematik. Friedenssicherung kann außerdem fi­ nanzgeschichtlich sowie forschungs- und rezeptionsgeschichtlich in den Blick genommen werden, wie die Beiträge von Peter Rauscher beziehungsweise Alfred Kohler, Helmut Neuhaus und Heinz Du­ chhardt verdeutlichen. Letztere verweisen auf die Zeitgebundenheit von Friedensforschung, denn was an dem Thema interessiert, be­ stimmen die historischen Interessen und Orientierungsbedürfnisse der jeweiligen Gegenwart der Historiker. Auch wenn damit nur ein Ausschnitt der Ansätze wiedergegeben ist, die den Beiträgen dieses Bandes zugrunde liegen, kann alles in allem festgehalten werden, dass eine umfassende Analyse des The­ menkomplexes „Friedenssicherung“ sowohl im Hinblick auf die Begriffsbestimmungen als auch die verwendeten Analysekategorien und Methoden mehrgleisig verfahren muss. 24 Vgl. 25 Vgl.

von Knorring in diesem Band, 116. Goetze in diesem Band, 287.

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3. Politische Kultur(en) der Friedenssicherung als Forschungsaufgabe: Trotz dieser Vielfalt lassen sich die Beiträge inhaltlich einem ein­ zigen übergreifenden Forschungsgegenstand zuordnen: der „politi­ schen Kultur der Friedenssicherung“ im frühneuzeitlichen Europa. Ausgehend von einem weiten Verständnis „politischer Kultur“ ist darunter die Gesamtheit der Denkmuster, Vorstellungen, Werte, Rechtsnormen, Verhaltensformen und Institutionen sowie der mit diesen in Zusammenhang stehenden politischen Handlungen zu verstehen, mit denen die Zeitgenossen Konflikte regulierten und den Frieden herzustellen beziehungsweise zu erhalten versuchten. Dazu gehört der Kontext der Friedenssicherung mit den machtpoli­ tischen Konstellationen, soziostrukturellen Bedingungen und öko­ nomischen Voraussetzungen. Gabriele Haug-Moritz und Christoph Kampmann untersuchen in sehr unterschiedlichen Bezügen recht­ liche Dimensionen der Friedenssicherung, Dietmar Heil, Marc von Knorring, Josef Leeb, Maria-Elisabeth Brunert und Dorothée Goe­ tze politische Praktiken auf Reichsversammlungen beziehungswei­ se dem Westfälischen Friedenskongress. Michael Rohrschneider, Guido Braun und Peter Arnold Heuser analysieren Ordnungsvor­ stellungen und Konzepte der Friedenssicherung, wobei auch Me­ chanismen wie Amnestie und Vergessen sowie Systeme kollek­ tiver Sicherheit in den Blick genommen werden26. Während Arno Strohmeyer die symbolisch-rituelle Darstellung des Friedens un­ tersucht, macht Peter Rauscher auf die Bedeutung der Finanzen im Rahmen von Friedenspolitik aufmerksam. Die systematische Er­ schließung dieses Forschungsfeldes ist für die Frühneuzeithistorio­ graphie eine wichtige Aufgabe, deren Lösung die historischen Di­ mensionen gegenwärtiger Friedenssicherung vor Augen führt. Sucht man eine „europäische“ politische Kultur der Friedenssi­ cherung, dann zeigt der Band die Wege auf, die beschritten wer­ den müssen, um diese zu finden: Einerseits ist innereuropäisch ver­ gleichend zu verfahren, wie etwa Michael Rohrschneider, der auf grundsätzliche Parallelen zwischen der spanischen und franzö­ sischen Politik am Westfälischen Friedenskongress aufmerksam macht27. Andererseits sind aber auch Rand- und Übergangszonen komparatistisch einzubeziehen, wie es Arno Strohmeyer am Bei­ spiel des Osmanischen Reichs unternimmt. Schließlich sind auch 26 Vgl. 27 Vgl.

Heuser in diesem Band, 405. Rohrschneider in diesem Band, 208.

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Guido Braun, Arno Strohmeyer

außereuropäische Räume zu berücksichtigen, was Alfred Kohler sogar explizit fordert, denn nur so kann die „Europäizität“ einer solchen Kultur der Friedenssicherung eruiert werden28.

* Der vorliegende Band ist Maximilian Lanzinner als Festschrift aus Anlass seines 65. Geburtstages gewidmet. Als Weggefährten oder akademischen Mentor und nicht zuletzt als langjährigen Heraus­ geber der „Acta Pacis Westphalicae“ und der Abteilung „Reichs­ versammlungen“ der traditionsreichen Edition „Deutsche Reichs­ tagsakten“ lernten ihn die Beiträger dieses Bandes schätzen und fühlen sich seiner Person und seinen Forschungsschwerpunkten seither eng verbunden. Wer Maximilian Lanzinner kennt, der weiß, dass eine Festschrift nur dann seinen Gefallen finden kann, wenn sie nicht als bloße Ehr- oder Dankbezeigung verstanden wird, son­ dern einen veritablen Beitrag zur Forschung zu leisten vermag. Darin bestand das Anliegen der Herausgeber dieses Buches. Den Autoren, die dazu mit neuen Ergebnissen aus ihren thematisch ein­ schlägigen Forschungen beigetragen haben, gilt unser großer Dank. Nicht vergessen werden sollen auch die studentischen Hilfskräfte, die bei der redaktionellen Bearbeitung und der Registererstellung engagiert und tatkräftig mitgewirkt haben: Frau Jennifer Niehage, Frau Sandra Otto und Frau Franziska Richter in Bonn sowie Frau Anna Huemer, Frau Daniela Leitner und Frau Marina Neudorfer in Salzburg. Ermöglicht wurde der Druck dieses Buches durch Zu­ schüsse der Universität Salzburg, der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn sowie durch pri­ vate Zuwendungen. Dem Verlag Aschendorff und dem Verlagsleiter Buch, Herrn Dr. Dirk Paßmann, der seit langen Jahren die Publi­ kation der „Schriftenreihe“ und die Edition der APW stets kompe­ tent und mit einem offenen Ohr für die Anliegen der Herausgeber, Editoren und Autoren betreut, sei an dieser Stelle hierfür besonders gedankt. Allen Beteiligten gebührt schließlich ein großer Dank für ihre Verschwiegenheit gegenüber dem Jubilar, sodass dieses Buch zu seinem Geburtstag tatsächlich als unerwartetes Geschenk über­ reicht werden kann. Mit „Frieden“ und „Friedenssicherung“ wur­ de hierfür bewusst eine Thematik aufgegriffen, der sowohl von der 28 Vgl.

Kohler in diesem Band, 90f.

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historischen Forschung im Allgemeinen, mit einer in den letzten Jahren zunehmenden Tendenz, als auch insbesondere in den Ar­ beiten Maximilian Lanzinners, beginnend bei seiner Habilitations­ schrift über „Friedenssicherung und politische Einheit des Reiches unter Kaiser Maximilian  II.“29 bis hin zu seinen jüngsten Studien zur Friedenskongress-Geschichte30, eine herausragende Bedeutung zuerkannt wird. Dafür, dass Maximilian Lanzinner die Forschun­ gen zu Frieden und Friedenssicherung in den vergangenen beiden Jahrzehnten entschieden vorangetrieben und durch sein Wirken als Forscher und Wissenschaftsorganisator geprägt hat, gebührt ihm – neben der persönlichen Verbundenheit – unsere tiefe Dankbarkeit.

29 Vgl.

Lanzinner, Friedenssicherung und politische Einheit (wie Anm. 10). Vgl. auch zuvor bereits Lanzinner, Maximilian: Friedenssicherung und Zentralisierung der Reichsgewalt. Ein Reformversuch auf dem Reichstag zu Speyer 1570. In: Zeitschrift für historische Forschung 12 (1985), 287– 310. 30 Vgl. etwa Anm. 18.

1. Landfriedenswahrung und Reichsversammlungen im 15. und 16. Jahrhundert

FRIEDEN IM LAND DIE SÄCHSISCH-BRANDENBURGISCH-HESSISCHE ERBEINUNG (1451/57–1555) Zur Kontinuität spätmittelalterlicher Formen der Friedewahrung im Reich des 16. Jahrhunderts von Gabriele Haug-Moritz, Graz Die sächsisch-brandenburgisch-hessische Erbeinung1 hat Eingang in die Weltliteratur gefunden. Denn die Forderung des im Kurfürs­ tentum Sachsen wegen seiner Fehdeführung und seines SchadenTrachtens zum Tode verurteilten Michael Kohlhaas vor das Gericht des Kurfürsten von Brandenburg erfüllt in Heinrich von Kleists „Michael Kohlhaas“ (1810) eine wichtige erzählerische Funktion2: Das Geschick des tragischen Helden, dem weder auf dem Rechtsnoch dem Gnadenweg für das ihm von denen von Tronka widerfah­ rende Unrecht Gerechtigkeit zuteil geworden war, scheint sich mit dieser Abforderung3 noch einmal zu wenden. Nach einem zwischen den Höfen von Dresden und Cölln ausgefochtenen Geplänkel um die gerichtliche Zuständigkeit, in dem sich der sächsische Kurfürst 1

Der sprachlichen Vereinfachung wegen wird im Folgenden, wenn von der sächsisch-brandenburgisch-hessischen Erbeinung und nicht von einer der zahlreichen anderen Erbeinungen die Rede ist, nur der Begriff der Erbei­ nung verwandt. 2 So standen die Sachen für den armen Kohlhaas in Dresden, als der Kurfürst von Brandenburg zu seiner Rettung aus den Händen der Übermacht und Willkür auftrat, und ihn, in einer bei der kurfürstlichen Staatskanzlei daselbst eingereichten Note, als brandenburgischen Untertan reklamierte; Reuss, Roland (Hrsg.), in Zusammenarbeit mit Staengle, Peter: Hein­ rich von Kleist. Sämtliche Werke. II: Prosa. Bd. 1: 1. Michael Kohlhaas (1808); 2. Michael Kohlhaas (1810), Basel, Frankfurt/Main 1990, 228. Der Druck von 1810 ist inzwischen auch digital verfügbar: urn:nbn:de:bvb:12bsb00013537-3 . 3 Demnach forderte der Erzkanzler nicht nur wegen gänzlich willkürlichen, Gott und Menschen mißgefälligen Verfahrens, die unbedingte und ungesäumte Auslieferung des Kohlhaas, um denselben, falls ihn eine Schuld drücke, nach brandenburgischen Gesetzen, auf Klageartikel, die der Dresdner Hof deshalb durch einen Anwalt in Berlin anhängig machen könne, zu richten; ebd., 229f.

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(von Kleist als wörtliches Zitat eingefügt) über die Unfreundschaftlichkeit und Unbilligkeit4 des kurbrandenburgischen Ansinnens be­ schwert, entscheidet er sich doch, dem Wunsch Kurbrandenburgs zu entsprechen. Das vom Gönner Kohlhaas’, dem inzwischen vom Amtmann zum brandenburgischen Erzkanzler aufgestiegenen Hein­ rich von Geusau, vorgetragene Argument, das von Kleist wiede­ rum als wörtliches Zitat aus der „alten Chronik“ (so der Untertitel seines Werkes) präsentiert, wirkte auf den Kurfürsten offenkundig überzeugend: Dass Kohlhaasenbrück, der Ort, nach welchem der Roßhändler heiße, im Brandenburgischen liege, und dass man die Vollstreckung des über ihn ausgesprochenen Todesurtheils für eine Verletzung des Völkerrechts halten würde5. Und auch wenn es Kleist nicht um die historische Figur des Hans Kohlhase zu tun war, und er die Informationen seiner Quelle der Erzähllogik seines als „Erzählung“ publizierten Werkes unterord­ nete, so greift doch das (nicht immer reibungslos funktionieren­ de) gemeinsame Vorgehen der beiden Kurfürsten gegen Kohlhase / Kohlhaas den historischen Kern des Geschehens6 auf. Was Hein­ rich von Kleist, hierin den Denkwelten seiner Zeit verhaftet, jedoch als Ausfluss des „Völkerrechts“ vorstellt, war, historisch betrachtet, unmittelbare Folge der 1537 – und damit just zur Zeit der Kohlha­ seschen Fehde – zum zweiten Mal verlängerten Erbeinung. Am – offenkundig zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht mehr vor­ handenen (oder nicht mehr für relevant erachteten) – Wissen um die Erbeinung im Besonderen sowie Erbeinungen im Allgemeinen7 als 4

Ebd., 230. Ebd., 231. 6 Immer noch, ob seiner Quellendichte lesenswert Burkhardt, Carl August Hugo: Der historische Hans Kohlhase und Heinrich von Kleists Michael Kohlhaas. Leipzig 1864 (digital verfügbar). 7 Vgl. als bis heute immer noch zeitlich wie räumlich am weitesten ausgrei­ fende Darstellung Moser, Johann Jacob: Teutsches Staatsrecht. Bd. XVII. Leizpig, Ebersdorff 1745 (ND Osnabrück 1968), 9–169; vgl. ferner die ta­ bellarischen Zusammenstellungen bei Ott, Thomas: Präzedenz und Nach­ barschaft. Das albertinische Sachsen und seine Zuordnung zu Kaiser und Reich im 16. Jahrhundert. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäi­ sche Geschichte Mainz, Abteilung für Abendländische Religionsgeschich­ te, 217) Mainz 2008, 535–540 (Erbeinungen und Erbverbrüderungen der Wettiner mit Böhmen, Brandenburg, Henneberg und Hessen [1307–1615]); Müller, Mario: Besiegelte Freundschaft. Die brandenburgischen Erbei­ 5

Frieden im Land – Die sächsisch-brandenburgisch-hessische Erbeinung

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zentralem Element der Friedenssicherung im Reich des 16. Jahr­ hunderts hat sich bis in die jüngste Zeit nichts geändert8. Dieser nungen und Erbverbrüderungen im späten Mittelalter. (Schriften zur po­ litischen Kommunikation, 8) Göttingen 2010, 289–303 (Verzeichnis der untersuchten brandenburgischen beziehungsweise zollerischen Erbverbrüderungen, Erbeinungen und Bündnisse [1327–1605]), die allerdings, wie gerade der Vergleich mit Ott, Präzedenz zu erkennen gibt, partiell fehler­ haft ist; vgl. auch Haug-Moritz, Gabriele: Zwischen Spätmittelalter und Reformation – politischer Föderalismus im Reich der Reformationszeit. In: Politics and Reformations: Communities, Polities, Nations and Empires. Essays in Honor of Thomas A. Brady Jr. Hrsg. von Christopher Ocker [u.a.]. (Studies in Medieval and Reformation Traditions, 128) Leiden, Bos­ ton 2007, 513–537, hier: 516/13. 8 Zur überschaubaren Forschungsgeschichte jetzt Pflüger, Christine: Kommissare und Korrespondenzen. Politische Kommunikation im Alten Reich (1552–1558). (Norm und Struktur, 24) Köln, Weimar, Wien 2005, 312–330; Ott, Präzedenz (wie Anm. 7), 20–27; Müller, Freundschaft (wie Anm. 7), 88–98; Müller rezipiert jedoch die Literatur zum spätmit­ telalterlichen Einungswesen nur punktuell und nimmt z.B. die wichti­ gen Ergebnisse von Carl, Horst: Der Schwäbische Bund 1488–1534. Landfrieden und Genossenschaft im Übergang vom Spätmittelalter zur Reformation. (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde, 24) Lein­ felden-Echterdingen 2000, nicht zur Kenntnis; Komatsu, Guido: Land­ friedensbünde im 16. Jahrhundert. Ein typologischer Vergleich. Diss. Göt­ tingen 2001, 18 (http://webdoc.sub.gwdg.de/diss/2002/komatsu/komatsu. pdf ) klammert die Erbeinungen dezidiert aus, weil ihnen der Bezug zum Landfrieden fehle, was eine richtige, jedoch für das Verständ­ nis der Funktion der Erbeinungen nicht weiterführende Beobachtung ist; die Grenzen der Arbeit von Kaufmann, Manfred: Fehde und Rechtshil­ fe. Die Verträge brandenburgischer Landesfürsten zur Bekämpfung des Raubrittertums im 15. und 16. Jahrhundert. Pfaffenweiler 1993, der den verschiedenen Erscheinungsformen der Friedewahrung durch Verschwö­ rung keine Aufmerksamkeit schenkt, treten zutage, wenn er nicht versteht (32/166), warum Joachim I. 1534 das sächsische Hilfsansuchen im Rah­ men der – von Kaufmann so nicht benannten – Erbeinung mit dem Argu­ ment der nicht stattgehabten Beschwörung zurückweisen kann, wiewohl die (Hallesche) Einung von 1533 doch beschworen worden sei. Auf das bestehende Forschungsdefizit machen aufmerksam: Rudersdorf, Manfred: Von Fürsten und Fürstensöhnen im Alten Reich: Die Kraft der hessisch-sächsischen Erbverbrüderung und das Jahr 1561. In: Leipzig und Sachsen. Beiträge zur Stadt- und Landesgeschichte vom 15.–20. Jahr­ hundert. Siegfried Hoyer zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Karl Czok und Volker Titel. Beucha 2000, 33–47, hier: 37/5 und Althoff, Gerd: Zusam­ menfassung I. In: Träger und Instrumentarien des Friedens im hohen und

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Befund erstaunt aus zweierlei Gründen: Zum einen, weil das Pro­ blem der Friedewahrung eine der zentralen und intensiv erforsch­ ten Agenden der Reichspolitik im hier zur Betrachtung stehenden Untersuchungszeitraum war, an dessen Ende mit der in Augsburg 1555 verabschiedeten Exekutionsordnung die Friedewahrung insti­ tutionell verdichtet und damit auf einem qualitativ neuen Niveau konsolidiert wurde9; zum anderen, weil unter den für die Zeit cha­ rakteristischen zahlreichen Formen freiwilliger politischer Verge­ meinschaftung10 gerade denjenigen in den vergangenen zwanzig Jahren besondere Aufmerksamkeit zuteil wurde, die unter hochade­ liger Beteiligung in Gestalt von Landfriedensbünden „Friede durch Verschwörung“ (Oexle) gewährleisten wollten11. Dass die Erbei­ nungen bislang vor allem von Historikern thematisiert wurden, die späten Mittelalter. Hrsg. von Johannes Fried. (Vorträge und Forschungen. Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte, 43) Sigmaringen 1996, 587–598, hier: 598, der ferner anmerkt, dass genossenschaftliche Or­ ganisationsformen des Adels in der Mediävistik generell nur unzulänglich bearbeitet sind. 9 Gerade hinsichtlich des Problems der Friedewahrung markiert die Exe­ kutionsordnung in dem Sinn einen Einschnitt, dass mit ihrer Verabschie­ dung für das aus dem Spätmittelalter überkommene und noch im Reich der Reformationszeit fortgeschriebene, sich allmählich transformierende Reichsfriedensproblem eine (vorläufige) Lösung gefunden werden konnte. Aus diesem Grund bleiben hier auch die nochmaligen Verlängerungen der Erbeinung von 1587 und (letztmalig) 1614 (Ott, Präzedenz [wie Anm. 7], 539) außer Betracht; zur Exekutionsordnung selbst vgl. Lanzinner, Maxi­ milian: Das Konfessionelle Zeitalter 1555–1618. In: Maximilian Lanzinner, Gerhard Schormann: Konfessionelles Zeitalter 1555–1618. Dreißigjähriger Krieg 1618–1648. (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte. Zehnte, völlig neu bearb. Aufl., 10) Stuttgart 2001, 1–203, hier: 47–55. 10 Immer noch ob der Breite des Zugriffs, nicht ob des interpretatorischen Standpunkts unentbehrlich von Gierke, Otto: Das deutsche Genossen­ schaftsrecht. 4 Bde. ND Graz 1954. 11 Lanzinner, Maximilian: Der Landsberger Bund und seine Vorläufer. In: Alternativen zur Reichsverfassung in der Frühen Neuzeit? Hrsg. von Vol­ ker Press. (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien, 23) München 1995, 65–79; zur Forschungssituation zum hier interessierenden Zeitraum: Carl, Schwäbischer Bund (wie Anm. 8), 1–11; Haug-Moritz, Gabriele: Der Schmalkaldische Bund (1530–1541/42). Eine Studie zu den genossen­ schaftlichen Strukturelementen der politischen Ordnung des Heiligen Rö­ mischen Reiches Deutscher Nation. (Schriften zur südwestdeutschen Lan­ deskunde, 44) Leinfelden-Echterdingen 2002, 22ff.

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vom Spätmittelalter her auf die Friedewahrung im frühneuzeitlichen Reich blicken12 und für das 16. Jahrhundert vor allem die böhmischsächsische Erbeinung sich wissenschaftlicher Aufmerksamkeit er­ freut13, erlaubt es im Rahmen einer kleineren Abhandlung leider nur die normativen Grundlagen detaillierter zu analysieren. In einer Hinsicht freilich hat die neuere Forschung den hier zur Betrachtung stehenden Gegenstand inzwischen klarer konturiert. Wurden lange Zeit Erbverbrüderungen und Erbeinungen nicht ge­ schieden und unter dem Begriff der „Erbverträge“ subsumiert14, so unterscheiden sie sich in Inhalt und Funktion doch grundsätzlich: Erbverbrüderungen sind Verträge, die regelten, dass und wie beim Aussterben der männlichen Angehörigen einer Herrscherfamilie das erbverbrüderte Adelshaus nachrückte15. Erbeinungen hingegen be­ zweckten, wie es die Arengen aller zwischen 1451/57 und 1555 ge­ schlossenen Verträge ausweisen, Friede, ewige Ruhe sowie Recht und Gerechtigkeit (Rechtfertigkeit16), seit 1537 überdies noch den gemeinen Nutzen und die ewige Einigkeit von Land und Leuten zu gewährleisten17. Erbverbrüderung und -ein(ig)ung werden in der 12

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So etwa thematisiert Müller, Freundschaft (wie Anm. 7), 32f die Jahre 1327 bis 1482; vgl. auch Schubert, Ernst: König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen deutschen Verfassungsgeschichte. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 63) Göttingen 1979, 111ff und jetzt auch die Tagungsankündigung: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin. de/termine/id=18404 . Pflüger, Kommissare (wie Anm. 8), 313–317, 319, 328f; Ott, Präzedenz (wie Anm. 7), 27ff, 291–296, 437–497; demgegenüber findet die hier inter­ essierende Erbeinung meist nur beiläufige Erwähnung bei Ott, Präzedenz (wie Anm. 7), 29ff; Pflüger, Kommissare (wie. Anm. 8), 318–323 (1550er Jahre), wobei Pflüger nicht trennscharf zwischen Erbeinungen und Erbver­ brüderungen unterscheidet. Sellert, Wolfgang: Erbvertrag. In: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte. Hrsg. von Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann. Bd. 1. Berlin 1971, 981–985. Ott, Präzedenz (wie Anm. 7), 21. Zum Begriffsfeld der Rechtfertigkeit vgl. Deutsches Rechtswörterbuch s.v. „Rechtfertigkeit“ (http://www.rzuser.uni-heidelberg.de/~cd2/drw/e/ re/chtf/erti/gkei/rechtfertigkeit.htm ). Zur Entlastung des Anmerkungsapparates sind die Nachweise der Ver­ tragstexte im Anhang zusammengestellt. Insofern die Vertragstexte ge­ druckt vorliegen, werden Zitate mit Vertragsjahr und Seitenzahlen im Text nachgewiesen.

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zeitgenössischen Sprache mitunter synonym verwandt, inhaltlich freilich, und auch dies gibt die Form der einschlägigen Urkunden zu erkennen, wurden sie klar geschieden. Der Beitrag nimmt die Erbverbrüderungen18 nur dann in den Blick, wenn sie für das Ver­ ständnis der Entwicklung der Erbeinungen unabdingbar sind. 1. Die sächsisch-brandenburgisch-hessische Erbeinung: Genese und Entwicklung Die Entstehung der Erbeinung in der Mitte des 15. Jahrhunderts lässt sich, entgegen mitunter in der Forschung begegnenden Rück­ datierungen auf das ausgehende 14. Jahrhundert19, präzise bestim­ men. Die auf den 27. Januar 1451 datierenden Urkunden geben den Anlass, der zum Abschluss der Einung zwischen den „Herren von Sachsen und Brandenburg“ geführt hat, zu erkennen: das Ver­ derben der Länder durch „Unwillen und Späne“ für die Zukunft ebenso zu unterbinden, wie sie für die eigene Gegenwart am glei­ chen Tag erfolgreich unterbunden worden waren. Nach einem fünf Jahre währenden dynastischen Konflikt im Haus Sachsen („säch­ sischer Bruderkrieg“) war es durch Vermittlung der branden­ burgischen Agnaten und Landgraf Ludwigs von Hessen in drei­ wöchigen, in Naumburg geführten Ausgleichsverhandlungen20 gelungen, den innersächsischen Konflikt beizulegen. Ausgefertigt wurden zwei, wie im nächsten Abschnitt genauer erörtert werden 18

Immer noch am ausführlichsten zu den Erbverbrüderungen Löning, Ed­ gar: Die Erbverbrüderungen zwischen den Häusern Sachsen und Hessen und Sachsen, Brandenburg und Hessen. Frankfurt/Main 1867 (digital ver­ fügbar); vgl. auch Rudersdorf, Fürsten (wie Anm. 8). 19 So etwa erklärt Löning, Erbverbrüderungen (wie Anm. 18), 26 den Vertrag von 1451 zu einer Erneuerung der Abrede von 1435, wiewohl im Vertrags­ text diese Kontinuität nicht aufgerufen wird, d.h. dezidiert als neue Form des fürstlichen Miteinanders markiert wird; vgl. auch Ott, Präzedenz (wie Anm. 7), 20ff. Unbeschadet davon ist natürlich, dass sich Erbeinungen ge­ netisch aus anderen Vertragsformen herleiten lassen. 20 Zum Konfliktgeschehen in Sachsen vgl. Rogge, Jörg: Herrschaftsweiter­ gabe, Konfliktregelung und Familienorganisation im fürstlichen Hochadel. Das Beispiel der Wettiner von der Mitte des 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts. (Monographien zur Geschichte des Mittelalters, 49) Stuttgart 2002, 168–207 und zu den Naumburger Friedensverhandlungen ebd., 204f; vgl. auch Müller, Freundschaft (wie Anm. 7), 94–97.

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wird, inhaltlich differierende Urkunden, die beide auf den gleichen Tag datieren. Am 30. April 1457 fertigte Landgraf Ludwig von Hessen eine Ur­ kunde aus, in der er bekundet, aus angeborener Liebe, Freundschaft und Bruderschaft, darinn wir mit in stehen als iren miterben der Erbeinung, zu der sich am 27. Januar 1451 Sachsen und Bran­ denburg verbunden hätten, beizutreten. Tags zuvor, am 29. April 1457, hatten die seit dem 22. Oktober 1431 aus, wie 1457 betont wird, sonderlicher Erlaubnis und Gunst Kaiser Friedrichs III. in ei­ ner Erbverbrüderung vereinten sächsischen und hessischen Fürsten sich mit Kurfürst Friedrich II. von Brandenburg (reg. 1440–1471) und seinen Brüdern Johann (1406–1464), Albrecht Achilles (1414– 1486) und Friedrich d. J. (1424–1463) zu einer weiteren Erbverbrü­ derung verbunden21. Die Erweiterung der Erbeinung um Hessen war demnach ein direkter Ausfluss der neuen sächsisch-hessischbrandenburgischen Erbverbrüderung, womit die engen dynasti­ schen Verbindungen der Vertragschließenden22 in ein dichtes Ge­ flecht erbvertraglicher Regelungen überführt worden waren. In der hessischen Beitrittsurkunde zur Erbeinung wird zwar die hessische Hilfspflicht spezifiziert, hier aber, wie auch in der Erneu­ erung der Einung 1487, bleibt unklar, auf welche der beiden Aus­ fertigungen der Erbeinungsurkunde vom 27. Januar 1451 sich die Vertragsparteien beziehen. Nach dem Tod Landgraf Ludwigs 1458 wurde von dessen Söhnen, die die Landgrafschaft unter sich teilten, 1461 zwar die Erbeinung, nicht jedoch die Erbverbrüderung förm­ lich erneuert. Unmittelbar nach dem Tod des letzten lebenden Vertragspart­ ners der Jahre 1451, 1457 und 1461, Kurfürst Albrecht Achilles’ von Brandenburg (11. März 1486), begannen im April 1486 die 21

Abschrift in Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden (im Folgenden abge­ kürzt SHSTAD) Loc. 8025, Erbeinigung und Erbverbrüderung an. 1431 usq. 1555, fol. 2–4; vgl. zur Erbverbrüderung von 1431, ihrer Verlängerung und der kaiserlichen Bestätigung der 1431 geschlossenen sächsisch-hessi­ schen, nicht jedoch der sächsisch-hessisch-brandenburgischen von 1457 Löning, Erbverbrüderungen (wie Anm. 18), 22–32; Müller, Freundschaft (wie Anm. 7), 92–98, 142f. 22 Anna (1420–1462), Schwester Kurfürst Friedrichs I. von Sachsen (1412– 1464), war mit Ludwig von Hessen (1402–1458) verheiratet und Katharina (1421–1476), die andere Schwester des sächsischen Kurfürsten, hatte Kur­ fürst Friedrich II. von Brandenburg (1413–1471) geehelicht.

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Verhandlungen über die Erneuerung der Erbeinung, die nach einem persönlichen Zusammentreffen der Fürsten in Naumburg im Februar 1487 in einen neuen, auf dem Nürnberger Reichs­ tag ausgefertigten Vertrag vom 23. Mai 1487 mündeten 23 . Ne­ ben geringfügigen Modifikationen des Vertragsinhalts wur­ den nun erstmals Abreden verschriftlicht, wie die Erbeinung in den einzelnen Ländern zu vollziehen ist 24 . Nachdem die säch­ sisch-hessisch-brandenburgische Erbverbrüde­ r ung die kaiser­ liche Zustimmung nicht erlangen konnte, wurde das an Hes­ sen gefallene (konfliktbehaftete 25) katzenelnbogische Erbe erst im September 1487 und ausschließlich auf der Grundlage der hessisch-sächsischen Erbverbrüderung von 1431 als Bestand­ teil des Erbes im potentiellen Erbfall definiert 26 . Damit war der enge Konnex von dynastischer Verflochtenheit, Friedewahrung und Sukzessionsregelung der Herren von Brandenburg, Sach­ sen und Hessen jetzt und künftig aufgehoben. Als die Erbei­ nungsverwandten 1537 in Zeitz zusammenkamen, um die Erb­ einung wiederum zu erneuern, wurde auch über die Erneuerung der Erbverbrüderung von 1457 beraten. Da jedoch keiner der in Zeitz anwesenden Fürsten in seiner Kanzlei Ausfertigungen der Erbverbrüderungsurkunden von 1457 hatte finden können, wurden die Beratungen auf ein weiteres, in Zerbst auf Februar 1538 angesetztes Treffen verschoben, das jedoch nicht stattfand. Damit sollte es sein Bewenden haben 27. 1520 wie 1555 wurde 23

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Deutsche Reichstagsakten [im Folgenden abgekürzt RTA]. Mittlere Reihe. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Hrsg. von Eike Wol­ gast. Bd. 2. Reichstag zu Nürnberg 1487. Bearb. von Reinhard Seyboth. Göttingen 2001, 639f, v.a. 640/1. SHSTAD (wie Anm. 21) Loc. 8025, Erbeinigung und Erbverbrüderung an. 1431 usq. 1555, fol. 46b–f, 72–74 (Wie der Churfürsten und Fürsten von Sachsen, Brandenburg und Hessen Amptleuthe die Eynung zu halten sweren solln). Schmidt, Georg: Landgraf Philipp der Großmütige und das Katzenelnbo­ ger Erbe. Voraussetzungen der hessischen Reichspolitik (1500–1547). In: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde 41 (1983), 9–54. Abschrift in SHSTAD (wie Anm. 21) Loc. 8025, Brüderung, fol. 25–28; Löning, Erbverbrüderungen (wie Anm. 18), 32f. SHSTAD (wie Anm. 21) Loc. 8025, Erbeinigung und Erbverbrüderung an. 1431 usq. 1555, fol. 151–152; Löning, Erbverbrüderungen (wie Anm. 18), 30, 40f.

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ausschließlich, wie schon 1487, die hessisch-sächsische Erbver­ brüderung verlängert 28 . Fünfzig Jahre nach der letzten Vertragsverlängerung – und wiede­ rum nachdem der letzte Vertragspartner des Jahres 1487 im April 1536 verstorben war (Friedrich V. von Brandenburg-Ansbach, 1460–1536; abgesetzt: 1515)29 – trafen die Erbeinungsverwandten, im unmittelbaren Anschluss an den für den Gang der Reformati­ onsgeschichte im Reich einen entscheidenden Wendepunkt mar­ kierenden Schmalkaldener Tag30, am 18. März 1537 in Zeitz ein. Im Gegensatz zu den vorausgegangenen Versammlungstagen der Erb­ einungsverwandten ist seine, bis ins Jahr 1533 zurückreichende Ge­ nese umfänglicher dokumentiert. Es war Herzog Georg von Sachsen, der im September 1533 sei­ nen Rat Hans von Schönbeck zu Kurfürst Joachim I. als dem vornehmsten und verstendigsten dieser sach abordnete, um ihn zu bit­ ten, sich in Sachen Erbeinung kundig zu machen, da er selbst nicht fast gut gehör bei Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach-Kulmbach habe, ihm aber an der Aufrechterhaltung von Friede und Eynickeit gele­ gen sei31. Joachim, so seine Bitte, solle Erkundigungen einziehen, ob Markgraf Georg es dem Adressaten, ihm und Landgraf Philipp gleich getan und bei seinem Regierungsantritt die Erbeinung be­ schworen habe und ob Kurfürst Johann Friedrich, der sich seines Wissens bislang zu deren Beschwörung nicht erboten habe, in der Erbeynung seyn unndt bleyben wolle. Antwortete Markgraf Ge­ 28

SHSTAD (wie Anm. 21) Loc. 8025, Brüderung, fol. 69–72’ (Erbverbrüde­ rung vom 3. Mai 1520); ebd., Erbeinigung und Erbverbrüderung an. 1431 usq. 1555, fol. 239–247 (Erbverbrüderung vom 12. März 1555); die Ver­ brüderung von 1555 ist gedruckt in Lünig, Johann Christian (Hrsg.): Das Teutsche Reichs-Archiv. Bd. 5. Leipzig 1713, Der vierdten Abtheilung. Anderer Absatz, 84ff (digital verfügbar: urn:nbn:de:bvb:384-uba000269-2 ); vgl. Löning, Erbverbrüderungen (wie Anm. 18), 34–46. 29 Die Erbeinung von 1555 (78) benennt dezidiert die Tatsache, dass alle Ver­ tragspartner von 1487 in Gott verstorben seyn als Ursache der Verlänge­ rung von 1537. 30 Haug-Moritz, Schmalkaldischer Bund (wie Anm. 11), 107–110, 423ff, 517ff u.ö. 31 SHSTAD (wie Anm. 21) Loc. 8025, Erbeinigung und Erbverbrüderung an. 1431 usq. 1555, fol. 138–140, Zitate 138’, 139’ (Instruktion für Hans von Schönbeck, 26. September 1533).

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org seinem Vetter in Cölln, dass er sich sicher sei, dass sein (1527 verstorbener) Bruder Markgraf Kasimir für sich selbst unnd unsern alle ynn gleich miteinander regierenden bruder halben den Eid ge­ leistet habe32, so bekundete Kurfürst Johann Friedrich zwar seinen grundsätzlichen Willen, die Erbeinung fortzuführen, regte jedoch einen Rätetag für weitere Beratungen an33. Die schwinden Leufft, die sich im Frühjahr 1534 abzuzeichnen begannen34, hatten zur Fol­ ge, dass bis in den Herbst 1536 die Frage der fortdauernden Gel­ tung der Erbeinung auf Eis lag. Als er schließlich zustande kam, waren zwar die gewaltsam ausgetragenen Konflikte der vorausge­ gangenen Jahre beendet, die religionspolitische Konfliktlage aber war so virulent wie niemals zuvor. Und auch der seit 1534 schwe­ lende Konflikt des sächsischen Kurfürsten mit Albrecht, Kurfürst von Mainz und Erzbischof von Magdeburg, Onkel Kurfürst Joa­ chims II. von Brandenburg, hatte sich seit dem Regierungsan­ tritt Johann Friedrichs kontinuierlich zugespitzt35. Diese Situation drückte den Zeitzer Beratungen ihren Stempel auf. Stand der Versammlungstag als solcher, an dem sämtliche regieren­ de Fürsten der Häuser Brandenburg, Sachsen und Hessen persön­ lich teilnahmen, im Vorzeichen der Ausgleichsverhandlungen des Konflikts um Magdeburg36, so wurden, wie die überlieferten hand­ 32

Ebd., fol. 141b (Markgraf Georg an Kurfürst Joachim, 14. Dezember 1533). Ebd., fol. 140b (Kurfürst Johann Friedrich an Kurfürst Joachim, 5. März 1533). 34 Ebd., fol. 141 (Herzog Georg an Kurfürst Joachim, 27. März 1534); zur reichspolitischen Situation (dänisch-lübeckischer Krieg; Restitution Her­ zog Ulrichs von Württemberg; Münsteraner Täuferreich) knapp HaugMoritz, Schmalkaldischer Bund (wie Anm. 11), 54–60. 35 Zur religionspolitischen Situation vgl. oben Anm. 30; zum Konflikt um Magdeburg in den Jahren 1532–1537 vgl. Hülsse, Friedrich: Der Streit Kardinals Albrecht, Erzbischofs von Magdeburg, mit dem Kurfürsten Jo­ hann Friedrich von Sachsen um die magdeburgische Burggrafschaft. In: Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg. Mitteilungen des Ver­ eins für Geschichte und Altertumskunde des Herzogtums und Erzstifts Magdeburg 22 (1887), 113–152, 261–288, 360–392, hier: 134–152, 261–266; Mentz, Georg: Johann Friedrich der Großmütige 1503–1554. Festschrift zum 400jährigen Geburtstage des Kurfürsten. 3 Bde. Jena 1903–1908, hier: Bd. III, 508–513. 36 Hülsse, Streit (wie Anm. 35), 266f; Mentz, Johann Friedrich (wie Anm. 35), III, 513. 33

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schriftlichen Notizen des hessischen Kanzlers Feige zeigen37, zwar auch die Inhalte der Erbeinung beraten, die Urkunden, die diese Beratungen dokumentieren, wurden jedoch vor beziehungsweise auf den eigentlichen Verhandlungsbeginn datiert. Mit geringfügigen inhaltlichen Modifikationen wurde die Erbeinung in der Form, wie sie seit 1451/57 Gestalt gewonnen hatte, von allen Anwesenden be­ schworen und verschriftlicht. Zugleich aber wurde in Form eines Transfixbriefes38 für die Vertragspartner und ihre Nachkommen, mit Ausnahme Herzog Georgs, öffentlich bekannt, dass die Aus­ nehmung des Papstes, die in der Urkunde von 1537 weiterhin ent­ halten sei, um die „Spaltung“ der Erbeinung zu verhindern, künftig so gehandhabt werden solle, als ob von des Bapstes ausnehmen In voriger Erbeinunge und derselbigen Jtzigen Vernewerunge wie mit keynem eynigem worthe, meldung geschehen were39. Waren die Erneuerungen der Erbeinungen bislang immer vollzo­ gen worden, wenn keiner der vertragschließenden Fürsten der zu­ vor geschlossenen respektive erneuerten Einung mehr am Leben war, so war dies 1555 erstmals nicht der Fall. Vier der acht Fürsten, die 1537 in Zeitz die Einung beschworen hatten, lebten noch40. Zu­ dem waren seit der Verabschiedung der Reichskammergerichtsord­ nung von 154841 die Instrumentarien der Friedewahrung im Reich erheblich verbessert worden und standen auf dem bevorstehenden Reichstag in Augsburg zur weiteren Verbesserung an, als sich am 6. März 1555 die regierenden Fürsten der (1555 erstmals so bezeichne­ ten) „Häuser“ Brandenburg, Sachsen und Hessen erneut in Naum­ 37 38

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SHSTAD (wie Anm. 21) Loc. 8025, Erbeinigung und Erbverbrüderung an. 1431 usq. 1555, fol. 157–161. in den Rechten, eine Schrift, die als ein besonderer Artikel einem Contrakte zugesetzt und angehängt wird, jedoch unter demselben Siegel; Krünitz, Johann Georg: Ökonomische Enzyklopädie. Bd. 186. Berlin 1845, 709 (http://kruenitz1.uni-trier.de ). SHSTAD (wie Anm. 21) Loc. 8025, Erbeinigung und Erbverbrüderung an. 1431 usq. 1555, fol. 149f. Joachim II., Kurfürst von Brandenburg (1505/35–1571), Johann, Markgraf von Brandenburg-Küstrin (1513–1571), Albrecht [Alcibiades], Markgraf von Brandenburg-Ansbach-Kulmbach (1522–1557), Landgraf Philipp von Hessen (1504–1567). RTA. Jüngere Reihe. Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Hrsg. von Eike Wolgast. Bd. 18. Der Reichstag zu Augsburg 1547/48. Bearb. von Ursula Machoczek. 3 Teilbde. München 2006, hier: 1231–1438.

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burg persönlich versammelten42. Zum nahezu zeitgleich begin­ nenden Augsburger Reichstag (5. Februar) sandten sie ihre Räte43. 1555 war es die seit 1546 offenkundige Wirkungslosigkeit der Erb­ einung44, die ihre Erneuerung notwendig machte, worauf sich Kur­ fürst August und Markgraf Albrecht in ihrem Friedensvertrag vom September 1553 förmlich verständigt hatten45. Als die Erbeinungsverwandten die Abrede des Jahres 1553 im Frühjahr 1555 in die Tat umsetzten, waren zwar die Feindselig­ keiten zwischen den erbeinungsverwandten Fürsten schon geraume Zeit beendet, Markgraf Albrecht Alcibiades von BrandenburgKulmbach aber, der sich seit Dezember 1553 in kaiserlicher Acht befand und dessen Fehde gegen die fränkische Einung den Reichs­ tagsbeginn maßgeblich verzögert hatte, war nach Frankreich geflo­ hen und konnte daher am Naumburger Tag nicht teilnehmen46. Auf 42

Pflüger, Kommissare, 321f (wie Anm. 8); Löning, Erbverbrüderungen (wie Anm. 18), 41f. 43 RTA. Jüngere Reihe (wie Anm. 41). Bd. 20. Der Reichstag zu Augsburg 1555. Bearb. von Rosemarie Aulinger, Erwein H. Eltz und Ursula Macho­ czek. 4 Teilbde. München 2009, 406f, 426–429, 435ff, 518 u.ö. 44 Vgl. Brandenburg, Erich (Hrsg.): Politische Korrespondenz des Her­ zogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen. Bd. 2: Bis zum Ende des Jahres 1546. ND Berlin 1983, 791–793 (Kurfürst Johann Friedrich/Landgraf Phi­ lipp an Herzog Moritz, 28. August 1546), 796–802, hier: 799 (Ausschuss­ gutachten der Stände des Herzogtums Sachsen, 29. August 1546) u.ö.; vgl. auch die Verwahrungsschrift Kurfürst Johann Friedrichs vom Dezember 1546: Abgetrückte Copey/ Hertzog Johans-Frideriche[n] Churfürste[n] zu Sachssen/ vnd Burggraffen zu Magdeburg. Vorwarung yegen [!] Hert­ zog Moritzen seins Vettern Landtschafften/ zu seiner Churfürstlichen Gnaden vnuormeidlichen vnd genodtrengten Defension [Magdeburg]: [Lotter], 15[46] (http://diglib.hab.de/drucke/t-317-4f-helmst-60s/start. htm?image=00004 ). 45 Hortleder, Friedrich (Hrsg.): Der Römischen Keyser- und Königlichen Maiestät [...] Handlungen und Ausschreiben [...] Von Rechtmässigkeit, An­ fang, Fort und endlichen Außgang des Teutschen Kriegs [...] Vom Jahr 1546 biß auff das Jahr 1558. 2. Aufl. Gotha 1645, Buch VI, Kap. 14 (Friedensver­ trag vom 11. September 1553) (da die Paginierung mitunter fehlerhaft und in den verschiedenen Ausgaben zudem uneinheitlich ist, wird nach Buch und Kapiteln zitiert). 46 Die wichtigsten Quellen zum „Kriegswesen“ des Markgrafen (1553–1558) sind dokumentiert in Hortleder, Rechtmäßigkeit (wie Anm. 45), Buch VI, dort auch die Achterklärung vom 1. Dezember 1553 (Kap. 16); vgl. auch RTA, Jüngere Reihe, Augsburg 1555 (wie Anm. 43), 61–70, 101–109.

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der Grundlage der Verträge von 1487 und 1537 erneuerten die An­ wesenden vor uns und all unser Erben und Nachkommen (78) die Erbeinung zum dritten Mal und wählten hinsichtlich des geächte­ ten Albrecht Alcibiades die identische Lösung, die es schon 1537 ermöglicht hatte, allem (religions-)politischen Dissens zum Trotz, die Einung zu erneuern. Wiederum wurde in einem Transfixbrief geregelt, dass Albrecht, wiewohl er nicht persönlich in Naumburg habe anwesend sein können, als der Einung unter folgenden Bedin­ gungen zugehörig zu betrachten sei: Wenn er die kaiserliche und königliche Huld ebenso wieder erlangt habe wie seine vorige Großväterliche Land und Leuthe im Burggraffthum Nürnberg (83) und er sich außerdem verpflichtet habe, der ihm im Rahmen der Einung obliegenden Hilfspflicht nachzukommen. 2. Inhalte der Erbeinungsverträge Unterzieht man die zwischen 1451 und 1555 geschlossenen Erb­ einungsverträge einer inhaltlichen Analyse, so ist deren hervor­ stechendstes Merkmal, dass allen fundamentalen Transforma­ tionen der politischen Ordnung des Reiches in dieser Zeit zum Trotz die vereinbarten Inhalte nur (im zweiten Abschnitt ge­ nauer zu erörternden) marginalen Veränderungen unterlagen. Die Landfriedenswahrung und die in der ersten Hälfte des 16. Jahr­ hunderts sich immer weiter differenzierenden Regelungen zu deren Handhabung durch die Reichskreise47 hatten offenkun­ dig keinerlei Auswirkungen auf die in den Erbeinungen gere­ gelte Friedewahrung im sächsisch-brandenburgisch-hessischen Raum. Dieser Befund erstaunt umso mehr, als die Reichskreise als Institutionen der Friedewahrung auf der gleichen räum­ lichen Handlungsebene angesiedelt waren wie die Erbeinungen und zudem den regierenden Fürsten der Häuser Hessen, Sach­ sen und Brandenburg im oberrheinischen, ober- und niedersäch­ 47

Knapper entwicklungsgeschichtlicher Abriss bei Haug-Moritz, Gabriele: Grafenvereine und Reichskreise in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In: Adel in Hessen. Herrschaft, Selbstverständnis und Lebensführung. Hrsg. von Eckart Conze, Heide Wunder und Alexander Jendorff. (Ver­ öffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen, 70) Marburg 2010, 149–167, hier: 151–158, 162–167.

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sischen Kreis seit 1532 als kreisausschreibenden Fürsten eine he­ rausgehobene Funktion bei der Landfriedenswahrung zukam. Eine Betrachtung des personalen und zeitlichen sowie räumlichen Geltungsbereiches der Erbeinungen und ein Blick auf die durch sie geregelten Inhalte soll es abschließend erlauben, diese erstaunliche Beobachtung zu deuten und zu einer differenzierteren Einschät­ zung zum Verhältnis von Landfriedenswahrung im Reich und Frie­ dewahrung in Gestalt der Erbeinung zu gelangen, das bislang als Konkurrenzverhältnis48 vorgestellt wird. 2.1 Personale und räumliche Geltung Bereits die Betrachtung der Genese und der Erneuerungen der Erbei­ nungen – nach dem Tod aller Vertragspartner (mit Ausnahme derjeni­ gen von 1555) und auf persönlich besuchten Tagen – hat verdeut­licht, welch zentrale Bedeutung den Personen der Vertragschließenden zu­ kommt. Diese an die Person des Fürsten gebundene Komponente wird noch evidenter, wenn man auf die inhaltliche Seite der Verträ­ ge schaut, steht die um die Personen der Fürsten zentrierte Dimen­ sion der Erbeinung doch im Widerspruch zu ihrer, in allen Verträgen begegnenden Charakterisierung als rechten ewigen Erbeynung (1451: 446; 1555: 78), welche die Fürsten für sich und ihre Erben und Nach­ kommen schließen. Dass diese Charakterisierung jedoch nicht hin­ länglich war, die Verbindlichkeit des Verabredeten auch für die Er­ ben und Nachkommen zu gewährleisten, zeigt die Vorgeschichte der Erneuerung der Einung von 1537 und die, ebenfalls in allen Ver­ trägen, aufscheinende Bestimmung, dass alle über vierzehnjährigen manlich eelich leibeslehenserben (1451: 450; 1555: 82), wenn sie von einem oder mehreren anderen Vertragspartnern dazu angehalten wer­ den, die Einung geloben und (be)schwören (ebd.) sollen. Geltung er­ langte die Abrede also nur durch die persönliche Verpflichtung, wo­ bei, wie die Antwort Markgraf Georgs von 1533 zeigt, der Schwur des ältesten Bruders auch seine mitregierenden Brüder band. Die Form des Schwurs, leiplich mit aufgerackten fingern zu den Heiligen beziehungsweise, seit 1537, zu Gott (1451: 451; 1555: 82), unterstrich den auf die Person des Fürsten ausgerichteten Charakter49 ebenso wie 48 49

Pflüger, Kommissare (wie Anm. 8), 312, 317f, 326. Zum leiblichen Eid und dessen Verhältnis zur Schriftlichkeit im Kontext des frühneuzeitlichen Lehenswesens vgl. Stollberg-Rilinger, Barbara:

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die Funktion, die den gesiegelten Urkunden zugeschrieben wurde. Nicht sie stellten die Verbindlichkeit her, sondern das Ritual des kör­ perlichen Eides. Die Urkunden konservierten die darauf beruhende Geltung „nur“ für die Zukunft (1451: 451; zu merer Urkunde, ewiger bekenntnuzs und steter bevestigung; 1555: 83). Folgerichtig sind die Semantiken von Liebe, Freundschaft und Brüderlichkeit, die die Verträge durchziehen, solche, die (auch und gerade) in fürstlichen Fa­ milien eine umfassende wechselseitige Beistandsverpflichtung und affektive Bindung implizierten, deren Umfang im einzelnen jedoch verhandelbar war beziehungsweise im Falle der Erbeinungen aus­ verhandelt worden war50. Sie gehören, neben der Lehenstreue, die in der Erbeinung in der, an den Lehenseid angelehnten Form der Eides­ leistung aufgerufen wird, zu den altüberkommenen fundamentalen Konzepten sozialer Kohäsion51. Die Forschung ist sich einig, zwischen wem diese auf Friede und Einigkeit gerichteten, in den Erbeinungen entgegentretenden Sozi­ albeziehungen hergestellt wurden, wenn sie Erbeinungen als dynas­ tische Verbindungen beschreibt52. Die Quellen freilich falsifizie­ ren diese Sicht. Nicht die (erstmals 1555 so bezeichneten) „Häuser“ verpflichteten sich auf die Inhalte der Erbeinungen, sondern die Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Al­ ten Reiches. München 2008, 210–217. 50 Van Eickels, Klaus: Der Bruder als Freund und Gefährte. Fraternitas als Konzept personaler Bindung im Mittelalter. In: Die Familie in der Gesell­ schaft des Mittelalters. Hrsg. von Karl-Heinz Spiess. (Vorträge und For­ schungen, LXXI) Sigmaringen 2009, 195–222, hier: 218. Erst wenn sich Freundschaft und Verwandtschaft in der Liebe zum Bruder miteinander verbinden, wird sie zu einer uneingeschränkt positiv konnotierten Sozialbeziehung; ebd., 222. Vgl. auch (mit der Forschungsdiskussion) Müller, Freundschaft (wie Anm. 7), 37–48, 55–59, 66–75. 51 Van Eickels, Bruder (wie Anm. 50), 221; Schneidmüller, Bernd: Zusam­ menfassung II. In: Träger und Instrumentarien des Friedens im hohen und späten Mittelalter. Hrsg. von Johannes Fried. (Vorträge und Forschungen. Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte, 43) Sigmaringen 1996, 599–608, hier: 604, streicht als Charakteristikum der spätmittelalter­ lichen Friedewahrung heraus, dass Frieden innerhalb sozialer Verbände, Frieden zwischen Gruppen und Reichen […] nicht verbindlich, nicht hegemonial zu gewährleisten war. 52 Komatsu, Landfriedensbünde (wie Anm. 8), 9; Pflüger, Kommissare (wie Anm. 8), 312; Müller, Freundschaft (wie Anm. 7), 88; Ott, Präzedenz (wie Anm. 7), 21.

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königlichen Lehensträger und deren (Leibslehens-)Erben, die be­ zeichnenderweise in der Intitulatur mit den Titeln, die ihnen in den königlichen Lehensbriefen gegeben werden, aufscheinen53. Dass Erzbischof Hermann IV. von Köln (1449/50–1508) aus dem Haus Hessen-Brabant sich 1487 gesondert auf die einen Monat zuvor verlängerte Erbeinung verpflichtete und diese Verpflichtung „nur“ durch den Austausch gesiegelter Urkunden bekräftigt wurde, un­ terstreicht diesen Befund weiter54. Damit aber erscheint die Genese der Einung 1451, der „verspäte­ te“ Beitritt Hessens, das Verhältnis von Erbeinungen und -verbrü­ derungen und auch die Funktion, die die Erbeinung für die Fürsten besaß, in einem neuen Licht. 1451 verbanden sich zwei Fürsten, die selbst, so Kurfürst Friedrich I. von Sachsen (1412–1464), respekti­ ve deren Vater, Kurfürst Friedrich I. von Brandenburg (um 1371– 1440), mit der sächsischen beziehungsweise brandenburgischen Kurfürstenwürde belehnt worden waren, deren neu errungene Po­ sition jedoch (aus unterschiedlichen Gründen) fragil war55. Die In­ 53

Dies lässt sich besonders einfach für die Brandenburger im Jahr 1487 nach­ vollziehen, vgl. Riedel, Adolph Friedrich (Hrsg.): Codex diplomaticus Brandenburgensis […], Des zweiten Haupttheiles […] vierter Band; Des zweiten Haupttheiles […] fünfter Band. Berlin 1847–1848 [im Folgenden: Riedel, CDB], hier: Bd. 5, 437–446; Erbeinung und Willebriefe der Kur­ fürsten von Trier, Mainz und Sachsen zur Belehnung Kurfürst Johann von Brandenburgs; Marggraven zu Brandenburg, zu Stetin, Pomern, der Cassuben und Wenden Herzogen, Burggraven zu Nürnberg und Fürsten zu Rügen (z.B. 440). Die Karte der Erbeinung bei Haug-Moritz, Gabriele: Dynastie, Region, Religion. Kurfürst Johann Friedrich, die Herzöge Hein­ rich und Moritz von Sachsen und der Schmalkaldische Bund von seiner Gründung bis zum Ausbruch des Schmalkaldischen Krieges (1530–1546). In: Glaube und Macht. Sachsen im Europa der Reformationszeit. Aufsatz­ band zur 2. sächsischen Landesausstellung. Hrsg. von Harald Marx, Eck­ hard Kluth und Cecilie Hollberg. Dresden 2004, 112–123, hier: 116, die auch Kurfürst Albrecht als Angehörigen der Erbeinung ausweist, ist dem­ entsprechend zu korrigieren. 54 SHSTAD (wie Anm. 21) Loc. 8025, Erbeinigung und Erbverbrüderung an. 1431 usq. 1555, fol. 59–61 (Konzept der Urkunde, 27. Juni 1487). 55 Zum sächsischen Bruderkrieg vgl. oben; zu den Folgen der Belehnung mit der Kurmark Nolte, Cordula: Familie, Hof und Herrschaft. Das ver­ wandtschaftliche Beziehungs- und Kommunikationsnetz der Reichsfürsten am Beispiel der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach (1440–1530). (Mit­ telalter-Forschungen, 11) Ostfildern 2005, 72–76.

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halte der Erbeinung, über die später zu handeln ist, vor allem aber der Umstand, dass sie sich als Lehensträger verbanden, die sich ge­ meinsam auf die ausschließliche Sukzession ihrer Söhne verstän­ digten56 und 1457 zudem intendierten, indem einerseits Landgraf Ludwig von Hessen in die Erbeinung aufgenommen und anderer­ seits die sächsisch-hessische Erbverbrüderung um die brandenbur­ gischen Lehensträger erweitert wurde, die Sukzession der Söhne nicht nur in den eigenen Lehen, sondern auch wechselseitig ver­ bindlich zu machen, bedeutete eine erhebliche Konsolidierung des neu geschaffenen Lehensverbandes. Die Erbeinung bot demnach von Anbeginn (und so lange sie fortgeschrieben wurde) den als kö­ niglichen Lehensträgern verbündeten Fürsten die Gewähr, ihren durch die Samtbelehnungen57 geschaffenen lehnsrechtlichen Hand­ lungsraum allen (potentiellen) biologischen Wechselfällen zum Trotz für sich selbst und ihre männlichen Nachkommen wech­ selseitig zu einem gemeinsamen politischen Gestaltungsraum zu machen. Die Beobachtung, dass sich die Fürsten als königliche Lehensträ­ ger und nicht als Landesherrn verbanden, findet auch in der Be­ stimmung des physischen Raums, für den die Abrede gelten sollte, seine Entsprechung. Worauf schon die Erwähnung des Burggrafen­ tums Nürnberg (und eben) nicht des Markgrafentums BrandenburgKulmbach im Albrecht Alcibiades betreffenden Transfixbrief des Jahres 1555 gedeutet hat, bestätigt sich bei der genaueren Betrach­ tung des in den Urkunden erwähnten Raums, in dem die inhalt­ 56

Der Begriff „Leibslehenserben“ kommt im beginnenden 15. Jahrhundert auf. Er ist vor allem gegen die im 14. Jahrhundert zutage tretenden Erb­ ansprüche der Frauen- und Seitenverwandten gerichtet und intendiert, die alte Deszendenten-Lehnfolge in männlicher Linie gegenüber solchen neueren Bestrebungen zu verteidigen; Diestelkamp, Bernhard: Lehnrecht und spätmittelalterliche Territorien. In: Der deutsche Territorialstaat im 14. Jahrhundert. Hrsg. von Hans Patze. 2. Aufl. Sigmaringen 1986, 65–96, hier: 72; vgl. auch Spiess, Karl-Heinz: Lehnsrecht, Lehnspolitik und Lehnsver­ waltung der Pfalzgrafen bei Rhein im Spätmittelalter. (Geschichtliche Lan­ deskunde, XVIII) Wiesbaden 1978, 115ff. 57 Zu den Samtbelehnungen vgl. Löning, Erbverbrüderungen (wie Anm. 18), 17ff u.ö.; Nolte, Familie (wie Anm. 55), 75, 82, die auf der Grundlage der Studien von Seyboth betont, dass die Aufrechterhaltung des von den bran­ denburgischen Fürsten regierten Lehensverbandes, vor allem seit 1486, ein virulentes Problem gewesen sei.

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lichen Regelungen der Erbeinung gelten sollen. In einer Zeit wie der, in der die Erbeinung erstmals verabredet wurde, in der Termini wie Landeshoheit und Landesherrschaft anachronistische Begriffe wa­ ren (und bis 1555 offenkundig blieben)58, ist bei der Umschreibung des Raumes die auch in den Belehnungen aufscheinende additive Reihung59 von Titeln und Rechten das Mittel der Wahl. Und so fin­ det sich in den Urkunden kein Begriff häufiger als der unpolitische […] Raumbegriff 60 des „Landes“, der in seiner personal orientierten Variante als die Paarformel „Land und Leute“ entgegentritt bezie­ hungsweise in verschiedenen Kombinationen in Aufzählungen – zum Beispiel Landen, Schlössern, Städten und Gebieten; Fürstentümern, Herrschaften, Landen und Leuten (1555: 79) – begegnet. Dass die Feudistik seit den ausgehenden 1530er Jahren dem Lehensträ­ ger, unabhängig davon, ob Dritte die Hochgerichtsbarkeit innehat­ ten oder nicht, ein territoriales Recht am ganzen Lande61, mit dem er belehnt wurde, zusprach, unterstützte den lehnsrechtlich fundierten Ordnungsanspruch der Einungsverwandten weiter. Dass die Erbeinungen trotz ihren Wurzeln im Reich als Lehens­ verband dennoch integraler Bestandteil des Wandels fürstlicher Herrschaft, wie er sich vom 15. zum 16. Jahrhundert vollzog, wa­

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Schubert, Ernst: Fürstliche Herrschaft und Territorium im späten Mittel­ alter. (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 35) München 1996, 52–61. 59 So etwa wurden die Brandenburger Markgrafen Johann, Friedrich und Sigmund 1487 belehnt mit dem Churfürstenthum […], Furstenthumen, Graue­ schafften, Herrschaften Schlossen, Steten, landen, leuten mit allen und iglichen iren herlicheidten obern und niddern, mannen, manschefften, lehen, lehenschefften, geistlichen und werntlichen [sic] an gefellen, rechten, nutzen und zcugehorungen (Riedel, Codex [wie Anm. 53], II/5, 440f); Schubert, König (wie Anm. 12), 305f. 60 Schubert, Ernst: Vom Gebot zur Landesordnung. Der Wandel fürstli­ cher Herrschaft vom 15. zum 16. Jahrhundert. In: Die deutsche Reforma­ tion zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Thomas Bra­ dy. (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien, 50) München 2001, 19–61, hier: 50; vgl. auch Schubert, Ernst: Der rätselhafte Begriff „Land“ im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. In: Concilium medii aevi 1 (1998), 15–27 (http://cma.gbv.de/dr,cma,001,1998,a,02.pdf ). 61 Willoweit, Dietmar: Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt. Landesob­ rigkeit, Herrschaftsrechte und Territorium in der Rechtswissenschaft der Neuzeit. (Forschungen zur Deutschen Rechtsgeschichte, 11) Köln, Wien 1975, 52–55, hier: 54.

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ren und sie zugleich die Grauzone62 dieses Wandels erhellen, dafür steht ein weiterer leitmotivisch wiederholter Begriff, der sich be­ zeichnenderweise in den Lehnsurkunden nicht findet – derjenige des „Gebietes“. Dass Gebot und Gebiet zusammenhängen, dass das durch Gebot geschaffene Gebiet sich aber erst allmählich im Ver­ lauf des 16. Jahrhunderts von seiner personalen Dimension zu lö­ sen beginnt und räumlich exakter abgrenzbare Herrschaftsbereiche, vulgo: Territorien, entstehen lässt, hat uns Ernst Schubert in einer grundlegenden Studie verdeutlicht63. Unverzichtbare Momente die­ ses Veränderungsprozesses waren der Aufbau einer auf Delegation und Schriftlichkeit beruhenden Ämterverfassung und eines mit ge­ lehrten Räten versehenen Kanzleiwesens64. Und auch wenn die Gel­ tung der Erbeinungsinhalte nicht auf diejenigen Räume beschränkt war, die durch die fürstlichen Ämterorganisationen erfasst wurden, sondern sich auf Lehensleute (Mannen)65, Räte (Diener) und Un­ tertanen gleichermaßen erstreckte, so wurde doch den Dienern in den Ämtern eine hervorgehobene Bedeutung zugewiesen, wenn die Verträge bestimmten: Wir obgenanten fursten sullen und wollen auch allen unnsern Amptleuten, wo wir die In unnsern furstenthumen, auff unnsern Slossen, Steten oder anderszwo haben, gebieten ernstlich und vestiglich, diese unnser bruderlich und fruntlich eynunge aufftzunehmen und zu den heiligen – seit 1537: Gott – swern lassen, die also volkomenlich und auffrechtiglich zu halten, und ab unnser Amptmann einer oder mer abgienge von todeswegen oder von uns entsetzt wurden, welchen wir an derselben stat dann setzen, der oder dieselben Amptleute sullen den andern herrn oder Amptleuten In obgeschribner masse globen und swern, als dann die fordern gethan haben In den nechsten viertzehentagen, nach dem tag 62

Schubert, Gebot (wie Anm. 60), 51. Ebd., 33–38. 64 Ebd., 26–33; vgl. auch Männl, Ingrid: Juristenlandschaften im spätmittel­ alterlichen Reich. Zum Wirken gelehrter Juristen im Fürstendienst. In: Das Reichskammergericht im Spiegel seiner Prozessakten. Bilanz und Perspek­ tiven der Forschung. Hrsg. von Friedrich Battenberg und Bernd Schildt. (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, 57) Köln [u.a.] 2010, 331–350 und Lanzinner, Maximilian: Juristen unter den Gesandten der Reichstage 1486–1564. In: Das Reichskammergericht im Spiegel seiner Prozessakten (wie oben), 351–384. 65 Dass der Begriff „Land“ auch und gerade die fürstlichen Vasallen erfasste, arbeitet Diestelkamp, Lehnrecht (wie Anm. 56), 94f, heraus. 63

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als der oder die gesatzt worden weren ongeurde (1451: 450; 1555: 8266)67. Wie die Personen der erbeinungsverwandten Fürsten als kö­ nigliche Lehensträger sich in der für sie verbindlichsten Form auf die Inhalte der Erbeinung verpflichteten, so war es das Bestreben, der Erbeinung im Lehensverband der Fürsten Geltung zu verschaf­ fen, das allmählich aus einem räumlich wenig präzise umrissenen Geltungsbereich die administrativ erfassten Räume heraushob und auch und gerade in der Realisierung der materiellen Bestimmungen der Erbeinung, den Boden bereitete, der es in der Zeit um 1600 er­ laubte, das juristische Konstrukt der Landeshoheit zu entwickeln. Dass die Erbeinung wie auch die anderen Erbeinungsabreden erst seit der Zeit um 1600 nicht mehr erneuert wurden, macht auf die „lange Dauer“ dieses Transformationsprozesses aufmerksam. 2.2 Inhaltliche Regelungen Umfänglich sind die Regelungen, die die Gewähr dafür bieten sol­ len, dass das Ziel erreicht wird, Friede und ewige Ruhe für Land und Leute zu bewerkstelligen und damit den gemeinen Nutzen zu befördern. Verschiedene Regelungsbereiche, die hier in der Reihen­ folge, in der sie in den Vertragsurkunden aufscheinen, abgehandelt werden, lassen sich unterscheiden. a) Die Erbeinung als Fehdegenossenschaft (1451: 446f; 1555: 79f) Nachdem eingangs die vertragschließenden Fürsten ihre, den zu­ grunde gelegten Normen entsprechende umfassende gegensei­ tige Hilfs- und Beistandspflicht bekräftigen68, folgt ein erster um­ Seit 1487 wird präzisierend bestimmt, dass die Eidleistung durch unser jeden, also wenn unser aller wegen, würcklich genommen werden (1555: 82). 67 Am Rande angemerkt: Hier liegt – jenseits des Inhaltlichen – eine der zentralen Differenzen der Erbverbrüderungen und Erbeinungen. Die Huldigung bei den Erbverbrüderungen, die seit 1457 vorgesehen waren (SHSTAD [wie Anm. 21] Loc. 8025, Erbeinigung und Erbverbrüderung an. 1431 usq. 1555, fol. 14–17; Löning, Erbverbrüderungen [wie Anm. 18], 27–32; Müller, Freundschaft [wie Anm. 7], 92–98, 142f), waren zwar auch von den Amtleuten zu leisten, aber nicht nur von diesen. 68 Van Eickels, Bruder (wie Anm. 50) arbeitet heraus, dass es gerade die Se­ mantiken von Brüderlichkeit, Liebe und Freundschaft waren, die ein Ver­ halten einforderten, das über den minimale[n] Kern der Liebe zu Bruder, 66

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fangreicher Regelungsbereich, durch den die Fürsten die Fehde in ihren Landen unterbinden wollen. Wie auch in Landfriedensbün­ den stehen die Begriffe „Feind“ beziehungsweise „Räuber“ und „Knechte“ für einen umfassend definierten Täterkreis, der nicht nur diejenigen, die zur Fehde berechtigt erschienen, sondern auch diejenigen, deren Einsatz physischer Gewalt kriminalisiert wurde, umfasste69. Die Zusage, dass weder einer des anderen Feind wer­ de, noch dass die Fehdeführenden unterstützt würden (hausen, hegen, schirmen, noch den einigerley Zulegunge, Fürderung, Hülff und Rath thun; 1451: 446f; 1555: 79)70, wird für die Vertragschlie­ ßenden selbst, aber auch für deren Mannen, Diener und Untertanen (ebd.) getroffen71. Ein besonderes Augenmerk gilt – und dies ist ein unmittelbarer Reflex auf die Entstehungssituation der Ei­ nung zu Zeiten des „sächsischen Bruderkrieges“ – den fehdefüh­ renden Dienern 72. Verpflichteten sich die Fürsten gegenüber allen Fehdeführenden zur gegenseitigen Nacheile, deren Kosten (Es­ sen, Trinken und Futter) derjenige zu tragen hatte, der die Hilfe anforderte73, so wurden die Bestimmungen hinsichtlich der fürst­ lichen Diener noch weiter spezifiziert. Diener durften nur dann in die fürstlichen Dienste treten, wenn sie gegen niemanden in Fehde oder Unwillen standen beziehungsweise unterlagen, wenn sie be­ reits in Diensten standen, der Gerichtsgewalt ihres Dienstherrn74. Freund, Vater und Mutter […] die negative Treue (205), d.i. das Unterlas­ sen schädigender Handlungen, hinausgeht. 69 Carl, Schwäbischer Bund (wie Anm. 8), 425f. 70 Vgl. Kaufmann, Fehde (wie Anm. 8), 78–83. 71 Zur Virulenz dieses Problems vgl. Brunner, Otto: Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittel­ alter. 5. Aufl. Wien 1965 (ND Darmstadt 1990), 55–62. 72 Rogge, Herrschaftsweitergabe (wie Anm. 20), 207–210. 73 Zur Nacheile, im Falle der Erbeinung bis zu 14 Tagen nach der Tat, vgl. Buschmann, Arno: Landfriede und Landfriedensordnung im Hoch- und Spätmittelalter. Zur Struktur des mittelalterlichen Landfriedensrechts. In: Landfrieden. Anspruch und Wirklichkeit. Hrsg. von Arno Buschmann und Elmar Wadle. (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft. Neue Folge, 98), Paderborn [u.a.] 2002, 95–121, 109– 113; Kaufmann, Fehde (wie Anm. 8), 39–42, 44f, 50–53. 74 Zur, dem Lehnsrecht entlehnten Formel „zu Ehren und Recht mächtig sein“ vgl. Deutsches Rechtswörterbuch: http://www.rzuser.uni-hei­ delberg.de/~cd2/drw/e/ma/chti/machtig.htm (bevollmächtigt, verfügungsberechtigt; Rechtsmacht, Entscheidungs- und Vertretungsbefug-

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In allen Erbeinungsverträgen sind diese Bestimmungen identisch, einzig der Transfixbrief des Jahres 1537 konkretisierte hinsicht­ lich der Fehdeführung der Vertragschließenden, dass unser keyner der obgemelten Erbeynungsverwandten Chur und Fürsten des andern feindt werden soll, umb niemandts noch keynerley sachen wollen, die betreffe die Religion oder Ichts anders, wie man des erdencken möchte75. 1555, als sich alle erbeinungsverwandten Fürsten zur „Confessio Augustana“ (CA) bekannten76, entfiel diese Bestim­ mung wieder. b) Die Erbeinung als Hilfseinung (1451: 447f; 1555: 79f) Wie auch für Landfriedenseinungen typisch ist die Wahrung des Friedens zwischen den Einungsverwandten und die gemeinsame Selbstbehauptung der Einungsverwandten gegen außenstehen­ de Dritte unauflöslich verquickt77. Form und Umfang der gegen­ seitigen Beistandspflicht sind umfassend definiert. Hilfe, Rat und Beistand waren auf Aufforderung eines oder mehrerer Fürsten zu leisten, wann immer jemand, wer der wäre, sich anschicke, sie in ihren Fürstenthumen, Herrschaften, Landen und Leuten inhabenden Güthern und Gerechtigkeiten, wo wir die ietzund haben oder zukünfftig gewinnen (1555: 79; so auch 1451: 447) zu beein­ trächtigen. Geschieht diese Beeinträchtigung durch den Einsatz physischer Gewalt, so ist die Hilfe wann wir darzu geheischt werden, ungeverlich mit aller unser jeglichs Macht, ohne Verzug von Stund an, ohne Widerrede, und ohne Erkänntnüs, das heißt ohne vorheriges (wie auch immer geartetes) rechtliches Verfahren (1555: 80; 1451: 447f), zu leisten. In der näheren Bestimmung dieser Mi­ litärhilfe unterscheiden sich nicht nur die beiden Vertragsausfer­ tigungen des Jahres 1451 signifikant, sondern hinsichtlich dieses Aspektes finden sich auch die umfangreichsten Änderungen der Vertragsinhalte. nis besitzend; im Lehnrecht formelhaft: zu Ehren und Recht mächtig sein Gerichtsgewalt, Rechtsmacht über jemanden besitzen). 75 SHSTAD (wie Anm. 21) Loc. 8025, Erbeinigung und Erbverbrüderung an. 1431 usq. 1555, fol. 149f’. 76 RTA, Jüngere Reihe, Augsburg 1555 (wie Anm. 43), 1721ff (Instruktion der in Naumburg versammelten Fürsten für ihre Gesandten am Reichstag, 12. März 1555). 77 Carl, Schwäbischer Bund (wie Anm. 8), 423–426.

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Allen Verträgen eignet die identische umfängliche Reichweite der Hilfspflicht, die auch bei den abschließend zu erörternden Ausneh­ mungen begegnet, nicht jedoch bei dem – und das markiert dessen wichtigste Differenz – nicht tradierten Einungsvertrag von 1451. In diesem Vertrag sollte die gegenseitige Hilfeleistung nicht statthaben, wenn der Widersacher rechtsförmige Gewalt übte und er der Ge­ richtsgewalt eines oder mehreren der erbeinungsverwandten Fürs­ ten unterstand (1451: 453)78. Dass diese Einschränkung der Hilfs­ pflicht unvereinbar mit der Zwecksetzung der Einung war, wird durch die Präzisierung des Kreises derjenigen, gegen die die Hil­ fe zu leisten war, in der fortgeschriebenen Version der Erbeinung deutlich, wenn es heißt, dass gegen alle Gegner es wären Könige, Fürsten, Städte oder andere in waserley Stand und Wesen die seynd (1451: 447f; 1555: 80) die militärische Beistandspflicht Raum grei­ fe. Wurde seit 1487 der Umfang dieser Hilfspflicht zu täglichem Kriege79 kontinuierlich erweitert80, so wurden 1537 umfängliche ‚Verbesserungen‘ vorgenommen, die die Zulegung zu täglichem Wurde auch yemands wer der were, unser furstenthumb, herschafft, lannd oder lewt uberziehen, beschedigen, angreiffen und verunwilligen, wider und ane gebruchung der rechten, wo oder wem unser einer oder mer des andern zcu eren, gleich und rechte mechtig were, wider denselben sullen wir […] beholffen sein. Zum Verhältnis von Krieg, Fehde und Recht im Spätmittel­ alter vgl. immer noch Janssen, Wilhelm: Artikel „Krieg“. In: Geschichtli­ che Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Kosel­ leck. Studienausgabe. Bd. 3. Stuttgart 2004, 567–615, hier: 568–571. 79 Zum Begriff des täglichen Krieges ebd., 571: Streifzüge kleiner Reisigenscharen, die von festen Plätzen (Burgen) aus operierten; vgl. auch Kauf­ mann, Fehde (wie Anm. 8), 72f. 80 Von/Für Sachsen Brandenburg Hessen 78

Sachsen Brandenburg

Hessen



1451: 200 Pf. 1555: 400 Pf./1000 Kn 1555: 400 Pf./1000 Kn — 1555: 300 Pf./850 Kn

1451: 200 Pf[erde]. 1555: 300 Pf./850 Kn[echte] 1457: 100 Pf. 1457: 100 Pf. 1555: 200 1555: 200 Pf./500 Kn Pf./500 Kn



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Krieg den gewandelten Bedingungen der Kriegführung anpassten. Diese Anpassungen fanden allesamt Eingang in die Vertragsabrede von 1555. Im Einzelnen: Wie schon für die Nacheile geregelt, hat­ te auch hinsichtlich der Reisigen derjenige, dem die Hilfe geleis­tet wurde, sobald sie in seinem Land erbracht wurde, die Kosten für Futter und Mahl zu übernehmen. Die Kosten für alles Fuß­volck und Geschütz aber waren vom dem Einungsmitglied zu beglei­ chen, das die Hilfe leistete (1555: 80). Zudem wurde bestimmt, dass, sollten zwei Einungsmitglieder gleichzeitig angegriffen werden, die Hilfe des anderen gleichmäßig zwischen beiden aufzuteilen war (ebd.). Und schließlich wurde der Umfang der Hilfeleistung flexibi­ lisiert: Sollte der Hilfsbedarf weniger umfänglich ausfallen als fest­ geschrieben, so sollte auch weniger Hilfe angefordert werden. Sollte umfangreichere Hilfe erforderlich sein, so sollte es einen Rätetag geben, auf dem über die Höhe der Hilfeleistung zu beraten war. Einzig wenn unredliche Kriege geführt wurden, war man keine Hil­ feleistung schuldig (1451: 449; 1555: 81f). c) Die Erbeinung als Friedens- und Rechtsverband (1451: 448ff; 1555: 80ff) Um Friede und Einigkeit zu gewährleisten, verbündeten sich die Erbeinungsverwandten nicht nur gegen ihre Feinde und Räuber im Innern und ihre äußeren Widersacher, sondern sie trafen auch Bestimmungen, die den Frieden zwischen ihnen aufrechterhalten sollten, indem sie sich auf Verhaltensregeln verpflichteten, die ihre gegenseitigen Rechte schützten. Demzufolge sagten sie zu, weder Hülff noch Rath wider den andern [zu] thun in keine Weise (1451: 448; 1555: 80) noch Schloß, Städte, Leuthe oder Manne in des an­ dern Landen oder Vogteyen gelegen in Verspruch zu nehmen oder ihnen Hülff, Rath oder Beystand [zu] thun. Zudem vereinbarten sie, gemeinsam gegen all diejenigen Untersessen oder Landsessen vor­ zugehen, die uns widersetzig und ungehorsam wären. Lehen, Geld oder Zinse, die in den anderen Ländern gelegen waren, sollten zu­ dem nach Lehen-Recht dem Inhaber der Einkünfte ungehindert zu­ fließen (1451: 448; 1555: 81). Finden sich all diese Regelungen schon im ersten Einungsvertrag, so erfolgte 1537 eine bezeichnende Modi­ fikation der 1451er Bestimmung. Bezog sich das Verbot, Hilfe und Beistand zu tun, 1451 auf Sloss, Stete, Lewthe oder manne (448), so seit 1537 auf Lande und Leute, Schloß, Städte oder Voigtey (1555:

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80). Die Vogteirechte81 aber waren es, die seit 1535 im Zentrum des Dissenses über Art und Umfang des Reformationsrechtes standen, wie sich im unmittelbaren Vorfeld des Zeitzer Tages auf dem Tag zu Schmalkalden erneut in aller Deutlichkeit gezeigt hatte, und sie hat­ ten insbesondere im sächsischen Raum seit 1533 ein hohes Maß an Dissens gezeitigt 82. Diesen und anderen Dissens durch rechtliche Verfahren einzuhe­ gen, ist das Bestreben des letzten, umfänglicheren inhaltlichen Re­ gelungsbereiches. Ständisch differenziert – von den erbeinungs­ verwandten Fürsten bis zu den Bürgern und Bauern – sind die diesbezüglichen Regelungen. Dabei unterlag die rechtliche Kon­ fliktschlichtung zwischen den Vertragsparteien nicht nur sehr weit­ reichenden Veränderungen, sondern sie differierte auch in den bei­ den Fassungen der Verträge von 1451. Lehnte sich die nicht-fortgeschriebene Variante der rechtlichen Konfliktschlichtung zwischen den Fürsten an die auch in ande­ ren Einungen des 15. Jahrhunderts begegnende Form an, so stellt die tradierte, 1555 nur leicht modifizierte Regelung, im Vergleich mit anderen auf Friedewahrung zielenden Einungen eine Ausnahme dar83. Dass man sich auf diese Ausnahme verständigte, dürfte sich aus den Erfahrungen der Unzulänglichkeit dieser altüberkom­ menen Verfahren in den Jahren 1447/48 speisen84. Festgelegt wur­ 81

Zur Vogtei vgl. Stievermann, Dieter: Landesherrschaft und Klosterwesen im spätmittelalterlichen Württemberg. Sigmaringen 1989, 15–49; Schulze, Manfred: Fürsten und Reformation. Geistliche Reformpolitik weltlicher Fürsten vor der Reformation. (Spätmittelalter und Reformation. Neue Rei­ he, 2) Tübingen 1991, 139–142; Willoweit, Rechtsgrundlagen (wie Anm. 51), 69–74. 82 Mentz, Johann Friedrich (wie Anm. 35), Bd. 2, 464–481; Haug-Moritz, Schmalkaldischer Bund (wie Anm. 11), 517–520. 83 Kaufmann, Fehde (wie Anm. 8), 90f; vorgesehen war, anderen Einungs­ verträgen strukturell vergleichbar (ebd., 91–97), dass die in schelung oder zweytracht sich befindenden Fürsten je zwei Räte benennen und die kla­ gende Partei aus den Räten des Beklagten einen zum ‚Obermann‘ wählt. Die vier Räte und der Obermann sollen freuntlich oder mit Recht auf ihre Eide, die sie ihren Herrn geleistet haben, innerhalb von sechs aufeinander­ folgenden Wochen scheiden und entrichten (1451: 454). 84 Die Formulierungen, dass die Räte sich weder um Lieb noch Leid, Gift noch Gabe oder wegen irgendetwas anderem von ihrem Tun abhalten las­ sen sollten und ihnen aus ihrem Tun kein Verdacht, Ungnade und Schaden erwachsen solle (1451: 454), benennen das Problem, das auch bei den

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de nun, dass der Klage erhebende Fürst, dem der Beklagte längstens innerhalb eines Monats Folge zu leisten hatte, sich an den Hof des Beklagten begeben musste, der wiederum seinen Hofstaat in die dem Land des Klagenden nächstgelegene Burg oder Stadt zu ver­ legen hatte. Der Beklagte hatte dem Kläger und (höchstens) 200 Pferden zu diesem Rechts-Tag freies Geleit zu gewähren. Vor (min­ destens) zwölf Preleten und Rete (seit 1537: edlen und andern gelehrten Räthen) des Beklagten hatten die Fürsten zu Rechte [zu] stehen. Konnte innerhalb von sechs Wochen und drei Tagen kein gütlicher Ausgleich erzielt werden, entscheiden die Räte mit einem endlichen Urtheil, dem ohne ferne Weigerung nachzukommen sie sich verpflichteten. Dass noch 1555 keine Appellationsmöglichkeit vorgesehen wurde und noch die Reichskammergerichtsordnung von 1548 die subsidiäre Zuständigkeit des Kammergerichts bei vor­ handenen fürstlichen Austrägen aus dem Jahr 1495 beibehielt85, dass aber der fundamentale Wandel der rechtlichen Umwelt der Einung doch die Akzeptanz des Verfahrens problematisch machte, deu­ tet auf die Stärkung der Verfahrensautonomie86 solcher Rechtstage. Die urteilenden Räte wurden nun ihrer Aide und Pflicht, zu solcher Nothdurfft des Rechten ledig […] und […] zu dem Rechten mit sonderlicher Pflicht, wie sich das gebürt, wiederum veraid[igt] (1451: 449; 1555: 81). Bei Klagen von Mannen oder Dienern gegen einen oder mehreren der einungsverwandten Fürsten hatte der beklagte Fürst dem Kla­ genden innerhalb von drei Monaten durch seine gelehrten Räte Recht sprechen zu lassen. Kam es zu rechtlichen Auseinanderset­ zungen zwischen den Mannen und Dienern, so war das Gericht desjenigen Fürsten zuständig, in dessen Dienst der Beklagte stand beziehungsweise dessen Lehnsherr er war. Rechtsstreitigkeiten zwi­ schen Bürgern oder Bauern untereinander waren vor dem Gericht anhängig zu machen, dem der Beklagte unterstand. Gleichgültig ob Mühlhausener Verhandlungen (4. bis 29. September 1447) begegnete; Rog­ ge, Herrschaftsweitergabe (wie Anm. 20), 173–183. Die rechtshistorischen Wurzeln dieses neuen Verfahrens zu klären, wäre ein sicherlich lohnendes, hier aber nicht zu leistendes Unterfangen. 85 RTA, Jüngere Reihe, Augsburg 1547/48 (wie Anm. 41), 1331f. 86 Zum Begriff vgl. Sikora, Michael: Der Sinn des Verfahrens. Soziologische Deutungsangebote. In: Vormoderne politische Verfahren. Hrsg. von Bar­ bara Stollberg-Rilinger. (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 25) Berlin 2001, 25–51, hier 15–19.

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es sich um Diener, Vasallen oder Untertanen handelte – und diese Bestimmung war für den Umgang mit Kohlhase/Kohlhaas der aus­ schlaggebende – sollten diese, wenn sie in ein Rechtsverfahren für des anderen Fürsten Gerichte für[ge]laden würden, [w]ann dann der Fürste, des die Geladenen oder die Geforderten wären, sie anforderte und begerte, an dessen Gericht gewiesen werden (1451: 449f; 1555: 81f). d) Ausnehmungen Ausnehmungen waren ein konstitutives Merkmal spätmittelalter­ licher und frühneuzeitlicher Einungen. Sie wurzelten im Lehns­ recht und waren das funktionale Äquivalent zum Treuevorbehalt des Lehnsmanns gegenüber seinem Lehnsherrn bei Mehrfachvasallität 87. Ausnehmungen scheinen in zweifacher Form in den Ei­ nungsurkunden auf: Zum einen findet sich die Bestimmung, dass die Erbeinung bei allen künftigen Bündnisabreden auszunehmen war, in allen seit 1451 geschlossenen Erbeinungsverträgen (1451: 447; 1555: 79) und entfaltete in dieser Form auch Wirkmächtig­ keit88. Zum anderen aber, und dies war für die Einungen folgen­ reicher, da sie Bündnisse, wie es Landgraf Philipp 1538 formu­ lierte, zu einem (mehr oder weniger) löcherigen Ding machten89, enthielten die Verträge auch Bestimmungen hinsichtlich des Per­ sonenkreises, den die Einungsverwandten selbst ausnahmen. Die­ se Ausnehmungen begegnen in zwei Varianten, entweder als so­ genannte freie Ausnehmung, die den Betreffenden als Person und Amtsträger ausnahm, oder als beschränkte Ausnehmung, die die Realisierung der Vertragsinhalte nur gegenüber der Person, nicht aber gegenüber dem Amt, das diese Person versah, aussetzte90. Bis 1537 begegnen Ausnehmungen in Form der freien Ausneh­ mung. Gegenüber dem Papst und, wie es 1451 präzise formuliert 87

Haug-Moritz, Schmalkaldischer Bund (wie Anm. 11), 87f; vgl. grundsätz­ lich Böttcher, Diethelm: Ungehorsam oder Widerstand? Zum Fortleben des mittelalterlichen Widerstandsrechtes in der Reformationszeit. (Histo­ rische Forschungen, 46) Berlin 1991, 15–18, 29–31; Schubert, König (wie Anm. 12), 273f. 88 Carl, Schwäbischer Bund (wie Anm. 8), 82–93. 89 Haug-Moritz, Schmalkaldischer Bund (wie Anm. 11), 88. 90 Ebd.

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wird, unnsern allergnedigisten [Lehens]herren keyser fridrichen, sein person und sein keyserliche wirde (1451: 450) hatten die Ab­ reden nicht statt. 1537 wurde, wie dargelegt, die Ausnehmung des Papstes hinfällig. Der kaiserliche Lehensherr Karl wurde in der gleichen Form ausgenommen wie schon sein Urgroßvater, der rö­ mische König Friedrich aber nur von wegen seines Römischen Königlichen Ambts (1555: 82) und nicht weiter, wie Feige 1537 bekräf­ tigend hinzusetzte91. 3. Friedewahrung im Land und Landfriedenswahrung im Reich Erbeinungen sind, so lässt sich für das Beispiel der sächsisch-bran­ denburgisch-hessischen Erbeinung resümieren, Elemente der Frie­dewahrung im Reich, die für das Alte im Neuen, für die Un­ gleichzeitigkeit des Gleichzeitigen in der formativen Phase der Reichsverfassung stehen. Sie werfen in ihrer auf die Personen der regierenden Fürsten bezogenen und im Reich als Lehensverband wurzelnden Fundierung sowie in ihrer nur marginalen Adaptati­ on an die sich, gerade im Bereich der Friedewahrung, grundsätz­ lich wandelnde Umwelt ein bezeichnendes Schlaglicht auf die „lan­ ge Dauer“ des Verfassungswandels. Die Erbeinung als Fürstengenossenschaft92, die in einem Teil des Reichslehensverbandes Friede und Einigkeit gewährleisten und da­ mit zugleich die lehnsherrliche Position der Agnaten konsolidieren wollte, steht für die gleiche wechselseitige Verschränktheit genos­ senschaftlicher und kaiserlicher Bestandteile der Verfassungsord­ nung, wie sie als konstitutiv für die Landfriedensbünde beschrieben wurde93. Sie ist freilich auf einer anderen, älteren Schicht der politi­ schen Ordnung des Reiches angesiedelt. In den Erbeinungen tritt ein genuin mittelalterliches Verständnis des innerweltlichen Friedens entgegen, das nicht auf den Landfrie­ den („pax generalis“), der sich bezeichnenderweise als Begriff in den Erbeinungsverträgen nicht findet, bezogen ist, sondern durch 91

SHSTAD (wie Anm. 21) Loc. 8025, Erbeinigung und Erbverbrüderung an. 1431 usq. 1555, fol. 156’. 92 Schubert, König (wie Anm. 12), 313f. 93 Grundlegend Carl, Schwäbischer Bund (wie Anm. 8), 501–511.

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eine „pax specialis“ in einer friedlosen Welt unitas, securitas und tranquillitas schaffen und bewahren will94. Dieser Friedensbegriff ist in all seinen Dimensionen, in denen er seit dem Spätmittelal­ ter begegnet95, in den Erbeinungen präsent: Dass kein Friede ohne Einigkeit („unitas“) denkbar ist, dafür steht die Einung als solche, die Semantiken von Liebe, Freundschaft, Bruderschaft, aber auch der auf ein Höchstmaß an Verbindlichkeit zielende Charakter der persönlichen Verpflichtung der Fürsten. Dem Frieden als Waffenruhe im Rechtsstreit, der Fehde 96, das heißt die „Tranquillitas pa­ cis“, verschreiben sich die Einungsverwandten als Fehdegenossen. Die Herstellung und Aufrechterhaltung der Justitia, gegenüber al­ len, die innerhalb wie außerhalb der Einung die Sicherheit des Frie­ dens gefährden – das intendieren die Fürsten, wenn sie sich gegen­ seitige militärische Unterstützung zusagen, aber auch, wenn sie verabreden, Recht und Gerechtigkeit untereinander, aber auch ge­ genüber ihren „Untertanen“ walten zu lassen. Und auch wenn die­ se ältere Schicht der Friedenssicherung im frühneuzeitlichen Reich von den „neuen“, auf den Landfrieden bezogenen Bünden gerade in den inhaltlichen Regelungsbereichen nicht grundsätzlich differiert und mittels der Konzeption Frieden durch Recht 97 auch im Reichs­ verband ein dauerhafter Zustand der Gewaltlosigkeit bewerkstel­ ligt werden sollte98, so sind doch die neueren Formen der Landfrie­ denswahrung nicht aus den älteren Formen der Friedenswahrung, wie sie in der Erbeinung begegnen, ableitbar oder substituieren die­ se, sondern sie stehen neben ihnen. Dass noch die RKG-Ordnung von 1548 die gewillkürten fürstlichen Austräge als jenseits der Zu­ ständigkeit des Kammergerichts stehend ausweist, verdient in die­ sem Zusammenhang nochmals hervorgehoben zu werden. Nicht konkurrierend, sondern subsidiär verhalten sich, bis in die Zeit um 1600, die Friedewahrung im Land und die Landfriedenswahrung im Reich. Zu untersuchen, wie sich diese Subsidiarität in praxi dar­ 94

95 96 97 98

Janssen, Wilhelm: Artikel „Friede“. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck. Studienausgabe. Bd. 2. Stuttgart 2004, 543–591, hier: 552, 554. Ebd., 551–556. Ebd., 553. Scheurmann, Ingrid (Hrsg.): Frieden durch Recht. Das Reichskammer­ gericht von 1495 bis 1806. Ausstellungskatalog. Mainz 1994. Lanzinner, Zeitalter (wie Anm. 9), 47–55.

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stellt, wäre, so hoffe ich verdeutlicht zu haben, ein lohnendes, hier allerdings nicht zu leistendes Unterfangen. Das Wenige aber, was wir bislang darüber wissen, deutet darauf, dass die auf der Grund­ lage der Erbeinung erfolgende Friedewahrung, die sich in zahl­ losen Korrespondenzen, Missionen von Räten und mitunter auch, wie 1537, in persönlicher Beteiligung der Fürsten an der Konflikt­ schlichtung niederschlug, ein wesentliches Moment war, die An­ wendung physischer Gewalt, nicht nur diejenige eines Kohlhaase, einzudämmen.99

Anhang Überlieferung der sächsisch-brandenburgisch-hessischen Erbeinung (1451/57–1555) Datum 1451-01-27

1457-04-30

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Ausferti­ gungen des SHSTAD Ältere Urkunden 10001 Nr. 7188a, b

Ebd. Nr. 7532a, b

Abschriften in SHSTAD Druck und ThHSTAW a) Loc. 8025, Erbeini­ gung und Erbverbrüde­ rung an. 1431 usq. 1555, fol. 133–139; 51–55’ (no­ tariell beglaubigte Ab­ schrift);

Fassung 1: Riedel, CDB II/4100, 445–451 (nach gesiegeltem Dresdner Original)

Fassung 2: Ebd., 451– 456 (nach gesiegeltem Original). b) ThHSTAW Nachlass Dresdner Hortleder, Nr. 11, fol. Diese Fassung wird nicht weiter tradiert. 12–19’ Riedel, CDB II/5101, 26f; Posse, Hausgeset­ ze, Tafel 84102

Die im Kontext der Erbeinungen stehenden friedewahrenden Aktivitäten finden vereinzelt in den hier herangezogenen Archivbeständen ihren Nie­ derschlag, vor allem aber sind sie in den, sich nicht zuletzt im Vorzeichen des Religionsdissenses erheblich intensivierenden Korrespondenzen zwi­ schen den erbeinungsverwandten Fürsten zu greifen; vgl. vorläufig Mentz, Johann Friedrich (wie Anm. 35), Bd. 2, 565–562; daneben Hülsse, Streit (wie Anm. 35) und auch die quellennahe Arbeit zum historischen Kohlhase von Burkhardt, Kohlhase (wie Anm. 6).

Frieden im Land – Die sächsisch-brandenburgisch-hessische Erbeinung

Datum 1461-12-03

1487-05-23

Ausferti­ gungen des SHSTAD Ebd., Nr. 7744



1537-03-17

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Abschriften in SHSTAD Druck und ThHSTAW Loc. 8025, Erbeinigung und Erbverbrüderung an. 1431 usq. 1555, fol. 12f (zeitgenössische Foliie­ rung) Loc. 8025, Erbeinigung Riedel, CDB, und Erbverbrüderung 437–440 an. 1431 usq. 1555, fol. 48b–48d; 49–50’

II/5,

Loc. 8025, Erbeinigung und Erbverbrüderung an. 1431 usq. 1555, fol. 149e–g

1537-03-19

Ebd., Nr. 10839

ThHSTAW Nachlass Hortleder, Nr. 11, fol. 38–41’

1555-03-09

Ebd., Nr. 11530a, b, c

Loc. 8025, Erbeinigung Lünig, Reichs-Archiv, und Erbverbrüderung II, 4/2103, 77–83 an. 1431 usq. 1555, fol. 207–228

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Vgl. Anm. 53. Vgl. ebd. 102 Posse, Otto: Die Hausgesetze der Wettiner bis zum Jahre 1486 […]. Leip­ zig 1889. 103 Vgl. Anm. 28. 101

ZUR FRIEDENSPROBLEMATIK AUF DEN REICHS­ TAGEN KAISER MAXIMILIANS I. (1493–1519) von Dietmar Heil, Regensburg Die Darstellungen der Reichstagsverhandlungen zum Komplex Frieden und Sicherheit in der Zeit Maximilians  I. konzentrieren sich im Wesentlichen auf den Reichsreformaspekt, das heißt sie sind zugespitzt auf eine als Ringen um die künftige Staatlichkeit des Reiches verstandene Auseinandersetzung zwischen Reichs­ oberhaupt und Reichsständen um die Ausgestaltung von Judika­ tive und Exekutive1. Dies war zweifellos ein wichtiger Aspekt der Verhandlungen, doch ist damit nur ein Teil des Friedensproblems erfasst. Es war – über das von der ständischen Opposition herge­ stellte Junktim von Reichshilfe und Verfassungsfragen hinaus – mit (1.) dem Problem der Sicherheit nach außen verknüpft. Zudem blieb die befriedende und stabilisierende Funktion (2.) der Reichs­ tagsbeschlüsse zur verfassungsmäßigen Neuregelung von Land­ frieden und Reichsjustiz für den Reichsverband vorläufig begrenzt. Der Reichstag leistete in dieser Hinsicht jedoch deutlich mehr. Das versammelte Reich, jedenfalls bis gegen Ende der Regierungs­ zeit Maximilians I. nicht so sehr der in Kurien organisierte, durch den Austausch von Resolutionen zwischen Reichsoberhaupt und Reichsständen die „Reichssachen“ behandelnde Reichstag im en­ geren Sinn, fungierte zugleich (3.) als Forum zur Behandlung aku­ ter friedenspolitischer Probleme. Dieser Reichstag im weiteren Sinn schloss die eben keineswegs zufällig vom Reichsoberhaupt dorthin anberaumten Schieds- und Gerichtstage, die der Beilegung ständischer Konflikte dienten und damit entscheidend zur Stabi­ lisierung des Reichsverbandes beitrugen, mit ein. Die thematische Schwerpunktsetzung des erweiterten Reichstages markierte indes­ 1 Vgl.

Angermeier, Heinz: Die Reichsreform 1410–1555. Die Staatspro­ blematik in Deutschland zwischen Mittelalter und Gegenwart. München 1984, 20f; Roll, Christine: „Sin lieb sy auch eyn Kurfurst ...“ – Zur Rolle Bertholds von Henneberg in der Reichsreform. In: Kurmainz, das Reichs­ erzkanzleramt und das Reich am Ende des Mittelalters und im 16. und 17. Jahrhundert. Hrsg. von Peter Claus Hartmann. (Geschichtliche Landes­ kunde. Veröffentlichungen des Instituts für geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz, 47) Stuttgart 1998, 5–43, hier 7f.

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sen zugleich ein Defizit. Denn das Friedensproblem definierte sich während der Regierungszeit Maximilians I. je länger, je mehr auch aus (4.) einer Vielzahl kleiner, lokal begrenzter Störungen. Je nach zeitgenössischer Perspektive handelte es sich dabei um – ungeachtet des Reichslandfriedens von 1486 und des Ewigen Landfriedens von 1495 – als zulässig angesehene rechtliche Selbsthilfe in Form von Fehden oder um als „Plackerei“ und „Heckenreiterei“ verurteilte, vornehmlich adlige Raubkriminalität. Auf die mehr oder weniger erfolgreiche Auseinandersetzung von Kaiser und Reichsversamm­ lung mit diesem Spektrum friedenspolitischer Herausforderungen soll im Folgenden eingegangen werden. 1. Probleme der Friedenssicherung nach aussen Um es vorweg zu sagen: Das Binnenreich (P. Moraw) als Ganzes wie die Mehrzahl der darin beheimateten Stände sahen sich wäh­ rend der Alleinregierung Maximilians  I. keiner existenziellen Be­ drohung von außen ausgesetzt. Dies war allerdings auch eine Fra­ ge der Perspektive. Bereits in der Regierungszeit Friedrichs  III. (1440–1493) und während der Doppelregierung mit seinem Sohn Maximilian (1486–1493) fasste die überwiegende Zahl der Reichs­ stände den unbestreitbaren Druck auf die Peripherie vorrangig als Problem des Hauses Habsburg auf. Dies betraf die zur Behaup­ tung seines burgundischen Erbes geführten Kriege Erzherzog Ma­ ximilians ab 1477 ebenso wie die Besetzung eines Teils Niederös­ terreichs durch König Matthias Corvinus von Ungarn – 1485 fiel Wien, 1487 auch Wiener Neustadt. Die Bewilligungen von Reichs­ hilfen gegen Frankreich und Ungarn blieben insgesamt gering. Lediglich in Ausnahmesituationen, wie für den Entsatz der von Herzog Karl dem Kühnen von Burgund belagerten Stadt Neuß (1474/75) oder zur Befreiung Maximilians aus seiner Gefangen­ schaft in Brügge (1488) beziehungsweise zur Vergeltung dieses Ma­ jestätsverbrechens, gelang die Aktivierung von so etwas wie Kai­ ser- oder Reichstreue. Zwar ließen sich immer wieder dem Haus Habsburg nahestehende Fürsten für die Kriegspolitik Maximilians gewinnen. Dies ändert aber nichts am Befund der prinzipiellen Zu­ rückhaltung der Reichsstände insgesamt. Auch die in den 1470er Jahren einsetzenden osmanischen Streifzüge in die südöstlichen Erblande wurden noch nicht als eine Bedrohung aufgefasst, die

Zur Friedensproblematik auf den Reichstagen Kaiser Maximilians I.

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Gegenmaßnahmen erfordert hätte2. Das militärische und verteidi­ gungspolitische Disengagement erstreckte sich auch auf die Stän­ de an der Peripherie des Binnenreiches, von Reichsitalien gar nicht zu reden. Der Deutsche Orden blieb bei der Abwehr Polens und Russ­lands weitgehend auf sich gestellt3. Ebenso versuchte Lübeck 2

Die von König Maximilian auf dem Freiburger Reichstag von 1498 über­ mittelten Klagen Polens, Ungarns und der Erblande über die osmanische Bedrohung bewirkten lediglich eine Absichtserklärung zu Beratungen auf dem nächsten Reichstag und zur Einschaltung des Papstes. Reichsabschied, Freiburg 1498 September 4; Deutsche Reichstagsakten. Mittlere Reihe. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Hrsg. von Eike Wolgast [im Folgenden abgekürzt RTA, MR]. Bd. 6. Reichstage von Lindau, Worms und Freiburg 1496–1498. Bearb. von Heinz Gollwitzer. Göttingen 1979, Nr. III/119, 740f. In Augsburg wurde dann vereinbart, Gesandte der bei­ den Nationen zu Besprechungen mit dem Reichsregiment einzuladen. Die bereits zuvor beschlossenen Verhandlungen mit dem Papst wurden erneut projektiert. Reichsabschied, Augsburg 1500 September 10; Schmauss, Jo­ hann Jakob, Senckenberg, Heinrich Christian von: Neue und vollständi­ gere Sammlung der Reichsabschiede, welche von den Zeiten Kayser Con­ rads  II. bis jetzo auf den teutschen Reichs-Tägen abgefasset worden. Bd. 2. Frankfurt am Main 1747 (ND Osnabrück 1967), 83, Art. XLIV–XLV. Gemäß dem Entwurf des Reichsregiments für die Gesandteninstruktion zum Papst ging es allerdings vorrangig darum, den weiteren Abfluss von Geldern aus dem Reich im Zusammenhang mit dem Jubelablass zu unter­ binden wie überhaupt die Gravamina der deutschen Nation zu behandeln. Nürnberg 1501 Januar 18; Regesta Imperii. Begründet von Johann Fried­ rich Böhmer [im Folgenden abgekürzt RI]. Bd. XIV. Ausgewählte Reges­ ten des Kaiserreiches unter Maximilian I. 1493–1519. Bearb. von Hermann Wiesflecker unter Mitarbeit von Christa Beer [u.a.]. 4 Bde. Wien, Köln, Weimar, 1990–2004, Teilbd. 3/2, Nr. 14848, 977. 3 Der Augsburger Reichstag von 1500 begnügte sich auf die Hilfsbitte des Hochmeisters in Preußen, Friedrich von Sachsen, mit einem Fürschreiben an den polnischen König. Reichsabschied, Augsburg 1500 September 10; Schmauss/Senckenberg, Sammlung, Bd. 2 (wie Anm. 2), 83, Art. XLII. Das Reichsregiment setzte sich außerdem beim Papst für den Orden ein. Schreiben an Alexander  VI., Nürnberg 1501 März 11; RI, Bd. XIV (wie Anm. 2), Teilbd. 3/2, Nr. 15031, 1011. Ebenso beschränkte sich die Worm­ ser Reichsversammlung von 1509 auf die Zusage diplomatischer Unter­ stützung; Worms 1509 Anfang Juni; Janssen, Johannes (Hrsg.): Frank­ furts Reichscorrespondenz nebst andern verwandten Aktenstücken von 1376–1519. Bd.  2. Freiburg im Breisgau 1872, Nr. 974, 774ff. Immerhin bemühte sich Kurfürst Uriel von Mainz tatsächlich um die Realisierung der ständischen Mitwirkung an der geplanten kaiserlichen und ungarischen

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Dietmar Heil

seine handelspolitische Vormachtstellung gegen Dänemark ohne den Rückhalt des Reiches zu behaupten, auch als sich die Dauer­ konfrontation zum offenen Krieg (1510–1512) ausweitete4. Der königlose Reichstag von 1497 beantwortete die Bedrohung Jülichs und Kleves durch französische Truppen lediglich mit der Aufmah­ nung benachbarter Stände5. Ohnehin sahen die von Auswirkungen bewaffneter Konflikte mitbetroffenen Stände die Reichsversamm­ lung nicht unbedingt als Anlaufstelle für ihre Beschwerden an. Kriegsbedingte Schäden dienten lediglich als Argument für die Re­ duzierung von Reichsanschlägen6 oder zur Rechtfertigung völliger Steuerverweigerung7. Die gesamtpolitische Situation hatte sich bis zum Beginn der Al­ leinregierung König Maximilians sogar verbessert, wodurch sich

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Gesandtschaft zu König Sigismund von Polen. Schreiben Kurfürst Uriels an Pfalzgraf Friedrich, Mainz 1509 Juni 27; Original: Bayerisches Haupt­ staatsarchiv München, Kasten blau 270/2, fol. 23–23’. Der Trierer/Kölner Reichstag von 1512 behandelte die Hilfsbitte des neuen Hochmeisters Al­ brecht von Brandenburg nur noch dilatorisch, zumal angesichts der frag­ lichen Zugehörigkeit des Ordens zum Reich. Reichsabschied, Köln 1512 August 26; Schmauss/Senckenberg, Sammlung, Bd. 2 (wie Anm. 2), 149f, Art. XXVI. Bezeichnend ist auch der Beschluss des Augsburger Reichsta­ ges von 1518, Maßnahmen über die Vollstreckung der aufgrund einer Pri­ vatklage gegen die unter polnischem Schutz stehenden Städte Danzig und Elbing bereits 1497 vom Reichskammergericht verhängten Reichsacht – wie schon 1517 in Mainz – erneut zu vertagen. Reichsabschied, Augsburg 1518 Oktober 14; ebd., 171, Art. X. Hauschild, Wolf-Dieter: Frühe Neuzeit und Reformation: Das Ende der Großmachtstellung und die Neuorientierung der Stadtgemeinschaft. In: Lübeckische Geschichte. Hrsg. von Antjekathrin Graßmann. Lübeck 1988, 341–432, hier 366–370. Reichsabschied, Worms 1497 August 23; RTA, MR, Bd. 6 (wie Anm. 2), Nr. II/152, 482f. Z. B. Supplikationen der Stadt Metz an König Maximilian und an die Kon­ stanzer Reichsversammlung, jeweils Konstanz 1507 Juli 22; RTA, MR, Bd. 9. Der Reichstag zu Konstanz 1507. Bearb. von Dietmar Heil [im Druck], Nr. 544f. Heinrich von Binsfeld, Abt zu Kornelimünster, entschuldigte sich nach ei­ ner Aufforderung Kaiser Maximilians zur Bewilligung einer Kriegsanleihe gegen Venedig unter anderem mit durch französische und geldrische Trup­ pen verursachten Schäden in seinem Stift. Binsfeld an Frankfurt, 1509 No­ vember 25; Original: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Reichstagsak­ ten 24, Stück-Nr. 63.

Zur Friedensproblematik auf den Reichstagen Kaiser Maximilians I.

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aus der Sicht der reichsständischen Opposition die Notwendig­ keit aktiver Außenpolitik weiter reduzierte. Bereits 1490 konn­ te Friedrich  III. nach dem überraschenden Tod Matthias Cor­ vinus’ wieder in Wien einziehen. Der Friede von Senlis (1493) zwischen König Karl  VIII. von Frankreich und König Maximi­ lian beendete den Erbfolgekrieg um Burgund. Der Schwerpunkt des europäischen Hegemonialkonflikts verlagerte sich 1494 nach Italien. Die vom Mainzer Kurfürsten Berthold von Henneberg (reg. 1484–1504) angeführten Stände lehnten es auf den Reichs­ tagen zwischen 1495 und 1500 ab, die dortigen Kämpfe ihres kriegsbegeisterten Reichsoberhaupts als Angelegenheit des Rei­ ches zu bewerten. Auch an den Kriegen Maximilians  I. bezie­ hungsweise seines Sohnes Philipp gegen den von Frankreich un­ terstützten Karl von Egmont um den Besitz Gelderns nahm die Reichsversammlung keinen Anteil, sieht man von einem halb­ herzigen Vermittlungsversuch auf dem Wormser Reichstag von 1495 ab 8 . Nicht einmal die Eroberung des Reichslehens Mailand durch Frankreich (1499/1500) veranlasste die 1500 in Augsburg versammelten Reichsstände zu mehr als diplomatischen Schrit­ ten. Die Entmachtung des Reichsoberhaupts durch die dort ver­ abschiedete Regimentsordnung erforderte indessen erstmals eine gemeinsame konstruktive Außenpolitik der Fürstenopposition. Keine Frage, dass diese Politik – auf den kleinsten gemeinsamen Nenner der reichsständischen Interessen heruntergebrochen – ausschließlich friedensorientiert war, was ihr in einem sich aus­ bildenden europäischen Staatensystem machiavellistischer Prä­ gung nicht ganz zu Unrecht den Anschein von Naivität verlieh. Die Reichsgesandtschaft zeigte sich bei Verhandlungen in Frank­ reich über die Rechtslage bezüglich Mailands zwar argumen­ tativ klar überlegen. Doch erreichte sie damit nichts und kehrte lediglich mit dem von König Ludwig XII. ohnehin angestreb­ ten Waffenstillstand in der Tasche zurück. Immerhin schwenk­ te Maximilian, allerdings auf Veranlassung seines Sohnes Herzog Philipp von Burgund, auf den von den Ständen eingeleiteten Aus­ gleichskurs gegenüber Frankreich ein. Gleichzeitig übernahm er 8

RTA, MR, Bd. 5. Reichstag zu Worms 1495. Bearb. von Heinz Angermei­ er. Göttingen 1981, Nr. 1088, 872ff, Nr. 1096, 880ff, Nr. 1100, 883f. Vgl. Struick, Jules Édouard Anne Louis: Gelre en Habsburg. 1492–1528. (Wer­ ken uitgegeven door „Gelre“, 30) Arnheim 1960, 36ff.

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aber wieder die alleinige Verantwortung für die Außenpolitik des Reiches9. Für die auf den Reichstagen von 1495, 1496/97, 1497, 1498, 1500, 1507, 1510 und 1512 angekündigten Italienzüge Maximilians und den 1505 projektierten Feldzug gegen Ungarn wurden zwar Reichshilfen bewilligt, doch handelte es sich dabei im Prinzip um Gegengeschäfte für Reformkonzessionen seitens des Reichsober­ haupts. Die damit verbundenen außenpolitischen Zielsetzungen teilte die Mehrheit der Stände nicht. Dabei war erstaunlicherwei­ se die Zahlungsmoral des Reiches insgesamt nicht so schlecht, wie dies Maximilian verschiedentlich behauptete. Natürlich gab es no­ torisch säumige Stände. Doch sind die Verrechnung der Reichssteu­ ern mit anderweitigen Leistungen der Stände für Habsburg bezie­ hungsweise mit Schulden Maximilians, administrative Probleme der Reichsregierung bei der Einsammlung der Reichshilfen und in einer nicht unerheblichen Zahl von Fällen auch tatsächliche Zahlungsun­ fähigkeit einzukalkulieren. Ungeachtet des außenpolitischen Dis­ senses kristallisierte sich ein fester Stamm leistungsbereiter Stän­ de heraus. Für den 1507 projektierten Romzug mit dem allgemein befürworteten Ziel der Erlangung der Kaiserkrone für Maximili­ an I. bestand ohnehin eine hohe Bereitschaft, etwas beizutragen10. Für die nach den Plänen der Reichsregierung damit zu verbindende Rückeroberung Mailands war der Reichstag dagegen nicht zu ge­ winnen. Das blamable Scheitern des Romzugs mit der improvisier­ ten Kaisererhebung in Trient und der folgende, für die in den Ent­ scheidungsprozess nicht involvierten Stände kaum nachvollziehbare erneute außenpolitische Kurswechsel durch die Liga von Cambrai (1508) hatten zur Folge, dass der Wormser Reichstag von 1509 ohne Hilfsbeschluss endete, während 1512 in Trier und Köln die Akti­ vierung des Reiches für den Krieg gegen Venedig bis zu einem ge­ wissen Grad gelang. Auf seinen letzten Reichstagen in Mainz (1517) 9 Vgl.

Kraus, Victor von: Das Nürnberger Reichsregiment. Gründung und Verfall von 1500–1502. Innsbruck 1883 (ND Aalen 1969), 59–80; Wiesfle­ cker-Friedhuber, Inge: Das Vertragswerk von Lyon – Blois – Hagenau 1504/05. Die Diplomatie Maximilians  I. zwischen Frankreich, dem Papst und Venedig. In: Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter: Akteure und Ziele. Hrsg. von Sonja Dünnebeil und Christine Ottner. (For­ schungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii, 27) Wien, Köln, Weimar 2007, 185–211, hier 187f. 10 Vgl. RTA, MR, Bd. 9 (wie Anm. 6), Teilbd. 2, Nr. 902.

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und Augsburg (1518) verfolgte das gealterte Reichsoberhaupt keine konkreten militärischen Ziele nach außen mehr. Insgesamt beschleunigten die internationalen Konflikte der Habs­ burger die mentale und politische Verengung des Heiligen Rö­ mischen Reiches auf die deutsche Nation. Dies bedeutete aber auch, dass sie für die Reichsversammlungen im Sinne aktiver Frie­ denspolitik weitgehend irrelevant blieben, sieht man einmal vom kurzen Intermezzo nach dem Umsturz der Reichsverfassung auf dem Augs­burger Reichstag von 1500 ab. Die Reichshilfen für das Reichs­ oberhaupt wurden in keinem Fall unter dem Aspekt der Aufrechterhaltung oder Herstellung von Sicherheit nach außen be­ willigt, sondern für die Gewährung verfassungspolitischer Zuge­ ständnisse an die Reformpartei und im Rahmen von Gegengeschäf­ ten in Form von Privilegierungen und anderen Begünstigungen für einzelne Stände. 2. Die Reichstags-Verhandlungen über die Neuordnung von Frieden und Recht Bereits in der Zeit der Doppelregierung setzten auf den Reichsta­ gen kontinuierliche Verhandlungen über die verfassungsmäßige Neuordnung von Frieden und Recht ein. Angeführt vom Main­ zer Kurfürsten Berthold von Henneberg forderten die Stände ein vom kaiserlichen Hof unabhängiges Reichskammergericht, wäh­ rend Friedrich III. bis zu seinem Tod (1493) hartnäckig an der, sei­ ne Gerichtshoheit betonenden, Kammergerichtsordnung von 1471 festhielt. Keinem der Verhandlungspartner war dabei vorrangig an einer optimalen Lösung des Friedensproblems gelegen. Kur­ fürst Berthold, gemessen an seinem Rang im Reich nur mit einer schwachen territorialen Basis ausgestattet, verband mit der Um­ schichtung königlicher Befugnisse auf von den Kurfürsten domi­ nierte ständische Institutionen nicht zuletzt eine machtpolitische Verbesserung seiner eigenen Position. Im Effekt trugen nur weni­ ge Stände seine Konzeption mit. Die Mehrzahl der Fürsten nutzte das Reform­anliegen in erster Linie als verhandlungstaktisches Ge­ gengewicht zu den Reichshilfeforderungen von Kaiser und König. Im Grunde hatten sie an einer Veränderung des verfassungsmä­ ßigen Status quo kein Interesse oder lehnten Neuerungen sogar ab, wenn dadurch ihr territorialer Handlungsspielraum eingeschränkt

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zu werden drohte. Auch die von Maximilian signalisierte Reform­ bereitschaft war in erster Linie taktisch begründet. Für ihn galt das Primat der Außenpolitik11. Immerhin hatte er schon auf dem Frankfurter Reichstag von 1486 signalisiert, dass eine künftige kö­ nigliche Reformpolitik der Exekutive gelten würde. Er setzte auf eine Einteilung des Reiches in Kreise, die nicht nur den inneren Frieden wahren, sondern auch für die Verteidigung nach außen zu­ ständig sein sollten12. Letztlich zielte er darauf ab, die Inkompe­ tenz des Königs hinsichtlich der Wahrung von Frieden und Recht im Reich mittels der Reichsverfassung zu beheben und gleichzei­ tig dessen militärisches Potential für seine Außenpolitik nutzbar zu machen, was aber eben mit der Verfassungsstruktur des Reiches un­ vereinbar war. Die mit Hinblick auf einen Umbau der Reichsverfas­ sung flexible Haltung Maximilians erstreckte sich jedoch noch nicht auf das Kammergericht. Auf dem Nürnberger Reichstag von 1491 vertrat er in diesem Punkt ganz die Linie seines Vaters13. Aufgrund dieser Konstellation gelang auf den Reichstagen der Doppelregierungszeit, abgesehen vom uneingeschränkten, jedoch faktisch nicht einklagbaren Fehdeverbot des zehnjährigen Reichs­ landfriedens von 1486, der im übrigen kein Jota an königlichen Rechten preisgab, kein konkreter Fortschritt bei der Lösung des Landfriedensproblems. Immerhin war mit der seit 1486 beschleu­ nigten, maßgeblich vom Mainzer Kurfürsten betriebenen Ausbil­ 11

Seine Prioritätensetzung machte König Maximilian mit Hinblick etwa auf den Nürnberger Reichstag von 1491 Jahre später selbst deutlich: Als aber jr Kü. M. gen Nürnberg kam, ward jrer Mt. ain interloquutori fürgehalten der gestalt, das jr Mt. den pundt zu Swaben vnnd das haus Bairn, die dazumal in jrrung vnnd unainigkait stunden, mitainander befriden vnnd verainen; vnnd wann das geschehe, So solt alsdann jrer Mt. die vertrost hilff volgen vnd geraicht werden. Darauf arbaitet sich die Kü. M. in demselben handel seer, vmb dz jr Mt. die hilff gehaben vnd erlangen mocht. Rechenschafts­ bericht König Maximilians, Konstanz 1507 Mai 1/2; RTA, MR, Bd. 9 (wie Anm. 6), Teilbd. 1, Nr. 150, Punkt 12. 12 Angermeier, Reichsreform (wie Anm. 1), 162. 13 Vgl. Seyboth, Reinhard: Kaiser, König, Stände und Städte im Ringen um das Kammergericht 1486–1495. In: Das Reichskammergericht in der deut­ schen Geschichte. Stand der Forschung, Forschungsperspektiven. Hrsg. von Bernhard Diestelkamp. Köln, Wien 1990, 5–23, hier 16f; Wolf, Su­ sanne: Die Doppelregierung Kaiser Friedrichs III. und König Maximilians (1486–1493). (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte – Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii, 25) Köln, Weimar, Wien 2005, 420–425.

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dung der Reichstagsverfassung die Voraussetzung für künftige wei­ terreichende Beschlüsse hergestellt14. Mit der vorzeitigen Verlängerung des Reichslandfriedens um drei Jahre im Mai 1494 signalisierte Maximilian vor seinem ersten in ei­ gener Verantwortlichkeit zu führenden Reichstag nicht unbedingt konkrete Reformabsichten. Nach seinen Plänen sollte in Worms ausschließlich über den Beitrag der Stände zur Vertreibung der französischen Truppen, die 1494/95 Florenz, den Kirchenstaat und Neapel überrannt hatten, verhandelt werden. Anders als sein Va­ ter zeigte sich Maximilian jedoch bereit, im Gegenzug für eine Reichshilfe den Reformforderungen bis zu einem gewissen Grad entgegenzukommen. Mit seinem Einverständnis wurden könig­ liche Gerichtsbefugnisse dem künftig stärker von den Ständen kon­ trollierten Reichsgericht übertragen. Die „Handhabung Friedens und Rechts“ regelte die Umsetzung der kammergerichtlichen Ur­ teile sowie die Konfliktbereinigung zwischen den Ständen – eben­ falls unter Zurücksetzung der königlichen Friedenskompetenz –, wobei neben den territorialen Gewalten die jährlich abzuhaltenden Reichstage eine wichtige Rolle spielen sollten. Vergleichsweise un­ problematisch, obwohl die Prärogativen des Reichsoberhaupts auch in diesem Bereich beschnitten wurden, war die Verkündung des Ewigen Landfriedens. Mit der Forderung nach einem ständischen Reichsregiment, das den König letztlich auf seine lehnsherrlichen, repräsentativen und zeremoniellen Funktionen reduziert hätte, so­ mit dem Kernstück seines Reformkonzepts, scheiterte Berthold von Henneberg jedoch vorläufig noch15. 14 Vgl.

Seyboth, Reinhard: Die Reichstage der 1480er Jahre. In: Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späteren Mittelalter. Hrsg. von Peter Moraw. (Vorträge und Forschungen, 48) Stuttgart 2002, 519–545. 15 Angermeier, Reichsreform (wie Anm. 1), 168–179; Moraw, Peter: Or­ ganisation und Funktion von Verwaltung im ausgehenden Mittelalter (ca. 1350–1500). In: Deutsche Verwaltungsgeschichte. Bd. 1: Vom Spätmit­ telalter bis zum Ende des Reiches. Hrsg. von Kurt G.  A. Jeserich [u.a.]. Stuttgart 1983, 21–65, hier 62–65; Isenmann, Eberhard: Kaiser, Reich und deutsche Nation am Ausgang des 15. Jahrhunderts. In: Ansätze und Diskontinuität deutscher Nationsbildung im Mittelalter. Hrsg. von Joa­ chim Ehlers. (Nationes. Historische und philologische Untersuchungen zur Entstehung der europäischen Nationen im Mittelalter, 8) Sigmaringen 1989, 145–246, hier 147–150; Wadle, Elmar: Der Ewige Landfrieden von 1495 und das Ende der mittelalterlichen Friedensbewegung. In: Landfrie­

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Bezeichnenderweise erwähnte König Maximilian in seinem auf dem Konstanzer Reichstag (1507) vorgetragenen Rechenschafts­ bericht zwar die zögerliche Steuerbewilligung der 1495 in Worms versammelten Stände16; die dort als Augenblickskompromiss (P. Mo­ raw) verabschiedete, in der Retrospektive jedoch wegweisende Reichsordnung würdigte er dagegen mit keinem Wort. Bereits un­ mittelbar nach Ende des Wormser Reichstages begann eine Phase der königlichen Reichspolitik, die auf eine möglichst umfassende Revision der gemachten Zugeständnisse hinauslief. Auch die Hal­ tung eines überwiegenden Teils der der Eigendynamik des Reichs­ tages wieder entzogenen Reichsfürsten gegenüber den neu ge­ schaffenen Institutionen changierte zwischen Desinteresse und Destruktion. So blieb der Wormser Ordnung eine unmittelbare Wirkung auf die innere Sicherheit gerade in den königsnahen Re­ gionen des Reiches weitgehend versagt. Der Reichstag zeigte sich als institutionalisierte Exekutive überfordert. Exemplarisch für die unverändert fortbestehenden Defizite bei der Friedenswahrung ist der Fall Veits von Wallenrode: König Maximilian leitete des­ sen Bitte um Vollstreckung der vom Reichskammergericht gegen den Landfriedensbrecher Philipp von Guttenberg verhängten Acht und Aberacht an die Reichsversammlungen zu Lindau 1496/97 und Worms 1497 weiter17, doch unterblieb ein Beschluss. Der Freibur­ ger Reichstag von 1498 einigte sich zwar, gegen Guttenberg vorzu­ gehen, doch geschah offenkundig nichts. Auch die mit der Zielset­ zung einer grundsätzlichen Klärung dieser Problematik getroffene den, Strafe, Recht. Zwölf Studien zum Mittelalter. Hrsg. von Elmar Wadle. (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, 37) Berlin 2001, 183–196, hier 183–187. 16 Vortrag König Maximilians an die Reichsstände, Konstanz 1507 Mai 1/2; RTA, MR, Bd. 9 (wie Anm. 6), Teilbd. 1, Nr. 150, Punkt 15. 17 Wenngleich der Kläger als Assessor am Reichskammergericht eine beson­ ders vorteilhafte Position innehatte, scheint jedenfalls die Judikative, was die Reichsebene angeht, nicht die Schwachstelle bei der Bekämpfung von gewaltsamen Landfriedensbrüchen gewesen zu sein. Immerhin 6 % der in den Jahren 1497 bis 1499 neu am Kammergericht eingeführten Prozesse waren mit dieser Thematik befasst. Vgl. Ranieri, Filippo: Recht und Ge­ sellschaft im Zeitalter der Rezeption. Eine rechts- und sozialgeschichtli­ che Analyse der Tätigkeit des Reichskammergerichts im 16. Jahrhundert. (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, 17/I–II) Köln, Wien 1985, Bd. 1, 241; Bd. 2, Tab. 108.

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Vereinbarung, einen Ausschuss zur Beschlussfassung über verbind­ liche Maßnahmen gegen Geächtete zu bevollmächtigen18, blieb fol­ genlos. Der Augsburger Reichstag von 1500 erneuerte den Frei­ burger Exekutionsbeschluss, doch unterblieb dessen Umsetzung erneut19. 1499 musste das Reichskammergericht den Betrieb wegen des von Maximilian ausgeübten Drucks und der unsicheren Finanzierung vorläufig einstellen, die „Handhabung Friedens und Rechts“ be­ stand ohnehin lediglich auf dem Papier. Die Gerichtsbarkeit des Königs und auch das Kammergericht kamen deshalb nicht umhin, die Parteien zur Durchsetzung ergangener Urteile auf das ungeach­ tet der Reichsgesetzgebung gesellschaftlich nach wie vor akzeptierte Mittel der bewaffneten Selbsthilfe zu verweisen; Missbräuche waren indessen vorprogrammiert. Immerhin etablierte sich die Wormser Ordnung unmittelbar im friedenspolitischen Diskurs und stand dort gleichrangig neben der Goldenen Bulle (1356) und der Reformation Kaiser Friedrichs  III. (1442). Dies betraf sowohl die Argumentation von Prozessparteien als auch die Begründung landfriedenspolitischer Maßnahmen der Obrigkeiten. Erfolgreich war die neue Reichsordnung dort, wo sie die landesfürstlichen Kompetenzen beförderte. Zweifellos begüns­ tigte sie das verstärkte Vorgehen einer Reihe von Landesherren, da­ runter beispielsweise Kurfürst Joachims von Brandenburg20, gegen adliges Fehdewesen und Kriminalität. Wenngleich über die Regierungszeit Maximilians  I. hinaus ihre generelle Verbindlichkeit systembedingt nicht durchsetzbar war, entfaltete die Wormser Friedensordnung gerade bei Auseinan­ dersetzungen in den traditionell königsfernen, in der Territori­ alisierung weit fortgeschrittenen Regionen Mittel- und Nord­ ostdeutschlands sehr rasch eine normative, gerade weil von verfassungspolitischen Implikationen befreite Wirkung. Ein in­ 18

Reichsabschied, Freiburg 1498 September 4; RTA, MR, Bd. 6 (wie Anm. 2), Nr. III/119, 722f. 19 Ebd., 256, 263, 345, 483, 595, 636, 738. Vgl. Poetsch, Joseph: Die Reichs­ acht im Mittelalter und besonders in der neueren Zeit. (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, Alte Folge, 105) Breslau 1911 (ND Aalen 1971), 189f. 20 Escher, Felix: Das Kurfürstentum Brandenburg im Zeitalter des Konfessi­ onalismus. In: Brandenburgische Geschichte. Hrsg. von Ingo Materna und Wolfgang Ribbe. Berlin 1995, 231–290, hier 245f.

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struktives Beispiel hierfür ist ein 1505 einsetzender Konflikt zwi­ schen der Hansestadt Lübeck und den Herzögen von Mecklen­ burg. Wie so oft stand am Beginn des Streits ein nichtiger Anlass – es ging um strittige Fischereirechte auf dem Dassower See. Her­ zog Heinrich setzte König Maximilian auf dem Kölner Reichstag seine Sicht der Dinge auseinander, der daraufhin zwar Erzbischof Ernst von Magdeburg mit der Klärung beauftragte, gleichzei­ tig jedoch eine Achturkunde gegen Lübeck für den Fall ausstell­ te, dass sich die Anschuldigungen als wahr erweisen sollten. Diese voreilige Entscheidung verlieh dem Konflikt zusätzliche Eigendy­ namik. Von der Bestätigung ihrer Rechtsposition durch den Erz­ bischof überzeugt, trafen die mecklenburgischen Herzöge be­ reits Vorbereitungen für den Angriff auf die Hansestadt. Vor allem sondierten sie die Bereitschaft befreundeter und benachbar­ ter Fürs­ten zur Mitwirkung an dem Unternehmen. Unter ande­ rem Kurfürst Joachim von Brandenburg und Landgraf Wilhelm von Hessen reagierten positiv21, zumal Lübeck den Herzögen in­ zwischen die Fehde erklärt hatte22 . Dagegen versicherte sich die Hansestadt der Unterstützung der übrigen wendischen Städte. Im August 1506 eröffnete Lübeck mit einem Vorstoß auf mecklen­ burgisches Gebiet die Feindseligkeiten. Mecklenburg antwortete mit einem Gegenangriff und forderte die übrigen Reichsstände auf, gegen die gemäß der Wormser Ordnung wegen Landfriedens­ bruchs automatisch der Reichsacht verfallene Stadt vorzugehen 23. Alle Anzeichen deuteten auf einen bevorstehenden Krieg hin, den das auf Ungarn und seinen geplanten Romzug fixierte Reichsober­ haupt fahrlässig mitverschuldet hätte. Doch nun traten ganz im 21

RTA, MR, Bd. 8. Der Reichstag zu Köln 1505. Bearb. von Dietmar Heil. München 2008, 903ff, Anm. 2. Kurfürst Joachim kündigte die Entsendung von 1800 Mann an. Schreiben an die Herzöge Balthasar und Heinrich von Mecklenburg, Cölln a. d. Spree 1506 August 28; Original: Mecklenburgi­ sches Landeshauptarchiv Schwerin, 1.1-12 Verträge mit Lübeck, Nr. 50, unfol. 22 Fehdebrief Lübecks an die Herzöge Balthasar, Heinrich, Erich und Alb­ recht von Mecklenburg, Lübeck 1506 Januar 29; Abschrift: Stadtarchiv Lü­ beck, Mecklenburgica 394. 23 Ausschreiben der Herzöge Balthasar und Heinrich von Mecklenburg in das Reich, undatiert, jedoch wohl Ende August 1506; Abschrift: Mecklenbur­ gisches Landeshauptarchiv Schwerin, 1.1-12 Verträge mit Lübeck, Nr. 50, unfol.

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Geist der Wormser Friedensordnung und unter expliziter Beru­ fung darauf zuerst die Stadt Lüneburg24 , dann erneut der Erzbi­ schof von Magdeburg, außerdem Bischof Johannes von Schwerin und Herzog Bogislaw von Pommern mit Vermittlungsinitiativen an die Kontrahenten heran – und wurden gehört. Die erst mit Ver­ zögerung von Maximilian gebilligten Verhandlungen gestalteten sich zwar als schwierig25 , aber der Ausbruch eines größeren be­ waffneten Konflikts wurde verhindert und schließlich gelang im Vertrag von Marienwolde (15. Juli 1508) die Beilegung des Streits26 . Es handelt sich um eines der am meisten überraschenden Beispiele für das Ausbleiben eines Krieges in dieser Zeit. Sicherlich bestand in diesem Teil des Reiches auch eine längere Tradition zur fried­ lichen Beilegung von Konflikten ohne Einbeziehung des Reichs­ oberhaupts27. Gleichwohl oder gerade deshalb wirkte die Wormser Ordnung hier besonders rasch pazifizierend. 24

Antwortschreiben der Herzöge Balthasar und Heinrich von Mecklenburg an Lüneburg, Schwerin 1505 September 8; Abschrift: ebd., Nr. 45, unfol. 25 Schreiben König Maximilians an Lüneburg (und entsprechend an Erzbi­ schof Ernst von Magdeburg), Wien 1506 März 24; Abschrift: Stadtarchiv Lübeck, Altes Senatsarchiv Externa, Nr. 4337, unfol. Mitteilung König Maximilians an Lübeck, Straßburg 1507 März 15; Original: ebd., Nr. 5390, unfol. Kommissionsbrief König Maximilians für Herzog Bogislaw von Pommern, Straßburg 1507 März 15; Original: Mecklenburgisches Landes­ hauptarchiv Schwerin, 1.1-12. Verträge mit Lübeck, Nr. 54, unfol. Mittei­ lung Herzog Bogislaws von Pommern an Lüneburg, Lauenburg 1507 April 28; Original: Stadtarchiv Lüneburg, Briefe 49/7. 26 Stadtarchiv Lübeck, Mecklenburgica 396–398. Vgl. Hamann, Manfred: Mecklenburgische Geschichte. Von den Anfängen bis zur Landständischen Union von 1523. Köln, Graz 1968, 256f. 27 Vgl. zur Entwicklung im 15. Jahrhundert Mohrmann, Wolf-Dieter: Der Landfriede im Ostseeraum während des späten Mittelalters. (Regensburger Historische Forschungen, 2) Kallmünz 1972, 213–286. Die Überlagerung der dort beschriebenen Mechanismen zur Konfliktregulierung durch terri­ toriale Klärungsprozesse war gegen Ende des 15. Jahrhunderts bereits deut­ lich abgeschwächt. Dies deckt sich mit der Beobachtung, dass die Zahl der aus dem Norden des Reiches in den ersten zehn Jahren seines Bestehens vor das Reichskammergericht gebrachten Fälle, mit Ausnahme Lübecks, sehr gering war; Freitag, Tobias, Jörn, Nils: Zur Inanspruchnahme der obersten Reichsgerichte im südlichen Ostseeraum 1495–1806. In: Die Inte­ gration des südlichen Ostseeraumes in das Alte Reich. Hrsg. von Nils Jörn und Michael North. (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbar­ keit im Alten Reich, 35) Köln, Weimar, Wien 2000, 39–141, hier 78.

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Anders verhielt es sich in Oberdeutschland, wo in den letzten kri­ senhaften Regierungsjahren Maximilians  I. nicht zufällig der Hauptunruheherd des Reiches lag. Man wird an politischen Fak­ toren vor allem zwei verantwortlich machen: Zum einen wa­ ren mit der Niederlage der Kurpfalz im Landshuter Erbfolge­ krieg (1504/05) und mit der zunehmenden Unberechenbarkeit und Gewalttätigkeit Herzog Ulrichs von Württemberg (reg. 1498– 1519/1534–1550) zwei wichtige regionale Ordnungsmächte ent­ scheidend geschwächt beziehungsweise fielen ganz aus. Zum an­ deren vernachlässigte Maximilian I. spätestens nach dem Ausbruch des Venezianerkrieges im Jahre 1509 bis zu seinem Tod im Januar 1519 seine landfriedenspolitischen Aufgaben in gravierender Weise, was sich in den königsnahen Regionen des Reiches besonders nega­ tiv auswirken musste. Der Schwäbische Bund blieb deshalb auch nach 1495 als Ordnungs­ faktor in Oberdeutschland unverzichtbar; eine große Zahl territo­ rialer Konflikte wurde durch die bündische Schiedsgerichtsbarkeit friedenspolitisch neutralisiert28. Ebenso ersetzten die Bundestrup­ pen die fehlende Reichsexekutive. Mit dem Vollzug des während des Kölner Reichstages von 1512 verhängten Achtmandats gegen Hans Benedikt von Friedingen und Stoffel Hauser beauftragte Ma­ ximilian den Bund. Von der befriedenden Wirkung des Bundes pro­ fitierten auch die Reichsstädte, wenngleich das Plenum der Bundes­ stände in der Regel ihrer Gleichsetzung von adligen Befehdern und kriminellen „Plackern“ nicht folgte29. Allerdings konnte der Schwäbische Bund die Defizite der Reichs­ verfassung auch in seinem Kerngebiet nicht vollständig kompen­ sieren. So wurde zu Recht festgestellt, dass ungeachtet der 1495 forcierten Verdichtung des Reichsverbandes die Schwäbische Bundesverfassung ebenfalls fortentwickelt wurde. Beispielswei­ se schrieb die Bundesordnung von 1512 dem Bund die ausschließ­ liche Landfriedenskompetenz in seinem Gebiet zu und stellte da­ 28 Vgl.

Carl, Horst: Der Schwäbische Bund 1488–1534. Landfrieden und Genossenschaft im Übergang vom Spätmittelalter zur Reformation. (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde, 24) Leinfelden-Echterdin­ gen 2000, 402–414. 29 Carl, Horst: Landfriedenseinung und Standessolidarität – der Schwäbi­ sche Bund und die „Raubritter“. In: Recht und Reich im Zeitalter der Re­ formation. Festschrift für Horst Rabe. Hrsg. von Christine Roll. Frankfurt am Main [u.a.] 1996 (2., überarb. Aufl. 1997), 471–492, hier 473f, 485.

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mit ein Konkurrenzverhältnis zur im gleichen Jahr verabschiedeten Reichskreisordnung her30. Dieser Befund erstaunt auf den ersten Blick, wird jedoch durch die These erklärlich, dass im insgesamt königsnahen Oberdeutschland gerade die gewohnte friedenspoli­ tische Präsenz des Reichsoberhaupts die Realisierung der Wormser Reichsordnung jedenfalls verzögerte. Jenseits aller „Nebenwirkungen“ war aus der Sicht Kurfürst Bert­holds von Mainz auf dem Augsburger Reichstag von 1500 ein Misserfolg der Wormser Ordnung zu konstatieren. Dies galt vor allem für die unerreichte verfassungspolitische Zielsetzung, weniger wohl, ungeachtet der Defizite, mit Hinblick auf den Landfrieden. Die Vorzeichen standen auf Konfrontation. Be­ reits auf dem Freiburger Reichstag von 1498 hatte Berthold un­ ter Hinweis auf die „Handhabung Friedens und Rechts“ Ma­ ximilian einen Beitrag für den ohne Zustimmung der Stände geführten Krieg in Italien verweigert. Dieser wiederum lehnte eine Kontrolle seiner Politik durch den Reichstag ab und wolte im nicht hend und füsse binden lassen und sich an ein nagel henken lassen 31. Dennoch stimmte der König in Augsburg für eine vergleichsweise geringfügige Reichshilfe weitreichenden verfas­ sungsrechtlichen Konzessionen zu. Er musste die Zuständigkeit seiner erbländischen Regierungs- und Verwaltungseinrichtungen für das Reich aufgeben und die Etablierung eines kurfürstlich dominierten Reichsregiments, das die Regierungsgewalt des Reichsoberhaupts empfindlich einschränkte, hinnehmen. So er­ hielt das Regiment die Befugnis zur Verhängung der Reichsacht gegen Landfriedensbrecher und machte davon auch regen Ge­ brauch 32 . Die beschlossene sechsjährige Reichshilfe sollte auch für die „Handhabung Friedens und Rechts“ herangezogen wer­ den, was dem Regiment die notwendigen Mittel für die Durch­ setzung kammergerichtlicher Urteile verschafft hätte. Das 30 Vgl.

Carl, Horst: Der Schwäbische Bund und das Reich – Konkurrenz und Symbiose. In: Alternativen zur Reichsverfassung in der Frühen Neu­ zeit. Hrsg. von Volker Press und Dieter Stievermann. (Schriften des Histo­ rischen Kollegs. Kolloquien, 23) München 1995, 43–63, hier 47f, 50f. 31 RTA, MR, Bd. 6 (wie Anm. 2), Nr. III/12, 614. 32 Z. B. Achterklärung gegen Hans und Georg von Reitzenstein sowie 109 Helfer wegen Landfriedensbruchs, Nürnberg 1500 November 15; RI, Bd. XIV (wie Anm. 2), Teilbd. 3/2, Nr. 14592, 937; Achtexekutionsmandat ge­ gen Konrad Kelsch, Nürnberg 1501 August 29; ebd., Nr. 15582, 1104.

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Reichskammergericht wurde reaktiviert und organisatorisch mit dem Reichsregiment verflochten 33 . Doch blieb die Augsburger Ordnung kurzlebig. Der König be­ wertete auf den Reichstagen getroffene Vereinbarungen ohne­ hin eher unter dem Aspekt des konkreten Nutzens und nahm sie kaum als rechtliche Verpflichtung für seine Regierung wahr. Aber auch das Interesse der meisten Reichsfürsten war gering und kei­ nesfalls zeigten sie sich bereit, die Augsburger Ordnung gegen den massiven Widerstand des Reichsoberhaupts am Leben zu erhalten. Nach zwei Jahren löste sich das Reichsregiment wieder auf. Das ohnehin notleidende Reichskammergericht musste während des Landshuter Erbfolgekriegs (1504/05) den Betrieb schließlich ganz einstellen. Die Frustration über das Scheitern der Augsburger Ord­ nung war so groß, dass die 1502 in Gelnhausen versammelten Kur­ fürsten sogar die Aufhebung des Wormser Landfriedens und des Fehdeverbots erwogen34. Auf dem Kölner Tag von 1505 beendete Maximilian den Baye­ rischen Krieg aus eigener Machtvollkommenheit. Ansonsten er­ brachte diese erste Reichsversammlung nach dem Tod Bertholds von Henneberg keinerlei Ergebnisse hinsichtlich des Friedenspro­ blems. König Maximilian hatte mit der angekündigten, dann je­ doch unterbliebenen Wiedereröffnung des Kammergerichts bereits im Vorfeld des Reichstages signalisiert, darüber nicht verhandeln zu wollen. Tatsächlich überließen die praktisch führungslosen Stände – Kurfürst Friedrich von Sachsen beschränkte sich auf pas­ siven Widerstand, der gegen den erklärten Willen Maximilians ge­ wählte neue Mainzer Kurfürst Jakob von Liebenstein war gar nicht erst nach Köln eingeladen worden – das Reichsgericht dem Gut­ dünken des Reichsoberhaupts. Gleichzeitig musste der König sei­ nen reaktivierten Kreisplan – das Reich sollte in vier Bezirke ein­ geteilt werden, in denen auf Weisung des neu zu schaffenden, von 33 Vgl.

Tischer, Anuschka: Reichsreform und militärischer Wandel. Kai­ ser Maximilian  I. (1493–1519) und die Reichskriegsreform. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 51 (2003), 685–705, hier 697f; Angermeier, Reichsreform (wie Anm. 1), 192ff; Wiesflecker, Hermann: Kaiser Maxi­ milian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit. 5 Bde. München 1975–1981, hier Bd. 2, 364–382; Nicklas, Thomas: Macht oder Recht. Frühneuzeitliche Politik im Obersächsischen Reichskreis. Stuttgart 2002, 28–33. 34 Wiesflecker, Kaiser (wie Anm. 33), Bd. 3, 24.

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ihm kontrollierten Regiments von Reiterkontingenten unterstützte Marschälle die Reichsexekutive wahrnehmen würden – einmal mehr ad acta legen35. Keiner der maßgeblichen Reichsfürsten war für ein solches Projekt zu Lasten seiner eigenen landesherrlichen Befugnisse zu gewinnen. Das Exekutionsproblem blieb ungelöst – und dies, obwohl die Gewalt- und Raubkriminalität, nicht zuletzt auch als Folge des gerade beendeten Krieges in den friedens- und sicherheitspolitisch ohnehin neuralgischen Regionen Oberdeutsch­ lands merklich zunahm36. Der König musste vor dem nächsten Reichstag in Konstanz die lokalen Obrigkeiten veranlassen, gegen das überhandnehmende Räuberunwesen vorzugehen, um die Si­ cherheit der Teilnehmer zu gewährleisten37. Natürlich spielten diese offenkundigen Missstände auch bei den Verhandlungen des Konstanzer Reichstages keine Rolle. Die jetzt von Kurmainz und Kursachsen gemeinsam angeführten Stände re­ duzierten ihre anfängliche Forderung nach Beschlüssen über Frie­ de und Recht sehr früh auf die Reaktivierung des Reichskammer­ gerichts in der Form von 1495/1500. Maximilian, dessen einziges Ziel für den Reichstag die Gewährung einer Reichshilfe für sei­ nen geplanten Rom- und Italienzug war, leistete keinen grundsätz­ lichen Widerstand, zumal sein eigener Ansatz zur Finanzierung des Reichsgerichts im Sommer 1506 nicht über die Planungsphase hi­ nausgekommen war38. Seine Bemühungen, einen Teil der Gerichts­ taxen und Strafgelder für die eigene Kasse zu reservieren und die königliche Kontrolle über das Reichsfiskalamt aufrechtzuerhalten, 35

Tischer, Reichsreform (wie Anm. 33), 699f; Wiesflecker, Kaiser (wie Anm. 33), Bd. 3, 206–220; Hollegger, Manfred: Maximilian  I. (1459– 1519). Herrscher und Mensch einer Zeitenwende. Stuttgart 2005, 161f; RTA, MR, Bd. 8 (wie Anm. 21), Teilbd. 1, 125–128. 36 Vgl. z.B. Herzog Albrecht IV. von Bayern an seine Haupt- und Amtleute, München 1505 April 16; RTA, MR, Bd. 8 (wie Anm. 21), Teilbd. 1, Nr. 149, 312; Kaspar von Mörsberg (Unterlandvogt im Elsass) an König Maximili­ an, Hagenau 1505 Juli 13; ebd., Nr. 677, 946f; Instruktion Kurfürst Philipps von der Pfalz für Gesandte zu König Maximilian, Heidelberg 1507 April 6; RTA, MR, Bd. 9 (wie Anm. 6), Teilbd. 1, Nr. 57, Punkt 2. 37 Weisung König Maximilians an Graf Eitelfriedrich von Hohenzollern [u.a.], Straßburg 1507 März 27/28; ebd., Nr. 128. 38 Gollwitzer, Heinz: Unbekannte Versuche einer Erneuerung des königli­ chen Kammergerichts in den Jahren 1505–1506. In: Historische Zeitschrift 179 (1955), 255–271, hier 267–271.

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entlarvten das primär finanzielle Interesse des Reichsoberhaupts an dieser Materie. Umgekehrt trugen die Stände mit Regelungen für das Bannverfahren gegen Landfriedensbrecher effektiv nichts zur Lösung des Exekutionsproblems bei; davon ließen sich hartnä­ ckige Straftäter nicht abschrecken39. Der erneute Vorschlag des Kö­ nigs zur Bestellung von Hauptleuten als Reichsexekutoren wurde ohne Gegenvorstellung zurückgewiesen. Die 1507 eingerichtete Vi­ sitationskommission am Reichskammergericht forderte immerhin den Reichsfiskal zu geeigneten Maßnahmen in Kooperation mit den Reichsstädten auf, nachdem befunden wirdet, das vil rauberei und gewaltsam teglichen geubt werden40. Natürlich war so das Fehlen einer Reichsexekutive nicht auszugleichen. Doch allein die Mög­ lichkeit zur Behandlung ständischer Konflikte durch das im De­ zember 1507 wiedereröffnete Reichskammergericht hatte eine be­ friedende Wirkung auf den Reichsverband. Der königlose Wormser Reichstag von 1509 scheiterte; er ging ohne regulären Reichsabschied auseinander. Auf Anraten seiner Kommissare hatte Maximilian, inzwischen mit Billigung Papst Ju­ lius’  II. selbsternannter Kaiser, sich nicht auf die Forderung einer Reichshilfe für den Krieg gegen Venedig beschränkt, sondern ließ diese auch Vorschläge zu einer weiteren Reform des Kammerge­ richts unterbreiten. Die Stände übten sich, nach dem Tod Jakobs von Liebenstein dem kursächsischen Kurs folgend, in fast völliger Verweigerung. Liebensteins Nachfolger als Mainzer Kurfürst, Uri­ el von Gemmingen41, spielte keine erkennbare Rolle. Vor allem 39

Ein prominenter Spötter war später Götz von Berlichingen, der nach der Verhängung des Kirchenbannes äußerte: In etlichen stetten schossen die pfaffen und munchen uff der canzel mit liechtern zu mir und erlaubten mich den vögeln im luft, sie sollten mich fressen; Ulmschneider, Helgard: Götz von Berlichingen. Ein adeliges Leben der deutschen Renaissance. Sig­ maringen 1974, 70. 40 Reichskammergerichts-Visitationsabschied, Regensburg 1508 August 30; RTA, MR, Bd. 9 (wie Anm. 6), Teilbd. 2, Nr. 949, Punkt 9. 41 Erzbischof Uriel entwickelte in seiner Amtszeit, abgesehen vom Bemü­ hen um gute Beziehungen zu Kaiser Maximilian, kaum reichspolitisches Profil. Vgl. Faulde, Horst: Uriel von Gemmingen. Erzbischof von Mainz (1508–1514). Beiträge zu seiner Geschichte. Diss. phil. Erlangen 1955, bes. 86–104; Gümbel, Albert: Berichte Dr. Erasmus Topplers, Propsts von St. Sebald zu Nürnberg, vom kaiserlichen Hofe 1507–1512. In: Archivalische Zeitschrift, Neue Folge, 17 (1910), 125–229, Nr. 24, 157.

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dem persönlichen Engagement des kaiserlichen Kommissars und neubestallten Kammerrichters Graf Adolf von Nassau war es zu verdanken, dass ständische Deputierte nach Ende des Reichstages Beschlüsse fassten, die wenigstens den Fortbestand des Reichsge­ richts gewährleisteten42. Ohne konstruktiven Gegenspieler auf ständischer Seite ging die In­ itiative bei den Reformmaterien ganz auf die kaiserliche Regierung über. 1510 in Augsburg wichen die Stände Verhandlungen über die in Hinblick auf ihre Praktikabilität und Verfassungskonformi­ tät wohldurchdachten kaiserlichen Vorschläge zum Exekutions­ wesen noch aus43. Auf dem Trierer/Kölner Reichstag von 1512 ge­ lang es aufgrund der günstigen reichstagspolitischen Konstellation – Kursachsen war wegen des Streits mit Kurmainz um Erfurt fern­ geblieben44 – schließlich doch noch, das Exekutionsproblem mit der wiederholt von Maximilian projektierten Reichskreisordnung zu verknüpfen. Zu den 1495/1500 als Wahlkörpern für das Kammer­ gericht gebildeten sechs Reichskreisen kamen vier neue, die habs­ burgischen Erblande und die Kurfürstentümer umgreifende Zirkel hinzu. Damit existierte im Prinzip eine Exekutivstruktur für das ge­ samte Binnenreich, die auf dessen vorgegebener regionaler und ter­ ritorialer Gliederung basierte45. Allerdings mussten insbesondere die bereits konsolidierten Territorien die Kreisordnung als Bedro­

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Wormser Abschied, 1509 Juni 16; Abschrift: Staatsarchiv Bamberg, Gehei­ me Kanzlei, Nr. 6, fol. 200–202. Dieser Reichstagsbeschluss wurde in der Forschung bislang übersehen. Bei dem von Hollegger, Maximilian (wie Anm. 35), 220, angegebenen Stück handelt es sich nicht um den Reichsab­ schied, sondern um die Schlussresolution der Stände; Druck: Janssen (wie Anm. 3), Nr. 976, 778f. 43 Resolution der Reichsstände an Kaiser Maximilian, Augsburg 1510 Mai 3; ebd., Nr. 1020, 822f. Vgl. Tischer, Reichsreform (wie Anm. 33), 702f; Angermeier, Reichsreform (wie Anm. 1), 206; Wiesflecker, Kaiser (wie Anm. 33), Bd. 4, 267f; Rom, Elisabeth: Maximilian  I. und die Reichstage von 1500 bis 1510. Diss. phil. dakt. Graz 1970, 148f. 44 Ludolphy, Ingetraut: Friedrich der Weise. Kurfürst von Sachsen 1463– 1525. Göttingen 1984, 255. 45 Vgl. Angermeier, Reichsreform (wie Anm. 1), 209f; Wiesflecker, Kai­ ser (wie Anm. 33), Bd. 4, 269–277; Tischer, Reichsreform (wie Anm. 33), 703f; Dotzauer, Winfried: Die deutschen Reichskreise (1383–1806). Ge­ schichte und Aktenedition. Stuttgart 1998, 52.

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hung ihrer quasistaatlichen Autonomie wahrnehmen46. So erwies sie sich im Rahmen der Augsburger Exekutionsordnung von 1555 zwar als wegweisende Konzeption47; während der Regierungszeit Maximilians  I. erlangten die Reichskreise allerdings keine Bedeu­ tung mehr. Kaiser Maximilian hatte 1512 noch weiter reichende Reformen ge­ plant. Unproblematisch war die Verlängerung des Reichskam­ mergerichts um weitere sechs Jahre. Auch die Einberufung eines jährlichen Reichstages wurde bewilligt. Beim geforderten zwölf­ köpfigen Reichsrat handelte es sich natürlich nicht um eine Neu­ auflage des Reichsregiments von 1500, sondern er war als Behörde zur Erleichterung monarchischer Regierungspraxis gedacht, unter anderem mit der Befugnis, die dem Reichsoberhaupt vorbehaltene Schiedsgerichtsbarkeit zu praktizieren und damit eine ganz wesent­ liche Funktion zur Stabilisierung des Reichsgefüges wahrzuneh­ men. Die Stände stimmten auch der Einrichtung dieses Gremiums, allerdings in verkleinerter Form, zu. Der Beschluss wurde aller­ dings nicht realisiert48. Die – abgesehen von einigen ergebnislosen Rumpfreichstagen – nach einer Unterbrechung von fünf Jahren ein­ berufenen Reichstage in Mainz 1517 und Augsburg 1518 zeitigten, trotz unzweifelhaften Handlungsbedarfs angesichts der vor allem in Oberdeutschland zunehmenden Friedlosigkeit, keine weiteren Ergebnisse mehr49. Die vollständige Dominierung der kaiserlichen 46

Vgl. die mit Hinblick auf Mittel- und Nordostdeutschland angestellten, je­ doch darüber hinaus Gültigkeit beanspruchenden Überlegungen von Tho­ mas Nicklas, Macht (wie Anm. 33), 27f. 47 Lanzinner, Maximilian: Friedenssicherung und politische Einheit des Rei­ ches unter Kaiser Maximilian  II. (1564–1576). (Schriftenreihe der Histori­ schen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 45) Göttingen 1993, 233ff. 48 Vgl. Angermeier, Reichsreform (wie Anm. 1), 208f. 49 Ein zu Beratungen über die zunehmende Friedlosigkeit auf dem Mainzer Reichstag eingesetzter Ausschuss stellte nach dem Studium der Kammer­ gerichts- und Landfriedensordnungen fest, dass sie beide durch die Rom. keys. maj., unsers allergnedigsten hern, auch des heilgen Rom. reichs stende loblich bedacht und vernonfftiglich auffgericht und geordent, declarirt und zu den richstagen also ufft ersetzt, das sie nit zu endern nach statlich zu bessern sein. Der Ausschuss analysierte den Unfrieden im Reich vor al­ lem als Konsequenz aus der unterbliebenen und mangelhaften Umsetzung der Reichsordnungen, aber auch der fehlenden Exekutive. Die Reichsstän­ de übersandten das Gutachten an Kaiser Maximilian; Janssen, Reichscor­

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Reichspolitik durch habsburgische Interessen war zweifellos einer der verantwortlichen Faktoren. Aber auch auf der Seite der weiter­ hin führungslosen Reichsstände war der das Reich tragende Grund­ konsens kaum mehr für gemeinsame friedenspolitische Beschlüsse mobilisierbar50. Die auf den Reichstagen Bertholds von Mainz fort­ entwickelte Kohärenz des Reiches war in dieser krisenhaften Pha­ se der Reichsgeschichte unzweifelhaft abgeschwächt. Dieses Phä­ nomen manifestierte sich nicht zuletzt im signifikanten, wenngleich temporären Anstieg interterritorialer Konflikte. 3. Zur Bedeutung der maximilianeischen Reichsversamm­ lungen für die interständischen Konflikte im Reich Wurde auf den Reichstagen zwischen 1495 und 1500 nicht weniger als die Regierungs-, Gerichts- und Friedenskompetenz des Reichs­ oberhaupts in Frage gestellt und nach einer Unterbrechung unter den besonderen Umständen des Kölner Reichstages von 1505 ab 1507 wieder über eine teilweise Umschichtung königlicher Präro­ gative auf ständisch dominierte Institutionen verhandelt, so waren die Reichstage im weiteren Sinn, nämlich als bevorzugter organisa­ torischer Rahmen für königliche Schieds- und Gerichtstage, doch zugleich Foren für die exklusive, gerade seitens der Stände auch gewollte Geltendmachung königlicher Gerichtsgewalt. Die Aus­ sicht auf die Behandlung eigener Anliegen, darunter eben auch ak­ tuelle interterritoriale Konflikte, veranlasste viele Stände überhaupt respondenz (wie Anm. 3), Bd. 3, Nr. 1173, 929–937, Zitat 930. Ein Teil der Punkte wurde zwar aufgrund einer kaiserlichen Resolution (Augsburg 1518 Juli 17; ebd., Nr. 1198, 967ff) auf dem Augsburger Reichstag von 1518 noch einmal diskutiert, allerdings letztlich ergebnislos. 50 Vgl. Moraw, Peter: Die Funktion von Einungen und Bünden im spätmit­ telalterlichen Reich. In: Alternativen zur Reichsverfassung in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Volker Press und Dieter Stievermann. (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien, 23) München 1995, 1–21, hier 7f; Mo­ raw, Peter: Zur staatlich-organisatorischen Integration des Reiches im Mittelalter. In: Staatliche Vereinigung: Fördernde und hemmende Elemen­ te in der deutschen Geschichte. Tagung der Vereinigung für Verfassungsge­ schichte in Hofgeismar vom 13.03.–15.03.1995. Hrsg. von Wilhelm Braun­ eder. (Beihefte zu „Der Staat“. Zeitschrift für Staatslehre, Öffentliches Recht und Verfassungsgeschichte, 12) Berlin 1998, 7–28, hier 18–23; Lan­ zinner, Friedenssicherung (wie Anm. 47), 511.

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erst zur Mitwirkung an den Reichsversammlungen, und Maximilian bediente diesen Wunsch ganz gezielt. Denn nur eine ausreichende Zahl und Dignität von Teilnehmern gewährleistete wenigstens ein Minimum an Verbindlichkeit und Wirksamkeit von Reichshilfe­ beschlüssen. So wurden viele interterritoriale Konflikte durch vom Reichsoberhaupt beziehungsweise von Reichsständen vermit­ telte Verträge oder durch kaiserliche Schiedssprüche und Rechts­ entscheide eben auf Reichstagen beigelegt oder deren Schlichtung durch Kommissare wenigstens vorbereitet. Die Attraktivität die­ ser Verfahren für die Stände lag verfahrenstechnisch im so lange wie möglich durchgehaltenen Konsensprinzip, personal in der Einschal­ tung reichsfürstlicher Vermittler von hoher Integrität begründet, an der es Maximilian I. – the veteran of a dozen betrayals 51 – und der Mehrzahl seiner selbst für damalige Verhältnisse über das ak­ zeptable Ausmaß hinaus zu Korruption neigenden Räte mangelte. Zu nennen sind in vielen erfolgreichen Schlichtungsverfahren ein­ gesetzte Persönlichkeiten wie der Trierer Erzbischof Jakob von Ba­ den (reg. 1503–1511), der Würzburger Bischof Lorenz von Bibra (reg. 1495–1519) und der Kammerrichter und kaiserliche Rat Graf Adolf von Nassau-Wiesbaden (reg. 1480–1511)52. Bis gegen Ende der Regierungszeit Maximilians wandten sich die Parteien in Streit­ sachen vorzugsweise zuerst an das Reichsoberhaupt, doch stieg die Zahl der direkten Anträge an die Reichsversammlung allmählich an. Die Etablierung des Supplikationsausschusses auf dem Wormser Reichstag 1521 war die logische Konsequenz53. Die Konflikte zwischen Reichsständen waren bereits vor der Re­ gierungsübernahme Maximilians I. aufgrund der fortgeschrittenen 51

Elton, Geoffrey R.: England under the Tudors. 3. Aufl. Abingdon 1991, 91. 52 Zu Graf Adolf vgl. Menzel, Carl: Geschichte von Nassau von der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Bd. 1. Wiesbaden 1879, bes. 441–516; Webern, Wilfried: Die Grafen von Nassau im Dienste Kaiser Maximilians I. Diss. phil. dakt. Graz 1978, bes. 45–132; Wiesflecker, Kai­ ser (wie Anm. 33), Bd. 5, 47ff. 53 Neuhaus, Helmut: Supplikationen auf Reichstagen des 16. Jahrhunderts. Zahl, Inhalt und Funktionen. In: Der Reichstag 1486–1613: Kommunika­ tion – Wahrnehmung – Öffentlichkeiten. Hrsg. von Maximilian Lanzinner und Arno Strohmeyer. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 73) Göttingen 2006, 149– 161, hier 151f.

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Territorialisierung in den meisten Regionen Deutschlands im Ab­ klingen begriffen. Sie gingen gegen Ende des 15. Jahrhunderts an Zahl und Intensität merklich zurück und tendierten insgesamt zur Regionalisierung54. Einen letzten Höhepunkt markierten der Bay­ erische Krieg (1459–1463) und die Mainzer Stiftsfehde (1461/62). Danach verlor das gewaltsame Element im Konkurrenzkampf der Territorien allmählich an Bedeutung. Expansion durch militärische Mittel wurde durch die Entwicklung des Kriegswesens schlicht unrentabel. So musste Nürnberg, hinsichtlich seiner territorialen Zugewinne einer der Hauptprofiteure des Landshuter Erbfolge­ krieges, konstatieren, dass der Kauf der eroberten Gebiete weitaus kostengünstiger gewesen wäre55 . Auch galt infolge der fortschrei­ tenden Rezeption des römischen Rechts, anders als im Mittelalter, der gewaltsame Landerwerb nicht mehr als legitimes Mittel. Bi­ schof Friedrich von Utrecht begründete in einem Schiedsverfahren während des Konstanzer Reichstages von 1507 seinen fortbeste­ henden Rechtsanspruch auf die Stadt Groningen nach ihrer Beset­ zung durch Graf Edzard von Ostfriesland mit dem Besitzschutzin­ terdikt „Unde vi“56 . Das neue Rechtsverständnis drückte sich auch in der Unsicherheit der mit der Exekution gegen Kurfürst Philipp von der Pfalz im Landshuter Erbfolgekrieg beauftragten Stände hinsichtlich der Rechtmäßigkeit und Unveränderlichkeit ihrer Er­ oberungen aus. Sämtliche ehemaligen Kriegsgegner sicherten ihre Gewinne deshalb in den folgenden Jahren durch bilaterale Verträge mit Kurpfalz ab57. 54

Vgl. beispielsweise für den fränkischen Raum Merz, Johannes: Fürst und Herrschaft. Der Herzog von Franken und seine Nachbarn 1470–1519. München 2000, 48–51. 55 Müllner, Johannes: Die Annalen der Reichsstadt Nürnberg von 1623. Teil III: 1470–1544. Hrsg. von Michael Diefenbacher. (Quellen und Forschun­ gen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg, 32) Nürnberg 2003, 327; Reicke, Emil: Geschichte der Reichsstadt Nürnberg von dem ersten urkundlichen Nachweis ihres Bestehens bis zu ihrem Uebergang an das Königreich Bayern (1806). Nürnberg 1896, 524. 56 Duplik Utrechts gegen Sachsen, Konstanz 1507 Juni 12; RTA, MR, Bd. 9 (wie Anm. 6), Teilbd. 1, Nr. 374, Punkt 7. Vgl. zu den Besitzschutzinter­ dikten Müller, Theresa: Besitzschutz in Europa. Eine rechtsvergleichende Untersuchung über den zivilrechtlichen Schutz der tatsächlichen Sachherr­ schaft. (Studien über Privatrecht, 3) Tübingen 2010, 12–15. 57 RTA, MR, Bd. 8 (wie Anm. 21), Teilbd. 1, 141f, 582, Anm. 14.

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Die Expansionsbestrebungen der bayerischen Teilherzogtümer un­ ter Herzog Albrecht dem Weisen und Herzog Georg dem Reichen wurden bereits vorrangig mit finanziellen und rechtlichen Mit­ teln bestritten. Die mit der Aneignung des reichsfreien Regensburg durch Albrecht  IV. begangene Grenzüberschreitung führte zwar zur Reichsacht und militärischen Auseinandersetzung mit dem als Gegengewicht zu den bayerischen Wittelsbachern installierten Schwäbischen Bund. Die kriegerische Intensität des Konflikts war jedoch nicht entfernt mit früher im Reich geführten Auseinander­ setzungen zu vergleichen. König Maximilian gelang im Augsburger Schiedsspruch von 1492 die friedliche Beilegung58. Zugleich war die bayerische Expansion, ohne größere Erfolge verbuchen zu können, damit gestoppt59. Nicht die Methode gewaltlosen Landerwerbs war dadurch als Irrweg diskreditiert, sondern die Zielsetzung territori­ aler Ausdehnung zu Lasten des Hauses Habsburg. Waren die maximilianeischen Reichsversammlungen qua Schiedsund Gerichtstage mit Konflikten ohnehin reduzierter Bellizität be­ fasst, so trugen sie gleichwohl, jedenfalls bis 1510/12, erheblich zur Befriedung des Reichsverbandes bei. Zahlreiche Streitigkeiten zwi­ schen Reichsständen erreichten entweder gar nicht das Stadium von Gewalt oder die freilich in erster Linie als politisches Druckmittel eingesetzten, seltener ein konkretes militärisches Ziel verfolgenden Kampfhandlungen konnten nach kurzer Zeit stillgelegt werden. Natürlich benötigten die Vermittlungsverfahren aufgrund des im Reichssystem geltenden Konsensprinzips angesichts einer meist po­ litisch komplexen Interessenlage und auch aufgrund der in der Re­ gel unklaren rechtlichen Situation Zeit und beschäftigten häufig mehrere Reichstage. Der an der Peripherie des Binnenreiches liegende Dauerkrisen­ herd Friesland kam auf den meisten Reichstagen zwischen 1495 und 1512 zur Sprache. Auf einem in den Konstanzer Reichstag von 1507 eingebetteten Gerichtstag unternahmen König und Stän­ de einen großangelegten Ausgleichsversuch zwischen den Parteien. 58

Königlicher Schiedsspruch, Augsburg 1492 Mai 25; Druck: Krenner, Franz: Bairische Landtags-Handlungen in den Jahren 1429–1513. Bd. 10. München 1804, 585–598. 59 Mayer, Stefan Rudolf: Das Ringen Bayerns und des Kaiserhofes um die Reichsstadt Regensburg 1486/92–1508. (Schriftenreihe zur Bayerischen Landesgeschichte, 110) München 1996, 64f; Wolf, Doppelregierung (wie Anm. 13), 534.

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Doch erwiesen sich die Argumente des Reichsstatthalters Her­ zog Georg von Sachsen und seiner Gegenspieler, Bischof Friedrich von Utrecht und die Stadt Groningen, als inkompatibel. Graf Ed­ zard von Ostfriesland, der Groningen zu dieser Zeit besetzt hielt, nahm gar nicht an den Verhandlungen teil, die – zuerst von König und Reichsversammlung, dann gemeinsam von Hofräten Maximi­ lians und aus den drei Kurien ausgewählten Vermittlern geführt – schließlich scheiterten60. In der um 1510 einsetzenden Phase zuneh­ mender Friedlosigkeit im Reich entlud sich der Konflikt gewaltsam in der Friesischen Fehde (1514–1517). Auch territoriale Kleinkonflikte, wie die Steuer- und Jurisdikti­ onsstreitigkeiten zwischen Erzbischof Hermann von Köln und der Stadt oder der Streit um die bischöflichen Befugnisse in der Stadt Worms61, standen auf der Tagesordnung mehrerer um Schiedsta­ ge erweiterter Reichsversammlungen. Der Wormser Streit zeigt, wie eng sein Verlauf und die Verzögerung seiner Klärung mit po­ litischen Interessen des Reichsoberhaupts zusammenhingen. Maxi­ milian favorisierte in solchen Konstellationen aus reichspolitischen Erwägungen prinzipiell die fürstliche Seite. Deshalb hatte er sich 1494 zuerst auf die Seite Bischof Johanns von Dalberg gestellt und dessen Befugnis zur Einsetzung des Magistrats bestätigt62. Nach ei­ nigem Hin und Her forderte der König die Stadt auf dem Augsbur­ ger Reichstag von 1500 zur Restituierung der bischöflichen Rechte

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RTA, MR, Bd. 9 (wie Anm. 6), Teilbd. 1, Nr. 369–387. Ennen, Leonhard: Geschichte der Stadt Köln, meist aus den Quellen des Kölner Stadtarchivs. Bd. 3. Köln, Neuss 1869, 645–652; Fuhs, Maria: Hermann  IV. von Hessen. Erzbischof von Köln 1449/50–1508. (Kölner Historische Abhandlungen, 40) Köln, Weimar, Wien 1995, 340–375; Cha­ lopek, Gertrud: Kaiser Maximilian I. und seine Beziehungen zu den geist­ lichen Kurfürsten in den Jahren 1493 bis 1519. Diss. phil. dakt. Graz 1980, 254–261. 62 Antwerpener Spruch, 1494 Dezember 23; Schannat, Johann Friedrich: Historiae episcopatus Wormatiensis tomus secundus codicem probationum exhibens. Frankfurt am Main 1734, 277; Boos, Heinrich (Hrsg.): Quellen zur Geschichte der Stadt Worms. Teil 3: Chroniken. (Monumenta Worma­ tiensia. Annalen und Chroniken) Berlin 1893, 386f. Vgl. Jürgensmeier, Friedhelm (Hrsg.): Das Bistum Worms. Von der Römerzeit bis zur Auf­ lösung 1801. (Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte, 5) Würzburg 1997, 145. 61 Vgl.

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auf63. Das Nürnberger Regiment verhängte im folgenden Jahr we­ gen Nichtvollzugs des Urteils sogar die Reichsacht über Worms64. Die unklare Haltung Bischof Reinhards von Rüppurr gegenüber Kurpfalz während des Landshuter Erbfolgekriegs veranlasste in­ dessen eine völlige Kehrtwende Maximilians in dem Konflikt. Er sprach der Stadt sämtliche mit dem Bischof strittigen Rechte un­ ter anderem bei der Besetzung von Rat und Gericht zu65. Da die aus dem Krieg resultierenden Probleme im Verhältnis zur Kur­ pfalz auf dem Konstanzer Reichstag von 1507 nicht geregelt wer­ den konnten, erhielt der König auch den Druck auf Bischof Rein­ hard aufrecht. Dessen Belehnung mit den Reichsregalien erfolgte, ungeachtet einer Interzession der Reichsstände, explizit unter Aus­ klammerung etwaiger bischöflicher Rechte in der Stadt66. Bezeich­ nenderweise gelang erst auf dem königlosen Wormser Tag von 1509 mit der Vermittlung zwischen Stadt und Stiftsklerus wenigstens eine Teillösung67. Ähnlich verhielt sich das Reichsoberhaupt bei der Beendigung des Landshuter Erbfolgekrieges, neben dem Schweizerkrieg von 1499 einem der beiden Großkonflikte im Binnenreich vor der krisen­

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Entscheid König Maximilians, Augsburg 1500 August 17; Boos, Quellen (wie Anm. 62), 443, 452–456; Janssen, Reichscorrespondenz (wie Anm. 3), Bd. 2, Nr. 813, 662; RI, Bd. XIV (wie Anm. 2), Teilbd. 3/1, Nr. 10730, 297. Spruch des Reichsregiments, Nürnberg 1501 September 14; Boos, Quellen (wie Anm. 62), 469. Entscheid König Maximilians, Donauwörth 1504 September 4; Schannat, Historiae (wie Anm. 62), 291f. Deklaration König Maximilians, Konstanz 1507 August 10; RTA, MR, Bd. 9 (wie Anm. 6), Teilbd. 2, Nr. 968. Spruchbrief Erzbischof Jakobs von Trier und Kurfürst Friedrichs von Sachsen, Worms 1509 Juni 9/18; Druck Peter Drach (Speyer): Stadtarchiv Worms, 1  B, Nr. 1922, unfol. Vgl. Bönnen, Gerold: Zwischen Konflikt und Zusammenleben: Bischof Johann von Dalberg und die Stadt Worms. In: Der Wormser Bischof Johann von Dalberg (1482–1503) und seine Zeit. Hrsg. von Gerold Bönnen und Burkard Keilmann. (Quellen und Abhand­ lungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte, 117) Mainz 2005, 41–87, hier 81; Todt, Sabine: Kleruskritik, Frömmigkeit und Kommunikation in Worms im Mittelalter und in der Reformationszeit. (Beiträge zur Wirt­ schafts- und Sozialgeschichte, 103) Stuttgart 2005, 133f; Toifl, Leopold: Friede und Recht im Reich und in den Erbländern in der Zeit Maximili­ ans I. Diss. phil. dakt. Graz 1982, 19f.

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haften Schlussdekade der Regierung Maximilians I.68. Neben einem Großteil der oberdeutschen Stände waren mit kleineren Kontin­ genten sogar mittel- und norddeutsche Fürsten beteiligt. Die mi­ litärischen Auseinandersetzungen fanden mit Bayern, dem Elsass und den Grenzgebieten zwischen der Kurpfalz und ihren Nach­ barn in Kernregionen des Reiches statt. Eine kurfürstliche Initiati­ ve veranlasste den König zwar zur Einberufung eines Reichstages nach Frankfurt69, doch hatte er kein Interesse an den projektierten Vermittlungsverhandlungen. So boykottierte er den Reichstag und setzte stattdessen die militärischen Operationen zuerst in den an Kurpfalz verpfändeten Reichslandvogteien Ortenau und Hage­nau und anschließend in der Grenzregion zwischen Tirol und Nieder­ bayern fort. Erst nach Erreichen seiner Kriegsziele bemühte sich Maximilian um die Stilllegung des Konflikts. Auf dem organisato­ risch von einem Reichstag ummantelten königlichen Gerichtstag in Köln sollte 1505 die Entscheidung über das niederbayerische Erbe fallen. Da diesbezüglich eine geheime Vorvereinbarung zwischen dem königlichen Hofmarschall Paul von Liechtenstein und Her­ zog Albrecht von Oberbayern bestand, erwiesen sich die Verhand­ lungen letztlich als Farce. Ein Großteil des Erbes fiel an München, die Gegenpartei um Pfalzgraf Friedrich musste sich mit dem neuge­ 68

Zwar fand während des Schweizerkrieges ein Reichstag statt, der – ur­ sprünglich nach Worms einberufen – schließlich auf Wunsch Maximilians nahe am Geschehen in Überlingen tagen sollte, doch verweigerten die An­ wesenden wegen der geringen Teilnehmerzahl die Eröffnung der Verhand­ lungen. Die Kriegslast lag ausschließlich auf dem Schwäbischen Bund und den österreichischen Erbländern. Erst sechs Monate nach Kriegsausbruch, im Juli 1499, versammelte sich das vom König – per Ausschreiben, dem die Reichsversammlung nur widerstrebend zugestimmt hatte (Bericht Pe­ ters von Aufseß an Bischof Lorenz von Würzburg, Köln 1499 März 7; RI, Bd. XIV [wie Anm. 2], Teilbd. 3/2, Nr. 13029, 633f; Ausschreiben König Maximilians an die Reichsstände, Freiburg im Breisgau 1499 April 22; ebd., Teilbd. 3/1, Nr. 9124, 31f) – angeforderte Reichsheer, das jedoch nicht mehr zum Einsatz kam. Auch in die Friedensverhandlungen war das Reich nicht involviert. Der Basler Friede vom 22.  September wurde als Abkommen zweier Reichsstände, zwischen Maximilian  I. qua Erzherzog von Öster­ reich und Bischof Heinrich von Chur, geschlossen. Schon auf dem nächsten Reichstag in Augsburg (1500) spielte der Schweizerkrieg kaum mehr eine Rolle. 69 Ladungsschreiben König Maximilians, Donauwörth 1504 Mai 7; RTA, MR, Bd. 8 (wie Anm. 21), Teilbd. 1, Nr. 1, 147–150.

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schaffenen Fürstentum Neuburg zufrieden geben. Doch der Kölner Spruch ließ70, wie vom König aus rein taktischen Gründen beab­ sichtigt, wichtige Regelungen zur genauen Abgrenzung des neuen Fürstentums offen. Die Parteien sollten bei den anstehenden Taxa­ tionsverhandlungen weiterhin auf das Wohlwollen des Reichsober­ haupts als oberstem Schiedsrichter angewiesen bleiben. In der Folge überzog Maximilian seine Position. Ganz auf die Her­ stellung der außenpolitischen Voraussetzungen für seinen Romzug fixiert, widmete er der niederbayerischen Frage nicht mehr die nöti­ ge Aufmerksamkeit und war deshalb hauptverantwortlich für die er­ neute Eskalation des Erbfolgestreits. Im Frühjahr 1507 traf Herzog Albrecht von Bayern bereits Vorbereitungen zur gewaltsamen Beset­ zung des der Gegenseite zugesprochenen Unterpfands. Der Schwä­ bische Bund hatte das Vorgehen Albrechts angesichts der vom König tolerierten Verschleppungstaktik Pfalzgraf Friedrichs als berechtigt anerkannt, seine Unterstützung zugesichert und bereits die Bundes­ kontingente in Bereitschaft versetzt71. Beinahe zu spät erkannte Ma­ ximilian die Tragweite des Vorgangs. Sein Romzug wäre bei einem erneuten Ausbruch des Landshuter Erbfolgekrieges undurchführbar gewesen. Er lud die Parteien zu einem Schiedsverfahren nach Kon­ stanz, wo der Reichstag über eine Hilfe für den geplanten Zug nach Italien beraten sollte. Zwar wandte sich insbesondere Pfalzgraf Fried­ rich in propagandistischer Absicht auch an die versammelten Reichs­ stände, die eigentlichen Verhandlungen führten jedoch erneut könig­ liche Hofräte und einige zugeordnete Fürsten72. Mit der vom König verabschiedeten Konstanzer Deklaration gelang die Entschärfung des Konflikts73. Mitentscheidend war, dass der nach dem König einfluss­ reichste Reichsfürst, Friedrich von Sachsen, als neuer Obmann die 70

Entscheid König Maximilians, Köln 1505 Juli 30; ebd., Nr. 476, 771–779. Vgl. ebd., 77–97, 133–135; Stauber, Reinhard: Herzog Georg von BayernLandshut und seine Reichspolitik. Möglichkeiten und Grenzen reichsfürst­ licher Politik im wittelsbachisch-habsburgischen Spannungsfeld zwischen 1470 und 1505. (Münchener historische Studien. Abt. Bayerische Geschich­ te, 15) Kallmünz 1993, 770–776. 71 Schwäbischer Bundesabschied, Augsburg 1507 April 18; RTA, MR, Bd. 9 (wie Anm. 6), Teilbd. 1, Nr. 81. 72 Ebd., Nr. 389–420. 73 Konstanzer Deklaration, 1507 Juli 2; Druck: Krenner, Landtags-Hand­ lungen, Bd. 16 (wie Anm. 58), 200–215; Regest: RTA, MR, Bd. 9 (wie Anm. 6), Teilbd. 1, Nr. 410.

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weiteren Taxationsverhandlungen leiten sollte. Zwar gelang eine end­ gültige Regelung über den genauen Umfang Pfalz-Neuburgs erst mit dem Ingolstädter Vertrag von 150974 – auf dem Wormser Reichstag waren in Abwesenheit des Königs die entscheidenden Verhandlungen verabredet worden –, doch ging von diesem Konflikt für den Reichs­ frieden keine Gefahr mehr aus. Dass Maximilian  I. aus politischem Kalkül Auseinanderset­ zungen bewusst in der Schwebe hielt, war durchaus kein Einzel­ fall. Im beinahe zum Krieg eskalierten Streit zwischen Kurmainz und Kursachsen um Erfurt75, mit dem sich der Augsburger Reichs­ tag von 1510 befasste76, ging es ihm nicht zuletzt darum, mit Kur­ fürst Friedrich dem Weisen seinen einflussreichsten politischen Gegenspieler im Reich zu schwächen. Noch schwieriger wur­ de die Konfliktlösung, wenn es sich bei den fürstlichen Friedbre­ chern um zuverlässige Parteigänger des Reichsoberhaupts handel­ te: Das rechtswidrige Vorgehen Landgraf Wilhelms des Mittleren (reg. 1485/1500–1509) gegen den im hessischen Raum beheima­ teten reichsunmittelbaren Adel blieb aus diesem Grund ungeahn­ det77. Markgraf Friedrich von Brandenburg-Ansbach (reg. 1486– 1515) verübte in eigener Verantwortung oder durch Dritte seit 1491 regelmäßig Übergriffe gegen das benachbarte Nürnberg. Er blieb nicht nur unbehelligt, sondern klagte sogar während des Augsbur­ ger Reichstages von 1500 gegen die Stadt. Bereits die Klageerhe­ bung diente als Vorwand für weitere Übergriffe bis hin zur offenen Feldschlacht. Die Nürnberger mussten froh sein, als der Erfurter Schiedsspruch von 1502 den Konflikt fürs Erste auf ihre Kosten beilegte78. Das Problem der vom Markgrafen auf den Plan geru­ 74

Ingolstädter Vertrag, 1509 August 13; Druck: Krenner, Landtags-Hand­ lungen, Bd. 17 (wie Anm. 58), 236–257. Vgl. Cramer-Fürtig, Michael: Landesherr und Landstände im Fürstentum Pfalz-Neuburg in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. (Schriftenreihe zur Bayerischen Landesge­ schichte, 100) München 1995, 24f. 75 Vgl. Ludolphy, Kurfürst (wie Anm. 44), 252–256; Toifl, Friede (wie Anm. 67), 87–97; Faulde, Gemmingen (wie Anm. 41), 38–76. 76 Vgl. Antwort Kaiser Maximilians auf einen Vortrag von Kurmainzer und Erfurter Gesandten, undatiertes Konzept, vermutlich 1511; Haus-, Hofund Staatsarchiv Wien, Maximiliana 40, Fasz. II/9, fol. 78–81’. 77 Toifl, Friede (wie Anm. 67), 174f. 78 Müllner, Annalen (wie Anm. 55), 227f; Seyboth, Reinhard: Die Mark­ graftümer Ansbach und Kulmbach unter der Regierung Markgraf Fried­

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fenen adligen Befehder blieb allerdings unverändert bestehen – wo­ rauf noch einzugehen sein wird. Natürlich gab es auch Reichsfürsten, die sich einvernehmlichen Konfliktlösungen weitgehend entzogen. Der reichspolitisch gravie­ rendste Fall war Kurfürst Philipp von der Pfalz (reg. 1476–1508), der im kleineren Maßstab die gewaltsame Expansionspolitik seines Onkels und Amtsvorgängers Kurfürst Friedrichs des Siegreichen fortsetzte. Eines der pfälzischen Hauptziele bildete das Kurfürsten­ tum Mainz. Ein bereits vorbereiteter größerer Angriff konnte durch den Schwäbischen Bund verhindert werden. Unter starkem Druck musste sich der Pfälzer auf dem Wormser Reichstag von 1495 in einen Vergleich einlassen; der Konflikt wurde von da ab nur noch in schriftlicher Form ausgetragen79. Schwerwiegender und folgen­ reicher war die über einen Strohmann, Hans von Drott, geführte und auch nach 1495 fortgesetzte Fehde gegen das elsässische Wei­ ßenburg. Der Fall beschäftigte von 1496 bis 1500 weitgehend ergeb­ nislos vier Reichstage. Kurfürst Philipp entzog sich allen Schlich­ tungsbemühungen. In gewisser Weise schlug die Logik seiner politischen Methode auf ihn zurück, als er seine Ambitionen auf Abtei und Reichsstadt nach dem Zusammenbruch der pfälzischen Positionen im Landshuter Erbfolgekrieg (1504/05) aufgeben muss­ te80. Herzog Ulrich von Württemberg benannte glaubhaft die stän­ dig von Kurpfalz ausgehenden oder veranlassten Friedstörungen als Grund für seine Mitwirkung an diesem Krieg auf der Seite des Kö­ nigs und Albrechts von Bayern81. richs des Älteren (1486–1515). (Schriftenreihe der Historischen Kommissi­ on bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 24) Göttingen 1985, 229–268; Zmora, Hillay: State and nobility in early modern Germany. The knightly feud in Franconia, 1440–1567. Cambridge 1997, 31ff. 79 RTA, MR, Bd. 5 (wie Anm. 8), Teilbd. 1, Nr. 763, 724. Vgl. Ziehen, Edu­ ard: Mittelrhein und Reich im Zeitalter der Reichsreform 1356–1504. Bd. 2. Frankfurt am Main 1937, 497f. 80 Gollwitzer, Heinz: Capitaneus imperatorio nomine. Reichshauptleute in Städten und reichsstädtische Schicksale im Zeitalter Maximilians I. In: Aus Reichstagen des 15. und 16. Jahrhunderts. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 5) Göttin­ gen 1958, 248–282, hier 252–260; Toifl, Friede (wie Anm. 67), 141–152. 81 So ist uns und unsern voreltern und den unsern trang und zwang von uwer L[iebden] eltern und der zugewandten, uns und den unsern zu merklichem schad reychende, vilvaltig zugefugt, zugeschoben und zugesehen, und Hans vom Trat, mit dem [Hans] Lindenschmid, [Hans von Massenbach, gen.]

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Überfordert zeigten sich die Reichsversammlungen in ihrer Funk­ tion als Forum für interterritoriale Konfliktlösungen während der letzten Regierungsjahre Maximilians  I. Zur Zeit des Venezianer­ kriegs (1509–1516) dominierten Außenpolitik und militärische Er­ fordernisse die Reichspolitik des Kaisers noch mehr als zuvor. Die politische Überlagerung seiner Schiedstätigkeit hatte unmittel­ bare Auswirkungen. Bereits 1510 in Augsburg warnten die Stän­ de, dass sich diser zeit zwuschen ettwievil hochen und nydern stenden mergklich widerwil und entperung eraygen und halten82. Der – erweiterte – Reichstag von 1512 war in der Tat mit einer auffällig großen Zahl von Vorgängen befasst83. Während die Reichsversamm­ lung durch die Vielzahl sich überschneidender Interessen im, nach dem Tod Landgraf Wilhelms des Mittleren entbrannten, hessischen Erbfolgestreit blockiert wurde, gelang Maximilian die Vermittlung eines Schiedsvertrags84, der die Ausweitung des Konflikts verhin­ derte. Letztlich musste die Witwe des Landgrafen, Anna von Meck­ lenburg, weitgehend auf sich allein gestellt die Einheit des Landes für ihren Sohn Philipp retten. Ebenso konnte der Kaiser in Köln den Dauerkonflikt zwischen Kurmainz und Hessen um das Dorf

Taylackern, unserm vettern Hg. Eberharten und in ander weg, dadurch wir veracht sein; Herzog Ulrich von Württemberg an Pfalzgraf Ludwig, im Feldlager vor Bretten 1504 Juni 23; RTA, MR, Bd. 8 (wie Anm. 21), Teilbd. 1, 81, Anm. 53. 82 Resolution der Reichsstände an Kaiser Maximilian, Augsburg 1510 April 6; Janssen, Reichscorrespondenz (wie Anm. 3), Bd. 2, Nr. 1009, 805f. 83 Der Reichsabschied, der allerdings nur die Spitze des Eisbergs zeigt, nennt neben der Sickingen-Fehde gegen Bamberg die Streitigkeiten zwischen dem Bischof von Worms und der Stadt, dem Bischof von Speyer und der Stadt Landau, dem Abt von Weingarten und dem kaiserlichen Landvogt in Schwaben, Jakob von Landau, und zwischen Gottfried Schenk von Lim­ purg und Schwäbisch Hall. In den ersten drei Fällen sollten jeweils kaiser­ liche Kommissare eine Verständigung herbeiführen; Reichsabschied, Köln 1512 August 26; Schmauss/Senckenberg, Sammlung, Bd. 2 (wie Anm. 2), 149f, Art. XXI und XXVIII. Vgl. Toifl, Friede (wie Anm. 67), 20, 200. 84 Schiedsspruch Kaiser Maximilians, Köln 1512 September 15; Glagau, Hans (Hrsg.): Hessische Landtagsakten. Bd. 1: 1508–1521. (Veröffentli­ chungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck, 2) Mar­ burg 1901, Nr. 59, 158–164. Vgl. Demandt, Karl Ernst: Geschichte des Landes Hessen. 2. Aufl. Kassel, Basel 1972, 222f.

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Kostheim beilegen85. Doch waren dies Einzelerfolge angesichts ei­ ner rasch anwachsenden Zahl von Konfliktfeldern. In der reichtags­ losen Zeit zwischen 1512 und 1517 versagten die zur Verfügung ste­ henden Konfliktlösungsstrategien weitgehend. Der Mainzer Reichstag von 1517, auf dem das Reichsoberhaupt le­ diglich durch Kommissare vertreten war, befasste sich vorrangig mit den Fällen Württemberg und Sickingen. Neben dem kaiser­ lichen Hof und dem Reichskammergericht war der Reichstag unbe­ stritten zur dritten Anlaufstelle für Konflikte aller Art avanciert86. Dazu hatte erheblich die jahrelange Vernachlässigung friedenspo­ litischer Obliegenheiten durch Kaiser Maximilian beziehungswei­ se ihre Überlagerung durch seine politischen Interessen beigetra­ gen. Allerdings zeigte sich der Reichstag als Institution vorläufig noch überfordert. Auch eine eindeutige Rechtslage konnte an der politischen Blockade nichts ändern87: Herzog Ulrich von Würt­ temberg hatte 1515 seinen Stallmeister Hans von Hutten ermordet, seine Gemahlin Sabine flüchtete vor ihrem gewalttätigen Ehemann zu ihren Brüdern nach München. Maximilian, der das offenkundige Unrecht lange Zeit toleriert hatte, um mit Rücksicht auf den Vene­ zianerkrieg wenigstens äußerlich den Reichsfrieden zu wahren, ver­ hängte 1516 die Reichsacht und betrieb schließlich auch deren Exe­ kution88. Der Schwäbische Bund und die Reichsversammlung von 1517 lehnten diesen Schritt jedoch ab, in der begründeten Sorge vor einem Ausgreifen Habsburgs nach Württemberg. Auf dem Augs­ 85

Schäfer, Regina: Die Herren von Eppstein. Herrschaftsausübung, Verwal­ tung und Besitz eines Hochadelsgeschlechts im Spätmittelalter. (Veröffent­ lichungen der Historischen Kommission für Nassau, 68) Wiesbaden 2000, 294f. 86 Vgl. die in den Frankfurter Gesandtenberichten vom Mainzer Reichstag ge­ schilderten Vorgänge: Janssen, Reichscorrespondenz, Bd. 2 (wie Anm. 3), Nr. 1163, 911f, Nr. 1166, 915f, Nr. 1168, 918ff, Nr. 1170, 922–926, Nr. 1172, 928f, Nr. 1175, 941f. In einem Bericht vom Augsburger Reichstag heißt es: Eß fallen deglich mercklich hendel zu der supplicanten und clagende parthy, es wirt deglich viel supplecirt und begert, aber bißher wenig gewert worden; Augsburg 1518 September 4; ebd., Nr. 1207, 982. 87 Die Frankfurter Gesandten Philipp Fürstenberg und Klaus von Rückingen klagten: Es will leyder niemant behertzigen der groß gewalt, onrecht und verderbens, so deglichs, got wende es dan, bescheen wirt; ebd., Nr. 1166, 915. 88 Instruktion Kaiser Maximilians für seine Kommissare auf dem Mainzer Reichstag, Augsburg 1517 August 1; ebd., Nr. 1174, 936–941.

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burger Reichstag von 1518 brachte das Reichsoberhaupt die Ange­ legenheit erneut vor und bereitete bereits konkrete Schritte zur ge­ waltsamen Liquidierung des Problems vor. Der erneut geächtete Herzog plädierte jedoch vorläufig erfolgreich an die Solidarität sei­ ner Standesgenossen. Es gelang ihm, den Kaiser bis zu dessen Tod hinzuhalten. Unmittelbar danach eskalierte die Situation mit dem Überfall Ulrichs auf Reutlingen, der die Besetzung Württembergs durch den Schwäbischen Bund und den Übergang des Herzogtums an das Haus Habsburg zur Folge hatte89. Ein beinahe groteskes Beispiel für die allgemeine Rechtsunsicher­ heit war die von Seiten des Reiches völlig unbehelligte dreijäh­ rige Belagerung der Stadt Worms durch den geächteten Franz von Sickingen (1515–1517). Auch nach seiner Aussöhnung mit dem Kaiser und der Entlassung aus der Reichsacht auf dem Mainzer Reichstag von 1517, natürlich ohne in irgendeiner Form Wiedergut­ machung geleistet zu haben, setzte er, offensichtlich mit Duldung Maximilians, der die Truppen Sickingens gegen Württemberg ver­ pflichten wollte, seine einträglichen Kriegsunternehmungen zuerst gegen Metz, dann gegen Hessen fort. Im letzteren Fall kann in ge­ wisser Hinsicht von einer Gegenreaktion auf die von Wilhelm dem Mittleren betriebene Repressionspolitik gegen Teile des hessischen Adels gesprochen werden. Landgraf Philipp bat den Kaiser und die Augsburger Reichsversammlung von 1518 vergeblich um Hilfe. Auch er sah sich wie alle Opfer des vom Kaiser geschützten Raub­ ritters zu einem Vergleich mit dem Friedbrecher genötigt90. 89 Vgl.

Press, Volker: Herzog Ulrich (1498–1550). In: 900 Jahre Haus Würt­ temberg. Leben und Leistung für Land und Volk. Hrsg. von Robert Uh­ land. Stuttgart [u.a.] 1984, 110–135, hier 114f; Sattler, Christian Friedrich: Geschichte des Herzogthums Wuertenberg unter der Regierung der Her­ zogen. Bd. 1. Ulm 1769, 236–240; Ulmann, Heinrich: Fünf Jahre Würtem­ bergischer Geschichte unter Herzog Ulrich. 1515–1519. Leipzig 1867, 90– 102; Wiesflecker, Kaiser (wie Anm. 33), Bd. 4, 280ff; Bd. 5, 88ff. 90 Ulmann, Heinrich: Franz von Sickingen. Nach meist ungedruckten Quel­ len. Leipzig 1872, 24–122; Wiesflecker, Kaiser (wie Anm. 33), Bd. 5, 94–99; Press, Volker: Franz von Sickingen – Wortführer des Adels. Vor­ kämpfer der Reformation und Freund Huttens. In: Adel im Alten Reich. Gesammelte Vorträge und Aufsätze. Hrsg. von Franz Brendle und Anton Schindling. (Frühneuzeit-Forschungen, 4) Tübingen 1998, 319–331, hier 322ff; Schmidt, Georg: Der Städtetag in der Reichsverfassung. Eine Unter­ suchung zur korporativen Politik der Freien und Reichsstädte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. (Veröffentlichungen des Instituts für Europä­

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Die Sickingen-Fehden deuten schon an, dass – ungeachtet einiger spektakulärer interterritorialer Konflikte – die krisenhafte Entwick­ lung der letzten zehn Regierungsjahre Maximilians  I. eher durch die zahlreichen Friedbrüche in Form der zeitgenössisch als „Rau­ berey“, „Plackerei“ und „Heckenreiterei“ bezeichneten Gewaltkri­ minalität in den territorialen Gemengelagen des Reiches91 markiert wurde. Die Konflikte zwischen den Territorien gingen dagegen in der Tendenz unbestreitbar zurück. Dies war auch der allmählich wirksamer werdenden Reichsfriedensordnung geschuldet. Bekannt­ lich fand 1567 mit der Grumbach-Krise die letzte Großfehde alten Stils ihr gewaltsames Ende92. 4. „Plackerey“ und „Rauberey“ Die Reichstage setzten sich mit kriminalisierten adligen Fehden wie auch mit der alltäglichen Raubkriminalität nur am Rande auseinan­ der. Hinter den im Reich einflussreichsten Landesherren standen zumeist bereits konsolidierte Territorien, die über genügend eige­ ne polizeiliche Möglichkeiten verfügten. Ein Beschluss des Worm­ ser Reichstages von 1495 setzte folgerichtig auf die Obrigkeiten93. Unter dem Aspekt der territorialen Gemengelage befanden sich ische Geschichte Mainz, Abteilung für Universalgeschichte, 113; Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, 5) Wiesbaden 1984, 238–243. 91 Auf das Problem der insbesondere gegen Ende der Regierungszeit Maximi­ lians  I. zahlreichen innerstädtischen Unruhen (Speyer 1512, Aachen 1513, Köln 1513, Regensburg 1512/13, Worms 1514 usw.) kann an dieser Stelle ebensowenig wie auf die diversen Erhebungen des Gemeinen Mannes ein­ gegangen werden. Vgl. dazu im Überblick Wiesflecker, Kaiser (wie Anm. 33), Bd. 5, 101–116; Rabe, Horst: Deutsche Geschichte 1500–1600. Das Jahrhundert der Glaubensspaltung. München 1991, 196ff; Toifl, Friede (wie Anm. 67), 327–354. 92 Lanzinner, Maximilian, Heil, Dietmar: Der Augsburger Reichstag 1566. Ergebnisse einer Edition. In: Historische Zeitschrift 274 (2002), 603–632, hier 613ff. Damit korrespondiert die Feststellung Ranieris, dass sich die Zahl der am Reichskammergericht wegen gewaltsamen Landfriedensbruchs anhängig gemachten Verfahren gegen Ende des 16. Jahrhunderts auf ein Drittel verringerte; Ranieri, Recht (wie Anm. 17), 242f. 93 Ewiger Landfriede, Worms 1495 August 7; RTA, MR, Bd. 5 (wie Anm. 8), Teilbd. 1, Nr. 334/III, 368, Art. 7.

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die Problemzonen in Schwaben und Franken, daneben in der Re­ gion Mittelrhein. Die Unterschiede erweisen sich indessen bei ge­ nauerem Hinsehen als eklatant. Mit dem 1488 gegründeten Schwä­ bischen Bund existierte in Südwestdeutschland eine mit einer zunehmend wirkungsvollen Judikative und Exekutive ausgestattete Landfriedenseinung. Auch bedeutendere Landesfürsten, wie 1492 Herzog Albrecht von Oberbayern und 1519 Herzog Ulrich von Württemberg, waren seinen militärischen Möglichkeiten nicht ge­ wachsen. Sogar ein Götz von Berlichingen mied den Machtbereich des Bundes und operierte zu Beginn seiner Karriere als Fehdeunter­ nehmer schwerpunktmäßig gegen Nürnberg und Bamberg. Nicht weniger bedeutsam für die Friedenswahrung in dieser Region war die Einbindung des niederen Adels in die Bundesorganisation. Wenngleich einige in Franken beheimatete Stände zu den Mitglie­ dern des Bundes zählten, erwies sich dessen Wirkung dort als weit­ aus schwächer. Er konnte nicht verhindern, dass sich die ständigen Streitigkeiten zwischen den Bundesständen Brandenburg-Ansbach und Nürnberg 1502 in einer offenen Schlacht entluden, wenngleich sich eine solche Eskalation in den Folgejahren dank der ständigen Vermittlungstätigkeit der fränkischen Bischöfe und des Bundes, we­ niger aufgrund konkreter Vermittlungserfolge, auch nicht wieder­ holte94. Das im fränkischen Raum mit Abstand potenteste Fürs­ tentum Brandenburg-Ansbach-Kulmbach fiel unter Friedrich dem Älteren als regionale Ordnungsmacht aus. Im Gegenteil setzte der Markgraf die Energien der prekären Elemente seines landsässigen Adels gezielt gegen das verhasste Nürnberg frei95. Gewiss kann die vom Adel ausgehende Gewalt nicht wie in der städtischen Perspek­ tive auf ihre kriminellen Auswüchse reduziert werden. Zum einen realisierten Adlige als armierte Rechtshelfer mangels einer Exeku­ tive in vielen Fällen tatsächlich Rechtstitel Dritter. Zum anderen 94

Eine Ausnahme stellt der Schiedsspruch des Schwäbischen Bundes vom 17. Januar 1507 dar; Druck: Lünig, Johann Christian: Teutsches ReichsArchiv. Bd. 14 (= Part. Spec. Cont. IV, 2. Teil). Leipzig 1714, 158f. Vgl. Sey­ both, Markgraftümer (wie Anm. 78), 284f. 95 Vgl. Seyboth, Reinhard: „Raubritter“ und Landesherren. Zum Problem territorialer Friedenswahrung im späten Mittelalter am Beispiel der Mark­ grafen von Ansbach-Kulmbach. In: „Raubritter“ oder „Rechtschaffene vom Adel“? Aspekte von Politik, Friede und Recht im späten Mittelalter. Hrsg. von Kurt Andermann. (Oberrheinische Studien, 14) Sigmaringen 1997, 115–131, hier 121–125.

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handelte es sich auch um infolge der Wormser Ordnung verschärf­ te herrschaftsrechtliche Klärungsprozesse, bei denen die von Fehde Betroffenen aus adliger Sicht zuvor unrechtmäßig Veränderungen initiiert hatten96. Nicht zuletzt war die Fehde auch nach 1495 noch lange Zeit in allen Gesellschaftsschichten als rechtliche Selbsthil­ fe akzeptiert. Dass allerdings rechtliche Aspekte von Fehden und die häufig damit einhergehende unrechtmäßige Bereicherung durch professionelle Befehder untrennbar verbunden waren, beweist die Tatsache, dass gerade die Kaufmannschaften der Städte die bevor­ zugte Opfergruppe bildeten. Dies war mit dem „Schadentrachten“, der klassischen Methode der Fehdeführung zwischen Reichsangehörigen97, allein nicht zu begründen. Da sich die fränkischen Landesfürsten lange Zeit jeglicher Koo­ peration verweigerten, versuchte Nürnberg auf der Grundlage der Wormser Reichsordnung und eines königlichen Exekutionsman­ dats gegen das Räuberunwesen auf der Reichsstraße98 seinerseits mit bewaffneter Selbsthilfe des Problems der adligen Befehder Herr zu werden99. Die polizeilichen Erfolge waren jedoch unzureichend. Außerdem provozierte dieses Vorgehen Konflikte mit den benach­ barten Territorien, die eine Beeinträchtigung ihrer Gerichtshoheit geltend machten. An diesem Problem änderten auch die immer wie­ der modifizierten Reichstagsbeschlüsse zur Nacheile nichts. Nürn­ berg unternahm anscheinend keinen ernsthaften Versuch, die Auf­ merksamkeit eines Reichstages auf das Problem der planmäßigen Gewalt gegen seine Kaufleute zu lenken100. Während der Regie­ 96 Vgl.

Schubert, Ernst: Die Landstände des Hochstifts Würzburg. (Veröf­ fentlichungen der Gesellschaft für Fränkische Geschichte. Reihe IX: Dar­ stellungen aus der Fränkischen Geschichte, 23) Würzburg 1967, 104; Zmo­ ra, State (wie Anm. 78), bes. 102–111. 97 Reinle, Christine: Fehden und Fehdebekämpfung am Ende des Mittelal­ ters. Überlegungen zum Auseinandertreten von „Frieden“ und „Recht“ in der politischen Praxis zu Beginn des 16. Jahrhunderts am Beispiel der Abs­ berg-Fehde. In: Zeitschrift für Historische Forschung 30 (2003), 355–388, hier 362. 98 Mandat König Maximilians, Freiburg im Breisgau 1498 Juli 5; RI, Bd. XIV (wie Anm. 2), Teilbd. 2/1, Nr. 6352, 379. 99 Zu den nach damaliger Rechtsauffassung zum Teil unzulässigen Methoden Nürnbergs vgl. Reinle, Fehden (wie Anm. 97), 375–382. 100 Lediglich das erweiterte Nürnberger Reichsregiment setzte das Thema der Überhand nehmenden Gewaltdelikte auf den Reichsstraßen auf die Agen­

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rung Maximilians I. sahen die Reichsstädte den Reichstag nicht als Forum einer ihre partikularen Interessen transzendierenden Poli­ tik an. Dass die einflussreichsten Städte im oberdeutschen Raum, Augsburg, Nürnberg und Straßburg, wie beinahe alle schwä­ bischen Reichsstädte Mitglieder des Schwäbischen Bundes waren, mag dabei eine Rolle gespielt haben. Jedenfalls geben die überliefer­ ten Reichstags-Instruktionen der Städte – anders als die städtische Reichstagspolitik zur Zeit Kaiser Maximilians II.101 – keinerlei Hin­ weise auf beabsichtigte friedenspolitische Initiativen, obwohl etwa die bestehenden Defizite beim fürstlichen Geleitwesen für alle Städ­ te ein virulentes Problem darstellten102. Die Aussichtslosigkeit eines solchen Unterfangens lag auch im Reichsoberhaupt begründet. Ma­ ximilian bekundete gegenüber den Betroffenen zwar seine Abnei­ gung gegen das Räuberunwesen103, 1509 äußerte er gegenüber dem da für den nächsten – dann allerdings ausgefallenen – Reichstag; Nürnberg 1501 September 14; Schmauss/Senckenberg, Sammlung, Bd. 2 (wie Anm. 2), 95, Art. VIII. 101 Vgl. die auf den Reichstagen von 1566 und 1570 übergebenen Resolutio­ nen der Reichsstädte; Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlun­ gen 1556–1662. Hrsg. von Maximilian Lanzinner [im Folgenden abgekürzt RTA, RV]. Der Reichstag zu Augsburg 1566. Bearb. von Maximilian Lan­ zinner und Dietmar Heil. München 2002, Nr. 212–214, 874–890, Nr. 220, 900–906, Nr. 238, 992–1006, Nr. 241, 1010f; RTA, RV. Der Reichstag zu Speyer 1570. Bearb. von Maximilian Lanzinner. Göttingen 1988, Nr. 375– 377, 922–929. 102 Vgl. Heil, Dietmar: Anfengklich sollet ir inen sagen unser gnad und alles gut. Die Reichstagsinstruktionen und Reichstagsordnungen Kaiser Ma­ ximilians  I. (1486/93–1519). In: Ordnung durch Tinte und Feder? Genese und Wirkungen von Instruktionen im zeitlichen Längsschnitt vom Mit­ telalter bis zum 20. Jahrhundert. Hrsg. von Anita Hipfinger [u.a.]. (Ver­ öffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, 60) Wien, München 2012, 49–71, hier 69; Isenmann, Eberhard: Die Städte auf den Reichstagen im ausgehenden Mittelalter. In: Deutscher Königshof (wie Anm. 14), 547–577, bes. 573–577. Vgl. für Nürnberg: Franz, Eugen: Nürnberg, Kaiser und Reich. Studien zur reichsstädtischen Außenpolitik. München 1930, 72f. Anders verhielt es sich bei der Verteidigung städti­ scher Rechte. Die auf dem Reichstag von 1512 vorgebrachte Klage gegen die Städte wegen der Besteuerung alter Besitzungen von Neubürgern löste intensive Bemühungen zu deren Abwehr aus. Vgl. Schmidt, Städtetag (wie Anm. 90), 200ff. 103 Z. B. Bericht Erasmus Toplers an die Nürnberger Herren Älteren, Mainz 1508 Mai 24; Gümbel, Berichte (wie Anm. 41), Nr. 21, 149.

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Nürnberger Erasmus Topler sogar seinen Willen, die „Heckenrei­ terei“ auszurotten104. Tatsächlich aber zeigte er sich gegenüber dem Treiben eines Götz von Berlichingen oder Franz von Sickingen langmütig. Die Kriegsbegeisterung des Kaisers in seiner Selbstver­ klärung als ritterlicher Kämpfer erwies sich hier als fatal. Und nicht zuletzt ließ sich der Habsburger wiederholt von politischer Rück­ sichtnahme auf den reichsunmittelbaren Adel als potentieller Klien­ tel leiten. Dies war neben dem Venezianerkrieg ein Aspekt, als er den bereits beschlossenen Feldzug des Schwäbischen Bundes gegen Heinz Baum und Heinrich von Guttenstein untersagte105. 1513 ver­ hinderte er ein Vorgehen des Bundes gegen Berlichingen und blo­ ckierte 1517 erneut Maßnahmen gegen Teile der fränkischen Ritter­ schaft, darunter zahlreiche bekannte Landfriedensbrecher106. Die beim Reichsoberhaupt festzustellende Überlagerung von Friedensangelegenheiten durch politische Nützlichkeitserwä­ gungen konnte allerdings bisweilen auch zum Nachteil der ad­ ligen Befehder ausschlagen, so etwa, als der Kaiser während des Kölner Reichstages von 1512 ungewöhnlich rasch die Reichsacht über Hans Benedikt von Friedingen verhängte. Der Grund war ein Machtkonflikt zwischen Habsburg und Württemberg im He­ gau107. Auch war Maximilian mitunter schnell bereit, der landes­ fürstlichen Exekution – häufig im Rahmen von auf Reichstagen verabredeten do-ut-des-Geschäften – ohne Anhörung der Gegen­ seite und genaue Prüfung des Falles durch Achtmandate zu se­ kundieren108. Für die Reichsstädte hingegen erwies sich die Mit­ 104 Topler

an die Nürnberger Herren Älteren, Bassano 1509 August 8; ebd., Nr. 29, 173. 105 Carl, Schwäbischer Bund (wie Anm. 28), 472. 106 Reinle, Fehden (wie Anm. 97), 366f; Carl, Schwäbischer Bund (wie Anm. 28), 473; Carl, Schwäbischer Bund und Reich (wie Anm. 30), 51. 107 Vgl. Carl, Landfriedenseinung (wie Anm. 29), 467f. 108 So z.B. mit der Erklärung der Reichsacht gegen Mang Verber, Erhard von Königseck u.a. wegen ihrer Fehde gegen Herzog Georg von Niederbayern, Worms 1495 Juli 26; RTA, MR, Bd. 5 (wie Anm. 8), Teilbd. 1, Nr. 1056, 857f; RI, Bd. XIV (wie Anm. 2), Teilbd. 1, Nr. 2185, 259. Vgl. Stauber, Herzog (wie Anm. 70), 216f, 496f. Auch auf die Achterklärung gegen Hans von Massenbach wegen der Fehde gegen Württemberg (Worms 1495 Au­ gust 7) trifft dies zu; RTA, MR, Bd. 5 (wie Anm. 8), Teilbd. 1, Nr. 764, 724f. Vgl. Klunzinger, Karl: Thaten und Schicksale des Hans von Massenbach, genannt Thalacker. In: Württembergische Jahrbücher (1855), 158–175. Wei­

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wirkung des Reichsoberhaupts in jedem Einzelfall als kostspielig. Doch gegen die zahlreichen „Raubritter“ war die Reichsacht das einzige Mittel, um die häufig wiederum gewalttätige Solidarität ihrer Standesgenossen wenigstens abzuschwächen und den Tä­ tern, wenn schon nicht die Duldung, so wenigstens die Unterstüt­ zung ihrer Landesherren zu entziehen. Denn viele Reichsfürs­ten beschränkten die Sorge für den Landfrieden auf ihr eigenes Ter­ ritorium, dagegen galt gegenüber Herrschaftskonkurrenten die Begünstigung von Fehden als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung109. Die großen weltlichen Landesherren wa­ ren aufgrund der fortgeschrittenen Territorialisierung von den Friedbrüchen des niederen Adels auch weit weniger betroffen als die geistlichen Fürsten und mindermächtigen Stände, sieht man vielleicht von den Böhmen benachbarten Territorien ab110. Sie hat­ tere Beispiele wären die von Bischof Gabriel von Eichstätt erwirkte Acht­ erklärung gegen Hans und Wolfgang Linck (Konstanz 1507 Juni 9; RTA, MR, Bd. 9 [wie Anm. 6], Teilbd. 1, Nr. 469) und die auf Insistieren Bischof Georgs von Bamberg ausgesprochene Acht gegen Karl von Schaumberg (Konstanz 1507 Juli 9; ebd., Nr. 476). Voreilige Achterklärungen waren wiederholt Gegenstand von Kritik. So beschwerten sich kurpfälzische Ge­ sandte gegenüber kaiserlichen Hofräten über die Ausfertigung eines Acht­ mandats auf der von Wurmbs nit bestendigs angeben und ungestumigs anhalten; undatierte Abschrift, wohl 1514: Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Maximiliana 46, Fasz. XV, fol. 200–201’, hier 200’. 109 Vgl. Reinle, Fehden (wie Anm. 97), 367f. 110 Das Problem der von Böhmen ausgehenden Angriffe auf benachbarte Ter­ ritorien wurde anscheinend in der Zeit Maximilians  I. niemals auf einem Reichstag thematisiert, obwohl auch die Erblande betroffen waren. Bay­ ern setzte, zum Teil in Kooperation mit ebenfalls betroffenen kleineren Ständen, auf eigene polizeiliche Gegenmaßnahmen. Die Wettiner und die Kurlinie der Hohenzollern versuchten daneben seit Mitte der 1490er Jahre, die Sicherheit ihrer Untertanen durch bilaterale Abkommen oder regiona­ le Einungen zu garantieren; z.B. Einung zwischen Kurbrandenburg, Polen sowie Ober- und Niederlausitz gegen die Plackerei, 1506 April 7; Druck: Angelus, Andreas: Annales Marchiae Brandenburgicae. Frankfurt an der Oder 1598, 268f. Vgl. Escher, Kurfürstentum (wie Anm. 20), 245f. Auch die Statthalter der Oberpfalz baten den böhmischen König um sein Ein­ greifen; Weisung Kurfürst Philipps von der Pfalz an Ludwig von Eyb, Hei­ delberg 1507 Juli 11; Original: Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Kasten schwarz 16209, unfol. Im Herbst 1507 wurde eine gegen Böhmen gerichtete Einung der fränkischen Stände unter Einbeziehung der Kurpfalz (für die Oberpfalz) und Kursachsens projektiert, doch scheiterte der Plan

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ten demzufolge auch kein Interesse an der Behandlung solcher Fragen durch den Reichstag. Waren die Geschädigten nach ergangener Acht nicht zur Selbsthil­ fe imstande, blieb eine gütliche Einigung mit den Tätern die im­ mer noch günstigste, das Unrecht aber fortschreibende Lösung111. Achtexekutionsmandate des Reichsoberhaupts an benachbarte Reichsstände und Aufmahnungen zur militärischen Unterstützung bedrohter oder geschädigter Stände verhallten wirkungslos, wenn nicht konkrete politische Interessen mobilisiert werden konnten. Mangels einer Reichsexekution blieben Landfriedenseinungen wei­ terhin die einzige Möglichkeit, von anderen Reichsständen solida­ rische Maßnahmen einzufordern. Für Nürnberg, das wohl von allen deutschen Städten am stärks­ ten betroffen war und seinen Handel empfindlich beeinträch­tigt

an Bedenken Kurfürst Friedrichs des Weisen wegen der zu erwartenden starken Spannungen zwischen den Bündnismitgliedern; undatierte Instruk­ tion für Friedrich von Thun; Abschrift: Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Registrande B, Nr. 1577, fol. 2–5’; Schreiben Kurfürst Friedrichs von Sachsen an Friedrich von Thun, Lochau 1507 September 28; Original: ebd., fol. 6–8. 111 Die von Bayern vermittelten Schiedsverträge vom 22. September 1509 und 11. Februar 1511 zwischen den Befehdern Heinrich von Guttenstein und Heinz Baum sowie den Städten Nürnberg, Ulm und Isny sind in dieser Hinsicht exemplarisch. Zwar wurden darin die unentgeltliche Freilassung der Gefangenen und die Beendigung der Fehde zugleich mit der Aufhe­ bung der Reichsacht verfügt. Die geschädigten Bürger jedoch erhielten von Fehdehelfern Baums lediglich die bereits gezahlten Lösegelder zurück, für alle übrigen Schäden mussten die Städte selbst aufkommen; Wenko, Ute: Kaiser Maximilian I., die Erbländer, das Reich und Europa im Jahre 1509. Diss. phil. dakt. Graz 1969, 242f; Carl, Schwäbischer Bund (wie Anm. 28), 472 mit Anm. 247. Es ging letztlich um die Wiederherstellung des Land­ friedens, nicht um die Wiedergutmachung geschehenen Unrechts. Genauso verhielt es sich beispielsweise mit der Schlichtung der Bischöfe von Bam­ berg und Würzburg in der Fehde Konrad Schotts gegen Nürnberg (Urkun­ de König Maximilians, Augsburg 1500 April 16; RI, Bd. XIV [wie Anm. 2], Teilbd. 3/1, Nr. 10116, 201; vgl. Zmora, State [wie Anm. 78], 31) oder mit der Vermittlung Kurfürst Philipps von der Pfalz in der Fehde des vom notorischen Friedbrecher Graf Emich von Leiningen unterstützten Mathis Gießel gegen Metz (Urkunde der Reichskanzlei, Nürnberg 1501 Oktober 29; RI, Bd. XIV [wie Anm. 2], Teilbd. 3/2, Nr. 15723, 1131f).

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sah112, erwiesen sich ausschließlich reaktive Maßnahmen ohnehin als unzureichend. Nachdem man sich im Grunde ergebnislos an den Schwäbischen Bund gewandt hatte, bat die Stadt auf dem Kon­ stanzer Reichstag von 1507 den König um weiterreichende Maß­ nahmen. Selbstverständlich fehlten dem Reichsoberhaupt die exe­ kutiven Möglichkeiten, um selbst etwas zu unternehmen, auch war Maximilian im Sommer 1507 ganz auf die Vorbereitung seines Romzugs fixiert. Immerhin forderte er auf dem Reichstag die frän­ kischen Landesfürsten auf, unter Einbeziehung Kursachsens und Nürnbergs Maßnahmen gegen „Placker“ und „Heckenreiter“ zu verabschieden. Doch verhinderten bereits formale Fragen die Mit­ wirkung Nürnbergs. Brandenburg, Würzburg, Bamberg und Eich­ stätt zeigten sich an dessen Einbeziehung wie überhaupt an wir­ kungsvollen Maßnahmen gegen ihren unruhigen Adel – jedenfalls auf dieser Ebene – desinteressiert. Der in Bamberg geschlossene Vertrag vom 9. September 1507 erneuerte im Wesentlichen lediglich ein einige Jahre zuvor unterzeichnetes Abkommen113. Der Nürn­ berger Magistrat zeigte sich bezüglich der weiteren Entwicklung pessimistisch: Das wurd merklicher, unleidlicher beschwerd walten, auch umb Nurmberg, das mitten unter den wolfen lege, ain solche mordersgrub [schaffen], das nymand davon oder zu kommen

112 Z. B.

Erklärung der Reichsacht gegen Christoph von Giech und Stephan von Wirsberg wegen ihrer Fehde gegen Nürnberg, Mainz 1499 November 18; ebd., Nr. 13845, 807; Achterklärung gegen Anton von Vestenberg und Wolfgang Scherdinger wegen ihrer Fehde gegen Nürnberg, Augsburg 1502 Mai 17; ebd., Teilbd. 4/1, Nr. 16474, 116; Achterklärung gegen Hans von Höchstadt unter anderem wegen ihrer Fehde gegen Nürnberg, Augsburg 1502 Juni 18; ebd., Nr. 16610, 138; Müllner, Annalen (wie Anm. 55), 219f; Achtmandat gegen Heinz Baum wegen Gefangennahme des Nürnberger Bürgers Hans Tucher, Augsburg 1503 November 29; RI, Bd. XIV (wie Anm. 2), Teilbd. 4/1, Nr. 17945, 366. 113 Bamberger Vertrag, 1507 September 9; Original: Staatsarchiv Bamberg, A  85, Lade 327, Nr. 20, unfol.; Windsheimer Vertrag, 1503 Mai 30; späte­ re Abschrift: Staatsarchiv Bamberg, Geheimes Hausarchiv Plassenburg, Nr. 765, unfol. Vgl. Looshorn, Johann: Die Geschichte des Bisthums Bam­ berg. Bd. 4: Das Bisthum Bamberg von 1400–1556. München 1900, 448f; Wendehorst, Alfred: Das Bistum Eichstätt. Bd. 1: Bischofsreihe Eichstätt bis 1535. (Germania Sacra. Historisch-statistische Beschreibung der Kir­ che des Alten Reiches, Neue Folge, 45: Die Bistümer der Kirchenprovinz Mainz) Berlin 2006, 247; Seyboth, Raubritter (wie Anm. 95), 126f.

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möcht114. Tatsächlich wuchs die Belastung für die Stadt noch. Zwi­ schen 1510 und 1515 – in diesem Jahr verloren die adligen Fried­ brecher mit Markgraf Friedrich ihren wichtigsten Unterstützer – erreichten die gegen Nürnberg gerichteten Fehden ihren Höhe­ punkt. 1512 musste sich der Reichstag von Trier und Köln mit dem Vorgehen des Götz von Berlichingen gegen Nürnberg und Bam­ berg auseinandersetzen. Der adlige Raubunternehmer verfiel der Reichsacht, die Reichsversammlung bewilligte den Einsatz von hundert Reitern gegen den Landfriedensbrecher und stellte künfti­ gen Opfern ihre Solidarität in Aussicht115. Da der Kaiser vom Ve­ nezianerkrieg beansprucht war und wegen Zwistigkeiten zwischen Schwäbischem Bund und Kontrabund – einem Bündnis aus zum Reichsoberhaupt in Opposition stehenden Fürsten116 – blieben die Beschlüsse von 1512 einmal mehr wirkungslos. 1514 kam schließ­ lich ein Vergleich zustande, laut dem Mitglieder des Kontrabundes, nicht jedoch Berlichingen, einen gewissen Schadenersatz zu leisten hatten; vor allem aber war diese Fehde damit beendet117. Der Un­ frieden im Reich nahm insgesamt weiter zu. Nach dem Ende des Venezianerkriegs 1516 verschärfte sich die Situation zusätzlich, als große Kontingente beschäftigungslos gewordener Söldner maro­ dierend durch das Reich zogen118. Beratungen auf den Reichstagen von 1517 und 1518 über Maßnahmen zeitigten letztlich keine Er­ gebnisse. Wenngleich eingeräumt werden muss, dass die Situation gegen Ende der Regierungszeit Maximilians  I. besonders schwie­ rig war, so erwiesen sich doch die Gesetzgebung des Reichstages im engeren Sinne wie auch die Regulierungsfunktion des erwei­ terten Reichstages bezüglich „Plackerey und Rauberey“, eben auch systembedingt, als unzureichend. 114 Nürnberg

an Erasmus Topler, 1507 September 23; RTA, MR, Bd. 9 (wie Anm. 6), Teilbd. 2, Nr. 966. 115 Reichsabschied, Köln 1512 August 26; Schmauss/Senckenberg, Samm­ lung, Bd. 2 (wie Anm. 2), 149, Art. XVIII–XX. 116 Vgl. Carl, Schwäbischer Bund (wie Anm. 28), 443f. 117 Ulmschneider, Berlichingen (wie Anm. 39), 57–90; Wiesflecker, Kai­ ser (wie Anm. 33), Bd. 5, 92ff; Press, Volker: Götz von Berlichingen. Vom „Raubritter“ zum Reichsritter. In: Adel im Alten Reich (wie Anm. 90), 333–356, hier 341–344; Carl, Schwäbischer Bund (wie Anm. 33), 444f, 472ff. 118 Mandat Kaiser Maximilians gegen herrenlose Knechte, Augsburg 1518 Juni 13; Janssen, Reichscorrespondenz, Bd. 2 (wie Anm. 3), Nr. 1190, 962f.

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5. Fazit Begünstigt durch eine fehlende äußere Bedrohung für das Binnen­ reich konnten sich die auf den maximilianeischen Reichstagen ver­ sammelten Stände außenpolitischen Erfordernissen weitgehend entziehen. Dass sie dennoch Beiträge für die militärischen Unter­ nehmungen des Reichsoberhaupts, beinahe ausschließlich An­ griffskriege, bewilligten und auch leisteten, lag vor allem im Junk­ tim der Reichshilfen mit den Forderungen der „Reformpartei“ nach Verhandlungen über die Umschichtung königlicher Präroga­ tive auf ständisch, vornehmlich kurfürstlich dominierte Instituti­ onen begründet. Die auf den Reichstagen zwischen 1495 und 1518 getroffenen Entscheidungen über die Gestaltung der Reichsfrie­ densordnung offenbarten erst im Nachhinein, aus der Perspektive von 1555, ihren wegweisenden Charakter. Der Ewige Landfrieden, das Reichskammergericht und die Reichskreisorganisation erwie­ sen sich als alternativlos und wurden nach 1519 auch nicht mehr hinterfragt. Während der Regierungszeit Maximilians  I. dagegen blieb ihre Wirkung gerade im königsnahen Oberdeutschland äu­ ßerst begrenzt. Die Gesetzgebung des Reiches stärkte im Ergebnis die landfriedenspolitische Kompetenz der mit mittleren und gro­ ßen Territorien ausgestatteten Landesherren, die Städte und ande­ re mindermächtige Stände hingegen sahen sich weiterhin auf die häufig willkürlich erscheinende Unterstützung durch das Reichs­ oberhaupt verwiesen. Sicherheitspolitisch blieben Landfriedensei­ nungen wie der Schwäbische Bund deshalb weiterhin unverzicht­ bar. Denn die drängendsten friedenspolitischen Probleme wie die ständigen Fehden des durch die politische, wirtschaftliche und so­ ziale Entwicklung zu einem nicht unerheblichen Teil ins Abseits ge­ ratenen niederen Adels, die negativen Auswirkungen militärischer Konflikte in den Randbereichen des Reiches oder im benachbarten Ausland auf die Sicherheit der Reichsuntertanen und schließlich die gewöhnliche Alltagskriminalität stellten für die auf den Reichsta­ gen maßgeblichen Fürsten kein vorrangiges Problem dar. Die recht­ liche Konfliktregelung zwischen den Fürsten war im Wesentlichen durch das Austragsverfahren geregelt, das 1495 noch einmal bestä­ tigt wurde. Dennoch erfüllte der durch Schieds- und Gerichtstage erweiterte Reichstag, jedenfalls bis 1510/12, eine ganz wesentliche Funktion bei der Beilegung oder wenigstens Entschärfung inter­ territorialer Konflikte. In der dann einsetzenden, durch die Politik

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Maximilians I. noch verschärften Krise versagten die zur Verfügung stehenden Regulierungsmechanismen zwar, doch blieb dies ein vor­ übergehendes Phänomen. Die rechtliche Bewältigung von Kon­ flikten hatte sich durchgesetzt. Die Wormser Ordnung durchdrang allmählich den Reichsverband und trug maßgeblich zur Durchset­ zung der Idee vom Friedens- und Rechtsverband bei.

Die Friedenssicherung im Heiligen Römischen Reich Mitte des 16. Jahrhunderts Eine thematische und autobiographische Annäherung von Alfred Kohler, Wien Die folgenden Ausführungen gelten einem Schlüsselthema der Reichsgeschichte des 16. Jahrhunderts, das als Endpunkt und zu­ gleich als Ausgangspunkt einer Epoche betrachtet werden kann. Für Maximilian Lanzinner, den Jubilar, mag nicht nur eine thema­ tische Zugangsweise, sondern auch eine autobiographische von In­ teresse sein, zumal auch er sich eingehend mit Editionsaufgaben und der Friedensthematik des 16. Jahrhunderts beschäftigt hat. Die Friedensfrage Mitte des 16. Jahrhunderts war höchst komplex und hat weniger mit der Reichsreformfrage gemein als mit dem Faktum, dass das Reich wenige Jahre zuvor den Schmalkaldischen Krieg als seinen ersten Religionskrieg überstanden hatte. Allerdings waren im Zuge einer politischen Neuordnung, die Karl V. mit dem ‚Reichsbund‘ und der ‚monarchischen Reichsordnung‘ beziehungs­ weise der Stärkung der Institution des Kaisertums und der Zurück­ drängung oder gar Überwindung des reichsständischen und religi­ onspolitisch-konfessionellen Widerstands einzuleiten versuchte, reichsreformerische Perspektiven mit neuen Inhalten und einer neuen, antiständischen Stoßrichtung aktuell geworden. Es sollte der bislang letzte Versuch einer Reichsreform werden. Das Schei­ tern der Politik Karls V. hinterließ eine Reihe ungelöster Probleme der Friedensfrage, nicht zuletzt die Landfriedensproblematik. An der Politik Albrecht Alcibiades’ wird deutlich, welch verheerende Wirkungen die Verletzungen des Landfriedens haben konnten. Zu­ nächst blieb auch die Religionsfrage ungelöst, zumal sich das Inte­ rim nicht bewährt hatte. Aber der gescheiterte Fürstenaufstand ließ Kurfürst Moritz von Sachsen zugunsten eines permanenten Religi­ onsfriedens aktiv werden. Das war eine, wie sich später herausstel­ len sollte, zukunftsweisende Initiative, die der Kurfürst allerdings nicht mehr persönlich erleben konnte. Meine erste Forschungsarbeit nach meiner Promotion zum Dok­ tor der Philosophie an der Universität Wien (1967) galt in den Jah­

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ren 1967/68 der Edition eines Reichstagsprotokolls vom Augsbur­ ger Reichstag von 1555, das von dem kaiserlichen Kommissar Dr. Felix Hornung stammte1. Der Umgang mit ungedruckten Reichs­ tagsakten war für mich damals neu, hatte ich doch im Rahmen mei­ ner Dissertation kaum mit ungedruckten Quellen oder Archivalien gearbeitet. Es ging vielmehr um gedruckte beziehungsweise in Holz geschnittene und in Kupfer gestochene geographische und kosmo­ graphische Quellen (Karten, Globen und Reiseberichte sowie Kos­ mographien). Schon deshalb war die rasche Einarbeitung in die Be­ stände des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs für mich recht hart. Dies erforderte zwei Wochen intensiver Einarbeitung, bis ich die ‚schönen‘ Kanzleischriften lesen konnte. Aber Editionstech­ nik geht über das Lesen weit hinaus; und die lernte ich bei Heinrich Lutz, dem ich rückblickend dafür dankbar bin, dass ich mit dieser Edition meine nachhaltigen Erfahrungen als Junghistoriker machen konnte, die mich bis heute prägen. Erstmals tauchte ich sozusagen in die reichsgeschichtliche Entwick­ lung Mitte des 16. Jahrhunderts und in die Lösung des Friedensund Sicherheitsproblems ein. Es war eine faszinierende, wenn an­ fangs auch schwierige Thematik, die eine intensive Erarbeitung der Hintergründe, der strukturellen und institutionsgeschichtlichen Vo­ raussetzungen und der aktuellen Entwicklung der Friedensfrage er­ forderte. Allein die ständegeschichtliche Dimension, vor allem aber die Geschichte und Arbeitsweise des Reichstages, waren für mich neue Phänomene, die der intensiven Aneignung bedurften, zumal deren Kenntnis die unabdingbare Voraussetzung für eine langfris­ tige Beschäftigung mit der Reichsgeschichte darstellen sollte. Darü­ ber hinaus galt es genau zu analysieren, worin das Spezifische dieser Quelle bestand. Es ging um die Edition einer einzigartigen Quel­ le zur Reichstagsgeschichte, weil der Jurist Dr. Felix Hornung von Karl V. beauftragt worden war, in Augsburg den kaiserlichen Stand­ punkt zu vertreten und das Reichstagsgeschehen nicht nur genau zu beobachten, sondern auch aufzuzeichnen. Insofern liegt der seltene Fall eines Protokolls vor, das neben den offiziellen kurialen Reichs­ 1

Lutz, Heinrich, Kohler, Alfred: Das Reichstagsprotokoll des kaiserlichen Kommissars Felix Hornung vom Augsburger Reichstag 1555. Mit einem Anhang: Die Denkschrift des Reichsvizekanzlers Georg Sigmund Seld für den Augsburger Reichstag. (Österreichische Akademie der Wissenschaften, philos.-histor. Klasse, Denkschriften, 103) Wien 1971.

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tagsprotokollen des Kurfürsten- und Fürstenrates entstand und deshalb von besonderer Bedeutung ist, weil es Beratungen und Ent­ scheidungen im Rat beziehungsweise der Umgebung Ferdinands I. verzeichnet, die sich in den kurialen Protokollen nicht finden. In der Sache ging es um die Lösung der Religions- und Landfriedens­ frage seit dem Schmalkaldischen Krieg 1546/47 in den letzten Re­ gierungsjahren Kaiser Karls V., die einerseits von Resignation und Gedanken der Abdankung geprägt waren und andererseits von im­ mer wieder neuen Versuchen, das politische ‚Rad zurückzudrehen‘, das heißt den französischen König zu besiegen und so die Voraus­ setzungen für eine Neuauflage der Religionsfriedensfrage zu versu­ chen. Im Grunde hielt der Kaiser an dieser Linie bis zum Reichs­ tagsabschied vom 25. September 1555 fest2. Am Hornung-Protokoll wird jene Politik des kaiserlichen Bru­ ders und Nachfolgers Ferdinands I. deutlich ersichtlich, die der Durchsetzung des Augsburger Religionsfriedens (von 1555) galt3. Hornung kam in Augsburg die Rolle eines Aufpassers und Be­ richterstatters des Kaisers zu. Daher erfährt man vieles über die Diskussionen im Rat Ferdinands I. Karl V. ließ sich unter ande­ rem die Entwürfe zum Religionsfrieden nach Brüssel senden und gab Stellungnahmen ab4. Als offensichtlich wurde, dass Ferdinand den Religionsfrieden abschließen wollte, überlegte sich Karl V. ei­ nen letzten Schritt, um dessen Abschluss zu verhindern, und sand­ te Paul Pfintzing nach Augsburg, um eine Erklärung abzugeben. Er traf am 25. September, um ein Uhr mittags ein; für drei Uhr war die Verlesung des Reichsabschieds vorgesehen. Pfintzing trug Fer­ dinand die Absichten Karls V. vor: Weiterführung des Reichstages bis zum Eintreffen kaiserlicher Kommissare zur Vollziehung von Karls Resignation als Kaiser; Verweigerung, den Reichstagsabschied zu unterzeichnen5. Ferdinand wusste, warum er auf diese Wünsche seines Bruders nicht eingehen konnte, denn all das, was er durchge­ 2

Lutz, Heinrich: Christianitas afflicta. Europa, das Reich und die päpstliche Politik im Niedergang der Hegemonie Karls V. 1552–1556. Göttingen 1964. 3 Näheres bei Kohler, Alfred: Ferdinand I. 1503–1564. Fürst, König und Kaiser. München 2003. 4 So lautet die Überschrift seines Protokolls bezeichnenderweise: Protocollum actorum in comitiis Augustanis anno 1555 in consilio apud Regiam Maiestatem et alias; Lutz/Kohler (wie Anm. 1), 31. 5 Ebd., 162; Kohler, Ferdinand I. (wie Anm. 3), 250f.

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fochten hatte und dabei unter anderem der ‚Gewissensstrategie‘ er­ folgreich widersprochen hatte, wäre mit einem Strich gefährdet ge­ wesen! Wäre er darauf eingegangen, so hätte er sein Gesicht vor den Reichsständen und dem Reichstag ebenso verloren wie sein Prestige als künftiger Kaiser und Nachfolger seines Bruders. Daher beharrte er auf seinem Vorhaben, den Religionsfrieden wie auch die ande­ ren Materien zu verabschieden. So kann man berechtigterweise be­ haupten, dass es ohne die Politik Ferdinands I. wohl keinen Augs­ burger Religionsfrieden gegeben hätte. Ferner ist festzuhalten, dass Ferdinand I. auch nach 1555 die religionspolitisch-theologische Idee verfolgte, verbunden mit einer vorläufigen Dauer bis zu einer theologisch-dogmatischen Einigung – der „Vergleichung“ der Re­ ligion, wie dies damals genannt wurde –, deren Zustandekommen Ferdinand I. in den nächsten Jahren bis 1559 mit Nachdruck, aber vergeblich, versuchte. Mit anderen Worten, das, was Ferdinand I. in diesen Jahren versuchte, war vom Willen einer theologischen Ei­ nigung/Einheit erfüllt und schlug sich danach auch in seiner Kon­ zilspolitik in den frühen 1560er Jahren nieder, als er Kompromisse suchte. Dies alles ging über einen vorwiegend juristisch verstan­ denen Religionsfrieden hinaus. Über die realistischen Chancen lässt sich gewiss streiten, aber Ferdinand I. kann nicht abgesprochen werden, es versucht zu haben6! Meine forschungspolitische Antwort auf die Konzentration der Forschung auf Religionsfrage und Religionsfrieden war die Be­ schäftigung mit dem Landfrieden rund um 1555 in zeitlicher Par­ allele zur Edition des Hornung-Protokolls7. Der enge Zusam­ menhang zwischen Religions- und Landfrieden war zweifellos gegeben, trotzdem wurde das ‚Eigengewicht‘ des Landfriedens im Sinne der Ahndung und Bekämpfung von Landfriedensbruch und effizienten Maßnahmen (Exekutionsordnung) in der Forschung nicht so hoch eingeschätzt, vor allem nicht im Konnex des Reichs­ tages. Was allerdings schon bei Viktor Ernst (1901) deutlich her­ vortrat, waren die Initiativen der Reichskreise im Vorfeld des Augsburger Reichstages, die 1554 zur Einberufung von Reichs­ 6

Ebd., 251–257, 277–285. Kohler, Alfred: Die Sicherung des Landfriedens im Reich. Das Rin­ gen um eine Exekutionsordnung des Landfriedens im Reich 1554/55. In: Mitteilungen des österreichischen Staatsarchivs 24 (1971), 140–168. Hier auch die kritische Bezugnahme auf die (ältere) Literatur.

7 Siehe

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kreistagen nach Worms und Frankfurt führten – eine bis dahin wohl einmalige Initiative in der Reichsgeschichte. Sie erklärt sich vor dem Hintergrund des von Albrecht Alcibiades von Branden­ burg-Kulmbach geführten „Markgrafenkrieges“ in Franken in den Jahren 1552 bis 1554. Deshalb die in Frankfurt proponierten Arti­ kel: Unterstützung auch durch benachbarte Kreise; bei Verweige­ rung der Hilfe sollte das Reichskammergericht eingreifen. In der militärischen Befehlsstruktur sollte neben Obersten und Räten auch ein Generaloberst fungieren. Es ist zweifellos richtig, die Exe­ kutionsordnung vom 25. September 1555 als den Endpunkt einer verfassungsgeschichtlichen Entwicklung auf dem Gebiet der Frie­ denssicherung im Reich anzusehen, die im engeren Sinn mit der Maximilianischen Kreisverfassung beginnt. Darüber hinaus liegt die Bedeutung der Exekutionsordnung in ihrer Schlüsselfunktion für eine neue Kontinuität der Landfriedenssicherung bis zum Ende des Alten Reiches8. Die editorische Arbeit am Hornung-Protokoll sollte für mich je­ denfalls richtungsweisend werden. Auch nach Abschluss dieses Editionsvorhabens (1968/69) blieb ich weiterhin von Editionstech­ nik und Verständnis für Quellenarbeit geprägt. Natürlich hatte ich in den 1970er Jahren bis zu meiner Habilitationsarbeit ganz ande­ re Herausforderungen zu bestehen. Da waren zunächst die Metho­ denkrise und das angeblich große Theoriedefizit der Geschichts­ wissenschaft (damals noch im Singular) zu bewältigen. Meines Erachtens ging es weit mehr um den Paradigmenwechsel von der politischen Geschichte zur Sozialgeschichte. Vor einigen Jahren wurde übrigens ein neuer Paradigmenwechsel „vollzogen“; nun stehen viele Forschungsansätze unter dem Paradigma der Kultur­ geschichte und Kulturwissenschaften, was damals undenkbar war. Doch hat sich seit den 1970er Jahren auch die Entwicklung von der Geschichtswissenschaft zu den Geschichtswissenschaften vollzo­ gen, was schon insofern von Bedeutung ist, als damit wohl eines si­ gnalisiert wird – jedenfalls hoffe ich dies –, dass es um die Metho­ denpluralität geht und nicht um die ‚Mission‘ aller historischen Perspektiven und methodischen Zugangsweisen, die vom jeweils 8

Jetzt gedruckt in: Deutsche Reichstagsakten [im Folgenden abgekürzt RTA]. Jüngere Reihe. Bd. 20. Der Reichstag zu Augsburg 1555. Bearb. von Rosemarie Aulinger, Erwein Eltz und Ursula Machoczek. 4 Teilbde. Mün­ chen 2009, Teilbd. 4, 3114–3136 (Art. 33–103).

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,aktuellen Paradigma‘ ausgeht, wie dies in den 1970er Jahren meines Erachtens sehr spürbar gewesen ist. Aufgrund meiner Beschäftigung mit der Geschichte des Heiligen Römischen Reiches und dabei im Speziellen wiederum mit der po­ litischen Geschichte sowie der Rechts-, Verfassungs- und Reforma­ tionsgeschichte lag ich in den 1970er Jahren keineswegs im Trend des damaligen Paradigmenwechsels von der politischen zur Sozi­ algeschichte und geriet sozusagen etwas ins Abseits. Mein Habili­ tationsthema beschäftigte sich mit der politischen Geschichte par excellence, war es doch der römischen Königswahl Ferdinands I. (1531) gewidmet. Es entstand aus der Beschäftigung mit dem Augs­ burger Reichstag von 1530 und verfolgte bis 1534 die andauernde Opposition einer Reihe von Reichsständen – Kursachsen, Hessen und Bayern – gegen das Königtum des jüngeren Bruders von Kaiser Karl V.9. Meine Faszination für politisch-diplomatische Geschichte, für europäische, gelegentlich auch für Weltpolitik, war also zu ei­ ner Zeit vorhanden, als die Entwicklung in der Geschichtswissen­ schaft in Richtung Sozialgeschichte als Gesellschaftsgeschichte oder Strukturgeschichte ging; dabei kam ich, was mein Dissertationsthe­ ma anlangt, ursprünglich von der Kulturgeschichte und Wissen­ schaftsgeschichte10. Im Hinblick auf die Friedensproblematik im Reich nach der ge­ scheiterten Friedenspolitik Kaiser Karls V. auf dem Augsburger Reichstag von 1530, war für mich die Erkenntnis von großem In­ teresse, dass eine überkonfessionelle reichsständische Solidarität in Form einer gemeinsamen, auch durch Bündnisse abgesicherten Politik der Wahlanerkennungsgegner Kursachsen und Hessen be­ stand, die mit den Herzögen von Bayern gegen Ferdinand I. be­ ziehungsweise die habsburgische Politik insgesamt koalierten, und zwar aus verschiedenen Gründen: Bei Kursachsen spielte die Furcht vor einer habsburgischen ‚Erbmonarchie‘ mit katholischer Aus­ prägung die Hauptrolle, bei Hessen die Restitution Herzog Ul­ 9

Kohler, Alfred: Antihabsburgische Politik in der Epoche Karls V. Die reichsständische Opposition gegen die Wahl Ferdinands I. zum römischen König und gegen die Anerkennung seines Königtums (1524–1534). (Schrif­ tenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 19) Göttingen 1982. 10 Kohler, Alfred: Die Entwicklung des Afrikabildes im Spiegel der ein­ schlägigen historisch-geographischen Quellen süddeutscher Herkunft. Ma­ schinenschriftl. Diss. phil. Wien 1967.

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richs in Württemberg, und bei Bayern waren es alte nachbarliche Rivalitäten – die auf Maximilian I. zurückgingen. Auch wenn diese reichsfürstliche Solidarität über die Konfessionen hinweg eindeutig gegen das Haus Habsburg gerichtet war, ist doch festzuhalten, dass diese Politik nicht nur zur Sicherung des Landfriedens im Reich beigetragen hat und letztlich die Beilegung verschiedener Querelen bewirken sollte. Die Friedensschlüsse von Kaaden/Cadan und Linz von 1534 zeigen dies deutlich11. Die Tatsache, dass meine Habilitationsschrift nur durch intensive Auswertung archivalischer Quellen zu neuen Ergebnissen kom­ men konnte, haben nicht nur meine Kenntnisse der europäischen Archive erweitert. Neben dem Vatikanischen Archiv in Rom und dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien, handelte es sich um die Archive in München, Stuttgart, Weimar, Dresden, Marburg an der Lahn und Merseburg. Meine DDR-Erfahrungen im Zuge dieser Archivreisen (1976) standen überdies am Anfang von langjährigen Kontakten. So hatte ich Günther Wartenberg schon 1976 im Dres­ dener Archiv kennengelernt. Seine Tätigkeit als einer der Editoren der Moritz-Korrespondenz hat uns auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten immer wieder zusammengeführt, zuletzt beim Moritz-Symposion in Freiberg in Sachsen12. Leider ist Günther Wartenberg schon früh (2007) verstorben. Ich erinnere mich auch an eine Archivreise (1987) mit Erwein Eltz nach Weimar im Zuge der Editionsarbeiten für die „Deutschen Reichstagsakten, Jüngere Reihe“ (RTA/JR). Wenn heute von der Profilierung der Wiener Universität als For­ schungsuniversität gesprochen wird, so ist daran zu erinnern, dass Heinrich Lutz in den 1970er Jahren am Institut für Geschichte das damals größte internationale Forschungsprojekt eingerichtet hat, nämlich die RTA/JR, und eine Forschergruppe etablierte, die üb­ rigens jetzt das Editionsprojekt fast fertiggestellt hat: Rosemarie Aulinger, Erwein Eltz, Silvia Schweinzer-Burian, zeitweise auch Friedrich Edelmayer (weiters/nicht in Wien, Albrecht P. Luttenber­ 11 Vgl.

Kohler, Antihabsburgische Politik (wie Anm. 9), 358–391. Kohler, Alfred: Von Passau nach Augsburg. Zur politischen Emanzi­ pation Ferdinands I. in den Jahren 1552 bis 1555. In: Moritz von Sachsen – Ein Fürst der Reformationszeit zwischen Territorium und Reich. Internati­ onales wissenschaftliches Kolloquium vom 26. bis 28. Juni 2003 in Freiberg (Sachsen). Hrsg. von Karlheinz Blaschke. Stuttgart 2007, 42–56.

12 Vgl.

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ger und Ursula Machoczek) sind zu nennen13. Die Verdienste die­ ser Gruppe werden am Institut für Geschichte an der Universität Wien gerne übersehen, sind jedoch auch das Ergebnis von Verhand­ lungen, die Heinrich Lutz mit dem Firnberg-Ministerium führte. Dieses Projekt würde auch heute der hoch geschätzten Forcierung internationaler Forschung in besonderer Weise entsprechen. Auch ich bin damals in dieses bedeutende Editionsprojekt eingestiegen – mit dem Auftrag, die Akten des Augsburger Reichstages von 1530 zu edieren –, bin also diesem Editionsprojekt schon sehr lange ver­ bunden und werde diese Arbeit in Kooperation mit Martina Fuchs und Martin Krenn in den nächsten Jahren abschließen. In den frü­ hen 1980er Jahren lernte ich auch Maximilian Lanzinner kennen, der auf Initiative des Abteilungsleiters Heinrich Lutz gelegent­ lich an den Sitzungen der Wiener RTA-Gruppe teilnahm. Dahin­ ter stand der Versuch von Lutz, über die Grenzen und Aufgaben­ bereiche der Jüngeren Reihe, vor allem in Richtung Mittlere Reihe, hinauszublicken und editorische Erfahrungen auszutauschen14. 13

RTA. Jüngere Reihe. Bd. 1. Wahlakten 1519. Bearb. von August Kluck­ hohn. Gotha 1893 (ND Göttingen 1962); Bd. 2. Der Reichstag zu Worms 1521. Bearb. von Adolf Wrede. Gotha 1896 (ND Göttingen 1962); Bd. 3. Reichstage zu Nürnberg 1522/23. Bearb. von Adolf Wrede. Gotha 1901 (ND Göttingen 1963); Bd. 4. Reichstag zu Nürnberg 1524. Bearb. von Adolf Wrede. Gotha 1905 (ND Göttingen 1963); Bd. 7. Ta­gungen 1527– 1529. Bearb. von Johannes Kühn. Stuttgart 1935 (ND Göttingen 1963); Bd. 8. Ta­gungen 1529 bis zum Beginn des Reichstags 1530. Bearb. von Wolf­ gang Steglich. Göt­tingen 1970; Bd. 10. Der Reichstag in Regensburg und die Verhandlungen über einen Friedstand mit den Protestanten in Schwein­ furt und Nürnberg 1532. Bearb. von Rosemarie Aulinger. Göttingen 1992; Bd. 12. Der Reichstag zu Speyer 1542. Bearb. von Silvia Schweinzer-Buri­ an. München 2003; Bd. 13. Der Reichstag zu Nürnberg 1542. Bearb. von Silvia Schweinzer-Burian. München 2010; Bd. 15. Der Speyrer Reichstag von 1544. Bearb. von Erwein Eltz. München 2001; Bd. 16. Der Reichstag zu Worms 1545. Bearb. von Rosemarie Aulinger. 2 Teilbde. München 2003; Bd. 17. Der Reichstag zu Regensburg 1546. Bearb. von Rosemarie Aulin­ ger. München 2005; Bd. 18. Der Reichstag zu Augsburg 1547/48. Bearb. von Ursula Machoczek. München 2006; Bd. 19. Der Reichstag zu Augs­ burg 1550/51. Bearb. von Erwein Eltz. München 2005; Bd. 20. Augsburg 1555 (wie Anm. 8). 14 Siehe Kohler, Alfred: Der Augsburger Reichstag 1530. Von der Bilanz des Jubiläumsjahres 1980 zum Programm einer Edition der Reichstagsakten. In: Aus der Arbeit an den Reichstagen unter Kaiser Karl V. Sieben Beiträge zu Fragen der Forschung und Edition. Hrsg. von Heinrich Lutz und Alf­

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Die lange Dauer meiner Arbeiten am Reichstag von 1530 ist ers­ tens damit zu begründen, dass ich, im Gegensatz zu den hauptamt­ lichen Mitarbeitern, nur neben meinen zahlreichen Verpflichtungen an der Universität Wien – ab 1992 als Ordinarius, Studiende­ kan (1999–2004) und Dekan (2004–2006) –, nur wenig unterstützt von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften durch die Finanzierung von Hilfskräften, mei­ ne editorische Tätigkeit fortsetzen konnte. Zweitens konzentrier­ ten sich meine Forschungen und Publikationstätigkeit damals sehr stark auf Kaiser Karl V., Ferdinand I., die Geschichte der internatio­ nalen Beziehungen und die europäische Expansion15. Meine Annäherung an die Person und die Politik Kaiser Karls V. fand über eine Quellensammlung statt, die einschlägige Quellen er­ schloss und zum Großteil in Übersetzung aus dem Französischen, Spanischen und Lateinischen wiedergibt, das heißt auch wichtige Übersetzerdienste leisteten16. Diese Erfahrungen und die intime Quellenkenntnis der Regierung und Politik Karls V. haben es mir nicht zuletzt erleichtert, zum Jubiläum im Jahr 2000 (dem „Quin­ to Centenario“, wie der 500. Geburtstag in Spanien genannt und gefeiert wurde) eine Biographie vorzulegen, in der ich mich auch als Kenner der Quellen Karls V. ausweisen konnte. Apropos Quel­ len: Die Erfahrung mit der Quellensituation zur Geschichte Kai­ ser Karls V. gab mir weitere Erkenntnisse und Möglichkeiten, die Quellen- und Editionsproblematik zu vertiefen und in ihrer Radi­ kalität zu erkennen. Im Speziellen handelt es sich um das einsei­ tige Verhältnis zwischen edierten und nicht edierten Quellen und die Erkenntnis, dass diese Relation nur langsam, wenn überhaupt, zu verändern sein wird, wenn nicht größere editorische Anstren­ gungen als bisher unternommen werden, das heißt sukzessive mehr Quellen ediert werden. Die Forschungsgeschichte Karls V. scheint red Kohler. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayeri­ schen Akademie der Wissenschaften, 26) Göttingen 1986, 158–193. 15 Siehe Kohler, Alfred: Karl V. 1500–1558. Eine Biographie. 3. durchges. Aufl. München 2001; Kohler, Alfred: Ferdinand I. 1503–1564. Fürst, Kö­ nig und Kaiser. (Beck’sche Reihe, 2005) München 2003; Kohler, Alfred: Expansion und Hegemonie. 1450–1559. (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, 1) Paderborn 2008; Kohler, Alfred: Colum­ bus und seine Zeit. München 2006. 16 Kohler, Alfred: Quellen zur Geschichte Karls V. (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit, 15) Darmstadt 1990.

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Alfred Kohler

eine ‚endlose‘ zu sein; sie weist eine europäische Dimension auf, wenn man die erforderlichen Recherchen in zahlreichen Archiven bedenkt, sie ist aber auch gekennzeichnet durch die Diskrepanz zwischen Erfassung und Edition der Quellen. Zuletzt, das heißt im Zuge des Konstanzer Forschungsprojekts, ergab sich allein an Briefen eine Zahl von 100 000, von denen die wenigsten ediert sind17. Das bedeutet, dass die Forschung auch weiterhin auf die Be­ nutzung derselben Quellen angewiesen ist, sozusagen ‚dieselben Zitronen auspresst‘ und daher wenig neue Details ausfindig ma­ chen kann. Da stellt sich schon die Frage: Wie und wann wird sich dieser Befund entscheidend ändern? Christopher Laferl hat für die Familienkorrespondenz Ferdinands I. folgende Prognose errech­ net: Wird die Edition wie bisher weitergeführt, würden dafür noch ungefähr 558 Jahre benötigt werden. Die Familienkorrespondenz Ferdinands I. könnte dann endlich im Jahr 2558, rechtzeitig zum Tausend-Jahr-Gedenken des Todes Karls V. abgeschlossen werden. Das Ende der Edition wäre dann von ihrem Beginn zeitlich weiter entfernt als der Beginn von Tod und Geburt Ferdinands I. oder Karls V.18. Karl V. ist sicherlich kein Einzelbeispiel der europäischen Ge­ schichte; doch an der aufgezeigten Problematik ergibt sich das De­ siderat eines europäischen Korrespondenzprojekts des 16. Jahrhun­ derts in einem engeren Rahmen oder der Frühen Neuzeit in einem weiteren Horizont. Das wäre eine wahrhaft attraktive europäische Aufgabe! Dass mein Habilitationsthema und meine Arbeit an der Edition der Akten des Augsburger Reichstages von 1530 im Kon­ text einer ‚Schüsselzeit‘ des 16. Jahrhunderts gesehen werden kön­ nen, zeigt sich jetzt wieder in Anbetracht der so genannten Luther­ dekade (2008–2017) und der europäischen und weltgeschichtlichen Bedeutung der Reformation. 17

Kohler, Alfred: Ein Blick 500 Jahre zurück: Bilanz und Defizite einer ‚endlosen‘ Forschungsgeschichte. In: Karl V. 1500–1558. Neue Perspektiven seiner Herrschaft in Europa und Übersee. Hrsg. von Alfred Kohler, Barbara Haider und Christine Ottner, unter Mitarbeit von Martina Fuchs. (Öster­ reichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse. Historische Kommission. Zentraleuropa-Studien) Wien 2002, 10–19. 18 Laferl, Christopher F.: Sprache – Inhalt – Hierarchie unter Brüdern. Zum Verhältnis zwischen Karl V. und Ferdinand I. in der Familienkorrespon­ denz Ferdinands I. (1533/1534). In: Karl V. 1500–1558 (wie Anm. 17), 359– 371, hier 370.

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Historiker und Historikerinnen sind nicht frei von Trends und da­ mit verbundenen Paradigmenwechseln und sollten es auch nicht sein. Eine deutsche Kollegin machte mir einmal recht deutlich, dass es ihrer Meinung nach schon deshalb Paradigmenwechsel ge­ ben müsse, um die Eintönigkeit der wissenschaftlichen Forschung immer wieder zu überwinden. Sie meinte: Herr Kohler, wir brauchen einen Wechsel so alle zehn Jahre, ansonsten wird uns langweilig! Eintönigkeit? Langeweile? Ja, vielleicht wenn es nur um Fra­ gestellungen geht, nicht aber, wenn die Sichtung, Analyse und Edition von Quellen auch eine große Rolle spielen – eine müh­ same, aber umso verdienstvollere Aufgabe. Das größte physische und psychische Durchhaltevermögen scheint mir die „systema­ tische“ und „volltextliche“ Edition historischer Quellen abzuver­ langen. Aber gerade die Editionstätigkeit wird im Allgemeinen weit unterschätzt – jeder Historiker/jede Historikerin braucht zwar die Quellen, möchte sie aber möglichst aufbereitet und natürlich ediert zur Verfügung haben! Die damit verbundene entbehrungsreiche und nicht gedankte Arbeit wird in den nächsten Jahren im Mittel­ punkt meiner Tätigkeit als Emeritus stehen. Damit kehre ich auch zu den Anfängen meiner reichsgeschichtlichen Arbeiten zurück. In inhaltlicher Hinsicht wende ich mich wieder meiner Beschäftigung mit den friedenssichernden religionspolitischen Versuchen zu, Lö­ sungen für die Lutherfrage und die Reformation zu finden. Es ist offensichtlich, dass ein enger Zusammenhang zwischen 1530 und 1555 besteht, vor allem der Lösungsproblematik; denn seit 1530 ging es in religionspolitischer Hinsicht um die „Augsburger Reli­ gionsverwandten“ (Stände) und ihre friedenspolitische und territo­ rialpolitische Absicherung. Beide Entscheidungssituationen können als Eckpunkte wechselhafter Situationen und kaiserlicher Religi­ onspolitik betrachtet werden. Am Ende steht eine religionspoli­ tische Lösung, vornehmlich juristischer Art und Weise, eingebun­ den in das Instrument des Landfriedens und von reichsständischer wie kaiserlicher Seite akzeptiert. Auf dem Augsburger Reichstag 1530 versuchten Kaiser und Alt­ gläubige (Katholiken) seit der Zurückweisung/Widerlegung der „Confessio Augustana“ (CA) durch die so genannte „Confutatio“ ‚zurückzurudern‘ und die CA-verwandten Stände in das ‚Boot der alten Kirche‘ zurückzuholen. Das war das Ende des kaiserlichen Friedenskonzepts vom Beginn des Reichstages und der Geduld der Gegenseite. Deutlich erkennbar ist dabei der Versuch, die Evange­

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lischen über den Tisch zu ziehen, sie mit dem Wormser Edikt von 1521 zu bedrohen und die Rückgängigmachung der Säkularisati­ onen und der evangelischen Kirchenstrukturen in Gang zu bringen. Mein weiterer Weg führte zu den Synthesen zur Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts. Das begann mit der Bearbeitung des „Olden­ bourg Grundrisses“ nach dem Tod von Heinrich Lutz (1986)19 und fand schließlich in einem neuen Grundrissband im Jahr 2011 sei­ nen Abschluss20. Hier konnte ich nicht nur meine bis in die 1960er Jahre zurückreichenden reichsgeschichtlichen Erfahrungen an­ wenden und zur Geltung bringen, sondern auch meine langjährige universitäre Lehrerfahrung, die sich auch immer mehr der außer­ europäischen Geschichte zuwandte. Dies wird bei der Konzepti­ on ersichtlich, wo versucht wird, die Geschichte der internationa­ len Beziehungen zwischen 1450 und 1559 nicht nur auf Europa zu konzentrieren und zu beschränken21. Diese Erfahrungen und das Zurückgehen auf den thematischen Ausgangspunkt und Kontext meiner Dissertation22 mussten für mich die Hinwendung zur europäischen Expansion und die sich daraus ergebende globalgeschichtliche Herangehensweise bedeu­ ten. Dies ist umso wichtiger, als sich die europäischen Geschichts­ wissenschaften meines Erachtens schon in den nächsten Jahren wohl darauf vorbereiten und einstellen müssen, auf außereuropä­ ische Herausforderungen wesentlich effektiver als bisher zu reagie­ ren. Dies bedeutet zunächst den Erwerb grundlegender Kenntnisse über die Geschichte außereuropäischer Gebiete, was durch Rezep­ tion aus Einsichten und Kenntnissen von sogenannten Nachbarwis­ senschaften erfolgen könnte; zu nennen sind die Asienwissenschaf­ ten, die Afrikanistik und die Amerikanistik, sowie die Forschungen über Australien und den pazifischen Raum, um die wichtigsten zu nennen. Wenn die europäischen Geschichtswissenschaften die­ se Herausforderungen annehmen, können sie sich einen Vorteil an Wissen und Kompetenz im Rahmen der international vernetzten 19

Lutz, Heinrich: Reformation und Gegenreformation. (Oldenbourg Grundriss der Geschichte, 10) 3. Aufl., durchges. und ergänzt von Alfred Kohler. München 1991 (4. Aufl., München 1997; 5. Aufl., München 2002). 20 Kohler, Alfred: Von der Reformation zum Westfälischen Frieden. (Ol­ denbourg Grundriss der Geschichte, 39) München 2011. 21 Kohler, Expansion (wie Anm. 15). 22 Kohler, Entwicklung (wie Anm. 10).

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Geschichtswissenschaften verschaffen. Ansonsten droht den euro­ päischen Geschichtswissenschaften tatsächlich die von indischen Historikern und Historikerinnen längst angedachte ‚Provinzialisie­ rung‘ der Geschichte Europas. Die Bandbreite meiner historischen Interessen – von der Reichs-, Reformations- und Wissenschaftsgeschichte und der Geschichte der internationalen Beziehungen bis zu globalen Perspektiven – geht, auf einen kurzen Punkt gebracht, auf meine beiden akademischen Lehrer, Günther Hamann und Heinrich Lutz, zurück. Daraus er­ klärt sich in meinen Forschungen und Publikationen das Neben­ einander von Synthesen der Epoche des 16. und 17. Jahrhunderts, Editionen und Biographien. Dies passt auch sehr gut zu Europas neuen Welterfahrungen im Zuge der Expansion im 16. Jahrhun­ dert. Symbolisch scheint mir die Koinzidenz von Luthers Verant­ wortung auf dem Wormser Reichstag von 1521 und der Eroberung des Aztekenreiches durch den spanischen Conquistador Hernán Cortés zu sein. So zeichnete sich meine geschichtswissenschaftliche Entwicklung seit meiner Dissertation bei Günther Hamann durch das Interesse für außereuropäische Kulturen und Kontinente, da­ nach durch das Interesse für Reichs- und Reformationsgeschichte aus, für das ich Heinrich Lutz zu Dank verpflichtet bin; beiden ge­ schichtswissenschaftlichen Feldern wird auch weiterhin meine Auf­ merksamkeit gelten.

Der „friedenssichernde“ Reichsdeputations­ tag zwischen Augsburger Religionsfrieden und Dreissigjährigem Krieg Eine Bilanz von Marc von Knorring, Passau I. Auf den ersten Blick erscheint es müßig, sich mit dem Beitrag von Reichsdeputationstagen zur Friedenssicherung im Reich zu be­ schäftigen. Der Deputationstag1, wie er in der Reichsexekutions­ ordnung von 1555/59 ins Leben gerufen worden war, entwickelte sich ab ca. 1570 zu einer quasi universell einsetzbaren Tagungsform. Im Auftrag eines vorangegangenen Reichstags berieten hier die Ge­ sandten von zunächst 16, später 20 Reichsständen – darunter alle sechs Kurfürsten – mit den kaiserlichen Kommissaren Fragen von Matrikel, Münze und Policey sowie Reichskammergerichtsreform und -visitation und damit Angelegenheiten von grundlegender Be­ deutung für das Reich2. Nicht alle der 1571, 1577, 1578, 1583, 1586, 1

Zu allen zwischen 1555 und 1618 einberufenen Deputationstagen (mit einer Ausnahme) im Detail Neuhaus, Helmut: Reichsständische Repräsentati­ onsformen im 16. Jahrhundert. Reichstag – Reichskreistag – Reichsdepu­ tationstag. (Schriften zur Verfassungsgeschichte, 33) Berlin 1982, 423–492; zum Tag von 1600/01 Lanzinner, Maximilian: Das Konfessionelle Zeital­ ter 1555–1618. In: Maximilian Lanzinner, Gerhard Schormann: Konfessi­ onelles Zeitalter 1555–1618. Dreißigjähriger Krieg 1618–1648. (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte. Zehnte, völlig neu bearb. Aufl., 10) Stuttgart 2001, 1–203, hier 70. Ein knapper Überblick bei Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556–1662 [im Folgenden ab­ gekürzt RTA. RV]. Der Reichsdeputationstag zu Worms 1586. Bearb. von Thomas Fröschl. Göttingen 1994, 41–52; vgl. außerdem Schnettger, Mat­ thias: Der Reichsdeputationstag 1655–1663. Kaiser und Stände zwischen Westfälischem Frieden und Immerwährendem Reichstag. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 24) Müns­ ter 1996, 5–11; Dotzauer, Winfried: Die deutschen Reichskreise (1383– 1806). Geschichte und Aktenedition. Stuttgart 1998, 588f. 2 Neben den Kurfürsten waren seit 1555 bzw. 1559 Deputierte der Erzher­ zog von Österreich, die Bischöfe von Würzburg und Münster, die Herzöge

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1595, 1599/1600 und 1600/01 stattfindenden Versammlungen ka­ men zu einem Ergebnis beziehungsweise wurden von einem nach­ folgenden Reichstag bestätigt, doch konnten sie im Einzelfall so­ gar reichsrechtlich verbindliche Abschiede oder zumindest einzelne Reichsgesetze hervorbringen; prominentestes Beispiel dafür ist die 1577 in Frankfurt verabschiedete Reichspoliceyordnung3. Neben anderen sogenannten Fachtagungen, den Justiz- und Moderations­ tagen, behauptete der Reichsdeputationstag so in der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg seinen Platz im Reichsgefüge und konn­ te dabei auch den seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts eta­ blierten Reichskreistag verdrängen, da sein analog zum Verfahren auf Reichstagen ausgestalteter Verhandlungsmodus die Vorrangstel­ lung der Kurfürsten nicht antastete4. Erst mit der fortschreitenden Lähmung der Reichsinstitutionen im Zuge des sich verschärfenden Konfessionskonflikts fand auch die Tätigkeit des Reichsdeputati­ onstags am Beginn des 17. Jahrhunderts ein – vorläufiges – Ende5. von Bayern und Jülich, der Landgraf von Hessen, der Abt von Weingarten, der Graf von Fürstenberg sowie die Reichsstädte Nürnberg und Köln. 1570 kamen per Reichstagsbeschluss die Regierung von Burgund, die Herzöge von Braunschweig(-Wolfenbüttel) und Pommern sowie der Bischof von Konstanz hinzu, sodass von nun an alle zehn Reichskreise auf dem Deputa­ tionstag vertreten waren. Erst 1654 wurde der Teilnehmerkreis noch einmal erweitert, auf dann 28 Reichsstände. Zur Entwicklung im Detail vgl. Neu­ haus, Repräsentationsformen (wie Anm. 1), 423–437. 3 Ebd., 489f, 566 (Zitate 490); Lanzinner, Zeitalter (wie Anm. 1), 70; Rabe, Horst: Deutsche Geschichte 1500–1600. Das Jahrhundert der Glaubens­ spaltung. München 1991, 482. Freilich konnte eine solche Versammlung gravierende Probleme wie das der Matrikelbesteuerung nicht lösen, wie ebenfalls 1577 deutlich wurde. 4 Lanzinner, Zeitalter (wie Anm. 1), 70f (Zitat 70); vgl. Rabe (wie Anm. 3), 481f. 5 Lanzinner, Zeitalter (wie Anm. 1), 172–178 und 185–195, zum Depu­ tationstag 177; Rabe (wie Anm. 3), 603–612; Schilling, Horst: Auf­ bruch und Krise. Deutschland 1517–1648. (Siedler Deutsche Geschichte, 5) München 1988 (ND 1998), 397–401. Der nächste Reichsdeputationstag kam erst 1642/43–1645 zusammen und gehört schon zur Vorgeschichte der Friedensverhandlungen von Münster und Osnabrück; Neuhaus, Helmut: Das Reich in der Frühen Neuzeit. (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 42) München 1997, 69; vgl. Press, Volker: Kriege und Krisen. Deutschland 1600–1715. (Neue deutsche Geschichte, 5) München 1991, 251. Die letz­ te Versammlung dieser Art tagte in den Jahren 1655–1662 ohne Erfolg; sie wurde mit dem Beginn des später „immerwährenden“ Reichstags 1663 ob­

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Die genannten Versammlungen stellten dabei allerdings einen zu­ mindest partiell neuartigen Typus dar6. Ursprünglich diente der ordentliche Reichsdeputationstag nämlich einem anderen7, fest um­ rissenen Zweck – eben dem der Friedenssicherung. Gemäß der Reichsexekutionsordnung sollte eine solche Versammlung vom Mainzer Kurfürsten einberufen werden, wenn sich ein regional be­ grenzter Landfriedensbruch derart ausweitete, dass selbst fünf Zug um Zug zu Hilfe gerufene Reichskreise der Friedensstörung nicht Herr werden konnten und deren Oberste beim Reichserzkanz­ ler einen entsprechenden Antrag stellten. Unter Beteiligung kai­ serlicher Kommissare sollte dann darüber beraten werden, ob und wenn ja wie viele der noch nicht involvierten fünf Reichskreise an der Bekämpfung der andauernden Unruhen beteiligt beziehungs­ weise ob Kaiser und König zur Einleitung darüber hinausgehender solet; Neuhaus, Reich (wie Anm. 5), 48; zum Tag von 1655 folgende aus­ führlich und umfassend Schnettger (wie Anm. 1). Sogenannte außeror­ dentliche Reichsdeputationen wurden dann vom Reichstag bis 1806 immer wieder eingesetzt, mit durchaus beachtenswerten Resultaten. 6 Lanzinner, Maximilian: Friedenssicherung und politische Einheit des Rei­ ches unter Kaiser Maximilian II. (1564–1576). (Schriftenreihe der Histori­ schen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 45) Göttingen 1993, 443. Eine Sonderstellung nimmt jedoch der Wormser Tag von 1586 ein, vgl. unten bei Anm. 12. 7 Vgl. zur gültigen Unterscheidung von „ordentlichen“ und „außerordent­ lichen“ Reichsdeputationstagen Neuhaus, Repräsentationsformen (wie Anm. 1), 454–459, dem zufolge „außerordentliche“ nur zweimal stattfan­ den, nämlich 1557 und 1560 in Speyer, um im Auftrag des jeweils voran­ gegangenen Reichstags über Fragen der Reichskammergerichtsordnung zu beraten. Im Gegensatz zu diesen beiden Versammlungen orientierten sich alle weiteren Deputationstage in Zusammensetzung und Verfahren an den Bestimmungen der Exekutionsordnung von 1555/59 bzw. den auf dem Wormser Tag von 1564 entwickelten Grundsätzen. Fröschl sieht dagegen aufgrund ihres an der Exekutionsordnung orientierten Einberufungsmodus (vgl. oben) nur die im Folgenden behandelten Konvente von 1564, 1569 und 1590 als „ordentliche“, die übrigen, durch einen Reichstag veranlass­ ten als „außerordentliche“ Reichsdeputationstage an; RTA, RV, Worms 1586 (wie Anm. 1), 46 und 49–52; zusammenfassend zu dieser Kontroverse Dotzauer (wie Anm. 1), 588. Nicht leugnen lässt sich in jedem Fall, dass der Versuch einer – den Zeitgenossen unbekannten – Definition von „or­ dentlichen“ Reichsdeputationstagen etwas irreführend ist; Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 442.

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Marc von Knorring

Maßnahmen eingeschaltet werden sollten8. Ab 1570 genügte der Antrag eines Kreisobersten beim Kaiser, der dann Kurmainz zur Ausschreibung anhalten konnte9. Nur drei Reichsdeputationstage, deren Einleitung in etwa dem vor­ gesehenen Verfahren entsprach, traten zu diesem Zweck zusammen: Der erste 1564 in Worms, wo sich zugleich die in der Exekutions­ ordnung nur sehr vage umrissene Verhandlungsform für alle fol­ genden Deputiertenkonvente herausbildete, dann gleich der nächs­ te 1569 und schließlich ein letzter 1590, die beide in dem eigentlich dafür vorgesehenen Tagungsort Frankfurt am Main zusammentra­ ten10. Ihre Leistungsfähigkeit im Hinblick auf den in der Reichsver­ fassung festgeschriebenen Auftrag wie vor dem Hintergrund der sich wandelnden politischen Verhältnisse ist bisher nicht im Zu­ sammenhang gewürdigt worden11. Eine solche Bilanz der Instituti­ on des „friedenssichernden“ Reichsdeputationstags – wie er hier ge­ nannt werden soll –, seiner Möglichkeiten und Grenzen, soll daher Gegenstand beziehungsweise Ziel dieses Beitrags sein. Dabei sind jedoch nicht nur die drei genannten Versammlungen zu berück­ 8

Die Bestimmungen von 1555 wurden bestätigt auf dem Augsburger Reichstag von 1559; Neuhaus, Repräsentationsformen (wie Anm. 1), 423–437. Vgl. die Reichstagsabschiede Deutsche Reichstagsakten [im Folgenden abgekürzt RTA]. Jüngere Reihe. Hrsg. von Eike Wolgast. Bd. 20. Der Reichstag zu Augsburg 1555. Bearb. von Rosemarie Aulinger, Er­ wein H. Eltz und Ursula Machoczek. 4 Teilbde. München 2009, Teilbd. 4, Nr. 390, §§ 60–63, 3124–3127 und § 80, 3130; RTA. RV. Der Kurfürstentag zu Frankfurt 1558 und der Reichstag zu Augsburg 1559. Bearb. von Josef Leeb. Göttingen 1999, Nr. 806, §§ 49–50, 2020f. 9 Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 345; vgl. Rta. Rv. Der Reichstag zu Speyer 1570. Bearb. von Maximilian Lanzinner. 2 Teilbde. Göttingen 1988, Teilbd. 2. Akten und Abschied, Nr. 567, §§ 17–19, 1212f. 10 1564 und 1569 ging die Initiative auf den Kaiser zurück, 1590 auf eine Mehrzahl der deputierten Reichsstände. In allen Fällen lag die Ursache je­ doch in einer größeren Friedensstörung, die mehrere Reichskreise gemein­ sam nicht bewältigen konnten, und das Ausschreiben erging jeweils vom Mainzer Kurfürsten; Neuhaus, Repräsentationsformen (wie Anm. 1), 480– 483. 11 Eine knappe Zusammenfassung der Ergebnisse der „friedenssichernden“ Reichsdeputationstage bietet Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 442f; s. dazu auch unten, Abschnitt V. Vgl. für alle Reichsdeputationstage insgesamt das durchaus positive Urteil bei Neuhaus, Repräsentationsfor­ men (wie Anm. 1), 489f.

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sichtigen. Der Wormser Konvent von 1586 behandelte zwar in ers­ ter Linie unerledigte Fragen des Augsburger Reichstags von 1582 (Jus­tiz, Matrikel, Münze), wurde aber als einziger der übrigen eben­ falls auf Initiative des Kaisers von Kurmainz anberaumt, und zwar aufgrund aktueller Landfriedensstörungen, die bekämpft werden sollten12. Wenngleich also bei dieser Tagung der in der Praxis ver­ größerte inhaltliche Spielraum der Reichsdeputationstage genutzt wurde, um das Beratungsprogramm nach Bedarf zu erweitern, muss sie dennoch gemeinsam mit den oben genannten betrachtet werden. Für ein vollständiges Gesamtbild ist schließlich auch ein Ende der 1590er Jahre gescheiterter Anlauf zur Initiierung eines weiteren „friedenssichernden“ Deputationstags einzubeziehen, so dass sich die scheinbar schmale Grundlage der Untersuchung nicht unwesentlich erweitert. Im Folgenden werden nun zunächst in zwei getrennten Abschnit­ ten die sehr unterschiedlichen Reichsdeputationstage von 1564 und 1569 betrachtet. Das Hauptaugenmerk liegt dabei jeweils auf den maßgeblichen Kräften beziehungsweise Einflussfaktoren für Einbe­ rufung, Ablauf und Ergebnisse sowie auf der Art der Umsetzung der Beschlüsse und den Gründen für Erfolg oder Misserfolg des Konvents. Analog dazu werden anschließend die Versammlungen von 1586 und 1590 in einem kürzeren Überblick dargeboten, weil beide Tagungen vor dem Hintergrund der geänderten politischen Rahmenbedingungen einerseits ähnlichen Einflüssen unterlagen, sich ihre Spezifika andererseits in Grenzen halten; ein Ausblick auf die Entwicklung bis über die Jahrhundertwende hinaus rundet die­ sen Abschnitt ab. Im Schlusskapitel wird dann, wie beschrieben, Bi­ lanz gezogen. Die Ausführungen beruhen dabei auf den für die Fra­ gestellung einschlägigen Standardwerken zur Geschichte des Reichs und seiner Institutionen sowie den einschlägigen Quelleneditionen der Reihe „Deutsche Reichstagsakten“13, wobei im Hinblick auf das 12

Dies geht deutlich hervor aus Neuhaus, Repräsentationsformen (wie Anm. 1), 480f; Häberlin, Franz Dominicus: Neueste Teutsche Reichs-Geschichte vom Anfange des Schmalkaldischen Krieges bis auf unsere Zeiten. Bd. 14. Halle 1783, 385ff; RTA, RV, Worms 1586 (wie Anm. 1), 51 und 58 (mit der Einstufung des Tags als teilweise „ordentlich“, teilweise „außerordentlich“; vgl. oben, Anm. 7). Vgl. auch das Kurmainzer Ausschreiben ebd., Nr. 1, 85f. 13 Für die Reichsgeschichte von 1555 bis 1618 im Ganzen ist dies vor allem Lanzinner, Zeitalter (wie Anm. 1), ergänzt durch Rabe (wie Anm. 3); für

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Erkenntnisinteresse grundsätzlich mehr Wert auf die „großen Lini­ en“ als auf die in der Literatur zur Genüge gebotenen Details der Vorgänge gelegt wird. II. Ausgangspunkt für die Einberufung des Reichsdeputationstags von 1564 waren zwei grobe Landfriedensbrüche14, die das Reich seit dem Vorjahr in Unruhe versetzt hatten: einerseits der Überfall Herzog Erichs II. von Braunschweig-Calenberg auf das Hochstift Münster im Sommer 1563 und sein anschließender (Kriegs-)Zug die Geschichte der Deputationstage in erster Linie Neuhaus, Repräsenta­ tionsformen (wie Anm. 1); für die Tage von 1564 und 1569 vor allem Lan­ zinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), sowie Luttenberger, Albrecht P.: Kurfürsten, Kaiser und Reich. Politische Führung und Friedenssiche­ rung unter Ferdinand I. und Maximilian II. (Veröffentlichungen des Insti­ tuts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für Universalgeschich­ te, 149; Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, 12) Mainz 1994, und Heil, Dietmar: Die Reichspolitik Bayerns unter der Regierung Herzog Albrechts V. (1550–1579). (Schriftenreihe der Histo­ rischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 61) Göttingen 1998; für die Wormser Versammlung zusätzlich RTA. RV. Der Reichsdeputationstag zu Worms 1564. Bearb. von Marc von Knor­ ring. München 2010; für den Tag von 1586 vor allem RTA, RV, Worms 1586 (wie Anm. 1); für den Tag von 1590 und die Folgezeit – ergänzt durch Lanzinner, Zeitalter (wie Anm. 1); Rabe (wie Anm. 3); Neuhaus, Reprä­ sentationsformen (wie Anm. 1) – noch immer Ritter, Moriz: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges (1555–1648). Bd. 2 (1586–1618). Stuttgart 1889, und Schweizer, Josef: Der Frankfurter Deputationstag vom Jahre 1590. In: Historisches Jahrbuch 36 (1915), 37–104, sowie Bergerhausen, Hans-Wolfgang: Die Stadt Köln und die Reichsversammlungen im konfessionellen Zeitalter. Ein Beitrag zur korporativen reichsständischen Politik 1555–1616. (Veröffentli­ chungen des Kölnischen Geschichtsvereins, 37) Köln 1990. 14 Die Ausführungen dieses Kapitels zu Vorgeschichte, Verlauf und Ergeb­ nissen des Deputationstags von 1564 fußen auf der Edition der Verhand­ lungsakten: RTA, RV, Worms 1564 (wie Anm. 13). Wichtige neuere Unter­ suchungen bzw. Darstellungen: Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 24–43; Heil (wie Anm. 13), 267–284; Luttenberger (wie Anm. 13), 317–336; Ergänzungen bei Laubach, Ernst: Ferdinand I. als Kaiser. Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V. Münster 2001, 555–569.

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durch den Norden des Reichs, andererseits der Überfall des noto­ rischen Unruhestifters Wilhelm von Grumbach auf Hochstift und Residenzstadt Würzburg im Herbst. In beiden Fällen versagten die Mechanismen zur Friedenssicherung durch die Reichskreise; Kaiser Ferdinand I. sah sich veranlasst, Daniel von Mainz noch 1563 zur Ausschreibung eines Deputationstags anzuhalten, obwohl der Kur­ fürst verfassungsrechtliche Bedenken trug. Die Umstände der Ein­ berufung, die Tatsache, dass die Landfriedensbrüche mittlerweile beendet waren, und der im Ausschreiben angedeutete Wunsch des Kaisers, auch über grundsätzliche Änderungen an der Reichsexeku­ tionsordnung beraten zu lassen, gaben im Reich Anlass zu Diskus­ sionen über Rechtmäßigkeit und Kompetenzen der Versammlung, die aber letztlich von niemandem ernsthaft in Frage gestellt wur­ de. Die Vorstellungen über die zu fassenden Beschlüsse bewegten sich dabei zwischen den Extremen der sofortigen Verschiebung der Materie auf einen Reichstag einerseits, der Vornahme von Anpas­ sungen an der Exekutionsordnung und der Aufstellung einer Ein­ greiftruppe sowie der unverzüglichen Achtexekution gegen die Friedbrecher andererseits15. Vom 14. Februar bis zum 18. März 1564 berieten die Gesandten, nachdem sie sich auf getrennte Verhandlungen in Kurfürstenrat und Fürstenrat (inklusive der Städtevertreter) geeinigt hatten, über eine kaiserliche Proposition16, die die jüngsten Landfriedensbrüche so­ wie die Unzulänglichkeiten der Exekutionsordnung in erster Linie ausführlich beschrieb, Handlungsbedarf feststellte und einen allge­ mein gehaltenen Beratungsauftrag erteilte. In den Mittelpunkt der Verhandlungen stellten die Deputierten daraufhin das Problem der Friedenssicherung in der Zukunft; erst an zweiter Stelle wurde über den Umgang mit den Landfriedensbrechern des Jahres 1563 de­ battiert. Im Hinblick auf die Beschlussfähigkeit der Versammlung berief man sich auf die außergewöhnliche Notsituation und verwies auf die Reichskammergerichtsordnung, die in vergleichbaren Fällen die Abhaltung einer in ihrer Zusammensetzung identischen Tagung vorsah. Außerdem behalf man sich mit einem rhetorischen Kunst­ griff: Der Deputationstag könne zwar die Exekutionsordnung nicht

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Ausführlich zu Vorgeschichte und Vorbereitung des Konvents auch RTA, RV, Worms 1564 (wie Anm. 13), 29–59. 16 Ebd., Nr. 4, 78–87.

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abändern wie ein Reichstag, sie aber ergänzen und präzisieren17. Zu den Hauptergebnissen zählten dann freilich grundlegende Modifi­ kationen an der Reichsexekutionsordnung. Auf der Grundlage der in den Kurien diskutierten Vorschläge Kursachsens beziehungs­ weise Österreichs (also des Kaiserhofs) verabschiedete man detail­ lierte Regelungen zur Erhöhung der Kreisaufgebote, zur Beschleu­ nigung ihrer Mobilisierung im Notfall und zur Erweiterung der Kompetenzen der Kreisobersten im Zusammenhang mit der Gefah­ renabwehr, was freilich der Umsetzung in den Zirkeln vorbehalten blieb18. Komplizierter gestaltete sich die Debatte um die Anwerbung einer Reichstruppe, die die Kreise bei der Bekämpfung von Friedensstö­ rungen unterstützen sollte. Im Fürstenrat, wo vor allem Österreich, Bayern und Hessen dafür eintraten, sprach man früh schon über die Modalitäten der Bestallung, im Kurfürstenrat dagegen war der Ge­ sandte Augusts von Sachsen mit seinem vergleichbaren Vorschlag isoliert. Pfalz und Brandenburg wehrten sich am heftigsten und hatten zunächst auch die geistlichen Kurfürsten auf ihrer Seite. Die unverzügliche Musterung der Kreistruppen sollte das probatere, reichsrechtlich unbedenkliche und – vor allem – kostengüns­ tigere Mittel sein. Der Fürstenrat gab seinen Widerstand gegen die­ se Maßnahme nach einigem Zögern auf. Im Gegenzug bewilligten die kurfürstlichen Gesandten erst nach wiederholter entschiedener Intervention der kaiserlichen Kommissare die Anwerbung der Schutztruppe auf Reichskosten. Man einigte sich auf die Bestallung von 1500 Reitern „in Wartgeld“ (das heißt auf Abruf) für maximal sechs Monate, übertrug dem Kaiser die Aufstellung der Truppe und stellte ihm die Vergabe des Oberbefehls anheim. Nach Ablauf der Bestallung sollte ein Reichstag zusammentreten – die Kurfürsten hatten dessen Einberufung in Worms gebilligt –, der dann über eine Verlängerung entscheiden konnte19. Im Hinblick auf die von Erich von Braunschweig und Grumbach verübten Gewalttaten – beide Friedbrecher waren dadurch ipso facto in die Reichsacht gefallen – nahm der Fürstenrat die kom­ promisslosere Haltung ein; dahinter standen vor allem Österreich und Bayern. Man forderte sowohl die Bestrafung des Herzogs als 17 Vgl.

Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 39. Ebd., 42. 19 Vgl. hierzu ebd., 37. 18

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auch den Vollzug der Acht gegen den Reichsritter gemäß einem be­ reits zuvor ergangenen kaiserlichen Exekutionsmandat. Der Kur­ fürstenrat, hier vor allem Mainz und Pfalz, wollte dagegen etwa­ ige Maßnahmen gegen Herzog Erich dem Kaiser überlassen, im Fall Grumbach durch Verhandlungen eine Einigung herbeiführen und so weitere Unruhen vermeiden. Die kaiserlichen Kommissare standen ihren Weisungen entsprechend auf der Seite des Fürsten­ rats und konnten die kurfürstlichen Gesandten zumindest von der Forderung nach Unterhandlungen mit Grumbach abbringen. Der Kurfürstenrat versicherte schließlich in unverbindlicher Form, dass man sich der Reichsverfassung gemäß zu verhalten wissen werde, womit er allerdings immer noch weit hinter einem ausdrücklichen Beschluss zur Achtexekution zurückblieb20. Beide Kurien beharrten bis zuletzt auf ihren Positionen, und so wurde die Debatte auf den nächsten Reichstag verschoben; die kaiserlichen Kommissare sollten dem Reichsoberhaupt inzwischen von den divergierenden Standpunkten berichten21. Wie wirkten sich nun diese Ergebnisse in der Praxis aus? Der Be­ schluss zur prophylaktischen Aufstellung der Reitertruppe in Wart­ geld, ein spektakuläres Novum in der Reichsgeschichte22, wurde im Anschluss an den Deputationstag zügig umgesetzt. Unter dem Be­ fehl Kurfürst Augusts von Sachsen (1000 Reiter) und Herzog Wil­ helms von Jülich (500) wurde die Einheit aufgestellt und bis zum 20

Die oft zu lesende Behauptung, die Kurfürsten hätten in Worms der Achtexekution gegen Grumbach und seine Helfer zugestimmt und damit ein entsprechendes Votum der Deputierten ermöglicht (vgl. etwa Lutten­ berger [wie Anm. 13], 333f; Laubach [wie Anm. 14], 567), ist falsch. Al­ lem Anschein nach versuchten die kaiserlichen Kommissare, durch die Ein­ fügung eines entsprechenden Passus in ihre Replik auf die Ständeantwort (RTA, RV, Worms 1564 [wie Anm. 13], Nr. 55, 351) die kurfürstlichen Ge­ sandten zu überrumpeln, was diese wiederum in der Duplik mit deutlichen Worten richtigstellten (ebd., Nr. 56, 357f). Siehe zu diesem Vorgang auch ebd., Nr. 48, 320, Anm. 19 (Fürstenratsprotokoll, 1564 März 11). 21 Vgl. den Abschied: Ebd., Nr. 139, 513–537. Was schließlich Erich von Braunschweig anbelangt, nutzte Kaiser Ferdinand den Spielraum, den ihm das Votum des Kurfürstenrats 1564 eröffnete, um dem Herzog unverzüg­ lich ein Ultimatum zu setzen, das diesen zwei Jahre später zu Augsburg ebenfalls in die Reichsacht führte, vgl. ebd., 531, Anm. 9. Nicht gerechtfer­ tig scheint vor diesem Hintergrund die in diesem Punkt negative Einschät­ zung des Deputationstags bei Laubach (wie Anm. 14), 569. 22 Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 36.

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Ablauf der vorgesehenen sechs Monate unterhalten. Damit stand während dieses Zeitraums für den Bedarfsfall eine rasch einsatz­ fähige, flexible Reitertruppe als entscheidende Ergänzung der schwerfälligen Kreisaufgebote zur Verfügung23. Dass die Beiträ­ ge der Reichsstände beziehungsweise -kreise zur Unterhaltung der Einheit größtenteils im Gefolge des Reichstags von 1566 eingetrie­ ben werden mussten24, tat der positiven Wirkung keinen Abbruch. Die Position des Kaisers im Reichsexekutionswesen wurde in­ des nicht nur durch den Oberbefehl über diese Streitmacht enorm aufgewertet. Tatsächlich sorgten die Deputierten auch für gravie­ rende Änderungen am Kern der Exekutionsordnung, indem sie ei­ nerseits dem Kaiser das Recht einräumten, bei Friedstörungen von den Kreisobersten das Eingreifen zu verlangen. Überdies wur­ de den Obersten eine Berichtspflicht im Hinblick auf den Aufbau der 1555/59 beschlossenen Kreis(kriegs)organisation auferlegt, und zwar sowohl gegenüber dem Kaiser als auch den jeweils benachbar­ ten Kreisen. Und schließlich wuchs dem Kaiser von nun an durch die 1564 faktisch ausgeübte entscheidende Funktion bei der Einbe­ rufung und Leitung des Reichsdeputationstags maßgeblicher Ein­ fluss im System der Friedenssicherung zu25. Insgesamt bedeuteten die Wormser Beschlüsse eine erhebliche Fortentwicklung der supraterritorialen Friedenssicherung26. Auf Bitten der deputierten Stände hin forderte der Kaiser die Kreise unmittelbar nach Abschluss der Wormser Verhandlungen auf27, die Bestimmungen des Reichsdeputationsabschieds umzusetzen und ihre Bereitschaft für den Notfall sicherzustellen. Dem folgten nach unterschiedlich kontrovers geführten internen Debatten mit Ein­ schränkungen der Ober- und Niedersächsische, der Bayerische so­ wie der Oberrheinische Kreis, die allerdings zum Teil ohnehin schon in ihrer Organisation weit fortgeschritten waren. Kompro­ missloser setzten die von den Landfriedensbrüchen Herzog Erichs 23

Ebd., 34 und 49; vgl. Laubach (wie Anm. 14), 568. Luttenberger (wie Anm. 13), 337. 25 Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 37f; skeptisch, jedoch weit weniger fundiert zu den Folgen der Beschlüsse für die kaiserliche Stellung Luttenberger (wie Anm. 13), 335f, dessen Darstellung des Wormser Ta­ ges generell unter der Beschränkung auf die Kurmainzer, in Teilen auch die kaiserliche Überlieferung leidet. 26 Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 42. 27 RTA, RV, Worms 1564 (wie Anm. 13), Nr. 137, 508f. 24

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und Grumbachs beziehungsweise der Gefahr ritterschaftlicher Um­ triebe unmittelbar(er) betroffenen Fränkischen, Schwäbischen und Niederrheinisch-westfälischen Zirkel die Wormser Entscheidungen um; sie verfügten dann auch über Truppen in Wartgeld, als die vom Reich bestallten 1500 Reiter im Herbst 1564 wieder entlassen wer­ den mussten, ohne dass inzwischen – bedingt durch den Tod Kaiser Ferdinands I. – ein Reichstag zusammengetreten war28. Treibende Kraft hinter den Beschlüssen von 1564 war der finanz­ kräftige, im Reich vorzüglich vernetzte und dabei nicht zuletzt mit dem Kaiserhof eng verbundene Kurfürst August von Sachsen gewe­ sen, der nicht nur an stabilen Verhältnissen interessiert war, um sein Territorium nach innen und außen sichern und ausbauen zu kön­ nen, sondern auch die Kurwürde gegen seinen von Grumbach an­ gestachelten Rivalen Herzog Johann Friedrich II. aus der ernesti­ nischen Linie der Wettiner verteidigen wollte29. August hatte sich gegenüber dem Kaiserhof – er stand dauerhaft mit König Maximi­ lian II. in Kontakt – vor Beginn der Wormser Versammlung sogar bereit erklärt, bei Ausbleiben eines entsprechenden Beschlusses im kaiserlichen Auftrag eine Schutztruppe anzuwerben und auf eige­ ne Kosten bis zum nächsten Reichstag zu unterhalten, der dann nur noch die Kostenerstattung beschließen sollte30. Kaiser und König gingen nicht darauf ein, sondern setzten vielmehr ausdrücklich auf einen positiven Ausgang des Deputationstags, sie lehnten Augusts Anerbieten aber auch nicht explizit ab und hielten sich dadurch zu­ mindest eine Hintertür offen31. Über die Wahrscheinlichkeit und die möglichen Folgen einer solchen Aktion ohne Beschluss der De­ putierten soll hier nicht spekuliert werden, doch wäre sie wohl zu­ mindest geeignet gewesen, für Unruhe im Reich zu sorgen, zumal dessen größte Bewährungsprobe nach 1555 in Gestalt der Reichs­ exekution gegen Herzog Johann Friedrich II. von Sachsen und sei­ nen Protegé Grumbach ja erst noch bevorstand, der calvinistische Konfessionswechsel Kurfürst Friedrichs III. von der Pfalz, der sich damit außerhalb des Religionsfriedens stellte, ab 1563 durchaus für 28

Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 44–49. Ebd., 33 und 72f. 30 Kurfürst August von Sachsen an König Maximilian II., Stolpen 1564 Feb­ ruar 1; RTA, RV, Worms 1564 (wie Anm. 13), Nr. 107, 469f. 31 Vgl. König Maximilian II. an Kurfürst August von Sachsen, Wien 1564 März 5; ebd., Nr. 114, 480f. 29

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Irritationen sorgte und zumindest die kleineren geistlichen Territo­ rien angesichts des unverminderten Expansionsstrebens der größe­ ren protestantischen Stände ernsthaft besorgt waren32. So mag der Deputationstag von 1564 – freilich unbewusst – durch seine Eini­ gung auf das Reiterkontingent auch in dieser Perspektive zwar nicht unmittelbar friedenssichernd, aber doch konsolidierend ge­ wirkt haben. Der Augsburger Reichstag von 1566 bestätigte den Deputationsab­ schied von 1564 und erhob ihn damit in reichsrechtlichen Rang33. Außerdem wurden hier weitere, für das Reich entscheidende Fol­ gen des Tages von 1564 deutlich: In Augsburg konnte die Achtexe­ kution gegen Grumbach und seine Helfer – wiederum maßgeblich betrieben von August von Sachsen – beschlossen werden34; der erst nachträglich sichtbare Erfolg des Jahres 1564 lag hier darin, dass die kaiserlichen Kommissare in Worms den Kurfürstenrat von der For­ derung nach Unterhandlungen mit Grumbach abbringen und eine ausdrückliche Stellungnahme gegen die Achtexekution verhindern hatten können, die den Geschehnissen in der Folge möglicherwei­ se eine andere Wendung gegeben hätte35. Überdies wurde 1566 die Reichstruppe wiederbelebt, wenn auch in der etwas reduzierten Form von 1200 Reitern, doch dieses Mal für drei Jahre und nun mit dem ausdrücklichen Zweck der Achtexekution, bei der sie dann ge­ meinsam mit den Kreiskontingenten auch eingesetzt wurde und entscheidenden Anteil am Erfolg im Frühjahr 1567 hatte36. Der Ab­ schied von 1564 wurde dadurch zum Grundstein der ersten erfolg­ 32 Vgl.

Lanzinner, Zeitalter (wie Anm. 1), 49f, 54f. Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 51; Luttenberger (wie Anm. 13), 337. Zum Reichstag von 1566 im Detail Heil (wie Anm. 13), 293–337; Luttenberger (wie Anm. 13), 337–349. Edition der Verhand­ lungsakten: RTA. RV. Der Reichstag zu Augsburg 1566. Bearb. von Maxi­ milian Lanzinner und Dietmar Heil. München 2002. 34 Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 53; Heil (wie Anm. 13), 335. 35 Insofern ist der in diesem Punkt negativen Einschätzung von Laubach (wie Anm. 14), 568f, nicht zu folgen. 36 Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 53ff; vgl. Luttenberger (wie Anm. 13), 346–349. Zum Verlauf der Exekution und zur Abwicklung der Kosten usw. auf den Reichsversammlungen des Jahres 1567 Lanzin­ ner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 57–71; Luttenberger (wie Anm. 13), 354–383; Heil (wie Anm. 13), 338–377 (passim); im Detail jetzt die Edition: RTA. RV. Der Reichstag zu Regensburg 1567 und der Reichskreis­ 33

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reichen und zugleich einigend wirkenden Umsetzung der Exekuti­ onsordnung auf Reichsebene in den Jahren 1566 und 156737. III. Der Reichsdeputationstag von 1569 stand dann unter ganz anderen Vorzeichen38. Ende 1568 hatten sich der Niederrheinisch-Westfä­ lische, der Oberrheinische, der Kurrheinische, der Niedersächsische und der Schwäbische Kreis angesichts der durch französische, nie­ derländische und pfälzische Truppen verursachten Schäden sowie weiterer zu erwartender realer Bedrohungen für das Reichsgebiet im Gefolge der Hugenottenkriege nicht auf die Beantragung eines Deputationstags einigen können39. Wiederum ergriff der Kaiser, nun in Gestalt Maximilians II., die Initiative und forderte zu Jah­ resbeginn 1569 Kurfürst Daniel von Mainz zur Ausschreibung auf, der prompt Folge leistete, während größere Diskussionen um die Rechtmäßigkeit der Versammlung diesmal ausblieben40 – offenbar hatte das Beispiel von 1564 Schule gemacht. Offen wurde im Reich nun auch über weitere Änderungen an der Exekutionsordnung und die erneute Bestallung einer Schutztruppe diskutiert41, zumal die Reichskreise sich im Normalfall mit der Wahrnehmung ihrer Auf­ gaben im Bereich der Friedenssicherung noch immer schwer taten42. Am 2. Mai 1569 wurde die Tagung in Frankfurt eröffnet. Der Kai­ tag zu Erfurt 1567. Bearb. von Wolfgang Wagner, Arno Strohmeyer und Josef Leeb. München 2007. 37 Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 515, argumentiert letztlich in dieselbe Richtung, wenn er schreibt, dass für das Exekutionswesen auf Reichsebene [...] die Wormser Deputation als bahnbrechend bezeichnet werden [kann]. – Zur Bedeutung der Reichsexekution gegen Johann Friedrich II. von Sachsen und Wilhelm von Grumbach Lanzinner, Zeitalter (wie Anm. 1), 54f. 38 Ausführlich auch zu dieser Versammlung Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 243–271; Luttenberger (wie Anm. 13), 413–428. 39 Vgl. Neuhaus, Repräsentationsformen (wie Anm. 1), 471f; Heil (wie Anm. 13), 441. 40 Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 242f; Neuhaus, Repräsenta­ tionsformen (wie Anm. 1), 471; Luttenberger (wie Anm. 13), 408–412. 41 Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 244–247. 42 Heil (wie Anm. 13), 439f.

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ser proponierte, ähnlich wie schon fünf Jahre zuvor, einerseits über die Ahndung jüngst vergangener Friedbrüche – gedacht war hier in erster Linie an Truppenführer der Pfalzgrafen Wolfgang und Jo­ hann Casimir –, andererseits aber und mehr noch über Abwehr­ maßnahmen bei neuerlichen Übergriffen zu beraten. Darüber hi­ naus sollten Werbungen ausländischer Herrscher im Reich generell untersagt werden. Schließlich forderte Maximilian die Deputier­ ten auf, über den Ausgleich der jüngst entstandenen Schäden be­ ziehungsweise Kriegskosten zu befinden43. Weitergehende Vorstel­ lungen im Hinblick auf seine Rolle als Friedenswahrer äußerte der Kaiser – dieses Mal Kursachsen vorauseilend – nur in der Instrukti­ on für seine Kommissare, um die Deputierten nicht von Beginn an gegen sich aufzubringen (im Hinblick auf eine neuerliche Schutz­ truppe verließ er sich gar auf die Initiative anderer)44. Gleichwohl standen diese Vorstellungen im Mittelpunkt seines Programms, das auf Friedenssicherung durch Zentralisierung, Übergang der zentralen Kompetenzen auf den Kaiser, Stärkung der Herrschaft des Reichsoberhaupts durch Wiedergewinnung einer wenigstens begrenzten Friedensgewalt hinauslief45. Insofern ist der Reichsdeputa­ tionstag im Kontext der von Maximilian II. und seinem General La­ zarus von Schwendi angestrebten Reform der Friedenssicherung zu sehen, die auf dem Reichstag von 1570 ein für den Kaiser unbefrie­ digendes Ende fand, indem die Zentralisierung des Exekutionswe­ sens missglückte, die Territorien keinerlei Befugnisse abgaben46. Im hier betrachteten Kontext sind jedoch vor allem die greifbaren Ergebnisse des Deputationstags von Interesse. Die Deputierten teilten sich vor Beginn der Versammlung über die Konfessions­ grenzen hinweg in zwei Gruppen, deren eine – wiederum waren Kurpfalz und Kurbrandenburg führend beteiligt – Angst vor Ver­ änderungen oder neuen finanziellen Belastungen oder vor beidem hatte, während die andere (vor allem Kurmainz, Kursachsen und 43

Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 249f; vgl. Heil (wie Anm. 13), 444; Luttenberger (wie Anm. 13), 415. 44 Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 250f; vgl. Luttenberger (wie Anm. 13), 415f. 45 Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 252f. 46 Ebd., 242; zum Speyrer Reichstag von 1570 ausführlich ebd., 313–372; knapp auch Luttenberger (wie Anm. 13), 440–444. Siehe auch die Editi­ on: Rta, Rv, Speyer 1570 (wie Anm. 9).

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Bayern) in unterschiedlichem Maße an einer effizienteren Gestal­ tung des Exekutionswesens – nicht unbedingt an dessen Zentrali­ sierung – und auch an der Aufstellung einer neuen Reitertruppe in­ teressiert war47. Hierauf konnten sich Fürsten- und Kurfürstenrat allerdings nicht verständigen – 2000 Reiter waren von den fürst­ lichen und städtischen Gesandten ins Gespräch gebracht wor­den –, wobei diesmal die kaiserlichen Kommissare das ablehnende Votum vor allem der geistlichen Kurfürsten nicht zu ändern vermochten. Binnen Kurzem kam es in Frankfurt jedoch zu einer Einigung über die Begründung einer Grenzkommission nach dem Vorbild einer ähnlichen Einrichtung, die bereits im Vorjahr tätig gewesen war48 . Sie sollte den zu erwartenden Rückmarsch deutscher Söld­ ner aus Frank­reich beobachten und gegebenenfalls Mandate ge­ gen Übergriffe ausstellen49. Im Ernstfall sollte der Kaiser befugt sein, die Hilfe von fünf Reichskreisen – die in Bereitschaft zu ste­ hen hatten – anzufordern, wozu ein Generaloberstenamt geschaf­ fen werden sollte. Länger stritten sich die Kurien über die Höhe der Kreishilfe und deren Finanzierung; schließlich einigte man sich auch hier: Während der Kurrheinische, der Oberrheinische, der Bay­erische, der Fränkische und der Schwäbische Kreis ihre Trup­ pen unverzüglich mustern sollten, wurden alle zehn Zirkel ange­ halten, binnen vier Wochen die doppelte dafür notwendige Steu­ ersumme aufzubringen. Zusammengetragen werden mussten die Gelder freilich erst im Ernstfall, wobei die zweite Hälfte dem Ge­ neralobersten dann zur Anwerbung von zusätzlich bis zu 2000 Reitern für maximal drei Monate dienen sollte, in enger Abstim­ mung mit den involvierten Kreis­obristen. Über das Eintreten des Ernstfalls hatten die vom Kaiser, den Kurfürsten und Fürsten zu bestimmenden Mitglieder der Grenzkommission zu befinden. Zum kaiserlichen Generalobersten wurde letztlich ganz im Sinne Maxi­ milians der bereits erwähnte Lazarus von Schwendi bestimmt 50 . Alle übrigen proponierten Punkte legte man unterdessen schnell ad acta und verschob sie auf den bereits für 1570 anberaumten Reichs­ 47

Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 251f. Luttenberger (wie Anm. 13), 414. 49 Vgl. Heil (wie Anm. 13), 438. 50 Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 253–260, 271; vgl. Lutten­ berger (wie Anm. 13), 416–421, 426; knapp auch Neuhaus, Repräsentati­ onsformen (wie Anm. 1), 472f. 48 Vgl.

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tag. Angesichts der unterschiedlichen Bekenntnisse der im Nach­ barland kriegführenden Fürsten – ein Umstand, der nicht zuletzt durch das Pfälzer Engagement die Differenzen im Reich aufrührte51 – sollten keine auch nur scheinbar die Angehörigen der einen oder der anderen Partei begünstigenden beziehungsweise benachteili­ genden Entscheidungen zu konfessionell bestimmten Konflikten unter den Deputierten führen52 – und damit waren zugleich die Grenzen der Gemeinsamkeit deutlich markiert: Während so die Deputierten gegen ein unkontrolliertes Zurückfluten der deutschen Söldner eindrucksvolle verfassungsrelevante Vorkehrungen getroffen hatten, [...] erzielte die Frankfurter Deputation insgesamt doch nicht zureichende Ergebnisse, obwohl von der spannungsvollen Situation an den Westgrenzen immer noch ein starker Handlungsimpuls ausging. Um eine für das Reich nachteilige Außenwirkung zu vermeiden, wurde der Abschied vom 14. Juni 1569 daher auch nicht publiziert53. Immerhin aber waren die Frankfurter Beschlüsse geeignet, zur Ver­ einheitlichung der disparaten regionalen Handhabung der Friedens­ sicherung nach 1555 beizutragen – sofern denn die Reichskreise be­ reit waren, sie tatsächlich in die Praxis umzusetzen54. Wie bereits fünf Jahre zuvor ergingen auch jetzt kaiserliche Mandate an die Zir­ kel mit dem Hinweis auf die Pflichten zur Steuererlegung und ge­ gebenenfalls auch zur Musterung der Kreistruppen. Kurz darauf gingen der Kaiser und Schwendi jedoch noch einen Schritt wei­ ter. Sie forderten mit unverhohlener Kritik an den ihrer Meinung nach unzulänglichen Beschlüssen des Deputationstags von den Kreisen nicht nur die unverzügliche Aufstellung eigener Truppen, sondern auch die Bewilligung einer insgesamt 4500 Mann starken Reichstruppe – ohne das Vorliegen einer konkreten Gefahrensitu­ ation! Während dieser Versuch, nicht nur die Friedenssicherung im Reich zu verbessern, sondern letztlich auch dessen Verfasstheit 51 Vgl.

Luttenberger (wie Anm. 13), 408–412. Heil (wie Anm. 13), 446f. 53 In allen Einzelheiten Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 261–271 (Zitat 270); vgl. Luttenberger (wie Anm. 13), 421–425. Der Abschied in: Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, welche von den Zeiten Kayser Konrads II. bis jetzo auf den Teutschen ReichsTägen abgefasset worden. Teil III. Frankfurt 1747 (ND Osnabrück 1967), 276–286. 54 Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 242 und 257. 52 Vgl.

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zu modifizieren, am Widerstand der auf ihre Freiheiten bedachten Reichsstände scheiterte, kümmerten sich die Reichskreise nicht ein­ mal um den Frankfurter Abschied, behandelten die Angelegenheit allenfalls dilatorisch oder beschlossen zwar im Einzelfall die Auf­ bringung der Steuer, jedoch ohne nennenswerte Ergebnisse; keiner der dazu verpflichteten Zirkel musterte sein Aufgebot. Dies lag vor allem daran, dass sich die Gefahrenlage schneller als erwartet auf­ gelöst hatte, was insbesondere die überproportional belasteten klei­ neren Kreisstände die Steuerpflicht ignorieren ließ und schließlich auch erneute kaiserliche Mandate zur Umsetzung der Frankfurter Beschlüsse wirkungslos machte55. Ein über die Tagespolitik hinaus­ blickender Fürst wie Herzog Albrecht von Bayern sah sich freilich dadurch veranlasst, sein Heil weiterhin im Landsberger Bund zu suchen, während etwa Kurpfalz wie schon zuvor nach einem pro­ testantischen Sonderbund strebte, damit allerdings zu diesem Zeit­ punkt keinen Erfolg hatte – noch bewährte sich die Integrationskraft der Reichsordnung und des Religionsfriedens augenfällig56. Nicht nur am Ausbleiben des Söldnerrückzugs aus Frankreich und damit mangelndem Interesse der Beteiligten57, sondern auch und gerade an Lazarus von Schwendi, der allzu nachdrücklich die gegen die ständische Libertät gerichteten Vorstellungen des Kai­ sers propagierte, scheiterte unterdessen die von Juli bis Dezem­ ber existierende, dabei nie richtig funktionierende Straßburger Grenzkommission(stagung)58. Zu berücksichtigen ist für die Vor­ gänge des Jahres 1569 insgesamt aber auch und nicht zuletzt, dass anders als 1564 keine grundsätzliche Bedrohung der Reichsord­ nung zu sehen war, wie sie sich damals in der Person Wilhelms von Grumbach manifestiert hatte59. Dauerhaft wirksam blieben unter­ 55

Ebd., 271–279, 322f; vgl. Heil (wie Anm. 13), 447ff; Luttenberger (wie Anm. 13), 425f. 56 Heil (wie Anm. 13), 449f; Luttenberger (wie Anm. 13), 428–440 (Zitat 430); vgl. ebd., 408; zu den Pfälzer Plänen und Aktivitäten im Detail Edel, Andreas: Der Kaiser und Kurpfalz. Eine Studie zu den Grundelementen politischen Handelns bei Maximilian II. (1564–1576). (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaf­ ten, 58) Göttingen 1997, 292–317. 57 Luttenberger (wie Anm. 13), 426; Heil (wie Anm. 13), 450. 58 Ausführlich dazu Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 280–293, 322f; zu Schwendis Plänen für das Reich im Detail ebd., 294–311. 59 Vgl. ebd., 440.

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dessen die belastenden konfessionellen Gegensätze, die in der Fol­ gezeit zumindest mit dafür verantwortlich waren, dass sich die Reichskreise als unfähig erwiesen, effiziente Maßnahmen gegen die zunehmenden Übergriffe spanischer Truppen aus den Niederlanden auf Reichsgebiet zu ergreifen. Versammlungen mehrerer Reichs­ kreise konnten sich kaum auf gemeinsame Aktionen verständigen – spätestens 1576 lag die Bedeutungslosigkeit der interzirkularen Exekutive auf der Hand60. IV. Die Operationen spanischer und niederländischer Truppen auf Reichsgebiet verstetigten sich seit 1583, just als das Reich mit dem Kölner Krieg seine erste große konfessionell bestimmte Belastungs­ probe nach 1555 zu bestehen hatte61. Mehrere für dieses Jahr ange­ setzte Deputationstage, die eine Reihe auf dem Augsburger Reichs­ tag des Jahres 1582 unerledigt gebliebener Punkte beraten sollten, blieben aufgrund der Kämpfe um das Erzstift im Nordwesten ent­ weder fruchtlos oder wurden gar nicht erst einberufen. Das Ergeb­ nis der Auseinandersetzungen um den Kölner Stuhl, die Erhebung Herzog Ernsts von Bayern zum Erzbischof und Kurfürsten, wur­ de von den protestantischen Kurfürsten erst nach langwierigen Ver­ handlungen und beträchtlichem Engagement Kaiser Rudolfs II. anerkannt; bis Ende 1585 war das Kurfürstenkollegium nicht hand­ lungsfähig, die Einberufung auch einer größeren Reichsversamm­ lung damit unmöglich62. Der Kölner Krieg läutete zugleich das Ende einer Phase der Kon­ solidierung und erfolgreichen Konfliktbewältigung im Reich ein63. Ab Mitte der 1580er Jahre begann die konfessionelle Spaltung sich mehr und mehr zu verfestigen und die Reichspolitik zu bestim­ men64. Unter diesen Zeichen stand auch bereits der Wormser De­ 60

Ebd., 441f (Zitat 441). Ebd., 441. Zum Kölner Krieg vgl. Rabe (wie Anm. 3), 573ff. 62 RTA, RV, Worms 1586 (wie Anm. 1), 52ff; vgl. Neuhaus, Repräsentations­ formen (wie Anm. 1), 479f; Rabe (wie Anm. 3), 574f. 63 Vgl. hierzu Lanzinner, Zeitalter (wie Anm. 1), 47–79; Rabe (wie Anm. 3), 475–487, 530–538. 64 Lanzinner, Zeitalter (wie Anm. 1), 172–178; vgl. Rabe (wie Anm. 3), 594f. 61

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putationstag von 1586 – symbolkräftig dadurch unterstrichen, dass während der Beratungen Kurfürst August von Sachsen als letzter aus der Generation der irenischen Reichsfürsten verstarb65. Aus­ schlaggebend für die vom Kaiser schon länger geplante Einbe­ rufung der Versammlung durch Kurmainzer Ausschreiben vom 12. Oktober 1585 (neuen Stils66) waren erneut Gefährdungen des Landfriedens, die von den anhaltenden bewaffneten Konflikten in den Nachbarländern ausgingen und insbesondere den Niederrhei­ nisch-Westfälischen Reichskreis betrafen67. Wiederum ging es also um Beeinträchtigungen, die von außen an das Reich herangetragen wurden, noch weit mehr als 1569 bestand nun die Gefahr der Über­ lagerung der Beratungen durch die Konfessionsproblematik. Anfang Februar begannen die Beratungen in Worms68; parallel dazu etablierten die Gesandten des Pfälzer Kurfürsten Johann Casimir Sonderverhandlungen der evangelischen Deputierten. Zwei der fünf proponierten Tagesordnungspunkte betrafen die Sicherung des Landfriedens69: Zum einen sollten die Beschwerden des Niederrhei­ nisch-Westfälischen Kreises und seine Bitten um finanzielle Unter­ stützung für Rüstungen diskutiert werden, zum anderen hatte man über ein Vorgehen gegen französische Kriegswerbungen zu befin­ den. In beiden Fragen verliefen die Frontlinien entlang der konfes­ sionellen Grenzen; verkompliziert wurden die Verhandlungen noch durch die fortdauernden Übergriffe der Kriegsparteien auf kurköl­ nische Städte und Untertanen, die zusätzlich spaltend wirkten. Der Deputationstag entschied schließlich mehrheitlich, dass die bereits auf dem Reichstag von 1582 beschlossene Geldhilfe für den Nie­ derrheinisch-Westfälischen Kreis nun innerhalb von vier Monaten zu erlegen sei, verzichtete jedoch aufgrund der Unstimmigkeiten auf Ausführungsbestimmungen70. Gegen Beeinträchtigungen durch Truppendurchzüge habe der Kaiser gemäß Exekutionsordnung 65 Vgl.

RTA, RV, Worms 1586 (wie Anm. 1), 58; zur Bedeutung Kurfürst Au­ gusts Lanzinner, Zeitalter (wie Anm. 1), 73 (Zitat ebd.). 66 So auch alle folgenden Datumsangaben. 67 RTA, RV, Worms 1586 (wie Anm. 1), 54. 68 Zum Folgenden ebd., 52–69; Bergerhausen (wie Anm. 13), 188ff; Neu­ haus, Repräsentationsformen (wie Anm. 1), 481f. 69 Proposition: RTA, RV, Worms 1586 (wie Anm. 1), Nr. 6, 172–176; vgl. oben bei Anm. 12. 70 Ebd., Nr. 38, §§ 60–62, 888f.

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vorzugehen71. Der Abschied – auch in den Punkten Justiz, Matri­ kel und Münze war das Ergebnis insgesamt äußerst dürftig ausge­ fallen – erging nach mehreren, teils wochenlangen Verhandlungs­ unterbrechungen am 23. Mai, er wurde wiederum nicht publiziert. Zahlreiche evangelische Deputierte protestierten gegen den Mehr­ heitsbeschluss zur finanziellen Unterstützung des NiederrheinischWestfälischen Kreises72, von dem vor allem katholische Stände pro­ fitiert hätten73. Tatsächlich gingen in den folgenden Jahren aus dem übrigen Reichsgebiet keinerlei Zahlungen ein, wobei die Kreisstän­ de die beschlossene Hilfe (zwei Römermonate nach der Reichsma­ trikel) ohnehin für unzureichend erachteten74. Gut vier Jahre nach dem Wormser Misserfolg trat in der Endphase der Hugenottenkriege der letzte der „friedenssichernden“ Reichs­ deputationstage in Frankfurt zusammen75: Mehr und mehr Territorien litten unter den Rekrutierungen und dem Aufmarsch von Truppen für den französischen und niederländischen Kriegsschauplatz76. Auf Ansuchen des Niederrheinisch-Westfälischen, des Kurrhei­ nischen, Oberrheinischen und Niedersächsischen Reichskreises, die in Köln zu Beratungen zusammengekommen waren, schrieb der Mainzer Kurfürst im Juni 1590 den Tag aus, die Beratungen began­ nen Ende September. Der Kaiser war diesmal gegen die Versamm­ lung – weil sie entgegen der nun lange geübten Praxis nicht von ihm initiiert worden war, sondern ihre Legitimation aus der Exekutions­ ordnung zog! Gleichwohl proponierte Rudolf die Tagesordnung77: Vorrangig sollte es um die Vermittlung von Friedensverhandlungen im Niederländischen Krieg gehen, die Beschwerden des Nieder­ rheinisch-Westfälischen Kreises standen nur an zweiter Stelle. Die protestantischen Kurfürsten, die den Tag zunächst als bloße Zeit­ verschwendung abgelehnt hatten, plädierten für die finanzielle Un­ 71

Ebd., Nr. 38, §§ 63–64 , 889f. Ebd., Nr. 39, 894ff. 73 Vgl. Ebd., 67f. 74 Bergerhausen (wie Anm. 13), 190f. 75 Ausführliche Darlegung der Hintergründe, Vorgeschichte, Abläufe und Ergebnisse des Deputationstags von 1590 mit Abdruck von Aktenstücken: Schweizer (wie Anm. 13). Knappere Darstellungen bei Neuhaus, Reprä­ sentationsformen (wie Anm. 1), 483ff; Ritter (wie Anm. 13), 51ff; Ber­ gerhausen (wie Anm. 13), 191f. 76 Lanzinner, Zeitalter (wie Anm. 1), 174. 77 Abdruck der Proposition bei Schweizer (wie Anm. 13), 80–83. 72

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terstützung des Kreises zur Aufstellung einer Interventionsarmee gegen die Spanier, während der Kaiser und in seinem Gefolge viele katholische Deputierte das Ergebnis von Friedensbemühungen und Ermahnungen abwarten wollten, was von protestantischer Seite wiederum als bloße Ausflucht angesehen wurde. In der Tat belegten die in Frankfurt vorliegenden Berichte von Kreisgesandtschaften an die kriegführenden Mächte beziehungsweise deren Heerführer die Aussichtslosigkeit von Verhandlungen78, und auch die unmit­ telbar betroffenen katholischen Stände im Fürstenrat sprachen sich für ein militärisches Eingreifen aus. Eine Mehrheit der Deputierten wandte sich jedoch dagegen, was die protestantischen Teilnehmer schließlich dazu brachte, durch ihre Abreise nach etwa vier Wochen den Konvent platzen zu lassen und (weiter) über ein eigenstän­ diges Vorgehen nachzudenken79. Keine geringe Rolle spielte hier allerdings auch die Ablehnung der von Kurpfalz geforderten Be­ ratungen der protestantischen (dabei vor allem der eigenen) Religi­ onsbeschwerden, auf die sich die katholische Seite im Hinblick auf Zweck und Auftrag des Deputationstags nicht einlassen wollte80: Der im Zentrum der Reichsexekutionsordnung angesiedelte Reichsdeputationstag hatte als Instrument der Konsensfindung auf seinem ureigensten, ihm verfassungsrechtlich zugewiesenen Betätigungsfeld, der Landfriedenswahrung, versagt. In seiner Spaltung spiegelte sich die konfessionelle und politische Zerrissenheit des Reiches81. Der sich weiter verschärfende Konfessionskonflikt und die zuneh­ mende Involvierung führender Reichsstände in die Auseinander­ setzungen im Westen machten in der Folge – bei fortbestehender Bedrohungslage – jede Möglichkeit zur Einberufung eines weite­ ren „friedenssichernden“ Deputationstags zunichte. An Versamm­ lungen der Reichskreise zum Zweck der Abwehr mittelbarer oder unmittelbarer Gefahren mangelte es unterdessen nicht, wobei sich das Reichsexekutionswesen permanent überfordert zeigte. Einen 78

Bergerhausen (wie Anm. 13), 191. Lanzinner, Zeitalter (wie Anm. 1), 174. 80 Vgl. Neuhaus, Repräsentationsformen (wie Anm. 1), 485. 81 Bergerhausen (wie Anm. 13), 192. Vgl. Rabe (wie Anm. 3), 596: Die weit fortgeschrittene Konfessionalisierung der Reichspolitik ließ jedes Vorgehen gegen die Spanier als ein antikatholisches Vorhaben erscheinen, und dafür waren weder Kaiser Rudolf noch die katholische Mehrheit des Deputationstags zu haben. 79 Vgl.

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Höhepunkt erreichten diese Aktivitäten zum Ende des Jahrhun­ derts: 1599 tagten mehrfach fünf Reichskreise, um über Maßnah­ men zur Bekämpfung von Friedstörungen zu befinden, die vom Krieg in den Niederlanden ausgingen82; bezeichnend war freilich, dass parallel dazu rein protestantische Versammlungen stattfanden und auch über konfessionelle Bündnisse diskutierten83. Mit den Zu­ sammenkünften von fünf Zirkeln war jedenfalls mehrfach die in der Exekutionsordnung vorgesehene unmittelbare Vorstufe zu einem Reichsdeputationstag erreicht. Am nächsten kam man einem sol­ chen wohl auf der Versammlung der fünf westlich gelegenen Kreise in Koblenz zur Mitte des Jahres, doch scheiterte auch diese Ver­ sammlung an den konfessionellen Differenzen84 – und ein kursäch­ sischer Vorschlag zur Einberufung eines Deputationstags verhallte ungehört85. Diese Episode bekräftigte noch einmal das Scheitern des „friedenssichernden“ Reichsdeputationstags, zwei Jahre vor dem endgültigen Aus auch für sein mit „zivilen“ Themen befasstes Pen­ dant, das an der Unmöglichkeit einer Visitation des Reichskammer­ gerichts zugrunde ging86. Erst gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges erstanden die Reichs­ deputationstage wieder, freilich unter völlig geänderten, nicht ver­ gleichbaren Bedingungen87. Zunächst jedoch setzte sich im Reich der Trend zu konfessionellen Sonderbündnissen durch88, die in Ge­ stalt von Union und Liga ab 1608/09 schließlich auch die Reichs­ kreise in ihrer Funktion beerbten, dabei freilich nicht friedensorien­ tiert im Sinne der Exekutionsordnung waren89.

82 Vgl.

Dotzauer (wie Anm. 1), 586. Rabe (wie Anm. 3), 598. 84 Lanzinner, Zeitalter (wie Anm. 1), 175; vgl. Lanzinner, Friedenssiche­ rung (wie Anm. 6), 442. 85 Ausführlich zu den Kreisversammlungen des Jahres 1599 Ritter (wie Anm. 13), 138–153; zu Kursachsen ebd., 141. 86 Lanzinner, Zeitalter (wie Anm. 1), 177; vgl. Rabe (wie Anm. 3), 612; Schilling (wie Anm. 5), 401. 87 Vgl. Anm. 5. 88 Vgl. Lanzinner, Zeitalter (wie Anm. 1), 185ff. 89 Press (wie Anm. 5), 174–195 (passim). 83

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V. Um [...] eine Militäraktion gegen Friedensstörungen zu organisieren, war der 1555 vorgesehene Deputationstag, weil zu schwerfällig, nicht das geeignete Instrument90. Dass er die ihm gestellten Aufgaben bis zum Ende des 16. Jahrhunderts immer weniger erfül­ len konnte, lag jedoch unmittelbar an Problemen, die die gesamte Reichspolitik in zunehmendem Maße bestimmten und schließlich auch das Funktionieren der Reichsverfassung generell massiv be­ einträchtigten. Die fortschreitende Vertiefung der konfessionellen Spaltung im Reich wurde noch befördert und verstärkt durch die konfessionell bestimmten militärischen Konflikte im Westen; dass gerade deren unmittelbaren Auswirkungen auf das Reichsgebiet von den Deputierten in den Jahren 1586 und 1590 nichts entgegen­ gesetzt wurde, kann vor diesem Hintergrund kaum verwundern. Freilich erging es dem „friedenssichernden“ Deputationstag in die­ ser Hinsicht nicht besser als den übrigen Reichsinstitutionen91, nur dass er aufgrund seines Beratungsauftrags unmittelbarer und frü­ her von der Konfessionalisierung der Politik betroffen war – und angesichts des scheinbaren Funktionierens der für die Bekämpfung von Friedensstörungen zunächst zuständigen Kreise und des für die Grundsatzdebatten zuständigen Reichstags entbehrlich erscheinen mochte; zudem lag schließlich die Flucht in konfessionelle Bünd­ nisse nahe. Somit kann der letztlich schon 1590 gescheiterte „frie­ denssichernde“ Reichsdeputationstag als das erste durch die zu­ nehmenden Spannungen im Vorfeld des Dreißigjährigen Kriegs gelähmte Reichsorgan angesehen werden – für seine Abgrenzung von den übrigen Deputationstagen spricht jedenfalls viel. Die Gesamtbilanz des „friedenssichernden“ Reichsdeputations­ tags fällt vor diesem Hintergrund bestenfalls durchwachsen aus. Gleichwohl hatte die Wormser Versammlung von 1564, deren Er­ gebnisse weit über das Erwartbare hinausgegangen waren, gezeigt, welches Potential dem Deputationstag innewohnte. Ihre Bedeutung im Rahmen der Konsolidierungsphase des Reichs nach dem Augs­ 90 91

Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 443. Mit dem endgültigen Scheitern der Visitationen im Jahr 1601 (vgl. oben bei Anm. 86) war auch das Reichskammergericht nicht mehr funktionsfähig, der Reichstag war seit 1608, spätestens 1613 verfahrenstechnisch gelähmt; Lanzinner, Zeitalter (wie Anm. 1), 177, 193, 196.

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burger Religionsfrieden ist nicht zu unterschätzen, auch wenn ihre Wirkung auf lange Sicht verpuffte. Dass das Zustandekommen des Abschieds dabei ebenso wie seine Umsetzung maßgeblich auf dem Engagement eines Reichsfürsten in Gestalt Kurfürst Augusts von Sachsen beruhte und auch von der akuten Bedrohung der Reichs­ ordnung durch Wilhelm von Grumbach begünstigt wurde, verweist indes bereits auf die grundsätzliche Problematik, die dieser Ver­ sammlungsform immanent war. Auf negative Weise wird diese auch durch die Wirkungslosigkeit der Beschlüsse von 1569 verdeutlicht, die einerseits im Schatten des für die Stände zu ambitionierten kai­ serlichen Zentralisierungsprogramms standen, andererseits durch den Wegfall der akuten Bedrohungslage als überflüssig angesehen wurden: Der für das sensible Thema „Friedenssicherung“ zustän­ dige Reichsdeputationstag war als Konvent von geringem Umfang und damit schmaler Legitimationsbasis besonders von der Tagespo­ litik abhängig – auch die Sprengkraft der konfessionellen Gegensät­ ze deutete sich 1569 bereits an – und konnte darüber hinaus leicht zum Spielball der Interessen potenter Persönlichkeiten werden. Wohl und Wehe des Reichsverbands hingen letztlich vom Engage­ ment seiner Glieder ab – dies kommt im Schicksal des „friedenssi­ chernden“ Deputationstags in konzentrierter Form zum Ausdruck.

SUPPLIKATIONEN ALS KONFLIKTE AUF DEM REICHSTAG Möglichkeiten und Grenzen der Konfliktregulierung durch Reichsversammlungen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts von Josef Leeb, Oberpöring/München Die zentrale Bedeutung des Reichstags im Speziellen und der Reichsversammlungen im Allgemeinen für das System der Frie­ denssicherung im Reich nach innen und außen im Gefolge des Augsburger Friedenswerks von 1555 ist aufgrund neuerer For­ schungsergebnisse1 unstrittig. Die Konsolidierung des Reichs­ verbandes in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts beruhte im Inneren auf der Stabilisierung der Reichsverfassung mit dem Reli­ gionsfrieden und der Reichsexekutionsordnung als tragenden Säu­ len, verbunden mit dem Bestreben um eine funktionsfähige Reichs­ justiz, der Vereinheitlichung des Reichsmünzwesens und dem Ausbau der Reichskreisorganisation. Nach außen hin manifestierte sich die Einheit des Reichs in der Bereitschaft der Reichsstände, mit den in zunehmender Höhe bewilligten Reichssteuern eine ge­ 1

Lanzinner, Maximilian: Friedenssicherung und politische Einheit des Reiches unter Kaiser Maximilian II. (1564–1576). (Schriftenreihe der His­ torischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 45) Göttingen 1993; Lanzinner, Maximilian: Das Konfessionelle Zeital­ ter 1555–1618. In: Maximilian Lanzinner, Gerhard Schormann: Konfessi­ onelles Zeitalter 1555–1618. Dreißigjähriger Krieg 1618–1648. (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte. Zehnte, völlig neu bearb. Aufl., 10) Stuttgart 2001, 1–203, bes. 47–79; Luttenberger, Albrecht P.: Kurfürsten, Kaiser und Reich. Politische Führung und Friedenssicherung unter Ferdi­ nand I. und Maximilian II. (Veröffentlichungen des Instituts für Europä­ ische Geschichte Mainz, Abteilung für Universalgeschichte, 149; Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, 12) Mainz 1994. Zusammenfassend: Neuhaus, Helmut: Das Reich in der Frühen Neuzeit. (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 42) 2. Aufl. München 2003, 67f, 70–73 (Literatur). Zur Bedeutung des Reichstags 1566 in diesem Prozess: Lanzinner, Maximilian, Heil, Dietmar: Der Augsburger Reichstag 1566: Ergebnisse einer Edition. In: Historische Zeitschrift 274 (2002), 603–632.

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steigerte Mitverantwortung für die Türkenabwehr2 zu überneh­ men. Diese wesentlichen Elemente der Friedensordnung des Reiches 1555–15863 umschreiben zugleich das Standardprogramm4 der Reichsversammlungen in diesem Zeitraum, wie es in den vom Kai­ ser proponierten Hauptartikeln zum Ausdruck kommt. Dem ge­ genüber standen die Nebenverhandlungen als Themen, die nicht von der Proposition herrührten, sondern von außen an eine Reichs­ versammlung herangebracht wurden und damit deren thema­ tisches Spektrum erweiterten. Einen beträchtlichen Teil dieser Ne­ benverhandlungen machten die Supplikationen aus. Sie sollen im Folgenden im Blickpunkt stehen, und zwar im Hinblick darauf, ob und inwieweit die Bedeutung der Reichsversammlungen für die Friedenssicherung auf höherer Ebene auch in diesem Bereich zum Tragen kam, wie weit sich das Konfliktlösungspotential einer Reichsversammlung also auf unterer Ebene erstreckte. Im Mittel­ punkt stehen deshalb nicht die Supplikationen als solche, sondern die Reaktion der Reichsstände auf Bittschriften, denen ein Konflikt zugrunde lag. Die untersuchten Reichstagssupplikationen5, also die im Rahmen 2

Schulze, Winfried: Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert. Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äu­ ßeren Bedrohung. München 1978. 3 Lanzinner, Zeitalter (wie Anm. 1), 47, als Kapitelüberschrift. 4 Luttenberger (wie Anm. 1), 63. Zu den Routineangelegenheiten der Reichstage vgl. auch Lanzinner, Maximilian: Reichsversammlungen und Reichskammergericht 1556–1586. (Schriftenreihe der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung, 17) Wetzlar 1995, 17ff. Zur Einordnung: Neuhaus, Helmut: Von Reichstag(en) zu Reichstag. Reichsständische Be­ ratungsformen von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. In: Reichsständische Libertät und habsburgisches Kaisertum. Hrsg. von Heinz Duchhardt und Matthias Schnettger. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für Universalgeschichte, Beiheft 48) Mainz 1999, 135–149, hier 139f. 5 Vgl. dazu die grundlegenden Arbeiten von Helmut Neuhaus, deren Schwerpunkt auf der ersten Jahrhunderthälfte liegt und an die im Folgen­ den für die Zeit ab 1555 angeknüpft wird: Neuhaus, Helmut: Reichstag und Supplikationsausschuß. Ein Beitrag zur Reichsverfassungsgeschichte der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. (Schriften zur Verfassungsgeschich­ te, 24) Berlin 1977; Neuhaus, Helmut: „Supplizieren und Wassertrinken sind jedem gestattet.“ Über den Zugang des Einzelnen zum frühneuzeitli­

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einer Reichsversammlung präsentierten Eingaben, bilden nur eine Variante des Mediums Supplikation, die zahlenmäßig im Verhält­ nis zu den Bittschriften auf territorialer6, lokaler oder kommunaler Ebene, die weit überwiegend von Untertanen7 eingereicht wurden, chen Ständestaat. In: Staat – Souveränität – Verfassung. Festschrift für Hel­ mut Quaritsch zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Dietrich Murswiek [u.a.]. (Schriften zum Öffentlichen Recht, 814) Berlin 2000, 475–492; Neuhaus, Helmut: Supplikationen auf Reichstagen des 16. Jahrhunderts. Zahl, Inhalt und Funktion. In: Der Reichstag 1486–1613: Kommunikation – Wahr­ nehmung – Öffentlichkeiten. Hrsg. von Maximilian Lanzinner und Arno Strohmeyer. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayeri­ schen Akademie der Wissenschaften, 73) Göttingen 2006, 149–161. 6 Erste wegweisende Auswertung von Supplikationen auf territorialer Ebe­ ne am Beispiel Hessen-Kassels: Neuhaus, Helmut: Supplikationen als lan­ desgeschichtliche Quellen. Das Beispiel der Landgrafschaft Hessen im 16. Jahrhundert. In: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 28 (1978), 110– 190; 29 (1979), 63–97. 7 Die in den letzten Jahren intensivierte Erforschung von Supplikationen beschäftigt sich überwiegend mit Bittschriften von Untertanen auf terri­ torialer Ebene, um die Bedeutung der Unterschichten als historische Ak­ teure, ihren Zugang zur Obrigkeit oder die Funktion von Supplikationen als Selbstzeugnisse zu untersuchen. Vgl. dazu den Sammelband: Nubola, Cecilia, Würgler, Andreas (Hrsg.): Bittschriften und Gravamina. Poli­ tik, Verwaltung und Justiz in Europa (14.–18. Jahrhundert). (Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient, 19) Berlin 2005; besonders die Beiträge: Würgler, Andreas: Bitten und Begehren. Suppli­ ken und Gravamina in der deutschsprachigen Frühneuzeitforschung. In: Nubola/Würgler, Bittschriften und Gravamina (wie oben), 17–52 (For­ schungsüberblick); Härter, Karl: Das Aushandeln von Sanktionen und Normen. Zu Funktion und Bedeutung von Supplikationen in der frühneu­ zeitlichen Strafjustiz. In: Nubola/Würgler, Bittschriften und Gravamina (wie oben), 243–274 (Supplikationen als Kommunikationskanal zwischen Untertanen und Obrigkeit); Rudolph, Harriet: „Sich der höchsten Gnade würdig zu machen.“ Das frühneuzeitliche Supplikenwesen als Instrument symbolischer Interaktion zwischen Untertanen und Obrigkeit. In: Nu­ bola/Würgler, Bittschriften und Gravamina (wie oben), 421–449. Vgl. daneben: Fuhrmann, Rosi, Kümin, Beat, Würgler, Andreas: Supplizie­ rende Gemeinden. Aspekte einer vergleichenden Quellenbetrachtung. In: Gemeinde und Staat im Alten Europa. Hrsg. von Peter Blickle. (Histori­ sche Zeitschrift, Beiheft 25) München 1998, 267–323 (Supplikationen von Gemeinden als Untertanenkorporationen aus Württemberg und HessenKassel); im Sammelband weitere Beiträge zu Beschwerden auf territori­ aler Ebene. Weitere Beispiele dazu: Blickle, Renate: Supplikationen und

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nur einen Bruchteil ausmachte. Auf eine definitorische Abgrenzung des Terminus „Supplikation“ im Allgemeinen und dessen Modifi­ zierung, wie sie anhand der Untertanensupplikationen formuliert wurde8, muss in diesem Rahmen ebenso verzichtet werden wie auf Darlegungen zu Überlieferung, Form und Beratungsverfahren spe­ ziell der Reichstagssupplikationen9. Demonstrationen. Mittel und Wege der Partizipation im bayerischen Ter­ ritorialstaat. In: Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft vom Mit­ telalter bis zur Moderne. Hrsg. von Werner Rösener. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 156) Göttingen 2000, 263–317, bes. 268–289; Holenstein, André: Klagen, anzeigen und supplizieren. Kommunikative Praktiken und Konfliktlösungsverfahren in der Markgraf­ schaft Baden im 18. Jahrhundert. In: Streitkulturen. Gewalt, Konflikt und Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft (16.–19. Jahrhundert). Hrsg. von Magnus Eriksson und Barbara Krug-Richter. (Potsdamer Studien zur Geschichte der ländlichen Gesellschaft, 2) Köln [u.a.] 2003, 335–369; Leh­ mann, Hannelore: Zum Bittschriftenwesen in fridericianischer Zeit. Zur Erforschung des preußischen Bittschriftenwesens. In: Jahrbuch für bran­ denburgische Landesgeschichte 55 (2004) [Festschrift für Eckart Henning zum 65. Geburtstag], 77–92; Schwerhoff, Gerd: Das Kölner Suppliken­ wesen in der Frühen Neuzeit. Annäherungen an ein Kommunikationsme­ dium zwischen Untertanen und Obrigkeit. In: Köln als Kommunikations­ zentrum. Studien zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte. Hrsg. von Georg Mölich und Gerd Schwerhoff. (Der Riss im Himmel, 4) Köln 2000, 473– 496. Zusammenfassend: Schennach, Martin P.: Supplikationen. In: Quel­ lenkunde der Habsburgermonarchie (16.–18. Jh.). Ein exemplarisches Handbuch. Hrsg. von Josef Pauser [u.a.]. (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 44) München 2004, 572–584 (Literatur). Als Selbstzeugnisse: Ulbricht, Otto: Supplikationen als Ego-Dokumente. Bittschriften von Leibeigenen aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts als Beispiel. In: Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte. Hrsg. von Winfried Schulze. (Selbstzeugnisse der Neuzeit, 2) Berlin 1996, 149–174. 8 Zu Begriffsgeschichte und Definition ausführlich: Neuhaus, Reichstag (wie Anm. 5), 74–98. Modifizierungen: Würgler (wie Anm. 7), 19–23; Fuhrmann/Kümin/Würgler (wie Anm. 7), 267ff; Schennach (wie Anm. 7), 573–576. 9 Vgl. dazu ausführlich: Neuhaus, Reichstag (wie Anm. 5), 148–293, 301– 308 (Bildung, Geschäftsordnung und Tätigkeit des Supplikationsausschus­ ses); Neuhaus, Supplizieren (wie Anm. 5), 482ff. Konkret am Beispiel des Reichstags 1570: Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556–1662 [im Folgenden abgekürzt RTA, RV]. Hrsg. von der Histori­ schen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

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121

Der Auswertung vorangestellt wird eine quantitative Bestandsauf­ nahme zu den Supplikationen an Reichsversammlungen im Zeit­ raum von 1556 bis 1586, die neben der Gesamtzahl der Bittschrif­ ten den Status der Supplikanten und die Adressaten ausweist, an die sich die Eingaben richteten. Sie soll Aufschlüsse zur Frage ermögli­ chen, welche ständischen und sozialen Gruppen sich des Mittels der Supplikation bei den Reichsversammlungen bedienten und an wen sie sich als bevorzugten Ansprechpartner wandten. I. Für die statistische Bestandsaufnahme können die Supplikationen nur jener Reichsversammlungen ausgewertet werden, deren Ak­ ten in der Reihe der „Deutschen Reichstagsakten. Reichsversamm­ lungen 1556–1662“ bereits ediert vorliegen10. Eine Berücksichtigung der übrigen Tage ist nicht möglich, da die Rekonstruktion des je­ weiligen Gesamtbestands an Supplikationen aufgrund der Verstreu­

durch Maximilian Lanzinner. Der Reichstag zu Speyer 1570. Bearb. von Maximilian Lanzinner. Göttingen 1988, 102–109. Zur Überlieferung zu­ sammenfassend für die Reichstage seit 1559: Neuhaus, Supplikationen (wie Anm. 5), 156. Vgl. auch die Angaben in Anm. 11. 10 RTA, RV. Der Kurfürstentag zu Frankfurt 1558 und der Reichstag zu Augsburg 1559. Bearb. von Josef Leeb. Göttingen 1999, Nr. 52–81, 501– 521, Nr. 690–794, 1824–1944, dazu Nr. 563–565, 1391–1398; RTA, RV. Der Reichsdeputationstag zu Worms 1564. Bearb. von Marc von Knorring. München 2010, Nr. 63–71, 382–399; RTA, RV. Der Reichstag zu Augs­ burg 1566. Bearb. von Maximilian Lanzinner und Dietmar Heil. München 2002, Nr. 328–464, 1374–1481; RTA, RV. Der Reichstag zu Regensburg 1567 und der Reichskreistag zu Erfurt 1567. Bearb. von Wolfgang Wagner, Arno Strohmeyer und Josef Leeb. München 2007, Nr. 66–81, 297–308, Nr. 170–187, 697–706; RTA, RV 1570 (wie Anm. 9), Nr. 390–564, 998–1133; RTA, RV. Der Reichstag zu Augsburg 1582. Bearb. von Josef Leeb. Mün­ chen 2007, Nr. 372–456, 1325–1405; RTA, RV. Der Reichsdeputationstag zu Worms 1586. Bearb. von Thomas Fröschl. Göttingen 1994, Nr. 18a–32b, 773–842. Aufgenommen wird daneben die vom Verfasser im Manuskript abgeschlossene, im Druck befindliche Edition des Regensburger Reichstags 1556/57 [zit. mit Angabe der Stücknummer als: RTA, RV 1556/57], hier Nr. 521–576, dazu Nr. 511, Nr. 514.

122

Josef Leeb

ung auf zahlreiche Archive11 nur im Rahmen einer Edition erbracht werden kann. Es fehlen folglich neben dem Reichstag 157612 mehre­ re Kurfürsten- und Wahltage, die Deputationstage 1557, 1560, 1569, 1571, 1577, 1578 und 1583 sowie die Versammlungen nach 158613. Wenngleich demnach die Gesamtzahl der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vorgebrachten Supplikationen nicht genannt wer­ den kann, erfasst die Auflistung mit Reichstag, Reichsdeputations­ tag, Reichskreistag und Kurfürstentag gleichwohl die verschiedenen Typen der in diesem Zeitraum ein außerordentlich dichtes Geflecht bildenden Repräsentativversammlungen14 und die Größenverhält­ nisse im Hinblick auf die Anzahl der dort eingereichten Supplika­ tionen. In der Statistik werden nur Reichstagssupplikationen berücksich­ tigt, also Bittschriften, die der Mainzer Kanzlei als geschäftsfüh­ rendem Organ einer Reichsversammlung präsentiert und von die­ ser im Reichsrat oder einer Kurie vorgelegt wurden15, unabhängig davon, ob sie direkt an die Reichsstände adressiert waren. An den Kaiser gerichtete Eingaben sind folglich als Reichstagssupplika­ 11

12 13

14

15

Die insgesamt beste Überlieferung bieten die Bestände im Mainzer Erz­ kanzlerarchiv (MEA) des Haus-, Hof- und Staatsarchivs Wien, die freilich bei Weitem nicht lückenlos sind. Vgl. RTA, RV 1558/59 (wie Anm. 10), 129f; RTA, RV 1564 (wie Anm. 10), 381; RTA, RV 1566 (wie Anm. 10), 1371f; RTA, RV 1570 (wie Anm. 9), 104f; RTA, RV 1582 (wie Anm. 10), 1321f. Nachweis der Supplikenbände aus dem MEA für die Reichstage 1550/51–1608: Neuhaus, Supplizieren (wie Anm. 5), 481, Anm. 24. Für 1576 vgl. die archivalischen Nachweise bei Neuhaus, Supplikationen (wie Anm. 5), 156 mit Anm. 49. Vgl. die Übersicht aller Reichsversammlungen von 1556/57–1662 (mit Li­ teratur): www.historischekommission-muenchen.de/seiten/reichsversamm­ lungen1556_1662.pdf . Lanzinner, Reichsversammlungen (wie Anm. 4), 6; Überblick ebd., 6–16; Lanzinner, Zeitalter (wie Anm. 1), 68–71; Neuhaus, Helmut: Reichs­ ständische Repräsentationsformen im 16. Jahrhundert. Reichstag – Reichs­ kreistag – Reichsdeputationstag. (Schriften zur Verfassungsgeschichte, 33) Berlin 1982, bes. 186–422 (interzirkulare und Reichskreistage), 423–492 (Reichsdeputationstage); zum Kurfürstentag: Gotthard, Axel: Säulen des Reiches. Die Kurfürsten im frühneuzeitlichen Reichsverband. (Historische Studien, 457) Husum 1999, bes. 238–275 (1558–1588). Vgl. zur Definition: RTA, RV 1570 (wie Anm. 9), 103. Die Schlüsselstellung der Mainzer Kanzlei betont Neuhaus, Supplikationen (wie Anm. 5), 150f. Zu deren Aufgabe: Neuhaus, Reichstag (wie Anm. 5), 187–190.

123

Supplikationen als Konflikte auf dem Reichstag

tionen zu qualifizieren, wenn sie von der Reichskanzlei zur nach­ folgenden Beratung durch die Reichsstände an die Mainzer Kanzlei gereicht wurden. Dagegen bleiben allein vom Reichsoberhaupt oder dessen Geheimen Räten behandelte Supplikationen ebenso außen vor wie jene, die sich an Sondergremien wie etwa Konfessionsräte am Reichstag richteten. Ebenfalls unberücksichtigt bleiben Wer­ bungen und Beschwerden, die im Zusammenhang mit den Haupt­ beratungen einer Reichsversammlung erfolgten. Dies betrifft Sup­ plikationen und Gravamina zur Religionsproblematik, Werbungen der königlichen Erblande um eine Türkenhilfe16 und Eingaben im Umfeld anderer Hauptartikel17. Supplikationen an Reichsversammlungen 1556/57–158618 RT KFT 1556/7 1558

RT 1559

RDT RT RT RKT 1564 1566 1567 1567

RT 1570

RT RDT 1582 1586



gesamt

58

30

108

9

137

16

18

175

85

17

653

Reichsstand

38

15

70

4

104

10

11

123

58

12

445 68,1%

an Kaiser

16

4

24

--

31

3

1

28

5

--

112 25,2%

an Reichs­ stände

8

9

27

3

43

6

9

63

37

9

214 48,1%

16

100%

Vgl. zuletzt: Luttenberger, Albrecht P.: Landstände, Kaiser und Reichs­ tag. In: Lanzinner/Strohmeyer, Reichstag 1486–1613 (wie Anm. 5), 163– 193, hier 163–182. 17 Vgl. am Beispiel des Reichstags 1582: RTA, RV 1582 (wie Anm. 10), Nr. 190, 760–765, Nr. 192, 767ff (Türkenhilfe), Nr. 196–199, 777–791 (nie­ derländischer Krieg), Nr. 213, 829f (Reichsjustiz), Nr. 220–232, 843–896 passim (Gravamina der Hansestädte als Zusatz zum 2. Hauptartikel), Nr. 272–283, 1023–1051 (Religionswesen in Aachen), Nr. 336–367, 1194–1305 passim (Religionsgravamina und -supplikationen). 18 Quellengrundlage: Angaben in Anm. 10. Die Zahlen bei Neuhaus, Suppli­ kationen (wie Anm. 5), 156, 158, weichen für die Tage 1559 und 1586 ab, weil dort Eingaben an die Konfessionsräte sowie Folgesupplikationen und Gegenberichte berücksichtigt werden. Quantifizierung von Supplikationen im Zeitraum 1486–1550/51: Ebd., 152–156. Erläuterungen zur Anzahl bis 1555: Neuhaus, Reichstag (wie Anm. 5), 98–114.

124

Josef Leeb RT KFT 1556/7 1558

RT 1559

RDT RT RT RKT 1564 1566 1567 1567

RT 1570

RT RDT 1582 1586



an Ks. und Reichsstände

14

2

19

1

30

1

1

32

16

3

119

26,7%

Reichsritter

3

1

2

1

6

--

2

2

1

--

18

2,8%

--

--

--

--

1

--

--

--

1

--

2

11,1%

an Reichsstände

2

1

1

1

3

--

2

--

--

--

10

55,6%

an Ks. und Reichsstände

1

--

1

--

2

--

--

2

--

--

6

33,3%

Amtsträger

12

3

14

2

8

6

3

21

6

3

78

11,9%

an Kaiser

4

--

2

--

2

--

--

4

--

--

12

15,4%

an Reichsstände

7

3

10

2

5

6

2

14

5

2

56

71,8%

an Ks. und Reichsstände

1

--

2

--

1

--

1

3

1

1

10

12,8%

Untertanen

4

11

14

1

7

--

--

19

12

1

69

10,6%

an Kaiser

1

--

6

--

1

--

--

4

--

--

12

17,4%

an Reichsstände

--

10

5

--

4

--

--

9

8

--

36

52,2%

an Ks. und Reichsstände

3

1

3

1

2

--

--

6

4

1

21

30,4%

sonstige

1

--

8

1

12

--

2

10

8

1

43

6,6%

an Kaiser

1

--

4

--

7

--

--

1

2

--

15

34,9%

an Reichsstände

--

--

--

1

4

--

1

6

5

1

18

41,9%

an Ks. und Reichsstände

--

--

4

--

1

--

1

3

1

--

10

23,2%

an Kaiser

125

Supplikationen als Konflikte auf dem Reichstag Adressaten insgesamt

an Kaiser an Reichsstände an Ks.und Reichsstände

RT KFT 1556/7 1558

RT 1559

RDT RT RT RKT 1564 1566 1567 1567

RT

KFT

RT

RDT

22 [38%] 17 [29%] 19 [33%]

4 [13%] 23 [77%] 3 [10%]

36 [33%] 43 [40%] 29 [27%]

-7 [78%] 2 [22%]

RT

RT

RKT

42 3 1 [31%] [19%] [5%] 59 12 14 [43%] [75%] [78%] 36 1 3 [26%] [6%] [17%]

RT 1570 RT 37 [21%] 92 [53%] 46 [26%]

RT RDT 1582 1586 RT

RDT

8 -[9%] 55 12 [65%] [71%] 22 5 [26%] [29%]

∑ ∑ 153 23,4% 334 51,2% 166 25,4%

RT = Reichstag; KFT = Kurfürstentag; RDT = Reichsdeputationstag; RKT = Reichskreistag; Ks. = Kaiser.

Nach oben genannten Kriterien wurden für die zehn ausgewer­ teten Reichsversammlungen insgesamt 653 Supplikationen ermit­ telt. Die Spannbreite reicht dabei von neun (Deputationstag 1564) bis zu 175 Bittschriften (Reichstag 1570). Pauschal ist zu konsta­ tieren, dass bei den nachgeordneten Versammlungen, namentlich den Deputationstagen, aufgrund des eingeschränkten Teilnehmer­ kreises und des Charakters als mehr oder minder hermetische Fach­ tagungen sachverständiger Räte weniger Bittschriften übergeben wurden als bei den Reichstagen. Davon auszunehmen sind einer­ seits der Kurfürstentag 1558, der sich mit 30 und damit wesentlich mehr Supplikationen zu befassen hatte als die beiden Deputations­ tage und der Reichskreistag 1567, sowie andererseits der Reichstag 1567, dem nur 16 vorlagen, während sich das Spektrum bei den üb­ rigen Reichstagen kontinuierlich von 58 auf 175 erweiterte und erst 1582 auf 85 zurückfiel. Lässt sich die Ausnahmestellung des Reichstags 1567 mit dem Sta­ tus als relativ schwach besuchter Gesandtenreichstag, der Abwesen­ heit des Kaisers19, dem geringen Abstand zum Vorgängerreichstag 1566, an den er auch inhaltlich gebunden war, und der sehr kurzen Dauer von nur vier Wochen erklären, so erschließt sich für die an­ deren Reichstage, auf denen das Reichsoberhaupt jeweils persönlich anwesend war, kein stringenter Zusammenhang mit der zeitlichen Dauer: Lagen dem acht Monate versammelten Reichstag 1556/57 nur 58 Supplikationen vor, so waren es 1566, als man nur etwas län­ ger als zwei Monate tagte, 137. Augenfällig sind die hohen Suppli­ kationszahlen bei den mit wichtigen politischen Entscheidungen befassten Reichstagen, an denen neben dem Kaiser viele Reichsstän­

19

Vgl. auch RTA, RV 1567 (wie Anm. 10), 297.

126

Josef Leeb

de teilnahmen20. Dies deutet darauf hin, dass die Supplikationshäu­ figkeit zumindest teilweise an die Besuchsfrequenz eines Reichs­ tags, insbesondere die Präsenz vieler Reichsstände geknüpft war: Vielfach waren es ohnehin Reichsstände als Reichstagsteilnehmer, die zugleich als Supplikanten in Erscheinung traten, zum anderen dürfte bei „großen“ Reichstagen die aufgrund der Anwesenheit des Reichsoberhaupts sowie zahlreicher Kurfürsten und Fürsten we­ sentlich breitere öffentliche Wirkung nach außen die Wendung von nicht-reichsständischen Besuchern an die Versammlung beför­ dert haben. Dem gegenüber blieb die nach außen wirkende Strahl­ kraft „kleiner“ Gesandtenreichstage wie 1567 oder besonders der erwähnten Deputationstage stark limitiert, während der Kurfürs­ tentag 1558, bei dem neben Kaiser Ferdinand I. alle Kurfürsten und mehrere Fürsten persönlich zugegen waren21, in Verbindung mit dem aufwändig gestalteten Zeremoniell bei der Übertragung des Kaisertums von Karl V. auf Ferdinand I. eine erheblich breitere Öf­ fentlichkeit und einen größeren Bekanntheitsgrad erreichte22. So nutzten manche Reichsstände und anteilig relativ viele Untertanen diesen Tag, um mit ihren Anliegen alle Kurfürsten persönlich an­ zusprechen. Wird dem Kurfürstentag im Hinblick auf dessen Kom­ petenz in Supplikationsbelangen am Beispiel von 1558 eine ähnliche Repräsentationsfunktion zugerechnet wie dem Reichstag23, so gilt dies grundsätzlich auch für alle anderen reichsständischen Versammlungen neben dem Reichstag24, allerdings, wie obige Angaben zeigen, in eingeschränkter Weise, zumindest was die Supplikations­ frequenz beim Deputationstag und Reichskreistag anbelangt. Letz­ terer wurde – am Beispiel von Erfurt 1567 – zwar in dieser Funk­ 20

21 22

23 24

Vgl. zur Statistik des Reichstagsbesuchs: Aulinger, Rosemarie: Das Bild des Reichstages im 16. Jahrhundert. Beiträge zu einer typologischen Ana­ lyse schriftlicher und bildlicher Quellen. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 18) Göt­ tingen 1980, 118–124. RTA, RV 1558/59 (wie Anm. 10), 159–162, Nr. 41, 430, Nr. 45, 441f. Dies entspricht der Beobachtung bei Neuhaus, Supplizieren (wie Anm. 5), 484, wonach die Supplikationsfrequenz auch davon abhing, wie verbreitet die Kenntnis über die Veranstaltung solcher Versammlungen war. Luttenberger (wie Anm. 1), 78; zu den Supplikationen am Kurfürstentag 1558: 77–81. Neuhaus, Supplikationen (wie Anm. 5), 159, unter Rekurs auf die Analyse Luttenbergers (wie Anm. 23).

Supplikationen als Konflikte auf dem Reichstag

127

tion in Anspruch genommen, doch bezog sich ein Großteil der Eingaben mit der Abrechnung der Gothaer Exekutionskosten25 auf die Hauptthematik der Tagung und mit spezifischen Fragen der Ge­ schäftsordnung auf den wenig gebrauchten Versammlungstypus, während dem gegenüber nur wenige Bittschriften allgemeinen In­ halts vorkamen26. Abgesehen von den erwähnten äußeren Faktoren wirkten sich zweifellos die jeweiligen aktuellen politischen Um­ stände auf die Intensität der Wendung an eine Reichsversammlung aus. So betrafen beispielsweise beim Reichstag 1570 allein 25 Sup­ plikationen das Umfeld des Kriegs in den Niederlanden und dessen Auswirkungen auf Reichsstände und Untertanen. Der in der Tabelle ausgewiesene Status der Supplikanten27 wird un­ tergliedert in die Kategorien Reichsstand, Reichsritter, Amtsträ­ ger, Untertanen und „sonstige“. Dabei werden unter Reichsständen auch Institutionen wie die Reichskreise subsumiert. Als Amtsträ­ ger sind Amtsausübende nicht nur auf Reichs-, sondern ebenso auf kommunaler Ebene deklariert, falls sie dort mit Reichsbelan­ gen zu tun hatten. Im Einzelnen handelt es sich um Personal des Reichskammergerichts, Pfennigmeister, Inhaber von Reichsämtern und deren Bedienstete, kaiserliche Räte oder Diener, Funktionsträ­ ger am Reichstag sowie um reichsstädtisches Kanzleipersonal, das mit der Einnahme von Reichssteuern befasst war. Unter „sonstige“ werden in erster Linie Supplikationen von landsässigen Adeligen, Klöstern und Städten sowie von auswärtigen Potentaten oder von Fürsten und Kommunen außerhalb des engeren Reichsverbandes, wie er sich auf dem Reichstag darstellte, aufgenommen. Als Unter­ tanen erscheinen demnach entsprechende Personen, so weit es sich 25 Vgl.

Lanzinner, Zeitalter (wie Anm. 1), 53ff; Lanzinner, Friedenssiche­ rung (wie Anm. 1), 51–71; Luttenberger (wie Anm. 1), 365–383 (zum Reichskreistag), bes. 374f; RTA, RV 1567 (wie Anm. 10), 36–41 (Literatur), Nr. 141–169, 601–695 (Exekutionsrechnungen). 26 Vgl. ebd., Nr. 170–187, 697–706: Von 18 Supplikationen acht im Zusam­ menhang mit den Exekutionskosten, drei zur Sessionsfolge beim Reichs­ kreistag, sieben mit anderweitigen Inhalten. 27 Grundsätzlich konnte sich jeder als Supplikant an eine Reichsversammlung wenden, sei es als Einzelperson, unabhängig vom Status als Reichsstand, Landsasse oder Untertan, als Personengruppe, Institution (z.B. das Reichs­ kammergericht oder einzelne Reichskreise) oder Korporation (z.B. die Reichsstädte insgesamt). Beispiele vom Reichstag 1570 mit dieser Kategori­ sierung: Neuhaus, Supplizieren (wie Anm. 5), 485f.

128

Josef Leeb

nicht um Landstände oder Amtsträger handelte, da die Zuordnung zu letzterer Kategorie vorrangig erfolgt. Die Differenzierung nach dem Status der Petenten zeigt zunächst ein eindeutiges Übergewicht der Reichsstände, die insgesamt mehr als zwei Drittel aller Supplikationen (445 von 653) einreichten. Ob­ wohl also jedermann, wirklich jeder Mann und auch jede Frau im Heiligen Römischen Reich bei einer Reichsversammlung supplizie­ ren konnte28, blieb die Supplikation auf dieser Ebene zumindest in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts doch überwiegend ein Me­ dium der und für die Reichsstände, deren Anteil bei den einzelnen Tagen abgesehen von einer Ausnahme (1564) stets mindestens 50%, meist über 60% betrug. Der Spitzenwert wurde 1566 erreicht, als drei Viertel der 137 Bittschriften von Reichsständen kamen. Die­ se wandten sich vornehmlich in interständischen Konflikten, in Reichsbelangen wie der Veranlagung zu und der Entrichtung von Reichssteuern oder im Hinblick auf Reichsinstitutionen an die Reichsversammlung als das dafür adäquate Forum. Die als Amts­ träger eingestuften Personen übergaben insgesamt 12% der Suppli­ kationen. Als Angehörige von Reichsinstitutionen wie dem Reichs­ kammergericht oder befasst mit Tätigkeiten für Kaiser und Reich stellte für sie folgerichtig die Reichsversammlung die primäre An­ laufstelle in ihren Anliegen dar. Dies gilt nicht für die Untertanen, deren Supplikationen insgesamt nur etwa ein Zehntel (69 von 653) ausmachten. Falls Untertanen an eine Reichsversammlung suppli­ zierten, betraf dies meist Konflikte mit Reichsständen oder aus­ wärtigen Potentaten. Die Reichsversammlung diente hier als über­ territoriale Instanz, von der man sich eine raschere Lösung des Konflikts mit dem Territorialherrn oder anderen Höherrangigen als bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung erhoffte. Die wenigen anderen Supplikationen von Untertanen bezogen sich thematisch auf die Reichsebene, sei es im Zusammenhang mit dem Reichskam­ mergericht, der Bitte um die Patentierung von Erfindungen oder um die Änderung kaiserlicher Dekrete im wirtschaftlichen Bereich. Für die Gesamtbetrachtung des Status der Supplikanten ist zu be­ rücksichtigen, dass die Kategorie „sonstige“ mit den dort subsu­ mierten auswärtigen Potentaten, landsässigen Klöstern, Adeligen und Städten sowie mit Fürstentümern und Kommunen überwie­ gend als Reichslehenträger außerhalb der engeren Reichsgrenzen 28

Neuhaus, Supplikationen (wie Anm. 5), 157.

Supplikationen als Konflikte auf dem Reichstag

129

nur höherrangige Bittsteller umfasst. Nimmt man die Reichsritter dazu, so bestätigt sich, dass es sich trotz der Offenheit des Mediums Supplikation auf der Ebene der Reichsversammlungen vorwiegend um reichsständische und anderweitige höherrangige Petenten han­ delte, die sich dieses Mittels bedienten. Von ihnen kamen mit ins­ gesamt 77% mehr als drei Viertel aller Eingaben, von den Unterta­ nen demgegenüber nur 10,6%. Die Kategorie „Amtsträger“ entzieht sich der Zuordnung unter diesem Aspekt, weil hier das ständische beziehungsweise soziale Spektrum der Supplikanten nicht enger einzugrenzen ist und etwa im Bereich des Reichskammergerichts vom oftmals reichsständischen Richter bis hin zu Boten und Pe­ dell reichte. Festzuhalten bleibt, dass die Reichsversammlung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts für Untertanen, die nicht als Amtsträger zu qualifizieren sind, nur in den erwähnten, spezifischen Anliegen eine Anlaufstelle mittels der Supplikation darstellte29. In anderen Belangen bot für sie die weitaus häufiger in Anspruch ge­ nommene Supplikationsmöglichkeit im territorialen Bereich als Wendung an den Landesherrn oder im kommunalen und lokalen Rahmen die leichter handhabbare und näherliegende Alternative30. 29

Vgl. dagegen den anders lautenden Befund anhand einer Liste von Suppli­ kationen an Kaiser Karl V. beim Reichstag 1546, die in der Mehrzahl von Untertanen kamen: Neuhaus, Reichstag (wie Anm. 5), 114f, 299f. Aller­ dings handelte es sich dabei um keine Reichstagssupplikationen im eigent­ lichen Sinn, da sie ausnahmslos an den Kaiser gerichtet waren und nur im kaiserlichen Hofrat behandelt, den Reichsständen also nicht vorgebracht wurden. Hingegen wurden 1546 nur wenige reichstagsspezifische Supplikationen übergeben. Vgl. Deutsche Reichstagsakten. Jüngere Reihe. Deut­ sche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. [im Folgenden abgekürzt RTA, JR]. Hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akade­ mie der Wissenschaften durch Eike Wolgast. Bd. XVII: Der Reichstag zu Regensburg 1546. Bearb. von Rosemarie Aulinger. München 2005, 490, so­ wie Einführung zu Nr. 97, 490–493. 30 Zur intensiven Nutzung des Supplikationsrechts von Untertanen an den Landsherrn (ohne Berücksichtigung der Eingaben an untere und mittlere Instanzen): Die Nassau-Dillenburger Kanzlei protokollierte 1561/62 für vier Ämter etwa 600 Supplikationen, in der Kanzlei Hessen-Kassels wa­ ren es im Jahr 1594 872 Bittschriften, im Jahr 1787 ca. 4000. Vgl. Neuhaus, Supplizieren (wie Anm. 5), 489; Neuhaus, Supplikationen als Quellen (wie Anm. 6), 120f, Beilage 3, 178; Würgler (wie Anm. 7), 36 (Angabe für das Jahr 1787). In der Reichsstadt Köln wurden im Jahr 1723 ca. 800 Supplika­ tionen an den Rat gereicht. Vgl. Schwerhoff (wie Anm. 7), 476.

130

Josef Leeb

Als mögliche Adressaten für eine Supplikation auf Reichsebe­ ne kamen infrage31: 1) Der Kaiser beziehungsweise bei Versamm­ lungstagen ohne dessen persönliche Teilnahme seine Kommissare. 2) Die Reichsstände insgesamt oder eine einzelne Kurie, meist die der Kurfürsten. Vereinzelte Supplikationen richteten sich nur an den Kurfürsten von Mainz als Reichserzkanzler in seiner Aufgabe, die Geschäfte des Reichstags zu führen32. Als Spezifikum bezeich­ net demnach in der Tabelle die Kategorie „an Reichsstände“ als Adressat beim Kurfürstentag ausschließlich die Kurfürsten, beim Reichskreistag meint sie die reichsständischen Mitglieder der Kreis­ versammlung, beim Reichsdeputationstag die dort vertretenen, de­ putierten Reichsstände. 3) Als dritte Möglichkeit konnten das Reichsoberhaupt und die Reichsstände gemeinsam angesprochen werden. Ein Blick auf die Adressaten in der Tabelle („Adressaten insge­ samt“) zeigt, dass sich mehr als die Hälfte aller Supplikationen an die Reichsstände richtete (334 von 653), dazu ein weiteres Vier­ tel an Kaiser und Stände gemeinsam, mithin etwas weniger als ein Viertel (153 von 653) allein an den Kaiser. Den Hauptansprech­ partner bildeten folglich die Reichsstände, lediglich beim Reichs­ tag 1556/57 ging die Mehrzahl der Eingaben an König Ferdinand I. Betrachtet man indes die Verteilung nur bei den folgenden Reichs­ tagen (ohne 1567), ist der kontinuierliche anteilige Anstieg der Wendungen allein an die Reichsstände unverkennbar: Waren es 1556/57 noch 29%, so betrug der Anteil 1559 bereits 40% und zu­ letzt 65% (1582). Reziprok verringerte sich die Quote der allein an das Reichs­oberhaupt gereichten Bittschriften von 38% (1556/57) auf 9% (1582), obwohl der Kaiser auf allen diesen Tagen persön­ lich anwesend war. Die Bedeutung letzteren Faktors zeigt die Aus­ nahmestellung des Reichstags 1567, bei dem ebenso wie auf ande­ ren Versammlungen, bei denen der Kaiser sich durch Kommissare vertreten ließ, also den Deputationstagen 1564 und 1586 sowie dem Reichskreistag 1567, kaum Supplikationen allein an ihn gerich­ 31 32

Vgl. auch RTA, RV 1570 (wie Anm. 9), 103. Zur Bedeutung des Mainzer Erzkanzleramts: Lanzinner, Maximilian: Die Rolle des Mainzer Erzkanzlers auf den Reichstagen in der zweiten Hälf­ te des 16. Jahrhunderts. In: Kurmainz, das Reichserzkanzleramt und das Reich am Ende des Mittelalters und im 16. und 17. Jahrhundert. Hrsg. von Peter Claus Hartmann. (Geschichtliche Landeskunde, 47) Stuttgart 1998, 69–87.

Supplikationen als Konflikte auf dem Reichstag

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tet waren. Hier lag der Anteil der Bittschriften an die Reichsstände entsprechend bei über 70%, weil auch die Zahl der an Kaiser und Stände gemeinsam adressierten Eingaben limitiert blieb. Es bleibt festzuhalten, dass die Mehrzahl der Supplikanten zunehmend die Reichsstände allein oder in Verbindung mit dem Kaiser als primä­ re Ansprechpartner wählte, um zu einer positiven Bescheidung ih­ rer Bitte zu kommen, oder weil sie davon ausging, der Kaiser werde die an ihn gerichteten Supplikationen ohnehin an die Reichsstän­ de zur Beratung weitergeben. Damit bestätigt sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Beobachtung für den Zeitraum bis 1555, wonach selbst in Gnadenbelangen vermehrt die Reichsstände als Empfänger von Bittschriften fungierten, womit dem Reichstag im Verhältnis zum Reichsoberhaupt eine sich verstärkende verfas­ sungsrechtliche Bedeutung zukam33. Die in der Tabelle ausgewiesene Adressierung der Bittschriften in Abhängigkeit vom Status der Supplikanten zeigt bei der Kategorie „Reichsstand“ als Petent ähnliche Werte und Entwicklungen wie bei der Gesamtzahl („Adressaten insgesamt“), da diese ja ganz we­ sentlich vom hohen Anteil der reichsständischen Supplikationen bestimmt wurde. Ebenso bevorzugten Reichsritter, Untertanen und noch deutlicher die Amtsträger für fast drei Viertel ihrer Bitten die Reichsstände als Empfänger. Bei den Amtsträgern ist diese eindeu­ tige Präferenz wohl darauf zurückzuführen, dass es in deren Sup­ plikationen meist um die Zahlung von Besoldungen und Gratifika­ tionen oder um die Abrechnung von Reichssteuern ging, für deren Erbringung die Reichsstände zuständig waren. Hingegen rührt die überproportional häufige Adressierung von Supplikationen an den Kaiser in der Kategorie „sonstige“ (ca. 35%) wohl daher, dass sich die hierunter subsumierten Mediatstände, am Beispiel von 1566 be­ sonders Mediatklöster, in Konflikten mit Reichsständen bevorzugt an das Reichsoberhaupt um Beistand wandten34. Dies gilt häufig ebenso für auswärtige Potentaten und nicht-reichsständische Le­ hensnehmer35. 33 Vgl.

Neuhaus, Reichstag (wie Anm. 5), 118, 309. Vgl. RTA, RV 1566 (wie Anm. 10), Nr. 376, 1409f, Nr. 380, 1411f, Nr. 420, 1443f, Nr. 445, 1460. Ähnlich an Reichsstände verpfändete Städte: Nr. 396, 1425f, Nr. 400, 1428. 35 Vgl. am Beispiel des Reichstags 1559: RTA, RV 1558/59 (wie Anm. 10), Nr. 742, 1885f, Nr. 757, Nr. 758, 1897f, Nr. 781, 1932. Dagegen gingen beim 34

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Insgesamt zeigt die Statistik ein breites soziales und ständisches Spektrum von bürgerlichen Untertanen über Landsassen und Reichsstände bis hin zu Herrschern außerhalb des Reichs als Sup­ plikanten. Allerdings belegt die differenziertere Auswertung ein eindeutiges Übergewicht von reichsständischen Bittstellern und dem gegenüber eine wesentlich geringere Attraktivität der Suppli­ kationsmöglichkeit an eine Reichsversammlung für Untertanen. Hauptadressat der Supplikationen waren die Reichsstände als pri­ märes Entscheidungsgremium: Sie bildeten die hauptsächliche An­ laufstelle für die Eingaben der Amtsträger, der Untertanen und auch für die meisten reichsständischen Bittschriften. Die Suppli­ kation auf der Ebene der Reichsversammlungen stellt sich damit in beiderlei Hinsicht überwiegend als Instrument der Reichsstän­ de dar, indem sie als Bittsteller in erster Linie eben ihre reichsstän­ dischen Standesgenossen und nur zum kleineren Teil den Kaiser als Entscheidungsträger ansprachen. II. Wie einleitend erwähnt, stehen in der folgenden Auswertung nicht die Supplikationen als solche im Mittelpunkt, sondern die Reakti­ on der Reichsversammlungen auf jene Bittschriften, die einen Kon­ flikt zweier oder mehrerer Parteien beinhalteten36. Untersucht wird, ob und inwieweit die Reichsversammlung konfliktregulierend ak­ tiv wurde im Hinblick auf die Position der Supplikanten und deren Gegenpartei sowie auf den Streitgegenstand. Aufgrund dieser Vor­ gabe kommen, behält man die herkömmliche Typologisierung der Supplikationen bei, nicht die Entscheidungen in „Gnadensachen“ Reichstag 1566 die Supplikationen Polens und der Schweizer Eidgenossen­ schaft an die Reichsstände: RTA, RV 1566 (wie Anm. 10), Nr. 411, 1434ff, Nr. 443, 1459. 36 Die Feststellung, eine Supplikation sei per se Ausdruck eines Konfliktes (Rudolph [wie Anm. 7], 422), ist zumindest bei den Reichstagssupplika­ tionen nur bei einer sehr ausgeweiteten Definition des Konfliktbegriffs zu­ treffend. So basierten etwa die Eingaben um eine Gratifikation für Dienste am Reichstag auf keinem Rechtsanspruch, der im Sinne eines Konflikts ver­ fochten worden wäre. Vgl. z.B. RTA, RV 1558/59 (wie Anm. 10), Nr. 788, 1937; RTA, RV 1567 (wie Anm. 10), Nr. 75, 304f, Nr. 78, 306f; RTA, RV 1582 (wie Anm. 10), Nr. 429, 1379.

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zur Sprache, die Gunst- oder Gnadenerweisungen erbaten, sondern vorrangig jene zu „Justizsupplikationen“37, die sich unter Berufung auf das Recht oder einen Rechtsanspruch gegen eine Gegenpartei richteten, also auf einem Konflikt beruhten. Zwar stand es jedem frei, an eine Reichsversammlung zu suppli­ zieren, doch war damit keinerlei Anspruch auf eine Beantwortung oder auch nur Beratung des Anliegens verbunden. Da die Suppli­ kationen zu den „Nebenhandlungen“ einer Reichsversammlung ge­ hörten, rangierten sie in ihrer Bedeutung hinter den Hauptthemen und wurden folglich abgesehen von Eingaben, die entweder ohne­ hin im Zusammenhang mit den Hauptartikeln standen oder eine höhere reichspolitische Brisanz aufwiesen, entsprechend nach­ rangig behandelt. Dies äußerte sich darin, dass viele Bittschriften an den Supplikationsrat38 vergeben wurden und andere aus unter­ schiedlichen Gründen weder dort noch in den Kurien zur Bera­ tung kamen, also ohne Bescheid blieben. Ausgehend von der Ge­ samtzahl der 653 ermittelten Supplikationen betraf dies etwa ein Viertel, allerdings mit beträchtlichen Unterschieden bei den einzel­ nen Reichsversammlungen, wobei die Beratungsquote bei den ein­ geschränkten Tagen grundsätzlich wesentlich höher lag als bei den „größeren“ Reichstagen39. So wurden beim Kurfürstentag 1558 alle 37

Vgl. zur Typologie und genaueren Definition mit Fallbeispielen: Neu­ haus, Reichstag (wie Anm. 5), 114–128. Einwände gegen die Abgrenzung: Würgler (wie Anm. 7), 20; Härter (wie Anm. 7), 245. Probleme bei der Differenzierung am Kölner Beispiel: Schwerhoff (wie Anm. 7), 476ff. Problematisierung der bisher unzureichenden, nicht auf alle Epochen und Untersuchungsräume anwendbaren Begrifflichkeit: Fuhrmann/Kümin/ Würgler (wie Anm. 7), 322. 38 Zum Supplikationsrat vgl. die Angaben in Anm. 9. Zu den Motiven für dessen Einrichtung (effektive Erledigung der zahlreichen, teils sehr um­ fangreichen Bitten zur Entlastung der Reichstagskurien): Neuhaus, Sup­ plizieren (wie Anm. 5), 482f. Tagungsdauer der Supplikationsräte bei den Reichstagen von 1550–1594: Neuhaus, Supplikationen (wie Anm. 5), 157. Bei den Deputationstagen stand aufgrund der geringen Anzahl von Einga­ ben die Einrichtung eines Supplikationsrats nicht zur Debatte (Neuhaus, Repräsentationsformen [wie Anm. 14], 450). Aus dem gleichen Grund verzichtete man 1567 beim Reichstag und Reichskreistag darauf (RTA, RV 1567 [wie Anm. 10], 297), während er beim Kurfürstentag 1558 konstituiert wurde (RTA, RV 1558/59 [wie Anm. 10], 129). 39 Die Beratungsquote wurde ermittelt anhand der in Anm. 10 nachgewiese­ nen Aktennummern.

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30 und beim Deputationstag 1564 alle neun Bittschriften beschie­ den, ebenso erledigte der „kleine“ Reichstag 1567 alle 16 Vorlagen. Den Gegenpol bildet der Reichstag 1566, von dessen 137 Supplika­ tionen 74, mithin mehr als die Hälfte, nicht beraten wurden, wäh­ rend die Erledigungsquote bei den anderen Reichstagen zwischen 72% und 93% lag. Für den geringen Anteil war 1566 unter ande­ rem die erst spät einsetzende Tätigkeit des Supplikationsrates ver­ antwortlich, zudem wurden die Supplikationen um Moderation des Reichsanschlags ohne weitere Erörterung fast vollständig an einen künftigen Moderationstag verwiesen40. Das Verfahren bestätigte sich beim Reichstag 1582, als zwölf der insgesamt 24 nicht erle­ digten Eingaben ebenfalls Matrikular- und Steuerbelange angingen41 und ein für 1583 geplanter Moderationstag die Gelegenheit für eine neuerliche Vorlage bot. Wenngleich also die meisten Supplikationen beantwortet wurden, so stellte doch die Ignorierung durch die Reichsstände eine mög­ liche Reaktion der Reichsversammlung dar, die unabhängig vom Konfliktgehalt immerhin ein Viertel aller Bittschriften betraf. Der darin zum Ausdruck kommende, geringere Stellenwert von Sup­ plikationen gegenüber den Hauptthemen zeigte sich insbesondere bei den größeren Reichstagen, die mit sehr vielen Bittschriften kon­ frontiert wurden, wo aber wegen der wichtigen zentralen Verhand­ lungsthemen nur ein begrenzter zeitlicher Spielraum zur Verfügung stand. Deshalb nutzte man, wie im Fall der Moderations- und Ma­ trikeleingaben, die Alternative eines thematisch sich anbietenden Partikulartags, um die Beratung beim Reichstag umgehen zu kön­ nen. Für die Betrachtung der Reaktion der Reichsversammlungen auf die Supplikationen erweist sich eine Strukturierung als unum­ gänglich. Diese orientiert sich weniger an der immensen Themen­ vielfalt der Eingaben42, sondern in erster Linie an den jeweils an­ gesprochenen Konfliktgegnern. Sie unterscheidet Supplikationen 40 Vgl.

RTA, RV 1566 (wie Anm. 10), 1373. Auch in der ersten Jahrhundert­ hälfte reagierten die Reichstage ab 1530 auf Supplikationen in Reichssteuerund Matrikularfragen überwiegend mit der Verweisung an den Moderati­ onstag. Vgl. Neuhaus, Reichstag (wie Anm. 5), 251–273, 287f. 41 Vgl. RTA, RV 1582 (wie Anm. 10), Nr. 406, 409, 410, 413, 417, 418, 426, 440, 444, 449, 450, 454, 1356–1404 passim. 42 Vgl. ausführlich: Neuhaus, Reichstag (wie Anm. 5), 222–293; zusammen­ fassend: Neuhaus, Supplikationen (wie Anm. 5), 159f. Den punktuell be­

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a) zu Differenzen mit auswärtigen Potentaten oder mit anderwei­ tigen auswärtigen Bezügen; b) zu interreichsständischen Kon­ flikten; c) zu Konflikten mindermächtiger Stände oder von Un­ tertanen mit Reichsständen; d) zum Reichskammergericht als Reichsinstitution. Supplikationen, die Konflikte mit auswärtigen Potentaten oder die Rückwirkung militärischer Auseinandersetzungen auf das Reich43 ansprachen, weisen eine große thematische Bandbreite auf, die von direkter militärischer Bedrohung von Reichsständen bis zum recht­ lichen und wirtschaftlichen Bereich reichte. Die vielfachen Bitt­ schriften im Zusammenhang mit dem spanisch-niederländischen Krieg werden ebenfalls dieser Kategorie zugeordnet, wenngleich die Niederlande beziehungsweise der Burgundische Kreis staats­ rechtlich dem Reich angehörten, weil der Konflikt von den Reichs­ ständen als primär auswärtige Angelegenheit betrachtet wurde, des­ sen Übergreifen auf das Reich es zu verhindern galt. Zum wirtschaftlichen Umfeld gehörten Bitten um die Intervention gegen neue oder erhöhte auswärtige Zölle, die sich, motiviert mit dem Reichsinteresse, mittels eines schriftlichen Promotoriale erle­ digen ließen, meist freilich ohne Erfolg. Der Reichstagsbeschluss wurde zwar vollzogen, dessen Missachtung durch den Gegner blieb aber ohne Konsequenzen, wie Folgesupplikationen zeigen44. Die darin zum Ausdruck kommende, begrenzte Möglichkeit des Reichstags, die in den Supplikationen implizierten Konflikte nach­ haltig zu lösen, wird zwar ebenso in der Reaktion auf Eingaben deutlich, die den Entzug oder die Beeinträchtigung von Rechten oder Privilegien durch Auswärtige beklagten, doch konnten hier gleichwohl rechtliche Ansprüche manifestiert werden. Dies betraf beispielsweise beim Reichstag 1556/57 die Sicherung des auf den Konkordaten der Deutschen Nation beruhenden freien Wahlrechts im Hochstift Cambrai, das mit Promotorialen von Kaiser und Stän­ den verteidigt wurde gegen die Wahleingriffe der römischen Kurie, mit denen die Tendenz verbunden schien, das Hochstift dem Reich grenzten Aussagewert der jeweiligen Typologie der Inhalte betont Schen­ nach (wie Anm. 7), 577. 43 Vgl. dazu Beispiele aus der ersten Jahrhunderthälfte (Supplikationen gegen äußere Gefahren): Neuhaus, Reichstag (wie Anm. 5), 128ff. 44 RTA, RV 1558/59 (wie Anm. 10), Nr. 68, 511; RTA, RV 1566 (wie Anm. 10), Nr. 419, 1442f; dazu die Folgesupplikation: RTA, RV 1570 (wie Anm. 9), Nr. 512, 1088f.

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zu entfremden45. Ebenso erfolgten nach mehreren Klagen gegen die Regierungen von Burgund und Luxemburg wegen des Versuchs, reichsunmittelbare Besitzungen durch Eingriffe in die Hoheits­ rechte von Reichsständen zu entziehen, sowie wegen der Zitation von reichsständischen Untertanen vor das Gericht in Brüssel deut­ liche Empfehlungen an den Kaiser, die Schädigung der Hoheit und Jurisdiktion des Reichs durch gesandtschaftliche und schriftliche Interventionen zu unterbinden. In einem Fall kam verschärfend ein eigenes Mahnschreiben der Kurfürsten mit der Androhung von Re­ pressalien hinzu46. Da diese Maßnahmen jeweils weitgehend der petitio in den Supplikationen entsprachen und mit den Interzessionen jedenfalls die Rechtsposition des Reichs bekräftigt wurde, war hier keine Entscheidung über nachhaltigere Schritte erforderlich. Die Frage, ob rigidere Maßnahmen möglich und weiterführend ge­ wesen wären, wurde an zahlreichen Supplikationen aus dem bur­ gundischen Umfeld im Zusammenhang mit dem niederländischen Krieg vorrangig beim Reichstag 1570 evident. Sie sprachen haupt­ sächlich zwei Forderungen an: die Erstattung der von Söldnerkon­ tingenten besonders im Niederrheinisch-Westfälischen Kreis verur­ sachten Schäden sowie die Rückgabe der von beiden Kriegsparteien konfiszierten Güter und Territorien, für die sich vertriebene bür­ gerliche Supplikanten auf den Religionsfrieden, betroffene Adeli­ ge dagegen auf ihren reichsunmittelbaren Status beriefen47. Da für die Stellungnahmen des Reichstags zu diesen Eingaben bereits eine eingehende Analyse vorliegt48, kann hier auf deren Ergebnisse zu­ 45

RTA, RV 1556/57 (wie Anm. 10), Nr. 528. Ähnlich der Beschluss 1559 zu Klagen zweier Klöster im Hochstift Cambrai erneut gegen Eingriffe der Kurie in ihr Wahlrecht: RTA, RV 1558/59 (wie Anm. 10), Nr. 772, Nr. 773, 1920ff. 46 RTA, RV 1566 (wie Anm. 10), Nr. 453, 1466f; RTA, RV 1582 (wie Anm. 10), Nr. 445, 1395f (jeweils Kurtrier gegen die Regierungen von Burgund und Luxemburg; 1582 Schreiben der Kurfürsten mit Androhung von Re­ pressalien); RTA, RV 1570 (wie Anm. 9), Nr. 541, 1113, Nr. 558, 1124–1127. 47 Vgl. ebd., Nr. 390, 998, Nr. 396, 1001ff, Nr. 399, 1004, Nr. 417, 1016, Nr. 428, 1024, Nr. 431, 1025, Nr. 438, 1030, Nr. 442, 1033f, Nr. 450, 1039ff, Nr. 493, 1072f, Nr. 557, 1123f. Vgl. dazu Restitutionsklagen gegen Spanien und Burgund auf früheren Reichstagen: RTA, RV 1558/59 (wie Anm. 10), Nr. 695, 1831f; RTA, RV 1566 (wie Anm. 10), Nr. 385, 1416f, Nr. 452, 1465. 48 Lanzinner, Maximilian: Der Aufstand der Niederlande und der Reichs­ tag zu Speyer 1570. In: Fortschritte in der Geschichtswissenschaft durch

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rückgegriffen werden: Die Bitten, eine Schadensregulierung zu ver­ anlassen, verwiesen die Reichsstände ebenso an den Kaiser wie die Frage etwaiger Sanktionen gegen die Verursacher. Damit eröffneten sie die Möglichkeit für weitere Ausgleichsverhandlungen, während eine unmittelbare Exekution seitens des Reichs gegen die Führer der Kriegsparteien unabsehbare Weiterungen bis hin zum Reichs­ krieg nach sich gezogen hätte. Auch eine direkte Einmischung des Reichs in die Auseinandersetzungen stand ebenso wenig zur De­ batte wie eine konfessionspolitische Parteinahme. Indem ein mili­ tärisches Eingreifen nicht infrage kam, beschränkte sich die Politik des Reichstags mit der Wahrung der Rechtsposition des Reichs und den vom Kaiser eingeleiteten, regionalen Partikularversammlungen als Weg zur Konfliktreduzierung auf rein defensive, jedoch zweifellos angemessene Mittel mit dem Ziel, ein Übergreifen des Kriegs auf das Reich zu verhindern49. Ein ähnliches Grundmuster ist bei der Reaktion der Reichsstän­ de auf den livländischen Krieg zu beobachten. Die wegen des rus­ sischen Einfalls in Livland vonseiten des dort direkt betroffenen Zweigs des Deutschen Ordens und des wegen Familieninteressen im Erzbistum Riga agierenden Hauses Mecklenburg an den Reichs­ tag 1559 gerichteten Supplikationen um eine Geld- und sofortige Truppenhilfe des Reichs waren insofern erfolgreich, als die Reichs­ stände diplomatische Vermittlungsmaßnahmen anstießen, die dem Kaiser überlassen wurden, und eine Reichssteuer als Geldhilfe be­ willigten, die im Anschluss an die Erkundung der Situation in Liv­ land durch eine Reichskommission den dortigen Ständen für deren eigene Verteidigungsmaßnahmen zukommen sollte50. Die weiter ge­ Reichstagsaktenforschung. Vier Beiträge aus der Arbeit an den Reichs­ tagsakten des 15. und 16. Jahrhunderts. Hrsg. von Heinz Angermeier und Erich Meuthen. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bay­ erischen Akademie der Wissenschaften, 35) Göttingen 1988, 102–117. Zur Debatte auf dem Reichstag 1570 daneben: Arndt, Johannes: Das Heilige Römische Reich und die Niederlande 1566 bis 1648. Politisch-konfessio­ nelle Verflechtung und Publizistik im Achtzigjährigen Krieg. (Münstersche Historische Forschungen, 13) Köln [u.a.] 1998, 55–58; Auswirkungen des Krieges auf den Niederrheinisch-Westfälischen Kreis: ebd., 100–123. 49 Lanzinner, Aufstand (wie Anm. 48), 115ff, Zitat 116. 50 Vgl. die Supplikationen und Berichte sowie die Resolutionen der Reichs­ stände und des Kaisers (mit Literatur): RTA, RV 1558/59 (wie Anm. 10), Nr. 589–598, 1447–1479; Reichsnebenabschied (§§ 8–17): Nr. 807, 2052ff.

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hende Forderung eines direkten militärischen Eingreifens dagegen lehnten die Reichsstände 1559 ab, die nachfolgend vom Reichsde­ putationstag 1560 beschlossene, zusätzliche Hilfe für die Finanzie­ rung eines Reichshilfskorps wurde nicht realisiert51. Die Reaktion auf die Supplikation beschränkte sich damit erneut auf diploma­ tische und defensive Mittel, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass die Geldhilfe von 1559 nur zu einem geringen Teil erlegt wur­ de, sich die Bereitschaft für ein Engagement in den folgenden Jah­ ren noch weiter verminderte und die Tendenz dahin ging, das Reich mit keinerlei Verpflichtungen in der livländischen Sache zu belas­ ten52. Es wird deutlich, dass das Reich auch im Zusammenhang mit Livland keine aktive und offensive Außenpolitik betreiben konnte und wollte, sondern sich im Wesentlichen auf diplomatische Mittel stützte, obwohl in den Jahren nach 1559 der im Gefolge der Krise um Livland ausgebrochene Nordische Krieg Stände und Regionen des Reichs unmittelbar betraf53, während 1559 selbst der reichs­ rechtliche Status der zu unterstützenden Stände in Livland nicht unstrittig war54. Obwohl Letzteres für die Stellung der von Frankreich besetz­ ten Hochstifte und Städte Metz, Toul und Verdun sowie von Tei­ len des Hochstifts Lüttich nicht galt, beließ es der Reichstag 1559 auf die Supplikationen um Maßnahmen zu deren Restitution hin55 51

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Zum Deputationstag 1560: ebd., Nr. 667, 1741–1749; Luttenberger (wie Anm. 1), 312–317. Auf den Reichstagen 1566 und 1570 wurde die Livland­ frage im Zusammenhang mit dem Hauptartikel „Rekuperation“ behandelt: RTA, RV 1566 (wie Anm. 10), Nr. 345, 1390 (Supplikation um Reichshilfe; dort in Anm. 4 Nachweis der Hauptakten zur Beratung); RTA, RV 1570 (wie Anm. 9), Nr. 325–329, 732–740. Zur Livlandproblematik auf den Reichsversammlungen 1558–1571: Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 1), 409–422. Ebd., 417. Zur Passivität des Reichs im Nordischen Krieg am Beispiel des Reichstags 1566: Lanzinner/Heil, Reichstag (wie Anm. 1), 611ff. Vgl. RTA, RV 1558/59 (wie Anm. 10), Nr. 138, 638ff mit Anm. 6 (Litera­ tur), Nr. 666, 1737. Ebd., Nr. 572–573, 1409–1416. Zuvor hatte der Reichstag 1556/57 eine diesbezügliche Eingabe des Oberrheinischen Kreises um die Restitution seiner Mitglieder prorogiert: RTA, RV 1556/57 (wie Anm. 10), Nr. 559. Der Kurfürstentag 1558 verwies eine Metzer Supplikation an den künfti­ gen Reichstag (RTA, RV 1558/59 [wie Anm. 10], Nr. 64, 508f), nachdem zuvor die von der Nebenproposition König Ferdinands herrührende Res­

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ebenfalls beim diplomatischen Weg, einer Gesandtschaft an König Heinrich II. im Auftrag von Kaiser und Reichsständen56. Weiter ge­ hende Schritte für den Fall der erwarteten und auch erfolgten Ab­ lehnung der Restitutionsforderung kamen beim Reichstag nur in Form eines Verbots französischer Truppenwerbungen im Reich zur Sprache, das aber nicht in die Gesandtschaftsinstruktion aufgenom­ men wurde. Symptomatisch für das Verhalten des Reichstags bei Supplikationen in außenpolitischen Belangen war die Feststellung des Fürstenrats, die militärische Option für die Rückgewinnung der Territorien sei hoch bedennckhlich, ja unerheblich57. Unter dem Pri­ mat der Friedenswahrung diente die Gesandtschaft ebenso wie die defensiv ausgerichteten Maßnahmen in anderweitigen auswärtigen Konflikten vorrangig dazu, den fortdauernden Rechtsanspruch des Reichs auf die entzogenen Territorien zu dokumentieren und auf­ recht zu erhalten. Supplikationen, die auf interreichsständischen Konflikten basierten, bezogen sich häufig auf Störungen des Landfriedens, darunter akute militärische Auseinandersetzungen und deren Nachwirkungen, so­ wie auf Restitutions-, Schadensersatz- und Sanktionsforderungen. Als weitere Konfliktfelder werden exemplarisch Rangordnungsfra­ gen beim Reichstag sowie Differenzen beim Vollzug von Reichsge­ setzen angesprochen. Die friedenswahrende Funktion des Reichstags in einem militä­ rischen Konflikt forderten die Supplikationen ein, die 1556/57 im Zusammenhang mit der sogenannten Koadjutorenfehde in Liv­ land zwischen dem livländischen Zweig des Deutschen Ordens titutionsdebatte trotz der Bereitschaft der Kurfürsten zu einer sofortigen Gesandtschaft nach Frankreich vom König selbst dem nächsten Reichstag vorbehalten worden war, da sie alle Reichsstände beträfe (ebd., Nr. 48–51, 483, 490f, 496, 499f). Vgl. zur Debatte 1558: Luttenberger (wie Anm. 1), 69–73; in Verbindung mit dem Reichstag 1559: Petry, Christine: „Faire des sujets du roi.“ Rechtspolitik in Metz, Toul und Verdun unter französischer Herrschaft (1552–1648). (Pariser Historische Studien, 73) München 2006, 106–109. 56 Vgl. die Instruktion für die Gesandten: RTA, RV 1558/59 (wie Anm. 10), Nr. 588, 1440–1446; zur Durchführung: Nr. 588, 1443, Anm. 17 (Literatur). Festlegungen im Reichsnebenabschied, §§ 1–7: Nr. 807, 2050ff. 57 Konzept des Fürstenratsausschusses für die geheime Nebeninstruktion: ebd., Nr. 665, 1732–1737, Zitat 1736. Vgl. auch Nr. 230, 875, 878, Anm. b. Konzept des Kurfürstenratsausschusses: Nr. 664, 1728–1731, hier 1731.

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und dem Erzstift Riga um die dortige Vorherrschaft vorgebracht wurden. Gegen den Wunsch des Deutschen Ordens, die Ansprü­ che Rigas auf dem Rechtsweg abzuklären, beschlossen die Reichs­ stände in Kooperation mit König Ferdinand I. die Abordnung ei­ ner sofortigen Vermittlungsgesandtschaft, um die Einstellung der Kampfhandlungen, den Abzug der Söldner und möglichst die Bei­ legung des Konflikts zu veranlassen. Würde Letzteres scheitern, wurden die Parteien an eine reichsständische Vermittlungskommis­ sion oder den Austrag am Reichskammergericht verwiesen58. Da die Beschlüsse rasch vollzogen und die Gesandten von König und Reich einen ganz wesentlichen Beitrag zur Beendigung der inter­ nen Auseinandersetzungen in Livland leisteten59, kann dieser Fall beispielhaft eine erfolgreiche friedensvermittelnde Intervention der Reichsversammlung in einem Konflikt als Ertrag einer Supplikation dokumentieren. Allerdings war dieses entschiedene und relativ effektive Vorgehen nicht der Regelfall. In zahlreichen anderen reichsständischen Aus­ einandersetzungen im Gefolge von Landfriedensbrüchen erwies sich die Supplikation an eine Reichsversammlung als wenig gewinn­ bringend: Den Großteil dieser Eingaben beließen die Reichsstän­ de entweder bei bereits tätigen Vermittlungskommissionen bezie­ hungsweise der gerichtlichen Entscheidung, falls die Supplikationen sich auf laufende juristische Verfahren bezogen, oder sie verwie­ sen sie als häufigste Reaktion an das Reichsoberhaupt, teilweise er­ gänzt um die Bitte, kommissarischen oder rechtlichen Austrag zu veranlassen60. In wenigen Fällen verbanden die Stände damit kon­ kretere Empfehlungen für die Klärung des Konflikts, insbesondere 58

Vgl. die Supplikationen und Gegenberichte sowie die Resolution der Reichsstände und die Replik König Ferdinands I.: RTA, RV 1556/57 (wie Anm. 10), Nr. 511–518 (mit Literatur zur Koadjutorenfehde). 59 Vgl. ebd., Nr. 519, Anm. 11. 60 Beispiele: RTA, RV 1556/57 (wie Anm. 10), Nr. 522, Nr. 524, Nr. 531 (Sup­ plikationen im Zusammenhang mit dem Markgrafenkrieg); RTA, RV 1566 (wie Anm. 10), Nr. 336, 1381f, Nr. 361, 1400, Nr. 367, 1403f (Restitutions­ klagen); RTA, RV 1567 (wie Anm. 10), Nr. 76, 305f; RTA, RV 1570 (wie Anm. 9), Nr. 420, 1019f, Nr. 478, 1060f. Dies galt auch für konfessionspoli­ tisch motivierte Konflikte zwischen Reichsständen. Vgl. RTA, RV 1556/57 (wie Anm. 10), Nr. 537, Nr. 562; RTA, RV 1558/59 (wie Anm. 10), Nr. 691, 1825f; RTA, RV 1570 (wie Anm. 9), Nr. 444, 1035 (Verweisung an den Kai­ ser). Ausnahme: RTA, RV 1566 (wie Anm. 10), Nr. 460, 1470–1479 (Emp­

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wenn es galt, den Bestand der Reichsrechte und -privilegien zu si­ chern61. Zum Teil begründeten sie die Verweisung der Supplikati­ onen mit unzureichenden Informationen über die Hintergründe der Differenzen oder mit fehlenden Gegendarstellungen der beklagten Partei, die in der kurzen Zeitdauer der Reichsversammlung eine Be­ urteilung unmöglich machten. Viele Bittschriften erwiesen sich als thematisch zu komplex für eine rasche Lösung, bei anderen verhin­ derte gerade im Fall von Konflikten zwischen mächtigeren Reichs­ fürsten die Sorge vor Parteinahmen in den Kurien für die eine oder andere Seite und die daran geknüpften, ausgeweiteten Debatten eine Stellungnahme. Die verweisende oder ausweichende Strategie wählten die Reichs­ stände durchgehend bei Supplikationen, die Konflikte um die Rangordnung beim Reichstag vor allem im Fürstenrat ansprachen. Obwohl diese Differenzen die Verhandlungen teils massiv beein­ trächtigten und manche Stände von der Wahrnehmung ihrer Sessi­ on abhielten, wurden beim Reichstag 1556/57 entsprechende Ein­ gaben unter Berufung auf die Reichsabschiede von 1548 und 155162 an das Reichsoberhaupt zur gütlichen oder rechtlichen Entschei­ dung gewiesen. Dies wiederholte sich beim Reichstag 1559, wohin­ gegen Ferdinand I. nunmehr ergänzend die rechtliche Klärung beim nächs­ten Reichstag ausdrücklich unter Zuziehung reichsständischer Delegierter einforderte, falls die gütliche Beilegung erfolglos blie­ be63. Beim Reichstag 1570 wurde die Problematik als Hauptartikel der Proposition behandelt, wobei Kaiser Maximilian II. für die Klä­ rung neuerlich auf der Zuordnung reichsständischer Deputierter fehlung an Kaiser Maximilian II., einer Restitutionsklage gegen Kurpfalz stattzugeben). 61 Vgl. RTA, RV 1582 (wie Anm. 10), Nr. 392, 1343ff. 62 Reichsabschied 1548, § 105: RTA, JR. Bd. XVIII. Der Reichstag zu Augs­ burg 1547/48. Bearb. von Ursula Machoczek. München 2006, Nr. 372b, hier 2685. Reichsabschied 1551, §§ 105–106: RTA, JR. Bd. XIX. Der Reichstag zu Augsburg 1550/51. Bearb. von Erwein Eltz. München 2005, Nr. 305, hier 1605f. Vgl. zu den Entscheidungsmustern bei Sessionssuppli­ kationen bis zum Reichstag 1547/48 (kommissarische Beilegung oder Ver­ tagung): Neuhaus, Reichstag (wie Anm. 5), 135ff. 63 RTA, RV 1556/57 (wie Anm. 10), Nr. 563, Nr. 565, Nr. 572; RTA, RV 1558/59 (wie Anm. 10), Nr. 567, 1399f (Antwort der Reichsstände, dort Nachweis der Supplikationen wegen strittiger Sessionen), Nr. 551, 1351f, Nr. 568, 1400f (Replik und Duplik), Nr. 806, 2031f (Reichsabschied, § 84).

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bestand. Allerdings sprach der Reichsabschied sodann nur von der alleinigen rechtlichen Entscheidung nach fristgerechter Aktenvor­ lage am kaiserlichen Hof durch den Reichshofrat beziehungswei­ se den Kaiser64. Auch auf den Reichstagen 1576 und 1582 mussten Maximilian II. und Rudolf II. die Weigerung der Stände akzeptie­ ren, an der Beilegung der Sessionsstreitigkeiten mitzuwirken, be­ gründet mit den verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Bindungen an die Konfliktparteien, die einer unparteiischen Beur­ teilung im Weg stünden65. Zeigt sich hier mit der Vermeidung einer eigenständigen, ja selbst der Mitwirkung an einer gemeinsamen Lösung mit dem Reichs­ oberhaupt ein teils ähnliches Muster wie bei den erwähnten Kon­ flikten in Landfriedensbelangen, so reagierten die Reichsstände auf Supplikationen zu interständischen Differenzen beim Vollzug von Reichsgesetzen, namentlich der 1555 reformierten Exekutionsord­ nung, wesentlich engagierter und entschlussbereiter. Besonders deutlich wurde dies beim Reichstag 1556/57, als im Anschluss an die wegweisenden Verabschiedungen von 1555 die ersten Schwie­ rigkeiten bei der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben in der Pra­ xis66 auf der Ebene der Reichskreise thematisiert wurden. Dies be­ 64

RTA, RV 1570 (wie Anm. 9), Nr. 334–335, 758ff (Antwort, Replik), Nr. 567, 1253f (Reichsabschied, §§ 160–164). Sessionssupplikationen: ebd., Nr. 481, 1066, Nr. 530, 1107, Nr. 539, 1112, Nr. 564, 1133. Verfahren am Beispiel des Sessionsstreits zwischen Bayern und Sachsen im Gefolge der Verabschiedung 1570: Heil, Dietmar: Die Reichspolitik Bayerns unter der Regierung Herzog Albrechts V. (1550–1579). (Schriftenreihe der Histori­ schen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 61) Göttingen 1998, 476–479. 65 Reichsabschied 1576, §§ 112–113: Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede [...]. Teil 3, Frankfurt/Main 1747 (ND Osnabrück 1967), 371. Reichsabschied 1582, § 72: RTA, RV 1582 (wie Anm. 10), Nr. 457, 1433f. Vgl. zur Debatte auf diesen Reichstagen: Stollberg-Rilinger, Barbara: Zeremoniell als politisches Verfahren. Rangordnung und Rang­ streit als Strukturmerkmale des frühneuzeitlichen Reichstags. In: Neue Stu­ dien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte. Hrsg. von Johannes Kunisch. (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 19) Berlin 1997, 91–132, hier 117–123. 66 Die teils schon vor 1555 beschlossenen bzw. vom Reichstag 1555 umgestal­ teten Verfassungsinstitutionen und -normen, darunter die Exekutionsord­ nung, wurden nach 1555 erst in der Verfassungswirklichkeit erprobt, ausgestaltet und verfestigt. Vgl. Lanzinner, Maximilian: Das römisch-deutsche

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traf zum einen die Probleme bei der Besetzung des Oberstenamtes im Oberrheinischen Kreis, zum anderen blockierte im Niedersäch­ sischen Kreis der Konflikt um das Ausschreiberecht von Kreistagen die Inkraftsetzung der gesamten Exekutionsordnung. Die Reichs­ stände dekretierten für die Durchführung der Oberstenwahl kon­ krete Direktiven auf der Basis der Exekutionsordnung67 und ent­ schieden auf die beiderseitigen Klagen im Ausschreibestreit hin ganz pragmatisch, dass bis zu einer gütlichen oder rechtlichen Klä­ rung das gemeinsame Ausschreiberecht der beiden strittigen Par­ teien Braunschweig-Wolfenbüttel und Magdeburg gelten sollte, um primär den raschen Vollzug der gesetzlichen Bestimmungen im Kreis zu gewährleisten68. Anderweitige, von Supplikationen ange­ regte Beschlüsse beim Reichstag 1556/57 betrafen Weisungen, um die Funktionsfähigkeit der Exekutionsordnung in der konkreten Handhabung durch den Kreisobersten in einer bewaffneten Aus­ einandersetzung zu demonstrieren und die ordnungsgemäße Um­ lage von Exekutionskosten auf einen gesamten Kreis anzuregen. Auch die Verhandlungen des Reichsmoderationstags sollten mittels detaillierter Regelungen zum Streit unter den Kreismoderatoren in Gang gebracht werden69. Die offensichtlichen Bemühungen der Reichsstände beim Reichs­ tag 1556/57, in der Reaktion auf diese interreichsständischen Kon­ flikte im Zusammenhang mit der Exekutionsordnung oder anderen Einrichtungen wie dem Moderationstag die Umsetzung aktueller reichsgesetzlicher Vorgaben in der Praxis zu unterstützen und da­ mit die Friedenssicherung im Reich mit einer funktionierenden Reich um 1600. In: Späthumanismus. Studien über das Ende einer kultur­ historischen Epoche. Hrsg. von Notker Hammerstein und Gerrit Walther. Göttingen 2000, 19–45, hier 20. 67 RTA, RV 1556/57 (wie Anm. 10), Nr. 560. Trotz der Vorgaben blieben die weiteren Versuche um die Amtsbesetzung im Kreis erfolglos, weshalb die Problematik dem Reichstag 1559 neuerdings vorgebracht und im Rahmen der Hauptverhandlungen zur Exekutionsordnung behandelt wurde. Vgl. RTA, RV 1558/59 (wie Anm. 10), Nr. 539, 1298–1302 (mit Quellen und Li­ teratur zur Entwicklung bis 1559), Nr. 543, hier 1316f, Nr. 806, hier 2019f (Reichsabschied, §§ 47–48: Vollzug der Amtsbesetzung innerhalb von drei Monaten). 68 RTA, RV 1556/57 (wie Anm. 10), Nr. 526, Nr. 551. 69 Ebd., Nr. 527 (Kostenumlage), Nr. 555 (Moderationstag), Nr. 557 (Beile­ gung des bewaffneten Konflikts im Niederrheinisch-Westfälischen Kreis).

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Landfriedensordnung zu forcieren, bilden ein wesentliches Element innerhalb der Bestrebungen auch bei den folgenden Reichsver­ sammlungen um die Gewährleistung einer wirksamen Reichsexeku­ tive als Grundlage für die Bewährung des Reichs als Friedensver­ band. Die anschließenden Maßnahmen basierten allerdings nicht mehr auf Supplikationen, sondern sie waren Bestandteil der jewei­ ligen Hauptverhandlungen zur Proposition, deren Resultate mit der Aufnahme in die Reichsabschiede reichsgesetzliche Kraft erhielten. Die erwähnten Beschlüsse des Reichstags 1556/57 in diesem Be­ reich weichen deutlich ab von der sonstigen Verweisungsstrategie in anderweitigen Konflikten zwischen Reichsständen, die als Sup­ plikationen an den Reichstag gebracht wurden. Die ausweichenden Entscheidungen bedeuteten für die Supplikanten jedenfalls keine zufriedenstellende Lösung, weil damit eine weitere Verzögerung der Konfliktklärung verbunden war, die aufgrund des langwierigen gerichtlichen oder gütlichen Verfahrens, das in vielen Fällen bereits angewandt wurde, mit dem Mittel der Supplikation ja umgangen werden sollte. Allerdings bot die Supplikation unabhängig von ih­ rer Beantwortung eine Möglichkeit nicht nur für Reichsstände, auf ihre Anliegen, Beschwerden oder Klagen auf der höchsten Ebene der Reichsversammlungen aufmerksam zu machen und sie vor der versammelten Öffentlichkeit des Reichs zu präsentieren. Gleiches gilt in wohl noch stärkerem Ausmaß für die Supplika­ tionen von mindermächtigen Ständen und Reichsrittern, die sich als Restitutions-, Schadensersatz- oder anderweitige Klagen ge­ gen Reichsfürsten richteten. Beispielhaft zeigt dies das Verhalten mehrerer Reichsversammlungen im Fall des Reichsritters Wilhelm von Grumbach: Beim Reichstag 1556/57 verweigerten die Reichs­ stände das erbetene Promotoriale an das Reichskammergericht um eine raschere Erledigung der dort anhängigen Restitutionsklage ge­ gen das Hochstift Würzburg beziehungsweise die Mitglieder der Fränkischen Einung, auch das Ansuchen bei König Ferdinand I. um gütliche Vermittlung scheiterte am Widerstand des Fürstenrats, der mehrheitlich auf dem gerichtlichen Austrag beharrte. Hingegen wiesen die Kurfürsten in Frankfurt 1558 die Restitutionsklage nun­ mehr zur kommissarischen Vermittlung an den Kaiser, doch konn­ te die Fränkische Einung beim daraufhin während des Reichstags 1559 anberaumten Vergleichstag nur ein unverbindliches Verhör Grumbachs durchsetzen und jeglichen Ausgleichsversuch verwei­ gern. Beim Reichsdeputationstag 1564 blieb eine weitere Supplika­

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tion Grumbachs im Zusammenhang mit den Hauptverhandlungen70 um die Bestätigung seiner Reichsacht unbeantwortet, ebenso wur­ de beim Reichskreistag 1567 die inzwischen vom Sohn Grumbachs aufrecht erhaltene Restitutionsklage gezielt nicht beschieden71. Ähnliche Tendenzen sind erkennbar bei der Restitutionsforderung Graf Joachims von Ortenburg gegen Herzog Albrecht V. von Bay­ ern als Auseinandersetzung um den reichsständischen Status der Grafschaft auch im Hinblick auf das ius reformandi und die Gül­ tigkeit des Religionsfriedens. Nachdem der Reichsdeputationstag 1564 die Ortenburger Supplikation mit der Maßgabe an den Kaiser verwiesen hatte, er möge die Beachtung des Religionsfriedens durch beide Parteien sichern, verblieb der Streit wegen Bruch des Religi­ ons- und Landfriedens am Reichskammergericht. Da der grund­ sätzliche Konflikt um den Status der Grafschaft trotz des 1566 unter kursächsischer Vermittlung abgeschlossenen Vertrags rechts­ hängig blieb, bewilligten die Stände beim Reichstag 1570 auf eine weitere Supplikation hin ein Promotoriale für die schleunigere Ab­ wicklung des Prozesses. Der Reichstag 1576 bestätigte zwar das in­ zwischen ergangene Restitutionsmandat des Reichskammergerichts gegen Bayern, wies die eigentlichen Streitpunkte aber an eine neu­ erliche kaiserliche Kommission zum gütlichen Vergleich oder an ei­ nen kaiserlichen Schiedsspruch und behandelte sie nicht mehr als Religionsangelegenheit. Weil Bayern das Restitutionsmandat igno­ rierte, rief Graf Joachim den Deputationstag 1577 an, der sich für nicht zuständig erklärte und den Streit am Kammergericht beließ. 70

Vgl. RTA, RV 1564 (wie Anm. 10), passim; Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 1), 24–50; Luttenberger (wie Anm. 1), 318–336; Heil (wie Anm. 64), 269–279 (bayerische Politik). 71 RTA, RV 1556/57 (wie Anm. 10), Nr. 534; RTA, RV 1558/59 (wie Anm. 10), Nr. 57, 505, Nr. 710, 1849–1855; RTA, RV 1564 (wie Anm. 10), Nr. 64, 383–386; RTA, RV 1567 (wie Anm. 10), Nr. 171, 697f. Zur reichspolitischen Bedeutung der Causa Grumbach: Press, Volker: Wilhelm von Grumbach und die deutsche Adelskrise der 1560er Jahre. In: Blätter für deutsche Lan­ desgeschichte 113 (1977), 396–431. Zur Reaktion Kaiser Maximilians II. auf die Erhebung Grumbachs als Element der Adelskrise: Edel, Andreas: Der Kaiser und Kurpfalz. Eine Studie zu den Grundelementen politischen Handelns bei Maximilian II. (1564–1576). (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 58) Göt­ tingen 1997, 129–132. Umfassend zur Position Bayerns in der Adelskrise (bis 1566, Konflikte um Grumbach und Ortenburg): Heil (wie Anm. 64), 249–292, zu Grumbach bes. 250–255, 277ff, auch 331–337.

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Erst in Augsburg 1582 verständigten sich die Reichsstände darauf, dass der Vollzug des Reichsdekrets von 1576 durch eine kaiserliche Kommission geprüft und gegebenenfalls veranlasst werden sollte. Allerdings musste Graf Joachim noch beim Deputationstag 1586 die Restitution mit einer weiteren Supplikation einklagen72. Auch wenn also eine gerichtliche Entscheidung zugunsten des Sup­ plikanten feststand und ein bestätigendes Dekret der Reichsstände vorlag, erwiesen sich selbst wiederholte Nachfolgesupplikationen als wenig geeignetes Mittel, um den Vollzug insbesondere gegen die Interessen einflussreicher Reichsfürsten durchzusetzen. Die am Or­ tenburger Beispiel getroffene Feststellung, dass der Supplikationsrat wohl grundsätzlich eine schlechte Adresse für die Klagen „mindermächtiger“ Stände gegen einen großen Territorialherren war73, kann erweitert werden auf die Ebene des Reichstags beziehungsweise der Reichsversammlung insgesamt. Sie bestätigt für die zweite Hälf­ te des 16. Jahrhunderts den Befund für Klagen Mindermächtiger gegen bedeutendere Reichsfürsten in der ersten Jahrhunderthälf­ te, wonach allein dieses Verhältnis von Supplikanten zu Beklagten nicht habe erwarten lassen, daß die Kläger gerade auf einem Reichstag ihr Recht bekamen74. Dahinter standen informelle Absprachen und Einflussnahmen der fürstlichen Gesandten bei den Reichsver­ sammlungen sowohl im Supplikationsrat wie in den Kurien, die So­ lidarität der reichsfürstlichen Territorialherren gegenüber minder­ mächtigen Ständen in der Abwehr von Adelsbewegungen, die sich gegen den angestrebten Ausbau der landesherrlichen Gewalt richte­ ten, auf der anderen Seite dagegen die aufgrund der konfessionellen Solidarität religionspolitisch motivierten Mehrheitsbildungen bei den Verhandlungen und im Hintergrund das allgemeine Primat der Friedenswahrung im Reich, das wie im Fall Grumbachs 1564 eine positive Bescheidung zugunsten des zu ächtenden Landfriedensbre­ chers ausschloss. Die Reichsstände begnügten sich, falls sie die Sup­ 72

RTA, RV 1564 (wie Anm. 10), Nr. 69, 392–395; RTA, RV 1570 (wie Anm. 9), Nr. 498, 1076; RTA, RV 1582 (wie Anm. 10), Nr. 414, 1361–1368; RTA, RV 1586 (wie Anm. 10), Nr. 29, 830–835. Vgl. Heil (wie Anm. 64), 259– 267, 279–282, 530ff, 559f, 590f (Deputationstage 1564 und 1577, Reichstag 1576; Literatur). 73 Ebd., 560. 74 Neuhaus, Reichstag (wie Anm. 5), 238. Fallbeispiele von Supplikationen des niederen Adels sowie von Reichsrittern und Untertanen gegen Reichs­ fürsten in Landfriedensbelangen: ebd., 234–239.

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plikationen nicht unbeantwortet ließen, vor allem in diesen Fällen weit überwiegend mit Empfehlungen an den Kaiser, gütlichen Ver­ gleich oder rechtlichen Austrag zu veranlassen75. Dagegen blieben Stellungnahmen zugunsten von Supplikanten aus diesem Umfeld die Ausnahme76, oder sie waren mit einem Promotoriale für den Bittsteller ohne weiter reichende rechtliche und politische Konse­ quenzen abzutun77. Letzteres gilt ebenso für die Supplikationen von Untertanen, die sich gegen auswärtige Potentaten oder Reichsstände in Konflikten richteten, die auf Territorialebene nicht geklärt werden konnten, da sich Klagen vor Gerichten oder Behörden als erfolglos erwie­ sen hatten, oder in denen man ein langwieriges rechtliches Verfah­ ren umgehen wollte und sich deshalb an die Reichsversammlung als höhere Instanz wandte. Inhaltliche Schwerpunkte der Unter­ tanensupplikationen waren ausstehende Geldrückzahlungen, Sold­ rückstände, die Beschlagnahmung von Handelswaren, Entschädi­ gungsforderungen für erlittenes Unrecht oder Güterentzug sowie Ausweisungen aus Reichsstädten. Beschränkten sich Eingaben auf die Bitte um ein Promotoriale an den Konfliktgegner oder um In­ terzessionen beim Reichsoberhaupt, um dort eine Lösung zu ver­ anlassen, so wurde dies in der Regel bewilligt78. Waren damit aber weiter gehende Forderungen verbunden, die entweder den unmit­ telbaren Vollzug, etwa die Rückgabe von Gütern, oder die Erlaub­ nis für die Androhung von Gegenmaßnahmen meist in Form von 75

Vgl. als weitere Beispiele: RTA, RV 1556/57 (wie Anm. 10), Nr. 567 (Scha­ densersatzklage gegen die Fränkische Einung); RTA, RV 1566 (wie Anm. 10), Nr. 396, 1425f, Nr. 400, 1428 (Klagen der Städte Odernheim und Oppenheim gegen Kurpfalz, teils auch wegen konfessioneller Eingrif­ fe: Remittierung an den Kaiser, begründet mit dem Status der Städte als Reichspfandschaften); RTA, RV 1582 (wie Anm. 10), Nr. 443, 1389–1394 (Restitutionsklage gegen Kurmainz). 76 Vgl. RTA, RV 1570 (wie Anm. 9), Nr. 517, 1092f: Empfehlung an Kaiser Maximilian II., den Reichsritter Albrecht von Rosenberg zur Aussöhnung kommen zu lassen. Vgl. auch Neumaier, Helmut: Albrecht von Rosen­ berg. Ein außergewöhnliches Adelsleben unter drei habsburgischen Kai­ sern. Münster 2011, 312f. 77 Vgl. RTA, RV 1567 (wie Anm. 10), Nr. 184, 703f; RTA, RV 1570 (wie Anm. 9), Nr. 464, 1049f (hier ergänzt um die Bitte an Kaiser Maximilian II. um ein Mandat cum clausula in einer Restitutionsklage). 78 Vgl. RTA, RV 1558/59 (wie Anm. 10), Nr. 63, 508, Nr. 67, 510f, Nr. 72, 514, Nr. 761, 1901f; RTA, RV 1570 (wie Anm. 9), Nr. 404, 1008f.

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Repressalien betrafen, blieb es bei einem Teilerfolg für den Suppli­ kanten, indem zwar das Fürschreiben zugesagt, darüber hinaus­ gehende Maßnahmen jedoch abgelehnt wurden79. Ordnet man die Supplikationen wegen rückständiger Soldzahlungen, die neben ade­ ligen Söldnerführern auch bürgerliche Hauptleute und Obersten vorrangig beim Reichstag 1582 im Zusammenhang mit dem nie­ derländischen Krieg einreichten, dieser Kategorie zu, bestätigt sich, dass die Reichsstände die erbetenen Repressalien gegen Unterta­ nen und Güter der vorwiegend auswärtigen Schuldner im Reich durchgehend verweigerten und jeweils nur Promotoriale ihrer­ seits namens des Reichs, überwiegend aber Kaiser Rudolfs II. zu­ erkannten80. Damit sollten die Söldner befriedet und der von den Reichsständen mit den ausbleibenden Zahlungen in Verbindung ge­ brachte wirtschaftliche Schaden und der Reputationsverlust für das Reich vermieden werden, während andererseits Repressalien keine Eindämmung, sondern eine Ausweitung des Konflikts und daneben eine Involvierung des Reichs insgesamt befürchten ließen. In die­ sen Fällen stand neuerlich die Wahrung der Neutralität in außen­ politischen Belangen im Interesse der Friedenswahrung im Vorder­ grund. Eine über die Fürsprache hinausgehende, verbindliche Entschei­ dung eines Streits am Reichstag als Anweisung an den Konfliktgeg­ ner, dem Supplikanten dessen Recht widerfahren zu lassen, bildete auch im Bereich der Untertanensupplikationen die seltene Ausnah­ me, die nur bei eindeutiger rechtlicher Ausgangslage oder infol­ ge der Verweigerung einer kommissarischen Vermittlung durch die Gegenpartei zuerkannt wurde81. Ansonsten blieb es in der Regel bei

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Vgl. RTA, RV 1558/59 (wie Anm. 10), Nr. 753, 1893ff; RTA, RV 1582 (wie Anm. 10), Nr. 424, 1376. 80 Vgl. ebd., Nr. 389, 1339f (auch als allgemeine Reaktion auf die Supplikatio­ nen wegen der Soldrückstände), Nr. 399–401, 1351f, Nr. 451, 1399f. Dane­ ben (keine Untertanensupplikationen): Nr. 384, 1334, Nr. 388, 1338f, Nr. 420, 1372; RTA, RV 1570 (wie Anm. 9), Nr. 542, 1114 (Soldrückstände im Türkenkrieg). 81 Vgl. RTA, RV 1558/59 (wie Anm. 10), Nr. 697, 1834–1837 (vorausgehen­ de Anberaumung einer Vermittlung beim Kurfürstentag 1558: ebd., Nr. 71, 513f); RTA, RV 1570 (wie Anm. 9), Nr. 561, 1129 (Befürwortung der Ent­ lassung aus unrechtmäßiger Inhaftierung).

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Aufschüben, der Verweisung an den Kaiser82 oder der Ablehnung der Supplikation, begründet mit fehlenden Informationen, der nicht möglichen Anhörung der Gegenseite, der Rechtshängigkeit eines Konflikts oder der Unrechtmäßigkeit einer Forderung83. Insgesamt indes ist bei den Untertanensupplikationen gerade im Vergleich mit den Eingaben von mindermächtigen Ständen in Konflikten mit Reichsfürsten eine eher höhere Bereitschaft der Reichsversamm­ lungen erkennbar, das Anliegen der Supplikanten zu befürworten. Derlei Entscheidungen waren in diesen Fällen wohl leichter reali­ sierbar, weil es meist um weniger bedeutsame Angelegenheiten ging als bei den folgenschweren Fragen etwa um Reichsstandschaft und Landsässigkeit im Zusammenwirken mit den Adelsbewegungen, von denen die am Reichstag präsenten Territorialfürsten direkt be­ troffen waren und die sie aufgrund ihrer dortigen Position abblo­ cken konnten. Allerdings beschränkten sie sich auch bei den Un­ tertanensupplikationen wie in den anderen dargestellten Belangen generell auf vermittelnde und konflikteindämmende Schritte. In den Eingaben mit dem Bezugspunkt Reichskammergericht bestand der „Konflikt“ häufig darin, dass die Supplikanten die Fürsprache der Reichsstände um die Beschleunigung von Pro­ zessen und Urteilen erbaten, die Annullierung beziehungswei­ se Suspendierung von Verfahren beantragten oder die Kassation von Mandaten des Gerichts einforderten. Auf die vielfach erbe­ tenen Promotoriale um die vorrangige Führung von Prozessen oder um die Bekanntgabe eines Endurteils reagierten die Reichs­ versammlungen fast durchgehend positiv und richteten entspre­ chende Schreiben an das Reichskammergericht 84 , bedeutete dies 82

RTA, RV 1556/57 (wie Anm. 10), Nr. 536, Nr. 573; RTA, RV 1558/59 (wie Anm. 10), Nr. 719, 1863ff. 83 Ebd., Nr. 78, 519; RTA, RV 1564 (wie Anm. 10), Nr. 66, 388f; RTA, RV 1566 (wie Anm. 10), Nr. 416, 1438, Nr. 421, 1444f; RTA, RV 1570 (wie Anm. 9), Nr. 518, 1094. 84 Beispiele: RTA, RV 1558/59 (wie Anm. 10), Nr. 60, 506f, Nr. 716–717, 1861ff; RTA, RV 1570 (wie Anm. 9), Nr. 509, 1085f; RTA, RV 1582 (wie Anm. 10), Nr. 427, 1377f. Auch die Annahme oder die Beförderung von Entscheidungen zu Moderationsappellationen am Reichskammergericht wurde speziell vom Reichstag 1559 nachhaltig befürwortet: RTA, RV 1558/59 (wie Anm. 10), Nr. 755, 1896, Nr. 777, 1925f, Nr. 783, 1934; von diesbezüglichen Supplikationen veranlasstes, grundsätzliches Schreiben der Reichsstände an das Gericht wegen der Verpflichtung zur Annahme von

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doch keinen unmittelbaren Eingriff in die laufenden Verfahren, da es nicht um den Streitgegenstand als solchen ging, sondern le­ diglich um dessen raschere Erledigung. Zugleich bezeugten die Reichsversammlungen damit ihr Engagement für die regelmä­ ßig debattierten Maßnahmen zur Förderung der Reichsjustiz. Problematischer gestaltete sich die Entscheidung bei Supplikati­ onen, die die Annullierung von Prozessen anstrebten und damit die Tätigkeit des höchsten Reichsgerichts direkter tangierten. Die Reichsstände ließen sich darauf überwiegend nicht ein, indem sie die Bittschriften ausweichend an die nächste Reichsversammlung oder die Visitation des Reichskammergerichts verwiesen, die Pro­ zesse zum Teil aber als Entgegenkommen an den Supplikanten bis dahin suspendierten 85 . In der Haltung zu den wiederholt vorge­ brachten Bitten um die Einstellung fiskalischer Prozesse in der speziellen Form als Exemtionsprozess um den strittigen land­ sässigen oder reichsständischen Status von Städten oder Territo­ rien ist insofern eine Entwicklung erkennbar, als sie am Beispiel des Reichstags 1556/57 zurückgestellt oder die Verfahren suspen­ diert wurden, während man diese Supplikationen später unter Berufung auf die gesetzlichen Vorgaben im Reichsabschied 1548 86

Appellationen gegen Moderationsdekrete: ebd., Nr. 600, 1482–1485; Bestä­ tigung im Reichsnebenabschied, §§ 35–43: Nr. 807, 2058–2062. Ausnahme: RTA, RV 1566 (wie Anm. 10), Nr. 371, 1406 (Verweis einer diesbezüglichen Supplikation an den Moderationstag). Vgl. zur Problematik der Prozesse nach Appellationen gegen Moderationsbeschlüsse: Lanzinner, Friedenssi­ cherung (wie Anm. 1), 396. 85 Vgl. RTA, RV 1556 (wie Anm. 10), Nr. 538, Nr. 542; RTA, RV 1582 (wie Anm. 10), Nr. 394, 1346f. Ein Prozess unter Rekurs auf den Religionsfrie­ den wurde, da der Streit ohnehin Gegenstand der Religionsgravamina war, an den Kaiser verwiesen (RTA, RV 1566 [wie Anm. 10], Nr. 427, 1450f). Die Forderung um die Einstellung eines von der Kurie übernommenen Prozesses am Reichskammergericht evozierte ein konfessionell geteiltes Ständedekret: Während die katholische Seite die kaiserliche Vermittlung im zugrunde liegenden Konflikt abwarten wollte, verwehrten sich die protes­ tantischen Stände gegen die Exekution kurialer Urteile mithilfe des Reichs­ kammergerichts und forderten die sofortige Beendigung des Verfahrens (RTA, RV 1558/59 [wie Anm. 10], Nr. 790, 1938ff). 86 Reichsabschied 1548, §§ 52–59: RTA, JR XVIII (wie Anm. 62), Nr. 372b, hier 2668–2671. Zur Problematik der Exemtionsprozesse vgl. Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 1), 395f.

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rundweg ablehnte und die Prozesse am Kammergericht beließ87. Die Haltung in diesem Bereich insgesamt deutet darauf hin, dass sich die Reichsstände hier ebenso wie in anderen Supplikationen, die das Reichskammergericht zwar nicht direkt betrafen, de­ ren implizierte Konflikte aber dort rechtshängig waren, gemein­ hin nicht in schwebende Prozesse einmischten. Sieht man von den Promotorialen um die Beschleunigung von Verfahren ab, blieb es, abgesehen von wenigen Ausnahmen 88 , bei ausweichenden und aufschiebenden Bescheiden mit der Zurückstellung bis zur Vor­ lage weiterer Informationen oder der Prorogation an eine weitere Reichsversammlung, vereinzelt an die Visitationskommission. Letztere diente in ihrer Funktion als Prüfinstanz des Reichskam­ mergerichts als bevorzugte Verweisungsstelle für Supplikationen, welche gerichtsinterne Personaldifferenzen 89 oder Konflikte der Stadt Speyer mit dem dort ansässigen Gericht um Zuständig­ keits- und Finanzfragen ansprachen90 . Dieser Befund entspricht damit dem Ergebnis für die erste Jahrhunderthälfte: Die Reichs­ versammlungen verweigerten die ihnen in den Supplikationen zugedachte Funktion als eine Art Aufsichtsbehörde oder als letzt­ instanzliches Gericht 91, indem sie nicht in die juristischen Ver­ fahren eingriffen, als Urteile zu interpretierende Entscheidungen umgingen und vorgebrachte Streitsachen an den kommissarischen Austrag oder den Rechtsweg zurückverwiesen. Sie lehnten es in der Regel ab, sich in Konflikten mit dem höchsten Reichsgericht zu engagieren, um in keine übergerichtliche Funktion gedrängt 87

RTA, RV 1556/57 (wie Anm. 10), Nr. 525, Nr. 529; RTA, RV 1570 (wie Anm. 9), Nr. 449, 1037ff. 88 Vgl. ebd., Nr. 402, 1007 (Kassation eines Mandats des Reichsfiskals am Reichskammergericht auf eine Supplikation hin). Dagegen ebd., Nr. 487, 1069f: Verweigerung der Kassation eines Mandats, denn es gebührt sich nicht, in ein schwebendes Verfahren einzugreifen. 89 RTA, RV 1586 (wie Anm. 10), Nr. 23, 792f, Nr. 27i, 818f. 90 RTA, RV 1566 (wie Anm. 10), Nr. 446, 1461f; RTA, RV 1582 (wie Anm. 10), Nr. 442, 1389. Dagegen RTA, RV 1586 (wie Anm. 10), Nr. 22, 787–791, Nr. 27k, 819ff: Erläuterung eines Abschnitts der Reichskammergerichts­ ordnung zur Klärung der strittigen gerichtlichen Zuständigkeit mit der Stadt. 91 Neuhaus, Reichstag (wie Anm. 5), 223; zahlreiche Beispiele für derlei Sup­ plikationen im Zusammenhang mit dem Reichskammergericht aus der ers­ ten Jahrhunderthälfte: ebd., 139ff, 222–234.

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zu werden, die die Position des Reichskammergerichts im Verfas­ sungsgefüge des Reichs beeinträchtigt hätte.

III. Die Kernaufgabe der Reichsversammlungen bestand in der Erledi­ gung der vorgegebenen, oftmals drängenden Hauptartikel innerhalb eines vertretbaren Zeitrahmens. Da die Supplikationen dem gegen­ über noch unter den Nebenthemen einen nachgeordneten Rang einnahmen, hing ihre Erörterung auch von den zeitlichen Freiräu­ men ab, die besonders bei den wichtigen Reichstagen dafür blieben, wenngleich dort der Supplikationsausschuss als Entlastungsgremi­ um für die Kurien fungierte. Am deutlichsten kommt die nachran­ gige Bedeutung darin zum Ausdruck, dass relativ viele Bittschriften dennoch weder im Supplikationsausschuss noch in den Kurien zur Beratung kamen und damit ohne Resonanz blieben, sieht man von ihrer Abschrift ab. Allerdings darf dies nicht über die durchaus vorhandenen Mög­ lichkeiten hinwegtäuschen, die den Reichsversammlungen zur Verfügung standen, um als Reaktion auch auf Supplikationen konfliktregulierend tätig zu werden. Ob diese Möglichkeiten wahrgenommen wurden, hing in erster Linie von der reichspoli­ tischen Bedeutung der Supplikationen ab: Beeinträchtigte der ih­ nen zugrunde liegende Konflikt die territoriale Integrität des Reichs oder ging es um die Sicherung der Reichsrechte und -pri­ vilegien, engagierten sich zumindest die ersten Reichstage nach 1555 über die ansonsten vielfach erteilten Promotoriale hinaus, um den territorialen Bestand des Reichs zu wahren und Eingrif­ fen in Rechte und Besitz von Reichsständen entgegenzuwirken. Äußere Kennzeichen der Aufwertung dieser Bittschriften waren ihre Beratung nicht im Supplikationsrat, sondern in den Kurien, der Austausch von zum Teil mehreren wechselseitigen Resoluti­ onen zwischen Reichsständen und Kaiser sowie, freilich nur beim Reichstag 1559, die Aufnahme der Festlegungen in einen Reichs­ nebenabschied92 als Bestätigung der reichspolitischen Tragweite. Doch blieb es auch bei diesen Beschlüssen oberste Priorität, das Reich in keine auswärtigen Kriege zu verwickeln und keine mi­ 92

Vgl. oben, Anm. 50, 56, 84.

Supplikationen als Konflikte auf dem Reichstag

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litärischen Schritte gegen das Reich auszulösen: Die Maßnah­ men zielten darauf ab, mit diplomatischen Mitteln oder mit dem Anstoß gütlicher Verfahren, die überwiegend dem Reichsober­ haupt überlassen wurden, die mit den Supplikationen vorgebrach­ ten Konflikte im defensiven Vorgehen wenn nicht zu lösen, so doch einzudämmen und dabei die Rechtsposition des Reichs zu manifes­tieren. Das Reich agierte in den Kontroversen primär als defensiv ausgerichteter Friedensverband mit dem Ziel, das Ord­ nungsgefüge im Inneren nicht zu gefährden. Die Grenzen der Möglichkeiten zur Konfliktregulierung auf die­ ser Ebene zeigten sich vor allem bei Supplikationen, die Aus­ einandersetzungen zwischen Reichsständen ansprachen. Ein erfolgreiches friedensvermittelndes Engagement wie in der liv­ ländischen Koadjutorenfehde 1556/57 bildete die Ausnahme, die Regel dagegen war nicht die mit der Supplikation angestrebte, rasche Lösung des Konflikts im Interesse des Bittstellers, son­ dern die Verweisung an gütliche Vermittlungen, an das Reichs­ oberhaupt oder eine künftige Reichsversammlung sowie die Be­ lassung bei laufenden gerichtlichen Verfahren, in die man nicht oder möglichst wenig einzugreifen bestrebt war. Dass das Kon­ fliktregulierungspotential der Reichsversammlungen hier an sei­ ne Grenzen stieß, lag nicht nur an der Menge der Supplikationen und der thematischen Komplexität mancher Vorgänge, die in der Kürze der Zeit entweder nicht zu klären waren oder für de­ ren Erörterung man aufgrund ihrer Einschätzung als eher miss­ liebige „Privatsachen“ nicht bereit war, den erforderlichen Be­ ratungsaufwand zu betreiben, sondern dahinter standen ebenso politische Faktoren wie das Bestreben, die Verhandlungen zu den Hauptthemen einer Reichsversammlung nicht durch kon­ troverse Debatten und Parteinahmen in den Kurien im Gefol­ ge konfliktträchtiger Supplikationen zu behindern und damit die Funktionsfähigkeit des Reichstags mit „Weiterungen“, wie sie umfassendere Darlegungen oder definitive Entscheidungen be­ fürchten ließen, zu gefährden. Davon abgesehen war aufgrund der Struktur des Reichstags und der anderen Reichsversamm­ lungen nicht zu erwarten, dass man Supplikationen akzeptieren würde, die in irgendeiner Form die Position der Reichsfürsten zu beeinträchtigen schienen, sei es im Reich oder in den Terri­ torien. Damit bestätigt sich im Wesentlichen das Verhaltensmus­ ter der ersten Jahrhunderthälfte im Umgang mit Supplikationen,

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die mit Ausnahme der Vorgänge von allgemein politischer Bedeu­ tung von den Reichsständen in der Mehrzahl als hinderliche „Ne­ bensachen“ empfunden und mittels Verweisungen, Vertagungen oder der Außerachtlassung entsprechend untergeordnet behan­ delt wurden93. Was Reichsstände, Reichsritter und Untertanen dennoch veranlasste, sich in Konflikten auf diesem Weg an den Reichstag zu wenden, obwohl in den meisten Fällen keine wei­ terführende Lösung erfolgte, war wohl der Umstand, dass die Supplikation an eine Reichsversammlung unabhängig von ihrer Klärung die Gelegenheit bot, ein Anliegen auf der höchsten in­ stitutionellen Ebene der versammelten Reichsstände vor der Öf­ fentlichkeit des Reichs darzulegen und ihm aufgrund der allge­ meinen Abschrift der Eingaben zugleich zu größerer Bekanntheit im Reich zu verhelfen. Darüber hinaus ermöglichte es die Sup­ plikation, die darin angesprochenen rechtlichen oder anderwei­ tigen Forderungen öffentlich zu dokumentieren und damit den Anspruch darauf zu manifestieren. Es eröffnete sich die Chan­ ce, sich nachfolgend auf die Supplikation und deren unterblie­ bene Entscheidung zu berufen, um in noch offenen Konflikten Rechts- und Besitzansprüche weiterhin aufrechtzuerhalten. Dies erklärt wohl auch die wiederholten Supplikationen mindermäch­ tiger Stände, obgleich sie aufgrund der vielfachen negativen Er­ fahrungen auf Reichs- und anderen Versammlungstagen davon ausgehen mussten, dass sie vonseiten der Reichsfürsten keinen Bescheid in ihrem Interesse erwarten konnten. Supplikationen erfüllten damit für die Bittsteller eine wichtige Funktion, selbst wenn die Reichsversammlung nicht konfliktregulierend eingrei­ fen konnte oder wollte.

93

Vgl. die für erste Jahrhunderthälfte das Resümee bei Neuhaus, Reichstag (wie Anm. 5), 295, 305f.

Die Gesandten Zar Iwans IV. auf dem Regensburger Reichstag des Jahres 1576 mit zwei Quellenanhängen von Helmut Neuhaus, Erlangen I. Im Oktober 1915 war der Rückzug der zaristischen Armeen aus Polen nach Weißrussland sowie in die Ukraine abgeschlossen und eine Zäsur an der Ostfront im Ersten Weltkrieg markiert. Nach den schweren Niederlagen der zahlenmäßig weit überlegenen Rus­ sen bei Tannenberg und an den Masurischen Seen waren ihre un­ ter großen Verlusten errungenen Erfolge in den Schlachten an der Weichsel (Warschau) und bei Lemberg gegen das Deutsche Reich und gegen Österreich-Ungarn nicht von Dauer gewesen. Aber die „russische Dampfwalze“ hatte Spuren hinterlassen, vor allem auch in den Köpfen. Im selben Oktober 1915 veröffentlichte Wilhelm Scherer (1873– 1936) in der „Illustrierte[n] Wochenschrift für Bayerns Land und Volk“ einen Beitrag, den man in der süddeutschen heimatgeschicht­ lichen Zeitschrift „Das Bayerland“ nicht unbedingt erwartete: „Die Moskowitische Gesandtschaft auf dem Reichstag zu Regensburg (1576)“1. Das Ereignis des Aufenthaltes einer 28-köpfigen Gesandt­ schaft Zar Iwans IV. (1530–1584) während des letzten Reichstages in der Regierungszeit Kaiser Maximilians II. (1527–1576) zu Re­ gensburg lag 339 Jahre zurück. Auch wenn es aus dem Jahr 1576 zwei Holzschnitte Michael Petterles gab2, so dürfte der Besuch aus 1

Scherer, Wilhelm: Die Moskowitische Gesandtschaft auf dem Reichstag zu Regensburg (1576). In: Das Bayerland. Illustrierte Wochenschrift für Bayerns Land und Volk 27 (1915/16), 18f. 2 Das bekanntere Flugblatt „Warhafftige Contrafactur / der Legation oder gesandten / des GroßFürsten aus Moscaw / an die Röm. Kayser­ liche Mayestat […]“ – dazu siehe unten die Textedition in Abschnitt V, Anhang 2 – befindet sich heute u. a. im Historischen Museum der Stadt Regensburg: G 1931–121,1; G 1931–121,2; G 1931–121,3 (in drei Tei­ len), und im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg: HB 24834, Kapsel 1056a. Eine Farbabbildung findet sich auf dem Umschlag des

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dem fernen Moskau kaum zum Erinnerungswissen in der alten Reichs- und Bischofsstadt an der Donau oder gar der bayerischen Bevölkerung gehört haben. Scherer verwies denn auch darauf, dass sich noch lange eine malerische Darstellung dieser Gesandtschaft an der Front eines Hauses am Neupfarrplatz zu Regensburg befun­ den habe, aber mit dem Abbruch des Gebäudes sei jede Spur jenes Gemäldes verloren gegangen, worin er ein Zeichen sah, wie sich inzwischen auch die Zeiten geändert haben3. Offensichtlich bezog er sich auf Christian Gottlieb Gumpelzhaimers (1766–1841) verbrei­ tete Darstellung „Regensburg’s Geschichte, Sagen und Merkwür­ digkeiten“ aus den 1830er Jahren, in der dieser festgehalten hatte, dass ein solches Bild am ehemals Hammanischen jetzt Guggenheimerischen Hause der Neuen Pfarrei gegenüber abgemalet gewesen sei4. Eine solche ständige visuelle Erinnerung gab es 1915 längst nicht mehr, und heute ist sie in der Donaustadt auch in keiner ande­ ren Form mehr nachweisbar, wie jüngste Nachforschungen ergeben haben.

Bandes: Die russische Gesandtschaft am Regensburger Reichstag 1576. (Schriftenreihe des Regensburger Osteuropainstituts, 3) 2. Aufl. Re­ gensburg 1992; der Umschlag der 1. Aufl., Regensburg 1976, bietet nur eine Schwarz-weiß-Abbildung, wie sie sich auch findet bei Joist, Chris­ ta, Kamp, Michael: Die Ankunft der russischen Gesandten 1576. In: Fes­ te in Regensburg. Von der Reformation bis in die Gegenwart. Hrsg. von Karl Möseneder. Regensburg 1986, 128–131, hier 129ff, Abb. 29–31. Das zweite Flugblatt „Contrafactur: Der Kirchen Ceremonien / so die Moscowiter bey jrem Gottesdienst gebrauchen / wie auff dem jetzigen Reichstag zu Regenspurg ist gesehen worden“ befindet sich im Histori­ schen Museum der Stadt Regensburg: G 1933–10, und im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg: HB 24948, Kapsel 1247. Eine Schwarz-weißAbbildung findet sich bei Joist/Kamp, Die Ankunft (wie oben), Abb. 32, 131. – Siehe die Abbildungen am Ende dieses Beitrags. 3 Scherer, Moskowitische Gesandtschaft (wie Anm. 1), 18. 4 Gumpelzhaimer, Christian Gottlieb: Regensburg’s Geschichte, Sagen und Merkwürdigkeiten von den ältesten bis auf die neuesten Zeiten in ei­ nem Abriß aus den besten Chroniken, Geschichtsbüchern, und UrkundenSammlungen. 2. Abt.: Vom Jahre 1486 bis 1618. Regensburg 1837, § 594, 958.

Die Gesandten Zar Iwans IV. auf dem Regensburger Reichstag 1576

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II. Der auf zwei Seiten im großformatigen „Bayerland“ abgedruckte Beitrag Wilhelm Scherers besteht im Wesentlichen aus Passagen der „Saltzburgischen Chronick“ Johann Baptist Ficklers (1533–1610), er­ gänzt um eine etwa ein Sechstel des gesamten Textes ausmachende Einleitung. Scherer war ein aus Bayreuth stammender katholischer Theologe, 1897 in Regensburg zum Priester geweiht, ab 1901 dort Seminarpräfekt, seit 1907 Religionslehrer am dortigen Gymnasi­ um und nach dem Ersten Weltkrieg ab 1919 Professor für Dogmatik und Apologetik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Passau, wie sich die seit 1622 unter wechselnden Namen bestehende Lehranstalt zur Priesterausbildung von 1923 an nannte, die 1978 in die neue Universität Passau eingegliedert wurde5. Er legte als promo­ vierter Theologe und Philosoph theologische und kirchengeschicht­ liche Arbeiten vor, betätigte sich aber auch als pädagogischer Schrift­ steller und als Übersetzer und trat mit volkstümlichen Dichtungen hervor. Aus dem Jahr 1916 stammen – um nur dies hier exemplarisch anzuführen – seine in politischer Absicht mitten im Ersten Welt­ krieg verfassten „Kriegsgesänge“, die er zusammengefasst als „Lied von der Treue“ verstanden wissen wollte. Ihr erster Teil „Der Treue Bewährung“ wurde unter dem Haupttitel „Nibelungentreue“ publi­ ziert, deren zweiter Teil „Der Treue Frucht“ sollte dann bis zum ehrenvollen Frieden erscheinen, was nie geschehen ist. Nie können wir zu Hause – begann er sein am 21. November 1916 in Regensburg da­ tiertes Vorwort – den Männern genug danken, die für Heimat und Herd draußen all die Schrecken des Krieges auf sich nahmen und uns vor dem Einbruch grausamer Feinde beschützten […]6 . In dieser ernsten Kriegszeit – begann Scherer seine Einleitung von 1915 – dürfte es nicht uninteressant sein, sich eines Berichtes zu er5

Zu Scherer siehe u. a.: Deutsche Biographische Enzyklopädie (DBE). Hrsg. von Walther Killy (†) und Rudolf Vierhaus. Bd. 8. München 1998, 611; Bosl’s Bayerische Biographie. 8000 Persönlichkeiten aus 15 Jahr­ hunderten. Hrsg. von Karl Bosl. Regensburg 1983, 672; Grosse Bayeri­ sche Biographische Enzyklopädie. Hrsg. von Hans-Michael Körner unter Mitarbeit von Bruno Jahn. Bd. 3. München 2005, 1716. – Ich danke Herrn Dr. Bernhard Ebneth von der Redaktion der Neuen Deutschen Bio­ graphie (NDB), München, für freundliche Hinweise. 6 Scherer, Wilhelm: Nibelungentreue. Kriegsgesänge. Regensburg, Rom 1916, 7.

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innern, der uns von einer Gesandtschaft des russischen Kaisers zum alten Reichstag in Regensburg erzählt7. Damit verwies er auf die Zeit vor dem ab 1662/63 in Regensburg immerwährend gewor­ denen Reichstag, nachdem in der Epoche des nichtpermanenten, an wechselnden Orten tagenden „alten“ Reichstages seit 1495 der letz­ te 1653/54 auch in der Donaustadt zusammengetreten war. Von den Beratungsgegenständen des Jahres 1576 erwähnte er diejenigen, die ihm für einen Vergleich mit der Zeit des Ersten Weltkrieges nahe­ zuliegen schienen, gerade weil sich die Zeiten so sehr geändert hat­ ten: Von einer Wiederbeibringung der dem Reiche entzogenen Länder, namentlich Livlands8, konnte 1915 nicht die Rede sein, denn das livländische Gebiet gehörte seit dem 18. Jahrhundert zum zaris­ tischen Russland; mit dem Heiligen Römischen Reich war es im 16. Jahrhundert lediglich lehnrechtlich, aber nie territorial verbunden gewesen9. Der Wunsch Zar Iwans IV., daß der Habsburger Prinz Ernst zum König von Polen gewählt werde10, Österreich also zum Verbündeten Russlands werde, ging schon 1576 nicht in Erfüllung, denn anstelle Kaiser Maximilians II. selbst oder seines zweitältesten Sohnes, des österreichischen Erzherzogs Ernst (1553–1595), wur­ de Stefan Báthory (1533–1586), der Wojewode von Siebenbürgen, polnischer König und Großfürst von Litauen; im Ersten Weltkrieg war Österreich-Ungarn in Galizien Gegner der Russen. Und das Angebot des Zaren im Jahre 1576, Hilfe gegen die Türken zu leis­ ten11, mit dem Ziel, in eine vom Papst angeführte Koalition christ­ licher Monarchen Europas gegen die Muslime eingebunden zu wer­ den, wurde 1576 nicht angenommen; im Ersten Weltkrieg gehörte das noch bestehende Osmanische Reich nach anfänglicher Neutra­ lität zu den Verbündeten des Deutschen Reiches und ÖsterreichUngarns. Hauptanliegen Scherers aber waren im Jahre 1915 die Hinweise, dass man damals, also im Jahr 1576, erstens wegen der Ausbreitung 7

Scherer, Moskowitische Gesandtschaft (wie Anm. 1), 18. Ebd. 9 Vgl. zum Zusammenhang: Neuhaus, Helmut: Russische Gesandtschaften auf den Reichstagen des 16. Jahrhunderts. In: Bayern und Russland in vor­ moderner Zeit. Wegmarken der Annäherung bis in die Zeit Peters des Gro­ ßen. Hrsg. von Alois Schmid. München 2013, 197–225. 10 Scherer, Moskowitische Gesandtschaft (wie Anm. 1), 18. 11 Ebd. 8

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Rußlands sehr besorgt war und zweitens dessen Sitten und Denkart fürchtete12. Tatsächlich nahm Zar Iwan IV. die früher wenig erfolg­ reiche Westpolitik seines Großvaters, des Moskauer Großfürsten Iwan III. (1440–1505), wieder auf, deren Ziel die Ostseeküste war. Er erreichte sie auch – unter Missachtung der reichsrechtlichen Stel­ lung Livlands als eines nominellen Reichsfürstentums – im Livlän­ dischen Krieg von 1558 bis 1583, konnte seine Eroberungen aber nicht lange behaupten13. Das gelang dauerhaft erst Zar Peter I., dem Großen (1672–1725), mit der Gründung Sankt Petersburgs im Jah­ re 1703. Er war auch der erste Großfürst und Zar Russlands, der sich in seinen letzten Regierungsjahren von 1721 bis 1725 russischer Kaiser nannte14, was für Iwan IV. noch nicht zutraf, der von Scherer irrtümlich so bezeichnet wurde. Mit seinem zweiten Hauptanliegen nahm der Autor des Jahres 1915 eine überaus negative Einschätzung der Russen auf, die sich schon im Anschluss an Sigismund von Herbersteins (1486–1566) Werk „Rerum Moscoviticarum Commentarii“ von der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an herausbildete15, sich immer mehr verfestigte und dominierend wurde, vor allem auch in weit verbreiteten Flug­ schriften16. Damit korrespondierte eine in Westeuropa schon zu sei­ 12

Ebd. Neuhaus, Russische Gesandtschaften (wie Anm. 9), 213ff. 14 Torke, Hans-Joachim: Von der Autokratie zum Verfassungsstaat. Zaren und Kaiser in Rußland. In: Die russischen Zaren 1547–1917. Hrsg. von Hans-Joachim Torke. (Becksche Reihe, 1305) 2. Aufl. München 1999, 11– 25, hier 16f. 15 Herbersteins Werk war zuerst 1549 in lateinischer, 1557 auch in deutscher Sprache erschienen und fand in vielen Ausgaben weite Verbreitung; siehe auch Leitsch, Walter: Das erste Rußlandbuch im Westen – Sigismund Frei­ herr von Herberstein. In: Russen und Rußland aus deutscher Sicht. 9.–17. Jahrhundert. Hrsg. von Mechthild Keller. (West-östliche Spiegelungen, Reihe A, 1) München 1985, 118–149. Für die weitere Verbreitung dieser negativen Einschätzungen siehe auch die übrigen von Mechthild Keller herausgegebenen Bände 2 bis 4 der „West-östlichen Spiegelungen“ (Reihe A): Russen und Rußland aus deutscher Sicht. 18. Jahrhundert: Aufklärung. München 1987; Russen und Rußland aus deutscher Sicht. 19. Jahrhundert: Von der Jahrhundertwende bis zur Reichsgründung (1800–1871). München 1992; Russen und Rußland aus deutscher Sicht. 19./20. Jahrhundert: Von der Bismarckzeit bis zum Ersten Weltkrieg. München 2000. 16 Kappeler, Andreas: Ivan Groznyj im Spiegel der ausländischen Druck­ schriften seiner Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte des westlichen Russland­ 13

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nen Lebzeiten nachgewiesene und in der Kunst des 19. Jahrhun­ derts häufig aufgegriffene Charakterisierung Zar Iwans IV. als „der Schreckliche“, während sein Beiname „Groznyj“ wohl mehr „der Strenge“, „der Furchteinflößende“ oder „der Bedrohliche“ mein­ te. Ähnlich wie der Herrscher – so resümierte Andreas Kappeler – wird auch das russische Volk […] mit vorwiegend negativen Eigenschaften ausgestattet: Die Russen werden als grobe, ungebildete Barbaren, als sittenlose Trunkenbolde, als verschlagene, diebische und grausame Leute dargestellt17. Entsprechend dem offenbar wi­ dersprüchlichen Charakter Zar Iwans IV., der einerseits als aggres­ siv, jähzornig und gewalttätig galt, andererseits aber als sensibel be­ schrieben wurde, liturgische Hymnen dichtete und theologisch sehr belesen war18, stellte Kappeler aber auch fest: Daneben gelten sie immerhin als fromme, genügsame, gehorsame und geduldige Untertanen, die der Tyrannei des Großfürsten keinen Widerstand entgegensetzten 19. III. In Teilen liest sich der von Wilhelm Scherer 1915 erstmals publi­ zierte Auszug aus der „Saltzburgische[n] Chronick“20, der für ihn am Ende seiner Einleitung ein drolliger Bericht war21, wie eine Be­ stätigung der aus zeitgenössischen Flugschriften, Zeitungen und anderen Quellen gewonnenen Erkenntnisse22. Der Autor der

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bildes. (Geist und Werk der Zeiten. Arbeiten aus dem Historischen Semi­ nar der Universität Zürich, 33) Bern, Frankfurt am Main 1972; Kappeler, Andreas: Die deutschen Flugschriften über die Moskowiter und Iwan den Schrecklichen im Rahmen der Rußlandliteratur des 16. Jahrhunderts. In: Keller (Hrsg.), Russen und Rußland aus deutscher Sicht. 9.–17. Jahrhun­ dert (wie Anm. 15), 150–182. Ebd., 178. Kämpfer, Frank: Ivan (IV.) der Schreckliche. 1533–1584. In: Torke (Hrsg.), Die russischen Zaren 1547–1917 (wie Anm. 14), 27–49 und 379f. Kappeler, Die deutschen Flugschriften (wie Anm. 16), 178. Siehe unten Abschnitt IV, Anhang 1. Scherer, Moskowitische Gesandtschaft (wie Anm. 1), 18. Vgl. die verschiedenen Beiträge in dem Band: Keller (Hrsg.), Russen und Rußland aus deutscher Sicht. 9.–17. Jahrhundert (wie Anm. 15).

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Chronik, der salzburgische Hofrat Johann Baptist Fickler23, war Augenzeuge des Aufenthalts der Gesandtschaft Zar Iwans IV. wäh­ rend des Reichstages des Jahres 1576 in Regensburg, denn er war neben Georg Agricola († 1584), dem Bischof des salzburgischen Ei­ genbistums Seckau, das kein reichsständisches Hochstift war, neben dem Domherrn Georg von Kuenburg (1542–1587), dem Nachfol­ ger Johann Jakobs von Kuen-Belasy (1515–1586) auf dem Salzbur­ ger Erzbischofsstuhl, sowie neben dessen Bruder Johann und Dr. Balthasar Hofinger als Gesandter Salzburgs zum Regensburger Reichstag entsandt gewesen24. Der aus einer Ratsfamilie im schwäbischen Weil der Stadt stam­ mende, in Backnang geborene Johann Baptist Fickler wurde nach seinem Studium in Ingolstadt zunächst Privatsekretär des Bas­ ler Dompropstes und Diplomaten Ambrosius von Gumppenberg (ca. 1501–1574) und trat 1559 in die Dienste des Salzburger Erz­ bischofs, in denen er es – unterbrochen durch ein Studium in Bo­ logna 1564/65 – als Doctor iuris utriusque bis zum erzstiftischen Protonotar und Kanzler brachte. Erstmals 1559 mit Gumppenberg auf dem Augsburger Reichstag, wo er dem Salzburger Erzbischof Michael von Kuenburg (1514–1560) begegnete, gehörte er nicht nur der salzburgischen Gesandtschaft auf dem Regensburger Reichs­ tag von 1576 an 25 , sondern auch denen auf den Reichstagen der Jah­

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Zu ihm grundlegend: Steinruck, Josef: Johann Baptist Fickler. Ein Laie im Dienste der Gegenreformation. (Reformationsgeschichtliche Studi­ en und Texte, 89) Münster 1965; knappe Angaben auch bei Lanzinner, Maximilian: Fürst, Räte und Landstände. Die Entstehung der Zentralbe­ hörden in Bayern 1511–1598. (Veröffentlichungen des Max-Planck-In­ stituts für Geschichte, 61) Göttingen 1980, 336. Siehe ferner Ficklers persönlichen Rechenschaftsbericht am Ende seiner Salzburger und vor Beginn seiner herzoglich-bayerischen Dienstzeit in München am Ende der „Saltzburgische[n] Chronick“: Bayerische Staatsbibliothek München, Handschriftenabteilung: Cgm 2891, fol. 293–346’, mit Schriftenverzeichnis ebd., fol. 344’–346’. 24 Vgl. die „Saltzburgische Chronick“ (wie Anm. 23), fol. 226’. 25 Die Edition der Akten des Regensburger Reichstages des Jahres 1576 er­ scheint in der seit 2003 von Maximilian Lanzinner herausgegebenen Reihe „Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556–1662“ der Histo­ rischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

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re 1566 zu Augsburg26 , 1570 zu Speyer27 und 1582 wiederum zu Augsburg28 sowie auf zahlreichen anderen reichsständischen Ver­ sammlungen wie Deputations-, Moderations-, Münz- und Kreis­ tagen 29. Er hat sich zu einem der versiertesten Reichstagspolitiker und besten Kenner des Reichstages des Heiligen Römischen Rei­ ches seiner Zeit entwickelt und galt seit seiner Teilnahme am Tri­ enter Konzil in dessen Endphase ab 1562 als besonders kompetent in konfessionspolitischen Fragen 30 . Im Jahre 1588 wechselte er an den Hof des 1597 abdankenden Her­ zogs Wilhelm V., der Fromme, von Bayern (1548–1626) und wur­ de – nachdem er den Erbprinzen Maximilian I. (1573–1651) an der Universität Ingolstadt betreut hatte – zunächst sein Praeceptor und Lehrer in Jurisprudenz und Geschichte, in der Studienzeit neben dem Jesuiten Gregor von Valencia (1549–1603) einer der prägenden Erzieher, bevor er auch dort in den Hofrat aufstieg31. Bleibende Verdienste hat er sich mit der Inventarisierung der Münchner 26

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Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556–1662 [im Folgenden abgekürzt RTA. RV]. Der Reichstag zu Augsburg 1566. Bearb. von Maximilian Lanzinner und Dietmar Heil. 2 Teilbde. München 2002; siehe auch die „Saltzburgische Chronick“ (wie Anm. 23), fol. 200’–202’, wo sich Fickler als angenommener Fürstlicher Hofrhat bezeichnet (ebd., fol. 200’). RTA. RV. Der Reichstag zu Speyer 1570. Bearb. von Maximilian Lanzin­ ner. 2 Teilbde. Göttingen 1988, 159, wo Lanzinner vom verspäteten Ein­ treffen der Salzburger Gesandtschaft mit den Räten Karl Frelich (Frölich) und Fickler berichtet, die er als Neulinge in Reichspolitik und Reichstagsgeschäften charakterisiert, 1258ff (Nennung im Reichsabschied); siehe auch die „Saltzburgische Chronick“ (wie Anm. 23), fol. 219–220. RTA. RV. Der Reichstag zu Augsburg 1582. Bearb. von Josef Leeb. 2 Teilbde. München 2007, 1324 (Mitglied des Supplikationsausschusses), 1442 (Nennung im Reichsabschied); siehe auch die „Saltzburgische Chro­ nick“ (wie Anm. 23), fol. 269’–273, wo Fickler von der Ankunft einer Polnische[n] Potschafft am 18. September 1582 berichtet, dem Tag der Ver­ lesung des Reichsabschiedes (ebd., fol. 273). Neuhaus, Helmut: Reichsständische Repräsentationsformen im 16. Jahr­ hundert. Reichstag – Reichskreistag – Reichsdeputationstag. (Schriften zur Verfassungsgeschichte, 33) Berlin 1982, 370, Anm. 43, 547, 549; siehe auch die „Saltzburgische Chronick“ (wie Anm. 23), fol. 220–220’. Steinruck, Johann Baptist Fickler (wie Anm. 23), 162–211. Ebd., 131–161; Albrecht, Dieter: Maximilian I. von Bayern 1573–1651. München 1998, 103–108, 114 und öfter.

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Kunstkammer Herzog Albrechts V. (1528–1579) erworben, zu der auch bis heute ein „Russisches Trinkgeschirr“ gehört, das aus den Beständen der Moskauer Gesandtschaft in Regensburg stammt 32 . Außer als Chronist hat er sich als Verfasser juristischer und theo­ logischer Schriften – nicht nur im Umkreis des 1563 beendeten Tri­ enter Konzils – einen Namen gemacht 33. Zunächst auf den 5. Februar 1576 ausgeschrieben, dann zwei­ mal verschoben, wurde der Regensburger Reichstag am 25. Juni von Kaiser Maximilian II. mit der Verlesung der Proposition er­ öffnet34 und endete knapp vier Monate später am 12. Oktober 1576, dem Todestag des Kaisers, mit der Verlesung des Reichsab­ schieds35. Die salzburgische Gesandtschaft kam rechtzeitig nach fünftägiger Reise am 22. Juni in Regensburg an, meldete sich am folgenden Tag in der Mainzer Reichskanzlei und beim Kai­ ser und nahm an der Eröffnungssitzung des Reichstages teil36. Erzbischof Johann Jakob von Salzburg kam erst am 4. August 1576 nach Regensburg37 und wurde im Reichsabschied unter den 32

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Johann Baptist Fickler. Das Inventar der Münchner herzoglichen Kunstkammer von 1598. Editionsband. Hrsg. von Peter Diemer. (Bayeri­ sche Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Ab­ handlungen, Neue Folge, 125) München 2004; zum „Russischen Trinkge­ schirr“: Die Münchner Kunstkammer. Bd. 1: Katalog. Teil 1. Bearb. von Dorothea Diemer [u.a.]. (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Philo­ sophisch-Historische Klasse, Abhandlungen, Neue Folge, 129) München 2008, Nr. 303 (302), 112f; siehe auch zu einem von Fickler als Ganzfiguren­ bild bezeichneten Bildnis eines Mitglieds der Moskauer Gesandtschaft auf dem Regensburger Reichstag des Jahres 1576: Die Münchner Kunstkam­ mer. Bd. 2: Katalog. Teil 2. Bearb. von Dorothea Diemer [u.a.]. (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Abhand­ lungen, Neue Folge, 129) München 2008, Nr. 3146 (3117), 963. – Ich danke Herrn Professor Dr. Helmut Zedelmaier, München, für freundliche Hin­ weise. Steinruck, Johann Baptist Fickler (wie Anm. 23), 212–266, 286–299. Die kaiserliche Proposition findet sich: Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Reichskanzlei, Reichstagsakten 54a, Bd. 2, fol. 1–26’. Der Reichsabschied findet sich: Neue und vollständigere sammlung der reichs-abschiede, welche von den zeiten kaiser Konrads II. bis jetzo auf den Teutschen reichs-tägen abgehalten worden […]. 4 Teile. Frankfurt am Main 1747, hier Teil 3, 353–378. „Saltzburgische Chronick“ (wie Anm. 23), fol. 226’. Ebd., fol. 232.

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wenigen persönlich anwesenden geistlichen Reichsfürsten ge­ nannt38. Die russische Gesandtschaft erreichte Regensburg zwei Wochen nach Reichstagsbeginn am 7. Juli 157639 und reiste am 17. Septem­ ber, einen Monat vor dem Abschluss der Reichsversammlung, wie­ der ab40. Fickler berichtet über den Regensburger Aufenthalt der Moskauer unter der auf allen Doppelseiten wiederholten Haupt­ überschrift Geschichten under Ertzbischof Johan Jacob41 und wid­ met sich im ersten, fast die Hälfte seiner Darstellung ausmachenden Teil zunächst der Moschowiterischen Pottschafft ankunfft42. Er schildert erstens den Einzug der Russen in die Donaustadt. Ihr Weg führte sie vom Stättlein am Hof (Stadtamhof), der herzoglichbayerischen Landstadt am Nordufer der Donau, über die Steiner­ ne Brücke in die Reichsstadt Regensburg, wo sie im Haus „Neue Waag“ untergebracht waren. Zweitens beschreibt er die Prozession der Gesandtschaft auf dem Weg zur Audienz bei Kaiser Maximilian II. am 16. Juli43, in der die Reihenfolge der Personen der Abbildung entspricht, die Petterles oben erwähnter dreiteiliger Holzschnitt auch überliefert: Fickler nennt – vom Fürsten Sugorsky, dem De­ legationsleiter, bis zum Kanzlisten Affannasy Monastiref, der das scharlachrot eingewickelte Beglaubigungsschreiben Zar Iwans IV. hochgehoben vor sich herträgt – die ersten fünf Personen mit Na­ men und hebt diese und eine sechste, nicht namentlich genannte Person – wie in Petterles Druck44 – durch die Beschreibung ihrer Gewänder hervor. Die Personen schreiten paarweise in drei Glie­ dern hintereinander, gefolgt von der sich daran anschließenden 38 39 40 41

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Neue und vollständigere sammlung der reichs-abschiede (wie Anm. 35), 373. „Saltzburgische Chronick“ (wie Anm. 23), fol. 226’. Ebd., fol. 231. Ebd., fol. 190, beginnt mit dem Jahr 1569 das Kapitel Von Ertzbischoff Johan Jacoben Khuen regierung und reicht bis fol. 282 für das Jahr 1586. Die Hauptüberschrift folgt in zwei Teilen als Kolumnentitel über jeweils zwei gegenüberliegende Seiten hinweg; links: Geschichten under, rechts: Ertzbischof Johan Jacob. Ebd., fol. 226’–229. In Petterles dreiteiligem Flugblatt „Warhafftige Contrafactur“ (wie Anm. 2) wird als Tag der Audienz der 18. Juli 1576 genannt; siehe auch unten Ab­ schnitt V, Anhang 2, Kolumne [2]. Der Text dazu findet sich unten in Abschnitt V, Anhang 2.

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20-köpfigen Dienerschaft einschließlich zweier Knaben; im Holz­ schnitt folgen – obwohl ebenfalls nur 20 erwähnt werden – 22 un­ genannte Personen. Drittens erwähnt der Chronist die Geschenke, die – entgegen der bildlichen Darstellung – von den Hauptper­ sonen getragen wurden, und folgt auch hier der Gliederung des Textes des dreiteiligen Holzschnittes (Personen – Geschenke). Bei den Geschenken handelt es sich ausschließlich um in großer Anzahl in Zimmern zusammengebundene Zobel-Felle; pro Zimmer zählte man im Pelzhandel 50 oder 60 Stück. Ficklers weitere Darstellung im ersten Teil wendet sich viertens – in Petterles zweitem, auch bereits genannten Holzschnitt bildlich do­ kumentiert – den gottesdienstlichen Zeremonien der russisch-or­ thodoxen Moskowiter in ihrer Herberge zu und verbindet sie mit einer zusammenfassenden Charakterisierung der Russen: Sie seien sunst ain grob barbarisch ruemraißig volk, das zu Hause alles schöner, herrlicher, reicher und fruchtbarer als in Teutschland sehe, aber in ierer geistligkait und ceremonien fleissiger vnd aufmerkiger sei45. Zum Beleg dafür verweist er unter der Überschrift Moschowiter ergernuß ob den Hunden in der Kirchen 46 auf deren Verärgerung über beobachtete Missstände während eines Konzerts im Regensbur­ ger Dom und kommt – in Diensten des Erzbischofs von Salzburg stehend – generell auf Mißprauch in der Christen Kirchen zu spre­ chen47, hat doch Christus selbst nach den vier Evangelisten Händler und Tiere aus dem Tempel vertrieben48. Mit größter Empörung und eusserster befrembdung reagierte der Moskauer Gesandte während des Bairisch Panket[s] beim Ser­ vieren einer Nachspeise darauf, daß das bildtnuß der kreutzigung Christi, das auf die Oberfläche einer braite[n] gestattel mit kütten­ safft […] getruckt war, zerschnitten wurde, sah er darin doch eine grosse gottslesterung und verachtung des Zeichens unserer erlösung und wollte die Fürstliche Tafel verlassen. Nur die Erklärungen eines Dolmetschers, Entschuldigungen und die hinweg raumung des zerschnitenen Crucifix konnten dies verhindern49.

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„Saltzburgische Chronick“ (wie Anm. 23), fol. 228’–229. Ebd., fol. 229. 47 Ebd. 48 Vgl. das Evangelium des Johannes, Kapitel 2, Verse 13–16. 49 „Saltzburgische Chronick“ (wie Anm. 23), fol. 229’. 46

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Fickler berichtet darüber im zweiten Teil seiner Darstellung, in dem – in sechs Abschnitte untergliedert – im Wesentlichen von sol­ chen Ess- und Trinkgewohnheiten sowie Brutalitäten der Russen die Rede ist, die Kappelers zitierte zusammenfassende Charakte­ risierungen für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts bestätigen. Als Augenzeuge bei dem erwähnten Bairisch Panket anwesend, das Herzog Albrecht V. von Bayern (1528–1579) in seinem Regensbur­ ger Quartier, der Reichsabtei Sankt Emmeram, gab50, beobachte­ te der Salzburger Rat, wie wenig mores oder Hofzucht sie bei Tisch hielten, unmäßig tranken, ja soffen, und ohne das bereitliegende Be­ steck wie die Hund mehr fraßen als aßen 51, wie sie einen der Ih­ ren, den wegen vnzeitigen auch vnmässigen essens vnd trinkens das Fieber schüttelte52 , brutal zu heilen versuchten – er soll auf der Rückreise nach Moskau ernsthafter erkrankt und in Prag gestor­ ben sein 53 –, und wie ein Diener von seinen Kollegen im russischen Quartier brutal misshandelt wurde, der seine Aufgaben versäumt hatte und betrunken eingeschlafen war54. Es ist dem Zeitpunkt der Publikation dieses Ausschnitts aus der „Saltzburgische[n] Chronick“ zum Jahr 1576 geschuldet, dass es Wilhelm Scherer 1915 bei diesem Sittengemälde Johann Baptist Ficklers vom Ende des 16. Jahrhunderts beließ und somit ein ein­ seitiges Bild aus dem frühen zaristischen Russland weiter tradierte. Bemerkenswert jedoch bleibt die damit überlieferte Kritik an rö­ misch-katholischen Kirchengebräuchen, die den entschiedenen Wi­ derspruch der Russen erfuhren, eine Kritik, die der konfessionspo­ litisch engagierte und gegenüber Reformen in seiner lateinischen Kirche aufgeschlossene studierte Jurist und theologisch gebildete Autor Fickler nicht absichtslos festgehalten hat. Scherers knap­ pe Einleitung erwähnt in ihrer Einseitigkeit mit keinem Wort die höchst bedeutsamen Leistungen russischer Menschen für die euro­ päische Kulturgeschichte im weitesten Sinne, nicht zuletzt seit dem 17. Jahrhundert. Ficklers Darstellung, offenbar aus größtem Er­ staunen in Erinnerung an eine erste Begegnung mit einer ihm völ­ lig fremden Welt niedergeschrieben, wurde für Scherer zu einem 50

Ebd. Ebd., fol. 230. 52 Ebd., fol. 231. 53 Ebd., fol. 231’. 54 Ebd., fol. 231’–232. 51

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drollige[n] Bericht55, als den ihn der gelehrte Beobachter in erzbi­ schöflich-salzburgischen und dann der sich erinnernde Chronist in herzoglich-bayerischen Diensten wohl kaum wird verstanden ha­ ben. IV. Entgegen Scherers Behauptung, seinen, den Regensburger Reichs­ tag des Jahres 1576 betreffenden Auszug aus Johann Baptist Fick­ lers „Saltzburgische[r] Chronick“ im Wortlaut zu präsentieren56, wurde er 1915 nur lückenhaft und mit zahlreichen Lesefehlern abgedruckt. Er wird hier nach der originalen Handschrift Fick­ lers wiedergegeben, weil es sich um ein von einem Augenzeugen nach 1591 verfasstes Dokument von kulturgeschichtlicher Bedeu­ tung handelt, das Einblicke in einen Lebensbereich während eines Reichstages bietet, die in den Überlieferungen in einer solchen Aus­ führlichkeit eher selten sind. Neben der originalen Handschrift (Cgm 2891) befinden sich in der Bayerischen Staatsbibliothek Mün­ chen, Handschriftenabteilung, noch eine wenig später angefertig­ te Reinschrift (Cgm 2892) mit kleineren textlichen Varianten57 und eine Abschrift aus dem 18. Jahrhundert (Cgm 2893)58.

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Scherer, Moskowitische Gesandtschaft (wie Anm. 1), 18. Ebd. 57 Die zeitgenössische Abschrift (Cgm 2892) endet mit dem Jahr 1582 auf fol. 296’; die Passage über die Moskauer Gesandtschaft ebd., fol. 224’–229’. 58 „Saltzburgische Chronick von ainem Teutschen Schuelmaister zu Saltz­ burg N. Reitgärtler genannt, vor dreyssig Jharen zusamen getragen vnnd beschriben. Nun aber so wol was die geschichten als den Stylum betrifft, corrigiert, gebessert und gemehret durch Johan Baptista Fiklern, der Rech­ ten Doctorn Fl. Bayrischen Rhat zue Minchen“. 56

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Anhang 1 Es folgt der Text aus der „Saltzburgische[n] Chronick“ Johann Baptist Ficklers (Bayerische Staatsbibliothek München, Handschrif­ tenabteilung: Cgm 2891, fol. 226–233) mit Begriffserläuterungen in Fußnoten: [fol. 226] 1576. […] Auf den Brachmonat59 diß Jars ward von dem Caiser ain Reichstag gen Regensburg ausgeschrieben, dar zu von wegen Saltzburg furge­ Reichstag nomen vnd verordnet worden [fol. 226’] der Bischof von Seccau60, zu Regens­ Herr Georg von Küenburg, Domherr, sein Brueder Johan, Ich vnd purg Doctor Balthasar Hofinger, mein Rhatsfreundt. Demnach sein wier den 18. genants Monats zu Saltzburg aufgewesen, vnd den 22. diß zu Regenspurg ankomen, vnnd volgenden tags unß bej Ier Mt. Cai­ ser Maximilian unß gehabtem befelch nach angemeldet. Moschowiterischen Pottschafft ankunfft

Den 7. Haimonats61 sein die Moschowitische Pottschaffter zu Re­ genspurg eingefarn vnd auß befelch des Caisers mit 600. zu roß einbelaitet worden. Dem Obristen der Legation schiket Ier Mt. deren leibgutschen entgegen, Ine darin einzufüern. Sein durch das Stättlein am Hof62 vber die Dona[w]prucken eingezogen. Erstlich der Obrist in des Caisers, die andern in ieren besondern gutschen. In den[e]n andern gutschen hernach saß ain Moschowitrischer Münch in ainer schwartzen weitten Kutten, soll ain Archiman­ drit63 oder Abbt vber 200 Münch gewesen sein, bej Ime der Se­ cretarj, ein allte ansehenliche Person, Aber noch grosser [fol. 227] vnd sterkers leibs was der Obrist. Dise drej hett ain ieder ain gros­ sen Pater noster64, wie es bey vnß die Catholische geprauchen, Welches den Lutherischen ain seltzam spectacul waß. In drej an­ dern gutschen hernach volgten die andere, nit vnachtsame Männer, 59 Juni. 60

Seckau, Eigenbistum des Erzbischofs von Salzburg in der Steiermark.

61 Juli. 62

Stadtamhof, herzoglich-bayerische Landstadt an der Donau. Vorsteher eines Klosters in der orthodoxen Kirche. 64 Rosenkranz. 63

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Auf dreien güeter wägen sassen die Diener auf Ierer Herrn true­ hen vnd guetern, Vor dem Oratorn oder Obristen ritt Herr Albrecht Laskj, ain Po­ läkischer Woiuoda65 (welcher kurtz davour zu Regenspurg an­ komen), auf ainem wolgezierten Türkischen Pferdt, auf Polnisch köstlich gekleidt, vor dem ettliche andern Polaken, darunder drej Tartaren, alle mit Ieren Bögen vnd köchern, auch sunst wol gebutzt, vnnd ward solche Bottschaft in ain zimlich groß Hauß, darinnen die gmaine Wag, nit straks, sonder weitschweif durch ettliche gas­ sen gefuert, baider seits von der Pruken an biß zum Losament66 stuen­den bej 2000 Hakenschützen, vnd Helleparter im Harnisch zimlich staffiert, auß der [fol. 227’] Burgerschafft. Wie die gesante mit namen gehaissen, und wer ieder gewesen, soll hernach verstan­ den werden. Den 16. diß hatt dise Potschafft bej dem Caiser audients gehabt, welche das Caiserlich Hofgesindt von Ierer Herberg auß belaitet, vnd der Obrist sambt dem Secretario in des Caisers Gutschen ge­ füert worden, in gulden stuken auf Moschowiterisch in langen rö­ ken geklaidet, vornen herab mit grossen silbernen knepfen, auf dem kopf erstlich heublen67 mit gueten Berlen vberzogen, darauf grosse Zöbline Hauben, denen volgten die andern sambt der Dienerschaft hernach. Alle vngeferlich in diser ordnung, Erstlich der Obrist, den sie Knesch, das ist ainen Fürsten genenet, in ainem roten gold­ stuk, sein nam was Juanwitsch Sugurskj; neben Ime der Secretaij, Andre Gawrilowitz, in ainem plawen goldstuk. Im andern glid die Zugebne vom adel, sunst die Boiarn genent, mit namen Jrzeziagk, Dimit [fol. 228] rewf Sun, Subatj, ain betagter Mann, in ainem weis­ sen klaid mit guldin bluemen vnd ainer hohen Hauben, Sein gesell Mamlej, Juans son, Ilijn, ein Ritter in ainem rotgoldfarben stuk. In dem dritten glied gieng ain Cantzleischreiber mit namen Affannasj, Michelß sun, Monastief. Dieser trueg den Credentz brief68 in bai­ den Henden in der Hoeh daher, vber welchen Brief ein rotschar­ lach tuech gedekt, er aber was in rott geklaidet. Neben Ime gieng 65

Woiwode, slawischer Adelsrang. Wohnung, Unterkunft. 67 Häublein. 68 Beglaubigungsschreiben. 66

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ain anderer in ainem blauen seiden Kleid. Auf dise Personen volget die Dienerschafft, deren 20. darunder zwen Knaben. Die geschänk welche sie dem Caiser in des Großfürsten der Mo­ schca namen gethan, sein gewesen wie volgt: Erstlich trueg der Obrist ain Ziemmer69 der köstlichsten Zöbel, desgleichen der Se­ cretarj, sambt den volgenden Hofjunkern, deren Ieder ain Ziemmer Zobel getragen. Der Cantzlejschreiber trueg 6. Zöebel, die zwen gab er dem Caiser und dessen beiden Sünen iedem zwen. Nach ver­ richtung Ires befelchs werden [fol. 228’] sie, wie vor, widerumb gen Hauß gefüert. In ainer Camer Ieres Losaments haben sie ain Altar mit 5. Bildern geziret, aufgericht, vor iedem ain wachsine kertzen aufgestekt, da­ selbst verrichten sie ieren Gottesdienst vnd gebett. Wan sie hienein giengen zum Gotesdienst füelen sie nider auf Iere angesicht, stuen­ den auf vnd bezaichneten sich mit dem Zaichen des hailligen kreutz auf solche weiß, erstlich mit der gerechten Hand von den füessen an biß an die stirn, alß dan auf die linke, von dannen auf die rechte sei­ ten; Iere Paternoster truegen vnd prauchten sie nach Catholischem geprauch. Wan die haillige Dreifaltigkait in ierer sprach genant ward, machten sie drej kreutz für sich vnd bukten sich biß auf die erden.

Moschowiter ergernuß ob den Hunden in der Kirchen

Es ist sunst ain grob barbarisch ruemraißig70 volk; wan sie von ge­ wonhait Zier, fruchtbarkait vnd anderer gestallt Ieres landts ge­ fragt werden, ist es alles schöner, herrlicher, reicher vnd fruchtbarer als in Teutschland. Aber unangesehen dessen sein sie doch in ierer geistligkait und ceremonien fleissiger [fol. 229] vnd aufmerkiger dan alß der Obrist sambt den andern seinen Mitgesanten an ainem Fest in dem Dom auf die borkirchen71 vor dem Chor, deß Caisers Musik oder Cantorej zuhörn, gefüert worden, haben sie sich geer­ gert, auch mit grossem befrembden vnd verwunderung beredt, das die Hundt, alß unvernünftige tier, in die Kirchen gelassen wurden, welches auch alß man lißt anfangs der Christenheit nit geduldet, auch niemants mit were72 und wafen in die Kirchen, darinnen der 69

Zimmer: Zählmaß im Pelzhandel.

70 Ruhmheischendes. 71 Kirchenempore. 72

Wehr, Rüstung.

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Mißprauch in der Christen Kirchen

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Gottesdienst gehallten, gelassen worden, dergleichen obseruantz von Christo dem Sun Gottes selbst gehalten worden, der auch nit wollt das einich geschürr oder gefeß durchgetragen wurde, der auch die Kauffer vnd Verkauffer darauß getrieben, Dannen doch herent­ gegen an etlichen Catholischen orthen gestattet würdt, das nit allain die Hundt in die Kirchen, sonder auch das Vieh auf die Freithof zu grasen vnd in den Jarmärkten die Kramerläden biß an die Kürch­ türen, auch gar in die Creutzigung gelassen und gesatzt werden, die Christus selb [fol. 229’] dieser orthen nit gedulden wollen.

Bairisch Es hiellt disen Reichstag Hertzog Albrecht in Baiern, in dere Abb­ Panket tej des Closters zu S. Haimeran73, Da sein Fl. Gn. einlosiert gwesen,

ain Fürsten Banket, darzu auch dieser Moschowittische Orator ge­ laden gewesen. Alß nhun zu schier vollendeter malzeit die speisen aufgehebt vnd der Cäß, sambt dem Zukerwerk, Früchten, Latwer­ gen74 vnd küttensafft75 aufgesetzt, nam der fürschneider ein braite gestattel76 mit küttensafft zur Hand, Darauf die bildtnuß der kreut­ Moschowi- zigung Christi getruckt, die zerschnitt er zum Fürlegen. Alß der terischer Moschowitische Gesant das sahe, entbäret er sich mit eusserster be­ eifer frembdung, alß ob einer grossen gottslesterung, und verachtung des Zeichens unserer erlösung, beredt solches mit grossem eifer, begert von dem tisch, mocht das vnbill nit ansehen, Aber er ward vermit­ telß des Dolmätschen mit gebürlicher entschuldigung vnd hinweg raumung des zerschnitenen Crucifix widerrumb gestillet, vnd [fol. 230] lenger bej der Fürstlichen tafel behalten. Moschowiterische gebärd uber tisch

Gegen dem Römischen Caiser erzeigten sie sich gantz ehrerbietig vnd willfärig, dessen Ich ain anzaig vnd Wortzaichen an des Ob­ risten tafel vermerkt. Ich begeret iere gepreuch vnd sitten vber tisch zusehen; darzu mier durch ainen bekanten vom Adel (der disen Ge­ santen neben andern aufzuwarten verordnet) verholfen, auch gar an die tafel gesetzt ward, daran wie ich sahe, wenig mores oder Hof­ zucht gehallten ward. Der Obrist sowol, alß die andere fürnembste griffen in die schissel mit allen Zehen77, (wie man zu sagen pflegt) 73

Sankt Emmeram, Kloster in Regensburg. Mus aus Früchten, eingedickter Saft. 75 Quittensaft. 76 Behälter, Schachtel. 77 Zähne; hier wohl: mit allen Fingern. 74

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vnangesehen das Inen leffel aufgelegt; das fleisch gesotten vnd ge­ bratten, schnitten sie anderst nit mit messern, den da es sein muest, die stuk welche sie herab schnitten zerrissen sie mit henden vnd mit den Zenen. Die ripp an dem kalbspratten vnd andere gebein nagten sie wie die Hund, waren gantz gefrässig, on allen respect, tranken stark, [fol. 230’] grosse becher vnd gläser vol auf ainen trunk.

Wie man auff Moschowiterisch ainem den trunk gesegnet

Der Prandtwein geliebet Inen für alles getrank, den sie hinein schütten, wie ain gmainen Wein, deß ich mich größlich verwun­ dert. Der Met vnnd süesse Wein geliebet Inen gar seer. Ain Graf vom Thurn, ain Crainer, so an des Caisers Hof, saß auch an der Tafel, der ließ im ain hoch glaß mit Wein einschenken, rüeffet den Dolmätschen zu sich, begert er solle dem Herrn Obristen gesan­ ten anzaigen, er wölle Im von der Römischen, Caiserlichen Mt. ge­ sundthait wegen diß glaß mit wein außpringen. Das verrichtet der Dolmätsch; alß der Obrist das vernam, stüend er auf alßbald, vnd saget Ime Dolmätschen, was er dem Herrn Gräfen antwurten sollt, vnd war diß die antwurt, Dieweil der Moschowittisch Cai­ser (also nennet er Ine) vnd der Römische Caiser ainander mit solcher lieb vnd freuntschafft, alß leibliche gebrüeder verwant vnd er Gesan­ ter seines Herrn underthanigster vnd biß in den todt gehorsamister Diener, wäre [fol. 231] bereit sein leben für Ine zu setzen, so wollt er Ime Herrn Grafen bescheid thuen, wan glaich gifft, schwebel78, bech79 vnd das hellisch feur im trinkgeschirr wäre, vnd sollet Ime das hertz alßbald abstossen, Welches starks vnmenschlichs vnd vnerhörts gesegnen wäre, wo ich die grobheit diß volks nit be­ tracht, seltzam, wie auch vielleicht ainem andern fürkomen wär, Also ward solcher trunk gepracht in ainem trunk, vnd gleichermaß bescheid gethon. Diser Obriste vberkam das fieber wegen seines vnzeitigen auch vn­

Artznei mässigen essens vnd trinkens. Wan er das kallt hatt, ließ er Ime ain wider das haisses Wasserbad giessen, setzet sich darein damit er sich wermet, Feber griff Ine dan die Hitz an, setzt er sich in ain badwannen vol kalt

wasser, alß kallt solches zu bekommen, darinnen erküelt er sich. Aber sein sach wurd nit besser dardurch, dan nachdem er vnd sein

78 Schwefel. 79 Pech.

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Haufft den 17. Herbstmonats80 von Regenspurg seinen weg wide­ rumb nach Haimat genommen, ist er zu [fol. 231’] Prag in schwär­ lichere krankhait gefallen, und daselbst gestorben.

Wie die unfleissige Diener bej den Moschowitern gestrafft werden

Ainß mueß Ich noch von der Zucht seiner Diener vermelden, welches ich hieroben sollt gesetzt haben. Alß er von dem obuermel­ ten Bairischen Panket widerumb in sein Losament gefuert vnd sei­ nem Leibzimmer zue vber ain Poden oder Fletz81 zugeen hett, si­ het er seiner Diener ainen in ainem Winkel auf der Pank ligent, mit Wein angetrunken, schlaffendt, welcher den Dienst versaumbt. Der Herr befalhe seinen Dienern sie sollten disen ieren mittdiener, alß ain faulen schelmen, der nit aufgewartet, straffen; alßbald giengen sie hin namen disen Cärl beim kopf, auch Hend vnd Füessen, war­ fen Ine zum Fenster auß. Der fiel zu seinem glük auf ain Pretterin tach einer im Hof aufgeschlagenen anricht, neben der auch aufge­ schlagnen kuchen; darinnen man Inen, den Moschowitern ier speiß kochet; von dem tach, das nit gar [fol. 232] hoch, kuglet er biß auf die erden. Er ward ain weil für todt umbzogen, kam doch letstlich wider zu iem selbst, Und so uil von disen Moschowitern.

80 September. 81

Fußboden, Hausflur.

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V. Michael Petterles aus drei Blättern bestehende Holzschnittfolge zeigt die Gesandtschaft Zar Iwans IV. vor ihrer Audienz bei Kaiser Maximilian II. am 18. Juli 1576 in Regensburg während des Reichs­ tages82. Das farbenprächtige Bild mit 28 Personen ist von zwei Text­ partien eingerahmt: Über dem Bild findet sich in zwei Zeilen mit unterschiedlicher Schriftgröße die Überschrift: Warhafftige Contrafactur […]. Der überwiegend aus gereimten Versen bestehende Text unter dem Bild ist mit drei Zwischenüberschriften (in größe­ rer Schrift) auf neun elf- bis 15-zeilige Kolumnen – im Folgenden durch Ziffern in [ ] kenntlich gemacht – verteilt, abgeschlossen mit dem Hinweis auf den Drucker und einem Druckhinweis.

82 Fickler

datiert die Audienz in seiner später niedergeschriebenen „Saltzburgische[n] Chronick“ korrekterweise auf den 16. Juli 1576, kannte aber wohl auch – worauf manche seiner Formulierungen hindeuten – die bald nach Abschluss des Regensburger Reichstages von 1576 entstandenen drei Blätter Michael Petterles, ohne auf sie und ihre Textpassagen ausdrück­ lich Bezug zu nehmen.

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Anhang 2 Warhafftige Contrafactur/der Legation oder gesandten/des Grosz­ Fürsten ausz Moscaw/an die Römische Kayserliche Ma­yestat: Auch inn was Kleydung vnd gestalt/ein jeder gen Hof gezogen/da sie der Römischen Kayserlichen Mayestat den CredentzBrieff vnd Ge­ schenck vberantwortet haben/Zu Regenspurg auff diesem Reichs­ tag/den achtzehenden Julij/dieses M.D.LXXVI. Jars. [1] ALS man zelt/Tausent/Fünffhundert Jar/ Sechsvndsibentzig/ein Reichstag war Gen Regenspurg gestellet on Darauff erschien manch Nation. Sonderlich aber der GroszFürst Inn der Moscaw/khün vnd gedürst/ Den zwölfften Martij auszsandt Seine Legaten in Teutschlandt/ Dieselbigen (wie ich vernommen) Gen Regenspurg sind angekommen/ Im Monat Julio vergangen/ Vnd sind auff das herzlichst empfangen/ Dann die Röm: Kays: Mayestat/ Als ihr ankunfft vernommen hat/ Hahn sie ihn ihr Leibgutschen zuhandt [2] Sampt ihrn Hofleuten entgegen gesandt/ Vnd sie auffs Herzlichst lassn einfürn/ Wie ihr Mayestat hat wöllen gebürn/ Vnd sindt also baldt vnd behendt Beleit wordn inn ihr Losamendt. Den achtzehenden Julii hernach/ Die Legaten denselben Tag/ Begertn für Kayserlich Mayestat/ Die ihn wider zugeschickt hat/ Ihre Leibgutschen/sampt dem Hofgsindt/ Die haben sie baldt vnd geschwindt/

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Beleitt für Kay: Mayestat Allda man auch gesehen hat/ Wie die Hettschier sampt den Trabandten/ Fein inn der ordnung sind gestanden/ [3] Vons Kaysers Hof/da an dem endt/ Bisz zur Moscowittr Losament. Wie nun die Legaten sind kommen/ Ins Kaysers Hof (wie ich vernommen) Sind sie all abgestign behendt/ Vnd par vnd par fein an dem endt/ Inn der ordnung zu fussen gangen/ Wie dann ein ieder/so hat verlangen/ Inn dieser Figur alle gstalt/ Augenscheinlich sicht abgemalt/ Die fürnembsten/so drunder send Werden hie mit Namen benendt. [4]

Moscowitterische Bottschafft/oder Legation an die Röm: Kay: Mayestat. Der Obriste abgesandte Knetsch/oder Fürst: Zachary Ivanowitsch/Sugursky/Hof Juncker vnd Stadt= Halter zum Weissen Sehe. Gehet vorn her in einem Rottgulden Stuck vnd rawen Hauben. Sein Gesell/so neben im gangen/war: Andre Gawrilo= Witz Ertzy Buschuf/der Secretari/in eim blawen Goldtstuck. In dem andern glied sind gangen/die zugegebnen Junck= Herrn/oder Boyarn. Als: Irzetziagk/Dymitrews Sohn/Subaty der alt/in eim weisen Kleid/mit gulden Blumen/vnd einer hohen Hauben.

Die Gesandten Zar Iwans IV. auf dem Regensburger Reichstag 1576

[5] Sein Gesell/Mamley/Ivans Sohn/Ilim. Ein Rit= ter. In eim rotgoldifarben gulden Stuck. In dem dritten glied ist gangen/ein Cantzeley verwandter mit namen: Affannasy/Michaels Son/Monasti= ref. Dieser hat den Credentzbrieff getragen/in eim roten Scharlachen thuch. War in gantz rott gekleid. Der ander so neben ihm gangen/ist ein gemeiner Hof= diener. In eim Liechtblawen seydin kleid. Inn was Kleidung/schmuck vnd auch zier Die fünff Legaten auff ihr manier/ Für Kay: May: theten gehen/ Gibt diese Figur zuverstehen. Diesen Legaten volgten baldt Zweintzig Personen/ringer gestalt/ [6] Darunter waren auch zween Knaben Die ihnen auffgewartet haben. Ausz diesen Personen gedenck Trugen die fürnembsten die Gschenck So der GroszFürst verehret hat/ Der Kayserlichen Mayestat.

Volgen die Geschenck: Erstlich hat der Obriste von wegen seines Herrn/des Grosz= Fürsten/in der Moscaw/Kay: May: verehret ein Zimmer Zobeln/vnd für seine Person auch ein Zim= mer Zobeln. Der Secretari verehret Kay: May: auch ein Zimmer Zobeln. Die HofJunckern/auch ein ieder ein Zimmer Zobeln.

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Helmut Neuhaus

[7] Der Vndterschreiber/oder Cantzeley verwandte/hat der Röm: Kay: May: verehrt: Ein par Zobeln/Vnd Den beyden Jungen Herrn/Irer May: Sohn/auch Jedem ein par Zobeln. WIE nun die gmelt Legation Ihr Gschenck vnd fürtrag hattn gethon/ Seind sie mit allen Ehrn/wie vorn/ Widerumb heim beleitet worn. Wie dann die Kayserlich Mayestat Ihn ein Freytafel gehalten hat. Am fünfftzehenden Septembris Sind sie abgfertigt gantz vnd givisz/ Vnd haben widrumb mit verlangen/ Von dem Kayser Geschenck empfangen. [8] Am sibentzehenden brachen sie auff/ Vnd zogen wider haim mit hauff.

Beschlusz. NAch dem sich dann der GroszFürst eben/ Wil zum Römischen Reich begeben/ Der Christenheit zu nutz vnd gut Vnd dem Türcken mit starckem muth/ Ein ernstlichen widerstandt thun/ So habn wir Gott zu bitten nun/ Das Er sich wöll vber vns erbarm Vnd mit seinem allmechtign Arm Wehren dem Türckn vnd all seim Heer Vnd retten seines Namens Ehr/

Die Gesandten Zar Iwans IV. auf dem Regensburger Reichstag 1576

[9] Auch seiner armen Christenheit/ Vätterlich annemen allzeit/ Vnd vns bey seinem lieben Wort Bestendig erhalten an allem ort/ Das wir endtlich durch seinen Namen Mögn ewig selig werden/ AMEN.

Gedruckt zu Prag/durch Michael Petterle. Mit Röm: Kay: May: Freyheit/nicht nachzudrucken/ Weder in kleiner noch grössern Form zu imitirn/ oder nach zu machen Abbildung 1 (Historisches Museum der Stadt Regensburg: G 1933 – 10)

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Abbildung 2 (Historisches Museum der Stadt Regensburg: G 1931 – 121, 1–3)

180 Helmut Neuhaus

2. Der Westfälische Friedenskongress und die Friedensordnung im Reich und in Europa im 17. Jahrhundert

Sicherheitskonzeptionen in den spanischen Instruktionen zu den Friedenskongressen von Köln und Münster (1636–1645) von Michael Rohrschneider, Köln/Salzburg In einer 2005 erschienenen instruktiven Studie über die bayerischspanischen Beziehungen im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges hat Maximilian Lanzinner mit einem vergleichenden Blick auf Bay­ ern nachdrücklich auf die außerordentlichen Dimensionen und das Potenzial der mächtigsten composite monarchy des 16. und 17. Jahr­ hunderts hingewiesen: Spanien war die erste Weltmacht der Neuzeit. Seine Könige geboten nicht nur über Spanien und Portugal, sondern auch über das amerikanische Kolonial- und das portugiesische Handelsreich, über Stützpunkte in Afrika und Ostasien einschließlich ferner Außenposten, der Philippinen und der Molukken mit ihrem märchenhaften Gewürzreichtum. Allein die jährlichen Silberlieferungen aus Mexiko und Peru übertrafen den Etat des Herzogtums Bayern um das Zwei- bis Dreifache. Im 16. Jahrhundert war die spanische Krone außerdem zur dominierenden Macht in Europa aufgestiegen1. Die Fragen, wie ein derart ausgedehntes Reich entstehen konnte, welche politischen und administrativen Mittel eingesetzt wurden, um einen solch heterogenen, übergroßen Wirkungsbereich2 über­ haupt regierbar zu machen, und wie es schließlich dazu kommen konnte, dass dieses außergewöhnliche Imperium sukzessive verfiel, haben die historische Forschung seit jeher fasziniert. Besonders be­ merkenswert ist in diesem Kontext, dass die wissenschaftliche Er­ forschung der strukturellen Ursachen für den Aufstieg und Fall des spanischen Weltreiches auf einen breiten zeitgenössischen Dis­ kurs zurückgreifen kann. Das wohl bekannteste Beispiel in diesem Zusammenhang sind die sogenannten arbitristas, die in den ersten 1

Lanzinner, Maximilian: Spanien. Bayern an der Seite einer Weltmacht im Dreißigjährigen Krieg. In: Bayern mitten in Europa. Vom Frühmittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Hrsg. von Alois Schmid und Katharina Weigand. München 2005, 152–167 und 440f, hier 152f. 2 In Anlehnung an Schulin, Ernst: Kaiser Karl V. Geschichte eines übergro­ ßen Wirkungsbereiches. Stuttgart, Berlin, Köln 1999.

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Michael Rohrschneider

Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts intensiv darüber nachdachten, wie der nach und nach zutage tretenden declinación3 des imposanten spanischen Großreiches entgegengewirkt werden könne. Autoren wie Sancho de Moncada oder Pedro Fernández Navarrete setzten in ihren Werken den offenkundigen Problemen, die territoriale In­ tegrität der monarquía católica zu behaupten beziehungsweise wie­ derzuerlangen, vor allem die Prinzipien der restauración und conservación entgegen4 – zwei Maximen, die letztlich darauf abzielten, geeignete Mittel zu finden, um die vielfältigen Angriffe auf die spa­ nische Präponderanz mit Erfolg abwehren zu können. Signifikant ist hierbei, dass das Bewusstsein eines drohenden oder tatsächlich bereits eingetretenen Niedergangs Spaniens auch und gerade auf der Ebene der obersten Entscheidungsträger am Madri­ der Hof vorhanden war. Von Philipp IV. weiß man beispielswei­ se, dass er die sich in vielerlei Hinsicht manifestierenden Zerfalls­ erscheinungen innerhalb seiner Monarchie in einen ursächlichen Zusammenhang mit dem Abschluss des spanisch-niederländischen 3

Vgl. aus neuerer Zeit insbesondere Aranda Pérez, Francisco José (Hrsg.): La declinación de la monarquía hispánica en el siglo XVII. Actas de la VIIa Reunión Científica de la Fundación Española de Historia Moder­ na. Cuenca 2004; Parker, Geoffrey (Hrsg.): La crisis de la monarquía de Felipe IV. Barcelona 2006; Fernández Albaladejo, Pablo: La crisis de la monarquía. (Historia de España, 4) Barcelona 2009; von großer Bedeutung sind ferner die Arbeiten von John H. Elliott, vor allem seine nach wie vor grundlegende Olivares-Biografie: Elliott, John H.: The Count-Duke of Olivares. The Statesman in an Age of Decline. New Haven, London 1986; gute Zugriffe ermöglichen vonseiten der deutschen Forschung Bernecker, Walther L.: Die spanische „Dekadenz“ im Urteil der Historiker der Fran­ co-Ära. In: Siglo de Oro – Decadencia. Spaniens Kultur und Politik in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Hrsg. von Heinz Duchhardt und Chris­ toph Strosetzki. (Münstersche historische Forschungen, 10) Köln, Weimar, Wien 1996, 151–166; Pietschmann, Horst: Spanien im Dreißigjährigen Krieg: Der Niedergang Spaniens in der Historiographie der Nachkriegs­ zeit. In: Siglo de Oro (wie oben), 167–188; Brinkmann, Sören: Aufstieg und Niedergang Spaniens. Das Dekadenzproblem in der spanischen Ge­ schichte von der Aufklärung bis 1898. (Forschungen zu Spanien, 21) Saar­ brücken 1999. 4 Vgl. Moncada, Sancho de: Restauración política de España. Edición a car­ go de Jean Vilar. (Clásicos del pensamiento económico español, 1) Mad­ rid 1974; Fernández Navarrete, Pedro: Conservación de Monarquías y discursos políticos. Edición y estudio preliminar por Michael D. Gordon. (Clásicos del pensamiento económico español, 7) Madrid 1982.

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Waffenstillstandes von 1609 brachte. Mit einem eigenhändigen Ver­ merk zu einer consulta des spanischen Staatsrates vom 19. März 1634 kommentierte der Habsburger, que el principio de la rruyna y ultima desolacion de mi Monarchia fue la tregua passada y el medio con que empezó conozida y visiblemente a declinar el de rresolberse que se hiziese la tregua a qualquiera precio5. Vor diesem Hintergrund war die offene Kriegserklärung Frank­ reichs am 19. Mai 16356 aus spanischer Perspektive Bedrohung und Chance zugleich: Zum einen waren für die bereits durch den Auf­ stand der Niederlande und die Intervention in den Dreißigjährigen Krieg angeschlagene Weltmacht Spanien nun noch größere und zu­ dem unkalkulierbare Belastungen unausweichlich; zum anderen bot sich jetzt unmittelbar die Perspektive, im Falle eines erfolgreichen Vorgehens gegen Frankreich eine grundlegende europäische Frie­ densordnung etablieren zu können, die ganz wesentlich an den spe­ zifischen Bedürfnissen der casa de Austria ausgerichtet war: eine pax Austriaca. Um diesen inhaltlichen Kontext wird es im Folgenden gehen. Es soll nämlich anhand der spanischen Instruktionen für den letzt­ lich nicht zustande gekommenen Friedenskongress von Köln und für den Westfälischen Friedenskongress gezeigt werden, dass Phi­ lipp IV. und seine Räte angesichts der für sie ersichtlichen Ge­ fährdung des spanischen Weltreichs darauf abzielten, eine all­ gemeine Friedensordnung (paz universal) zu kreieren, zu deren hervorstechenden Merkmalen die Leitvorstellung eines sicheren 5

Zitiert nach Poelhekke, Jan Joseph: De vrede van Munster. Den Haag 1948, 10, Anm. 3. 6 Vgl. aus neuerer Zeit vor allem Weber, Hermann: Zur Legitimation der französischen Kriegserklärung von 1635. In: Historisches Jahrbuch 108 (1988), 90–113; Lesaffer, Randall: Defensive Warfare, Prevention and He­ gemony. The Justifications for the Franco-Spanish War of 1635. In: Journal of the History of International Law 8 (2006), 91–123 und 141–179; Kles­ mann, Bernd: Bellum Solemne. Formen und Funktionen europäischer Kriegserklärungen des 17. Jahrhunderts. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für Universalgeschichte, 216) Mainz 2007, passim; Tischer, Anuschka: Der französisch-spanische Krieg 1635–1659: Die Wiederentdeckung eines Wendepunkts der europäi­ schen Geschichte. In: Der Pyrenäenfriede 1659. Vorgeschichte, Widerhall, Rezeptionsgeschichte. Hrsg. von Heinz Duchhardt. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft 83) Göttingen 2010, 5–22, hier insbesondere 7ff.

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Friedens (paz segura) zählen sollte. Damit ist eine Thematik be­ rührt, die als wesentlicher Bestandteil der historischen Friedensfor­ schung in jüngerer Zeit verstärkte Aufmerksamkeit gefunden hat7. In der Frühen Neuzeit, so könnte man angesichts der Befunde neu­ erer Forschungen thesenartig formulieren, waren die spezifischen Probleme der Friedenssicherung – und zwar sowohl im Sinne der Bewahrung eines bereits länger existierenden Friedenszustandes als auch im Hinblick auf die unmittelbare assecuratio eines neu ausge­ handelten Friedens – eine charakteristische Konsequenz der unver­ kennbaren bellizistischen Disposition8 aristokratischer Führungs­ schichten. Zugleich waren die Friedensstiftung und -sicherung aber immer auch ein Ausdruck der trotz dieser agonalen, kriegs­ fördernden Tendenzen prinzipiell bewahrten Friedensfähigkeit9 der Zeitgenossen. Die diesem grundsätzlichen Spannungsverhältnis Rechnung tra­ gende Untersuchung ist wie folgt aufgebaut: In einem ersten Schritt werden in einführender Weise der Entstehungskontext und die Zielsetzungen erläutert, die für die spanischen Friedensinstrukti­ onen 1636–1645 maßgeblich waren. In einem zweiten Schritt gilt es dann, auf dieser Grundlage die Konzeptionen und Instrumente auf­ zuzeigen, die von spanischer Seite in Erwägung gezogen wurden, 7

Vgl. exemplarisch die Beiträge in Braun, Guido (Hrsg.): Assecuratio pacis. Französische Konzeptionen von Friedenssicherung und Friedensgarantie. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 35) Münster 2011. 8 In Anlehnung an Kunisch, Johannes: Fürst – Gesellschaft – Krieg. Studien zur bellizistischen Disposition des absoluten Fürstenstaates. Köln, Weimar, Wien 1992; vgl. darüber hinaus die grundlegende Untersuchung von Burk­ hardt, Johannes: Die Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit. Grundlegung einer Theorie der Bellizität Europas. In: Zeitschrift für Historische For­ schung 24 (1997), 509–574. 9 Die Friedensfähigkeit, gewissermaßen das Pendant zu Johannes Burkhardts Theorie der frühneuzeitlichen Bellizität, wird hervorgehoben von Schil­ ling, Heinz: Der Westfälische Friede und das neuzeitliche Profil Europas. In: Der Westfälische Friede. Diplomatie – politische Zäsur – kulturelles Umfeld – Rezeptionsgeschichte. Hrsg. von Heinz Duchhardt. Redaktion: Eva Ortlieb. München 1998, 3–32; vgl. zum Gesamtkontext jüngst: Kamp­ mann, Christoph [u.a.] (Hrsg.): L’art de la paix. Kongresswesen und Frie­ densstiftung im Zeitalter des Westfälischen Friedens. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 34) Münster 2011.

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um den angestrebten Friedensschluss mit Frankreich nach Möglich­ keit so gestalten zu können, dass die spanischen Sicherheitsinteres­ sen in jedem Falle gewahrt blieben. I. Die spanischen Friedensinstruktionen 1636–1645: Entstehungszusammenhang und Zielsetzungen Der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges stellte für Spanien eine multiple Herausforderung dar: Zum einen war es aus Sicht des Ma­ drider Hofes von eminenter Bedeutung, im Sinne einer Solidarität der beiden Zweige der casa de Austria, die durch den böhmischen Aufstand ausgelöste existenzielle Krise des Herrschaftsverbandes der österreichischen Schwesterdynastie zu beenden10. Damit ver­ bunden galt es zum anderen, die geostrategischen Interessen der spanischen Monarchie in der Mitte Europas zu wahren und die so­ genannte „Spanische Straße“11 zu sichern, die für die Verbindung und Behauptung der verstreuten Bestandteile der spanischen Mo­ 10

Zahlreiche neue Erkenntnisse zu den spanisch-kaiserlichen Beziehungen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts bietet die Habilitationsschrift von Brockmann, Thomas: Dynastie, Kaiseramt und Konfession. Politik und Ordnungsvorstellungen Ferdinands II. im Dreißigjährigen Krieg. (Quel­ len und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte. Neue Folge, 25) Paderborn [u.a.] 2011. Brockmann gelangt mit Blick auf die Kriegführung der beiden Zweige des Hauses Österreich im Dreißigjährigen bzw. Acht­ zigjährigen Krieg zu folgendem überzeugenden Ergebnis: Beide Teilhäuser forderten die Solidarität des Verwandten im eigenen Partikularkonflikt ein, indem sie die (prioritäre) Lösung des eigenen Partikularproblems – ob aus Überzeugung oder aus Kalkül, ist im Einzelfalle wie im ganzen schwer zu sagen – zum Interesse des habsburgischen Gesamthauses, der casa de Aus­ tria, erklärten. Tatsächlich blieb der Appell an die gesamthabsburgische Solidarität aber fruchtlos oder wurde nur sehr zögerlich oder nur partiell bedient, wo er zentrale Interessen der Schwesterdynastie in Frage stellte und nicht dem überwiegenden eigenen Interesse derselben entsprach. Ebd., 461; vgl. insgesamt auch Brockmann, Thomas: Gesamthaus und Partikularin­ teressen. Zum Verhältnis der habsburgischen Teildynastien im Vorfeld und in der ersten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges. In: Bourbon und Wittels­ bach. Neuere Forschungen zur Dynastiengeschichte. Hrsg. von Rainer Ba­ bel, Guido Braun und Thomas Nicklas. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 33) Münster 2010, 99–142. 11 Grundlegend ist nach wie vor Parker, Geoffrey: The Army of Flanders and the Spanish Road 1567–1659. The Logistics of Spanish Victory and

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narchie lebensnotwendig war, und zwar gerade vor dem Hinter­ grund der erwarteten Wiederaufnahme der Kampfhandlungen gegen die aufständischen Niederlande nach Auslaufen des 1609 ge­ schlossenen zwölfjährigen Waffenstillstandes. Zum Dritten nahm es im Selbstverständnis des rey católico bekanntlich einen herausra­ genden Platz ein, den katholischen Glauben mit allem Nachdruck kompromisslos zu verteidigen. Dieser Krieg habe kein anderes Ziel als die Verteidigung unseres heiligen Glaubens, konstatierte Philipp IV. vielsagend in einem Schreiben an den duque de Alburquerque vom 10. Juli 164312, also inmitten der Formationsphase des Frie­ denskongresses von Münster und Osnabrück. Mit der offenen französischen Kriegserklärung vom 19. Mai 1635 verschärften sich für Spanien die vielgestaltigen Herausforderungen in signifikanter Weise. Denn Frankreich ließ in der Folgezeit keine Zweifel darüber aufkommen, wer die Führungsrolle in Europa für sich beanspruchen könne, nämlich der roi très chrétien13, was Riche­ lieu und nach dessen Tod Mazarin beziehungsweise Ludwig XIV. in aller Deutlichkeit offensiv gegenüber den Habsburgern vertraten und was sich in öffentlichkeitswirksamer Weise besonders deutlich auf dem umkämpften Terrain des ius praecedentiae manifestierte14. Zugleich rückte im Zuge der französischen Kriegserklärung aber Defeat in the Low Countries’ Wars. (Cambridge Studies in Early Modern History) Cambridge [u.a.] 1972 (ND 1978). 12 Regest des Schreibens: Correspondance de la Cour d’Espagne sur les af­ faires des Pays-Bas au XVIIe siècle. Bd. 3: Précis de la Correspondance de Philippe IV (1633–1647). Bearb. von Henri Lonchay, Joseph Cuvelier und Joseph Lefèvre. Brüssel 1930, hier 468. 13 Im Hinblick auf die konkurrierenden Herrschaftsansprüche der Habs­ burger und Frankreichs hat Johannes Burkhardt wichtige Impulse für die Forschung geliefert; vgl. Burkhardt, Johannes: Der Dreißigjährige Krieg. (Neue Historische Bibliothek. Edition Suhrkamp. Neue Folge, 542) Frankfurt am Main 1992, vor allem 30–50; vgl. zusammenfassend auch Burkhardt, Johannes: Der Dreißigjährige Krieg als frühmoderner Staats­ bildungskrieg. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 45 (1994), 487–499, hier 494f; zur Kritik an den Positionen Burkhardts und seiner These vom Staats- bzw. Staatenbildungskrieg vgl. insbesondere Gotthard, Axel: Der deutsche Konfessionskrieg seit 1619. Ein Resultat gestörter poli­ tischer Kommunikation. In: Historisches Jahrbuch 122 (2002), 141–172. 14 Gerade die spanisch-französischen Präzedenzstreitigkeiten sind in jüngerer Zeit intensiv erforscht worden; vgl. zuletzt Rohrschneider, Michael: Das französische Präzedenzstreben im Zeitalter Ludwigs XIV.: Diplomatische

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auch der konkrete Gedanke stärker in den Vordergrund, den Frie­ den in Europa mittels eines allgemeinen Kongresses wiederherzu­ stellen, und in der Tat versammelten sich in der Folgezeit diploma­ tische Vertreter des Papstes und der Habsburger in Köln, um den Frieden mit Frankreich auszuhandeln. Der geplante Kongress ist je­ doch nie in das Stadium tatsächlicher Verhandlungen getreten, da letztlich keine französischen Vertreter nach Köln entsandt wurden. Anlass dafür war vor allem die habsburgische Ablehnung der Pass­ forderungen Richelieus für die Gesandten der französischen Alliier­ ten, darunter die aufständischen Niederlande15. Für den geplanten Kölner Kongress ließ Philipp IV. eine umfang­ reiche, vom 25. Januar 1636 datierende Instruktion16 für Francisco de Melo, conde de Assumar und (seit 1642) marqués de Torrelagu­ na, ausarbeiten, der als Bevollmächtigter Spaniens vor Ort verhan­ Praxis – zeitgenössische Publizistik – Rezeption in der frühen deutschen Zeremonialwissenschaft. In: Francia 36 (2009), 135–179. 15 Vgl. Leman, Auguste: Urbain VIII et les origines du congrès de Colo­ gne de 1636. In: Revue d’histoire ecclésiastique 19 (1923), 370–383; Rep­ gen, Konrad: Die Römische Kurie und der Westfälische Friede. Idee und Wirklichkeit des Papsttums im 16. und 17. Jahrhundert. Bd. 1: Papst, Kai­ ser und Reich 1521–1644. 1. Teil: Darstellung. (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 24) Tübingen 1962, hier insbesondere 393ff; Repgen, Konrad: Die Hauptinstruktion Ginettis für den Kölner Kongress (1636). Wiederabdruck in: Repgen, Konrad: Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Studien und Quellen. Hrsg. von Franz Bosbach und Christoph Kampmann. (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentli­ chungen der Görres-Gesellschaft. Neue Folge, 81) Paderborn [u.a.] 1998, 425–457; Hartmann, Anja Victorine: Von Regensburg nach Hamburg. Die diplomatischen Beziehungen zwischen dem französischen König und dem Kaiser vom Regensburger Vertrag (13. Oktober 1630) bis zum Hamburger Präliminarfrieden (25. Dezember 1641). (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 27) Münster 1998, 213–382; das Pass-Problem war, wie Konrad Repgen mit guten Gründen betont, ein erstrangiges Politikum, da die Ausstellung von spanischen Pässen für die niederländischen Gesandten faktisch einer völkerrechtlichen Anerkennung der aufständischen Niederlande vonseiten Spaniens gleichgekommen wäre; vgl. Repgen, Konrad: Der Westfälische Friede. Ereignis, Fest und Erinne­ rung. (Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften. Geisteswis­ senschaften. Vorträge, G 358) Opladen, Wiesbaden 1999, 11ff. 16 Instruktion vom 25. Januar 1636; Ausfertigung (sine die): Palacio Real (Ma­ drid), Manuscritos [im Folgenden abgekürzt Ms.] 2235, unfoliiert [im Fol­ genden abgekürzt unfol.].

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deln sollte. Der Portugiese Melo war ein Protegé des Conde-Duque de Olivares und erlangte später vor allem dadurch traurige Be­ rühmtheit, dass er 1643 die wichtige Schlacht von Rocroi gegen die Franzosen verlor17. Seine umfangreiche Friedensinstruktion kann als eines der wichtigsten Dokumente gelten, die Aufschluss über die Zielsetzungen der spanischen Außenpolitik im Dreißigjährigen Krieg geben. Da der anvisierte Kölner Kongress letztlich nicht zustande kam und geraume Zeit verging, bis endlich die konkreten Präliminari­ en eines allgemeinen Friedenskongresses vereinbart wurden, ergab sich im zeitlichen Vorfeld der Westfälischen Friedensverhandlungen für den Madrider Hof die Notwendigkeit, eine neue Instruktion zu erarbeiten, die den nunmehr veränderten politischen und mili­ tärischen Gegebenheiten Rechnung trug. Diese Instruktion wurde im Juni 1643 ausgefertigt18. Als Bevollmächtigte Spaniens waren zu diesem Zeitpunkt noch Manuel de Moura y Corte Real, marqués de Castel Rodrigo, sowie Felipe Spinola, marqués de los Balbases, vorgesehen. Zu ihrer Entsendung nach Westfalen ist es jedoch nicht gekommen, da man sich am spanischen Hof letztlich für an­ dere Gesandte entschied. Castel Rodrigo, wie Melo ebenfalls por­ tugiesischer Abstammung, wurde gleichwohl nachfolgend als Ge­ neralgouverneur in den Spanischen Niederlanden (1644–1647) von Brüssel aus ein wichtiges Bindeglied im Rahmen der Gestaltung der spanischen Kongresspolitik19. 17

Zu Melo vgl. insbesondere González Palencia, Angel: Nuevas noticias biográficos de don Francisco de Melo, vencedor en Le Châtelet (1597– 1651). In: Boletín de la Real Academia de la Historia 115 (1944), 209–257; Vermeir, René: In staat van oorlog. Filips IV en de Zuidelijke Nederlan­ den, 1629–1648. Maastricht 2001, 239–275. 18 Zur Entstehung der wahrscheinlich auf den 25. Juni 1643 zu datierenden Friedensinstruktion (undatierte Kopie mit späteren Marginalien: Archi­ vo Histórico Nacional [im Folgenden abgekürzt AHN], Sección de Es­ tado, legajo 2880, unfol.) vgl. Rohrschneider, Michael: Der gescheiterte Frieden von Münster. Spaniens Ringen mit Frankreich auf dem Westfäli­ schen Friedenskongress (1643–1649). (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 30) Münster 2007, 76ff; für die Verhandlungen mit den Niederlanden, die im Folgenden weitgehend aus­ geklammert bleiben, wurde am 31. Juli 1643 eine gesonderte Instruktion ausgestellt; Konzept und Kopie in AHN, Estado, legajo 2880, unfol. 19 Zum Wirken Castel Rodrigos in Brüssel vgl. Vermeir (wie Anm. 17), 279– 299; Rohrschneider, Frieden (wie Anm. 18), 119–136.

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Prinzipalgesandter Spaniens in Münster wurde schließlich Gaspar de Bracamonte y Guzmán, conde de Peñaranda20. Er war ebenfalls ein Protegé des Conde-Duque und hatte zum Zeitpunkt des An­ tritts seiner Mission nach Westfalen keinerlei nennenswerte diplo­ matische Auslandserfahrung. Im Juli 1645 traf er in Münster ein und agierte von diesem Zeitpunkt an rund drei Jahre als Hauptge­ sandter Philipps IV. auf dem Friedenskongress. Nach Abschluss seiner Mission, die immerhin den Teilerfolg des spanisch-nieder­ ländischen Friedens vom 30. Januar 1648 nach sich zog, erlangte Peñaranda wichtige Staatsämter und wurde zu einer der bestim­ menden Persönlichkeiten der spanischen Politik. Vor Antritt seiner Reise in das Heilige Römische Reich hatte er eine vom 25. Febru­ ar 1645 datierende Friedensinstruktion erhalten, welche die Bestim­ mungen der Instruktion von 1643, die erklärtermaßen noch als all­ gemeine Richtschnur diente, aktualisierte21. Die drei genannten Hauptinstruktionen von 1636, 1643 und 1645 erlauben tiefe Einblicke in Kontinuität und Wandel der spanischen Kriegs- beziehungsweise Friedensziele im Dreißigjährigen Krieg und auf dem Westfälischen Friedenskongress22 . Sie lassen in aller 20 Vgl.

Poelhekke, Jan Joseph: De Graaf van Peñaranda te Munster. In: Mededelingen van het Nederlands Historisch Instituut te Rome. 3. Reihe 6 (1950), 10–38; Rohrschneider, Michael: Der Nachlaß des Grafen von Peñaranda als Quelle zum Westfälischen Friedenskongreß. In: Historisches Jahrbuch 122 (2002), 173–193; Carabias Torres, Ana María: De Münster a los Pirineos: propuestas de paz del representante español el Conde de Pe­ ñaranda. In: Aranda Pérez (wie Anm. 3), 297–311; Rohrschneider, Frie­ den (wie Anm. 18), insbesondere 137–145. 21 Instruktion vom 25. Februar 1645; Konzept (undatiert): AHN, Estado, le­ gajo 2880, unfol.; Kopie: AHN, Estado, libro 954, unfol. 22 Zur spanischen Politik auf dem Westfälischen Friedenskongress vgl. die folgenden Beiträge der jüngeren spanischen Historiografie: Sánchez Mar­ cos, Fernando: Der Westfälische Friede, die spanische Diskussion und Europa. (Akademische Reden und Beiträge. Westfälische Wilhelms-Uni­ versität Münster, 11) Münster 1995; López-Cordón Cortezo, María Vic­ toria: La paix occulte: propagande, information et politique autour des né­ gociations de Westphalie. In: Duchhardt, Friede (wie Anm. 9), 253–271; Alcalá-Zamora y Queipo de Llano, José: La Monarquía Hispánica y Westfalia. In: 1648–1998. 350 años de la Paz de Westfalia. Del antagonis­ mo a la integración en Europa. Ciclo de conferencias celebrado en la Bib­ lioteca Nacional, Madrid 9 de marzo a 30 de noviembre de 1998. Madrid 1999, 21–31; Sánchez Marcos, Fernando: La historiografía española sobre

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Deutlichkeit erkennen, dass es das vorrangige Ziel des Madri­der Hofes war, einen universellen Frieden auszuhandeln und die all­ gemeine Ruhe in der Christenheit wiederherzustellen. So wurden in der Melo-Instruktion von 1636 ausdrücklich die Zielsetzungen einer paz beziehungsweise quietud universal sowie eines reposo común de la christiandad benannt 23 , die dann mutatis mutandis auch in der Instruktion von 1643 ihren Niederschlag fanden 24. 1645 erfolgte allerdings eine wichtige Modifikation, denn Peñaranda wurde unter dem Eindruck der sich für Spanien verschlechternden militärischen Gesamtlage von seinem heimatlichen Hof angewie­ sen, für den Fall, dass sich ein allgemeiner Frieden unter Einschluss Frankreichs in nächster Zeit nicht realisieren lasse, ein Partikular­ abkommen mit den Niederländern herbeizuführen 25 . Die Postulate eines allgemeinen Friedens und der Ruhe für die Christenheit waren zweifellos tradierte Topoi, die zum Beispiel auch in den französischen Instruktionen für den Westfälischen Frie­ denskongress enthalten waren26 und unterschiedslos mehr oder we­ niger von allen an den Friedensverhandlungen Beteiligten für sich in Anspruch genommen wurden, wobei es vom jeweiligen Kontext abhängig war, ob diese Topoi vornehmlich rhetorisch-propagan­ distische Funktionen hatten oder darüber hinaus mit reellen Ver­ la paz de Münster. In: La Paz de Münster/The Peace of Munster 1648. Ac­ tas del Congreso de Conmemoración organizado por la Katholieke Uni­ versiteit Nijmegen. Nijmegen-Cleve 28.–30.VIII.1996. Hrsg. von Hugo de Schepper, Chr. L. Tümpel und J. J. V. M. de Vet. (Nijmeegse publicaties over Nieuwe Geschiedenis. Publications on Early Modern History, 5) Bar­ celona, Nijmegen 2000, 15–28; vgl. darüber hinaus vor allem die wichtige Habilitationsschrift von Schmidt, Peer: Spanische Universalmonarchie oder „teutsche Libertet“. Das spanische Imperium in der Propaganda des Dreißigjährigen Krieges. (Studien zur modernen Geschichte, 54) Stuttgart 2001, sowie Rohrschneider, Frieden (wie Anm. 18), hier 50–91 zu den spanischen Kriegs- und Friedenszielen. 23 Vgl. vor allem die Artikel 1 (sin haver tenido otro fin principal que conseguir con reputación y firmeza el reposo común de la christiandad), 21 und 29 der Instruktion von 1636; Ausfertigung: Palacio Real, Ms. 2235, unfol. 24 Vgl. besonders die Präambel sowie die Artikel 1, 5, 14 und 22 der Instrukti­ on von 1643; Kopie: AHN, Estado, legajo 2880, unfol. 25 Vgl. die Instruktion von 1645; Konzept: ebd., unfol.; Rohrschneider, Frieden (wie Anm. 18), 90f. 26 Vgl. ebd., 79f.

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handlungszielen einhergingen27. Sie entsprachen jedenfalls der sub­ jektiv ehrlichen Überzeugung Philipps IV., der gegenüber seinen Vertrauten, Räten und Diplomaten angesichts der unübersehbaren Erosionsvorgänge innerhalb seines Reiches immer wieder dezidiert auf die drängende Notwendigkeit hinwies, zu einem für Spanien akzeptablen allgemeinen Friedensschluss zu gelangen28. Insbesondere dem beunruhigenden Machtpotenzial Frankreichs galt dabei die besondere Aufmerksamkeit des spanischen Königs. In einem prägnanten Brief des Monarchen an Francisco de Melo vom 12. Februar 1643 heißt es: El estado presente de las cosas, en que los aprietos van creciendo en todas partes, obliga a pensar en los medios que pudieren ser provechosos para salir bien dellos y que además de lo que tengo resuelto, y se dispone en las materias de guerra, nos ayu­demos de los de la negociacion, para encaminar algun tratado de paz con la corona de Francia, que es hoy la que más se debe procurar, por ser su potencia la que más daña mis intereses [...]29. Aus dieser als Notwendigkeit angesehenen Verhandlungsbereit­ schaft gegenüber Frankreich darf freilich nicht der Rückschluss ge­ zogen werden, Ziel des Madrider Hofes sei ein Frieden um jeden Preis gewesen. Denn eine buena paz war aus der Sicht Philipps IV. und seiner Räte nur unter der zwingenden Voraussetzung zu errei­ chen, dass die Vertragsbedingungen für Spanien ehrenvoll ausfielen 27

Vgl. beispielshalber die Einschätzung in der Dissertation von Vogl, Mar­ kus: Friedensvision und Friedenspraxis in der Frühen Neuzeit 1500–1649. Augsburg 1996, 168: Unter bestimmten Bedingungen war, so Vogl, der politische Wert der von allen Parteien stammenden christlichen Identitätsbekundungen und Aussagen über den zu befördernden Frieden für die ganze Christenheit höchst zweifelhaft. Sie hatten allenfalls eine begrenzte Wirksamkeit, wenn realpolitische Umstände wie die objektive Kriegsmüdigkeit hinzutraten. Vorwiegend war ihre Funktion jedoch rhetorisch und stand im Zusammenhang einer idealistischen Friedenspropaganda, der es vor allem um den äußeren Eindruck, besonders die Glaubwürdigkeit der eigenen Friedenspolitik in den Augen der Verbündeten zu tun war. 28 Für das außenpolitische Denken Philipps IV. insgesamt ist besonders auf­ schlussreich: Schumacher, Ib Mark: Vorstellungen, Wahrnehmungen und Denkmuster Philipps IV. von Spanien im Kontext der Außenpolitik der Spanischen Monarchie, 1643–1665. Barcelona, Berlin 2006. 29 Colección de documentos inéditos para la historia de España [im Fol­ genden abgekürzt CODOIN]. Bd. 59. Hrsg. von Miguel Salvá und Mar­ qués de la Fuensanta del Valle. Madrid 1873 (ND Vaduz 1966), hier 304.

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und die eigene Reputation nicht beschädigt wurde30. Damit ist ein Sachverhalt angesprochen, der in der jüngeren Forschung intensiv diskutiert worden ist. Denn die Bemühungen um einen reputier­ lichen und ehrenvollen Frieden, eine paz honesta, waren ein konsti­ tutiver Bestandteil der spanischen Kongresspolitik, dessen Bedeu­ tung kaum überschätzt werden kann31. Christoph Kampmann hat auf die Wirkungsmacht dieses Leitgedankens jüngst mit Nachdruck aufmerksam gemacht: Eine pax honesta war ein Friede, der die Reputation und den Rang einer Monarchie nicht beeinträchtigte. Dies hing oft an Bestimmungen und Klauseln, die aus heutiger Sicht zuweilen als weniger bedeutend erscheinen, für die politischen Eliten aber gerade in Hinblick auf ihre Reputation außerordentlich wich-

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Zum größeren Zusammenhang vgl. zuletzt Rohrschneider, Michael: Reputation als Leitfaktor in den internationalen Beziehungen der Frühen Neuzeit. In: Historische Zeitschrift 291 (2010), 331–352, hier besonders 340–346; die Reputationsfixierung Philipps IV. und seiner wichtigen Mitar­ beiter wird in der neueren Forschung in einhelliger Weise als wesentlicher Faktor der spanischen Außenpolitik des 17. Jahrhunderts angesehen; vgl. zum Beispiel Elliott, John H.: A Question of Reputation? Spanish For­ eign Policy in the Seventeenth Century. In: The Journal of Modern History 55 (1983), 475–483; Alcalá-Zamora y Queipo de Llano, José: Zúñiga, Olivares y la política de Reputación. In: Elliott, John H. [u.a.]: La España del Conde Duque de Olivares. Encuentro Internacional sobre la España del Conde Duque de Olivares celebrado en Toro los días 15–18 de septiembre de 1987. (Historia y Sociedad, 14) Valladolid 1990, 101–108; Domínguez Ortiz, Antonio: La defensa de la reputación. In: Arte y Saber. La cultura en tiempo de Felipe III y Felipe IV. [Ausstellungskatalog] Valladolid 1999, 25–32. 31 Ein aussagekräftiges Beispiel dafür ist das Schreiben Peñarandas an den kai­ serlichen Gesandten Isaak Volmar, Münster 1646 April 9, in dem der Spani­ er in beschwörender Weise vor einer möglichen paz inhonesta warnt: Bien anteveo lo que los enemigos amenazan, pero tambien anteveo las desdichas que se seguirán de una paz inhonesta, fea é infame, en que se concede todo á los enemigos y se abandona á todos los amigos. Unidos podíamos resistir á la fuerza con la fuerza, y tambien podríamos componer y ajustar los intereses comunes con mejores y más honestas condiciones [...]; CODOIN (wie Anm. 29). Bd. 82. Hrsg. von Marqués de la Fuensanta del Valle, José Sancho Ray­ ón und Francisco de Zabalburu. Madrid 1884 (ND Vaduz 1966), hier 302 (irrtümlich unter dem Datum des 13. April 1646).

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tig waren. Aber genau dafür hielt man gegebenenfalls am Kriegseinsatz fest, auch unter widrigsten und härtesten Umständen32. Die Kongresspolitik Madrids war zweifelsohne ein Beispiel par excellence für diesen Befund. Die spanischen Friedensinstrukti­ onen lassen nämlich klar erkennen, welche Bedingungen aus spa­ nischer Perspektive erfüllt sein mussten, damit ein ehrenvoller, re­ putierlicher Friedensschluss gewährleistet sei. An vorderster Stelle zu nennen ist hierbei die Verteidigung des katholischen Glaubens, die für Philipp IV. eine Conditio sine qua non darstellte. Der Ruhm und die Verherrlichung unseres heiligen Glaubens seien sein Haupt­ ziel, ließ der König in die Präambel der Peñaranda-Instruktion schreiben33. Darüber hinaus war es aus spanischer Sicht von herausragender Be­ deutung, den Frieden mit Frankreich auf der Grundlage wechsel­ seitiger Restitutionen zu schließen, sodass der Leitgedanke einer reputierlichen paz igual con reciproca satisfación de parte a parte34 umgesetzt und der Kongressöffentlichkeit vor Augen geführt wer­ 32

Kampmann, Christoph: Der Ehrenvolle Friede als Friedenshindernis: Alte Fragen und neue Ergebnisse zur Mächtepolitik im Dreißigjährigen Krieg. In: Pax perpetua. Neuere Forschungen zum Frieden in der Frühen Neu­ zeit. Hrsg. von Inken Schmidt-Voges [u.a.]. (Bibliothek Altes Reich, 8) München 2010, 141–156, hier 148; vgl. auch Kampmann, Christoph: Euro­ pa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg. Geschichte eines europäischen Konflikts. Stuttgart 2008, 183ff; Kampmann, Christoph: Peace Impos­sible? The Holy Roman Empire and the European State System in the Seven­ teenth Century. In: War, the State and International Law in SeventeenthCentury Europe. Hrsg. von Olaf Asbach und Peter Schröder. Farnham, Burlington 2010, 197–210, hier 205–210. 33 Konzept: AHN, Estado, legajo 2880, unfol.; dass diese Leitvorstellung auch ein offensives, über den Status quo hinausgehendes Element beinhal­ tete, zeigt ein Blick auf Artikel 1 der Instruktion von 1643, in dem Philipp IV. ausdrücklich darauf verweist, dass Gott ihn mit dem arbitrio betraut habe, para que mejor se pudiese conservar y estender nuestra sagrada reli­ gión [...]; Kopie: ebd., unfol. 34 Ebd., Artikel 5; Rohrschneider, Frieden (wie Anm. 18), 86f (mit weiteren Nachweisen); vgl. ferner das für die spanische Sicherheits-Argumentation aufschlussreiche Schreiben des spanischen Kongressgesandten Diego Saave­ dra Fajardo an Philipp IV., Münster 1645 Juni 6, in dem Saavedra über ein Gespräch mit dem französischen Bevollmächtigen Abel Servien berichtete, dem er den Zusammenhang von Sicherheit und Wiederherstellung des Sta­ tus quo ante vor Augen geführt habe: [...] que solamente deseaba Vuestra Majestad [i.e. Philipp IV.] establecer una paz con Francia, la más segura y fir-

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den konnte. Die noch in der Instruktion von 1643 enthaltene, dem zentralen Gedanken der conservación verpflichtete Maxime des spa­ nischen Königs, keinerlei Dismembration seiner Monarchie zu­ zugestehen, erwies sich allerdings im weiteren Verlauf des Krieges aufgrund der militärischen Erfolge Frankreichs zunehmend als un­ haltbar, sodass in der Instruktion für Peñaranda unter dem Druck der Ereignisse in Erwägung gezogen wurde, gewisse Abtretungen an Frankreich zu konzedieren35. Große Aufmerksamkeit im Zuge der Realisierung einer paz honesta widmeten Philipp IV. und seine Räte auch dem Problem, den eige­ nen Alliierten und somit indirekt Spanien selbst reputierliche Frie­ densbedingungen zu verschaffen. Dass dieser Aspekt eng mit der Sicherheitsfrage verbunden war, verdeutlich das Beispiel Lothrin­ gen. Herzog Karl IV. von Lothringen war von Frankreich aus sei­ nen Territorien verdrängt worden und hatte zugunsten seines Bru­ ders Nikolaus Franz abgedankt36. Als habsburgischer Parteigänger und direkter Nachbar Frankreichs stand er im Brennpunkt des französisch-spanischen Konflikts. Er galt zwar als ausgesprochen wankelmütig; die lothringischen Lande waren aber aus spanischer Sicht in geostrategischer Hinsicht wichtig, nämlich, bildlich gespro­ chen, als Vormauer (antemural) der spanischen Besitzungen. Die Friedensinstruktion von 1643 zeugt von dem großen sicher­ heitspolitischen Stellenwert, den die Lothringen-Frage für Spani­ en hatte. In Artikel 30, der für das Verständnis der entsprechenden spanischen Restitutionsforderungen auf dem Westfälischen Frie­ denskongress zentral ist, heißt es: El negocio de Lorena es el que más embaraçará el congresso, porque Francia pretenderá quedarse con su estado, y casi todos los príncipes por interés o por sangre me que fuese posible, reduciéndose las cosas á su antiguo estado; CODOIN (wie Anm. 29), Bd. 82, hier 546. 35 Vgl. Rohrschneider, Frieden (wie Anm. 18), 87. 36 Grundlegend zum Verhandlungspunkt Lothringen auf dem Westfälischen Friedenskongress sind die entsprechenden Ausführungen in der Disserta­ tion von Tischer, Anuschka: Französische Diplomatie und Diplomaten auf dem Westfälischen Friedenskongress. Außenpolitik unter Richelieu und Mazarin. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 29) Münster 1999, hier insbesondere 203 sowie 367–374. Tischer korrigiert mit guten Gründen die ältere Forschung, die dazu ten­ dierte, den Stellenwert der Lothringen-Frage für das Scheitern der franzö­ sisch-spanischen Verhandlungen in Münster insgesamt zu überschätzen.

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se opondrán a ello y fuera en perjuicio de todos que se consientiese tal violencia y muy contra mis conven[i]encias por el passo que gozo en aquel estado y por ser antemural de los míos, y aunque la culpa que tubo el duque Carlos en su misma ruina, y su inquietud y malas correspondencias pudieran tenerme desobligado para no asistirle, con todo eso, los vínculos antiguos de sangre y amistad, complicados con mis intereses, me obligan a estar de su parte y a procurar su entera restitución [...]37. Dass dieses Verhandlungsproblem aus Sicht der Spanier nicht nur eine sicherheitsstrategische Dimension hatte, son­ dern dass es sich dabei vor allem auch um eine Frage der Ehre han­ delte, erkannte man aufseiten Frankreichs übrigens sehr wohl38. Ganz ähnlich verhielt es sich im Hinblick auf das intendierte Zu­ sammenwirken mit dem österreichischen Zweig der casa de Austria, das ein integraler Bestandteil der spanischen Kongresspolitik war39. Man solle, liest man in der Instruktion von 1636, auf dem Friedens­ kongress nach Möglichkeit mit einer gemeinsamen Stimme spre­ chen, denn jedwede fehlende Übereinstimmung zwischen den bei­ 37

Artikel 30 der Instruktion von 1643; Kopie: AHN, Estado, legajo 2880, un­ fol. 38 Vgl. als besonders anschauliches Beispiel für diesen Sachverhalt das Me­ morandum der französischen Kongressgesandten Longueville, d’Avaux und Servien für Ludwig XIV., Münster 1647 Dezember 16; Acta Pacis Westphalicae [im Folgenden abgekürzt APW]. Hrsg. von der NordrheinWestfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste in Verbindung mit der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V. durch Konrad Repgen und Maximilian Lanzinner. Serie II. Abteilung B: Die französischen Korrespondenzen. Bd. 7: 1647–1648. Bearb. von Christi­ ane Neerfeld unter Mithilfe von Rita Bohlen und Michael Rohrschneider. Münster 2010, Nr. 47, hier 172: Mais il n’y a rien où ils [i.e. die Spanier] tesmoignent présentement plus d’opiniastreté que sur le faict de la Lorraine. Ils disent que la France voulant assister le Portugal, ilz ne peuvent aussy abandonner un prince leur allié, que c’est un poinct duquel ilz ne se départiront jamais où il y va de l’honneur et de la réputation du roy leur maistre. Vgl. ferner Artikel 6 der spanischen Instruktion von 1636; Ausfertigung: Palacio Real, Ms. 2235, unfol.: [...] ni se atendería a la reputación de mi autoridad y de la justa protección que debo tener de mis aliados si no quedasen asentadas y fixas las cosas de Lorena con la entera restitución de aquel duque en sus estados [...]. 39 Vgl. dazu insgesamt Rohrschneider, Michael: Kongreßdiplomatie im Dienste der casa de Austria: Die Beziehungen zwischen den spanischen und den kaiserlichen Gesandten auf dem Westfälischen Friedenskongreß (1643–1648). In: Historisches Jahrbuch 127 (2007), 75–100.

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den habsburgischen Gesandtschaften, die von den Kriegsgegnern erkannt werde, führe unweigerlich zu einer Verschlechterung der Verhandlungsposition40. Darüber hinaus müssten die Kaiserlichen dahingehend überzeugt werden, dass quanta menos quenta hizieren los príncipes y estados del imperio de su propria reputación, conservación y conveniencias, tánto más deve mirar por ellas el emperador, porque si el imperio se comiença a dividir, difícilmente podrán subsistir la religión y nuestra cassa [...]41. Auch hier ist also der enge argumentative Zusammenhang von Reputation und Bewahrung konkret greifbar, der als Signum der gesamten Außen- und Kon­ gresspolitik Philipps IV. gelten kann und der als Leitgedanke auch für zahlreiche Einzelbestimmungen in den spanischen Friedensin­ struktionen, etwa im Hinblick auf die Verhältnisse in der Pfalz, Ita­ lien, Katalonien und Portugal, bestimmend war, wie noch zu zeigen sein wird. Für den Kontext dieser Studie ist es nun von besonderer Bedeu­ tung, dass die erwähnten Faktoren reputación und conservación im spanischen Selbstverständnis in untrennbarer Weise mit der Leit­ vorstellung einer paz segura verbunden waren, einer Friedensord­ nung also, welche nach Möglichkeit den in den Instruktionen für die spanischen Kongressgesandten festgeschriebenen Sicherheits­ vorstellungen des Madrider Hofes Rechnung tragen sollte. Im Fall, dass die entsprechenden kongresspolitischen Forderungen Spani­ ens nicht gebilligt würden, könne der Frieden weder als sicher noch als bien reputado en el mundo gelten, heißt es unmissverständlich in der Friedensinstruktion Philipps IV. von 163642. Welche konkreten Sicherheitserwägungen und -konzeptionen des Madrider Hofes da­ mit verbunden waren, gilt es im Folgenden zu untersuchen.

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Vgl. Artikel 31 der Instruktion von 1636; Ausfertigung: Palacio Real, Ms. 2235, unfol., bzw. Artikel 34 der Instruktion von 1643; Kopie: AHN, Esta­ do, legajo 2880, unfol. 41 Vgl. Artikel 5 der Instruktion von 1643; ebd. 42 Vgl. Artikel 6 der Instruktion von 1636; Ausfertigung: Palacio Real, Ms. 2235, unfol.

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II. Die paz segura als Leitgedanke der spanischen Friedensinstruktionen 1636–1645: Voraussetzungen, Konzepte und Instrumente Will man zu einem adäquaten Verständnis der von spanischer Sei­ te angestellten Sicherheitserwägungen gelangen, ist es zwingend er­ forderlich, die Prämissen der kongresspolitischen Urteilsbildung des Madrider Hofes angemessen zu berücksichtigen. Die Friedens­ instruktionen sind dafür besonders aussagekräftige Quellen, doku­ mentieren sie doch eindringlich den von der jüngeren Forschung herausgearbeiteten Befund, dass der langjährige habsburgisch-fran­ zösische Antagonismus, der durch den Kriegsausbruch im Jahre 1635 auf einem neuerlichen Höhepunkt angelangt war, in perzep­ tioneller Hinsicht tiefe Spuren hinterlassen hatte, die auf beiden Seiten veritable nationale Feindbilder und Vorurteile generierten43. Konkret genannt wurden in den spanischen Instruktionen der fran­ zösische Stolz44, die vermeintliche französische Perfidie45, der stere­ otype Hinweis, Frankreich strebe nach einem dominio universal46, und vor allem auch der vehemente Vorwurf an die französische 43 Vgl.

Rohrschneider, Michael: Tradition und Perzeption als Faktoren in den internationalen Beziehungen. Das Beispiel der wechselseitigen Wahr­ nehmung der französischen und spanischen Politik auf dem Westfälischen Friedenskongreß. In: Zeitschrift für Historische Forschung 29 (2002), 257– 282 (mit Hinweisen auf die ältere Literatur); vgl. dazu auch den Hinweis auf das wechselseitige Misstrauen zwischen Franzosen und Spaniern als wichtige Ursache für das Scheitern der französisch-spanischen Verhandlun­ gen auf dem Westfälischen Friedenskongress bei Braun, Guido: Einleitung. In: APW (wie Anm. 38). Serie II. Abteilung B: Die französischen Korres­ pondenzen. Bd. 5/1: 1646–1647. Bearb. von Guido Braun unter Benutzung der Vorarbeiten von Kriemhild Goronzy und Achim Tröster, unter Mithil­ fe von Antje Oschmann am Register. Münster 2002, LXXI–CLXXXI, hier CVI; vgl. ferner Tischer, Anuschka: Fremdwahrnehmung und Stereo­ typenbildung in der französischen Gesandtschaft auf dem Westfälischen Friedenskongress. In: Wahrnehmungen des Fremden. Differenzerfahrun­ gen von Diplomaten im 16. und 17. Jahrhundert. Hrsg. von Michael Rohr­ schneider und Arno Strohmeyer. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Er­ forschung der Neueren Geschichte e.V., 31) Münster 2007, 265–288. 44 Vgl. Artikel 7 der Instruktion von 1636; Ausfertigung: Palacio Real, Ms. 2235, unfol. 45 Vgl. ebd., Artikel 6. 46 Vgl. die Instruktion von 1645; Konzept: AHN, Estado, legajo 2880, unfol.

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Adresse, vor Gott beschworene Friedensverträge zu brechen47. Gerade der Vorwurf der Vertragsuntreue war ein Element, das sich wie ein roter Faden durch die antifranzösische Propaganda des 17. Jahrhunderts zog48 und gleichzeitig auch in den internen spanischen Beratungen und Korrespondenzen nachweisbar ist. Viel zitiert ist in diesem Zusammenhang eine Einschätzung Peñarandas, der in einem Schreiben an Castel Rodrigo vom 28. Oktober 1645 seiner festen Überzeugung Ausdruck verlieh, die Niederländer seien mas religiossos y seguros en observar la promessa y juramento de la paz49 als die Franzosen. Die Konsequenzen, welche die Spanier aus dieser wahrgenom­ menen französischen Vertragsuntreue mit Blick auf den zu verhan­ delnden Friedensschluss zogen, waren bemerkenswert: Da Frank­ reich in offenkundiger Weise drei Friedensschlüsse verletzt habe (Vervins 1598, Monzón 1626 und Regensburg 1630), seien die ge­ wöhnlichen Formen der Friedensassekuration (las seguridades ordinarias50) nicht ausreichend; vielmehr sei es erforderlich, für den an­ gestrebten Frieden mit Frankreich eine nueva forma de seguridad51 zu etablieren, que baste para admitir ésta con reputación52. Hier fin­ det sich also eine Amalgamierung des Gedankens der Friedensasse­ 47 48

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Vgl. Artikel 34 der Instruktion von 1643; Kopie: ebd. Ausführlich dazu Schillinger, Jean: Les pamphlétaires allemands et la France de Louis XIV. (Contacts. Série II – Gallo-germanica, 27) Bern [u.a.] 1999, hier insbesondere 433–446. Lonchay, Henri: La rivalité de la France et de l’Espagne aux Pays-Bas (1635–1700). Étude d’histoire diplomatique et militaire. (Mémoires couron­ nés et autres mémoires, 54). Brüssel 1896, hier 358; Beispiele für die breite Rezeption dieser Äußerung Peñarandas in der Forschung sind Israel, Jo­ nathan I.: The Dutch Republic and the Hispanic World 1606–1661. Oxford 1982, 359; Lademacher, Horst: „Ein letzter Schritt zur Unabhängigkeit“. Die Niederländer in Münster 1648. In: Duchhardt, Friede (wie Anm. 9), 335–348, hier 341; Arndt, Johannes: Der Frieden von Münster zwischen dem König von Spanien und der Republik der Vereinigten Niederlande 1648. In: Der Frieden von Münster/De Vrede van Munster 1648. Der Ver­ tragstext nach einem zeitgenössischen Druck und die Beschreibungen der Ratifikationsfeiern. Hrsg. von Gerd Dethlefs. Münster 1998, 12–43, hier 24f. Artikel 1 der Instruktion von 1636; Ausfertigung: Palacio Real, Ms. 2235, unfol. Ebd., Artikel 2. Ebd., Artikel 1.

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kuration mit dem Leitfaktor Reputationswahrung, ein Grundsatz, der im Gesamtgefüge der spanischen Kongresspolitik von außeror­ dentlicher Bedeutung war und mit der zutiefst empfundenen Über­ zeugung einherging, Frankreich habe einen in jeder Hinsicht unge­ rechten Krieg begonnen53. Worin bestand nun diese neuartige Form der Sicherheit, und wel­ che Instrumente waren vonseiten des Madrider Hofes vorgesehen, um die angestrebte paz universal im Sinne einer Gewährleistung der spanischen Sicherheitsinteressen ausformen zu können? Die jüngere Forschung hat in diesem Kontext hervorgehoben, dass in der spanischen Friedensinstruktion von 1636 – ganz ähnlich übri­ gens wie auf französischer Seite54 – das Prinzip kollektiver Sicher­ 53 Vgl.

Rohrschneider, Frieden (wie Anm. 18), 80f, mit den entsprechenden Nachweisen. 54 Diese Facette der französischen Außen- und Kongresspolitik ist gerade von der deutschen Forschung intensiv untersucht worden; vgl. zum Bei­ spiel aus neuerer Zeit Malettke, Klaus: Richelieus Außenpolitik und sein Projekt kollektiver Sicherheit. In: Kontinuität und Wandel in der Staatenordnung der Neuzeit. Beiträge zur Geschichte des internationalen Systems. Hrsg. von Peter Krüger. (Marburger Studien zur neueren Ge­ schichte, 1) Marburg 1991, 47–68; Malettke, Klaus: Konzeptionen kol­ lektiver Sicherheit in Europa bei Sully und Richelieu. Wiederabdruck in: Klaus Malettke: Frankreich, Deutschland und Europa im 17. und 18. Jahr­ hundert. Beiträge zum Einfluß französischer politischer Theorie, Verfas­ sung und Außenpolitik in der Frühen Neuzeit. (Marburger Studien zur Neueren Geschichte, 4) Marburg 1994, 263–285; Malettke, Klaus: Le concept de sécurité collective de Richelieu et les traités de paix de West­ phalie. In: L’Europe des traités de Westphalie. Esprit de la diplomatie et diplomatie de l’esprit. Hrsg. von Lucien Bély und Isabelle Richefort. Pa­ ris 2000, 55–66; Hartmann, Anja Victorine: Der Gedanke kollektiver Sicherheit im Dreißigjährigen Krieg. Drei Beispiele. In: Frankreich und Hessen-Kassel zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges und des Westfäli­ schen Friedens. Hrsg. von Klaus Malettke. (Veröffentlichungen der His­ torischen Kommission für Hessen, 46. Kleine Schriften, 5) Marburg 1999, 79–90; Braun, Guido: Die französische Diplomatie und das Problem der Friedenssicherung auf dem Westfälischen Friedenskongress. In: Braun, Assecuratio (wie Anm. 7), 67–130; vgl. ferner die plausible Einschätzung von Externbrink, Sven: Le cœur du monde – Frankreich und die nord­ italienischen Staaten (Mantua, Parma, Savoyen) im Zeitalter Richelieus 1624–1635. (Geschichte, 23) Münster 1999, 270: Richelieus Projekte sind [...] Vorstufen zur Idee der kollektiven Sicherheit, entstanden in der letzten Formierungsphase des frühneuzeitlichen europäischen Staatensystems

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heit als geeignete Form der Friedensassekuration anvisiert wurde55. Sollte es auf dem Verhandlungsweg (con medios de negociación) nicht möglich sein, die Einhaltung des Friedens vollständig zu ge­ währen, dann sollten alle Vertragschließenden verpflichtet sein, sich mit vereinter Waffengewalt gegen den jeweiligen Vertragsbrüchigen zu wenden56. Darüber hinaus wurde angedacht, dass der Papst für sich und seine Nachfolger erkläre, im Bedarfsfall mit den ihm zur Ver­ fügung stehenden geistlichen und weltlichen Mitteln im Sinne der Friedenssicherung einzugreifen, oder dass Frankreich als Si­ cherheitspfand (como prenda de la seguridad) einen befestigten Platz in den Händen des Kaisers oder eines neutralen Fürsten deponieren solle. Auch könnte der Papst gemeinsam mit der Re­ publik Venedig, den Herzögen von Bayern und Florenz (Toska­ na) sowie – im Falle von Verhandlungen mit Protestanten – ge­ meinsam mit Kursachsen als Bürgen des Friedens ( fiadores desta paz) fungieren 57. Es sei zwar wahrscheinlich, dass Frankreich sich jedweder Form der Friedensassekuration widersetze, die nicht bereits bei früheren Friedensschlüssen gehandhabt wor­ den war; es müsse aber erreicht werden, dass der Frieden sicher und dauerhaft werde und dass keinerlei Anlässe für neue Unru­ he verblieben 58 . In Artikel 34 der Friedensinstruktion von 1643 wurde der Gedan­ ke kollektiver Sicherheit wiederaufgenommen, allerdings mit dem nur allzu berechtigten Hinweis darauf, dieses Mittel der Friedensas­ sekuration sei insofern problematisch, als unklar bleibe, wer ei­ gentlich berechtigt sei, gegebenenfalls über einen vermeintlichen Verstoß gegen die Friedensbestimmungen zu befinden59. In der Pe­ und blieben ohne Realisierungschance, nachdem sich 1648 der Gedanke des beweglichen Gleichgewichtes, der in Form der Begriffe balance und contrepoids häufig bei Richelieu anzutreffen war, immer mehr durch­ setzte. 55 Vgl. Rohrschneider, Frieden (wie Anm. 18), 82. 56 Vgl. Artikel 2 der Instruktion von 1636; Ausfertigung: Palacio Real, Ms. 2235, unfol. 57 Vgl. ebd. 58 Vgl. ebd., Artikel 3. 59 Vgl. Artikel 34 der Instruktion von 1643; Kopie: AHN, Estado, legajo 2880, unfol.: [...] ¿quién sería juez de la transgressión para declarar haverse incurrido en ella?

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ñaranda-Instruktion von 1645 wurde dieser Artikel dann noch ein­ mal ausdrücklich bestätigt60. Besonderen Raum nehmen in den Friedensinstruktionen die Über­ legungen zur Lage in Italien ein, dem als langjähriger Schauplatz des spanisch-französischen Antagonismus eine Schlüsselrolle in­ nerhalb des Kriegsgeschehens zukam. Für das spanische Kalkül war charakteristisch, dass die Bestrebungen, auch und gerade für Italien eine tragfähige, dauerhafte Friedensordnung zu kreieren, in engem Zusammenhang mit dem prioritären Bemühen stand, die territoriale Integrität der spanischen Monarchie im Sinne der conservación zu sichern. So heißt es in Artikel 8 der Friedensinstruktion Philipps IV. von 1636 ganz allgemein, dass es am zweckmäßigsten sei, wenn die Franzosen por esta paz no queden con pie in Italia61. Allerdings war man sich am Madrider Hof völlig darüber im Kla­ ren, dass aufgrund des französischen Ausgreifens auf der Apen­ ninenhalbinsel früher oder später schmerzhafte Zugeständnisse er­ forderlich werden würden. Dies galt etwa im Hinblick auf den umstrittenen Besitz der strategisch bedeutenden piemontesischen Festung Pinerolo, die Frankreich auf dem Friedenskongress be­ haupten konnte und die auf spanischer Seite als Dispositionsmas­ se eingesetzt wurde, um im Gegenzug Zugeständnisse zu erwirken, die vor allem der Sicherung des Herzogtums Mailand dienen konn­ ten62, das als llave de Italia63 angesehen wurde. Auch die Überle­ gung, Pinerolo sowie Casale, eine weitere italienische Schlüssel­ festung, in den Händen eines Dritten (Papst, Venedig, Genua, Herzöge von Toskana und Bayern) zu deponieren, um in Italien Frieden zu erreichen beziehungsweise zu sichern, war fester Be­ standteil der spanischen Instruktionen64. 60

Vgl. die Instruktion von 1645; Konzept: ebd., unfol. Artikel 8 der Instruktion von 1636; Ausfertigung: Palacio Real, Ms. 2235, unfol. 62 Vgl. ebd. 63 Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang Fernández Alba­ ladejo, Pablo: De «llave de Italia» a «corazón de la monarquía»: Milan y la monarquía católica en el reinado de Felipe III. In: Lombardia borromai­ ca Lombardia spagnola. 1554–1659. Bd. I. Hrsg. von Paolo Pissavino und Gian­vittorio Signorotto. («Europa delle Corti». Centro studi sulle società di antico regime. Biblioteca del Cinquecento, 63) Rom 1995, 41–91. 64 Vgl. Rohrschneider, Frieden (wie Anm. 18), 88f; im Hinblick auf Casale wurde auch eine Schleifung in Erwägung gezogen, um eine Sicherung des 61

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Ein weiteres wichtiges Mittel frühneuzeitlicher Friedensstiftung und -sicherung, das in den Friedensinstruktionen eine nicht zu un­ terschätzende Rolle spielte, war die Heiratspolitik65. Neuere For­ schungen zu den Westfälischen Friedensverhandlungen haben über­ zeugend herausgearbeitet, welch großen Raum Heiratsprojekte in den Beratungen über die konkrete Gestaltung der jeweiligen Kon­ gresspolitik einnahmen66, und es ist jüngst in prononcierter Weise noch einmal gemutmaßt worden, dass gerade das Fehlen einer dynastischen Eheoption zwischen den Bourbonen und den spanischen Habsburgern67 zum Scheitern der spanisch-französischen Verhand­ lungen in Münster beigetragen habe. In der Peñaranda-Instruktion von 1645 wurden in ausführlicher Weise mögliche Heiraten des damaligen spanischen Thronfolgers, Balthasar Karl, mit der Tochter Gastons d’Orléans, Anne-Ma­ rie-Louise, beziehungsweise der spanischen Infantin Maria There­ sa mit dem Bruder des französischen Königs, dem Duc d’Anjou, oder sogar mit Ludwig XIV. selbst erörtert68. Der frühzeitige und überraschende Tod Balthasar Karls im Oktober 1646 veränderte die Rahmenbedingungen dieser Heiratsprojekte jedoch abrupt und grundlegend. Spanischerseits wollte man sich in der Folgezeit zwar prinzipiell die Möglichkeit offenhalten, die Verheiratung der Infan­ tin als taktisches Mittel in den Friedensverhandlungen mit Frank­ reich einsetzen zu können; intern hatte Philipp IV. aber schon Ende

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Friedens in Italien zu gewährleisten; vgl. Artikel 20 der Instruktion von 1643; Kopie: AHN, Estado, legajo 2880, unfol. Zum Gesamtzusammenhang vgl. die nach wie vor wichtigen Überlegungen grundsätzlicher Art in Weber, Hermann: Die Bedeutung der Dynastien für die europäische Geschichte in der frühen Neuzeit. In: Zeitschrift für bay­ erische Landesgeschichte 44 (1981), 5–32; Kohler, Alfred: „Tu felix Aus­ tria nube...“ Vom Klischee zur Neubewertung dynastischer Politik in der neueren Geschichte Europas. In: Zeitschrift für Historische Forschung 21 (1994), 461–482; vgl. darüber hinaus jüngst die Beiträge in dem aufschluss­ reichen Sammelband Babel [u.a.], Bourbon und Wittelsbach (wie Anm. 10). Vgl. vor allem mit Blick auf die französische Kongresspolitik Braun, Gui­ do: Mariages dynastiques et négociations des traités de Westphalie. In: Ba­ bel [u.a.], Bourbon und Wittelsbach (wie Anm. 10), 219–243. Kampmann, Christoph: Gleichheit – Gleichgewicht – Dynastie: Leitvor­ stellungen europäischer Friedensverträge im Wandel. In: Kampmann [u.a.], L’art de la paix (wie Anm. 9), 361–388, hier 371. Vgl. die Instruktion von 1645; Konzept: AHN, Estado, leg. 2880 unfol.

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1645 eine Heirat seiner Tochter mit dem französischen König vor­ erst ausgeschlossen69. Ein weiterer in den spanischen Friedensinstruktionen hervortre­ tender Faktor zur Gewährleistung einer paz segura stellte sich im Verlauf des Kongresses als Verhandlungspunkt heraus, der letzt­ lich mit ausschlaggebend für das Scheitern der spanisch-franzö­ sischen Friedensbemühungen war: Gemeint sind die von Spanien mit aller Verbissenheit geführten Verhandlungen über ein wechsel­ seitiges Verbot, die Feinde des Vertragspartners direkt oder indi­ rekt zu unterstützen. Während Philipp IV. mitansehen musste, wie Kaiser Ferdinand III. im Instrumentum Pacis Monasteriensis vom 24. Oktober 1648 schließlich die von Frankreich forcierte Separa­ tion der beiden Linien der casa de Austria konzedierte und somit notgedrungen darauf verzichten musste, Spanien zukünftig gegen Frankreich militärisch zu unterstützen70, ist es der spanischen Kon­ gresspolitik in den Verhandlungen mit Frankreich nicht gelungen, ein Verbot französischer Unterstützung für das aufständische Por­ tugal friedensvertraglich zu sanktionieren71. Ähnlich wie die Kata­ lonien-Frage waren die Verhandlungen über Portugal aus der Sicht 69 Vgl.

Rohrschneider, Frieden (wie Anm. 18), 271–278. Vgl. § 3 Instrumentum Pacis Monasteriensis; APW (wie Anm. 38). Se­ rie III. Abteilung B: Verhandlungsakten. Bd. 1: Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden. 1. Teil: Urkunden. Bearb. von Antje Oschmann. Münster 1998, 5; zum Gesamtkontext vgl. jüngst Rodríguez Hernán­ dez, Antonio José: Las limitationes de la paz: Diplomacia y colaboración económico-militar entre España y el Imperio en torno a la paz de Westfa­ lia (1644–1659). In: La Dinastía de los Austria. Las relaciones entre la Mo­ narquía Católica y el Imperio. Vol. II. Hrsg. von José Martínez Millán und Rubén González Cuerva. (La Corte en Europa. Temas, 5,2) Madrid 2011, 1355–1386. 71 Das Verbot französischer Assistenz für Portugal zählte zu den sechs Punk­ ten (darüber hinaus die Restitution Lothringens, der Umfang der spani­ schen Zessionen an Frankreich, die Bestimmungen bezüglich der Festung Casale, die Freilassung Eduards von Bragança, des Bruders des portugie­ sischen Königs, sowie die Regelungen bezüglich der Grenzfestungen in Katalonien), über die in den spanisch-französischen Verhandlungen keine Einigkeit erzielt wurde; vgl. zusammenfassend Tischer, Anuschka: Von Westfalen in die Pyrenäen: französisch-spanische Friedensverhandlun­ gen zwischen 1648 und 1659. In: Französisch-deutsche Beziehungen in der neueren Geschichte. Festschrift für Jean Laurent Meyer zum 80. Ge­ burtstag. Hrsg. von Klaus Malettke und Christoph Kampmann unter Mit­ 70

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Michael Rohrschneider

Philipps IV. ein point d’honneur, da es sich hierbei um Aufstände gegen seine Herrschaft handelte, und überdies ein Problem, das die Fundamente der spanischen Monarchie erschütterte, galt es doch aus der Sicht Madrids, im Sinne einer Bestandswahrung alles zu un­ ternehmen, um einen möglichen Domino-Effekt im Keim ersticken zu können. Dementsprechend finden sich in den Friedensinstrukti­ onen von 1643 und 1645 Bestimmungen, die ein generelles rezipro­ kes Assistenzverbot für beide Seiten beziehungsweise einen franzö­ sischen Verzicht direkter oder indirekter Assistenz für die rebeldes de Cataluña y Portugal vorsahen72. Die letztgenannte Bestimmung blieb auch in der Folgezeit ein es­ senzieller Bestandteil der spanischen Kongresspolitik, denn Ma­ drid wollte unter allen Umständen verhindern, dass sich Frankreich Möglichkeiten verschaffte, zukünftig auf der Iberischen Halbin­ sel intervenieren zu können, ohne damit gegen Friedensbestim­ mungen zu verstoßen. Der einflussreiche conde de Monterrey hat in einer consulta der junta de estado vom 28. Oktober 1647 die spa­ nischerseits vorherrschende Haltung in dieser Frage treffend zum Ausdruck gebracht. Der Assistenz-Artikel sei in der verhandelten Form, so kommentierte er die Berichterstattung Peñarandas aus Münster, eine große Neuerung, die es so noch nicht gegeben habe, cuando se ha llegado á tratar de verdadera y segura paz73. Denn die­ ser Artikel würde es Frankreich ermöglichen, zukünftig unter dem Deckmantel vermeintlicher Auxiliarleistungen für seine Verbünde­ ten nach Belieben Truppen in das Herz der spanischen Monarchie vordringen zu lassen. Bei aller grundsätzlichen Berechtigung, davon auszugehen, dass Philipp IV. und seine wichtigen Räte aufgrund der wachsenden mi­ litärischen Probleme Spaniens zunehmend die zwingende Notwen­ digkeit erkannten, in Münster einen entlastenden Friedensschluss zu bewerkstelligen, gilt es sich bei einer Analyse der spanischen Si­ cherheitskonzeptionen stets zu vergegenwärtigen, dass es immer wieder auch Stimmen am Madrider Hof gab, welche die spanischen wirkung von Kornelia Oepen. (Forschungen zur Geschichte der Neuzeit. Marburger Beiträge, 10) Berlin 2007, 83–96, hier 85–90. 72 Vgl. Artikel 22 der Instruktion von 1643; Kopie: AHN, Estado, legajo 2880, unfol.; Instruktion von 1645; Konzept: ebd. 73 CODOIN (wie Anm. 29). Bd. 84. Hrsg. von Marqués de la Fuensanta del Valle, José Sancho Rayón und Francisco de Zabalburu. Madrid 1885 (ND Vaduz 1966), hier 19.

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Sicherheitsbedürfnisse eher im Zuge einer energischen Fortsetzung des Krieges und nicht vorrangig durch weitere Friedensverhand­ lungen für umsetzbar hielten74. Zwar war ein Friedensschluss mit Frankreich aus spanischer Perspektive gerade angesichts der gro­ßen Schwierigkeiten, für die verstreut liegenden Bestandteile der hete­ rogenen monarquía católica hinreichende Sicherheitslösungen zu finden, wünschenswert; ein solcher Frieden war aber beileibe nicht die einzige Option, über die man in Madrid zu verfügen glaubte. Nichts dokumentiert dies eindrucksvoller als der letztlich erfolglose Verlauf der spanisch-französischen Verhandlungen in Münster und die spanischerseits dort konsequent an den Tag gelegte Weigerung, einen Frieden zu schließen, den man weder für reputierlich noch für sicher hielt. III. Abschliessende Überlegungen Die spanischen Friedensinstruktionen von 1636, 1643 und 1645 ent­ halten ein ganzes Bündel an sicherheitspolitischen Konzepten, die wie unter einem Brennglas Formen und Denkrahmen frühneu­ zeitlicher Friedensstiftung beziehungsweise -sicherung erkennbar werden lassen. Hierzu zählen insbesondere das Prinzip der kol­ lektiven Sicherheit, der Einsatz von Sicherheitsbürgen und -pfän­ dern, dynastische Heiratspolitik zur Anbahnung oder Festigung eines Friedensschlusses oder auch die Bemühungen, nach Möglich­ keit Friedensregelungen zu finden, die nicht bereits den Keim neuer Konflikte in sich trugen. Das ausgeprägte Sicherheitsbedürfnis Spaniens resultierte dabei, wie gezeigt wurde, in nicht unerheblichem Maße aus der feind­ bildartigen Perzeption des französischen Kriegsgegners, dem man in stereotyper Weise notorische Vertragsuntreue vorwarf, sodass es als erforderlich angesehen wurde, künftig besondere, außerge­ wöhnliche Maßnahmen zur Friedensassekuration zu ergreifen. Zu­ dem war das spanische Sicherheitsdenken untrennbar verbunden mit dem Leitgedanken der Reputation, der die spanische Außen­ politik des 17. Jahrhunderts bekanntlich wie kaum ein anderer Be­ 74

Ein prägnantes Beispiel hierfür ist das Votum Melos in einer Sitzung des consejo de estado vom 5. März 1647; Archivo General de Simancas, Sec­ retaría de Estado, legajo 2167, unfol.

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Michael Rohrschneider

stimmungsfaktor nachhaltig prägte. Die Konzepte der paz segura und der mit dem Reputationsdenken einhergehenden paz honesta bedingten sich gegenseitig; die eine Leitvorstellung sei – so laute­ te gewissermaßen das Credo der spanischen Kongresspolitik – ohne Einbeziehung der jeweils anderen nicht vollständig umsetzbar. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass diese Merkmale der Außen- und Kongresspolitik Madrids in nahezu spiegelbildlicher Weise ihre Entsprechungen auf französischer Seite hatten. Gerade die neue­ re Richelieu-Forschung hat überzeugend herausgearbeitet, dass so­ wohl der Vorstellung eines sicheren Friedens als auch dem Faktor Reputationswahrung ein außerordentlicher Stellenwert im Gesamt­ gefüge der Außenpolitik des Kardinals zukam75. Auch Frankreich nahm nämlich erklärtermaßen für sich in Anspruch, einen sicheren und reputierlichen Frieden herbeiführen zu wollen, nur eben unter ganz anderen Vorzeichen und mit dem ambitionierten Ziel, Spani­ en, in die Schranken zu weisen, was nach 1648 dann auch in der Tat gelungen ist. Hinsichtlich der spanischen Sicherheitsinteressen gelangt man bei einem bilanzierenden Rückblick auf die Westfälischen Friedensver­ handlungen somit zu einem ambivalenten Urteil: Einerseits war das Scheitern der Verhandlungen mit Frankreich faktisch gleichbedeu­ tend damit, in absehbarer Zeit die Leitvorstellung einer spanisch 75

Einschlägig sind hierzu Dickmann, Fritz: Rechtsgedanke und Machtpoli­ tik bei Richelieu. Studien an neu entdeckten Quellen. In: Historische Zeit­ schrift 196 (1963), 265–319; Wollenberg, Jörg: Richelieu. Staatsräson und Kircheninteresse. Zur Legitimation der Politik des Kardinalpremier. Biele­ feld 1977, hier vor allem 107–114 zur Reputation; Weber, Hermann: Chré­ tienté et équilibre européen dans la politique du Cardinal de Richelieu. In: XVIIe siècle 42 (1990), 7–16 (hier 12: Seulement il ne suffisait pas d’avoir une paix prompte, il fallait aussi et surtout que cette paix soit une paix sûre. Pas de paix donc à n’importe quel prix.); Weber, Hermann: Une paix sûre et prompte. Die Friedenspolitik Richelieus. In: Zwischenstaatliche Frie­ denswahrung in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Heinz Duch­ hardt. (Münstersche historische Forschungen, 1) Köln, Wien 1991, 111– 129; Hildesheimer, Françoise: Guerre et paix selon Richelieu. In: Bély, L’Europe (wie Anm. 54), 31–54, hier 42 der Hinweis darauf, dass sich der Begriff „Reputation“ in Richelieus „Testament politique“ immerhin drei­ ßig Mal findet; vgl. für den größeren Zusammenhang auch die in Anm. 54 genannten Studien Malettkes und seiner Schülerinnen und Schüler, die viel dazu beigetragen haben, das Richelieu-Bild zu schärfen und die politischen Leitvorstellungen des Kardinals zu konturieren.

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definierten paz segura nicht umsetzen zu können. Daran vermochte auch die Tatsache nichts zu ändern, dass der Separatfrieden mit den Niederlanden vom 30. Januar 1648 eine gewisse Entlastung brachte und dass auch nach Abreise der Spanier aus Münster der Verhand­ lungsfaden mit Frankreich nicht vollständig abriss76. Andererseits konnte man am Madrider Hof darauf verweisen, 1648 keinem ver­ meintlich disreputierlichen Abkommen zugestimmt zu haben, das nach eigener Auffassung keinen sicheren, dauerhaften und ehren­ vollen Frieden zur Folge gehabt hätte und dessen Verhandlungs­ szenarium man, je nach Blickwinkel, als Tragödie oder Komödie empfand77. Der Preis, den Europa für diese handlungsleitende, in nahezu spiegelbildlicher Weise auch im Rahmen der französischen Verhandlungsführung immer wieder hervortretende Intransigenz zahlte, waren elf weitere Jahre des Krieges zwischen den beiden ka­ tholischen Kronen.

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Vgl. zuletzt Rohrschneider, Michael: Die spanisch-französischen Ver­ handlungssondierungen im Jahre 1649 aus spanischer Perspektive. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Pyrenäenfriedens. In: Duchhardt, Pyre­ näenfriede (wie Anm. 6), 23–39; vgl. darüber hinaus jüngst auch Tischer, Westfalen (wie Anm. 71), sowie Séré, Daniel: La paix des Pyrénées. Vingtquatre ans de négociations entre la France et l’Espagne (1635–1659). (Bi­ bliothèque d’histoire moderne et contemporaine, 24) Paris 2007; Séré be­ zieht in umfangreicher Weise die Vorgeschichte des Pyrenäenfriedens mit ein. 77 Vgl. das Schreiben Peñarandas an den spanischen Kongressgesandten An­ toine Brun, Brüssel 1648 August 31; Ausfertigung: Archives Générales du Royaume (Brüssel), Ambassade d’Espagne à La Haye 119, fol. 215 (tragedia de Munster), bzw. das Schreiben des spanischen Gesandtschaftssekre­ tärs Pedro Fernández del Campo y Angulo an Miguel de Salamanca, Müns­ ter 1647 Februar 1; Ausfertigung: AHN, Estado, libro 979, unfol. (comedia de Munster).

Abbildung: Maximilian Graf Trauttmansdorff, Chefunterhändler des Kaisers beim Westfälischen Friedenskongress. Stich von Anselm van Hulle (Antwerpen 1648), Celeberrimi ad pacificandum chris­ tiani nominis orbem Legati Monasterium et Osnabrugas missi […].

Maximilian Graf Trauttmansdorff – Chefunterhändler des Kaisers beim Prager und beim Westfälischen Frieden * von Konrad Repgen, Bonn I. In der dritten Oktoberwoche des Jahres 1645 erfuhr der West­ fälische Friedenskon­ gress, dass der Kaiser für seinen führenden Staatsmann, den Obristhofmeister Maximi­ lian Graf Trauttmans­ dorff, Geleitbriefe nach Münster und Osnabrück beantragt ha­ be. Das erregte Aufsehen und erweckte übertriebene Erwartungen auf einen schnel­leren Abschluss des Kongresses und der Friedens­ verträge; denn damit war es bisher nur im Schneckentempo (oder gar nicht) vorangegangen. Hinsichtlich der beteiligten fünf europäischen Großmächte (Frank­ reich, Spanien [= Kastilien/Aragon]1, Nord-Nieder­ lande, Schwe­ den und Kaiser [als Erzherzog der österreichischen Erblande und König der Kronlande Böhmen und Ungarn]) war verhandlungs­ rechtlich noch nichts endgültig geregelt: Die spanisch-niederlän­ dischen Traktate konnten erst beginnen, wenn die Unterhändler­

* Eine frühere Fassung (als französische Version) findet sich in Bély, Lu­ cien unter Mitarbeit von Richefort, Isabelle (Hrsg.): L’Europe des traités de Westphalie. Esprit de la diplomatie et diplomatie de l’esprit. Paris 2000, 347–361. 1 Der Begriff „Großmacht“ bürgerte sich zwar erst viel später in die formelle Verhandlungs- und Vertragssprache Europas ein, trifft aber auf die fakti­ schen Verhältnisse der vierziger Jahre des 17. Jahrhunderts für die fünf im Text genannten Mächte durchaus zu. Deren gemeinsamer Frie­denskongress in Münster und Osnabrück war im Hamburger Präliminarfrieden vom 25. Dezember 1641 vereinbart worden. Warum in der sonst so erfreulich breit angelegten 16-bändigen „Enzy­klopädie der Neuzeit“ des J. B. MetzlerVerlags in Stuttgart und Weimar, 2005–2012, ein Artikel „Groß­ macht“ fehlt, ist schwer einzusehen.

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Konrad Repgen

der Ge­neralstaaten einmal erschienen wären 2 . Kaum früher auch war Substantielles für einen Frie­den zwischen Frankreich und Spa­ nien zu erwarten 3 , eher vielleicht an Abmachungen des Kaisers mit Frankreich4 und mit Schweden zu denken 5 . Diese beiden Kronen hatten in Propositionen vom 11. Juni 1645 Gebietsforderungen (satisfactiones) ange­meldet, aber nur im Prinzip, ohne konkrete Ob­ jektbeschreibung, sodass die Kai­serlichen am 25. Sep­tember 1645 in ihren Responsionen um klare(re) Be­schreibung der gegneri­schen Territorialfor­de­r ungen ersucht hatten. Diese standen noch aus. Da­ neben waren immer wieder Ein­zel­punk­te der Reichs­verfas­sung zur Sprache gekommen, deren Lösungen 1648 in verschiedene Arti­ kel der Verträge untergebracht worden sind und die insgesamt eine (nicht systematisch geglie­ der­ te) Reichsverfasssungs-Novelle be­ deuteten; denn in den diversen Gremien des Quasi-Reichstags ging es immer wieder ja auch um strittige Verfassungsprobleme6 . Die 2

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Sie kamen am 11. Januar 1646 in Münster an. Die konkreten Verhandlun­ gen der Generalstaaten mit Spanien begannen am 13. Mai 1646 mit einem spanischen Schriftsatz, der ein Angebot vom 28. Januar 1646 (tregua auf 12 oder 20 Jahre) wiederholte. Die Unterzeichnung des Friedens­vertrags er­ folgte am 30. Januar 1648; er wurde am 15. Mai 1648 feierlich beschworen, was Gerard Ter Borch in seinem berühmt gewordenen Gemälde festgehal­ ten hat, das oft nachgedruckt wor­den ist, besonders wieder 1998, vgl. in diesem Band 440, Abb. 1. Vgl. Nassau und Volmar an Ferdinand III., Münster 1645 November 10; Acta Pacis Westphalicae [im Folgenden abgekürzt APW]. Hrsg. von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste in Verbindung mit der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V. durch Konrad Repgen und Maximilian Lanzinner. Serie II: Korrespon­ denzen. Abteilung A: Die kaiserlichen Korrespondenzen. Bd. 2: 1644–1645. Bearb. von Wilhelm Engels. Mit einem Nachtrag von Karsten Ruppert. Münster 1976 [APW II A 2], Nr. 288, 568. Die tatsächlichen Verhandlun­ gen begannen mit der spanischen Propositio II a am 21. März und der fran­ zösischen Risposta II a vom 26. März 1646. Beides war mündlich durch die Mediatoren Chigi und Contarini übermittelt worden. Danach stagnierten die Verhandlungen bis zum Herbst 1646. Veritabler Verhandlungsbeginn mit der französischen Replik vom 7. Januar 1646. Veritabler Verhandlungsbeginn mit der schwedischen Replik vom 7. Januar 1646. Unter dem 29. August 1645 waren alle Reichsstände durch ein kaiserliches Zirkular offiziell zum Friedenskongress geladen worden. Zu diesem Zeit­ punkt hatte ein Teil von ihnen längst mit for­mellen Verhandlungen be­

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evangelischen Reichsstände berieten in Osna­brück bereits ihr Ge­ samtkonzept für den Kongress7, die Katholiken in Mün­ster dage­ gen warteten ab. Und die Großmächte? Es war im Herbst 1645 immer noch offen, ob und wann sie tatsäch­ lich in konkrete Verhandlungen einträten, und ob und wann sol­ che Verhandlungen dann zu einem Friedens­ vertrag führen wür­ den. Skeptiker konnten daran erinnern, dass über einen congresso per la pace universale d’Europa bereits seit 1634 gesprochen wur­ de8. Selbst die zähen, Geldbeutel und Nerven der Beteiligten stra­ pazierenden Etikette- und Geschäftsordnungs-Regelungen für die künftigen west­fälischen Friedens­verhandlungen zwischen den Großmächten waren noch nicht völlig geklärt. Wenn nun in ei­ ner solchen politischen Lage der Kaiser seinen leitenden Minis­ ter, von dem der fran­ zösische Unterhändler Servien zu Recht meinte, er habe le secret et la direction de toutes les affaires de son maistre9, wenn ein solcher Staatsmann ins verregnete Westfalen ent­ sandt wurde, dann, durfte er schließen, habe Ferdi­nand III. bereits gonnen: das Kurfürstenkolleg am 25. Februar respektive am 1. April 1645, ebenfalls 1645 der Fürstenrat in Osnabrück (27. Juli) und in Münster (9. August) vorher schon (28. Juni 1645) der Städterat Osnabrück. Für den Städterat Münster sind Konferenzen erst ab 29. Januar 1646 dokumentiert, und es ist noch fraglich, wie es in der Zeit danach weiterging. Die Sitzun­ gen des Corpus Catholicorum setzten am 1. Oktober 1645 ein, diejenigen des Corpus Evangelicorum am 5. Februar 1646, doch lässt sich für die Zeit zwischen dem 28. Juli 1645 und dem 3. Februar 1646 nicht scharf zwischen Fürstenrat Osnabrück und Corpus Evangelicorum unterscheiden. 7 Osnabrücker Ausschussberatungen für das Projekt, das später Gravamina Evangelicorum hieß, fanden vom 11. bis 18. Oktober 1645 statt, Plenar­ sitzungen darüber vom 14. bis 21. November und am 15. Dezember 1645; vgl. Acta Pacis Westphalicae. Serie III: Protokolle, Verhandlungsakten, Diarien, Varia. Abteilung A: Protokolle. Bd. 3: Die Beratungen des Fürs­ tenrates in Osnabrück. 1. Teil: 1645. Bearb. von Maria-Elisabeth Brunert. Münster 1998 [APW III A 3/1]. 8 Auch zu allem Folgenden (und mit der wichtigsten neueren Literatur) Rep­ gen, Konrad: Die Hauptprobleme der Westfälischen Friedensverhandlun­ gen von 1648 und ihre Lösungen. In: Zeitschrift für bayerische Landesge­ schichte 62 (1999), 399–438. 9 Servien an Lionne, Münster, 1645 Oktober 21; Acta Pacis Westphalicae. Serie II: Korrespondenzen. Abteilung B: Die französischen Korresponden­ zen. Bd. 2: 1645. Bearb. von Franz Bosbach unter Benutzung der Vorarbei­ ten von Kriemhild Goronzy und unter Mithilfe von Rita Bohlen. Münster 1986 [APW II B 2], Nr. 244.

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entschieden, de conclurre le traicté dans peu de temps, was Mazarin ebenso inter­pretierte10. Beide französischen Diplomaten hatten für diese Lageein­schätzung gute Argumente. Trauttmansdorff kehrte im Juli 1647 zum Kaiserhof zurück, also lange vor der Un­ terzeichnung der Verträge, die bekanntlich am 24. Oktober 1648 erfolgt ist. Die Rück­ reise vor dem Ende der Verhandlungen hatte mehrere Gründe. Erstens war von Frie­ densverhandlungen bis zum Ende der Feldzüge des laufenden Jah­ dendes mehr zu erwarten. Für die vollstän­ res nichts Entschei­ digen kaiserlichen Vertragsentwürfe zum Frieden mit Frankreich und mit Schweden (vom 12. und 13. Juni 1647), die soge­nannten Trauttmansdorffiana11, gab es auf absehbare Zeit zu wenig reichs­ ständische Zustimmung, obgleich die dafür vorhandenen Entwür­ fe schon, weitgehend, wie wir heute wissen, den endgültigen Tex­ ten von 1648 entsprachen. Aber dies war 1647 noch ungeschehene Zukunft. Zum zweiten stand es um den Gesundheits­zustand des 63-jäh­rigen Trauttmansdorff nicht zum Besten. Im Februar 1646 klagte er über bettläge­rige Krank­heit12; der formelle Abschluss des ganz wichtigen Agreements über die kaiserlich-französischen Sa­ tisfaktionsartikel vom 13. September 1646 musste wegen seiner Er­ krankung in seinem Schlaf­zimmer stattfinden13; im November 1646 berichtete der päpstliche Nuntius, dass der Graf nun schon seit drei Mo­na­ten mit ständigen Infekten und leichtem Fieber zu Bett lie­ 10

Mazarin an Longueville, Paris 1645 Oktober 28; ebd., Nr. 246, 785, Z. 19f: c’est une marque qu’il marche de bon pied et que l’Empereur n’a pas seulement envie de conclure bientost la paix. 11 Texte: Meiern, Johann Georg von (Hrsg.): Acta Pacis Westphalicae Publi­ ca. Bd. V. Hannover 1735, 130–140 (= das spätere IPM): Projectum Instrumenti Pacis Caesarei cum Gallis; Meiern, Johann Georg von (Hrsg.): Acta Pacis Westphalicae Publica. Bd. IV. Hannover 1735, 557–590 (= das spätere IPO): Caesareanorum Instrumentum Pacis Dominis Suecicis Legatis […] exhibitum. 12 Trauttmansdorff an den Kaiser, Osnabrück 1646 Februar 1; Acta Pacis Westphalicae. Serie II: Korrespondenzen. Abteilung A: Die kaiserlichen Korrespondenzen. Bd. 3: 1645–1646. Bearb. von Karsten Ruppert. Münster 1985 [APW II A 3], Nr. 128, 209, Z. 27f. 13 Repgen, Konrad: Die kaiserlich-französischen Satisfaktionsartikel vom 13. September 1646 – ein befristetes Agreement. In: Der Westfälische Friede. Diplomatische Zäsur – kulturelles Umfeld – Rezeptionsgeschichte. Hrsg. von Heinz Duchhardt. (Historische Zeitschrift, Beiheft 26) München 1998, 177–216, hier 193ff.

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ge, meist angekleidet, oft ohne Nachtruhe zu finden14; im Frühjahr 1647 klagte Trauttmans­dorff über starke Gicht­schmerzen15. Die förmliche Rückreiseerlaubnis für Anfang April 1647 hat der Kaiser ihm am 5. März 1647 erteilt16. Der tatsächliche Abreiseter­ min wurde jedoch immer wieder hinaus­ge­schoben, weil im Kon­ gress mit großem Erfindungs­reichtum stets neue, propa­gan­distisch verwertbare Hinderungsgründe aufgebaut worden waren17. Hat Trauttmansdorff den Westfälischen Friedenskongress also ge­ wiss nicht als Sieger verlassen, so doch auch keineswegs als Ge­ scheiterter18. Der Westfälische Friede ist das Werk vieler Hände gewesen; ihm jedoch kommt unter den führen­ den euro­ päischen Staatsmännern der größte Anteil daran zu. Das meinten schon sei­ ne Zeitgenossen; das wird ebenso im heutigen historischen Urteil vertreten19; und dazu hat er sich damals auch selbst in der Formen­ sprache des höfischen Lebens deutlich bekannt, indem er in Wien am 3. November 1648 vor den Toren der Stadt den ersten ankom­ 14

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Chigi an Staatssekretariat, Münster 1646 November 9, dech. Dezember 13 (Archivio Segreto Vaticano, Nunziatura per le Paci [im Folgenden: ASV, NP] 20 fol. 335–335’). Trautt­mansdorff wolle aber nichts von ernsthafter Erkrankung und stärkeren Heilmitteln wissen. Begonnen habe alles mit dem unachtsamen Verschlucken einer Krebsschere, deren Teile ihm im Hal­ se stecken geblieben seien und Husten und Entzündungen verursacht hät­ ten. Die Ärzte seien beunruhigt; und wenn nicht die Natur selbst ihm helfe, meinten sie, komme er gar nicht mehr auf. Acta Pacis Westphalicae. Serie II: Korrespondenzen. Abteilung A: Die kaiserlichen Korrespondenzen. Bd. 6: März–November 1647. Bearb. von Antje Oschmann und Magnus Ulrich Ferber unter Mithilfe von Christiane Neerfeld und Christina Schmücker. Münster 2011 [APW II A 6], Nr. 48 (1647 April 26). Acta Pacis Westphalicae. Serie II: Korrespondenzen. Abteilung A: Die kaiserlichen Korrespondenzen. Bd. 5: 1646–1647. Bearb. von Antje Osch­ mann. Münster 1993 [APW II A 5], 546, Anm. 1 – also vor dem Ulmer Waffenstillstand. Dazu APW II A 6 (wie Anm. 15), Nr. 43, 55, 63, 101, 132, 133, 136, 139, 150, 156 und 159A (= 1647 April 22 bis Juni 18). Trauttmansdorff an den Kaiser, eigenhändig, Münster 1647 Juli 16; ebd., Nr. 181: Biß iezo 6 uhr abendts hat man negotiirt, aber nichts schliessen khünnen; doch ist auch nicht gebrochen. Ich raiß also diesen augenblickh fort. Vgl. etwa Dickmann, Fritz: Der Westfälische Frieden. 7. Aufl. Hrsg. von Konrad Repgen. Münster 1998, 195.

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menden Eil­kurier mit der Nachricht von der Vertragsun­terzeich­ nung per­sönlich in Em­pfang nahm und in die Wohnung gelei­tete20. Ähnlich urteilte Nun­tius Chigi in Münster, der jahrelang erfolglos Trauttmansdorffs Religions-Politik als unannehmbar bekämpft hat­ te und ihrer Rechtskraft mit wirkungslosem förmlichen Protesten begeg­net war21. Auch er kommentierte den 24. Oktober 1648 als klaren Er­folg der Politik des Obrist­hofmei­sters: Kurz und gut, Graf Trauttmansdorff wird sagen, daß seine Kon­zeption, diesen Frieden zu schließen, die einzig mögliche gewe­sen sei, wenn­gleich er wegen seiner zu vorei­ligen Abreise vom Kongreß den Erfolg nicht selbst habe einheimsen kön­nen. [Zur Lage] nämlich: Frankreich gehorche Schweden, Schweden habe Furcht allein vor den protestantischen Reichsständen, die man also nach Trautt­mansdorffs Kalkül gewinnen müsse, damit sie die Schweden dahin drängten und schließlich Frankreich ebenso dahin gezwungen würde22. Dieses Urteil war trotz aller holzschnittartigen Vereinfachung reali­ tätsbezogen. Den letzten, fast ultimativen Anstoß zur Unterschrift der fertigen Vertragstexte haben die kriegsmüden Reichs­stände ge­ geben und damit sowohl Schweden als auch Frankreich zur Unter­ zeichnung gebracht. Hatte der Kaiser in West­falen einen Frieden er­ reichen wollen, so war bei den Reichsständen anzusetzen ge­wesen. Mit diesem Auftrag war der Obristhofmeister 1645 nach Münster entsandt worden. Diese Grundkonzeption war nicht neu, sondern eigentlich eine Leitlinie aller Wiener Politik seit längerem23 – Konsequenz der 20

Acta Pacis Westphalicae. Serie III: Protokolle, Verhandlungsakten, Di­ arien, Varia. Abteilung B: Verhandlungsakten. Bd. 1: Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden. 1. Teil: Urkunden. Bearb. von Antje Osch­ mann. Münster 1998 [APW III B 1/1], LXIII, Anm. 126. 21 Repgen, Konrad: Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Stu­ dien und Quellen. Hrsg. von Franz Bosbach und Christoph Kampmann. (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Ge­ sellschaft, Neue Folge, 81) Paderborn [u.a.] 1998 [2. Aufl. 1999], 539–561. 22 Chigi an Staatssekretariat, Münster 1648 Oktober 30, dech. November 19 (ASV, NP 22 fol. 295–296’). 23 Für Ferdinands II. Reichspolitik bis 1630 jetzt, überzeugend und detail­ reich, Brockmann, Thomas: Dynastie, Kaiseramt und Konfession. Poli­ tik und Ordnungsvorstellungen Ferdinands II. im Dreißigjährigen Krieg. (Quellen und Forschungen aus dem Gebiete der Geschichte, Neue Folge, 25) Paderborn [u. a.] 2011.

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Kriegswende durch die verheerende, aber nicht kriegsentscheidende Niederlage bei Breitenfeld 163124. Seither orientierte sich die kaiser­ liche Politik am historischen Vorbild Ferdinands I. beim Augsbur­ ger Religionsfrieden von 1555. Es lässt sich in zwei Punkten zusam­ menfassen: 1. Die Einigung über das strittige Reichsreligionsrecht bleibt (mit dem Kai­ser im Hinter­­grund) soweit nur irgend möglich den Reichsständen überlassen. Folglich kein längeres Beharren auf dem Restitutionsedikt von 1629. 2. Die monarchische Gewalt und die katholische Konfessionalisie­ rung in den habsburgischen Erb- und den Kronlanden ist zu stär­ ken und zu bewahren. Sie bleiben also von allfälligen Konzessionen im Punkt 1 unbe­rührt25. Politisch bedeutete dies: Der Kaiser zieht sich ein Stück weit aus dem Reich zurück. Er stärkt dafür sein Gewicht als katholischer Monarch an Moldau und Donau. II. Oberstes Wiener Regierungsorgan des Kaisers, insbesondere für Außen- und Mi­litärpolitik, war der Geheime Rat26. Dessen Mit­ glieder haben unisono, als es im Juli 1643 mit der Beschickung des Westfälischen Friedenskongresses ernst zu werden schien, für 24

Die Nachricht von dieser katastrophalen Niederlage wurde Ausgangs­punkt erster ernsthafter Erwägungen, das Restitutionsedikt von 1629 preiszuge­ ben. Von dort aus führt eine Linie über das Gutachten vom 28. Januar/4. Februar 1633 (Bischof von Wien, Stralendorf, Trauttmansdorff) zur Inst­ ruktion für Breslau, welche die Grundlage für die Leitmeritzer Verhand­ lungen mit Kursachsen im Juni 1634 wurde. Die Nachweise am schnellsten über das Chronologische Aktenregister in: Briefe und Akten zur Ge­ schichte des Dreissigjährigen Krieges. Neue Folge. Die Politik Maxi­ milians von Bayern und seiner Verbündeten 1618–1651. Abteilung II. Bd. 10: Der Prager Frieden von 1635. Bearb. von Kathrin Bierther. 4 Teilbde. München, Wien 1997 [im Folgenden abgekürzt BA, NF II 10], hier Bd. 10,1 (Erschließungsband), 283–358. 25 So auch Brockmann (wie Anm. 23). 26 Schwarz, H. F.: The Imperial Privy Council in the Seventeenth Century. Cambridge 1943; Ruppert, Karsten: Die kaiserliche Politik auf dem West­ fälischen Friedenskongreß. (1643–1648). (Schriftreihe der Vereinigtung zur Erforschung der neueren Geschichte e.V., 10) Münster 1979, 33–36.

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Trauttmansdorff als den am besten geeigneten Unterhändler plä­ diert27, obwohl er eigentlich (seit 1637 Obristhofmeister und Direk­ tor des Geheimen Rates) für die täglichen Geschäfte der Zentrale unentbehrlich sei28. Über den 1584 geborenen Grafen Trauttmansdorff gibt es bis heu­ te keine „große“ Monogra­phie29 und keine markante Biographie30, 27

Acta Pacis Westphalicae. Serie I: Instruktionen. Bd. 1: Frankreich – Schweden – Kaiser. Bearb. von Fritz Dickmann, Kriemhild Goronzy, Emil Schieche, Hans Wagner und Ernst Manfred Wermter. Münster 1962 [APW I 1], 339. Nach Hartmann, A. V.: Von Regensburg nach Hamburg. Die diplomatischen Beziehungen zwischen dem französischen König und dem Kaiser vom Regensburger Vertrag (13. Oktober 1630) bis zum Hamburger Präliminarfrieden (25. Dezember 1641). (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 27) Münster 1998, 227, war Trauttmansdorff schon 1636 als kaiserlicher Vertreter für den Kölner Kon­ gress vorgesehen, der zu einer pace universale führen sollte, aber nicht zu­ stande kam. 28 So Reichsvizekanzler Kurz. 29 Zu nennen ist aber Kapitel 4 (= 139–298) der bei mir in den siebziger Jah­ ren entstandenen Dissertation von Ruppert: „Trauttmansdorfs Ringen um den Frieden mit dem Ausland und im Reich“. Sie ist unter gründlicher Heranziehung und kluger Interpretation der Wiener Akten ge­arbeitet und inzwischen durch den Fortgang der Forschung nur in wenigen Punkten überholt: Ruppert (wie Anm. 26). 30 Das beklagte schon Wurzbach (s.u.). Wagner, Hans: Die kaiserlichen Di­ plomaten auf dem Westfälischen Friedenskongreß. In: Diplomatie und Au­ ßenpolitik Österreichs. Hrsg. von Erich Zöllner. Wien 1977, 59–73, hier 66, hat 1977 eine Biographie durch R. Heinisch angekündigt, doch diese ist m.W. nicht erschienen. Maßgebend bleiben daher, außer Wagner, Diplo­ maten (wie oben), 62–66, und Dickmann (wie Anm. 19), 195, 243ff sowie Egloffstein, Hermann von: Baierns Friedenspolitik von 1645 bis 1647. Ein Beitrag zur Geschichte der westfälischen Friedensverhandlungen. Leip­ zig 1898, 24ff, die Artikel von Wurzbach, Constantin von: „Trauttmanns­ dorff, Maximilian Graf“. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich. Bd. 47. Wien 1883, 76–79 und Egloffstein, [Hermann von]: „Trauttmansdorff, Maximilian“. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 38. Leipzig 1894, 531–536. Jüngst auch Ferber, Magnus Ulrich: Graf Ma­ ximilian von Trauttmansdorff und Dr. Isaak Volmar. Handlungsmöglich­ keiten adliger und bürgerlicher Diplomaten im Vergleich. In: Diplomatie, Medien, Rezeption. Aus der editorischen Arbeit an den Acta Pacis West­ phalicae. Hrsg. von Maria-Elisabeth Brunert und Maximilian Lanzinner. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 32) Münster 2010, 231–251.

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etwa im Stile von Srbiks „Metternich“. Daher liegen Kindheit und Jugend noch nicht im Hellen31, und es fehlt an einer umfassenden Untersuchung über sein geistiges Weltbild und sein politi­ sches Profil. Trauttmansdorff stammte aus der Steiermark, wo sein Vater hoher Beam­ter der Landesregierung war32, kam mit 25 Jahren als Reichs­ hofrat, noch unter Kaiser Rudolf II. (1576–1612)33, in die kaiserliche Zentralverwaltung und wurde nach dem Thronwechsel von 1612, mit 34 Jahren, politischer Berater34 der Kaiserin Anna35. Protegiert wurde er sicherlich durch seinen steier­ märkischen Landesherrn, den späteren Kaiser Ferdinand II. (1578–1637). Dieser machte ihn 1633 zum politischen Berater seiner Ehefrau Eleonore (1558–1655, Heirat 1622) und schließ­lich, 1633, zum Berater seines thronfolge­ berechtigten Sohnes, Ferdinands III. Das bedeutete bei dessen Re­ gierungsantritt die Anwartschaft Trauttmansdorffs auf das höchste Amt am Kaiserhof, dessen Obrist­hofmeister er folglich beim Wech­ sel im Jahre 1637 von Ferdinand II. zu Ferdinand III. wurde. Damit stand er an der Spitze der politischen Verwaltung des Kai­serhofs. Er hatte zu diesem Zeitpunkt fast zwei Jahrzehnte hindurch poli­ tische Lebenserfah­rung an diesem Hof gesammelt und dabei vor­ nehmlich zwei Amtspflichten zu er­füllen gelernt: Einmal immer­ zu ein begründetes Urteil über politische Analysen der kleinen und großen Tagesgeschäfte abzu­ geben und dies mit jeweiligen Entschei­ dungs­ vor­ schlägen für das weitere Procedere zu verbin­ den. Weiterhin auch selbst politische Ver­handlungen zu führen, in der Zentrale wie an auswärtigen Höfen im Reich oder mit den Ge­ neralen im Feld. Trauttmansdorff kannte also persönlich den Wie­ ner Behörden­apparat und viele Für­sten, Staatsmänner und Militärs draußen, darunter alle deutschen Kurfür­sten, mit denen die kaiser­ liche Reichs- und Außen­politik stets abzustimmen gewesen war. Er war daher, direkt oder indirekt, an fast allen Brenn­punkten des 31

Die Eltern konvertierten vom Luthertum zum Katholizismus. Bei Erzherzog Karl, dem Vater Kaiser Ferdinands II., 1540–1590. 33 Gschliesser, O. von: Der Reichshofrat. Bedeutung und Verfassung, Schicksal und Besetzung einer Reichsbehörde von 1559 bis 1806. (ND, mit einer „Vorbemerkung zur Neuausgabe“ von W. Sellert sowie zahlreichen Korrekturen des Verfassers) Nendeln 1970, 183f. 34 Obersthofmeister. 35 1585–1618, Gemahlin des Kaisers Matthias seit 1611. 32

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Dreißigjährigen Krieges beteiligt: So in Frankfurt am Main 1619, wo es um die Kaiserwahl Ferdinands II.36, und in Regensburg 1636 bis 163737, als es um die Bestellung seines ältesten Sohnes zum rö­ mischen König ging, ebenfalls 1619, als er für eine Subsidienerhö­ hung zum Papst nach Rom reisen musste38. 1622 war er einer der Unterhändler des Nikolsbur­ ger Frie­ dens mit Siebenbürgen, was ihm den sozialen Aufstieg in den Reichs­gra­fenstand ein­trug39. Im Jahre 1623 hatte er an den Verhandlungen über die Translation der pfäl­zischen Kur auf den Bayernherzog Maximilian I. (1573–1651, seit 1597 regierend) teilgenommen, und danach, 1628, die vertrag­ liche Rege­lung der Kriegsschulden des Kaisers an Bay­ern sowie den Tausch der Oberpfalz gegen Oberösterreich ausgehandelt40. Er war in die Entste­hung des Restitutionsedikts von 1629 involviert41, ge­ hörte zu den kaiserli­chen Räten beim Regensburger Kurfürsten­ tag von 163042 und wurde einer der drei Gutachter des Kaisers43, die im Januar 1634 zum Verfahren gegen Wallensteins Hochver-

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Khevenhiller, F. C.: Annales Ferdinandei IX (1618–1622). Darinnen Koenigs und Kaeysers Ferdinands des Andern [...] Die Antrettung seiner schweren Regierung [...] Wie auch Alle denckwuerdige Geschichte [...] von Anfang des 1618. biß zu End des 1622. Jahrs beschrieben werden. Neunter Theil. Leipzig 1724, 402. Haan, Heiner: Der Regensburger Kurfürstentag von 1636/1637. (Schrif­ tenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 3) Münster 1967. Albrecht, Dieter: Zur Finanzierung des Dreißigjährigen Krieges. Die Subsidien der Kurie für Kaiser und Liga 1618–1635. In: Zeitschrift für bay­ erische Landesgeschichte 19 (1956), 534–567. Wagner (wie Anm. 30), 64. Alle Einzelheiten jetzt bei Albrecht, Dieter: Maximilian I. von Bayern 1573–1651. München 1998. Urban, Helmut: Das Restitutionsedikt. Versuch einer Interpretation. Ber­ lin 1938; Tupetz, Theodor: Der Streit um die geistlichen Güter und das Restitutionsedikt (1629). In: Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien 102. Wien 1883, 315–566. Die Einzelheiten bei Albrecht (wie Anm. 40), 733–759. Neben Eggenberg und Bischof Wolfradt.

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rat44 votierten45. Trauttmansdorff selbst hat 1649 den Kaiser daran erinnert, wie es damals um cron vnndt scepter gegangen, und dass er unter denen wenigen gewesen sei, so darzu gerathen46. Spä­testens seit 1633, als politischer Berater des böhmischen Kö­ nigs, Fer­ dinands III., der nach Wallensteins Ende nominell den Oberbefehl des Hee­res übernommen hatte, gehörte Trauttmans­dorff in den in­ nersten Kreis der einflussreichen Politiker Wiens. Ob, und, wenn ja, inwieweit und wodurch sich seine reichs- und dyna­stiepolitischen Mittel- und Fernziele von denen der anderen Wiener Geheimräte unter­schieden haben mögen, ist beim heutigen Stand der Forschung nicht genauer beschreibbar. Mit Hypothesen ist daher wenig aus­ zurichten. Es lässt sich jedoch mit genügender Sicherheit vermu­ ten, dass die beiden oben formulierten Maximen der Kaiser­politik nach 1631 auch Trauttmansdorffs politi­sches Credo beschreiben – was nicht heißen soll, dass vor allem und gerade er diese Konzepti­ on entwickelt und durch­gesetzt habe. Die beiden Leitsätze lauteten, wie ich wiederhole: Die Einigung über das strittige Reichskirchengut bleibt, so weit ir­ gend möglich, den Reichsständen überlassen – also kein Beharren auf dem Restitutionsedikt von 1629. Die monarchische Gewalt und die katholische Konfessionalisierung in den habsburgischen Erb- und Kronlanden sind zu bewahren und zu stärken, bleiben also von allfälligen religionspolitischen Abma­ chungen im und für das Reich unberührt. III. Die Wiener, Dresdner und Darmstädter Akten über den Prager Frieden vom 30. Mai 1635 sind im Frühjahr 1997 in einer monu­ mentalen Edition von Kathrin Bierther mit allen Details publiziert worden47, aber eine ausführliche ereignisgeschichtliche Be­ schrei­ 44

Kampmann, Christoph: Reichsrebellion und kaiserliche Acht. Politische Strafjustiz im Dreißigjährigen Krieg und das Verfahren gegen Wallenstein 1634. (Schriftreihe der Vereinigung zur Erforschung der neueren Geschich­ te e.V., 21) Münster 1992. 45 APW I 1 (wie Anm. 27), 456, Anm. 2. 46 Ebd., Punkt 15. 47 BA, NF II 10 (wie Anm. 24).

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bung dieses Friedens steht noch aus. Dafür ist hier natürlich kein Platz. Wir müssen uns mit dem Allgemeineren begnügen. Das Ziel der am 15. Juni 1634 begonnenen kaiserlich-kursäch­ sischen Verhandlun­gen, in die nach der Schlacht von Nördlingen (6. September 1634) noch Hessen-Darmstadt einbezogen wurde48, hatte sich schon vor dem formellen Zwischen-Ab­schluss vom 24. Novem­ ber 1634, den sogenannten „Pirnaer Noteln“49, grundle­ gend verändert. Ursprünglich dachte man an bilaterale Vorverstän­ digungen zwischen Wien und Dresden hinsichtlich eines künf­tigen Univer­salfriedenskongresses des Reiches unter dänischem Vorsitz. Jetzt suchten der Kaiser und Kursachsen nach einer allein bilate­ ralen Verständigung, jedoch mit verpflich­tendem Charakter für das gesamte übrige Reich und ohne Berücksichtigung eines Vermittlers. In diesem Verhandlungsprozess bedeutete der eventualfriedens­ schluß vom 24. November 1634 nicht das politisch letzte Wort. Deshalb konnte der Kaiser ohne Desa­vouierung sei­ner Unterhänd­ ler am 2. April eine neue Verhandlungsrunde mit erheblichen Kor­ rekturforderungen an den bis dahin verein­barten Texten beginnen lassen, von denen er keineswegs alle, aber doch sehr viele durch­ gesetzt hat: 371 Textabweichungen des Prager Friedens von den „Pirnaer Noteln“ zu Ungunsten der protestantischen Seite hat ein vermutlich württembergischer Anonymus 1636 gezählt und text­ kritisch publiziert50. All diese Details sind hier zu übergehen. Für Trautt­mans­dorff und für den Prager Frieden halte ich aber drei Dinge fest: 1. Seine Position und seine Kompetenzen als Leiter der Delegati­ on waren nie um­strit­ten. Zugeord­net waren ihm zwei Reichshof­ räte51, denen er aus Geheim­hal­tungs­gründen nur von Fall zu Fall, eller Konzes­ punktuell, die Möglichkeiten und Grenzen eventu­ 48

Landgraf Georg II. war Schwiegersohn des sächsischen Kurfürsten Johann Georg II. 49 Texte: BA, NF II 10,4 (wie Anm. 24), Nr. 561 A–J. 50 Pirnische und Pragische friedensPacten / zusambt angestelter Collation und An=weisung der discrepantz und Vnterscheids zwischen denselben. S.l. 1636. 51 In der ersten Runde Hermann von Questenberg (†1651), seit 1606 in der Reichshofkanzlei tätig, 1626 Reichshofrat und Referent im Geheimen Rat für Italica und Polonica. Ersetzt wurde er in der zweiten Runde durch Ferdinand Siegmund Kurz von Senftenau (1592–1629), 1626 Reichshof­ rat, 1637 Reichsvizekanzler, 1640 Geheimrat. Dazu in beiden Runden Jus­

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sionen eröff­nen durf­te. Trauttmans­dorff allein hatte also Überblick über und Ein­blick in das Ganze, während die rechtlichen Details der verwendeten Begriffe und Klau­seln den reichshofrätlichen Ju­ risten überlassen blieben; denn Reichspolitik, inbesondere ReichsKonfes­sionspolitik, war Politik über die Fixierung rechtlicher Nor­ men, war weitestgehend angewandtes Staats- und Kirchenrecht. Im Übrigen galt hier, wie später auch beim Westfälischen Frieden, als Grundregel allen Verhandelns, gradatim vorzugehen, sich also nur in kleinen und kleinsten Schritten zu bewegen und nur lang­ sam, bei Angeboten von einem anfänglichen Minimum, bei Forde­ rungen von einem anfänglichen Maxi­mum abzurücken. Das kam in diesem Fall dem politischen Stil des Dresdner Hofes sehr entge­ gen52, war aber ein generelles Signum reichs­ständischer Politik und hing mit der durchgehenden Verrecht­lichung alles Politi­schen zu­ sammen. 2. Hauptproblem für den Kaiser beim Prager Frieden waren nicht die territorialen Postulate Dresdens oder andere umstrittene Ter­ ritorialfragen im Reich53, sondern das Restitutionsedikt von 1629, dessen Beseitigung die evange­lischen Reichsstände seit 1630 ebenso vehement verlangten, wie die katholi­schen, insbesondere die geist­ lichen (und mindermächtigen) Reichsstände einem solchen Schritt aufgrund ihres Kirchen- und Kirchenrechtsverständnisses schwer, und nur als einem erzwun­genen Notrecht, zustimmen konnten – ad maiora mala vitanda. Der Prager Friede hat schließlich zwei wesentliche religionsrecht­ liche Konzessionen des Kaisers formuliert: Erstens sollte 40 Jah­ re lang für die Streitfragen über das Reichskirchengut, die aus dem und um den Re­ligionsfrieden des Jahres 1555 entstanden waren, der Status quo vom 12. November 1627 gelten. Zum Zweiten sollte, falls bis dahin keine gütliche Einigung erzielt worden sei, nach Ab­ tus Gebhard (1588–1651), 1628 zur katholischen Kirche konvertiert und Reichshofrat. 52 Müller, Frank: Kursachsen und der Böhmische Aufstand 1618–1622. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 23) Münster 1997, 37–65. 53 In der damaligen Verhandlungssprache hieß das privatcontentierung. Damit gemeint war der endgültige Besitz der Ober- und der Niederlausitz und der vier magdeburgischen Ämter Burg, Dahme, Jüterbog und Querfurt sowie die Anerkennung des kursächsischen Prinzen August als Administrator des Erzstifts Magdeburg.

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lauf der 40-Jahres-Frist der Sta­tus quo ante (unter Einschluss des Prozessweges und unter Aus­ schluss von militärischer Gewalt­ anwendung) weitergelten54. Diese religionspolitische Linie widersprach im Grunde dem Rechtsverständnis beider Konfessionen. Dementsprechend ist die Ausklammerung dieser Prinzipien von kai­serlicher Seite und (so­ weit ich sehe) auch von Seiten Trauttmans­dorffs nie als eine gene­ relle Politik-Maxime formuliert worden, sondern nur als ein tat­ sächlich unver­meidliches Notrecht, um Schlimmeres zu verhüten55. Das hat im Februar 1635, vor dem Abschluss eines großen Theo­ logenkonsults über den Friedensvertrag, sehr klar der Reichsvize­ kanzler Stralendorff dem kurbayerischen Hofratsvize­kanzler Ri­chel be­schrieben: die theologi mögen […] schliessen, waß man in religionssachen für conditiones pacis eingehen kond und solle. Aber für die konkre­te Politik sei es bes­ser und sicherer, diese Fragen auf einer anderen Ebene zu ent­scheiden. Sie gehörten mehr für [= vor] Ihre Ksl. Mt., die chur-, fürsten und ständ und derselben politische räth alß für die theologos56. Wenn man diesen Gedanken abstrakt formu­ liert, lautete die Maxime: Aus Theologie und Kirchenrecht lassen sich keine uneingeschränkt gültigen Handlungsvorschriften für den politischen Alltag ableiten. Man ist damit auf dem Weg zur Theolo­ gie des Zweiten Vatikanischen Konzils mit seiner Diskussion über die relative Autonomie der irdischen Wirklichkeiten. 3. Im Unterschied zu 1648 wurde 1635 nur ein Teil der aktuellen religionsrechtlichen Streitfragen geregelt, und es wurde dabei mehr Aufschub als Ausgleich erreicht. E­benfalls im Unterschied zu 1648 blieben wichtige territorialpolitische Streitpunkte ausge­ klammert (betreffend Kur-Pfalz, Hessen-Kassel, Baden-Durlach, auch Württem­berg) 57. Aber nicht aus der Stückhaftigkeit und Inte­ rimistik des Prager Friedens erklärt sich, wa­rum dessen politisches Hauptziel (die Befriedung des Reiches und anschließend die poli­ tisch-militärische Verdrängung der Interventionsmächte Schwe­ 54

Text des Prager Friedens: BA, NF II 10,4 (wie Anm. 24), Nr. 564A, 1606– 1630, besonders [2] (1607) und [10] (1609). 55 Vgl. Bischof von Wien an Trauttmansdorff, 1634 Juli 8; BA, NF II 10,2 (wie Anm. 24), Nr. 34. 56 Richel an Kurfürst Maximilian, [Wien] 1635 Februar 7; ebd., Nr. 390, Zitat 884. 57 Die Regelung für Württemberg erfolgte 1638 durch Rückzug des Kaisers.

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den und Frank­reich vom Reichs-Boden) verfehlt wurde. Eine sol­ che Aktion hätte einen fundamen­talen Um­bau des Alten Reiches in eine stabil operationsfähige, macht­staatliche Organisation voraus­ gesetzt, die nie vorhanden war und deren Schaf­fung, vor und nach 1635, kein konkretes Ziel der Wiener Politik gewesen ist oder sein konnte. Die Diskussion über einen angeblichen Reichsabsolutismus Ferdi­nands II. war eine ‚question mal posée’; sie verkürzte unzu­ lässig ein sehr breites Spektrum von Möglich­keiten58. Über ein der­ art zielgerichtetes Programm hat Trautt­mans­dorff nie verfügt, und er hat dies offenbar nicht als einen Mangel empfunden. Das mag ihn von seinen großen staatsmännischen Zeit­genossen und Gegenspie­ lern in Europa, von Olivares, Richelieu, Mazarin oder Axel Oxen­ stierna, unterscheiden. IV. Als 1634/1635 nacheinander in Leitmeritz, Pirna und Prag ein Frie­ de für das Reich zwischen Kaiser und Kursachsen ausgehandelt wurde, hatten die Kaiserlichen militärisch eine starke, wenn auch nicht stets dominierende Stellung inne. Anders verhielt es sich beim Westfälischen Frieden. Die Einsicht in die unumkehrbare Endgül­ tigkeit der militä­ rischen Unterlegenheit des Kaisers war die po­ litische Hauptprämisse der Reise seines Obristhofmeisters nach Westfalen. Welche Kon­ sequenzen Wien aus dieser Einschätzung zog, und welcher Verhandlungsstil sich daraus für den kaiserlichen Unterhändler ergab, wird einmal in der vollendeten Ausgabe der „Acta Pacis West­phalicae“ detailgenau nachzulesen sein. In einigen Punkten aber lässt sich schon jetzt über die weiterhin grundlegende ältere Darstellung mei­ nes Schülers Karsten Ruppert hinauskom­ men59. Sie betreffen Verhandlungs­rahmen, Ziele und Ergebnisse des Chefunterhänd­lers Trauttmansdorff und sein politisches Profil. 1. Die bisherige Forschung hat, wie ich meine, nicht genügend be­ achtet, dass, anders als in Münster, in Osnabrück ohne Vermittler verhandelt wurde, also mündlich und persönlich-direkt, dagegen in Münster (ab­ge­sehen von gelegentlichen Ausnahmen, die zwar 58

Über den Handlungsrahmen und die Handlungsziele Ferdinands II. nun­ mehr, überzeugend, Brockmann (wie Anm. 23). 59 Ruppert (wie Anm. 26), 139–298.

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für die gegenseitige politische Information wichtig waren, aber nie bereits eine Entschei­dung bringen konnten) stets indirekt, durch Vermitt­ler, also über Dritte und daher fast immer schriftlich. Die Unterhand­lungen in Münster stan­den folglich unter einem anderen Stern als die Verhand­lun­gen mit den Schweden und den Reichsstän­ den. In Osnabrück konnte Trauttmans­dorff, besonders gegenüber den Reichsständen, den immer noch vor­handenen Nimbus des kai­ serlichen Amtes mit der ganzen Kraft seiner Persönlich­keit direkt in Politik umsetzen: Schnelle Auffassungs­gabe, deutliche Sprache, auch Sarkasmus, und vor allem ein breites Fak­tenwissen, ließen sich dort ins Spiel bringen. In Münster hingegen verliefen die Trakta­te auf der kühlen E­bene des unpersönlichen Austauschs von Schrift­ sätzen, höchstens ergänzt durch Stellungnahmen, die von Dritten (vornehmlich durch die Ver­mittler Chigi und Contarini), zu über­ bringen waren. Diese Vermittler fungierten also weniger als Politi­ ker denn als Notare. Daher durften und konnten sie auf den Verlauf des Geschehens relativ wenig Einfluss nehmen. brück und in Vertragsrechtlich bildete das Geschehen in Osna­ Müns­ter zwar eine Einheit, poli­tisch aber hatte es unterschiedliche Rahmenbedingungen. Das ist in der hi­ storischen Interpretation sehr zu beachten. 2. Die kaiserliche Trauttmansdorff-Instruktion vom 16. Oktober 1646, die unter strengster Vertraulichkeit für alle wichtigen Ver­ handlungspunkte die jeweilige Grenze der äußersten Konzessi­ onsmöglichkeiten des Kaisers fixierte, und der auf eben dieses Ak­ chen­ schafts­ bericht des Obristhofmeisters tenstück bezogene Re­ vom 2. Februar 1649, in dem Trauttmans­dorff, vor der Ratifikati­ on der Verträge, seine Vorgehens­weise und seine Verhandlungser­ gebnisse Punkt für Punkt beschrieb und begründe­te, dies sind zwei Schlüsseldoku­ mente von seltener Aussage­ kraft. Etwas Ähnliches besitzen wir für keinen anderen der Unterhändler von 1648. Ohne rhetorischen Schmuck werden Instruk­tion, Verhand­lungstaktik und -resultat auf den Punkt gebracht. Das sollte of­fensichtlich die Ar­ gumente gegen die Trautt­­mans­dorff-Kritiker am Hof, und über­ haupt gegen die Verträge von 1648, zusammenfassen. Bei der In­ terpretation dieses politischen Rechenschaftsberichts von 1649 ist freilich zu beach­ten, dass er keine vorurteilsfreie und auch keine vor­urteilsarme Darstellung historischer Begebenheiten sein sollte, sondern eine interne politische Verteidi­gungsschrift war. Die bei­ den für Wien proble­ matischsten Punkte der West­ fälischen Frie­

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densverträge, bei denen die Kritik im Winter 1648/1649 ansetzte – die von den Reichsständen er­zwungene politische Tren­nung des habsbur­gischen Kai­sers von seinem habsburgischen Vetter in Spa­ nien und das novellierte Reichs-Religions­recht, das nicht im Kon­ sens, son­dern gegen den erklär­ten Widerspruch der (vom Nuntius ideell unter­stützten) minder mächtigen katholischen Reichsstände ver­abschiedet worden ist – diese beiden Materien hat der Rechen­ schaftsbericht von 1649 zwar nicht völlig ausgespart, jedoch in ihrer Bedeutung für das politische Handeln, wel­ches zu 1648 hinführte, eher überspielt als formuliert. Dies ließe sich mit einer ausführ­ lichen Textinterpretation zeigen, wofür hier kein Platz ist. Auf die apolo­ getische Funktion dieser großartigen Quelle hinzu­ weisen, mindert jedoch nicht, daran festzuhalten, dass Trauttmans­ dorff auch beim Westfälischen Frieden wie in den Jahrzehnten zuvor für den Kaiser, für das Haus Habsburg und für das Reich nach Kaiser Fer­dinands eigenem Urteil einen ansehnlichen Dienst geleistet hat. 3. Dieses Urteil eines wahrlich kompetenten Zeitgenossen des Dreißig­ jährigen Krieges von damals kann der kritische Histori­ ker von heute durchaus übernehmen. Als der Kaiser ihn 1645 nach Westfalen schickte, bezog er sich auf das politi­sche Profil seines ver­ lässlichen Staatsmannes und sprach von dessen gueten qual­iteten, langer erfahrenheit in den negotiis und allzeit erzaigtem eifer zu meinem und deß allgemeinen wesens nuzen60. Den gleichen Ein­ druck hielt auf der Gegenseite der zugeordnete Berater der franzö­ sichen Dele­gation, Théodore Godefroy, fest61: Il est loué pour son grand jugement en ce qui est des délibé­rations, sa vigueur au parler, la pour­suite sérieuse aux affaires qu’il entreprend pour y mectre une fin, et sa constance pour l’entretènement des résolutions et traictez de quoy l’on est demeuré d’accord. Und nicht anders hatte ihn auch der europaweit erfahrene vene­zianische Botschafter Alvise Contari­ ni kennengelernt, der 1650 im Rückblick zusammenfasste: [Trautt­ mansdorff fu un] uomo libe­ro, e franco in tutto, molte cose gli riu­

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Geheiminstruktion des Kaisers für Trauttmansdorff, Linz/Donau 1645 Oktober 16; APW I 1 (wie Anm. 27), Nr. 29, hier 440. 61 Eigenhändige Notiz Théodore Godefroys über Trauttmansdorff, datiert En décembre 1645; Institut de France, Collection Godefroy 20 fol. 280–280’. Ich verdanke diesen Hinweis Dr. Dr. Guido Braun.

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scirono che non sariano riuscite ad altri62. Diese Eigenschaften haben den kaiserlichen Staatsmann Trauttmansdorff zum wichtigsten un­ ter den Baumeistern des Westfälischen Friedens gemacht.

62 Vgl.

Fiedler, Joseph (Hrsg.): Die Relationen der Botschafter Venedigs über Deutschland und Österreich im 17. Jahrhundert. Bd. 1. (Fontes rerum Austriacarum, 26) Wien 1866, 318.

Friedenssicherung als Beratungsthema der protestantischen Reichsstände in der Anfangsphase des Westfälischen Friedenskongresses von Maria-Elisabeth Brunert, Bonn Maximilian Lanzinner hat sich in seiner Habilitationsschrift in­ tensiv mit dem Thema Friedenssicherung auseinandergesetzt1. Da er seit 2003 das Editionsunternehmen der „Acta Pacis Westphali­ cae“ leitet2, mag er es begrüßen, dass sich ein Beitrag seiner Fest­ schrift auf der Basis der Kongressakten mit der assecuratio der Westfälischen Friedensverträge beschäftigt. Im Mittelpunkt sol­ len dabei nicht die Verhandlungen der Signatarmächte, sondern die einschlägigen reichsständischen Beratungen stehen. Der Schwer­ punkt liegt auf der Zeit vom Herbst 1645 bis zum Frühjahr 1646, denn in dieser frühen Phase des Kongresses berieten die protestan­ tischen Reichsstände über fast alle Materien der späteren Verträge, einschließlich des Themas Friedenssicherung. Damit werden auch Maßnahmen greifbar, die zu Beginn des Kongresses vorgeschlagen, später aber fallengelassen wurden. Darüber hinaus wird die Rol­ le der Reichsstände wenigstens unter dem Aspekt der Friedenssi­ cherung näher untersucht und damit die bislang in der Forschung wenig beachtete Frage nach dem reichsständischen Beitrag am Zu­ standekommen der Friedensverträge thematisiert. Dabei soll es nicht darum gehen, jede vorgeschlagene Maßnahme zur Friedens­ sicherung zu benennen, sondern vielmehr darum, die Hauptlinien deutlich zu machen und auch die Taktik offenzulegen, mit der die reichsständischen Gesandten ihre Konzeptionen einzubringen ver­ suchten. 1

Lanzinner, Maximilian: Friedenssicherung und politische Einheit des Rei­ ches unter Kaiser Maximilian II. (1564–1576). (Schriftenreihe der Histori­ schen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 45) Göttingen 1993. 2 Künftig: APW. Die in drei Serien erscheinende Edition (I: Instruktionen; II: Korrespondenzen; III: Protokolle, Verhandlungsakten, Diarien, Varia) wird im Auftrag der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste herausgegeben, bis 2002 durch Konrad Repgen, seit 2003 durch Konrad Repgen und Maximilian Lanzinner.

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Projekte zur Friedensassekuration in den 1630er Jahren Die Studie muss zeitlich zurückgreifen, denn wenn sich auch erst im Sommer 1645 entschied, in welcher Form die Reichsstände an den Friedensverhandlungen beteiligt wurden, so waren doch einige von ihnen bereits Jahre zuvor mit wichtigen Themen der späteren Verhandlungen konfrontiert und um ihre Meinung befragt wor­ den. Auf Friedensvermittlungsvorschläge Hessen-Darmstadts re­ agierend, suchte bereits der siegreiche schwedische König Gustav II. Adolf, sich mit Kursachsen und Kurbrandenburg ins Benehmen zu setzen, wobei schwedische Satisfaktionsforderungen der Antrieb seines Begehrens waren. Da seine Bemühungen fruchtlos blieben, wandte er sich an Landgraf Wilhelm V. von Hessen-Kassel, der mit ihm durch den Vertrag von Werben vom 22. August 1631 förmlich verbündet war3. Wilhelm seinerseits wandte sich an seine Räte, die ihre Überlegungen in einem dreigliedrigen Gutachten vom 2. Janu­ ar 1632 zusammenfassten4. Dabei berücksichtigten sie folgende Vo­ raussetzungen des schwedischen Königs: Dieser sollte protector religionis und die protestantischen Reichsstände sollten bewaffnet bleiben, hingegen die Kaiserlichen abdanken5. Zur Assekuration des künftigen Friedens beriefen sich die hes­ sischen Räte zuvorderst auf die leipziger handlungen, mit denen sie einverstanden waren. Daher ließen sie die leipzig’sche versicherungsgedanken abschreiben und als Beilage anfügen. Da diese Beila­ ge in der Marburger Archivüberlieferung und daher auch im Druck bei Irmer fehlt, muss im Detail offenbleiben, was diese Assekura­ tionspläne besagten. Sicherlich stammten sie vom Leipziger Kon­ vent der Protestanten, der, von Kursachsen einberufen, vom 20. Fe­ bruar bis zum 12. April 1631 tagte und dessen Entschließungen als „Leipziger Schluss“ mit einem Begleitbrief an den Kaiser geschickt 3

Dickmann, Fritz: Der Westfälische Frieden. 7. Aufl. Münster 1998, 61f; Weiand, Kerstin: Hessen-Kassel und die Reichsverfassung. Ziele und Pri­ oritäten landgräflicher Politik im Dreißigjährigen Krieg. (Untersuchungen und Materialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte, 24) Marburg 2009, 42f. 4 Text des Gutachtens: Irmer, Georg: Die Verhandlungen Schwedens und seiner Verbündeten mit Wallenstein und dem Kaiser von 1631 bis 1634. Bd. 1: 1631 und 1632. Leipzig 1888, 72–77, zu Punkt 3 (Assekuration): 76f. 5 Ebd., 72: [...] und die evangelischen stende militem armatum im reich behielten, hergegen caesariani abdankten [...].

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wurden6. Dieser Beschluss, der die Aufstellung eigener Truppen in Aussicht stellte, enthält nichts ausdrücklich zur Assekuration eines künftigen Friedens. So bleibt als Hinweis nur der Vermerk der hes­ sischen Räte, die leipzigsche gedanken gingen dahin, dass den rö­ mischen Königen die unverbrüchliche haltung der getroffenen pacification in ihre geschworne capitulation einzurücken sei7. Die Räte wollten die Maßnahme dadurch ergänzt wissen, dass dergleichen auch in des churfürstlichen collegii capitulation eingerückt und au­ ßerdem in den Lehnseid der Reichsfürsten aufgenommen werde8. Diese Maßnahmen waren unter Punkt 2 der Vorschläge zur Asse­ kuration zusammengefasst. Punkt 1 forderte die Aufnahme der Reformierten in den Religionsfrieden. Punkt 3 besagte, die ganze überwitzige jesuitische rotte und hauf mit allem seinem anhang solle aus dem Reich ausgewiesen werden, da sie an den ufrurischen consilien am meisten schuldig sint, was sich auf die Rolle der Jesu­ iten als Hofbeichtväter bezogen haben wird9. Originell war diese 6 Text:

Londorp, Michael Caspar: Der Römischen Kayserlichen Majes­ tät und des heiligen Römischen Reichs Geist- und Weltlicher Stände, Chur- und Fürsten, Grafen, Herren und Städte Acta Publica und Schrifft­ liche Handlungen [...]. 4. Theil. 4. Aufl. Frankfurt am Main 1668, 144ff; Du Mont, Jean: Corps universel du droit des gens. Bd. VI.1. Amsterdam, Den Haag 1728, 6–9. Weiand (wie Anm. 3), 48, erwähnt die im Gutachten der Räte zitierten leipziger handlungen nicht. 7 Irmer (wie Anm. 4), 76. 8 Ebd., 76f. 9 Dazu Hartmann, Peter C.: Die Jesuiten. 2., durchges. Aufl. München 2008, 38–42. Die offizielle Position des Jesuitenordens zur Frage der Hof­ beichtväter wurde 1608 festgelegt. Die Weisung, dass diese sich nicht in auswärtige und politische Angelegenheiten einmischen sollten, war in der Praxis wegen der Verflechtung politischer und religiöser Fragen nicht durchsetzbar. Beichtväter Kaiser Ferdinands II. waren 1620–1624 der Je­ suit Martin Becanus (1563–1624) und 1624–1637 der Jesuit Wilhelm La­ mormaini (1570–1648), siehe Brockmann, Thomas: Dynastie, Kaiseramt und Konfession. Politik und Ordnungsvorstellungen Ferdinands II. im Dreißigjährigen Krieg. (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Ge­ schichte, Neue Folge, 25), Paderborn [u.a.] 2011, 19, 62f. Beichtväter des bayerischen Kurfürsten Maximilian waren die Jesuiten Gregor von Va­ lencia (1587–1595), Johann Buslidius (1595–1623), Adam Contzen (1624– 1635) und Johann Vervaux (1635–1651), siehe Albrecht, Dieter: Maximi­ lian I. von Bayern 1573–1651. München 1998, 324. Nach Brockmann (wie oben, 62) war die theologische Expertise für Kaiser Ferdinand II. immer wichtig, aber nicht unbedingt politikbestimmend. Contzen hat nach dem

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Forderung nicht, waren doch schon früher Jesuiten aus bestimmten Territorien ausgewiesen worden. Erinnert sei nur an ihre Auswei­ sung aus Böhmen im Juni 1618 und aus Mähren im Mai 161910. Der vierte und letzte Punkt des Gutachtens verlangte, dass die spa­ nischen Truppen das Reich verlassen und die von ihnen besetzten Orte räumen sollten11. Sicherlich war damit zunächst ganz kon­ kret an die spanisch besetzten Plätze in der Unterpfalz und am Nie­ derrhein gedacht. In der linksrheinischen Unterpfalz hatten sich die Spanier seit Herbst 1620 etabliert. Damals besetzten sie im Auftrag des Kaisers diesen Teil des Territoriums des kurz darauf, im Januar 1621, geächteten „Winterkönigs“. Als die hessischen Räte ihr Gut­ achten verfassten, schickte sich der schwedische König gerade an, die Unterpfalz zu erobern. Schon im Dezember 1631 war ihm die Einnahme von Oppenheim, Mainz und Friedberg gelungen. Im Ja­ nuar nahmen die schwedischen Truppen Bacharach und Kaub ein, Anfang März folgte Kreuznach, und so ging es weiter. Zuletzt, im November des Jahres, zogen die Spanier schließlich aus Fran­ kenthal ab12. Diese Entwicklung hatten die hessischen Räte kaum voraussehen können, ebenso wenig, dass die Spanier Frankenthal später wieder besetzten und erst im Mai 1652 von dort abzogen13. Ähnlich wurden Städte, Orte und Festungen am Niederrhein jahr­ zehntelang mal von dieser, mal von jener Kriegspartei gehalten. Im Rahmen des Spanisch-Niederländischen Kriegs folgten in oft ra­ schem Wechsel spanische und niederländische Besatzungen aufei­

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Urteil von Albrecht (wie oben, 328) Maximilians Auffassungen bestätigt oder durch theoretische Unterbauung weiter befestigt, gelegentlich wohl auch verschärft. Kubišta, Albert: Die Berufung des Jesuitenordens nach Böhmen und die Anfänge der Tätigkeit des Ordens. In: Konfessionskonflikt, Kirchenstruk­ tur, Kulturwandel. Die Jesuiten im Reich nach 1556. Hrsg. von Rolf De­ cot. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für abendländische Religionsgeschichte, Beiheft 77) Mainz 2007, 87–97, hier 96. Irmer (wie Anm. 4), 77. Egler, Anna: Die Spanier in der linksrheinischen Pfalz 1620–1632. Invasi­ on, Verwaltung, Rekatholisierung. (Quellen und Abhandlungen zur mittel­ rheinischen Kirchengeschichte, 13) Mainz 1971, 46f, 159–162. Oschmann, Antje: Der Nürnberger Exekutionstag 1649–1650. Das Ende des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland. (Schriftenreihe der Vereini­ gung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 17) Münster 1991, 680.

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nander14. Wie im Falle der Unterpfalz bedurfte es einer politischen Lösung. Das wird auch den Räten des Landgrafen von HessenKassel bewusst gewesen sein. Ihre Forderung, dass die spanischen Truppen das Reich verlassen sollen, mag daher von der allgemei­ neren Vorstellung mitgeprägt gewesen sein, dass spanische Präsenz und die Involvierung des Reichs in die Angelegenheiten Spaniens eine Bedrohung des Friedens im Reich mit sich brächten15. Die vier Vorschläge der hessischen Räte sind eine Mischung aus Maßnahmen, die einerseits die Einhaltung des Friedensvertrags ge­ währleisten sollten, und andererseits solcher Forderungen, die ge­ eignet waren, den Bestand des künftigen Friedens durch Redu­ zierung des Konfliktpotenzials zu sichern. Die Verpflichtung des römischen Königs auf den Friedensschluss durch eine entspre­ chende Klausel im Friedensvertrag gehört zur ersten Kategorie: Si­ cherung des Friedens durch Verpflichtung der Vertragspartner auf die Einhaltung der Vertragsbestimmungen. Die Ausweisung der Je­ suiten gehört den Verfassern zufolge zu den friedensbewahrenden Maßnahmen, denn die Ausdrucksweise überwitzige jesuitische rotte ist klar negativ konnotiert16. Der gegen die Jesuiten erhobene Vor­ 14

Dazu die Liste von Petri, Franz: Im Zeitalter der Glaubenskämpfe (1500– 1648). In: Rheinische Geschichte in drei Bänden. Bd. 2: Neuzeit. Hrsg. von Franz Petri und Georg Droege. Düsseldorf 1976, 1–217, hier 96. Eine Fes­ tung wie Montfort war in den 1630er Jahren in wechselndem Besitz, wäh­ rend Jülich fast vierzig Jahre lang (1621–1660) spanisch besetzt war, sicher­ lich zum Missfallen des (katholischen) Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm zu Neuburg, dem die Festung als Teil des jülich-klevischen Erbes zustand. 15 Zum Antihispanismus im Reich seit Karl V. siehe Schmidt, Peer: Spanische Universalmonarchie oder „teutsche“ Libertät. Das spanische Imperium in der Propaganda des Dreißigjährigen Krieges. (Studien zur modernen Ge­ schichte, 54) Stuttgart 2001, 442. Zum negativen Spanienbild in Deutsch­ land seit dem Schmalkaldischen Krieg siehe auch Pollmann, Judith: Eine natürliche Feindschaft: Ursprung und Funktion der schwarzen Legende über Spanien in den Niederlanden, 1560–1581. In: Feindbilder. Die Dar­ stellung des Gegners in der politischen Publizistik des Mittelalters und der Neuzeit. Hrsg. von Franz Bosbach. (Bayreuther Historische Forschungen, 6) Köln [u.a.] 1992, 73–93, hier 78–81. 16 rotte kann militärische Abteilung bedeuten oder neutral Schar, Haufe, Menge oder sich negativ auf Rebellen, Aufrührer beziehen (Grimm, Jacob und Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 14. [ND] München 1984, 1315– 1320 sub verbo rotte). Hier ist die negative Bedeutung vorauszusetzen, zumal den Jesuiten der Vorwurf von ufrurischen consilien gemacht wird.

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wurf, an den ufrurischen consilien am meisten schuld zu sein, be­ gründet, warum sie als Friedensstörer anzusehen seien: Ihr Rat ziele auf Aufruhr, also Störung des Friedens. Konkret wird vornehmlich an das Restitutionsedikt Kaiser Ferdinands II. vom 6. März 1629 gedacht sein17. Wie die Forderung nach Ausweisung sämtlicher Je­ suiten, so ist auch jene nach Aufnahme der Reformierten in den Religionsfrieden konfessionell bestimmt. Dieser Maßnahme wird sogar ein besonders hoher Stellenwert eingeräumt, da sie als erste Forderung genannt ist18. Die Forderung, dass die spanischen Trup­ pen das Reich verlassen sollen, scheint militärische Implikationen zu haben, zumal dann, wenn man an das damalige militärische Vor­ dringen der Schweden in der Unterpfalz und die damit verbundene Vertreibung der Spanier denkt. Dasselbe Ergebnis kann im Prinzip auch auf dem Verhandlungsweg erzielt werden, wie es schließlich im und nach dem Westfälischen Frieden geschah, als ein genauer Plan ausgehandelt wurde, wann welche fremden Truppen das Reich verlassen würden19. Ein derartiges Verfahren hatten die hessischen Räte aber nicht im Sinn. Sie dachten nicht an allseitige Entmilita­ überwitzig bedeutet superklug, fürwitzig und ist stets in negativem Sinn ge­ meint (ebd., Bd. 23, 664f sub verbo überwitzig). 17 Der kaiserliche Beichtvater Lamormaini hat immerhin das Restitutions­ edikt einmal als eine Art ersten Schritt auf dem Weg zur Rekatholisierung ganz Deutschlands bezeichnet, siehe Brockmann (wie Anm. 9), 384. 18 Die religionsrechtliche Gleichstellung der Reformierten wurde auf dem Westfälischen Friedenskongress im Zuge der Verhandlungen über die Gra­ vamina ecclesiastica vorgenommen. Die Gleichstellung wurde gewährt durch Art. VII,1 IPO. Dagegen protestierte mehrfach Kursachsen, so am 24. und 30. Juni sowie am 17. und 19. Juli 1648, und zwar teils bei den kai­ serlichen Gesandten, teils beim Reichsdirektorium, teils in den kurialen Sit­ zungen, siehe APW III A: Protokolle. Bd. 3: Die Beratungen des Fürsten­ rates in Osnabrück. Teilbd. 6: Juni–Juli 1648. Bearb. von Maria-Elisabeth Brunert. Münster 2009, 333 Z. 29–32, 424 Z. 13 mit Anm. 72. Im Mai 1649 schlossen sich Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg, Sachsen-Weimar und Sachsen-Gotha diesen Protesten an, siehe Brunert, Maria-Elisabeth: Zum reichspolitischen Engagement Sachsen-Altenburgs am Ende des Dreißig­ jährigen Krieges. Die Entstehung der Hauptinstruktion Herzog Friedrich Wilhelms II. für seine Gesandten zum Westfälischen Friedenskongress. In: Neues Archiv für Sächsische Geschichte 78 (2007), 49–92, hier 84, Anm. 28. 19 Siehe Oschmann (wie Anm. 13), 499–549: Die Evakuation im Reich (1648–1650): die festen Plätze, ihre Territorialherren oder Eigentümer, ihre Lage und ihre Evakuationstermine.

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risierung, sondern einseitig an die Entfernung der (katholischen, habsburgischen) Spanier – und dies unter Beachtung der Bedingung König Gustav Adolfs, dass die protestantischen Reichsstände be­ waffnet bleiben sollten, während die kaiserlichen Truppen abzudan­ ken seien20. Auch dies war eine konfessionell einseitige und, wie die Geschichte gezeigt hat, unrealistische oder jedenfalls nicht realisier­ te Vorstellung. Es dauerte, vom Vorliegen des Gutachtens seiner Räte an gerech­ net, über zwei Monate, bis Landgraf Wilhelm von Hessen-Kassel seine eigene Stellungnahme an den schwedischen König schickte. Sie gilt als radikal, besonders hinsichtlich der Vorschläge zur Asse­ kuration, und bräuchte nicht weiter zu interessieren, da die Witwe des Landgrafen Amalie Elisabeth, zur Zeit der Westfälischen Frie­ denverhandlungen Regentin Hessen-Kassels für ihren unmündigen Sohn, eine andere, gemäßigte Position vertrat21. Doch einige Beo­ bachtungen scheinen im Hinblick auf die Beratungen und Verhand­ lungen der späteren Jahre von allgemeinerem Belang: 1. Nach der subtilen Analyse von Wilhelms umstürzlerischen, die Reichsverfas­ sung sprengenden und insofern singulären Plänen für eine künftige Friedensordnung durch Kerstin Weiand dienten diese vor allem der Sicherung der eigenen hessen-kasselschen Machtstellung, also den Partikularinteressen22. Damit zeigte der Landgraf ein typisches Ver­ halten. Denn nach allem, was bislang über die Verhandlungsziele der Reichsfürsten bekannt geworden ist, standen für sie alle die ei­ genen partikularen, sehr divergierenden Belange im Mittelpunkt23. 2. Landgraf Wilhelms Assekurationspläne sahen die Entwaffnung der katholischen Reichsstände vor und die weitere Armierung der 20

Siehe Anm. 5. So nach Weiand (wie Anm. 3), hier 50 (hohes Maß an Radikalität) und 174 (die Regentschaft der Landgräfin sei keinesfalls eine Fortsetzung der Politik ihres verstorbenen Gemahls). 22 Ebd., 63. 23 Siehe z. B. das auf umfassender Quellenkenntnis beruhende Urteil von Jo­ hannes Kretzschmar: Zur Zeit des Heilbronner Bundes hätten die partikularen Interessen der einzelnen Stände, der großen wie der kleinen, im Vordergrund gestanden und nicht die allgemeinen evangelischen Fragen (Der Heilbronner Bund 1632–1635. 3 Bde. Lübeck 1922, Bd. I, IV). Nach Weiand (wie Anm. 3, 174) wurde Landgräfin Amalie Elisabeth auf dem Westfälischen Friedenskongress nur dann aktiv, wenn unmittelbar Partiku­ larinteressen der Landgrafschaft tangiert wurden. 21

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protestantischen. Damit entsprach er nur den Vorgaben des schwe­ dischen Königs, der zudem für sich das Amt eines protector evangelicorum in Anspruch nehmen wollte, was Landgraf Wilhelm ebenfalls in seine Konzeption aufnahm. In einem Punkt aber ging er über die Vorgaben des Königs hinaus: Er sah vor, dass die ka­ tholischen Reichsstände die Kosten für die Bewaffnung der Pro­ testanten und auch für deren Kriegsschäden tragen sollten24. Auch diese Konzeption ist der individuellen Situation Hessen-Kassels als armiertem protestantischem Reichsstand geschuldet. Darüber hinaus ist damit aber ein generell wichtiges Thema angesprochen, das auch bei den Westfälischen Friedensverhandlungen von überge­ ordneter Bedeutung war, und zwar sowohl für Hessen-Kassel, das bis zuletzt mit großer Entschlossenheit auf die Bezahlung seiner Kriegskosten drängte25, als auch für Schweden. Denn die nordische Macht war keineswegs in der Lage, ihre Truppen aus eigenen Mit­ teln zu unterhalten und schließlich abzudanken26. Im Gegenteil, sie versuchte, die eigenen Zuschüsse für die Armee zu minimalisieren und ihre Truppen nicht zuletzt durch die Reichsstände finanzieren zu lassen. Diesem Zweck diente Jahre zuvor schon der Heilbronner Bund, mit dessen Hilfe es Axel Oxenstierna im April 1633 gelang, die verbündeten protestantischen Reichsstände auf die Versorgung der gemeinsamen Armee zu verpflichten27. Die Bundesversammlung bot zugleich ein Forum für Beratungen über einen künftigen Friedensschluss und damit auch über die Si­ cherung des angestrebten Friedens. Wegen der großen personellen Kontinuität bei den Diplomaten des Heilbronner Bundes und des Westfälischen Friedenskongresses ist ein Blick auf die Entschlie­ ßungen des Bundes zum Thema Friedensassekuration zu werfen28: 24

Irmer (wie Anm. 4), 131ff; Weiand (wie Anm. 3), 50. Bettenhäuser, Erwin: Die Landgrafschaft Hessen-Kassel auf dem West­ fälischen Friedenskongress 1644–1648. Diss. phil. Mainz 1982. Wiesbaden 1983, 103–107. 26 Oschmann (wie Anm. 13), 41–46. 27 Ebd., 41, Anm. 24. 28 Folgende Gesandte nahmen sowohl an den Beratungen des Heilbronner Bundes teil als auch an jenen des Westfälischen Friedenskongresses: Tobi­ as Oelhafen von Schöllenbach (Nürnberg, beim Westfälischen Friedens­ kongress auch für die Fränkischen Grafen), Graf Johann von Sayn-Witt­ genstein (Wetterauer Grafen, beim Friedenskongress für Kurbrandenburg), Philipp Streuff von Lauenstein (Pfalz-Zweibrücken, beim Friedenskon­ 25

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Die Initiative, sich zu diesem Thema zu äußern, ging von Schwe­ den aus: Axel Oxenstierna ließ ab dem 10. August 1633 in Frank­ furt unter anderem über mögliche Friedensverhandlungen beraten. Zu den Ergebnissen gehörte eine Instruktion vom 13. September 1633, nach der sich Oxenstierna und der Bundesrat bei künftigen Friedensverhandlungen richten sollten. Sie besagte zum Thema As­ sekuration: Der Friedenssicherung soll der Heilbronner Bund un­ ter Einschluss anderer evangelischer Reichsstände dienen. Ferner soll der Friedensvertrag auf einem allgemeinen Reichstag approbiert werden und als ewiges, unabänderliches Gesetz in einen öffentli­ chen Reichsabschied als pragmatische Sanktion eingebracht werden. Er soll in die kaiserliche Wahlkapitulation aufgenommen und beim Reichskammergericht vorgelegt werden, damit es sich bei seiner Rechtsprechung danach richte. Zuwiderhandelnde sind als Feinde des Vaterlands und Friedbrecher anzusehen, gegen die man mit Ge­ walt vorgehen darf. Alle übrigen Reichsstände von beiden Konfes­ sionen sollen gehalten sein, jedem, der durch den Friedbrecher be­ drängt wird, mit äußerster Macht beizustehen29. Die meisten dieser gress für Kurpfalz, allerdings nicht zugelassen zu den kurialen Beratungen), Johann Konrad Varnbüler (Württemberg, beim Friedenskongress auch für Pfalz-Veldenz) und Johann Vultejus (Hessen-Kassel), siehe APW III A: Protokolle. Bd. 3: Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück. Teilbd. 1: 1645. Bearb. von Maria-Elisabeth Brunert. Münster 1998, Nr. 1 Anm. 17, Nr. 2 Anm. 42 und 65, Nr. 3 Anm. 26, Nr. 11 Anm. 58; Kretzschmar (wie Anm. 23), Bd. III, 75, 90, 394. Jakob Lampadius (Braunschweig-Wolfen­ büttel, beim Westfälischen Friedenskongress anfangs für das Gesamthaus, dann für Braunschweig-Calenberg) war in das Vorhaben eingebunden, die beiden sächsischen Reichskreise dem Heilbronner Bund anzuschließen, und gehörte einer Deputation de mediis pacis an, die am 25. Juli 1634 zu­ sammentrat (APW III A 3/1 Nr. 1 Anm. 14; Kretzschmar [wie Anm. 23] Bd. II, 311, 344; ebd., Bd. III, 339). Jobst Christoph Kreß von Kressen­ stein stand als Nürnberger Ratsherr und fränkischer Kreisrat in Kontakt mit dem Heilbronner Bund und Axel Oxenstierna; auf dem Westfälischen Friedenskongres votierte er für Nürnberg (APW III A: Protokolle. Bd. 3: Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück. Teilbd. 3: 1646. Bearb. von Maria-Elisabeth Brunert und Klaus Rosen. Münster 2001, Nr. 121 Anm. 3; Kretzschmar [wie Anm. 23], Bd. III, 476). Justus Sinold gen. Schütz, der Hessen-Darmstadt beim Friedenskongress vertrat, weilte als Gesandter des Landgrafen vorübergehend auf dem Frankfurter Bundestag, siehe ebd., Bd. I, 455. 29 Text: Sverges Traktater med främmande magter jemte andra dit hörande hanglingar. Bd. V.2: 1632–1645. Hrsg. von C. Hallendorff. Stockholm 1909,

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Maßnahmen dienten der Gewährleistung, der Garantie des Frie­ dens30. Außerdem war der Fall des eingetretenen Friedbruchs be­ dacht. Ein Teil der vorgesehenen Maßnahmen kehrt später in den Westfälischen Friedensverträgen wieder31. Diese Instruktion wurde zwar nie für den vorgesehenen Zweck be­ nötigt, blieb aber den Beteiligten sicherlich in Erinnerung. Zumin­ dest wurden die Unterlagen den Archiven einverleibt, sodass auf sie bei Bedarf zurückgegriffen werden konnte.

148–156. Punkt 6 behandelt die Friedenssicherung (155f). Die Inhaltsanga­ be bei Kretzschmar (wie Anm. 23), Bd. I, 451, ist zu diesem Punkt un­ vollständig. Zum weiteren Inhalt der Instruktion ebd., 450f. 30 „Garantie“ ist hier im juristischen Sinne als Verpflichtungserklärung ge­ meint. Guido Braun hat anhand der Quellen vom Westfälischen Frieden festgestellt, dass der Begriff im Französischen in diesem Sinne gebraucht wird, siehe Braun, Guido: Die französische Diplomatie und das Problem der Friedenssicherung auf dem Westfälischen Friedenskongress. In: Asse­ curatio pacis. Französische Konzeptionen von Friedenssicherung und Frie­ densgarantie 1648–1815. Hrsg. von Guido Braun. (Schriftenreihe der Ver­ einigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 35) Münster 2011, 67–130, hier 69. Dasselbe trifft auch auf den Wortgebrauch im deutschen Kontext zu, siehe z.B. APW III A: Protokolle. Bd. 3: Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück. Teilbd. 7: Juli–September 1648. Bearb. von Ma­ ria-Elisabeth Brunert. Münster 2012, 59 Z. 6ff. 31 Sverges Traktater, Bd. V.2 (wie Anm. 29), 155f: Der Friede soll auf ei­ nem allgemeinen Reichstag approbiert werden; in vim Legis perpetuo valiturae, darinen zue ewigen Zeitten nichts zue endern, soll der Friede als „sanctio pragmatica“ in einen Reichsabschied gebracht werden; er soll dem Reichskammergericht insinuiert und der kaiserlichen Wahlkapitulation ein­ verleibt werden; Zuwiderhandelnde sollen pro hostibus patriae vnnd violatoribus pacis publicae gehallten werden; gegen Friedensstörer darf Gewalt angewendet werden; alle übrigen Stände beider Konfessionen sollen ver­ pflichtet sein, dem bedrängten mit äußerster Macht beizustehen. Vgl. da­ mit Art. XVII,2 IPO: der Friede soll als perpetua lex et pragmatica Imperii sanctio dem nächsten Reichsabschied und der kaiserlichen Wahlkapitula­ tion einverleibt werden. Das Vorgehen gegen Friedensbrecher ist insofern abweichend geregelt, als einem gewaltsamen Vorgehen eine Abmahnung vorangehen muss und ein gütlicher oder rechtlicher Vergleich versucht werden soll (Art. XVII,5 IPO).

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Auf dem Weg zu den Westfälischen Friedensverhandlungen In den folgenden Jahren hatten die Reichsstände wenig Anlass, sich über die Sicherung eines künftigen allgemeinen Friedens Ge­ danken zu machen; zumindest waren andere Anliegen vordring­ licher. Dazu gehörte die reichsständische Beteiligung an der Aus­ handlung eines Friedensvertrags, über dessen Sicherung dann zu gegebener Zeit etwas zu sagen war. Bekanntlich traten die meis­ ten Reichsstände dem kaiserlich-kursächsischen Prager Friedens­ schluss vom 30. Mai 1635 bei, der als allgemeiner Friedensschluss konzipiert war und sowohl die auswärtigen Mächte, die den Ver­ tragsparteien während des Krieges Hilfe geleistet hatten, als auch die übrigen Reichsstände zum Beitritt aufforderte. Zwar folgten die meisten Reichsstände dieser Aufforderung, doch weder Schwe­ den noch Frankreich, das kurz zuvor, am 19. Mai 1635, Spanien den Krieg erklärt hatte32, schlossen sich an. Der Prager Vertrag verfehl­ te damit sein Ziel und hat weder den Frieden herbeigeführt noch ihn gar gesichert. Nicht nur Schweden, sondern zumindest ein Teil jener Reichsstände, die dem Friedensvertrag beigetreten waren, sa­ hen es als seinen Hauptmakel an, dass sie nicht an seiner Aushand­ lung beteiligt worden waren33. Ihr Streben richtete sich also darauf, an dem Zustandekommen des immer dringlicher ersehnten allge­ meinen Friedensschlusses aktiv beteiligt zu werden34. Die Reichs­ 32

Tischer, Anuschka: Französische Diplomatie und Diplomaten auf dem Westfälischen Friedenskongress. Außenpolitik unter Richelieu und Ma­ zarin. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Ge­ schichte e.V., 29) Münster 1999, 188. Es erfolgte keine Kriegserklärung an den Kaiser, siehe Tischer, Anuschka: Offizielle Kriegsbegründungen in der Frühen Neuzeit. Herrscherkommunikation in Europa zwischen Souve­ ränität und korporativem Selbstverständnis. (Herrschaft und soziale Syste­ me in der Frühen Neuzeit, 12) Münster 2012, 238f, Anm. 16. 33 Das ist auch in der schwedischen Replik vom 7. Januar 1646 zum Ausdruck gebracht, wo es heißt: Nun wäre es manifest und offenbar, daß der Prager Friede unbefraget und sonder Vorbewust derjenigen, so das meiste Interesse darinn hätten, gemachet, und hernacher mit Zwang und Bedrohung einem und andern aufgedrungen [...]; Meiern, Johann Gottfried von: Acta Pacis Westphalicae Publica Oder Westphälische Friedens=Handlungen und Ge­ schichte Zweyter Theil [...]. Hannover 1734, 194. 34 Dem gegenwärtigen Forschungsstand zufolge waren es unter den Reichs­ ständen vor allem die Herzöge von Braunschweig-Lüneburg, welche die Vorstellung entwickelten, dass der (1640/41 in Regensburg tagende)

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stände des Fränkischen Kreises, die stärker als andere von direkten Kriegseinwirkungen betroffen waren, beschlossen bereits im März 1642 die Entsendung einer eigenen Gesandtschaft zu den Friedens­ verhandlungen35. Es währte aber bis zum 28. Januar 1645, bis die Hauptinstruktion für die Fränkische Kreisgesandtschaft vorlag. Die Reichsstände des Schwäbischen Kreises zogen nach und verabschie­ deten die Instruktion für ihre Gesandten am 30. Januar 1645. Beide Instruktionen wurden auch außerhalb des Fränkischen und Schwä­ bischen Reichskreises bekannt und trugen dazu bei, dass immer mehr Reichsstände Gesandte nach Münster und Osnabrück abord­ neten. Wenn sich die Reichsstände des Fränkischen und Schwäbischen Reichskreises auch schon lange vor dem Kongress Gedanken über die bevorstehenden Verhandlungen machten, so betraf das doch nicht Fragen der Sicherheit des künftigen Friedens. Auch in der kurbayerischen Hauptinstruktion vom 12. Dezember 1644 findet sich dazu nichts Konkretes36. Und in der erst vom 31. Juli 1645 da­ Reichstag und die geplanten Friedensverhandlungen zusammengelegt und gemeinsam durchgeführt werden sollten. Siehe dazu Langenbeck, Wil­ helm: Die Politik des Hauses Braunschweig-Lüneburg in den Jahren 1640 und 1641. (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens, 18) Hannover, Leipzig 1904, 28f; Bierther, Kathrin: Der Regensburger Reichstag von 1640/41. (Regensburger Historische Forschungen, 1) Kall­ münz 1971, 138; Weiand (wie Anm. 3), 92. Übereinstimmend wird dabei dem Calenberger Gesandten Jakob Lampadius eine wichtigere Rolle als sei­ nen Kollegen zugesprochen. Siehe dazu auch Reimann, Michael: Der Gos­ larer Frieden von 1642. (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Nie­ dersachsens, 90) Hildesheim 1979, 16f. 35 Dietz, Heinrich: Die Politik des Hochstifts Bamberg am Ende des Drei­ ßigjährigen Krieges. (Historischer Verein für die Pflege der Geschichte des ehemaligen Fürstbistums Bamberg, Beiheft 4) Bamberg 1968, 104. Zur Ent­ stehung der Hauptinstruktion des Fränkischen Reichskreises siehe ebd., 117–130. Zum Inhalt der Hauptinstruktion des Schwäbischen Reichskreises siehe Brunert (wie Anm. 18), 67, Anm. 64. 36 Edition: Immler, Gerhard: Die Instruktionen von 1644. (Die diplomati­ sche Korrespondenz Kurbayerns zum Westfälischen Friedenskongress, 1; Quellen zur neueren Geschichte Bayerns, I) München 2000, 27–63. Bay­ ern war als Mitglied der kurfürstlichen Kurie von vornherein zu den Frie­ densverhandlungen zugelassen, wenn auch, wie es der Kaiser anfangs nach dem Herkommen zu limitieren suchte, nur zur Assistenz der kaiserlichen Gesandtschaft. Die bayerische Hauptinstruktion ist hier – neben der gleich zu nennenden sachsen-altenburgischen – genannt, weil von ihr, ebenso wie

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tierenden sachsen-altenburgischen Hauptinstruktion werden nur die inzwischen bekannt gewordenen schwedischen Friedensvor­ schläge vom 11. Juni 1645 referiert und damit die einschlägigen Punkte 17 und 18, die (allerdings wenig ausführlich) das Vorgehen bei Friedensbruch und die Beurkundung des Vertrags behandeln37. Ein Kommentar oder eigener Beitrag dazu fehlt. Es hat demnach nicht den Anschein, als hätten sich die Reichsstände als Vorberei­ tung auf das Kongressgeschehen viele Gedanken über die Siche­ rung des auszuhandelnden Friedens gemacht. In den Jahren 1642 bis 1645 absorbierte sicherlich die strittige Frage nach Teilnahme an oder Absenz von den Verhandlungen einen Großteil des Bestre­ bens, das sich auf die Befriedung des Reiches richtete. Die Bereitschaft der Reichsstände zur Teilnahme am Kongress wur­ de durch Schweden und Frankreich gestärkt. Ab April 1643 luden beide Kronen sämtliche Reichsstände mehrfach dazu ein38, wäh­ rend der Kaiser lange zögerte, ihre Beteiligung zuzugestehen. Aus reichsständischer Sicht war die Lage also unklar, zumal es mehrere Modelle ihrer Mitwirkung gab, wobei es sowohl um den Kreis der von jener, eine historisch-kritische Edition vorliegt. Davon abgesehen war Bayern als einer der wenigen armierten Reichsstände besonders wichtig. Das trifft auch auf Sachsen-Altenburg zu, das von vornherein besonderes Engagement in konfessionellen Fragen zeigte und seit Herbst 1647 das Di­ rektorium im Corpus Evangelicorum führte. 37 Edition der sachsen-altenburgischen Instruktion in: Brunert (wie Anm. 18), 78–92; zu Punkt 17 und 18: 85. Text der schwedischen Proposition II: Meiern, Johann Gottfried von: Acta Pacis Westphalicae Publica Oder Westphälische Friedens=Handlungen und Geschichte Erster Theil [...]. Hannover 1734, 435–438 (Punkt 17 und 18: 438). Punkt 17 besagt, dass Schweden und Frankreich sowie sämtliche Reichsstände bei Friedensbruch dem Bedrängten sogleich mit Waffengewalt zu Hilfe eilen sollen. Derarti­ gen Maßnahmen ist in Art. XVII, 5 und 6 IPO eine mehrjährige Frist vor­ geschaltet, die zur friedlichen Beilegung eines Streits genutzt werden muss. Zu Punkt 18 der Proposition II siehe unten 251f. 38 Schweden wandte sich mit seiner Einladung im April und erneut im No­ vember 1643 zunächst an die protestantischen Reichsstände. Am 6. April 1644 lud Frankreich sämtliche Reichsstände zur Teilnahme ein; auch an den in Frankfurt tagenden Reichsdeputationstag erging ein Schreiben. Am 4. September 1644 sandte Frankreich ein neues Rundschreiben an die Reichs­ stände, am 14. Oktober folgte Schweden mit einem entsprechenden Zir­ kular, siehe Dickmann (wie Anm. 3), 115, 164–168, 534, 541 (dort weitere Hinweise).

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mitwirkenden Reichsstände als auch um die Art der Mitwirkung ging. Als erste reichsständische Gesandte erschienen jene von Hes­ sen-Kassel und Braunschweig-Lüneburg schon im Sommer 1644 in Osnabrück, da sie zu jenen gehörten, die laut Hamburger Prälimi­ narvertrag vom 25. Dezember 1641 als Verbündete Schwedens und Frankreichs vom Kaiser Geleitbriefe für den Kongress erhalten hat­ ten39. Ohne die Debatten um die reichsständische Mitwirkung ver­ folgen zu wollen, genügt es hier, dass die reichsständischen Gesand­ ten (von Ausnahmen abgesehen) schließlich durch das kaiserliche Zirkularschreiben vom 29. August 1645 mit Stimmrecht (cum iure suffragii40) zum Kongress zugelassen wurden. Beratungen und Entwürfe zur Friedensassekuration 1645/46 Schon bevor die kaiserliche Einladung zu den Friedensverhand­ lungen ihre reichsständischen Adressaten erreichte, hatten eini­ ge mit Beratungen begonnen, die zunächst Verfahrensfragen betra­ fen41. Substanzielle Friedensvorschläge lagen seit dem 11. Juni 1645 vor, als Schweden und Frankreich gleichzeitig ihre Friedenspropo­ sitionen II mitteilten. Die Beratungen über sie und später zugleich 39

Ebd., 104. Scheffer (Hessen-Kassel) traf im Juni und Lampadius (Braun­ schweig-Lüneburg) im Juli 1644 in Osnabrück ein (APW III A 3/1 [wie Anm. 28], CXLI). 40 Genauer lautet die Passage: Die Reichsstände sollen dem Kaiser assistieren und dabei ihr freies Jus suffragii gebrauchen, vgl. Gärtner, Carl Wilhelm: Westphälische Friedens-Cantzley, Darinnen die von Anno 1643. biß Anno 1648. [...] geführte Geheime Correspondence [...] enthalten. Theil 5. Leip­ zig 1735, 894–897, hier 895. 41 Die erste förmliche Sitzung des Kurfürstenrats datiert vom 31. August 1645, siehe APW III A: Protokolle. Bd. 1: Die Beratungen der kurfürst­ lichen Kurie. Teilbd. 1: 1645–1647. Bearb. von Winfried Becker. Münster 1975, Nr. 39. Der damals noch rein protestantisch besetzte Fürstenrat Os­ nabrück beriet hingegen schon seit dem 28. Juli 1645, siehe APW III A 3/1 (wie in Anm. 28), Nr. 2, ferner ebd., LXXVIII, zum wechselnden institu­ tionellen Charakter dieser Beratungen vom Sommer 1645 bis Anfang Feb­ ruar 1646. Der (durchgängig protestantisch besetzte) Städterat Osnabrück führte (parallel zum Fürstenrat) ab dem 28. Juli 1645 Sitzungen durch, siehe APW III A: Protokolle. Bd. 6: Die Beratungen der Städtekurie Osnabrück 1645–1649. Bearb. von Günter Buchstab. Münster 1981, Nr. 1 (Datierung dort nach altem Stil).

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über die kaiserlichen Responsionen (vom 25. September 1645) und über die entsprechenden Repliken der Kronen (vom 7. Janu­ ar 1646) gaben den Reichsständen Gelegenheit, sich auch über die Assekuration des Friedensschlusses zu äußern und die unterschied­ lichen Meinungen darüber schließlich in einem Gutachten für die kaiserlichen Gesandten zusammenzufassen. Dieses Gutachten war von den kaiserlichen Gesandten am 25. September bei der Eröff­ nung der kaiserlichen Responsionen an die Reichsstände angefor­ dert worden42. Allerdings erfolgte die ordnungsgemäße Einberu­ fung der Reichsstände durch das Reichsdirektorium zu regulären Sitzungen erst Anfang Februar 1646. Daher haftet den Beratungen, die die Protestanten aus Fürstenrat und Städterat im Herbst 1645 in Osnabrück durchführten, etwas Irreguläres an. Sie gingen sehr ziel­ strebig und eilig vor, um mit der Behandlung der Friedensvorschlä­ ge Frankreichs, Schwedens und des Kaisers möglichst weit zu kom­ men, bevor das Österreichische Direktorium in Osnabrück eintraf und ordnungsgemäße und dann bikonfessionell besetzte Fürsten­ ratssitzungen einberief. Um die materialreichen Friedensvorschläge zügig durchnehmen zu können, bildeten sie einen vierköpfigen Ausschuss, der ab dem 11. Oktober 1645 die Propositionen und die darauf bezüglichen kaiser­ lichen Responsionen Punkt für Punkt vornahm und erste Entwür­ fe für das spätere reichsständische Gutachten erstellte43. Im Rah­ men dieser Ausschusssitzungen wurde auch über die Assekuration des künftigen Friedens beraten. Am 18. Oktober nahmen dazu die Gesandten von Sachsen-Altenburg, Braunschweig-Lüneburg so­ wie jene der Fränkischen Grafen und der Stadt Straßburg Stellung. Der Sachsen-Altenburger Gesandte Thumbshirn, der dem Gremi­ um vorsaß, befand allerdings, dass es dazu zurzeit nichts zu sagen gebe, sondern die Sicherung des Friedens künftig ausgehandelt wer­ den müsse. Hingegen hatte der Braunschweiger Lampadius, wie es seiner vieljährigen Erfahrung als Diplomat44 und wohl auch sei­ nem Temperament entsprach, eine ganze Reihe von Anmerkungen 42

Siehe APW III A 3/1 (wie Anm. 28), 206, Anm. 1. Fünf Ausschusssitzungen wurden protokolliert, siehe ebd., Nr. 24–28. Der Ausschuss tagte noch weitere zehn oder (nach anderer Überlieferung) sie­ ben Mal, doch ist von diesen Sitzungen kein Protokoll überliefert (ebd., 404, Anm. 50). 44 Siehe Anm. 28. 43

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zu machen. Obwohl er meinte, dass erst am Ende der Verhand­ lungen über dieses Thema zu reden sei, referierte er doch, wel­ che Vorschläge er seinem Fürsten (Herzog Christian Ludwig von Braunschweig-Calenberg) zur Friedensassekuration unterbreitet hatte. Sein erster Punkt betrifft die (konfessionelle) Machtvertei­ lung in den Reichskreisen: Österreich und Bayern würden in fast allen Kreisen dominieren, da sie die (Erz- und Hoch-)Stifte an sich zögen. Daher gehe sein Vorschlag dahin, Schweden dazu zu bewe­ gen, gemäß dem Konzil von Trient die Forderung nach dem Verbot der Pfründenhäufung zu stellen45. Bemerkenswert ist die von ihm vorgeschlagene Taktik: Er will sein Ziel erreichen, indem er Schwe­ den motivieren will, seine beziehungsweise die reichsständische Forderung als eigene zu übernehmen. Überraschend ist diese Tak­ tik nicht, wenn man bedenkt, dass Lampadius nach eigener Aussa­ ge schon dreißig Jahre zuvor die Bekanntschaft von Salvius gemacht hatte46. Es ist eine bis heute ungeklärte Frage, ob die Verbindung Lampadius – Salvius Auswirkungen auf die Verhandlungen hat­ te und Schweden durch die private Bekanntschaft der beiden Ge­ sandten motiviert wurde, sich reichsständischer Forderungen anzu­ nehmen. Lampadius’ Bericht in der Sitzung des Ausschusses am 18. Oktober lässt jedenfalls den Schluss zu, dass er den Versuch unter­ nahm, seine langjährige Bekanntschaft mit Salvius in Verhandlungs­ erfolge auf dem Friedenskongress umzumünzen. Die Annahme, auf dem Kongress mit schwedischer Hilfe ein Ver­ bot der Pfründenhäufung durchsetzen zu können, scheint aller­ dings unrealistisch, und diese Forderung ist auch bald aufgegeben worden. Dasselbe gilt vom nächsten Vorschlag des braunschwei­ gischen Gesandten: Ausweisung der Jesuiten47. Das war eine alte protestantische Forderung, die gelegentlich und punktuell sogar schon durchgesetzt worden war48. Lampadius hat selbst erkennen lassen, dass er nicht an ihre Durchsetzbarkeit glaubte, sondern sie nur vorschlug, um das Ansehen der Jesuiten zu untergraben. Ob er dieses Ziel erreicht hat, ist schwer zu beurteilen, doch hat er da­ mit jedenfalls seinen eigenen Ruhm – zumindest in konfessionell einschlägigen Kreisen – vergrößert: Der Historiker Spittler stell­ 45

APW III A 3/1 (wie Anm. 28), 399f Z. 31ff und 400 Z. 1ff. Ebd., LXXXII. 47 Ebd., 400 Z. 4ff. 48 Siehe Anm. 10. 46

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te 1786, also zu einer Zeit, als der Jesuitenorden aufgehoben war, die rhetorische Frage: Wer freut sich nicht des Gedankens, wenn es Lampadius durchgetrieben hätte, daß ein ewiges Exilium der Jesuiten aus Deutschland ein Hauptartikel des Westphälischen Friedens geworden wäre, wer freut sich nicht des muthvollen Mannes […]49. Die dritte Forderung hängt mit der zweiten eng zusammen: Dass der Beichtvater des Kaisers nichts mit den consiliis politicis zu schaf­ fen haben solle50. Die in der Praxis oft nicht vermeidbare Einmi­ schung von Hofbeichtvätern in politische Angelegenheiten stell­ te tatsächlich, auch für den Jesuitenorden selbst, ein Problem dar51. Die Frage war allerdings, zumindest bei den Friedensverhand­ lungen, höchstens ein Thema für die Protestanten und fand keinen Niederschlag in den Verträgen. Hatten die ersten drei Vorschläge des Lampadius, die er Herzog Christian Ludwig als Maßnahmen zur Friedensassekuration un­ terbreitet hatte, konfessionelle Implikationen und bezeichneten Maßnahmen, die wirkliche oder angebliche Konfliktpotenziale be­ seitigen sollten, so trifft das nicht auf seinen vierten und letzten Vorschlag zu: Die Verfassung der Reichskreise sei in stand zu brin-

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Spittler, Ludwig Timotheus: Geschichte des Fürstenthums Hannover seit den Zeiten der Reformation bis zu Ende des siebenzehnten Jahrhunderts. Zweyter Theil, Göttingen 1786, 143. Spittler (1752–1810, 1806 Freiherr [württembergischer Adel]) stammte aus einer Familie, die ursprünglich in Krain ansässig war und aus konfessionellen Gründen nach Württemberg und der Pfalz auswanderte. Bis 1797 Professor in Göttingen und dann in herzoglich württembergischen Diensten, zählt Spittler zu den Begrün­ dern der Landesgeschichte in Deutschland, siehe Fleischer, Dirk: Artikel „Spittler, Ludwig Timotheus Frhr. von“. In: Neue Deutsche Biographie. Bd. 24. Berlin 2010, 715f. 50 Beichtvater Kaiser Ferdinands III. war seit 1636 der Jesuit Johann Gans. Der Kaiser holte sein Gutachten auch zu Fragen ein, die auf dem Westfäli­ schen Friedenskongress behandelt wurden oder mit ihm in Zusammenhang standen (Duhr S.J., Bernhard: Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge. Bd. 2: Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge in der ersten Hälfte des XVII. Jahrhunderts. Zweiter Teil. Freiburg im Breisgau 1913, 234f). Siehe auch Anm. 9. 51 Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm zu Neuburg verwendete Jesuiten, allerdings nicht seinen jeweiligen Beichtvater, gern für administrative, diplomatische oder politische Aufgaben, was der Orden ihm verwies, siehe Duhr (wie Anm. 50), 269f. Siehe auch Anm. 9.

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gen; künftig solle darwieder keine inhibitio Caesarea statthabe[n]52. Zu den Aufgaben der Reichskreise zählte bekanntlich (unter ande­ rem) der Schutz des Landfriedens. Hier hat Lampadius also eine In­ stitution angesprochen, die ganz konkret mit Friedenswahrung be­ fasst war. Wenn er die Instandsetzung, also eine Reform, forderte, so war es doch nicht so, dass die Reichskreise durch oder doch während des Krieges in Verfall geraten wären53. Vielmehr war die „Redintegratio(n)“ der Kreise (wie der Terminus technicus laute­ te) ein seit dem 16. Jahrhundert immer wiederholtes Phänomen54, und so war es auch schon während des Krieges zu einer Bestätigung und Verfestigung der Reichskreisverfassung gekommen. Im Pra­ ger Frieden wurde sie bestätigt. Durch die Wahlkapitulation von 1636 wurden die Aufgaben der Reichskreise dahingehend erweitert, dass Märsche und Einquartierungen nur mit Vorwissen der Kreis­ obersten und der betroffenen Kreisstände zulässig sein sollten55. Al­ lerdings waren viele Reichsstände, vor allem angesichts der Defizite in der kaiserlichen Kriegführung, in Wiederaufnahme älterer For­ derungen der Ansicht, dass den kreisständischen Bewilligungen für die Reichsarmee eine Kontrolle über die Verwendung der Gelder und andere Befugnisse entsprechen müssten. Ein solches Konzept einer ständisch-autonomen Auffassung der Defension konnte der Kaiser allerdings erfolgreich verhindern56, was bei zunehmenden Mängeln in der kaiserlichen Reichsarmee wiederum die Stände auf­ brachte. Es gab also unter ihnen durchaus Unzufriedenheit mit der 52

APW III A 3/1 (wie Anm. 28), 400 Z. 9f. Magen wandte sich schon 1982 gegen die Auffassung, daß einige Kreise während des Krieges ihre Tätigkeit ganz oder in bestimmten Zeitabschnitten eingestellt hätten. Der scheinbaren Ineffizienz der Kreise stehe vielmehr der Befund entgegen, dass man während des Krieges im politischen Planen und Handeln immer wieder auf sie zurückgriff (Magen, Ferdinand: Die Reichskreise in der Epoche des dreißigjährigen Krieges. Ein Überblick. In: Zeitschrift für historische Forschung 9 [1982], 409–460, hier 411, 414). 54 Ebd., 458 (auch zu dem Begriff „Redintegration“). 55 Ebd., 449f. 56 Foerster, Joachim F.: Kurfürst Ferdinand von Köln. Die Politik seiner Stifter in den Jahren 1634–1650. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Er­ forschung der Neueren Geschichte e.V., 6) Münster 1976, 237; danach Ma­ gen (wie Anm. 53), 454. Zum Kölner Militärreformprogramm der Jahre ab 1638, das sich weitgehend an traditionellen Klagen und Forderungen der Reichsstände orientierte, siehe Foerster (wie oben), 162. 53

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Kreisverfassung, und zwar vor allem in Hinblick darauf, welche Be­ fugnisse ihnen und welche dem Kaiser zukamen. In diesen Zusam­ menhängen ist Lampadius’ Forderung zu sehen, die Reichskreis­ verfassung sei in stand zu bringen57, da er von einer kaiserlichen Inhibition (einem kaiserlichen Verbot) spricht, die künftig nicht mehr entgegenwirken solle. Die übrigen beiden Ausschussmitglieder, die Gesandten der Frän­ kischen Grafen (Oelhafen von Schöllenbach) und der Stadt Straß­ burg (Marcus Otto), hatten am 18. Oktober den Voten ihrer Vor­ redner, also vor allem jenem des Lampadius, nichts hinzuzufügen. Als Direktor des Ausschusses rekapitulierte Thumbshirn das Ge­ sagte, benannte aber noch drei weitere Punkte, die, sofern das Pro­ tokoll zuverlässig ist, vorher nicht angeführt worden waren. Zwei davon betreffen die Garantie des künftigen Friedens: Einrückung des Vertrags in die kaiserlichen Wahlkapitulationen und Vereidi­ gung der Assessoren des Reichskammergerichts auf den Frieden58. Ein weiterer Punkt folgt auf die Rekapitulation des von Lampa­ dius Referierten und schließt sich an die Erwähnung der Jesuiten an: daß wieder diesen frieden nicht soll geschrieben oder die scribenten alß turbatores pacis publicae gehalten werden59. Damit sind jene gemeint, die sich in polemischer Absicht gegen die künftigen Friedensverträge wenden würden, und zwar ist in erster Linie wie­ derum an die Jesuiten gedacht, wie ein Schriftsatz zur Friedenssi­ cherung zeigt, den das Corpus Evangelicorum im März 1646 den schwedischen Gesandten überreichte60. Dort behandelt Punkt 7 die Jesuiten, deren Ausweisung ein Stabilimentum Pacis sein wür­ de. Zumindest müssten die Katholiken dafür sorgen, dass die Jesui­ ten künftig contra fidem publicam nichts lehren noch schreiben, oder gewärtig seyn, daß sie als turbatores Reipublicae angeklaget, coerciret und ernstlich abgestraffet werden [...]. Der Kern dieser Aussa­ ge begegnet bereits in der Ausschusssitzung vom 18. Oktober 1645. 57

Wie Anm. 52. In den Friedensverträgen wird die Wiederherstellung der Reichskreisverfassung in Art. XVII,8 IPO = § 117 IPM verfügt (redinte­ grentur circuli), um Unruhe oder Aufruhr in der herkömmlich vorgesehe­ nen Weise begegnen zu können. Allerdings wird diese Wiederherstellung auf den nächsten Reichstag verschoben (Art. VIII,3 IPO = § 64 IPM). 58 APW III A 3/1 (wie Anm. 28), 400 Z. 12–15, 17ff. Ähnliches wurde bereits von den Mitgliedern des Heilbronner Bundes bedacht (wie Anm. 29). 59 APW III A 3/1 (wie Anm. 28), 400 Z. 1ff. 60 Meiern II (wie Anm. 33), 488f, der gleich behandelte Punkt 7: 489.

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Diese von den Protestanten geplante oder jedenfalls favorisierte Maßnahme hat ebenso wenig wie die Ausweisung der Jesuiten Auf­ nahme in die Westfälischen Friedensverträge gefunden. Hingegen ist eine gut vier Wochen zuvor im Fürstenrat Osnabrück besprochene friedenssichernde Maßnahme in veränderter Form schließlich in das IPO und das IPM aufgenommen worden. Es geht um die spätere sogenannte Antiprotestklausel. Der Keim dazu wur­ de bereits in den Präliminarverhandlungen zwischen den Reichs­ ständen in Münster und Osnabrück Mitte September 1645 gelegt. In einem Beschluss des Fürstenrats Münster über den Modus con­ sultandi vom 2. September stand unter Punkt 5, dass das, was bera­ ten, verhandelt, geschlossen und vom Kaiser ratifiziert worden sei, als „beständiger“ Reichs- und Friedensschluss gelten solle61. Der Fürstenrat Osnabrück entwarf „Notae“ zu diesem und sämtlichen anderen Punkten des Beschlusses und beriet am 14. September da­ rüber. In dem Entwurf dieser „Notae“, der nicht erhalten ist und vermutlich vom Direktorium Magdeburg aufgesetzt wurde, waren bereits mögliche Proteste gegen den Frieden erwähnt: Sie sollten ungültig sein. Als über den Entwurf im Fürstenrat Osnabrück bera­ ten wurde, dachten die Gesandten von Sachsen-Weimar und Braun­ schweig-Lüneburg (Heher und Lampadius) bei den Protesten zu­ nächst an solche der abwesenden, nicht vertretenen Reichsstände. Noch waren nicht alle Gesandten in Westfalen eingetroffen, und bei einigen Reichsständen war es zu diesem Zeitpunkt wohl noch frag­ lich, ob sie den Kongress tatsächlich beschicken würden. Unter den besonders lange zögernden war zum Beispiel Kursachsen, das we­ nig Interesse an den Verhandlungen hatte, weil es durch den Pra­ ger Frieden saturiert war. Magdeburg aber hatte Bedenken gegen eine nähere Bestimmung derjenigen, die gegen den Frieden Protest einlegen könnten, und wurde darin von Sachsen-Altenburg bestär­ kt: Thumbshirn erinnerte an den Protest des Kardinals Otto Truch­ seß von Waldburg gegen den Augsburger Religionsfrieden (1555) und an die Proteste des apostolischen Nuntius am Kaiserhof Gas­ paro Mattei gegen die Amnestie und andere Konzessionen an Pro­ testanten in den Jahren 1641 und 1642. In der Endfassung der „No­ tae“ hieß es entsprechend, dass gegen den Frieden kein Reservat noch Proposition gegenwärtig noch künfftig gelten noch gehöret

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Meiern I (wie Anm. 37), 580.

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werden solle62. Außerdem sollte der Friede nicht nur beständig sein, wie der Fürstenrat Münster meinte, sondern auch unwiderruflich63. Im Schriftsatz des Corpus Evangelicorum zur Friedensgarantie, der am 15. März 1646 im Fürstenrat Osnabrück und am 27. April 1646 bei der Re- und Correlation verlesen wurde, ist der Sachver­ halt in stark amplifizierter, aber auch etwas verhüllender Form als Punkt 6 aufgenommen64. Wahrscheinlich wurde der Schriftsatz auch der Correlation des Fürstenrats beigelegt, die ihrerseits als Teil des reichsständischen „Bedenkens“ zu den Friedensvorschlägen des Kaisers, Frankreichs und Schwedens am 27. April 1646 den kaiser­ lichen Gesandten überreicht wurde65. Jedenfalls hat Thumbshirn bereits im September 1645 an einen möglichen Protest des Papstes gegen den Frieden gedacht, da er an die Proteste des Nuntius Mattei erinnerte. Er war also sachlich gut vorbereitet, ohne allerdings not­ wendigerweise originell zu sein, denn auch über Vorkehrungen ge­ gen katholische und vor allem päpstliche Einsprüche zur assecuration eines Friedens war schon elf Jahre zuvor nachgedacht worden: Als im Juli 1634 der Ober- und der Niedersächsische Reichskreis über die Bedingungen eines Friedensschlusses berieten, sah Kur­ brandenburg in seinem Entwurf de assecuratione vor, dass die ka­ tholischen Reichsstände alle den Vertrag vollziehen und von vornherein auf alles verzichten [sollten], was etwa der Papst und ein Konzil dagegen einwenden würden66. Die Antiprotestklausel der Westfälischen Friedensverträge, der wir im Nucleus bereits in der Beratung des (damals ausschließlich evangelisch besetzten) Fürstenrats Osnabrück vom 14. Septem­ 62

APW III A 3/1 (wie Anm. 28), 168 Z. 12, 33, 36–40; 184, Anm. 22. Meiern I (wie Anm. 37), 580. 64 Dazu Dickmann (wie Anm. 3), 339, mit der Erklärung, dass ein etwaiger künftiger Protest der Kurie nicht geradezu durch eine Verwahrung gegen ihn provoziert werden sollte. Besagter Punkt 6 kehrt in nochmals erweiter­ ter Form (mit ausdrücklicher Nennung von Protesten) in Art. XVII,3 IPO = § 113 IPM wieder. 65 APW III A 3/3 (wie Anm. 28), 340 Z. 1–7 mit Anm. 34 und 416 Z. 1; Mei­ ern II (wie Anm. 33), 487. Zur Präsentation des „Bedenkens“ an die kai­ serlichen Gesandten in Osnabrück siehe APW III A 3/3, Nr. 121. 66 Kretzschmar (wie Anm. 23), Bd. II, 342. Kurbrandenburg sah sogar vor, dass der Papst seine Zustimmung zum Frieden geben solle. Die Nieder­ sachsen lehnten das jedoch ab, weil so dem Papst das Recht zuerkannt wer­ de, sich in die Reichsangelegenheiten zu mischen (ebd., 343). 63

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ber 1645 begegnen, war nicht nur wegen der später tatsächlich re­ alisierten päpstlichen Proteste von Bedeutung, sondern auch we­ gen jener, die von einzelnen Reichsständen eingelegt wurden. Im Wissen um die Antiprotestklausel in Art. XVII,3 IPO = § 113 IPM protestierten zum Beispiel am 6. August 1648, als das IPO stipu­ liert wurde, vor oder während der Sitzung Kurbrandenburg, Salz­ burg, Pfalz-Neuburg, Hessen-Kassel, Nassau-Saarbrücken und die Reichsstadt Bremen67. Sie konnten sich damit, eben weil es die be­ sagte Klausel gab, ihre Rechte vorbehalten, ohne den Frieden als Ganzes zu gefährden. Im Anschluss an die Ausschussberatungen vom Oktober 1645 teilten sich die vier Mitglieder desselben die Aufgabe, einen Ent­ wurf für ein reichsständisches Gutachten zu verfassen 68 . Im No­ vember 1645 wurde im größeren Kreis des (immer noch rein protestantisch besetzten) Fürstenrats Osnabrück über diesen so­ genannten „Ersten Entwurf“ beraten und dabei wurden auch Er­ gänzungswünsche geäußert. So wird nochmals die Ausweisung der Jesuiten gefordert, dieses Mal vom Mecklenburger Gesand­ ten, der ihre ausschaffung zur assecuration des religionfriedens für nötig hielt, auch deshalb, weil sie aufrührerische Schriften (scripta seditiosa) verbreiten würden 69. Der Schluss lautete, dass 67

APW III A 3/7 (wie Anm. 30), Nr. 213 Anm. 12, Nr. 214 Anm. 6 und 13. Kurbrandenburgs Protest richtete sich gegen vorherige Proteste Kursach­ sens (siehe Anm. 18). Nur Bremen und Hessen-Kassel protestierten wäh­ rend der Sitzung, was an sich zuvor untersagt worden war. Baden-Durlach, das ebenfalls (wegen strittiger Rechte an der Kellerei Malsch) Grund zum Protest hatte, war wohl deswegen nicht anwesend, protestierte also durch Abwesenheit, wie auch Bremen nonverbal protestierte. Am 14. Oktober 1648 protestierte auch der päpstliche Nuntius und Mediator Chigi, der ge­ gen das unterzeichnete IPO erneut am 26. Oktober 1648 Protest einlegte, ferner am 19. Februar 1649 gegen die Ratifikation des gesamten Vertrags­ werks und am selben Tag gesondert gegen das IPM (Feldkamp, Michael: Das Breve „Zelo domus Dei“ vom 26. November 1648. Edition. In: Archi­ vum Historiae Pontificiae 31 [1993], 293–305, hier 296; ebd., 301–305 Edi­ tion des erst im August 1650 publizierten Breve). 68 APW III A 3/1 (wie Anm. 28), 392 Z. 18ff und 394, Anm. 42. Text des „Ersten Entwurfs“: Meiern I (wie Anm. 37), 740–765. 69 APW III A: Protokolle. Bd. 3: Die Beratungen des Fürstenrates in Osna­ brück. Teilbd. 2: 1645–1646. Bearb. von Maria-Elisabeth Brunert. Münster 1998, 107 Z. 19f und 36: Votum des mecklenburgischen Gesandten Kayser, der auch vermerkte, dass die Jesuiten aus Venedig vertrieben worden waren

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dieses Thema bis zur Behandlung der Assekuration aufzusparen sei 70 . Bei der Beratung über den Inhalt des späteren Artikels XVII IPO konzentrierte sich das Interesse auf das diffizile Problem, ob ein Waffenstillstand, den die Kaiserlichen in ihrer Responsion vom 15. September 1645 vorgeschlagen hatten, opportun sei. Neben allerlei Erwägungen des Für und Wider, wobei die Gegenargumente deut­ lich überwogen, kam der wohl wichtigste Einwand vom Gesandten Pommerns (also dem Bevollmächtigten Kurbrandenburgs): Schwe­ den werde selbst dann keinen Waffenstillstand eingehen, wenn die Franzosen nicht abgeneigt wären71. Lampadius brachte die Sache mit seinem Vermerk Es sei nicht res arbitrii nostri auf den Punkt und erläuterte Alternativen und Taktik: Es sei die Frage, ob sie von einem Waffenstillstand abraten sollten. Täten sie das, müssten sie öffentlich die Argumente nennen, die dagegen sprächen. Da diese besser geheim blieben, wäre es besser, wenn sie weder zu- noch ab­ rieten und sich damit faktisch gegen einen Waffenstillstand aussprä­ chen. Das war die Erläuterung eines erfahrenen Diplomaten, der schon viele Gutachten aufgesetzt hatte oder an ihrer Abfassung be­ teiligt gewesen war. Neben dem Waffenstillstand kamen andere Themen der Friedenssi­ cherung fast nur am Rande zur Sprache, dabei immerhin das wich­ tige Problem der Friedensgarantie durch die Reichsstände. Schwe­ den hatte in seiner Proposition II vom 11. Juni 1645 über die Unterzeichnung der Friedensinstrumente gesagt, dass sie von den – was später in dem Schriftsatz zur Friedenssicherung erwähnt ist, der den schwedischen Gesandten im März 1646 überreicht wurde, siehe Meiern II (wie Anm. 33), 489, Punkt 7 des Schriftsatzes. Ferner wird ihnen (von Anhalt) vorgeworfen, sie hätten, da sie auch Immediatstifter begehrten, in die Reichsstände eindringen, also die Reichsstandschaft erwerben wollen. Auch mehrere Klöster, die sie erhalten hatten (und z.T. nicht restituieren wollten), werden erwähnt (APW III A 3/2, 109 Z. 35f und 40f, 110 Z. 5f und 22–28). Zu den Hintergründen der Ausweisung der Jesuiten aus Ve­ nedig im Jahr 1606 siehe Zorzi, Alvise: Venedig. Die Geschichte der Lö­ wenrepublik. 2. Aufl. Hildesheim 1992, 426–429, 752. Sie wurden erst 1657 wieder zugelassen. Die Vorgänge, die zur Ausweisung geführt hatten, er­ regten europaweites Aufsehen. 70 APW III A 3/2 (wie Anm. 69), 111 Z. 9f. 71 Ebd., 142 Z. 29ff. Der anschließend zitierte Vermerk des Lampadius steht ebd., 139f Z. 25f und 1ff.

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Gesandten beider Seiten unterzeichnet und gesiegelt werden sollten. Nur bei den Ratifikationen (Ratihabitiones) werden die Reichsstän­ de erwähnt: ut moris est, sollten sie von den Königen Schwedens und Frankreichs und ihren Verbündeten sowie vom Kaiser und den Reichsständen gesiegelt (signatae) werden. Ähnlich, nur kürzer, steht es in der französischen Proposition II72. In den kaiserlichen Responsionen vom 25. September 1645 ist hinsichtlich der Ratifi­ kation durch Schweden beziehungsweise Frankreich hinzugesetzt, dass diese auch durch deren Stände erfolgen solle73. In den Aus­ schusssitzungen vom Oktober 1645 wurde dazu, soweit anhand der Protokolle erkennbar, nichts gesagt. Auch das von Kaiser, Schwe­ den und Frankreich für gut gehaltene Prozedere, die Friedensver­ träge (nur) von den Gesandten beider Seiten unterschreiben zu lassen, wurde nicht kommentiert. Doch muss nach den protokol­ lierten Ausschusssitzungen, vielleicht während der Abfassung des „Ersten Entwurfs“, ein Denkprozess eingesetzt haben, denn in die­ sem heißt es abweichend zu den Propositionen, dass die Gesandten der Fürsten und Stände auch ihres theils erböthig [seien], die Instrumenta Pacis, in gleicher Anzahl von beyden Religions=Verwandten, so viel deroselben bey der Stelle sind, mit zu unterschreiben74. Bei der Beratung darüber am 18. November 1645 hat das anscheinend keine Kommentare hervorgerufen. Wohl aber gab der pommer­ sche Gesandte unter Hinweis auf eine Weisung Kurfürst Friedrich Wilhelms von Brandenburg hinsichtlich der Vorstellung des Kai­ sers, dass auch die Stände Frankreichs und Schwedens an der Rati­ fikation mitwirken sollten, zu bedenken, dass es einen großen Un­ terschied zwischen den Reichsständen und den französischen und schwedischen Ständen gebe. Es solle dem Kaiser aufgezeigt werden, dass die Reichsstände eine größere dignitas als die außlendischen Stände hätten75. In dem sogenannten „Vollständigen Gutachten“76, das nach den Beratungen ausgearbeitet, aber als Ganzes nicht über­ geben, sondern zurückgehalten wurde, findet sich dazu nichts. 72

Meiern I (wie Anm. 37), 438 und 448. Ebd., 623 (an Schweden: quam Regibus Regnisque Sueciae & Galliae, eorundemque Ordinibus & Statibus, ut moris est), 632 (an Frankreich: quam Regibus sive Regnis eorumque Ordinibus ac Statibus). 74 Meiern I (wie Anm. 37), 764. 75 APW III A 3/2 (wie Anm. 69), 143 Z. 1–4, 21–25. 76 Text: Meiern I (wie Anm. 37), 801–830. 73

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Doch war der Hinweis auf die Unterschiede zwischen den Reichs­ ständen und den Ständen in Frankreich und Schweden berech­ tigt, und so kam dieses Thema Anfang August 1648, als es um die schwedischen Ratifikationsformulare für das am 6. August stipu­ lierte IPO ging, in den Beratungen und Verhandlungen der Osna­ brücker Teilkurien erneut zur Sprache77. Anfang Februar 1646 begannen endlich die regulären, durch die Propositionen des Reichsdirektoriums in Gang gesetzten Bera­ tungen der Reichskurien. Ziel war die Erstellung des schon im September 1645 angeforderten Gutachtens für den Kaiser. Be­ zugspunkt der Beratungen waren neben den schon genannten Propositionen Schwedens und Frankreichs sowie der darauf be­ züglichen kaiserlichen Responsionen nun auch die (nur münd­ lich vorgetragenen und protokollierten) Repliken Schwedens und Frank­ reichs vom 7. Januar 164678. In beiden Verhandlungsstäd­ ten nahm ein Teilfürstenrat seine Beratungen auf. Beide, Fürstenrat Münster und Fürstenrat Osnabrück, waren konfessionell gemischt, doch überwogen in Osnabrück die Protestanten, tagten aber unter Österreichischem und Salzburgischem Direktorium. Daher konn­ ten die Protestanten nicht mehr so frei reden wie zuvor. Dafür ging 77

Siehe APW III A 3/7 (wie Anm. 30), Nr. 211 in Anm. 6: Die kaiserlichen Gesandten fordern, dass nicht nur die Königin, sondern auch die senatores selbigen königreichs die ratification vollziehen möchten. Edition der schwe­ dischen Ratifikationsurkunde: APW III B: Verhandlungsakten. Bd. 1: Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden. Teilbd. 1: Urkunden. Be­ arb. von Antje Oschmann. Münster 1998, Nr. 20, 173ff. Sie wurde von der Königin persönlich ausgefertigt und von dem schwedischen Staatssekretär Anders Gyldenklou unterschrieben. Zu der Funktion des schwedischen Reichsrats siehe APW III A 3/7, Nr. 212, Anm. 19. Edition der französi­ schen Ratifikationsurkunde: APW III B 1/1, Nr. 3, 52f. Sie wurde ausgefer­ tigt von dem noch minderjährigen König, von seiner Mutter (als Regentin) und vom Staatssekretär Brienne. Irregulärerweise wurde das IPM (wohl aufgrund der politischen Unruhen) nicht vom Parlement de Paris regis­ triert, was seine Geltung aber nicht beeinträchtigte (APW III A 3/7, Nr. 212, Anm. 20). Zu den reichsständischen Ratifikationsformeln siehe APW III B 1/1, Nr. 4, 52–61, und Nr. 23, 178–185. 78 Text (deutsch) der Replik Schwedens (nach dem ausführlichen, von schwe­ discher Seite geführten Protokoll): Meiern II (wie Anm. 33), 190–200. Text (lateinisch) der französischen Replik: ebd., 200–203. Dieser sehr kurze Text wurde französisch vorgetragen, vom Mediator Contarini italienisch proto­ kolliert und ins Lateinische übersetzt.

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es bei den Beratungen nunmehr zuweilen kontrovers zu. Das war auch bei der neuerlichen Vornahme der Friedensgarantie am 17. März 1646 der Fall, und zwar ging es dabei um die Frage, wer von den Reichsständen die Friedensinstrumente unterzeichnen sollte. Der österreichische Direktor Richtersperger hatte leichthin, wie es scheint, formuliert, dass die Friedensverträge von denen, so gegenwertig, more in Imperio consueto unterschrieben werden sollten79. Dagegen erhob sich Widerspruch, der leider nicht im Einzelnen protokolliert wurde (pia vota etc. ut et alia interlocuta). Richters­ perger schob nach, dass es nicht nötig sei, dass alle individuell un­ terschrieben, sondern, wie auf Reichstagen üblich, bestimmte Reichsstände für alle unterschrieben. Damit war das bei Reichsab­ schieden übliche Verfahren zumindest leicht missverständlich um­ rissen, denn diese wurden von (dazu bestimmten) Reichsständen nicht unterschrieben, sondern gesiegelt. Hingegen wurden alle an­ wesenden Reichsstände unter dem Text des Abschieds einzeln auf­ geführt. Kontrovers war in der Sitzung am 17. März aber nicht die Beglaubigungsart, sondern die Zahl jener Reichsstände, die die Be­ glaubigung vornahmen. Am Ende des Protokolls sind immerhin zwei Widersprüche gegen die Auffassung des Direktors mit Angabe des Reichsstands aufgeführt: Braunschweig-Lüneburg (Lampadius) und Sachsen-Altenburg (Thumbshirn). Lampadius forderte, dass alle unterschreiben müssten, die den Frieden stifften unnd transigiren helffen, und Thumbshirn stimmte seinem Argument zu, dass es kein Reichstag, sondern Friedensverhandlungen seien, und da­ her sei der mos gentium die Richtschnur. In dem „Bedenken“ der Reichskurien, das den kaiserlichen Gesandten am 27. April in Os­ nabrück übergeben wurde, ist die abweichende Ansicht über die Anzahl der reichsständischen Unterschriften nicht verzeichnet80. Da Johann Oxenstierna noch im Mai 1646 forderte, dass jeder 79

Siehe, auch zum Folgenden, APW III A 3/3 (wie Anm. 28), 378f Z. 19–30 und 379 Z. 1–5; 378, Anm. 82 erläutert den Usus bei Reichsabschieden. 80 Der Inhalt dieses „Bedenkens“, das einen Tag später auch den kaiserlichen Gesandten in Münster präsentiert wurde, ist ebd., LXXXVII–CII, ange­ geben. Da die „Bedenken“ der drei Reichskurien in zahlreichen Punkten divergierten, wurden jeweils die „Meinungen“ von Kurfürstenrat, Fürs­ tenrat und Städterat wiedergegeben. Zur „Meinung“ des Fürstenrats zur Unterzeichnung durch die Reichsstände siehe ebd., XCVIII. Der Städterat stimmte damit überein, während sich der Kurfürstenrat ausdrücklich gegen eine Unterzeichnung aussprach (ebd., XVIIIf).

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Reichsstand für sich unterschreiben und ratifizieren sollte81, liegt die Vermutung nahe, dass die Protestanten und namentlich Lam­ padius, der seit langem mit Salvius bekannt war, diese reichsstän­ dische Forderung an die Schweden weitergegeben hat und sie durch Schweden vertreten ließ. Doch hat Thumbshirn gar nicht ausdrück­ lich gesagt, dass grundsätzlich jeder unterschreiben müsse, son­ dern nur, dass alle, die den Frieden stifften unnd transigiren helffen, unterschreiben sollten. Das bedeutet nicht zwingend, dass jeder Reichsstand damit gemeint war. Wichtiger noch scheint die Über­ legung, dass Schweden in diesem Punkt andere Interessen als die Reichsstände hatte. Die Reichsstände mochten an die Bestätigung ihres jus pacis et belli denken, das durch ihre Unterschrift bestätigt würde, während Schweden eine Verpflichtungserklärung beson­ ders jener forderte, die durch den Friedensvertrag geschädigt wur­ den. Das waren im Grunde (durch die Militärsatisfaktion, die auf­ grund von Art. XVI,8 IPO an Schweden gezahlt werden musste) alle Reichsstände, abgesehen von jenen des Österreichischen und Bayerischen Reichskreises. Ferner waren es vorrangig Kurbranden­ burg und Mecklenburg, die durch die schwedische Territorialsatis­ faktion (bestehend insbesondere aus großen Teilen Pommerns und aus Wismar) geschädigt wurden. Die schwedischen Gesandten for­ derten daher am 3. August 1648, dass zu ihrer versicherung die Be­ troffenen unterschreiben sollten82. Letztlich kam es zu einem Kom­ promiss. Nicht alle Betroffenen mussten sich mit ihrer Unterschrift für die Einhaltung des Vertrags verbürgen, sondern die Gesandten von fünfzehn Reichsständen unterschrieben in Vertretung des Rei­ ches83. Schweden und die Reichsstände hatten also in der Frage der Un­ terfertigung des IPO zunächst das übereinstimmende Ziel, dass von dem auf Reichstagen üblichen Unterzeichnungsmodus durch eini­ ge wenige Reichsstände abgewichen werden sollte. Allerdings di­ vergierten ihre Motive. Dennoch ist es denkbar, dass die schwe­ 81

Dickmann (wie Anm. 3), 490. APW III A 3/7 (wie Anm. 30), Nr. 212, 100 Z. 21f. Auch Kurfürst Ferdi­ nand von Köln war (als Fürstbischof von Münster) von der Territorialsa­ tisfaktion Schwedens betroffen, da er auf das Amt Wildeshausen verzich­ ten musste, das der Halbbruder Königin Christinas erhielt (ebd., Nr. 208, Anm. 55). 83 Oschmann (wie Anm. 13), 49. 82

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dischen Gesandten auf dem einen oder anderen Wege 1646 von den Reichsständen erfuhren, welche Vorstellungen diese über die Un­ terzeichnung der Friedensverträge hatten. Denn es war schon so, dass die protestantischen Reichsstände ihre Zuflucht zu den schwe­ dischen Gesandten nahmen, wenn sie keine andere Lösung wuss­ ten. Beim Thema Friedensassekuration kann man dieses Verfahren gut beobachten. In den ersten Monaten des Jahres 1646 verfolgte der protestantische Teil des Fürstenrats Osnabrück die Taktik, be­ stimmte Teile des Ende 1645 erstellten „Vollständigen Gutachtens“ auszugliedern und im nunmehr gemischtkonfessionellen Fürsten­ rat innerhalb des Votums vorzutragen. Das geschah am 15. März auch mit einem Schriftsatz zur Friedenssicherung, den der Magde­ burger Gesandte während der Sitzung verlas und bat, dass er nicht nur dem Gutachten, das den Kaiserlichen zu übergeben war, son­ dern auch dem Friedensvertrag selbst eingefügt werden solle, denn er enthalte media assecurationis, welche Schweden und Frank­ reich nicht erwähnt hätten84. Er umfasste die gemäßigten Vorschlä­ ge zur Assekuration. Die radikaleren, überwiegend konfessionell bestimmten, hatten die Protestanten ebenfalls in einem Schrift­ satz zusammengefasst, den sie den schwedischen Gesandten über­ gaben85. Er enthält als letzte, aber ausführlichste Forderung jene nach der Vertreibung der Jesuiten, einschließlich des Hinweises auf ihre Ausweisung aus Venedig, an die der Mecklenburger Gesand­ te im November 1645 erinnert hatte86. Punkt 6 fordert die Abfüh­ rung der spanischen Truppen aus der Festung Jülich und anderen Orten. Beides, Vertreibung der Jesuiten und der Spanier, war schon von den hessen-kasselschen Räten Anfang 1632 gefordert wor­ 84

APW III A 3/3 (wie Anm. 28), 340 Z. 1–7 und ebd., Anm. 34. Text dieses Schriftsatzes: Meiern II (wie Anm. 33), 487f. 85 Text: ebd., 488f. Vgl. dazu auch Anm. 60. Wer den (sieben Punkte umfas­ senden) Schriftsatz formuliert und den schwedischen Gesandten übergeben hat, ist nicht bekannt. In den reichsständischen Archivüberlieferungen ist er selten zu finden. Er versteht sich als Zusatz zu dem Schriftsatz, der im Fürstenrat verlesen wurde, wie aus Punkt 2 ersichtlich, wo auf jene Ver­ handlungsakte verwiesen ist. An der Spitze des Forderungskatalogs steht mit Punkt 1 die Streichung des kaiserlichen Schutzes für den Papst aus der Wahlkapitulation. Wie Dickmann (wie Anm. 3, 339) richtig bemerkt, hat diese Forderung kaum etwas mit dem Thema Friedenssicherung zu tun (siehe dort auch zu den übrigen Forderungen). 86 Siehe Anm. 69.

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den87. Damit soll nicht gesagt sein, dass eine Verbindung zwischen dem hessen-kasselschen Gutachten von 1632 und dem Osnabrücker Schriftsatz von 1646 bestand. Vielmehr verweisen derartige Über­ einstimmungen darauf, dass es sich um alte protestantische, auch publizistisch verbreitete Forderungen handelte, die hier, zu Be­ ginn des Kongresses, noch einmal, vielleicht auch mit Blick auf die Nachwelt, zur Sprache gebracht wurden, um dann bei den schwe­ dischen Gesandten gewissermaßen deponiert zu werden, ohne aber noch Verhandlungsgegenstand zu sein. Denn dass die schwedischen Gesandten sich nun ihrer alten konfessionellen Forderungen an­ nehmen würden, konnten die Protestanten realistischerweise nicht annehmen. Immerhin war Schweden mit dem katholischen Frank­ reich verbündet, das zwar zwischen Staatsräson und Konfessions­ politik zu trennen wusste, doch Abträgliches für den Katholizismus zu hindern suchte88. Anders steht es um den Schriftsatz zur Friedenssicherung, der im Fürstenrat Osnabrück im März und bei der Re- und Correlation im April 1646 verlesen wurde. Er enthielt tatsächlich Weiterführen­ des, das später in den Friedensverträgen wiederkehrt. Dazu gehören die Festschreibung des IPM und IPO als immerwährende Reichs­ grundgesetze (Punkt 2 beziehungsweise später Art. XVII,2 IPO = § 112 IPM), die sogenannte Antiprotestklausel mit Nennung des Restitutionsedikts von 1629 und des Prager Friedens von 1635, die nicht gegen die Friedensverträge ins Feld geführt werden dürfen (Punkt 6 beziehungsweise später Art. XVII,3 IPO = § 113 IPM), und die Wiederherstellung beziehungsweise „Redintegration“ der 87

Siehe Anm. 11. Die Vertreibung der Jesuiten aus dem Reich gehörte zu den Themen protestantischer Publizistik, siehe Schmidt, Georg: „Absolu­ tes Dominat“ oder „deutsche Freiheit“. Der Kampf um die Reichsverfas­ sung zwischen Prager und Westfälischem Frieden. In: Widerstandsrecht in der frühen Neuzeit. Erträge und Perspektiven der Forschung im deutschbritischen Vergleich. Hrsg. von Robert von Friedeburg. (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 26) Berlin 2001, 265–284, hier 266. Selbst der Trierer Kurfürst Sötern erwähnte Papst, Spanier und Jesuiten in einem Atemzug; er wolle den Religionsfrieden (den sie anscheinend bedrohten und somit Friedensstörer waren) gegen sie verteidigen, falls er nur die Fes­ tung Ehrenbreitstein behalte – so formulierte der streitbare Kirchenfürst 1646 einmal gegenüber seinen Gesandten in Münster, siehe APW III A 1/1 (wie Anm. 41), LXXXVf. 88 Tischer, Französische Diplomatie (wie Anm. 32), 296f.

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Reichskreise (Punkt 8 beziehungsweise später Art. XVII,8 IPO = § 117 IPM). In nuce waren diese und andere friedenssichernde Maß­ nahmen schon in früheren Jahren bei der einen oder anderen Be­ ratung über einen künftigen Friedensschluss genannt worden. Als förderlich sollte sich erweisen, dass die Protestanten um Magde­ burg und Sachsen-Altenburg das Machbare herausgriffen, extreme Forderungen wie jene nach der Vertreibung der Jesuiten ausschie­ den und diese bei Schweden als dem alten protector religionis qua­ si deponierten89, um sich dem Realisierbaren zuzuwenden. Gera­ de zum Thema Friedenssicherung, das 1645/46 eigentlich noch als Cura posterior gelten konnte, legten sie zwar nicht völlig ausge­ reifte, aber diskutable und realistische Vorschläge vor und zeigten damit, dass sie sich nicht auf die Vertretung partikularer Interessen beschränkten, sondern die Herstellung und Sicherung des Friedens als ihre Sache begriffen, die sie mit großem Sachverstand zu fördern gedachten. Fazit Als sich 1645 entschied, dass die Reichsstände cum iure suffragii am Friedenskongress teilnehmen konnten, war zumindest ein Teil der Protestanten gut vorbereitet, da sie bereits seit den 1630er Jahren mit Friedenskonzeptionen und damit auch mit dem Thema Frie­ denssicherung befasst worden waren. Im Herbst 1645 begannen sie mit intensiven Beratungen und konzipierten ihre Vorstellungen von einem dauerhaften, ja „unwiderruflichen“ Frieden. Auf konfessio­ nelle Extremforderungen verzichtend, formulierten sie praktikable Maßnahmen zur Friedenssicherung, die sich im Kern in den spä­ teren Friedensverträgen vom Oktober 1648 wiederfinden.

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Siehe 230 beiAnm. 5.

KAISERLICHE UND BAYERISCHE BÜNDNISPRAXIS IN DER SCHLUSSPHASE DES WESTFÄLISCHEN FRIEDENSKONGRESSES von Dorothée Goetze, Bonn Bedarf es eines weiteren Artikels zum Westfälischen Friedenskon­ gress? Kann noch Neues über Maximilian von Bayern geschrieben werden? Schließlich haben nur wenige Fürsten so viel Aufmerk­ samkeit in der Forschung erhalten wie er1. Auch wurden weni­ ge Themen in der Geschichtswissenschaft so umfangreich und fa­ cettenreich beschrieben wie die Verhandlungen zur Beendigung des Dreißigjährigen Krieges2. Dabei wurde auch immer wieder das Verhältnis von Kaiser und Kurfürst thematisiert. Allerdings gehen Studien zur bayerischen Politik nur summarisch über den Ulmer Waffenstillstand hinaus. Eine Anschlussstudie an Immlers Untersu­ chung der bayerischen Politik auf dem Westfälischen Friedenskon­ 1

Siehe in Auswahl: Kraus, Andreas: Maximilian I. Bayerns großer Kur­ fürst. Graz 1990; Albrecht, Dieter: Die auswärtige Politik Maximilians von Bayern 1618–1635. Göttingen 1962; Kapser, Cordula: Die bayeri­ sche Kriegsorganisation in der zweiten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges 1635–1648/49. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neu­ eren Geschichte e.V., 25) Münster 1997; Albrecht, Dieter: Maximilian I. von Bayern 1573–1651. München 1998 [im Folgenden zitiert: Albrecht, Maximilian]. Außerdem das Themenheft zu Maximilian I. von Bayern der Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 65,1 (2002), sowie weiterhin Lanzinner, Maximilian: Ein deutscher Fürst und der Krieg. In: Der Drei­ ßigjährige Krieg. Facetten einer folgenreichen Epoche. Hrsg. von Peter C. Hartmann und Florian Schuller. Regensburg 2010, 80–93. 2 Siehe in Auswahl aus den jüngsten Publikationen: Babel, Rainer (Hrsg.): Le diplomate au travail. Entscheidungsprozesse, Information und Kom­ munikation im Umfeld des Westfälischen Friedenskongresses. (Pariser Historische Studien, 65) München 2005; Blin, Arnaud: 1648. La Paix de Westphalie ou la naissance de l’Europe politique moderne. (Question à l’histoire) Paris 2006; Brunert, Maria-Elisabeth, Lanzinner, Maximili­ an (Hrsg.): Diplomatie, Medien, Rezeption. Aus der editorischen Arbeit an den Acta Pacis Westphalicae. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Er­ forschung der Neueren Geschichte e.V., 32) Münster 2010; Duchhardt, Heinz (Hrsg.): Der Westfälische Friede. Diplomatische Zäsur – kulturelles Umfeld – Rezeptionsgeschichte. München 1998.

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gress bleibt ein Desiderat3. Auch die Darstellungen zur kaiserlichen Politik bleiben allgemein. Das gilt sowohl für die Auswertung der kaiserlichen Politik durch Ruppert und die noch immer als Stan­ dard anzusehende Gesamtdarstellung Dickmanns zum Westfä­ lischen Friedenskongress als auch für das Werk Höbelts, mit dem endlich auch eine umfassende Biografie Ferdinands III. vorliegt4. Die Schlussphase des Kongresses bleibt unterbeleuchtet, dabei sind gerade die letzten zehn Monate aufgrund der Verhandlungsdy­ namik besonders spannend. Zwischen März und September 1648 wurden die Friedensverträge von Osnabrück und Münster verein­ bart. Bis dahin waren lediglich die schwedische und französische Satisfaktion sowie die Regelung der Pfalz-Frage verabredet und in Vorabkommen formuliert worden5, das im Falle der Pfalz noch nicht einmal bestätigt worden war. Die zentralen Reichsthemen wa­ ren noch ungelöst, ebenso wie die Problematik der Armeesatisfakti­ onen. Die Schlussphase der Friedensverhandlungen ist aber auch noch aus einem anderen Grund interessant, der in der Forschung konstatiert, aber bislang nicht weiter hinterfragt worden ist: die Erneuerung des kaiserlich-bayerischen Bündnisses. Als Maximilian von Bayern im Oktober 1647 an die Seite Fer­ dinands III. zurückkehrte und das bayerisch-kaiserliche Bündnis erneuerte, hatte er, abgesehen von einem universellen und dauer­ haften Frieden, seine Verhandlungsziele beim Kongress im Wesent­ 3

Immler, Gerhard: Kurfürst Maximilian I. und der Westfälische Friedens­ kongreß. Die bayerische auswärtige Politik von 1644 bis zum Ulmer Waf­ fenstillstand. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 20) Münster 1992. 4 Höbelt, Lothar: Ferdinand III. Friedenskaiser wider Willen. Graz 2008. 5 Das Vorabkommen zur schwedischen Territorialsatisfaktion war am 18. Fe­ bruar 1647 vereinbart worden. Siehe zu den Beratungen Dickmann, Fritz: Der Westfälische Frieden. 7. Aufl. Hrsg. von Konrad Repgen. Münster 1998, 304–324, sowie Ruppert, Karsten: Die kaiserliche Politik auf dem Westfälischen Friedenskongreß (1643–1648). (Schriftenreihe der Verei­ nigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 10) Münster 1979, 200–228. Am 11./14. November des Jahres erfolgte auch die Übereinkunft über die französische Satisfaktion. Siehe zu den entsprechenden Verhand­ lungen Tischer, Anuschka: Französische Diplomatie auf dem Westfä­ lischen Friedenskongress. Außenpolitik unter Richelieu und Mazarin. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 29) Münster 1999, 239–288.

Kaiserliche und bayerische Bündnispraxis

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lichen realisieren können. Der Kurfürst verfolgte mit der erneu­ erten bayerisch-kaiserlichen Allianz vor allem das Ziel, den Krieg möglichst schnell zu beenden – getrieben vom Wunsch nach Be­ standssicherung. Dies gilt für den Zustand seiner landesherrlichen Territorien, die finanzielle Leistungsfähigkeit seiner Untertanen, das eigene Vermögen und besonders für das durch die Politik seit den 1620er Jahren Erreichte: die Kur für die bayerischen Wittels­ bacher und die Arrondierung des Herrschaftsgebietes durch den Erwerb der Oberpfalz und den damit einhergehenden Aufstieg zu einem der mächtigsten Fürstenhäuser des Reichs6. All das wäre bei Fortsetzung des Kriegs durch drohende Nachverhandlungen in Ab­ hängigkeit von der militärischen Entwicklung ebenso gefährdet ge­ wesen wie durch eine aus der Unmündigkeit seiner Erben resultie­ rende Vormundschaftsregierung, falls der Kurfürst vor Abschluss des Friedens versterben sollte. Für Ferdinand III. gestaltete sich die Lage vollkommen anders. Zwar waren mit den Vorabkommen zur schwedischen und franzö­ sischen Territorialsatisfaktion und der Regelung der Pfalzfrage be­ reits wichtige Teilergebnisse erzielt worden7, aber bei den noch aus­ zuräumenden Differenzen mit den Reichsständen um die Regelung der religiösen Verhältnisse im Reich8 und der damit verbundenen Problematik von Amnestie und Restitution9, den Satisfaktionsfor­ derungen der Armeen10, den abschließenden Verhandlungen über 6

Siehe zusammenfassend zur bayerischen Politik bezüglich der Pfalzfrage Albrecht, Dieter: Bayern und die pfälzische Frage auf dem Westfälischen Friedenskongreß. In: Duchhardt (wie Anm. 2), 461–468. 7 Siehe unten. 8 Siehe Ruppert (wie Anm. 5), 334–337; Acta Pacis Westphalicae [im Folgenden abgekürzt: APW]. Hrsg. von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste in Verbindung mit der Ver­ einigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V. durch Konrad Rep­ gen und Maximilian Lanzinner. Serie II: Korrespondenzen. Abteilung A: Die kaiserlichen Korrespondenzen. Bd. 8: Februar–Mai 1648. Bearb. von Sebastian Schmitt. Münster 2008 [im Folgenden abgekürzt: APW II A 8], LVIII–LXIV; Bd. 9: Mai–August 1648. Bearb. von Stefanie Fraedrich-No­ wag. Im Druck [im Folgenden abgekürzt: APW II A 9], LIIIff. 9 Siehe Dickmann (wie Anm. 5), 471f; Ruppert (wie Anm. 5), 337–340, 341f; APW II A 8 (wie Anm. 8), LXIV–LXXIV. 10 Siehe Dickmann (wie Anm. 5), 472–476; Ruppert (wie Anm. 5), 340f; APW II A 8 (wie Anm. 8), LXXVf; APW II A 9 (wie Anm. 8), XLIX-LIII.

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den Frieden mit Frankreich11 sowie dem noch zu regelnden Vollzug des Friedens12 galt es für ihn, seine Positionen zu verteidigen und seine Interessen durchzusetzen. Dabei musste Ferdinand III. der Spagat zwischen den Interessen des Reichsganzen, Spaniens als sei­ nem zweiten wichtigen Verbündeten und den katholischen Reichs­ ständen als seinem politischen Rückhalt im Reich gelingen. Das Ende ist bekannt. Kurfürst Maximilian konnte seine (poli­ tischen) Gewinne aus dem Dreißigjährigen Krieg sichern13. Das Habsburgische Hausbündnis wurde letztendlich um des Friedens Willen aufgekündigt14. Das erneuerte bayerisch-kaiserliche Bündnis hielt den militärischen und politischen Belastungen dieser Schluss­ phase des Ringens um den Frieden stand – überraschenderweise, möchte man bei der hier beschriebenen Interessenlage der Alliierten hinzufügen. Verbindend für Maximilian von Bayern und den Kaiser war der Wunsch nach dem Ende des Krieges, das Bestreben, durch Ver­ handlungen Frieden herbeizuführen, kurz: die Friedenssicherung. Die Auffassungen, wie dieser Frieden zu erreichen sei, divergierten in Abhängigkeit der eingangs beschriebenen Interessenlagen stark. Dies zeigt sich gerade in der Schlussphase des Westfälischen Frie­ denskongresses. Hier soll nachvollzogen werden, welche Strategien die beiden Verbündeten jeweils einschlugen, um das gemeinsame Ziel bei Wahrung ihrer Eigeninteressen zu erreichen, und über wel­ chen Handlungsspielraum sie dabei innerhalb ihres Bündnisses und durch ihre Allianz verfügten. Dabei ist sowohl auf den Erfolg als auch auf die tragenden Elemente des Bündnisses zu sehen. Erfolg meint die Fähigkeit, eigene Zielsetzungen (in den Verhandlungen) zu realisieren und die Ausrichtung der Zusammenarbeit zu bestim­ 11 Siehe

Dickmann (wie Anm. 5), 485–490; Ruppert (wie Anm. 5), 343–358; APW (wie Anm. 8). Serie II. Abteilung A: Die kaiserlichen Korresponden­ zen. Bd. 10: 1648–1649. Bearb. von Dorothée Goetze. Im Druck [im Fol­ genden abgekürzt: APW II A 10], LVI–LXII. 12 Siehe Dickmann (wie Anm. 5), 476f; Ruppert (wie Anm. 5), 342; APW II A 9 (wie Anm. 8), LVIf. 13 Siehe Artikel IV,3–5 IPO (Text: APW [wie Anm. 8]. Serie III. Abteilung B: Verhandlungsakten. Bd. 1: Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden. Teilbd. 1: Urkunden. Bearb. von Antje Oschmann. Münster 1998 [im Folgenden abgekürzt: APW III B 1/1], 100f. 14 Dickmann (wie Anm. 5), 488f; Ruppert (wie Anm. 5), 352ff; APW II A 10 (wie Anm. 11), LXIIIf.

Kaiserliche und bayerische Bündnispraxis

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men. Die leitende Frage lautet somit: Warum konnte das Bündnis bis zur Vertragsunterzeichnung am 24. Oktober 1648 aufrecht er­ halten werden? Der vorliegende Beitrag stützt sich entsprechend vor allem auf die in den „Acta Pacis Westphalicae“ gebotenen kaiserlichen Korres­ pondenzen und die dort gedruckten bayerischen Schreiben – im kritischen Bewusstsein der Angreifbarkeit der Eindimensionali­ tät dieser Überlieferung. Die darin gegebenen Informationen kön­ nen auch nur ein erster Einstieg in die Thematik sein, doch leider ist die politische Korrespondenz Maximilians von Bayern zum West­ fälischen Friedenskongress erst bis Juli 1645 editorisch erschlos­ sen15; so fehlt noch immer die Möglichkeit, gezielt und effektiv auf das Quellenmaterial einer der bestimmenden politischen Mächte im Reich und am Kongress zuzugreifen, das zudem die im Rahmen der „Acta Pacis Westphalicae“ herausgegebenen Materialien sinnvoll er­ gänzen würde. Zunächst soll anhand der Kampagne des Jahres 1648 die militä­ rische Tragfähigkeit der Allianz betrachtet und bewertet werden (1). Anschließend richtet sich der Fokus auf die politische Zusam­ menarbeit der Verbündeten und deren Funktionieren. Den Schwer­ punkt der Betrachtung bilden summarisch die Verhandlungen im Frühjahr und Sommer 1648 (2) und die abschließenden Beratungen über die letzten französischen Forderungen und die spanische Fra­ ge (3), ehe im Fazit die eingangs gestellten Fragen nach Erfolg und tragenden Elementen des Bündnisses bewertend beantwortet wer­ den (4).

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Quellen zur Neueren Geschichte Bayerns I. Band 2: Die diplomati­ sche Korrespondenz Kurfürst Maximilians I. von Bayern mit seinen Ge­ sandten in Münster und Osnabrück. Dezember 1644–Juli 1645. Bearb. von Gabriele Greindl und Gerhard Immler. München 2009.

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1. Das Bündnis auf dem Schlachtfeld Die Aufkündigung des Ulmer Waffenstillstands gegenüber Schwe­ den leitet gewissermaßen die vorletzte Runde des Krieges ein16. Da das Bündnis zwischen Bayern, Frankreich und Schweden we­ der die von Maximilian erhoffte Entlastung in Bezug auf die Kosten und Belastungen der Kriegsführung brachte noch den erwünschten Abschluss des Friedens beförderte, schloss er sich wieder dem Kai­ ser an17. Als zentrales Ziel der Rekonjunktion wurde mehrfach der Schutz der landesherrschaftlichen Territorien der Bündnispartner bis zum Abschluss des Friedens formuliert. Die Bedingungen und vor allem militärischen Mittel dafür wurden im Herbst 1647 ausge­ handelt und fanden ihren Niederschlag im Pilsener-Münchner Ver­ trag18, der im Februar 1648 im Prager Rezess nachgebessert wur­ de19. Der Kurfürst sollte seine Armee auf 14 000 Mann aufstocken. Der Kaiser sagte ihm Hilfsgelder in Höhe von insgesamt 250 000 Gulden zu. Zudem sollten die in Bayern agierenden kaiserlichen Truppenteile vom Kaiser versorgt und Maximilian beim Unterhalt seiner Verbände unterstützt werden. Maximilian wurde wieder Au­ tonomie über seine Truppen eingeräumt, auch sollte er das Ober­ kommando über die kaiserliche Armee erhalten, solange diese auf dem Gebiet des Kurfürsten im Einsatz standen. Allerdings wäre es zu eindimensional, nur die militärische Dimension dieses Abkom­ 16

Die Schlussphase setzte dann direkt mit der Vertragsunterzeichnung und dem allmählichen Abebben der Kampfhandlungen im November und Dezember 1648 ein. Siehe dazu APW II A 10 (wie Anm. 11), LXXII– LXXVI. 17 Höfer, Ernst: Das Ende des Dreißigjährigen Krieges. Strategie und Kriegs­ bild. Köln, Weimar, Wien 1997, 84; Albrecht, Maximilian (wie Anm. 1), 1073f; APW (wie Anm. 8). Serie II. Abteilung A: Die kaiserlichen Korres­ pondenzen. Bd. 6: März–November 1647. Teilbd. 1: März–Juli 1647. Bearb. von Antje Oschmann und Magnus Ulrich Ferber unter Mithilfe von Chris­ tiane Neerfeld und Christina Schmücker. Münster 2011 [im Folgenden ab­ gekürzt: APW II A 6], CXC–CXCIV. 18 Text des Pilsener-Münchner Vertrags: Meiern, Johann, Gottfried von (ver­ fasset und beschrieben von): Acta Pacis Westphalicæ Publica. Oder: West­ phälische Friedens=Handlungen und Geschichte. Fünfter Theil. Hannover (Gedruckt bey Joh. Christoph Ludolph Schultzen, privilegirtem Buchdru­ cker, und zu bekommen bey Johann Adolph Gercken, Buchhaendlern da­ selbst) 1734 (ND Osnabrück 1969), 48ff. 19 Text des Prager Rezesses: Ebd., 126–129.

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mens zu sehen, denn der Kurfürst versäumte nicht, sich das bereits Erreichte vom Kaiser garantieren zu lassen. § 8 des Prager Rezesses verpflichtete den Kaiser, nur Frieden zu schließen, wenn an den be­ reits in Münster und Osnabrück getroffenen Übereinkünften zu Kur und Oberpfalz festgehalten würde20. Diese können als das einzig greifbare Ergebnis des Ulmer Waffen­ stillstands für Bayern bezeichnet werden. Ab Februar 1647 hat­ te sie der kaiserliche Verhandlungsführer Trauttmansdorff erneut zum Beratungspunkt auf dem Kongress erhoben21, um einen Ab­ fall Bayerns in letzter Minute zu verhindern. Am 16. März wurde im Fürstenrat die Frage nach der achten Kur proponiert. Das Kur­ fürstenkollegium beriet zusätzlich auch über die Restitution der Oberpfalz. Am 31. März 1647 wurde sowohl der Verbleib der Kur und der Oberpfalz bei Maximilian von Bayern bestätigt als auch die Einrichtung einer achten Kurwürde für die Pfalz beschlossen. Im April sagte auch die schwedische Krone ihre Unterstützung die­ ser Conclusa zu. Damit hatte der bayerische Kurfürst seine wich­ tigsten Friedensziele realisieren können22 – doch noch fehlte ihm die schriftliche Bestätigung dieser Vereinbarung, denn das Vorab­ kommen zur Pfalz-Frage war nicht unterzeichnet worden. Um das Erreichte durch sein erneutes aktives Eingreifen in den Krieg nicht zu gefährden, machte er sie zum Bestandteil des Bündnisvertrages mit dem Kaiser. Ferdinand III. benötigte dringend die militärische Unterstützung des Wittelsbachers, da seine eigenen Mittel nicht ausreichten, um eine schlagkräftige Streitmacht zu unterhalten23. Zwar gelang es sei­ ner Armee im Herbst 1647 noch, die schwedischen Truppen zum Rückzug aus Böhmen an die Weser zu zwingen und somit die un­ mittelbare Bedrohung der Residenzstadt des Kaisers und seiner 20

Diese Bestimmungen finden ihre Entsprechung in § 5 des Pilsener-Münch­ ner Vertrags (wie Anm. 18). 21 Siehe zu Trauttmansdorff Lernet, Brigitte: Maximilian von Trauttmans­ dorff. Hofmann und Patron im 17. Jahrhundert. Wien 2004; Ferber, Magnus Ulrich: Graf Maximilian von Trauttmansdorff und Dr. Isaak Volmar. Handlungsmöglichkeiten adliger und bürgerlicher Diplomaten im Vergleich. In: Brunert/Lanzinner (wie Anm. 2), 231–251. 22 Dickmann (wie Anm. 5), 377ff sowie 398ff; Ruppert (wie Anm. 5), 282ff; Immler (wie Anm. 3), 374–390; Albrecht, Maximilian (wie Anm. 1), 1020–1031; APW II A 6 (wie Anm. 17), CLIV–CLVIII. 23 Ruppert (wie Anm. 5), 313.

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Erblande abzuwenden. Für eine großangelegte Offensive reichten die kaiserlichen Ressourcen jedoch nicht aus24, auch wenn die ver­ einigte kaiserlich-bayerische Armee den Schweden noch bis an die Weser nachsetzte, ehe sie sich Ende November 1647 in ihre Win­ terquartiere im Hessischen und im Fränkischen Reichskreis begab25. Am 29. Dezember 1647 trat auch Frankreich erneut in den Krieg mit Bayern ein. Von nun an musste sich die bayerische Aufmerk­ samkeit wieder auf zwei Feinde richten. Die Vorstellung Maximili­ ans, durch eine fortgesetzte Waffenruhe mit Frankreich den Druck auf Schweden erhöhen zu können, hatte sich nicht realisieren las­ sen. Stattdessen verstärkten die Schweden den Druck auf Ferdinand III., indem sie bereits im Januar 1648 ihre Kampagne eröffneten26. Die kaiserliche Armee hatte sich im Gegensatz zu ihnen und den bayerischen Verbündeten kaum erholen können, sondern litt stark unter Proviantmangel. Da die bayerischen Truppen ihre Winter­ quartiere nicht zur Unterstützung der kaiserlichen verließen, zogen sich diese bis Mitte Februar 1648 über den Main zurück, wo sie sich mit den bayerischen Verbänden zusammenschlossen. Die schwedischen und französischen Armeen setzten nach und überschritten ebenfalls Ende Februar/Anfang März den Main nach Franken, wo sie sich Ende März vereinigten. Allerdings hielt die­ se Konjunktion nicht lange. Da die kaiserlich-bayerische Armee bis an die Donau zurückwich und diese am 24. März 1648 über­ querte, trennten sich Schweden und Franzosen wieder. Die Schwe­ den setzten ihren Feldzug in die Oberpfalz fort, während sich die Franzosen wieder in die Mainregion begaben. Bereits Anfang Mai schlossen sich die schwedische und die fran­ zösische Armee erneut zusammen und rückten Richtung Donau vor27. Am 17. Mai 1648 wurde bei Zusmarshausen die letzte große 24

Höfer (wie Anm. 17), 87–95, 97f. Ebd., 102–107. 26 Die folgende Beschreibung des Feldzuges 1648 basiert auf: Höfer (wie Anm. 17), 148–162, 168–173, 197–227; APW (wie Anm. 8). Serie II. Abtei­ lung A: Die kaiserlichen Korrespondenzen. Bd. 7: 1647–1648. Bearb. von Andreas Hausmann. Münster 2008 [im Folgenden abgekürzt: APW II A 7], XLVIIIf; APW II A 8 (wie Anm. 8), XLIV–LI; APW II A 9 (wie Anm. 8), XLff; APW II A 10 (wie Anm. 11), XLIV–XLIX; Tingsten, Lars: De tre sista åren av trettioåriga kriget jämte vestfaliska freden. Stockholm 1934. 27 Am 2. Mai 1648 hatten sich die zwei Armeen unter Turenne und Wran­ gel bei Ulm vereinigt. Die Kommandoführung wurde zwischen beiden 25

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Schlacht des Dreißigjährigen Krieges geschlagen, die in einer Nie­ derlage der kaiserlich-bayerischen Armee endete, die sich in deren Folge über den Lech zurückzog. Nun wurde Bayern zum Haupt­ schauplatz des Krieges. Im weiteren Verlauf der schwedisch-fran­ zösischen Offensive wichen die kaiserlich-bayerischen Truppen bis Juni kampflos bis hinter den Inn zurück. Dies veranlasste Kur­ fürst Maximilian, im Sommer zunächst von München nach Brau­ nau und von dort aus weiter nach Salzburg zu fliehen. Der kaiser­ lich-bayerischen Armeeführung gelang es jedoch durch geschicktes Manövrieren nicht nur, ein Übersetzen des Feindes über den Inn zu verhindern, sondern auch diesen sukzessive bis an die Isar zurück­ zudrängen. Aufgrund der hervorragenden Versorgungslage in den Gebie­ ten Kurfürst Maximilians von Bayern konnten sich die stark ge­ schwächten kaiserlichen Truppen in den folgenden Monaten er­ holen, sodass der neue kaiserliche Oberbefehlshaber Piccolomini Ende August/Anfang September 1648 mit gestärkten Kräften die Gegenoffensive einleiten konnte, die Kurfürst Maximilian bereits seit längerem gefordert hatte28, und die schwedisch-französische Armee bis Ende September nach Dachau zurückdrängen, wo sie bei den Kämpfen im Dachauer Moos schwere Verluste hinnehmen musste. Von dort aus wichen Schweden und Franzosen Anfang Ok­ tober in südwestlicher Richtung zurück, bis sie am 10. Oktober 1648 den Lech überquerten und aus Bayern abzogen. Bereits zu Beginn des Gegenstoßes der kaiserlich-bayerischen Ar­ mee hatte Piccolomini 2 000 Mann zur Entlastung der dortigen kai­ serlichen Verbände nach Böhmen abstellen müssen. Dort war es dem schwedischen General Königsmarck im Juli 1648 gelungen, sich durch einen Überraschungsangriff der Prager Kleinseite samt Hradschin zu bemächtigen29. Bis Ende November 1648 hielten die Befehlshabern geteilt, an geraden Tagen oblag sie Turenne, an ungeraden Wrangel (Tingsten [wie Anm. 26], 48; Höfer [wie Anm. 17], 179). 28 Der bayerische Kurfürst führte seit der Vereinigung der kaiserlichen und bayerischen Truppen am 16. Februar 1648 das Kriegsdirektorium über die Armee (ebd., 157f). 29 Ericson, Lars, Hårdstedt, Martin, Iko, Per [u.a.]: Svenska slagfält. Vär­ namo 2003, 181–187. Bereits Mitte Mai 1648 wurde Königsmarck von der Oberpfalz nach Böhmen beordert, wo er am 5. Juni einmarschierte und sich noch bis Anfang Juli im bayerischen-böhmischen Grenzgebiet auf­ hielt. Am 22. Juli nahm er Pilsen ein und setzte seinen Marsch auf Prag fort

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Schweden die Belagerung der Prager Alt- und Neustadt aufrecht. Eine zweite, zu Königsmarcks Unterstützung aus Schlesien heran­ kommandierte Armee unter Arvid Wittenberg erreichte die Kaiser­ stadt am 30. Juli, wandte sich dann jedoch nach Süden in Richtung der kaiserlichen Erblande, was Ferdinand III., der bereits im Juni seine Residenz von Prag nach Linz hatte verlegen lassen, veranlasste, am 8. September 1648 mit seinem Hof nach Wien zu fliehen30. In militärischer Hinsicht brachte das Bündnis zwischen Kurfürst Maximilian und Ferdinand III. nicht das erwünschte Ergebnis. Die kaiserliche Armee verfügte nicht über die notwendigen Mit­ tel, die eigenen Truppen auszustatten und zu ernähren, geschweige denn zusätzlich ihre Verpflichtungen aus dem Pilsener-Münchner Vertrag beziehungsweise dem Prager Rezess gegenüber den baye­ rischen Verbänden hinsichtlich Proviant und Ausstattung zu er­ füllen. Diese hätten seit dem Zusammenschluss der beiden Armeen im Februar 1648 ebenfalls vom Kaiser verproviantiert und ausge­ rüstet werden müssen. Stattdessen sah sich Kurfürst Maximili­ an aufgrund des schlechten Versorgungszustands der kaiserlichen Verbände zu Brotlieferungen an diese veranlasst. Auch die kaiser­ licherseits zugesagten Subsidien flossen aufgrund der prekären Fi­ nanzsituation Ferdinands III. nur spärlich und unregelmäßig. Die von Maximilian von Bayern angestrebte finanzielle Entlastung blieb also aus31. Eine weitere Ursache für das Nichtfunktionieren des Bündnisses waren die zu unterschiedlichen Interessen der Entscheidungsträger. Ferdinand III. lag vor allem am Schutz Böhmens und seiner Erblan­ de vor neuen feindlichen Einfällen. Er wusste um seine Schwäche und versuchte entsprechend, seine Armee möglichst lang zu erhal­ ten. Maximilian von Bayern hingegen forderte ein aktives Vorgehen gegen den Feind, um zu verhindern, dass seine Territorien erneut zum Kriegsschauplatz würden. Entsprechend vehement verweiger­ te er im Sommer 1648 den Abzug auch nur von Teilen der kaiser­ lich-bayerischen Armee nach Böhmen zur Entlastung des dortigen Kampfplatzes. Die Möglichkeit dazu gab ihm der Pilsener-Münch­ ner Vertrag, der ihm das Oberkommando über die gesamte Bünd­ (Dudík, Beda: Schweden in Böhmen und Mähren 1640–1650. Wien 1879, 284–290; Tingsten [wie Anm. 26], 59f). 30 Siehe zur Flucht des Kaiserhofes APW II A 10 (wie Anm. 11), XLVI. 31 Höfer (wie Anm. 17), 196.

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nisarmee übertrug, solange diese in seinen landesherrschaftlichen Gebieten agierte32. Die unterschiedlichen Auffassungen über die richtige Kriegsstrate­ gie belasteten das kaiserlich-bayerische Bündnis stark, und so wur­ de Maximilian nicht müde, sich bei Ferdinand III. über die militä­ rische Situation in Bayern und das seiner Ansicht nach vorliegende Versagen der Armeeführung zu beschweren und deren Zurecht­ weisung, wenn nicht sogar Ablösung zu fordern33. Er scheute auch nicht davor zurück, seine Klagen an den Kongress zu bringen und den Gesandten der katholischen Reichsstände zu präsentieren. Da­ mit trug er seine Unzufriedenheit und seine Kritik vor die Reichs­ öffentlichkeit. Das Scheitern des Bündnisses war nicht mehr nur eine Angelegenheit zwischen den Alliierten, sondern wurde so zum Politikum. Denn so gab der Kurfürst einen Hinweis auf sei­ nen hohen privaten Einsatz für die Reichsinteressen, indem er sich auf Drängen der katholischen Reichsstände wieder mit dem Kai­ ser dem catholischen wesen zum besten vereinigt hatte und nun die Konsequenzen dieser Reunion quasi allein tragen musste, da vor allem seine Territorien durch feindliche Truppenaktivitäten in Mit­ leidenschaft gezogen wurden. Durch die Beschreibung seiner per­ sönlichen Opferbereitschaft erhöhte er den moralischen Druck auf die katholischen Reichsstände, schnell den ersehnten Frieden zu er­ reichen. Mit seinem wiederholten Wunsch nach einem baldigen Ab­ schluss des Friedens und einer Beförderung der Beratungen deutete er aber auch seine verhandlungspolitische Ausrichtung noch ein­ mal an und verdeutlichte somit, in welche Richtung er die Verhand­ lungen lenken wollte34, denn der Frieden konnte nur durch erhöhte Kompromissbereitschaft realisiert werden. Die Feststellung Höfers, Maximilian sei mit dem Einfall der schwe­ disch-französischen Armee vom Fordernden zum Bittsteller ge­ 32

Ebd., 222. Ferdinand III. an Lamberg, Krane und Volmar, Prag 1648 Mai 14; APW II A 9 (wie Anm. 8), Nr. 3, 8f (für den Nachweis der entsprechenden baye­ rischen Schreiben besonders Anm. 2); Volmar an Trauttmansdorff, Osna­ brück 1648 Mai 18; ebd., Nr. 10, 32; Lamberg, Krane und Volmar an Fer­ dinand III., Osnabrück 1648 Juni 25; ebd., Nr. 57, 204f; Ferdinand III. an Nassau und Volmar, Linz 1648 September 4; APW II A 10 (wie Anm. 11), Nr. 6, besonders 30f. 34 Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 Juni 25; APW II A 9 (wie Anm. 8), Nr. 57, 204f, das Zitat 204. 33

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worden, ist als unzutreffend zurückzuweisen35. Zutreffend ist, dass der Kurfürst, mit zum Teil dramatischen Beschreibungen der Zu­ stände in Bayern, Ferdinand III. um Abstellung dieser Missstände bat. Allerdings darf diese Praxis nicht missverstanden werden. Der Kurfürst war nicht etwa handlungsunfähig geworden oder – wie die Formulierung Höfers nahelegt – vom Kaiser abhängig. Er ver­ fügte noch immer sowohl über den größeren finanziellen Spielraum als auch die stärkeren Einflussmöglichkeiten auf die Verhandlungen beim Kongress36, wie noch zu zeigen sein wird. Jedoch erlaubte sei­ ne Stellung zu Ferdinand III. nicht, dieses Ungleichgewicht zur Ba­ sis der bayerischen Argumentation und Drohung zu machen. Trotz ihres Bündnisses waren Kaiser und Kurfürst nicht gleichberech­ tigt. Maximilian von Bayern wandte sich in seinen Schreiben an den Kaiser des Heiligen Römischen Reichs. Er sprach ihn als Verbünde­ ten an, aber er appellierte in erster Linie an ihn als obersten Schutz­ herrn, von dem er als Reichsstand und dessen Vasall Hilfe erbat. Er wandte sich aus einem formaljuristischen Abhängigkeitsverhältnis an Ferdinand III. Sicher versuchte der Kurfürst, mit seinen drasti­ schen Darstellungen Druck auf den Kaiser auszuüben und ihn zu einem aktiven Eingreifen in die Kampfhandlungen zu bewegen. Da­ her betonte Maximilian von Bayern stets seinen Willen, den Kai­ ser zum Besten des Reichs zu unterstützen, musste allerdings un­ ter Verweis auf die Belastungen des Krieges einräumen, diese nicht länger tragen zu können und als guter Landesvater zur Rettung und zum Schutze seines Landes und seiner Untertanen aus dem Krieg ausscheiden zu müssen. Allen Beteiligten dürften diese verklausu­ lierte Drohung und ihre Konsequenz bewusst gewesen sein. Der Kaiser wäre wieder isoliert gewesen. Jedoch argumentierte der Wit­ telsbacher gemäß seiner Rolle nie mit dem Unvermögen des Kai­ sers, sondern stets mit den unerträglichen Belastungen seiner Terri­ torien und der dadurch drohenden Erschöpfung seiner Ressourcen, also mit den eigenen beschränkten Handlungsmöglichkeiten. Es gelang Maximilian von Bayern trotz seiner intensiven Gesuche an den Kaiserhof weder, die Verwüstung Bayerns zu verhindern oder zumindest einzudämmen, noch, eine wirksame finanzielle Entlas­ tung zu erreichen. Dem Kaiser fehlten die Mittel, wirksam gegen den Feind vorzugehen und die Rückkehr des Krieges in die Gebie­ 35 36

Höfer (wie Anm. 17), 204. Siehe zur bayerischen Kriegsfinanzierung Kapser (wie Anm. 1), 166–195.

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te des Verbündeten, aber vor allem nach Böhmen und seine eigenen Territorien abzuwenden. Immerhin gelang es ihm, die Auflösung der Armee zu vermeiden, von der sich das Bündnis aufgrund seiner Fi­ nanznot wohl nicht mehr erholt hätte. Zusammenfassend lässt sich also konstatieren, dass in militärischer Hinsicht keiner der beiden Verbündeten seine Vorstellungen vollständig durchsetzen konnte und das Bündnis somit im Wesentlichen wirkungslos blieb. 2. Bis zum Abschluss des Friedens mit Schweden: Frühjahr und Sommer 1648 Nachdem deutlich wurde, welchen Belastungen die militärische Sei­ te des Bündnisses standhalten musste und wie wirkungslos es sich letztlich in dieser Hinsicht erwies, soll die politische Seite der Zu­ sammenarbeit zwischen Ferdinand III. und Maximilian von Bayern beleuchtet werden. Im Winter 1647/1648 ruhten die Verhandlungen auf dem Kongress weitgehend. Erst im Februar 1648 luden die Osnabrücker Teilku­ rien die in Münster anwesenden Reichsstände zur Teilnahme an ge­ meinsamen Verhandlungen ein. Ab Anfang März ergänzten zahl­ reiche katholische Gesandte die kompromissbereite Partei der Reichsstände in Osnabrück. In den folgenden Wochen konnten die Vorabkommen zur Autonomie (1648 III 18) und zur Amnestie und den Restitutionen (1648 IV 21) vereinbart und unterzeichnet wer­ den. Auf die detaillierte Darstellung der Beratungen kann hier ver­ zichtet werden. Vielmehr interessiert, wie sich die beiden Verbün­ deten während dieser Verhandlungen positionierten. Die bayerischen Gesandten37 waren instruiert, den Frieden auf Grundlage des von Trauttmansdorff im Juni 1647 präsentierten Entwurfs für einen Frieden mit Schweden (Trauttmansdorffianum) abzuschließen38. Diese Grundhaltung ermöglichte der bayerischen Politik ein Zugehen auf die Gegenseite, vor allem auf die protestan­ tischen Reichsstände. Begünstigt wurde die bayerische Kompro­ 37

Dr. Johann Ernst (1604–1667), 1645–1649 kurbayerischer Sekundargesand­ ter, sowie Dr. Johann Adolf Krebs (gest. nach 1670), 1645–1647 und 1648– 1649 kurbayerischer Sekundargesandter (Immler [wie Anm. 3], 18ff). 38 Lamberg an Kurz, Osnabrück 1648 Februar 13; APW II A 8 (wie Anm. 8), Nr. 5, 16f.

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misshaltung durch die militärische Entwicklung. Sie gründete sich aber vor allem darauf, dass Kurfürst Maximilian bereits mündliche Zusagen hinsichtlich seiner zentralen Forderung besaß. Erstes Ziel der bayerischen Gesandten musste es also sein, eine schriftliche Be­ stätigung der Vereinbarung bezüglich der Kur und der Pfalz zu er­ reichen und die bayerischen Forderungen hinsichtlich der Armeesa­ tisfaktion durchzusetzen, ohne dabei aber den baldigen Abschluss des Friedens zu blockieren. Um diesen zu erreichen, entwickelten sich zu Beginn des Jahres 1648 direkte Verhandlungen zwischen Vertretern der katholischen und protestantischen Reichsstände zu einzelnen Problemkom­ plexen39. Anstoß zu diesen Separatverhandlungen gaben die Bera­ tungen über die Autonomie im Reich. Um den Stillstand der Ver­ handlungen aufzubrechen, schlugen die bayerischen Gesandten vor, sich mit den protestierenden absonderlich zu vergleichen40. Unter­ stützt wurden sie dabei von den schwedischen Gesandten, die die Lösung der Autonomiefragen als reichsinterne Angelegenheit an die Reichsstände verwiesen41. Im Laufe des Frühjahrs etablierten sich diese reichsständischen Beratungen als gängige Praxis. Von ka­ tholischer Seite waren neben den bayerischen Gesandten auch die Delegierten Kurmainz’ und häufig auch Würzburgs sowie Bam­ bergs beteiligt. Auf diese Weise verglichen sich die Reichsstände be­ züglich der Regelung zur Autonomie im Reich42 sowie der noch of­

39

Wolff, Fritz: Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum auf dem Westfälischen Friedenskongreß. Die Einfügung der konfessionellen Stände­ verbindungen in die Reichsverfassung. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 2) Münster 1966, 54ff; APW II A 7 (wie Anm. 26), LXVII und LXXf. 40 APW (wie Anm. 8). Serie III. Abteilung C: Diarien. Bd. 2: Diarium Volmar. Teilbd. 2: 1647–1649. Bearb. von Joachim Foerster und Roswitha Phillipe. Münster 1984 [im Folgenden abgekürzt: APW III C 2/2], 971. 41 Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 März 12; APW II A 8 (wie Anm. 8), Nr. 34, 116. 42 Siehe zum Abschluss der reichsständischen Beratungen die Berichte der kaiserlichen Gesandten: Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 März 12; ebd., Nr. 34; Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 März 19; ebd., Nr. 41, besonders Beilage [2].

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fenen Amnestie-Fragen43, der Vereinbarung des Friedensvollzugs und der Friedenssicherung44 und des Umgangs mit der noch un­ geregelten Amnestie in den kaiserlichen Erblanden45, um nur die wichtigsten Beratungspunkte zu nennen. Im Anfangsstadium die­ ser überkonfessionellen Beratungen lag den Kurmainzer und -bay­ erischen Gesandten viel an der Abstimmung mit den kaiserlichen Bevollmächtigten, um so die gemeinsamen katholischen Interessen wahren zu können46. Die kaiserlichen Gesandten standen diesen überkonfessionellen Verhandlungen ambivalent gegenüber. Hinsichtlich der Autono­ mieberatungen begrüßten sie diese nach anfänglichen Bedenken47, da sie dadurch von aller Verantwortung für den Fortgang der Ver­ handlungen entbunden wurden48, warfen allerdings dem baye­ rischen Gesandten Krebs vor, besseren Verhandlungsergebnis­ sen für die katholische Seite hinderuks vill vergeben zu haben49. Im weiteren Verlauf des Kongresses kritisierten sie die reichsstän­ dischen Beratungen zunehmend50. Dies lag vor allem daran, dass Ferdinand III. keine Änderung an der vereinbarten Reihenfolge

43

44 45 46 47 48 49 50

Siehe die Berichte der kaiserlichen Gesandten über die Verhandlungen der Reichsstände: Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 April 13; ebd., Nr. 75; Volmar an Trauttmansdorff, Osnabrück 1648 April 13; ebd., Nr. 76, 244f. Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 April 30; ebd., Nr. 96, 326. Volmar an Trauttmansdorff, Osnabrück 1648 April 30; ebd., Nr. 97. APW III C 2/2 (wie Anm. 40), 951, 976f, 990, 995, 1004ff. Ebd., 972ff. Wie Anm. 42 sowie Volmar an Trauttmansdorff, Osnabrück 1648 März 12; APW II A 8 (wie Anm. 8), Nr. 35, 119. Lamberg an Kurz, Osnabrück 1648 März 19; ebd., Nr. 43, 145. Siehe die kritischen Bemerkungen der kaiserlichen Gesandten zu den bay­ erischen Separatverhandlungen: Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 März 23; ebd., Nr. 46, 148; Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 April 13; ebd., Nr. 75, 236 und 239; Volmar an Trauttmansdorff, Osnabrück 1648 April 13; ebd., Nr. 76, 244; Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 April 20; ebd., Nr. 83, 279; Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osna­ brück 1648 April 30; ebd., Nr. 96; Volmar an Trauttmansdorff, Osnabrück 1648 April 30; ebd., Nr. 97, 335.

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der Beratungspunkte zugeben wollte51. Dadurch beraubte er seine Gesandten ihrer Einflussmöglichkeiten auf die Verhandlungen, als Reichsstände und Schweden beschlossen, im Anschluss an die Au­ tonomie nicht erst die Amnestie, sondern die schwedische Armee­ satisfaktion in Angriff zu nehmen52. Diese Isolation verschärfte sich dadurch, dass die bayerischen und andere katholische Reichsstände ihre inhaltlichen Positionen mit den Protestanten verglichen. Den Kaiserlichen wurden so die Mittel genommen, ihre Interessen in­ direkt durch den Verbündeten durchsetzen zu lassen. Ein zweiter Kritikpunkt der Kaiserlichen zielte auf die Kompromissbereitschaft der bayerischen Politik. Sie befürchteten, dass die Protestanten die auf dem Kongress bekannte Friedenssehnsucht des Kurfürsten und seine Bereitwilligkeit, auf Grundlage des Trauttmansdorffianum Frieden zu schließen, ausnutzen könnten, um die bayerischen Gesandten und damit die katholische Seite zu noch größeren Zu­ geständnissen zu zwingen53. Dennoch hielten die kaiserlichen Ge­ sandten an der Zusammenarbeit mit Kurbayern und auch Kur­ mainz fest und versuchten, sich gemäß ihren Instruktionen54 mit den kurfürstlichen Delegierten abzustimmen55, was mit ihrem wachsenden Ausgeschlossensein bei den Verhandlungen jedoch im­ mer weniger gelang. In den Momenten, in denen die kaiserlichen Gesandten den Ver­ handlungsgang im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten be­ einflussen konnten, taten sie dies mit Rücksicht auf ihre Verbün­ deten. Dies betraf vor allem die Beratungen bezüglich der Pfalz. Zwar waren die zentralen Regelungen bereits im März 1647 ver­ einbart, aber noch nicht unterzeichnet und verbindlich fixiert wor­ den. Außerdem gab es noch Klärungsbedarf hinsichtlich des kon­ fessionellen Status der an Bayern übergegangenen Oberpfalz. Mit Unterstützung des Kaisers wollte Kurfürst Maximilian das ius ter51 52 53 54 55

Ferdinand III. an Lamberg, Krane und Volmar, Prag 1648 April 8; ebd., Nr. 68, 208f. Dickmann (wie Anm. 5), 472. Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 April 16; APW II A 8 (wie Anm. 8), Nr. 79, 257. Ferdinand III. an Lamberg, Krane und Volmar, Prag 1648 März 28; ebd., Nr. 52, 175. Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 Februar 27; ebd., Nr. 22; Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osna­ brück 1648 April 27; ebd., Nr. 93, 315.

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ritoriale für seine pfälzischen Gebiete durchsetzen, um so eine Re­ stitution der protestantischen Bevölkerung gemäß dem Normaljahr 1624 und eine konfessionelle Spaltung Bayerns zu verhindern56. Die kaiserlichen Gesandten weigerten sich dann auch, das Vorabkom­ men zur Entschädigung Brandenburgs und Braunschweig-Lüne­ burgs zu unterzeichnen, solange Schweden das Pfalz-Abkommen nicht unterschreiben wollte57. Ebenso hielten sie es beim Vorab­ kommen über die Satisfaktion Hessen-Kassels58. Sie empfahlen auch den bayerischen Gesandten, sich ihrer Strategie anzuschlie­ ßen. Jedoch unterzeichnete Krebs das Vorabkommen zur Satisfak­ tion Hessen-Kassels nach anfänglicher Weigerung, denn die protes­ tantischen Reichsstände hatten ihn in langwierigen Beratungen der Gültigkeit der Pfalz-Regelung versichert59. Ein weiterer Grund für seine Unterschrift dürfte gewesen sein, dass die Regelung der Satis­ faktion Hessen-Kassels inhaltlich im Wesentlichen auf ihn zurück­ ging60. Das Vorabkommen zur Pfalz war bereits im März unter der Zustimmung Bayerns sowohl von den katholischen als auch den protestantischen Reichsständen interimsweise unterzeichnet wor­ den61. Zwar fehlte noch immer die schriftliche Bestätigung durch die Hauptverhandelnden, aber die Anerkennung der Reichsstände nahm der Vereinbarung etwas von der Unverbindlichkeit ihrer bis­ herigen Mündlichkeit. Dies kann zumindest als Teilerfolg für Kur­ fürst Maximilian und als Anerkennung für seine Kompromisspoli­ tik gelten. Allerdings war man sich auch im bayerischen Lager der Unsicherheit dieser Zusage bewusst, ehe nicht die Kaiserlichen und die Schweden sie durch ihre Unterschriften anerkannten. Aus die­ sem Grund baten die bayerischen Gesandten die Kaiserlichen im Sommer 1648 wiederholt, sie zu unterstützen, endlich eine Bestäti­ gung des Vorabkommens zur pfälzischen Restitution zu erreichen62, 56

57 58 59 60 61 62

Ferdinand III. an Lamberg, Krane und Volmar, Prag 1648 Februar 15; ebd., Nr. 8, 23f; Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 März 2; ebd., Nr. 26. Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 März 26; ebd., Nr. 49, 159f. Volmar an Trauttmansdorff, Osnabrück 1648 April 9; ebd., Nr. 72, 227. Volmar an Trauttmansdorff, Osnabrück 1648 April 9; ebd., Nr. 72, 227f; Lamberg an Kurz, Osnabrück 1648 April 9; ebd., Nr. 73, 229. APW III C 2/2 (wie Anm. 40), 1036 Z. 26–29. Wie Anm. 57, hier 160. APW III C 2/2 (wie Anm. 40), 1074 Z. 28–38, 1089 Z. 16–34.

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die die Schweden verweigerten, um bei der Durchsetzung ihrer In­ teressen, vor allem der Armeesatisfaktion, ein Druckmittel gegen Maximilian von Bayern in Händen zu behalten63. Als im Mai 1648 endlich die Beratungen über die Militärsatisfakti­ on begannen, galt es sowohl für Ferdinand III. als auch für Kur­ fürst Maximilian von Bayern, noch einmal zentrale eigene Interes­ sen durchzusetzen. Da der Kaiser darauf beharrte, die Bezahlung der Armeen als Teil der Regelungen zum Friedensvollzug zu bera­ ten, verhandelten die Reichsstände in Osnabrück ohne Beteiligung der Kaiserlichen mit den Schweden. Dadurch beraubte man sich am Kaiserhof der ohnehin schon begrenzten Einflussmöglichkeiten auf die Beratungen. Die kaiserlichen Gesandten gaben neben dem Mainzer Gesandten Meel64 und dem Würzburger Delegierten vor allem den Kurbayerischen die Schuld an ihrem Ausschluss von den Verhandlungen, da diese hinderrücks der Kaiserlichen verhandelt hätten65. Zu Beginn der Beratungen baten die Kaiserlichen sowohl die Kurmainzer als auch die -bayerischen Gesandten, sich gegen die vorrangige Verhandlung der Armeesatisfaktion auszusprechen und diese zu verhindern. Allerdings zogen sich beide Gesandtschaften darauf zurück, dass die Umfrage in den Reichsräten bereits begon­ nen habe und die Beratungen deshalb nicht mehr aufzuhalten seien. Zudem verwiesen sie auf ihre Spezialbefehle, die im Falle Kurbay­ erns besagten, sich Verhandlungen über die Bezahlung der Armeen nicht in den Weg zu stellen, sobald sie in Angriff genommen wür­ den, auch wenn man sie am kurfürstlichen ebenso wie am Kaiserhof eigentlich als Teil des Friedensvollzugs begriff66. Am 12. Mai beschlossen die Osnabrücker Teilkurien, dass neben Schweden nur dem Kaiser und Bayern Ausgleichszahlungen für ihre Armeen zugestanden werden sollten. Damit hatten die beiden Bündnispartner einen Teilerfolg erzielt. In den kommenden Wochen entspann sich ein Schachern um die Höhe der schwedischen Satis­ 63

Wie Anm. 59, hier 228. Dr. Sebastian Wilhelm Meel (gest. 1666); 1647–1649 kurmainzischer Ge­ sandter (Wolff [wie Anm. 39], 209). 65 Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 Juni 25; APW II A 9 (wie Anm. 8), Nr. 56, 198f. 66 Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 Mai 7; APW II A 8 (wie Anm. 8), Nr. 103, 352; Volmar an Trauttmansdorff, Os­ nabrück 1648 Mai 7; ebd., Nr. 105, 356f; Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 Mai 11; ebd., Nr. 108, 364f. 64

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faktion, für die die Reichsstände schließlich am 13. Juni 1648 fünf Millionen Reichstaler bewilligten67. Verantwortlich für diese hohe Summe zeichneten – nach Auffassung der Kaiserlichen – neben den Kurmainzer Gesandten die bayerischen68, ebenso wie für die Fest­ legung der ersten Rate der schwedischen Armeesatisfaktion auf drei Millionen Reichstaler durch [ihr] anhalten und nachlaufen69. Von kaiserlicher Seite war man durchaus bereit, die bayerischen Sa­ tisfaktionsforderungen zu unterstützen70, was diese wiederum von den kaiserlichen Gesandten einforderten71. Entsprechend stimmten sich die bayerischen und kaiserlichen Gesandten auf dem Kongress ab, um ihre Vorstellungen durchzusetzen72. Dieses Zusammen­ wirken blieb jedoch fruchtlos. Ursächlich dafür war in erster Li­ nie die instruktionsgemäße Weigerung der Kaiserlichen, überhaupt über die Armeesatisfaktion zu verhandeln. Entsprechend besaßen sie keine Möglichkeit, in die Beratungen einzugreifen73, während die bayerischen Gesandten auf sich gestellt versuchen mussten, die bayerischen Vorstellungen gegenüber Reichsständen und Schwe­ den zu verwirklichen. Bayern konnte seine Forderung nach einem Drittel der den Schwedischen bewilligten Summe auf Kosten der übrigen Reichsstände nicht realisieren74. In dieser Absicht liegt je­ doch eine Erklärung für die Bewilligung der hohen schwedischen Armeesatisfaktion durch die kurbayerischen Gesandten, denn dies hätte rund 1,6 Millionen für die bayerischen Truppen gebracht, wenn Maximilian von Bayern seine Pläne hätte verwirklichen kön­ nen. Aber auch die bayerischen Wünsche nach Entschädigung der kurfürstlichen Armee aus dem Fränkischen, Schwäbischen und 67 68 69 70 71 72

73 74

Dickmann (wie Anm. 5), 472–476; Ruppert (wie Anm. 5), 340f; APW II A 9 (wie Anm. 8), XLIX–LIII. Volmar an Trauttmansdorff, Osnabrück 1648 Juni 15; ebd., Nr. 44, 155f. Lamberg und Krane an Ferdinand III., Osnabrück 1648 Juni 29; ebd., Nr. 62, 216 (dort das Zitat); APW III C 2/2 (wie Anm. 40), 1101 Z. 10–11. Ferdinand III. an Lamberg, Krane und Volmar, Linz 1648 Juni 22; APW II A 9 (wie Anm. 8), Nr. 50. APW III C 2/2 (wie Anm. 40), 1074 Z. 28–34. Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 Juli 6; APW II A 9 (wie Anm. 8), Nr. 71, 238; Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 Juli 9; ebd., Nr. 75, 259. APW III C 2/2 (wie Anm. 40), 1074 Z. 38–1075 Z. 16. Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 Juli 2; APW II A 9 (wie Anm. 8), Nr. 67, 229f.

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Bay­erischen Reichskreis75 oder den kaiserlichen Gebieten wurde abgewiesen76. Kurfürst Maximilian wollte wegen seiner unerfüllten Forderungen den greifbaren Frieden nicht gefährden und instru­ ierte seine Gesandten, der Regelung zur Armeesatisfaktion zuzu­ stimmen77. Die bayerische Armee musste sich mit dem Bayerischen Reichskreis und damit im Wesentlichen mit den landesherrlichen Territorien Kurfürst Maximilians begnügen, während die kaiser­ lichen Verbände auf den Österreichischen Reichskreis und somit auf die kaiserlichen Erblande verwiesen wurden78. Auch für den Kaiser verliefen die Beratungen insgesamt enttäu­ schend, obwohl es Ferdinand III. gelang, von den Reichsständen zumindest die Zusage weiterer Zahlungen zu erhalten. Allerdings sollte deren Höhe erst auf dem nächsten Reichstag festgesetzt wer­ den79. Doch bereits im Herbst 1648 konnte er eine Festlegung des Betrags erreichen. In ihrer Visite am 1. August 1648 hatten die De­ putierten der Osnabrücker Teilkurien den seit Juli erhobenen For­ derungen der kaiserlichen Gesandten nach einem Zusatzbeitrag der Reichsstände von 100 Römermonaten zur Abdankung der kai­ serlichen Immediattruppen noch eine Absage erteilt. Mitte Okto­ ber wagte Ferdinand III. einen erneuten Vorstoß, hoffend, daß die stende wenigst nach bezalter Schweedischen soldatesca bey noch wehrende[m] conventu vergleichen und assignieren und unß darüber einen absonderlichen recess zukhommen lassen würden. Als Verhandlungsrahmen für die Höhe des Zusatzbeitrags sah er 100 bis 150 Römermonate vor. Ausflüchte der Reichsstände, nicht in­ struiert zu sein, sollten die kaiserlichen Gesandten unter Verweis auf die Verhandlungen über die schwedische Armeesatisfaktion ab­

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Das waren die Versorgungsgebiete, die sich Kurfürst Maximilian im Pilse­ ner-Münchner Vertrag (wie Anm. 18) und im Prager Rezess (wie Anm. 19) für seine Truppen hatte zusichern lassen. Ferdinand III. an Lamberg, Linz 1648 Juni 23; APW II A 9 (wie Anm. 8), Nr. 55. APW III C 2/2 (wie Anm. 40), 1104 Z. 27–34. Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 Juli 13; APW II A 9 (wie Anm. 8), Nr. 79, 271, sowie Beilage A. Der nächste Reichstag sollte innerhalb eines halben Jahres nach der Ratifi­ zierung von IPM und IPO ausgeschrieben werden (Art. VIII,3 IPO [Text: APW III B 1/1 [wie Anm. 13], Nr. 18, 130 Z. 37–131 Z. 10] = § 64 IPM).

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schneiden80. Nachdem nach den Kurmainzer und -kölner Gesand­ ten auch die Gesandten Kurbrandenburgs den Kaiserlichen ihre Unterstützung für ihr Anliegen zugesagt hatten, beriefen diese am 3. November 1648 eine Konferenz mit den Reichsständen ein, in der sie sich bezüglich des Zusatzbeitrags zur Abdankung der kai­ serlichen Immediatarmee erklärten und 150 Römermonate for­ derten81. Fünf Tage später berieten die Reichsstände darüber, und gegen die Voten Sachsen-Altenburgs, -Weimars und BraunschweigLüneburgs wurden im churfurstenrath einhellig, im fürstenrath aber per maiora uff 100 monat nach außgeloffner Schwedischer militi satisfaction zu bezahlen bewilligt82. 3. Der Endspurt zum Frieden: Herbst 1648 Im Sommer 1648 rückten die kaiserlichen Delegierten immer wei­ ter ins Kongressabseits. Nach dem Handschlagabkommen über den Frieden mit Schweden am 6. August reiste Volmar am 10. Au­ gust für die Verhandlungen mit Frankreich zurück nach Münster. Damit steigerte sich die Isolation der kaiserlichen Gesandtschaft zur Handlungsunfähigkeit, denn der Kongress kehrte nicht zum Normzustand zurück. Sowohl Servien als auch die Reichsstände weigerten sich, Osnabrück zu verlassen. Vielmehr wollten sie die letzten Fragen dort ohne weiteren Zeitverlust klären. Anfang Juni baten sie die kaiserlichen Gesandten, sich in Verhandlungen darü­ ber in Osnabrück einzulassen, was die dortigen kaiserlichen De­ legierten Lamberg und Krane strikt ablehnten83. Durch den Juni und Juli wiederholten die Reichsstände diese Forderung gegenüber den Kaiserlichen, die als treibende Kraft hinter diesem Anliegen

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Ferdinand III. an Nassau, Lamberg, Krane und Volmar, Wien 1648 Okto­ ber 13; APW II A 10 (wie Anm. 11), Nr. 52, 232f, das Zitat Z. 25–27). 81 Nassau, Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Münster 1648 No­ vember 3; ebd., Nr. 78, besonders Beilage [4]. 82 Nassau, Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Münster 1648 No­ vember 10; ebd., Nr. 85, 310, das Zitat Z. 1–3. 83 Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 Juni 15; APW II A 9 (wie Anm. 8), Nr. 43, 152f; Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 Juni 18; ebd., Nr. 45, 160.

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die Kurmainzer und -bayerischen Gesandten ausmachten84. Die­ se drängten stark auf einen schnellen Abschluss des Friedens und luden schließlich Servien zu Beratungen der französischen Punkte nach Osnabrück ein – entgegen den Wünschen der Kaiserlichen und vieler Reichsstände, die Volmar als redliche patrioten bezeich­ neten85. In Übereinstimmung mit den kaiserlichen Befehlen verharrten die kaiserlichen Gesandten in Münster und beriefen sich auf die ver­ meintliche Festlegung der Verhandlungen über den französischen Frieden dort im Hamburger Präliminarvertrag86. Die Reichsstände setzten ihre Beratungen in Osnabrück fort. Den kaiserlichen Ge­ sandten vor Ort fehlten die Eingriffsmöglichkeiten, da die Instruk­ tionen aus Linz und Wien sie an die Kollegen in Münster verwie­ sen87. 84

Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 Juli 20; ebd., Nr. 87. 85 Volmar an Trauttmansdorff, Osnabrück 1648 Juli 23; ebd., Nr. 95, 327. 86 Im Hamburger Präliminarvertrag vom 25. Dezember 1641 wurden als Ver­ handlungsorte Münster und Osnabrück bestimmt. Die Zuweisung der je­ weiligen Verhandlungen an einen der beiden Orte geschah implizit durch die Festlegung, dass in Münster französische Gesandte sowie ein schwedi­ scher Resident und in Osnabrück schwedische Gesandte und ein franzö­ sischer Resident anwesend sein sollten; Text des kaiserlich-französischen Vertragsteils: Londorp, Michael Caspar (Hrsg.): Der Roemischen Kaye­ serlichen Majestaet Und Deß Heiligen Roemischen Reichs Geist- und Weltlicher Staende/ Chur- und Fuersten/ Grafen/ Herren und Staedte Acta Publica Und Schrifftliche Handlungen/ Außschreiben/ Sendbrieff/ Be­ richt [...] [mit wechselndem Titel]. Bd. V. Teilbd. 2. Zweite vermehrte Aufl. Frankfurt am Main 1668, 759ff [deutsch]; DuMont, J[ean]: Corps Univer­ sel Diplomatique Du Droit Des Gens; Contenant Un Recueil Des Traitez D’Alliance, De Paix, De Treve, De Neutralité, De Commerce, d’Échange, de Protection & de Garantie; de toutes les Conventions, Transactions, Pac­ tes, Concordats, & autres Contrats, qui ont été faits en Europe, depuis le Regne de l’Empereur Charlemagne jusques à présent; [...]. Bd. VI. Teil­ bd. 1. Amsterdam (P. Brunel, R. et G. Wetstein, les Janssons à Waesberge, L’Honoré et Chatelain), Den Haag (P. Husson et Charles Levier) 1728, 231ff [französisch]; Text des kaiserlich-schwedischen Vertragsteils: Sver­ ges traktater med främmande magter jemte andra dit hörande handlin­ gar. Femte delens senare hälft: 163[3]–1645. Bearb. von C[arl] Hallendorff. Stockholm 1909, 501–504 [lateinisch]. 87 APW II A 10 (wie Anm. 11), LXIIf.

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Diese Konstellation war umso fataler, als mit der Lothringen- und Spanienfrage genuin kaiserliche Interessen beraten wurden. Un­ ter allen Umständen wollte Frankreich verhindern, dass auf dem Kongress über Herzog Karls Wiedereinsetzung in die von Frank­ reich eingezogenen beziehungsweise besetzten lothringischen Ge­ biete verhandelt würde, da es die Beilegung des Konflikts als inner­ französische Angelegenheit betrachtete88. Nach dem Ausscheiden der Niederlande aus dem Krieg mit Spanien im Januar 1648 drängte Frankreich intensiv darauf, Spanien zu isolieren und von seinen Verbündeten zu trennen. Dies galt sowohl für den Herzog von Loth­ringen als auch im Besonderen für die Verbindung der beiden Habsburger Linien. So verlangte Frankreich, einerseits den spa­ nischen König aus dem Frieden auszuschließen, andererseits alle Assistenz des Reichs als Ganzes, aber auch jedes einzelnen Reichs­ stands zu untersagen. Diese Forderung zielte zum einen auf das Habsburgische Hausbündnis, zum anderen auf die Reichsstand­ schaft des spanischen Königs als Herzog von Burgund und somit indirekt auf das Verhältnis des Burgundischen Reichskreises zum Reich89. Ferdinand III. hielt an seiner Verbindung zu Herzog Karl von Loth­ringen, aber besonders an der zu Spanien fest – entgegen der Forderung Frankreichs, aber vor allem entgegen der Auffassung seines Verbündeten. Diese Kompromisslosigkeit des Kaisers wurde von den Reichsstän­ den als Friedenshindernis gesehen. Im Frühjahr 1648 hätte sie bei­ nahe das Bündnis mit Maximilian von Bayern gekostet. Dieser hat­ te bei den Nachverhandlungen des Pilsener-Münchner Vertrags im Februar die Zusage des Kaisers verlangt, auch ohne Spanien Frieden zu schließen. Ferdinand III. erklärte sich dahingehend, verweiger­ te aber eine schriftliche Bestätigung seiner Aussage. Der Kurfürst beharrte vehement darauf und machte den Fortbestand der Zusam­ menarbeit mit dem Kaiser davon abhängig. Dieser versuchte, das Problem auszusitzen und reagierte erst im Mai auf die bayerischen Forderungen, indem er sein Festhalten am spanischen Bündnis noch einmal bestätigte90.

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Ruppert (wie Anm. 5), 343f. Ebd., 345f, 348f. 90 APW II A 8 (wie Anm. 8), XLVIII. 89

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In Osnabrück wurden im August 1648 die Beratungen über den Frieden mit Frankreich wieder aufgenommen. Deren Erfüllung hat­ ten die bayerischen Gesandten bereits in den Monaten davor unter­ stützt91. Anfang September schritten die Reichsstände und Servien zu den Verhandlungen über die letzten französischen Forderungen. Die reichsständische Beratungsgrundlage bildete zunächst ein baye­ rischer Textentwurf, ehe Salvius, der von beiden Verhandlungspar­ teien um Vermittlung gebeten worden war, einen Kompromissvor­ schlag präsentierte, der mit minimalen Änderungen in den Frieden übernommen wurde. Dieser Schriftsatz wurde wahrscheinlich in Abstimmung mit den protestantischen Reichsständen verfasst. Aber auch der bayerische Gesandte pflichtete ihm bemerkenswert schnell bei, so berichteten es zumindest die kaiserlichen Vertreter an den Kaiserhof: auch alsobaldt von dem Churbayrischen Crebs beyfall gehabt92. Der bayerische Textvorschlag formulierte ein allgemeines Friedens­ gebot nach den Reichsgesetzen. Die Regelung der lothringischen Sache verwies er an spätere Verhandlungen, behielt sich aber aus­ drücklich eine Vermittlung des Reichs und des Kaisers in dieser Angelegenheit beim französischen König vor. Der Burgundische Reichskreis sollte weiterhin Teil des Reichs bleiben und dessen Rechte genießen, allerdings sollte er wie bisher neutral verbleiben und sich nicht in den aktuellen Krieg einmischen93. Mit diesem Entwurf hatten die bayerischen Gesandten das Heft des Handelns in die Hand genommen. Ihre Verhandlungsinitiative war inhaltlich zurückhaltend und betonte die Orientierung an der Reichsverfassung, aber dennoch rückte die bayerische Politik mit diesem aktiven Eingreifen in die Beratungen noch weiter vom Kai­ ser ab als bisher. Eine Zusammenarbeit auf dem Kongress und ein eigentliches Abstimmen der Interessen bestand nicht mehr. Dahin­ ter stand neben dem Wunsch nach einem schnellen Abschluss des Friedens die Erfahrung, dass Ferdinand III. das Bündnis mit Spani­ en nicht aufgeben würde. Das hatte der Kongresssommer offenbart. 91

Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1648 Mai 21; APW II A 9 (wie Anm. 8), Nr. 13, 41f; Volmar an Trauttmansdorff, Osna­ brück 1648 Juli 27; ebd., Nr. 98, 334f. 92 Lamberg und Krane an Ferdinand III., Osnabrück 1648 September 7; APW II A 10 (wie Anm. 11), Nr. 9, 38–42, das Zitat 40 Z. 20. 93 Meiern (wie Anm. 18), Bd. VI (1736), 350.

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Der Druck auf Ferdinand III. erhöhte sich durch die gestaltende Mitwirkung Bayerns an den Beratungen in Osnabrück. Wien hat­ te den Anschluss an die Kongressrealität verloren. Durch das Fest­ halten an Verhandlungen in Münster nahm der Kaiser seinen Ge­ sandten jede Einflussmöglichkeit auf die Beratungen, und es sollte bis Mitte September dauern, ehe Ferdinand III. vorsichtig einzu­ lenken begann. Zunächst machte der Kaiser eine Umsiedlung seiner Gesandten nach Osnabrück davon abhängig, dass sich der gesamte Kongress, also die in Münster verbliebenen Reichsstände, die Medi­ atoren, der spanische Gesandte und die Vertreter der Niederlande, dorthin begeben würden94. Schließlich hielt er einen Komplettum­ zug nur noch für wünschenswert, gestattete Nassau und Volmar aber auch, sich ohne die übrigen Kongressteilnehmer in Münster den Beratungen in Osnabrück anzuschließen95. Diese waren aller­ dings zu diesem Zeitpunkt bereits beendet und die Reichsstände waren auf dem Weg nach Münster, um den dort Verbliebenen die Möglichkeit zu geben, dem verhandelten französischen Frieden zu­ zustimmen96. Kompromisslos beharrten die kaiserlichen Räte bis zu diesem Zeit­ punkt auf dem Einschluss des spanischen Königs und der Restitu­ tion Lothringens. Erst jetzt, beinahe zu spät, kam der Umschwung in der kaiserlichen Politik, und Ferdinand III. löste sich schrittwei­ se von seinem spanischen Verbündeten. Zunächst forderte er eine Behandlung der Assistenzfrage nach Maßgabe der Reichsgesetze; sollte dies aufgrund des Verhandlungslaufs in Osnabrück nicht möglich sein, war er bereit, den Frieden ohne Spanien zu schließen, um eine Separation von den Reichsständen zu verhindern, aller­ dings in dem Wunsch, dass die spanisch-französischen Beratungen noch vor dessen Abschluss oder zumindest zeitnah zu diesem eben­ falls erfolgreich zu Ende gebracht würden97. 94

Ferdinand III. an Nassau und Volmar, Linz 1648 September 4; APW II A 10 (wie Anm. 11), Nr. 6, 23f. 95 Ferdinand III. an Nassau und Volmar, Wien 1648 September 20; ebd., Nr. 23, 117f. 96 Lamberg und Krane an Ferdinand III., Osnabrück 1648 September 17; ebd., Nr. 20. 97 Gutachten im Geheimen Rat, [Wien] 1648 September 14; ebd., Nr. 18; Fer­ dinand III. an Nassau und Volmar, Wien 1648 September 16; ebd., Nr. 19 und 19A.

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Ursächlich für diese Kehrtwende war zum einen die militärische Si­ tuation mit der Besetzung Bayerns und Böhmens durch Schweden und Franzosen sowie dem drohenden Vorrücken des Feindes in die österreichischen Erblande, zum anderen musste man am Kaiserhof einsehen, dass Maximilian von Bayern zwar mit seinen Waffen auch weiterhin (erfolglos) bei Ferdinand III. stand, verhandlungspoli­ tisch jedoch eigene Wege ging, ohne Rücksicht auf die kaiserliche Position. Seine anhaltenden Drohungen, das Bündnis mit dem Kai­ ser wieder zu lösen und einen separaten Frieden mit den Kronen Frankreich und Schweden zu suchen, zeigten Wirkung. Zwar setzte diesbezüglich ein Gewöhnungsprozess am Kaiserhof ein und man bezeichnete sie als dz alte gesang98, maß ihnen also vor allem rhe­ torische Bedeutung bei, doch wollte man sich offensichtlich nicht auf diese Einschätzung verlassen. Die Furcht, der Kurfürst könnte Ernst machen und sich wieder vom Kaiser lösen, schwang bis in den Oktober immer wieder in den kaiserlichen Weisungen mit. Ein Szenario, das man unbedingt vermeiden wollte99. Noch im August 1648 entsandte der Kaiser Reichsvizekanzler Kurz nach Salzburg zu Maximilian von Bayern, um diesen vom Festhalten am spanischen Bündnis und dem Einschluss Spaniens in den Frieden zu überzeugen. Die Mission verlief erfolglos100. Der Kurfürst war nicht bereit, den Frieden den kaiserlichen Privatinteressen zu opfern. Entsprechend nachdrücklich bat er Ferdinand III., sich von Spanien zu lösen und sich an den Verhandlungen in Münster zu beteiligen101. 98

Ferdinand III. an Nassau und Volmar, Linz 1648 September 4; ebd., Nr. 6, 30, das Zitat Z. 9. 99 Ferdinand III. an Nassau, Lamberg, Krane und Volmar, Wien 1648 Okto­ ber 1; ebd., Nr. 35, 156f; Nassau, Lamberg, Krane und Volmar an Ferdi­ nand III., Münster 1648 Oktober 16; ebd., Nr. 57, 245. 100 Ferdinand III. an Nassau und Volmar, Linz 1648 September 4; ebd., Nr. 6 Beilage A–C; Ferdinand III. an Nassau und Volmar, Linz 1648 September 7; ebd., Nr. 8 Beilage A und B. – Zur Mission Kurz’ siehe außerdem Alb­ recht, Maximilian (wie Anm. 1), 1081; Höfer (wie Anm. 17), 222. 101 Kurfürst Maximilian von Bayern an Ferdinand III., Salzburg 1648 August 30; Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Reichskanzlei, Friedensakten, Fas­ zikel 56c (1648 VIII 1–31) fol. 266–266’; Kurfürst Maximilian von Bayern an Ferdinand III., Salzburg 1648 September 16; Dokumente zur Ge­ schichte von Staat und Gesellschaft in Bayern. Abteilung I: Altbay­ ern vom Frühmittelalter bis 1800. Bd. 3: Altbayern von 1550–1651. Teil 2. Bearb. von Walter Ziegler. München1992, Nr. 347.

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Am Erfolg seines Mahnens und seines Einflusses auf die kaiser­ liche Haltung beziehungsweise an der Einsicht des Kaisers in poli­ tische Notwendigkeiten schien Maximilian von Bayern wenig Zwei­ fel zu haben. Dies zeigt sich vor allem darin, dass die bayerischen Gesandten seit Juli 1648 gegenüber dem Kongress beständig darauf beharrten, Ferdinand III. werde seine Bevollmächtigten instruieren, sich ebenfalls nach Osnabrück zu begeben, um mit Frankreich zu verhandeln. Mit diesen Beharrungen haben sie vil verfüert, die fran­ zösischen Beratungen in Münster in Angriff zu nehmen102. Zwar erfolgte eine sprechende Weisung des Kaisers tatsächlich. Doch konnten seine Gesandten diese nicht mehr umsetzen. Der Kongress begab sich Mitte September 1648 zu den kaiserlichen Ge­ sandten und den in Münster verbliebenen Teilkurien. Nachver­ handlungen der Osnabrücker Ergebnisse kamen entgegen der Hoff­ nung der kaiserlichen Gesandten nicht mehr zustande. Stattdessen erhöhten die Reichsstände ihren Druck auf die Kaiserlichen. Dies gilt ausdrücklich für die bayerischen Gesandten, die wiederholt den sofortigen Beitritt Ferdinands III. zum Frieden forderten – sowohl unter Verweis auf ihre eigenen Instruktionen, unverzüglich Frieden zu schließen103, als auch mit Hinweis auf die kaiserlichen Befehle von Mitte September. Nach Auffassung der bayerischen Gesandten waren die Kaiserlichen angehalten, ohne weiteren Zeitverlust dem in Osnabrück Verhandelten bedingungslos zuzustimmen. Eine In­ terpretation der kaiserlichen Weisungen, die die kaiserliche Ge­ sandtschaft so nicht teilen wollte. Die Informationen darüber, wie die kaiserlichen Gesandten instru­ iert waren, erhielten die bayerischen Gesandten vom kurfürstlichen 102 Volmar

an Trauttmansdorff, Osnabrück 1648 Juli 23; APW II A 9 (wie Anm. 8), Nr. 95, 327 (dort auch das Zitat); Lamberg und Krane an Ferdi­ nand III., Osnabrück 1648 August 20; ebd., Nr. 127, 409f; Lamberg und Krane an Ferdinand III., Osnabrück 1648 August 31; ebd., Nr. 140, 463f; Nassau und Volmar an Ferdinand III., Münster 1648 September 1; APW II A 10 (wie Anm. 11), Nr. 1, 2; Volmar an Trauttmansdorff, Münster 1648 September 1; ebd., Nr. 2, 5; Lamberg und Krane an Ferdinand III., Osna­ brück 1648 September 3; ebd., Nr. 3, 11f. 103 Volmar an Trauttmansdorff, Münster 1648 September 18; ebd., Nr. 22, 116; Nassau, Krane und Volmar an Ferdinand III., Münster 1648 September 25; ebd., Nr. 28, 138; Nassau, Krane und Volmar an Ferdinand III., Müns­ ter 1648 September 29; ebd., Nr. 32, 149f; Nassau, Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Münster 1648 Oktober 2; ebd., Nr. 38, 161f.

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Hof. Dies zeigt zweierlei: Zum einen, wie wichtig es Ferdinand III. war, das Bündnis mit Bayern nicht weiter zu belasten oder gar zu riskieren. Entsprechend versuchte er, den Kurfürsten zu beschwich­ tigen, indem er ihn über seine Entscheidungen und Instruktionen informierte. So konnte Maximilian von Bayern sehen, dass sich der Kaiser inhaltlich bewegte. Zum anderen wird deutlich, wie bewusst sich Bayern des Spielraumes der kaiserlichen Gesandten war und wie sehr es diesen im Verhältnis seiner eigenen Delegierten zu den Kaiserlichen einkalkulierte, um auf diese im Sinne der bayerischen Interessen einzuwirken – man könnte auch sagen, sie zur Durchset­ zung bayerischer Ziele unter Druck zu setzen. Ohnehin funktionierte die Zusammenarbeit der Bündnispart­ ner auf dem Kongress nicht mehr. Ein Beleg dafür sind die nicht abreißenden Beschwerden der Kaiserlichen über die bayerischen Gesandten. Die kaiserlichen Bevollmächtigten hatten sich von dem Bündnis mit Bayern eine stärkere Unterstützung der baye­ rischen Politik für die kaiserliche Position und das Festhalten an Spanien gewünscht, da [die bayerischen Gesandten] doch billich von irer churfürstlichen durchlaucht in ansechung von Eur Mayes­ tät so vilfältig empfundener getrewer assistentz eines andern instruiert und bevelcht sein solte 104 . Diese blieb jedoch aus. Statt­ dessen wurde ihr Kayserliche mayestät und deren hochlobliches hauß despectirt, so sahen es zumindest die kaiserlichen Gesand­ ten105 . In scharfem Kontrast ihrer eigenen Handlungsmöglich­ keiten mussten sie die führende Rolle der bayerischen Gesandten in der Schlussphase der Verhandlungen konstatieren. Diese mach­ ten sie für die Fortsetzung der Beratungen in Osnabrück verant­ wortlich, weil sie die übrigen Reichsstände unter Verweis auf das Nachgeben des Kaisers und seine bevorstehenden neuen Instruk­ tionen bezüglich des Verhandlungsortes zum Bleiben verführt hätten. Sie schätzten die Einflussmöglichkeiten der bayerischen Politik so stark ein, dass sie den bayerischen Gesandten vorwar­ fen, den Frieden zusammen mit dem Kurmainzer Delegierten nach Belieben auszuspielen, zu karten106 und sogar den Zeitpunkt 104 Nassau

und Volmar an Ferdinand III., Münster 1648 September 8; ebd., Nr. 10, 49f, das Zitat 50 Z. 1–3. 105 Volmar an Trauttmansdorff, Münster 1648 September 8; ebd., Nr. 11, 52, das Zitat Z. 15–16. 106 Ebd.

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der Unterzeichnung durch ihr Drängen bestimmen zu können107. Die bayerische Rücksicht auf den Bündnispartner war also fallen­ gelassen worden. Das ging so weit, dass die bayerischen Gesandten den Kaiserlichen offen mit dem Abschluss des Friedens ohne den Kaiser drohten108. Der Kaiser hielt noch immer an der Abstimmung mit Kurbayern fest und befahl seinen Gesandten wiederholt, die kurbayerischen Deputierten über ihre Instruktionen in Kenntnis zu setzen. Offenbar wollte er jede weitere Belastung des Bündnisses vermeiden und beharrte auf dem Gedanken einer gemeinsamen In­ teressenbasis. Fazit Am 24. Oktober 1648 unterzeichneten die kaiserlichen und die bay­erischen Gesandten die Westfälischen Friedensverträge109. Das zentrale Ziel des Bündnisses, der Abschluss des Friedens, war also erreicht worden. Die Friedenssicherung war auf völkerrechtlicher Ebene gelungen. Allerdings wäre es unzulässig, daraus den Schluss zu ziehen, dass das Bündnis zwischen Ferdinand III. und Kurfürst Maximilian von Bayern funktioniert habe. Überprüft werden soll der vermeintliche Erfolg an den eingangs gestellten Fragen nach den Strategien der Verbündeten, ihrem Handlungsspielraum innerhalb des Bündnisses und auf dem Kongress sowie den tragenden Ele­ menten der Allianz. Entscheidend für ihre Verhandlungsstrategie war die individuelle Zielsetzung der Bündnispartner. Während es Maximilian von Bay­ ern um Bestandssicherung durch einen schnellen Friedensschluss ging, versuchte der Kaiser zentrale Verhandlungspunkte in seinem Sinne klären zu lassen. Rückhalt sah er dafür bei den katholischen Reichsständen. Ihm schwebte noch immer eine katholische Interes­ sengemeinschaft vor. Besonders lag ihm dabei an der Abstimmung mit Kurmainz und Kurbayern. Dabei wurden die Reichsstände nicht als eigenständige Verhandlungspartei wahrgenommen, son­ 107

Nassau, Krane und Volmar an Ferdinand III., Münster 1648 September 29; ebd., Nr. 32, 149f. 108 Lamberg an Kurz, Münster 1648 Oktober 9; ebd., Nr. 47, 220. 109 Siehe zur Unterzeichnung der Friedensverträge Nassau, Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Münster 1648 Oktober 25; ebd., Nr. 68.

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dern in zwei getrennte Gruppierungen eingeteilt, Katholiken und Protestanten. Diese Beharrlichkeit ist Ausdruck eines zentralen Moments der kai­ serlichen Verhandlungsführung: Mangel an Flexibilität. Das gilt nicht nur für das Festhalten an überholten Parteiungen, sondern auch für inhaltliche Positionen. Dies zeigt sich besonders augenfällig sowohl in dem Beharren auf der im Februar 1648 verabredeten Reihenfol­ ge der Beratungspunkte als auch im Bestehen darauf, Verhandlungen über den französischen Frieden nur in Münster zuzulassen. So ma­ növrierte sich die kaiserliche Politik ins Kongressabseits und schloss sich zunehmend von der Lösungsfindung der Beratungen aus. Die dahinter zu vermutende Absicht, gegenüber der Gegenseite Stärke und Standfestigkeit zu zeigen und den Beratungsverlauf im eigenen Interesse zu steuern, lief ins Leere. Stattdessen beraubte sich die kai­ serliche Seite zunehmend ihrer Handlungsfähigkeit, zum einen weil sie keine alternativen Verhandlungskonzepte entwickelte, zum ande­ ren weil sie von den Reichsständen immer stärker als Friedenshin­ derer angesehen wurde, auch und gerade von den Verbündeten Kur­ mainz und -bayern. Besonders eklatant wurde die Unfähigkeit der kaiserlichen Politik, inhaltliche Alternativen zu formulieren, in der Spanien-Frage. Spätestens seit Februar 1648 drängten neben Frank­ reich auch Kurmainz und -bayern auf die Trennung von Spanien. Doch der Kaiser hielt an Madrid fest und riskierte somit nicht nur das Bündnis mit Bayern, sondern beim Fortgang der Verhandlungen einen Separatfrieden der Reichsstände mit Frankreich, was in der Konsequenz bedeutete, allein im Krieg stehenzubleiben. Das Ziel des Kaisers, durch ein Bündnis mit Bayern eine breite Ba­ sis für die Verhandlungen zu erhalten, ließ sich nicht realisieren. Eine wirksame Abstimmung mit den bayerischen Gesandten kam auf dem Kongress nicht zustande, trotz der wiederholten Versuche der Kaiserlichen. Somit eröffneten sich der kaiserlichen Politik auch die erwünschten Einflussmöglichkeiten auf das Beratungsgeschehen nicht. Verschärft wurde dies durch die prekäre militärische Lage, die dem Kaiser auch das letzte Druckmittel außerhalb der Verhand­ lungen nahm; solange er sich in der Defensive und – wie im Som­ mer 1648 – am Rande des militärischen Zusammenbruchs befand, würde die Gegenseite keine Notwendigkeit für Konzessionen se­ hen, außer von kaiserlicher Seite. Während Ferdinand III. sich immer weiter ins Kongressabseits be­ wegte, gelang es Maximilian von Bayern, sich Handlungsräume

Kaiserliche und bayerische Bündnispraxis

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zu eröffnen. Einen besonderen Schub erhielt die bayerische Ver­ handlungsführung durch die Ankunft Krebs’, der Maximilian von Bay­ern als Kurfürsten vertrat und zu einer der prägenden Figuren des letzten Verhandlungsjahrs wurde. Dabei löste sich der Kur­ fürst im Laufe der Verhandlungen immer weiter von seinem Ver­ bündeten, bis hin zum drohenden Bündnisbruch im Oktober 1648. Die bayerische Verhandlungsstrategie lässt sich kurz auf die For­ mel bringen: Was gut für den Frieden war, war im bayerischen In­ teresse. Dafür war Maximilian von Bayern auch bereit, eigene Po­ sitionen beziehungsweise gemeinsame Positionen mit dem Kaiser aufzugeben, wie zum Beispiel in der Frage der Amnestie in den kai­ serlichen Erblanden oder dem Vorziehen der Beratungen über die schwedische Armeesatisfaktion. Dies wurde ihm dadurch erleich­ tert, dass er seine zentralen Ziele bereits erreicht hatte. Dadurch ge­ wann er eine ungemeine Flexibilität, sowohl inhaltlich als auch in der Verhandlungsführung. Durch seine Kompromissbereitschaft konnten die bayerischen Gesandten zu prägenden Personen der Beratungen avancieren, die die zentralen Entscheidungen des Frie­ dens zusammen mit Kurmainz und Vertretern der protestantischen Reichsstände aushandelten. Eine Rolle, die eigentlich der kaiser­ lichen Diplomatie zugestanden hätte und die nicht ohne Kritik auch von katholischen Reichsständen blieb, denn es sei ein unlaidenlich werkh, daß ein standt dem andern solchergestalt vorgreiffen solt110. Zusätzlich griff Maximilian von Bayern, wenn immer es ihm sinn­ voll und zielführend erschien, auf das Bündnis zurück und bat den Kaiser um Unterstützung bei der Durchsetzung seiner Interessen. Dies gilt für die Verhandlungen über den konfessionellen Status der Oberpfalz und in besonderem Maße für die Beratungen über die Armeesatisfaktion. Dabei konnte der Kurfürst das nicht unter­ zeichnete Vorabkommen über die pfälzische Restitution als Druck­ mittel einsetzen, denn solange dieses nicht fixiert war, würde er für die Bezahlung der kaiserlichen Kriegsschulden, wie ursprünglich vereinbart, auf Österreich ob der Enns zurückgreifen111. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Maximilian von Bayern das Bündnis sehr pragmatisch auslegte, was ihm in Verbindung mit seiner ergebnisorientierten Verhandlungsführung einen enormen Einfluss auf die Beratungen ermöglichte. 110 111

APW III C 2/2 (wie Anm. 40), 1014 Z. 9–10. Ebd., 1057 Z. 36–38.

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Wenn die Zusammenarbeit zwischen den Verbündeten nur punktu­ ell von Kurbayern gesucht wurde und der Kaiser mit seinen Versu­ chen der inhaltlichen Abstimmung scheiterte, sich Maximilian von Bayern in seiner Verhandlungsführung zunehmend von Ferdinand III. entfernte, bis das Bündnis im Herbst 1648 beinahe scheiterte, warum hielten beide Seiten daran fest? Was waren die tragenden Momente dieser Allianz? Es waren, wie gezeigt werden konnte, weder militärische noch Ver­ handlungserfolge. Für Ferdinand III. war es in militärischer Hin­ sicht von Anfang an die Abhängigkeit von den bayerischen Waf­ fen beziehungsweise die Unfähigkeit, den Krieg allein weiterführen zu können. Aufgrund dieser Angewiesenheit auf die kurfürstlichen Ressourcen hielt man von kaiserlicher Seite an der politischen Zu­ sammenarbeit mit Bayern fest, auch wenn diese im eigentlichen Sinne nicht funktionierte. Was hielt Maximilian von Bayern an der Seite Ferdinands III.? Warum zog er nicht die Konsequenzen aus der Belastung des Bündnisses durch die Weigerung des Kaisers, die Verbindung zu Spanien aufzugeben? Der Kurfürst verfügte über die finanziellen Mittel, den Feldzug seiner Armee allein zu finan­ zieren, und er besaß ausreichend Handlungsspielraum, um das Ver­ handlungsgeschehen mitzugestalten, allerdings nicht mehr um seine Einzelinteressen durchzusetzen. Doch auch ihm fehlten die Alter­ nativen. Zwar drohte er immer wieder mit einem Bruch des Bünd­ nisses und einem Separatfrieden mit den feindlichen Kronen; dabei spielte seine Loyalität und Verpflichtung als Reichsstand gegenüber dem Reichsoberhaupt im Gegensatz zum ersten Bündnisbruch 1647 keine Rolle mehr. Doch hatte Maximilian von Bayern dem Feind seit dem Scheitern der militärischen Zusammenarbeit mit dem Kai­ ser keine Angebote zu machen. Bei einer tatsächlichen erneuten Trennung vom Kaiser hätte er harte Friedensbedingungen der Ge­ genseite zu erwarten gehabt und seine Verhandlungsergebnisse ris­ kiert. Im Grunde war er trotz seines größeren Gestaltungspotenti­ als ähnlich handlungsunfähig wie der Kaiser. Das kaiserlich-bayerische Bündnis hatte in der Schlussphase somit mehr den Charakter einer Zwangsgemeinschaft als einer schlagkräf­ tigen Allianz. Auf militärischer Ebene scheiterte es komplett. Auch eine wirksame politische Zusammenarbeit kam nicht mehr zustan­ de. Dass es trotz aller Belastungen bis zum Abschluss des Friedens hielt, ist in erster Linie einem Mangel an Alternativen geschuldet.

3. Leitvorstellungen, Ökonomie, Medien und Kultur des Friedenschliessens im 16. bis 18. Jahrhundert

Frieden und Gleichgewicht bei Leibniz von Guido Braun, Bonn * Die Frühe Neuzeit lässt sich als eine Epoche großen Veränderungs­ potentials auf den verschiedensten Gebieten charakterisieren (von der Kultur, Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft bis hin zur Politik und Religion, um nur einige wichtige Bereiche zu nennen). Das daraus resultierende Empfinden von Unsicherheit erfasste seit der Renaissance viele Zeitgenossen. Die Umwälzungen im Zeit­ alter des Dreißigjährigen Krieges, in dem Neuerungen im Bereich von Staatsbildung, Religionsrecht und Wissenschaft (man denke beispielsweise an Galilei) hart umkämpft waren und zu einem er­ heblichen Teil gewaltsam ausgetragen wurden, verdeutlichen die Aktualität dieser forcierten Veränderungsprozesse im Jahrhundert von Leibniz’ Geburt. Als Reaktion auf diese Erschütterungen lässt sich nach 1648 im Reich und in Europa eine verbreitete Sehnsucht nach Frieden, Stabilität und Sicherheit konstatieren. Allerdings gab es selbstverständlich durchaus auch starke Kräfte, die nach weiteren Veränderungen strebten, darunter in der Staatenwelt nach einer Be­ griffsbildung von Heinz Duchhardt die „Veränderungsstaaten“, al­ len voran das seit den 1660er Jahren innenpolitisch gefestigte und nach außen expansiv agierende Frankreich als die politische Füh­ rungsmacht im damaligen Europa1.

*

Der vorliegende Beitrag geht zurück auf meinen Vortrag bei der interna­ tionalen Konferenz „Umwelt und Weltgestaltung. Leibniz’ politisches Denken in seiner Zeit“, Hannover 29.–31. März 2012. Ich danke den Ver­ anstaltern, Herrn Professor Dr. Wenchao Li und Herrn Dr. Friedrich Bei­ derbeck, für die Unterstützung bei der Vorbereitung des Vortrages sowie für die Genehmigung, den Aufsatz in dieser Festschrift publizieren zu kön­ nen. Maximilian Lanzinner gilt zu seinem 65. Geburtstag mein herzlicher Dank für die vielfältige Förderung und die Gestaltungsmöglichkeiten, die er mir als Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl gewährt. 1 Zum Begriff und zur Zuordnung Frankreichs vgl. Duchhardt, Heinz: Ba­ rock und Aufklärung. 4., neu bearb. und erweiterte Aufl. des Bandes „Das Zeitalter des Absolutismus“. (Oldenbourg Grundriss der Geschichte, 11) München 2007, 2.

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„1648“ hatte jedoch durch die Westfälische Friedensordnung so­ wohl für das Reich als auch für Europa Wege zu einer friedlichen Koexistenzordnung gewiesen, die militärische Auseinanderset­ zungen in Zukunft keineswegs ausschloss, aber doch die schwe­ lenden Konflikte zwischen den kriegführenden Parteien einstweilen beilegte, neue Mechanismen der Friedenssicherung erprobte und eine tragfähige politische und konfessionsrechtliche Grundordnung im Reich etablierte, die einige spätere Interpreten durchaus als vor­ bildlich für eine europäische Friedensordnung ansahen. Zu den politischen Denkern, die den Westfälischen Frieden als eine wichtige Grundlage für Frieden, Recht und Sicherheit im Reich und in Europa ansahen, gehört der Universalgelehrte Leibniz2 . Als eine Voraussetzung für die Bewahrung des Ruhezustands Euro­ pas und des Reiches betrachtete er ein beständiges Gleichgewicht durch die Kommensurabilität der Kräfte im europäischen Mäch­ tesystem. Sowohl in seinen naturwissenschaftlichen Arbeiten als 2

Mit Bezug auf Leibniz vgl. Beiderbeck, Friedrich: Das Heilige Römische Reich als Modell europäischer Koexistenz bei Saint-Pierre und Leibniz. In: Europavorstellungen des 18. Jahrhunderts. Hrsg. von Dominic Eggel und Brunhilde Wehinger. (Aufklärung und Moderne, 17) Hannover 2009, 47–61. Einen Überblick über die Forschungsgeschichte zum Westfälischen Frieden seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges bzw. seit 1998 bietet, un­ ter besonderer Berücksichtigung der Bonner Tradition historischer Frie­ densforschung, Lanzinner, Maximilian: Die „Acta Pacis Westphalicae“ (APW) seit dem Gedenkjahr 1998. In: Pax perpetua. Neuere Forschungen zum Frieden in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Inken Schmidt-Voges, Sieg­ rid Westphal, Volker Arnke und Tobias Bartke. (Bibliothek Altes Reich, 8) München 2010, 49–72; Lanzinner, Maximilian: Die Acta Pacis Westpha­ licae und die Geschichtswissenschaft. In: L’art de la paix. Kongresswesen und Friedensstiftung im Zeitalter des Westfälischen Friedens. Hrsg. von Christoph Kampmann, Maximilian Lanzinner, Guido Braun und Michael Rohrschneider. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neue­ ren Geschichte e.V., 34) Münster 2011, 31–71. Weitere jüngere Forschungen zum Westfälischen Frieden unter anderem in: Brunert, Maria-Elisabeth, Lanzinner, Maximilian (Hrsg.): Diplomatie, Medien, Rezeption. Aus der editorischen Arbeit an den Acta Pacis Westphalicae. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 32) Müns­ ter 2010. Wichtige Beiträge zur Frage, inwieweit der Westfälische Friede ein ‚Vorbild‘ oder ‚Modell‘ für die Nachwelt bildete, bietet Duchhardt, Heinz: Frieden im Europa der Vormoderne. Ausgewählte Aufsätze 1979– 2011. Hrsg. und eingeleitet von Martin Espenhorst. Paderborn [u.a.] 2012 (dort auch weitere Literatur zu „1648“).

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auch in seinen politischen Schriften befasste sich Leibniz intensiv mit diesem für seine Friedensvorstellungen fundamentalen Pro­ blem des Gleichgewichts, das in der zweiten Hälfte des 17. Jahr­ hunderts einen bedeutsamen Schub bei seinem Aufstieg zu einem Leitbegriff und normativen Prinzip der internationalen politischen Ordnung wie auch der inneren Verfasstheit bestimmter Gemein­ wesen erfuhr. Wenngleich „Frieden“ und „Gleichgewicht“ von Leibniz durchaus auch in eigenständigen und sehr unterschiedlichen Kontexten the­ matisiert werden, muss allein aus raumökonomischen Gründen hier die Schnittstelle zwischen seinen Friedens- und Gleichgewichtsvor­ stellungen im Mittelpunkt stehen. Dass dazu gelegentlich auch auf andere Zusammenhänge der Friedens- beziehungsweise Gleichge­ wichtsthematik bei Leibniz sowie auf übergreifende Entwicklungs­ linien des Friedens- und Gleichgewichtsdenkens seines Zeitalters eingegangen werden muss, versteht sich von selbst. Die Bedeutung sowohl des Friedens als auch des Gleichgewichts im politischen Denken von Leibniz3 wurde in jüngerer Zeit durch Friedrich Beiderbeck behandelt, auf dessen einschlägige fundierte Aufsätze hier hingewiesen sei4. André Robinet nahm sich 1994 der Gleichgewichtsthematik bei Leibniz in seiner Studie „Le meilleur des mondes par la balance de l’Europe“ an5. Ferner widmete 2010 Cristina Marras der Metapher der „Waage“ („Bilancia“) ein Ka­ pitel in ihrer Monographie „Metaphora translata voce“6. Dass das 3

Zu Leibniz’ politischem Denken vgl. einführend Schneider, Hans-Peter: Gottfried Wilhelm Leibniz. In: Staatsdenker in der frühen Neuzeit. Hrsg. von Michael Stolleis. 3. Aufl. München 1995, 197–226 (mit weiterer Litera­ tur). 4 Vgl. namentlich Beiderbeck, Friedrich: Zur Bedeutung des Westfälischen Friedens für das politische Denken von G. W. Leibniz. In: Pluralität der Perspektiven und Einheit der Wahrheit im Werk von G. W. Leibniz. Bei­ träge zu seinem philosophischen, theologischen und politischen Denken. Hrsg. von Friedrich Beiderbeck und Stephan Waldhoff. Berlin 2011, 155– 173; Beiderbeck, Friedrich: Das Gleichgewicht im politischen Denken von G. W. Leibniz. In: Studia Leibnitiana [45 (2013)]. [Im Druck; das Manu­ skript stellte der Autor dankenswerterweise für die Vorbereitung dieses Aufsatzes zur Verfügung]. 5 Robinet, André: G. W. Leibniz: Le meilleur des mondes par la balance de l’Europe. (Fondements de la politique. Série Essais) Paris 1994. 6 Marras, Cristina: „Metaphora translata voce“. Prospettive metaforiche nella filosofia di G. W. Leibniz. (Lessico intellettuale europeo, 108) Flo­

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Gleichgewicht ein Kernproblem für die Stellung Leibniz’ zum Völ­ kerrecht überhaupt bildet, hob Luca Basso in seinem 2008 publi­ zierten Aufsatz über „Leibniz’ Bemühen um eine Balance wider­ streitender Machtinteressen in Europa“ hervor7. Leibniz verband seine Reflexionen über das Thema „Frieden“ mit praktischen Aufgaben als Fürstenberater und (in geringerem Maße) als ‚Diplomat’8. Seine Tätigkeiten am kurmainzischen Hof von 1668–1672 oder etwa seine Missionen nach Paris und London dienten der Wiederherstellung beziehungsweise Sicherung des Frie­ dens zwischen ‚Staaten’, im Inneren von Staatswesen und zwischen Konfessionen. Dieses Bestreben nach einer Verknüpfung von The­ orie und Praxis veranlasste Leibniz, Fragen nach allgemeinen Prinzipien immer unter dem Blickpunkt der Anwendbarkeit zu stellen. Diese Herangehensweise, die nicht zuletzt sein Denken über Frie­ den und Gleichgewicht charakterisiert, veranschaulicht die Pariser renz 2010, hier Kapitel V: „La Bilancia, metafore meccaniche e di misura­ zione“, 129–149; vgl. ferner Marras, Cristina: G. W. Leibniz: Scienza come dimost­razione e scienza come persuasione: quale linguaggio? In: Retorica e scienze del linguaggio. Teorie e pratiche dell’argomentazione e della per­ suasione. Atti del IX Congresso Nazionale. Rimini 19–21 settembre 2003. Hrsg. von S. Bonfiglioli und C. Marmo. Rom 2006, 103–117. 7 Basso, Luca: Regeln einer effektiven Außenpolitik – Leibniz’ Bemühen um eine Balance widerstreitender Machtinteressen in Europa. In: Studia Leib­ nitiana 40 (2008), 139–152, hier die Zusammenfassung 139; die eigentlichen Ausführungen zum Gleichgewicht (151) sind dennoch recht kurz. 8 Schneider (wie Anm. 3), 198 bezeichnet seinen Protagonisten als Persön­ lichkeit, die ihr irenisches Denken als Philosoph, Jurist, Diplomat, Politiker und Fürstenberater zugleich umzusetzen vermocht habe. Zu Leibniz als Politikberater vgl. etwa Wernstedt, Rolf: Richtige Gedanken zur falschen Zeit sind in der Politik immer falsch: Leibniz als Politikberater. In: Der universale Leibniz: Denker, Forscher, Erfinder. Hrsg. von Thomas A. C. Reydon [u.a.]. Stuttgart 2009, 99–109, dessen Einschätzungen ich allerdings nicht immer teile, etwa hinsichtlich der Einordnung des „Caesarinus“ unter eher skurril anmutende Ideen (105). Fragwürdig ist auch seine Behauptung, dass Leibniz tatsächlich niemals mit offiziellen diplomatischen Missionen betraut worden sei (105f). Immerhin finden sich im „Repertorium der dip­ lomatischen Vertreter“, das eigentlich nur ‚offizielle’ Missionen verzeich­ net, sechs Einträge von diplomatischen Tätigkeiten Leibniz’; vgl. Bittner, Ludwig, Gross, Lothar (Hrsg.): Repertorium der diplomatischen Vertreter aller Länder seit dem Westfälischen Frieden (1648). I. Band (1648–1715). Ol­ denburg, Berlin 1936, Register 658. Allerdings darf man diese Aktivitäten im politischen Gesamtwerk von Leibniz selbstverständlich nicht überbewerten.

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Philosophin Stefanie Buchenau in ihrem jüngst erschienenen Bei­ trag über „Leibniz: Philosoph und Diplomat. Das Sekuritätsgutach­ ten von 1670“9. Diese gemeinhin als „Sekuritätsgutachten“ bezeichnete Schrift des jungen Leibniz – an deren Autorschaft aber auch der ehemalige lei­ tende Minister Kurmainz’, Boineburg, wohl einen sehr gewichtigen Anteil besaß – trägt den Titel „Bedencken, welchergestalt Securi­ tas publica interna et externa und Status praesens im Reich iezigen Umbständen nach auf festen Fuß zu stellen“, widmet sich also zu­ gleich der inneren und äußeren Sicherheit des Reichsverbandes10. Der „Staat“ war für Leibniz grundsätzlich in erster Linie ‚Schutzgemeinschaft’ mit politischer Friedensfunktion11. Bedroht schien das Reich zur Entstehungszeit der Schrift vor allem durch Frank­

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Buchenau, Stefanie: Leibniz: Philosoph und Diplomat. Das Sekuritäts­ gutachten von 1670. In: Assecuratio pacis. Französische Konzeptionen von Friedenssicherung und Friedensgarantie, 1648–1815. Hrsg. von Guido Braun. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Ge­ schichte e.V., 35) Münster 2011, 265–280, Zitat 265. Frühere französische Fassung unter dem Titel „Leibniz philosophe-diplomate. Le traité sur la sé­ curité publique de 1670“ in: Assecuratio Pacis. Les conceptions françaises de la sûreté et de la garantie de la paix de 1648 à 1815. Hrsg. von Guido Braun (Actes de la journée d’études, Institut historique allemand, 16 mai 2008, avec le concours de Stefanie Buchenau): Discussions – Colloquien des DHI Paris und seiner Partner 4 (2010), URL: http://www.perspectivia. net/content/publikationen/discussions/4-2010 [im Folgenden wird nach der überarbeiteten deutschen Ausgabe zitiert]. 10 Dieser enge Zusammenhang zwischen äußerem und innerem Frieden in der Reichsgeschichte spielt bei Leibniz ebenso wie in den Forschungen Maximilian Lanzinners eine herausragende Rolle; vgl. zur securitas interna bereits die Habilitationsschrift von Lanzinner, Maximilian: Friedens­ sicherung und politische Einheit des Reiches unter Kaiser Maximilian II. (1564–1576). (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayeri­ schen Akademie der Wissenschaften, 45) Göttingen 1993. Kritische Edition der Leibniz’schen Sekuritätsschrift in: Leibniz, Gottfried Wilhelm: Sämtli­ che Schriften und Briefe [im Folgenden zitiert: „Werke“]. Reihe IV: Politi­ sche Schriften. Hrsg. von der Akademie der Wissenschaften der DDR/Ber­ lin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Bde. I–(VII). Berlin 1983–(2011), hier Bd. I: 1667–1676 (3. Aufl. 1983 [1. Aufl. 1931]), 133–214. Zum umstrittenen Problem der Autorschaft vgl. unten Anm. 15. 11 Schneider (wie Anm. 3), 216.

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reich12. Schon 1669 hatte Leibniz diesem Umstand Rechnung getra­ gen, als er in seiner „Jetzige[n] Bilance von Europa“ bemerkt hat­ te, Frankreich strebe an, auf der Wage überzuschlagen, bewirbt sich also sein Gewicht zu mehren folgender Gestalt13. Leibniz’ Lebenszeit (1646–1716) entspricht weitgehend der Herr­ schaft Ludwigs XIV. von Frankreich (König 1643, persönliche Re­ gierung 1661, † 1715). In seinen Betrachtungen über die Friedens­ verhandlungen von Rastatt bemerkt Leibniz rückblickend, dass die Ambitionen dieses französischen Königs die Ursache für den größ­ ten Teil des Unheils seien, das Europa im letzten halben Jahrhun­ dert widerfahren sei14. Mit dem Devolutionskrieg, den der junge Herrscher nach dem Tode Philipps IV. in den Spanischen Niederlanden 1667/1668 ent­ facht hatte, begann nach der vollzogenen inneren Konsolidie­ rung des Königreichs die expansive Phase der ludovizianischen Außenpolitik, die ihre Fortführung in der Besetzung Lothrin­ gens 1670 und im Holländischen Krieg 1672–1678/79 fand. Diese Konflikte bedrohten das Territorium des Reiches zunächst mit­ telbar, schließlich direkt. Die möglichen Mittel zu ihrer Entschär­ fung bilden den Gegenstand des Sekuritätsgutachtens, dessen ers­ ter Teil vor und letzterer nach dem französischen Ausgreifen auf Lothringen verfasst wurde. Dieser Entstehungskontext sowie die 12

Zum konfliktreichen deutsch-französischen Verhältnis jener Jahrzehnte vgl. Braun, Guido: Von der politischen zur kulturellen Hegemonie Frank­ reichs, 1648–1789. (WBG Deutsch-französische Geschichte, 4) Darmstadt 2008, hier vor allem 33–45. 13 „Jetzige Bilance von Europa“; Leibniz, Werke, Reihe IV, Bd. I (wie Anm. 10), 497f. 14 Foucher de Careil, A. (Hrsg.): Œuvres de Leibniz, publiées pour la première fois d’après les manuscrits originaux avec notes et introductions. Bd. IV: Histoire et politique. Paris 1862, 218–227: „Considérations sur la paix qui se traite à Rastadt, 1713“, hier 219: l’ambition de ce Prince est la cause de la plus part des malheurs dont l’Europe est travaillée durant près de cinquante ans. Vgl. zu dieser Schrift Leibniz’ und seinen zeitgenössischen Denkschriften Fransen, P[etronella]: Leibniz und die Friedensschlüsse von Utrecht und Rastatt-Baden. Eine aus größtenteils noch nicht veröffent­ lichten Quellen geschöpfte Untersuchung. Purmerend 1933, 127–130. Auf die grundsätzliche Unzulänglichkeit der älteren Edition Foucher de Careils weist die Verfasserin nachdrücklich hin ebd., besonders 87f, Anm. 2; ebd. bietet sie eine Chronologie der Schriften Leibniz’ aus den ersten Monaten nach dem Friedensschluss von Utrecht.

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Zusammenhänge zwischen den zeitgenössischen diplomatischen Verhandlungen und der Genese von Leibniz’ an den Mainzer Kur­ fürsten Johann Philipp von Schönborn gerichteten „Gutachten“ wurden schon von Paul Wiedeburg in seiner mehrbändigen Stu­ die „Der junge Leibniz, das Reich und Europa“ detailliert unter­ sucht15 .

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Die Mainzer Jahre werden behandelt im ersten Teil (zwei Teilbände): Wie­ deburg, Paul: Der junge Leibniz, das Reich und Europa. I. Teil: Mainz (Darstellungsband und Anmerkungsband). (Historische Forschungen, IV) Wiesbaden 1962, über die „Pläne und Schriften Leibnizenz zur Neu­ ordnung und Sicherung des Reiches am Vorabend des französisch-hol­ ländischen Krieges“ vor allem Darstellungsband [I/1], 123–188, dazu im Anmerkungsband [I/2], 153–189 (Fußnoten 312–430) [soweit nicht anders vermerkt, wird im Folgenden lediglich auf den Darstellungsband verwie­ sen, zu dem jeweils der Anmerkungsband hinzuzuziehen ist]. Die Grundtendenz der Denkschrift gab sicherlich Johann Christian von Boineburg vor, welcher der Tripel-Allianz skeptisch und einem mainzischen Bei­ tritt ablehnend gegenüberstand. Boineburgs Empfehlung hatte Leibniz 1668 die Anstellung am Mainzer Hof verschafft, im Juli 1670 war dieser Protektor aber politisch nur mehr ein (im Grunde seit 1664) weitgehend mattgesetzte[r] Diplomat und spielte auch im weiteren Jahresverlauf nur die Rolle eines gerade wieder geduldeten, privaten Ratgebers. Wiedeburg betont, dass diese Denkschrift allem Anschein nach aus freien Stücken verfaßt und unaufgefordert an Johann Philipp eingereicht worden ist. Mehr­ fach löst sich Leibniz – nach Wiedeburg – im Übrigen von den Vorgaben Boineburgs, er erweise sich unabhängig und stellt einen eigenen leitenden Gesichtspunkt voran (ebd., 132f, 136, 146, weiterer Beleg für Leibniz’ Ei­ genständigkeit beispielsweise 139). Insgesamt kommt Wiedeburg daher zum Urteil, Leibniz’ Denkschrift lege den Charakter der [von Boineburg] bestellten Arbeit und der Liebedienerei gegenüber dem Kurfürsten in einer so entschiedenen Weise ab, dass sie im Wesentlichen als Ausdruck seiner eigenen Anschauungen gelten dürfe (ebd., 158–162, Zitat 160). Im Unter­ schied zu Wiedeburg betont Burgdorf in der Tradition Johannes Hallers und Paul Ritters, dass Boineburg die Sekuritätsschrift als sein Werk be­ trachtet und er selbst (nicht sein Sekretär Leibniz) sowohl das Konzept als auch die Schlusskorrektur eigenhändig übernommen habe; Burgdorf, Wolfgang: Reichskonstitution und Nation. Verfassungsreformprojekte für das Heilige Römische Reich deutscher Nation im politischen Schrift­ tum von 1648 bis 1806. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte, 173; Beiträge zur Sozi­ al- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, 13) Mainz 1998, 88–95, besonders 93f zum Verfasserproblem (mit Nachweis der älteren Literatur).

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Dieser Text ist jedoch nicht nur für die bereits hervorgehobene Ver­ zahnung von theoretischer Durchdringung und Entwicklung philo­ sophischer Idealvorstellungen einer- sowie deren praktischer Nutz­ barmachung andererseits aufschlussreich (wenngleich der Traktat letztlich keine unmittelbare praktische Bedeutung erlangte16). Viel­ mehr gestattet er darüber hinaus auch fundierte Einblicke in die Leibnizsche Konzeption von „Frieden“ und „Gleichgewicht“17. Der Beitrag von Leibniz’ Sekuritätsschrift zum frühen Gleichge­ wichtsdenken in Deutschland ist so beachtlich, dass Hans Fens­ ke in seinem Lexikonartikel über „Gleichgewicht, Balance“ in den „Geschichtliche[n] Grundbegriffen“ immerhin etwa eine Seite die­ sem Werk widmet18. Fenskes Urteil zufolge lieferte Leibniz mit seinem Sekuritätsgutachten die eindringlichste Formulierung des [Gleichgewichts-]Gedankens in Deutschland um 1670 neben dem kaiserfreundlichen Publizisten Franz Paul von Lisola, der 1667 in seinem „Bouclier d’Estat et de justice“ die Balance zwischen den europäischen Mächten in der Weise, dass niemand eine den übrigen gefährliche Übermacht erlange, als notwendige Voraussetzung für die Wahrung von Europas Sicherheit formuliert und mit dieser Ar­ Wiedeburg urteilt sicherlich zu Recht, Leibniz sei auch dort, wo er sich mit praktischen Gegenständen befaßte, stets Philosoph geblieben, und sieht ihn nicht dazu geschaffen, das Wirkliche zu gestalten, sondern das Wahre zu ergründen (Wiedeburg, Der junge Leibniz I/1 [wie Anm. 15], 168f). 17 Zum Begriff „Gleichgewicht“ vgl. (neben dem in der folgenden Fußnote genannten, umfangreichen Lexikonartikel) v.a. den die wichtigste Literatur vor 2006 erfassenden, kürzeren Lexikonbeitrag von Strohmeyer, Arno: Artikel „Gleichgewicht der Kräfte“. In: Enzyklopädie der Neuzeit. 16 Bde. Hrsg. von Friedrich Jaeger. Stuttgart 2005–2012, hier Bd. IV (2006), 925– 931 [im selben Band auch diverse Artikel zu „Friede“ und seinen Komposi­ ta, mit neuerer Literatur]; ferner das grundlegende Werk von Strohmeyer, Arno: Theorie der Interaktion. Das europäische Gleichgewicht der Kräfte in der frühen Neuzeit. Wien [u.a.] 1994, der allerdings Leibniz nicht behan­ delt. 18 Fenske, Hans: Artikel „Gleichgewicht“. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bde. I–VIII/2. Hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Kosel­ lek. Stuttgart 1972–1997, Bd. II (1975), 959–996, hier 968f. Ebd., 971 lehnt Fenske zwar den Begriff „Gleichgewichtsdiskussion“ für das damalige deutsche politische Denken ab, denn es habe die Kritik daran im Wesent­ lichen noch gefehlt. An derselben Stelle spricht er sich aber dafür aus, ein zeitgenössisches Gleichgewichtsdenken anzunehmen. 16

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gumentation für eine Reihe folgender Autoren vorbildlich gewirkt hatte19. Leibniz’ „Sekuritätsgutachten“ entwickelt analog zur Physik ein diplomatisches Kräftemodell, das quasi naturwissenschaft­ lichen Grundsätzen verpflichtet ist, sodass sich urteilen lässt, Leib­ niz versuche die Idee vom Gleichgewicht der Kräfte auf eine neue und moderne wissenschaftliche Grundlage zu stellen20. Ferner bie­ tet die Schrift ein anschauliches Beispiel für Leibniz’ Ansatz der umfassende[n] Analyse einer konkreten politischen Situation im streng (natur-)wissenschaftlichen Verfahren mit bestimmten, aus theoretischen Annahmen deduktiv abgeleiteten Schlussfolgerungen für praktische Entscheidungen, die sich – nach Hans-Peter Schnei­ der – wohl als eine erste systematische „Politologie“ im eigentlichen Wortsinn bezeichnen lassen21. Mit diesem mathematisch-naturwissenschaftlichen Ansatz, der auch sein Bestreben kennzeichnete, das Recht mit naturwissen­ schaftlichen Methoden zu beschreiben, stand Leibniz im 17. Jahr­ hundert jedoch keineswegs allein. Friedrich Beiderbeck weist zu Recht auf das sehr mechanisch-physikalisch geprägte Weltbild die­ ser Epoche hin, in der man sich bemühte, „alles auf mathematische und physikalische Formeln“ zu bringen, wo Spinoza den Versuch machte, „die Philosophie more geometrico darzustellen, und Pufendorf nach demselben Prinzip das System des Naturrechts ableitete“ 22. Es spricht also einiges dafür, die von Fenske im Umfeld der Friedensschlüsse von Utrecht konstatierte Mechanisierung der Auffassung vom Gleichgewicht, durch Antriebe aus der Naturwis­

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Ebd., 968. Grundlegend zu diesem Aspekt die neuere Pionierstudie von Buchenau (wie Anm. 9), besonders 268–274, zitierte Schlussfolgerung 280. Ich danke der Verfasserin für viele anregende Gespräche und Diskussionen zum Frie­ den als Problem der Philosophie in der Frühen Neuzeit. Den naturwissen­ schaftlichen Kontext der Sekuritätsschrift nahm auch bereits Wiedeburg, Der junge Leibniz I/1 (wie Anm. 15), 171–180 unter die Lupe; dieser be­ tont aber in einer „völkischen“ ideologischen Tradition eher die medizi­ nisch-biologischen Aspekte. 21 Schneider (wie Anm. 3), 210f. 22 Beiderbeck, Gleichgewicht (wie Anm. 4), [Ms. 1f], z. T. nach Wolfgang Windelband. 20

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senschaft23, durchaus (zumindest was ihre Vorläufer betrifft) einige Jahrzehnte früher anzusetzen. Nicht auf Leibniz beziehen können wird man das generelle Urteil Fenskes zur Übertragung des Bildes von der Waage auf die Welt der Politik: Orientierung am physikalischen Denken hat dabei allenfalls anregend gewirkt, aber kaum einen großen Einfluss gehabt24. Die Handlungsgesetze, denen die politischen Körperschaften fol­ gen, mit denen es die Diplomatie zu tun hat, werden von Leibniz in Analogie zu Naturgesetzen konzipiert. Diplomatie stellt für Leib­ niz eine „ars“ und „scientia“ dar, mit der er sich in seiner Mainzer Zeit intensiv befasst. Gleichzeitig widmet er sich in jenen Jahren je­ 23

Fenske (wie Anm. 18), 972f. Zu Leibniz und den Friedensschlüssen am Ende des Spanischen Erbfolgekriegs vgl. Fransen (wie Anm. 14). Das Ziel der Verfasserin besteht allerdings nicht in der umfassenden Behandlung der allgemeinen Leibniz’schen Friedensvorstellungen, sondern in der bewuss­ ten Ausklammerung weitergehender philosophischer und völkerrechtlicher Erwägungen Leibniz’, um allein seine davon (nach Fransen) weitgehend unbeeinflusste politische Arbeit zu würdigen und seine Stellung in der politischen Welt dieser Jahre des ausgehenden Spanischen Erbfolgekrieges so­ wie seinen (als äußerst gering eingestuften) Einfluss auf die Friedenspolitik des Kaisers und seiner Verbündeten in der Funktion als politischer Ratgeber zu erfassen (ebd., 3 und 6). Fransen urteilt, dass man Leibniz kaum eine erfolgreiche praktisch-politische Leistung während seines gesamten Lebens nachweisen kann, und bezeichnet seine Bestrebungen in dieser Hinsicht als mittelmässig und erfolglos (ebd., 6 und 7). Die Verfasserin erhebt hinsicht­ lich der von ihr untersuchten Arbeiten Leibniz’ zumindest die Frage, ob nicht sehr viele von ihnen vielmehr als eine Art Privatnotizen zu betrachten seien, mit denen ihr Urheber kaum zur kaiserlichen Regierung vordrang (ebd., 69–72, Zitat 71). Insgesamt betrachtet erweise sich, dass Leibniz mit seinen Schriften aus der Endphase des Spanischen Erbfolgekrieges eigentlich mehr zu den vielen Projektenmachern dieser Zeit als zu den wirklichen Staatsmännern zu rechnen sei (ebd., 87). Gleichzeitig hebt die Autorin je­ doch die Eigenständigkeit der Initiativen Leibniz’ hervor, der sich nicht auf die Rolle eines Verfassers bestellter Gelegenheitsschriften reduzieren lasse (ebd., 9), und legt dar, dass Leibniz’ Arbeiten durchaus auf sehr gu­ ten Informationen aufbauen konnten (etwa durch Mitteilung von Akten der Reichskanzlei oder anzunehmende Kenntnisnahme vertraulicher Ver­ handlungen; vgl. zum Beispiel ebd., 114 und 118). Im Kern wirft Fransen in ihren Schlussfolgerungen Leibniz jedoch fehlendes politisches Verständnis und mangelnde Originalität vor, gesteht ihm dabei allerdings immerhin erstaunliche Vitalität zu (ebd., 192–199 und Zitat 207). 24 Fenske (wie Anm. 18), 959.

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doch auch Problemen der Physik. Seine Exzerpte und Kommen­ tare belegen Leibniz’ aufmerksame Anteilnahme an den zeitgenös­ sischen naturwissenschaftlichen Debatten und namentlich seine Rezeption der Beiträge zu der von der Royal Society in London ge­ stellten Preisfrage nach den Gesetzen des physikalischen Stoßes. Seine Korrespondenz aus dem Zeitraum zwischen der Niederschrift der beiden Teile seiner Sekuritätsschrift belegt seine Beschäftigung mit den „Motuum rationes“. Die Jahre 1669 bis 1671 nutzte er fer­ ner zur Abfassung mehrerer physikalischer Abhandlungen und Skizzen, die bereits wesentliche Ideen der 1678 in seiner Schrift „De corporum concursu“ dargelegten Lehre der Dynamik vorwegneh­ men25. Sowohl die Arbeiten zur Dynamik als auch das „Sekuritätsgut­ achten“ analysieren – aus unterschiedlicher Perspektive, aber von denselben Annahmen ausgehend – das Wirken physikalischer be­ ziehungsweise politischer Kräfte. Nach Luca Basso liegt der beson­ dere Beitrag von Leibniz’ Europa-Konzeption beim Transfer physi­ kalischen Denkens auf die Politik, das heißt in seiner Leistung, die Dimension der Dynamik im Bereich des Politischen greifbar zu machen. Denn unter „Balance“ verstehe Leibniz keineswegs einfach den Gleichgewichtszustand einer Waage, sondern vielmehr einen dynamischen Prozess des Balancierens, dessen Eigenschaften nicht vollständig bestimmt werden können26. Dennoch stellt Leibniz sehr präzise Überlegungen zu deren Berechnung an. Zu den Eigenschaften eines Staatskörpers gehören nach Leibniz nicht nur eine bestimmte Größe, sondern auch eine (durch eine po­ litische Absicht) vorgegebene Richtung sowie eine (vom Maß der Leidenschaft geprägte) Beschleunigung. Der Einfluss naturwissen­ schaftlichen Denkens auf die Beschreibung des Staatensystems wird ganz augenfällig, wenn Leibniz gewissermaßen mathematisch ver­ sucht, einen Beschleunigungsfaktor für die eine Absicht multipli­ zierende Leidenschaft zu bestimmen. Dahinter steht das Bestreben, die Eigenschaften von Staatskörpern ebenso quantifizierbar zu ma-

25 Vgl.

Wiedeburg, Der junge Leibniz I/1 (wie Anm. 15), 179, mit I/2, 187, Anm. 412 (Korrespondenz-Zitat); Buchenau (wie Anm. 9), 270. 26 Basso (wie Anm. 7), 151.

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chen wie bei physikalischen Körpern27. Es ging Leibniz letztlich also darum, Imponderabilien zu gewichten. Der Mechanik entlehnt ist ferner die Unterscheidung zweier Ur­ sachen für die Bewegung politischer Körper: Diese Bewegung ent­ steht nicht allein durch eine Absicht, das heißt eine causa finalis, sondern auch durch einen Anstoß, eine causa efficiens. Das Staaten­ system ist also von interagierenden mechanischen Kräften geprägt. Die Bewegungsgründe, denen ein politischer Körper folgt, sind notwendigerweise eigennützig. Das Ziel ist ihre eigene Stärkung, die stets mit der Schwächung anderer verbunden ist, da Leibniz in der Politik gleichwie in der Physik vom Fortbestand einer gleichen Quantität ausgeht. Steigerung wirtschaftlichen Reichtums oder Be­ völkerungswachstum sowie territoriale Expansion und Bündnis­ schlüsse lassen sich als Beispiele innerer beziehungsweise äußerer Stärkung anführen28. Leibniz, Sekuritätsgutachten (wie Anm. 10), Teil II, § 15, 179: Ob nun zwar man sich die affecten nicht zu gründen, welchen da sie allein, nachzuhengen keinem Politico anständig, dennoch aber, wo sie von festen vernunffts- und Statsgründen begleitet werden, folgt nicht nur eine verdoppelte oder addirte sondern gar multiplicirte intention daraus. Denn gleichwie wenn die lenge 4 und die breite 4, der inhalt der figur nicht 8 ist, sondern 16, also wenn die affecten zu thun zehnmahl stärcker als nicht zu thun, und die Vernunfftsgründe zu thun 10 mahl stärcker als zu laßen, ist die ganze inclination nicht wie 20, sondern wie 100. Solches nun kürzlich zu demonstriren, und ausfündig zu machen, daß Franckreich von Interesse wegen mit Holland anbinden müße, ist nöthig das Interesse von Franckreich an sich selbst kürzlich zu weisen, und dann darzuthun, daß daraus eine Hostilität gegen Holland folge. Zur Wechselwirkung zwischen natur- und staatswis­ senschaftlicher Forschung bei Leibniz vgl. grundsätzlich Buchenau (wie Anm. 9), 270f, mit weiterführenden Quellen- und Literaturangaben beson­ ders zu Leibniz’ Dynamik. 28 Leibniz, Sekuritätsgutachten (wie Anm. 10), Teil II, § 27, 184: Wiewohl wer sich stärckt, andere schwächet, und wer andere theilet, sie schwächet, und wer andere schwächet sich stärcket. Sich kan man innerlich und aüserlich stärcken, aüserlich durch eroberung neüer Lande, innerlich durch vermehrung der kräffte (daß ist sowohl des Reichthums, als der populace) des Landes so man bereits hat. Andre kan man theilen, theils wenn man macht daß sie die consilia nicht conjungiren, theils und noch mehr wenn man macht, daß sie einander zugegen seyn. Beydes wenn man zu wege bringet, daß sie weder können noch wißen noch wollen eins seyn. Ein Beitritt zur TripelAllianz wollte nach Leibniz trotz der möglichen Potenzsteigerung, die ein Bündnisschluss im Allgemeinen bot, sehr gut überlegt sein, denn weil die 27

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Durch die Verbindung mit anderen Kräften kann also in der Politik ebenso wie in der Physik die eigene Kraft gesteigert werden. Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Prinzipien betrachtet Leibniz auch die konkreten Handlungsoptionen des Kurfürsten von Mainz angesichts der französischen Bedrohung im Jahre 1670. Bei der „Schwalbacher Zusammenkunft“29, die der Abfassung des ersten Teils des Sekuritätsgutachtens unmittelbar vorausgegangen war, war das Projekt eines Eintritts in die englisch-holländisch-schwedische Tripel-Allianz erörtert worden, deren möglichen Nutzen für die Si­ cherheitsinteressen des Reiches Leibniz im Falle eines kurmainzi­ schen Beitritts zu berechnen versucht. Dieser erste Teil wurde von Leibniz während seines kurzen Aufenthaltes in Schwalbach nach Abschluss dieser Konferenzen, vom 6. bis 8. August 1670, zu Pa­ pier gebracht30. Nachdem sich einige seiner Vorhersagen aus dem ersten Teil bewahrheitet hatten (namentlich die französische Ok­ kupation Lothringens), schloss Leibniz am 21. November 1670 den zweiten Teil der Schrift ab. Dies geschah im Auftrage Boineburgs und mit dessen wesentlicher Mitwirkung an der Abfassung der Schrift31. Ein Allianzschluss bedeutete für Mainz zwar eine Stärkung der ei­ genen Kraft. Daraus drohte aber nach Leibniz eine Störung des Gleichgewichts zu resultieren, die wiederum eine Gegenbewegung verursachen könnte, um dieses Gleichgewicht zu retablieren. Ge­ gen die Tripel-Allianz führt Leibniz eine Reihe von Gründen an, unter anderem schade der Beitritt einzelner Reichsstände der ohne­ hin sehr gefährdeten deutschen Einigkeit; darüber hinaus sei die In­ teressenkongruenz Schwedens, Hollands und Englands mit einem deutschen Bundesgenossen zu gering und diplomatisch von Frank­ Sachen also auf der spiz stehen, daß ein einzig übel geführtes consilium, da Gott vor sey, ein anfang der ruin des Vaterlandes seyn kan; ebd., Teil I, § 33, 140; vgl. zu Leibniz’ Bedenken bezüglich der Tripel-Allianz Buchenau (wie Anm. 9), 272f, Zitat 273. 29 Dieses Fürsten- und Gesandtentreffen führte Mitte/Ende Juli 1670 in Schwalbach/Erbach vor allem die Kurfürsten von Mainz und Trier, ferner einen lothringischen, holländischen und sächsischen Vertreter zusammen. Schönborns Plan einer allgemeinen Kurfürstenversammlung hatte sich zu­ vor wegen des kurbrandenburgischen Widerstandes nicht verwirklichen lassen; vgl. Wiedeburg, Der junge Leibniz I/1 (wie Anm. 15), 131, 169f. 30 Vgl. ebd., 134, 170. 31 Vgl. ebd., 46.

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reich daher leicht anfechtbar, ferner im Angriffsfall eine Hilfeleis­ tung der Verbündeten für das geographisch an der Spitze zu Frank­ reich liegende Kurmainz kaum rechtzeitig möglich32. Ein Beitritt erschien ihm daher im Hinblick auf die Sicherheit Kurmainz’ und des Reiches nur ratsam, soweit das Prinzip der „Kommensurabili­ tät der Kräfte“ gewahrt blieb, um einer französischen Gegenreakti­ on hinreichend vorzubeugen, etwa durch den gleichzeitigen Beitritt aller Fürsten zur Allianz33. Die Vorhersehbarkeit politischer Wirkungen unterscheidet sich von physikalischen Kausalketten jedoch insofern, als die Diploma­ tie menschliches Handeln mit den ihnen innewohnenden Unwäg­ barkeiten zum Gegenstand hat. Einen solchen Unsicherheitsfak­ tor bildet in Leibniz’ Überlegungen vor allem der unberechenbare Herzog von Lothringen, sodass Leibniz sich gezwungen sieht, den Beistand für Lothringen mathematisch wie politisch einstweilen (das heißt bis zur hinreichenden militärischen Erstarkung des vor­ gesehenen Reichsdefensivbundes) ‚auszuklammern‘34. Schlecht ein­ 32

Diese Argumente werden hervorgehoben ebd., 136f. Vgl. dazu Buchenau (wie Anm. 9), 272. Die Kräfte des Reiches erschie­ nen Leibniz durch eine Reihe von Verfassungsmängeln geschwächt. Im Vergleich zur Medizin sollten nach Leibniz die unmittelbaren Symptome, unter denen das Reich litt, im Vorgriff auf die später nötige, profundere Re­ form gelindert werden: Gleichwie aber der methodus medendi erfordert denen Symptomatibus vor allen dingen zu begegnen, so der gründtlichen Cur nicht erwarten dürfften, sondern dem Patienten den Garaus unversehens machen können, so ist auch hier in dieser Politischen Cur für allen dingen auf die preßirende, nähere und gleichsam überm Kopf schwebende Hauptgefährligkeiten alles ernsts zu dencken; Leibniz, Sekuritätsgutachten (wie Anm. 10), Teil I, § 4, 133. Wiedeburg, Der junge Leibniz I/1 (wie Anm. 15), 134 und 176–180 weist nachdrücklich auf den Umstand hin, dass sehr viele österreichische/Mainzer Kameralisten, mit denen Leibniz in teils in­ tensivem Kontakt stand, ursprünglich als Ärzte gewirkt hatten, und Leib­ niz selbst sich in Mainz durch profunde medizinische Kenntnisse hervorge­ tan hatte. 34 Diesem Ratschluss folgte der Kurfürst allerdings keineswegs, sondern ver­ band sich eng mit Lothringen. Wiedeburg (ebd., 139) fasst Leibniz’ diesbe­ zügliche Reflexionen prägnant zusammen: Die unberechenbare und hitzige Art des Herzogs bringt in alle sorgfältige Planung und Berechnung, die das Ziel des Leibniz’schen Gutachtens ist, einen Unsicherheitsfaktor von schlechthin entscheidendem Gewicht. Es ist für das hier angewandte Verfahren und die politische Grundeinstellung Leibnizens und seines Auftraggebers Boineburg kennzeichnend, wie er dieser Schwierigkeit zu begegnen 33

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zuschätzen ist für Leibniz ferner die durch innere Gegensätze mit ungewissem Ausgang geprägte englische Politik, wenngleich diese wieder zu ihrem alten Grundsatz zurückkehren könne, unter andern die wage zu halten35. Aber auch der König von Dänemark sei schlecht berechenbar, weil man von dem jungen Herrscher noch recht wenig wisse36. Diese Unsicherheitsfaktoren machen eine Reihe von Vorsichtsmaß­ nahmen für erfolgreiches diplomatisches Agieren erforderlich, zu deren wichtigsten die Diskretion bezüglich der eigenen Absichten zählt, selbst wenn sie in der Sicherung des Friedens bestehen37. Leibniz gebraucht in diesem Kontext den in der Diplomatenspra­ che jener Zeit üblichen Begriff der „Dissimulation“38. Ohne diese sucht. Ganz im Sinne der mathematischen Regeln sucht er die „Unbekannte“ aus der Reihe politischer „Gleichungen“, die er aufstellt, zu eliminieren, indem er sie gewissermaßen „vor die Klammer“ setzt. Das heißt, sein Wunsch geht dahin, die Lothringer Frage in der Schwebe zu halten und die Aktivität des Herzogs mattzusetzen. 35 So rückblickend auf die Politik Heinrichs VIII. und Cromwells Leibniz, Sekuritätsgutachten (wie Anm. 10), Teil II, § 37, 190. 36 Vgl. ebd., Teil I, § 58, 153: Wer weis wohin der jungen König in Dennemarck sein noch unbekandter humeur und der schmerzen des frischen Verlusts treibe? 37 Denn Frankreich sei der Friedenssicherung im Reich prinzipiell abge­ neigt. Daher empfiehlt Leibniz, den Franzosen entgegenzuhalten, ein neu­ es Schutzbündnis sei eigentlich den (seinerzeit vorgegebenen) Zielen des Rheinbundes vergleichbar: Qvo colore aber will man Franckreich so alles, das nur einen schatten vom puncto securitatis publicae Imperii hat, haßet, die approbirung einer solchen dahin einig und allein gerichteten allianz bereden? Respondeo, eodem colore, qvo ipsi persvasum est foedus Rhenense; ebd., § 65, 156. Die Begründung des Reichsbundes sollte daher gegenüber Frankreich und französisch gesinnten Ständen wie Kurköln mit angebli­ chen antikaiserlichen Interessen der Reichsstände und deren Furcht vor ei­ nem Erstarken der Habsburger begründet werden. 38 Vgl. zum Beispiel bezüglich des Aufschubs einer Aufnahme Lothringens in das deutsche Schutzbündnis ebd., § 56, 152: Und köndte nicht schaden, daß man majoris dissimulationis causa Lothringen nicht gleich anfangs hinein nehme, sondern hernach erst, stabilitis rebus. Ein weiteres Beispiel ebd., § 82, 165: Welcher gestalt nun die Sach anzustellen, daß ohne suspicion die gemüther zu gewinnen, und die Stände ohne Unterscheid der factionen anzulocken, ja wie bey Franckreich selbst der sache einen schein zu geben, ist oben erwehnet, wird aber sonderlich dem hohen verstand des Reichs-Directoris anheim gegeben, und bestehet zuförderst in höchster dissimulirung al-

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Diskretion erweist es sich nach Leibniz als schwierig, andere poli­ tische Körper in eine gewünschte Richtung zu lenken und Gegen­ bewegungen zu vermeiden. Seine Bedenken resümierend formuliert Buchenau: Jede offenbare Handlung kann ein bestehendes Gleichgewicht stören, weil sie notwendig den Verdacht weckt, der Handelnde sei für die eine oder andere Partei eingenommen39. Konkret stand aus Mainzer Sicht 1670 eine offene Brüskierung Frankreichs mit der Folge einer entsprechend heftigen französischen Reaktion zu befürchten. Leibniz’ „Sekuritätsgutachten“ geht von der utilitaristischen Prä­ misse aus, dass jeder Akteur im diplomatischen Geschehen seinen Eigennutz verfolgt. Die Voraussetzung für einen sicheren Frieden besteht demgemäß nicht in einer besonderen Tugendhaftigkeit der Akteure, sondern in ihrer Fähigkeit, die eigenen Interessen zu er­ kennen und zu wahren. Die Herstellung eines durch ein solides Gleichgewicht gesicherten Friedenszustandes erfordert keine In­ teressenkongruenz. Wie in der Physik kann auch in der Politik ein Ruhezustand durch die Spannung zweier entgegenwirkender Kräfte entstehen. Insofern kann ein Entgegenwirken in etwa gleichstarker Kräfte zur Sicherung des Friedens in Europa beitragen. Das Reich vermag dazu nach Leibniz’ Vorstellungen einen wesentlichen Bei­ trag zu leisten, denn um seine eigene Existenz zu sichern, muss es notwendigerweise auf die Beibehaltung des Gleichgewichts Acht geben, wobei äußere und innere Sicherheit des Reiches aufs Engste miteinander verzahnt sind40. Dabei wird „Gleichgewicht“ jedoch weder in der Diplomatie noch in der Physik als konkret fassbare objektive Realität konzipiert, sondern als menschliche Annahme und damit als Konstruktion be­ trachtet, welche die allseitige Beachtung der gleichen [durch das ius gentium gesetzten] Spielregeln voraussetzt41. Dies bedeutet jedoch, dass ein dauerhafter Friede nur im Gültigkeitsbereich dieser Völ­ kerrechtsgemeinschaft, das heißt für Leibniz innerhalb der (nun­ mehr in souveräne Staaten differenzierten) respublica christiana, ler partialität, aller aversion vom französischen interesse und inclination zu Osterreich. Haben wir dieß effectuirt, so ist die Sach halb gewonnen, und an glücklichen progreß nicht ehr zu zweiflen. 39 Buchenau (wie Anm. 9), 275. 40 Vgl. ebd., 276f. 41 Vgl. ebd., 278f, Zitat 279.

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möglich erscheint und ausdrücklich ihrer Verteidigung gegen die Nichtchristen dient42. Gut zwei Jahrzehnte nach dem Sekuritätsgutachten griff Leibniz das Motiv des Gleichgewichts als Kernelement der politischen Ord­ nung Europas in der Vorrede seines „Codex juris gentium diploma­ ticus“ (1693) wieder auf. Das Gleichgewicht („aequilibrium“43) Eu­ ropas erscheint Leibniz in seiner Gegenwart stark durch Ludwig XIV. und dessen Hegemonialstreben gestört. Die Gleichgewichtsvorstellung begegnet hier als ein Interpretament für die machtpolitische Dynamik des internationalen Systems, das auf der Ebene sich formierender Staatsgebilde, wie Friedrich Beiderbeck betont, einen strukturellen Antagonismus zum Ausdruck bringt, der in dem durch keine supranationale Institution gebremstem Machttrieb und Ex­ pansionsdrang der frühmodernen Staaten besteht44. Der Weg zu ei­ ner neuen friedlichen Koexistenz bestand für Leibniz während des gerade laufenden Pfälzischen Krieges in der Wiederherstellung des gestörten Gleichgewichts durch eine geschlossen agierende Große Allianz. Wie gefährdet jedoch nicht nur die Existenz des Reiches, sondern die Aussicht auf eine europäische Friedensordnung Leibniz er­ schien, belegt seine Stellungnahme zwei Jahre zuvor, der zufolge der Tod König Karls II. (und damit die Eröffnung der Spanischen Sukzession) das europäische Gleichgewicht nicht nur zu stören, sondern gänzlich zu zerstören drohte45. 42

Letztere werden mit Barbaren und Tieren gleichgesetzt. Vgl. Leibniz, Sekuritätsgutachten (wie Anm. 10), Teil I, § 90, 167: Als dann wird jenes Philosophi wundsch wahr werden, der da riethe daß die Menschen nur mit Wölfen und wilden thieren Kriege führen solten, denen noch zur zeit vor bezähmung die Barbaren und Unglaubigen in etwas zu vergleichen. 43 „Praefatio Codicis juris gentium diplomatici“ (1693 [2. Hälfte April bis Anfang Mai]); Leibniz, Werke, Reihe IV (wie Anm. 10), Bd. V, Nr. 7, 48– 79. Darin betont Leibniz, Europa sei durch den Frieden von Vervins (1598) in sein Gleichgewicht (in aequilibrio) gesetzt, dieses Gleichgewicht dann aber zunächst durch Kaiser Ferdinand II. (bevor sich der Sieg den Schwe­ den zuneigte), nach dem Westfälischen und dem Pyrenäenfrieden schließ­ lich durch den französischen König Ludwig XIV. gestört worden (ebd., 54). 44 Beiderbeck, Gleichgewicht (wie Anm. 4), [Ms. 3]. 45 Dieser Todesfalls acheveroit de detruire l’Equilibre de l’Europe; „Consulta­ tion sur les affaires generales à la fin de la campagne“ (1691 [Ende August/

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Diese Stelle bietet einen der Belege für eine explizite Verwendung von Begriffen durch Leibniz, die der Gleichgewichtsthematik ent­ lehnt sind. Vergleicht man jedoch die Frequenz solcher Begriffe mit der tatsächlichen Bedeutung des Gleichgewichtsdenkens bei Leib­ niz, die von der Forschungsliteratur herausgearbeitet wurde (etwa durch Buchenau hinsichtlich des „Sekuritätsgutachtens“), so lässt sich feststellen, dass es oftmals implizite Hinweise auf sein Gleich­ gewichtsverständnis sind, die sich seinen Schriften entnehmen las­ sen. Auf diesen Umstand hat bereits Fenske in seinem genannten Lexi­ konartikel „Gleichgewicht“ hingewiesen. Fenske stellt dort heraus, dass Leibniz zumeist von der Ruhe des Reichs, der Ruhe ganz Europas oder auch der wolfarth des Reiches und gemeiner Ruhe etc. spreche, aber dies seien – so Fenske – nur Synonyme für die Balance46. Dass die Ruhe als ein aus der Kommensurabilität entgegenwir­ kender Kräfte resultierender Zustand und damit als Form des „Gleichgewichts“ im politischen Denken Leibniz’ zu betrachten ist, wurde anhand jüngerer Forschungsbeiträge bereits herausgestellt und bestätigt die Schlussfolgerung Fenskes. Auch spätere Autoren setzten Ruhe, Sicherheit und Gleichgewicht beziehungsweise ein System von Gegengewichten in enge Beziehung zueinander47. Gleichwohl rekurriert Leibniz durchaus nicht selten, sowohl hin­ sichtlich der inneren Ordnung des Reiches als auch häufiger mit Blick auf das europäische Mächtesystem, und vorzugsweise gerade an wichtigen Stellen seiner Schriften auf ausdrücklich dem „Gleich­ gewicht“ verwandte Begriffe wie französisch „équilibre“, lateinisch „aequilibrium“ oder auch die „balance“ und die „Waage“48. Anfang September]); Leibniz, Werke, Reihe IV (wie Anm. 10), Bd. IV, Nr. 86, 464–490, hier 468. 46 Fenske (wie Anm. 18), 968. 47 Fenske (ebd., Anm. 121) führt ein Zitat aus Johann Peter Friedrich Ancil­ lons „Tableau des révolutions du système politique de l’Europe“ (hier Bd. II, Berlin 1804, 504) an: La tranquillité et la sûreté des états ne peuvent résulter que d’un système de contreforces. 48 Recht kursorisch dazu die insgesamt wichtige und sehr lehrreiche Unter­ suchung von Beiderbeck, Gleichgewicht (wie Anm. 4), [Ms. 4f], der u.a. auf den wichtigen Beleg zur Spanischen Erbfolge hinweist. Zur allgemeinen Wortgeschichte vgl. einführend Fenske (wie Anm. 18), 960. Der jüngste Band der Reihe „Politische Schriften“ enthält im Sachregister keine Einträ­

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So hält er es am Schluss seines Sekuritätsgutachtens, denn dort wird das Gleichgewicht (die „balance“) Europas als ein Ideal beschrie­ ben und mit der Blüte Deutschlands und dem Allgemeinwohl der Christenheit verbunden: Teütschland [solle] in seinen flor, Europa in die balance, daraus es verrucket, wieder kommen, und alles in friede und ruhe, zu allgemeinen besten der Christenheit, erhalten werden49. Der Gleichgewichtsgedanke besaß im Hinblick auf das Reich eine zweifache Bedeutung: Zum einen handelte es sich um die Balance zwischen den reichsrechtlich anerkannten Konfessionen. Mit dem Ziel des konfessionellen Austarierens des Kurfürstenrats begründe­ te Leibniz unter anderem die Neunte Kur für Braunschweig-Lüne­ burg50. Nach dem Grundsatz des Gleichgewichts der Konfessionen bewer­ tet Leibniz auch Friedensordnungen, sei es nun in positiver Hin­ sicht (Westfalen) oder in negativer wegen der Missachtung konfessi­ oneller Ausgewogenheit. Namentlich in seinen Betrachtungen über den Friedensschluss des Reiches mit Frankreich von Rijswijk 1697 sieht Leibniz das Gleichgewicht zwischen Katholiken und Protes­ tanten nicht beachtet. Vielmehr gereiche der Vertrag in allen strit­ tigen Punkten nur den Katholiken zum Vorteil. Leibniz stellt fest: puisque le partie [sic] Catholique Romain a satisfaction en tout, où il a des demêlés avec les Protestants, il est de la derniere injustice que les Protestans n’en reçoivent point51. Seine „Considerations ge zu Stichworten wie „Gleichgewicht“ oder „Balance“; vgl. Leibniz, Wer­ ke, Reihe IV (wie Anm. 10), Bd. VII. Mithilfe der Wortsuche in der online verfügbaren elektronischen Akademie-Ausgabe der Werke Leibniz’ lässt sich jedoch im Gesamtwerk eine Reihe einschlägiger Begriffsverwendungen ermitteln; vgl. http://www.leibniz-edition.de . 49 Leibniz, Sekuritätsgutachten (wie Anm. 10), Auszug der Continuation oder Partis IIdae obgedachten Bedenckens, § 10, hier 214. Auf diese Stelle hat schon Fenske (wie Anm. 18), 969 hingewiesen. 50 Zur Schaffung der Neunten Kur im Zusammenhang der Ausbalancierung der altgläubigen Vormachtstellung im Kurfürstenrat vgl. Beiderbeck, Zur Bedeutung des Westfälischen Friedens (wie Anm. 4), 163f, Zitat 163. 51 Vgl. [Leibniz, Gottfried Wilhelm]: Die Werke von Leibniz gemäß seinem handschriftlichen Nachlasse in der Königlichen Bibliothek zu Hannover. Hrsg. von Onno Klopp. Erste Reihe: Historisch-politische und staatswis­ senschaftliche Schriften. Bd. VI. Hannover 1872, Abschnitt B: Politische Kundgebungen und Briefe während und in Anlaß des Krieges von 1689– 1697, Nr. L, 162–170, Zitat 169. Die „Considerations“ waren zwischen

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sur la paix faite à Riswyck“ sehen durch den Rijswijker Friedens­ schluss auch die Westfälische Friedensordnung mit ihren konfessi­ onsrechtlichen Errungenschaften gestört, denn in den von Frank­ reich restituierten Gebieten sollte durch die Rijswijker Klausel (gegen die Normaljahresregelung von 1648) der dort unter franzö­ sischer Herrschaft eingeführte Katholizismus beibehalten werden52, und in den an Frankreich zedierten Territorien, namentlich Straß­ burg, waren keine Schutzklauseln zugunsten der etablierten pro­ testantischen Religionsausübung vereinbart worden53. Man könne dem Religionsfrieden als dem Ruhepunkt des Reiches keinen grö­ ßeren Nachteil zufügen, als den in Rijswijk vereinbarten54. Nament­ der Vertragsunterzeichnung und seiner Ratifizierung durch den Reichstag verfasst worden. Eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Gleichgewichts­ thematik findet sich darin nicht. Für die Fortschritte, die das Französische in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts unter den europäischen Gelehr­ tensprachen gemacht hatte, ist es übrigens bezeichnend, dass Leibniz seine Betrachtungen (trotz seiner Skepsis gegenüber der Politik Ludwigs XIV.) in Französisch verfasste. 52 Vgl. ebd., 163: C’est une chose manifeste que ce traité est extremement prejudiciable non seulement à la Dignité et aux droits de l’Empereur et de l’Empire, mais encore à la liberté Germanique, et à la religion Protestante. Il semble même qu’il a esté traîné par quelquesuns et puis precipité par les mêmes, d’une manière qui leur a donné lieu de satisfaire leur passion, et de se consoler du mauvais evenement des affaires generales par le tort qu’ils font à des Princes de l’Empire et aux Protestans en particulier. Leibniz sieht nicht nur die Trennung der Allierten durch die diversen in Rijswijk abge­ schlossenen Friedensverträge als befremdlich an, sondern noch viel mehr, qu’on est même venu à une espece de scission dans l’Empire, et que les plenipotentiaires des Catholiques Romains sont allés jusqu’à signer un article notoirement injuste et contraire à la paix de Westphalie, et tendant au prejudice des Protestans, sans une negotiation preallable et convenable avec eux. Car cet article porte que presque toutes les choses changées par la France dans les lieux à restituer, doivent estre redressées, excepté ce qu’on a fait contre la religion protestante (ebd.). 53 Vgl. ebd., 166: C’est aussi quelque chose de bien estrange qu’on n’a pas stipulé la conservation de la Religion Protestante dans Strasbourg, et dans les autres lieux, conformément à la paix de Munster, au Traité de Treve [1684] et autres traités. 54 Unmittelbar im Anschluss an das zu Ende der vorletzten Fußnote ange­ führte Zitat heißt es bei Leibniz (ebd., 163): Il n’est pas possible de faire quelque chose qui choque plus directement la paix de religion, et qui serve d’avantage à hausser les esperances de quelques Catholiques Romains, pour

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lich aus diesem Grunde verurteilt Leibniz den Frieden von Rijswijk als schmachvoll für das Reich und gefährlich für die Protestanten55. Dennoch sieht Leibniz für die Protestanten keinen Anlass zur Re­ signation, denn mit Hilfe des Königs von Großbritannien, der nor­ dischen Königreiche und der niederländischen Generalstaaten sei es vielleicht möglich, den von den Protestanten erlittenen Schaden später einmal wieder wettzumachen56. Rijswijk erscheint Leibniz aber geradezu als ein Rückschritt in der Kunst des Friedenschließens, denn dort schlossen die Verbünde­ ten nicht nur jeder für sich einzelne Friedensverträge, sondern diese verschiedenen Verträge waren (im Gegensatz zu Westfalen) auch in keiner Weise durch ein übergreifendes Garantie- oder Schutzsystem gesichert. Leibniz qualifiziert Rijswijk im Gegensatz zu Westfalen daher nicht als Friedensordnung, sondern als Friedensunordnung57. Zum anderen wurde die Gleichgewichtsthematik auf die inne­ re, durch den kaiserlich-ständischen Dualismus geprägte, Verfasst­ heit des römisch-deutschen Reiches bezogen, das Leibniz trotz di­ verser Schwächen in vielerlei Hinsicht als modellhaft galt58. Durch den Westfälischen Frieden war im Verhältnis von Kaiser und Stän­ den offensichtlich eine weitgehend austarierte Koexistenzordnung geschaffen worden, die einen gewaltsamen Konfliktaustrag wie vor 1648 ausschloss. renverser la religion des Protestans, apres avoir fait une telle breche à ce fondement du repos. 55 Dennoch sei dieser Friedensschluss unvermeidlich gewesen. Man könne al­ lerdings für die Zukunft Lehren daraus ziehen. Gleich zu Beginn heißt es: La paix de Ryswick est honteuse pour l’Empire et ses Alliés et dangereuse pour les Protestans; mais il semble qu’elle a esté inevitable dans le moment de sa conclusion. Et cela suffit, quoyque cette necessité auroit pû estre evitée auparavant. La connoissance de la conduite de ceux qui en sont cause, ne sert point à redresser le mal; elle peut pourtant servir à se precautionner à l’avenir; ebd., 162. 56 Vgl. ebd., 170. 57 Vgl. ebd., 163: C’est un desordre bien estrange, que non seulement tous les Alliés ont fait en effect des traités separés, qui n’ont point de liaison, presque ny connexion entre eux […] Il est surprenant d’ailleurs qu’on stipule nulle part des garanties des Traités, et qu’un Allié n’entre point dans le traité de l’autre, ce qui marque clairement que le chapelet est entierement defilé, et que chacun songe à ses affaires. 58 Vgl. Anm. 2.

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Belege, die von einem innerdeutschen Gleichgewichtssystem be­ reits vor 1648 sprechen, sind überaus selten und stehen oftmals in enger Verbindung zum ständischen Libertätsgedanken. Im 18. Jahr­ hundert war die Rede von einem „teutschen“ Gleichgewicht dann geläufig und wurde auf Artikel VIII § 2 des Osnabrücker Frie­ dens zurückgeführt, übrigens nicht nur im Reich59, sondern auch in Frankreich60, und Johann Jakob Moser kannte 1767 neben einem kaiserlich-ständischen auch ein Gleichgewicht der Reichsstände unter sich61. Schon 1661 hatte Ludolph Hugo (1630–1704), der mit Leibniz in freundschaftlichem Verhältnis stand und später zum Vizekanz­ ler in Hannover aufstieg, aber die Reichsverfassung im Sinne eines Gleichgewichtsverhältnisses von Reichsständen und Kaiser inter­ pretiert und dabei die jeweiligen Kompetenzbereiche dieser Ak­ teure in eine allgemeine und eine spezielle Wohlfahrtsfürsorge dif­ ferenziert62. Leibniz deutete den durch die Friedensordnung von 1648 geregel­ ten Dualismus als eine funktionstaugliche Machtbalance63. In seiner von 1696 datierenden Schrift „Verthaydigung der Hohen Stande des Reichs“ urteilt er, dass durch den Westphalischen friedenschluß […] die keyserl[iche] hoheit und die freyheit der stande in die Wage gesetzet und damit der Religions- so wohl als profan-frieden festgestellet worden64. 59 Vgl.

Fenske (wie Anm. 18), 963ff (vor 1648) und 975 (18. Jahrhundert). Braun, Guido: La connaissance du Saint-Empire en France du ba­ roque aux Lumières (1643–1756). (Pariser Historische Studien, 91) Mün­ chen 2010. Zitat aus Mosers „Neue[m] Teutsche[n] Staatsrecht“, Bd. 3/1 nach Fenske (wie Anm. 18), 975. Ebd. auch ein Hinweis auf den im folgenden Absatz behandelten L. Hugo. Zu Leibniz, L. Hugo und dem Reich als Gleichgewichtsorganismus vgl. Beiderbeck, Gleichgewicht (wie Anm. 4), [Ms. 5ff]; zum Rückgriff Leib­ niz’ auf Hugos Dissertation zuvor bereits Schneider (wie Anm. 3), 205 (dort Anm. 31 weitere Literatur). Beiderbeck, Das Heilige Römische Reich (wie Anm. 2), 57. „Verthaydigung der Hohen Stande des Reichs gegen die harte Beschul­ digungen eines falschgenanten Caesarei Turriani“ [Frühjahr bis Sommer 1696]; Leibniz, Werke, Reihe IV (wie Anm. 10), Bd. VI, Nr. 31, 184–239, hier am Ende von § 17, 230. Vgl. Beiderbeck, Zur Bedeutung des Westfäli­ schen Friedens (wie Anm. 4), 157, der auf diese Passage hinweist.

60 Vgl.

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62

63 64

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Leibniz schrieb sowohl den einzelnen Territorien als auch dem Reich Staatlichkeit zu und entwickelte nach der Formulierung von Hans-Peter Schneider eine außerordentlich fruchtbare Theorie vom „ständischen Bundesstaat“65. Dabei wird deutlich, dass der Gedanke der „Einheit in der Vielheit“ [als] ein zentrales Motiv der Leibniz’schen Ontologie, wie Luca Basso formuliert hat, auf den Bereich der politischen Körper übertragen wurde66. Das Reich bil­ det eine civitas, die sich wiederum aus mehreren civitates zusam­ mensetzt. Das Ziel dieses Zusammenschlusses ist die Gewährung von Sicherheit für die einzelnen Mitglieder: So bezeichnet Leibniz das Imperium als familia civitatum und als systema civitatum foederatarum […] praestantium sibi securitatem67. Das Reich war aus Leibniz’ Sicht zwar dezentral organisiert, dabei aber doch ein ein­ heitliches und im Prinzip wohlorganisiertes Gemeinwesen. Ein konsolidiertes, durch eine verbesserte Exekutive und Defensi­ onsordnung mithilfe eines als Defensivbündnis organisierten Fürs­ tenbundes unter kurmainzischem Direktorium gestärktes Reich, das die ständisch-kaiserliche Machtbalance als Ruhepunkt be­ wahrte, konnte nach Leibniz’ Urteil nicht nur seine eigene öffent­ liche Sicherheit verbessern68, sondern auch wesentlich zu einer eu­ ropäischen Friedensordnung beitragen69. Ähnlich wie Leibniz vermutete übrigens auch Pufendorf, dass ein einziges Teutschland […] wohl Frankreich die Waage halten könnte70, wobei Leibniz natürlich auf der Einheit in der Vielheit be­ stand und sich hinsichtlich der forma imperii von Pufendorf distan­ zierte71. Dem Reich sollte im europäischen Kontext eine stabilisierende Funktion zukommen. „Europa“ wurde von Leibniz idealiter als 65 66 67

68 69 70 71

Schneider (wie Anm. 3), 205–209, Zitat 205. Basso (wie Anm. 7), 149. In den „Elementa juris naturalis“ (1669/1670), hier zitiert nach Schneider (wie Anm. 3), 201, Anm. 9; zum Reich als civitas, aber auch Societas ex pluribus civitatibus vgl. ferner ebd., 209. Zum Thema Reichsreform und Sekuritätsgedanke vgl. ebd., 200–205. Bereits durch das Vorbild seiner Verfassung; sehr überzeugend dargestellt bei Beiderbeck, Zur Bedeutung des Westfälischen Friedens (wie Anm. 4). Zitiert nach Fenske (wie Anm. 18), 970 auf der Grundlage von „De statu Imperii“ 8, 4 (1667, hier 3. Aufl. Leipzig 1708, 453). Zu letzterem Aspekt vgl. Beiderbeck, Zur Bedeutung des Westfälischen Friedens (wie Anm. 4), 159.

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Gleichgewichtssystem verstanden, das (im Anschluss an bereits frü­ her zu konstatierende Störungen des Gleichgewichts durch diverse Akteure) nun durch die französische Hegemonialpolitik praktisch jedoch höchster Gefahr ausgesetzt war72. Das Prinzip der „Ein­ heit in der Vielheit“ konnte vom Reich auch auf Europa übertra­ gen werden. Leibniz vollzog diesen Schritt, indem er Europa als pluralis­tische Struktur in einer föderalistischen Form konzipierte73. In seiner Kritik des Friedensprojekts Abbé de Saint-Pierres stellt er die bundesstaatliche Struktur des Reiches [als] eine Art Kristallisationskern auf dem Wege der Einigung Europas sowie [als] ein Modell zur „Schaffung des ewigen Friedens“ innerhalb der Christenheit vor74. Das Kaisertum sah Leibniz dabei in einer europäischen Führungsrolle, denn Kaiser Karl VI. besaß ihm zufolge alle Präro­ gativen und Vorrechte Karls V. in seiner kaiserlichen Funktion; jede Abtrennung auch reichsitalischer Fürstentümer durch ihre Erhe­ bung zu selbständigen Mitgliedern in Saint-Pierres Senat wies er als bar jeder Rechtsgrundlage entschieden zurück75. Zur Wiederherstellung des Gleichgewichts und zur Errichtung eines dauerhaften Friedens erschien Krieg Leibniz durchaus als le­ gitimes Mittel, aber auch der Friedensstörer war weiterhin als Teil der Völkerrechtsgemeinschaft zu betrachten und musste entspre­ chend ihren Regeln im Konflikt behandelt und in die schließlich Zu Leibniz und Europa als Gleichgewichtssystem vgl. Beiderbeck, Gleich­ gewicht (wie Anm. 4), [Ms. 7–12]. 73 Basso (wie Anm. 7), 149ff, Zitat 150. 74 Schneider (wie Anm. 3), 209. Vgl. dazu auch Foucher de Careil (wie Anm. 14), 328–336: „Observations sur le projet d’une paix perpétuelle de M. l’Abbé de Saint-Pierre“, hier 333: Je trouve que M. l’abbé de SaintPierre a raison de considérer l’Empire comme un modèle de la société chrétienne, allerdings biete das Reich im Gegensatz zum Entwurf Saint-Pierres den Untertanen auch Rechtschutz durch Klagefähigkeit gegen die eigene Obrigkeit und die Unabhängigkeit des Reichskammergerichts. Zum frucht­ baren Austausch zwischen Saint-Pierre und Leibniz vgl. auch Beiderbeck, Das Heilige Römische Reich (wie Anm. 4), zur Bindefunktion der Gleich­ gewichtsidee zwischen dem Reich und Europa, durch die sich Leibniz von Saint-Pierre sehr unterschied, besonders 58. Ferner kurz Aramayo, Ro­ berto R.: La balance de l’Europe: Saint-Pierre chez Frédéric II, Rousseau, Leibniz et Kant. In: Nihil sine ratione. Mensch, Natur und Technik im Wirken von G. W. Leibniz. VII. Internationaler Leibniz-Kongreß. Teilbd. I. Hannover [2001], 25–32. 75 Vgl. Foucher de Careil (wie Anm. 14), 331f. 72

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begründete neue Friedensordnung eingebunden werden76. Für das Reich sah Leibniz eine wichtige Friedensvoraussetzung in der in­ neren Einigkeit und der Herstellung einer angemessenen Verteidi­ gungsfähigkeit77. Während der Rastatter Friedensverhandlungen bezeichnete er einen Angriffskrieg im Vergleich zu einem Verteidi­ gungskrieg übrigens als sicherer78. Unter Rekurs auf die älteren Vorstellungen vom iustum bellum wurde die Frage, ob die Störung des Gleichgewichts ipso facto einen Krieg rechtfertige, im 18. Jahrhundert kontrovers diskutiert. Chris­ tian Wolff verneinte sie 1749, sofern kein konkretes Unrecht vorlie­ ge, Emer de Vattel bejahte sie 1758 als ultima ratio79. Man kann mit Friedrich Beiderbeck schließen, dass die Vorstel­ lung vom Gleichgewicht bei Leibniz als regulativer Sicherheits- und Ordnungsfaktor diente, im Falle der Reichsverfassung in systemstabilisierender, im Falle Europas in systemverändernder, irenischer Absicht80. Gleichwohl sollte nicht vergessen werden, dass auch das Reichssystem dabei einer umfassenden Umgestaltung unterzogen werden sollte, allerdings selbstverständlich nicht in einer ähnlich ra­ dikalen Weise wie bei Saint-Pierre, dessen Teilungsprojekt den ent­ schiedenen Widerstand Leibniz’ provozierte81. Die wenige Jahre vor Leibniz’ Tod entstandenen (an Karl VI. ge­ richteten) Betrachtungen über die Friedensverhandlungen von Ra­ 76

Zu den Maßstäben für den „gerechten Krieg“ bei Leibniz vgl. etwa: „Con­ siderations sur les moyens de faire une paix juste et raisonnable“ [1694 bis Mitte 1695]; Leibniz, Werke (wie Anm. 51), Nr. 47, 445–449; ferner im Kontext des Rechts und der Gerechtigkeit in den internationalen Bezie­ hungen auch die „Praefatio Codicis juris gentium diplomatici“ (1693 [2. Hälfte April bis Anfang Mai]); ebd., Nr. 7, 48–79. 77 Vgl. Leibniz, Sekuritätsgutachten (wie Anm. 10), Teil I, § 100, 169: Denn wird man erst die Früchte des friedens genießen, wenn man im Frieden zum Krieg geschickt ist, alsdann wird Teütschland seine Macht erkennen, wenn es sich beysammen siehet. 78 Vgl. Fransen (wie Anm. 14), 129, die eine Arbeit des Verfassers aus der Zeit der Rastatter Friedensverhandlungen mit folgendem Grundsatz zitiert: L’attaque est ordinairement plus avantageuse et plus seure que la guerre défensive. 79 Vgl. Fenske (wie Anm. 18), 973f. Zum 19. Jahrhundert vgl. auch ebd., 992. 80 Beiderbeck, Gleichgewicht (wie Anm. 4), [Ms. 12f]. 81 Vgl. Beiderbeck, Das Heilige Römische Reich (wie Anm. 2), 50, zur Kritik an den Voraussetzungen ebd., 53f, 58, 60. Vgl. auch Foucher de Careil (wie Anm. 14), 332.

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statt zeigen, dass Frieden für Leibniz an sich selbst bereits ein ho­ hes Gut darstellte. Dennoch sei der Friede nur unzureichend, wenn er keine hinreichende Sicherheit vor treulosen Feinden biete. So habe Ludwig XIV. seine Expansion zu Lasten des Reiches vor allem in Friedenszeiten vollzogen. Eher als im Gleichgewicht sah Leib­ niz 1713 eine geeignete Friedenssicherung für das Reich in territo­ rialen Faustpfändern, namentlich in der Rückerstattung des Elsass und Straßburgs und in einer grundsätzlichen Entfernung Frank­ reichs vom strategisch wichtigen Rheinufer. Die sich abzeichnende europäische Friedensordnung war für Leibniz keineswegs ein Gleichgewichtssystem, vielmehr hätten sich durch den Verlust Spa­ niens die Machtverhältnisse für Kaiser und Reich so nachteilig ent­ wickelt, dass die Lage schlimmer sei als nach jedem früheren Frie­ densschluss und die Nachkriegsordnung, falls man die angebotenen Friedensbedingungen annähme, weitere furchtbare Konsequenzen erwarten ließe82. Daher fand der Rastatter Frieden schließlich nur aus Gründen der Convenance eine sehr begrenzte Billigung durch Leibniz, nicht zuletzt, weil die Friedensordnung nachhaltig das konfessionelle Gleichgewicht zuungunsten der Protestanten zu ver­ schieben schien83. Es wird deutlich, dass Friede an sich für Leibniz kein hohes Gut war, wenn die damit verbundene Ordnung nicht auf politischer und konfessioneller Ausgewogenheit basierte und je­ dem Beteiligten für die Zukunft Sicherheit versprach. Während Ludwig XIV. nun jedoch von einem âge décrépit gezeichnet sei, erscheine Karl VI. als soleil levant. Leibniz rät dem Kaiser entschieden zur Fortsetzung des Krieges. Vgl. ebd., 218–227, Zitat 224. Auch an ande­ rer Stelle wendet sich Leibniz gegen les seuretés purement verbales, die zu nichts tauge seien, wenn sie von der Vertragstreue der Menschen abhingen, daher wies er die Verzichtserklärungen im Zusammenhang mit dem Ut­ rechter Friedenswerk als unzureichend zurück; „Paix d’Utrecht inexcusa­ ble mise dans son jour par une lettre à un milord tory“, ebd., 1–140, Zitat 4; zu dieser von Leibniz aus eigenem Antrieb verfassten, Mitte Dezember 1713 abgeschlossenen Flugschrift (der umfangreichsten von Leibniz seiner­ zeit geschriebenen, die jedoch offenbar unveröffentlicht blieb) vgl. Fran­ sen (wie Anm. 14), 107–115, Zitat 113; darin 107, Anm. 1 und 113, Anm. 2 kritisch zur Edition von Foucher de Careil; eingehender Vergleich der Thematik dieser Flugschrift mit anderen prokaiserlichen Flugschriften (mit dezidiert negativem Urteil über Leibniz’ Originalität) ebd., 160–172; ferner Teiledition der Abschnitte betr. Savoyen als Anlage III, 225–235. 83 Leibniz hatte dabei auch sehr konkret die Gefährdung der hannoverschen Sukzession in England vor Auge. Vgl. ebd., 130f. 82

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Dem Sicherheitskonzept der „Barriere“ aus festen Plätzen zum Schutze vor Frankreich traute Leibniz weder aus deutscher Sicht, zumal die angebotenen Friedensbedingungen eher eine Zurück­ drängung als die erforderliche Ausweitung des eigenen Einfluss­ gebietes befürchten ließen84, noch im Hinblick auf die Sicherheit der Seemächte, vor allem Hollands, dem ein zweites „1672“ dro­ he85. Die Tatsache, dass das Haus Bourbon mit Frankreich und Spanien nun zwei große, aneinander angrenzende Länder besit­ zen solle, störe das europäische Gleichgewicht empfindlich. Die Bourbonen überträfen dadurch Karl den Großen an Macht und nähmen eine den Römern gleiche Machtstellung ein; nur Eng­ land und Holland könnten im Verein mit dem Kaiser das Gleich­ gewicht wahren, beide seien aber von den Bourbonen eingeschlä­ fert und entwaffnet worden86. Indem es sich auf den englischen Friedensweg eingelassen habe, habe Holland den sicheren und eh­ renhaften Frieden, dem man bereits so nahe gewesen sei, geop­ fert und seine Schlüsselstellung bei der Bewahrung des Gleich­ gewichts in Europa aufgegeben87. Ende 1713 sah Leibniz in einer etwaigen Personalunion Spaniens und des Heiligen Römischen 84

Besonders wenn dem Reich nicht Straßburg und das Elsass erstattet wür­ den und Lothringen nicht seine Freiheit zurückerhalte; ebd., 109f. Vgl. zu Leibniz’ ausführlichen Darlegungen in der Barrierefrage auch die Edition von Foucher de Careil (wie Anm. 14), 79f, 89–92 und 127f. 85 Vgl. Fransen (wie Anm. 14), 112f. 86 Vgl. Foucher de Careil (wie Anm. 14), 131f: C’est par elle [die engli­ sche Nation] que la maison de Bourbon parvient à une puissance qui surpasse celle de Charlemagne et égale celle des anciens Romains. La France et l’Espagne, joinctes ensemble et contiguës, rendent cette maison maistre de la plus considérable partie du corps de l’Europe. Car l’Allemagne et l’Italie sont trop divisées, et le Nord est subjet à des mouvemens qui l’empeschent de veiller au bien commun. Il n’y a que vous [die Engländer, an die sich der – fingierte – Brief richtet] et les Hollandois qui puissent se joindre à l’Empereur pour maintenir la balance; mais on vous a endormis et désarmés tous deux. 87 Vgl. ebd., 76f, namentlich folgende Zitate: Die Holländer n’avoient qu’à continuer la présente guerre, véritable escole d’excellens hommes, jusqu’à une paix seure et honorable, à laquelle on touchoit presque déjà. […] On pouvoit tenir la balance de l’Europe; on estoit comme l’âme du bon et du plus grand parti, et, par je ne sçay quelle crainte mal fondée ou économie mal placée, on se met à la suite des Anglois, on se laisse entraîner à des actions honteuses et décréditantes.

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Reiches, falls beide Kronen sich auf dem Haupt Karls VI. verein­ ten, für dieses Gleichgewicht aufgrund der großen Entfernung zwi­ schen diesen Herrschaftsbereichen eine weitaus geringere Gefahr88. Das Gleichgewicht war für Leibniz letztlich kein Ziel, sondern ei­ ner der Wege zu einem sicheren Frieden. Sein irdisches Ideal bil­ dete ein Friedenszustand, in dem das Gleichgewicht am Ende über­ flüssig werden sollte, nämlich der „Vernunftstaat“ als Respublica, in der sich die gesamte Christenheit unter einer kaiserlich-päpstlichen Doppelspitze versammelt89. Um Leibniz’ Friedensdenken im Kontext der großen Friedens­ schlüsse, die seinen Lebensabend prägten, in Zukunft eingehender zu erforschen, ist sehr zu wünschen, dass die Edition seines poli­ tischen Schrifttums weiter gut voranschreitet und damit aus dem Leibniz-Nachlass die Haufen engbeschriebener Bogen der For­ schung zugänglich gemacht werden, die allein auf den Utrechter und Rastatter Friedenshandel Bezug haben90, bisher aber nur zum geringen Teil, in unbefriedigenden älteren Ausgaben, zugänglich sind. Die Beschäftigung mit den Friedensvorstellungen und dem Gleich­ gewichtsdenken bei Leibniz verdeutlicht die Bedeutung großer kri­ tischer Quelleneditionen – und ihrer digitalen Präsentation mit entsprechenden Suchfunktionen – für die historische Friedensfor­ schung. Ohne eine solide und umfassende Ausgabe der politischen Schriften und Korrespondenzen von Leibniz aus dem Umfeld der großen Friedenskongresse des frühen 18. Jahrhunderts lassen sich seine politischen Ordnungskonzepte für einen sicheren und dauer­ haften Frieden in dieser Umbruchsphase des Reiches und der eu­ ropäischen Staatenwelt am Ausgang des Spanischen Erbfolgekrieges höchstens schemenhaft beschreiben. Historisch-kritische Quellen­ editionen wie die Leibniz-Ausgabe oder die von Maximilian Lan­ zinner geleiteten Editionsunternehmen „Acta Pacis Westphalicae“ und „Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556–1662“ Fransen (wie Anm. 14), 109. Diese Personalunion – eine Angelegenheit, die damals bei dem grossen Publikum einer der wichtigsten Punkte aller politischen Diskussionen war – wurde allerdings in anderen zeitgenössi­ schen prokaiserlichen Flugschriften eingehender behandelt als bei Leibniz (ebd., 167f, Zitat 168). 89 Dargelegt im „Caesarinus Fuerstenerius“; vgl. Schneider (wie Anm. 3), 220, zur Ausgestaltung auch ebd., 221f. 90 Fransen (wie Anm. 14), 207. 88 Vgl.

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sowie ihrer Digitalisierungsangebote sind für die historische Frie­ densforschung geradezu unerlässlich. Die Ordnungsvorstellungen, die in der Frühen Neuzeit zur Her­ stellung beziehungsweise Wahrung von Frieden und Sicherheit in­ nerhalb von Gemeinwesen und innerhalb der Staatenwelt ent­ wickelt wurden, lassen sich in der Gegenwart nicht unmittelbar anwenden. Sie bieten jedoch unzählige Anregungen und erlauben eine Standortbestimmung. Dazu gehört die Erkenntnis, dass es – ungeachtet aller Misserfolge, die bei der Etablierung einer dauer­ haften Friedensordnung zu verzeichnen waren – in der Vormoderne gelungen ist, auch in ganz verworrenen, komplexen Situationen eine Lösung des Konflikts herbeizuführen – mit einer zumindest teilweise durchaus dauerhaften pazifizierenden Wirkung, wie beim von Leibniz hochgeschätzten Religionsrecht von 1648. Die Frie­ densinitiativen der Gegenwart können aus diesen Leistungen der Vergangenheit zu Recht Hoffnung auf die Beilegung auch der am aussichtslosesten erscheinenden Konflikte und sicherheitspoli­ tischen Herausforderungen des frühen 21. Jahrhunderts ableiten, wie der seit vielen Jahrzehnten schwelenden Israel-Palästina-Frage. Ähnlich ausweglos erschien noch wenige Jahre vor 1648 die poli­ tische und konfessionelle Konfliktlage im Zentrum Europas. Diese Konflikte wurden in einer Form beigelegt, die spätere Generationen sehr unterschiedlich bewertet haben – von der Verklärung zu einem „Mythos“ – für Deutschland, Europa oder sogar das gesamte in­ ternationale „System“ – bis hin zur Verdammung unter nationalis­ tischen Vorzeichen. Für Leibniz’ Friedens- und Gleichgewichtsvor­ stellungen war „1648“ jedenfalls prägend und sicherlich ein Ideal, das es angesichts neuer Herausforderungen (besonders durch Lud­ wig XIV.) als Grundlage von Frieden und Sicherheit im Reich und in Europa zu bewahren galt.

VÖLKERRECHTSBRUCH ALS POLITISCHE STRATEGIE? Ein bekannter Fall und ein unbekannter Plan der Diplomatenführung unter Kaiser Leopold I. von Christoph Kampmann, Marburg 1. Einleitung „Sicherheit“ – diesen einen Begriff wählt die große Gesamtdarstel­ lung von Georg Schmidt zur Geschichte des Alten Reichs knapp und schlagwortartig als Titel des Kapitels über das ausgehende 17. Jahrhundert1. In der Tat wird hier ein, wenn nicht der Schlüsselbe­ griff der Reichspolitik im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts auf­ gegriffen: Kein Thema beschäftigte das Reich intensiver als die Herstellung seiner Sicherheit – der „Securitas Publica Imperii Ro­ mano-Germanici“. Von der Sache her war die Beschäftigung mit der Sicherheitsthema­ tik im ausgehenden 17. Jahrhundert nicht neu: Spätestens seit dem 15. Jahrhundert stand die Frage, wie sichere Verhältnisse im Reich zu schaffen und zu erhalten seien, im Zentrum der Reichspolitik2. Auch in der Folgezeit büßte das Thema, das unter Leitbegriffen wie dem „Landfrieden“ erörtert wurde, nichts von seiner Aktuali­ tät ein3. So sind wir dank der eingehenden Forschungen Maximili­ an Lanzinners vorzüglich informiert, wie intensiv und differenziert diese Diskussion in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts geführt wurde4. Neu war im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts neben dem 1

Schmidt, Georg: Geschichte des Alten Reichs. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495–1806. München 1999, 212. 2 Zur Tradition im Übergang vom Mittelalter zum 16. Jahrhundert: Anger­ meier, Heinz: Königtum und Landfriede im deutschen Mittelalter. Mün­ chen 1966; Carl, Horst: Der Schwäbische Bund 1488–1534. Landfrieden und Genossenschaft im Übergang vom Spätmittelalter zur Reformation. Leinfelden-Echterdingen 2000. 3 Zusammenfassend Carl, Horst: Artikel „Landfrieden“. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 7. Hrsg. von Friedrich Jaeger. Stuttgart 2008, 493–500. 4 Lanzinner, Maximilian: Friedenssicherung und politische Einheit des Reichs unter Kaiser Maximilian II. (1564–1576). (Schriftenreihe der His­

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nun dominierenden Begriff der „Sicherheit“ die Art der Bedrohung, mit der sich das Reich auseinanderzusetzen hatte. War es in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in erster Linie die Bedrohung des Landfriedens von innen, aus dem Reich selbst heraus gewe­ sen5, kam die Gefahr für die Sicherheit des Reichs im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts ganz wesentlich von außen, vor allem in Ge­ stalt der aggressiven Politik des französischen Königs Ludwig XIV. (reg. 1661–1715). Dessen – wohl gleichfalls stark von militärischen Sicherheitsüberlegungen geleitetes6 – Expansionsstreben seit den 1660er Jahren wurde in zunehmendem Maße als existentielle Be­ drohung wahrgenommen und bildete den Hintergrund der breiten, durchaus kontrovers geführten Sicherheitsdiskussion im Reich7. Besonders umstritten war die drängendste Frage, die Organisati­ on einer schlagkräftigen militärischen Exekutive im Reich, die dann letztlich trotz der intensiven Bemühungen unbeantwortet geblie­ ben ist8. Eine sehr markante Position nahm in diesen Auseinander­ setzungen seit den 1670er und 1680er Jahren der Wiener Hof be­ torischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 45) Göttingen 1993. 5 Zu den Verfassungs- und Sozialkonflikten im Reich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Rabe, Horst: Deutsche Geschichte 1500–1600. Mün­ chen 1991, 475–487. 6 Vgl. Braun, Guido: Von der politischen zur kulturellen Hegemonie Frank­ reichs, 1648–1789. (WBG Deutsch-französische Geschichte, 4) Darmstadt 2008, 47–57. Vgl. auch Ulbert, Jörg: Die österreichischen Habsburger in bourbonischer Sicht am Vorabend des Spanischen Erbfolgekriegs. In: Bourbon – Habsburg – Oranien. Konkurrierende Modelle im dynastischen Europa um 1700. Hrsg. von Christoph Kampmann [u.a.]. Köln, Weimar, Wien 2008, 241–254. 7 Burkhardt, Johannes: Vollendung und Neuorientierung des frühmoder­ nen Reiches 1648–1763. (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte. Zehnte, völlig neu bearb. Aufl., 11) Stuttgart 2006, 116–132; zur Schlüssel­ stellung der Securitas Imperii in der öffentlichen Diskussion vgl. zuletzt Wrede, Martin: Das Reich und seine Feinde. Politische Feindbilder in der reichspatriotischen Publizistik zwischen Westfälischem Frieden und Sie­ benjährigem Krieg. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Ge­ schichte Mainz, Abteilung für Universalgeschichte, 196; Beiträge zur Sozi­ al- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, 15) Mainz 2004, 546–560. 8 Neuhaus, Helmut: Das Problem der militärischen Exekutive in der Spät­ phase des Alten Reiches. In: Staatsverfassung und Heeresverfassung in der europäischen Geschichte der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Johannes Ku­ nisch. (Historische Forschungen, 28) Berlin 1986, 297–342.

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ziehungsweise die Regierung Kaiser Leopolds I. (1658–1705) ein. Der Wiener Hof arbeitete konsequent auf eine monarchische Zen­ tralisierung hin, also auf eine Bündelung von Kompetenzen beim Reichsoberhaupt, wozu auch eine Konzentration militärischer Be­ fugnisse beim Kaiser und eine Stärkung der dynastischen Stellung des Hauses Österreich gehörten9. Solche Schritte waren nach Auf­ fassung der kaiserlichen Regierung zentrale Voraussetzung für eine Verbesserung der Sicherheitslage des Reichs10. In diesen Zusammenhang gehörten auch die energischen, spätestens seit dem Holländischen Krieg (1672–1679) zu beobachtenden An­ strengungen des Wiener Hofs, Frankreichs politischen Einfluss un­ ter den Reichsständen systematisch zurückzudrängen. Bekanntlich hatte Frankreich nach dem Westfälischen Frieden im Zeichen seiner Stellung als Garantiemacht des Friedens und des nun endgültig be­ stätigten Bündnisrechts der Reichsstände seine politischen Verbin­ dungen zu den Reichsständen intensiviert: Es war ein Netz von As­ soziationen von Reichsständen mit Frankreich entstanden11, deren prominenteste und wirkmächtigste der Rheinbund von 1658 gewe­ sen war12. Die starke Präsenz der französischen Monarchie, die zwi­ schenzeitlich eine durchaus kaiserähnliche Position einnahm, war Teil der politischen „Normalität“ im Reich gewesen13. In dieser Hinsicht war nach Auffassung der kaiserlichen Regierung ein grundsätzlicher Wandel herbeizuführen. Die Abwehrbereit­ 9

Aretin, Karl Otmar von: Das Alte Reich 1648–1806. Bd. 1: Föderalistische oder hierarchische Ordnung (1648–1684). 2. Aufl. Stuttgart 1997, 286–298. 10 Jetzt ausführlich unter Bezug auf die Lage zu Beginn des Pfälzischen Kriegs 1688/89: Kampmann, Christoph: Ein Neues Modell von Sicherheit: Traditionsbruch und Neuerung als Instrument kaiserlicher Reichspolitik 1688/89. In: Neue Modelle im Alten Europa. Traditionsbruch und Inno­ vation als Herausforderung in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Christoph Kampmann [u.a.]. Köln 2012, 213–233. 11 Aretin (wie Anm. 9), 197–201; Peters, Martin: Allianzen vor dem Rhein­ bund. In: Der Erste Rheinbund (1658) (http://www.historicum.net/no_ cache/persistent/artikel/6006/ ). 12 Zum Rheinbund: Schnur, Roman: Der Rheinbund von 1658 in der deut­ schen Verfassungsgeschichte. (Rheinisches Archiv, 47) Bonn 1955; Schind­ ling, Anton: Der Erste Rheinbund und das Reich. In: Alternativen zur Reichsverfassung in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Volker Press. (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien, 23) München 1995, 123–129. 13 Zusammenfassend Aretin (wie Anm. 9), 225–235.

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schaft des Reichs sei nur zu garantieren, wenn der politische Ein­ fluss Frankreichs im Reich so weit wie möglich reduziert und die Verbindungen von Reichsständen zu Frankreich konsequent un­ terbrochen würden. Vor allem zu Beginn der großen militärischen Auseinandersetzungen seit den siebziger Jahren des 17. Jahrhun­ derts, dem Holländischen Krieg (1672–1679), dem Pfälzischen Krieg (1688–1697) und dem Spanischen Erbfolgekrieg (1701–1714) zeigte die kaiserliche Regierung ihre Entschlossenheit, keine Bünd­ nisverbindungen von Reichsständen zu Frankreich und darüber hi­ naus auch keine Neutralität im Reich zu dulden14. In diesem Zu­ sammenhang sind die Reichskriegserklärungen gegen Frankreich zu sehen, jene von 1674 und dann die in Form und Inhalt viel schär­ fere von 168915. Zu nennen sind hier auch die generellen Handels­ verbote mit Frankreich und vor allem die strafbewehrten, mit gro­ ßem Aufwand verkündeten und verbreiteten Verbote jeder Form von Bündnis, Unterstützung und Neutralität im Reich16. Auch die formelle Ausweisung von französischen Diplomaten aus dem Reich zu Beginn des Holländischen und des Pfälzischen Krieges sowie des

14

Schindling, Anton: Leopold I. (1658–1705). In: Die Kaiser der Neuzeit 1519–1918. Heiliges Römisches Reich, Österreich, Deutschland. Hrsg. von Anton Schindling und Walter Ziegler. München 1990, 169–185, hier 180– 185. 15 1674 wurde Frankreich durch eine vom Reichstag bestätigte Reichskriegs­ erklärung zum Reichsfeind erklärt; 1689 wählten Kaiser und Reich den Weg einer eigenen, vom Reichstag verabschiedeten Deklaration, in der Frankreich auf eine Ebene mit dem „Erbfeind“, dem Osmanischen Reich, gestellt wurde; vgl. dazu Müller, Klaus: Zur Reichskriegserklärung im 17. und 18. Jahrhundert. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsge­ schichte. Germanistische Abteilung 90 (1973), 246–259; Kampmann, Chris­ toph: Reichstag und Reichskriegserklärung im Zeitalter Ludwigs XIV. In: Historisches Jahrbuch 113 (1993), 41–59 und jetzt Kampmann, Neues Mo­ dell (wie Anm. 10), 220–227. 16 Seit dem Holländischen Krieg gingen solche kaiserlichen Avocatorialman­ date gegen Frankreich, die jede Form von Unterstützung und Verbindung mit Frankreich untersagten, den offiziellen Reichskriegserklärungen vor­ aus; vgl. Tischer, Anuschka: Offizielle Kriegsbegründungen in der Frühen Neuzeit. Herrscherkommunikation in Europa zwischen Souveränität und korporativem Selbstverständnis. (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit, 12) Berlin 2012.

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Spanischen Erbfolgekrieges gehören in diesen Zusammenhang17. Mit all diesen Maßnahmen griff die Wiener Regierung weitverbrei­ tete Forderungen der antifranzösischen Publizistik auf18, um in Zu­ kunft jeden Spielraum für die Bildung reichsständischer „Dritter Parteien“19 zwischen dem römisch-deutschen Reich und Frankreich zu beseitigen. Mit einem kleinen, freilich durchaus spektakulären Aspekt die­ ser auf Abgrenzung und gemeinsame Frontbildung des Reichs ge­ gen Frankreich gerichteten kaiserlichen Politik beschäftigen sich die folgenden Ausführungen: die auf kaiserlichen Befehl durchgeführte oder geplante Gefangennahme und Entführung von mit Frankreich politisch verbundenen oder direkt von Ludwig XIV. entsandten Di­ 17 Die

gründlichste Abhandlung zur französischen Gesandtschaft beim Immerwährenden Reichstag ist nach wie vor Auerbach, Bertrand: La France et le Saint Empire Romain Germanique depuis la Paix de Westpha­ lie jusqu’à la Révolution Française. (Bibliothèque de de l’École des hautes études, publiée sous les auspices du ministère de l’Instruction publique. Sciences historiques et philologiques, 196) Paris 1912; ebd., 172–184, zur Ausweisung des französischen Reichstagsgesandten Gravel 1674; ebd., 236, zu jener des Reichstagsgesandten Verjus 1689; und ebd., 256f, zu jener des Reichstagsgesandten Chamoy 1702; vgl. dazu auch Friedrich, Susanne: Drehscheibe Regensburg. Das Informations- und Kommunikationssys­ tem des Immerwährenden Reichstags um 1700. (Colloquia Augustana, 23) Berlin 2007, 97, mit Nennung der Ausweisungsdekrete. Zur Ausweisung der Gesandten aus rechtshistorischer Perspektive vgl. Leiher, Nikolaus: Die rechtliche Stellung der auswärtigen Gesandten beim Immerwährenden Reichstag zu Regensburg. Eine rechtshistorische Untersuchung unter Aus­ wertung der Schriften zum Ius Publicum des Alten Reiches. Aachen 2003, 152f. 18 Zur Entstehung einer reichspatriotisch-antifranzösischen Publizistik im Reich liegt inzwischen eine sehr breite Forschungsliteratur vor; zur Ver­ bindung mit der Reichspolitik vgl. Bosbach, Franz: Der französische Erbfeind. Zu einem deutschen Feindbild im Zeitalter Ludwigs XIV. In: Feindbilder. Die Darstellung des Gegners in der politischen Publizistik des Mittelalters und der Neuzeit. Hrsg. von Franz Bosbach. (Bayreuther His­ torische Kolloquien, 6) Köln 1992, 117–139. 19 Letztmalig gab es zu Beginn des Holländischen Krieges Versuche zur Bil­ dung einer solchen „Dritten Partei“ zwischen dem Kaiser und Frankreich, die aber dann scheiterten; vgl. Decker, Klaus Peter: Frankreich und die Reichsstände 1672–1675. Die Ansätze zur Bildung einer „Dritten Partei“ in den Anfangsjahren des Holländischen Krieges. (Pariser Historische Studi­ en, 18) Bonn 1981.

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plomaten im Reich. Solche Maßnahmen konnten gerade wegen ih­ rer völkerrechtlichen Brisanz erhebliches Aufsehen erregen und wie kaum eine andere Aktion demonstrieren, dass es keine irgend­ wie geartete Form von „Normalität“ im Verhältnis des Reichs zu Frankreich geben könne. Zwei Entführungsfälle sollen dabei hier im Mittelpunkt stehen: Der erste ist die spektakuläre Gefangennah­ me und Entführung des kurkölnischen Gesandten Wilhelm Egon von Fürstenberg, die bereits große Beachtung in der Forschungs­ literatur gefunden hat. Um diesen Fall besser einschätzen zu kön­ nen, soll im Anschluss ein zweiter, durchaus vergleichbarer Fall in den Blick genommen werden, der dann schließlich doch nicht rea­ lisiert worden ist. Es handelt sich um die sehr ernsthaft erwogene, aber nicht umgesetzte Verschleppung des französischen Sonderge­ sandten am Regensburger Reichstag, Louis Rousseau de Chamoy, im Jahre 1701/1702. 2. Völkerrechtsbruch und Konflikteskalation I: der Fall Fürstenberg Am Nachmittag des 14. Februar 1674 wurde der seit Sommer 1673 in der Reichsstadt Köln tagende europäische Friedenskongress von einer alarmierenden Nachricht erschüttert. Die Kongressdiplo­ maten erfuhren, dass einer aus ihrem Kreis, Wilhelm Egon Landgraf von Fürstenberg, am helllichten Tag von Bewaffneten überfallen und nach einem Schusswechsel mit Todesopfern und Verletzten aus Köln entführt worden sei20. Niemand der anwesenden Diplomaten, die sich auf schwedische Initiative hin in Köln versammelt hatten, um die drohende Ausweitung des 1672 ausgebrochenen Kriegs zwi­ schen Frankreich und den Generalstaaten zu verhindern21, konnte irgendeinen Zweifel an der politischen Brisanz des Ereignisses ha­ 20

Zur Verbreitung der Nachricht von der Entführung am Nachmittag des 14. Februar vgl. Spiegel, Käthe: Wilhelm Egon von Fürstenbergs Gefangen­ schaft und ihre Bedeutung für die Friedensfrage 1674–1679. (Rheinisches Archiv, 29) Bonn 1936, 10f. 21 Ausführlich zum Kölner Kongress Decker (wie Anm. 19), 199–373. Zur Bildung der Haager Allianz zwischen dem Kaiser, Spanien und den Nieder­ landen, durch die schon ein entscheidender Schritt zum Krieg unternom­ men wurde, vgl. Koller, Alexander: Die Vermittlung des Friedens von Vossem (1673) durch den jülich-bergischen Vizekanzler Stratmann. (Schrif­

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ben. Fürstenberg vertrat als Kongressbotschafter Kurkölns den höchstrangigen Bundesgenossen Frankreichs im Reich22 und durfte zugleich als einer der politisch profiliertesten Kongressteilnehmer angesehen werden: Wie sein Bruder, der Straßburger Bischof Franz Egon, war Wilhelm Egon, selbst Abkömmling eines alten schwä­ bischen Grafengeschlechts und Domkapitular in Köln, als treuer Anhänger Frankreichs unter den deutschen Reichsfürsten wohlbe­ kannt23. Ludwig XIV. und Fürstenberg waren in der Vergangenheit bei vielen Gelegenheiten bemüht gewesen, ihre ausgeprägte poli­ tische Nähe, Freundschaft und Vertrautheit zu demonstrieren, die starke Züge eines Patron-Klient-Verhältnisses trugen24. Jeder An­ griff auf Fürstenberg musste daher nicht nur als unmittelbare He­ rausforderung seines kurkölnischen Auftraggebers, sondern auch als eine solche der französischen Krone gelten. Der politischen Brisanz der Gewalttat entsprechend reagierten die Kongressverantwortlichen rasch. Noch am Abend des 14. Februar 1674 forderte der schwedische Kongressbotschafter Graf Tott, der als Friedensvermittler auf dem Kongress fungierte, von der gastge­ benden Reichsstadt die schnellstmögliche Aufklärung von Über-

tenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 22) Münster 1995, 150f. 22 Zum Offensivvertrag Kurkölns mit Frankreich vor Beginn des Holländi­ schen Kriegs vgl. Braubach, Max: Wilhelm von Fürstenberg (1629–1704) und die französische Politik im Zeitalter Ludwigs XIV. (Bonner Histori­ sche Forschungen, 36) Bonn 1972, 193–196. 23 Zur Person Fürstenbergs vgl. Braubach (wie Anm. 22); O’Connor, John T.: Negotiator out of Season. The Career of Wilhelm Egon von Fürsten­ berg 1629 to 1704. Athens/Georgia 1978. 24 Grundsätzlich zu entsprechenden „Patron-Klient“-Verhältnissen in der Frühen Neuzeit, für die – wie auch im Fall Fürstenberg auffällig – Mehr­ fachbindungen und Doppelloyalitäten charakteristisch sind, vgl. Thies­ sen, Hillard von: Artikel „Klientel“. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 6. Hrsg. von Friedrich Jaeger. Stuttgart 2007, 780–786, und (unter besonderer Perspektive auf die Außenpolitik) Wieland, Christian: Fürsten, Freun­ de, Diplomaten. Die römisch-florentinischen Beziehungen unter Paul V. (1605–1621). (Norm und Struktur, 20) Köln, Weimar, Wien 2004, 19ff. Charakteristisch war im Fall Fürstenberg auch die öffentliche Demonstra­ tion der beidseitigen engen Bindung; vgl. prägnant O’Connor (wie Anm. 23), 35, der von Fürstenberg’s notoriety as a German in French service spricht. Entsprechend auch Burkhardt (wie Anm. 7), 111f.

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fall und Entführung, was der Kölner Magistrat umgehend versprach und auch einleitete25. Doch langwierige Aufklärungsmaßnahmen erwiesen sich als über­ flüssig. Schon in den Tagen nach der Entführung Fürstenbergs übernahm die kaiserliche Regierung in Wien die volle Verantwor­ tung für den Vorgang. Kaiser Leopold ließ zunächst über seinen im Rheinland kommandierenden General Marchese di Grana, dem die Durchführung des Entführungsunternehmens oblegen hatte26, dann aber auch im eigenen Namen offiziell erklären, dass Fürstenberg als Friedensstörer und Reichsverräter gefangengenommen worden sei27. Damit war auch der Verbleib des Entführten geklärt: Nach kurzer Gefangenschaft beim Regiment di Grana in Bonn wur­ de Fürstenberg in die habsburgischen Erblande, nach Niederöster­ reich, verbracht28, wo er die folgenden fünf Jahre als Gefangener des Kaisers zubringen sollte. Die kaiserliche Entführung und die anschließende, langjährige Ge­ fangenschaft Fürstenbergs haben beträchtliche Resonanz in der Li­ teratur gefunden, wobei die historische und völkerrechtshistorische Bedeutung des Vorgangs völlig unbestritten ist. So kann es keinen Zweifel geben, dass der Fall Fürstenberg wesent­ lich zur weiteren Konflikteskalation im Holländischen Krieg und zur Verfestigung der politischen Frontstellungen seit Frühjahr 1674 beitrug. Zunächst stellte der Entführungsfall ein erhebliches Hin­ dernis für alle Versuche dar, auf diplomatischem Weg einen offenen und erklärten Krieg zwischen Kaiser und Reich auf der einen und Frankreich auf der anderen Seite zu verhindern. In direkter Folge des Entführungsfalls wurden die Verhandlungen des Kölner Kon­ gresses zunächst suspendiert und schließlich ganz beendet, weil der 25

Spiegel (wie Anm. 20), 11f. Ebd., 14; Braubach (wie Anm. 22), 287f. 27 Spiegel (wie Anm. 20), 40f; Baumanns, Markus: Das publizistische Werk des kaiserlichen Diplomaten Franz Paul Freiherr von Lisola (1613–1674). Ein Beitrag zum Verhältnis von Absolutistischem Staat, Öffentlichkeit und Mächtepolitik in der frühen Neuzeit. (Historische Forschungen, 53) Berlin 1994, 280f. 28 Zur zeitweiligen Orientierungslosigkeit auf kaiserlicher Seite hinsichtlich dessen, was denn nun mit der Person des Verschleppten geschehen solle, vgl. Spiegel (wie Anm. 20), 16f. Zur schlussendlichen Arretierung Fürsten­ bergs in Wiener Neustadt seit April 1674 vgl. Braubach (wie Anm. 22), 290f. 26

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Kaiser alle Forderungen nach Freilassung des Diplomaten kate­ gorisch abwies und nach übereinstimmender Ansicht der beteilig­ ten Mächte dem Kongress damit die Geschäftsgrundlage entzogen war29. Kurze Zeit später konnte auch der Regensburger Reichstag nicht mehr als Plattform für diplomatische Ausgleichsbemühungen dienen, weil der Kaiser im Zeichen des sich verschärfenden Gegen­ satzes den französischen Reichstagsgesandten Gravel auswies. Mit der Reichskriegserklärung an Frankreich vom 28. Mai 1674 – der ersten mit ausdrücklicher Zustimmung des Reichs – und dem fei­ erlichen Verbot jeder Neutralität im Konflikt mit Frankreich kam diese Entwicklung zu einem vorläufigen Abschluss30. Doch nicht nur in der unmittelbaren Folgezeit, sondern auch auf längere Sicht erwies sich der Fall Fürstenberg als erhebliches Hindernis für Frie­ denslösungen im Holländischen Krieg, weil eine Klärung dieses Problems als Voraussetzung für Friedensverhandlungen gesehen wurde, aber sowohl der französische als auch der römisch-deutsche Monarch ein Nachgeben in der „Fürstenbergfrage“ ausschlossen31. Darüber hinaus ist auch die grundsätzliche völkerrechtshistorische Bedeutung des Falls Fürstenberg unbestritten, zeigt er doch, wie weit die Anerkennung des Prinzips der völkerrechtlichen Immu­ nität von Diplomaten schon fortgeschritten war. Unmittelbar nach der Verschleppung des kurkölnischen Botschafters sah sich der Kai­ ser heftigen Vorwürfen ausgesetzt, und zwar nicht nur von Seiten Frankreichs, sondern auch unbeteiligter Dritter, die die Gefangen­ nahme als Bruch anerkannter Rechtsprinzipien, nämlich jener der Unantastbarkeit bestehender diplomatischer Vertreter und der ver­ einbarten Neutralität von Verhandlungsorten, anprangerten32. An der recht geschlossenen Ablehnung des kaiserlichen Vorgehens im 29

Spiegel (wie Anm. 20), 29–33. Kampmann, Reichstag (wie Anm. 15). 31 Vgl. Spiegel (wie Anm. 20), 127–136; Köhler, Matthias: Strategie und Symbolik. Verhandeln auf dem Kongress von Nimwegen. (Externa, 3) Köln, Weimar, Wien 2011, 98. 32 Zu den scharfen, dann auch öffentlich verbreiteten Vorwürfen, vor allem von französischer, aber auch neutraler Seite, Baumanns (wie Anm. 27), 281; Spiegel (wie Anm. 20), 39f; Strohmeyer, Arno: „Aller Rebellionen Aus­ gang ist der Rebellen Untergang“. Der Flugschriftenstreit um die Entfüh­ rung des Wilhelm Egon von Fürstenberg. In: Die Fürstenberger. 800 Jah­ re Herrschaft und Kultur in Mitteleuropa. Hrsg. von Erwein H. Eltz und Arno Strohmeyer. Korneuburg 1994, 65–77, hier 70ff. 30

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Kreis der europäischen Diplomatie änderten auch die mit erheb­ lichem publizistischen Aufwand vorgetragenen Rechtfertigungs­ versuche des Kaisers nichts, für die vor allem der kaiserliche Diplo­ mat und Publizist Franz Paul von Lisola verantwortlich zeichnete. Besonders aufschlussreich – im Sinne der Akzeptanz des Grund­ satzes der diplomatischen Immunität – war, dass auch Neutrale (wie Schweden und seit Februar 1674 England) und sogar Verbündete des Kaisers wie die Republik der Vereinigten Niederlande das kai­ serliche Vorgehen als Völkerrechtsbruch qualifizierten33, und dies wohl nicht zu Unrecht: Die von kaiserlicher Seite vorgetragenen Argumente, durch die die Immunität des Reichsuntertanen Fürs­ tenberg in Zweifel gezogen und die Neutralität der Reichsstadt Köln relativiert werden sollte34, waren aus juristischer Sicht insge­ samt wenig stichhaltig und konnten an der grundsätzlichen recht­ lichen Problematik der Fürstenbergentführung wenig ändern35. Intern wurde selbst am Kaiserhof – auch von publizistischen Ver­ teidigern der Aktion wie Lisola – die Überzeugung geäußert, dass das völkerrechtliche Gesandtschaftsrecht auch für Fürstenberg ge­ golten hätte36. Viel knapper als zu den politischen und publizistischen Folgen äu­ ßert sich die Forschungsliteratur zu den politischen Beweggrün­ den des Kaisers für die Durchführung der Aktion. Dies mag auch 33

Spiegel (wie Anm. 20), 40 und 52; Baumanns (wie Anm. 27), 281; Strohmeyer (wie Anm. 32), 70f. 34 Spiegel (wie Anm. 20), 14f, 41f; Frey, Linda S., Frey, Marsha: The Histo­ ry of Diplomatic Immunity. Columbus/Ohio 1999, 257 Anm. 163; zu den entsprechenden Verteidigungsschriften Lisolas vgl. ebd., 280–296; vgl. zum Duktus der öffentlichen Selbstverteidigung des Kaisers auch Strohmeyer (wie Anm. 32), 72f. 35 O’Connor (wie Anm. 23), 65f; Strohmeyer (wie Anm. 32), 73; Köhler (wie Anm. 31), 98. Im Übrigen wurde aus völkerrechtshistorischer Pers­ pektive herausgestellt, dass der Kaiser mit seiner Argumentation die prin­ zipielle Gültigkeit des Grundsatzes völkerrechtlicher Immunität der dip­ lomatischen Vertreter anerkannt habe (Spiegel [wie Anm. 20], 60f), wobei die Frage, ob eigene Untertanen als akkreditierte Diplomaten eines ande­ ren Souveräns anerkannt werden dürften, umstritten blieb (vgl. dazu Frey/ Frey [wie Anm. 34], 137f). 36 Spiegel (wie Anm. 20), 50 und 52; Pribram, Alfred Francis: Franz Paul Freiherr von Lisola (1613–1674) und die Politik seiner Zeit. Leipzig 1894, 663; Braubach (wie Anm. 22), 289; Baumanns (wie Anm. 27), 154.

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an der lückenhaften Überlieferung liegen37. Soweit die Literatur darauf eingeht, wird die persönliche Haltung des Kaisers zur Per­ son und politischen Rolle Fürstenbergs als ausschlaggebend ange­ sehen. Die kaiserliche Regierung habe den Reichsfürsten in durch­ aus nachvollziehbarer Weise als einen „Verräter“ des Reichs und erheblichen Störfaktor für den Reichsfrieden betrachtet38 – eine Be­ urteilung, die sich bei Kaiser Leopold selbst bis zu tiefer Abneigung und Erbitterung gesteigert habe, die planmäßiges Handeln im Fall Fürstenberg ausgeschlossen habe39. Welch scharfe Proteste der of­ fene Bruch des Völkerrechts auslösen würde, habe man angesichts dieser ausgeprägten Anti-Fürstenberg-Stimmung in Wien nicht ins Kalkül gezogen40, vielleicht auch nicht ins Kalkül ziehen wollen. Gerade wegen dieser Fehleinschätzung der öffentlichen Folgewir­ kungen durch die Wiener Regierung kommt Karl Otmar von Are­ tin zu dem Schluss, dass das Vorgehen des Kaisers gegen Fürsten­ berg – bei allem Verständnis für die Abneigung Wiens gegen diesen Störer der Reichseinheit – nur als ein politischer Fehler bezeichnet werden kann41. Doch gibt es Anzeichen, die Zweifel an dieser Deutung der kaiser­ lichen Politik in der Causa Fürstenberg wecken. Zum einen besaß Wilhelm Egon von Fürstenberg spätestens seit 1671 keinen realen Einfluss mehr auf die französische Außen- und Deutschlandpolitik – eine Tatsache, die auch an verschiedenen Höfen im Reich bekannt

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Trotz gründlicher Kenntnis der überlieferten kaiserlichen Akten bleibt auch Spiegel (wie Anm. 20) auf Spekulationen über die kaiserlichen Moti­ ve angewiesen. Braubach (wie Anm. 22), 289; Aretin (wie Anm. 9), 259f; O’Connor (wie Anm. 23), 66. Hinweis auf den verärgerten Kaiserhof auch bei Burk­ hardt (wie Anm. 7), 114. So die bislang beste Kennerin der Wiener Akten zum Fall, Spiegel (wie Anm. 20), 157f, die ebenfalls nur begründete Mutmaßungen anstellen kann. Aretin (wie Anm. 9), 259f. Ebd.

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war42. Koordinator der französischen Deutschlandpolitik43 war Fürs­ tenberg zum Zeitpunkt des Kölner Kongresses längst nicht mehr, seine Bedeutung lag auf einem anderen Gebiet: Er war zu einer Art Symbolfigur, zu einer Chiffre (O’Connor) für jene ständig kleiner werdende, aber noch vorhandene Gruppierung unter den Reichsan­ gehörigen geworden, die sich konsequent auf Frankreich und Lud­ wig XIV. hin orientierte44. Einen gefährlichen Verhandlungsgegner konnte Wien in Fürstenberg, den O’Connor für die Zeit nach 1671 treffend als negotiator out of season bezeichnet45, zum Zeitpunkt der Entführung jedenfalls nicht mehr sehen. Es gibt noch ein zweites Indiz, das Zweifel an der beschriebenen Interpretation weckt. In die öffentliche Diskussion um die Legiti­ mität der Entführung Fürstenbergs griff der Kaiserhof sehr rasch und lautstark ein, ja mehr noch: In gewisser Weise trugen die­ se schnell veröffentlichten46 und drastisch formulierten, scharf an­ 42

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Vgl. zusammenfassend O’Connor (wie Anm. 23), 199f; Braubach (wie Anm. 22), 259f. Im Frieden von Vossem von Juni 1673 war Wilhelm Egon von der französischen Regierung offen und in einer für ihn äußerst demü­ tigenden Weise desavouiert worden – eine Desavouierung, die an verschie­ denen Höfen im Reich nicht verborgen geblieben war und seine Position beim Kölner Kurfürsten zwischenzeitlich gefährdet hatte; vgl. O’Connor (wie Anm. 23), 54f. Ein Bittgang Fürstenbergs zum französischen König im Feldlager vor Maastricht hatte daran in der Sache nichts geändert, obwohl Ludwig XIV. sein enges Verhältnis zu Fürstenberg durch symbolträchtige äußerliche Gunsterweise unterstrich; Braubach (wie Anm. 22), 266. Im Wissen um die in der französischen Regierung äußerst geschwächte Posi­ tion Fürstenbergs unternahm die kaiserliche Diplomatie sogar einen Vor­ stoß, Kurköln und auch das kurkölnische Domkapitel für einen Wechsel auf die kaiserliche Seite zu gewinnen; Braubach (wie Anm. 22), 274f. Burkhardt (wie Anm. 7), 111f. Sehr treffend die Bezeichnung Fürstenbergs bei O’Connor (wie Anm. 23), 199, als cipher. Ebd. Anders als der Eindruck, den Spiegel (wie Anm. 20), 16f, erweckt, reagier­ te der Kaiser sehr rasch mit seinen internen und öffentlichen Stellungnah­ men zum Fall Fürstenberg, wie Baumanns (wie Anm. 27), 281, auf der Basis gründlicher Aktenkenntnis deutlich herausgestellt hat. Schon am 25. Februar, also nur kurz, nachdem Wien überhaupt erst gesicherte Nachricht von der Entführung erhalten haben konnte (und bevor die kaiserliche Re­ gierung die französischen Anklagen kennen konnte), wurden die diploma­ tischen Vertreter Wiens an ihren verschiedenen Standorten in Europa in einer breitgestreuten Informationskampagne über die kaiserliche Verant­

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ti-fürstenbergischen Flugschriften erheblich zur Polarisierung der öffentlichen Meinung, zur publizistischen Mobilmachung in die­ ser Phase der Reichsgeschichte bei47. Den Eindruck, von den poli­ tisch-publizistischen Folgen der Aktion überrumpelt worden zu sein, macht der Kaiserhof in keiner Weise. Stattdessen spitzte er den entstandenen Konflikt publizistisch noch zu und ließ die Situation weiter eskalieren. Diese Beobachtungen legen eine gänzlich andere Interpretation der Entführung Fürstenbergs nahe. Einiges spricht dafür, dass dem Kai­ serhof die weitergehenden politischen Folgen der Aktion, die zu­ nehmende politisch-publizistische Eskalation des Konflikts, gar nicht unwillkommen waren. Anders formuliert: Kaiser Leopold und seine Räte konnten durch das aufsehenerregende und völker­ rechtliche Gewohnheiten in Hinblick auf Gesandtschaftsrecht und Neutralität ignorierende Vorgehen deutlich machen, dass es keinen normalen politisch-diplomatischen Austausch mehr mit Frankreich und seinen Anhängern im Reich geben könne. Kaum eine andere Maßnahme war besser geeignet, den Bruch des Reichs mit Frank­ reich zu kommunizieren, als die Gewaltaktion gegen den bekannten Klienten Ludwigs XIV., der zugleich allgemein als zentrale Symbol­ figur einer Annäherung des Reichs an Frankreich galt. Der Wiener Kaiserhof hielt im Februar 1674 offensichtlich den Zeitpunkt für gekommen, die Fronten im Reich so rasch wie möglich zu klären und alle Spielräume für eine Annäherung von Reichsständen und Neutralität zu beseitigen. Die Fürstenberg-Affäre sollte die Reichs­ stände zu einer klaren Option für oder gegen das Reichsoberhaupt zwingen48. Dass es 1674 nicht nur, vielleicht nicht einmal vorrangig um die Ausschaltung eines – mit genauer Betrachtung nicht mehr allzu ein­

wortlichkeit und die Gründe der Aktion informiert. Dies deutet darauf hin, dass die entsprechenden diplomatischen Schritte vorbereitet waren und nur die Nachricht vom „Erfolg“ der Gefangennahme abgewartet werden sollte. 47 Burkhardt (wie Anm. 7), 114. Zum großen Erfolg der kaiserlichen Propa­ gandakampagne, der zum Umschwung der öffentlichen Meinung im Reich führte, vgl. Strohmeyer (wie Anm. 32), 73f; Köhler (wie Anm. 31), 98. 48 Treffend in diesem Sinne Baumanns (wie Anm. 27), 296: Wien hatte durch die Gefangennahme Fürstenbergs ein deutliches Zeichen dafür gesetzt, welche Richtung es weiter einzuschlagen gedachte.

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flussreichen – Verhandlungsgegners49, sondern auch und vor allem um den Symbolwert der Entführung Fürstenbergs ging, wird auch deutlich, wenn man die Aktion von 1674 mit einer sehr ähnlich ge­ lagerten Unternehmung vergleicht, auch wenn dieses Vorhaben dann freilich nicht über das Planungsstadium hinausgekommen ist: die schließlich nicht zur Realisierung gelangte Entführung des fran­ zösischen Reichstagsbevollmächtigten Chamoy zu Beginn des Spa­ nischen Erbfolgekriegs. 3. Völkerrechtsbruch und Konflikteskalation II: Plan und Hintergründe der Entführung des französischen Reichstagsgesandten Chamoy 1701/1702 a) Der kaiserliche Plan einer Entführung Chamoys Am 28. Dezember 1701 erteilte Kaiser Leopold seinem Vertreter beim Regensburger Reichstag50, Johann Friedrich Reichsgraf von Seilern, einen Befehl, der sicher nicht zur Routinetätigkeit der kai­ serlichen Reichstagsgesandtschaft gehörte. Der Kaiser trage sich ernsthaft mit dem Gedanken, Unß Des zu Regenspurg sich auffhaltenden frantzösischen Ministri Chamoys Persohn zu versichern, ihn also gefangen zu setzen. Seilern solle prüfen, auf welche Weise dies geschehen könne, zudem seine Einschätzung der möglichen Reak­ tionen des Regensburger Reichstags abgeben und nicht zuletzt zu klären versuchen, wie wir endlich selben [Chamoy] auß Regenspurg 49

Für diese Deutung spricht im Übrigen, dass die diplomatische Kampagne zur Rechtfertigung der Aktion bzw. zur Verurteilung des Entführungs­ opfers offenbar – wie gesehen – gut vorbereitet war, dass aber erhebliche Unklarheit herrschte, was denn nach der Entführung mit der Person Fürs­ tenbergs überhaupt geschehen solle; Spiegel (wie Anm. 20), 16; Baumanns (wie Anm. 27), 155. 50 Als Konkommissar war Seilern nach dem Prinzipalkommissar der „zwei­ te Mann“ der Reichstagsgesandtschaft. Der Prinzipalkommissar, Johann Philipp Kardinal von Lamberg, Fürstbischof von Passau, hatte mit sei­ nem feierlichen Einzug in Regensburg bis Dezember 1701 gewartet, und trat dann erst im Juli 1702 offiziell sein Amt an; vgl. dazu Niedermayer, Franz: Johann Philipp von Lamberg, Fürstbischof von Passau (1651–1712). Reich, Landesfürstentum und Kirche im Zeitalter des Barock. Passau 1938, 69f.

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durch das ChurBayerische territorium wegbringen, wie der Kaiser also Chamoy durch kurbayerisches Gebiet in die Erblande entfüh­ ren könne51. Zu all diesen Fragen forderte der Kaiser von Seilern baldigen Bericht. Sollte sich Chamoy freilich nach Nürnberg52 oder einen anderen Ort außerhalb des kurbayerischen Hoheitsbereichs begeben, habe Seilern sofort die Führung der kaiserlichen Reichs­ truppen davon zu informieren, damit diese sich Chamoys umge­ hend bemächtigen könnten53. In dem Schreiben an Seilern begründete der Kaiser auch seinen un­ gewöhnlichen Plan: Es gehe darum, mit geeigneten Repressalien auf die Gefangenahme des Domdechanten von Lüttich, den Freiherrn von Mean, durch französische Truppen zu reagieren54. Dass die­ se Gefangennahme in Lüttich allein Auslöser des Entführungsplans gewesen sei, erscheint jedoch zweifelhaft, wenn man die weitrei­ chenden politischen Folgen einer möglichen Chamoy-Entführung vergegenwärtigt – politische Folgen, die vor dem Hintergrund der beteiligten Persönlichkeiten, der Umstände und vor allem der zu erwartenden Konsequenzen deutlich werden. 51

Kaiser Leopold I. an Konkommissar Seilern, Wien 1701 Dezember 28 (Konzept); Haus-, Hof-, und Staatsarchiv Wien (im Folgenden abgekürzt HHStA), Reichskanzlei, Prinzipalkommission, Weisungen 4b, fol. 28–29, hier 28–28’. 52 Nürnberg war Tagungsort der fränkischen Kreisstände, deren Positionie­ rung auch für die Gesamtorientierung des Reichs große Bedeutung besaß; daher war ein Erscheinen Chamoys durchaus denkbar. 53 Kaiser Leopold I. an Konkommissar Seilern, Wien 1701 Dezember 28 (Konzept); HHStA, Reichskanzlei, Prinzipalkommission, Weisungen 4b, fol. 28–29, hier 29. 54 Die Verhaftung des Domdechanten von Lüttich, des Freiherrn von Mean, hing mit Spannungen innerhalb der Regierung des Fürstbistums Lüttich zusammen. Mean galt als Haupt der prokaiserlichen Partei, die sich der an Frankreich orientierten Politik des Fürstbischofs Josef Clemens wider­ setzte. Beim Einmarsch französischer Truppen in Lüttich im Sommer und Herbst 1701, der mit Billigung und sogar auf Wunsch des Fürstbischofs er­ folgt war, wurde Mean von französischem Militär festgenommen und un­ ter entwürdigenden Bedingungen nach Namur verschleppt, um schließlich später in Avignon dauerhaft gefangen gesetzt zu werden; er verblieb dort bis zu seiner Freilassung 1709; vgl. Braubach, Max: Die Politik des Kur­ fürsten Josef Clemens von Köln bei Ausbruch des spanischen Erbfolge­ kriegs und die Vertreibung der Franzosen vom Niederrhein (1701–1703). (Rheinisches Archiv, 6) Bonn, Leipzig 1925, 98f.

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Zunächst ist ein Blick auf die an dem ins Auge gefassten ChamoyCoups beteiligten Personen zu werfen. Der Adressat des Schrei­ bens, Reichsgraf von Seilern, war als kaiserlicher Konkommissar der zweite Mann der Prinzipalkommission nach dem Prinzipal­ kommissar selbst, Johann Philipp Kardinal von Lamberg55. Seilern war in der langen Zeit der „offiziellen“ Abwesenheit des Prinzi­ palkommissars – die offizielle Amtseinführung erfolgte erst im Juli 170256 – der oberste kaiserliche Vertreter am Reichstag und darf zugleich als der eigentliche politische Kopf der kaiserlichen Ver­ tretung in Regensburg angesehen werden57. Bei dem potentiellen Entführungsopfer handelte es sich um Louis Rousseau, sieur de Chamoy (1645–1711); er gehörte als Vertreter Ludwigs XIV. zum Kreis der beim Reichstag akkreditierten Diplomaten und war unter ihnen wahrscheinlich die wichtigste Figur. Wie der Immerwähren­ de Reichstag selbst wird auch die Tätigkeit der dort akkreditierten europäischen Diplomaten in der jüngeren Forschung grundsätzlich neu bewertet. Sehr deutlich wird inzwischen herausgestellt, dass der seit 1663 in Permanenz tagende Reichstag als zentrales politisches Kommunikationszentrum des römisch-deutschen Reichs anzu­ sehen ist, das für den Zusammenhalt und das Funktionieren des

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Seilern darf zweifellos als eine der politischen Schlüsselfiguren innerhalb der kaiserlichen Regierung und Diplomatie gelten; zu ihm: Turba, Gus­ tav: Reichsgraf Seilern aus Ladenburg am Neckar 1646–1715 als kurpfäl­ zischer und österreichischer Staatsmann. Heidelberg 1923, wobei Turba aber auf Seilerns Zeit als Regensburger Konkommissar nur sehr knapp eingeht. 56 Lamberg hatte zwar auch schon zuvor Regensburg aufgesucht, dies ge­ schah aber unter Wahrung des Inkognitos, um eine offizielle Übernahme der Funktionen als Prinzipalkommissar zu vermeiden; vgl. Niedermayer (wie Anm. 50), 59f. Auch nach dem feierlichen Einzug des Prinzipalkom­ missars in Regensburg im Dezember 1701 dauerte es noch länger als ein halbes Jahr, bis Lamberg seine Amtsgeschäfte offiziell aufnahm und den Mainzer Direktorialgesandten legitimierte. Erst dann konnte der Reichstag wieder seine offizielle Tätigkeit aufnehmen, was mit einer aufwendigen Er­ öffnungszeremonie dann auch geschah; vgl. ebd., 69f. 57 Zur politischen Schlüsselbedeutung der Konkommissare innerhalb der Prinzipalkommission vgl. Fürnrohr, Walter: Die Vertreter des habsburgi­ schen Kaisertums auf dem Immerwährenden Reichstag. Teil 1. In: Verhand­ lungen des historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 123 (1983), 71–139, hier 111f.

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Reichs enorme Bedeutung besaß58 – ein Kommunikationszentrum, in dem eben auch die verschiedenen Vertreter der europäischen Mächte eine nicht zu unterschätzende Rolle spielten59. Dies galt in besonderem Maße für die Repräsentanten des Allerchristlichsten Königs, fungierten diese doch in der „Drehscheibe Regensburg“ (Susanne Friedrich) regelmäßig als Antipoden des habsburgischen Kaisertums und als Kristallisationsfiguren der antikaiserlichen Op­ position60. Der hohe politische Stellenwert der französischen Reichstagsvertre­ tung ist bereits ablesbar an der Auswahl der entsprechenden Per­ sönlichkeiten durch den Conseil: Die französische Krone entsandte regelmäßig in Reichsangelegenheiten kundige, mit großer Erfah­ rung und Verhandlungsgeschick ausgestattete Persönlichkeiten an die Donau. Dies hatte schon für Chamoys Vorgänger, Gravel61 und Verjus62, gegolten; und um eine solche handelte es sich zweifel­ los auch bei Louis Rousseau de Chamoy63, der im April 1698, nach dem Frieden von Rijswijk, sein Amt als Außerordentlicher Gesand­ 58

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Friedrich (wie Anm. 17); Fürnrohr (wie Anm. 57), 82f. Friedrich (wie Anm. 17), 96–99. Diese Rolle der französischen Reichstagsgesandtschaft steht im Mittel­ punkt der Studie von Auerbach (wie Anm. 17), der die gesamte Gesandt­ schaft untersucht hat. Knapp zur politischen Bedeutung: Friedrich (wie Anm. 17), 98. Robert-Vincent, abbé de Gravel. Zu Gravel Auerbach (wie Anm. 17), 80ff; Gravel hatte die Vergütung eines Botschafters erhalten; ebd., 198. Zu Louis Verjus, comte de Crécy vgl. ebd., 198f. Chamoy war seit 1665 als Vertrauter und Schützling des späteren Außen­ ministers Pomponne in verschiedenen diplomatischen Missionen tätig gewesen und galt als ausgezeichneter Kenner der reichsdeutschen Ver­ hältnisse. Der Sturz Pomponnes 1679 hatte auch einen Karriereschnitt für Chamoy bedeutet, der erst nach der Rückkehr Pomponnes in den Conseil wieder in diplomatischen Missionen anzutreffen war. Auswahl und Ent­ scheidung hinsichtlich der Besetzung des Regensburger Postens durch den Conseil Ende 1697 bedeutete die erste politisch bedeutendere Verwendung nach Chamoys Rückkehr. Zur Karriere Chamoys knapp Auerbach (wie Anm. 17), 240f. Chamoy war überdies auch durch eine große, seinem Men­ tor Pomponne gewidmete theoretische Abhandlung zur botschafterlichen Tätigkeit hervorgetreten; Chamoy, Louis Rousseau de: L’idée du parfait ambassadeur. Hrsg. von Louis Delavaud. In: Revue Générale de Droit In­ ternational Public 19 (1912), 197–228. Dort auch Näheres zur diplomati­ schen Karriere Chamoys, die stets in nächster Nähe zu Pomponne stattge­

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ter und Bevollmächtigter Frankreichs in Regensburg offiziell ange­ treten hatte64. Darüber hinaus war schon in den vorangegangenen Jahrzehnten seit Errichtung einer französischen Reichstagsgesandtschaft deutlich ge­ worden, welch hohen politischen Symbolwert das Auftreten der französischen Reichstagsbevollmächtigten und der Umgang mit ih­ nen besitzen konnte. Ein eindrückliches Beispiel ist die Ausweisung der jeweiligen französischen Reichstagsvertreter in der Anfangs­ phase des Holländischen (1672–1679) und des Pfälzischen Kriegs (1688–1697). Die entsprechenden kaiserlichen Dekrete von 1674 und 1688 hatten auch über die Reichstagsöffentlichkeit hinaus er­ hebliche publizistische Resonanz gefunden65. Angesichts der recht hohen Wellen, die schon die entsprechenden kaiserlichen Ausweisungsdekrete geschlagen hatten, kann er­ messen werden, welch ein politisches Beben dann erst eine ge­ waltsam durchgeführte Gefangennahme und Verschleppung des französischen Bevollmächtigten ausgelöst hätte. Dass der Kai­ ser bereit war, dies in Kauf zu nehmen, nur um die Festnahme des Lütticher Domdechanten adäquat zu beantworten, überzeugt nicht. Einer Erklärung des Entführungsplans kommt man näher, wenn man sie vor dem Hintergrund des Wandels der kaiserlichen Reichs- beziehungsweise Reichstagspolitik betrachtet, der sich funden hat; Delavaud, Louis: Avant-Propos. In: Revue Générale de Droit International Public 19 (1912), 189–197. 64 Zum Amtsantritt im April 1698: Auerbach (wie Anm. 17), 241. Zum offi­ ziellen Rang Chamoys als Außerordentlicher Gesandter und Bevollmäch­ tigter des französischen Königs in Regensburg vgl. Leiher (wie Anm. 17), 209. 65 Zur erheblichen öffentlichen Aufmerksamkeit, die die Ausweisung Gravels begleitete, vgl. Auerbach (wie Anm. 17), 181. Vgl. auch das als Flugschrift verbreitete kaiserliche Ausweisungsdekret „Der höchstansehnlichen Kays. Commission […] licentyrung und Ertheilung des Salvum Conductum dem Französ. Plenipotentiarius Robert de Gravell […]“, o. O. 1674 [Bayerische Staatsbibliothek München 4. J. publ.e. 197]. Vgl. für die Thematisierung der „Abschaffung“ bzw. Ausweisung der französischen Reichstagsgesandten in der zeitgenössischen Publizistik mit weiteren Quellenbeispielen Zwiedi­ neck-Südenhorst, Hans von: Die öffentliche Meinung in Deutschland im Zeitalter Ludwigs XIV. 1650–1700. Ein Beitrag zur Kenntnis der deutschen Flugschriften-Litteratur. Stuttgart 1888, 53 und 63. Vgl. zur Publikation der Ausweisungsdekrete gegen Gravel und Verjus auch Leiher (wie Anm. 17), 152.

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zwischen dem Zeitpunkt der Ankunft Chamoys, im April 1698, und Ende 1701 vollzogen hatte und der in engem Zusammenhang mit den Veränderungen in der europäischen Mächtepolitik zu se­ hen ist. b) Zum Hintergrund des Entführungsplans: Reichstag und kaiserliche Politik 1698/1701 Als Chamoy im April 1698 in Regensburg eintraf, trieben gera­ de die Spannungen zwischen der kaiserlichen Regierung und dem Reichstag einem Höhepunkt entgegen – Spannungen, die vor allem durch heftigen Streit mit der Fürstenkurie und den protestantischen Reichsständen ausgelöst worden waren66. Konkret waren hier zwei Entwicklungen ausschlaggebend, die die Arbeit des Reichstags fak­ tisch zum Erliegen gebracht hatten67. Zunächst war dies die fort­ dauernde Empörung unter den Reichsfürsten über die eigenmäch­ tige kaiserliche Kurerhebung des Herzogs von Hannover 1692. Die Opposition im Reichsfürstenrat hatte sich in einem konfessions­ übergreifenden Fürstenbund, den sogenannten „Korrespondieren­ den“ organisiert, der die reguläre Gesetzgebungstätigkeit der fürst­ lichen Kurie seit 1693 recht wirkungsvoll blockierte68. Seit 1697 war noch ein konfessionsbedingter Konflikt hinzugekommen, die Aus­ einandersetzung um die sogenannte Rijswijker Klausel. Die von Frankreich im Rijswijker Friedensvertrag durchgesetzte Bestim­ mung, dass katholische Einrichtungen in den von Frankreich an das Reich zurückerstatteten Territorien erhalten bleiben müssten, stellte einen Verstoß gegen die Normaljahrsregel des Westfälischen Frie­ dens dar und spaltete den Reichstag auch in konfessioneller Hin­ sicht, zumal Chamoy auf Weisung aus Paris hin in dieser Frage in­ transigent blieb69. 66

Die nach wie vor gründlichste Schilderung der tiefgehenden Krise des Reichstags seit 1698 bei Granier, Gerhard: Der deutsche Reichstag wäh­ rend des Spanischen Erbfolgekrieges. Diss. phil. Bonn 1954, 17–21. 67 Zum weitgehenden Stillstand der Beratungs- und Gesetzgebungstätigkeit des Reichstags ebd., 19f. 68 Aretin, Karl Otmar von: Das Alte Reich 1648–1806. Bd. 2: Kaisertradition und österreichische Großmachtpolitik (1684–1745). 2. Aufl. Stuttgart 2005, 63ff; Granier (wie Anm. 66), 17f. 69 Aretin (wie Anm. 68), 162–173.

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Die kaiserliche Regierung ließ die Reichsstände spüren, dass sie den solcherart paralysierten Reichstag eigentlich für politisch nutz­ los hielt, und drohte, vor allem seit der siegreichen Beendigung des Türkenkriegs im Frieden von Karlowitz70 unverhohlen mit der Reichstagsauflösung71. Um dieser Drohung Nachdruck zu verlei­ hen, wurde die offizielle Investitur des neuernannten kaiserlichen Prinzipalkommissars, Graf Lamberg, seit Ende 1698 systematisch hinausgezögert: Damit war die schon vorher behinderte Gesetz­ gebung des Reichstags endgültig zum Stillstand gekommen72. Den Scheitelpunkt erreichte die Reichstagskrise, als im Dezember 1700 überraschend der Kurmainzer Direktorialgesandte Scheffer ver­ starb und ohne amtierenden Prinzipalkommissar kein Nachfolger ins Amt eingeführt werden konnte73. Von nun an war – ohne kaiser­ lichen Prinzipalkommissar und ohne Mainzer Direktorialgesand­ ten – die gesamte formelle Reichstagstätigkeit, also Reichsgesetzge­ bung und Reichsdiktatur, zum Erliegen gekommen: De facto war der „Immerwährende“ Reichstag nun für längere Zeit suspendiert – eine Entwicklung, an der die auf Konfrontation mit dem Reichstag angelegte kaiserliche Politik erheblichen Anteil hatte74. 70

Zum Frieden von Karlowitz von Januar 1699, durch den die osmanische Gefahr auf lange Sicht faktisch beseitigt war und sich die Position des Kai­ sers im Reich grundlegend veränderte, vgl. Bérenger, Jean (Hrsg.): La paix de Karlowitz, 26 janvier 1699. Les relations entre l’Europe centrale et l’Empire ottoman. (Bibliothèque d’études de l’Europe centrale, 1) Paris 2010, und Petritsch, Ernst D.: Rijswijk und Karlowitz. Wechselwirkun­ gen europäischer Friedenspolitik. In: Der Friede von Rijswijk 1697. Hrsg. von Heinz Duchhardt. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für Universalgeschichte, Beiheft 47) Mainz 1998, 291–311. 71 Mit Quellenbelegen Niedermayer (wie Anm. 50), 55. 72 Granier (wie Anm. 66), 24. 73 Vgl. ebd. 74 War die Reichsgesetzgebung schon durch die „offizielle“ Abwesenheit des Prinzipalkommissars seit 1698 suspendiert, so wurde nun auch die Be­ kanntgabe von Reichsschreiben etc., die sog. Reichsdiktatur, eingestellt, die das andere offizielle Tätigkeitsfeld des Reichstags darstellte (dazu Friedrich [wie Anm. 17], 133–157). Die komplette Unterbrechung der gesamten formellen Reichstagstätigkeit von 1700 bis 1702 ist m.W. in der jüngeren Literatur zum „Immerwährenden“ Reichstag weder eingehend untersucht noch in ihrer Bedeutung gewürdigt worden. Dies gilt auch für die (zum Teil sehr konfrontative) kaiserliche Reichstagspolitik in die­

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Doch zur selben Zeit, als die Reichstagskrise ihren Höhepunkt er­ reichte, traten auf europäischer Ebene politische Entwicklungen ein, die es dem Kaiser ratsam erscheinen ließen, die bisherige po­ litische Linie zu ändern und dem Regensburger Reichstag wieder einen höheren Stellenwert einzuräumen. Konkret bewirkte die mit dem Tod König Karls II. von Spanien seit November 1700 offen ausgebrochene spanische Erbfolgekrise diesen Sinneswandel, durch die die Wiener Führung in eine äußerst schwierige politische Lage geriet. Auf der einen Seite war Leopold I. auf keinen Fall bereit, ein bourbonisches Alleinerbe des spanischen Imperiums – wie es das Testament des letzten spanischen Habsburgers bekanntlich vorsah75 – kampflos hinzunehmen. Auf der anderen Seite befand sich der Kaiser in gefährlicher Isolation: Weder das Reich noch die Verbün­ deten aus dem zurückliegenden Pfälzischen Krieg, die Seemächte England und die Niederlande, zeigten große Bereitschaft, den Kai­ ser in der Auseinandersetzung um das spanische Erbe zu unterstüt­ zen76. Allein auf sich gestellt aber war der Kaiser im Ringen um das spanische Erbe so gut wie chancenlos. Die Gewinnung von Verbün­ deten im Reich und in Europa erhielt so oberste Priorität für die kaiserliche Politik77. Dies ließ den Wert des Reichstags aus Wiener Sicht wieder stei­ gen. Eine 1699/1700 durchaus denkbare Auflösung der Reichsver­ sammlung war nun keine reelle Option mehr. Stattdessen wurden konkrete Schritte eingeleitet, den Prinzipalkommissar doch in ab­ ser Phase – eine kaiserliche Reichstags- bzw. Reichspolitik, die spätestens seit den 1690er Jahren keineswegs durchgängig und grundsätzlich so kon­ sensuell, um „Zustimmung werbend“, angelegt war wie in der neueren Forschung angenommen wird (vgl. zuletzt Friedrich [wie Anm. 17], 96). Insgesamt unterstreicht dies die grundsätzliche Notwendigkeit einer systematischen Erschließung der Akten des Immerwährenden Reichstags, besonders der Akten des Erzkanzlerarchivs und der Prinzipalkommis­ sion. 75 Vgl. zur Annahme des Testaments Karls II. von Spanien durch Ludwig XIV. Malettke, Klaus: Die Bourbonen. Bd. 1: Von Heinrich IV. bis zu Ludwig XIV. 1589–1715. Stuttgart 2008, 228f. 76 Zur Zurückhaltung des englischen Parlaments, trotz des Drängens des Königs, in den Konflikt einzugreifen, vgl. Troost, Wout: William III, the Stadholder-King. A Political Biography. Aldershot 2005, 258f. Zur neutra­ len Haltung im Reich vgl. Aretin (wie Anm. 68), 113f. 77 Frey, Linda S., Frey, Marsha: A Question of Empire: Leopold I and the War of Spanish Succession, 1701–1705. New York 1983, 24f.

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sehbarer Zeit wieder offiziell nach Regensburg zurückzubeor­ dern. Freilich sollte es wegen diffiziler Zeremonialprobleme noch bis zum Jahresende dauern, bis der kaiserliche Prinzipalkommis­ sar dann tatsächlich seinen feierlichen Einzug in Regensburg halten konnte und gar bis Juli 1702, dass mit der Legitimierung des Main­ zer Direktorialgesandten der Reichstag wieder formell handlungs­ fähig war78. Hier ist nicht der Ort, die komplexen diplomatischen Entwick­ lungen nachzuzeichnen, durch die es dem Kaiser im Verlauf des Jahres 1701 gelang, seine Isolation schrittweise zu überwinden. Ent­ scheidend war die Entwicklung in Westeuropa: Das militärische und wirtschaftliche Ausgreifen Frankreichs auf die Spanischen Nie­ derlande und den spanisch-südamerikanischen Handel ließen in England und den Niederlanden die Überzeugung wachsen, dass eine dauerhafte Trennung Frankreichs und Spaniens unvorstellbar war, wenn man Ludwig XIV. kampflos gewähren ließe. Entschei­ dender politischer Wendepunkt war der Abschluss der Großen Al­ lianz in Den Haag im September 1701, durch den sich der Kaiser, England und die Niederlande verpflichteten, ein bourbonisches Universalerbe des spanischen Imperiums – wenn nötig mit Waffen­ gewalt – zu verhindern79. Der Abschluss der Großen Allianz ebnete dem Kaiser den Weg, auch das Reich – oder wenigstens den weitaus überwiegenden Teil der Reichsstände – wieder auf seine Seite zu ziehen. Von besonderer Bedeutung war dabei der im Oktober 1701 geschlossene geheime 78

Der Umgang Wiens mit den Zeremonialproblemen ist sehr bezeichnend; zunächst galten sie als unlösbar. Als dann die Wiedereröffnung des Reichs­ tags mit dem sich abzeichnenden politischen Stimmungswechsel unter den Reichsständen wieder günstig erschien, wurden sie geradezu schlagartig und unter beinahe vollständigem Nachgeben des Kaisers gelöst; vgl. zur sehr raschen Klärung der scheinbar vorher so unüberwindlichen Zeremoni­ alprobleme Niedermayer (wie Anm. 50), 68ff. 79 Vgl. zum Abschluss der Großen Allianz, durch den ein Krieg in der Bünd­ niskonstellation des Pfälzischen Kriegs, Österreich und Seemächte versus Frankreich, unvermeidlich geworden war, Frey/Frey, Question (wie Anm. 77), 24f. Kurz nach Abschluss der Allianz (und bereits als Reaktion darauf) erkannte Ludwig XIV. den Sohn des exilierten englischen Königs Jakob II. (gestorben am 15. September 1701) als rechtmäßigen König von England an und brach damit auch seinerseits endgültig mit England und den Nie­ derlanden: Aus dem Spanischen war nun auch ein Englischer Erbfolgekrieg geworden.

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Allianzvertrag mit dem Kurfürsten von Mainz, Lothar Franz von Schönborn, der bis dahin eine strikte Neutralitätspolitik verfolgt hatte und eine Schlüsselfigur der im Sommer 1701 erneuerten As­ soziation der fünf „Vorderen Reichskreise“ war80. Mit dem Über­ tritt von Mainz auf kaiserliche Seite, dem bald auch jener Kurtriers folgte, war der entscheidende Durchbruch gelungen: Seitdem hatten sich die Aussichten des Kaisers, dass das Reich auch im laufenden Konflikt mit Frankreich – wie schon 1688 – auf seiner Seite stehen würde, deutlich verbessert81. Damit ist das politische Umfeld skizziert, in dem der kaiserliche Plan einer Entführung des französischen Reichstagsgesandten Cha­ moy zu sehen ist. Der Gedanke zu solch einem Gewaltstreich ent­ stand in einer Situation, als sich das römisch-deutsche Reich schritt­ weise, aber stetig auf einen Kriegseintritt an der Seite des Kaisers beziehungsweise der Großen Allianz gegen Frankreich hinbewegte und zugleich – damit einhergehend – die langanhaltende Paralyse des Reichstags vor der Überwindung stand82. c) Der Verzicht auf die Entführung: von Seilerns Einspruch zur Ausweisung Chamoys Zu der geplanten Gefangennahme und Entführung des franzö­ sischen Bevollmächtigten Chamoy aus Regensburg ist es nicht ge­ kommen. Wesentlichen Anteil daran, dass dieser Plan schließlich nicht umgesetzt wurde, hatte der kaiserliche Konkommissar Sei­ lern, der in seiner Antwort von der geplanten Entführung abriet83. Er begründete diese Ablehnung vor allem mit der militärisch äu­ ßerst schwierigen Durchführbarkeit des Unternehmens in der Reichstagsstadt Regensburg: Zwar zweifele er nicht an der Erge­ 80

Granier (wie Anm. 66), 28f; Aretin (wie Anm. 68), 117ff. Aretin (wie Anm. 68), 118. 82 Einzig die wittelsbachischen Kurfürsten von Bayern und Köln hielten zu diesem Zeitpunkt noch am Neutralitätskurs fest, bis sie sich schließlich – vor die klare Option gestellt – als einzige bedeutendere Reichsfürsten für Frankreich entschieden; vgl. Kraus, Andreas: Bayern im Zeitalter des Ab­ solutismus (1651–1745). Die Kurfürsten Ferdinand Maria, Max II. Emma­ nuel und Karl Albrecht. In: Handbuch der bayerischen Geschichte. Bd. 2. Hrsg. von Andreas Kraus. 2. Aufl. München 1988, 458–532, hier 480–498. 83 Seilern an Kaiser, Wien 1702 Januar 4 (Original); HHStA, Reichskanzlei, Prinzipalkommission, Berichte 34, Konvolut 1702, fol. 3–8. 81

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benheit der Reichsstadt gegenüber dem Kaiser; auch sei eine Reihe von Reichsstiftern in Regensburg sicher bereit, den gefangengesetz­ ten französischen Gesandten und Bevollmächtigten vorübergehend für den Kaiser in Gewahrsam zu halten. Aber weder Regens­ burg noch den betreffenden Stiftern sei dies wegen der damit ver­ bundenen Risiken zuzumuten84. Vollends unmöglich aber sei nach Lage der Dinge der gefahrlose Transfer des Entführten durch das kurbay­erische Gebiet. Hierin erblickte Seilern das zentrale Hinder­ nis für das geplante Unternehmen85. Als aussichtsreicher bewertete Seilern die Möglichkeit, Chamoy bei einer politischen Visite in Nürnberg oder einem anderen Ort weit außerhalb des kurbayerischen Machtbereichs festzusetzen, wobei Seilern auch dabei gewisse Hindernisse und Gefahren befürchtete. Chamoy verhalte sich hinsichtlich seiner Reisepläne immer äußerst verschwiegen, so dass es schwierig sei, zuverlässige Informationen über etwaige Aufenthaltsorte des französischen Emissärs außerhalb Regensburgs zu erhalten86. Im Übrigen seien auch mögliche Reakti­ onen im Reichstag schwer vorauszusehen, da die Kräfteverhältnisse und die Parteibildung noch unübersichtlich seien87. Seilerns eindeutige Stellungnahme zuungunsten des kaiserlichen Unterfangens verfehlte ihre Wirkung in Wien offensichtlich nicht: Der Entführungsplan wurde nicht umgesetzt, so dass Chamoy sei­ ne Mission fortführen konnte, freilich unter Lebens- und Arbeits­ bedingungen, die sich für den französischen Diplomaten im Zuge der ständig wachsenden Spannungen zwischen dem Reich und Frankreich deutlich verschlechterten88. Den Schlussstrich unter Chamoys diplomatische Tätigkeit zog der Kaiser erst am 24. Juni 1702, als er Chamoys Ausweisung aus Regensburg und dem Reich bekannt gab89 – wenige Wochen, bevor der Reichstag durch die Le­ gitimierung des Mainzer Direktorialgesandten Otten nach mehr­ 84 85 86 87 88

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Ebd., fol. 3–3’. Ebd., fol. 5, wo Seilern die Wiener Regierung darauf hinweist, dass die durchführung durch das Bayerische gebiet schier unmöglich [sei]. Ebd., fol. 6–6’. Ebd., fol. 8–8’. Zur ständigen Bewachung seiner Residenz und dem wiederholten Abfan­ gen der Gesandtschaftskorrespondenz im Frühjahr 1702 vgl. Auerbach (wie Anm. 17), 256. Ebd., 256f.

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jährigem vollständigem Stillstand seine offizielle Arbeit wieder auf­ nahm90. Wie schon bei Chamoys Vorgängern Gravel und Verjus handelte der Kaiser auch bei der Reichstags- und Landesverweisung Chamoys eigenmächtig und ohne formellen Reichsschluss oder vorhergegangene Reichskriegserklärung91 – eine weitere Demons­ tration kaiserlicher Stärke gegenüber dem Reichstag92, die aber an­ gesichts der bis auf die wittelsbachischen Fürsten von Bayern und Köln inzwischen fast geschlossenen antifranzösischen Front am Reichstag politisch risikolos war93. 4. Schluss: Entführungsplan und Konfliktstrategie So ist es unter Leopold I. zu keiner zweiten spektakulären Diplo­ matenentführung, zu keinem zweiten „Fall Fürstenberg“ gekom­ men. Die Tatsache, dass der „Fall Chamoy“ nie über die Planungs­ phase hinausgelangte, ist nicht der einzige Unterschied zwischen beiden Vorgängen. Auch in Hinblick auf die persönliche Stellung des Opfers – Chamoy war, anders als Fürstenberg, keine bekannte Symbolfigur – und durch den Umstand, dass der Kölner Friedens­ kongress und der Immerwährende Reichstag sehr unterschiedliche Institutionen waren, sind beide Vorgänge nur bedingt vergleichbar. Dennoch gibt es Parallelen, die durchaus bemerkenswerte Rück­ schlüsse auf Ziele und Möglichkeiten der kaiserlichen Politik in der Zeit Leopolds I. zulassen. Die eine Parallele ist der diplomatische Status des Betroffenen, dessen Verletzung – anders als bei Fürsten­ berg – im Falle Chamoys nicht einmal mit einem Vasallitätsverhält­

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Granier (wie Anm. 66), 33; Niedermayer (wie Anm. 50), 69. Erst seit Juli 1702 war der Reichstag wieder formell handlungsfähig; Gra­ nier (wie Anm. 66), 33f. 92 Leiher (wie Anm. 17), 156, bewertet aus rechtshistorischer Perspektive die kaiserliche Ausweisung eines Reichstagsgesandten ohne vorherige Anhö­ rung der Stände als eindeutigen formellen Rechtsbruch durch den Kaiser. Dabei stützt er sich auf die herrschende Meinung des Reichsrechts, wobei es ja gerade Ziel solcher Aktionen war, durch Präzedenzfälle – auch be­ wusst provokativ angelegte Präzedenzfälle – Recht zu setzen. 93 Zur bemerkenswert widerspruchslosen Hinnahme der einseitigen kaiserli­ chen Akte in der ersten Jahreshälfte 1702 vgl. Aretin (wie Anm. 68), 124f. 91

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nis zum Kaiser hätte gerechtfertigt werden können94. Anders for­ muliert: In gewisser Hinsicht hätte eine Entführung Chamoys einen noch flagranteren Völkerrechtsbruch dargestellt. Auch in Hinblick auf Zeitpunkt und Genese lassen sich Parallelen zwischen beiden Fällen erkennen. In beiden Fällen entstand der Plan in einer Situa­ tion, in der sich das Reich merklich auf einen Krieg mit Frankreich zubewegte, ohne dass dieser bereits politisch vollkommen durchge­ setzt oder förmlich beschlossen gewesen wäre. Dies ist ein für die Deutung der Vorgänge sehr wichtiger Aspekt. Denn dadurch wird wahrscheinlicher, dass hinter beiden Entführungsplänen bei allen Unterschieden eine vergleichbare politische Strategie stand – eine Strategie, die eindeutig auf Konflikteskalation abzielte. Durch eine Gewaltaktion, die wenigstens von der Gegenseite und von neu­ tralen Beobachtern als unmissverständliche Absage an völkerrecht­ liche Konventionen qualifiziert werden würde, sollten der Bruch mit Frankreich unumkehrbar gemacht und die Reichsstände zu­ gleich zu eindeutiger Parteinahme gezwungen werden: Entweder folgten sie dem Kaiser in dieser Auseinandersetzung oder sie stell­ ten sich offen gegen das Reichsoberhaupt. Insgesamt beschritt der Kaiser damit eine äußerst riskante Strategie, die Reichs- und Völ­ kerrechtsbruch bewusst in Kauf nahm, um politische Signale an Freund und Feind auszusenden. Der Fall Fürstenberg zeigte, dass ein solch spektakulärer Bruch der diplomatischen Immunität für den Kaiser kein „Tabu“ darstellte. Und der Plan einer Entführung Chamoys lässt erkennen, dass sich daran in der Folgezeit trotz des politischen Bebens, das die Gefangennahme Fürstenbergs ausgelöst hatte, nichts geändert hatte: Die Gefangennahme und Entführung eines offiziell akkreditierten Diplomaten galten auch weiterhin als ebenso erwägenswertes wie adäquates Mittel, wenn die Situation dies politisch nützlich erscheinen ließ.

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Zur – wenigstens der Rechtstheorie nach – unbestrittenen Immunität der auswärtigen Gesandten in Regensburg vgl. Leiher (wie Anm. 17), 116–119.

Zwischen Krieg und Frieden Kaiserliche Finanzkrise und Friedenspolitik im Vorfeld des Dreissigjährigen Kriegs (1612–1615)

von Peter Rauscher, Wien * 1. Die Reichshilfen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Als 1606 die beiden Friedensabkommen von Wien1 und Zsitvato*

Maximilian Lanzinner hat durch seine Forschungen zu den Reichsta­ gen und zur Reichsfinanzgeschichte des 16. Jahrhunderts maßgeblich zum besseren Verständnis des Alten Reiches beigetragen. Persönlich ver­ danke ich ihm nicht nur große Unterstützung während meiner Disser­ tation, sondern auch die Anregung, mich mit den kaiserlichen Finanzen zu beschäftigen. Auf diesem Weg wünsche ich alles Gute, den Erhalt der beruflichen Schaffenskraft und vor allem persönliche Zufriedenheit. – Diese Studie ist ein Ergebnis des vom Fonds zur Förderung der wissen­ schaftlichen Forschung (FWF – Der Wissenschaftsfonds) von 2006 bis 2010 getragenen Projekts „Die finanziellen Beziehungen zwischen Kaiser und Reich 1600–1740“ (P 18215-G08). 1 Text und weitere Informationen zum Wiener Frieden online bei: LeibnizInstitut für Europäische Geschichte Mainz, Europäische Friedensverträge der Vormoderne (http://www.ieg-mainz.de/likecms/likecms.php?site=site. htm&dir=&nav=130&siteid=133&treaty=628&lastsiteid=23&searchquer y=%26is_fts%3D%26filter_select%3D%26filter_wt%3D%26filter_id% 3D%26filter_l%3D%26filter_p%3D%26searchlang%3Dde%26searchstr ing%3D%26date%3D%252 ). Druck bei: Gooss, Roderich (Bearb.): Österreichische Staatsverträge. Fürstentum Siebenbürgen (1526– 1690). (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Öster­ reichs, 9) Wien 1911, Nr. 45, 327–367. Leider wenig Substantielles enthält der Band: Barta, János, Jatzklau, Manfred, Papp, Klára (Hrsg.): „Einig­ keit und Frieden sollen auf Seiten jeder Partei sein“. Die Friedensschlüsse von Wien (23.06.1606) und Zsitvatorok (15.11.1606). Zum 400. Jahrestag des Bocskai-Freiheitskampfes. Debrecen 2007; vgl. auch die knappe Zu­ sammenfassung bei Fata, Márta: Ungarn, das Reich der Stephanskrone, im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Multiethnizität, Land und Konfession 1500 bis 1700. (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, 60) Münster 2000, 134–137.

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rok2 zwischen Kaiser Rudolf II. und dem Sultan beziehungswei­ se zwischen Erzherzog Matthias im Namen des Kaisers und István Bocskai sowie den ungarischen Ständen geschlossen wurden, ging ein Krieg zu Ende, der fast anderthalb Jahrzehnte angedauert hat­ te3. Schauplatz war das Königreich Ungarn gewesen, das seinen ers­ ten modernen Krieg erlebte und wo durch das Wüten der Kriegs­ parteien und verschiedener Seuchen („morbus Hungaricus“) ganze Landstriche entvölkert wurden4. Das Heilige Römische Reich hatte massiv zur Finanzierung dieses Konflikts beigetragen – nie mehr sollte ein Kaiser direkt verfüg­ 2

Text und weitere Informationen zum Frieden von Zsitvatorok on­ line bei: Leibniz-Institut für Europäische Geschichte Mainz, Euro­ päische Friedensverträge der Vormoderne (http://www.ieg-mainz. de/likecms/likecms.php?site=site.htm&dir=&nav=85&siteid=133& treaty=1248&lastsiteid=76&searchquery=%26is_fts%3D%26filter_ select%3D%26filter_wt%3D%26filter_id%3D%26filter_l%3D%26filte r_p%3D%26searchlang%3Dde%26searchstring%3D%26date%3D%26 year_from%3D1606%26year_till%3D0%26location%3D ), dort mit weiterer Literatur. Zeitgenössische deutsche Fassung der Rati­ fikationsurkunde des Friedens von Zsitvatorok durch Sultan Ahmed I. in: Nehring, Karl: Adam Freiherr zu Herbersteins Gesandtschaftsreise nach Konstantinopel. Ein Beitrag zum Frieden von Zsitvatorok (1606). (Südosteuropäische Arbeiten, 78) München 1983, 199–207. 3 Zum Kriegsverlauf: Zachar, József: Der „Lange Krieg“ zwischen dem Os­ manischen Reich und dem Habsburgerreich: Von der Kriegserklärung bis zum Friedensschluss 1593–1606. In: Barta/Jatzklau/Papp, „Einigkeit und Frieden“ (wie Anm. 1), 229–244. 4 Pálffy, Géza: The Kingdom of Hungary and the Habsburg Monarchy in the Sixteenth Century. (CHSP Hungarian Studies Series, 18; East Euro­ pean Monographs, DCCXXXV) New York 2009, 209ff, Zitat 209; Tóth, István György: Von der Schlacht bei Mohács bis zum Wiener Frieden. In: Geschichte Ungarns. Hrsg. von István György Tóth. Budapest 2005, 227–257, hier 249–252; Ágoston, Gábor: Die Bevölkerung Ungarns in der Türkenzeit. In: Geschichte Ungarns (wie oben), 317–324; Szakály, Ferenc: Die Bilanz der Türkenherrschaft in Ungarn. In: Acta Historica. Revue de l’Académie des Sciences de Hongrie 34 (1988), 63–77; Dávid, Géza: De­ mographische Veränderungen in Ungarn zur Zeit der Türkenherrschaft. In: Acta Historica (wie oben) 34 (1988), 79–87, hier 87. Einen Überblick über die Bevölkerungsentwicklung der habsburgischen Länder bietet Winkel­ bauer, Thomas: Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter. 2 Teile. (Österreichische Geschichte 1522–1699) Wien 2003, Teil 1, 14, Tabelle 1.

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bare Mittel in dieser Höhe von den deutschen Ständen und Städten bewilligt bekommen5. Im Zeitraum von 1548 bis 1575 hatten Fer­ dinand I. und Maximilian II. von den Reichsständen 76 Römermo­ nate an Türkenhilfen und eine Million Gulden (fl.) für Grenzbauten zugesagt bekommen. Höhepunkte der Reichssteuer­bewilligungen bildeten damals die „heißen“ Kriegsphasen der Jahre 1556 bis 1559 und 1566/15676.

5

Die Hilfen des Reichs zur Kriegführung nach dem Dreißigjährigen Krieg waren weitgehend dezentral organisiert und bestanden in der Regel aus der Stellung von Truppen. 6 Zu den kriegerischen Ereignissen seit 1556 – vor allem zu dem von Erzher­ zog Ferdinand II. geführten Feldzug dieses Jahres – bis zum Frieden von 1562 siehe Bucholtz, F. B. von: Geschichte der Regierung Ferdinand des Ersten. Aus gedruckten und ungedruckten Quellen. Bd. 7. Wien 1836 [ND Graz 1968], 334–358; Huber, Alfons: Geschichte Österreichs. Bd. 4. Gotha 1892, 184–191, 249–264. Weitgehend unbrauchbar und formal ungenügend ist: Kono, Jun: Reichstag und Türkenkrieg. Informative Taktik und Tür­ kensteuerforderungen Kaiser Maximilians II. auf den Reichstagen von 1566 und 1567. Ungedr. Diss. Wien 2003; knapp: Winkelbauer, Ständefreiheit (wie Anm. 4), Teil 1, 135ff. Grundsätzlich zu den Reichssteuern bis 1576: Lanzinner, Maximilian: Friedenssicherung und politische Einheit des Rei­ ches unter Kaiser Maximilian II. (1564–1576). (Schriftenreihe der Histori­ schen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 45) Göttingen 1993, 465–468, 487–490; Lanzinner, Maximilian: Der Gemeine Pfennig, eine richtungweisende Steuerform? Zur Entwicklung des Reichs­ steuersystems 1422 bis 1608. In: Das „Blut des Staatskörpers“. Forschun­ gen zur Finanzgeschichte der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Peter Rauscher, Andrea Serles, Thomas Winkelbauer. (Historische Zeitschrift, Beihefte, Neue Folge, 56) München 2012, 261–318; Schmid, Peter: Reichssteuern, Reichsfinanzen und Reichsgewalt in der ersten Hälfte des 16. Jahrhun­ derts. In: Säkulare Aspekte der Reformationszeit. Hrsg. von Heinz Anger­ meier, Reinhard Seyboth. (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 5) München, Wien 1983, 153–198; Rauscher Peter: Carlos V, Fernando I y la ayuda del Sacro Imperio contra los turcos: dinero, religión y defen­ sa de la cristiandad. In: Carlos V y la quiebra del humanismo político en Europa (1530–1558). Actas del congreso internacional. Bd. 4. Madrid 2001, 363–383; Rauscher, Peter: Zwischen Ständen und Gläubigern. Die kaiser­ lichen Finanzen unter Ferdinand I. und Maximilian II. (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, 41) Wien, München 2004, 77–101.

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Tabelle 1: Die auf den Reichstagen bewilligten Türkenhilfen (inkl. Gelder für Grenzbauten) 1548–1570 Reichstag Römermonate (RM)/ Summe 1548 500 000 fl. 1552 1557 1559 1566

Einsammlung des 1544 bewilligten Gemeinen Pfennigs 16 RM 500 000 fl. 48 RM

1570 Gesamt

12 RM 76 RM, 1 Mio. fl.

Laufzeit 5 Jahre

1 Jahr 3 Jahre *4 (3) Jahre 3 Jahre

Römermonat/Jahr Repartition auf Basis der Reichs­kammer­ gerichtsmatrikel

16 1566: 24 RM eilende Hilfe, 1567–1569: 8 RM/Jahr beharrliche Hilfe 4

Quelle: Lanzinner, Friedenssicherung (wie Anm. 6), 465, Tabelle 5.

* Am Reichstag von Regensburg wurde die Laufzeit der beharrlichen Tür­

kenhilfe von drei (1567–1569, 8 RM/Jahr) auf zwei (1567/68 12 RM/Jahr) Jahre verkürzt. Vgl. Reichsabschied, Regensburg 1567 Mai 12; Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556–1662. Hrsg. von Maxi­ milian Lanzinner. Der Reichstag zu Regensburg 1567 und der Reichskreis­ tag zu Erfurt 1567. Bearb. von Wolfgang Wagner, Arno Strohmeyer, Josef Leeb. München 2007, Nr. 82, 309–340, hier [20], 318f.

Die Reichshilfen von 1576 und 1582 gaben Maximilians II. Nach­ folger Rudolf II. erstmals in Friedenszeiten umfangreiche Finanz­ mittel zum Ausbau des Grenzfestungssystems gegen die Osmanen in die Hand7. Wie sehr der Kaiser von diesen Mitteln abhängig war, 7

Grundlegend zu den Reichshilfen nach 1576: Schulze, Winfried: Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert. Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung. München 1978; Schulze, Winfried: Reichstage und Reichssteuern im späten 16. Jahr­ hundert. In: Zeitschrift für Historische Forschung 2 (1975), 43–58; Schul­ ze, Winfried: Die Erträge der Reichssteuern zwischen 1576 und 1606. In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 27 (1978), 169– 185; Schulze, Winfried: Reichskammergericht und Reichsfinanzverfassung

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belegt die Krise, in die die Grenzfinanzierung nach dem Auslau­ fen der Hilfen von 1582 stürzte. Da aufgrund konfessioneller Span­ nungen im Reich zunächst kein neuer Reichstag und damit auch keine weiteren Türkenhilfen zustande kamen, konnten die notwen­ digen militärischen Ausgaben in Ungarn nicht mehr gedeckt wer­ den. Die Hofkammer wies den Kaiser 1593 daher eindringlich da­ rauf hin, dass die Grenze ohne Kontributionen aus dem Reich nicht zu finanzieren sei8. Diese sollten, nachdem es seit 1592 zu offenen Kriegshandlungen gekommen war, schließlich ab 1594 in bisher nicht gekannten Dimensionen fließen9. Mit den Bewilligungen des im 16. und 17. Jahrhundert. (Schriftenreihe der Gesellschaft für Reichs­ kammergerichtsforschung, 6) Wetzlar 1989; Schulze, Winfried: Reichsfi­ nanzwesen, Reichskammergericht und Ausgabenkontrolle im 16. und 17. Jahrhundert. In: 75 Jahre Reichsfinanzhof – Bundesfinanzhof. Festschrift. Bonn 1993, 3–22; Rauscher, Peter: Kaiser und Reich. Die Reichstürken­ hilfen von Ferdinand I. bis zum Beginn des „Langen Türkenkriegs“ (1548– 1593). In: Finanzen und Herrschaft. Materielle Grundlagen fürstlicher Politik in den habsburgischen Ländern und im Heiligen Römischen Reich im 16. Jahrhundert. Hrsg. von Friedrich Edelmayer, Maximilian Lanzin­ ner, Peter Rauscher. (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, 38) Wien, München 2003, 45–83. Veraltet ist die un­ systematische Darstellung bei Hurter, Friedrich: Geschichte Kaiser Fer­ dinands II. und seiner Eltern, bis zu dessen Krönung in Frankfurt. Bd. 3. Schaffhausen 1851, 84–102. Zum Grenzfestungssystem im Ungarn des 16. Jahrhunderts und dessen Kosten zentral: Pálffy, Géza: Der Preis für die Verteidigung der Habsburgermonarchie. Die Kosten der Türkenabwehr in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In: Finanzen und Herrschaft (wie oben), 20–44; Pálffy, Géza: The Origins and Development of the Border Defence System against the Ottoman Empire in Hungary (up to the early Eighteenth Century). In: Ottomans, Hungarians and Habsburgs in Cen­ tral Europe. The Military Confines in the Era of Ottoman Conquest. Hrsg. von Géza Dávid, Pál Fodor. (The Ottoman Empire and its Heritage. Poli­ tics, Society and Economy, 20) Leiden, Boston, Köln 2000, 3–69; Pálffy, Kingdom (wie Anm. 4), 89–108. 8 Rauscher, Kaiser (wie Anm. 7), 79f. 9 Die Bedeutung des Reichs unterstreicht auch Kenyeres, István: Die Kriegsausgaben der Habsburgermonarchie von der Mitte des 16. Jahrhun­ derts bis zum ersten Drittel des 17. Jahrhunderts. In: Kriegführung und Staatsfinanzen. Die Habsburgermonarchie und das Heilige Römische Reich vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Ende des habsburgischen Kaisertums. Hrsg. von Peter Rauscher. (Geschichte in der Epoche Karls V., 10) Müns­ ter 2010, 41–80, hier 73f; Kenyeres, István: Die Kosten der Türkenabwehr und des Langen Türkenkrieges (1593–1606) im Kontext der ungarischen

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Jahres 1603 und den 1606 abgeschlossenen Friedensverträgen liefen diese Hilfen freilich aus. Tabelle 2: Die auf den Reichstagen bewilligten Türkenhilfen 1576–1603 (ohne Kreishilfen) Reichstag

Römermonate

Laufzeit

1576 1582 1594 1597/98 1603 Gesamt Bezahlt bis 1630 in fl. (ca.) Römermonat (Ø) in fl.

60 40 80 60 86 326 18 600 000 57 055

6 Jahre 5 Jahre 5 Jahre 3 Jahre 4 Jahre

Römermonat/ Jahr 10 8 16 20 21,5

Quelle: Schulze, Reich (wie Anm. 7), 80 und 362; Rauscher, Reichssachen (wie Anm. 110 ), 337.

Das Ergebnis des Friedens war äußerst ambivalent: Zwar hatten sich die christlichen Truppen dem im 16. Jahrhundert strukturell übermächtigen Osmanischen Reich als weitgehend gewachsen er­ wiesen, und auch im diplomatischen Verkehr musste der Sultan den Kaiser erstmals als ebenbürtig anerkennen; eine grundsätzliche Ver­ schiebung der Kräfteverhältnisse war freilich nicht gelungen10. Tat­ sächlich war der Friede von 1606 gegen den Willen Rudolfs II. zu­ stande gekommen11, der sich am folgenden Reichstag von 1608 bemühte, von den Reichsständen weitere und sogar noch umfang­ reichere Finanzmittel oder Truppen zur Fortsetzung des Kriegs

Finanzen des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Das „Blut des Staatskörpers“ (wie Anm. 6), 19–41. Zur Finanzierung des Langen Türkenkriegs siehe auch Niederkorn, Jan Paul: Die europäischen Mächte und der „Lange Türkenkrieg“ Kaiser Rudolfs II. (1593–1606). (Archiv für österreichische Geschichte, 135) Wien 1993, 499. 10 Zu den Verhandlungen und ihren Ergebnissen siehe Neck, Rudolf: Öster­ reichs Türkenpolitik unter Melchior Klesl. Ungedr. Diss. Wien 1948, 38–49. 11 Ebd., 52–59.

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zu erhalten12. Schon Anton Gindely kommentierte diese Pläne des Kaisers, gegen den Rat der Hofkammer den Krieg fortzusetzen, nicht zu Unrecht sehr kritisch: Vergleicht man die angeführten Zahlen [der von den Reichsständen zur Fortsetzung des Kriegs zu fordernden Gelder, P.R.], welche die geringste Summe des Bedarfs repräsentiren, mit dem, was die Reichstage früher geleistet hatten, so ist uns damit jeder weitere Nachweis erspart, daß die Pläne des Kaisers Ausgeburten einer kranken Phantasie waren und daß sein Regiment schon aus finanziellen Gründen einem schnellen Sturze entgegenging13. Tatsächlich war für die konfessionell gespaltenen Stände, die sich auf keinen Reichsabschied einigen konnten, eine Wieder­ aufnahme der Kampfhandlungen kein Thema. Ein beständiger Friede mit den Osmanen war allerdings unter an­ derem wegen unterschiedlicher Fassungen und Interpretationen des Friedens von 1606 noch nicht erreicht worden14. Im Jahr 1611 kam es sogar noch einmal zu einem offenen Krieg in Ungarn, als der Kaiserhof militärisch gegen den Fürsten von Siebenbürgen, Gábor Báthory, der von den Osmanen unterstützt wurde, vorging. Trotz des Misserfolgs dieser Unternehmung trug sich Kaiser Matthias ein Jahr später sogar mit dem Gedanken einer Wiederaufnahme des Türkenkriegs und trat damit de facto in die Fußstapfen seines von ihm bekämpften Bruders und Vorgängers Rudolf II., der völlig ent­ machtet im Januar 1612 verstorben war15. 12

Rauscher, Peter: Nach den Türkenreichstagen: Die Steuerbewilligungen des Heiligen Römischen Reichs im 17. und frühen 18. Jahrhundert. In: Kriegführung und Staatsfinanzen (wie Anm. 9), 433–485, hier 435ff mit weiterer Literatur. Spezifisch zum Reichstag von 1608: Egloffstein, Her­ mann Freiherr von: Der Reichstag zu Regensburg im Jahre 1608. Ein Bei­ trag zur Vorgeschichte des Dreißigjährigen Krieges. München 1886; Stieve, Felix (Bearb.): Vom Reichstag 1608 bis zur Gründung der Liga. (Briefe und Acten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges in den Zeiten des vor­ waltenden Einflusses der Wittelsbacher, 6) München 1895; Gindely, An­ ton: Rudolf II. und seine Zeit 1600–1612. Bd. 1. 2. Aufl. Prag 1863, 149– 163. 13 Ebd., 95. 14 Neck, Türkenpolitik (wie Anm. 10), 65–69; Neck, Rudolf: Andrea Negro­ ni (Ein Beitrag zur Geschichte der österreichisch-türkischen Beziehungen nach dem Frieden von Zsitvatorok). In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 3 (1950) (Leo Santifaller-Festschrift), 166–195, hier 170–174; Zachar (wie Anm. 3), 243. 15 Neck, Türkenpolitik (wie Anm. 10), 71–80.

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2. Das schwierige Erbe Rudolfs II. und der Regierungsantritt von Matthias Das in der Geschichtswissenschaft eindeutig dominierende Thema zur Regierungszeit Kaiser Matthias’ sind die Zunahme konfessio­ neller Konflikte im Reich, die bereits 1608/1609 zur Bildung kon­ fessioneller Bündnisse – der Union und der Liga – geführt hatten und die daraus resultierende „Lahmlegung“ der Reichsverfassung. Bekanntermaßen verschärften seit den 1580er Jahren diametral un­ terschiedliche Interpretationen wichtiger Verfassungsfragen wie des Reformationsrechts der Reichsstädte, des Sitz- und Stimmrechts protestantischer Bistumsadministratoren am Reichstag, des Geist­ lichen Vorbehalts, der Legalität der Einziehung von landsässigem Kirchengut nach 1552 und der „Declaratio Ferdinandea“ die kon­ fessionellen Fronten. Der niederländische Aufstand und die franzö­ sischen Religionskriege sowie – mit beiden Konflikten verbundene – dynastische und konfessionelle Ambitionen einzelner Reichsstän­ de wirkten weiter destabilisierend auf das Reichsgefüge16. Gleich­ zeitig hatten regionale Konflikte, allen voran der Jülich-Klevische Erbfolgestreit, Auswirkungen sowohl auf die Ebene des Reichs als auch auf die europäische Bühne, sodass bereits 1610 ein großer Krieg zu befürchten war. In dieser Situation hatte sich Kaiser Rudolf II. als weitgehend hand­ lungsunfähig erwiesen. Er war bereits 1606 von einem habsbur­ gischen Familienrat als Oberhaupt der Dynastie abgesetzt worden. 1608 wurde der Machtkampf mit Erzherzog Matthias, der sich auf Bündnisse mit den Ständen habsburgischer Länder stützte, erst­ mals mit Waffengewalt ausgetragen. Nach dem endgültigen Sturz Rudolfs II. als böhmischer König 1611 und seinem raschen Tod zu Beginn des Folgejahrs trat Matthias, bereits seit 1608 König von Ungarn, auch das Amt des römisch-deutschen Kaisers an. Gestal­ ter der kaiserlichen Politik sollte jedoch nicht Matthias selbst wer­ 16

Vgl. die Zusammenfassungen bei: Lanzinner, Maximilian: Das Konfessio­ nelle Zeitalter 1555–1618. In: Maximilian Lanzinner, Gerhard Schormann: Konfessionelles Zeitalter 1555–1618. Dreißigjähriger Krieg 1618–1648. (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte. Zehnte, völlig neu bearb. Aufl., 10) Stuttgart 2001, 1–203, hier 172–178; Heckel, Martin: Deutsch­ land im konfessionellen Zeitalter. (Deutsche Geschichte, 5) Göttingen 1983, 82–100.

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den, sondern dessen Günstling Melchior Klesl17. Gerade die Person 17

Auch neuere Darstellungen betonen die entscheidende Rolle Klesls: Press, Volker: Matthias 1612–1619. In: Die Kaiser der Neuzeit 1519–1918. Heili­ ges Römisches Reich, Österreich, Deutschland. Hrsg. von Anton Schind­ ling, Walter Ziegler. München 1990, 112–123, hier 116: [D]er schwache Fürst [Matthias, P.R.] hatte einen hervorragenden Mentor, einen glänzenden politischen Taktiker gewonnen, der ihn zugleich beherrschte und seine Politik bestimmte. So sind die entscheidenden Jahre des Erzherzogs, Königs und Kaisers Matthias vor allem die Jahre Melchior Klesls. Bezeich­ nend ist auch, dass in dem Werk von Hantsch, Hugo (Hrsg.): Gestalter der Geschicke Österreichs. (Studien der Wiener Katholischen Akademie, 2) Innsbruck, Wien, München 1962, in dem für den Zeitraum vom 16. bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts vier Kaiser (Maximilian I., Ferdinand I., Ferdinand II., Leopold I.) und drei Feldherren (Montecuccoli, Karl V. von Lothringen und Prinz Eugen von Savoyen) gewürdigt werden, auch Kar­ dinal Melchior Klesl behandelt wird: Krones, Ferdinand: Kardinal Mel­ chior Klesl (*1552, † 1630). In: Hantsch, Gestalter (wie oben), 143–156. Grundlegend für die Erforschung Klesls ist trotz zahlreicher Mängel noch immer das Werk von Hammer-Purgstall, Joseph von: Khlesl’s, des Car­ dinals, Directors des geheimen Cabinettes Kaiser Mathias, Leben. 4 Bde. Wien 1847–1851. Eine ausführlichere Biographie auf Basis gedruckter Quellen stammt von Kerschbaumer, Anton: Kardinal Klesl. Eine Mono­ graphie. 2. Aufl. Wien 1905. Eine Gesamtwürdigung versucht auch Eder, Alois: Kardinal Klesl und sein Werk. Ungedr. Diss. Wien 1951, dort 54–65, kaum brauchbare Bemerkungen zur Reichspolitik Klesls. Weitere biogra­ phische Skizzen liegen vor von: Ritter, Moriz: Art. „Klesl, Melchior“. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 16. Berlin 1882, 167–178, zur kriti­ schen Beurteilung der Ausgleichspolitik im Reich 175; Rainer, Johann: Art. „Klesl, Melchior“. In: Neue Deutsche Biographie. Bd. 12. Berlin 1980, 51f; Rainer, Johann: Melchior Klesl. Bischof, Minister und Kardinal (1552–1630). In: Franz von Assisi und die Armutsbewegungen seiner Zeit und die Auswirkungen von Luthers Thesen bis zum Religionsfrieden und Kardinal Klesl. Symposien der Internationalen Kommission für Verglei­ chende Kirchengeschichte – Subkommission Österreich. Hrsg. von Bruno Primetshofer [u.a]. (Veröffentlichungen des Instituts für Kirchengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät und des Instituts für Kirchen­ geschichte, Christliche Archäologie und Kirchliche Kunst an der Evange­ lisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, in Zusammenarbeit mit der Internationalen Kommission für Vergleichende Kirchengeschichte – Subkommission Österreich, Neue Folge, 1) Wien 1987, 89–96; Rainer, Johann: Kardinal Melchior Khlesl (1552–1630). Vom „Generalreformator“ zum „Ausgleichspolitiker“. In: Römische Quartalschrift für christliche Al­ tertumskunde und Kirchengeschichte 59 (1964), 14–35; Hofmann, Hanns Hubert: Art. „Khlesl, Melchior“. In: Biographisches Wörterbuch zur deut­

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Klesls war bei Zeitgenossen wie auch in der Geschichtsschreibung sehr umstritten18. Als einer der führenden Köpfe der Gegenrefor­ mation in Österreich unter der Enns bemühte er sich ab 1612 um die Verhinderung eines Religionskriegs im Reich und setzte sich für schen Geschichte. Begründet von Hellmuth Rößler, Günther Franz. Bd. 2. 2. Aufl. bearb. von Karl Bosl, Günther Franz, Hanns Hubert Hofmann. München 1974, 1485ff. Äußerst knapp, aber mit Betonung des Zusammen­ hangs von Türkengefahr und Kleslscher Reichspolitik: Art. „Khlesl, Mel­ chior“. In: Deutsche Biographische Enzyklopädie. Bd. 5. 2. Aufl. München 2006, 610. Zur Ausgleichspolitik Klesls siehe auch Lutz, Heinrich: Das Ringen um deutsche Einheit und kirchliche Erneuerung. Von Maximili­ an I. bis zum Westfälischen Frieden 1490 bis 1648. (Propyläen Geschichte Deutschlands, 4) Berlin 1983, 400–403; Press, Volker: Kriege und Krisen. Deutschland 1600–1715. (Neue Deutsche Geschichte, 5) München 1991, 186–193. Ganz auf den Konfessionskonflikt konzentriert, ohne die Kom­ positionspolitik und die Rolle Klesls zu erwähnen: Schilling, Heinz: Aufbruch und Krise. Deutschland 1517–1648. (Das Reich und die Deut­ schen) Berlin 1988, 401–405. Zum generellen Phänomen des „Favoriten“/ „Günstlings“/„valido“ etc., vor allem zu Beginn des 17. Jahrhunderts, siehe Thompson, I. A. A.: The Institutional Background of the Rise of the Mi­ nister–Favourite. In: The World of the Favourite. Hrsg. von J. H. Elliott, L. W. B. Brockliss. New Haven, London 1999, 13–25; Reinhard, Wolfgang: Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Eu­ ropas von den Anfängen bis zur Gegenwart. 3. Aufl. München 2002, 166– 171, zu Klesl 168; Kaiser, Michael, Pečar, Andreas: Reichsfürsten und ihre Favoriten. Die Ausprägung eines europäischen Strukturphänomens unter den politischen Bedingungen des Alten Reiches. In: Der zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Michael Kaiser und Andreas Pečar. (Zeit­ schrift für Historische Forschung, Beiheft 32) Berlin 2003, 9–19; Hirsch­ biegel, Jan: Zur theoretischen Konstruktion der Figur des Günstlings. In: Der Fall des Günstlings. Hofparteien in Europa vom 13. bis zum 17. Jahr­ hundert. 8. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen veranstaltet in Zusammenarbeit mit der Stadt Neuburg an der Donau, der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und dem Deutschen Historischen Institut Paris, Neuburg an der Donau, 21. bis 24. September 2002. Hrsg. von Jan Hirschbiegel, Werner Paravicini. (Residenzenforschung, 17) Ostfildern 2004, 23–39. 18 Zu den Spottschriften gegen Klesl nach dessen Sturz siehe Berthold, Mo­ nika: Kardinal Khlesl als Publizist und in der Publizistik seiner Zeit. Un­ gedr. Diss. Wien 1966, 91–121. Zu Witzen von protestantischer Seite über Klesl siehe Schmidt, Leopold: Melchior Khlesl in der zeitgenössischen Schwank-Anekdote. In: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich, Neue Folge 30 (1949–1952: Gedächtnisschrift Max Vancsa, 2), 170–176.

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eine19, auch vom ehemaligen Reichspfennigmeister Zacharias Geiz­ kofler forcierte, Ausgleichspolitik („Komposition“) zwischen den Konfessionsparteien ein20. Inwieweit es sich hier um ernsthafte An­ strengungen handelte, wurde unterschiedlich beurteilt21. Während Moriz Ritter diese Frage zumindest offen lassen wollte22, war sich 19

Bibl, Victor: Klesl’s Briefe an K. Rudolfs II. Obersthofmeister Adam Frei­ herrn von Dietrichstein (1583–1589). Ein Beitrag zur Geschichte Klesl’s und der Gegenreformation in Niederösterreich. In: Archiv für österreichi­ sche Geschichte 88 (1900), 473–580; Bibl, Victor: Briefe Melchior Klesls an Herzog Wilhelm V. von Bayern. Ein Beitrag zur Geschichte der Gegen­ reformation in Oesterreich u. d. Enns. In: Mittheilungen des Instituts für Oesterreichische Geschichtsforschung 21 (1900), 640–673; Lohn, Magdale­ na: Melchior Khlesl und die Gegenreformation in Niederösterreich. Unge­ dr. Diss. Wien 1949; Tomek, Ernst: Kirchengeschichte Österreichs. 2. Teil: Humanismus, Reformation und Gegenreformation. Innsbruck, Wien 1949, 483–504; Mecenseffy, Grete: Geschichte des Protestantismus in Öster­ reich. Graz, Köln 1956, 85–89; Winkelbauer, Ständefreiheit (wie Anm. 4), Teil 2, 58f und 114f. 20 Zu Geizkofler siehe jüngst: Sigelen, Alexander: Dem ganzen Geschlecht nützlich und rühmlich. Reichspfennigmeister Zacharias Geizkofler zwi­ schen Fürstendienst und Familienpolitik. (Veröffentlichungen der Kom­ mission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, B 171) Stuttgart 2009, zum politischen Denken Geizkoflers 271–288. Auf die „Kompositionspolitik“ im Reich wird hier allerdings nur am Rande einge­ gangen. Vgl. auch Luttenberger, Albrecht P.: Kaisertum und Ständetum im politischen Denken des Reichspfennigmeisters Zacharis Geizkofler. In: Reichsständische Libertät und habsburgisches Kaisertum. Hrsg. von Heinz Duchhardt, Matthias Schnettger. (Veröffentlichungen des Instituts für Eu­ ropäische Geschichte Mainz, Abteilung für Universalgeschichte, Beiheft 48) Mainz 1999, 81–105; Schulze, Winfried: Concordia, Discordia, Tole­ rantia. Deutsche Politik im konfessionellen Zeitalter. In: Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte. Hrsg. von Johannes Kunisch. (Zeit­ schrift für Historische Forschung, Beiheft 3) Berlin 1987, 43–79, hier 72ff. 21 Lanzinner, Das konfessionelle Zeitalter (wie Anm. 16), 195f. 22 Ritter, Moriz: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges (1555–1648). Bd. 2: (1586–1618). (Biblio­ thek Deutscher Geschichte) Stuttgart 1895, 437: „Ob die Vorwürfe [Klesl verrate die Sache des Hauses Österreich, P.R.] Maximilians [Erzherzog Ma­ ximilians III., P.R.] begründet waren, oder ob Klesl der wirklichen Ueber­ zeugung folgte, daß zur Rettung des Reiches der Parteienausgleich allem andern vorgesetzt werden müsse, ob er also nur den einen Fehler beging, den Ausgleich nicht thatkräftiger zu verfolgen, wird sich schwer feststellen lassen. Zu diesem Konflikt sehr knapp: Noflatscher, Heinz: Glaube,

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Johannes Müller zu Beginn des 20. Jahrhunderts sicher, sie beja­ hen zu können23. Da die Debatte um die Schuld am Dreißigjährigen Krieg und der Berechtigung der katholischen beziehungsweise pro­ testantischen Rechtsstandpunkte auch die weiteren Urteile über Klesl zumindest grundierten, konnte keine einheitliche Meinung zu seiner Person gefunden werden. So hielt es Ferdinand Krones für einen Fehler, dass Klesl glaubte, die Macht des Hauses Österreich im Reiche durch eine etwas schwächliche Vermittlungspolitik zu retten, während Heinz Angermeier in der Friedenspolitik Klesls eine historische Alternative sah, die dieser Mann gesucht hat, um einen Ausweg aus der heillosen Situation von 1608 zu finden. Sie sei die einzige Möglichkeit gewesen, um den kommenden Dreißigjährigen Krieg zu vermeiden. Anders als manche Reichsstände, habe Klesl nicht die Religion für politische Zwecke benützen wollen, sondern er wollte eine durch die Religion bestimmte, auch verantwortete Politik, d. h. eine Politik auf der Basis religiöser Gesinnung, aber zweifellos eben auch Politik nur gemäß den politischen Bedingungen und Möglichkeiten24. Ganz anders das Urteil Axel Gotthards, der nicht Reich und Dynastie. Maximilian der Deutschmeister (1558–1618). (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, 11) Marburg 1987, 295. 23 Durch den im Nachfolgenden wenigstens in seinen wichtigsten Stücken veröffentlichten Briefwechsel Klesls mit Zach. Geizkofler dürften die oben ausgesprochenen Zweifel M. Ritters wohl gehoben sein und vor allem der Patriotismus, weniger allerdings die politische Einsicht des deutsch-österreichischen Staatsmannes [Klesl, P.R.] eine glänzende Rechtfertigung finden. Müller, Johannes: Die Vermittlungspolitik Klesls von 1613 bis 1616 im Lichte des gleichzeitig zwischen Klesl und Zacharias Geizkofler geführ­ ten Briefwechsels. In: Mittheilungen des Instituts für Oesterreichische Ge­ schichtsforschung, Erg.-Bd. 5 (Innsbruck 1896–1903), 604–690, Zitat 604f. Vgl auch sehr knapp: Kohler, Alfred: Krieg in Sicht? Zur Konfliktbe­ wältigung im letzten Jahrzehnt vor dem Dreißigjährigen Krieg. In: Bericht über den achtzehnten österreichischen Historikertag in Linz veranstaltet vom Verband Österreichischer Geschichtsvereine in der Zeit vom 24. bis 29. September 1990. (Veröffentlichungen des Verbandes Österreichischer Geschichtsvereine, 27) Wien, Linz 1991, 75–79. 24 Angermeier, Heinz: Politik, Religion und Reich bei Kardinal Melchior Khlesl. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germa­ nistische Abteilung 110 (1993), 249–330, Zitate 254 und 286: Es gab für die Erhaltung des Reiches in den zuletzt 1555 festgelegten Formen und Bedingungen zu der von Khlesl unablässig verfolgten Friedenspolitik keine Alternative [...] und der Dreißigjährige Krieg [wäre] nur so zu vermeiden ge-

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nur die Ernsthaftigkeit der Ziele Klesls in Frage stellte, sondern ihm auch eigene Ideen zur Eindämmung der konfessionellen Konflikte im Reich überhaupt absprach. Der tatsächliche geistige Vater ei­ ner Ausgleichspolitik sei allein Zacharias Geizkofler gewesen, Klesl nichts anderes als ein störrischer, begrenzt lernfähiger Schüler, der am Ende wohl auch nicht wirklich überzeugt war25. Überhaupt sei Klesl von der Geschichtswissenschaft völlig falsch beurteilt: Klesls kümmerlichste Spuren von Kompromißbereitschaft seien durch keinerlei ehrliche Überzeugung geadelte Taktik gewesen – die verlogene Kompositionsattitüde Khlesls machte diesen ja beim Gros der Protestanten zur meistgehaßten Figur im kaiserlichen Umfeld, völlig ungeeignet, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Konfessionen zu initiieren; daß die Forschung den Namen gerade dieses Mannes immer wieder in Verbindung mit dem vernachlässig­ ten Kompositionsthema nennt, findet in den protestantischen Akten [sic] der Zeit keine Rechtfertigung26. Tatsächlich erstaunlich ist, dass all dieser Urteile nachgeborener Historiker zum Trotz zur Politik Klesls und der relativ kurzen Regierungszeit König/Kaiser Matthi­ as’ (1608/1612–1619) bis heute keine Gesamtanalyse vorliegt27.

wesen. Ebd., 286. Vgl. auch Lanzinner, Das konfessionelles Zeitalter (wie Anm. 16), 196. 25 Gotthard, Axel: Konfession und Staatsräson. Die Außenpolitik Würt­ tembergs unter Herzog Johann Friedrich (1608–1628). (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, B 126) Stuttgart 1992, 175. 26 Ebd., 174f. 27 Stark ereignisgeschichtlich: Rill, Bernd: Kaiser Matthias. Bruderzwist und Glaubenskampf. Graz, Wien, Köln 1999.

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3. Die kaiserlichen Finanzen unter Matthias – ein Forschungsdesiderat Während der sieben Jahre, in welchen er [Klesl, P.R.] als Ministerpräsident [sic] unter Matthias fast unumschränkt wirkte, beschäftigten ihn zwei kontinuierliche Hauptsorgen. Die erste Sorge war die Herbeischaffung von Geld, da eine beständige Not in den Staatsfinanzen herrschte; die zweite Sorge war das ungeberdige Benehmen der Land- und Reichstage, über welche er nicht selten unzufrieden und mißvergnügt wurde. Kerschbaumer (wie Anm. 17), 171f.

Egal wie die moralischen und politischen Fähigkeiten einzelner Entscheidungsträger am Kaiserhof im zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts eingeschätzt werden mögen, waren die Rahmenbedin­ gungen für eine erfolgreiche Politik mit Sicherheit schwierig: Nicht nur die divergierenden Interessen sowie verfassungsrechtlichen Vorstellungen der Reichsstände und Konfessionsparteien stan­ den einem leichten Ausgleich entgegen28, auch das politische Erbe der Regierungszeit Rudolfs II. war problematisch29; aber auch die Erbmasse selbst: Bereits am 9. Februar 1611 hatte die Hofkammer ein Memorial an Rudolf II. gesandt, in dem sie mangels Einkom­ men und wegen Überschuldung ihre Handlungsunfähigkeit erklär­ te. Die Räte wüssten nicht mehr, wie sie dem Kaiser in Ehren die­ nen sollten und baten, ihr Herr möge über die mügligkeit weitter in sy nit dringen lassen30. Vgl. das nüchterne Urteil von Winfried Schulze: [Die] Begrenzung des politischen Denkens der meisten Reichsstände hinsichtlich der Rolle des Kaisers [gemeint ist, dass auch der größere Teil der protestantischen Reichsstände eine Beschneidung der Prärogativen des Kaisers als kontraproduktiv ansah, P.R.] scheint mir deshalb wichtig zu sein, weil damit letztlich alle Vorschläge zur Beilegung der Krise nach 1608 prinzipiell geschwächt wurden. Dies betrifft auch die Ansätze zu einer Komposition, die damals von Württemberg und Zacharias Geizkofler erwogen wurden und die später auch Melchior Klesl aufgriff. Sie fanden letztlich ihre Grenze an der Weigerung der meisten Stände, sich den Kaiser in Unter- oder auch nur Nebenordnung zu einer paritätisierten Reichsverfassung vorzustellen. Schulze, Winfried: Kaiserliches Amt, Reichsverfassung und protestantische Union. In: Reichs­ ständische Libertät (wie Anm. 20), 195–209, hier 206. 29 Lanzinner, Das konfessionelle Zeitalter (wie Anm. 16), 195. 30 Österreichisches Staatsarchiv [im Folgenden abgekürzt: ÖStA], Fi­ nanz- und Hofkammerarchiv, Hofkammerarchiv [im Folgenden abge­ 28

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Eine Gesamtabrechnung der von Rudolf hinterlassenen Schulden ist zwar nicht bekannt, Melchior Klesl bezifferte sie jedoch – wohl nicht ganz unrealistisch – auf 30 Millionen fl.31. Wie und ob die­ se Hypothek abgetragen wurde, ist ein bis dato ungeklärtes Rätsel der österreichischen Finanzgeschichte. Abgesehen von dem grund­ sätzlichen Interesse nach den materiellen Grundlagen kaiserlicher Herrschaft, könnte eine genauere Kenntnis der Finanzen Kaiser Matthias’ wichtige Hinweise für das Verständnis der Kleslschen

kürzt: HKA], Hoffinanz [im Folgenden abgekürzt: HF], Protokolle 637 R (1611–1612), fol. 21: Memorial an ihre kay. mt. alles die der hoffcamer vast täglich anbevohlne nottigiste unumbgengliche außgaben, dazu sy weeder mittl noch glegenheit waiß, das auch ainem armen stallknecht mit ainem monathsoldtt nit geholffen werden mügen, weil sy sonnst kain geföll oder einkhomben gehabt, allß was ihr von anndern cammern gebüert unnd zue­ gestannden, die behemisch camer auch wieder die instruction gannz abgesonndert unndt befreyet, das dorther kaine hülff zuerlangen, die schlesisch camer also beschuldtt und überwiesen, das sy auff ezliche jahr nit helffen khan, das mißtrauen so groß, das auch auf pfanndt nichts zuerlangen, von reichs und craißhülffen auch nichts übrig, die piergeltter in Behaimb und Schlesien weit hienauß anticipirt, wie man von zweyen jahren hero nur von aufgeborgtten [sic] und entlehneten geltt zöhren müssen, der praesident und hofcamer räth ein annder so hoch in schulden verteufft und hinein gesezt, das sy sich herauß nit zu winden noch also mit ehren zu dienen wisseten, das deswegen ihre mt. über die mügligkeit weitter in sy nit dringen lassen wölle, betreff. 1611 Februar 9. Vgl. auch Hurter (wie Anm. 7), 74. Zur Finanzverwaltung und deren Missständen unter Rudolf II. siehe Loebl, Alfred H.: Beiträge zur Geschichte der kaiserlichen Zentralverwaltung im ausgehenden 16. Jahrhundert. In: Mitteilungen des Instituts für Österrei­ chische Geschichtsforschung 27 (1906), 629–677, hier 648–671. 31 Gutachten Kardinal Khlesls, ob Ir Kaisl. Majestät für sich bei dem Friaul’schen Wesen, auch sonst, wo es die Noth erfordert, mehr thun könnten, als von derselben geschieht; Hammer-Purgstall (wie Anm. 17), Bd. 3: Urkunden-Sammlung (1850), Nr. 800, 646–651, hier 646; Kerschbau­ mer (wie Anm. 17), 172; Rauscher, Zwischen Ständen und Gläubigern (wie Anm. 6), 356 mit Anm. 1, dort weitere Literatur. Auch Seifried Chris­ toph Breuner sprach von 30 Millionen fl.; siehe Mitis, Oskar Freiherr von: Gundacker von Liechtensteins Anteil an der kaiserlichen Zentralverwal­ tung (1606–1654). In: Beiträge zur neueren Geschichte Österreichs 4 (Wien 1908), 35–118, hier 68.

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Reichspolitik geben. Ohne eine solche Analyse gegenwärtig bie­ ten zu können, sollen einige Schlaglichter auf das Thema geworfen werden, an die weitere Forschungen anknüpfen könnten 32 . 3.1 Erste Versuche zur Konsolidierung der Finanzen Auch wenn uns – wie angesprochen – die finanzielle Bilanz der Re­ gierung Rudolfs II. nicht vorliegt, besteht kein Zweifel, dass diese gezogen worden ist. Dies war nicht einfach, war doch ein Gesamt­ budget nicht bekannt. Vielmehr setzten sich die kaiserlichen Fi­ nanzen aus den Einnahmen aus den unterschiedlichen Ämtern der von ihm regierten Königreiche und Länder sowie ständischen Zah­ lungen zusammen. Kredite konnten sowohl von der Hofkammer, einzelnen Länderkammern als auch dem Reichspfennigmeisteramt aufgenommen werden33. Dementsprechend wurde Erzherzog Maxi­ milian III. am 4. August 1612 beauftragt, Extrakte über die an den Ämtern in Ungarn sowie Österreich ob und unter der Enns haf­ tenden Schulden zu überschicken34. Am 17. September 1612 wurde der Hofzahlmeister Joachim Huber angewiesen, zu verfassung aines 32

Die folgenden Ausführungen beruhen auf den Resolutions-Protokollen (Protokolle der ausgehenden Schreiben) der Hofkammer. Zu dieser Quel­ le siehe Rauscher, Peter: Quellen der obersten landesfürstlichen Finanz­ verwaltung in den habsburgischen Ländern (16. Jahrhundert). In: Quellen­ kunde der Habsburgermonarchie (16.–18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch. Hrsg. von Josef Pauser, Martin Scheutz, Thomas Winkelbauer. (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Erg.Bd. 44) Wien, München 2004, 144–152. 33 Zur Struktur der kaiserlichen Finanzverwaltung siehe Fellner Thomas, Kretschmayr Heinrich: Die österreichische Zentralverwaltung. 1. Abtei­ lung. Von Maximilian I. bis zur Vereinigung der Österreichischen mit der Böhmischen Hofkanzlei (1749). Bd. 1: Geschichtliche Übersicht. (Veröf­ fentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs, 5) Wien 1907, 68–82; Rauscher, Zwischen Ständen und Gläubigern (wie Anm. 6), 122–187; Rauscher, Peter: Verwaltungsgeschichte und Finanzgeschichte. Eine Skizze am Beispiel der kaiserlichen Herrschaft (1526–1740). In: Herr­ schaftsverdichtung, Staatsbildung und Bürokratisierung. Verfassungs-, Ver­ waltungs- und Behördengeschichte der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Michael Hochedlinger, Thomas Winkelbauer. (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, 57) Wien, München 2010, 185–211, dort mit der älteren Literatur. 34 HKA, HF, Protokolle 637 R (1611–1612), fol. 221’.

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gründtlichen extracts aller der nechstverstorbenen kay. mt. [kaiser­ lichen Majestät = Rudolf II., P.R.] verlaßnnen schulden, was allen unnd yeden hiesigen hanndlßleutten an dargeliehenem geldtt und hergegebenen wahren ausstenndig und mit derselben unverzügliche abraittung haltten, hiernach die befinndende schulden in dem ihme anbevohlenen extract unnder gebüerlichen rubriggen eintraggen, auch do sich ainiger kauff- oder hanndlßman hierinn saumbig erzeigen würde, er alßdann denn darauß entstehunnden schaden nur ihnen selbst zumessen sollen35. Hierbei ging es in allererster Linie um für die Hofhaltung aufgenommene Kredite in Form von Geld oder Waren, die von Kaufleuten geleistet worden waren. Sie wur­ den offenbar dazu verpflichtet, ihre Forderungen mit dem Hofzahl­ meister abzustimmen; kamen sie dem nicht nach, mussten sie damit rechnen, auf diesen sitzen zu bleiben. Am 7. Oktober erging der Befehl an die Böhmische Kammer, ebenfalls einen specificirten extract über die Einkünfte aus den böhmischen Kammergütern sowie über die darauf haftenden Schulden zu übersenden36. Am 21. No­ vember wies eine kaiserliche Resolution die Kammer an, alles desselbten beschwärtten camerweesens kummerlichen zuestanndes, auch unerträglichen schuldenlasts ablegung, so wol der aigenthumb­ lichen behemischen herrschafften bessern stanndt, verbeßerung der wirtschafften unnd bestenndigen ordnung alles zu mehrerm nuzen zu richten37. Ähnlich wie die Böhmische Kammer war auch das die Reichstür­ kenhilfen verwaltende Reichspfennigmeisteramt an den Grenzen seiner Zahlungsfähigkeit angelangt: Am 13. November 1612 wurde ein Patent veröffentlicht, in dem alle Gläubiger des Reichspfennig­ meisters Stefan Schmidt um Geduld gebeten wurden, biß ihrer kay. mt. durch ergäbige mittl rath finnden, mit der Versicherung, dass die Kredite bedient werden würden38. Dies bedeutete de facto die Erklärung der Zahlungsunfähigkeit des Reichspfennigmeisteramts. Nahezu gleichzeitig wurden die Reichsstände aufgefordert, ihre 35

HKA, HF, Protokolle 637 R (1611–1612), fol. 234. HKA, HF, Protokolle 637 R (1611–1612), fol. 252’. 37 HKA, HF, Protokolle 637 R (1611–1612), fol. 303–303’, Zitat fol. 303. 38 HKA, HF, Protokolle 637 R (1611–1612), fol. 302. Zum Niedergang des oberdeutschen Reichspfennig­meisteramts siehe Rauscher, Nach den Tür­ kenreichstagen (wie Anm. 12), 438–446. Die genauere Erforschung der Per­ son und Tätigkeit Schmidts steht noch aus. 36

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ausstehenden Reichssteuern zu begleichen39. Für bisher ganz offen­ bar auf eigenen Kredit aufgebrachte Darlehen für den Kaiser wur­ de Schmidt am 31. Dezember 1612 eine kaiserliche Assekuration über eine Summe von 600 000 fl., die zu 8 Prozent verzinst werden sollte, ausgestellt und seine Forderungen auf die Restanten aus den Reichs- und Kreishilfen sowie sonstigen kaiserlichen Einnahmen aus dem Heiligen Römischen Reich verwiesen. Weitere 130  000 fl. sollte Schmidt aus den Einkünften des sächsischen Reichspfennig­ meisters Christoph von Loß erhalten40. Abgesehen von den Anstalten, die einzelnen Kassen beziehungs­ weise Länderkammern wieder in Ordnung zu bringen und vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren, wurde auch der Versuch gestartet, eine Gesamtübersicht über die Kosten des fünfzehn­ jährigen Kriegs gegen das Osmanische Reich zu bekommen. Dr. Johann Ulrich Hämmerle, der seinem ehemaligen Förderer Alt­ reichspfennigmeister Zacharias Geizkofler Bereicherung im Amt vorwarf und versuchte, gegen ihn ein Verfahren in Gang zu set­ zen41, erhielt ebenfalls zu Silvester 1612 ein Schreiben von der Hof­ kammer, in dem ihm aufgetragen wurde, das von ihm angefan­ gene Verzeichnis was in dem nach ein annder gewehrten 15 jarigen türggenkrieg vom reich unnd erblannden bewilligtt unnd wieder angewendet, auch sonsten an camer güettern hierzu verbrauchtt unnd alienirt worden, [zu] complieren. Dazu sollte ihm der Zugang zur Hofkammerregistratur und -buchhalterei offen stehen42 . Dies geschah offenbar im Zuge der Vorbereitungen für den kommenden Reichstag, um angesichts der hohen Ausgaben des Kaisers für den letzten Türkenkrieg gute Argumente für die Notwendigkeit neuer Reichstürkenhilfen der Stände zu haben43. 39

HKA, HF, Protokolle 637 R (1611–1612), fol. 305’ (10. November 1612). HKA, HF, Protokolle 637 R (1611–1612), fol. 314–314’. 41 Zu diesem Konflikt siehe Sigelen (wie Anm. 20), 411–433. 42 HKA, HF, Protokolle 637 R (1611–1612), fol. 313’. 43 Am 12. Februar 1613 wurde neben Hämmerle der niederösterreichische Kammerrat und ehemalige Feldkriegszahlmeister in Oberungarn und Hofzahlmeister, Hans Unterholtzer, der wesentlich an der Finanzierung des Langen Türkenkriegs beteiligt gewesen war, beauftragt, die Übersicht über die Ausgaben für den Krieg, die dafür bewilligten Mittel und die auf­ genommenen Kredite zu verfassen, um diese am künftigen Reichstag den Ständen vorlegen zu können; HKA, HF, Protokolle 649 R (1613), fol. 20. Zu Unterholtzer siehe Kenyeres, Kriegsausgaben (wie Anm. 9), 62–69. 40

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3.2 Der Reichstag von 1613 In den ersten Monaten des Jahres 1613 verschärfte sich das Verhält­ nis zum Osmanischen Reich neuerlich. Machtkämpfe in Siebenbür­ gen zwischen dem Fürsten Gábor Báthory und einer Opposition unter Gábor Bethlen, die Rückhalt bei den Türken suchten, lie­ ßen einen neuerlichen Krieg möglich erscheinen44. In dieser Situati­ on sollte der erste, am 29. Dezember 1612 ausgeschriebene Reichs­ tag Kaiser Matthias’ stattfinden45. Die finanziell missliche Lage des Reichsoberhaupts zeigte sich bereits in seinem Vorfeld: Allein für die Anreise des Kaisers fehlten die notwendigen Mittel, sodass fie­ berhaft nach Kreditgebern gesucht wurde46. 44

Zum Reichstag von 1613: Senkenberg, Renatus Karl Freiherr von: Versuch einer Geschichte des Teutschen Reichs im siebzehnten Jahrhundert. Bd. 2: 1609–1614. (D. Franz Dominicus Häberlins Neuere Teutsche ReichsGeschichte bis auf unsere Zeiten, 23) Halle 1792, 552–648; Chroust, An­ ton (Bearb.): Der Reichstag von 1613. (Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges in den Zeiten des vorwaltenden Einflusses der Wittelsbacher, 11) München 1909, zur Türkengefahr: Nr. 43, 165ff: Balta­ sar de Zuñiga an König Philipp III., 1613 März 6, dort mit der älteren Li­ teratur; Haas, Adam: Der Reichstag von 1613. Diss. Würzburg 1929, zur Türkengefahr 21f; Ritter, Deutsche Geschichte (wie Anm. 22), 377–387; Neck, Türkenpolitik (wie Anm. 10), 81–94; Huber, Alfons: Geschichte Österreichs. Von 1609 bis 1648. Bd. 5. Gotha 1896, 60–78. 45 Reichstagsausschreiben in: ÖStA, Haus-, Hof- und Staatsarchiv [im Fol­ genden abgekürzt: HHStA], Reichshofkanzlei [im Folgenden abgekürzt: RK], Reichstagsakten [im Folgenden abgekürzt: RTA], Karton [im Fol­ genden abgekürzt: Kart.] 85. Die Druckorte sind angeführt bei Chroust, Anton (Bearb.): Der Ausgang der Regierung Rudolfs II. und die Anfänge Kaisers Matthias. (Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges in den Zeiten des vorwaltenden Einflusses der Wittelsbacher, 10) München 1906, Nr. 327, 827. 46 Vgl. Hofkammer an Reichspfennigmeister Stefan Schmidt, 1613 Januar 26; HKA, HF, Protokolle 649 R (1613), fol. 8. Vgl. auch das Memorial der Hofkammer vom 28. Januar 1613, in dem die Aufnahme von Krediten bei geistlichen Reichsfürsten, unter anderen bei dem Bischof von Würzburg und dem Erzbischof von Salzburg vorgeschlagen wurde; ebd., fol. 9. In diesem Buch finden sich weitere Informationen zum kaiserlichen Geldbe­ dürfnis für den Reichstag. Vgl. auch Zacharias Geizkofler an den Kaiser, Haunsheim 1613 Januar 16/26; HHStA, RK, RTA, Kart. 86, 26/1, fol. 49– 50’ bzgl. der Kreditaufnahme bei wohlhabenden Personen im Reich. Ferner Haas (wie Anm. 44), 22.

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Zu den von den Reichsständen zu fordernden Türkenhilfen gab der kaiserliche Hofkriegsrat in seinem Gutachten zur Reichstagspropo­ sition folgende Einschätzung ab: Die Kosten für die – personell un­ terbesetzten – Grenzfestungen betrügen 1,5 Millionen fl. jährlich, die aus den Einnahmen der Kammergüter und der Bewilligungen der habsburgischen Königreiche und Länder nicht aufgebracht wer­ den könnten. Vorgeschlagen wurde, von den Reichsständen für die Dauer des Friedens jährlich 25 Römermonate zu fordern sowie zu­ sätzlich sechs Römermonate für einen Zeitraum von drei Jahren zur Tilgung der Kriegsschulden, zum Bau einer Festung gegen das im Jahr 1600 an die Osmanen verlorene Kanischa (Kanizsa) und zur Befestigung von Wien47. Das Gutachten der Hofkammer war we­ sentlich ausführlicher: Auf Basis älterer Übersichten über die Kos­ ten der Grenzverteidigung und der Kalkulation, die 1607 im Vor­ feld des Reichstags von 1608 angestellt worden war48, wurden die jährlichen Gesamtkosten für die Grenze auf über 2,6 Millionen fl. beziffert. Unter Abzug der Kontributionen der Länder der böh­ mischen Krone sowie Österreichs unter und ob der Enns in Höhe von 536 500 fl. – dies entsprach einer Steuerlast von 63 2/5 Römer­ monaten – blieben den übrigen neun Reichskreisen (ohne dem ös­ terreichischen Kreis) rund 2,1 Millionen fl. oder 38 2/5 Römermo­ nate und damit eine deutlich geringere Steuerlast pro Reichsstand als den habsburgischen Ländern49. Um weitere Argumente für 47

Gutachten des Hofkriegsrates zur Proposition für den Reichstag, Wien 1612 Dezember 22; Chroust, Reichstag (wie Anm. 44), Nr. 321, 803–808, hier 805f. 48 Gutachten der Hofkammer für den Geheimen Rat über den nächsten Reichstag, Prag 1607 Oktober 8; HHStA, RK, RTA, Kart. 83a, Nr. 23, fol. 129–176’; Stieve (wie Anm. 12), Nr. 1, 111–119; Gindely, Rudolf II. (wie Anm. 12), 93ff. Vgl. Rauscher, Nach den Türkenreichstagen (wie Anm. 12), 433, Anm. 1. 49 Hofkammergutachten an den Kaiser über den bevorstehenden Reichstag von 1613, Wien 1613 Februar 9 (zweifache Ausführung); HHStA, RK, RTA, Kart. 86, Stück 9/2, fol. 23–36’; Chroust, Reichstag (wie Anm. 44), Nr. 23, 69–73; Rauscher, Peter: Reiche Fürsten – armer Kaiser? Die fi­ nanziellen Grundlagen der Politik Habsburgs, Bayerns und Sachsens im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges. In: Plus ultra. Die Welt der Neuzeit. Festschrift für Alfred Kohler zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Friedrich Edelmayer, Martina Fuchs, Georg Heilingsetzer, Peter Rauscher. Münster 2008, 233–258, hier 254 (in Anm. 97 fälschlich datiert auf 1612 Oktober 22).

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möglichst hohe Bewilligungen der Reichsstände zu sammeln, wur­ de Erzherzog Ferdinand von Innerösterreich um einen Bericht über den Zustand der von seinen Ländern aus verwalteten beiden süd­ lichen Grenzabschnitte gebeten50. Der Hofkriegsrat, der im März 1613 mit einem Feldzug der Osmanen rechnete51, wurde beauftragt, in den alten Akten Gründe für Hilfen des Reichs für den Festungs­ bau („Reichsbauhilfen“) zu finden52. In einem Vortrag vom 4. März 1613 versuchte Klesl, Kaiser Matthias von der Dringlichkeit der Fi­ nanzfrage zu überzeugen: Ich schreye immerzue Camer, Camer, Camer, sonnst sein wier, so wahr Gott ist, ruiniert. Eur Mt. lassen alle sachen ligen in Gottes Namen, Und wartten diser allain ab, Tag und Nacht. Ier und Ierer Gmahel Personnen, Hofstatt, Alle Räth, Reichstag, Ier Autoritet unnd Credit ligt an disem termino. Geschiecht es nicht, so werden wier auf einmal entblösst vor der ganzen Welt53. In der Proposition des Reichstags wurden schließlich Türkenhil­ fen in Höhe von 30 Römermonaten pro Jahr gefordert54. Die Ver­ handlungen nahmen allerdings nicht den gewünschten Verlauf. Die Schwierigkeiten schilderte Klesl dem Hofkriegsrats­ präsidenten Hans von Mollard in groben Zügen: [D]aß aber ist gewiß, daß wir 50 51 52

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Kaiser Matthias an Erzherzog Ferdinand, Wien 1613 Februar 20; HHStA, RK, RTA, Kart. 86, fol. 64. Gutachten des Hofkriegsrats an den Kaiser, 1613 März 15; HHStA, RK, RTA, Kart. 86, fol. 57–63’, 68’, zum Reich fol. 60–60’. Gutachten des Hofkriegsrats an den Kaiser, 1613 Februar 28; HHStA, RK, RTA, Kart. 86, fol. 71–74’. Der Hofkriegsrat verwies in diesem Zusammen­ hang auf die Vorbildhaftigkeit der Proposition des Speyrer Reichstages von 1570. Proposition des Kaisers für den Reichstag (verlesen am 13. Septem­ ber 1570): Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556– 1662. Der Reichstag zu Speyer 1570. Bearb. von Maximilian Lanzinner. 1. Teilbd.: Protokolle. Göttingen 1988, Nr. 1, 161–174, hier 166–169. Auch Zacharias Geizkofler wurde vom Kaiser um ein Gutachten zum Reichs­ tag gebeten, Haunsheim 1612 Oktober 15/25, referiert von: Senkenberg (wie Anm. 44), 555–564, zu den Türkenhilfen 560f, dort auch Angabe des Drucks; HHStA, RK, RTA, Kart. 85, fol. 194–214’. Melchior Klesl an Kaiser Matthias, 1613 März 3; Hammer-Purgstall, Urkunden-Sammlung (wie Anm. 31), Nr. 392, 53f, Zitat 53. In die Zeichen­ setzung wurde von mir zum besseren Verständnis leicht eingegriffen, die übrige Orthographie folgt der Edition Hammers. Rauscher, Reiche Fürsten (wie Anm. 49), 255f, dort mit weiterer Litera­ tur; Senkenberg (wie Anm. 44), 571.

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alhie im Reich kheinen haller [Heller, P.R.] geföll haben, Sondern nur verzöhren. Von deß Türggenns gefahr will niemands glauben. Die Catholischen wöllen Ir Ligam consequiren, die andern Ier Vnion, Beede aber khein gelt außgeben in Unsere Notturfften. Landt und Leüth müessen wir Unß bei diser blindheit verwegen, dann auß nichts, wirdet nichts. Thuen die Khönigreich unnd Länder nicht ein ubriges, is es Verlohren, und khinnen wir schier kheinen Curir mehr abferttigen55. Und zwei Wochen später: Das Gelt is alhie mit der Zeit verzehret, Bishero alles in grössere confusion khommen, Luterische und Catholische verbittert und müeth worden. Menigelich trachtet darvon und reisset auß, khein Nothülff is verwilligt, Einer disem, der ander dem andern theil suspect56. Angesichts des dro­ henden Feldzugs der Osmanen wurde am 30. September den Stän­ den eine Nebenproposition zur Türkenhilfe übergeben, in der um eine Geldhilfe in Höhe von 40 Römermonaten, fällig zu Nativita­ tis 1613 und St. Johannis Baptistae 1614, sowie – sollten die Feind­ seligkeiten andauern – um weitere 40 Römermonate gebeten wur­ de57. Von dieser Summe sollten auch die seit dem letzten Reichstag in Abschlag auf zukünftige Reichshilfen geleisteten Steuervorschüs­ se nicht abgezogen werden. Doch auch in den nächsten Tagen be­ stand die Gefahr, dass sich der Reichstag ohne Abschied auflö­ sen könnte: Ich sähe wol, der Herr waiß Umb Unseren ellendten Reichstag Layder wenig, daß sich derselbe mehr Zerstosset, alß prorogiret, Und is finäl Zu einem so grossen Werkh vill zu wenig, Aber besser Wenig alß gar nichts58. Schließlich kam am 18. Okto­ ber doch die Erfolgsmeldung: Den Reichstag betreffend habe Ich all mein Vernunfft und forza auf die Lezte gespart, und neben andern Ier Mt. Räthen denen Ichs alles Zueschreibe, das meine gethan, Auch Gott Lob ein stattliches erhalten. Mit ehren den Abschied gemacht, der solle Morgen publicieret werden. Das also der Reichs55

Melchior Klesl an Hans von Mollard, Regensburg 1613 September 20; Hammer-Purgstall, Urkunden-Sammlung (wie Anm. 31), Nr. 403, 69f, Zitat 69. 56 Melchior Klesl an Hans von Mollard, Regensburg 1613 September 27; ebd., Nr. 404, 70. 57 Khevenhiller, Franz Christoph: Annales Ferdinandei [...]. 8. Teil. Wien 1644, 38f; Senkenberg (wie Anm. 44), 601–613, 624f; Haas (wie Anm. 44), 71–81. 58 Melchior Klesl an Hans von Mollard, Regensburg 1613 Oktober 4; Ham­ mer-Purgstall, Urkunden-Sammlung (wie Anm. 31), Nr. 405, 71.

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tag nicht zerstoßen, die Verwilligung geschehen, Unnd doch entgegen wier nichts obligirt worden59. Gemessen an der von den Ständen ursprünglich geforderten Summe, dem tatsächlich vorhandenen dringenden Finanzbedarf des Kaisers und der Tatsache, dass man im Vorfeld bereits hohe Kredite auf künftige Reichssteuern aufge­ nommen hatte, waren die letztlich bewilligten 30 Römermonate für einen Zeitraum von zwei Jahren ein Fiasko, zumal die „korres­ pondierenden“ protestantischen Stände jede Zahlung ablehnten60. Tatsächlich wollte Reichspfennigmeister Schmidt offenbar aus sei­ nem Amt, das zu diesem Zeitpunkt mit mehr als 4,1 Millionen fl. verschuldet war61, entlassen werden, und auch die Hofkammer be­ fürchtete ihren Ruin62. Die Chancen, nennenswerte finanzielle Un­ terstützung aus dem Reich zu erhalten, waren ganz offensichtlich verschwindend gering. Melchior Klesl erklärte im Februar 1614 ge­ genüber dem Hofkriegsratspräsidenten bezüglich der auf 50 000 fl. pro Römermonat bezifferten Reichshilfen: Dann vom Reiche Halte Ich nichts, Legt nun die 50 m. fl. an, wie Ier wöllet, sonst ist nichts63. 59 60

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Melchior Klesl an Hans von Mollard, Regensburg 1613 Oktober 18; ebd., Nr. 407, 72f, Zitat 73. Abschied des Reichstags vom 22. Oktober 1613; Neue und vollständi­ gere Sammlung der Reichs-Abschiede, welche von den Zeiten Kayser Conrads des II. bis jetzo, auf den Teutschen Reichs-Tägen abgefasset wor­ den [...]. Ersch. bei Ernst August Koch. 4 Teile. Frankfurt am Main 1747 [ND Osnabrück 1967], hier Teil 3, 521–533, zu den Reichshilfen 523f; Sen­ kenberg (wie Anm. 44), 624. Zu den Verhandlungen Haas (wie Anm. 44), 64–73, zur Bewilligung ebd., 77f. Siehe auch Ritter, Deutsche Geschichte (wie Anm. 22), 386f; Rauscher, Reiche Fürsten (wie Anm. 49), 255f, dort mit weiterer Literatur. Mitis (wie Anm. 31), 59. Memorial der Hofkammer, 1614 Februar 8; HKA, HF, Protokolle 657 R (1614), fol. 41. Melchior Klesl an Hans von Mollard, Budweis 1614 Februar 24; HammerPurgstall, Urkunden-Sammlung (wie Anm. 31), Nr. 420, 91f, Zitat 91. Vgl. auch Melchior Klesl an Hans von Mollard, Linz 1614 Mai 10; ebd., Nr. 424, 97f, zu außerordentlichen Hilfen des Schwäbischen und Fränkischen Reichskreises sowie einiger Reichsgrafen und zu den Reichshilfen von 1613: Sonnsten hat der Schwabisch Craiß 25 m., Fränkhisch 30 m., Etliche Graven 6 m. fl. bewilliget [...]. Die Reichshülffen, so nicht erlegt werden, tragen ein Monat 50 fl. m. [richtig: 50 m. fl.; P.R.], die werden täglich auf Pulver, Rüsstung und dergleichen Verwisen (Zitate 97f). Huber: Geschichte Österreichs, Bd. 5 (wie Anm. 44), 69.

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3.3 Der Generallandtag von 1614 Ein Reichstag, der mehrmals anvisiert und schließlich im Septem­ ber 1615 auf unbestimmte Zeit verschoben wurde64, sollte wäh­ rend der folgenden Jahrzehnte bis 1640 nicht mehr zustande kom­ men. Es war eine andere Ständeversammlung, die 1614 angesichts der Spannungen mit Siebenbürgen und dem Osmanischen Reich in Linz zusammentrat und von Anton Gindely als [d]er erste österreichische Reichstag bezeichnet wurde65. Gemeinsame Versamm­ lungen von Ständevertretern unterschiedlicher habsburgischer Län­ der waren nichts grundsätzlich Neues: Schon im späten Mittelalter hatte es gemeinsame Tagungen unterschiedlicher Länder in Form von „Ausschuss(land)tagen“ beziehungsweise „Generallandta­ gen“ gegeben66. Im frühen 16. Jahrhundert wurden beispielsweise auf den Ausschusslandtagen der österreichischen Länder von Inns­ bruck und Bruck an der Mur 1518/1519 beziehungsweise Augsburg 64

Wahl, Adalbert: Compositions- und Successions-Verhandlungen unter Kaiser Matthias während der Jahre 1613–1615. Diss. Bonn 1895, 18f. 65 Gindely, Anton: Der erste österreichische Reichstag zu Linz im Jahre 1614. In: Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der kai­ serlichen Akademie der Wissenschaften 41 (1862), 230–254; Gindely, An­ ton: Geschichte des Böhmischen Aufstandes von 1618. (Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, 1) Prag 1869, 100; Kerschbaumer (wie Anm. 17), 147. Von Loserth wird die Bezeichnung der Linzer Versammlung als „ös­ terreichischer Reichstag“ zurecht zurückgewiesen: Loserth, Johann: In­ nerösterreich und die militärischen Maßnahmen gegen die Türken im 16. Jahrhundert. Studien zur Geschichte der Landesdefension und der Reichs­ hilfe. (Forschungen zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Stei­ ermark, 11/1) Graz 1934, 174f, zu Linz: 174–177; Neck, Türkenpolitik (wie Anm. 10), 101, Anm. 2. 66 Vgl. den Überblick von Biedermann, H. J.: Die österreichischen LänderKongresse. Aus dem Nachlasse des Verewigten. Hrsg. von Sigmund Adler. In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 17 (1986), 264–292; Bidermann, Hermann Ignaz: Geschichte der österrei­ chischen Gesammt-Staats-Idee 1526–1804. 1. Abteilung: 1526–1705. Inns­ bruck 1867, 7–11, 25; Putschögl, Gerhard: Die Ausschußtage der öster­ reichischen Länder. Zur Erinnerung an den Linzer Generalkonvent vor 350 Jahren (Juli/August 1614). In: Österreich in Geschichte und Literatur 8 (1964), 431–437 (Überblick auf Basis der Literatur, zu Linz knapp 435f); Burkert, Günther R.: Die österreichischen Ausschußlandtage. Eine Form der Konfliktlösung. In: Bericht (wie Anm. 23), 184–189 (zu Linz 1614 nur die teilnehmenden Stände erwähnt, 186).

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1525/1526 wichtige Entscheidungen zu Landesdefension, Finanz­ wesen und Verwaltung getroffen. 1541/1542 trafen sich die böh­ mischen und österreichischen Länder in Prag, um ebenfalls Finanz­ fragen, vor allem die Aufteilung der Kosten für den Türkenkrieg, zu klären67. Der Linzer Generallandtag war also kein völliges No­ vum, zumal die Stände der österreichischen und böhmischen Län­ der durch den Abschluss von Konföderationen ohnehin näher an­ einander gerückt waren68. Auch die Tatsache, dass Reichstags- und Landtagsverhandlungen in einem engen Zusammenhang standen, war nicht neu, sondern bildete de facto die Grundkonstante in der politischen Kommunikation zwischen den Habsburgern und den Vertretern der unterschiedlichen Ständegemeinden69. Ähnlich wie der Reichstag von 1613 bot aber auch der Generallandtag von 1614 kein Forum, um die bestehenden konfessionellen und politischen Konflikte innerhalb der Stände sowie zwischen ihnen und dem ge­ meinsamen Monarchen zu entschärfen, sodass auch diese Instituti­ on keine Zukunft hatte und erst – und dann letztmalig – 1655 wie­ der einberufen werden sollte70. Die Lage vor dem Linzer Tag gestaltete sich für den Kaiser als schwierig. In Ungarn hatte sich die Lage weiter verschärft, nach­ dem Gábor Báthory, der mit dem Kaiser ein Geheimabkommen ge­ gen den Sultan geschlossen hatte, am 27. Oktober 1613 ermordet worden war. Wenige Tage vorher war bereits Gábor Bethlen zum Fürs­ten von Siebenbürgen gewählt worden und hatte sich dem Sul­ tan unterworfen71. Da der Reichstag keine entscheidenden Hilfszu­ 67

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Bidermann, Länder-Kongresse (wie Anm. 66), 270–287; Mensi, Franz Freiherr von: Geschichte der direkten Steuern in Steiermark bis zum Re­ gierungsantritt Maria Theresias. Bd. 1. (Forschungen zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Steiermark, 7) Graz, Wien 1910, 68–133; Lo­ serth, Johann, Mensi, Franz Freiherr von: Die Prager Ländertagung von 1541/42. Verfassungs- und finanzgeschichtliche Studien zur österreichi­ schen Gesamtstaatsidee. In: Archiv für Österreichische Geschichte 103 (1913), 435–546; Winkelbauer, Ständefreiheit (wie Anm. 4), Teil 1, 495ff. Vgl. die Zusammenfassung ebd., 57–60, 88–92. Rauscher, Zwischen Ständen und Gläubigern (wie Anm. 6), 13–17. Sturmberger, Hans: Dualistischer Ständestaat und werdender Absolutis­ mus. In: Hans Sturmberger: Land ob der Enns und Österreich. Aufsätze und Vorträge. (Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs, Erg.Bd. 3) Linz 1979, 246–272, hier 257f. Neck, Negroni (wie Anm. 14), 184.

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sagen gebracht hatte und auch Hilfsgesuche bei Papst Paul V. und König Philipp III. von Spanien nicht die gewünschten Erfolge zei­ tigten, wandte sich der Kaiser an die habsburgischen Länder. Ähnlich wie im Reich sah sich Matthias allerdings in den böh­ mischen Ländern und in Österreich ob und unter der Enns selbst­ bewussten Ständen gegenüber, die auf den ihnen während des „Bru­ derzwists“ gemachten religiösen Zusagen bestanden72. 1611 hatte Matthias den böhmischen Ständen zusichern müssen, über die For­ derung der Stände, unter anderem über ein Bündnis aller von ihm beherrschten Länder, ein ständisches Defensionswesen, das Selbst­ versammlungsrecht auf Kreisebene und über die Erneuerung äu­ ßerer Bündnisse mit benachbarten Mächten auf einem General­ landtag der böhmischen Länder zu beraten73. Tatsächlich trat der Kaiser Anfang 1614 zunächst – erfolglos – in Budweis an die böh­ mischen Stände mit der Forderung heran, eine Armee aufzustel­ len74. Ein weiterer Schritt, der vielleicht schon vor dem böhmischen Landtag ins Auge gefasst worden war, war die Einberufung eines Konvents der habsburgischen Länder, um diese für einen Türken­ krieg zu mobilisieren75. In dessen Vorfeld war im Geheimen Rat un­ ter der Leitung Klesls die aktuelle politische Lage analysiert und festgestellt worden, dass fast alle Länder auf eine gemeinsame Ver­ sammlung gedrungen hätten76: Im Zentrum der Beratungen des Ge­ heimen Rats standen die erschöpften Finanzen des Kaisers, die Tür­ kengefahr und die Religionsfrage, wobei eine Verschwörung der Protestanten und sogar eine Kooperation der Korrespondierenden 72 Vgl.

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Gindely, Böhmischer Aufstand (wie Anm. 65), 78ff. Knappe Über­ sicht bei Heckel (wie Anm. 16), 107f; Winkelbauer, Ständefreiheit (wie Anm. 4), Teil 2, 25f, 57f, 65f. Gindely, Böhmischer Aufstand (wie Anm. 65), 83f. Ebd., 85ff. Krauter, Josef: Der Generallandtag in Linz im Jahre 1614 [Teil 1]. In: Jah­ res-Bericht der niederösterreichischen Landes-Ober-Realschule in Waid­ hofen a. d. Ybbs für das Schuljahr 1909/10 (Waidhofen a. d. Ybbs 1910), 1–57, hier 8ff. Zum Folgenden ebd. Siehe auch die Darstellungen von Neck, Türkenpolitik (wie Anm. 10), 95–107 und Ritter, Deutsche Ge­ schichte (wie Anm. 22), 388f auf Basis von Khevenhiller (wie Anm. 57), Bd. 8, 78–117. Knapp Winkelbauer, Ständefreiheit (wie Anm. 4), Teil 1, 468f. Khevenhiller (wie Anm. 57), Bd. 8, 78ff [falsche Paginierung; korrekt: 77–79].

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mit den Osmanen, die sich derzeit in einer guten politischen Posi­ tion befänden, befürchtet wurde. Der Kaiser sei hingegen fast aller Orthen verlassen / die CammerGütter erschöpfft / die Bäpstl: Heyligk: thue wenig: der König auß Spanien köndte auch der Notturfft nach nicht gefolgen / die ubrigen deß ErtzHauß hetten wenig Mittel / andere Catholische frembde Potentaten thäten nichts / im Römischen Reich ist zubesorgen / daß ihre dissenssiones in kurtz außbrechen / ein Theil gegen dem andern ziehen und Feindtlich procediren möchten / beschicht das / so fällt die von theils bewilligte Contribution der dreyssig Monath / und bleibt solcher gestalt nichts uber / darauff sich Ihr Mayest: billich anlainen und halten solten / alß Ihre Königreich und ErbLänder / welche sich also beschaffen befinden / daß sie nunmehr eines Sinns worden / und alles auß einem Horn blasen / den Frieden kurtzumb haben / die Gefahr nicht glauben / noch Ihr Mayest: vertrawen wöllen [...]. Bemühen sich auff alle Mittel und weeg / damit Ihr Mayest: die Arma nicht in die Handt bekommen / derentwegen sie Ihre Hülffen nicht allein verziehen und difficultieren, sondern noch darzu mehrer opposition sich verlauten lassen / und verbleiben endtlich auff dem / daß sie ausser aller Königreich und Länder Zusambenforderung durch außschussen / nichts thuen / noch praestiren kundten77. Sowohl auf europäischer Ebene als auch auf der des Reichs war demnach für den finanziell kaum handlungsfähigen Kaiser etwas zu erwarten und auch die eigenen Königreiche und Länder misstrauten ihrem Landesfürsten, so dass sie ihm nicht die notwendigen Mittel zur Aufstellung eines Heeres bewilligen wollten. Würde man einer Zusammenkunft der Länder zustimmen, sei zu befürchten, dass die katholische Religion letztlich ganz ausgerottet und die Herrschaft des Hauses Österreich schwer erschüttert werden würde, was den Türken in die Hände spiele. Dennoch rieten die Räte dem Kaiser, dass ein solcher Konvent letztlich weniger gefährlich sei, als den Osmanen ohne militärische Mittel gegenüber zu stehen. Um den kaiserlichen Forderungen Nachdruck zu verleihen und die Stän­ de in Zaum zu halten, seien die übrigen Mitglieder der Dynastie zu dieser Versammlung hinzuzuziehen sowie eventuell einige Reichs­ stände wie der Herzog von Bayern oder der Kurfürst von Sachsen zur Unterstützung einzuladen.

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Ebd., 78.

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Tatsächlich nahmen die führenden Vertreter der Dynastie an dem schließlich am 11. August 1614 eröffneten Generalkonvent der habsburgischen Länder teil: Neben Kaiser Matthias waren dies Erz­ herzog Maximilian, Erzherzog Ferdinand, König Philipp III. ver­ treten durch Balthasar de Zuñiga, Erzherzog Albrecht vertreten durch Karl Bonaventura von Longueval, Graf von Bucquoy, und Erzherzog Karl, Bischof von Breslau, vertreten von Joachim Wil­ lenberg und Dr. Gelhorn. Hinzu kamen die Deputierten Ungarns und Kroatiens, Böhmens, Mährens, Schlesiens, der beiden Lausit­ zen, Österreichs ob und unter der Enns sowie der innerösterrei­ chischen Länder Steiermark, Kärnten und Krain78. Gegenstand der Tagung war die Türkengefahr79. Um eine militärische Option zu ha­ ben, fehlten freilich die finanziellen Mittel80. Im Zuge der zweiwö­ chigen Verhandlungen sollte sich zeigen, dass auch innerhalb der habsburgischen Länder keine Einheit erzielt werden konnte. Die Vertreter Ungarns vertraten den Standpunkt, der Kaiser möge kei­ nen Krieg gegen Siebenbürgen beginnen, sondern eine Gesandt­ schaft an den Sultan schicken, die darauf dringen solle, das der 20 jährig geschlossen friden biss zu verfliessung bestimbter zeit möge erhalten und bestetigt werden81. Außerdem forderten die Ungarn den Abzug der deutschen Truppen; die Grenze sollte von Einhei­ mischen gesichert werden, denen dafür von den übrigen Ländern eine Geldhilfe bewilligt werden sollte. Für den Krieg votierten hin­ gegen die Deputierten der beiden Lausitzen sowie die innerösterrei­ 78

Vgl. auch Krofta, Kamil: Snahy o společný sněm zemí domu Rakouského v letech 1526–1848. In: Kamil Krofta: Byli jsme za Rakouska ... Úvahy his­ torické a politické. Prag 1936, 142–245, zu Linz: 194–199, zu den Teilneh­ mern 196. Gindely und Krofta erwähnen – wahrscheinlich fälschlich – auch die Teilnahme von Tirol (und den Vorlanden). 79 Zur Proposition siehe Khevenhiller (wie Anm. 57), Bd. 8, 84–106. Auf Basis Khevenhillers auch Hurter, Friedrich von: Geschichte Kaiser Fer­ dinands II. und seiner Eltern, bis zu dessen Krönung in Frankfurt. Bd. 7. Schaffhausen 1854, 24ff. 80 Vgl. das bei Hammer-Purgstall, Urkunden-Sammlung (wie Anm. 31), 49 zitierte Schreiben von Melchior Klesl an Hans von Mollard. 81 Krauter (wie Anm. 75), Beilage IV, 42–57, hier 52; Khevenhiller (wie Anm. 57), Bd. 8, 106f; Gindely, Reichstag (wie Anm. 65), 250ff. Zu den Gutachten der Vertreter Österreichs unter der Enns, Österreichs ob der Enns, Schlesiens, der Ober- und Niederlausitz siehe Khevenhiller (wie Anm. 57), Bd. 8, 107–116.

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chischen Stände. Für eine Friedenspolitik optierten Österreich ob und unter der Enns, während die Vertreter Schlesiens und Böhmens keine Voten ohne Zustimmung ihrer Mitstände abgeben wollten82. Unter diesen Umständen erschien auch den Mitgliedern der Dynas­ tie die Aufnahme von Friedensverhandlungen mit dem Sultan und Gábor Bethlen die vernünftigste Option zu sein. Der Linzer Gene­ ralkonvent hatte damit ebenso wie die für eine offene Kriegführung gegen die Osmanen völlig unzureichenden Reichstürkenhilfen die Weichen in Richtung Frieden gestellt83. Tatsächlich konnte Klesl in den folgenden Verhandlungen mit den Osmanen 1615 eine Verlän­ gerung des Friedens um weitere 20 Jahre erreichen84. Angesichts der kaiserlichen Finanznot wurde ebenfalls in Linz der Plan einer grundlegenden Reform des kaiserlichen Finanzwesens gefasst85. Ob die versammelten Stände – wie in früheren Fällen86 – eine solche Reform angemahnt hatten oder an dieser Entscheidung nicht beteiligt waren, ist bislang nicht bekannt. 82

Gindely, Reichstag (wie Anm. 65), 252f; Gindely, Böhmischer Aufstand (wie Anm. 65), 99f. 83 Schluss des Linzer Tags vom 25. August 1614; Khevenhiller (wie Anm. 57), Bd. 8, 116f. 84 Siehe Neck, Türkenpolitik (wie Anm. 10), 132–146. 85 Vgl. Fellner/Kretschmayr, Geschichtliche Übersicht (wie Anm. 33), 82 mit Anm. 3; Hammer-Purgstall, Urkunden-Sammlung (wie Anm. 31), 131. Die beste Darstellung der geplanten Finanzreform stammt von Mitis (wie Anm. 31), 45–70. Mitis gibt an, die Reformversuche seien bereits 1613 begonnen worden; ebd., 45f. Allerdings spricht Breuner selbst davon, die Reformtätigkeit habe in Linz begonnen; ebd., 68. 86 Vgl. Rosenthal, Eduard: Die Behördenorganisation Kaiser Ferdinands I. Das Vorbild der Verwaltungsorganisation in den deutschen Territorien. Ein Beitrag zur Geschichte des Verwaltungsrechts. In: Archiv für österreichi­ sche Geschichte 69 (1887), 51–316, hier 258f; Rauscher, Zwischen Stän­ den und Gläubigern (wie Anm. 6), 124ff, 130ff; Rauscher, Peter: Perso­ nalunion und Autonomie. Die Ausbildung der zentralen Verwaltung unter Ferdinand I. In: Kaiser Ferdinand I. Ein mitteleuropäischer Herrscher. Hrsg. von Martina Fuchs, Teréz Oborny, Gábor Ujváry. (Geschichte in der Epoche Karls V., 5) Münster 2005, 13–39; Rauscher, Peter: Habsburgi­ sche Finanzbehörden und ihr schriftlicher Ordnungsbedarf im 16. und 17. Jahrhundert. In: Ordnung durch Tinte und Feder? Genese und Wirkung von Instruktionen im zeitlichen Längsschnitt vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert. Hrsg. von Anita Hipfinger [u.a.]. (Veröffentlichungen des In­ stituts für Österreichische Geschichtsforschung, 60) Wien, München 2012, 161–178.

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3.4 Verwaltungsreformen [Grillparzer, Franz: Ein Bruderzwist in Habsburg, Fünfter Aufzug: Saal in der kaiserlichen Burg zu Wien. Dialog zwi­ schen Klesl und Seifried Christoph Breuner, der Klesl auf Geheiß Erzherzog Ferdinands nach Innsbruck in Arrest brin­ gen soll.] Klesel Herr Seyfried, seht, ich war euch stets ein Freund. Seyfried Drum habt ihr meiner Schwester auch verweigert Die Pension, die ihr zu Recht gebührt. Klesel Sie soll sie haben, und verlangt ihr Gold, Nennt den Betrag bis dreißigtausend Kronen, Nur gönnt mir Aufschub, eine Viertelstunde. Laßt mich zu Hause ordnen noch Papiere, Man hat so viel was nicht für Jeden taugt. Seyfried Ich bin vom selben Stoff wie meine Waffen: Die Faust von Eisen und die Brust von Erz. Auf die Seitentüre links zeigend Dort unser Weg. Verlegt euch nicht auf Bitten87.

Der Konflikt zwischen Melchior Klesl und Seifried Christoph Breuner, der den Kardinal und Direktor des Geheimen Rats auf Anweisung Erzherzog Ferdinands ins Innsbrucker Exil brin­ gen soll, hatte, anders als dies Grillparzer in einer Szene in seinem „Bruderzwist in Habsburg“ darstellte, mehr als private Gründe88. Der ehemalige Hofkammerrat und Präsident der Niederösterrei­ chischen Kammer Breuner war noch in Linz von den Erzherzögen Maximilian und Ferdinand mit der Durchführung von Finanzre­ formen beauftragt worden. Breuner sollte ausschließlich dem Kai­ ser untergeordnet sein89 und den Titel eines „Directors“ der Hof­ 87

Grillparzer, Franz: Dramen 1828–1851. Hrsg. von Helmut Bachmaier. (Franz Grillparzer Werke in sechs Bänden, 3; Bibliothek deutscher Klassi­ ker, 20) Frankfurt am Main 1987, 473f. 88 Zur Person Breuners siehe Starzer, Albert: Beiträge zur Geschichte der niederösterreichischen Statthalterei. Die Landeschefs und Räthe dieser Be­ hörde von 1501 bis 1896. Wien 1897, 226–241, 294 (hier kaum Brauchbares zur Finanzreform, aber zum schlechten Verhältnis zu Klesl). 89 Vgl. den Bericht Christoph Seifried Breuners an den Kaiser, s.l., s.d.; HKA, Niederösterreichische Herrschaftsakten [im Folgenden abgekürzt: NÖHA] 83/b/2 [Kart. 225], fol. 630–631’.

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kammer erhalten90, wurde aber ganz offensichtlich nicht Vorsteher dieser Behörde. Die angestrebte „Reformation des Hof- und Kam­ merwesens“ sollte in drei Schritten erfolgen: Zunächst sollte das kaiserliche Hofwesen neu geordnet werden, schließlich die Grenz­ finanzierung und zuletzt das Schuldenwesen91. Noch während der Linzer Ständeversammlung im September 1614 wurde der Nieder­ österreichischen, der Ungarischen und der Zipser, der Böhmischen und der Schlesischen Kammer befohlen, Übersichten über ihre Ein­ nahmen und Ausgaben sowie ihren Schuldenstand anzufertigen und Reformvorschläge zur Steigerung der kaiserlichen Einnahmen in­ nerhalb von sieben Wochen vorzulegen92. Geplant war, eine Kon­ ferenz zur Reform des Finanzwesens zu veranstalten, an der neben den Präsidenten der Kammern auch die Vorstände der Hofäm­ ter – Obersthofmeister, Oberstkämmerer, Oberststallmeister und Obersthofmarschall – teilnehmen sollten. Gutachten zu diesem Thema sollten der Präsident des Hofkriegsrats Mollard und weitere ehemalige hochrangige kaiserliche beziehungsweise landesfürstliche Amtsträger erstatten. Außerdem wurden für den Bereich des Heili­ gen Römischen Reichs Altreichspfennigmeister Zacharias Geizkof­ ler und die beiden amtierenden Pfennigmeister Stefan Schmidt und Christoph von Loß zu Gutachten aufgefordert. Sie sollten analysie­ ren, wie die bisherigen Unordnungen bei den Reichsbewilligungen abgestellt, die 1613 bewilligten Römermonate eingehoben und die Reichsmatrikel reformiert werden könnten. Schmidt sollte darüber hinaus vorschlagen, wie hoch am nächsten Reichstag die Forderung 90

Hammer-Purgstall, Urkunden-Sammlung (wie Anm. 31), 131f; Mitis (wie Anm. 31), 53, Anm. 2 stellt fest, dass das Dekret, Breuner zum Direk­ tor der Hofkammer zu machen, nicht ausgefertigt wurde. 91 Vgl. den Vorschlag zur Reform des Hofwesens, s.l. 1615 Januar 27; HHStA, Obersthofmeisteramt [im Folgenden abgekürzt: OMeA], Son­ derreihe [im Folgenden abgekürzt: SR] 184, Konvolut [im Folgenden ab­ gekürzt: Konv.] „Rechnungen, Reformen und Reformvorschläge für den Hofstaat des Kaisers Matthias“ (1614/1615), fol. 10–17’, hier 10. 92 Vgl. Rauscher, Nach den Türkenreichstagen (wie Anm. 12), 447f, dort mit Nachweisen. Hurter, Geschichte Kaiser Ferdinands II. (wie Anm. 7), Bd. 3, 76 mit Anm. 66 erwähnt, ohne ein Datum zu nennen, dass auch die Landstände aufgefordert worden seien, Abgeordnete zu nennen, die mit den kaiserlichen Räten über die Schulden Rudolfs II., die Verbesserung der Finanzverwaltung und die Einhebung der jüngsten Reichstürkenhilfen in Höhe von 30 Römermonaten beraten sollten.

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des Kaisers für eine Übernahme seiner Schulden durch die Stände sein solle, wie ordentliche Einnahmen aus dem Reich erzielt und die Reichslehen finanziell nutzbar gemacht werden könnten93. Geiz­ kofler sollte außerdem auch zum Finanzwesen der habsburgischen Länder seine Meinung abgeben. Inwieweit diesen Aufträgen nachgekommen wurde, ist bisher noch nicht zur Gänze klar. Klar ist, dass eine Vielzahl von Gutachten zu diesem Thema vorgelegt wurden94. Geizkofler verfasste im Okto­ ber 1614 eine entsprechende Denkschrift zur Reform der Hofkam­ mer95. Der ehemalige Reichspfennigmeister nannte ausdrücklich die Finanz­verwaltung des Königreichs Frankreich unter Heinrich IV. und dessen Conseiller aux Finances Maximilien de Béthune, Mon­ sieur de Roni, Duc de Sully, als Vorbild, wo man, sich nicht allein aus dem schweren schulden last geschwungen, sondern alles, was zue des landes defension nottig gewest, in bereitschafft gebracht, stattliche gebew geführt, seine militiam, räth, officir und diener ordenlich bezahlt und einen yberaus stattlichen vorrath gesamblet habe96. Im Zentrum der Vorschläge Geizkoflers stand die Neubesetzung der Hofkammer mit qualifizierten Personen; durch regelmäßi­ ge Audienzen, wie es sie bis circa 1597 gegeben habe, sollte ein di­ rekter Zugang zum Kaiser hergestellt werden, der nur wenige Ge­ heime Räte zur Behandlung der Finanzsachen heranziehen sollte; unumgänglich sei ein Kassensturz durch die Aufstellung der Aus­ 93

Rauscher, Nach den Türkenreichstagen (wie Anm. 12), 448. Mitis (wie Anm. 31), 54, Anm. 2, dort, 54–62, zusammengefasst referiert. Vom 24. Dezember 1614 datiert ein umfangreicher und bislang noch nicht wissenschaftlich bearbeiteter Bericht der Niederösterreichischen Kam­ mer zum Zustand der dortigen Ämter; HKA, HF Österreich, Akten, rote Nr. 158 (1614 Oktober–Dezember), Konv. Dezember, unfol.; erwähnt bei Mitis (wie Anm. 31), 69. Zu Liechtenstein außerdem Winkelbauer, Tho­ mas: Fürst und Fürstendiener. Gundaker von Liechtenstein, ein österreichi­ scher Aristokrat des konfessionellen Zeitalters. (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Erg.-Bd. 34) Wien, München 1999, 175, 208–211. 95 Das Gutachten Geizkoflers vom 18. Oktober 1614 ist erwähnt bei Müller (wie Anm. 23), 618f, Anm. 1, dort falsch auf 1615 datiert; Staatsarchiv Lud­ wigsburg, B 90, Bü 148, unfol. 96 Zu Sully vgl. z.B. Barbiche, Bernard, Dainville-Barbiche, Ségolène de: Sully. L’homme et ses fidèles. Paris 1997; Carré, Henri: Sully. Sa vie et son œuvre 1559–1641. Paris 1932; Buisseret, David: Sully and the growth of centralized government in France 1598–1610. London 1968. 94

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gaben für Hofhaltung und das Grenzwesen, der Schulden sowie der Einkommen. Wichtig sei vor allem, wieder kreditwürdig zu wer­ den, weswegen ein geordneter Schuldenabbau – Mitte der 1610er Jahre hatte der Kaiser allein an Zinsen 1,5 Millionen fl. pro Jahr zu bezahlen – notwendig sei97. Da dies aber nicht rasch zu bewerkstel­ ligen sei, zumal die Finanzierung der Grenze Priorität haben müs­ se, seien vor allen dingen die landtäg zu halten und von jedwederm königreich und landt auf etliche jahr ein gewise steuern gelts zue ablegung der schulden zuebegehren. Wie Reichspfennig­meister Schmidt erwartete Geizkofler – der besonders auf das ungelöste Problem der Moderation der Reichsmatrikel98, die Unordnung im Münzwesen, die Schwierigkeiten bei der Eintreibung der Restanten, die umstrittene Bewilligung von 1613 oder den Verlust der Kredit­ würdigkeit des Reichspfennigmeisteramts hinwies – wenig Unter­ stützung aus dem Reich99. Außer Türkenhilfen stünden dem Kaiser aus dem Reich keine Einnahmen zur Verfügung. Geizkofler riet da­ von ab, von den Reichsständen Beiträge zur Abtragung der Schul­ 97

Vgl. Helfreich von Meggau und Karl von Harrach an Kaiser Matthias, s.l., s.d.; HKA, NÖHA, H 83/b/2 [Kart. 225], fol. 627–629’, 632’, hier fol. 628–628’: Erstlichen, erfordert die unumbgängliche notturfft wegen des alzu großen schuldenlast, das solches ohne verzug zu werckh gericht werde, dan sonsten alle hailsambe berathschlagungen neben der zeit umbsonst und verlohren, wann die darzue gehörige geldtmittl nit verhanden, wie dann woll zubesorgen, das bey diesem gefallenen credit und durch herrn Preyners [= Breuner, P.R.] hiebey liegendes memorial A specificirten schuldenlast, derentwegen euer mt. allein anderthalb million jährliches intereßo zubezahlen obliegt. 98 Vgl. Schulze, Reich (wie Anm. 7), 337–348. 99 Sovil den konfftigen reichstag belangt, kan ich mühr zu erlangung einicher durchgehender hülff khein rechnung machen, so lang das wesen in dem iezigen statu verbleibt, die mißverstendt zwischen chur-, fürsten und stenden nicht verglichen und die fürnembste hinc inde ybergebene gravamina erlediget werden; und bekhümmert mich zum hechsten, das ich nunmehr den friden im reich auf die spiz zu beeden theülen gewißen unausbleiblichen nachtheil, schaden und verderben gesezt sehe. Wie aber zue solcher composition zu gelangen, hab ich zu mehrmalen schrifft- und mündtlich allerunderthenigst angedeuth, darbei ich es nochmalen beruhen laß; und halt die eventibus werden leider nur gar zuvil zeügen, was ich iederzeit prophiceit hab; Gutachten Geizkoflers (wie Anm. 95); Mitis (wie Anm. 31), 61f. Vgl. zur Einschätzung Klesls: Vortrag Klesls an den Kaiser; HammerPurgstall, Urkunden-Sammlung (wie Anm. 31), Nr. 570, 325–337, hier 330.

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den zu verlangen, da dies als ungebührliche Neuerung abgelehnt werden würde. Vielmehr sollte traditionell mit den Kosten für die Türkengrenze argumentiert werden. Ein Reichstag müsse allerdings gut vorbereitet sein. Auf Basis der eingelangten Gutachten verfasste Breuner ein Re­ formprogramm, das Ende Januar 1615 dem Kaiser überreicht wur­ de und das unter anderem die Beschränkung der Kosten für die Hofhaltung, eine Neustrukturierung der Kriegsfinanzierung und eine Reform der Hofkammer vorsah100. Deren Räte intrigierten offenbar gegen Breuner, wobei sie die Unterstützung Klesls fan­ den101. Nach den bisherigen Forschungen sind die genauen Vorgän­ ge dieser Reformanstrengungen nicht geklärt. Bekannt ist zweierlei: Breuner geriet schnell in Konflikt mit dem Direktor des Geheimen Rats Melchior Klesl. Dieser warf Breuner völliges Versagen vor. Zur Reduktion der kaiserlichen Schulden sei ihm nichts anderes eingefallen, als der bisherige Usus, Bewilligungen der Reichs- und Landtage dafür zu verwenden, die allerdings wegen der bestehen­ den konfessionellen Spannungen kaum zu bekommen seien102. Am 3. November 1615 erging schließlich die erste – und offenbar ein­ zige – Resolution zur Reform des Hof- und Kammerwesens, in der die Einnahmequellen der für die kaiserliche Hofhaltung veran­ schlagten 400 000 fl. aufgelistet wurden. Unter anderem hatten das Reichspfennigmeisteramt in Augsburg jährlich 20 000 und das säch­ 100

Mitis (wie Anm. 31), 62; Hammer-Purgstall, Urkunden-Sammlung (wie Anm. 31), 132f. Vgl. auch das Gutachten der Hofkammer zur Hofund Grenzfinanzierung, Prag 1615 September 5; HHStA, OMeA, SR 184, Konv. „Rechnungen, Reformen und Reformvorschläge für den Hofstaat des Kaisers Matthias“ (1614/1615), fol. 32–42’. Darin warf die Hofkammer dem Hofkriegsrat vor, viele unnötige Unkosten zu verursachen. Weiters bat die Kammer darum, die Reformgutachten Breuners vorgelegt zu bekom­ men, um dazu Stellung beziehen zu können. Außerdem wurde die – man­ gels Audienzen – schlechte Kommunikation zwischen Kammer und Kaiser kritisiert: Schließlichen geraicht diß auch dero hofcamer nit wenig zu mißtrauen und verschimpfung, das von irer mt. iro so selten audienz erthailt und dann, das alle schreiben wieder vorigen gebrauch von der subsignatur durch andere durchsehen und darunter auch offt lauter sachen, die auf gemessene resolution und der ordnung nach expedirt, difficultirt und außgeschossen werden. Ebd., fol. 41. 101 Hammer-Purgstall, Urkunden-Sammlung (wie Anm. 31), 132. 102 Ebd., 134–137.

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sische jährlich 10 000 fl. an das Hofzahlamt abzuführen103. Andere Reform­agenden waren bis dato unerledigt geblieben, vor allem die drängende Frage der Reduzierung der Schuldenlast. Zu greifbaren Ergebnissen hinsichtlich der Reform der Hofkammer konnte es angesichts der Parteikämpfe zwischen Klesl und seinen Gegnern am Kaiserhof nicht kommen104. Klesl, der die Hofkam­ merräte gegen Breuner in Schutz genommen hatte und gegenüber dem Kaiser dessen Arbeitsweise bemängelte105, kritisierte nun offen die Misswirtschaft der Hofkammer, aber auch die Arbeitsunwillig­ keit des Kaisers selbst106, der anders als in Frankreich, Bayern oder den Spanischen Niederlanden, wo eine bessere Haushaltsführung

103

Mitis (wie Anm. 31), 64f; HKA, HF Österreich, Akten, rote Nr. 163 (1615 November–Dezember), Konv. November, unfol.; HHStA, OMeA, SR 184, Konv. „Rechnungen, Reformen und Reformvorschläge für den Hofstaat des Kaisers Matthias“ (1614/1615), fol. 53–77’, hier fol. 62; „Extract, deren zu hoffwesen gehörigen mitl unnd wie weit dieselben derzeit zur richtig­ kait gebracht“; HKA, NÖHA, H 83/b/2 [Kart. 225], fol. 563–564’ und fol. 619–620’. Vgl. auch den Reformvorschlag zur Reform des Hofwesens, s.l. 1615 Januar 27 (wie Anm. 91), fol. 14. Zur Reform der Hoffinanzierung siehe auch die übrigen Akten in HHStA, OMeA, SR 184, Konv. „Rechnun­ gen, Reformen und Reformvorschläge für den Hofstaat des Kaisers Matthi­ as“ (1614/1615) sowie HKA, NÖHA, H 83/b/1–2 [Kart. 224–225]. Bereits unter dem 7. Februar 1615 war im Zuge des Reformprozesses eine neue Hofstaatsordnung erlassen worden, deren ausdrückliches Ziel es war, zur Ordnung der Hoffinanzierung beizutragen; Hofstaatsordnung Kaiser Mat­ thias’, Prag 1615 Februar 7; HHStA, OMeA, SR 184, Konv. „Hofstaatsver­ ordnung des Kaisers Matthias, Prag, 1615 Februar 7“, fol. 1–35’, hier fol. 1. Die Mitglieder des Hofstaats und ihre Besoldungen sind aufgelistet im bei­ liegenden Hofstaatsverzeichnis; ebd., Konv. „Hofstaat des Kaisers Matthi­ as“ (1615 März 29). Teilweise ediert in: Fellner, Thomas, Kretschmayr, Heinrich: Die österreichische Zentralverwaltung. 1. Abteilung. Von Ma­ ximilian I. bis zur Vereinigung der Österreichischen mit der Böhmischen Hofkanzlei (1749). Bd. 2: Aktenstücke 1491–1681. (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs, 6) Wien 1907, Nr. 12/V, 202–206. 104 Zum Folgenden Mitis (wie Anm. 31), 66–70. 105 Vortrag Melchior Klesls an den Kaiser; Hammer-Purgstall, UrkundenSammlung (wie Anm. 31), Nr. 570, 325–337. 106 Vgl. auch Melchior Klesl an Seifried Christoph Breuner, 1615 Dezember 16; Hammer-Purgstall, Urkunden-Sammlung (wie Anm. 31), Nr. 560, 308ff; Memorial Melchior Klesls an den Kaiser; ebd., Nr. 569, 318–325.

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umgesetzt worden sei, lieber feiere als regiere107. Anfang 1616 be­ klagte Breuner die mangelnde Unterstützung des Kaisers und ver­ wies – wie Geizkofler – auf das Vorbild Heinrichs IV. von Frank­ reich, der den Herzog von Sully stets geschützt habe. Gleichzeitig forderte er seine Entlassung. Im August dieses Jahres drängte Erz­ herzog Ferdinand den Kaiser, endlich Entscheidungen zu treffen, und auch Breuner forderte noch einmal, nach der Reform der Hof­ finanzierung nun die Kriegsfinanzierung und schließlich die Behör­ denreformen anzugehen108. Die Differenzen zwischen Klesl und Breuner waren aber unüberbrückbar, sodass Letzterer um Urlaub bat; im April 1617 wurde das länger vakante Amt des Vorstehers der Hofkammer mit Gundaker von Polheim als deren Direktor neu besetzt109. Trotz aller mahnenden Worte waren die Reformen der kaiserlichen Finanzwirtschaft nicht weitergekommen und die ge­ samte Angelegenheit schließlich 1617 abgebrochen worden.

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Ebd., 137–140. Zur Rolle Klesls siehe auch die allerdings knappe, partei­ ische und im Wesentlichen auf der bei Hammer-Purgstall abgedruckten Korrespondenz beruhende Darstellung von Kerschbaumer (wie Anm. 17), 173ff. 108 Erzherzog Ferdinand an Kaiser Matthias, Graz 1616 August 10; HKA, NÖHA, H 83/b/2 [Kart. 225], fol. 561–562’; Seifried Christoph Breuner an den Kaiser, s.d.; ebd., fol. 735–737’. Zu den Vorstellungen Breuners vgl. den Extrakt seines Abschlussberichts, s.d. [1616]; ebd., fol. 758–767’. Vgl. auch das Inventarium über die im Zuge des Reformprozesses verfassten Schrif­ ten; ebd., fol. 901–905’. 109 Ein Verzeichnis der Mitglieder der Hofkammer aus dem Jahr 1617 befindet sich in HKA, NÖHA, H 83/b/2 [Kart. 225], fol. 934–935’.

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4. Fazit Wir wollen die Venediger, die kriegslustigen Türken, die Ungarn und Haiducken, die Stände im Reiche und in den Erblanden, welche der katholischen Religion und ihrem Herrn widerstreben, schon im Zaum halten, nur Geld her! Wir wollen den unbezahlten Hofstaat, dem man dreizehntausend Thaler schuldet, und den Unterhalt des Hofes, womit man gar nicht aufkommen kann, schon bestreiten; nur Geld her! Die alten Grenzer sollen bezahlt, die Grenzhäuser neu hergestellt, mit der nothwendigen deutschen Besatzung versehen werden; nur Geld her! Die Curiere, die Botschaften, die Commissionen werden bezahlt werden; nur Geld her! Die kaiserlichen Schulden werden bezahlt, die versetzten Aemter erledigt, die Kosten des Reichs-Churfürsten und Wahltage bestritten werden; nur Geld her! Was bleibt denn der das Geld herschaffen soll so lang damit aus. Unediertes und sprachlich von Hammer-Purgstall offenbar überarbeitetes Schreiben Klesls (1615); Hammer-Purgstall, Urkunden-Sammlung (wie Anm. 31), 124.

Die Regierung Kaiser Matthias’, weitgehend beherrscht von seinem ersten Minister Kardinal (seit 1615) Melchior Klesl, wird in der Ge­ schichtswissenschaft bis heute kontrovers bewertet. Besonders hin­ sichtlich der Ernsthaftigkeit der Ausgleichspolitik mit den Protes­ tanten im Reich und in den Erblanden bestehen unterschiedliche Ansichten. Tatsächlich ist die Quellengrundlage für eine Beurtei­ lung dieser Frage problematisch. Vor allem die Edition der Briefe Klesls durch Hammer-Purgstall wirft große Fragen auf und auch die Quellen zur Reichsgeschichte in der Reihe der „Briefe und Ak­ ten“ sind nur unvollständig aufgearbeitet. Ebenfalls schlecht er­ forscht sind die kaiserlichen Finanzen. Kein Zweifel kann bestehen, dass die Ausgangslage für Matthias nach dem Tod Rudolfs II. denk­ bar ungünstig war. Mit dem gescheiterten Reichstag von 1608 wa­ ren die vorher hohen Reichshilfen zur Finanzierung des Kriegs ge­ gen die Osmanen ausgelaufen. Damit fehlten auch die Mittel, um die Schuldenlast, die sich vor allem durch den „Langen Türken­ krieg“ angesammelt hatte, abzutragen. Schon im ersten Jahr der Re­ gierung Kaiser Matthias’ wurden erste Maßnahmen getroffen, das Finanzdesaster zu beziffern und eine Zahlungsunfähigkeit abzu­ wenden. Auf dem Reichstag von 1613 gelang es dann nicht, die not­

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wendigen Mittel für den Schuldenabbau und zur Aufstellung eines schlagkräftigen Heeres zu lukrieren. Matthias war damit sowohl ge­ gen die Osmanen und Siebenbürger als auch gegenüber den pro­ testantischen Ständen im Reich und den habsburgischen Ländern weitgehend handlungsunfähig. In dieser Situation wurde sogar das Risiko eines Generalkonvents der habsburgischen Länder einge­ gangen, der aber ebenfalls keine zählbaren Erfolge brachte und eine Fortsetzung des Türkenkriegs unmöglich machte. Gleichzeitig wur­ de die Reform der gesamten kaiserlichen Finanzorganisation in An­ griff genommen. Obwohl alle Beteiligten von der Notwendigkeit solcher Maßnahmen überzeugt waren, scheiterte sie an den Partei­ enkämpfen am Kaiserhof und der Untätigkeit des Kaisers selbst. Eine Konsolidierung der habsburgischen Herrschaft und ihrer ma­ teriellen Grundlagen konnte unter diesen Voraussetzungen nicht gelingen und sollte auch in den 1620er Jahren ein Thema bleiben110. Johann Rainer hat bereits wohl zu Recht auf den Zusammenhang zwischen der Kleslschen Friedenspolitik im Reich und der dro­ henden Türkengefahr aufmerksam gemacht111. Hinter beidem stan­ den jedoch völlig zerrüttete Finanzen, die der kaiserlichen Politik die Hände banden. Die fehlenden Mittel zur militärischen Lösung des Konfessionskonflikts im Reich und zur Fortsetzung des Tür­ kenkriegs bildeten somit die Grundlage der Friedenspolitik nach innen und außen.

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Rauscher, Peter: Reichssachen. Die finanziellen Beziehungen zwischen Kaiser und Heiligem Römischen Reich (1600–1740). In: Das „Blut des Staatskörpers“ (wie Anm. 6), 319–354, hier 329f. 111 Rainer, Kardinal (wie Anm. 17), 26f; Rainer, Klesl (wie Anm. 17), 51.

KASPAR SCHETZ VON GROBBENDONK ODER PEDRO XIMÉNEZ? Studien zum historischen Ort des „Dialogus de Pace“ (Köln und Antwerpen 1579)

von Peter Arnold Heuser, Bonn Einleitung Im konfessionellen Klima, das Anfang des 17. Jahrhunderts in der reichsfreien Stadt Köln herrschte, war für die Irenik der Humanis­ tenzirkel um Georg Cassander (1513–1566), Jean Matal (um 1517– 1597) und Pedro Ximénez (1524?–1595), die sich seit Mitte des 16. Jahrhunderts von Köln und vom Niederrhein aus für eine Neutrali­ sierung der Konfessionskonflikte im Abendland und für eine Über­ windung der Glaubensspaltung eingesetzt hatten, kein Platz mehr. Die Erinnerung an Cassander sowie an dessen Mitstreiter und Fort­ setzer, die in Köln bis in die 1590er Jahre hinein eine Plattform für ihre Aktivitäten und einen Rückzugsort gefunden hatten, wurde im Stadtbild auch materiell ausgelöscht: Das Renaissance-Epitaph Cas­ sanders in der Kölner Minoritenkirche, das die Verdienste des Hu­ manisten um eine Wiedervereinigung der auseinanderstrebenden Konfessionskirchen hervorhob, wurde vor/bis 1612 entfernt; und zur selben Zeit verschwand auch die Tafel, die das gemeinsame Grab von Ximénez und Matal in der Kölner Pfarrkirche Sankt Paul kenntlich gemacht hatte1. Die Rezeption der religiösen und theologischen Positionen, der po­ litischen und kirchenpolitischen Konzepte, die Cassander, Matal und Ximénez im Zeitalter von Glaubensspaltung und beginnender Konfessionalisierung vertreten hatten, verlagerte sich an ande­ re Orte, etwa in das Pariser Zentrum des libertinage érudit um die Brüder Pierre (1582–1651) und Jacques Dupuy (1591–1656), aus deren Zirkel Jean de Cordes (1570–1642) 1616 die große „Opera

1

Vgl. dazu Heuser, Peter Arnold: Jean Matal. Humanistischer Jurist und europäischer Friedensdenker (um 1517–1597). Köln, Weimar, Wien 2003, 246ff.

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omnia“-Ausgabe Cassanders herausgab2. Zeitgleich beeinflussten die kirchlichen Reunionsprojekte Cassanders und seiner Mitstreiter die Toleranzideen niederländischer Arminianer wie Daniel Hein­ sius (1580–1655) und Petrus Bertius (1565–1629), die 1617 in Lei­ den eine Auswahl von Briefen des Zirkels herausbrachten, wirkten auf Hugo Grotius (1583–1645), beeindruckten späthumanistische Kreise an der Universität Helmstedt, namentlich Hermann Con­ ring (1606–1681) und Georg Calixt (1586–1656), und beschäftigten Theologen während des Bürgerkrieges in England3. Im Reich nahm Melchior Goldast von Haiminsfeld (1578–1635) ein kirchenpoli­ tisches Hauptwerk Cassanders, die anonym publizierte Schrift „De officio pii ac publicae tranquillitatis vere amantis viri in hoc religi­ onis dissidio“ von 1561, in seine „Politica imperialia“ von 1614 auf und verortete sie dort unter den Acta, tractatus et discursus theologico-politicos de pace ecclesiae catholicae reparanda, sive de unione et concordia ecclesiastica4. Im Vorfeld der Pariser „Opera omnia“-Ausgabe Cassanders von 1616 versuchten Mitglieder des Zirkels um die Brüder Dupuy, aus erster Hand Informationen über die Lebensumstände Cassan­ ders, Matals und Ximénez’ in Köln und am Niederrhein zu sam­ meln. Der französische Diplomat Dr. jur. utr. Jean Hotman (1552– 1636), seigneur de Villers-Saint-Paul, ein Sohn des humanistischen Juristen François Hotman (1524–1590), stellte vor Ort Nachfor­ schungen über die drei Ireniker an, als er während des jülich-kle­ vischen Erbfolgestreites französischer Resident in Düsseldorf war5. Hotman befragte Zeitzeugen und leitete seine Erkenntnisse nach Paris weiter, unter anderem an den Pariser Parlamentspräsidenten und Historiker Jacques-Auguste de Thou (1553–1617)6, der dem­ 2 Nachweise

ebd., 6. 6f. 4 Ebd., 7. 5 Am Internationalen Graduiertenkolleg „Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20. Jahrhundert“ an der Universität Frankfurt am Main forscht Mona Garloff zurzeit am Beispiel Jean Hotmans über kirchliche Reunionsprojekte des 16. und frühen 17. Jahrhunderts. 6 Vgl. etwa Jean Hotman an Jacques-Auguste de Thou in Paris, Düsseldorf 1613 Februar 11 (Ausfertigung: Paris, Bibliothèque nationale de France [im Folgenden: BNF], Collection Dupuy Nr. 830, fol. 136); dazu Zwierlein, Cornel A.: Heidelberg und „der Westen“ um 1600. In: Christoph Strohm, Joseph S. Freedman, Herman S. Selderhuis (Hrsg.): Späthumanismus und 3 Ebd.,

Kaspar Schetz von Grobbendonk oder Pedro Ximénez?

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selben Zirkel um das Cabinet Dupuy angehörte wie Hotman. Auf diese Weise gelangten Korrespondenzen vom Niederrhein in die Sammlung der Brüder Dupuy, die wichtige Informationen über die späte Irenik in Köln und am Niederrhein enthalten und noch kaum ausgeschöpft sind. Martín López de Villanova (1534 – vor/in 1619), ein Cousin von Montaignes Mutter, informierte Hotman über die späten Aktivitäten Matals und Ximénez’ in Köln7, die eng mit den López de Villanova und Pérez, zwei Familien marranischer Her­ kunft in den Niederlanden und am Niederrhein, verbunden gewe­ sen waren8. Demselben Zweck diente ein Brief, den der Kölner Me­ dizinprofessor Heinrich Botter (1539–1617) am 2. Januar 1613 an Galenos Weyer (1547–1619) schrieb, den Leibarzt der Herzöge von Jülich, Kleve und Berg, einen Sohn des herzoglichen Leibarztes Jo­ hannes Weyer (1515/16–1588), des großen Kritikers des neuzeit­ lichen Hexenglaubens. Eine Mitteilung Botters in diesem Brief steht im Zentrum der vor­ liegenden Studie. Matal habe Botter vertraulich offenbart, Pedro Ximénez, der engste Vertraute Matals in Köln, sei der Verfasser ei­ ner anonymen „Oratio de pace“ gewesen, die 1579 – ohne Anga­ be von Autor und Drucker – als ein Beitrag zum niederländischspanischen Friedenskongress in Köln publiziert worden sei, an dem der Herzog von Terranova als Hauptgesandter der spanischen Kro­ ne teilnahm9: Orationis de pace Belgica tum temporis, cum dux Terrae novae hic esset, suppresso authoris et typographi nomine adhuc recte memini, et Metellus Ximenium authorem [esse] mihi est fassus. Die Autorzuweisung des Kölner Medizinprofessors verdient Be­ achtung, denn Matal und Botter, ein Niederländer aus Amersfoort reformierte Konfession. (Spätmittelalter und Reformation, Neue Reihe, 31) Tübingen 2006, 27–92, bes. 49f. Zur Verbindung zwischen de Thou und den Gebrüdern Dupuy: Garber, Klaus: Paris, die Hauptstadt des eu­ ropäischen Späthumanismus. Jacques Auguste de Thou und das Cabinet Dupuy. In: Sebastian Neumeister, Conrad Wiedemann (Hrsg.): Res Publi­ ca Litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit. Bd. 1. (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung, 14) Wiesbaden 1987, 71–92; Zwierlein (wie oben), 47–55. 7 Vgl. Heuser, Matal (wie Anm. 1), 245f. 8 Zum Familien- und Verwandtschaftskreis Ximénez’ vgl. ebd., 178–188. 9 Heinrich Botter an Galenos Weyer in Düsseldorf, Köln 1613 Januar 2 (Ausfertigung: BNF, Collection Dupuy Nr. 348, fol. 204); dazu Heuser, Matal (wie Anm. 1), 365.

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in der Provinz Utrecht, waren langjährig vertraute Freunde gewe­ sen10. Matal konsultierte Botter nicht allein als seinen Arzt11, son­ dern hatte ihn auch zu seinem Testamentsvollstrecker bestimmt, zu­ sammen mit dem jungen Dr. jur. utr. Hartger Henot (1571–1637), einem Sohn des kaiserlichen Postmeisters in Köln Jakob Henot (Hainaut), der aus Limont im Hennegau (französisch Hainaut) nach Köln gekommen war. Da Botter jedoch als Leibarzt des ge­ mütskranken Herzogs Johann Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg (1562–1609) häufig für unabsehbare Zeit von Köln abwesend war, hatte Matal ihn vor seinem Tod 1597 als Testamentsexekutor durch Karel Utenhove den Jüngeren (1536–1600) ersetzt, den Herren van Nieuwland aus Gent, der in Köln ein Haus besaß und Matal und Botter als Humanist und als neulateinischer Lyriker eng verbunden war. In den Abschnitten 1 und 2 der Studie gilt es zu prüfen, ob das Œu­ vre des irenischen Humanisten Pedro Ximénez (Ximenius oder Ji­ ménez, niederländisch auch Siemens) aufgrund der Mitteilung Bot­ ters tatsächlich um einen bislang unbekannten (kirchen-)politischen Untergrunddruck erweitert werden kann12, den Ximénez während des Kölner Pazifikationstages von 1579 publiziert hat – eines Frie­ denskongresses, der auf Initiative Kaiser Rudolfs II., vermittelt durch kaiserliche Kommissare, von April bis Dezember 1579 in der reichsfreien Stadt Köln am Niederrhein tagte, um den Konflikt in den spanischen Niederlanden zu beenden13. 10

Zum Folgenden: ebd., 227f, 235, 245f. Heuser, Peter Arnold: The Correspondence and Casual Poetry of Jean Matal (c. 1517–1597): A Preliminary Inventory. In: LIAS. Sources and Do­ cuments relating to the Early Modern History of Ideas 30/2 (2003), 213– 298, hier 292f. 12 Zur Biografie Ximénez’: Heuser, Matal (wie Anm. 1), 177–208, 335ff (dort weitere Literatur). Zum Œuvre seiner Kölner Jahre: ebd., 362–372, 377, 430–437. Als einen ersten Versuch, die Überreste der Ximénez-Korrespon­ denz zu verzeichnen: García Pinilla, Ignacio Javier: Fuentes para una edición del epistolario de Pedro Jiménez (Petrus Ximenius, 1514?–1595). In: Rafael Villena Espinosa (Hrsg.): Ensayos humanísticos. Homenaje al Profesor Luis Lorente Toledo. (Varios. Serie Homenajes, 2) Cuenca 1997, 179–207. 13 Zum „Kölner Pazifikationstag“: Lossen, Max: Aggäus Albada und der Kölner Pacificationscongresz im Jahre 1579. In: Historisches Taschenbuch, 5. Folge, 6 (1876), 277–362; Lossen, Max: Der Kölnische Krieg. Bd. 1. Go­ tha 1882, 166, 637, 745; Hansen, Joseph (Bearb.): Nuntiaturberichte aus 11

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1. Jean Matal und die Distribution des „Dialogus de pace“ von 1579 Die Suche nach einer „Rede über den Frieden“, einer „Oratio de pace“, die zur Zeit des Kölner Friedenskongresses von 1579 als an­ onymer Druck publiziert wurde und den religiösen und (kirchen-) politischen Auffassungen entspricht, die Ximénez und Matal im Umfeld des Kongresses vertraten, führt aufgrund äußerer Befunde, die in Abschnitt 1 erläutert werden sollen, sowie aus inhaltlichen Gründen, die in Abschnitt 2 darzulegen sind, zu einem anonymen „Dialogus de pace“ von 1579, dem Traktat „Viri pietate, virtute, moderatione, doctrinaque clarissimi dialogus de pace: rationes, qui­ bus Belgici tumultus inter Philippum, serenissimum et potentissi­ mum Hispaniae Regem, et subditos hoc rerum statu componi pos­ sint, explicans“, einer der interessantesten Friedensschriften, die aus

Deutschland nebst ergänzenden Actenstücken. 3. Abt. (1572–1585). Bd. 2: Der Reichstag zu Regensburg 1576. Der Pacifikationstag zu Köln 1579. Der Reichstag zu Augsburg 1582. Berlin 1894 (ND Turin 1972); Hansen, Joseph: Der niederländische Pacificationstag zu Köln im Jahre 1579. In: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst 13 (1894), 227–272; Vermaseren, Bernard Antoon: De katholieke Nederlandsche geschied­ schrijving in de XVIe en XVIIe eeuw over den opstand. Maastricht 1941 (2. Aufl. Leeuwarden 1981), 37–44; Wybrands-Marcussen, Walter Roland: Der Kölner Pazifikationstag 1579. 2 Teilbde. Diss. phil. Wien 1970; Bergs­ ma, Wiebe: Aggaeus van Albada (c. 1525–1587), Schwenckfeldiaan, staats­ man en strijder voor verdraagzaamheid. Diss. Groningen 1983; Arndt, Jo­ hannes: Das Heilige Römische Reich und die Niederlande 1566 bis 1648. Politisch-konfessionelle Verflechtung und Publizistik im Achtzigjährigen Krieg. (Münstersche Historische Forschungen, 13) Köln, Weimar, Wien 1998, 63–66; Arndt, Johannes: Die kaiserlichen Friedensvermittlungen im spanisch-niederländischen Krieg. In: Rheinische Vierteljahrsblätter 62 (1998), 161–183, hier 169–179; Heuser, Matal (wie Anm. 1), 364f, 434–437; Weis, Monique: Les Pays-Bas espagnols et les États du Saint Empire (1559– 1579): priorités et enjeux de la diplomatie en temps de troubles. (Universi­ té Libre de Bruxelles, Faculté de Philosophie et Lettres, 110) Brüssel 2003, 341–363; Krischer, André: Politische Rituale im Köln der Renaissance: Reichsstädtische oder höfische Traditionen? In: Stephan Hoppe, Alexander Markschies, Norbert Nussbaum (Hrsg.): Städte, Höfe und Kulturtransfer. Studien zur Renaissance am Rhein. 3. Sigurd Greven-Kolloquium zur Re­ naissance-Forschung. Regensburg 2010, 259–283, 261ff.

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dem Achtzigjährigen Krieg zwischen den aufständischen niederlän­ dischen Provinzen und der spanischen Krone vorliegen14. Der „Dialogus de pace“ wurde in einer kritischen Phase des Kölner Kongresses publiziert. Die Friedensgespräche, welche die beiden Konfliktparteien unter Zwischenschaltung kaiserlicher Kommissare als Mediatoren, also in Form indirekter Verhandlungen, miteinan­ der führten, hatten im Mai und im Juni 1579 zunächst beachtliche Ergebnisse erzielt15. Die Annäherung der Positionen betraf a) eine Amnestie für alle Kriegshandlungen, b) eine Restitution aller, die durch den Konflikt ihre Besitzungen, Ämter oder Ehrenstellungen verloren hatten, sowie c) eine Bestätigung der ständischen Privile­ gien durch den König von Spanien. Bald jedoch stockten die Ver­ handlungen, denn die Positionen beider Kongressparteien zur Ge­ staltung der religiös-konfessionellen Ordnung in den Niederlanden erwiesen sich als unvereinbar. Während die zehnköpfige, Katho­ liken und Protestanten umfassende Delegation der niederländischen Provinzen unter Philipp III. von Croÿ, dem Herzog von Aarschot, Fürsten von Chimay und Porcéan (1526–1595), auf einer Freistel­ lung der religiösen Bekenntnisse bestand, wie sie im Reich zur sel­ ben Zeit die Kurpfalz und Nassau für die geistlichen Fürstentümer forderten, insistierte die spanische Delegation unter Don Carlos de Aragón y Tagliavia, dem Fürsten von Castelnuovo und Herzog von Terranova (um 1520–1599), der sich vom 5. April bis zum 2. De­ zember 1579 in Köln aufhielt, auf der exklusiven Geltung des ka­ tholischen Bekenntnisses in allen Provinzen der Niederlande. Die spanische Seite war allenfalls bereit, die Ketzerverfolgung in den Niederlanden auszusetzen, allen religiös Dissentierenden ein Ab­ zugsrecht binnen vier Jahren einzuräumen und ihnen den frei­ en Verkauf ihrer Güter und Besitzungen zu gestatten. Wahlweise sollten religiöse Abweichler ihre Güter behalten dürfen, falls sie ka­ tholische Administratoren einsetzten. Als die Verhandlungen zum 22. Juni 1579 an einem toten Punkt an­ gelangt waren, entschlossen sich die kaiserlichen Kommissare, ei­ 14 15

Heuser, Matal (wie Anm. 1), 364f. Die Hinweise zum Kongressverlauf folgen: Arndt, Friedensvermittlun­ gen (wie Anm. 13), 169–179; die Datierung der Ankunft des Herzogs von Terranova in Köln auf den 5. April 1579 folgt Karrer, Klaus: Johannes Posthius (1537–1597). Verzeichnis der Briefe und Werke mit Regesten und Posthius-Biographie. (Gratia. Bamberger Schriften zur Renaissancefor­ schung, 23) Wiesbaden 1993, 203.

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gene Vermittlungsvorschläge zu unterbreiten, und legten am 10. Juli ihren Vermittlungsentwurf vor. Dieser umfasste 21 Artikel zu­ züglich zweier Religionsabschnitte und wurde von der niederlän­ dischen Delegation als ein allzu weitreichendes Entgegenkommen des Kaisers gegenüber den Positionen der spanischen Krone abge­ lehnt. Am 18. Juli legten die kaiserlichen Mediatoren einen Kom­ promissentwurf zur Religionsfrage vor, der an die Grenzen ih­ rer Kompromissfähigkeit ging: Die Ketzeredikte sollten ausgesetzt werden; für Holland, Seeland und Bommel sollte die konfessio­ nelle Verteilung des Jahres 1576, der Zustand zur Zeit der Genter Pazifikation vom 8. November 1576, festgeschrieben werden. Die kaiserlichen Kommissare befürworteten somit eine Normaljahres­ regelung, die über die im Reich geltende Praxis auf der Basis des Religionsfriedens von 1555 hinausging. Alle übrigen Provinzen der Niederlande sollten katholisch bleiben, Andersgläubigen sollte ein unbefristetes Abzugsrecht eingeräumt werden. Der Vermittlungs­ vorschlag der kaiserlichen Mediatoren führte zu einer Polarisierung in der niederländischen Delegation. Fünf katholische Delegier­ te sympathisierten mit dem Vermittlungsvorschlag der Kommis­ sare, die protestantischen Gesandten lehnten ihn ab. Infolgedessen erklärte die Delegation der niederländischen Provinzen, für eine Entscheidung über den Vermittlungsvorschlag nicht ausreichend bevollmächtigt zu sein, und führte in den folgenden Wochen und Monaten Verhandlungen mit den niederländischen Provinzialstän­ den sowie mit einflussreichen niederländischen Magistraten. Die Gegenseite wertete diese internen politischen Gespräche als eine be­ wusste Verschleppung des Kongresses. In dieser Situation wurde der „Dialogus de pace“ veröffentlicht; an­ onym, ohne Angabe von Autor oder Druckort, Drucker oder Ver­ leger16. Dem Druckbild nach dürfte der Untergrunddruck ein Er­ 16

Viri pietate, virtute, moderatione, doctrinaque clarissimi Dialogus de pace: rationes, quibus Belgici tumultus inter Philippum, serenissimum et potentissimum Hispaniae Regem, et subditos hoc rerum statu compo­ ni possint, explicans, M.D.LXXIX. Calendis Septembris (VD 16 V 1579); dazu Heuser, Matal (wie Anm. 1), 364. Exemplare: Universitätsbibliothek (= UB) Amsterdam, OTM: Pfl. C 10a, OTM: O 06-6591 (2); Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, Gs 12469; UB Augsburg, 02/IV.17.8.51; Staats­ bibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, 8”@Tk 6945; Koninklijke Bibliotheek Den Haag, Pflt 494; UB Eichstätt-Ingolstadt, 041/1 AÖ 3006 u. 04/1 E 117; UB Freiburg im Breisgau, H 7666; UB Groningen, uklu VC

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zeugnis der Kölner Offizin Gottfrieds von Kempen sein17, der 1577–1597 als Drucker in Köln aktiv war und zunächst vor allem als Lohndrucker für die Offizin der Erben Arnold Birckmanns ar­ beitete18. Eine technische Untersuchung des Druckes, die letzte Klarheit über die Druckerzuweisung bringen würde, steht aus. Das Titelblatt datiert die Schrift auf den 1. September 1579; das Vor­ wort des Herausgebers an alle Friedensgesinnten (Principibus viris omnibus, ceterisque verae pacis amantibus salutem) ist auf densel­ ben Tag datiert19. Der ebenfalls anonyme Herausgeber des „Dialo­ gus“ bekundet im Vorwort, er habe die Schrift auctore inscio20 pu­ bliziert, ohne Wissen des Autors. Damit formuliert der Anonymus eine gängige Schutzbehauptung, die den Verfasser der Schrift gegen juristische Folgen des illegalen Druckes absichern sollte, falls es der Zensur gelang, den Autor zu ermitteln. Wenig später, noch im selben Jahr 1579, wurde der „Dialogus de pace“ auch in Antwerpen publiziert, wiederum ohne Nennung von Autor oder Drucker21. Immerhin führt das Titelblatt einen Ja­ 90:1; Universitäts- und Landesbibliothek (= ULB) Halle, Pon IIn 4844; Dombibliothek Hildesheim, 2 Mc 0192; Universitäts- und Stadtbibliothek (= USB) Köln, G 13/1425; Bayerische Staatsbibliothek München, Belg. 64; UB München, 0001/8 Polit. 285, 0001/8 P.lat.rec. 19, 0001/8 Theol. 2154; UB Oxford, All Souls Library, Gallery, k.16.10; UB Oxford, Bodleian Li­ brary, 8° D 44 Th.; UB Rostock, JIb-3421.2; Kungliga Bibliotheket/Natio­ nalbibliotek Stockholm, 125 B 14 c 1579; UB Utrecht, MAG: S OCT 1475 RARIORA; Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, H: C 34.8° Helmst. (6), S: Alv.: Bc 407 (3), A: 136 Pol. (1), M: Gp 110, A: 136.1 Pol. (2). 17 So schon die Expertise des VD 16 V 1579. 18 Vgl. zuletzt: Reske, Christoph: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhun­ derts im deutschen Sprachgebiet. (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswe­ sen, 51) Wiesbaden 2007, 453f. 19 Dialogus de pace, [Köln] 1579 (wie Anm. 16), 1ff. 20 Ebd., 3. 21 Viri pietate, virtute, moderatione, doctrinaque clarissimi Dialogus de pace: rationes, quibus Belgici tumultus inter Philippum, serenissimum et potentissimum Hispaniae Regem, et subditos hoc rerum statu componi possint, explicans. Contenta brevibus versa pagina summariis explicantur. Antverpiae, apud Jacobum Henricium. M.D.LXXIX. – Exemplare: UB Vrije Universiteit Amsterdam, Oude Drukken XE.05545; UB Basel, NU VI 13:6; UB Bern, ZB Bong V 280:1 (Vorbesitzer Jacques Bongars); Ko­ ninklijke Bibliotheek Den Haag, Pflt 495; Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (= SUB) Dresden, Hist.Belg.A.591 (Bar­

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cobus Henricius in Antwerpen als den Verleger oder Buchhänd­ ler auf, bei dem das Buch erhältlich sei. Derselbe Jacobus Hen­ ricius begegnet bereits im Vorjahr 1578 auf dem Titelblatt einer anonymen Ausgabe der neulateinischen Tragödie „Baptistes sive Calumnia“ des schottischen Humanisten, Historikers und Staats­ theoretikers George Buchanan (1506–1582)22, doch ist über seine Identität nichts bekannt. Die Antwerpener Druckausgabe muss jünger sein als der Kölner Untergrunddruck, denn sie korrigiert den Text gemäß einer Errata-Liste, die dem Kölner Druck nach­ gestellt ist. Über den Kölner Erstdruck hinaus bietet die Antwer­ pener Ausgabe eine Inhaltsübersicht in 67 Punkten, die dem Text voransteht. Am Textende findet sich eine lateinische Approbation des „Dialogus“ durch den Antwerpener Kanoniker und Bücher­ zensor Lic. theol. Walther van der Steeghen (†1587)23, die höchst ungewöhnlich formuliert ist. Van der Steeghen distanziert sich da­ rin von allen Inhalten des „Dialogus“, die der Einheit des Glau­ bens und der bonorum morum iustitia entgegenstehen könnten, verweist zugleich aber auf die zahlreichen rationes plausibiles [...] constituende pacis, die der „Dialogus“ enthalte; diese Gründe code: XMAR158606); UB Durham, Palace Green Library, Routh, Routh 66.L.11; SUB Göttingen, 8 H HOLL II, 2387; Bibliotheca domus pres­ byterorum Gaesdonck, Goch (ohne Signatur); UB Leiden, collectie Pam­ fletten, plaatsingscode Pamflt 1579–1580; British Library London (Shelf­ marks: 527.f.38, 1193.k.3); Bayerische Staatsbibliothek München, Asc. 13, Asc. 3912, Dogm. 1021, Hols. 84, J.publ.e. 89; UB München, 0001/8 Po­ lit. 590; UB Oxford, Bodleian Library, 8° O 12(2) Art.Seld.; BNF, Tolbiac 8-OC-1676, M-21147, M-21150, Arsenal 8-H-15057; Bibliothèque SainteGene­viève Paris, Magasins Réserve 8 Z 1056 INV 3197 RES (P.4); StB Trier (ohne Signatur); Anna Amalia Bibliothek Weimar, Scha Pe 00132 (beschä­ digt); Österreichische Nationalbibliothek Wien, 63.K.15 Alt Prunk; Stifts­ bibliothek St. Viktor Xanten, Pfarr. 437; UB Yale, Bt16A 579S; York Mins­ ter, Old Library, O XXV.F.8. 22 Buchanan, George: Baptistes, sive calumnia: Tragoedia auctore Georgio Buchanano Scoto. Londini. Et prostant Antverpiae apud Iacobum Henrici­ um. M.D.LXXVIII (Online-Ausgabe Ann Arbor, Michigan Early English books online). 23 Zu van der Steeghen: Torrencio, Levino: Correspondencia con Benito Arias Montanus. Introducción, edición critica, traducción anotada e indices a cargo de Luis Charlo Brea, prólogo de Jeanine de Landtsheer. (Colección de Textos y Estudios Humanísticos „Palmyrenus”, Serie „Textos”, 20) Al­ cañiz [u.a.] 2007, 282.

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rechtfertigten in der Gesamtwertung des Zensors die Publikation der Schrift24. Zeitgenossen, etwa Kardinal Antoine Perrenot de Granvelle (1517– 1586), verdächtigten den niederländischen Bankier, Großhändler und Staatsmann Kaspar (Gaspard) Schetz, Baron von Wesemaele und Herren zu Grobbendonk (1513–1580), den „Dialogus de pace“ verfasst zu haben25. Schetz, der sich als Gelehrter Schetus Corvinus nannte, hatte als Mitglied der niederländischen Delegation am Köl­ ner Kongress teilgenommen und starb im folgenden Jahr26. Auch der Leidener Jurist, Philologe und Historiker Pieter Burmann der Jüngere (1713–1778), dessen gleichnamiger Onkel Dr. jur. Pieter Burmann der Ältere (1668–1741) 1727 bereits eine wichtige Quel­ lenpublikation zu den Irenikerzirkeln um Georg Cassander, Jean Matal und Pedro Ximénez vorgelegt hatte27, wies Schetz die Autor­ schaft am „Dialogus de pace“ zu, als er die Friedensschrift 1772 im Waltherus van der Steeghen S. Theol. Licentiatus: Hic liber, etsi multa contineat, quae bonorum morum iustitiam laedant et fidei unitatem convellant, tamen quia multas continet rationes plausibiles (quibus solis homines nunc moventur) constituende pacis, per nonnullorum libertatem ac petulantiam profligatae ac turbatae, videtur non inutiliter posse imprimi ac omnibus communicari, ut orbi notum sit, quam absque ratione faciunt, qui eo caecitatis venerunt, ut pacis ne ferre nomen possint, salvo meliori iudicio. Zu van der Steeghen: Rekers, Bernard: Benito Arias Montano (1527–1598). Studie over een groep spiritualistische humanisten in Spanje en de Nederlanden. Groningen 1961, 33, 151, 168 u. ö. 25 Granvelle korrespondierte am 28. Oktober und am 10. Dezember 1580 mit der Herzogin Margarethe von Parma (1522–1586) über den „Dialo­ gus de pace“ und dessen möglichen Autor. Vgl. Poullet, Edmond, Piot, Charles (Hrsg.): Correspondance du Cardinal de Granvelle (1565–1586). Bd. 8. Brüssel 1890, 166, 207; dazu Geurts OFM, Pieter Antoon Marie: De Nederlandse Opstand in de Pamfletten 1566–1584. Nimwegen, Utrecht 1956, 93f, 241ff, 311; Heuser, Matal (wie Anm. 1), 365. 26 Zu Kaspar (Gaspar, Gaspard, Caspar) Schetz (Schets): Lossen, Albada (wie Anm. 13); Wauters, Alphonse: Gaspar Schetz, seigneur de Grobben­ donck, homme d’État (1513–1580). In: Biografie nationale de Belgique. Bd. 8. Brüssel 1884, 314–324; Louant, Armand: Gaspard Schetz, seigneur de Grobbendonck, facteur du roi d’Espagne à Anvers (1555–1561). In: An­ nales du congrès archéologique d’Anvers 1930. Antwerpen 1931, 315–328; Weis (wie Anm. 13), 353, 362. 27 Burmannus, Petrus (Hrsg.): Sylloges epistolarum a viris illustribus scripta­ rum tomi quinque. Leiden (Apud Samuelem Luchtmans) 1727. 24

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ersten Band seiner „Analecta Belgica“ erneut publizierte28. Biblio­ thekskataloge schreiben die Autorzuweisung bis heute fort. Eine Autopsie von Exemplaren des Kölner Erstdrucks des „Dialo­ gus de pace“, die gegenwärtig noch in europäischen Bibliotheken und Sammlungen vorliegen, fördert vor diesem Hintergrund einen interessanten Befund zutage: Jean Matal, dessen Verlautbarung ge­ genüber Heinrich Botter in Köln wir die Autorzuweisung einer „Oratio de pace“, die 1579 während des Kölner Friedenskongresses anonym publiziert worden sei, an Pedro Ximénez verdanken29, war im selben Jahr 1579 höchstpersönlich mit der Distribution des Köl­ ner Untergrunddruckes des „Dialogus de pace“ befasst. Das Exem­ plar der Kölner Ausgabe des „Dialogus de pace“ in der Universi­ tätsbibliothek Groningen, dessen Autorschaft auch im dortigen Bibliothekskatalog Kaspar Schetz zugewiesen wird30, enthält auf dem Titelblatt die eigenhändige Widmung Livino. Torrentio. viro. clariss. Io. M. S. (= Livino Torrentio viro clarissimo Ioannes Metellus Sequanus), geschrieben in der schönen humanistischen Kapita­ lis Matals. Das Autograf bezeugt, dass Matal selbst es war, der Lie­ vin van der Beken alias Laevinus Torrentius (1525–1595), einem der bedeutendsten kirchlichen Funktionäre der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in den südlichen Niederlanden, den Kölner Unter­ grunddruck zur Kenntnis gab. Torrentius, der im Jahre 1557 Be­ rater des Fürstbischofs von Lüttich Robert de Berghes (um 1520– 1567) wurde, später zum Archidiakon, dann zum Generalvikar des Lütticher Fürstbischofs aufstieg und 1587–1595 Bischof von Ant­ werpen war, hatte Matal in den frühen 1550er Jahren in den huma­ nistischen Antiquarszirkeln im Umfeld der römischen Kurie ken­ nengelernt. Anschließend (1558–1562) hatten beide demselben Humanistenzirkel in Lüttich angehört. Später verschlechterten sich ihre Beziehungen in dem Maße, wie Torrentius seine Karriere in der tridentinischen Konfessionskirche vorantrieb31. 28

Burmannus Secundus, Petrus (Hrsg.): Analecta Belgica. Tl. 1: continens Casparis Scheti Corvini, Wesemaliae baronis, Grobbendoncki toparchae, etc., opuscula partim inedita partim edita. Leiden (Apud Cornelis van Hoogeveen jun.) 1772. 29 Vgl. 389f. 30 UB Groningen, uklu VC 90:1. 31 Zur Beziehung Matal – Torrentius: Heuser, Matal (wie Anm. 1), bes. 174ff, 181f, 252f, 358, 369–372, 412ff (dort die wichtigste Literatur); außerdem Laureys, Mark: Torrentius und Horaz. In: Astrid Steiner-Weber, Thomas

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Das Autograf in der Universitätsbibliothek Groningen ist ange­ sichts der engen Kooperation, die Matal und Ximénez seit den 1570er Jahren bei der Planung und Umsetzung ihrer irenischen Aktivitäten praktizierten, ein Befund von besonderem Wert. Kei­ neswegs zufällig notierte der italienische Glaubensflüchtling Pie­ tro Bizzarri (1525 – nach 1586) in seiner Geschichte der Republik Genua gerade 1579, im Jahr des Kölner Kongresses, beeindruckt, keiner von beiden tue etwas, worin nicht wenigstens ein geheimes Einverständnis, eine tacita consensio, zwischen ihnen bestehe32: Clarissimi viri Ioannis Metelli Sequani iuris utriusque doctoris, mihi iure consuetudinis et hospitalitatis coniunctissimi, cuius equidem nunquam meminisse possum, quin statim etiam subeat dulcissima praestantissimi viri d. d. Petri Ximenii recordatio, praesertim cum ipsi ita invicem sint multis nominibus devincti, ut raro aliqua officia alteruter praestet, quin tacita consensione uterque in iisdem consentiat. Der Beleg, dass Matal 1579 mit der Distribution des „Dialo­ gus de pace“ befasst war, passt sich zwanglos in die Arbeitsteilung ein, die der Zirkel um Ximénez und Matal seit mindestens Mitte der 1570er Jahre bei der Durchführung politischer Projekte prakti­ zierte. Im Frühjahr 1575 hatte Matal einen Friedensplan an Wilhelm von Oranien (1533–1584) übermittelt, den der spanische Hofhisto­ riograf Fadrique Furió Ceriol (1527–1592) zur Befriedung des Kon­ flikts zwischen Spanien und den Niederlanden entworfen hatte33. Furió Ceriol war ein bedeutender Staatsdenker des 16. Jahrhun­ derts, dessen Überlegungen zur Gewaltenteilung erst von der For­ A. Schmitz, Mark Laureys (Hrsg.): Bilder der Antike. (Super alta perennis. Studien zur Wirkung der Klassischen Antike, 1) Bonn 2007, 127–144, 129. 32 Bizzarri, Pietro: Senatus populique Genuensis rerum domi forisque ges­ tarum historiae atque annales. Cum luculenta variarum rerum cognitione dignissimarum, quae diversis temporibus et potissimum hac nostra tem­ pestate contigerunt, enarratione auctore Petro Bizaro Sentinati. Antwerpen (Ex officina Christophori Plantini, architypographi regii) 1579 (benutztes Exemplar: BSB München, 2 Ital. 26), 376. Zu Bizzarri: einführend Firpo, Massimo: Pietro Bizzarri, esule italiano del Cinquecento. (Università di To­ rino, Facoltà di Lettere e Filosofia, Storia, 3) Turin 1971; Heuser, Matal (wie Anm. 1), 363, 396; Overell, Anne: Italian Reform and English Refor­ mations, c. 1535 – c. 1585 (Catholic Christendom, 1300–1700). Aldershot, Burlington/VT 2008. 33 Heuser, Matal (wie Anm. 1), 430–434. Zur Verbindung zwischen Matal und Furió Ceriol: ebd., 143f, 162, 191–194, 205ff, 217, 222, 272, 346, 377, 397, 416, 438.

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schung des 20. Jahrhunderts wieder in ihrer politik- und rechtshis­ torischen Tragweite erkannt worden sind34. Heute erinnert das Departamento de Derecho Constitucional y Ciencia Política y de la Administración der spanischen Universität Valencia mit einem nach Furió Ceriol benannten Lehrstuhl an den Staatstheoretiker und gibt seit 1992 die „Cuadernos constitucionales de la cátedra Fadrique Furió Ceriol“ heraus. In den 1550er Jahren hatte der Humanist als Student in Löwen zu einem nonkonformistischen Zirkel gehört, der sich bei Pedro Ximénez traf, um theologische und moralphilo­ sophische Fragen zu erörtern35. Beide hatten unter Häresieverdacht aus Löwen fliehen müssen und das Zentrum ihrer Aktivitäten um 1560 nach Lüttich verlegt36, wo Matal zu ihrem Zirkel stieß. 1564 wurde Furió Ceriol von König Philipp II. von Spanien amnes­ tiert, kehrte nach Spanien zurück und wurde Historiograf des Kö­ nigs. Am spanischen Königshof integrierte er sich in eine politische Faktion, die sich um mehrere einflussreiche Mitglieder des spa­ nischen Hochadels gruppierte37: um den Staatsrat Ruy Gómez de Silva, den Fürsten von Eboli und Grafen von Melito (1516–1573), dessen Schwiegervater Don Diego de Mendoza, Herzog von Fran­ cavilla (†1578), und den Erasmianer Kardinal Francisco de Men­ doza y Bobadilla, Bischof von Burgos (1508–1566). Gómez de Sil­ va profilierte sich als Gegenspieler der Kriegspartei am spanischen Hof um Don Fernando Álvarez de Toledo y Pimentel, den dritten Herzog von Alba (1507–1582), kritisierte dessen Gewaltpolitik in den Niederlanden und interessierte sich für Handlungsalternativen im niederländisch-spanischen Konflikt, wie sie Furió Ceriol ent­ warf. Bereits 1566 hatte Furió Ceriol für König Philipp II. ein Gutachten über die spanischen Niederlande ausgearbeitet, die „Avisos acerca de los estados baxos“, die scharfsinnig die Ursachen der Konflikte analysierten, die dort wenig später zum offenen Aufstand gegen die spanische Herrschaft führten. Furió Ceriol forderte Konzessionen der spanischen Krone vor allem auf religiösem Gebiet, um so die Spannungen abzubauen, die zwischen der Zentralregierung und den niederländischen Untertanen entstanden waren. Mit Nachdruck 34

Ebd., 193. Ebd., 188–208. 36 Ebd. 37 Dazu zusammenfassend ebd., 431f. 35

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warnte er davor, auf die Karte der Gewalt und einer militärischen Intervention zu setzen. Denn, so formulierte Furió Ceriol hellsich­ tig: Dela fuerça se sigue el descontento, el descontento causa odio, del odio salen cõtiendas, i destas los alborotos, sediciones, muertes i perdidas de Republicas38. König Philipp II. folgte jedoch nicht den Argumenten der moderaten Partei um Ruy Gómez de Silva, de­ ren Sprachrohr Furió Ceriol war, sondern setzte auf den Herzog Alba, dessen Faktion auf eine schnelle militärische Lösung der Kri­ se drängte. Erst als die Militärdiktatur Albas in den spanischen Niederlan­ den gescheitert war, bot sich erneut eine Chance, Alternativen zur Kriegspolitik Spaniens aufzuzeigen und am spanischen Hof auf eine Politik der Konzessionen in den Niederlanden zu drängen. Diesmal fand die Faktion der Moderaten das Ohr König Philipps II., und dieser schickte Furió Ceriol 1574 in die Niederlande, um Möglich­ keiten für einen Frieden mit den Aufständischen zu sondieren39. Furió rekapitulierte die Ergebnisse seiner Mission in mehreren Gutachten, die von seinem politischen Weitblick zeugen, den „Re­ medios dados por Fadrique Furió Ceriol para el sosiego de las alter­ aciones de los países Vajos de los Estados de Flandes“40, dem „Dis­ curso sobre la quiete de estos estados“41 sowie in einem Schreiben an Ruy Gómez de Silva42. Außerdem entwarf Furió Ceriol zehn Friedensartikel43, deren his­ torischen Rang bereits der Pariser Parlamentspräsident und Histo­ riker Jacques-Auguste de Thou erkannte und die als Grundlage für Friedensverhandlungen zwischen den Aufständischen und Spani­ 38 Zusammenfassend

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Lagomarsino, David: Furió Ceriol y sus „Avisos acer­ ca de los Estados Bajos“. In: Bulletin Hispanique 80 (1978), 88–107, 98, 106; ausführlich Lagomarsino, David: Court factions and the formulation of Spanish policy towards the Netherlands (1559–1567). Ph. D. disserta­ tion, University of Cambridge 1973. Mechoulan, Henri: Raison et altérité chez Fadrique Furió Ceriol, philo­ sophe politique espagnol du XVIe siècle. Introduction, édition, traduction du „Concejo y Consejeros del Príncipe“, suivies de notes et de documents inédits. Paris, Den Haag 1973, 37 datiert seinen Aufenthalt in den Nieder­ landen von 1574 bis 1577. Ebd., 228–234. Ebd., 237–240. Ebd., 222–226. Ediert ebd., 235f.

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en dienen sollten44. Nach dem Scheitern der Friedensverhandlungen von Breda Mitte Juli 1575 entschlossen sich Furió Ceriol und sei­ ne Mitstreiter, die Artikel eigenmächtig dem Fürsten Wilhelm von Oranien zuzuspielen. Jean Matal organisierte von Köln aus die Übergabe der articuli an Oranien, Belgicae pacificandi studio quodam permotus45. Die Artikel, die Furió Ceriol zusammengestellt hatte, mahnten die Konfliktparteien einleitend zu aufrichtiger Friedensbereitschaft (Artikel 1). Sie erinnerten an die Aufgabe christlicher Fürsten, ge­ meinsam Front gegenüber äußeren Bedrohungen wie den Osmanen zu machen, und ermahnten sie, sich nicht wechselseitig zu schwä­ chen (Art. 2). Keine Partei dürfe ihr Eigeninteresse über die Interes­ sen der Allgemeinheit stellen (Art. 1) und, indem sie rücksichtslos auf ihren Rechtspositionen beharre (summum ius consectetur), dem Gemeinwohl (salus et quies publica) schaden (Art. 3). Die Konflikt­ parteien verpflichteten sich zur Wiederherstellung des Vorkriegs­ zustandes, zur wechselseitigen restitutio in integrum (Art. 4): Kö­ nig Philipp II. sagte zu, alle Konfiskationen zu widerrufen und die Aufständischen wieder in ihren Besitz und ihre früheren Ehren­ stellungen einzusetzen (non in bona solum, sed etiam in nomen et honores). Im Gegenzug erkannten die Restituierten die legitimen Herrschaftsrechte des Königs in den Niederlanden an und leisteten ihm Ehrerbietung und Gehorsam. Alle fremden Soldaten – sowohl 44

Thou, Jacques-Auguste de: Historiarum sui temporis ab anno domini 1543. usque ad annum 1607 libri CXXXVIII. 4 Bde. Frankfurt am Main (Excudebatur Typis Egenolphi Emmelii, impensis Petri Kopffii, et Baltha­ saris Ostern) 1625–1628, hier Bd. 2, 1625 (benutztes Exemplar: USB Köln, GB XI 458+C), 108f; zur Friedensinitiative vgl. Gilly, Carlos: Spanien und der Basler Buchdruck bis 1600. Ein Querschnitt durch die spanische Geis­ tesgeschichte aus der Sicht einer europäischen Buchdruckerstadt. (Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft, 151) Basel, Frankfurt am Main 1985, 197–200. 45 Aitzing, Michael Freiherr von: De leone Belgico eiusque topographica atque historica descriptione liber [...], Michaele Aitsingero Austriaco auc­ tore. Köln (Impressit Gerardus Campensis [...] impensis Francisci Hogen­ bergii) 1583 (benutztes Exemplar: BSB München, 2 Belg. 2), 207: Sub idem tempus Ioannes Matalius Metellus Sequanus iurisconsultus v. c., Belgicae pacificandi studio quodam permotus, misit Auriaco rogatu et nomine Friderici Furii Caeriolani Valentini historici nobilisque domestici Philippi Hispaniarum regis, formulam, ex qua ratio pacis inter regem et ordines Hollandiae et Zelandiae iis confoederatos iniri posse videbatur.

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die spanischen Truppen als auch die ausländischen Hilfstruppen der Aufständischen – waren nach dem Friedensschluss aus den Nieder­ landen abzuziehen (Art. 7). Der König verzichtete darauf, neuartige Steuern zu erheben (Art. 6) und eine Inquisition nach spanischem Muster einzurichten (ne scilicet inquisitio – nec enim instituta est – ulla sit: Art. 6). Die Religionsgesetze Kaiser Karls V. und Philipps II. sollten im Konsens aller Parteien gemildert werden (edictorum [de religione] vero moderatio excogitetur et fiat de communi omnium consensu, consilio atque sententia: Art. 6), die territorialen Grundsätze des Augsburger Religionsfriedens auch für die Nieder­ lande in Kraft gesetzt werden, sodass die Protestanten die Option hatten, sich entweder mit der römischen Kirche zu versöhnen oder auszuwandern, wobei sie ihren Besitz entweder mitnehmen oder frei verkaufen durften (Art. 6). Alle Beteiligten verpflichteten sich, die Vertragsbestimmungen einzuhalten (Art. 5). Die Verwandt­ schafts- und Heiratsbeziehungen, die zwischen dem Haus OranienNassau und spanischen Granden bestanden, sollten zur Vertrauens­ bildung zwischen den Konfliktparteien genutzt werden (Art. 8 und 9). Furió Ceriol verpflichtete sich, den spanischen König und den Fürsten Eboli zur Ratifizierung der articuli pacis zu bewegen (Art. 10), wozu er die bereits genannten Gutachten verfasste46. Die Friedensinitiative Furió Ceriols, die Matal an Oranien lancierte, scheiterte jedoch am Misstrauen der Konfliktparteien und geriet in Vergessenheit47. Wir wissen von ihr allein durch Michael von Ait­ zing, der den niederländischen Aufstand als Agent Kaiser Maxi­ milians II. miterlebte, mit Matal befreundet war und in Köln die periodischen Messrelationen erfand48. Aitzing publizierte den Frie­ densplan 1583 in seinem „Leo Belgicus“49, Richard Dinoth über­ nahm Aitzings Bericht in seine „De bello belgico libri VI“ (Basel 46

Gilly (wie Anm. 44), 200. Dinoth, Richard: De bello civili Belgico libri VI. Quod ab anno LV. in an­ num XXCVI. vario eventu gestum est. Basel (Per Conradum Waldkirch) 1586 (benutztes Exemplar: USB Köln, WB III+8/39), 173; Thou, Historiae II (wie Anm. 44), 109; Mechoulan (wie Anm. 39), 236. 48 Zur Verbindung zwischen Aitzing und Matal: Heuser, Matal (wie Anm. 1), 386ff, 416f, 421, 434. 49 Aitzing (wie Anm. 45), 207, 210f. In der erweiterten Neuauflage des „Leo Belgicus“ von 1588 bleibt der Friedensplan hingegen ungedruckt. Auch über die diplomatische Zusammenarbeit von Matal und Furió Ceriol so­ wie über die Vermittlungsaktion bei Oranien verlautet 1588 nichts mehr. 47

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1586)50, und auch Jacques-Auguste de Thou fußt in den „Historiae sui temporis“ auf Aitzings Bericht51. Wenn der Jurist Bartholomäus Bodeghem (†1609) aus Delft im Jah­ re 1577, ein Jahr vor seiner Berufung zum Offizial des Erzbischofs von Trier, Matals Geschick bei Friedensverhandlungen pries, seine singularis [...] de civilibus belli pacisque negotiis prudentia52, so darf aufgrund dieser Aussage, die auf den Krieg in den Niederlanden an­ spielt, vermutet werden, Bodeghem habe gewusst, dass Matal in die Friedensinitiative von 1575 involviert war. 1579, im Umfeld des Kölner Friedenskongresses, in den Ximénez und Matal große Hoffnungen setzten, übernahm Matal nach dem­ selben Muster wie 1575 die Außenvertretung des Zirkels, um des­ sen religiöse, kirchliche und politische Konzepte zu propagieren. Bereits vor Kongressbeginn hatte Matal seine Kontakte zu einfluss­ reichen Gelehrten im Umfeld der römischen Kurie aktiviert, um die Kurie für einen Friedensplan zu gewinnen, den der Zirkel ausge­ arbeitet hatte. Matal wählte den Weg über Georgius Ticinius (um 1512–1586), den Agenten des Königs von Polen in Rom und Bera­ ter des Kardinals Stanislaus Hosius (1504–1579), sowie über Kardi­ nal Guglielmo Sirleto (1514–1585), um das Projekt dem Papst na­ hezubringen53. Leider konnte der Plan von April 1579 bislang nicht im Wortlaut ermittelt werden; infolgedessen ist über dessen Ver­ hältnis zum Friedensplan Furió Ceriols von 1575 und über textliche Beziehungen zum „Dialogus de pace“ vom 1. September 1579 keine Aussage möglich. Die autografe Widmung Matals an Laevinus Torrentius, die sich auf dem Exemplar des „Dialogus de pace“ von 1579 in der Uni­ versitätsbibliothek Groningen erhalten hat, deutet darauf hin, dass

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Aitzing wird die entsprechenden Änderungen auf Wunsch Matals durchge­ führt haben, des auf sein Inkognito bedachten accuratissimus silentii cultor. Dinoth (wie Anm. 47), 171ff. Mechoulan (wie Anm. 39), 235f. Bodeghem an Matal in Köln, Köln 1577 September 1; Druck: Osório da Fonseca, Jerónimo: De gloria libri quinque, De nobilitate civili et christia­ na libri totidem. Basel (Ex Officina Pernea) 1584 (benutztes Exemplar: BSB München, Ph. pr. 900), *3. Matal an Kardinal Guglielmo Sirleto in Rom, Köln 1579 April 24 (Ausfer­ tigung: Vatikanstadt, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Vat. lat. 6193, II, fol. 411’–412). Zur Friedensinitiative Matals von April 1579 zusammenfassend Heuser, Matal (wie Anm. 1), 434ff.

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der Kölner Zirkel um Ximénez und Matal seine irenischen Akti­ vitäten auch während des Kölner Friedenskongresses von 1579 in gewohnter Arbeitsteilung fortsetzte. Die Unterstützung, die der kaiserliche Rat Daniel Prinz (1546–1608), der als Mitglied der kai­ serlichen Kommission am Kölner Friedenskongress teilnahm, Matal in den Folgejahren gewährte54, dürfte in dieser intellektuellen Be­ gleitung des Kölner Kongresses durch beide Ireniker ihre Ursache haben. Die plausible, auch im „VD 16“ vorgeschlagene Zuschreibung des Kölner Untergrunddruckes an die Kölner Offizin Gottfrieds von Kempen55, die nur durch eine technische Untersuchung des Druckes endgültig abzusichern sein wird, welche die buchwissen­ schaftlichen Kompetenzen des Verfassers dieser Zeilen übersteigt, passt sich dem bisher gesicherten äußeren Befund zwanglos ein. Nimmt man an, dass Ximénez und Matal den Untergrunddruck lanciert haben, wäre der Rückgriff auf Kempen als Drucker jeden­ falls folgerichtig gewesen. Kempen, dessen Offizin ab 1577 arbei­ tete, war in den ersten Jahren vor allem als Lohndrucker für das große Druck- und Verlagshaus Birckmann tätig gewesen, mit dem Matal seit den frühen 1560er Jahren eng kooperierte56. Kempen war um 1580 der Drucker verschiedener Bücher, deren Entstehung und Drucklegung Matal förderte: Hinzuweisen ist auf Publikationen von Michael von Aitzing, dem Astronomen Albert van Leeuwen (Albertus Leoninus), dem Herren zu Grönewoude57, außerdem auf das Großprojekt des Kölner Städtebuches, des so genannten BraunHogenberg58. Die vorgetragenen äußeren Befunde rechtfertigen den Versuch, den „Dialogus de pace“ von 1579 vor der Folie der irenischen Aktivi­ täten sowie der religiösen und kirchenpolitischen Auffassungen zu lesen, die aus der zweiten Hälfte der 1570er Jahre von Ximénez und Matal bekannt sind. 54

55 56 57 58

Dazu zuletzt Heuser, Peter Arnold: „Tabula asinaria, inscitiae saeculi vi­ vum exemplum” (Köln 1582 und 1612). Zur historischen Verortung eines zeitkritischen illustrierten Flugblattes. In: Rheinische Vierteljahrsblätter 76 (2012), 123–151, hier 142. Vgl. 394. Heuser, Matal (wie Anm. 1), 378–381. Heuser, Tabula asinaria (wie Anm. 54), 145f. Heuser, Matal (wie Anm. 1), 390–393.

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2. Zur Autorschaft des „Dialogus de pace“ von 1579: inhaltliche Befunde Der „Dialogus de pace“ entfaltet auf 203 Druckseiten ein fiktives Gespräch zwischen König Philipp II. von Spanien (1527–1598) und Alexander Farnese (1545–1592)59, dem Herzog von Parma und Statthalter der spanischen Niederlande, über die Möglichkeiten ei­ ner Befriedung des niederländisch-spanischen Konfliktes. Parma habe – so die Fiktion – vor wenigen Tagen von einem ungenannten Gelehrten einen Friedensplan für die Niederlande erhalten60. Dieser Plan sei so überzeugend, dass Parma nun in direktem Gespräch ver­ suche, König Philipp II. für einen Friedensschluss auf der Basis des Planes des anonymen Gelehrten zu gewinnen. In der Tradition der sokratischen Dialoge ist der „Dialogus de pace“ ein erforschender Dialog, zugleich ein Lehrdialog, der dem Wissenden – Parma, des­ sen Redepartien durch den Titel dux angezeigt werden – einen weit größeren Text- und Redeanteil einräumt als dem zu Überzeugenden – König Philipp II. von Spanien, dessen Redepartien das Stichwort rex anzeigt und der sich schließlich zur Argumentation Parmas be­ kehrt. Der rhetorisch durchkomponierte Textanteil Parmas ist wie­ derholt als oratio gekennzeichnet61, ist somit eine oratio de pace im Sinne Heinrich Botters62. Der „Dialogus“ betont die Notwendigkeit, den angestrebten Frie­ den zwischen der spanischen Krone und den aufständischen Pro­ vinzen auf eine uneingeschränkte Amnestie zu gründen: Alle Parteinahme für eine der Konfliktparteien, alle Beteiligung an Kampfhandlungen sowie jede Unrechtshandlung, welche Militärs oder Paramilitärs, Amtsträger oder Anhänger der beiden Konflikt­ parteien im Laufe der Unruhen begangen haben, soll mit dem Frie­ densschluss dem Vergessen (oblivio) anheimfallen und straffrei blei­ ben63. Der Frieden ist gemäß dem Grundsatz einer Restitution aller zu schließen, die durch den Konflikt ihre Besitzungen, Ämter oder 59 60 61 62 63

So der Kölner Erstdruck des Dialogus de pace, [Köln] 1579 (wie Anm. 16). Ebd., 4: Accepi hisce diebus, clementissime Rex, quoddam de pace hac Belgica constituenda eruditi cuiusdam viri iudicium. Ebd., 64, 112. Vgl. 389. Dialogus de pace, [Köln] 1579 (wie Anm. 16), 24f, 30, 64, 158, 181.

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Ehrenstellungen verloren haben64. Im Gegenzug räumen die Auf­ ständischen König Philipp II. von Spanien alle Autorität und alle Rechte ein, die ihm gemäß alter Privilegien in den niederländischen Provinzen zustehen65. Der „Dialogus“ plädiert für religiöse Gewis­ sensfreiheit, die Katholiken, Lutheranern und Kalvinisten überall in den Niederlanden zugute kommen soll; Anhänger aller drei Kon­ fessionen sollen Zugang zu öffentlichen Ämtern haben66. Die Frie­ densschrift spricht der Sicherung der privaten Gewissensfreiheit in Religionsdingen einen hohen konfliktvermindernden Wert zu, selbst wenn mit ihr kein exercitium publicum, keine freie öffentliche Religionsausübung, verbunden ist. Ausdrücklich verweist der ano­ nyme Verfasser in diesem Zusammenhang auf eine entsprechende Praxis in der reichsfreien Stadt Köln, in qua nunc agimus67. In defi­ nierten Grenzen erklärt es der Dialogus für unumgänglich, den nie­ derländischen Protestanten über die in der Genter Pazifikation von 1576 gemachten Zugeständnisse hinaus die freie öffentliche Religi­ onsausübung zu gestatten68: In Holland und Seeland sollen nicht alleine die Kalvinisten das Recht erhalten, ihre Gottesdienste öf­ fentlich zu feiern, sondern auch die Katholiken, denen in beiden Provinzen ein öffentliches Religionsexerzitium wenigstens in zwei Städten einzuräumen ist. Außerhalb der beiden Provinzen sollen auch die Kalvinisten an vereinbarten Orten das Recht haben, ihren Glauben öffentlich auszuüben. Die vereinbarten konfessionellen Konzessionen müssen dauerhaft sein69. Darüber hinaus ventiliert der „Dialogus“ eine Regelung, die sowohl Katholiken als auch Lu­ theranern und Kalvinisten, die in einer niederländischen Stadt eine gewisse Anzahl von Gläubigen umfassen, dort jeweils ein Gottes­ 64 65 66

67

68 69

Ebd., 157–166. Ebd., 166ff. Ebd., 150f: Quinta ac postrema cautio sit, quia liberae futurae sunt et in Hollandia et Zelandia Catholicorum et in aliis Provinciis protestantium conscientiae, hoc est, quia omnes ubique tuto profiteri poterunt, cuius sint Religionis, ut nemo Religionis nomine, vel in his, vel in illis Provinciis inidoneus ad Senatoris vel Consiliarii, vel cuiuscunque alterius magistratus munus gerendum repelli queat. Ebd., 75: Alterum haec ipsa in qua nunc agimus Colonia, et aliae pleraeque Germaniae Civitates, in quibus libera unicuique relinquitur absque publico tamen exercitio, quicquid ipsi probatur sentiendi potestas. Zum Folgenden: ebd., 9–15, 40–45, 67–112, 168–171. Ebd., 171ff.

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haus einräumt70. Ausführliche Erörterungen gelten den wechselsei­ tigen Sicherheiten (cautiones) und Garantien, welche den Frieden auf Dauer sichern sollen71. Die vertragschließenden Parteien ver­ pflichten sich, öffentlich ausgetragene konfessionelle Kontroversen, vor allem Hasspredigten, einzudämmen72. Die Pfarrer und Predi­ ger auch der „neuen Religion“ werden verpflichtet, dem Friedens­ schwur durch Unterschrift beizutreten73. Inhaltlich nimmt der Friedensplan, den der „Dialogus de pace“ von 1579 propagiert – mit den Grundsätzen a) einer allgemeinen Am­ nestie, b) einer Restitution aller, die durch den Konflikt ihre Besit­ zungen, Ämter oder Ehrenstellungen verloren haben sowie c) der öffentlichen Religionsausübung in definierten Grenzen für Katho­ liken, Lutheraner und Kalvinisten – zentrale Vereinbarungen jener großen Friedensverträge vorweg, die der Westfälische Friedenskon­ gress mehr als ein halbes Jahrhundert später, zwischen 1643 und 1648, in Münster und Osnabrück erarbeitet hat: des spanisch-nie­ derländischen Friedensvertrages vom 30. Januar 1648 (Unterzeich­ nung der Unterhändlerurkunden) beziehungsweise vom 15. Mai 1648 (Austausch der Ratifikationsurkunden), der den Achtzigjäh­ rigen Krieg in Belgien und den Niederlanden beendete, sowie der beiden Friedensinstrumente von Münster und Osnabrück vom 24. Oktober 1648, welche den Dreißigjährigen Krieg in Mitteleuropa beendet haben. Der „Dialogus“ greift mit den Grundsätzen von Amnestie und Re­ stitution sowie im Einsatz für eine konsensuale Abkehr von den Religionsedikten Kaiser Karls V. und König Philipps II. von Spani­ en zentrale Aspekte des Friedensplanes des spanischen Hofhistorio­ grafen Fadrique Furió Ceriol auf, den Matal 1575 an Oranien wei­ tergeleitet hatte74. Zugleich geht der Friedensplan des „Dialogus“ in seinen Forderungen nach Gewissensfreiheit in Religionsangele­ genheiten, nach freiem Ämterzugang für Katholiken, Lutheraner 70

Ebd., 174ff. Ebd., 111–152: Eid und Sicherheitsleistungen der spanischen Krone gegen­ über den Aufständischen; 148–176: Sicherheitsleistungen der Aufständi­ schen gegenüber der spanischen Krone. 72 Ebd., 178–203. 73 Ebd., 156 (Sicherheitsleistungen der Aufständischen: Quam ob causam ministros potissimum novae ipsorum Religionis, huic formulae subscribere oportebit). 74 Vgl. 400–403. 71

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und Kalvinisten überall in den Niederlanden, schließlich in seinen Konzepten für eine öffentliche Religionsausübung aller drei Kon­ fessionen in definierten Grenzen erheblich über die Regelungen der Genter Pazifikation von 1576 hinaus, transzendiert aber auch die Vermittlungsvorschläge zur Gestaltung des religiös-konfessionellen Lebens in den Niederlanden, welche die kaiserlichen Mediatoren beim Kölner Friedenskongress im Juli 1579 vorgelegt hatten75. Ein ausdrücklicher Bezug auf den Stand, den die Kölner Friedensver­ handlungen zum 1. September 1579 erreicht hatten, ist im „Dialo­ gus“ nicht intendiert. Hinsichtlich der verwendeten Schlüsselwörter fügt sich der „Dia­ logus“ uneingeschränkt in die Sprache ein, die für die Irenik Cas­ sanders, Ximénez’ und Matals sowie für ihre Selbstbeschreibung als viri moderati charakteristisch ist76. Das gilt für die Betonung der Vierheit von pietas, virtus, moderatio und doctrina beziehungsweise eruditio bereits im Titel, als Epitheta des anonymen Autors, ebenso wie für den prononcierten Diskurs über die aequitas, der den „Di­ alogus“ durchzieht sowie mit Blick auf die Ziele der irenischen Be­ strebungen, das temperamentum beziehungsweise die compositio der Konflikte, die mit der Glaubensspaltung entstanden waren (so schon der Untertitel des „Dialogus“), die Wiederherstellung von concordia, pax und tranquillitas in der Christenheit. Charakteristisch ist auch das Fehlen jeglicher Anrufung von Heili­ gen. Mittelpunkt der Religiosität des anonymen Verfassers ist Gott selbst77; seine Frömmigkeit ist christozentrisch und zielt auf die Nachfolge und imitatio Christi und der Apostel78, unter denen der Heidenapostel Paulus hervorgehoben wird79; Richtschnur des Ver­ 75

Vgl. 392f. Zu den Details und Implikationen: Heuser, Matal (wie Anm. 1), bes. 317– 446. 77 Beispiele: Dialogus de pace, [Köln] 1579 (wie Anm. 16), 2 (atque unum Deum ob oculos habens), 6 (quid etiam ipse Deus Optimus Maximus et qui illi adsunt beati Spiritus, de nobis sensuri sunt [...]; id tantum sequaris quod per rectam rationem Deus ipse hoc tempore a te exigit), 18 (ratio, aequitas vel Deus potius iubeat). 78 Beispiele: ebd., 179 (turpe enim fuerit, nos in longe levioribus peccatis non imitari Christi atque Apostolorum aequitatem), 185 (nos veros Christi discipulos hac in parte non futuros, si [...]; si Christi inquam et Apostolorum imitatores esse volumus). 79 Beispiele: ebd., 5, 114. 76

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fassers ist die Christiana charitas80. Charakteristisch ist weiterhin das dichte Geflecht von Wechselbeziehungen, das der „Dialogus“ zwischen Bibelzitaten81, Verweisen auf Kirchenväter82, vor allem auf Augustinus, Zitaten liturgischer Texte83 und Klassikerzitaten84 ent­ faltet, ebenso die breite Nutzung geschichtlicher Exempla als Ar­ gument85. Charakteristisch ist ferner das breitgefächerte staatstheo­ retische Interesse des Verfassers, vor allem sein Interesse am Thema der Gewaltenteilung86, das den anonymen Autor mit den staatsthe­ oretischen Auffassungen Furió Ceriols verbindet. Der irenische Humanist Petrus Ximenius Hispanus in Köln kann mit Blick auf die skizzierten Inhalte uneingeschränkt der Verfas­ ser des „Dialogus de pace“ gewesen sein; der „Dialogus“ entspricht den religiösen und (kirchen-)politischen Auffassungen des ire­ nischen Zirkels um Ximénez und Matal. Andere Orationes de pace, die im Umfeld des Kölner Friedenskon­ gresses von 1579 publiziert worden sind, erfüllen diese inhaltlichen Kriterien nicht. Die anonyme Abhandlung „Ad Belgii ordines ex­ hortatoria ad pacem oratio“ etwa, die auf den 7. Oktober (nonis octobris) des Jahres 1579 datiert ist87, verfolgt ein begrenztes Ziel im Rahmen des Kölner Friedenskongresses: Der ungenannte Autor plädiert für einen spanisch-niederländischen Frieden auf der Ba­ sis des Vermittlungsvorschlages der kaiserlichen Kommissare von Juli 1579, dem die spanische Kongressgesandtschaft unter Terrano­ va bereits zugestimmt hatte. Die „Oratio exhortatoria ad pacem“ ist die Stellungnahme eines belgischen Katholiken, der versucht, die in sich zerstrittene zehnköpfige Delegation der niederländischen Pro­ 80 Beispiele:

ebd., 92, 94, 97. ebd., 57ff, 61, 87, 89, 179f, 191, 201. 82 Beispiele: ebd., 21, 186f, 189, 192, 196. 83 Beispiel: ebd., 187 (Symbolum Apostolorum, Niceni et Athanasii Symbolis). 84 Beispiele: ebd., 22 (Sokrates/Platon), 180 (Cicero). 85 Beispiel: ebd., 37–40 (Tolerierung der Juden durch christliche Herrscher; Arianer; Hussiten). 86 Beispiele: ebd., 152 (quin nihil magis huic scopo [= paci] adversetur, quam nimia partis alicuius potentia), 161 (Nihil enim, ut supra diximus, pacis concordiae et diuturnitati magis adversatur, quam nimia unius partis potentia). 87 Ad Belgii ordines exhortatoria ad pacem oratio: qua, belli causis, et rebus, quae inter ordines et Auriaci Principem actae sunt, summatim expli­ catis, quid pacem hactenus impedierit, quidque eam promovere debeat, os­ tenditu. S. l. 1579 (benutztes Exemplar: BSB München, Belg. 196 m). 81 Beispiele:

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vinzen, die sowohl katholische Gesandte aus den südlichen Pro­ vinzen als auch protestantische Gesandte aus dem Einflussbereich der Generalstaaten umfasste, für eine Zustimmung zum Vermitt­ lungsvorschlag der kaiserlichen Kommissare zu gewinnen. In seiner Gegnerschaft zu Wilhelm von Oranien, dessen clandestinas machinationes gegen einen spanisch-niederländischen Frieden breit aus­ geführt werden, wie in seiner Parteilichkeit zugunsten der nieder­ ländischen Katholiken ist der Text inkompatibel mit den politischen Konzepten und Zielen der Ireniker Ximénez und Matal in Köln und trägt weithin Züge eines Pamphlets gegen Oranien. Valerius Andreas hat die „Oratio exhortatoria ad pacem“ 1643 in seiner „Bibliotheca Belgica“ dem katholischen Kongressgesand­ ten Kaspar Schetz von Grobbendonk zugeschrieben und vermerkt, Schetz habe die Rede am 7. Oktober 1579 in Conventu Ordinum Belgii gehalten88. Burmannus secundus, der jüngere Pieter Burmann in Leiden, hat dieser Zuschreibung im Vorwort zum ersten Teil sei­ ner „Analecta Belgica“ unter fadenscheinigen Argumenten wider­ sprochen und Andreas vorgeworfen89, er habe die „Oratio exhorta­ toria“, die Burmann selbst gar nicht einsehen konnte (!)90, mit dem „Dialogus de pace“ verwechselt, den er Kaspar Schetz unter Ver­ weis auf einen Brief des bibliophilen Kanonikus von St. Rumold in Mecheln Carolus Maior (†1766) zuschreibt91. Gleichermaßen inkompatibel mit den Konzepten und Zielen der Ireniker Ximénez und Matal in Köln ist die 41 Seiten umfassende Abhandlung „Grondelicke Onderrichtingh aen de gemeene Ingese­ tenen van Nederlandt. Van tgroot gemack off ongemack, dat te ver­ wachten staet, in dien men den Peys, na sulcken Artykelen, als by de Cuervorsten, Vorsten, ende andere Commissarisen des Keyser­ licke Maiest. geraempt syn, aenneempt off affslaet“, die 1579 ano­ nym gedruckt wurde und ebenfalls Kaspar Schetz zugeschrieben worden ist92. 88

89 90 91 92

Andreas, Valerius: Bibliotheca Belgica. De Belgis vita scriptisque clarissi­ mis praemissa topographica Belgii totius seu Germaniae Inferioris descrip­ tione, Editio renovata, et tertia parte auctior. Leuven (Typis Iacobi Zegers) 1643 (ND Nieuwkoop 1973), 257. Burmannus, Analecta Belgica I (wie Anm. 28), 119ff. Ebd., 119. Ebd., 118f. Vgl. das Digitalisat bei „Early Modern Pamphlets Online (TEMPO) – Dutch Pamphlets“; am Textende der Vermerk: Gedaen den 1. Novemb.

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Fazit Letzte Sicherheit über die Autorschaft des „Dialogus de pace“ von 1579 wird sich erst gewinnen lassen, wenn jener unbekannte Frie­ densplan des Kölner Irenikerzirkels um den Spanier Pedro Xi­ ménez und den Burgunder Jean Matal wiederentdeckt wird, den Matal im April 1579 über Georgius Ticinius und Guglielmo Sirle­ to der römischen Kurie zur Kenntnis gab93. Die in Abschnitt 1 und 2 vorgetragenen äußeren und inneren Befunde rechtfertigen jedoch eine historische Verortung des „Dialogus“ in den irenischen Akti­ vitäten, welche die beiden Intellektuellen Ximénez und Matal im Umfeld des Kölner Friedenskongresses von 1579 entfaltet haben94. Die von dem Kölner Medizinprofessor Heinrich Botter überliefer­ te vertrauliche Mitteilung Matals, Pedro Ximénez sei der Verfasser einer „Oratio de pace“ gewesen, die während des Kölner Friedens­ kongresses anonym gedruckt worden sei,95 lässt sich plausibel allein auf den „Dialogus“ beziehen, an dessen Distribution Matal nach­ weislich beteiligt war. Die Zuschreibung des „Dialogus“ an Kaspar Schetz von Grobbendonk, auf den sich Pieter Burmann der Jüngere auf ganz unzureichender Quellenbasis festgelegt hat, ist deshalb ab­ zulehnen.

Anno 1579. By eenen Lieffhebber des vredens ende Welvaerens van tghemeen Vaderlandt. 93 Vgl. 403. 94 Zu den Implikationen des Begriffs: Schorn-Schütte, Luise: Einleitung: „Gelehrte“ oder „Intellektuelle“ im Europa des 16./17. Jahrhunderts? Un­ tersuchungen zur Geschichte des frühneuzeitlichen Bürgertums. In: Luise Schorn-Schütte (Hrsg.): Intellektuelle in der Frühen Neuzeit. (Wissenskul­ tur und Gesellschaftlicher Wandel, 38) Berlin 2010, 7–14; Treskow, Isabel­ la von: Geschichte der Intellektuellen in der Frühen Neuzeit. Standpunkte und Perspektiven der Forschung. In: Schorn-Schütte, Intellektuelle (wie oben), 15–32. 95 Vgl. 389.

Die Theatralität interkulturellen Friedens Damian Hugo von Virmont als kaiserlicher Grossbotschafter an der Hohen Pforte (1719/20)

von Arno Strohmeyer, Salzburg Einleitung Friedenspolitik besitzt eine symbolische Komponente. Das ist ge­ genwärtig so, gilt aber insbesondere für die Frühe Neuzeit, als poli­ tische Ordnungen unbedingt symbolisch-ritueller Verkörperungen bedurften und Wertvorstellungen gerade auf diese Weise manifes­ tiert werden mussten. Ein Musterbeispiel dafür ist die diploma­ tische Praxis, wie die Auseinandersetzungen um Reputation sowie die unzähligen Präzedenzstreitigkeiten bei Friedenskongressen vor Augen führen, die in den Akten oftmals besser dokumentiert sind als die Verhandlungen im engeren Sinn1. Wie verhielt es sich in der habsburgisch-osmanischen Diplomatie? Diese Frage wird im Folgenden anhand der Großbotschaften be­ antwortet, aufwendige und zeitlich befristete Sondergesandtschaf­ ten auf höchster diplomatischer Ebene, zu denen sich Habsbur­ ger und Osmanen – meist im Rahmen von Friedensverhandlungen – wechselseitig verpflichteten. Es handelte sich allerdings um kein

1

Vgl. zuletzt Rohrschneider, Michael: Das französische Präzedenzstreben im Zeitalter Ludwigs XIV.: Diplomatische Praxis – zeitgenössische Publi­ zistik – Rezeption in der frühen deutschen Zeremonialwissenschaft. In: Francia 36 (2009), 135–179; Rohrschneider, Michael: Reputation als Leit­ faktor in den internationalen Beziehungen der Frühen Neuzeit. In: Histo­ rische Zeitschrift 291 (2010), 331–352; Kriescher, André: Souveränität als sozialer Status: Zur Funktion des diplomatischen Zeremoniells in der Frü­ hen Neuzeit. In: Diplomatisches Zeremoniell in Europa und im mittleren Osten in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Ralph Kauz, Giorgo Rota und Jan Paul Niederkorn. (Archiv für österreichische Geschichte, 141) Wien 2009, 1–31.

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Arno Strohmeyer

Spezifikum der habsburgisch-osmanischen Beziehungen, denn bei­ spielsweise auch Polen-Litauen und Venedig fertigten an die Hohe Pforte derartige Missionen ab2. Zu ihren Hauptaufgaben zählten die Überbringung ratifizierter Ab­ kommen, Verhandlungen über die Freilassung von Gefangenen und die Überreichung von Geschenken. Manchmal mussten sie auch umstrittene Vertragsartikel klären, ein bereits bestehendes Abkom­ men verlängern oder Grenzstreitigkeiten beilegen. Bei der Aus­ handlung der positiv-rechtlichen Artikel von Friedensverträgen spielten sie keine bedeutende Rolle, weshalb ihnen die Forschung lange Zeit nur geringe Aufmerksamkeit schenkte3, obwohl sie bei der symbolischen Inszenierung des Friedens eine Schlüsselfunktion inne hatten. Einen Eindruck vom zeitgenössischen Verständnis dieser Missionen vermittelt Abbildung 1: Der Kupferstich zeigt Graf Wolfgang IV. von Oettingen-Wallerstein, der im Anschluss an den Frieden von Karlowitz (serbisch Sremski Karlovci) 1699 als Großbotschafter an die Hohe Pforte reiste. In der rechten Hand hält er einen Streitkol­ ben, der seine leitende Funktion symbolisiert. Über ihm schweben Allegorien der Pax und Justitia. Scheiben mit Devisen antiker Dich­ ter umgeben seine Figur und heben diplomatische Tugenden wie Loyalität, Gerechtigkeit und Unbestechlichkeit hervor. Der zwei­ te Rundschild links etwa zeigt einen Magnet mit dem Spruch: Non flectitur Auro (Das Gold verkehrt ihn nicht), ein Hinweis auf die Unbestechlichkeit, der dritte Schild rechts eine Scheibe mit einem Pfeil: Mittentis Vota secundat (Richtet alles herrlich aus), das heißt, 2 Vgl.

Grygorieva, Tetiana: Symbols and Perceptions of Diplomatic Cere­ mony: Ambassadors of the Polish-Lithuanian Commonwealth in Istanbul. In: Kommunikation durch symbolische Akte. Religiöse Heterogenität und politische Herrschaft in Polen-Litauen. Hrsg. von Yvonne Kleinmann. (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa, 35) Stuttgart 2010, 115–131; Eickhoff, Ekkehard: Die Selbstbehauptung Vene­ digs gegen das Osmanische Reich: Strategien und Agenten. In: Frieden und Konfliktmanagement in interkulturellen Räumen: Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Arno Strohmeyer und Norbert Spannenberger. (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa) Stuttgart 2013 (im Druck). 3 Vgl. etwa Teply, Karl: Kaiserliche Gesandtschaften ans Goldene Horn. Stuttgart 1968, 46, der von einem zunehmenden Mißverhältnis zwischen Aufwand und Bedeutung spricht.

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er trifft immer ins Schwarze. Auf der ersten Scheibe unter der Frie­ densgöttin befindet sich eine Taube mit einem Ölzweig im Schna­ bel4. Großbotschafter wurden somit auch als „Friedensbringer“ verstanden. Insgesamt gesehen waren diese Missionen ein essenzieller Bestand­ teil des Friedensprozesses. Unterblieben sie, drohte die Umsetzung der Verträge ins Stocken zu geraten, da ein Vertrauensbruch vorlag5. In ihnen fokussierte sich somit das Politikverständnis der Zeit: die Einheit von Herstellung und Darstellung des Friedens. Habsburgisch-osmanische Friedenspolitik war grundsätzlich kein einfaches Unterfangen. Wenngleich die Forschung in den letzten Jahren aufgezeigt hat, dass die bilateralen Beziehungen keineswegs nur kriegerisch waren, sondern es vielfältige Assimilations- und Transferprozesse gab, mussten doch fundamentale Brüche bewäl­ tigt werden: Ganz abgesehen von der Gegensätzlichkeit zwischen Christentum und Islam, die aufgrund der Verzahnung von Religion und Politik in alle Lebensbereiche wirkte, hatten sich die mit außer­ ordentlicher Grausamkeit geführten Türkenkriege im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung eingebrannt. Auf beiden Seiten zirku­ lierten, von der Herrscherpropaganda gefördert, Feindbilder und identitätsstiftende Alteritätskonstruktionen, die von einander ab­ grenzten. Zu erwähnen sind des Weiteren die durch imperiale Ideo­ logien aufgeladene machtpolitische Rivalität und das wechselseitige Bewusstsein zivilisatorischer Überlegenheit. Alles in allem suchten zwei sehr unterschiedliche politische Kulturen Frieden – die Groß­ botschafter hatten ihn zu symbolisieren. In welcher Form sie das bewerkstelligten, welche Vorstellungen und Orientierungen da­ 4 Vgl.

Trauth, Nina: Maske und Person. Orientalismus im Porträt des Ba­ rock. München 2009, 261ff; Volckamer, Volker von: Graf Wolfgang IV. zu Oettingen-Wallerstein (1629–1708). In: Diplomaten und Wesire. Krieg und Frieden im Spiegel türkischen Kunsthandwerks. Hrsg. von Peter Schienerl. München 1988, 9–34, hier 11. 5 Vgl. dazu die Diskussion zwischen Matthias und seinen Räten anlässlich der Entsendung des Grafen Hermann Czernin als Großbotschafter 1616: Matthias an die zur türkischen Traktation verordneten Räte, Prag 1616 Fe­ bruar 16, Österreichisches Staatsarchiv [fortan OeStA], Haus-, Hof- und Staatsarchiv [fortan HHStA] Wien, Staatenabteilung, Türkei I, 103, Febru­ ar 1616, fol. 175–178’; Die zur türkischen Traktation verordneten Räte an Matthias, Wien 1616 Februar 23, OeStA, HHStA Wien, Staatenabteilung, Türkei I, 103, Februar 1616, fol. 129–131’, 139–142’.

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bei ans Tageslicht treten, ist Gegenstand dieses Beitrags. Ziel ist ein besseres Verständnis der historischen Dimensionen interkultureller Friedensfindung. Den Ausgangspunkt bildet Damian Hugo von Virmont, der 1719 als kaiserlicher Großbotschafter an die Hohe Pforte reiste. Der nie­ derrheinische Adlige kam 1666 in Herten (Ruhrgebiet) zur Welt und sollte zunächst Geistlicher werden, 1696 trat er jedoch in die kaiserliche Armee ein, in der er Karriere machte. Als Oberst eines Regiments nahm er am Großen Türkenkrieg teil und erlebte im darauf folgenden Jahr an vorderster Front den triumphalen Sieg der von Prinz Eugen angeführten habsburgischen Truppen in der Schlacht bei Zenta. 1706 erhob ihn der Kaiser als Dank für sei­ ne Verdienste in den Reichsgrafenstand. Wenig später trat er in den diplomatischen Dienst ein und war zunächst kaiserlicher Statthal­ ter in Mantua. Es folgten Missionen zum schwedischen König nach Stralsund und an den Hof Friedrich Wilhelms I. von Preußen nach Berlin. 1717 bestellte ihn Prinz Eugen als einen von drei Bevoll­ mächtigten des Kaisers zu den Friedensverhandlungen mit den Os­ manen in Passarowitz (serbisch Požarevac)6. Das Abkommen beendete den Sechsten Österreichischen Türken­ krieg (auch Venezianisch-Österreichischer Türkenkrieg, 1714/16– 1718) und brachte eine Phase schwerer militärischer Niederlagen der Osmanen zum Abschluss, die 1683 mit der Zweiten Belagerung Wiens begonnen hatte7. Die Habsburgermonarchie erzielte dabei beachtliche Gebietsgewinne und erreichte in Folge ihre größte geo­ grafische Ausdehnung. In einem Artikel des Vertrags verpflichteten sich Habsburger und Osmanen wechselseitig zur Entsendung einer Großbotschaft8. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf drei Haupt­ stationen der Mission Virmonts: 1. den Grenzübertritt bei Paraćin, 2. den Einzug in Konstantinopel und 3. die Antrittsaudienz bei Sultan Ahmed III. Um zu einem repräsentativeren Ergebnis zu ge­ 6 Vgl.

Heldmann, August: Art. „Virmont“. In: Allgemeine Deutsche Bio­ graphie. Bd. 55. Leipzig 1910, 332–341. 7 Vgl. Ingrao, Charles, Samardžić, Nikola, Pešalj, Jovan (Hrsg.): The Peace of Passarowitz, 1718. (Central European studies) Purdue, West Lafa­ yette 2011. 8 Friedensvertrag von Passarowitz. In: Theatrum Europaeum. Bd. 21. Frankfurt/Main 1738, 53–58, hier Art. 17.

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langen, werden weitere Großbotschaften, die im 17. und 18. Jahr­ hundert stattfanden, in „komparatistischen Seitenblicken“ fallweise einbezogen. Die methodische Grundlage bildet das Theatermo­ dell. Die Deutung des Lebens als Theater war in der Frühen Neu­ zeit, vor allem aber im Barockzeitalter, weit verbreitet9. Zahllose Bücher bezeichneten sich im Titel als „Theatrum“ beziehungswei­ se „Schaubühne“ oder „Schauplatz“10 . Besonders beliebt war das Theater als Ordnungsmetapher in der internationalen Politik, bei­ spielsweise in der Friedenspublizistik11. In der Kriegsberichterstat­ tung wandelte sich der Kriegsschauplatz zum „Theatrum belli“ mit dem Schlachtfeld als Bühne und den Soldaten als Akteuren12 . Ein Beispiel für die Übertragung auf die habsburgisch-osmanische Friedenspolitik liefert Abbildung 2, die das „Friedenstheater“ von Karlowitz 1699 zeigt. Zu sehen sind der Verhandlungsort und die Räume13. Die kulturwissenschaftliche Forschung entwickelte aus der Thea­ tervorstellung ein umfassendes Interpretationsmodell, das sich zur Analyse öffentlicher Interaktionen wie Zeremonien, Feste und Ri­ tuale besonders eignet, da es den performativen Charakter kommu­ nikativer Handlungen hervorhebt, der derartigen solennen Akten

9 Vgl.

Alewyn, Richard: Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste. 2. Aufl. München 1989, 62–72. 10 Ein bekanntes Beispiel ist das „Theatrum Europaeum“, das in 21 großfor­ matigen Bänden das Weltgeschehen zwischen 1617 und 1716 dokumentiert. Vgl. Theatrum Europaeum [...]. Frankfurt/Main 1646–1738. 11 Vgl. Art. „Theatrum Pacis“. In: Zedler, Johann Heinrich: Grosses voll­ ständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste. Bd. 43. Leipzig [u.a.] 1745, 471. 12 Vgl. Füssel, Marian: Theatrum Belli. In: metaphorik.de 14/2008 (30.9. 2012). 13 Genauere Erläuterung bei Linnemann, Dorothee: Die Bildlichkeit von Friedenskongressen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts im Kontext zeit­ genössischer Zeremonialdarstellung und diplomatischer Praxis. In: Kauz/ Rota/Niederkorn, Diplomatisches Zeremoniell (wie Anm. 1), 155–186, hier 174. Vgl. für den Frieden von Passarowitz: Das Hungarisch- und Venetianische Kriegs- nunmehro [...] so zu nennende Friedens-The­ atrum: Welches die zu Pasarowiz am 21. Julii An. 1718 zwischen allerseits kriegenden Partheyen getroffene Friedens-Schlüsse [...] praesentiret. Leip­ zig [ca. 1718].

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zugrunde liegt14. Zentral ist dabei der Begriff „Theatralität“, der den Blick vornehmlich auf folgende Merkmale lenkt: −− Aufführungscharakter: Die Großbotschaft fand auf „Bühnen“ statt, an den „Aufführungen“ waren „Schauspieler“ und „Zu­ schauer“ beteiligt. −− Inszenierung: Der Ablauf dieser Missionen wurde penibel ge­ plant. Ein „Drehbuch“ legte Verhaltensregeln fest und steuerte die Kommunikation mit dem Publikum. −− Körperlichkeit: Akteure vermittelten nicht nur verbal, sondern auch unter Einsatz von Mimik und Gestik Informationen. −− Wahrnehmung und Interpretation: Diese Handlungen wurden von den Zeitgenossen wahrgenommen und interpretiert, wobei zumindest zwei Ebenen – Habsburger und Osmanen – zu unter­ scheiden sind. Dabei ist ins Kalkül zu ziehen, dass Diskrepanzen zum „Drehbuch“ sowie widersprüchliche Auslegungen möglich waren. 1. Grenzübertritt bei Paraćin (15. Juni 1719) Die Mission Virmonts nahm, so wie die meisten kaiserlichen Groß­ botschaften, in Wien ihren Ausgang, wo der Adlige am 26. April 1719 gemeinsam mit seinem Gefolge – rund 500 Personen, darun­ ter Edelleute, Dolmetscher, Ärzte, Musiker, Köche und Geistliche – feierlich einzog. In der Hofburg erhielt er vom Kaiser das Be­ glaubigungsschreiben, das er dem Sultan bei der Antrittsaudienz überreichen sollte. Wenig später ging es mit einer Flotte von über 70 Schiffen die Donau abwärts über Preßburg und Ofen nach Bel­ grad, wo die Gesandtschaft am 30. Mai eintraf15. Hier fanden die 14 Vgl.

Fischer-Lichte, Erika: Einleitung: Theatralität als kulturelles Modell. In: Theatralität als Modell in den Kulturwissenschaften. Hrsg. von Erika Fischer-Lichte [u.a.]. (Theatralität, 6) Tübingen [u.a.] 2004, 7–26; Tschopp, Silvia Serena, Weber, Wolfgang E. J.: Grundfragen der Kulturgeschichte. (Kontroversen um die Geschichte) Darmstadt 2007, 117ff. 15 Driesch, Cornelius von den: Historia magnae legationis Caesareae, quam Caroli VI [...] auspiciis post biennalis belli confectionem suscepit comes Damianus Hugo Virmondtius, Caesaris [...] ad Portam orator. Wien 1721; Driesch, Cornelius von den: Historische Beschreibung Der letzten Ge­ sandtschafft An den Türckischen Sultan: So Ihro Röm. Käyserl. und Kö­ nigl. Cathol. Majestät Durch Herrn Damian Hugo, Grafen von Virmondt

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abschließenden Vorbereitungen für einen der heikelsten Teile der Gesandtschaft statt: Der Grenzübertritt und die Auswechslung mit Ibrahim Pascha, dem osmanischen Gegenbotschafter, dessen Tross noch größer war, als derjenige Virmonts16. Bereits die Wahl der Örtlichkeit besaß Symbolkraft, denn der Akt ereignete sich bei Paraćin, in unmittelbarer Nähe von Passarowitz, dem Ort der Friedensverhandlungen. Das Zeremoniell war vorher abgesprochen worden und folgte einem Verfahren, das sich im frü­ hen 17. Jahrhundert ausgebildet hatte. Verhandlungen vor Ort hat­ ten letzte Details geklärt17. Demnach fand der Übertritt am 15. Juni auf einer Wiese statt, auf der drei Säulen aufgestellt worden waren (Abbildung 2). Der mittlere Pfeiler markierte die Grenze. Sein Ab­ stand zu den beiden äußeren war ebenso präzise abgemessen wie die Linie, bis zu der sich das Gefolge und die militärischen Begleit­ formationen annähern durften18. Das Ereignis selbst war von einem verrichten lassen [...]. Augsburg 1722; Driesch, Cornelius von den: His­ torische Nachricht von der Röm. Kayserl. Groß-Botschafft nach Cons­ tantinopel, welche auf allergnädigsten Befehl sr. Röm. Kayserlichen und Catholischen Majestät Carl des Sechsten / nach glücklich vollendeten zweyjährigen [!] Krieg, Der Hoch- und Wohlgebohrne des H. R. Reichs Graf Damian Hugo von Virmondt rühmlichst verrichtet […]. Nürnberg 1723 (hier in der Vorrede Kritik an der Auflage von 1722, weshalb im Fol­ genden die Ausgabe von 1723 als Grundlage dient). 16 Vgl. Hammer-Purgstall, Joseph v.: Geschichte des Osmanischen Reiches. Bd. 4. (Veröffentlichungen der Hammer-Purgstall-Gesellschaft, Reihe A: Joseph v. Hammer-Purgstall. Werke I: Geschichte des Osmanischen Rei­ ches, 4) ND Graz 1963, 247f (763 Personen und 645 Pferde). 17 Vgl. Puncta Ceremonialia für den Grenzwechsel, s.l. [1719], OeStA, HHStA Wien, Staatenabteilung, Türkei I, 186, fol. 187–191’; Prothocollum, Waß vor, bey und nach der außwechslung deß kays. herrn Großbottschaf­ ters, Graffen von Virmonds, Excellenz, und deß ottomanischen herrn groß­ bottschaffters Ibrahim Pascha a. 1720 vorbey gangen ist, OeStA, HHStA Wien, Staatenabteilung, Türkei I, 188, Konv. 1, fol. 174–187’. 18 Accurater Abriss, Von der Auswechslung Ihro Römischen Kayserl. Mayest. Gross Bottschaffter, mit dem Gross-Bottschaffter der Ottomani­ schen Portte. So den 15. Iuny, 1719 zwischen Parachin und Raschna oder zwischen der Land-Strasse von Bellgrad nach Nissa [...] vollzogen wor­ den. Belgrad 1720, Fig. 9. Der Grenzwechsel aus osmanischer Perspekti­ ve: Krae­litz-Greifenhorst, Friedrich [Hrsg.]: Bericht über den Zug des Groß-Botschafters Ibrahim Pascha nach Wien im Jahre 1719. In: Sitzungs­ berichte der philosophisch-historischen Klasse der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 158 (1908), 1–66.

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Motto beherrscht: Parität. Aus diesem Grund hatten Habsburger und Osmanen die mittlere Säule gemeinsam errichtet, und zwar mit exakt derselben Zahl an Arbeitern. Die beiden Großbotschaf­ ter mussten einander in ihrem sozialen Rang entsprechen, gleichzei­ tig eintreffen und fünf Schritte vor der Grenze vom Pferd steigen. Wer zuerst mit den Füßen den Boden berührte, galt als untergeord­ net. Schließlich hatten beide zum selben Zeitpunkt die Grenzsäule zu erreichen und das Territorium zu wechseln. Derjenige, der zu­ erst agierte, symbolisierte eine Bitte um Frieden19. Die zweite Devise des Grenzwechsels lautete „Freundschaft“. Um das zu erkennen, muss man die Gesten der beiden Großbotschaf­ ter beim Aufeinandertreffen betrachten. Der Sekretär Virmonts, der anschließend einen Bericht verfasste, hielt diesbezüglich fest: Als Sie aber zur Säule gekommen, […] dieser den Kopf ein wenig geneigt, jener aber zum Zeichen der Freundschafft die rechte Hand dreymal auf die Brust gedruckt20. Anschließend gaben sie einander die Hand, ein Freundschaftsgruß und Zeichen des Friedens21. In diesem Sinn ist auch die demonstrative Umarmung zu interpretieren, die mög­ licherweise stattfand und beim Grenzwechsel anderer Großbot­ schafter dokumentiert ist22. Weitere Handlungen bekräftigten die Freundschaft: Zum einen das Gespräch, das die beiden miteinander führten und in dem Virmont, folgt man der Darstellung seines Se­ kretärs, zum Ausdruck der Parität, für Karl VI. bewusst den Kai­ sertitel benutzte. Diesen hatten die Osmanen den Habsburgern aus

19 Vgl.

Driesch, Nachricht (wie Anm. 15), 49ff. Ebd., 51. 21 Vgl. Roodenburg, Herman: The „hand of friendship“: shaking hands and other gestures in the Dutch Republic. In: A Cultural History of Gesture. From Antiquity to the Present Day. Hrsg. von Jan Bremmer und Herman Roodenburg. Cambridge 1994, 152–189. 22 Vgl. Niggl, Simpert: Reisebeschreibung von Wien nach Konstantinopel. Hrsg. von Inga Pohlmann. Konstanz 2005, 164. Vgl. Art. „Passarowitzer Friede“. In: Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Universal-Le­ xicon aller Wissenschafften und Künste. Bd. 26. Leipzig [u.a.] 1740, 1166– 1185, hier 1185. Eine Umarmung zwischen Virmont und Ibrahim Pascha wird erwähnt in: Lünig, Johann Christian: Historischer und Politischer Schau-Platz des Europäischen Hof- und Kantzley Ceremoniells […]. Bd. 2/2. Leipzig 1719, 1605. 20

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einem Überlegenheitsgefühl heraus lange Zeit vorenthalten23. Zum anderen bot man sich wechselseitig Kaffee und Konfekt an, wie vorab in den Zeremonialverhandlungen vereinbart worden war. Darauf ist später noch zurückzukommen24. Nach dem Austausch, ungefähr eine Wegstunde entfernt, wurde nochmals gespeist. Der Großbotschafter erhielt nach Kaffee und Früchten ein üppiges Gastmahl mit Scherbett, ein traditionelles türkisches Getränk, das aus Honig, Fruchtsäften und verschiedenen Gewürzen zubereitet wurde25. Eine Tischgemeinschaft symbolisierte in beiden Kulturen Freundschaft und Vertrauen26. Diese Kette von Handlungen und Gesten besaß insgesamt bereits Wiedererkennungswert: Vorange­ gangene Großbotschaften hatten sie, zwar nicht bis ins letzte De­ tail, aber größtenteils ebenso gemacht. Es ist also auf eine gewisse Ritualisierung zu schließen27. Einige Handlungen, die ebenfalls politische Freundschaft symbo­ lisieren konnten, unterblieben: So verzichtete man auf die gemein­ same Jagd und einen Gottesdienst mit einer geteilten Hostie28. Vir­ mont und Ibrahim Pascha teilten auch nicht demonstrativ das Bett miteinander, wie man es Friedrich dem Schönen (1289–1330) und Ludwig dem Bayern (1281/82–1347) nachsagte29. Die Freundschaft hätte also inniger ausgedrückt werden können. Unklar ist, ob sich die beiden Großbotschafter geküsst haben, denn bislang wurde da­ 23 Vgl.

Driesch, Nachricht (wie Anm. 15), 51. Puncta Ceremonialia für den Grenzwechsel, s.l. [1719], OeSta, HHStA Wien, Staatenabteilung, Türkei I, 186, fol. 187–191’. 25 Vgl. Driesch, Nachricht (wie Anm. 15), 58f, 158. 26 Vgl. ebd., 46; Althoff, Gerd: Der friedens-, bündnis- und gemeinschafts­ stiftende Charakter des Mahles im früheren Mittelalter. In: Essen und Trin­ ken in Mittelalter und Neuzeit. Hrsg. von Irmgard Bitsch [u.a.]. Sigmarin­ gen 1987, 13–25; Althoff, Gerd: Rituelle Verhaltensmuster an der Tafel. Vom frühmittelalterlichen Gelage zum höfischen Fest. In: Die öffentliche Tafel. Tafelzeremoniell in Europa 1300–1900. Hrsg. von Hans Ottomeyer und Michaela Völkel. Wolfratshausen 2003, 32–37. 27 Vgl. Althoff, Gerd: Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mit­ telalter. Darmstadt 2003, 13f. 28 Vgl. Garnier, Claudia: Freundschaft und Vertrauen in der politischen Kommunikation des Spätmittelalters. In: Freundschaft. Motive und Bedeu­ tungen. Hrsg. von Sibylle Appuhn-Radtke und Esther P. Wipfler. München 2006, 117–136, hier 129. 29 Vgl. ebd., 128. 24 Vgl.

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für in den Quellen kein Hinweis gefunden. Beim Grenzübertritt der Großbotschaft Walter Leslies 1665, der 1719 als Vorbild diente, war es jedoch sogar zu zwei Küssen gekommen: zu einem auf die Brust und einem weiteren auf die Schulter30. 1700 hatte Wolfgang IV. von Oettingen-Wallerstein bei der Rückkehr, bei der sich das Grenzzeremoniell über weite Strecken spiegelbildlich wiederhol­ te31, den osmanischen Gegenbotschafter angeblich zweimal auf die Wange geküsst und war, nachdem sie sich verabschiedet hatten, für einen dritten Kuss extra nochmals umgekehrt32. Küsse besaßen im zeitgenössischen Verständnis ein denkbar breites Spektrum an Be­ deutungen33. In vielen Gesellschaften, so auch bei Christen und Muslimen, brachten sie Versöhnung, Frieden und Freundschaft zum Ausdruck34. Bei der Öffentlichkeit, die das Ereignis wahrnahm beziehungswei­ se davon wusste, sind drei Gruppen zu unterscheiden: Zum einen gab es den Kreis derjenigen Personen, die den zeremoniellen Ablauf geplant und ausgehandelt hatten. Er bestand in erster Linie aus Di­ plomaten und Mitgliedern der jeweiligen Hofstaaten, eine wichtige Rolle spielte außerdem der ständige kaiserliche Resident an der Ho­ hen Pforte. Zum Zweiten sind die physisch Anwesenden zu nen­ nen, die das Ereignis als Augenzeugen erlebten, also die Akteure selbst, ihr Gefolge und die Soldaten, von denen etliche die Groß­ 30 Vgl.

Im Reiche des Goldenen Apfels. Des türkischen Weltenbummlers Evliyâ Çelebi denkwürdige Reise in das Giaurenland und in die Stadt und Festung Wien anno 1665. Hrsg. von Richard F. Kreutel. Graz 1987, 66–68. Nur einen Handschlag erwähnt: Tafferner, Paul: Caesarea legatio quam mandante Augustissimo Rom. Imperatore Leopoldo I. ad portam Ottoma­ nicam suscepit, perfecitque [...]. Wien 1672, pars I. 31 Vgl. Lünig (wie Anm. 22), 1617. 32 Vgl. Volckamer (wie Anm. 4), 30. 33 Zur Mehrdeutigkeit des Kusses (im Christentum) vgl. Art. „Osculum“. In: Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste. Bd. 25. Leipzig [u.a.] 1740, 2089–2094. 34 Vgl. Petkov, Kiril: The Kiss of Peace. Ritual, Self, and Society in the High and Late Medieval West. Leiden 2003; Frijhoff, Willem: The kiss sacred and profane: reflections on a cross-cultural confrontation. In: A Cultural History of Gesture. From Antiquity to the Present Day. Hrsg. von Jan Bremmer und Herman Roodenburg. Cambridge 1994, 210–236; Voll­ rath, Hanna: The kiss of peace. In: Peace Treaties and International Law in European History. From the Late Middle Ages to World War One. Hrsg. von Randall Lesaffer. Cambridge 2007, 162–183.

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botschafter anschließend nach Wien beziehungsweise Konstantino­ pel eskortierten. Es ist davon auszugehen, dass sie von dem Spek­ takel erzählten, also als Multiplikatoren fungierten. Das leitet über zur dritten Gruppe, die Personen, die durch die mediale Verbrei­ tung nachträglich davon erfuhren. So beschrieben Flugschriften und Abhandlungen das Ereignis, von denen einige sogar in mehre­ ren Sprachen publiziert wurden35. Das „Wienerische Diarium“, die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt, berichtete über die beiden Missionen regelmäßig und widmete dem Grenzwechsel so­ gar eine Sonderbeilage36. Ebenso wird der Grenzwechsel in Zedlers „Universal-Lexicon“ erwähnt37. Nach dem Übertritt reiste Virmont, beschützt von einer türkischen Begleitformation, der alten römischen Heeresstraße folgend, über Niš und Sophia nach Edirne. Am 31. Juli kam Konstantinopel in Sicht38. Nachdem man noch das von den Osmanen als Unterkunft vorgesehene Lustschloss außerhalb der Theodosianischen Land­ mauer bezogen hatte – seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts logierten die habsburgischen Diplomaten normalerweise in Pera, aufgrund der Pest hatte man Virmont jedoch dieses Ausweichquar­ tier zugewiesen39 – erhielt er das Empfangsschreiben des Großwe­ sirs. Dieses war, wie sein Sekretär vermerkte, mit so grosser Zärtlichkeit geschrieben, daß auch ein Verliebter seiner Geliebten nichts anmuthigeres vorschwatzen hätte können40. Der Osmane lud darin den Adligen zu einem freundschaftlichen Treffen ein41. Politische Freundschaft und Gastfreundschaft bildeten zweifelsohne Leit­ 35 Vgl.

Driesch, Historia (wie Anm. 15); Driesch, Beschreibung (wie Anm. 15); Driesch, Nachricht (wie Anm. 15); Schönwetter, Johann Baptist: Ausführliche Beschreibung Des Prächtigst- und herzlichsten Empfangs / und Einbegleitung / Wie auch Einzugs, Welchen Der Türkische GroßBotschafter […] Ibrahim Bassa, etc. […] in die Kaiserliche Residenz-Stadt / Wien / den 14. Augusti 1719. gehalten. Wien 1719. 36 Vgl. Wienerisches Diarium 1663 (8. bis 11. Juli 1719), unpag. Zum Diari­ um vgl. Stamprech, Franz: Die älteste Tageszeitung der Welt. Werden und Entwicklung der „Wiener Zeitung“. [Wien 1974]. 37 Vgl. Passarowitzer Friede, in: Zedler, Bd. 26 (wie Anm. 8), 1185. 38 Vgl. Driesch, Nachricht (wie Anm. 15), 127–134. 39 Vgl. Wienerisches Diarium 1678 (30. August bis 1. September 1719), un­ pag. 40 Vgl. Driesch, Nachricht (wie Anm. 15), 157. 41 Vgl. ebd., 157f.

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gedanken des Empfangs. Das belegen auch die Geschenke, die der Großbotschafter zur Begrüßung erhielt: Blumen, Symbole für Frie­ den und Glück, sowie Früchte, welche die Habsburger als Zeichen der Hochachtung deuteten, ferner als Zeichen der Gastfreundschaft etliche Säcke mit Zucker und Kaffeebohnen42. Zugleich begannen die Vorbereitungen für das nächste zeremonielle Großereignis: den Einzug in Konstantinopel. 2. Einzug in Konstantinopel (3. August 1719) Einzüge spielten im diplomatischen Zeremoniell eine Schlüsselrol­ le, denn es handelte sich um den Teil einer Mission, der vor einer besonders großen Öffentlichkeit stattfand. In Konstantinopel wie in Wien war der Einzug ein Spektakel ersten Ranges, dem unzähli­ ge Bewohner, bedeutende Repräsentanten des Gastlandes sowie die Gesandten anderer Mächte beiwohnten. Für die teilnehmenden Di­ plomaten war es ein Glanzpunkt der Karriere. Virmonts Einmarsch begann kurz nach sieben Uhr in der Früh, als er, begleitet von seinem Gefolge und osmanischen Würdenträgern, Richtung Stadt aufbrach. Alle Teilnehmer waren auf das Prächtigste ausstaffiert. Virmont, in deutsche Tracht gekleidet, saß auf einem mit einer goldbestickten Decke und wertvollem Zaumzeug verse­ henen Pferd, das ihm der Großwesir verehrt hatte. Die osmanischen Würdenträger hatten ihre großen Turbane aufgesetzt. Der offen zur Schau gestellte Luxus betonte einerseits die Macht und den Reich­ tum des Kaisers, stillte andererseits aber auch das Repräsentations­ bedürfnis des Sultans. Der Prunk der Gäste erhöhte dessen Prestige als Gastgeber. Die Diplomaten und osmanischen Würdenträger wiederum brachten ihre privilegierte Position in der politisch-sozi­ alen Ordnung zum Ausdruck. Noch bevor sie die Stadtmauern erreichten, wurden die Teil­ nehmer in einen Lustgarten geleitet, in dem sie ein Frühstück er­ hielten43. Den Anfang machte Scherbett, aber auch Kaffee wur­ de gereicht. Dieser hatte sich in der Habsburgermonarchie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu einem bekannten Genuss­ 42 Vgl.

Wienerisches Diarium 1679 (30. August bis 1. September 1719), un­ pag. 43 Vgl. Driesch, Nachricht (wie Anm. 15), 160.

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mittel entwickelt und war in der kulinarischen Kultur wie im di­ plomatischen Zeremoniell der Hohen Pforte fest verankert. Im 19. Jahrhundert meinte der deutsche Geograf Carl Ritter, das Getränk habe hier inzwischen eine enorm große Bedeutung erlangt, denn es sei als Zeichen der Verachtung und Missgunst sowie als Vorbo­ te eines Friedensbruchs zu deuten, wenn einem Botschafter bei der Audienz keine Tasse gereicht würde44. Virmont hatte ihn bereits beim Grenzwechsel sowie bei verschiedenen Empfängen während der Anreise serviert bekommen. Ebenso hatte ihn die habsburgische Seite dem osmanischen Gegenbotschafter Ibrahim Pascha nach dem Grenzwechsel angeboten45. In der Habsburgermonarchie wie im Osmanischen Reich galt das gemeinsame Trinken von Kaffee als Zeichen von Freundschaft. Es folgte ein Mahl, das so üppig war, dass etliche Schüsseln unge­ leert zurückgeschickt werden mussten. Das „Wienerische Diarium“ berichtete von traditioneller osmanischer Küche: Geflügel und Tau­ ben, die auf verschiedene Art und Weise – gebraten, gebacken, ge­ dünstet – zubereitet worden seien46. Es handelte sich um kostbare Speisen, die man normalerweise nur in kleinen Mengen konsu­ mierte47. Dazu gab es Fisch, Süßspeisen und Reis, damals eine Säu­ le der Palastküche48. Die Nachricht war unmissverständlich: Ein wohlhabender Herrscher empfängt Gäste, die er mit väterlicher 44 Vgl.

Ritter, Carl: Die Erdkunde im Verhältnis zur Natur und zur Ge­ schichte des Menschen. 13. Theil. 3. Buch. West Asien. Bd. 2. Berlin 1847, 582. 45 Vgl. Ausführlicher Bericht alles desjenigen / Was nach dem am 15. Ju­ nii 1719. beschehenen Auswechslung-Act der Römisch-Kayserlichen mit der Türckischen Groß-Botschafft an der Gräntz zwischen Parackin und Rasna / bey dieser letzteren bis der Abreiß von Belgrad sich begeben habe. Regensburg [ca. 1719], unpag. 46 Vgl. Wienerisches Diarium 1678 (30. August bis 1. September 1719), un­ pag.; allgemein zum Gastmahl im Zeremoniell der Hohen Pforte: Dilger, Konrad: Untersuchungen zur Geschichte des osmanischen Hofzeremoni­ ells im 15. und 16. Jahrhundert. (Beiträge zur Kenntnis Südosteuropas und des Nahen Orients, 4) München 1967, 105–113. 47 Vgl. Faroqhi, Suraiya: Kultur und Alltag im Osmanischen Reich. Vom Mittelalter bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. 2. Aufl. München 2003, 231ff. 48 Vgl. Masters, Bruce: Art. „Cuisine”. In: Encyclopedia of the Ottoman Empire. Hrsg. von Gábor Ágoston und Bruce Masters. New York 2009, 165.

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Fürsorgepflicht bewirtet. Ob dies auch als Ausdruck des traditio­ nellen osmanischen Überlegenheitsbewusstseins gedeutet werden kann? Nicht immer lässt sich die Symbolik rückblickend mit Si­ cherheit entschlüsseln. Virmont, auf diesem Gebiet hoch sensibili­ siert, interpretierte den Überfluss jedenfalls als Ausdruck der Gast­ freundschaft und besonderer Wertschätzung. Eine große Menschenmenge, die sich an den Straßenrändern ver­ sammelt hatte, sodass die Spalier stehenden Janitscharen Mühe hat­ ten, den Weg freizuhalten, verfolgte den Einzug49. Unter den Zu­ sehern befanden sich die Botschafter Großbritanniens, Frankreichs und der Niederlande50. Der Großwesir hatte es Virmont freige­ stellt, mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel einzumarschie­ ren. Eine großzügige Geste, wenn man sich vergegenwärtigt, dass ein früherer Großbotschafter, Graf Hermann Czernin, 1616 ein Po­ grom verursacht hatte, als er bei dieser Gelegenheit eine Fahne mit dem Reichsadler auf der einen und dem gekreuzigten Jesus auf der anderen Seite entrollte, denn das spielte auf die Prophezeiung an, eine Kreuzesflagge verkündige einst das Ende der türkischen Herr­ schaft über die Stadt. Mehrere christliche Einwohner Konstanti­ nopels wurden in Folge Opfer von Übergriffen der aufgebrachten muslimischen Bevölkerung, der Sultan stellte Czernin und seine Be­ gleiter unter Hausarrest und bei der Antrittsaudienz entfiel das ge­ meinsame Festmahl51. Handelte es sich dabei um ein Versehen des Großbotschafters? Die Frage lässt sich nach dem derzeitigen Forschungsstand nicht ex­ akt beantworten. Immerhin hatte ihm der Kaiser verboten, einen Anlass für Unruhen zu liefern, und es ist unwahrscheinlich, dass sich der Adlige, bis dahin ein treuer Diener der Habsburger, aus­ gerechnet in dieser Situation offen über derartige Anordnungen 49 Vgl.

Driesch, Nachricht (wie Anm. 15), 159ff; Auszug aus dem Bericht Virmonts über den Einzug in Konstantinopel sowie die Audienzen beim Großwesir und beim Sultan, s.l. [ca. 1719], OeStA, HHStA Wien, Staaten­ abteilung, Türkei I, 185, Konv. 2, fol. 16–24’. 50 Vgl. Driesch, Nachricht (wie Anm. 15), 164ff. 51 Vgl. Khevenhüller, Franz Christoph: Annales Ferdinandei Oder Wahrhaffte Beschreibung Kaysers Ferdinandi Des Andern, Mildesten Gedächtniß, Geburth, Aufferziehung und bißhero in Krieg und Frie­ dens-Zeiten vollbrachten Thaten […]. Theil 7/8. Leipzig 1723, 944–947; Hammer-Purgstall, Bd. 4 (wie Anm. 16), 486f.

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hinweggesetzt hätte52. Gleichzeitig ist zu vermuten, dass ihm die Symbolkraft der Fahne bekannt war53. So besaß er bereits Orienter­ fahrungen und hatte etwa als Pilger Jerusalem und den Sinai be­ sucht. Freilich war er auch ein religiöser „Hardliner“, der gegen­ über den Osmanen grundsätzlich nur wenig Rücksicht an den Tag legte und möglicherweise die Gelegenheit nützen wollte, um ähn­ lich wie ein Kreuzritter in die Stadt zu ziehen54. Wie auch immer: In seiner Reaktion hatte Ahmed I. (reg. 1603–1617) zur Demonstrati­ on seiner Macht an dem Adligen 2  000 Köpfe vorbeitragen lassen, die soeben von der persischen Grenze eingelangt waren. Daraufhin war den kaiserlichen Diplomaten der Einzug mit fliegenden Fahnen verboten55. Hans Ludwig Kuefstein etwa musste 1628 seine Flaggen eine halbe Tagreise vor den Stadtmauern einziehen, Czernin sie bei seiner zweiten Mission 1644 vorher von seinem Wagen abmontie­ ren56. Erst wieder 1665 marschierte ein Großbotschafter, Graf Wal­ ter Leslie, mit entrollten Fahnen in Konstantinopel ein, allerdings befand sich der Sultan damals nicht in der Stadt. 1700 durfte Graf Oettingen-Wallerstein Fahnen und Musik benutzen, er musste da­ bei allerdings Brüskierungen unterlassen. Virmont nahm das Angebot an und zog mit fliegenden Fahnen und unter den Klängen seiner Pauken und Trompeten ein57. Seine Stan­ 52

Vgl. Geheimes Memorial, wie sich in gemain und particulari der ksl. Mt. Gesandte an die türggische Porten verhalten möchten, OeStA, HHStA Wien, Staatenabteilung, Türkei I, 105, fol. 22–31’; Wagner, Georg: Öster­ reich und die Osmanen im Dreißigjährigen Krieg. Hermann Graf Czernins Großbotschaft nach Konstantinopel 1644/45. In: Mitteilungen des Oberös­ terreichischen Landesarchivs 14 (1984), 325–392, hier 343. 53 Vgl. Teply, Gesandtschaften (wie Anm. 3), 49. 54 Zu den Fahnen der Kreuzritter vgl. Waas, Adolf: Geschichte der Kreuzzü­ ge. Bd. 1. Freiburg/Br. 1956, 350f. 55 So etwa Kuefstein am 25. November 1628, der sie vorher einrollen muss­ te. Vgl. Teply, Karl: Die kaiserliche Großbotschaft an Sultan Murad IV. im Jahre 1628. Des Freiherrn Hans Ludwig von Kuefsteins Fahrt zur Hohen Pforte. Wien [1976], 70–74; Bericht des Hans Ludwig Kuefstein für Ferdi­ nand II., Konstantinopel 1628 November 27, OeStA, HHStA Wien, Hand­ schriften weiß, 1114, fol. 228–231’. 56 Vgl. Zweite Gesandtschaftsreise des Grafen Hermann Czernin von Chudenic nach Constantinopel im Jahre 1644, Neuhaus 1879, 30–33. 57 Auszug aus dem Bericht Virmonts über den Einzug in Konstantinopel so­ wie die Audienzen beim Großwesir und beim Sultan, [ca. 1719], OeStA, HHStA Wien, Staatenabteilung, Türkei I, 185, Konv. 2, fol. 16–24’.

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darte zeigte keinen gekreuzigten Christus, sondern eine aus den Wolken hervorbrechende Sonne, die zwei ineinander verschlossene Hände bestrahlt, ein in beiden Kulturen bekanntes Friedenssym­ bol58. Ähnliches gilt für den Einzug Ibrahim Paschas am 14. August in Wien, bei dem Provokationen unterblieben59. Die genaue Rou­ te Virmonts durch Konstantinopel ist unklar. Jedenfalls ging es zu­ erst nach Eyüp, dann Richtung Zentrum und schließlich durch ein anderes Tor wieder aus der Stadt heraus. Passiert wurden das Gol­ dene Horn, die Hafenanlagen und die Außenmauern des Topkapi Palastes. Insgesamt dauerte der Durchzug mehrere Stunden60. Zwei Tage später besuchte Virmont den Großwesir, eine unabdingbare Voraussetzung für die Antrittsaudienz beim Sultan61. Als Zwischenresümee kann festgehalten werden, dass der Einzug ein friedliches Verhältnis von Einheit und Vielfalt zum Ausdruck brachte. Vor dem Hintergrund der beispielsweise durch die Klei­ dung versinnbildlichten Unterschiede wurde Gemeinsamkeit de­ monstriert, während religiöse Provokationen unterblieben. Der Ek­ lat Czernins 1616 fand keine Wiederholung. Eine Leitvorstellung war Freundschaft beziehungsweise Gastfreundschaft, symbolisiert etwa durch das Gastmahl zu Beginn. 3. Antrittsaudienz bei Sultan Ahmed III. (8. August 1719) Der Höhepunkt der Großbotschaft war die Antrittsaudienz bei Sultan Ahmed III. am 8. August 1719, ein glanzvolles Schauspiel, das, folgt man der ausführlichen Darstellung von Virmonts Sekre­ tär, folgendermaßen stattfand: Noch in der Nacht brach die aber­ mals pompös ausstaffierte Gesandtschaft von ihrem Quartier auf und begab sich auf derselben Route wie beim Einzug fünf Tage zu­ vor in die Stadt. An der Hagia Sophia vorbei ging es in den ersten Hof des Topkapi Palastes, der, gefüllt mit Schaulustigen, noch vor 58 Vgl.

Hammer-Purgstall, Joseph v.: Geschichte des Osmanischen Reiches. Bd. 7. (Veröffentlichungen der Hammer-Purgstall-Gesellschaft, Reihe A: Joseph v. Hammer-Purgstall. Werke I: Geschichte des Osmanischen Rei­ ches, 7) ND Graz 1963, 249. 59 Vgl. Kraelitz-Greifenhorst (wie Anm. 18), 35f. 60 Vgl. Driesch, Nachricht (wie Anm. 15), 169. 61 Vgl. ebd., 171.

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Tagesanbruch erreicht wurde62. Nach dem Absteigen von den Pfer­ den, dem Ablegen der Waffen und der angemessenen Wartezeit vor dem Tor der Begrüßung durften Virmont und seine Begleiter den zweiten Hof des Areals betreten, wo ihn Hofdiener in Empfang nahmen und zum Großwesir geleiteten, der vor dem Diwan auf ihn wartete63. Dann folgte das im diplomatischen Zeremoniell der Ho­ hen Pforte übliche Verfahren. Der Adlige wurde Zeuge eines Ge­ richtsprozesses und der Bezahlung der Janitscharen, eine „Show“, die Disziplin und Ordnung dieser Elitetruppen vor Augen führen sollte. Die Soldaten konnten dabei allerdings durch kleinere Ze­ remonialverstöße auch ihre Unzufriedenheit über die Regierung ausdrücken, was diesmal jedoch, wenn man den Berichten glaubt, unterblieb64. Da gerade Ramadan war, entfiel das Festessen des Großbotschafters mit dem Großwesir, das bei derartigen Anlässen traditionell stattfand65. Als nächstes bekamen die für die Audienz vorgesehenen Begleiter des Großbotschafters, nicht jedoch der Adlige selbst, kunstvoll ge­ arbeitete Kaftane, die sie sich überstreiften66. Diese Kleidungsstücke spielten in der symbolischen Kommunikation eine wichtige Rol­ le und brachten, im Namen des Sultans überreicht, eine Art Vasal­ lenstatus und die Aufnahme in dessen Haushalt zum Ausdruck67. Wohl aus diesem Grund legte Virmont keinen Kaftan an. Bereits 62 Vgl.

ebd., 183; Auszug aus dem Bericht Virmonts über den Einzug in Kon­ stantinopel sowie die Audienzen beim Großwesir und beim Sultan, [ca. 1719], OeStA, HHStA Wien, Staatenabteilung, Türkei I, 185, Konv. 2, fol. 16–24’. 63 Vgl. Driesch, Nachricht (wie Anm. 15), 183f; zum Ablauf des Empfangs­ zeremoniells im Topkapi Palast vgl. Dilger (wie Anm. 46), 60ff. 64 Vgl. Driesch, Nachricht (wie Anm. 15), 183–189; Wienerisches Diarium 1679 (2. bis 5. September 1719), unpag.; Auszug aus dem Bericht Virmonts über den Einzug in Konstantinopel sowie die Audienzen beim Großwesir und beim Sultan, [ca. 1719], OeStA, HHStA Wien, Staatenabteilung, Tür­ kei I, 185, Konv. 2, fol. 16–24’. 65 Das Gefolge Virmonts wurde jedoch verköstigt. Vgl. Driesch, Nachricht (wie Anm. 15), 189; Wienerisches Diarium 1679 (2. bis 5. September 1719), unpag. 66 Vgl. Driesch, Nachricht (wie Anm. 15), 195. 67 Vgl. Reindl-Kiel, Hedda: Der Duft der Macht. Osmanen, islamische Tra­ dition, muslimische Mächte und der Westen im Spiegel diplomatischer Ge­ schenke. In: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 95 (2005), 195–258, hier 210; Pedani, Maria Pia: The Sultan and the Venetian Bailo:

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der Friede von Karlowitz hatte kaiserlichen Diplomaten ausdrück­ lich das Recht zugestanden, sich nach eigenen Vorstellungen zu kleiden68. Die Bestimmung floss fast wörtlich in den Vertrag von Passarowitz ein69. Kaftane galten in den Augen westlicher Diplomaten als begehrtes Ehrengeschenk70. Alexander Greiffenklau von Vollraths etwa, von 1643 bis 1648 Resident des Kaisers an der Hohen Pforte, erwähnt den Neid der Franzosen, nachdem er eine größere Anzahl als die­ se erhalten hatte71. In diesem Sinn deuteten sie auch Virmonts Be­ gleiter. So wies der Sekretär des Großbotschafters stolz auf eine ve­ nezianische Gesandtschaft hin, der man weniger Kaftane überreicht hätte, was er mit deren geringerem Ansehen erklärte72. Manchmal deutete man die Kleidungsstücke auch als Freundschaftszeichen73. Egal ob Zeichen der Abhängigkeit, Ehrengeschenk oder Freund­ schaftsgeste: In der Heimat ließen sich die Kaftane gut in symbo­ lisches Kapital umwandeln, denn sie riefen die Teilnahme an der Gesandtschaft in Erinnerung und zeigten die Welterfahrenheit ih­ rer Besitzer, die quasi dem Erbfeind ins Auge geblickt hatten. Er­ leichternd wirkte dabei der Umstand, dass sich die geschenkten Ceremonial Diplomatic Protocol in Istanbul. In: Kauz/Rota/Nieder­ korn, Diplomatisches Zeremoniell (wie Anm. 1), 287–299, hier 293. 68 Vgl. Friedensvertrag von Karlowitz. In: Theatrum Europaeum. Bd. 15. Frankfurt/Main 1707, 518–523, hier Art. 17. 69 Vgl. Friedensvertrag von Passarowitz, in: Theatrum Europaeum, Bd. 21 (wie Anm. 8), Art. 18. 70 Vgl. Reindl-Kiel, Hedda: Ottoman-European Cultural Exchange. East is East and West is West, and Sometimes the Twain Did Meet Diplomatic Gift Exchange in the Ottoman Empire. In: Frontiers of Ottoman Studies: State, Province, and the West. Bd. 2. Hrsg. von Colin Imber, Keiko Kiyotaki und Rhoads Murphey. (The Library of Ottoman studies, 6) London [u.a.] 2005, 113–123, hier 121. 71 Alexander Greifenklau von Vollraths an Ferdinand III., Konstantinopel 1643 Mai 6, OeStA, HHStA Wien, Staatenabteilung, Türkei I, 116, Konv. 2, fol. 40–42’. 72 Vgl. Driesch, Nachricht (wie Anm. 15), 279. 73 Vgl. Nehring, Karl: Adam Freiherrn zu Herbersteins Gesandtschaftsrei­ se nach Konstantinopel. Ein Beitrag zum Frieden von Zsitvatorok (1606). (Südosteuropäische Arbeiten, 78) München 1983, 125; Tafferner, Paul: Curiose und eigentliche Beschreibung Des Von Ihro Röm. Kays. Maj. an den Türckischen Hoff abgeschickten Groß-Botschaffters, Herrn Grafens Wolffgang von Oettingen Solener Abreise von Wien [...]. Leipzig 1700, 220.

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Kaftane von osmanischen Festkleidern nicht wesentlich unter­ schieden. Der eine oder andere Gefährte Virmonts wird wohl auch der Versuchung erlegen sein, wie bei anderen solcherart Beschenk­ ten belegt, und die wertvollen Kleidungsstücke noch in Konstan­ tinopel bei einem der auf ihren Vertrieb spezialisierten Juden zu Geld gemacht haben, der sie dann seinerseits wieder dem osma­ nischen Hof verkaufte. Der materielle Wert oder die Decodierung der eigenen Kultur waren in diesen Fällen offenbar wichtiger als diejenige der Osmanen, ausgenommen auf der Ebene des Großbot­ schafters74. Anschließend betrat Virmont mit elf Mitgliedern seiner Delegati­ on, jeder von zwei Wächtern eskortiert, den Audienzraum, in dem ihn der Sultan, umgeben von hochrangigen Würdenträgern, Dol­ metschern und Wachpersonal, bereits erwartete75. Nach der Be­ grüßungsrede, die er in lateinischer Sprache hielt, übergab Virmont einem der anwesenden Wesire das Kredenzschreiben Karls VI., das an den Sultan weitergereicht wurde. Dieser hatte seitlich Platz ge­ nommen, sodass es keinen direkten Blickkontakt gab76. Es folgten einige zeremonielle Handlungen, darunter der obligate Fußfall des Adligen und auf Türkisch die Antwort des Großwesirs. Nicht im­ mer war die Bedeutung der Handlungen allen Beteiligten geläufig. Die Vermeidung des Blickkontakts etwa war nicht, wie der Sekretär Virmonts meinte, ein Ausdruck von Hochmut, sondern entsprach dem osmanischen Hofzeremoniell77. Dann verließ die Gesandtschaft den Raum wieder, und während Virmont, angeführt von Janitscharen, aus dem Topkapi Palast aus­ zog, wurden dem Sultan die Geschenke des Kaisers präsentiert78. Das „Wienerische Diarium“ veröffentlichte eine Liste der Präsente: Demnach erhielt Ahmed unter anderem zwei große Spiegel mit Rahmen aus Silber, einen silbernen Kronleuchter mit zwölf Lich­ tern und einen silbernen Kaminrost. Außerdem bekam er zwölf sil­ 74 Vgl.

Reindl-Kiel, Hedda: Symbolik, Selbstbild und Beschwichtigungs­ strategien: Diplomatische Geschenke der Osmanen für den Wiener Hof (17.–18. Jahrhundert). In: Strohmeyer/Spannenberger, Frieden und Konfliktmanagement (wie Anm. 2). 75 Vgl. dazu grundsätzlich Dilger (wie Anm. 46), 88–92. 76 Vgl. Driesch, Nachricht (wie Anm. 15), 205. 77 Vgl. Dilger (wie Anm. 46), 79, 92–95. 78 Vgl. Driesch, Nachricht (wie Anm. 15), 207ff.

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berne Scherbettschüsseln, innen vergoldet, zwei kostbare Stand­ uhren und drei silberne Becken. Insgesamt handelte es sich um ein typisches Geschenkpaket einer habsburgischen Großbotschaft an den Sultan79. Des Weiteren konnten ihm, wie von Walter Leslie 1665, Kutschen, Pferde und Jagdhunde80, oder bei Hermann Czern­ in 1616/17 ein Schreibtisch und kristallenes Trinkgeschirr verehrt werden81. Das Geschenkwesen besaß in der symbolischen Kommunikation zwischen Habsburgern und Osmanen eine herausragende Bedeu­ tung, denn es stellte zwischen Schenkenden und Beschenkten ein bestimmtes Verhältnis her und berührte somit einen springenden Punkt des Friedensprozesses. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sei­ ne Bedeutung in beiden Kulturen nicht völlig übereinstimmte, denn die osmanische Gesellschaft war weniger deutlich differenziert und wies eine höhere soziale Mobilität auf. Geschenke waren hier für die Eliten ein noch wichtigeres Mittel zur Illustration sozialer Asymmetrien als in der europäischen Ständeordnung. Im 16. Jahrhundert, vor dem Hintergrund der drückenden militä­ rischen Überlegenheit der Osmanen, handelte es sich um Tribut­ zahlungen, zu denen sich die Habsburger vertraglich verpflich­ tet hatten. Um diese Bedeutung zu verschleiern, deklarierte sie der Kaiserhof als „Ehrengeschenk“82. Nach 1600, es herrschten nun ausgewogenere Machtverhältnisse, versuchte der Kaiserhof, diesen tributären Charakter aus der Welt zu schaffen. Der Friede von Pas­ sarowitz hielt deshalb ausdrücklich fest, die Geschenke erfolgten 79 Vgl.

Wienerisches Diarium 1679 (30. August bis 1. September 1719), un­ pag.; Schönwetter (wie Anm. 35), unpag. 80 Vgl. Tafferner, Beschreibung (wie Anm. 73), 123. 81 Vgl. Wenner, Adam: Tagebuch der kaiserlichen Gesandtschaft nach Kon­ stantinopel (1616/18). Hrsg. von Karl Nehring. (Veröffentlichungen des Finnisch-Ugrischen Seminars der Universität München, C 16) München 1984, 132f. 82 Vgl. Petritsch, Ernst D.: Der habsburgisch-osmanische Friedensvertrag des Jahres 1547. In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 38 (1985), 49–80; Petritsch, Ernst D.: Tribut oder Ehrengeschenk? Ein Bei­ trag zu den habsburgisch-osmanischen Beziehungen in der zweiten Hälf­ te des 16. Jahrhunderts. In: Archiv und Forschung. Das Haus-, Hof- und Staatsarchiv in seiner Bedeutung für die Geschichte Österreichs und Euro­ pas. Hrsg. von Elisabeth Springer und Leopold Kammerhofer. (Wiener Bei­ träge zur Geschichte der Neuzeit, 20) Wien [u.a.] 1993, 49–58.

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freiwillig, was eine Deutung als Tribut verhinderte. Ferner besagte er, dass es sich um einen beiden Herrschern reputierlichen Ga­ bentausch handeln, somit niemand bloß gestellt werden solle. Die Hohe Pforte schraubte ihre symbolischen Überlegenheitsansprüche zurück83. Das belegen auch die beiden Jagdgeparden mit persischen Rücken­ decken, die der Sultan nach dem Frieden von Karlowitz 1699 Leo­ pold I. schenkte, denn nur unabhängige Herrscher erhielten solche prestigeträchtigen Raubkatzen84. Ähnliches gilt für die beiden Lö­ wen, die nun Karl VI. in Empfang nahm85. Außerdem verlangte der Sultan keine Nachbesserung, was in der osmanischen Kultur gegen­ über Personen von niedrigerem Rang sonst durchaus möglich war86. Graf Czernin hingegen war 1644 noch mit einer derartigen Forde­ rung konfrontiert worden und deshalb in Schwierigkeiten geraten, da ihm nichts übrig geblieben war, als auf die Güter zurückzugrei­ fen, die für die osmanischen Würdenträger vorgesehen waren. Seine Erklärung, es handle sich um eine Folge der bekannten Habgier der Osmanen, trifft jedoch nicht zu, denn dem Sultan ging es um die Demonstration von Überlegenheit87. Schwer verständlich war den kaiserlichen Diplomaten auch der Umgang mit den Präsenten, von denen die Osmanen viele sogleich verkauften oder einschmolzen88. Für die Beschenkten hatten sie je­ doch den Zweck, ihren Status zu visualisieren, erfüllt. Dazu kamen wohl auch eine innere Distanz aufgrund der fremdartigen Herkunft und ein anderer Geschmack, woran eine Anfertigung der Güter nach türkischer Manier89, um die sich die habsburgische Seite schon 83

Vgl. Friedensvertrag von Passarowitz, in: Theatrum Europaeum, Bd. 21 (wie Anm. 8), Art. 17. 84 Vgl. Reindl-Kiel, Symbolik (wie Anm. 74). Zu Tieren im osmanischen Geschenkwesen vgl. Reindl-Kiel, Duft (wie Anm. 67), 213–221. 85 Vgl. Liste der vom osmanischen Großbotschafter dem Kaiser überbrach­ ten Geschenke, OeStA, HHStA Wien, Staatenabteilung, Türkei I, 186, fol. 58–61’. 86 Vgl. Reindl-Kiel, Duft (wie Anm. 67), 196–201. 87 Vgl. Zweite Gesandtschaftsreise des Grafen Hermann Czernin (wie Anm. 56), 36ff. 88 Vgl. Driesch, Nachricht (wie Anm. 15), 206f. 89 Vgl. Burschel, Peter: Der Sultan und das Hündchen. Zur politischen Ökonomie des Schenkens in interkultureller Perspektive. In: Historische Anthropologie 15 (2007), 408–421, hier 413.

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seit längerer Zeit bemühte, offenbar wenig änderte90. So findet sich in einem Register des osmanischen Hofzeremoniells bei den drei von Virmont überbrachten silbernen Becken der pejorative Ver­ merk: nach Art der Ungläubigen91. In der Habsburgermonarchie drückten Geschenke hingegen eine Verbundenheit aus, die vom Empfänger verlangte, sie in Ehren zu bewahren. Neben diesen unterschiedlichen Decodierungen gab es jedoch auch eine gemeinsame Schnittstelle: So weist eine osmanische Liste der Geschenke, die 1699 Leopold I. übermittelt wurden, explizit darauf hin, die Güter seien freundschaftlich zusammengestellt worden92. Noch deutlicher ist diese Übereinstimmung in Artikel 17 des Frie­ dens von Passarowitz zu erkennen, in dem es heißt: sollen die von beyden Seiten abgeordnete Gesandte […] zum Zeichen der Freundschafft ein […] Geschenk mit sich bringen93. Ein weiteres Merkmal der Inszenierung des Friedens, das be­ reits beim Einzug ans Tageslicht trat, wird erkennbar, wenn man in Betracht zieht, was Karl VI. nicht erhielt: Koranhandschriften, traditionell ein Geschenkartikel der osmanischen Diplomatie94. Virmont seinerseits überbrachte keine Bibelexemplare. Bei der Zu­ sammenstellung der Geschenkpakete wurde also auf demonstrative Religiosität und offene Bekehrungsversuche verzichtet. Schwie­ riger zu deuten sind in diesem Zusammenhang die 100 golddurch­ wirkten Turbane, die ebenfalls nach Wien übersendet wurden, denn diese galten als Symbol des Islams95 . Handelte es sich um eine Aufforderung zur Konversion? Wohl nicht, denn die Turbane wur­ den um Kappen gewickelt getragen, die fehlten. Den Osmanen war jedoch bekannt, dass sich der Stoff, ein weiches Baumwoll-Musse­ lin Gewebe, bei den Habsburgern großer Beliebtheit erfreute, da er sich sehr gut für die Herstellung von Kleidung eignete. Bei der

90 Vgl.

Reindl-Kiel, Exchange (wie Anm. 70), 114. Reindl-Kiel, Duft (wie Anm. 67), 226, 230. 92 Vgl. ebd., 247. 93 Vgl. Friedensvertrag von Passarowitz, in: Theatrum Europaeum, Bd. 21 (wie Anm. 8), Art. 17. 94 Vgl. die Liste bei Hammer-Purgstall, Geschichte, Bd. 7 (wie Anm. 58), 567ff. 95 Vgl. Schönwetter (wie Anm. 35). Hammer-Purgstall, Geschichte, Bd. 7 (wie Anm. 58), 569, schreibt von 150 Turbanen. 91 Vgl.

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Auswahl der Geschenke nahm man auf die Bedürfnisse der ande­ ren Seite somit Rücksicht96 . Ergebnisse 1. Ein wesentliches Merkmal der symbolischen Inszenierung des Friedens war Parität. Das Zeremoniell sollte Egalität zwischen Habsburgern und Osmanen ausdrücken und jeden Anschein von Rangunterschieden zwischen den Herrschern vermeiden. Zu er­ kennen ist das einerseits bei der symmetrischen Inszenierung des Grenzwechsels, andererseits bei den Geschenkpaketen. Defini­ tiv nicht mehr möglich war nun eine Deutung der kaiserlichen Präsente als Tribut. Zudem verzichtete der Sultan auf eine Nach­ besserung, die eine Hierarchie zum Ausdruck gebracht hätte. Die Gleichrangigkeit war das Ergebnis des beharrlichen Drängens der habsburgischen Diplomatie und musste im Laufe des 17. Jahrhun­ derts mühsam durchgesetzt werden, weshalb 1719 noch immer enor­mes Bedürfnis bestand, diese zu demonstrieren. Der zäsurhafte Charakter des Friedens von Zsitvatorok 1606 ist in dieser Hinsicht zu relativieren. 2. Auf eine demonstrative Zurschaustellung des religiösen Gegen­ satzes wurde verzichtet, eine Provokation wie diejenige beim Ein­ zug Czernins in Konstantinopel 1616 unterblieb. Der unüber­ brückbare Gegensatz in der Glaubensfrage wurde somit dadurch bewältigt, dass man ihn bei der „Theateraufführung“ quasi auf die „Hinterbühne“ verbannte. Vollkommen ausgeklammert wurde die Religion freilich nicht, da Virmont beispielsweise vor dem Grenz­ wechsel beichtete und vor dem Einzug in Konstantinopel einen Gottesdienst feierte (bei dem der Altar angeblich mit den Blumen geschmückt wurde, die er vom Großwesir zur Begrüßung erhal­ ten hatte)97. Ebenso flossen religiöse Bestimmungen immer wieder in die Friedensverträge ein, etwa wenn es um die Besserstellung der Lebensbedingungen der im Osmanischen Reich lebenden Christen

96 Vgl. 97 Vgl.

Reindl-Kiel, Symbolik (wie Anm. 74). Driesch, Nachricht (wie Anm. 15), 158.

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oder die Gewährleistung des Zugangs zu den Heiligen Stätten in Je­ rusalem ging98. 3. Sowohl beim Grenzwechsel als auch beim Einzug in Konstan­ tinopel und beim Geschenkwesen spielten Freundschaftsvorstel­ lungen, die durch von beiden Seiten verstandene Praktiken wie Händedruck, Umarmungen, gemeinsames Speisen, den Austausch von Präsenten und Küsse zum Ausdruck gebracht wurden, eine bedeutende Rolle. So findet sich auf dem eingangs gezeigten Por­ trät Oettingen-Wallersteins (Abbildung 1) die Devise: Macht aus Feinden Freunde99 und wurden Großbotschafter als friedbringende Freunde100 bezeichnet. Diese Schlüsselfunktion von „Freundschaft“ erklärt sich aus ih­ ren anthropologischen Wurzeln. Es handelt sich um ein elemen­ tares Phänomen menschlicher Existenz, das, wenn auch in sehr un­ terschiedlichen Formen, in allen Gesellschaften angetroffen werden kann, in christlichen genauso wie in muslimischen. Freundschafts­ vorstellungen besaßen bei Habsburgern wie Osmanen einen he­ rausragenden Platz, insbesondere im Bereich der Außenpolitik, und zählten auch zum Kernbestand der Friedensverträge beziehungs­ weise Waffenstillstandsabkommen101. Sie waren daher zur Überbrü­ ckung kultureller Brüche in höchstem Maße geeignet, auch wenn die jeweiligen kulturellen Reverenzen ebenso Unterschiede auf­ weisen konnten, wie etwa der bei den Osmanen übliche Weiterver­ kauf von Geschenken zeigt. Das tat jedoch der Freundschaft kei­ nen Abbruch. Unterschiedliche kulturelle Decodierungen wurden bis zu einem gewissen Grad toleriert. Habsburgische Uhren halfen den Osmanen bei der Bestimmung der Gebetszeiten, dafür verar­ beiteten die Habsburger Turbanstoff zu Kleidung.

98

Vgl. Friedensvertrag von Passarowitz, in: Theatrum Europaeum, Bd. 21 (wie Anm. 8), Art. 11. 99 Vgl. Trauth (wie Anm. 4), 263. 100 Tafferner, Beschreibung (wie Anm. 73), 30. 101 Vgl. Strohmeyer, Arno: Die habsburgisch-osmanische Freundschaft (16.– 18. Jahrhundert). In: Strohmeyer/Spannenberger, Frieden und Konflikt­ management (wie Anm. 2).

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Abbildungen Abbildung 1: Graf Wolfgang IV. von Oettingen-Wallerstein in un­ garischer Kleidung als kaiserlicher Großbotschafter (1699/1700); Kupferstich von Engelhard Nunzer nach einem Gemälde von Frans van Stampart, ca. 1699/1700. Aus: Trauth (wie Anm. 4), 262.

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Abbildung 2: Theatre de la Paix entre les Chrestiens et les Turcs 1699, Radierung, verlegt von Anna Beek, Den Haag. Aus: Wien, Albertina.

Abbildung 3: Großbotschafteraustausch bei Paraćin, 15. Juni 1719 Aus: Accurater Abriss (wie Anm. 18), Fig. 9.

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Fernwirkungen: Zur Rezeptionsgeschichte von Ter Borchs Friedensgemälde von Heinz Duchhardt, Mainz Über die Entstehungsgeschichte und die „Vermarktung“ von Gerard Ter Borchs „klassischer“ Visualisierung des Westfälischen Friedens ist viel geschrieben worden1. Es ist ein – heute im Eigentum der National Gallery London befindliches – Gemälde, das, mehrfach kopiert2, auch als (von Jonas Suyderhoef geschaffener) Kupferstich rasch Karriere machte und dessen Besitz für die unmittelbar Betei­ ligten offenbar zu den Selbstverständlichkeiten im Rückblick auf ihre Tätigkeit in Münster und/oder Osnabrück zählte. Die Rezeptionsgeschichte des Kunstwerks weist aber weit über die dem Friedensschluss von 1648 unmittelbar folgenden Jahre und Jahrzehnte hinaus. An einer Episode soll das verdeutlicht werden. Der Künstler des Wiener Kongresses schlechthin war der aus Nan­ cy stammende David-Schüler Jean Baptiste Isabey, dem nicht nur der „klassische“, eine fiktive Sitzungspause des Kongresses darstel­ lende Stich verdankt wird, sondern auch eine Vielzahl von Porträts der prominenten Teilnehmer, die ihm – mit Ausnahmen – mehr oder weniger geduldig Modell saßen. Auguste Graf de la Garde, der hervorragendste, schwatzhafteste und amüsanteste Memoirenschreiber des Wiener Kongresses3, überliefert die Hintergrundgeschichte4, weswegen es überhaupt nur zur Reise Isabeys nach Wien kam, die ihn vieler finanzieller Sorgen enthob. 1 Vgl.

Dethlefs, Gerd: Bilder zum Frieden von Münster. In: Der Frieden von Münster/De Vrede van Munster 1648. Hrsg. von Gerd Dethlefs. Müns­ ter 1998, 50–70, dort die ältere Literatur. Ferner: Kettering, Alison M.: Gerard ter Borchs „Beschwörung der Ratifikation des Friedens von Müns­ ter“ als Historienbild. In: 1648 – Krieg und Frieden in Europa. Hrsg. von Klaus Bußmann und Heinz Schilling. (Katalog Münster/Osnabrück 1998, Textbd. II) [Münster] 1998, 605–614, dort ebenfalls die ältere Literatur. 2 Kopien besitzen u.  a. das Stadtmuseum Münster und das Rijksmuseum Amsterdam. 3 Spiel, Hilde (Hrsg.): Der Wiener Kongress in Augenzeugenberichten. München 1978, 393. 4 La Garde, Graf de: Gemälde des Wiener Kongresses 1814–1815. Neu hrsg. von Gustav Gugitz. München 1912, 204.

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Abbildung 1: Gerard Ter Borch, Die Ratifikation des spanisch-nie­ derländischen Frieden von Münster (1648). The National Gallery, London.

Isabey hatte in Paris schon eine ziemlich spektakuläre Karriere hin­ ter sich, hatte er doch in jungen Jahren bereits ein Porträt von Köni­ gin Marie Antoinette malen können, mit der der junge Künstler seit­ dem bis zum Ausbruch der Revolution auf vertrautem Fuß stand. Der Übergang in das napoleonische System war ihm ohne große Mühe geglückt, und als Hofmaler Bonapartes hatte er die meisten Funktionsträger des Empire auf Leinwand verewigt, ebenso viele Frauen seiner Minister, Diplomaten und Generäle. Der Sturz Napo­ leons machte ihn zunächst einmal brot- und stellungslos, aber Spezi­ alisten sind bekanntlich von den politischen Konjunkturen nicht so

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Abbildung 2: Jean-Baptiste Isabey, Sitzungspause am Wiener Kon­ gress (1815). Berlin, Staatliche Museen zu Berlin; Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett; Sammlung der Zeichnungen und Druckgrafik.

elementar abhängig wie Politiker. Der Zufall wollte es, dass er sich im Kabinett des Fürsten Talleyrand, der am Beginn der Nach-Na­ poleon-Zeit gerade seine dritte Karriere begann und der bekanntlich zum Fall Napoleons nicht wenig beigetragen hatte, über die Wen­ dungen des Glücks beklagte, das für ihn in weite Ferne gerückt sei. Vor Talleyrands Augen, so La Garde, habe sich ein Kupferstich zum Frieden von Münster nach dem Gemälde Ter Borchs befunden. Tal­ leyrand, offenbar ganz in der Vorbereitung dieses Kongresses gefan­ gen, habe mit dem Finger darauf gedeutet und zu dem Künstler ge­ sagt: In Wien wird ein Kongress eröffnet, gehen Sie dorthin. So weit diese Darstellung La Gardes, die durch die Edition der Tal­ leyrand-Korrespondenz vom Wiener Kongress zwar nicht bestätigt wird, weil sie erst mit Talleyrands Ankunft in der Kaiserstadt ein­

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setzt5, die aber doch einige Wahrscheinlichkeit für sich hat – ganz aus den Fingern gesogen haben kann sich der Autor diese Episode nicht, weil beide Protagonisten ja noch am Leben waren und gege­ benenfalls hätten widersprechen können. Aber warum hätten sie widersprechen sollen? Es ist eine so stim­ mungsvolle Geschichte, den alten Fuchs Talleyrand sozusagen in der Geschichte kramen zu sehen und einem gerade vom Glück ver­ lassenen Künstler, der Protektion benötigt, eine Option zu eröff­ nen, die ihn wieder auf das Glücksrad bringt, dass man sie einfach glauben will. Der verschlagene, opportunistische, alle politische Wendungen überlebende und mit allen politischen Wassern gewa­ schene Ex-Bischof und Ex-Napoleon-Anhänger als Protektor eines Künstlers – wen würde ein solches Narrativ nicht anrühren? Und es gewinnt noch dadurch an Wahrscheinlichkeit, dass Talleyrand sich nicht nur ebenfalls von Isabey – er soll das Diktum geprägt ha­ ben, er sei der Maler gewordene Kongress6 – porträtieren ließ, son­ dern sich auch höchsten Orts, gegenüber seinem eigenen König, für ihn einsetzte. Isabey, im Gefolge der französischen Delegation angereist, miete­ te sich in Wien in der noblen Leopoldstadt ein, wo er rasch zum gefragtesten Porträtmaler aufstieg – die politische Elite, soweit sie in Wien anwesend war, gab sich für die Modell-Sitzungen gewis­ sermaßen die Klinke in die Hand, und selbst wenn der eine oder andere etwas zögerte – der soziale Druck war so groß, dass auch ein Mann wie Humboldt am Ende nachgab. Der Umstand, dass seine Wohnung direkt an einer zum Prater führenden Straße lag, begüns­tigte es, dass selbst mehrere der gekrönten Häupter, die an dem Kongress teilnahmen, ihn hin und wieder aufsuchten, um so mehr, als er als ein spritziger und amüsanter Gesprächspartner galt. Und man wird hinzusetzen müssen, dass der Mann, der die Dramaturgie und die Festlichkeiten von Napoleons Kaiserkrönung 1804 mit entworfen hatte (und darüber farbig zu erzählen wusste), auch bei den vielen indoor- und outdoor-Festlichkeiten in Wien ein gefragter Experte war – ohne dass ihm das uneingeschränktes Lob eintrug. Wien war ein neuer glanzvoller Höhepunkt in Isabeys Karriere; aus Anlass seiner Mitwirkung an einem festlichen Ge­ 5

Correspondance inédite du Prince de Talleyrand et du Roi Louis XVIII pendant le congrès de Vienne. Hrsg. von M. G. Pallain. Paris 1881. 6 La Garde (wie Anm. 4), 203.

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denkgottesdienst für Ludwig XVI. Anfang Januar 1815 schlug ihn sein Mentor Talleyrand sogar für die Aufnahme in die Ehrenlegi­ on vor 7. Man kann davon ausgehen, dass Isabey mit den Porträts der Prominenten und dem „Wiener Kongress“ zudem gutes Geld machte – der von John Godefroy besorgte Druck legte nach Ab­ lauf der Subskription im Preis rasch zu und verhalf Isabey sicher zu einem guten finanziellen Polster. Ein Beobachter aus dem zwei­ ten Glied, der Buchhändler und Verleger Bertuch, der sich übrigens mit Isabey wiederholt im Café traf, sprach den Verdienst Isabeys mit seinen fabricsmäßig gemalten gefälligen Aquarell[en] direkt an, den er pikanterweise mit dem der in Wien weilenden Pariser Huren in Parallele setzte 8 . Wir halten einen Augenblick inne und erinnern noch einmal da­ ran, dass Talleyrand im Spätsommer/Frühherbst 1814 einen Kup­ ferstich nach Ter Borchs Gemälde besaß – über eineinhalb Jahrhun­ derte nach dem Ereignis. Ter Borchs Darstellung galt offenbar auch den politischen Verantwortungsträgern, die keine Erinnerung mehr an die Ereignisse in Westfalen hatten, als authentisches Paradigma eines europäischen Friedenskongresses. Ob Talleyrand persönlich einen Kupferstich nach Ter Borch zu seinem Eigentum zählte oder ob er ihn sich im Zuge der Vorbereitungen aus Pariser Museen oder Bibliotheken besorgt hatte, entzieht sich unserer Kenntnis – aber der Befund ist klar: Ter Borch hatte die klassische Darstellung eines Friedenskongresses geliefert – beziehungsweise, da der Kongress ja niemals als Plenarversammlung ins Leben getreten war, desjenigen spektakulären Aktes der Beschwörung eines Teilfriedens, den ein Künstler am ehesten als stellvertretend für die „Philosophie“ eines Friedenskongresses ansehen mochte. Isabey wusste also seit diesem Dialog mit Talleyrand, wie man ei­ nen Friedenskongress mit einer europäischen Dimension kon­ zipieren konnte und wie viel europäischer Ruhm aus einer ent­ sprechenden Darstellung des in Vorbereitung befindlichen neuen Kongresses ausgehen konnte; die Absicht, es Ter Borch gleichzu­ tun und die gültige Darstellung „des“ Wiener Kongresses zu liefern, muss entweder spontan gefallen sein – La Garde spricht davon, die­ 7 8

Correspondance inédite (wie Anm. 5), 237. Carl Bertuchs Tagebuch vom Wiener Kongreß. Hrsg. von Hermann Frhr. von Egloffstein. Berlin 1916, 74; die Kaffeehaus-Treffen mit Isabey u. a. erwähnt ebd., 75, 97.

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ser Hinweis Talleyrands habe ihn wie ein Lichtstrahl, wie ein Blitz getroffen – oder sich wenig später eingestellt haben. Denn wenn man die beiden Darstellungen – Ter Borchs „Vrede van Munster“ und Isabeys „Wiener Kongress“ miteinander vergleicht, sind kom­ positorische Ähnlichkeiten unverkennbar. Das beginnt beim Hintergrund der beiden Bilder – Räume, die man zuordnen kann, in dem einen Fall durch den großformatigen Rund­ leuchter und die Holzarchitektur des Friedenssaales dem Münster­ schen Rathaus, in dem anderen Fall durch das Ganzkörperporträt Kaiser Franz’ I. im Krönungsornat, durch das Porträt Kaiserin Ma­ ria Theresias in einem Nebenraum und die Büste des Fürsten Kau­ nitz am rechten Bildrand einem Saal des Palais am Ballhausplatz, des Amtssitzes des österreichischen Staatskanzlers Fürst Metter­ nich. Schon dadurch wird der Eindruck von Authentizität hervor­ gerufen. Die Parallelität setzt sich fort durch den Tisch, auf dem zentrale Utensilien des jeweiligen Aktes – hier die Urkunden mit den Schatullen, dort die Denkschriften und andere Akten des Kon­ gresses – niedergelegt sind; in dem einen Fall (Ter Borch) ganz zen­ tral positioniert, in dem anderen aus der Bildachse ein wenig nach links verschoben. Vergleichbar ist außerdem die große Zahl der dar­ gestellten Personen – bei Ter Borch alles in allem (mit Einschluss der nur angedeuteten Personen) ca. 70 Männer, davon 54 erkennbar, bei Isabey 23 Kongressteilnehmer, die freilich viel aufgelockerter und stehend und sitzend dargestellt werden, während Ter Borch alle Dargestellten, der Würde des Augenblicks – einer Eidleistung – entsprechend, stehend darstellt. Und schließlich ist auch darin eine Parallele zu sehen, dass sich Isa­ bey – wie einst Ter Borch – durch Porträts der handelnden Personen sehr genau auf diese Gesamtkomposition vorbereitet hatte. Die Por­ trätmalerei Ter Borchs9 war in Münster neben den einschlägigen Ak­ tivitäten van Hulles ein Highlight der künstlerischen Begleitmusik zum Kongress, und ähnlich gefragt war auch Isabey als der maßge­ bende Porträtmaler in Wien, der schon im Januar 1815, also nur ein Vierteljahr nach dem Beginn des Kongresses, alle Funktionsträger der Großmächte porträtiert hatte. Insofern macht es vor allem bei dem Isabey-Stich auch kaum Schwierigkeiten, die dargestellten Per­ sonen zu identifizieren – für Kenner des Geschehens und der politi­ schen Landschaft wären die Medaillons mit den Wappen der Darge­ 9 Vgl.

Dethlefs (wie Anm. 1), 56.

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stellten, die den verschiedenen Fassungen des Stichs in den seitlichen Leisten beigegeben wurden, kaum vonnöten gewesen. Es scheint somit vieles dafür zu sprechen, dass ein unmittelbarer re­ zeptioneller und ästhetischer Zusammenhang zwischen den beiden „klassischen“ Darstellungen zweier epochaler europäischer Frie­ denskongresse und Friedensschlüsse besteht: Isabey kannte durch Talleyrands Vermittlung Ter Borchs Darstellung, er schuf sich ähn­ lich wie Ter Borch durch eine rege Porträtmalerei die Vorausset­ zungen, ein solches großes menschengefülltes „Gemälde“ in der Form eines „Linien- und Punktierstichs“ anzugehen, der sich in der Komposition augenscheinlich an dem Vorbild von Ter Borchs Friedensgemälde von 1648 orientierte. Ter Borch hatte offenbar ein Modell geschaffen, wie Friedensschlüsse in einer trans-allego­ risierten, mithin auch „säkularisierten“ Epoche dargestellt werden sollten – ganz ähnlich wie Hyacinthe Rigaud mit seinem „Staats­ porträt“ Ludwigs XIV. ja für Jahrzehnte das Kunstleben inspiriert und geprägt hatte10: Der Friede hatte die handelnden Personen in einem authentischen Rahmen zu zeigen, wie sie voller Ernst bei der Arbeit waren. Bei Isabey ist freilich bei aller assoziierten Ernst­ haftigkeit der Protagonisten eine gewisse Lässigkeit nicht zu über­ sehen, wie sie sich etwa in den lockeren Armhaltungen Castle­ reaghs und Talleyrands spiegelt. Aber das frühe 19. Jahrhundert war schließlich auch nicht mehr das mittlere 17. Nicht die Unterschrift­ leistung unter das oder die Schlussdokument(e), nicht die Freuden­ feiern nach Abschluss des Friedens, standen für „den Frieden“, also den Typus des „Friedensbildes“, sondern die Diplomaten bei ihrer Arbeit, in der Form eines Gruppenbildes der Protagonisten, das ja bis in unsere Gegenwart als Modell der Visualisierung eines völker­ rechtlichen Aktes gilt. Dass die personale Konstellation, wie sie Isa­ bey zeichnete und stechen ließ, auf dem Kongress so niemals statt­ fand – das Achterkomitee, das das Gemälde ja darstellt, hat in dieser Zusammensetzung niemals getagt –, und dass seine Darstellung die eigentlichen „Motoren“ des Kongresses, die Monarchen, völlig au­ ßen vor ließ, war vor dieser Folie dann eher zweitrangig.

10 Vgl.

Ahrens, Kirsten: Hyacinthe Rigauds Staatsporträt Ludwigs XIV. Ty­ pologische und ikonologische Untersuchungen zur politischen Aussage des Bildnisses von 1701. Worms 1990.

Zusammenfassungen Gabriele Haug-Moritz: Frieden im Land – die sächsisch-branden­ burgisch-hessische Erbeinung (1451/57–1555). Zur Kontinuität spätmittelalterlicher Formen der Friedewahrung im Reich des 16. Jahrhunderts Der Beitrag wendet sich einem Element der Friedenssicherung im Reich des 16. Jahrhunderts zu, das erst jüngst und in allerers­ ten Ansätzen in den Blick der Forschung geraten ist – den Erbei­ nungen. Am Beispiel der sächsisch-brandenburgisch-hessischen Erbeinung ist er bestrebt, zu einer fundierten Einordnung des Erbeinungswesens in die vielfältigen und sich seit der Zeit um 1500 grundlegend verändernden Erscheinungsformen der Friede­ wahrung im Reich zu gelangen. Im Zentrum stehen die zwischen 1451/57 und 1555 abgeschlossenen Erbeinungsverträge, wobei die Frage, welche konkreten Wirkungen diese Verträge entfalteten, aufgrund der Forschungssituation nur am Rande thematisiert wer­ den kann. Der erste Abschnitt wendet sich der Genese und Ent­ wicklung der Erbeinungsverträge zu. Im zweiten Teil wird die in­ haltliche Seite in diachronem Längsschnitt analysiert, wobei der personalen wie räumlichen Geltung und den in den Verträgen auf­ scheinenden inhaltlichen Regelungsbereichen die besondere Auf­ merksamkeit gilt. Ausgehend von der, in Anbetracht des Verfas­ sungswandels des Reiches im Zeichen der gestalteten Verdichtung (Moraw) erstaunlichen Beobachtung, dass sich die Abreden in Form und Inhalt nur marginal verändern, wird als konstitutives Merkmal dieser Form freiwilliger Vergemeinschaftung ihre Veran­ kerung in den lehensrechtlichen Strukturen des Reiches aufgezeigt. Diese finden in der Zentrierung der Einungen um die Personen der vertragschließenden Fürsten, die sich als königliche Lehens­ leute und nicht als Häupter einer Dynastie zusammenschließen, und auch in der Bestimmung des Raumes, in dem die Erbeinung Einigkeit und Frieden gewährleisten soll, ihren Niederschlag. In­ haltlich erweist sich die Erbeinung als eine spätmittelalterlichen Friedenskonzepten verpflichtete Pax specialis, die sich als Fehdege­ nossenschaft, Hilfseinung, Friedens- und Rechtsverband konkreti­ siert. Mittelalterlicher Friede und neuzeitlicher Landfriede stehen, so wird abschließend argumentiert, in einem subsidiären, nicht in einem konkurrierenden Verhältnis.

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Dietmar Heil: Zur Friedenspoblematik auf den Reichstagen Kaiser Maximilians I. (1493–1519) Die auf den Reichstagen der Regierungszeit Kaiser Maximilians  I. (1486/93–1519) versammelten Stände sahen sich im Wesentlichen auf vier Feldern mit dem Problem von Frieden und Sicherheit konfron­ tiert. Die Sicherheit des Binnenreiches stellte in der ständischen Per­ spektive in dieser Phase ein Problem vor allem des Hauses Habsburg dar. Allerdings blieben auch die von außen bedrohten Territorien an der Peripherie des Reiches weitgehend auf sich gestellt. Der zwei­ te Bereich war markiert durch das Bemühen einer kleinen Gruppe von reformorientierten Reichsfürsten nach der verfassungsmäßigen Umschichtung der königlichen Befugnisse hinsichtlich Frieden und Recht auf ständisch kontrollierte Institutionen, wogegen Maximi­ lian  I. den neu zu schaffenden Einrichtungen einen monarchischen Stempel aufdrücken wollte. Dieses Ringen wurde bis 1512 im We­ sentlichen im Sinne der Fürstenpartei entschieden, die Ergebnisse blieben indessen gegenüber Störungen des Reichsfriedens und Ge­ fahren für die innere Sicherheit vorläufig weitgehend wirkungslos. Hingegen leistete der planmäßig um kaiserliche Schieds- und Ge­ richtstage erweiterte Reichstag bis gegen 1510/12 einen ganz we­ sentlichen Beitrag zur Stilllegung interterritorialer Konflikte und da­ mit zur Stabilisierung des Reichsverbandes. Danach überlagerten die habsburgischen Interessen die kaiserliche Reichspolitik vollständig und die Mechanismen der Konfliktregulierung blieben angesichts ei­ ner allgemeinen Krise im Reich erfolglos. Die nach fünfjähriger Un­ terbrechung 1517 und 1518 wieder versammelten Reichstage über­ nahmen deshalb auch direkt die kaiserliche Schlichtungsfunktion, zeigten sich damit allerdings noch überfordert. Beinahe völlig ver­ sagten die Reichstage bei den für viele Reichsuntertanen in territo­ rialen Gemengelagen gravierendsten Friedensstörungen, der krimi­ nalisierten Fehde und alltäglichen Gewaltkriminalität. Die wenigen Beschlüsse leisteten nichts zur Behebung des Problems, sachfremde Aspekte dominierten die Politik des Reichsoberhaupts. Lediglich in Südwestdeutschland konnte dieses Defizit an Staatlichkeit durch den Schwäbischen Bund wirkungsvoll kompensiert werden. Ungeach­ tet dieses auf kurze Sicht insgesamt negativen Befundes erwiesen sich die auf den maximilianeischen Reichstagen getroffenen Entschei­ dungen als wegweisend, die Wormser Ordnung durchdrang allmäh­ lich den Reichsverband und trug maßgeblich zu dessen Transforma­ tion zum Friedens- und Rechtsverband bei.

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Alfred Kohler: Die Friedenssicherung im Heiligen Römischen Reich Mitte des 16. Jahrhunderts. Eine thematische und autobiogra­ phische Annäherung Die Mitte des 16. Jahrhunderts nach dem Ausgang des Schmalkal­ dischen Krieges besonders virulente Friedensfrage stellt ein Schlüs­ selthema der frühneuzeitlichen Reichsgeschichte dar. Das Scheitern der Versuche Karls V. zu einer politischen Neuordnung hinterließ zahlreiche ungelöste Probleme hinsichtlich der Landfriedenssiche­ rung. Der Beitrag Kohlers widmet sich dieser für die Geschich­ te des Reiches als Friedenswahrungsverband zentralen Periode so­ wohl thematisch als auch forschungsgeschichtlich-autobiographisch aus der Sicht des Editors des von Felix Hornung im kaiserlichen Auftrag verfassten Reichstagsprotokolls von 1555 und des (an­ ders als der überwiegende, auf die Religionsfrage fokussierte Teil der Zunft) besonders an der Landfriedensproblematik interessier­ ten Forschers. Ferner blickt der Verfasser auf die Forschungs- und Editionsgeschichte zur kaiserlichen Friedenspolitik im Umfeld des Augsburger Reichstages 1530 und, damit verbunden, die Stellung der (quellengestützten) historischen Friedensforschung im Kon­ text sich wandelnder Paradigmen der Geschichtswissenschaft seit den 1970er Jahren zurück. Der Beitrag schließt mit dem Plädoyer für eine Pluralität der Herangehensweisen bei der Erforschung der deutschen und europäischen Geschichte (von Quelleneditionen bis hin zu Synthesen) sowie der nachdrücklichen Forderung nach ei­ ner Ausweitung des Erkenntnisinteresses auf die außereuropäische Welt. (Zusammenfassung von G. Braun)

Marc von Knorring: Der „friedenssichernde“ Reichsdeputationstag zwischen Augsburger Religionsfrieden und Dreißigjährigem Krieg. Eine Bilanz Die Reichsdeputationstage von 1564, 1569 und 1590 sowie der ih­ nen eng verwandte Tag von 1586 hatten als „friedenssichernde“ De­ putationstage einen verfassungsrechtlich festgelegten Auftrag im Rahmen der Landfriedenswahrung. Bereits 1564 wurden darüber hinausgehende Maßnahmen sowie Änderungen an der Exekutions­ ordnung beschlossen und durch einen Reichstag auch legitimiert. Die maßgeblich durch Kurfürst August von Sachsen beförderten Entscheidungen waren grundlegend für die erfolgreiche Reichs­ exekution gegen Wilhelm von Grumbach 1566/67 und trugen da­

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mit zur Konsolidierung des Reichsverbands bei. Der Tag von 1569 stand dagegen unter dem Zeichen äußerer Einflüsse. Den Beein­ trächtigungen des Reichsgebiets durch die Kriege in den westlichen Nachbarländern konnte dabei angesichts eines kurzfristigen Ab­ flauens der kriegerischen Aktivitäten sowie der Überspannung der kaiserlichen, auf eine Zentralisierung des Exekutionswesens abzie­ lenden Forderungen nichts entgegengesetzt werden. Die Tage von 1586 und 1590, die ebenfalls mit Übergriffen aus den Nachbarlän­ dern befasst waren, litten unter der zunehmenden Konfessionalisie­ rung der Politik und blieben aufgrund der mangelnden Akzeptanz durch die Reichsstände beziehungsweise der Uneinigkeit der Depu­ tierten wirkungslos. Der „friedenssichernde“ Reichsdeputationstag scheiterte damit insgesamt ebenso an tagespolitisch bedingten Um­ ständen wie an grundsätzlichen Problemen, die dieser Versamm­ lungsform zu eigen waren. Josef Leeb: Supplikationen als Konflikte auf dem Reichstag. Mög­ lichkeiten und Grenzen der Konfliktregulierung durch Reichsver­ sammlungen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Eine statistische Bestandsaufnahme auf der Grundlage von sechs Reichstagen, zwei Reichsdeputationstagen sowie je einem Reichs­ kreis- und Kurfürstentag im Zeitraum von 1556 bis 1586 erbringt eine Gesamtzahl von 653 Supplikationen an diese Reichsversamm­ lungen. Die Auswertung zeigt ein breites Spektrum von bürger­ lichen Untertanen über Landsassen und Reichsstände bis hin zu auswärtigen Potentaten als Supplikanten, sie verdeutlicht aber, dass die Supplikation auf dieser Ebene überwiegend als Instrument der Reichsstände und anderer höherrangiger Petenten diente. Auch als Adressaten der Supplikationen wurden mehrheitlich die Reichs­ stände und nur zum kleineren Teil der Kaiser angesprochen. Die Möglichkeiten der Reichsversammlungen, auf Supplikationen hin, die sich unter Berufung auf das Recht oder einen Rechtsan­ spruch gegen eine Gegenpartei richteten und damit einen Konflikt beinhalteten, regulierend einzugreifen, reichten von der gänzlichen Ignorierung der Eingabe bis hin zu erfolgreichen friedensvermit­ telnden Maßnahmen. Ob und mit welchem Engagement sich die Reichsstände auf Supplikationen als grundsätzlich nachrangige Ne­ benthemen einer Reichsversammlung einließen, hing ab von de­ ren allgemein-reichspolitischer Bedeutung sowie von den Kon­ sequenzen, die eine Befürwortung nach sich zog: In der Regel

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wurden wenig verbindliche Promotoriale zuerkannt, dagegen Sank­ tionsmaßnahmen, die eine Ausweitung der Kontroversen befürch­ ten ließen, verweigert. Auch bei den reichspolitisch bedeutsamen Supplikationen beschränkten sich die Reichsstände wie in anderen Fällen auf defensive diplomatische Mittel und ausgleichende Ver­ fahren, um primär die rechtlichen Ansprüche des Reichs zu mani­ festieren, ohne dessen Verwicklung in die Konflikte zu provozieren. Für den Großteil der Supplikationen insbesondere zu Kontrover­ sen zwischen Reichsständen bestätigt sich, dass definitive Entschei­ dungen möglichst umgangen wurden, indem viele Supplikanten an das Reichsoberhaupt, eine künftige Reichsversammlung oder an gütliche Vermittlungen verwiesen und Eingaben, die sich auf schwebende juristische Verfahren bezogen, dort belassen wurden. Doch bot für Reichsstände, Landsassen und Untertanen die Suppli­ kation an eine Reichsversammlung unabhängig von ihrer Klärung die Möglichkeit, mit der Darlegung von Konflikten auf höchster in­ stitutioneller Ebene Rechts- und Besitzansprüche öffentlich zu do­ kumentieren und aufrechtzuerhalten. Helmut Neuhaus: Die Gesandten Zar Iwans IV. auf dem Regens­ burger Reichstag des Jahres 1576 (mit zwei Quellenanhängen) Der Beitrag präsentiert zwei Texte, die das Auftreten der Gesandten des russischen Zaren Iwan IV. auf dem Regensburger Reichstag des Jahres 1576 zum Gegenstand haben. Dabei handelt es sich um eine Beschreibung aus der „Saltzburgische[n] Chronick“ des erzbischöf­ lich-salzburgischen Reichstagsgesandten Johann Baptist Fickler und den Textteil einer zeitgenössischen dreiteiligen Holzschnittfolge Mi­ chael Petterles, die die Prozession der 28-köpfigen Moskauer Ge­ sandtschaft vor der Audienz bei Kaiser Maximilian II. zeigt. In der Hinführung zu diesen Texten werden vor allem die unzulängliche Erstveröffentlichung des Auszugs aus der „Saltzburgische[n] Chro­ nick“ im Jahre 1915 durch Wilhelm Scherer und die Darstellung Jo­ hann Baptist Ficklers aus den frühen 1590er Jahren thematisiert. Be­ griffserläuterungen erleichtern die Verständlichkeit der Texte. Michael Rohrschneider: Sicherheitskonzeptionen in den spanischen Instruktionen zu den Friedenskongressen von Köln und Münster (1636–1645) Die spanischen Friedensinstruktionen von 1636, 1643 und 1645 sind eine außerordentlich wertvolle Quelle für das Verständnis der

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spanischen Politik im Dreißigjährigen Krieg und auf dem Westfä­ lischen Friedenskongress. Sie enthalten verschiedene Konzepte zur Etablierung und anschließenden Bewahrung eines sicheren Friedens mit dem Kriegsgegner Frankreich. Hierzu zählen insbesondere das Prinzip der kollektiven Sicherheit, der Einsatz von Sicherheitsbür­ gen und -pfändern, dynastische Heiratspolitik sowie die Bemü­ hungen, nach Möglichkeit Friedensregelungen zu finden, die nicht den Keim neuer Konflikte in sich trugen. Das ausgeprägte Sicher­ heitsbedürfnis Spaniens resultierte dabei nicht zuletzt aus der feind­ bildartigen Wahrnehmung des französischen Kriegsgegners, dem man notorische Vertragsuntreue vorwarf, sodass es als zwingend erforderlich angesehen wurde, besondere Maßnahmen zur Frie­ densassekuration zu ergreifen. Charakteristisch ist dabei, dass das spanische Sicherheitsdenken untrennbar mit dem Leitgedanken der Ehre beziehungsweise Reputation verbunden war: Die paz segura und die paz honesta bedingten sich gegenseitig; die eine Leitvorstel­ lung war im spanischen Kalkül ohne Einbeziehung der jeweils an­ deren nicht vollständig umsetzbar. Die spanischen Friedensinstruk­ tionen lassen somit wie unter einem Brennglas spezifische Formen und Denkrahmen der Friedensstiftung beziehungsweise -sicherung im Europa des 17. Jahrhunderts erkennen. Konrad Repgen: Maximilian Graf Trauttmansdorff – Chefunter­ händler des Kaisers beim Prager und beim Westfälischen Frieden Eine moderne politische Biographie Trauttmansdorffs, des kaiser­ lichen Chefunterhändlers auf dem Westfälischen Friedenskongress, bleibt weiterhin ein Desiderat der Forschung. Obwohl der Graf Münster mehr als ein Jahr vor dem Friedensschluss verließ (im Juli 1647), war er mit seiner Kongresspolitik keineswegs gescheitert: Das Friedenswerk von 1648 trug hauptsächlich seine Handschrift. Schon den Prager Frieden 1635 hatte Trauttmansdorff für den Kai­ ser federführend mit ausgehandelt. Obwohl seine Kompetenzen als Delegationsleiter damals nicht unumstritten geblieben waren, be­ saß er als einziger kaiserlicher Unterhändler einen Gesamtüber­ blick über die Friedensverhandlungen. Das Hauptproblem dieser Verhandlungen war aus kaiserlicher Sicht das Restitutionsedikt von 1629 gewesen. Reichsreligionsrecht und Territorialfragen wurden 1635 weniger umfassend geregelt als 1648. Trauttmansdorff verfügte nicht über ein zielgerichtetes Programm zur Umgestaltung des Rei­ ches. Hinsichtlich seiner Rolle bei den Westfälischen Friedensver­

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handlungen erlaubt die Quellenpublikation „Acta Pacis Westpha­ licae“, in einigen wichtigen Punkten über die bisherige Forschung hinauszukommen: Anders als in Münster, wo über Vermittler ver­ handelt wurde, konnte Trauttmansdorff in Osnabrück seine Per­ sönlichkeit und das Ansehen des kaiserlichen Amtes in den direkten Verhandlungen zwischen den Parteien politisch nutzen. Der Ver­ gleich zwischen seiner Instruktion und seinem Rechenschaftsbe­ richt verdeutlicht, dass Trauttmansdorff sich gegenüber dem Haus Habsburg und dem Reich auf dem Kongress große Verdienste er­ worben hat. Dies sahen 1648 nicht nur Kaiser Ferdinand III., son­ dern auch andere europäische Beobachter so. Seine zeitgenössisch gerühmten persönlichen Eigenschaften und Verhandlungskünste machten ihn zum bedeutendsten Baumeister des Westfälischen Frie­ dens. (Zusammenfassung von G. Braun)

Maria-Elisabeth Brunert: Friedenssicherung als Beratungsthema der protestantischen Reichsstände in der Anfangsphase des Westfä­ lischen Friedenskongresses Bereits vor Einberufung der Reichskurien durch das Reichsdirek­ torium bildeten im Herbst 1645 Reichsfürsten und Reichsstäd­ te in Osnabrück einen Ausschuss, der über nahezu alle Materien des späteren kaiserlich-schwedischen und kaiserlich-französischen Friedensvertrags beriet und einen ersten Entwurf für ein Gutach­ ten über die Friedensvorschläge Schwedens, Frankreichs und des Kaisers verfasste. Dieser wurde im größeren Kreis des damals aus­ schließlich protestantisch besetzten Fürstenrats wiederum zur Dis­ kussion gestellt. Zu den Beratungsthemen gehörten auch jene Maß­ nahmen zur Sicherung (Gewährleistung, Garantie) des Vertrags, die später in Art. XVII IPO und §§ 111–120 IPM zusammengefasst wurden. Daneben behandelten die Gesandten Regelungen und Ak­ tionen, die angebliches oder wirkliches Konfliktpotential aus dem Weg räumen sollten, um dadurch eine künftige Gefährdung des Friedens zu unterbinden. Diese Beratungen in quasi internem Zir­ kel sind deshalb besonders aufschlussreich, weil die Gesandten of­ fen reden konnten und auch antikatholische Maßnahmen wie zum Beispiel die Vertreibung der (angeblich) friedensstörenden Jesuiten erörterten, die auf traditionellen protestantischen Gravamina ba­ sierten. Es zeichnet die Gesandten aus, dass sie mit klugem Blick auf das Machbare jene Vorschläge herausgriffen, die auch im Zu­

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sammenwirken mit den katholischen Reichsständen und, wichtiger noch, Signatarmächten eine Chance auf Verwirklichung hatten. Es wird gezeigt, dass fundamental wichtige Vertragsinhalte wie die so­ genannte Antiprotestklausel in Art. XVII,3 IPO = § 113 IPM in nuce bereits im Herbst 1645 von den protestantischen Reichsstän­ den in Osnabrück konzipiert wurden. Dorothée Goetze: Kaiserliche und bayerische Bündnispraxis in der Schlussphase des Westfälischen Friedenskongresses Obwohl über den Dreißigjährigen Krieg und den Westfälischen Friedenskongress unzählige Publikationen vorliegen, wird das letz­ te Verhandlungsjahr in der Forschung bislang eher en passant zu­ sammengefasst. Dabei ist es aus verhandlungsdynamischer Sicht eines der ereignisreichsten, wurden zwischen März und September 1648 doch die zentralen reichsinternen Problemfelder abschließend behandelt, ehe am 24. Oktober 1648 die Friedensverträge unter­ zeichnet werden konnten. Im Zusammenhang mit dieser letzten Verhandlungsrunde vor Ab­ schluss des Friedens widmet sich der vorliegende Beitrag der im Herbst 1647 nach der von bayerischer Seite erfolgten Aufkündi­ gung des Ulmer Waffenstillstands erneuerten kaiserlich-baye­ rischen Allianz. Unter vollkommen gegensätzlichen Vorausset­ zungen fanden Ferdinand III. und Maximilian von Bayern im Bestreben nach einem schnellen Abschluss des Friedens zusam­ men. Dem Kaiser fehlte es an Mitteln, eine schlagfähige Armee zu unterhalten. Außerdem galt es für ihn noch immer, zentrale Inte­ ressen während der Verhandlungen durchzusetzen. Der Kurfürst dagegen hatte ausreichend Mittel, seine Truppen zu unterhal­ ten. Sein wichtigstes Ziel hatte er bereits erreicht: die Bestätigung der Kur und des Besitzes der Oberpfalz. Sein Bestreben um ein rasches Ende des Krieges ist im Wunsch nach Bestandssicherung zu sehen. Der vorliegende Beitrag fragt nach dem Funktionie­ ren des Bündnisses sowohl in militärischer als auch in politischer Hinsicht. Im Zentrum der Betrachtung steht dabei das Kongress­ geschehen von Februar 1648 bis Oktober 1648, in dessen Verlauf sich die beiden Alliierten zunehmend von einander entfernten, bis schließlich keine gemeinsame Politik mehr möglich war. Während sich der Kaiser im Laufe des Jahres 1648 immer weiter von den Verhandlungen des Kongresses ausschloss und somit die Fähig­ keit verlor, im eigenen Interesse auf die Beratungen einzuwirken,

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nahm Bayern mit dem Fortschreiten der Verhandlungen immer deutlicher eine führende Rolle ein. Dies ist zum einen der Kom­ promissbereitschaft Maximilians von Bayern, zum anderen aber auch seiner pragmatischen Bündnisgestaltung geschuldet. Guido Braun: Frieden und Gleichgewicht bei Leibniz Die Frühe Neuzeit führte in den verschiedensten Lebensbereichen zu einem umfassenden und beschleunigten Wandel. Damit kor­ relierte ein verstärktes Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit. 1648 wurde sowohl im Reich als auch in großen Teilen Europas eine Friedensordnung etabliert, deren Ziele eine sichere friedliche Koexistenz der drei großen Konfessionen im Reich, ein Ausgleich zwischen monarchischer Gewalt und ständischer Partizipation so­ wie eine Lösung der mächtepolitischen Gegensätze waren. Bei de­ ren Umsetzung war der Westfälische Frieden nur teilweise erfolg­ reich. Dennoch sah Leibniz „1648“ als eine wichtige Grundlage für Frieden, Recht und Sicherheit im Reich und in Europa an. Zur Lebens- und Schaffenszeit von Leibniz erschien diese Friedens­ ordnung ihm vor allem durch die Expansionspolitik des franzö­ sischen Königs Ludwig XIV. bedroht. Als eine Voraussetzung für die Bewahrung des Ruhezustands Europas und des Reiches be­ trachtete er, nicht zuletzt angesichts dieser französischen Bedro­ hung, ein beständiges Gleichgewicht durch die Kommensurabili­ tät der Kräfte im europäischen Mächtesystem sowie innerhalb des Reichsverbandes (politisch und konfessionell). Dieses Gleichge­ wicht war die Antwort auf die französischen Hegemonialbestre­ bungen. Durch die Übertragung seiner politischen Regelungs­ mechanismen wurde das Reich zum Modell für eine europäische Friedens- und Gleichgewichtsordnung. In der Politik entwickelte Leibniz analog zur Physik ein diplomatisches Kräftemodell, das quasi naturwissenschaftlichen Grundsätzen verpflichtet war. Da­ bei verstand er „Gleichgewicht“ jedoch weder in der Diplomatie noch in der Physik als konkret fassbare objektive Realität, son­ dern vielmehr als menschliche Annahme und damit als Kon­ struktion. Das Gleichgewicht war für Leibniz letztlich kein Ziel, sondern einer der Wege zu einem sicheren Frieden, der seine Voll­ endung letztlich durch die Errichtung eines „Vernunftstaates“ er­ fahren sollte.

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Christoph Kampmann: Völkerrechtsbruch als politische Strategie? Ein bekannter Fall und ein unbekannter Plan der Diplomatenent­ führung unter Kaiser Leopold I. Im Februar 1674 wurde Landgraf Wilhelm Egon von Fürstenberg, der als bekannter Gefolgsmann Ludwigs XIV. und als Symbolfi­ gur der profranzösischen Partei im Reich galt, auf Geheiß Kaiser Leopolds I. (1658–1705) während des Kölner Friedenskongresses überfallen und entführt. Als spektakulärer Bruch des völkerrecht­ lichen Gesandtschaftsrechts hat der Vorgang erhebliche zeitgenös­ sische Aufmerksamkeit und auch große Beachtung der späteren Geschichtsschreibung gefunden. Die kaiserlichen Beweggründe zur Durchführung dieses Gewaltstreichs im Vorfeld der Reichskriegs­ erklärung gegen Frankreich sind allerdings noch nicht endgültig ge­ klärt und nach wie vor umstritten. Die Studie möchte zur Erklärung des kaiserlichen Vorgehens bei­ tragen, indem sie den Fall Fürstenberg mit einem anderen kaiser­ lichen Plan der Entführung eines Diplomaten in der Regierungs­ zeit Leopolds I., nämlich jenem des französischen Sondergesandten beim Immerwährenden Reichstag von Regensburg, Louis Rousseau de Chamoy, vergleicht. Dazu werden die Umstände dieses bislang unbekannten Entführungsplans geschildert, der schließlich wohl auch wegen praktischer Hindernisse nicht realisiert wurde. Da­ bei wird deutlich, dass der Plan zur Entführung Chamoys – ähn­ lich wie jener zur Verschleppung Fürstenbergs – am Wiener Hof in einer Situation entstand, in der sich das Reich merklich auf einen Krieg mit Frankreich zubewegte: Im Zeichen des heraufziehenden Spanischen Erbfolgekriegs gab der Kaiser 1701/1702 seine bislang verfolgte Konfrontationspolitik gegenüber dem Immerwährenden Reichstag langsam auf und versuchte, das Reich für den Krieg gegen Frankreich zu mobilisieren. Die Parallelität der politischen Lage 1674 und 1701/1702 deutet darauf hin, dass hinter beiden Entführungsplänen, bei allen Un­ terschieden im Einzelnen, eine vergleichbare politische Strate­ gie des Kaisers stand, die eindeutig auf Konflikteskalation abzielte. Durch eine Gewaltaktion, die wenigstens von der Gegenseite und von neutralen Beobachtern als unmissverständliche Absage an völ­ kerrechtliche Konventionen qualifiziert werden würde, sollte der Bruch mit Frankreich unumkehrbar gemacht und die Reichsstän­ de zugleich zu eindeutiger Parteinahme gezwungen werden: Raum für die Bildung irgendwelcher Dritter Parteien zwischen dem Kai­

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ser und Frankreich – das war das klare Signal, das die Wiener Regie­ rung aussenden wollte – gab es im Reich nicht mehr. Peter Rauscher: Zwischen Krieg und Frieden. Kaiserliche Finanz­ krise und Friedenspolitik im Vorfeld des Dreißigjährigen Kriegs (1612–1615) In der Studie wird die Zwischenkriegszeit zwischen Langem Tür­ kenkrieg (1593–1606) und Dreißigjährigem Krieg (1618–1648) aus der Perspektive der kaiserlichen Finanzen in den Blick genommen. Vertreten wird dabei die These, dass die weitgehend von Kardinal Melchior Klesl bestimmte und bereits von den Zeitgenossen schwer zu durchschauende Politik Kaiser Matthias’ ohne Berücksichtigung der katastrophalen Finanzlage des Kaiserhofs kaum verständlich ist. Bereits zu Regierungsbeginn wurden von Matthias Maßnahmen er­ griffen, um die Schulden in den Griff zu bekommen. Allerdings ge­ lang es weder umfassende Hilfen des Heiligen Römischen Reichs noch der habsburgischen Länder durchzusetzen. Versuche zur grundlegenden Reform der kaiserlichen Finanzorganisation schei­ terten ebenfalls. Die fehlenden Mittel zur militärischen Lösung des Konfessionskonflikts im Reich und zur Fortsetzung des Türken­ kriegs bildeten somit die Grundlage der Friedenspolitik nach innen und außen. Peter Arnold Heuser: Kaspar Schetz von Grobbendonk oder Pedro Ximénez? Studien zum historischen Ort des „Dialogus de pace“ (Köln und Antwerpen 1579) Der Traktat „Viri pietate, virtute, moderatione, doctrinaque claris­ simi dialogus de pace: rationes, quibus Belgici tumultus inter Phi­ lippum, serenissimum et potentissimum Hispaniae Regem, et sub­ ditos hoc rerum statu componi possint, explicans“, der im Kontext des Kölner Friedenskongresses von 1579, des sogenannten „Kölner Pazifikationstages“, anonym publiziert wurde, ist eine der beacht­ lichsten Friedensschriften, die aus dem Achtzigjährigen Krieg zwi­ schen den niederländischen Provinzen und Spanien vorliegen. Der Beitrag weist die Zuschreibung des Friedenstraktates an den bel­ gischen Staatsmann, Diplomaten und Bankier Kaspar Schetz von Grobbendonk zurück und stellt die inneren und äußeren Befunde zusammen, die für eine Autorschaft des irenischen Humanisten Pe­ dro Ximénez in Köln sprechen.

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Arno Strohmeyer: Die Theatralität interkulturellen Friedens: Dami­ an Hugo von Virmont als kaiserlicher Großbotschafter an der Ho­ hen Pforte (1719/20) Der niederrheinische Adlige Damian Hugo von Virmont reiste 1719 an der Spitze einer aus mehreren hundert Personen bestehenden kai­ serlichen Großbotschaft an die Hohe Pforte. Die Mission war ein Jahr zuvor im Frieden von Passarowitz beschlossen worden, in dem sich Habsburger und Osmanen wechselseitig zu so einer aufwen­ digen und zeitlich befristeten Gesandtschaft auf höchster diploma­ tischer Ebene verpflichtet hatten. Zu den Hauptaufgaben der Groß­ botschafter zählte die symbolische Inszenierung des Friedens, die als essenzieller Bestandteil des Friedensprozesses verstanden wurde. Es handelte sich um einen äußerst schwierigen Vorgang, da sehr unter­ schiedliche politische Kulturen aufeinander trafen. Der Beitrag geht der Frage nach, welche Vorstellungen und Orientierungen dabei zu erkennen sind, insbesondere, wie man die kulturellen Brüche be­ wältigte. Im Fokus stehen die drei Hauptstationen der Mission Vir­ monts: der Grenzwechsel bei Paraćin mit der Auswechslung mit dem osmanischen Gegenbotschafter Ibrahim Pascha, der Einzug in Kon­ stantinopel und die Antrittsaudienz bei Sultan Ahmed III. Dabei ge­ raten zentrale verbale wie nonverbale symbolische Handlungen in den Blick, etwa gemeinsame Gastmähler, die Überreichung von Ge­ schenken und das Tragen bestimmter Kleidungsstücke. Die Unter­ suchung zeigt, dass wesentliche Merkmale der symbolischen Insze­ nierung des Friedens Parität und Symmetrie bildeten; jeder Anschein von Rangunterschieden zwischen Habsburgern und Osmanen sollte vermieden werden. Auf religiöse Provokationen wurde verzichtet. Eine Leitvorstellung bildete politische Freundschaft, die man durch Praktiken wie Händedruck, Umarmungen, gemeinsames Speisen, den Austausch von Präsenten und Küsse zum Ausdruck brachte. Diese wurden zwar in den jeweiligen Kulturen teilweise unterschied­ lich decodiert, ihre Kernaussage war jedoch den Beteiligten geläufig. Heinz Duchhardt: Fernwirkungen: Zur Rezeptionsgeschichte von Ter Borchs Friedensgemälde Der Aufsatz bringt die beiden bekanntesten künstlerischen Darstel­ lungen zweier zentraler europäischer Friedenskongresse – desjenigen in Westfalen und desjenigen in Wien 1814/15 – in einen historisch be­ legbaren, also äußeren, und einen inneren, ästhetischen Zusammenhang: Ter Borchs Friedensbeeidung von 1648 und Isabeys Stich von 1815/16.

VERZEICHNIS DER AUTORINNEN UND AUTOREN Dr. Dr. Guido Braun, Institut für Geschichtswissenschaft, Rhei­ nische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Dr. Maria-Elisabeth Brunert, Institut für Historische Friedensfor­ schung, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Prof. em. Dr. Dr. h.c. Heinz Duchhardt, Präsident der Max We­ ber Stiftung, ehemaliger Direktor des Instituts für Europäische Ge­ schichte Mainz Dorothée Goetze M.A., Institut für Historische Friedensfor­ schung, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Prof. Dr. Gabriele Haug-Moritz, Karl-Franzens-Universität Graz Dr. Dietmar Heil, Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München/Regensburg Dr. Peter Arnold Heuser, Institut für Historische Friedensfor­ schung, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Prof. Dr. Christoph Kampmann, Philipps-Universität Marburg Dr. Marc von Knorring, Universität Passau Prof. em. Dr. Alfred Kohler, Universität Wien Dr. Josef Leeb, Historische Kommission bei der Bayerischen Aka­ demie der Wissenschaften, München/Oberpöring Prof. em. Dr. Helmut Neuhaus, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Priv.-Doz. Dr. Peter Rauscher, Institut für Österreichische Ge­ schichtsforschung, Universität Wien Prof. em. Dr. Dr. h.c. Konrad Repgen, Institut für Geschichtswis­ senschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Apl. Prof. Dr. Michael Rohrschneider, Universität zu Köln/Uni­ versität Salzburg Prof. Dr. Arno Strohmeyer, Universität Salzburg

Personenregister Aufgenommen wurden die Namen der Personen, die mindestens einmal im Band namentlich erwähnt sind. Landesherren und die Angehörigen ihrer Dynastien sind unter ihrem Herrscher- bzw. Vornamen verzeichnet. Nicht berücksichtigt wurden Personen (insbesondere moderne Historiker, Verfasser/Absender und Emp­ fänger von Schriftstücken) in den Quellen- und Literaturnachwei­ sen in den Fußnoten. Abkürzungen: Bf. = Bischof, d. Ä. = der Ältere, d. J. = der Jüngere, Ebf. = Erzbischof, Ehg. = Erzherzog, Ehgn. = Erzherzogin, F. = Fürst, Fh. = Freiherr, gen. = genannt, Gf. = Graf, Gfn. = Gräfin, Großhg. = Großher­ zog, Hg. = Herzog, Hgn. = Herzogin, Hl. = Heilige(r), Hr. = Herr, Kf. = Kurfürst, Kfn. = Kurfürstin, Kg. = König, Kgn. = Königin, Ks. = Kaiser, Ksn. = Kaiserin, Lgf. = Landgraf, Lgfn. = Landgräfin, Mgf. = Markgraf, P. = Prinz, Pgf. = Pfalzgraf, Rgf. = Reichsgraf, s. = siehe Adolf III., Gf. von Nassau-Wiesba­ den: 53, 56 Agricola, Georg: 161, 168 Ahmed I., Sultan: 350, 373, 376f, 426f Ahmed III., Sultan: XX, 416, 418, 424, 428f, 431ff, 435, 458 Aitzing, Michael, Fh. von: 402ff Álvarez de Toledo y Pimentel, Fernando III., duque de Alba: 399f Albrecht von Brandenburg, Kf. von Mainz, Ebf. von Magdeburg: 12 Albrecht von Brandenburg-Ans­ bach, Hochmeister des Deut­ schen Ordens: 16, 38 Albrecht IV. der Weise, Hg. von Bayern-München: 58, 61f, 64, 69 Albrecht V. der Großmütige, Hg. von Bayern: 109, 145, 163, 166, 171 Albrecht VII., Ehg., Regent der Span. Niederlande: 376 Albrecht Achilles, Kf. von Bran­ denburg: 9, 18

Albrecht Alcibiades, Mgf. von Brandenburg-Kulmbach: 13ff, 19, 79, 83 Alexander VI., Papst: 37 Amalie Elisabeth, Lgfn. von Hes­ sen-Kassel: 235 Ancillon, Johann Peter Friedrich: 310 Andreas, Valerius: 410 Angermeier, Heinz (Historiker): 360 Anjou, Philippe, Hg. von: 204 Anna von Österreich, Kgn. von Frankreich: 253 Anna von Österreich-Tirol, Ksn.: 219, 369 Anna, Lgfn. von Hessen, aus dem Hause Mecklenburg: 65 Anna, Lgfn. von Hessen, aus dem Hause Sachsen: 9 Aretin, Karl Otmar, Fh. von (His­ toriker): 333 August, Kf. von Sachsen: 14, 100f, 103f, 111, 116, 449 August von Sachsen-Weißenfels: 223

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Augustinus, Aurelius: 409 Aulinger, Rosemarie (Historike­ rin): 85 Avaux, Claude de Mesmes, comte d’: 197 Balbases, Felipe Spinola, marqués de los: 190 Balthasar Karl, Infant von Spani­ en: 204 Basso, Luca (Philosoph): 296, 303, 315 Baum, Heinz: 72, 74 Becanus, Martin: 231 Beek, Anna: 438 Beiderbeck, Friedrich (Historiker): 293, 295, 301, 309, 317 Beken, Lievin van der, s. Torrentius Berghes, Robert de: 397 Berlichingen, Götz von: 52, 69, 72, 76 Berthold von Henneberg, Kf. von Mainz: 39, 41ff, 49f, 55 Bertius, Petrus: 388 Bertuch, Carl: 443 Bierther, Kathrin: 221 Birckmann, Arnold d. Ä.: 394 Bizzarri, Pietro: 398 Bodeghem, Bartholomäus: 403 Bogislaw X., Hg. von Pommern: 47 Boineburg, Johann Christian von: 297, 299, 305f Borch, Gerard ter: XX, 212, 339f, 443ff, 458 Botter, Heinrich: 389f, 397, 405, 411 Bragança, P. Eduard von: 205 Braun, Guido (Historiker): XVIII, XXIf, XXIVff, 227, 238, 449, 453, 455 Breuner, Seifried Christoph von: 363, 377ff, 381–385 Brienne, Henri-Auguste de Lomé­ nie, comte de: 253

Brockmann, Thomas (Historiker): 187 Brunert, Maria-Elisabeth (Histori­ kerin): XVI, XXIf, XXIVff, 453 Buchanan, George: 395 Buchenau, Stefanie (Philosophin): 297, 301, 308, 310 Burgdorf, Wolfgang (Historiker): 299 Burkhardt, Johannes (Historiker): 186, 188 Burmann, Pieter d. Ä.: 396 Burmann, Pieter d. J.: 396, 410f Buslidius, Johann: 231 Calixt, Georg: 388 Cassander, Georg: 387f, 396, 408 Castel Rodrigo, Manuel de Mou­ ra y Corte Real, marqués de: 190, 200 Castlereagh, Robert Stewart, vis­ count: 445 Chamoy, Louis Rousseau de: XVIII, 327f, 336–341, 345–348, 456 Chigi, Fabio: 212, 214, 216, 226f, 250 Christian V., Kg. von Dänemark: 307 Christian Ludwig, Hg. von Braun­ schweig-Calenberg: 244f Christina, Kgn. von Schweden: 252, 255 Conring, Hermann: 388 Contarini, Alvise: 212, 226f, 253 Contzen, Adam: 231 Cordes, Jean de: 387 Cortés, Hernán: 91 Corvisier, André: IXf Crebs s. Krebs Crécy, Louis de Verjus, comte de: 327, 339f, 347 Cromwell, Thomas, earl of Essex: 307

Personenregister

Croÿ, Philipp III. von, Hg. von Aarschot: 392 Czernin, Hermann, Gf. von und zu Chudenitz: 415, 426ff, 432f, 435 Daniel Brendel, Kf. von Mainz: 96f, 99, 105 David, Jacques-Louis: 439 Dickmann, Fritz (Historiker): XV, 260 Dinoth, Richard: 402 Driesch, Cornelius von den: 420, 423, 430 Drott/Trat, Hans von: 64 Duchhardt, Heinz (Historiker): XXf, XXIV, XXVI, 293, 458 Dupuy, Jacques: 387ff Dupuy, Pierre: 387ff Eberhard II., Hg. von Württem­ berg: 65 Ebneth, Bernhard (Historiker): 157 Edelmayer, Friedrich (Historiker): 85 Edzard I. der Große, Gf. von Ost­ friesland-Emden: 57, 59 Eggenberg, Hans Ulrich von, Hg. von Krumau: 220 Egmont, Karl von, Hg. von Gel­ dern: 39 Eleonore von Mantua-Gonzaga, Ksn.: 219 Elliott, John H. (Historiker): 184 Eltz, Erwein (Historiker): 85 Emich IX., Gf. von LeiningenDagsburg: 74 Erich II., Hg. von BraunschweigCalenberg: 98, 100ff Erich II., Hg. von Mecklenburg: 46Ernst, Hg. von Bayern: 110 Ernst von Sachsen, Ebf. von Mag­ deburg: 46f Ernst, Johann: 271 Ernst III., Ehg.: 158, 178 Ernst August, Kf. von Hannover: 341

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Ernst, Viktor (Historiker): 82 Eugen Franz, P. von Savoyen-Cari­ gnano: 357, 416 Farnese, Alexander, Hg. von Par­ ma: 405 Feige, Johann: 13, 30 Fenske, Hans (Historiker): 300ff, 310 Ferdinand, Kf. von Köln, Fbf. von Münster: 255 Ferdinand I., Ks.: XIV, 81f, 84, 87f, 95f, 99–103, 126, 130, 137–141, 144f, 217, 351, 357 Ferdinand II., Ks.: 216, 219f, 222– 225, 230ff, 234, 239, 309, 351, 357, 369, 376, 378, 384, 452 Ferdinand II. von Medici, Großhg. von Toskana: 202f Ferdinand III., Ks.: XV, XVII, 202, 205, 210ff, 215f, 219ff, 224, 226f, 240–243, 245–249, 252f, 260ff, 264ff, 268–271, 273f, 276, 278, 281–290, 430, 452ff Fernández de la Cueva, Francisco, duque de Alburquerque: 188 Fernández Navarrete, Pedro: 184 Fickler, Johann Baptist: XIV, 157, 160–168, 173f, 451 Foucher de Careil, Alexandre: 298 Fransen, Petronella (Historikerin): 298, 302 Franz I., Ks.: 444 Franz Egon, Lgf. von Fürstenberg, Bf. von Straßburg: 329, 456 Frelich/Frölich, Karl: 162 Friedingen, Hans Benedikt von: 48, 72 Friedrich, Susanne (Historikerin): 339 Friedrich d. J., Mgf. von Branden­ burg: 9 Friedrich der Schöne, Hg. von Ös­ terreich und der Steiermark: 421

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Friedrich von Sachsen, Hochmeis­ ter des Deutschen Ordens: 37 Friedrich von Baden, Bf. von Ut­ recht: 57, 59 Friedrich I., Kf. von Brandenburg: 18 Friedrich I., Mgf. von Branden­ burg-Ansbach-Kulmbach: 11, 20, 69, 76 Friedrich I. der Siegreiche, Kf. von der Pfalz: 64 Friedrich I., Kf. von Sachsen: 9, 18 Friedrich II., Kf. von Branden­ burg: 9 Friedrich II., Kf. von der Pfalz: 61f Friedrich III., Ks.: 9, 30, 36, 39, 41ff, 45 Friedrich III., Kf. von der Pfalz: 100, 103 Friedrich III. der Weise, Kf. von Sachsen: 50, 62, 63, 74 Friedrich V., Kf. von der Pfalz, Kg. von Böhmen: 232 Friedrich V., Mgf. von Branden­ burg-Ansbach s. Friedrich II. d. Ä. von Brandenburg-AnsbachKulmbach Friedrich Wilhelm, Kf. von Bran­ denburg (der Große Kf.): 252 Friedrich Wilhelm I., Kg. in Preu­ ßen: 416 Fröschl, Thomas (Historiker): 95 Fuchs, Martina (Historikerin): 86 Furió Ceriol, Fadrique: 398–403, 407, 409 Fürstenberg(er), Philipp: 66 Gábor Báthory, F. von Siebenbür­ gen: 355, 367, 373 Gábor Bethlen, F. von Siebenbür­ gen: 367, 373, 377 Gabriel von Eyb, Bf. von Eich­ stätt: 73 Galilei, Galileo: 293 Gans, Johann: 245

Garloff, Mona (Historikerin): 388 Gawrilowitz, Andre: 169f, 176f Gebhard, Justus: 222f Geizkofler von Gailenbach und Haunsheim, Zacharias: 359, 360ff, 366, 369, 379ff, 384 Gelhorn: 376 Georg der Reiche, Hg. von BayernLandshut: 58, 72 Georg, Mgf. von BrandenburgAnsbach-Kulmbach: 11f, 16 Georg der Bärtige, Hg. von Sach­ sen: 11, 13, 59 Georg von Kuenburg, Ebf. von Salzburg: 161, 168 Georg II., Lgf. von Hessen-Darm­ stadt: 222 Georg III. Schenk von Limpurg, Bf. von Bamberg: 73 Geusau, Heinrich von: 3f Gießel, Mathis: 74 Gindely, Anton (Historiker): 355, 372, 376 Godefroy, John: 443 Godefroy, Théodore: 227 Goetze, Dorothée (Historikerin): XVII, XXIf, XXIVff, 454 Goldast von Haiminsfeld, Melchi­ or: 388 Gómez de Silva, Ruy, príncipe de Eboli, conde de Melito: 399f, 402 Gotthard, Axel (Historiker): 360 Grana, Otto Heinrich, marquese de Carretto: 330 Gravel, Robert-Vincent de: 327, 331, 339f, 347 Gregor XIII., Papst: 158 Greiffenklau von Vollraths, Alex­ ander: 430 Grillparzer, Franz: 378 Grotius, Hugo: 388 Grumbach, Konrad von: 145 Grumbach, Wilhelm von: 99ff, 103ff, 109, 116, 144ff, 339

Personenregister

Gumpelzhaimer, Christian Gott­ lieb: 156 Gumppenberg, Ambrosius von: 161 Gustaf Gustafsson af Vasaborg/von Wasaburg: 255 Gustav II. Adolf, Kg. von Schwe­ den: 230, 232, 235f Guttenberg, Philipp von: 44 Guttenstein, Heinrich von: 72, 74 Gyldenklou, Anders: 253 Haller, Johannes: 299 Hamann, Günther (Historiker): 91 Hammer-Purgstall, Joseph von: 369, 385 Hämmerle, Johann Ulrich: 366 Hartmann von Knorringen-Bur­ gau, Abt von Weingarten: 65 Haug-Moritz, Gabriele (Histo­ rikerin): XIII, XXIII, XXVf, 447 Hauser, Stoffel: 48 Heher, Georg Achatz (Achatius): 248 Heil, Dietmar (Historiker): XIII, XXI, XXIVff, 448 Heinisch, Reinhard Rudolf (Histo­ riker): 218 Heinrich II., Kg. von Frankreich: 81, 139 Heinrich III. der Reiche, Lgf. von Hessen: 9 Heinrich IV., Kg. von Frankreich: 380, 384 Heinrich V. der Friedfertige, Hg. von Mecklenburg: 46 Heinrich VIII., Kg. von England: 307 Heinrich von Binsfeld, Abt von Kornelimünster: 38 Heinsius, Daniel: 388 Henot, Hartger: 390 Henot, Jakob: 390 Henricius, Jacobus: 394f

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Herberstein, Sigismund, Fh. von: 159 Hermann IV. von Hessen, Kf. von Köln: 9, 18, 59 Heuser, Peter Arnold (Historiker): XIX, XXII, XXIVff, 387, 457 Hobbes, Thomas: XXII Höbelt, Lothar (Historiker): 260 Höfer, Ernst (Historiker): 269f Hofinger, Balthasar: 161, 168 Hohenems, Markus Sittikus Graf von, Ebf. von Salzburg: 367 Hornung, Felix: 80, 449 Hosius, Stanislaus: 403 Hotman, François: 388 Hotman, Jean: 388f Höwen, Heinrich von, Bf. von Chur: 61 Huber, Joachim: 364 Hugo, Ludolph: 314 Hulle, Anselm van: 444 Humboldt, Wilhelm von: 442 Hutten, Hans von: 66 Ibrahim, Sultan: 433 Ibrahim Pascha: 419ff, 425, 428, 458 Ilijn, Mamlej: 169, 177 Immler, Gerhard (Historiker): 259 Innozenz X., Papst: 249 Irmer, Georg (Historiker): 230 Isabey, Jean Baptiste: XXI, 339f, 442–445, 458 István Bocskai, F. von Siebenbür­ gen: 350 Iwan III. der Große, Großf. von Moskau: 159 Iwan IV. der Schreckliche, Großf. von Moskau, Zar: XIV, 155, 159ff, 164, 172, 174, 451 Jakob II., Kg. von England: 313, 344 Jakob III. von Eltz, Kf. von Trier: 403

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Jakob von Baden, Kf. von Trier: 56 Jakob von Liebenstein, Kf. von Mainz: 50, 52 Jiménez s. Ximénes Joachim I., Kf. von Brandenburg: 5, 11, 45f Joachim II., Kf. von Brandenburg: 3f, 12f, 100 Johann, Mgf. von BrandenburgKulmbach: 9, 18 Johann, Mgf. von BrandenburgKüstrin: 13, 20 Johann von Dalberg, Bf. von Worms: 59 Johann I. Albrecht, Kg. von Po­ len: 37 Johann Casimir, Pgf. bei Rhein: 106, 111 Johann Friedrich, Kf. von Sachsen: 3f, 11f, 14, 375 Johann Friedrich II., Hg. von Sach­ sen: 103, 105 Johann Georg II., Kf. von Sach­ sen: 222 Johann Jakob Kuen-Belasy, Ebf. von Salzburg: 161, 163ff Johann Philipp von Lamberg, Bf. von Passau: 336, 338, 342ff Johann Philipp von Schönborn, Kf. von Mainz: 299, 305f Johann Wilhelm, Hg. von JülichKleve-Berg: 390 Josef Clemens von Bayern, Kf. von Köln, Fbf. von Lüttich: 337 Joseph I., Ks.: 416 Julius II., Papst: 52 Julius Echter von Mespelbrunn, Bf. von Würzburg: 367 Kampmann, Christoph (Histo­ riker): XVIII, XXII, XXIVff, 194, 456 Kappeler, Andreas (Historiker): 160, 166 Karl der Große, Ks.: 319

Karl der Kühne, Hg. von Burgund: 36 Karl von Innerösterreich, Hoch­ meister des Deutschen Ordens, Bf. von Breslau: 376 Karl II. von Innerösterreich, Ehg.: 219 Karl II., Kg. von Spanien: 309, 343 Karl IV., Hg. von Lothringen: 196f, 281, 283, 306f Karl V., Ks.: XIV, 30, 79–82, 84, 87ff, 95, 118, 126, 129, 135f, 141, 233, 316, 402, 407, 449 Karl V., Hg. von Lothringen: 357 Karl VI., Ks.: 316–320, 416, 418, 420, 424, 426, 431, 433f Karl VIII., Kg. von Frankreich: 39 Karl XII., Kg. von Schweden: 416 Karl Kaspar von der Leyen, Kf. von Trier: 305 Kasimir, Mgf. von BrandenburgAnsbach-Kulmbach: 12, 16 Katharina von Brandenburg, aus dem Hause Sachsen: 9 Kaufmann, Manfred (Histori­ ker): 5 Kaunitz, Wenzel Anton Gf.: 444 Kayser, Abraham: 250, 256 Kempen, Gottfried von: 394, 404 Khevenhüller/Khevenhiller, Franz Christoph: 376 Kleist, Heinrich von: XIII, 3f Klesl, Melchior, Kardinal: XIX, 357–363, 369, 371, 374, 377f, 381–386, 457 Knorring, Marc von (Historiker): XIV, XXI, XXIII–XXVI, 449 Kohler, Alfred (Historiker): XIII, XXIf, XXIV, XXVI, 89, 449 Kohlhase, Hans/Michael: XIII, 3f, 29, 32 Königseck, Erhard von: 72 Königsmarck, Hans Christoph von: 267f Krane, Johann: 279

Personenregister

Krebs, Johann Adolf: 271, 273, 275, 282, 289 Krenn, Martin (Historiker): 86 Kreß von Kressenstein, Jobst Christoph: 237 Kretzschmar, Johannes (Histori­ ker): 235 Krofta, Kamil (Historiker): 376 Krones, Ferdinand (Historiker): 360 Kuefstein, Hans Ludwig, Fh. von: 427 Kurz von Senftenau, Ferdinand Si­ gismund: 218, 222, 284 La Garde, Auguste de: 339, 441, 443 Laferl, Christopher (Historiker): 88 Lamberg, Johann Maximilian, Gf. von: 279 Lamormaini, Wilhelm: 231, 234 Lampadius, Jakob: 237, 240, 242– 248, 251, 254f Landau, Jakob von: 65 Lanzinner, Maximilian (Histori­ ker): XI, XVI, XXVIf, 79, 86, 161f, 183, 229, 293, 297, 320, 323, 349 Laski, Albrecht, Woiwode: 169 Leeb, Josef (Historiker): XIV, XXI, XXIVff, 121, 450 Leeuwen, Albert, Hr. zu Gröne­ woude: 404 Leibniz, Gottfried Wilhelm: XI, XVIIf, XXIV, 293–321, 455 Leoninus s. Leeuwen Leopold I., Ks.: XVIII, 313f, 323, 325–328, 330–337, 340, 342– 348, 357, 433f, 456, 556f Leslie, Walter, Gf.: 422, 427, 432 Li, Wenchao (Philosoph): 293 Liechtenstein, Paul von: 61 Linck, Hans: 73 Linck, Wolfgang: 73 Lindenschmidt, Hans: 64

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Lisola, Franz Paul, Fh. von: 300, 332 Longueval, Karl Bonaventura von, Gf. von Bucquoy: 376 Longueville, Henri II. d’Orléans: 197, 214 López de Villanova, Martín: 389 Lorenz von Bibra, Bf. von Würz­ burg: 56 Loserth, Johann (Historiker): 372 Loß, Christoph von: 366, 379 Lothar Franz von Schönborn, Kf. von Mainz: 345 Ludwig, Lgf. von Hessen: 8f, 19 Ludwig II., Lgf. von Hessen: 9 Ludwig IV. der Bayer, Ks.: 421 Ludwig V., Kf. von der Pfalz: 66 Ludwig XII., Kg. von Frankreich: 39 Ludwig XIV., Kg. von Frankreich: XVIII, 188, 197, 204f, 252f, 282, 298, 309, 312, 318f, 321, 324, 327, 329, 334f, 338ff, 343f, 445, 455f Ludwig XVI., Kg. von Frankreich: 443 Luther, Martin: 91 Luttenberger, Albrecht P. (Histori­ ker): 85f, 126 Lutz, Heinrich (Historiker): XIII, 80, 85f, 90f Machoczek, Ursula (Historike­ rin): 86 Magen, Ferdinand: 246 Major, Carolus: 410 Malettke, Klaus (Historiker): XV, 208 Margarete, Hgn. von Parma: 396 Maria Theresa, Infantin von Spani­ en: 204f Maria Theresia, Ksn.: 444 Marie Antoinette, Kgn. von Frank­ reich: 440 Marras, Cristina (Philosophin): 295

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Personenregister

Massenbach, Hans von, gen. Tail­ acker: 64f, 72 Matal, Jean: 387–391, 396–399, 401–404, 407–411 Mattei, Gasparo: 248f Matthias, Ks.: XVIIIf, 219, 350, 355ff, 361ff, 366f, 369ff, 373– 376, 378, 380–386, 415, 457 Matthias Corvinus, Kg. von Un­ garn: 36, 39 Maximilian I., Ks.: XIII, 35–54, 56, 58–68, 71ff, 75–78, 85, 357, 448 Maximilian I., Kf. von Bayern: XVII, 162, 220, 231f, 259–272, 274–278, 281, 284–290, 375 Maximilian II., Ks.: XIV, XXVII, 71, 96, 103, 105–109, 125, 131, 137, 141f, 145, 147, 150, 155, 158, 163f, 168–172, 174–179, 351f, 369, 393, 451 Maximilian II. Emanuel, Kf. von Bayern: 345, 347, 454f Maximilian III., Ehg., Hochmeis­ ter des Deutschen Ordens: 359, 364, 376, 378 Maximilian Heinrich von Bayern, Kf. von Köln: 334, 345, 347 Mazarin, Jules: 188, 214, 225 Mean, Johann Ferdinand, Fh. von, Domdechant von Lüttich: 337, 340 Meel, Sebastian: 276 Mehmed IV., Sultan: 427 Melo, Francisco de, conde de As­ sumar: 189f, 193, 207 Mendoza, Diego de, duque de Francavilla: 399 Mendoza y Bobadilla, Francisco de, Kardinal: 399 Metellus s. Matal Metternich, Klemens Lothar Wen­ zel, F. von: 219, 444 Michael von Kuenburg, Ebf. von Salzburg: 161

Mitis, Oskar von (Historiker): 377, 379 Mollard, Hans, Fh. von: 369, 371, 379 Monastiref, Affannasy: 164, 169f, 177f Moncada, Sancho de: 184 Montaigne, Michel Eyquem de: 389 Montecuccoli, Raimondo: 357 Monterrey, Manuel de Acevedo y Zúñiga, conde de: 206 Montpensier, Anne-Marie-Louise d’Orléans, duchesse de: 204 Moraw, Peter (Historiker): 36, 44, 447 Moritz, Kf. von Sachsen: 79 Moser, Johann Jakob: 314 Müller, Johannes: 360 Müller, Mario (Historiker): 5 Mustafa II., Sultan: 433 Napoleon I. Bonaparte, Ks. der Franzosen: 440–442 Nassau-Hadamar, Johann Ludwig, Gf. von: 283 Neuhaus, Helmut (Historiker): XIV, XXIf, XXIV, XXVI, 118, 451 Nevşehirli Damat İbrahim Pascha: 423f, 426, 428f, 431, 435 Nikolaus Franz, Hg. von Lothrin­ gen: 196 Nunzer, Engelhard: 437 O’Connor, John T.: 334 Oelhafen von Schöllenbach, Tobi­ as: 236, 247 Oexle, Otto Gerhard (Histori­ ker): 6 Olivares, Gaspar de Guzmán y Pimentel, Rivera y Velasco de Tovar, conde de: 184, 190f, 225 Orléans, Gaston Jean-Baptiste, duc d’: 204

Personenregister

Ortenburg, Joachim d. Ä., Gf. von: 145f Otten, Ignaz Anton, Fh. von: 346 Otto Truchsess von Waldburg, Kardinal: 248 Otto, Marcus: 247 Oxenstierna, Axel: 225, 236f Oxenstierna, Johann: 254 Paul III., Papst: 13 Paul V., Papst: 220, 374f Paulus, Apostel: 408 Peñaranda, Gaspar de Bracamon­ te y Guzmán, conde de: 191f, 194ff, 200, 202f, 204, 206 Perrenot de Granvelle, Antoine, Bf. von Arras: 396 Peter I. der Große, Zar: 159 Petterle, Michael: XIV, 155, 164f, 174, 179, 451 Pfintzing, Paul: 81 Philipp I. der Großmütige, Lgf. von Hessen: 11, 13, 29, 65, 67 Philipp I. der Schöne, Kg. von Kas­ tilien: 39 Philipp I., Kf. von der Pfalz: 57, 64, 74 Philipp I. von Rosenberg, Bf. von Speyer: 65 Philipp II., Kg. von Spanien: 391f, 399–402, 405ff, 457 Philipp III., Kg. von Spanien: 374ff Philipp IV., Kg. von Spanien: 184f, 188f, 191, 193–198, 203–206, 227, 281, 283, 298 Philipp Christoph von Sötern, Kf. von Trier: 257 Piccolomini, Octavio: 267 Polheim, Gundacker von, Fh. auf Parz, Lichtenegg und Steinhaus: 384 Pomponne, Simon Arnauld de: 339 Prinz, Daniel: 404 Pufendorf, Samuel von: 301, 315

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Questenberg, Hermann, Fh. von: 222 Rainer, Johann (Historiker): 386 Ranieri, Filippo: 68 Raumer, Kurt von (Historiker): XIX Rauscher, Peter (Historiker): XVIII, XXIVff, 457 Reinhard von Rüppurr, Bf. von Worms: 60, 65 Reitgärtler, N.: 167 Repgen, Konrad (Historiker): XVIf, XXIf, XXIV, XXVI, 189, 229, 452 Richel, Bartholomäus von: 224 Richelieu, Armand Jean du Plessis, duc d’: XV, 188f, 201f, 208, 225 Richtersperger, Leonhard: 254 Rigaud, Hyacinthe: 445 Ritter, Carl: 425 Ritter, Moriz (Historiker): 359f Ritter, Paul (Historiker): 299 Robinet, André: 295 Rohrschneider, Michael (Histori­ ker): XV, XXI, XXIVff, 451 Rosenberg, Albrecht von: 147 Rückingen, Klaus von: 66 Rudolf II., Ks.: 97, 110–113, 130, 142, 148f, 178, 219, 350, 352– 356, 362–365, 379, 381, 385, 390, 410 Ruppert, Karsten (Historiker): 225, 260 Saavedra Fajardo, Diego: 195 Sabine, Hgn. von Württemberg: 66 Saint-Pierre, Charles Irénée Castel, Abbé de: 316f Salvius, Johann Adler: 244, 255, 282 Sayn-Wittgenstein, Johann VIII., Gf. von: 236, 251f Schaumberg, Karl von: 73 Scheffer, Johann Kaspar: 242, 342, 344

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Personenregister

Schenk von Limpurg, Gottfried I.: 65 Scherer, Wilhelm: 155–160, 166f, 451 Schetz, Kaspar, Baron von Wese­ maele: 387, 396f, 410f, 457 Schmidt, Georg (Historiker): 323 Schmidt, Stefan: 365f, 371, 379, 381 Schneider, Hans-Peter (Historiker): 296, 301, 315 Schönbeck, Hans von: 11 Schott, Konrad: 74 Schubert, Ernst (Historiker): 21 Schulze, Winfried (Historiker): 362 Schweinzer-Burian, Silvia (Histori­ kerin): 85 Schwendi, Lazarus von: 106–109 Seilern, Johann Friedrich von: 336ff, 345f Séré, Daniel (Historiker): 209 Servien, Abel, comte de la Rochedes-Aubiers: 195, 197, 213, 279f, 282 Seybot, Reinhard (Historiker): 19 Sickingen, Franz von: 67, 72 Sigismund I. Jagiello, Kg. von Po­ len: 37f Sigmund, Mgf. von Brandenburg: 20 Sinold (gen. Schütz), Justus: 237 Sirleto, Guglielmo: 403, 411 Spiegel, Käthe (Historikerin): 333f Spinoza, Baruch de: 301 Spittler, Ludwig Thimotheus (His­ toriker): 244f Srbik, Heinrich Ritter von (Histo­ riker): 219 Stampard, Frans van: 437 Steeghen, Walther van der: 395f Stefan Báthory, Kg. von Polen: 158, 403 Stralendorf, Peter Heinrich von, Fh. von Goldebee: 217, 224 Streuff von Lauenstein, Philipp: 236

Strohmeyer, Arno (Historiker): XXff, XXIVff, 413, 458 Stuart, James Francis Edward, Thronprätendent: 344 Subatj, Jrzeziagk: 169, 176 Sugorsky, Juanwitsch (Zachary Iva­ nowitsch, gen. Knesch), F.: 164f, 168–173, 176f Sully, Maximilien Ier de Béthune, duc de: 380, 384 Suyderhoef, Jonas: 339 Talleyrand, Charles Maurice, Hg. von: 441–445 Terranova, Carlos de Aragón y Ta­ gliavia, duque de: 389, 392 Thou, Jacques-Auguste de: 388f, 403 Thumbshirn, Wolfgang Konrad von: 243, 247ff, 254f Thun, Friedrich von: 74 Thun, Johannes von, Bf. von Schwerin: 47 Ticinius, Georgius: 403, 411 Tischer, Anuschka (Historikerin): 196 Topler, Erasmus: 72 Torrentius, Laevinus: 397, 403 Tott, Claudius Gf.: 329 Trauttmansdorff, Eva von: 219 Trauttmansdorff, Johann Friedrich I., Gf. von: 219 Trauttmansdorff, Maximilian, Gf. von: XVf, XXIV, 210f, 214–219, 221–228, 265, 271, 452f Tucher, Hans: 75 Turba, Gustav (Historiker): 338 Turenne, Henri: 266f Unterholtzer, Hans: 366 Ulrich, Hg. von Württemberg: 12, 48, 64, 66f, 69, 84f Urban VIII., Papst: 189, 202f Uriel von Gemmingen, Kf. von Mainz: 37, 52

Personenregister

Utenhove, Karel d. J., Herr van Ni­ euwland: 390 Valencia, Gregor von: 162, 231 Varnbüler, Johann Konrad: 237 Vattel, Emer de: 317 Verber, Mang: 72 Vervaux, Johann: 231 Villeneuve, Antoinette de Louppes de: 389 Virmont, Damian Hugo, Gf. von: XX, 413, 416, 418–421, 423– 431, 434f, 458 Vogl, Markus (Historiker): 193 Volmar, Isaak: 194, 279f, 283 Vultejus, Johann: 237 Wallenrode, Veit von: 44 Wallenstein, Albrecht Wenzel Eu­ sebius von: 220f Wartenberg, Günther (Histori­ ker): 85 Weber, Hermann (Historiker): XV Weiand, Kerstin (Historikerin): 235 Weyer, Galenos: 389 Weyer, Johannes: 389 Wiedeburg, Paul (Historiker): 299f, 306 Wilhelm von Nassau-Dillenburg, F. von Oranien: 398, 401, 410 Wilhelm, Hg. von Jülich: 101 Wilhelm II. der Mittlere, Lgf. von Hessen: 46, 63, 65, 67 Wilhelm IV. der Standhafte, Hg. von Bayern: 66

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Wilhelm V. der Fromme, Hg. von Bayern: 162 Wilhelm V., Lgf. von Hessen-Kas­ sel: 230, 232, 235f Wilhelm VI., Lgf. von Hessen-Kas­ sel: 235 Wilhelm Egon, Lgf. von Fürsten­ berg, Bf. von Straßburg: XVIII, 328–336, 347f Willenberg, Joachim: 376 Wittenberg, Arvid: 268 Wladislaw II., Kg. von Böhmen: 73 Wolff, Christian: 317 Wolfgang, Pgf. zu Zweibrücken und Neuburg: 106 Wolfgang von Dalberg, Kf. von Mainz: 96, 112 Wolfgang IV., Gf. von OettingenWallerstein: 414, 422, 427, 436f Wolfgang Wilhelm, Pgf. zu Neu­ burg, Hg. von Jülich-Berg: 233, 245 Wolfradt, Anton Franz, Bf. von Wien: 217, 220 Wrangel, Karl Gustav: 266f Wurzbach, Constantin (Histori­ ker): 218 Ximénez, Pedro: XIX, 387–391, 396–399, 403f, 408–411, 457 Zedelmaier, Helmut (Historiker): 163 Zedler, Johann Heinrich: 423 Zúñiga y Velasco, Baltasar de: 376