Frieden stiften: Vermittlung und Konfliktlösung vom Mittelalter bis heute
 3534236629, 9783534236626

Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
Vorwort
Einleitung
The Messenger
Eine himmlische UNO. Religiös fundierte Friedensvermittlung nach Jes 2,2–5
Gewaltlose Konfliktregelung in der Alten Kirche
Der König als Konfliktpartei. Möglichkeiten und Grenzen von Vermittlung im Hochmittelalter
Vermittlung in der internationalen Politik des späten Mittelalters
Parteiische Vermittler? Die Westfälischen Friedensverhandlungen 1643–48
Friede als Figur – Figuren des Friedens. Lessings ‚Nathan‘ (1779) revisited
Der Papst als Mediator? Die Friedensinitiative Benedikts XV. von 1917 und Nuntius Pacelli
Vermittlungsverfahren in innenpolitischen Konflikten. Beobachtungen zur Bundesrepublik
’’Vermittlung‘ als Form der friedlichen Streitbeilegung im Völkerrecht der Gegenwart
Friedensstiftung durch Wahrheitskommissionen. Vermittlung ex post?
Ein unmöglicher Friede? Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern
Zwischen Krieg und Frieden. Oder: Der Mensch bemüht sich. Weiß die ‚Struktur‘ es besser?
Autorenverzeichnis
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Gerd Althoff (Hrsg.)

Frieden stiften Vermittlung und Konfliktlösung vom Mittelalter bis heute

Covergestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart Coverbild: Ausschnitt aus Ambrogio Lorenzettis Fresko „Il buon governo“, 1338/39: Die Tugenden Pax, Fortitudo, Prudentia und Fides. Siena, Palazzo Pubblico, Sala della Pace. Foto: akg-images.

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Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Gerd Althoff Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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William Ian Miller The Messenger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Rainer Albertz Eine himmlische UNO. Religiös fundierte Friedensvermittlung nach Jes 2,2–5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Alfons Fürst Gewaltlose Konfliktregelung in der Alten Kirche

. . . . . . . . . . . .

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Gerd Althoff Der König als Konfliktpartei. Möglichkeiten und Grenzen von Vermittlung im Hochmittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hermann Kamp Vermittlung in der internationalen Politik des späten Mittelalters . . . .

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Barbara Stollberg-Rilinger Parteiische Vermittler? Die Westfälischen Friedensverhandlungen 1643–48 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Martina Wagner-Egelhaaf Friede als Figur – Figuren des Friedens. Lessings ‚Nathan‘ (1779) revisited . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hubert Wolf Der Papst als Mediator? Die Friedensinitiative Benedikts XV. von 1917 und Nuntius Pacelli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

Ulrich Willems Vermittlungsverfahren in innenpolitischen Konflikten. Beobachtungen zur Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Christian Walter ,Vermittlung‘ als Form der friedlichen Streitbeilegung im Völkerrecht der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Christian Tomuschat Friedensstiftung durch Wahrheitskommissionen. Vermittlung ex post? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Joschka Fischer Ein unmöglicher Friede? Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hans-Georg Soeffner Zwischen Krieg und Frieden. Oder: Der Mensch bemüht sich. Weiß die ‚Struktur‘ es besser? . . . . .

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Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort Der vorliegende Band gibt die Beiträge der ersten Ringvorlesung wieder, die das Münsteraner Exzellenz-Cluster „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne“ im Wintersemester 2008/9 veranstaltete. Inzwischen ist daraus eine Tradition geworden, interdisziplinär interessierende Themen mit aktuellen Bezügen und historischen Dimensionen einem breiteren Publikum vorzustellen. Die Mitglieder des Clusters leisten so ihren Beitrag zu einer angemessenen Vermittlung ihrer Forschungen an die Öffentlichkeit. Ein herzlicher Dank gilt in erster Linie den Referenten, die ihre ausgearbeiteten Beiträge zur Verfügung stellten; sodann Frau Dr. Katrin Beyer, Herrn Florian Kleyboldt, Herrn Sebastian Rothe und Herrn Fabian Weimer, die die redaktionelle Betreuung der Beiträge übernahmen; und schließlich der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, die den Band in ihr Programm aufnahm und in gewohnt professioneller Weise für den Druck sorgte. Münster, im November 2010

Gerd Althoff

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Einleitung Gerd Althoff Jeder, der heute Schlagworte wie Mediation, Mediator, Vermittlung oder Vermittler in eine Suchmaschine eingibt, wird die Feststellung machen, dass er einem ubiquitären Phänomen auf der Spur ist. Vermittler sind heute national wie international in vielen Bereichen tätig. Sie haben Berufsverbände gebildet und fordern Entlohnung, deren Stundensatz normale Arbeitnehmer schon neidisch machen kann. 1 Ihr Wirken konzentriert sich vor allem auf das Umfeld von gerichtlichen Auseinandersetzungen, vom Familienstreit bis zur Fusion oder Zerteilung von Wirtschaftsunternehmen, von Tarifauseinandersetzungen bis zu internationalen Konflikten. Sie ergänzen oder ersetzen gerichtliche Entscheidungen gerade in Bereichen besonderer Sensibilität, da wo die Erfahrung lehrt, dass ein Gerichtsurteil einen Konflikt nicht beendet, sondern seine Durchsetzung neue Konflikte erzeugt. In vielen Bereichen entlasten Vermittler Gerichte auch einfach, indem sie schneller und kostengünstiger Lösungen erreichen, als es der Rechtsweg vermöchte. So gesehen scheint Mediation eine sehr moderne Art und Weise zu sein, auf Schwächen herrschender Praktiken der Konfliktbewältigung flexibel und angemessen zu reagieren. Das Instrument der Mediation erfüllt sowohl Entlastungsfunktionen auf innerstaatlichen Problemfeldern als auch im Bereich der zwischenstaatlichen Beziehungen, die durch weniger dichte rechtliche Regelungen gekennzeichnet sind. Dies erzeugt im Zeitalter der Globalisierung besondere Probleme – von der Durchsetzbarkeit existierender Regeln ganz abgesehen. Fragt man, welchen Regeln die Tätigkeit von Vermittlern in der Gegenwart unterworfen ist, wo und wie ihre Rechte und Pflichten fixiert sind, macht man die erstaunliche Entdeckung: ihre inhaltliche Tätigkeit wird eher nicht durch schriftlich fixierte Normen bestimmt. 2 Vermittler selbst sind davon durchdrungen, für ihre Tätigkeit weitestgehend Freiheiten der Ausgestaltung zu benötigen und nicht zuletzt im Bereich uneingeschränkter Vertraulichkeit zu agieren. Den Typ des modernen Vermittlers prägen international etwa ehemalige US-Präsidenten wie Jimmy Carter oder Bill Clinton, die eher mit Charisma und Prestige zu beeindrucken verstehen, als mit Detailkenntnissen zur Sachlage. Auch im nationalen Vermittlungssektor dominiert eher der Politiker mit dem gesunden Menschenverstand und viel Erfahrung, als der fachlich besonders ausgewiesene Experte. So gesehen scheint der Vermittler ein Phänomen zu sein, das sich Theorien der funktionalen Differenzierung eher entzieht. 9

Gerd Althoff

Er hebt mit seiner Tätigkeit nämlich die Ausdifferenzierung von Teilsystemen, durch die die Gesamtentwicklung in der Moderne gekennzeichnet werden kann, auf, indem er in seiner Arbeit soziale, rechtliche oder politische Lösungsansätze verbindet und sich dabei nicht selten über bestehende Regeln in den Teilbereichen hinwegsetzt. Aus dieser Perspektive scheint der Vermittler eigentlich nicht zur Moderne zu passen und dort eine eher systemwidrige Figur und Institution zu sein. Er ist denn auch keineswegs eine Institution, die erst in der Moderne erfunden worden wäre. Dies zu zeigen ist nicht zuletzt ein Ziel dieses Bandes, der aus einer Ringvorlesung hervorgegangen ist, die der Münsteraner Forschungsverbund „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und Moderne“ veranstaltet hat. 3 Zu den Forschungszielen dieses Verbundes gehört nicht zuletzt, Phänomene aus den Bereichen Religion und Politik dadurch besser verständlich zu machen, dass man ihre lange Dauer in den Blick nimmt und Charakteristika ihrer Entwicklung unter den unterschiedlichen Rahmenbedingungen vormoderner und moderner Verhältnisse herausarbeitet. Hierzu ist die Institution der Vermittler nicht zuletzt deshalb gut geeignet, weil sie soziale, politische und religiöse Wurzeln besitzt. Es genügt darauf hinzuweisen, dass in der christlichen Lehre die Vorstellung, Christus sei Mittler (Mediator) zwischen Gott und den Menschen, fest verankert war. Christus hatte nach dieser Darstellung, die einen Kernpunkt der christlichen Theologie markiert, durch seinen Kreuzestod Gott mit allen Menschen versöhnt und die Erbschuld der Menschen getilgt. Von Christus aber ging diese Funktion, Mittler zu sein, auf seine Stellvertreter auf Erden über – und das waren die Priester und dann im Zuge der Sakralisierung ihrer Stellung auch die Könige. 4 Aus dieser Perspektive erscheint es nur folgerichtig, dass schon seit der Spätantike und dem Mittelalter Päpste, Bischöfe und andere Kleriker, aber auch Könige und andere weltliche Machtinhaber auch als Vermittler begegnen, wenn es galt, innerweltliche Konflikte gütlich beizulegen. Dennoch lassen sich von der Spätantike bis zur Gegenwart natürlich deutliche Unterschiede und Veränderungen in den Tätigkeitsfeldern der Vermittler, ihrer Vorgehensweise und ihrer Befugnisse feststellen und es wäre auch sicher verfehlt, die Institution des Vermittlers allein aus christlichen Wurzeln zu erklären. Anthropologisch ethnologische Forschung hat längst herausgearbeitet, dass gerade in traditionalen Gesellschaften, die noch wenig staatliche Strukturen ausgeformt haben, Vermittler vorrangige Institutionen der Friedensstiftung darstellen und zwar gänzlich unabhängig davon, ob diese Gesellschaften mit dem Christentum in Berührung gekommen waren oder nicht. 5 Vermittlungstätigkeiten, so wird in den folgenden Beiträgen exemplarisch deutlich werden, lassen sich vielmehr in unterschiedlichen gesellschaftlichen und staatlichen Aggregatzuständen beobachten. Vermittler werden sowohl benötigt, wenn kein staatliches Gewaltmonopol existiert und kein ausdifferenziertes Rechtssystem das Monopol der Streitschlichtung beansprucht. Sie finden aber auch 10

Einleitung

Arbeit im entwickelten Staat und in modernen Staatensystemen, in denen für Konfliktbeilegung eigentlich andere Institutionen zuständig sind. Es macht daher nicht zuletzt das Profil und den Reiz dieses Bandes aus, eine Institution vorzustellen, die ihre Unentbehrlichkeit immer wieder unter ganz unterschiedlichen Rahmenbedingungen bewiesen hat. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, ob sie diese Veränderung der Rahmenbedingungen selbst unverändert überstanden hat. Ehe dieser ungewöhnliche Befund daher näher erläutert wird, scheint es unabdingbar zu klären, inwiefern sich Vermittlung von anderen Formen des Konfliktmanagements und der Schlichtung unterscheidet und worin ihr Wesen im Kern besteht. Das den folgenden Beiträgen zugrunde liegende Verständnis von Vermittlung lässt sich knapp wie folgt formulieren: Mediation (Vermittlung) liegt dann vor, wenn kein Machtgebot, kein Rechts- oder Gerichtsurteil und kein Schiedsspruch einen Konflikt beendet, sondern von einem oder mehreren Mediatoren die Bereitschaft der Parteien erzeugt wird, einer gütlichen Lösung des Konfliktes zuzustimmen, deren Realisierung der Vermittler dann in die Wege leitet, garantiert und absichert. 6 Dieser Verzicht auf eine Entscheidung, die ein Ende des Konfliktes bewirkt, unterscheidet den Vermittler ganz grundsätzlich vom Richter und auch vom Schiedsrichter. Und dieser Verzicht bestimmt auch die konkrete Vorgehensweise des Vermittlers: Er sorgt für den Kommunikationsfluss zwischen den Parteien, übermittelt Forderungen und Bedingungen, drängt auf gütliche Lösungen, garantiert die Einhaltung von Absprachen durch beide Parteien, empfiehlt Schritte, die zur Deeskalation und Beilegung des Konflikts führen, etwa wie Genugtuungsleistung und Wiedergutmachung. Aber er entscheidet nicht selbst. Er arbeitet vielmehr nur dann erfolgreich, wenn er die Parteien zur Einsicht in die Notwendigkeit und Vorteilhaftigkeit einer gütlichen Beilegung des Konfliktes bringt. Zur Erreichung dieses Ziels nutzt er vor allem informelle Wege und Worte der Kommunikation; seine Arbeit vollzieht sich in aller Regel nicht öffentlich. Manchmal ist sogar die Tatsache der Vermittlungsbemühungen geheim, immer aber die Details der Versuche, die Parteien zur Einsicht zu bewegen. Mit welchen Versprechungen oder auch Drohungen der Vermittler letztlich die Parteien zur Einsicht und zum Einlenken brachte, wird auch nach dem Ende der Konflikte selten thematisiert. Und wenn, verrät häufig die anekdotische Verformung der Berichte, wie sehr das informelle Geschehen die Phantasie der Zeitgenossen angeregt hatte. Vermittler benötigen für eine erfolgreiche Tätigkeit aber zu allen Zeiten das Vertrauen der Parteien. Diese Voraussetzung konnte dadurch gegeben sein, dass ihre Neutralität aus unterschiedlichen Gründen außer Zweifel stand, sei es, dass sie enge Beziehungen zu beiden Konfliktparteien hatten. Nützlich und hilfreich war in jedem Fall auch ein hohes Maß an Prestige, aus dem sich die Autorität speiste, die die Parteien sozusagen zur Einsicht zwang. Man wird in vielen Fällen den Faktor nicht unterschätzen dürfen, dass der Vermittler auch 11

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die Macht haben musste, die Einsicht zum Frieden zu erzwingen und die Einhaltung der Friedensbedingungen zu garantieren. Doch allein mit Macht ließ sich Vermittlertätigkeit gewiss nicht erfolgreich betreiben. Der Überblick über fast zwei Jahrtausende Vermittlungstätigkeit erlaubt aber auch weitere Einsichten, die einleitend angesprochen seien. Er provoziert nämlich geradezu die Frage, ob Vermittler nicht in bestimmten Arten von Konflikten mehr Chancen auf Erfolg hatten als in anderen. Diese Frage ist gerade vor dem Hintergrund interessant, dass in den letzten Jahrzehnten mehrfach Vermittlungsbemühungen scheiterten, weil sie sich als ungeeignet erwiesen, extreme Gewalt- und Tötungsbereitschaft, ja den Willen zum Genozid zu bändigen. Erinnert sei an das Scheitern des UN-Generalsekretärs Kofi Annan 1994 beim Völkermord in Ruanda. Aber auch in Konflikten in Palästina, auf dem Balkan oder in Tschetschenien hatten Vermittler keine Chance auf erfolgreiche Tätigkeit. 7 Man wird daher in Rechnung stellen müssen, dass die Institution des Vermittlers nur in bestimmten Typen von Konflikten geeignet ist, für ein gütliches Ende zu sorgen. Dies sind Konflikte, in denen ein großes Maß an Übereinstimmung und geteilten Grundwerten zwar gestört ist, aber existiert. Die Beispiele gelungener Vermittlung, die in diesem Band behandelt werden, weisen in aller Regel diese Wesenszüge auf. In Fällen starker rassischer, ethnischer, religiöser oder sozialer Unterschiede und daraus resultierender Gewaltbereitschaft ist es dagegen einigermaßen naiv, auf die Überzeugungskraft von Vermittlern zu setzen. Diese Erfahrung sollten die politisch Verantwortlichen bedenken, ehe sie Vermittler aussenden, ohne dass es eine Basis für ihre Arbeit gäbe. In diesem Band liegt der thematische Schwerpunkt auf dem Vorhaben, sowohl die lange Geschichte von Vermittlung und ihre vielfältigen Ausformungen wie auch ihre Familienähnlichkeit mit modernen Erscheinungen von Mediation zu veranschaulichen. Die Beiträge sind chronologisch gereiht und beginnen mit dem sehr grundsätzlichen Versuch William Millers (Michigan State University), Genese und Eigenart von Vermittlung aus den Bedingungen menschlicher Kommunikation und Verhandlungen abzuleiten, die nicht immer direkt zwischen zwei Parteien vonstatten gehen kann, sondern Dritte benötigt. Mit einem Dritten in der Kommunikation wachsen die Chancen wie die Unwägbarkeiten, was sich in den unterschiedlichsten Sprachen und ihren Bezeichnungen für diese Dritten manifestiert. Miller arbeitet die Ambiguität der Position dieses Dritten zu Recht deutlich heraus, der einerseits eine positive moralische Rolle übernimmt, andererseits aber zu List, Täuschung oder Drohung genötigt sein kann, um Erfolg zu haben. Mit einem breiten empirischen Horizont aus biblischen und anderen antiken Exempeln sowie aus mittelalterlichen und modernen Beispielen macht er einsichtig, wie schwer wirkliche Unabhängigkeit von den Parteien durchzuhalten ist. Die 12

Einleitung

meisten Chancen hierzu hat anscheinend der Vermittler, dessen Macht groß genug ist, um ungefügigen Parteien gefährlich zu werden. Zwei Beiträge bieten Fallstudien zur Antike. Rainer Albertz (Münster) analysiert die prophetische Aussage im Alten Testament (Jes. 2,2–5), dass die Völker ihre Waffen zu Pflugscharen und Winzermessern umschmieden würden, eine Aussage, die bis in die Gegenwart zum festen Repertoire von Friedensbewegungen gehört. Die Kontextualisierung der vielzitierten Aussage ergibt, dass erst nach Gottes Reinigungsgericht über Jerusalem diejenigen, die diesem Gericht entgangen sind, Protagonisten einer Frieden stiftenden Konfliktschlichtung sein können. Erst sie verfügen über die Eigenschaften, die Mediatoren benötigen, wie Integrität und Distanz zu eigenen politischen Interessen. Deshalb kommen nach dem Prophetenwort die Völker freiwillig nach Jerusalem und unterwerfen sich der richterlichen Funktion dieser Mediatoren, auch wenn diese keine Zwangsmittel haben, ihr Urteil durchzusetzen. Ihre Funktion ist göttlich legitimiert. Alfons Fürst (Münster) thematisiert die Versuche gewaltloser Konfliktregelung in der und durch die frühchristliche Kirche. Die allgemeine Lage war wohl dadurch gekennzeichnet, dass der römische Staat nicht gewohnt war, Konflikte auf dem Wege der Vermittlung zu lösen oder lösen zu lassen. Insofern sind vorsichtige Ansätze, dass auf Kirchensynoden unterschiedliche Meinungen diskutiert und so Ursachen von Dissens erkannt und dieser so beigelegt werden konnte, als erste Spuren von Vermittlungslösungen ernst zu nehmen. Friedenstiftende Funktionen übten daneben auch Briefe aus, mit denen Schritte zur Versöhnung eingeleitet und in Ruhe geprüft werden konnten. Auch lassen sich an vereinzelten Aktivitäten von Bischöfen Bemühungen ablesen, durch persönliches Engagement Konflikte gütlich beizulegen, doch ändert das nichts Grundsätzliches am Ergebnis dieser Studie, dass es „Mediation im technischen Sinne (in der alten Kirche) nicht gegeben hat.“ Die Zeit, in der es zur cura pastoralis der Bischöfe gehörte, in ihrer Diözese aufbrechende Konflikte persönlich und gütlich beizulegen, wie wir es in der Merowingerzeit beobachten können, war noch nicht gekommen. 8 Die Fallstudien zum Mittelalter zeigen dann, dass es in dieser Zeit eine etablierte Praxis von Mediation gegeben hat, die zwar durch die von W. Miller hervorgehobene Ambiguität charakterisiert ist, dennoch auch viele gemeinsame Merkmale aufweist, die sich vom hohen zum späten Mittelalter nicht mehr entscheidend veränderten. Charakteristisch blieb die Beteiligung kirchlicher Würdenträger an weltlichen Vermittlungsbemühungen, ebenso die Vertraulichkeit der Arbeit von Vermittlern, und nicht zuletzt das hohe Ansehen, dass auf diese Weise gefundene Lösungen in der Gesellschaft genossen. Gerd Althoff (Münster) untersucht die Rolle der Vermittler im hohen Mittelalter (10. bis 12. Jahrhundert), und dokumentiert sie insbesondere mit Fällen, in denen Könige eine der Konfliktparteien waren. Hier zeigt sich, dass es weltlichen wie vor allem geistlichen Vermittlern von den Königen schwer gemacht 13

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wurde, die Unabhängigkeit ihrer Stellung zu wahren. An Versuchen der Könige, Einfluss auf die Arbeit von Vermittlern zu nehmen und diese mit ihrer Ungnade zu belegen, wenn sie nicht in ihrem Sinne agierten, hat es nicht gefehlt. Aber nicht immer waren sie erfolgreich. Man kann sagen, dass gerade von Bischöfen diese Unabhängigkeit von den Königen im Hochmittelalter erfolgreich durchgesetzt worden ist. Hermann Kamp (Paderborn) akzentuiert gleichfalls die starke Stellung von Fürsten, die dafür sorgte, dass auch im Spätmittelalter in Konflikten auf Vermittler zurückgegriffen und keine auf der Macht einer Partei gründende Entscheidung gefällt wurde. Er konkretisiert diese Einschätzung an drei Beispielen aus dem spätmittelalterlichen Burgund, und damit aus einem Reich, dem es gelungen war, seine Selbständigkeit zwischen dem Kaiserreich und Frankreich aber auch gegenüber Frankreich und England zu etablierten. Obwohl die drei Beispiele ganz unterschiedliche Konfliktparteien mit unterschiedlichen Vermittlern zusammenführen, flandrische Städte und Grafen, England und Frankreich, Burgund und das Reich, scheinen alle Akteure ähnliche Spielregeln für die Arbeit von Vermittlern zu kennen und in der Regel auch zu akzeptieren. Mit den Vermittlungsbemühungen bei den Verhandlungen zum Abschluss des 30jährigen Krieges in Münster und Osnabrück thematisiert Barbara Stollberg-Rilinger (Münster) ein Paradebeispiel für Schwierigkeiten, die der Arbeit von Vermittlern in der Vormoderne entgegenstanden. Als Vermittler fungierten ein Gesandter des Papstes, Fabio Chigi, und ein Gesandter der Republik Venedig, Alvise Contarini, und damit das ranghöchste und das rangniedrigste Mitglied in der Gemeinschaft der europäischen Mächte. Die ausgezeichnete Quellenlage dieses Falles lässt vor allem die Bedeutung und die Schwierigkeit der zeremoniellen Fragen in den Vordergrund rücken, da Begegnungen der Gesandten oder gar Plenarversammlungen deshalb so gut wie unmöglich waren, weil schon bei der Ankunft, Begrüßung und bei der Sitzordnung Entscheidungen anstanden, die als Präzedenzfälle zu werten waren. Diese Ausgangslage reduzierte die Tätigkeit der Vermittler weitgehend auf eine Botentätigkeit, so dass es im Nachhinein fast als ein Wunder erscheint, dass die Verhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss kamen. Dennoch zieht die Autorin ein wichtiges Fazit: Der Westfälische Friede schärfte das Bewusstsein für die Souveränitätsfrage. Zwischen Souveränen gab es nicht mehr die Möglichkeit der Schiedsgerichtsbarkeit, sondern nur noch die der Vermittlung. Der Beitrag von Martina Wagner-Egelhaaf (Münster) akzentuiert an einem berühmten Beispiel das Reflexionspotential, das Literatur für historische und andere Fragestellungen bereithält. Mit Lessings ‚Nathan‘ analysiert sie den Beitrag, den dieses „Drama des Ausgleichs schlechthin“ (Max Kommerell) für die Frage nach den Eigenarten von Mediation bietet. Wie in vielen anderen Exempeln geht es auch Nathan nicht darum zu urteilen, er muss wie jeder Mediator die zusammenbringen, die ohne seine Hilfe nicht mehr miteinander sprechen. 14

Einleitung

Mit seiner Herstellung einer Gleichberechtigung der Ansprüche gewinnt er die Grundlage für neue Ordnungen. So könnte man das Wirken vieler Mediatoren unterschiedlicher Zeiten charakterisieren. Bereits ins 20. Jahrhundert führt Hubert Wolfs (Münster) Untersuchung über eine Friedensinitiative Papst Benedikts XV. im Ersten Weltkrieg – und über die Rolle, die der Nuntius in Deutschland, Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., dabei spielte. Die Untersuchung zeitigt das wichtige Ergebnis, dass sich die Aktivität Benedikts in all die Probleme verstrickte, die die Tätigkeit von Mediatoren immer mit sich bringt: die Frage der Neutralität und der Eigeninteressen, die Abhängigkeit des Friedensstifters von Informationen beider Parteien, der Spagat zwischen christlichen Werten und der nötigen Neutralität. Ihre besondere Bedeutung bekommt die Untersuchung zudem durch die Frage, wie die Erfahrungen des Nuntius Pacelli sich auf die spätere Haltung des Papstes Pius XII. hinsichtlich möglicher Vermittlungsaktivitäten in der Zeit des Nationalsozialismus ausgewirkt haben. Ulrich Willems (Münster) skizziert die breite Palette von Verfahren der Konfliktregulierung seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, die unterschiedlich große Familienähnlichkeit mit der klassischen Mediation aufweisen. Hierzu vergleicht er Praktiken und Initiativen zur Konfliktregulierung in den USA, die teilweise als direkte Vorbilder fungierten, mit solchen in der Bundesrepublik. Willems akzentuiert den Tatbestand, dass die Idee der Vermittlung in den 70er Jahren und in den USA quasi neu erfunden wurde, was unter intensiven wissenschaftlichen Anstrengungen zur Normierung und Professionalisierung der Vermittlung vonstatten ging. Trotz der quantitativen Zunahme und der qualitativen Verbesserung der Mediationsverfahren ergaben theoretische Debatten wie empirische Untersuchungen jedoch den Befund, dass diese Verfahren alles andere als „Allheilmittel“ sind. Je deutlicher Auseinandersetzungen den Charakter von Wertkonflikten haben, desto weniger Chancen kann man der Vermittlung einräumen. Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet allenfalls die Möglichkeit, Wertekonflikte in Interessenkonflikte zu transformieren. Dies aber ist in kulturell und moralisch pluralen Gesellschaften der Gegenwart gewiss keine leichte Aufgabe. Christian Walter (Münster) verfolgt die Geschichte der Vermittlung in internationalen Beziehungen, die Barbara Stollberg-Rilinger mit dem Westfälischen Frieden und dem Souveränitätsanspruch der Staaten bereits akzentuiert hatte. Dabei konzentriert er sich auf den Prozess, der die souveränen Staaten zu einer internationalen Rechtsgemeinschaft zusammen zu fügen versuchte. Auf diesem Wege erlitt die Souveränität der Staaten deutliche Einbußen, es erhöhte sich aber der Stellenwert von Vermittlung, die als ‚weiches‘ Instrument die Freiwilligkeit staatlicher Zugeständnisse und Kompromisse in den Vordergrund rückt und so die Einbußen von Souveränität erträglicher macht als es etwa schiedsgerichtliche oder sogar gerichtliche Entscheidungen vermöchten. Folglich gibt es zahlreiche Beispiele für den Einsatz von Vermittlern im mo15

Gerd Althoff

dernen Völkerrecht – aus dem „Schatten des Rechts“ haben sie sich aber nicht lösen können. Die Problematik seines Themas als Sonderfall spricht Christian Tomuschat (Berlin) selbst an: Kann man Vermittlung ex post betreiben? Er beantwortet diese Frage selbst dahingehend, dass nicht nur der Krieg in den Köpfen beginnt, auch der Frieden ist nicht denkbar ohne eine innere Bereitschaft. Und die kann nachhaltig behindert werden, wenn lediglich ein Ende der Gewalt herbeigeführt, die Bereitschaft zum Frieden dagegen nicht fest verankert wird. Insofern hat die Arbeit von Wahrheitskommissionen einen deutlichen Zusammenhang mit Friedensstiftung, wenn sie auch nicht als Vermittlungsarbeit zu bezeichnen ist. Die Funktionen solcher Wahrheitskommissionen, die in mehreren Ländern Südamerikas nach dem Ende von Diktaturen und in Südafrika eingesetzt wurden, haben denn auch nur zum Teil Entsprechungen in Funktionen, die Vermittler haben. Nicht ihre Berichts- und Straffunktion, sondern die Versöhnungsfunktion bringt sie in die Nähe der Vermittlungsarbeit. Auch die Anforderungen an Mitglieder solcher Kommissionen ähneln den Anforderungen an Vermittler durchaus. Insofern stellen die Wahrheitskommissionen eine benachbarte Art der Friedensstiftung dar, die durchaus Familienähnlichkeit mit der Vermittlung aufweist, jedoch auch gewichtige Unterschiede. Deshalb kommen Wahrheitskommissionen auch nicht im Konflikt zum Einsatz sondern erst nach dessen Ende. Und sie sind insbesondere dann nötig, wenn Versöhnung ohne die Aufdeckung vorheriger Verbrechen nicht denkbar ist. Seine persönlichen Erfahrungen als Vermittler im israelisch-palästinensischen Konflikt, die er als Außenminister der Bundesrepublik Deutschland sammelte, brachte Joschka Fischer (Berlin) in das Unternehmen ein, verband sie jedoch mit historischen Reflexionen über die Ursachen der langen Dauer und der scheinbaren Unlösbarkeit des Konflikts. Die unmittelbare Aktualität seines Vortrags ergab sich auch aus der Tatsache, dass zur Zeit seines Vortrags (Januar 2009) der Konflikt gerade wieder eskaliert und die israelische Armee in den Gaza-Streifen einmarschiert war. Seine Erfahrungen führten aber auch zu grundsätzlichen Bemerkungen über Möglichkeiten und mehr noch über Grenzen von Vermittlung, die sich mit den Gesamtbefunden anderer Beiträge decken. Hans-Georg Soeffner (Konstanz) beginnt seinen soziologischen Beitrag, der sich gut als Abschluss des Bandes eignet, mit einem philosophischen Gedanken, der vor Vermittlungseuphorie warnt: Mit Kant und Simmel macht er deutlich, dass der Mensch ‚von Natur aus‘ zur Zwietracht neigt, einen Oppositionstrieb und -instinkt besitzt. Erst in (aus)differenzierten Gesellschaften werde das „Prinzip des destruktiven Gabentausches: Auge um Auge, Zahn um Zahn“ durch ein größeres Interesse am „Konfliktlösungspotential“ ersetzt. Hierzu gehört, neben den Kategorien Sieg und Niederlage, auch die von Versöhnung und Kompromiss ins Kalkül einzubeziehen. Dabei ist von Gewicht zu erkennen, dass Versöhnung etwas Individuelles und Einmaliges ist, dass es sich 16

Einleitung

nicht als Kategorie der Konfliktbeendigung von großen Kollektiven wie Völkern eignet. Für die bleibt nach Soeffner nur der Kompromiss. Es ist allerdings in Rechnung zu stellen, dass Konflikte je nach ihren Ursachen unterschiedliche Möglichkeiten des Kompromisses bieten. In jedem Fall ist die Suche nach einem vermittelnden Dritten ein naheliegender und gangbarer Weg, auch wenn die Einführung einer neutralen Instanz immer eine beträchtliche Konstruktionsleistung erfordert. In der Moderne ist dies zudem der „mediale Dritte“, der in sich zerstritten und schon deshalb zur Kompromissbildung kaum fähig ist. Wer auf so etwas setzt, „muss ständig mit der Aufrechterhaltung der eigenen Illusionsbildung kämpfen“. Am Anfang (Miller) und am Ende dieses Bandes (Soeffner) steht also die Skepsis des Anthropologen und des Soziologen, ob der neutrale Dritte, der ‚go-between‘, der Vermittler mehr sein kann als Konstrukt und Illusion. Dazwischen haben aber Historiker, Literaturwissenschaftler und Juristen eine Menge Fallbeispiele diskutiert, in denen Versuche der Konfliktbeendigung mehr oder weniger erfolgreich waren. Beide Sichten sind sicherlich begründet – sie machen die Spannung und das Erkenntnispotential dieses Bandes aus, der Kompetenzen zusammenführt, die die Möglichkeiten eines Einzelnen weit überschreiten. Es war nicht zu erwarten, dass die Dinge dadurch einfach werden, dass sie aber aspektreich geworden sind, ist nicht zu bezweifeln. Anmerkungen 1 Vgl. etwa die Hinweise auf den Internetseiten vom Berufsverband Mediation e. V. (http://www.bmev.de). 2 Der Bedarf an ‚Mediationsrichtlinien‘ zur Einbettung der Mediation in die bestehenden Rechtsordnungen ist allerdings groß, vgl. die rechtsvergleichende Untersuchung zu Formen der Mediation, die 2007 das Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht im Auftrage des Bundesministeriums der Justiz durchgeführt hat, s. Klaus J. Hopt – Felix Steffek (Hgg.), Mediation. Rechtstatsachen, Rechtsvergleich, Regelungen, Tübingen 2008. Zum europäischen Reimport der Mediation aus den USA seit Ende der 70er Jahre s. jetzt auch Katharina Gräfin von Schlieffen, Professionalisierung und Mediation, München 2010, mit weiteren Hinweisen. 3 Trotz kultur- und epochenübergreifender Arbeiten auf diesem Feld, die Verbreitung und Alter von Formen der Mediation klar herausgearbeitet haben (vgl. etwa Josef Dussvon-Werdt, homo mediator, Stuttgart 2005; Hermann Kamp, Friedensstifter und Vermittler im Mittelalter, Darmstadt 2001; Simon Roberts, Order and Dispute: An introduction to legal anthropology, Harmondsworth – New York 1979, dtsch.: Ordnung und Konflikt, Stuttgart 1981), ist erstaunlich, wie häufig Arbeiten, die sich mit Problemen von Mediation in der Gegenwart befassen, dies in voller Unkenntnis der Tatsache tun, dass sie über eine Institution handeln, die in vielen Zeiten und Kulturen zu beobachten ist. 4 Zu diesem über Papst Gregor den Großen und Isidor von Sevilla an das Mittelalter vermittelte Wissen um die Mittlerfunktion Christi s. Rudolf Schieffer, Mediator cleri et plebis. Zum geistlichen Einfluss auf Verständnis und Darstellung des ottonischen Königtums, in: Gerd Althoff – Ernst Schubert (Hgg.), Herrschaftsrepräsentation im ottonischen Sachsen, Sigmaringen 1998, S. 345–362, bes. S. 354.

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Gerd Althoff 5 Vgl. dazu Roberts, Order and Dispute (wie Anm. 3) oder William I. Miller, Bloodtaking and Peacemaking: Feud, Law, and Society in Saga Iceland, Chicago 1990, am Beispiel Islands. 6 S. hierzu auch den „gemeinsame(n) Definitionskern“ für Vermittlung in der Moderne, wie er in Hopt – Steffek (Hgg.), Mediation (wie Anm. 2), S. 12 formuliert wird: „Mediation ist ein auf Freiwilligkeit der Parteien beruhendes Verfahren, bei dem ein Vermittler ohne Entscheidungsgewalt die Kommunikation zwischen den Parteien systematisch mit dem Ziel fördert, eine von den Parteien selbst verantwortete Lösung ihres Konfliktes zu ermöglichen.“ 7 Zum Beispiel des Palästina-Konflikt s. unten den Beitrag von Joschka Fischer. In einem Beitrag zur Ringvorlesung, der auf Wunsch des Vortragenden hier nicht abgedruckt wird, machte Joachim Gauck (Berlin) engagiert deutlich, dass für ihn die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit kein Tätigkeitsfeld für Vermittler bietet. Zwischen Tätern und Opfern, so gab er zu bedenken, sei nicht Vermittlung die naheliegende Konfliktlösung, sondern die Bestrafung der Täter. 8 S. dazu Kamp, Friedensstifter (wie Anm. 3), S. 50 f.

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The Messenger William Ian Miller The difference between negotiations and mediation is generally understood to be whether there are two parties or three. But sometimes it is very hard to count to three with confidence. 1 It is not always clear just how ‘third’ a thirdparty is, even though many wish to paint an ideal portrait of the mediator as impartial, or as equally obliged to both sides, or as serving a community interest judged to be in moral, as well as in practical terms, higher, more enlightened, less twisted by self-interest and passion than if the matter were left to the unaided principle parties. 2 Then too the mediator’s force is claimed to be mostly a moral force, aided by his rhetorical skills, or by his personal ability to cajole, flatter, or threaten; for by definition he is without formal authority to impose a settlement. He is not a judge or an arbitrator. The thirdness of an arbitrator or judge is less ambiguous than the thirdness of mediators, precisely because the former have a clearly defined power to issue a judgment. The mediator’s force is much fuzzier. ‘Threeness’ is so fundamental to the essence of adjudicating or arbitrating that it informs the philology of the words for judge or arbitrator in more than a few languages: thus in Old Norse an arbitrator is called an oddman (oddamaðr), odd 3 being the word for the point of the triangle and from which English takes its word for uneven numbers. The English word umpire which was borrowed from French in the thirteenth century where it was noumpere, 4 that is non pareil, not equal, the odd man, the third party. And in modern Hebrew the verb to arbitrate is formed from the root for three: ‘to three,’ is to arbitrate. There is no such clarity of threeness in mediation. The terms mediators/mediation tend to carry with them a positive moral valence. Mediation has come to suggest the values of peace, or in the idiom of new-age self-esteem therapy, it is about the ‘empowerment’ of claimants who are otherwise excluded from more expensive forms of dispute resolution that require lawyers and courts. And should a mediator be worthy of being called an intercessor his moral stock rises even higher. Intercessor evokes images of Christ, Mary, or the saints mediating between a frightened and sinful mankind and a Dangerous Divinity. Mediation is talked about with much piety and celebration; mediators are the peacemakers blessed in the beatitudes. 5 But mediation has a darker side. An intercessor, a mediator, for instance, is 19

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a go-between, which in English has a suspect, even immoral, suggestiveness that is lacking, for instance in German Vermittler. Or he is more neutrally a broker, bringing a buyer and a seller together, a middle-man. But the go-between in English is also a pimp, a procurer of prostitutes. It is thus refreshing to have the Canadian social theorist, Erving Goffman, much the heir of Georg Simmel, treat mediators as playing what he calls a “discrepant role”. Thus Goffman: “the go-between or mediator … learns the secrets of each side and gives each side the true impression that he will keep its secrets; but he tends to give each side the false impression that he is more loyal to it than to the other … As an individual, the go-between’s activity is bizarre, untenable, and undignified, vacillating as it does from one set of appearances and loyalties to another. The go between can be thought of simply as a doubleshill.” 6 Mediators, in short, need not be all that honest, in fact probably cannot be all that honest and be successful; they might in some of their avatars be talebearers and spies. The historical record is so dense with examples of the dark side of mediation that one need not look long to find examples. It is hardly shocking to discover that mediators had their own interests to advance; they could benefit by gaining honor as a peacemaker, as well as by arranging a settlement that weakened the disputants who were often also the mediators’ competitors. What I propose to do in this paper is to examine the embryology of mediation, the moment at which one party starts to split into two, as in the earliest cell-divisions of an organism, and then when two parties start to metamorphose into three, without it necessarily ever becoming analytically clear if particular people are truly principals or agents 7 or third parties. I want to focus on the messenger, for it is in the simple messenger that we find the origins of the grandest of mediators, the archbishops, saints, and Christ. The messenger is the Ur-mediator. True, a mere messenger is not a full-fledged classic mediator, still it is undeniable that even the highest-status mediator is a messenger, a bearer of words, back and forth. Consider the messenger sent by A to B whom B then sends back to A with an answer. The messenger starts out as an agent of A; he may be a high ranking official in his household, or he may be a lowly servant, and surely the status of the person asked to carry the message will depend on variables such as the absolute status of B, on the relative status of A and B, on the content of the message, whether good or bad news, and on its purpose, whether a request, an order, a claim, or a capitulation. But when the messenger bears B’s answer back to A, he is then acting, at least in part, as B’s agent. He is thus a double agent. Double agent here has a double sense: in its benign sense, it merely describes a person who is the agent of two principals, in this case A and B. But such a double agent is now also in the suspect structural position of serving 20

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two masters whose interests may be in conflict, and he may now be tempted to be a double agent in the nefarious sense of being a specialist in betrayal. There are thus more than a few reasons why one might want to kill the messenger beyond making him the scapegoat for the bad news he delivers. It might well be that the messenger himself is the bad news. Duplicity is built into the structure of being a go-between. No wonder that Hermes, the messenger of the gods, is a trickster and the patron of thieves and conmen; or that Virgil says of Iris, Juno’s messenger, that she was “well acquainted with causing harm”. 8 Consider how these issues reside at the very core of the mystery of the Incarnation. Could there be a better example of the conflation of principal and agent than in Jesus, the preeminent go-between, the messenger who is killed bearing what he thought was good news, but some important recipients disagreed. He is a double agent, as God and as man, whose very distinguishability from the principal who sent him or from mankind who sent him back was a matter of bitter debate, of heresies and schisms: was he one, two, or three, more man than God, more God than man? The Incarnation manifests all the ambiguities that haunt the mediator and the go-between. Who is he working for anyway? And what’s in it for him? Our simple messenger, who began as an agent of the sender, is now in the position of becoming more fully realized as an agent in the philosophical sense, that is, as a decision-making actor. He has choices to make, temptations to resist, and risks to bear, and he can find that in his routine task of bearing words back and forth a world of possibility opens before him. Even a mere courier, a letter carrier, can become an agent in the philosophical sense. Couriers bearing messages between Swiss towns in the fifteenth and sixteenth centuries were given gifts by the recipients. These gifts were a big part of the couriers’ income 9 and evidence shows that the value of the gift was often proportionate to the weightiness of the message, even when the news was bad. Surely this gave messengers some inducement to exaggerate both triumphs and losses. A simple courier might start to play with the content of his message; and if his message was a written dispatch, that by itself need not prevent him from providing an oral gloss. It is hardly the case that the recipients of the messages blithely accepted message or messenger at face value. Samuel Pepys tells of a Dutch renegade who bears a false tale of Dutch atrocities committed against the English in hopes, it is alleged, of some reward from the English. Observes Pepys: “the world doth think that there is some design on one side or other, either of the Dutch or French – for it is not likely a fellow would invent such a lie to get money, whereas he might have hoped for a better reward by telling something in behalf of us to please us” (Feb. 25, 1665). 10 There are also freelancing messengers, who are not agents of anyone in particular. In saga Iceland we find beggarwomen bearing tales from farm to 21

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farm, knowing that they will be rewarded for bearing malicious gossip, not always false. They even try to prompt the slanderous statements which they truthfully bear to the insulted persons. 11 Freelancing go-betweens need not be peacemakers, so beloved of the dispute-processing literature; they are just as likely to be talebearers and fomenters of strife, cursed by moralists from the beginning of time. But talebearers too are mediators after a fashion. If then the messenger might at times have a bit of the devil in him, he can also be something of an angel: our word angel renders the Greek translation of the Hebrew word for messenger (mal’akh Yalm). Malakh applied equally if he were a messenger sent by God, or by King Saul, or by an old farmer. The root of mal’akh – l’kh Yal – also figures in the word for task, or work: mla’kha ekalm. The root sense of l’kh is something like “to send (bearing a message)”, but comes to be generalized to mean any task. Compare this to Greek epistle, meaning that which is sent, the apostle, the messenger. Now consider the Akkadian (the Semitic language of ancient Babylon and Assyria) for message, letter, messenger: shipru. It too derives from a root meaning to send a message, spr, and also comes to generate a related form meaning task, work, thus showing the same semantic generative properties of Hebrew l’kh. 12 The Hebrew may, given my very limited knowledge in this domain, show the influence of the Akkadian sense development. The spr root in Hebrew generates the word for book, letter, document, and the verb for to tell, narrate, count. I hardly wish to make too much of this but, as we see, there is in the Semitic languages a semantic constellation that finds in message-bearing the very model of a task. Add a dose of Neoplatonic Christianizing and no wonder that in the beginning was the Word, and the Word does the work of creation, the primal task. Even in the Indo-European languages there is, if not quite as obviously, a link between message-bearing and the notion of task, job, the undertaking of specific enterprises. Take the Carolingian missi, the messengers of the king, who go on missions. The word mission expands its core sense of “that which is sent” and slowly comes to mean the business that the missus, or messenger, is to carry out. He is on a mission, we say, and eventually in the jargon of the US military, mission comes to mean a particular operation, the task at hand. Mission Impossible. Thus too it is a missionary who bears the word, the message of God, so that his mission becomes an imitatio Christi, imitating Jesus as message bearer, the mediator between God and sinful man. In texts ranging from the remarkable ‘Amarna Letters’ from 1300 BC Egypt and the Hebrew Bible to the chronicles and letters of the preindustrial ages, one could not avoid noticing that no one takes messengers for granted. They are frequently mentioned, and often named. One of the dominant themes, in fact, of the Amarna letters is the messengers themselves. Why have you detained them? Why do you not admit them? Why have you sent none to me? 22

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Why do your messengers lie to you? The Babylonian king says this to Pharaoh: “previously my father would send a messenger to you and you would not detain him for long. You quickly sent him off, and you would also send here to my father a beautiful greeting gift. But now when I sent a messenger to you, you have detained him for six years and you have sent me as my greeting gift, the only thing in six years, thirty minas of gold that look like silver. That gold was melted down in the presence of Kasi your messenger, and he was a witness” (EA 3). 13 A letter from Tushratta, the king of Mittani, to Pharaoh, indicates that Mane, Pharaoh’s messenger, is being well-treated; he “is not dying. Truly, he is just the same” (EA 20). 14 Tushratta comes to value Mane greatly and writes sometime later: “Keliya my envoy and Mane, your envoy, I have allowed to depart and they are coming to my brother [i. e., Pharaoh] … Mane your envoy is very good; there does not exist a man like him in all the world … And may my brother not detain my envoys … And my envoys may my brother let go as fast as possible … My brother may say: ‘You yourself have also detained my envoys.’ No, I have not detained them … May my brother let my envoys go as soon as possible so they can leave. And may my brother send Mane along, so he can leave together with my envoy. Any other envoy may my brother not send. May he send only Mane. If my brother does not send Mane and sends someone else I do not want him and my brother should know it. No. May my brother send Mane” (EA 24). The messenger, Mane, the go-between, becomes himself the object of negotiation; he, as well as the amount of the marriage portion in this case, are the goods over which the parties are bargaining. Such has become Mane’s standing with Tushratta to whom he has been sent that it would be no longer accurate to describe him merely as an agent of the first party, Pharaoh, whose officer he is; the king of Mittani thinks him one of his own, precisely because he also knows he is dear to Pharaoh. By being so esteemed Mane has become a double agent and since known to be such by both principals, something of a third party too. Mane is clearly a man of high rank, a messenger fit to travel back and forth between kings. He is also, as indeed all the messengers whose detainment is lamented, not just a courier or ambassador, but a hostage, and what is especially noteworthy in this exchange is that he can be held hostage by either principal, since both want him back. From ancient Sumer to sixteenth century Florence and beyond, messengers are treated to sumptuous hospitality. Let Tushratta vouch again: “Mane, my brother’s messenger, and Hane, my brother’s interpreter, I have exalted like gods. I have given them many gifts and treated them very kindly for their report was excellent” (EA 21). Recall what was said earlier about the incentives a messenger has to elaborate the message so as to please the ears of the recipient. Tushratta is quite frank about the quality of Mane’s hospitality being correlated to the quality of the message he bore. Messengers are guests, some23

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times captive guests to be sure, but the norms of hospitality mean they are to be feted before they are allowed to state their business. 15 In the Icelandic sagas, for instance, it is rare for a person bearing news, or arriving on business, ever to state the reasons for his coming the same day he arrives. The protocol suggests that it would be improper for the host even to ask why he has come, and sometimes a host, bewildered when his guest does not state a reason for his visit the next morning, must finally assert himself and ask to what he owes the visit. 16 As medievalist Gerd Althoff notes, “emperors and kings … only brought up important or controversial issues after first treating their guest to a splendid reception and feast.” 17 Althoff suggests, rightly, that one of the benefits, unintended, but there to be exploited, of sumptuous hospitality, was that it put the guest in a weaker bargaining position, for he was now in the host’s debt. Sometimes fulfilling the proper forms of good hosting must have been hard to carry out without displaying some impatience, or curiosity. What if the matter were urgent? Urgency has to mean something different when time is measured in months rather than in seconds. If a message took six weeks to get from the River Nile to Nineveh, one could wait a day or two to talk business; it would mean waiting no more than to pause for a breath before stating one’s business nowadays. True, fire signals on mountain tops could get messages delivered much faster, but the informational content of such signals was rather limited – either the enemy is coming, send help, or we won, hurray. Moreover, the enemy, as Thucydides notes, 18 could make the signals unintelligible by lighting their own fires, reducing what might have been a meaningful message to mere noise. Feasting, of course, was not without its own dangers. In the saga world the competitiveness that went hand in hand with honor was most heightened during feasts, not infrequently over seating arrangements. The main entertainment often consisted of composing poetic insults of fellow guests, with more than hurt feelings being the consequence. The feting of messengers could go terribly wrong too, not because of agonistic competitiveness, but because the rules of proper behavior got lost in translation. Herodotus tells of Persian envoys visiting Macedonia who complain that the feast welcoming them had no women present. To entertain us properly there should be women, they say; we do it bei uns. The Macedonians answer that it is not their custom to feast in mixed company but reluctantly oblige the guests, who then complain that the women are not sitting next to them, which request is then also obliged. When the Persian envoys start fondling the women’s breasts, the Persians are killed in a bed-trick where the Macedonian hosts substitute armed adolescent boys for the girls. 19 Sometimes a messenger was not feted, but deliberately insulted, thrown into prison, beaten or killed, or kept under house arrest, as we saw when the king of Babylon complained of detaining his messenger for six years. When 24

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Wenamun, an Egyptian on a mission to Byblos in about 1075 BC begs to leave, the king of Byblos answers that Wenamun should count his blessings: “‘Indeed, I have not done to you what was done to the envoys of Khaemwese, after they had spent seventeen years in this land …’ And he said to his butler: ‘take him to see the tomb where they lie.’” 20 When David sends emissaries to Hanun, king of the Ammonites, to console Hanun on the death of Hanun’s father, Hanun has half the beards of David’s men shaved off, and their clothes cut to expose their buttocks. The messengers were mortified, and David in solicitude tells them to lay low in Jericho until their beards grow back (2 Sam. 10). When in Merovingian times high ranking legates from King Chilperic – Bishop Egidius and Duke Guntram Boso – have a contentious bargaining session with King Guntram, the legates are shown the door with excrement and filth dumped on them. 21 A Hittite treaty from c. 1400 BC finds it necessary to include a provision against plying messengers with truth serum: “He must not ensnare [the messengers] by means of a magical plant.” 22 Bearing messages was not the most enviable of tasks, unless the messenger had the fortune to bear good tidings on a peaceful mission. Even then there were the dangers of the road, weather, disease, toll takers, bandits – “Thus says Lugal-gish: Tell Lugal-mashkim that my messenger has been killed” (Sumerian, c. 2200 BC); 23 Once in sight of his destination the messenger still had to get by palace bureaucrats serving as official and unofficial gatekeepers who, if not properly prompted with gifts and bribes, could ensure the message went undelivered. 24 But should he not be bearing good tidings his arrival could often occasion bigger risks than the usual ones just rehearsed. The plot of the ‘Chanson de Roland’, no less than the plot of the Incarnation, depends on the assumption that volunteering someone to be a messenger between hostile parties was like sending a sheep to an abattoir. 25 Message delivery was often heroic duty or a fool’s errand. There was an understanding that varied from culture to culture of a kind of diplomatic immunity once messengers were passing between openly hostile parties. It seems the immunity was rather weak among the ancient Semites, less so among the Greeks or Franks, with their staffs and wands to mark them as bearing safe conduct. 26 But neither the Spartans nor the Athenians dealt kindly with the envoys Darius sent to them to demand that they submit to him. The ones sent to Athens were thrown into a pit, the ones sent to Sparta were pushed down a well.27 Years later, however, the Spartans tried to make amends to Xerxes for their breach of heraldic immunity; they sent him, in atonement, two men of good family for Xerxes to put to death. Xerxes, an astute psychologist, sent them back alive, nicely noting that he was not going to behave as badly to emissaries as the Spartans did, nor was he about to free them of their burden of guilt for their crime. 28 There were messengers no one wanted to see; these are the ones who came 25

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as tax collectors, tribute takers, or summoners, who often thought it prudent to arrive well-accompanied and heavily armed. More than a few messengers in the medieval chronicles designated as nuntii or legati and surely as missi, bring armies to deliver their messages. 29 Bearing bad news to a hostile party is obviously dangerous business, but the paradigm case of killing the messenger is when the messenger is charged to bear bad news back to his own people. One suspects that he undertook the mission with misgivings and under some duress. Or who would be so unwise as to bring home the news of a disaster of which he had the luck to be the sole survivor? When the only Athenian survivor of a battle against the Aegintans returns to tell of the debacle, “the wives of the other men who had gone with him to Aegina, in grief and anger that he alone should have escaped, crowded round him and thrust the pins, which they used for fastening their dresses, into his flesh, each one, as she struck asking him where her husband was. So he perished.” 30 Lords sent messengers to bear good news whom they meant to reward, and messengers to bear bad news who were expendable. When Joab sends a messenger to David whom Joab knows he is putting at risk because the news is decidedly mixed, he makes sure to give the messenger a saving clause at the end that will spare him: “and [Joab] instructed the messenger, ‘When you have finished telling all the news about the fighting to the king, then, if the king’s anger rises, and if he says to you, ‘Why did you go so near the city to fight? Did you not know that they would shoot from the wall? … Why did you go so near the wall?’ then you shall say, ‘Your servant Uriah the Hittite is dead also.’” (2 Sam. 11.19–21) 31 The sagas suggest that people dressed in certain ways or took certain paths depending on the quality of their message. Although it is hard to get at this in the sources, there appears to have been a color coding to prepare the recipients for bad news so that it would not lead to an emotional response lethal to the messenger. In more than a few cases in the bible, messengers bearing bad tidings adopted ritualized humiliation markers: torn clothing, dirt or ashes heaped on their heads (e. g., 1 Sam. 4.12; 2 Sam. 1.2). I suspect they hoped this might save them. 32 In some cases, though, it may be good policy to kill the messenger bearing news of a defeat or of a battle going badly. Raimondo Montecuccoli, an Imperial general, the hero of the battle of Szentgotthárd in 1664, who wrote perceptively about war and generalship, notes instances of battle leaders killing the messenger bearing bad tidings, not because of an irrational belief that the messenger bore some causal responsibility for the events he reported, but because the messenger was acting with culpable carelessness, given the common knowledge of the fragility of any army’s courage. 33 Raimondo’s point is that it is incumbent on the messenger bearing ill tidings to make sure he gives out one message for public consumption, and whispers his honest assessment into the ear of the leader in private. Recall, in 26

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this regard, Yahweh’s killing the spies who return from Canaan announcing the invincibility of its occupants: “And there we saw the giants (Nephilim), the sons of Anak, which come of the giants: and we were in our own sight as grasshoppers, and so we were in their sight” (Num. 13.33). The message demoralizes the people who now lament, yet again, that they ever left Egypt. It is precisely for this reason that a hostile messenger bearing bad tidings to the enemy might wish to have his message overheard. Thus the desperate attempt of Hezekiah’s main minister to have Sennecharib’s messengers not speak in Hebrew, but in Aramaic, so the commoners on the walls would not understand their threatening demands (2 Kings 18), to which the chief Assyrian messenger the Rab’shakeh answers: “Has my master sent me to speak these words to your master and to you, and not to the men sitting on the wall, who are doomed with you to eat their own dung and to drink their own urine?” Nasty wit, we see, is a virtue in certain high status messengers; it got the Rab’shakeh immortalized, in his enemy’s historical record no less, not once but twice for the same scene appears in Isaiah (Is. 36). 34 Aristotle gives us another reason for rightly blaming the messenger: his not caring not to cause pain. 35 Yet we have from an inscription on a tomb from 1500 BC Egypt evidence of someone who took pride in his not killing messengers bearing bad news: “I did not confuse the report with the reporter … I was a model of kindliness.” 36 Apparently the baseline expectation was to kill or harm the messenger. And woe to the messenger who is the subject of the message he bears, unless he knew, like Mane, its contents, and that the contents were flattering to him: Uriah, Rosencrantz and Guildenstern, Hamlet, these messengers were very much in the dark, and had to be, for they were bearing their own death warrants. A Sumerian myth (3rd millennium BC) attributes the invention of the envelope to this kind of letter. 37 A messenger had to know how to deliver good news too, for if too good, it might sound “too good to be true”. Herodotus tells of a messenger from Samos who reports to the Greek commanders how vulnerable the Persians were to an immediate attack. To convince the Greeks he is telling the truth, he offers himself either as a hostage or to join with them in the fight (9.90, p. 612). This raises some interesting problems for a mediator, and for a messenger: how to make yourself believable. Truth, no less than lies, facts no less than fantasies, need to be properly dressed up to be believable; the truth, after all, has also to pass for true. The problem of the honest messenger bearing true good news is no different from the dishonest messenger bearing false good news. And yes, you could also get killed for delivering good news. The messenger who thought David wanted to hear that Saul was dead is one, Jesus another. The dangers were not all the messenger’s. The recipients of messages also bore substantial risks. 38 Take the case of Ehud in Judges 3. Israel had been a tribu27

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tary of Moab for eighteen years. It was Ehud’s duty to bear Israelite tribute to Eglon, the king of Moab. After handing over the tribute, Ehud tells Eglon he has a secret message to deliver. The king of Moab dismisses his attendants; Ehud draws near: “I have a message from God for you” he says as he draws a short sword he has hidden under his clothing and plunges it into the king, whose folds of fat completely engulf the sword. Ehud departs closing the door behind him; Eglon’s servants assume their master is relieving himself as indeed he was for the account adds the detail: the “dirt” came out. 39 If it is the rare messenger who is an assassin, it is the not-so-rare assassin who poses, indeed might be, as Ehud shows, a messenger. The assassin is the messenger of choice for Queen Fredegund in Gregory of Tour’s history. 40 Saul too sends messengers, ml’achim, to kill David (1 Sam. 19.11); angels of death, so to speak. Being a messenger was replete with dangers, but so, we see, was getting a message. English still pays homage to this with the cold sneer: Did ya get the message? Eglon did. Israel was not going to be sending any more tribute; relations with Moab had just been redefined. Ehud’s one-liner would suit a Clint Eastwood movie: “I have a message from God for you.” In English the pun with word/sword would be available, but such a pun is hardly necessary, as the lethality of Ehud’s message, could hardly have been clearer. The letter killeth, as Paul says (2 Cor. 3.6), in more ways than one. Ehud’s wit is not just the stuff of good stories. Look at the expectations he mobilizes: for one, he is posturing as a prophet, transmitting messages from God; on the other hand, Ehud is employing Eglon’s expectation that Ehud is a typical duplicitous messenger about to play double agent in Eglon’s favor by giving him important secret information. The dark expectation, the messenger’s assumed moral ambiguity, make this a delicious scene. It is not surprising, in other words, that a messenger might betray his sender, indeed be expected to. Even innocent messengers have eyes and ears and will be questioned by the recipient as to the state of affairs from whence he came; and when he returns his master will surely question him as to what he heard and saw off the record. Thus it might be a wise strategy to stage false fronts for the messenger before he departed, deliberately misinforming him before sending him off, and for the recipient to do the same when he arrives. This is a not uncommon motif in the espionage genre. A messenger thus couldn’t help but be a spy even if he had no evil intentions. But often he did have them. The Laws of Manu advise an envoy as follows: “By means of concealed hints and gestures, he should decode the bearing, hints, and gestures of the rival king with the help of seducible men in his service and uncover his plans with the help of his servants.” 41 No wonder those ancient near eastern kings ‘entertained’ the messengers they received three, six, and seventeen years. A messenger had to make sure that his host believed the purpose of his mission was in fact its official purpose lest he be treated as a spy rather than as a messenger. Recall David’s emissaries sent 28

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home half naked and half shaved. The reason they were so ill-treated is that it was claimed by Hanun’s men that their visit was a pretense, and that spying was their mission. Suetonius reports of Augustus that at the beginning of his reign he kept in touch with provincial affairs by relays of runners spaced along the highway, but that he later organized a chariot service “which proved the more satisfactory arrangement because post-boys can be cross-examined on the situation as well as delivering written messages.” 42 One of the many advantages of employing pigeons to deliver messages was not only their speed but that they couldn’t be bribed into betraying the sender’s interests, for the birds’ interests (getting home) were exactly what was mobilized on behalf of the sender. Ancient Egyptian wisdom literature (c. 1800 BC) counsels messengers to “hold fast to the truth”, but then equivocates: If you are a man of close trust, Whom one great man sends to another great man, Be entirely exact when he sends you! Do the commission for him as he says! Beware of making evil with a speech Which embroils one great man with another great man Hold fast to Truth! Do not exceed it! An outburst is not to be repeated; Do not speak out against anyone, Great or small, it is a horror to the spirit. 43

The advice wars with itself. It tells the messenger to stick to his text, exactly, but then tells him to exercise discretion, especially about suppressing certain things. If your master, the sender, was angry and said some ill-advised things, you should keep quiet about it. You are not to overstate, and you are to slant your account in favor of peacefulness and good relations. Here too is the suggestion that the messenger will be milked for information, will have to talk, and be asked to talk outside his text. Even the simplest messenger is thus on the way to becoming an orator, an ambassador, a negotiator, and as this text supposes, a mediator between one great man and another. To limit a freewheeling messenger this provision is added to a Hittite treaty c. 1400 BC: “If the words of the messenger are in agreement with the words of the tablet, trust the messenger … But if the words of the speech of the messenger are not in agreement with the words of the tablet, you … shall certainly not trust the messenger, and shall certainly not take to heart the evil content of his report.” 44 The fact that the messenger will be thought to possess more knowledge than that which he has been officially charged to convey leads Montaigne, who did some messaging service in the civil wars, to observe that he wants to be nothing more than a pigeon. He wants no knowledge outside the text he is to deliver; he prefers to be in the dark: “I know that everyone rebels if the 29

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deeper implications of the negotiations he is employed on are concealed from him and if some ulterior motive is secreted away. Personally I am glad if princes tell me no more than they want me to get on with; I have no desire that what I know should impede or constrain what I have to say. If I have to serve as a means of deception let at least my own conscience be safeguarded.” 45 Since the messenger will be queried beyond his text, he has the power to betray his sender advertently by revealing more than he should; or inadvertently, by being cajoled with drink, women, and flattery. He also may be tortured, if the softer persuasions do not work. That is why Themistocles, who himself knew a thing or two about betrayal (he was always cutting private deals for himself with the enemy), employs a particular messenger whom, Herodotus says, “he could trust to keep his instructions secret, even under torture.” 46 There are other ways the sender is partly at the mercy of his messenger’s interests. Classic tales are devoted to the theme. Gregory tells of a count who, in hopes of having his office renewed, sent his son with gifts to King Guntram to plead on his behalf. But the son, by means of his father’s gifts, got the countship for himself, supplanting his father whose cause, Gregory says, he should have been supporting (4.42). The classic instance is the proxy wooer getting the girl for himself instead of for his principal. 47 An array of possibility governs the relationship between the sender and the messenger. Some messengers are clearly official and even bear powers to bind the principal, as when they are styled legates; some are official and merely message carriers without any other powers; some are unofficial, or operate on their own motion, to be claimed as messengers by the unofficial sender if the mission is successful, to be denied if it is not. There are a multitude of points that can be occupied on an ‘officialness’ scale. 48 Consider too that we read constantly of people designated as ‘secret messengers,’ who must operate outside certain official channels of message delivery and receipt, and have signs and rituals all their own. And there are so many ways for the sender to play with the meanings of sending, for the messenger to play with the rituals of message delivery; so much depends on the recipient’s varying ability to understand or misunderstand the meanings intended and those not intended but available to the astute observer nonetheless. In the standard sending of a message, the sender is of higher rank than the messenger. Message bearing is a service that is burdensome and dangerous; better to send someone you can boss around to do the job. God’s angels provide the best example: they are nothing but messengers (remember the meaning of angel); in the Hebrew Bible they don’t even have names – with two exceptions: Gabriel and Michael in the late book Daniel. And angels are manifestly God’s inferiors. The messenger’s structural inferiority to the sender pro30

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vides the ammunition for an argument against Jesus’s divinity made to Gregory of Tours by the Arian, Agilan, who himself is a messenger, a legatus, from the Visigothic king to King Chilperic: “No one sends a person who is not his own inferior,” Agilan says, greatly angering Gregory, “… God is he who sends; he who is sent is not God.” 49 Gregory has arguments to oppose this but he does not deny the force of Agilan’s example, only countering that the Father also did the bidding of the Son, as when he raised Lazarus, an argument that proves too much since it makes any mere mortal claim that God had done his bidding, if he answers a prayer. 50 But is Agilan right? There are special cases where the sender may be lower in rank than the message bearer, and this brings us back at long last to mediation, or more particularly to intercession. A lowly petitioner, to get his message to the person he desires access to, might not just have to use one intermediary, but a whole series of them. He seeks out first his own higher-status kinsman, who then seeks out his lord, who is a cousin of the bishop, and the bishop gains access to the archbishop, who goes to the king. 51 Each person asks a favor of someone higher up the food chain and each serves as a messenger who is higher in status than his immediate sender. Intercessors, it can be claimed, are a subclass of mediators, and also a subclass of message bearers, who trade on whom they know and the gates they can enter. Though in one sense intercessors are the agents of the lowly principals who are the petitioners, in fact, the petitioners usually have to pay or pray to get the intercessor to intercede, no differently than when a lowly sinner asks the saints to intercede on his behalf.52 To conclude: in a book I wrote on disgust I talked about a class of people I called “moral menials”. These are people whose socially necessary jobs are somewhat distasteful, often demanding morally suspect action and very accommodating consciences – lawyers, politicians, hangmen are obvious examples. But there are others: I suspect we might have to add the mediator, the message bearer, the intervener, all perhaps morally suspect by having to gobetween, by playing the ends from the middle. There is another point I wish to recall that I opened with. It was the ambiguity of the thirdness of the so-called third party, who often starts as an agent of one of the principals, and then must also work for the other party to carry out his task for the first party who employed him. Thus, even the simplest letter carrier puts himself and us, as I said more than once, in the world of double agents. True thirdness, complete independence from either party is rare, a prerogative of the mightiest intervener who can force himself between the parties whether they like it or not. But watch how in Iceland this intervener’s very ability to make peace is accomplished by relinquishing his thirdness. In several saga cases we find a third-party intervener insisting that the contenders put down their weapons and stop fighting, or, and I quote: “I will join the first 31

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party that listens to me.” 53 In other words, he can only be effective as a third party, by threatening to by become a first or second party. It is standard knowledge among anthropologists and medieval historians that peacemakers are often drawn from the ranks of the contending parties. They are often those people who have changed their minds about the relation of risks to rewards of continuing to quarrel. So when we move from two parties to three, from negotiations to mediation, let us recognize that the third party is, as the Old Norse would have it, an odd man, caught in a regress of ambiguity and shifting alignments, who can be located on a point anywhere from principal to agent, from first to second to third party. He subsumes, if not quite as sacredly, the mysteries of three persons in one of the Incarnation. Notes 1 Simmel invests the move from two to three parties with significant transformational powers in the evolution of social and political complexity; see The Sociology of Georg Simmel. Quantitative Aspects of the Group, trans. and ed. Kurt H. Wolff, New York 1950, pp. 118–162. But given Simmel’s usual perspicacity, he does not problematize threeness to the extent one would expect. He assumes dyads and triads are clearly discernible. 2 For an example of this view “in which an impartial facilitator intervenes to assist parties in resolving a conflict” see Andrew Woolford – Robert S. Ratner, Informal Reckonings: Conflict Resolution in Mediation, Restorative Justice and Reparations, New York 2007, ch. 3. Simmel notes that impartiality can be achieved in two main ways, via the independence of the third party, or via his equal attachment to both sides. In high stakes political negotiations in 10th and 11th century Germany one historian finds that the “internuntii or intercessors … were often people of very high status, such as archbishops or dukes. What characterized the activities of these men most of all … was their independence: they were not aligned with either party, but were appointed by both sides as neutrals”; Gerd Althoff, Family, Friends and Followers: Political and Social Bonds in Medieval Europe, trans. Christopher Carroll, Cambridge 2004, p. 128, translation of his Verwandte, Freunde und Getreue. In Iceland we see intercessors of both types in roughly equal proportion. 3 Old Norse oddi, sharing a root with Old English ord, Old High German ort. For a fuller philology of odd, even, and the marked legalistic underpinning of those throwaway words called “discourse particles” – words like just, right, quite – see William Ian Miller, Eye for an Eye, Cambridge 2006, pp. 11–16. 4 Oxford English Dictionary, s. v. umpire, sb. 5 Simmel argues for the rationalizing effect of impartial mediation, which makes the disputants focus on hard issues, neutralizing the effects of passion. But he also confesses that any story about the rationality of third-party intervention is incomplete without a discussion of tertius gaudens, the advantage (and joy) gained by the third from the misfortunes of the principals. The Sociology of Georg Simmel (above n. 1), pp. 154–162. 6 Erving Goffman, The Presentation of Self in Everyday Life, New York 1959, p. 149. A shill is a person employed to pretend that he is part of the audience in order to lead the legitimate audience members to buy the goods being hawked, or to play the game being offered.

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The Messenger 7 In the English common law an agent is someone who acts on behalf of another who is called the principal. Principal/agent covers a much wider array of legal relations for which the civil law and German have different names but as far as I know no overarching pair of terms that quite captures the broad English legal category denoted by principal/ agent. 8 Aeneid 5.618: re Iris: ‘sese haud ignara nocendi’. 9 Valentin Groebner, Liquid Assets, Dangerous Gifts: Presents and Politics at the End of the Middle Ages, trans. Pamela E. Selwyn, Philadelphia 2002, pp. 43 et seq. 10 The Diary of Samuel Pepys, ed. Robert Latham – William Matthes, Berkeley 2000, p. 44. 11 Njáls saga, ch. 44. 12 For a more detailed discussion see the informative and intelligent account in Samuel A. Meier, The Messenger in the Ancient Semitic World (Harvard Semitic Monographs 45), Atlanta 1989, pp. 11 et seq. I am much indebted to this work. 13 The Amarna Letters, ed. and trans. William L. Moran, Baltimore 1992, abbreviated conventionally as EA. 14 These letters are part of a negotiation of a marriage alliance; Tushratta is also disappointed in the amount of gold sent along with the message. 15 See http://etcsl.orinst.ox.ac.uk/cgi-bin/etcsl.cgi?text=t.3.1.01# for a remarkable letter from Aradgˆu, a messenger, to his lord Sˇulgi, king of Sumer, complaining about his mistreatment at the hands of one of Sˇulgi’s vassals, Apillasˇa, to whom he was to deliver a message. Aradgˆu is repeatedly humiliated, kept waiting at the gate, then coerced to receive a repast which they spill on him, while he insists that all hospitality must first await the delivery of his message. Apillasˇa seems to take offense at Aradgˆu’s insistence that he state his message before being entertained. Even more remarkable is Sˇulgi’s response to Aradgˆu which tells him to stop complaining, that he well knows that Sˇulgi must let Apillasˇa have some room to play the role of a ‘big man’ on his own turf: “If I do not make Apillasˇa feel just as important as I am, if he does not sit on a throne … if his feet do not rest on a golden footstool, … if he does not kill or blind anyone, if he does not elevate his favorite over others – how else can he secure the provinces?” (http://etcsl.orinst.ox.ac.uk/cgi-bin/etcsl. cgi?text=t.3.1.02#). 16 Ljósvetninga saga, ch. 7. 17 Althoff, Family, Friends and Followers (above n. 2), p. 158. 18 Thucydides, The Peloponnesian War, trans. Richard Crawley, London 1874, 3.22: “Fire-signals of an attack were also raised towards Thebes; but the Plataeans in the town at once displayed a number of others, prepared beforehand for this very purpose, in order to render the enemy’s signals unintelligible.” 19 Herodotus, 5.18–20, trans. Aubrey De Sélincourt, Harmondsworth 1954, rev. 1972, pp. 345–347. 20 The Report of Wenamun, trans. Miriam Lichtheim, Ancient Egyptian Literature: The New Kingdom, Berkeley 1976, p. 226. 21 Gregory, Bishop of Tours, Historia Francorum (HF), ed. Bruno Krusch – Wilhelm Levison (MGH SS rer. Merov. I 1) Hannover 1951, 7.14. 22 Hittite Diplomatic Texts, 2nd ed., trans. Gary Beckman (Society of Biblical Literature, Writings from the Ancient World Series 7) Atlanta 1999, No. 2, § 45, p. 18. 23 No. 28, in Piotr Michalowski, Letters from Early Mesopotamia, Atlanta 1993, p. 31. Given the not insubstantial risks of a message never reaching its destination, more than one messenger may be sent bearing the same letter. Thus Cicero notes that he received two copies of the same letter from Plancus: “proof to me”, he writes Plancus, “of your

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William Ian Miller conscientiousness, for I realize you are ensuring that your most eagerly anticipated letter is delivered to me” (January 43, Fam. X 5). 24 In the Armana Letters, Rib-hadda, mayor of Gubla, on the central coast of presentday Lebanon, sends his son on a key mission to Pharaoh, but his son is never allowed entry to deliver his message (EA 138). 25 The risks involved in message bearing might in some part help explain the passage in an Anglo-Saxon legal text (late 10th century) that rewards a thegn in the service of another thegn with an increase in the value of his oath if he had “three times gone on errands to the king”; GeÞyncðo, § 3, in: Felix Liebermann, Gesetze der Angelsachsen, 3 vols., Halle 1903–1916, vol. 1, p. 456. 26 A Neo-Assyrian letter reveals messengers had no special status when they were the messengers of the enemy: “when you see his messengers, kill whomever you can kill, and capture whomever you can capture.” In the words of one scholar of the ancient Near East, “diplomatic immunity was at best a messenger’s dream”; Meier, The Messenger (above n. 12), pp. 76 et seq. No grace, obviously, was allowed the enemy’s couriers and messengers seeking aid from their allies or communicating with segments of their own forces. Athenians capture Spartan envoys on their way to the Persian king and killed them without trial, which Thucydides (2.67) seems to suggest the envoys were entitled to, for legal defenses might have been available to them. In Spain, Caesar had the hands of intercepted messengers cut off before sending them on their way; Caesar, De Bello Hispaniensi 12, ed. A. G. Way, vol. 3 (Loeb Classical Library 402), Cambridge, MA 1955. 27 This incident makes for one of the sillier scenes among many in the appallingly bad movie ‘300’, 2007. 28 Herodotus, 7.136, p. 486. Guilt was a sentiment more available to the Greeks than it was once fashionable to assume. Medieval annals and chronicles are filled with violations of messenger immunity. In 1183 Henry Plantagenet’s sons, the Young King and Geoffrey, either wounded or killed their father’s envoys to whom they had specifically granted truces; Gesta Regis Henrici, I.298, cited in: Matthew Strickland, War and Chivalry: The Conduct and Perception of War in England and Normandy, 1066–1217, Cambridge 1996, p. 52. 29 Annales regni Francorum, ed. Friedrich Kurze (MGH SS rer. Germ. 6) Hannover 1895, a. 782, p. 60: misit missos suos Adalgisum et Gailonem atque Woradum, ut moverent exercitum Francorum et Saxonum super Sclavos paucos … 30 Herodotus, 5.87–8, p. 372. 31 Joab’s rhetorical brilliance is to be noted here as he rubs David’s face in this distasteful deed much more subtly than Nathan would do later, evincing, at the same time, his disgust at his own part in carrying out David’s orders. 32 The fear the messenger had in delivering bad news was often matched by an omen reader or prophet reading unfavorable omens. (Most interpreters of dreams and signs were understood to be messengers of sorts.) Thus Óspakr in Njáls saga (ch. 156) asks to be held harmless before delivering his unfavorable interpretation of certain omens to Bróðir and when granted a pledge of peace Óspakr still waits until night to deliver his inauspicious reading, “because Bróðir never killed at night”. And more famously Kalchas in the Iliad (1.75–83). 33 Sulle Battaglie, in: Thomas M. Barker, The Military Intellectual and Battle. Raimondo Montecuccoli and the Thirty Years War, Albany, NY 1975, p. 156. 34 For another account of a messenger playing to the retainers of the recipient of the message so as to get them to turn on their lord, the recipient, see Herodotus, 3.127–8, pp. 255 et seq. Since many messages were delivered to a large audience it might well be-

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The Messenger hoove the chief recipient to wish to control what his followers were to hear. Septimius Severus thus bribed the messengers sent from Rome bearing a senatorial decree that declared him a public enemy and that ordered his soldiers to abandon him to deliver instead a more favorable message; Historia Augusta, Severus, 5.5 (193 AD). 35 “We are angry with those who rejoice at our misfortunes or simply keep cheerful in the midst of our misfortunes, since this shows that they either hate us or are slighting us. Also with those who are indifferent to the pain they give us: this is why we get angry with bringers of bad news”; Rhetoric 1379b, ed. Jonathan Barnes, The Complete Works of Aristotle, 2 vols., Princeton 1984, vol. 2, p. 2197. 36 The Prayers of Paheri, trans. Miriam Lichtheim, Ancient Egyptian Literature, Berkeley 1973, p. 19. I have heard that military officers in the US armed forces charged with delivering the notice of a soldier’s death to his or her parents have found it wise to be escorted by local police to protect them from violent responses. 37 “At that time writing on tablets indeed existed but enclosing them in clay envelopes had not yet been invented. King Ur-Sabab, for Sargon, creature of the gods, wrote a tablet that would cause his own, the bearer’s death …”; quoted in: Michalowski, Letters (above n. 23), p. 3. 38 Risks arose not necessarily from the contents of a threatening message, but from the mere fact of receiving a message from a particular person. When Naaman, stricken with leprosy, bears a letter from his king, the king of Aram, to the king of Israel (most likely Jehoram son of Ahab), asking him in all innocence to see to a cure for Naaman, because Naaman has heard that there is a prophet in Israel who can effect a cure, the king of Israel rends his clothes in despair. He immediately assumes the request is a pretext for Aram to invade, to exact more tribute, by asking for the impossible (2 Kings 5). 39 xdUtQ; parshedon. This is an uncertain gloss and the translations vary considerably. It is hapax. 40 HF (above n. 21), 8.44 (legatus); also 7.20, where she is operating more in the Icelandic style of sending an assassin (a cleric in this case) to join the household of the target as a servant. 41 The Law Code of Manu 7.67, trans. Patrick Olivelle, Oxford 2004, p. 110. 42 Suetonius, Life of Augustus, trans. Robert Graves, The Twelve Caesars, Harmondsworth 1957, ch. 49, p. 75. 43 The Teaching of Vizier Ptahhotep, trans. Richard B. Parkinson, The Tale of Sinuhe and other Ancient Egyptian Poems, 1940–1640 BC, New York 1997, p. 253. 44 Between Tudhaliya II of Hatti and Sunashshura of Kizzuwatna, in: Hittite Diplomatic Texts, trans. Beckman (above n. 23), No. 2, § 59, p. 20; see also EA 32 (above n. 13): “in this matter I do not trust Kalbaya. He has indeed spoken it as a word, but it was not confirmed on the tablet.” 45 Montaigne, Essais, 3.1, trans. Michael A. Screech, The Complete Essays, Harmondsworth 1987, p. 896. The ancient near eastern messengers, as well as those in Gregory and elsewhere, appear to ventriloquize their messages, relaying them, but assuming the person of the sender, speaking as if he were he. This means that the messenger in his role as his master’s voice could be bowed down too, even though in his propria persona he was lower than the persons bowing to him; he could be the object of displays of deference as if he were the master himself, not merely a whipping boy for his master as has been more in evidence in our examples up till now. See the excellent discussion by Meier, The Messenger (above n. 12), pp. 152 et seq. 46 Herodotus, 8.110, p. 561. 47 See Bjarnar saga Hítdælakappa; Ívars Þáttr Ingimundarsonar; Völsunga saga, ch. 40.

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William Ian Miller Also William of Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, ed. Roger A. B. Mynors, Oxford 1998, 2.157; and of course see Rostand’s Cyrano de Bergerac, who has no self-serving motives at all. La Rochefoucauld notes another risk: that the messenger’s very desire to gain glory in the successful accomplishment of his mission will lead him to lose sight of the principal’s interest. “The reason why we frequently criticize those who act on our behalf is that almost always they lose sight of their friends’ interest in the interest of the negotiation itself, which they make their own concern for the honour and glory of having succeeded in what they have undertaken” (Maxim No. 278). 48 There are other risks that the sender bears. If his message is spurned, or his messenger insulted, mocked, or killed, the sender might lose face. A wonderful Icelandic tale shows how a cagey king might send a messenger without ever officially acknowledging that the person sent was a messenger, let alone his messenger. In this case Harald Hardradi of Norway simply lets an Icelander who wishes to give a polar bear to King Svein of Denmark carry on with his mission, even though Harald is tempted to confiscate the bear and kill the Icelander. By letting the Icelander continue on his way Harald sends a message, a peace feeler, that has the great virtue of being utterly deniable as having been made should it fail to work. And the Danish king is equally adept at sending the Icelander back to Harald but maintaining all deniability that the Icelander is now his messenger; see William Ian Miller, Audun and the Polar Bear: Luck, Law, and Largesse in a Medieval Tale of Risky Business, Leiden 2008. 49 HF (above n. 21), 5.43. 50 Gregory finally resorts to the best of all arguments, argumentum ad hominem: Arius, he says, died of uncontrollable diarrhea passing his entrails through his anus, a point Gregory makes each of the five times Arius is mentioned in his history. HF (above n. 21), 2.23 (2x), 3.prol, 5.43, 9.15. 51 For a nice example of such nested intercessions see Geoffrey Koziol, Begging Pardon and Favor: Ritual and Political Order in Early Medieval France, Ithaca, NY 1992, p. 76. 52 But it can work the other way, as the vulgar marriage broker has a kind of privileged access and is often lower in status than the people he goes between. 53 Eyrbyggja saga, ch. 9, Guðmundar saga dy´ra, ch. 3 (where it is stated that he will join against those who do not listen to him). This is intervening at its most basic, to break up an actual fight, or to prevent one which is about to take place from happening.

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Eine himmlische UNO Religiös fundierte Friedensvermittlung nach Jes 2,2–5 Rainer Albertz Nachdem dem ehemaligen Generalsekretär der UNO, Kofi Annan, vor zwei Wochen der Westfälische Friedenspreis im Rathaus von Münster verliehen wurde, soll in dieser Ringvorlesung ein Text aus der Hebräischen Bibel erneut ins Gespräch gebracht werden, dessen visionäre Aussage, dass einst die Völker ihre Waffen zu Pflugscharen und Winzermessern umschmieden und das Kriegshandwerk nicht mehr lernen werden (Jes 2,4), die Bemühungen um den Aufbau einer internationalen Friedensvermittlung, welche kriegerische Konflikte verhindert bzw. beilegt, seit den Haager Friedenskonferenzen 1899/ 1907, der Gründung des Völkerbundes im Jahre 1919 bis hin zur Gründung der UNO im Jahr 1945 beeinflusst hat. 1 Sinnfälligen Ausdruck bekam dieser Einfluss dadurch, dass die Sowjetunion der UNO im Jahr 1959 eine Bronzeskulptur von Jewgeni Wutschetitsch schenkte, welche – in der Manier des sozialistischen Realismus – einen Mann darstellt, der unter gewaltigen Hammerschlägen das Umschmieden eines Schwertes in Angriff nimmt und damit die prophetische Vision zu realisieren beginnt. Die Skulptur wurde trotz des damaligen Kalten Krieges im Garten der UNO am East River in New York aufgestellt, wo sie bis heute steht. Und nicht zufällig wählte die Friedensbewegung in der DDR in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts gerade diese Skulptur, die den ‚offiziellen‘ Friedenswillen der Sowjetunion dokumentierte, zum Emblem für Ihren Widerstand gegen die Militarisierung der DDR. Der an das alttestamentliche Prophetenwort angelehnte Slogan ‚Schwerter zu Pflugscharen‘ wurde zur Parole der kirchlichen und politischen Friedensbewegung in Ost- und Westdeutschland gegen die Aufrüstung Europas mit atomaren Mittelstreckenraketen in den 80er Jahren;2 und er ist es bis heute in der amerikanischen Friedensbewegung (‚Swords into Plowshares‘) gegen den von Präsident Bush und seiner Regierung initiierten Irak-Krieg. Um zu erkunden, ob der Rückbezug auf den an die 2500 Jahre alten Text aus der Hebräischen Bibel im politischen Diskurs um die internationale Friedensvermittlung überhaupt sachgemäß ist, soll erstens sein richtiges Verständnis abgesichert werden. Um diesen kurzen Text genauer zu verstehen, wird zweitens sein traditionsgeschichtlicher Hintergrund ausgeleuchtet. Drittens wird versucht den möglichen geschichtlichen Hintergrund des Textes zu erkunden. Viertens soll seine kontextuelle Einbettung untersucht werden, um 37

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damit etwas über die Rahmenbedingungen für das im Text geschilderte göttliche Friedenshandeln herauszubekommen. Und schließlich sollen wichtige Merkmale der göttlichen Friedensvermittlung herausgearbeitet werden, um damit Einsichten zur Mediation in internationalen Konflikten zu gewinnen, und zwar auch und gerade für deren religiöse Dimension. Dabei soll es auch um die Frage gehen, die Joachim Gauck letzte Woche aufgeworfenen hat, ob Wahrheit und Versöhnung konkurrierende Ziele oder gar Gegensätze bei der Bearbeitung von Konflikten darstellen, oder nicht doch bei jeder wirklich gelungenen Mediation zusammenkommen müssen.

1. Absicherung des Textverständnisses Die prophetische Heilsschilderung Jes 2,2–5 kommt in ihrem Kern fast wortgleich noch einmal in Mi 4,1–5 vor. Nur die abschließenden Applikationen weichen ab. Heißt es in Jes 2,4: ‚Haus Jakobs, kommt, lasst uns gehen im Lichte JHWHs!‘, so werden in Mi 4,4–5 die Friedensfolgen und die Konsequenzen für die Zionsgemeinde weiter ausgemalt: Mi 4,4a 4b 5

Dann wird ein jeder unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum sitzen, und keiner wird da sein, der sie aufschreckt. Denn der Mund JHWHs hat es gesprochen. Wenn auch alle Völker (ihren Weg) gehen, ein jeder im Namen seines Gottes, so wollen wir doch (unseren Weg) im Namen JHWHs, unseres Gottes, gehen, auf immer und ewig.

Deutlich wird aus diesen Abweichungen am Ende, dass sich das eigentliche Prophetenwort auf die ersten drei Verse beschränkt (Jes 2,2–4 // Mi 4,1–3). Es gibt in der alttestamentlichen Wissenschaft eine lange Debatte über die Frage, ob der Jesaja- vom Michatext, oder umgekehrt der Micha- vom Jesajatext abhängt, bzw. beide Fassungen auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen, die uns nicht mehr erhalten ist. 3 Die Streitfrage ist mit zusätzlichen, sich aus der Redaktionsgeschichte des Michabuches ergebenden Argumenten, von Jakob Wöhrle 4 in seiner gerade veröffentlichten Habilitationsschrift in der Richtung entschieden worden, dass der Jesaja-Text die ältere Textform darstellt. Ich möchte mich darum auf diese beschränken. Liest man Jes 2,2–4 in der Übersetzung Martin Luthers in der Weimariana von 1534, die bis in die Lutherbibeln vor der Revision von 1975 – abgesehen von orthographischen Angleichungen – fast wörtlich durchgehalten wurde, dann scheint die prophetische Heilsschilderung kaum etwas mit Friedensvermittlung zu tun zu haben. Sie lautet: 5

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Eine himmlische UNO

Jes 2,2a 2b 3a

3b

4

Es wird zur letzten zeit der berg da des HERRN haus ist / zugericht werden / höher denn alle berge/ und uber alle hügel erhaben werden / Und werden alle Heiden dazu lauffen / und viel völcker hingehen / und sagen / Kompt, last uns auff den berg des HERRN gehen / zum hause des Gottes Jacob / das er uns lere seine wege / und wir wandeln auf seinen steigen / Denn von Zion wird das Gesetz ausgehen / und des HERRN wort von Jerusalem / Und er wird richten unter den Heiden / und straffen viel völcker / da werden sie jre schwerter zu pflugscharen / und jre spiesse zu sicheln machen / Denn es wird kein volck wider das ander ein schwerd auffheben / und werden fort nicht mehr kriegen lernen /

Die ganze prophetische Schilderung handelt nach Luthers Lesart von der letzten Zeit, der Endzeit. Die Heiden kommen nach Jerusalem, um über Gottes Wege belehrt zu werden, d. h. über die von Gott geforderten Verhaltensweisen, wie sie in dem Gesetz, 6 d. h. dem mosaischen Gesetz, niedergelegt sind. Darauf wird Gott die Heiden einem strafenden Völkergericht unterziehen. Es geht also nicht um irgendeine Art von göttlicher Mediation, sondern um den Vorgang einer Bekehrung und Bestrafung der Völker. Und nur weil die Heiden sich zum Judentum bzw. Christentum bekehrt und das göttliche Gericht erfahren haben, sind sie bereit, auf ihre Waffen zu verzichten. In diesem Sinne deutete noch Otto Kaiser 1978 den Text, wenn er schreibt, Gott werde „einst in der Vollendung der wirren Weltgeschichte als der erscheinen, der allein seiner Menschheit durch sein richtendes und den Menschen seiner Sünde überführendes Wort dauernden Frieden geben kann“ 7. Auch er versteht den Text ausdrücklich als „eschatologisch“ 8. 9 Doch dieses Textverständnis hat erstens sachliche Schwierigkeiten: Es kann nicht erklären, warum das göttliche Strafgericht der freiwilligen Bekehrung der Völker noch folgen sollte. Kaisers Erklärungsversuch: „Sie wissen, dass sie nur dort Anleitung für ein Leben finden können, mit dem sie vor dem Gericht Gottes bestehen“10 ist einigermaßen künstlich und würde ja bedeuten, dass das göttliche Gericht nur noch eine reine Formsache darstellt. Auch ist nicht verständlich, warum die Völker mit so betonter Freiwilligkeit zu ihrem Strafgericht auf dem Zionberg erscheinen sollten. Und schließlich bleibt unverständlich, warum Bekehrung und Gericht ausgerechnet eine allgemeine Abrüstung zur Folge haben sollte. Im Gesetz des Mose wird der Krieg zwar eingeschränkt (Dtn 20), aber nicht verboten. 11 Zweitens stößt ein solches Textverständnis auf erhebliche philologische Schwierigkeiten: Das gilt besonders für den zentralen Vers 4a, den Luther auf das Endgericht Gottes bezog: Wo Luther unscharf übersetzte ‚Und er wird richten unter den Heiden …‘ 12 steht im hebräischen Text wjfce xjb iqUf wesˇa¯fat ˙ 39

Rainer Albertz

be¯n haggo¯jı¯m ‚er wird richten zwischen den Heiden‘, oder besser ‚den Völkern‘. Die hebräische Präposition xjb be¯n heißt ‚zwischen‘ und nicht ‚unter‘; und an den 14 Stellen, wo sie mit dem Verb iqU ˇsa¯fat ‚richten‘ verbunden steht, ist gemeint, dass Gott oder ein Mensch zwischen˙ den konkurrierenden Rechtsansprüchen zweier Personen oder Gruppen entscheidet und damit einen rechtlichen Ausgleich zwischen diesen herbeiführt. 13 Das heißt, es geht in Jes 2,4a nicht um ein göttliches Gericht an den Völkern, sondern um ein göttliches Schiedsgericht zwischen den Völkern. Dann kann aber auch im parallelen Versteil kein Strafgericht gemeint sein, so wie Luther übersetzte ‚er wird strafen viele Völker‘. Zwar hat das verwendete hebräische Verb hjkfe ho¯kı¯a˘h ˙ (hkj ja¯kah im Hif ’il) ein weites Bedeutungsspektrum, das von ‚zurechtweisen‘ ˙ (Gen 21,25; Hi 5,17; 6,26 u. ö.), ‚tadeln‘ (Hi 6,25), ‚richten‘ (Gen 31,37[ebenfalls mit xjb].42; Jes 11,3), ‚rechten‘ (Hi 9,33), ‚beweisen‘ (Hi 19,5) bis hin zu ‚zur Rechenschaft ziehen‘ (2. Kön 19,4; Prov 30,6), ‚züchtigen‘ (Ps 6,2; 38,2) und ‚strafen‘ (2. Sam 7,14; Jer 2,19) reicht und damit auf der Grenze zwischen pädagogischer und juristischer Semantik angesiedelt ist. Doch mit der Präposition l le˘ ‚für‘, die in Jes 2,4 verwendet wird, legt sich die Bedeutung „jemandem Recht verschaffen“ nahe (vgl. Jes 11,4; Hi 16,21). 14 Und dabei kann das Partizip des Verbs, hjkfm mo¯kı¯a˘h, mehrfach den ‚Schiedsrichter‘ bezeich˙ Parteien (Hi 9,33; Ez 3,26 15), insbesonnen, der zwischen zwei Personen oder dere im örtlichen Torgericht (Am 5,10; Jes 29,21) einen gerechten Ausgleich zu erreichen sucht und damit der schwächeren Partei gegen die stärkere ihr Recht verschafft. Auch in diesem zweiten Stichos geht es also um einen rechtlichen Ausgleich zwischen den Völkern, der auch durch Einsatz pädagogischer Mittel erreicht werden kann. Damit hat unser prophetischer Text in der Tat mit Mediation zu tun. Diese philologische Klarstellung, die schon Hans Wildberger 16 in seinem Jesajakommentar vorgenommen hat, ist heute fast allgemein akzeptiert 17 und ist in die neuen Bibelübersetzungen übernommen worden. 18 Durch sie erhält der Text nach hinten einen klaren Zusammenhang: Weil Gott auf dem Zion den Völkern ihre Konflikte geschlichtet hat, können sie auf ihre Waffen verzichten (Jes 2,4b). Aber auch nach vorne hin zu Vers 3 wird nun ein Zusammenhang erkennbar: Mit der Tora und dem Wort JHWHs, das von Jerusalem ausgeht, ist nicht das Gesetz des Mose, sondern eben die konfliktschlichtende Weisung Gottes gemeint, die den Zion für die Völker so anziehend macht. „Tora“ hat in der hebräischen Bibel ein weites Bedeutungsspektrum: Es kann die Weisung der Mutter an ihren Sohn (Prov 1,8), die Weisung eines Priester an die Laien (Hag 2,10 ff.), das (deuteronomische) Gesetz des Mose (2. Kön 23,24), oder aber als zusammenfassender Begriff die Gesetze und Verheißungen der Fünf Bücher Mose (Pentateuch) bezeichnen (Mal 3,22). Hier im Jesajabuch meint der hebräische Begriff etfv to¯ra¯h ‚Weisung‘ neben tbd da¯ba¯r ‚Wort‘ eindeutig das weisende und klärende Prophetenwort im Namen Gottes (Jes 1,10; 5,24; 30,9; vgl. 8,16). Mit der Wahl dieser Begriffe wird angedeutet, 40

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an welche Art der Vermittlung bei der Mediation hier gedacht ist. 19 Damit sind aber mit den ‚Wegen‘ und ‚Pfaden‘ Gottes in V. 3a, auf denen die Völker wandeln wollen, nicht die gottgewollten Wege der Frommen (Ps 1,6), sondern schlicht die Wege gemeint, die Gottes konfliktschlichtende Weisung eröffnet. Es geht in V. 3 also gar nicht um eine Bekehrung der Völker. 20 Die Völker erklären nur, dass sie die konfliktschlichtenden Weisungen dieses Gottes auf dem Zion akzeptieren wollen, mehr nicht. Bleibt damit die Zukunftsschau von Jes 2 noch relativ nah an der geschichtlichen Realität einer in politischen Konflikten und religiös gespaltenen Völkerwelt, so will sie darum wahrscheinlich gar nicht von einer Endzeit reden, die jenseits der Geschichte liegt. Die hebräische Wendung wjmje vjthab be˘3aharı¯t hajja¯mı¯m in Jes 2,2 heißt zwar wörtlich ‚am Ende der Tage‘, und konnte ˙auch in späten Texten in eben diesem Sinne verstanden werden (Ez 38,16; Dan 10,14). Doch bevor diese apokalyptische Konzeption einer Endzeit ausgebildet wurde, bezeichnet sie meistens wie auch die parallele babylonische Wendung ina ahrat u¯mi einfach eine fernere, noch unbestimmte Zukunft (Gen 49,1; Num˘24,14 u. ö.). 21 Damit sind die philologischen und sachlichen Probleme von Jes 2,2–4 soweit geklärt, dass der Text – sachgerechter als durch Luther geschehen – folgendermaßen übersetzt werden kann: Jes 2,2a

2b 3a

3b

4a 4b

Es wird geschehen in zukünftigen Tagen, da wird fest gegründet sein der Berg des Hauses JHWHs an der Spitze der Berge und wird überragen die Hügel. Dann werden zu ihm alle Völker strömen, 22 und viele Nationen werden hinziehen und sprechen: „Auf, wir wollen zum Berg JHWHs hinaufziehen, zum Haus des Gottes Jakobs! Dass er uns belehre über seine Wege und wir auf seinen Pfaden wandeln. Denn vom Zion geht Weisung aus und das Wort JHWHs von Jerusalem.“ Dann wird er Recht sprechen zwischen den Völkern und Recht schaffen (als Schlichter auftreten) für viele Nationen. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Speere zu Winzermessern. Kein Volk wird mehr gegen ein anderes das Schwert erheben, und sie werden nicht mehr das Kriegshandwerk lernen.

Nach dieser korrigierten Lesart wird in einer fernen Zukunft der Zion, der Jerusalemer Tempelberg, zum höchsten Berg der Region erhöht werden.23 Dann werden alle Völker zu diesem weithin sichtbaren Markierungspunkt der Welt herbeiströmen, um sich dort ihre Konflikte schlichten zu lassen. Und dabei üben die konfliktschlichtenden Weisungen des dort anwesenden 41

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Gottes eine solche Attraktivität aus, dass die Völker freiwillig kommen und die göttlichen Schiedssprüche wie selbstverständlich akzeptieren. Darum werden sie – nach Hause zurückgekehrt – selber ihre überflüssig gewordenen Waffen zerstören und die in ihnen gebundenen Rohstoffe in nützlicheres Ackergerät umwandeln. So wird die kriegerische Austragung der Konflikte aufhören und das Kriegshandwerk vergessen werden wie andere überflüssig gewordene Kulturtechniken auch. Der Text handelt also in der Tat von einer wunderbaren göttlichen Friedensvermittlung, einer Art himmlischer UNO in Jerusalem, die mit ihrer gelingenden Mediation alle Schwierigkeiten und Misserfolge unserer irdischen UNO weit hinter sich lässt.

2. Traditionsgeschichtlicher Hintergrund Die Besonderheiten dieses nur knapp skizzierten prophetischen Konzeptes einer göttlichen Friedensvermittlung in der Stadt Jerusalem werden erst erkennbar, wenn man sie auf ihrem traditionsgeschichtlichen Hintergrund betrachtet. Obwohl das semitische Wort für Friede salı¯mu, sala¯m, sˇalo¯m o. ä. in ihrem Namen anklingt, war der Stadt Jerusalem die zugedachte Rolle eines Zentrums für göttliche Friedensvermittlung nicht in die Wiege gelegt. Jerusalem war nie überregionales Heiligtum wie etwa Delphi gewesen, zu dessen Rolle die politische Konfliktschlichtung von alters gehört hätte. In israelitischer Zeit war es vielmehr Staatstempel und königliche Kapelle zuerst des vereinten Davidisch-Salomonischen Reiches und dann des judäischen Königreichs gewesen und darum institutionell und ideologisch fest in diesen Staat eingebunden. Bis zur Zerstörung des ersten Jerusalemer Tempels im Jahr 587 v. Chr. waren dessen Priester königliche Beamte. Und die Jerusalemer Königsund Tempeltheologie diente – in Anlehnung an vorderorientalische Vorbilder 24 – primär der Legitimation und Absicherung der davidischen Dynastie und ihres Herrschaftsbereichs. 25 Charakteristisch für die ältere Jerusalemer Königs- und Tempeltheologie, die uns vor allem in den Königs- und Zionspsalmen überliefert ist, ist eine fast vollständige Identifizierung JHWHs mit der politischen Herrschaft des Königs. Nach Ps 2,1–6 bändigt und regiert JHWH die aufbegehrende Völkerwelt mit Hilfe des davidischen Königs; und der davidische König führt mit seinen Eroberungskriegen JHWHs Auftrag aus: Ps 2,8 9

Erbitte von mir, dann will ich dir Völker zum Erbe geben und zum Besitz die Enden der Welt. Du sollst sie zerschmettern mit eisernem Stab wie Töpfergeschirr sie zertrümmern.

In Erfüllung dieses göttlichen Auftrages setzt der König zugleich die Anerkennung JHWHs in der Welt durch: 42

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Ps 2,10 11a 11b.12aa 12ab

Doch nun, ihr Könige, werdet klug, lasst euch warnen, ihr Herrscher der Erde! Dienet JHWH mit Furcht, 2mit Zittern küsst seine Füße3! Dass er nicht in Zorn gerät und ihr umkommt auf (eurem) Weg, denn leicht kann entbrennen sein Zorn. 26

Die Bändigung der Völkerwelt war nach dieser Theologie nur in der Weise einer militärischen Unterwerfung vorstellbar. Weil nun die göttliche Herrschaft über die Welt universale Züge trägt, wurde in der Jerusalemer Königstheologie auch die Herrschaft des davidischen Königs universal konzipiert, wie die Königsfürbitte Ps 72 verdeutlicht: Ps 72,8 9 10 11

Er möge herrschen von Meer zu Meer, vom Strom bis an die Enden der Erde! Vor ihm mögen knien Wüstenbewohner, und seine Feinde mögen Staub lecken! Die Könige von Tarsis und die Inseln mögen Gaben bringen, die Könige von Scheba und Saba mögen Tribut entrichten! So mögen sich ihm unterwerfen alle Könige, alle Völker mögen ihm dienen. 27

Auch wenn die judäischen Könige nur wenig Gelegenheit hatten, eine solche Weltherrschaft auch nur ansatzweise zu realisieren, ließ sich von der Jerusalemer Königstheologie her jeder nur mögliche Angriffskrieg legitimieren. Auch die Jerusalemer Tempeltheologie trug universale Züge: Der Jerusalemer Tempelberg wird hier als Weltmittelpunkt angesehen und mit dem mythischen Götterberg im Norden gleichgesetzt, der als Weltachse die ganze Erde trägt: Ps 48,2 3

Groß ist JHWH und sehr zu preisen in der Stadt unseres Gottes, sein heiliger Berg, der schöne Hügel, die Wonne der ganzen Welt, der Berg Zion im äußersten Norden, die Stadt eines großen Königs.

Weil JHWH in der Gottesstadt Jerusalem als unmittelbar anwesend gedacht wird, erscheint diese als unzerstörbar gegenüber den gegen sie anbrausenden Chaoswassern (Ps 46,2–4) und als unzerstörbar gegenüber den gegen sie anstürmenden Völkern: Ps 46,5 6

Eines Stromes Arme erfreuen die Gottesstadt, die heiligste der Wohnungen Eljons. Gott ist in ihrer Mitte, so wankt sie nicht, es hilft ihr Gott beim Anbruch des Morgens.

43

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7 8

Es mögen brausen die Völker, es mögen schwanken die Königreiche. Er donnert drein, da wogt die Erde. JHWH-Zebaoth ist mit uns, eine Zuflucht für uns ist der Gott Jakobs.

Auch wenn hier JHWH fast vollständig mit Jerusalem identifiziert wird, hat die Zionstheologie einen etwas defensiveren Charakter als die Königstheologie, sie zielt vornehmlich auf eine Absicherung der Hauptstadt. Dabei strahlt, wie die letzte Strophe von Ps 46 deutlich macht, Gottes machtvoller Einsatz für seine Stadt auch befriedend auf die ganze Welt aus: Ps 46,9 10

11

Auf, schaut die Werke JHWHs, der Entsetzen verbreitet auf Erden. Der den Kriegen ein Ende macht bis an das Ende der Erde, den Bogen zerbricht und den Speer zerschlägt, die Schilde verbrennt im Feuer. „Lasst ab und erkennt, dass ich Gott bin, dass ich erhaben bin über die Völker, erhaben auf Erden!“

Allerdings unterscheidet sich dieses universale Frieden stiftende Handeln Gottes deutlich von dem in Jes 2. 28 Das Zerbrechen der Waffen ist, wie die assyrischen Parallelen belegen,29 eine demütigende Siegerpose, die den schon besiegten und am Boden liegenden Feind noch zusätzlich demütigt. Das Friedensreich der ursprünglichen Zionstheologie beruht somit nicht auf Mediation, sondern – ähnlich wie die Königstheologie – auf einer Unterwerfung und Entmachtung der Völker. Es ist ein Friede unter israelitischer bzw. judäischer Vorherrschaft, der pax assyrica oder der pax romana vergleichbar. Angriffe auf Jerusalem wie auch mögliche Konflikte zwischen den Völkern werden durch das Eingreifen einer überlegenen militärischen Macht einfach erstickt. 30 Zu dieser Interpretation passt, dass in dem ältesten Beleg für die Vorstellung, dass sich Völker in friedlicher Absicht in Jerusalem versammeln, es sich um die Abgesandten der unterworfenen Vasallen handelt: Ps 47,9 10 11

König wurde 2JHWH3 über die Völker, ‚JHWH‘ hat Platz genommen auf seinem heiligen Thron. Die Edlen der Völker sind versammelt, 2mit3 31 dem Volk des Gottes Abrahams. Denn 2JHWH3 gehören die Schilde der Erde hoch erhaben ist er.

Die Königsherrschaft JHWHs über die Völker und seine militärische Überlegenheit werden daran sichtbar, dass neben seinem eigenen Volk auch die Gesandten der von ihm unterworfenen Völker ihm die Reverenz erweisen. Diese imperiale Jerusalemer Staatstheologie, die sich eigene Herrschaftssicherung nur mit dem Mittel der kriegerischen Unterwerfung anderer Völker 44

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vorstellen konnte, hat schon in der fortgeschrittenen monarchischen Epoche von einigen Propheten scharfe Kritik erfahren. Im 8. Jh. kritisierte etwa Micha das illusionäre Vertrauen auf die Unverletzlichkeit Jerusalems, das ihre Einwohner völlig unsensibel für das in ihr geschehene Unrecht gemacht habe, und sagte der Stadt darum die völlige Verwüstung an (Mi 3,11 f.); und Jesaja geißelte unter anderem das Vertrauen auf Waffen als Sünde gegen Gott (Jes 7,4; 30,1–5.15–20; 31,1–3), der Assyrien als „Zornesrute“ gegen sein eigenes Volk herbeigerufen habe (5,25–29; 10,5 ff.). Den künftigen König entkleidete er von allen Weltherrschaftsgelüsten (11,1–5). So verwundert es nicht, dass nach dem Zusammenbruch des judäischen Staates, bei dem auch Jerusalem und sein Tempel in Flammen aufgingen (587 v. Chr.), die Zionstheologie abgewandelt und zunehmend ihrer imperialistischen Spitze beraubt wurde. Auf ein Eingreifen JHWHs in der Geschichte hin, so erwarteten exilische und nachexilische Propheten, würden die Völker in einer Art „Völkerwallfahrt“ freiwillig zum Zion kommen, um etwa die exilierten Judäer zurückzubringen (Jes 43,6; 49,22; 60,4.9), um ihre Schätze nach Jerusalem zu schleppen und damit den Wiederaufbau von Stadt und Tempel zu ermöglichen (60,5–9.11.16 f.; Hag 2,7–9) und um JHWH und sein Heiligtum zu verherrlichen (Jes 60,6 f.9b.13 f.). 32 Ja, die Völker würden Israel dadurch dienen, dass sie für es, das als Priestervolk die religiösen Angelegenheiten regeln werde, die landwirtschaftlichen Tätigkeiten übernähmen (61,5 f.). Anstelle der durch Waffengewalt erzwungenen Tribute und politischer Unterwerfung treten hier die freiwillige Gabe und religiöse Verehrung. In die Tradition dieses Völkerwallfahrtsmotivs gehört auch Jes 2,2–4 hinein (vgl. Ps 122,1). Nur ist es hier noch konsequenter aller Weltherrschafts- und wirtschaftlicher Retributionsvorstellungen entkleidet. Die Völker kommen in Jes 2 nicht als Vasallen, sie kommen nicht, um ihre Schätze zu bringen und Israel zu dienen, sie kommen noch nicht einmal, um die Herrlichkeit JHWHs und seines Tempels zu mehren. Die Völker kommen überhaupt nicht, um etwas zu bringen, sondern sie kommen, um sich vom Zion etwas zu holen: die konfliktschlichtende Weisung des dort anwesenden Gottes.

3. Historischer Hintergrund Schon die motivgeschichtliche Einordnung macht es unwahrscheinlich, dass die prophetische Heilsschilderung Jes 2,2–4 vom Propheten Jesaja aus dem 8. Jh. v. Chr. stammt, wie dies etwa noch von Hans Wildberger 33 vertreten wurde. Sie setzt nicht nur die Kritik Jesajas an der Rüstungs- und Bündnispolitik der Könige Ahas und Hiskia voraus (Jes 7,1–9; 30,1–5.15–20; 31,1–3), sondern auch die Reflexionen der Deuterojesajagruppe über die neue Rolle, die JHWH seinem Volk durch dessen Exilierung bei seiner Weltregierung zugedacht habe. So kommt sie etwa zu dem Schluss, dass Israel als JHWHs 45

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Knecht, nun, da es über keine politische Macht mehr verfügt, das Recht (iqUm) zu den Völkern hinausbringen solle, und zwar nicht das Recht des Stärkeren, sondern ein solches, das den Schwachen aufhilft (Jes 42,1–4). Wenn es dabei heißt, dass ‚auf seine Weisung (etfv) die Inseln harren‘, dann klingt dies schon an die attraktive Weisung von Jes 2,4 an. Desgleichen sieht sich die Prophetengruppe als Vorreiter Israels von Gott beauftragt, ‚Licht für die Völker zu sein, damit meine Rettung bis an die Enden der Erde gelange‘ (49,6). JHWHs heilvolles Handeln, so erkennen diese exilischen Propheten, lässt sich nicht mehr auf sein Volk Israel beschränken, sondern zielt auf die ganze Welt; und Israel kommt innerhalb dieser universalen Weltregierung erstmals eine eminent positive orientierende Funktion für die Völkerwelt zu deren eigenem Wohl zu. Auch in seiner eigenen Weltregierung will Gott, so erkennt die Prophetengruppe, dem hilfreichen Recht anstelle der bloßen Gewalt eine zentrale Rolle einräumen: Jes 51,4

5

Habt acht auf mich, mein Volk, und hört auf mich, meine Nation! Denn Weisung geht von mir aus und mein Recht als Licht für die Völker. 2Im Nu lasse ich nahen3 34 mein Heil, und meine Hilfe zieht aus, und meine Arme werden den Völkern Recht schaffen. Auf mich harren die Inseln, auf meinen Arm warten sie.

Abgesehen von der fehlenden Bindung an den Zion, kommt dieser Deuterojesaja-Text dem in Jes 2 avisierten schiedsrichterlichen Wirken Gottes für die Völkerwelt recht nah. Doch gegen Ende der zweiten Edition des Buches wird dann auch der Zion in die heilvolle Mittlerrolle Israels für die Völker eingebunden: Jes 55,5

Siehe ein Volk, das du nicht kennst, wirst du rufen, und Völker, die dich nicht kannten, werden zu dir laufen, um JHWH, deines Gottes willen, des Heiligen Israels, denn er hat dich (e. g. Zion) 35 verherrlicht.

Alle diese Elemente werden in der Heilsschilderung Jes 2,2–4 vorausgesetzt. Damit bildet das Deuterojesajabuch in seinen beiden Editionen einen klaren terminus a quo. Die erste Edition lässt sich gut in die Anfangszeit des Perserkönigs Darius datieren, kurz bevor die erste große Rückwanderung der Exilierten einsetzte (521 v. Chr.). 36 Möglicherweise ist die Betonung des Rechts als Basis der Politik gegenüber den Völkern des Perserreichs dabei schon eine Replik auf die Propaganda des Darius bei der Niederschlagung der Aufstände, die seine Usurpation 522 hervorrief. 37 Die zweite Edition lässt sich weniger klar datieren, gehört aber wohl ans Ende des 6. oder den Anfang des 5. Jhs. 38 46

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Terminus ad quem bildet die ironische Aufnahme von Jes 2,4b in Joel 4,10: Joel 4,9

Ruft dies aus unter den Völkern: Heiligt (euch für) den Krieg! Setzt die Helden in Bewegung! Herkommen, heraufkommen sollen alle Kriegsleute! 10 Schmiedet eure Pflugscharen zu Schwertern und eure Winzermesser zu Lanzen! Der Schwächling sage: Ich bin ein Held!

Hier werden die Völker aufgerufen, sich zum großen Völkergericht JHWHs zu rüsten und dabei wird ihnen – in ironischer Verkehrung von Jes 2,4 – geraten, auch noch ihre Ackergeräte in Waffen umzuschmieden. Dabei ist von vornherein klar, dass sie gar keine Chance zu ihrer Verteidigung haben. Wöhrle 39 datiert die Redaktion des Zwölfprophetenbuches, dem Joel 4,1–3.9–17 angehört („Fremdvölkerschicht I“), mit guten Gründen gegen Ende des 5. Jhs. 40 Weil sich in der zweiten Hälfte des 5. Jhs. aufgrund der Abgrenzungspolitik Nehemias die offene Einstellung gegenüber den Völkern völlig verkehrte, gehört Jes 2,2–4 eher in dessen erste Hälfte. So könnte Ulrich Berges 41 mit seiner These recht haben, dass die prophetische Friedensschau aus den Anfangsjahren der Regierung des Perserkönigs Xerxes stammt (486–465 v. Chr.). Bevor Xerxes 480 zu seiner großen Strafexpedition gegen Griechenland aufbrach, hatte er noch Aufstände in Ägypten und Babylonien niederzuwerfen. Berges hebt darauf ab, dass nur noch in Jer 51,44 der eigentümliche Sprachgebrauch begegnet, dass ‚Völker strömen‘ (ften wjfc vgl. Jes 2,2); dort wird allerdings angekündigt, dass mit der Eroberung Babylons keine Völker mehr in diese Metropole und zu seinem Gott Bel strömen werden. So könnte es gut sein, dass die Eroberung Babylons durch Xerxes im Jahr 482 v. Chr., der Stadt, die seit der Zerstörung Jerusalems durch die Neubabylonier als die Konkurrentin zu Jerusalem angesehen wurde (Jes 47; Jer 50 f.), den Anlass zu der Hoffnung geliefert hat, dass nun Jerusalem, das zu dieser Zeit bis auf den Tempelbezirk noch in Schutt und Asche lag, zu einem anerkannten Weltmittelpunkt erhöht werden werde (Jes 2,2). Aber diese erhoffte Erhöhung Jerusalems war nun nicht mehr mit Weltherrschaftsträumen verbunden, sondern mit der Vorstellung, dass in den Kriegswirren, die seit dem Ende der Regierungszeit des Darius im Perserreich und in der Konfrontation mit den griechische Staaten aufgeflammt waren, der Welt ein Zentrum für eine Friedensvermittlung zur Verfügung gestellt werde, das der Völkerwelt helfen könnte, die nicht enden wollenden Kriege zu überwinden.

4. Kontextuelle Einbettung An ein prophetisches Zukunftskonzept göttlicher Friedensvermittlung lässt sich die Frage nach den politischen und institutionellen Rahmenbedingungen 47

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der Mediation nicht direkt richten. Wohl aber lässt sich klären, welche Voraussetzungen der nachexilische Redaktor, der Jes 2,2–5 an die jetzige Stelle des Jesajabuches einfügte, für notwendig ansah, damit Jerusalem die Rolle eines Zentrums göttlicher Friedensvermittlung übernehmen könnte. Diese werden an der kontextuellen Einbettung der Heilsschilderung erkennbar. Wir können hier auf die komplizierte Frage der Redaktion und Komposition des Jesajabuches nicht eingehen. Doch hinsichtlich seines Anfangs haben jüngst Ulrich Berges 42 und Willem A. M. Beuken 43 gezeigt, dass die Eingangskapitel Jes 1,2– 4,6 eine zweiteilige Ouvertüre des Jesajabuches bilden und dass hierin unser Text Jes 2,1–5 den Abschluss und Höhepunkt deren ersten Teils darstellt. 44 Der erste Teil der Ouvertüre beginnt damit, dass JHWH verzweifelt über seine missratenen Söhne klagt (1,2–3). Sie waren so unbelehrbar, dass unter seinen Schlägen am Ende nur noch der Zion als ‚eine Hütte im Weinberg und ein Unterstand im Melonenfeld übrig blieb‘ (1,8). Damit wird deutlich auf die Zerstörung Jerusalems in der Exilskatastrophe angespielt. Doch Gott hatte einige aus der Katastrophe entrinnen lassen. An diese, die despektierlich Sodomsfürsten und Volk von Gomorra genannt werden, richtet sich nun JHWHs Wort und Weisung (1,10). Hierbei werden dieselben Begriffe tbd da¯ba¯r und etfv to¯ra¯h verwendet wie später in Jes 2,3 an die Völker. Nur hier, an Israel gerichtet, bezeichnen sie eine scharfe prophetische Anklage, welche die Wahrheit schonungslos aufdeckt: Die Judäer haben versucht, das von ihnen verursachte soziale Unrecht mit erhöhter Kultobservanz zuzudecken. Doch ihre Hände sind voll Blut. Darum ergeht an sie die scharfe Mahnung: Jes 1,16a 16b.17

Wascht euch! Reinigt euch! Entfernt das Böse von euren Taten! Mir aus den Augen! Steht ab vom Bösen, lernt Gutes tun. Suchet das Recht, tadelt den Unterdrücker! Schafft Recht der Waise, führt den Rechtsstreit der Witwe!

Im Folgenden wird nun gezeigt, dass nur diejenigen, die bereit sind umzukehren (1,17–19) und der Mahnung Jesajas entsprechend für Recht und Gerechtigkeit in Jerusalem sorgen (1,27), dem Reinigungsgericht Gottes über Jerusalem (1,21–26) entgehen (1,27), während die anderen umkommen (1,28). Erst die von Gott tief gedemütigte und dann von allen Unterdrückern gereinigte Stadt, die wieder von Recht und Gerechtigkeit wie in der Frühzeit erfüllt sein wird, kann nach Meinung des nachexilischen Jesaja-Redaktors zum Hort eines vertrauenswürdigen Schiedsgerichts für die Völker werden. Erst die Einwohner Jerusalems, welche nach dem Untergang des eigenen Staates vom Propheten gelernt haben, ein soziales und gerechtes substaatliches Gemeinwesen aufzubauen, sind zu einer gerechten und damit wirklich Frieden stiftenden Konfliktschlichtung in der Lage. Konzeptionell ist damit die ‚himmlische UNO‘ von Jes 2,2–4 post-staatlich. Sie setzt die Erfahrung, dass der eigene 48

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Staat aufgrund von militärischer Hybris und sozialem Unrecht zusammengebrochen ist, voraus, und liegt jenseits der etablierten Herrschaftssysteme.

5. Merkmale der religiös fundierten Friedensvermittlung von Jes 2,2–4 Versucht man, das in Jes 2 entworfene Konzept einer göttlichen Friedensvermittlung für das Thema Mediation auszuwerten, dann ist es ratsam, dies auf die menschliche Ebene herunterzubrechen. Göttliches Handeln entzieht sich per se dem Vergleich mit menschlichem Handeln. Doch die bloße Einsicht, dass göttliche Mediation im Unterschied zur menschlichen eben erfolgreich sei, führt nicht recht weiter. Da nun im Jesajabuch selber die Begriffe „Weisung und Wort JHWHs“, die in Jes 2,3 f. die Schlichtung in den Konflikten der Völker herbeiführen, zur Bezeichnung des prophetisch vermittelten Gotteswortes verwendet werden (Jes 1,10; 5,24; 30,9), sind wir meiner Meinung nach berechtigt, auch in Jes 2 von einer prophetischen Vermittlung der göttlichen Konfliktschlichtung auszugehen. Dabei kann man sich die prophetischen Mediatoren durchaus auch in der Rolle der treuen ‚Richter‘ (wjiqU) und ‚Ratgeber‘ (wjrpj) vorstellen, die Gott in der Sicht von Jes 1,26 nach dem großen Reinigungsgericht erneut in Jerusalem installieren will. Welchen Anforderungen müssen nun diese prophetischen Mediatoren genügen? Welche Merkmale weist die von ihnen geleistete religiös fundierte Mediation auf?

5.1

Integrität der Mediatoren

Voraussetzung für die religiös fundierte internationale Konfliktschlichtung ist die absolute Integrität der auf dem Zion in Gottes Auftrag tätigen Mediatoren. Sie verfügen selber über keinerlei politische Macht; sie wirken allein durch das an sich ohnmächtige Wort. Sie verfügen allerdings über ein tiefes Gespür für Gerechtigkeit, weil sie aus der eigenen leidvollen Geschichte gelernt haben, dass nur ein solches Recht, das den Schwächeren schützt und den Stärkeren in die Schranken verweist, ein gedeihliches und friedliches Zusammenleben ermöglicht. Als solche sind sie unbestechlich und weichen – wie schon der Prophet Jesaja – vor äußerem Druck nicht zurück.

5.2 Absehen von allen eigenen politischen Interessen Es ist ein oft übersehener Befund, das Israel in dem Szenario der Frieden stiftenden Konfliktschlichtung zwischen den Völkern selber gar nicht vorkommt. Es begegnet nur indirekt in der Bezeichnung „Gott Jakobs“ (Jes 2,3) und ist implizit darin vorausgesetzt, dass Jerusalem seine Hauptstadt darstellt. 49

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Es liefert damit sozusagen den Völkern den Gott und den Ort der Friedensmediation, hat aber selber von der Konfliktschlichtung zwischen den Völkern keinen eigenen Vorteil mehr. Hierin unterschied sich Jes 2,2–4 ja gerade von allen anderen Texten, die eine Völkerwallfahrt zum Zion ausmalen, in denen Israel zumindest wirtschaftlich und in seiner religiösen Ehrenstellung vom Kommen der Völker profitiert (Jes 60; Hag 2,7 f.; Sach 14,16–19). Die Konfliktschlichtung in Jes 2 ist noch nicht einmal mit Bekehrung der Völker zum Gott Israels verbunden. D. h. aber: Die Mediatoren, die auf dem Zion im Namen JHWHs die Konflikte zwischen den Völkern schlichten sollen, haben gelernt, dass sie bei ihrer Arbeit keinerlei Rücksicht auf die Interessenlage ihres Volkes nehmen dürfen. Die Glaubwürdigkeit und Wirkungskraft ihres religiös fundierten friedensstiftenden Handelns zwischen den Völkern beruht darauf, dass es ihnen gelingt, sich völlig von den Interessen ihres Volkes zu distanzieren. Oder theologisch gesprochen: Nur weil sich JHWH in der leidvollen Geschichte Israels von der machtpolitischen Vereinnahmung durch sein eigenes Volk distanziert hat, kann er nun zu einem Frieden stiftenden Gott für die Völker werden, dessen Weisung von allen als gerechter Interessenausgleich anerkannt wird. Die totale Unabhängigkeit der in der internationalen Konfliktschlichtung tätigen Mediatoren von allen etablierten Herrschaftssystemen scheint mir ein ganz wesentliches Merkmal der religiös fundierten Friedensvermittlung zu sein.

5.3 Politische Ohnmacht und überzeugende Autorität In Jes 2,4 wird die Mediation als ein schiedsgerichtliches Verfahren dargestellt, wobei auch belehrende und erzieherische Elemente dazu kommen können: Die sich streitenden Völker kommen freiwillig nach Jerusalem, tragen vor den prophetischen Richtern ihre Klagen vor, erhalten von ihnen Weisung und Belehrung und akzeptieren – ebenso freiwillig – das von den Richtern in ihrem Rechtsstreit gefundene Urteil. Die Mediatoren haben somit eine richterliche Befugnis; sie bringen die sich streitenden Parteien nicht nur dazu, selber eine Konfliktlösung zu finden. Aber sie verfügen offenbar über keinerlei Zwangsmittel, ihr Urteil gegen den Willen der Parteien durchzusetzen. Bei einem solchen Mediationsverfahren orientierte sich der Autor von Jes 2,2–4 offenbar an der typischen zivilen Rechtsprechung im Israel der vorstaatlichen und frühen staatlichen Zeit, dem sog. ‚Torgericht‘. 45 Auf die Klage eines Geschädigten trafen hier die sich streitenden Familien im Tor der Ortschaft zusammen und die als Richter fungierenden Ältesten fällten nach Anhörung der Parteien einen Schiedsspruch, bei dem es sich mehr um einen Streitbeendigungsvorschlag handelte, der auf die Akzeptanz durch die Betroffenen angewiesen war. 46 Auch hier verfügten die Richter über keine Zwangsmittel, ihr Urteil durchzusetzen. Seine Geltung beruhte auf der Güte des gefundenen 50

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rechtlichen Ausgleichs, der Autorität der Richter und dem Gruppendruck der Öffentlichkeit. Beim prophetischen Konzept schiedsgerichtlicher Schlichtung internationaler Konflikte von Jes 2 sind es grundsätzlich die gleichen Mechanismen, die dem auf dem Zion gesprochenen Urteil Geltung verschaffen, nur nehmen hier die prophetischen Richter zusätzlich die göttliche Autorität für sich in Anspruch. Dieses Vorgehen kann allerdings nur deswegen dem sofortigen Verdacht einer bloßen ideologischen Verbrämung eigener Interessen entgehen, weil diese Mediatoren aus einer bewusst eingenommenen Ohnmachts- und Außenseiterposition heraus handeln, die ihre absolute Überparteilichkeit in dem verhandelten Konflikt glaubwürdig macht. Oder anders herum: Die religiöse Überhöhung des Mediationsvorganges sichert die Exterritorialität der Mediatoren im Konfliktfeld und stattet sie trotz notwendiger politischer Ohnmacht mit einer ‚außerweltlichen‘, einer geistlichen Autorität aus.

5.4 Hat Friedensvermittlung notwendig immer auch eine religiöse Dimension? In der berühmten Heilsschilderung aus dem Jesajabuch wird eine Form der Friedensvermittlung beschrieben, die durch und durch religiös imprägniert ist. Es mag sein, dass Mediationen in überschaubaren Konflikten im privaten oder auch wirtschaftlichen Bereich allein mit dem persönlichen Geschick eines Mediators auskommen. Doch je weitreichender die Konflikte werden und je fraglicher es wird, ob die Mediatoren nicht selber Partei im Konflikt sind und einen wirklich unabhängigen Standort für den gerechten Ausgleich einnehmen können, kommt meiner Meinung nach eine religiöse Dimension der Konfliktschlichtung ins Spiel. In der UNO, die eine rein politische Organisation sein will, besteht ja bei vielen guten Ansätzen und einzelnen gelungenen Missionen der Friedenssicherung das Hauptproblem darin, dass besonders die Vertreter der großen Nationen im Sicherheitsrat, der die Rolle eines internationalen Schiedsgerichts übernehmen sollte, nicht genügend bereit oder in der Lage sind, sich von den Interessen ihrer Staaten zu distanzieren, sondern die UNO mehr oder minder verdeckt dazu missbrauchen, die kurzfristigen weltpolitischen Interessen ihrer Staaten durchzusetzen. 47 Bedürfte es nicht auch hier einer religiösen Dimension, um zumindest soweit von den mehr oder minder egoistischen Partikularinteressen Abstand zu gewinnen, damit die längerfristigen Ziele, die dem Allgemeinwohl der Weltgemeinschaft dienen, verfolgt werden können? Bei der Wahl der Generalsekretäre der UNO wird dies immerhin ansatzweise sichtbar. Bevorzugt werden Angehörige kleiner Staaten, die keine eigenen weltpolitischen Ambitionen haben, aber viele dieser Personen haben oder entwickeln bei ihren Friedensvermittlungen ein ausgesprochenes Charisma. Wenn Sie die Rede von Kofi Annan bei der Verleihung des Friedenspreises im Fernsehen gesehen oder im Internet nachgelesen haben, dann werden Sie viel51

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leicht gespürt haben, hier redet einer von einer Position jenseits des politischen Interessenkampfes, fast so wie ein Pfarrer von der Kanzel. Er redet den Politikern und uns allen ins Gewissen und strahlt dabei ein Charisma aus, das erst einmal überzeugt. Bedarf also damit ein international tätiger Mediator der Religion, nicht nur um andere von seinem Vermittlungsvorschlag zu überzeugen, sondern auch um seine Überparteilichkeit durchzuhalten und sich gegen alle nur möglichen Verdächtigungen zu erwehren? Kofi Annan, protestantischer Christ, antwortete 2003 auf eine Frage von Hans Küng, aus welcher Quelle er seine persönliche Kraft beziehe, unter anderem: „In Zeiten der Krise muss man tief in sich hineingehen, um Stärke und Mut zu finden, weiterzumachen … Und natürlich hilft mir auch mein Glaube.“ Anmerkungen 1 Auch wenn sich ein direkter Einfluss in offiziellen Verlautbarungen der genannten Organisationen nicht nachweisen lässt, weist doch die Tatsache, dass selbst politikwissenschaftliche Publikationen über die UNO, ihre Vorgeschichte und ihre Zukunft das Motto ‚Swords into Plowshares‘ im Titel führen (Inis L. Claude, Swords into Plowshares. The Problems and Process of International Organization, New York 4 1971; Roy S. Lee (Hg.), Swords into Plowshares. Building Peace through the United Nations (Nijhof Law Specials 65), Leiden – New York 2006) auf einen untergründigen Zusammenhang. 2 In diesen Kontext gehören auch meine früheren Arbeiten zu diesem Text, s. Rainer Albertz, Shalom und Versöhnung. Alttestamentliche Kriegs- und Friedenstraditionen, in: Theodor Strohm – Bernhard Moltmann – Christoph Meier (Hgg.), Friede ist der „Weg zum Frieden“. Dienst und Versöhnung im Auftrag der christlichen Gemeinde (Theologia Practica 18), München 1983, S. 16–29; Ders., Konfliktschlichtung durch Machtverzicht – Jesaja 2,2–5 auf dem Hintergrund der alttestamentlichen Kriegs- und Friedenstraditionen, in: Ders., Der Mensch als Hüter seiner Welt. Alttestamentliche Bibelarbeiten zu den Themen des konziliaren Prozesses, Stuttgart 1990, S. 114–131. 3 Zur Diskussion vgl. Otto Kaiser, Das Buch des Propheten Jesaja. Kapitel 1–12 (ATD 17), Göttingen 5 1981, S. 63, insbes. Anm. 14; dazu Jakob Wöhrle, Die frühen Sammlungen des Zwölfprophetenbuches. Entstehung und Komposition (BZAW 360), Berlin – New York 2006, S. 156–158. 4 Vgl. Jakob Wöhrle, Der Abschluss des Zwölfprophetenbuches. Buchübergreifende Redaktionsprozesse in den späten Sammlungen (BZAW 389), Berlin – New York 2008, S. 346–350. 5 S. Die Luther-Bibel von 1534. Vollständiger Nachdruck, 2 Bde., Köln 2002, Bd. 2: II. Hinzugefügt wurde die Zählung der Verse, die es zu Luthers Zeiten noch nicht gab. Die Schreibung der Umlaute wurde dem heutigen Gebrauch angepasst. 6 Luther setzte hier den Artikel, der im hebräischen Original nicht steht! 7 Otto Kaiser, Der Prophet Jesaja. Kapitel 1–12 (ATD 17), Göttingen 4 1978, S. 22. 8 Kaiser, Jesaja (wie Anm. 7), S. 23. 9 Die willige Unterwerfung der Völker unter Gottes Schiedsspruch führt Kaiser, Jesaja (wie Anm. 7), S. 22 dementsprechend auf deren „Neuschöpfung“ zurück, von der allerdings im Text nichts steht. In der stark umgearbeiteten fünften Auflage seines Kommentars löst sich Kaiser ein Stück weit von der durch Luther vorgegebenen Sicht, hält aber daran

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Eine himmlische UNO fest, dass das mosaische Gesetz im Hintergrund der prophetischen Konfliktschlichtung steht. Er spricht zwar nicht mehr von einer „Bekehrung der Völker“ (ebd., S. 22), aber von einer „Einbeziehung aller Völker in die Jerusalemer Theokratie“, Kaiser, Buch Jesaja (wie Anm. 3), S. 65. 10 Kaiser, Jesaja (wie Anm. 7), S. 21. 11 Dies ist ein klares sachliches Argument gegen neuere, aus übergreifenden theologischen Anliegen gespeiste Versuche, die Tora vom Zion doch wieder mit der Tora vom Sinai gleichzusetzen (Ludger Schwienhorst-Schönberger, Zion – Ort der Tora. Überlegungen zu Mi 4,1–3, in: Ferdinand Hahn u. a. (Hgg.), Zion – Ort der Begegnung. FS L. Klein (BBB 90), Bodenheim 1993, S. 107–125, S. 117–121; Irmtraud Fischer, Tora für Israel – Tora für die Völker. Das Konzept des Jesajabuches (SBS 164), Stuttgart 1995, S. 122). 12 Ähnlich auch die King James Version von 1611/1769: „he shall judge among the nations …“. 13 Außer in Jes 2,4 und Mi 4,3 noch in Gen 16,5; 31,53; Ex 18,16; Num 35,24; Dtn 1,16; Ri 11,27; 1. Sam 24,13.16; Jes 5,3; Ez 34,17.20.22; in Ex 18,16; Num 35,24. Dtn 1,16 wird dabei mit der Wendung ausdrücklich das Wirken menschlicher Richter im zivilen und sakralen Rechtsverfahren bezeichnet. 14 Sonst wird die Präposition nur noch wenige Male verwendet, wo vom ‚Zurechtweisen‘ einer Person die Rede ist (Prov 9,7.8; 15,12); in den meisten Fällen wird bei dieser Bedeutung das Verb mit dem Akkusativ konstruiert (Gen 21,25; Lev 19,17; Hos 4,4; Ps 50,8.21; 105,14; 141,5; Hi 5,17; 6,26; 13,10; 22,4; 40,2. Mit l le˘ und Akkusativ hat das Verb in Gen 24,14.44 die Sonderbedeutung ‚jemandem jemand zuweisen‘. 15 In Ez 3,26 ist dabei sogar mehr an einen Anwalt gedacht, der für Israel bei Gott eintritt. Um dem Propheten Ezechiel diese Funktion zu versagen, wird er bis zur Erfüllung seiner Gerichtsbotschaft mit Stummheit geschlagen; vgl. Rainer Albertz, Die Exilszeit. 6. Jahrhundert v. Chr. (BE 7), Stuttgart 2001, S. 267. 16 Hans Wildberger, Jesaja (BK X/1), Neukirchen-Vluyn 1972, S. 83–86. 17 Vgl. etwa Peter Höffken, Das Buch Jesaja. Kapitel 1–39 (NSKAT 18/1), Stuttgart 1993, S. 47 f.; John T. Willis, Isaiah 2:2–5 and the Psalms of Zion, in: Craig C. Broyles – Craig A. Evans (Hgg.), Writing and Reading the Scroll of Isaiah. Studies of an Interpretive Tradition (VT.S 70/1), Leiden u. a. 1997, S. 295–316, S. 303 f.; Ulrich Berges, Das Buch Jesaja. Komposition und Endgestalt (HBS 16), Freiburg u. a. 1998, S. 74 f.; Baruch J. Schwartz, Torah from Zion. Isaiah’s Temple Vision (Isaiah 2,1–4), in: Alberdina Houtman (Hg.), Sanctity of Time and Space (JChPS 1), Leiden u. a. 1998, S. 11–26, S. 17; Helmut Utzschneider, Michas Reise in die Zeit. Studien zum Drama als Genre prophetischer Literatur des Alten Testaments (SBS 180), Stuttgart 1999, S. 157 f.; Willem A. M. Beuken, Jesaja 1–12 (HThKAT), Freiburg u. a. 2003, S. 92–94. 18 So etwa in die revidierte Elberfelder Bibel 1993 und die Neue Zürcher Bibel 2007. Die Einheitsübersetzung bietet: ‚Er spricht Recht im Streit der Völker, / er weist viele Nationen zurecht‘; im ersten Stichos ist sie sehr frei, trifft aber sachlich ungefähr das Richtige. Durch die Wortwahl und den zweiten Stichos wird allerdings die hoheitlich tadelnde Seite des göttlichen Schlichtens problematisch hervorgekehrt. 19 Dazu s. unten vor Fußnote 45. 20 Wo eine solche in den Texten der Hebräischen Bibel erwartet wird, wird eine völlig abweichende Terminologie verwendet: efl la¯wa¯h nifal ‚sich anschließen‘ (Sach 2,15; vgl. Jes 56,3.6); mit Ausdrücken des Anbetens und Verehrens (1. Kön 8,41–43; Jes 45,23; Zeph 2,11; 3,9 f.; Sach 8,20–22; Ps 86,9; 102,23), oder mit Ausdrücken Sich-Bekehrens Jer 3,17; 16,19–21; Ps 22,28. 21 So mit Recht erneut auch Schwartz, Torah from Zion (wie Anm. 17), S. 13 f.

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Rainer Albertz 22 Ebd., S. 14 f. und Beuken, Jesaja (wie Anm. 17) S. 88 plädieren wegen der Ungewöhnlichkeit der Vorstellung, dass die Völker wie ein Fluss strömen werden (ftenf na¯haru¯) dafür, das Verb nicht von ten I ‚Strom‘, sondern von ten II ‚strahlen‘ abzuleiten. Doch wirkt die Übersetzung Beukens ‚Alle Nationen starren strahlend auf ihn‘ gekünstelt, und die Übersetzung von Schwartz ‚so that all nations will see it‘ hat sich schon weit von der Wurzelbedeutung entfernt. Schwartz’ Bedenken gegen die traditionelle Übersetzung ist von dem berechtigten Vorbehalt gegen die Auffassung getragen (Schwartz, Torah from Zion (wie Anm. 17), S. 16 f.), dass in Jes 2 von einer Bekehrung aller Völker die Rede sei. Aber deswegen braucht man nicht die Anknüpfung an das Motiv der Völkerwallfahrt zu leugnen (vgl. die Entsprechung zwischen Jes 2,3a und Ps 122,1). Für die traditionelle Übersetzung spricht der Parallelismus zwischen Jes 2,2b und 3a und die Parallele Jer 51,44. 23 Dies ist das einzige Element der Heilsschilderung, das die vorfindliche Realität völlig sprengt. Der Jerusalemer Tempelberg ist mit seinen 734 m über N.N. ein Stück niedriger als der Ölberg im Osten (810 m) und der Südwesthügel (765 m). 24 Zur vorderorientalischen Kriegs- und Friedenstheologie vgl. den Überblick von Eckart Otto, Krieg und Frieden in der Hebräischen Bibel und im Alten Orient. Aspekte für eine Friedensordnung in der Moderne (Theologie und Frieden 18), Stuttgart 1999, S. 13–75. 25 Zur Jerusalemer Königs- und Tempeltheologie vgl. zusammenfassend Rainer Albertz, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, 2 Bde. (GAT 8/1–2), Göttingen 2 1996/97, S. 172–210; Othmar Keel, Die Geschichte Jerusalems und die Entstehung des Monotheismus, 2 Bde. (Orte und Landschaften der Bibel IV,1–2), Göttingen 2007, S. 733–740. 26 In Vers 11b und 12aa ist der hebräische Text gestört; die beiden Satzteile müssen zusammengezogen werden. Vers 12b ist eine spätere Ergänzung des Königspsalms aus der Zeit, als er schon messianisch verstanden wurde. 27 In jüngster Zeit mehren sich die Stimmen, die dafür plädieren, Ps 72,8–11 einschließlich V. 15 und V. 17 agb, die ebenfalls die Weltherrschaft des Königs im Auge haben, für eine spätere Ergänzung zu betrachten (Erich Zenger, „Es sollen sich niederwerfen vor ihm alle Könige“ (Ps 72,11). Redaktionsgeschichtliche Beobachtungen zu Ps 72 und zum Programm des messianischen Psalters Ps 2–89, in: Eckart Otto – Ders. (Hgg.), „Mein Sohn bist du“ (Ps 2,7). Studien zu den Königspsalmen (SBS 192), Stuttgart 2002, S. 66–93, S. 66–69; Bernd Janowski, Die Frucht der Gerechtigkeit. Psalm 72 und die judäische Königstheologie, in: ebd., S. 66–134, S. 101–105; Martin Arneth, Psalm 72 in seinen altorientalischen Kontexten, in: ebd., S. 135–172, S. 150–154). Doch sind die dafür vorgebrachten sachlichen und kompositionellen Argumente keineswegs zwingend; und die Kontextbezüge lassen sich in verschiedene Richtungen interpretieren. Doch selbst wenn sie Bestand hätten, ist die Zugehörigkeit der Weltherrschaftskonzeption zur judäischen Königstheologie durch Ps 2,8–12a und 89,26.28 gesichert. Eine Ansetzung von Ps 72,8–11 nach dem Untergang des davidischen Königtums bleibt auch nach Zengers Versuch einer messianischen Deutung (S. 80–91) schwierig, da der Text die Ausübung der Weltherrschaft in aller Drastik schildert, ohne dass eine kritische Distanz sichtbar würde. Für die nachexilische Zeit ist eher eine kritische Brechung der Jerusalemer Königstheologie typisch, vgl. Sach 9,9 f. und Wöhrle, Abschluss des Zwölfprophetenbuches (wie Anm. 4), S. 174–189. Zur kritischen Brechung der Jerusalemer Tempeltheologie s. unten nach Fußnote 31. 28 Weil es beide Male Gott ist, der den Frieden schafft, werden diese Differenzen bei Willis, Isaiah (wie Anm. 17), S. 305 f.; Otto, Krieg und Frieden (wie Anm. 24), S. 116 f.; Beuken, Jesaja (wie Anm. 17), S. 93; Erich Zenger, „Erhebe dich doch als Hilfe für uns!“. Die Komposition Ps 42–44; 46–48 als theologische Auseinandersetzung mit dem Exil, in:

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Eine himmlische UNO Ingo Kottsieper – Rüdiger Schmitt – Jakob Wöhrle (Hgg.), Berührungspunkte. Studien zur Sozial- und Religionsgeschichte Israels und seiner Umwelt. FS R. Albertz (AOAT 350), Münster 2008, S. 295–316, S. 312 f. eingeebnet. Die Verwandtschaft, in die damit Ps 46,9–12 zu Jes 2,2–4 gerät, ist dabei für Otto und Zenger ein wesentlicher Grund, in diesen Versen eine spätere Ergänzung zu Ps 46,2–8 zu sehen, die erst aus der Exilszeit stamme. 29 S. Wolfram von Soden, Akkadisches Handwörterbuch, Bd. 3, Wiesbaden 1981, Sp. 1206, s. v. ˇsebe¯ru ‚zerbrechen‘; vgl. die Darstellung auf einem Relief Assurbanipals aus Ninive bei Ottmar Keel, Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament am Beispiel der Psalmen, Zürich – Neukirchen-Vluyn 1972, S. 220, Nr. 328. Eine ähnliche Symbolik kannte auch Ägypten, vgl. ebd., S. 91. Das Zerbrechen des Bogens ist auch in Hos 1,5; Jer 49,35 Symbol für die totale Niederlage, die JHWH einem Volk beibringt. 30 Vgl. das Zusammenbrechen des syrisch-ephraimitischen Angriffs auf Jerusalem im Jahr 733 v. Chr. durch das Eingreifen der von Ahab zu Hilfe gerufenen Assyrer (1. Kön 16,5–9). 31 Im Hebräischen Text fehlt die Präposition, sie ist aber wahrscheinlich durch Haplographie ausgefallen. 32 Vgl. Claus Westermann, Das Buch Jesaja. Kapitel 40–66 (ATD 16), Göttingen 5 1986, S. 280–290. 33 Vgl. Wildberger, Jesaja (wie Anm. 16), S. 80. 34 Das letzte Verb von V. 4 ist mit V. 5 zu verbinden, vgl. die Septuaginta. 35 Das Suffix ist weiblich und bezieht sich damit auf eine Ortsbezeichnung. 36 Vgl. Albertz, Exilszeit (wie Anm. 15), S. 296–301. 37 Vgl. die programmatische Verwendung des persischen Begriffs da¯ta bzw. des aramäischen vd da¯t ‚Recht Wahrheit‘ schon in der Behistun-Inschrift § 8 (Otto Kaiser (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Bd. 1/4: Historische-chronologische Texte 1, Gütersloh 1985, S. 424) und in den weiteren Inschriften des Darius DNa § 3 (Pierre Lecoq, Les inscriptions de la Perse achéménide, Paris 1997, S. 220), DNb §§ 2–3 (ebd., S. 222), DSe §§ 3–4 (ebd., S. 233) und Xerxes XPh § 3 (ebd., S. 257); XPl §§ 2–3 (ebd., S. 260); dazu auch S. 167. 38 Vgl. Albertz, Exilszeit (wie Anm. 15), S. 319–323. 39 Vgl. Wöhrle, Abschluss des Zwölfprophetenbuches (wie Anm. 4), S. 162. 40 Ab dem letzten Jahrzehnt des 5. Jhs. v. Chr. kommt es im Zuge der Loslösung Ägyptens aus dem persischen Reich zu einer verschärften Kontrolle der Perser über Samaria und Juda, die sich u. a. in einer Reihe von Festungsbauten dokumentiert. In diesen Zusammenhang gehört wahrscheinlich auch die siebenjährige Strafsteuer, die der persische Statthalter Bagoses nach dem Bericht des Josephus (Ant. XI, 297–303) der Provinz Juda und dem Jerusalemer Tempel auferlegt. 41 Vgl. Berges, Jesaja (wie Anm. 17), S. 75 f. 42 Ebd., S. 56–76. 43 Vgl. Beuken, Jesaja (wie Anm. 17), S. 60–96. 44 Diese Sicht ist nur möglich, weil Berges, Jesaja (wie Anm. 17), S. 72 f. zeigen konnte, dass nicht nur Jes 1,29–31, sondern auch die neue Überschrift Jes 2,1, die jetzt den Zusammenhang mit Kap. 1 verdunkeln, nochmals spätere Einschübe darstellen. Demgegenüber ist die Alternative, Jes 2,2–4 im Kontext der Kapitel 2–4 zu interpretieren, wie sie Marvin A. Sweeney, Micah’s Debate with Isaiah, in: JSOT 93, 2001, S. 111–124 erneut vorgelegt hat, weniger aussagekräftig, weil sie zwar auch die weltweite göttliche Konfliktschlichtung mit einem Jerusalem betreffenden Reinigungsgericht in Verbindung bringen kann, aber doch nicht klar als deren Vorraussetzung. Außerdem steht in Jes 2 f. stärker der Hochmut

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Rainer Albertz und weniger das Unrecht im Zentrum der Anklage und des Gerichts. Die Stichworte, die Jes 2,2–4 und Jes 1 miteinander verbinden (etfv ‚Weisung‘: 1,10; 2,3; tbd ‚Wort‘: 1,10; 2,[1].3; iqU ‚Recht sprechen‘: 1,17.23.26; 2,4; hkj ‚zurechtweisen, schlichten‘: 1,18; 2,4; iqUm ‚Recht‘: 1,17.21.27; esdr/sdr ‚Gerechtigkeit‘: 1,26.27), fehlen in Jes 2,5–4,4 fast völlig. Nur in Jes 3,2 wird das Partizip von iqU im Sinne von ‚Richter‘ unter anderen Ämtern und in Jes 3,14; 4,4 iqUm zur Bezeichnung des göttliches Gerichtes verwendet. 45 Vgl. die Verwendung der gleichen Wendung xjb iqU sˇafat be¯n ‚richten zwischen‘ von Jes 2,4a für die Tätigkeit der Richter in zivilen Prozessen (Ex˙ 18,16; Dtn 1,16) und den Ausdruck tpUb hjkfm mo¯kı¯a˘h be˘ˇsa2ar ‚der im Tor zurechtweist‘ in Jes 29,21 und Am 5,21 ˙ (hier in umgekehrter Wortfolge) für den Schiedsrichter im Tor. Schwartz, Torah from Zion (wie Anm. 17), S. 18–22 möchte dagegen das Obergericht in Jerusalem, das in Dtn 17,8–13 eingeführt wird, als Vergleichsmodell erweisen. Doch bis auf die Parallele, dass auch die Entscheidungen des Obgerichts in Dtn 17,10.11 als tbd da¯ba¯r und etfv to¯ra¯h bezeichnet werden, überwiegen die Differenzen: Die Anweisungen des Obergerichts, das in schwierigen Fällen eine Legalinterpretation für die Ortsgerichte vornahm (vgl. dazu Georg Macholz, Zur Geschichte der Justizorganisation in Juda, in: ZAW 84, 1972, S. 314–340, S. 324–330; Eckart Otto, Tendenzen der Geschichte des Rechts in der Hebräischen Bibel, in: Ders., Altorientalische und biblische Rechtsgeschichte. Gesammelte Studien, Wiesbaden 2008, S. 1–56, S. 21 f.), sind wortwörtlich zu befolgen und Zuwiderhandeln wird mit dem Tod bestraft (V. 10–13). Die Entscheidungen des Obergerichts waren somit im Gegensatz zu den Urteilen der prophetischen Schlichter von Jes 2 strafbewehrt. 46 Vgl. Gerhard Liedke, Gestalt und Bezeichnung alttestamentlicher Rechtssätze. Eine formgeschichtlich-terminologische Studie (WMANT 39), Neukirchen-Vluyn 1971, S. 40–48; S. 88–92; sie betreffen das kasuistische Recht; daneben belegen apodiktische Rechtssätze wie Ex 21,12–17 die Existenz autoritärer Urteile, die durch den Vater, den König oder ein sakrales Gericht ausgesprochen werden konnten (ebd., S. 130–135). Ab dem 8. Jh. v. Chr. sind auch staatliche Richter belegt (Jes 1,26; 10,1; vgl. Macholz, Justizorganisation (wie Anm. 45), S. 314–318). Das Dtn aus dem 7. Jh. bezeugt dann eine Bürokratisierung der Ortsgerichte durch Einsetzung von Richtern und Gerichtssekretären, vgl. Jan Christian Gertz, Die Gerichtsorganisation Israels im deuteronomischen Gesetz (FRLANT 165), Göttingen 1994, S. 226–228. Zum ganzen vgl. auch Hermann M. Niehr, Rechtsprechung in Israel. Untersuchungen zur Geschichte der Gerichtsorganisation im Alten Testament (SBS 130), Stuttgart 1987, S. 39–76; Otto, Geschichte des Rechts (wie Anm. 45), S. 16–23. 47 Das Problem wird auch von UNO-Experten durchaus gesehen, vgl. die Ausführungen des langjährigen Botschafters Sloweniens bei der UNO und jetzigen slowenischen Staatspräsidenten Danilo Türk, Improving Decision-Making in the UN Security Council, in: Lee (Hg.), Swords into Plowshares (wie Anm. 1), S. 1–9, der zwar die Erwartung, „that states serving on the Security Council will forsake their immediate national interest for enlightened self-interest or altruism“ in den Bereich der Utopie verweist (ebd., S. 2), aber anmahnt, dass die Entscheidungen des Sicherheitsrates mehr „credible, predictable and reliable“ werden müssten: „The Council needs to act in a consistant manner and avoid the impression of applying double standards“ (ebd., S. 9). Es ist sicher kein Zufall, wenn Newton Bowles, Will the UN Hope survive, in: Lee (Hg.), Swords into Plowshares (wie Anm. 1), S. 167–174, S. 174, langjähriger kanadischer UNO-Diplomat und jetziger ‚senior adviser to UNICEF‘, seine Hoffnung auf eine Zukunft der UNO gerade in der verstärkten Zusammenarbeit mit Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) begründet sieht, die ihre Arbeitsziele bewusst jenseits nationaler Interessen liegend definieren.

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Gewaltlose Konfliktregelung in der Alten Kirche Alfons Fürst 1. Kirchengeschichte als Konfliktgeschichte Die Geschichte der christlichen Kirchen und Glaubensgemeinschaften ist eine Geschichte voller Konflikte. Gerade die Geschichte der Alten Kirche erscheint als einzige Abfolge von Glaubenskämpfen und Kirchenspaltungen. Schon ein summarischer Blick in ein beliebiges Lehrbuch vermag dies zu belegen: Es ist das Vokabular von Streit und Kampf (gegen Irrlehren), von Sieg und Durchsetzung (der Orthodoxie), von Dissens und Spaltung (als Schisma oder Häresie), mit dem die Geschichte des Christentums strukturiert und dargestellt wird. Man kann fragen, ob das vielleicht eher an der Wahrnehmung und Beschreibung der Historiographen liegt als am tatsächlichen Geschichtsverlauf. Diese Frage ist als hermeneutische Anfrage an die Geschichtsschreibung auch sehr ernst zu nehmen, denn es ist ja nicht nur ein Phänomen der Kirchengeschichte, dass Konflikte und Kriege mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen als Zeiten friedlichen Miteinanders und unsere Vorstellungen von Geschichte daher weithin, wenn auch nicht ausschließlich dominieren. Eine gleichsam mediale Verstärkung der Konfliktgeschichte ist daher gewiss in Rechnung zu stellen. Gleichwohl werden die vielfach traktierten Konflikte der Geschichte von der Geschichtsschreibung zwar besonders hervorgekehrt und bisweilen auch überzeichnet, aber doch nicht erfunden, sondern in den Quellen vorgefunden. Nicht zuletzt für die Geschichte der christlichen Kirchen gilt, dass sie zu großen Teilen eine Geschichte von Angriff und Verteidigung, Abwehr und Bestrafung, Exkommunikation und Verfolgung gewesen ist. Die Begriffe, die zu ihrer Darstellung gebraucht werden, sind nicht von ungefähr. 1 Es ist deshalb alles andere als Zufall, dass die Geschichte der Kirche und speziell der Alten Kirche, auf die ich mich im Folgenden beschränke, zwar zahllose Konflikte bereithält, deren Hintergründe, Abläufe, Mechanismen und Folgen studiert werden können, dass man aber nur selten fündig wird, wenn man nach gewaltlosen Formen der Konfliktregelung sucht. Fast sieht es so aus, als hätte es das nicht gegeben. Auch dieser Eindruck trügt, jedenfalls vordergründig, nicht. Den zahllosen Fällen von Aggression und Selbstbehauptung auf Kosten des Gegners stehen nur wenige Beispiele von Vermittlung und Versöhnung gegenüber.

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2. Konfliktunfähigkeit und Geschichtsbild Dieses krasse Missverhältnis hatte gewiss verschiedene Ursachen, denen ich hier nicht im Einzelnen nachgehen kann, die einmal zu analysieren aber eine lohnende Aufgabe wäre. Auf eine wesentliche Ursache für die Unfähigkeit der antiken Christen, in Auseinandersetzungen vermittelnd zu agieren, sei freilich kurz hingewiesen. Diese Unfähigkeit hat mit dem Bild der antiken Kirche von sich selbst und ihren Anfängen zu tun. Während die moderne Forschung die enorme Breite und Vielfalt christlicher Überzeugungen und Lebensformen von Anfang an gezeigt hat, stellte man sich in der Antike die Anfänge der Kirche als nichts als einig und einmütig vor. Im Anfang war die Eintracht – alle Zwietracht und alle Spaltung seien erst später gekommen. Das war die übliche Vorstellung, welche die antiken Theologen sich von der ersten christlichen Generation, dem ‚apostolischen Zeitalter‘, machten. Zwar haben einige wenige von ihnen Uneinigkeit und Streit schon in der Urkirche wahrgenommen; so zählte Origenes (185–253/54) eine Reihe von Auseinandersetzungen aus der Anfangszeit auf, 2 und dem Kirchenhistoriker Sokrates (gest. nach 439) bezeugte die neutestamentliche Apostelgeschichte, dass die Apostel sich über zahlreiche Meinungsverschiedenheiten im Klaren gewesen seien. 3 Ansonsten jedoch dominierte das harmonistische Bild von den Anfängen der Kirche, das schon in der im letzten Drittel des 1. Jahrhunderts entstandenen Apostelgeschichte entworfen wurde und sich im 2. Jahrhundert durchsetzte. Diese Vorstellung war im Wesentlichen von dogmatischen Bedürfnissen geformt. Im Streit um die Wahrheit bildete sich in der spätantiken Theologie der Rekurs auf die Anfänge der Kirche als zentrales Argument heraus. Dessen Logik funktionierte so: Maßgeblich für die jeweils gegenwärtige Lehre und Praxis der Kirche seien ‚die Apostel‘ und ihre Verkündigung, wobei man sich ‚die Apostel‘ nicht im Plural als historische Persönlichkeiten mit individuellen Eigenheiten vorstellte, sondern gleichsam im Singular als uniforme Größe, innerhalb derer der eine durch den anderen austauschbar ist. Weil die Wahrheit christlichen Glaubens und Lebens prinzipiell aber nur eine sein könne, könne auch historisch am Anfang nur Einheit gestanden haben. Diese Einheit wurde ausgesprochen uniformistisch konzipiert, unter Ausschluss von Dissens und Konflikt. Aller Streit wurde in ein zeitliches Später verlegt, denn am Anfang könne es keine Parteiung und Spaltung gegeben haben. Mit diesem Geschichtsbild hatte man zum Beispiel ein Argument in der Hand gegen alles, was als Abweichung und Häresie identifiziert wurde: Sie sei gleichsam ‚zu spät dran‘, zeitlich nachträglich und damit inhaltlich sekundär gegenüber der einen Wahrheit des Anfangs; Irenäus, der Bischof von Lyon (gest. um 200) zum Beispiel argumentierte auf dieser Linie gegen die Gnosis. 4 Dieses Geschichtsbild lieferte aber nicht nur ein (pseudo-)historisches Argument im dogmatischen Disput, sondern prägte tief die Mentalität der antiken Christen. Einerseits bildete es eine unerschöpfliche Ressource für das stän58

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dige Ringen um Frieden und Einheit in der Kirche. Das Einheitsideal des Anfangs machte es unmöglich, sich mit Streit und Spaltung einfach abzufinden und Unvereinbarkeit als nicht mehr hintergehbare Realität zu akzeptieren. Anspruch und Ansporn dieses Ideals des Anfangs sind als Motor der Kirchengeschichte wohl kaum zu überschätzen. Andererseits galten gerade vor dem Hintergrund des idealisierten Anfangs Dissens und Konflikt immer als defizitär. Konflikte wurden deshalb von vornherein als Bedrohung empfunden, nicht als unausweichliche Gegebenheit der condition humaine, und deshalb auch nicht als Aufgabe, die es zu bewältigen gilt. Daraus resultierte eine massive Konfliktunfähigkeit der antiken Christen, die sich am Verhalten der Akteure in den zahlreichen Konflikten im antiken Christentum anschaulich studieren lässt. Sehr erhellend dafür ist eine Bemerkung des Ambrosius von Mailand (gest. 397) in einem Brief an Kaiser Theodosius I. (379–395): „Ich muss eher aus Schmerz als aus Ratlosigkeit darüber seufzen, mein Kaiser, dass man leichter die Häretiker vertreiben konnte als zwischen den Katholiken eine Einheit erreichen. Was jetzt für eine Konfusion herrscht, lässt sich nicht beschreiben.“ 5 Ungewollt liefert Ambrosius eine Analyse des Problems: Wenn man im Konfliktfall den Anderen zum Feind, zum Häretiker machen und ihn folglich verurteilen und ausgrenzen kann, dann ist alles bald und leicht geregelt. Wenn das aber nicht geht, man den Konflikt also im eigenen Haus hat, ist man ratlos. Es gab keine Strategien der Vermittlung, keine konfliktlösenden Spielregeln.6 Paradigmatisch für diesen Mangel steht der Umgang mit einem Konflikt aus der Anfangszeit des Christentums, nämlich der Auseinandersetzung zwischen Paulus und Petrus in Antiochien. 7 Weil man sich später einen Streit unter Aposteln nicht mehr vorstellen konnte, gingen sämtliche altkirchlichen Exegeten davon aus, dass dies kein wirklicher Streit gewesen sein könne. Augustinus (354–430) und Hieronymus (ca. 347–419/20) hatten darüber bekanntlich einen überaus kontroversen Briefwechsel, in dem sie sich unter anderem über die Auffassung dieses Streits faktisch selbst zerstritten haben. 8 Nicht einmal zwei so bedeutende Köpfe wussten mit einem Konflikt zwischen Aposteln etwas anzufangen. Ende des 18. Jahrhunderts hat dies wiederum einen Franziskaner namens Marcellinus Molkenbuhr (1741–1825) zu dem abenteuerlichen Unternehmen veranlasst, diesen Briefwechsel vor allem mit dem Argument als Fälschung zu erweisen, ein Streit sei dieser heiligen Väter und besonders eines Hieronymus – ausgerechnet eines Hieronymus! – unwürdig. 9 Dies letztere Aperçu mag belegen, dass die christliche Verweigerung gegenüber der Realität von Dissens und Konflikt nicht auf die Zeit der Alten Kirche beschränkt ist. Im Gegenteil: Die Unfähigkeit, Konflikte als Realität zu akzeptieren und vermittelnd mit ihnen umzugehen, hat den innerkirchlichen Umgang mit Streit und Dissens weit über die Antike hinaus belastet. Erst im 20. Jahrhundert ist hier, besonders durch die ökumenische Bewegung, eine 59

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Trendwende zu verzeichnen, die in christlicher Vermittlungstätigkeit über die Grenzen der Kirchen hinaus Früchte trägt.

3. Medien und Strategien der Vermittlung Trotz dieser Hilflosigkeit gegenüber Konflikten gab es in der Alten Kirche nun freilich doch in Einzelfällen den Versuch, in Konfliktfällen vermittelnd zu agieren. Diese Aktionen führten zwar nicht dazu, Mechanismen der Konfliktregelung zu etablieren; dafür hätte man die Vermittlung in Konfliktfällen ja als Aufgabe sui generis begreifen müssen, was jedoch aus den genannten Gründen nicht der Fall war. Gleichwohl werden in solchen Einzelfällen Strategien der Vermittlung deutlich, die in ihrem historischen Kontext mehr oder weniger erfolgreich waren, aber über den konkreten Vorfall hinaus Ansätze zu Vorgehens- und Verhaltensweisen beinhalten, die Elemente von Mediation sein können. Ich formuliere so zurückhaltend, weil es Arbeitsweisen und Befugnisse von Vermittlern und Friedensstiftern in formell institutionalisierten Mediationsprozessen in der Alten Kirche und in der gesamten Antike im präzisen Sinne nicht gegeben hat. Was es aber wohl gab, sind bestimmte Vorgehensweisen und bisweilen sogar Reflexionen über Methoden der Friedensstiftung, die für die Vermittlung in Konflikten generell von Bedeutung sein können. An drei Phänomenen, die nicht separiert je für sich stehen, sondern in der Praxis eng miteinander verschränkt waren, will ich solche Elemente aufzeigen: am altkirchlichen Synodalwesen, am altkirchlichen Briefverkehr und an der Vermittlungstätigkeit von Einzelpersonen.

3.1 Synoden Zur Regelung von Fragen, die mehrere christliche Gemeinden einer Region oder in mehreren Regionen betrafen, traf man sich zu Synoden, um, wie der griechische Name suggeriert, einen ‚gemeinsamen Weg‘ zu suchen. Die historischen Anlässe für die ersten Synoden waren im ausgehenden 2. Jahrhundert der Montanismus, eine aus Kleinasien stammende prophetische Bewegung, und der Mitte des 2. Jahrhunderts ausgebrochene Streit über den Termin des Osterfestes. 10 Die beteiligten Gemeinden wurden auf diesen Synoden in der Regel durch ihre Bischöfe (oder deren Legaten) repräsentiert (das Bischofsamt als Leitungsamt der Ortsgemeinde hatte sich Ende des 2. Jahrhunderts in allen Gemeinden durchgesetzt). Im Laufe der spätantiken Jahrhunderte gab es zahllose kleine und große Synoden, auf denen jeweils akute Fragen aus allen Bereichen der kirchlichen Lehre und Disziplin besprochen wurden. Im Verfahren orientierte man sich an den Sitzungsstandards der Zeit, wie sie in provinzialen und reichsweiten politischen Gremien üblich waren, etwa 60

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in römischen Senats- und Magistratsversammlungen.11 Das zeigt sich etwa an der karthagischen Synode vom Spätsommer des Jahres 256, von der erstmals in einem stenographischen Protokoll die Voten der 87 versammelten Bischöfe verzeichnet sind. 12 Erhaltene Akten informieren über das Verfahren zur Entscheidungsfindung: Es wurden Dokumente verlesen; es wurden die Voten der verschiedenen Parteien angehört; es wurde diskutiert; es gab spontane Äußerungen von Beifall oder Missfallen. Die Beschlussfassung erfolgte nicht durch Abstimmung mit Stimmenauszählung, sondern durch Akklamation zeichnete sich die Mehrheit ab. Die auf diesem Weg gefundenen Beschlüsse wurden schriftlich fixiert und von den Befürwortern unterschrieben. Die Unterschriftenliste der Synode von Nizäa im Jahre 325 beispielsweise ist in mehreren Übersetzungen erhalten geblieben.13 Die Beschlüsse wurden schließlich in einem Synodalschreiben brieflich allen Gemeinden mitgeteilt. Die Synode war in der Alten Kirche das Mittel der Konfliktregelung par excellence. Aufgrund ihres Verfahrens war sie dazu auch bestens geeignet. Im Idealfall fungierte sie gleichsam als ‚round table‘ für die Konfliktparteien. Die gemeinsamen Beschlüsse führten – wieder: im Idealfall – zu einer gemeinsamen Praxis und vermochten so die Einheit zu retten, die durch einen Konflikt bedroht war. 14 Ein Beispiel dafür, dass das funktionieren konnte, ist die alexandrinische Synode von 362 und der ‚Tomus ad Antiochenos‘. 15 In diesem Jahr bemühte sich der alexandrinische Bischof Athanasius (gest. 373), der als theologisch unnachgiebiger und politisch knochenharter Verfechter der Beschlüsse des Konzils von Nizäa 325 gilt, im theologischen und kirchenpolitischen Dauerzwist des 4. Jahrhunderts um eine Verständigung zwischen den verschiedenen Gruppen, die mit unterschiedlichen Akzentsetzungen und Interpretationen dem Konzil von Nizäa anhingen. Nachdem er am 21. Februar 362 aus seinem dritten Exil nach Alexandrien zurückgekehrt war, hielt er bald darauf eine Synode ab, die der Konsolidierung der Nizäner dienen sollte. In Gesprächen auf der Synode und in einem nach deren Ende tagenden Synodalausschuss suchte und fand er einen Kompromiss, den er schriftlich in einem Brief fixierte und nach Antiochien schickte (der genannte ‚Tomus ad Antiochenos‘, der nicht das offizielle Schreiben dieser Synode ist; dieses ist verloren), wo die diesbezüglichen Spannungen am gravierendsten waren.16 In diesem Brief beschrieb er den Weg, auf dem der Kompromiss zustande gekommen war. Bemerkenswert an diesem Dokument sind weniger die theologischen Aussagen, die zu jener Zeit vertretene Positionen wiedergeben und für die hier verfolgte Fragestellung unerheblich sind. 17 Was den Text zu einer kleinen „Sternstunde der Kirchengeschichte“ 18 macht, ist vielmehr das Prozedere des Athanasius, das daraus hervorgeht. Anders als in der Streitszene der Zeit sonst üblich, wurden nicht nur Statements abgegeben, die in der Sache meist vieldeutig und missverständlich waren, und wurde nicht nur polemisiert bis zur buchstäblichen Verteufelung anderer Meinungen und ihrer Vertreter, sondern wur61

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den die Anhänger zweier konträrer Meinungen befragt, wie sie denn ihre Aussagen verstehen. Sie bekamen also Gelegenheit, ihren Sprachgebrauch zu erklären und ihre Ansichten zu erläutern. Und siehe da: Plötzlich stellt man fest, dass die, die von drei Hypostasen reden, keine Tritheisten sind, sondern ein von allen Seiten geteiltes Anliegen verfolgen, nämlich an eine wirklich existierende Trinität zu glauben: „Was jene betrifft, die von einigen wegen ihrer Rede von den drei Hypostasen getadelt werden, weil diese Redeweise nicht aus der Schrift abzuleiten und allein deshalb schon verdächtig sei, so haben wir es für gut befunden, nicht mehr von ihnen zu verlangen als das Bekenntnis von Nizäa. Zur Klärung der Meinungsverschiedenheiten haben wir jedoch die Frage an sie gerichtet, ob sie das Wort Hypostase nicht vielleicht doch … so verstünden, als seien die Hypostasen … voneinander wesensverschieden und als existiere jede von ihnen für sich, von den anderen getrennt, wie es bei den übrigen Geschöpfen und bei den von Menschen Geborenen der Fall ist, ob sie sie als verschiedene Substanzen auffassten, wie zum Beispiel Gold, Silber und Bronze, oder endlich in ähnlichem Sinne von drei Hypostasen redeten, wie andere Häretiker von drei Prinzipien oder drei Göttern sprechen [das ist Polemik, denn das wollten ja alle Seiten vermeiden]. Darauf haben sie uns versichert, so hätten sie niemals geredet oder gedacht. Als wir sie dann weiter fragten: Was versteht ihr denn darunter, und weshalb verwendet ihr überhaupt diese Ausdrucksweise?, haben sie uns geantwortet: Weil sie an eine heilige Trinität glaubten, und zwar an eine nicht nur nominelle, sondern an eine wirklich existierende und subsistierende … Niemals hätten sie dagegen behauptet, dass es drei Götter oder drei Prinzipien gebe … Sie anerkennten vielmehr eine heilige Dreifaltigkeit, eine einzige Gottheit, einen einzigen Ursprung, den Sohn als mit dem Vater gleichen Wesens, wie es die Väter [des Konzils von Nizäa] formulierten, und den Geist, der weder Geschöpf noch [der Gottheit] fremd sei, sondern mit dem Wesen des Sohnes und des Vaters untrennbar zusammengehöre.“19

Diejenigen hingegen, die von nur einer Hypostase reden, sind keine Monarchianer bzw. Sabellianer, wie das Schimpfwort dafür immer lautete, sondern drückten sich so aus, weil sie den Monotheismus sicherstellen wollen, ohne wie Arius zu denken: „Nachdem wir die Interpretation dieser Leute samt der Rechtfertigung [ihrer Redeweise] akzeptiert hatten, richteten wir auch an diejenigen, die von diesen kritisiert wurden, weil sie nur von e i n e r Hypostase redeten, die Frage, ob sie dies nicht vielleicht doch im Sinne des Sabellius, also auf Kosten des Sohnes und des Heiligen Geistes [d. h. ihrer selbstständigen Existenz] verstünden … Doch auch sie beteuerten, so etwas niemals gesagt oder gedacht zu haben. Wir [sagen sie] gebrauchen das Wort Hypostase in der Annahme, dass es dasselbe ist, ob man von Hypostase oder von Wesen spricht, meinen jedoch, dass es deshalb nur e i n e Hypostase gebe, weil der Sohn aus dem Wesen des Vaters sein Sein hat und weil die Natur beider ein und dieselbe ist.“ 20

Und beide Seiten sind sich schließlich darin einig, dass Vater und Sohn wesensgleich sind, wie die einen sagen, bzw. dass der Sohn sein Sein aus dem Wesen des Vaters hat und die Natur der beiden ein und dieselbe sei, wie die 62

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anderen sagen. So ist man in der Lage, sich auf den Text von Nizäa zu einigen. 21 Beide Seiten erkennen ihre jeweiligen Interpretationen als intentional übereinstimmend an: „Nachdem alle in dieser Weise ihre Rede [von der einen bzw. von drei Hypostasen] erläutert hatten, waren alle dank der Gnade Gottes darin einig, dass der von den heiligen Vätern in Nizäa bekannte Glaube viel zutreffender und prägnanter formuliert sei und man daher besser daran täte, sich mit dem nizänischen Sprachgebrauch in Zukunft zufrieden zu geben.“ 22

Was die kirchen- und theologiepolitische Seite dieses Textes betrifft, darf man nicht übersehen, dass diese gegenseitige Akzeptanz politisch motiviert war. Zu Beginn der Alleinherrschaft Julians (361–363) betrieb Athanasius die Einigung der verbliebenen Anhänger des Nizänums gegen die am Ende der Herrschaft Konstantius’ II. (er war am 3. November 361 ums Leben gekommen) übermächtige nichtnizänische (homöische) Reichskirche. Die in Alexandrien erzielte Einigung ist sicher auch auf den beträchtlichen Druck zurückzuführen, unter den die Nizäner geraten waren, hat freilich nicht zur Kirchengemeinschaft der nizänischen Gemeinden in Antiochien geführt. Dennoch ist das, was Athanasius hier geleistet hat, bemerkenswert. Er selbst sprach nie von drei Hypostasen, auch später nicht. Gleichwohl akzeptierte er hiermit die Rede von Hypostasen im Plural. Das gelang dadurch, dass nicht einfach auf Begriffe und Formeln geschaut wurde – da wurde man sich nie einig, wie gerade die Theologiegeschichte des 4. Jahrhunderts zeigt –, sondern der rechtgläubige Gehalt der unterschiedlichen Theologien festgestellt wurde.23 Eine solche Anweisung zum Umgang mit unterschiedlichen theologischen Meinungen hat schon Origenes gegeben: „Es möge sich daher jeder, dem an der Wahrheit gelegen ist, wenig um Namen und Worte kümmern, weil ja jedes Volk seinen besonderen Sprachgebrauch hat; sondern er soll mehr das beachten, was bezeichnet wird, als die Worte, mit denen es bezeichnet wird, erst recht in so bedeutenden und schwierigen Fragen.“ 24 Es wäre manches konfliktfreier und gewaltloser verlaufen in Theologie und Kirche, hätte man diese Maxime öfter beherzigt. Zudem hat Athanasius etwas getan, was als Vermittlungsstrategie wohl nicht hoch genug einzuschätzen ist, nämlich mit den verschiedenen Parteien zu reden und sie nach ihren Anliegen und Intentionen zu fragen. So politisch und von Eigeninteressen motiviert das Vorgehen des Athanasius zweifellos war, enthält es doch ein grundlegendes Element jeder Vermittlertätigkeit. Nun würde, würden nicht die historischen Quellen das ebenfalls beweisen, die eigene Lebenserfahrung die Ahnung nahelegen, dass die Konsensfindung durch Synoden ein Ideal war. Natürlich gab es im Normalfall die Minderheit, die sich einem synodalen Beschluss nicht fügte. Der Preis dieses Verfahrens war in der Regel die Abspaltung einer Gruppierung. Entgegen dem erklärten Zweck, einen Konsens herzustellen und die Einheit zu bewahren, führten viele altkirchliche Synoden zu Kirchenspaltungen, von denen einige große bis in die 63

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Gegenwart fortbestehen (so die Spaltung in chalzedonensische und vorchalzedonensische Kirchen im Gefolge des Konzils von Chalzedon 451). Hier schlug die altkirchliche Konfliktunfähigkeit zu Buche, die dazu führte, eine von der Mehrheit abweichende Meinung zu verketzern und auszuschließen. Das eigentliche Ziel einer Synode, die Vermittlung im Konfliktfall, wurde damit nur partiell erreicht (nämlich innerhalb der Mehrheit), aber nicht generell. Ein Grundproblem dieser Art von Konfliktregelung bildete die Frage, welches Maß an Vielfalt man im Rahmen der Einheit der Kirche als zulässig erachtete. Je enger hier die Grenzen gesetzt wurden, desto unausweichlicher wurde die Spaltung. Um eben dem zu wehren, hat – eine bemerkenswerte Ausnahme – Cyprian von Karthago (gest. 257) jedem Bischof zugestanden, von einem gemeinsam gefassten Synodalbeschluss abzuweichen.25 Er sah durch solche Unterschiede die Einheit nicht bedroht. Es gibt einige wenige Stimmen aus dem Frühchristentum, die für ein ähnliches Verhältnis von Einheit und Vielfalt plädierten. In einem berühmten Ereignis haben die Bischöfe von Rom und Smyrna, Aniket (ca. 154/55–166) und Polykarp (gest. um 165), in der Mitte des 2. Jahrhunderts den zu dieser Zeit ausgebrochenen Streit um den Ostertermin beizulegen versucht: Polykarp besuchte Aniket in Rom, beide beharrten auf ihren unterschiedlichen Traditionen, und trotzdem gestattete Aniket dem Polykarp in seiner Kirche die Feier der Eucharistie; beide demonstrierten so Frieden und Gemeinschaft über ihre Differenzen hinweg: „Als der selige Polykarp unter Aniket in Rom weilte und zwischen ihnen wegen einiger anderer Fragen kleine Differenzen entstanden waren, schlossen sie sogleich Frieden. Denn in dieser wichtigsten Frage [nämlich des Friedens] kannten sie unter sich keinen Streit. Weder vermochte Aniket den Polykarp zu überreden, jenen Brauch nicht mehr festzuhalten, den dieser mit Johannes, dem Jünger unseres Herrn, und mit den übrigen Aposteln, mit denen er verkehrte, ständig beobachtet hatte; noch überredete Polykarp den Aniket, ihn zu beobachten, da dieser erklärte, er müsse an der Gewohnheit der ihm vorangegangenen Presbyter festhalten. Trotz dieser Differenzen blieben beide in Gemeinschaft. Und Aniket gestattete aus Ehrfurcht dem Polykarp in seiner Kirche die Feier der Eucharistie. Und im Frieden schieden sie voneinander. Und es hatte Frieden die ganze Kirche; sowohl die, welche es so hielten, als jene, welche es nicht so hielten.“26

Das war pragmatisch, weil sich keine Lösung abzeichnete, aber insofern wegweisend, als beide den Konflikt suspendierten, um den Frieden nicht zu gefährden – eine Art „christliche Güterabwägung“. 27 Irenäus von Lyon, der den Vorgang berichtet, konnte ihm sogar etwas Konfliktlösendes abgewinnen: „Die Verschiedenheit im Fasten [das Ende des Fastens markierte den Ostertermin] erweist die Einheit im Glauben … Niemals wurden aus solchem Grunde Leute ausgeschlossen.“ 28 Dies schrieb Irenäus in einem Brief an den Bischof von Rom Ende des 2. Jahrhunderts, Viktor (ca. 189–199), der im selben, nach wie vor nicht gelösten Konflikt um den Ostertermin zu weniger friedlichen Mitteln griff, nämlich der Androhung der Exkommunikation, um seine Position 64

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durchzusetzen, damit aber am Widerstand etlicher Bischofskollegen scheiterte. 29 Und als Mitte des 3. Jahrhunderts in einem anderen Streit, nämlich über die Anerkennung der Taufe in christlichen Gruppen, die als häretisch galten, ein weiterer römischer Bischof, Stephan I. (254–257), mit derselben Drohung agierte, erinnerte Firmilian, der Bischof von Caesarea in Kappadokien (ca. 230–268), in einem Brief an Cyprian an „die Richtschnur der Wahrheit und des Friedens (regula veritatis et pacis)“ 30 sowie daran, dass in den verschiedenen Kirchenprovinzen vieles unterschiedlich sei, „doch deswegen ist man niemals von dem Frieden und der Einheit der katholischen Kirche losgerissen worden“. 31 Irenäus und Firmilian wiesen ihre Kontrahenten darauf hin, dass nicht Drohung und Druckausübung zur Konfliktregelung beitrügen, sondern Friedfertigkeit. Der Frieden war für sie ein genauso hohes Gut wie die Wahrheit: Zur regula veritatis, der Leitoption der gesamten altkirchlichen Theologie, trat gleich wichtig die regula pacis. Vereinzelt begegnet diese Einstellung auch noch in reichskirchlicher Zeit. Der Kirchenhistoriker Sozomenus 32 kommentierte das Verhalten Anikets (den er mit Viktor verwechselte) und Polykarps in der Mitte des 5. Jahrhunderts so: „Sie hielten es mit vollem Recht für töricht, dass sich diejenigen wegen ihrer Bräuche voneinander trennen, die in den entscheidenden Dingen der Religion übereinstimmen.“ 33 Zu diesen entscheidenden Dingen gehört nach Irenäus und Firmilian nicht zuletzt Frieden im Sinne von Kirchengemeinschaft und Friedfertigkeit im Umgang miteinander. Unterschiedliche Optionen gefährden also nicht automatisch den Frieden, selbst wenn die Standpunkte unvereinbar sind. Sogar ein Augustinus konnte sich gelegentlich so äußern, und zwar in einem Brief an Hieronymus in Bezug auf voneinander abweichende Auslegungen schwieriger Bibelstellen: „Vielfalt an sich bedeutet keineswegs eine Abspaltung von der Einheit des gemeinsamen Glaubens.“ 34 Unter den seit Konstantin veränderten religionspolitischen Gegebenheiten im Römischen Reich ist eine solche Einstellung indes schwieriger geworden. Auch die theologische Denkform veränderte sich, weg vom eher akademischfrei anmutenden Stil der Frühzeit, wie ihn vor allem Origenes repräsentiert, hin zur zunehmenden dogmatischen Festlegung des christlichen Glaubens bis hinein in verbale Details. Der Dauerstreit seit dem 4. Jahrhundert über die Wahrheit führte dazu, dass zwar die regula veritatis hochgehalten wurde – in freilich auf allen Seiten parteilicher Manier –, die regula pacis indes nahezu vollkommen in Vergessenheit geriet. Anders gesagt: Die Wahrheit (des Glaubens) wurde über den Frieden (der Gemeinschaft und im Umgang miteinander) gestellt, mit der Folge, dass Friede erst gegeben war, wenn man sich über die Wahrheit geeinigt hatte. Hieronymus hat das in einem der übelsten Konflikte der Alten Kirche, im ersten origenistischen Streit, in dem er sich mit seinem Jugendfreund Rufinus von Aquileja (um 345–411/12) heillos verfeindete, auf den Punkt gebracht: „E i n Glaube sei zwischen uns, und sogleich wird der Friede folgen“ – so der letzte Satz seiner bitterbösen Invektive gegen 65

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Rufinus. 35 Das gleiche Bekenntnis war für Hieronymus die unerlässliche Voraussetzung für eine friedliche Beziehung (was zugleich Kirchengemeinschaft bedeutete). Bei einer solchen Prioritätensetzung blieb der Friede regelmäßig auf der Strecke. Ebenfalls auf der Strecke blieb in reichskirchlicher Zeit das Vermittlungsinstrument der Synode. Viele der von den Kaisern organisierten Synoden des 4. und 5. Jahrhunderts waren von vornherein parteiliche Veranstaltungen und taugten schon von ihrer Konzeption her nicht als Mittel der Konfliktlösung, als das sie ursprünglich gedacht waren. Die Konfliktregelung sah regelmäßig so aus, dass eine Seite sich durchsetzte und die unterlegene Partei verurteilt wurde (meist mit der Folge von Absetzung und Verbannung der betroffenen Bischöfe). Bisweilen waren die Konfliktparteien derart verfeindet, dass es nicht einmal zu einer gemeinsamen Sitzung kam. Berühmt-berüchtigtes Beispiel hierfür ist – neben dem gescheiterten Reichskonzil von Serdica 342, auf dem die westlichen und östlichen Bischöfe getrennt tagten – das nur aufgrund der Rezeptionsgeschichte ‚ökumenische‘ Konzil von Ephesus im Jahre 431. Faktisch haben zwei getrennt tagende Synoden stattgefunden, die jeweils streng parteilich und einander zutiefst feindlich gesinnt waren. Die Wortführer beider Versammlungen, Nestorius von Konstantinopel (gest. nach 451) und Kyrill von Alexandrien (gest. 444), verurteilten und setzten sich gegenseitig ab; der Kaiser wusste sich nicht anders zu helfen, als beide unter Hausarrest zu stellen (außerdem den Ortsbischof von Ephesus, Memnon) und die Bischöfe nach Hause zu schicken. Auf diese Weise sind Vermittlung und Einigung aussichtslos, und auch inhaltlich hat diese Synode (abgesehen von der Bestätigung des Titels ‚Gottesgebärerin‘ für Maria) kein Ergebnis erbracht. Im Gefolge dieses chaotischen Konflikts gab es aber ein Ereignis, das zu den Ausnahmen in der Streitgeschichte des Christentums gehört. Die gegenseitigen Ressentiments waren zwar ungebrochen, zugleich aber war die Unzufriedenheit mit dem Ausgang des Konzils auf beiden Seiten groß. In dieser Situation, in der auch kaiserliche Emissäre um Vermittlung bemüht waren, unternahm Johannes, der Bischof von Antiochien (gest. 441/42), Anfang des Jahres 433 seinerseits mittels eines nach Alexandrien geschickten Boten einen Vermittlungsversuch. Er schrieb Kyrill einen Brief, in dem er ausdrücklich darauf verzichtete, auf die Gründe für die Meinungsverschiedenheiten einzugehen, weil das zu nichts führe; stattdessen machte er in den strittigen theologischen, näherhin christologischen Fragen – die als solche hier nicht von Belang sind – Konzessionen an die Gegenseite. 36 Kyrill antwortete im April 433 begeistert – „Die Himmel mögen sich freuen und jauchzen die Erde“, eröffnete er seinen Brief mit einem Psalmvers (Ps. 95[96],11) – und stellte seinerseits pointierte Positionen zurück. 37 Auf diese Weise kam es zu einer immerhin vorübergehenden Verständigung, die als Einigungsformel von 433 in die Dogmengeschichte eingegangen ist. In diesem Vorgang stecken Strategien der Vermittlung: Die Bearbeitung des Konflikts wurde dadurch ermög66

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licht, dass eine Seite einen Schritt auf die Gegenseite zu tat und dabei nicht die Schuldfrage stellte. Ferner verzichteten beide Seiten darauf, ihre Positionen gegeneinander zu profilieren (was das gängige Muster in sämtlichen dogmatischen Auseinandersetzungen dieser Zeit war). „Eine Annäherung kam schließlich dadurch zustande, dass man die besonderen teilkirchlichen Traditionen, d. h. zugleich die liebgewordenen, persönlichen und gewohnten Dinge auf beiden Seiten zugunsten des verbindenden Gemeinsamen zurückstellte. Dies war innerhalb der damaligen Streitszene ein beachtlicher Sprung von beiden Seiten über den langen Schatten von Streit und Konflikt.“ 38 In der konfliktreichen Konzils- und Dogmengeschichte blieb das ein seltenes Ereignis. Meist ging es nicht um Vermittlung und Versöhnung, sondern um den Versuch, die eigene Position mit allen Mitteln durchzusetzen.

3.2 Briefe In den geschilderten Vorgängen ist schon ein weiteres Instrument greifbar geworden, das in der Alten Kirche als Medium der Vermittlung eingesetzt wurde: der Brief. Mit einem gewissen Recht könnte man das antike Christentum als ‚Religion der brieflichen Kommunikation‘ bezeichnen. Briefe sind die ältesten erhaltenen christlichen Texte (die Paulusbriefe), Briefe wurden im antiken Christentum zu abertausenden geschrieben. Die Kommunikation zwischen den christlichen Gemeinden und zwischen einzelnen Christen lief, außer über persönliche Kontakte, vor allem über das Medium des Briefes. Der intensive briefliche Austausch trug wesentlich zur Herstellung und Festigung des Zusammenhalts zwischen den wachsenden und sich mehrenden christlichen Gemeinden bei. In der spätantiken Gesellschaft wurden Briefe über ein dichtes System von Boten und Reisenden im gesamten Römischen Reich verbreitet und dienten generell als bevorzugtes Mittel, soziale Bündnisse zu begründen, zu festigen und zu demonstrieren. Die im vorigen Abschnitt herangezogenen Quellen sind zum größten Teil Briefe. In ihnen wurde über strittige Fragen diskutiert, mit ihrer Hilfe wurden Allianzen geschlossen und die sozialen Netzwerke geknüpft und gepflegt, in deren Rahmen die antike Gesellschaft agierte. Briefe dokumentierten Freundschaft wie Feindschaft 39 – antike Begriffe für soziale Beziehungen, die in den spätantiken tempora Christiana dogmatisch und ekklesiologisch definiert wurden: Bischöfe, deren Gemeinden in kirchlicher Gemeinschaft miteinander standen, schrieben sich gegenseitig Briefe, wohingegen der Abbruch der Gemeinschaft unter anderem damit dokumentiert wurde, dass man keine Briefe mehr schrieb und keine mehr annahm. In diesem Kontext fungierten Briefe auch als Medium der Konfliktregelung. Aus der riesigen Fülle der erhaltenen antiken christlichen Briefliteratur sei ein Beispiel herausgegriffen, an dem Strategien der Vermittlung studiert werden können. Als einer der wenigen Friedenssucher im Dauerstreit des 4. Jahr67

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hunderts gilt Basilius, der Bischof von Caesarea in Kappadokien (gest. um 378). 40 Zwar dachte und handelte auch Basilius auf der Basis der christlichen Verknüpfung von Rechtgläubigkeit und Freundschaft bzw. Kirchengemeinschaft und sah in Heterodoxie einen Grund, auch eine alte Freundschaft abzubrechen; so sagte er sich von seinem langjährigen Freund Euhippios los, weil dieser homöische Lehren vertrat. 41 Um die zahllosen Feindschaften, die der dogmatische Dauerstreit des 4. Jahrhunderts auf diese Weise produziert hatte – darunter auch das Zerwürfnis zwischen Basilius und seinem ehemaligen spirituellen Mentor Eustathius von Sebaste (gest. kurz vor 381) im Jahre 373 –, zu überwinden, bemühte Basilius sich aber auch um alternative Handlungsmuster. Gegen die weithin praktizierten Methoden von Polemik und Denunziation, Bedrohung und Verurteilung setzte er sich dezidiert für Frieden und Versöhnung ein, denn, so schrieb er in einem Brief, „nichts ist für den Christen so bezeichnend wie das Friedenstiften“. 42 Auf der Basis dieser Maxime suchte er Brücken zur Verständigung mit seinen theologischen Gegnern. So formulierte er in demselben Brief, in dem er die Aufkündigung der Freundschaft mit Euhippios erwähnte, folgende Leitidee und Handlungsmaxime: „Indes halte ich es aber nicht für richtig, dass man sich von denen, die das Glaubensbekenntnis nicht akzeptieren, so ohne weiteres trennt. Sondern man soll sich nach den alten Vorschriften der Liebe etwas um diese Männer bemühen und ihnen aus aufrichtiger Gesinnung heraus alle mitfühlende Ermahnung zuschicken, ihnen das Glaubensbekenntnis der Väter vorlegen und sie dann zum Anschluss auffordern. Wenn wir sie überzeugen, dann verbinden wir uns gemeinsam mit ihnen; fordern wir sie aber vergeblich auf, dann genügt uns die Gemeinschaft untereinander.“ 43

Mit der „Liebe“, an deren „alte Vorschriften“ Basilius seinen Adressaten Eusebius, den Bischof von Samosata, hier erinnerte, ist im antiken christlichen Sprachgebrauch die kirchliche Gemeinschaft gemeint. In dieser Maxime steckt das altkirchliche Geschichtsbild der Einheit des Ursprungs und der daran gemessenen Depravierung der friedlosen Gegenwart, von der die Konfliktunfähigkeit der Alten Kirche wesentlich bedingt wurde. In den zahllosen Klagen des Basilius über den Zustand der Kirche seiner Zeit kommt dies ständig zum Ausdruck. 44 Mit dem daraus entspringenden Mechanismus von Entzweiung und Spaltung wollte er sich jedoch nicht so einfach abfinden. Im zitierten Passus sprach er sich gegen die Leichtfertigkeit aus, mit der die kirchliche Gemeinschaft aufs Spiel gesetzt wurde, und gewann aus den „alten Vorschriften der Liebe“ ein Motivationspotential, um dem entgegenzusteuern. In diesem Sinne hat er sich in der kirchlichen Streitszene seiner Zeit des Öfteren engagiert. In Tarsus beispielsweise hatte die Einsetzung eines neuen Bischofs zum Bruch in der Gemeinde geführt. 45 Basilius versuchte zu vermitteln, indem er je einen Brief an beide Parteien schrieb, an die Presbyter, die offenbar der Minderheit vorstanden, und an den Bischof, der die Mehrheit der Gemeinde 68

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hinter sich hatte. Die Presbyter forderte er auf, auf Maximalforderungen zu verzichten und von der Mehrheit nicht eine Leistung zu verlangen, die sie nicht erbringen konnte, nämlich die Unterschrift unter eine dogmatische Formel, die sie ablehnte, auch wenn die Minderheit von der Richtigkeit ihrer theologischen Position überzeugt sein durfte; Basilius meinte dagegen: „Eine Vereinigung aber würde zustandekommen, wenn wir uns in den Punkten, in denen wir den Seelen nicht schaden, den Schwächeren anpassen“. 46 Der inhaltliche Dissens wird hier nicht verschwiegen, aber auch nicht an die erste Stelle gerückt. Basilius plädierte für Nachsicht und Kompromissbereitschaft gerade mit Partnern, wie man in diesem Fall wohl besser sagt als Gegner, deren Standpunkt er theologisch nicht teilte. Der Weg zum Frieden und zur Eintracht führte seiner Ansicht nach nicht über die Einigung auf eine doch wieder konfliktträchtige Formel, sondern über das Zusammenleben: „Darüber hinaus bitte ich Euch nichts zu verlangen. Denn ich bin überzeugt, dass bei längerem gemeinschaftlichem Zusammenleben und bei gemeinsamer friedlicher Übung … der Herr … geben wird“, was für die Klärung der strittigen Fragen noch notwendig sein sollte. 47 Basilius verlangte den Konsens also nicht vorweg als Bedingung für die Gemeinschaft, sondern erhoffte ihn als Frucht derselben. Aus einer solchen Einstellung heraus sollte sich die Minderheit nicht abspalten, sondern der Autorität des Bischofs unterstellen. Diesen forderte Basilius parallel dazu auf, der Minderheit in diesem Bemühen entgegenzukommen, und erinnerte ihn an das (oben zitierte) Friedenstiften als Hauptmerkmal eines Christen. 48 Basilius agierte hier gewiss nicht uneigennützig, denn die Minderheit in der Gemeinde von Tarsus verfocht die theologische Meinung, für die er auch eintrat. Mit seinem Vermittlungsversuch wollte er das endgültige Abdriften des Bischofs, dessen Wahl nicht in seinem Sinne gewesen war, mit der Mehrheit in das gegnerische Lager verhindern. In seinem Plädoyer dafür, das Zusammenleben nicht so schnell aufzugeben, steckt aber auch eine durchaus realistische Strategie dafür, wie sich in einer extrem streitsüchtigen Szene das Entstehen von immer neuen Spaltungen verhindern lassen könnte. Die Enttäuschungen durch die friedlose Realität blieben nicht aus. Sein Werben beispielsweise im Jahre 375 um die Presbyter in Neocaesarea, mit deren Bischof er offensichtlich nicht verkehrte, 49 die Gemeinschaft mit ihm, Basilius, wieder aufzunehmen,50 blieb unbeantwortet. Mochte sein Brief auch in diesem Fall kirchenpolitisch motiviert gewesen sein, war das für ihn doch deprimierend. Monatelang rührte er sich seinerseits nicht, dann schrieb er im folgenden Jahr doch: „Die Einmütigkeit im Hass gegen uns und die Tatsache, dass alle bis auf den letzten Mann dem Anführer [wohl dem Bischof von Neocaesarea] in diesem Kampf gegen uns folgen, brachten mich dazu, ebenfalls allen gegenüber zu schweigen und weder mit einem Freundschaftsbrief noch mit sonstwelchem Verkehr den Anfang zu machen, sondern meinen Kummer still in mich hineinzufressen“. 51 „Das ist die altkirchliche Klage eines Bischofs, der vor einer Wand von Unfähigkeit steht, einen Konflikt beizulegen“. 52 Gegen 69

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das Misstrauen, das ihm auf seiner Reise im Frühsommer 376 nach Pontus, wo Neocaesarea lag, entgegenschlug, vermochte er mit diesen Briefen nichts auszurichten.53 Eines Tages trat freilich auch der umgekehrte Fall ein: Ein Bischof, wahrscheinlich Sympius, der Bischof von Seleukia in Isaurien, mit dem Basilius früher Gemeinschaft gehabt hatte, die dann aber abgerissen war, schrieb ihm „einen Ergebenheit und Verbundenheit ausdrückenden Brief“ 54 und tat damit den ersten Schritt auf den Anderen zu, ohne den es keine Versöhnung gibt. Basilius reagierte überrascht – und begeistert. Sein Antwortschreiben, das er Sympius über einen Dritten (Amphilochius von Ikonium) zustellen ließ, ist ein Dokument seiner Versöhnlichkeit und Friedensbereitschaft: „Als wir das Schreiben Deiner Frömmigkeit bekamen, waren wir Gott sehr dankbar, weil wir in den Worten des Briefes Spuren alter Liebe fanden. Du hast nicht nach Art der meisten reagiert und rechthaberisch darauf beharrt, das freundschaftliche Gespräch nicht von Dir aus zu eröffnen. Sondern weil Du gelernt hast, welch großer Segen den Heiligen aus der Demut erwächst, darum hast Du es unternommen, durch Zurücktreten auf den zweiten Platz vor uns zu erscheinen. Und dies ist ja die Regel, wie man unter Christen siegt: Wer sich mit weniger begnügt, der erhält den Kranz. Damit wir nun hinter diesem guten Eifer nicht zurückbleiben, antworten wir jetzt Deiner Ehrwürden und beweisen unseren guten Willen. Weil durch Gottes Gnade unsere Übereinstimmung im Glauben fest besteht, hindert uns nichts weiter, ‚ein Leib und ein Geist zu sein, wie wir in einer Hoffnung durch die Berufung berufen wurden‘ [Eph. 4,4]. An Deiner Liebe ist es nun, dem guten Anfang auch eine Fortsetzung zu geben: die Gleichgesinnten um Dich zu scharen und Zeit und Ort für eine Zusammenkunft bekanntzugeben, damit wir so, indem wir durch Gottes Gnade einander akzeptieren, die Kirchen in der alten Form der Liebe verwalten, die Brüder der jeweils anderen Seite als Glieder der eigenen Kirche behandeln, zu ihnen wie zu Verwandten hinschicken und uns wiederum wie von Verwandten aufnehmen lassen. Denn dies war einst der Ruhm der Kirche, dass von einem Ende der Welt zum anderen die Brüder aus jeder Gemeinde, mit kurzen Erkennungsschreiben versehen, überall Väter und Brüder fanden. Das hat uns jetzt der Feind der Kirchen Christi [gemeint ist der Teufel] unter anderem geraubt, so dass wir uns Stadt für Stadt isolieren und alle unsere Nächsten argwöhnisch betrachten. Was ist das anderes, als dass wir in der Liebe erkaltet sind [vgl. Mt. 24,12], durch die allein, wie unser Herr sagte [Joh. 13,35], seine Jünger gekennzeichnet werden? Wenn es Euch nötig scheint, so stimmt Euch zuvor untereinander ab, damit wir wissen, wem unsere Übereinstimmung gelten soll. Und wenn wir dann aufgrund gegenseitiger Übereinkunft einen für beide Seiten annehmbaren Ort und eine zum Reisen passende Zeit ausgewählt haben, wollen wir miteinander zusammentreffen, und der Herr wird uns gut führen. Mögest Du gesund bleiben, fröhlich im Herrn sein, für mich beten und mir durch die Freundlichkeit des Heiligen erhalten bleiben.“55

Auch dieser Text ist nicht frei von kirchenpolitischem Hintersinn, denn Basilius betrieb unter anderem damit die Koalition der Anhänger des Nizänums in Kleinasien. 56 Gleichwohl enthält er Schritte zur Versöhnung, die man als Elemente von Vermittlung begreifen kann: Über den Konflikt hinweg auf die „alte 70

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Liebe“ zurückgreifen, d. h. auf den früheren Konsens, sofern es diesen gab und sich noch „Spuren“ davon erhalten haben; 57 selbst das versöhnliche Gespräch eröffnen und das nicht zur Pflicht des Anderen machen; auf ein solches Gesprächsangebot eingehen und sich gegenseitig als Gesprächspartner akzeptieren; den Worten Taten folgen lassen, im Text: „Zeit und Ort für eine Zusammenkunft“ vereinbaren, also Frieden konkret organisieren. Der schwierigste Schritt ist vielleicht der erste: das Nachgeben und den ersten Schritt tun. Aber genau das ist für Basilius „die Regel, wie man unter Christen siegt: Wer sich mit weniger begnügt, der erhält den Kranz“. Basilius hat zu aktiver Friedenssuche aufgerufen, sich selbst dafür engagiert und dabei einige bedenkenswerte Grundsätze formuliert. Sehr erfolgreich ist er in seiner Zeit damit allerdings nicht gewesen.

3.3 Einzelpersonen Neben der Vermittlertätigkeit durch Briefe gab es auch das Phänomen, dass einzelne Personen als Vermittler in Konflikten beigezogen wurden. Ich demonstriere das an einem Mann, von dem man es wohl am allerwenigsten erwarten würde: Theophilus, der Bischof von Alexandrien (385–412), gilt als eine der unrühmlichsten Personen der Alten Kirche. Am meisten in Erinnerung geblieben ist er als Zerstörer des Serapeions in Alexandrien, die wohl Anfang des Jahres 392 stattfand, 58 und als Gegner des Johannes Chrysostomus, zu dessen Absetzung und Exilierung er maßgeblich beigetragen hat 59 – also ein nachgerade abschreckendes Beispiel für die üblen Umgangsformen in den sowohl innerchristlichen als auch christlich-heidnischen Auseinandersetzungen der Spätantike. Eben dieser Theophilus ist mit wechselndem Erfolg in diversen Konflikten als Vermittler tätig gewesen. 60 Die Vorgänge zeigen einerseits, wie eng sein Agieren mit den Vermittlungsmedien der Synode und des Briefes verknüpft war. Andererseits wird deutlich, dass es zwar diese Instrumente, aber keine Verfahrensregeln gab, auf die alle Beteiligten hätten verpflichtet werden können. Der erste Konflikt, zu dessen Beilegung Theophilus beigezogen wurde, war das Antiochenische Schisma. 61 Die seit dem Ende der 320er Jahre existierende Spaltung der christlichen Gemeinde von Antiochien in zeitweise bis zu fünf Parteien mit je einem Bischof währte Jahrzehnte lang (bis 415 und in Ausläufern darüber hinaus) und hatte sich als nahezu unlösbar erwiesen, weshalb der Kaiser sich zum Eingreifen entschloss. Nachdem eine von Theodosius I. im Jahre 391 nach Capua in Italien einberufene Synode jedoch gescheitert war, weil einer der beiden konkurrierenden Bischöfe seine Teilnahme verweigert hatte, 62 wurde Theophilus als ranghöchster, nicht unmittelbar in den Konflikt involvierter Bischof mit der Organisation einer neuen Synode beauftragt. 63 Er berief eine solche nach Alexandrien ein, doch verweigerte derselbe Bischof, Flavian, erneut seine Teilnahme und appellierte statt dessen an den Kaiser. 71

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Dieser berief im Jahre 393 eine weitere Synode nach Caesarea in Palästina ein, der Theophilus vorsitzen sollte. Dieser lehnte jedoch ab, weil ihn die Auseinandersetzungen zwischen Christen und Heiden in Alexandrien, die sich in diesen Jahren auf einem Höhepunkt befanden, am Verlassen seiner Bischofsstadt hinderten. 64 Die ganze Episode demonstriert die Vergeblichkeit von Vermittlungsversuchen in festgefahrenen Konflikten. Erfolgreicher war die Vermittlungstätigkeit des Theophilus in einem anderen schon länger andauernden Schisma. 65 Etwa im Jahre 380 war der Bischof von Bostra in Arabien, Bagadius, abgesetzt und durch einen Mann namens Agapius ersetzt worden. Bagadius appellierte gegen seine Amtsenthebung an das Konzil, das 381 in Konstantinopel stattfand, doch obwohl der Vorsitzende des Konzils nach dem Tod des Meletius, Gregor von Nyssa (gest. nach 394), in dieser Angelegenheit sogar nach Bostra reiste, ließ sich der Konflikt nicht lösen, weil der neue Bischof, Agapius, weiter von den Bischöfen gestützt wurde, die ihn ins Amt gebracht hatten, darunter der Bischof von Jerusalem, Kyrill (gest. 386/87). Weil Antiochien als kirchlicher Vorort im Osten durch das dortige Schisma paralysiert war, wandten die beiden Kontrahenten sich nach Rom an Bischof Siricius (384–399), der sie jedoch an Theophilus verwies; in Briefen forderte er diesen auf, den Fall zu entscheiden. Bagadius und Agapius trafen jedoch just in dem Moment in Alexandrien ein, als Theophilus zur Einweihung der neuen Apostelkirche bei Chalzedon eine Einladung nach Konstantinopel erhalten hatte, die er nicht ausschlagen konnte. Der Fall wurde daher nach Konstantinopel transferiert, wo sich nach der Einweihung der Kirche im September 394 die anwesenden Bischöfe zu einer Synode versammelten, auf welcher der Konflikt in Bostra verhandelt wurde. Der Synodalbeschluss ist nicht erhalten, scheint aber zugunsten des abgesetzten Bischofs Bagadius ausgefallen zu sein. Aus einer Stellungnahme des Theophilus geht hervor, dass er offenbar klug agiert und seine Bischofskollegen durch seine juristischen Fähigkeiten und sein reifes Urteil beeindruckt hat. Vielleicht qualifizierte dieser Erfolg Theophilus als Vermittler in einem weiteren Fall, der sich allerdings zu einer der heftigsten Kontroversen der Alten Kirche entwickelte und mit seinem regelrecht anarchischen Ablauf und dem intransigenten Verhalten aller am Konflikt Beteiligten jegliche Vermittlungsbemühungen zum Scheitern verurteilte. Im theologischen Zentrum dieses Konfliktes stand der sich verschärfende Streit über die Orthodoxie der Theologie des Origenes, 66 der die Christen in Palästina in zwei Lager spaltete. Den knalligen Auftakt lieferte Epiphanius, der Bischof von Salamis (Constantia) auf Zypern (366–403), ein alter Gegner des Origenes: Als er im September 393 in Jerusalem zu Besuch war, um am jährlichen Kirchweihfest der Auferstehungskirche teilzunehmen, lud Johannes, der Jerusalemer Bischof (387–417) und Anhänger des Origenes, ihn zum Predigen ein. Epiphanius missbrauchte die Gelegenheit zu einer Attacke gegen Origenes, woraufhin Johannes ihn jedoch öffentlich zurechtwies 67 – zwei Bischöfe geraten am Festtag vor der ver72

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sammelten Gemeinde aneinander! Die Beziehung zwischen den beiden verschlechterte sich noch weiter, als Epiphanius im Sommer des folgenden Jahres den Bruder des Hieronymus, Paulinianus, für dessen Kloster in Bethlehem zum Priester weihte, ohne die Zustimmung des Johannes einzuholen, in dessen Jurisdiktionsbereich Bethlehem lag. 68 Das war ein klarer Verstoß gegen die kirchlichen Canones und eine offene Missachtung des Johannes, dessen schriftlicher Protest aber nur zu einer Vertiefung des Risses führte. Hieronymus heizte den Konflikt zusätzlich an, indem er ein flammendes Pamphlet, in dem Epiphanius Johannes als Häretiker bezichtigte, auf Bitten eines des Griechischen unkundigen Mönches des Klosters zu Bethlehem in das Lateinische übersetzte und verbreitete. 69 Johannes exkommunizierte daraufhin Hieronymus mitsamt seinen Mönchen und erwirkte im Herbst 395 in Konstantinopel ihre Verbannung aus Palästina, 70 die nur deswegen nicht exekutiert wurde, weil der zuständige Präfekt, Flavius Rufinus, kurz darauf ermordet wurde.71 Nachdem ein Vermittlungsversuch eines kaiserlichen Beamten, des Comes Archelaus, im Frühjahr 396 zu nichts geführt hatte, 72 wandte Johannes sich an den Bischof von Alexandrien. Theophilus galt zu dieser Zeit als führender Bischof in den Kirchen der östlichen Reichshälfte 73 und war schon mit einigem Erfolg als Vermittler tätig gewesen. Da Johannes mit dem Metropoliten von Palästina, dem Bischof von Caesarea, rivalisierte und seine Bischofsstadt Jerusalem als ‚Mutter aller Kirchen‘ einen besonderen Rang beanspruchte, lag es für Johannes nahe, sich an Theophilus zu wenden. Dieser schickte im Juni 396 einen engen Vertrauten, den Presbyter Isidor, nach Jerusalem. Isidor war schon öfter in diplomatischen Missionen für Theophilus unterwegs gewesen und ein erfahrener Unterhändler. In diesem Fall jedoch erlebte oder besser gesagt: produzierte er ein Desaster. Den Keim seines Scheiterns hat er dadurch selbst gelegt, dass er von Anfang an nicht als neutraler Vermittler auftrat, sondern Partei ergriff. Schon im April 396 hatte Isidor nämlich Johannes (oder Rufinus von Aquileja, der in Jerusalem Johannes unterstützte und seit seiner Alexandriner Zeit ein Freund Isidors war) einen Brief geschrieben, in dem er ihm seine Unterstützung zusicherte und die vollständige Vernichtung seiner Gegner in Aussicht stellte. 74 Da wird einmal mehr die altkirchliche Konfliktunfähigkeit sichtbar, die Konflikte nur in den Schemata von Freund und Feind, von Siegern und Besiegten zu deklinieren vermochte und konfliktlösendes vermittelndes Handeln gar nicht im Blick hatte. Zu allem Überfluss fiel dieser Brief einem Freund des Hieronymus, dem Priester Vincentius, in die Hände, 75 womit die Vermittlungsmission Isidors sabotiert war, ehe sie begonnen hatte. Es ist hier nicht nötig, en détail auf die weiteren Verwicklungen einzugehen; 76 alle Vermittlungsbemühungen Isidors waren erfolglos. Eine weitere Wendung des Konflikts, der noch über Jahre hinaus andauerte und nur Verfeindungen produzierte, ist allerdings noch interessant, weil sie ein recht eigenartiges Vorgehen des Vermittlers Theophilus zeigt. Isidor hatte das 73

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Ergebnis seiner Mission in einem Bericht an Johannes so dargestellt, als habe er die Versöhnung zwischen Hieronymus und Johannes erreicht und als habe Hieronymus bezüglich der Priesterweihe des Paulinianus einen Fehler zugegeben. 77 Diesen Bericht fügte Johannes in einen Brief an Theophilus ein, 78 der unglücklicherweise wiederum dem Hieronymus in die Hände fiel. Hieronymus reagierte verständlicherweise heftig erbost auf Isidors Darstellung. 79 Theophilus hingegen scheint Isidors Version der Vorgänge akzeptiert zu haben; jedenfalls ignorierte er die Briefe, die Hieronymus zu dieser Zeit an ihn schrieb. 80 Einige Zeit später allerdings schrieb Theophilus von sich aus an Hieronymus und drängte ihn zur Versöhnung mit seinem Bischof. Hieronymus, rücksichtslos stets auf die Wahrung seiner eigenen Orthodoxie bedacht, fiel sofort um und fügte sich regelrecht schmeichlerisch den Wünschen des Bischofs; 81 zwar warf er Johannes weiterhin vor, ihn ungerecht behandelt zu haben, war aber zu einer Aussöhnung bereit, die zu Ostern 397 in Jerusalem tatsächlich, zumindest oberflächlich, zustande kam. Theophilus hatte in seinem Brief an Hieronymus offenbar den richtigen Ton getroffen und konnte sich als erfolgreicher Vermittler präsentieren. Erinnert man sich jedoch an die anfängliche Unterstützung, die Isidor schwerlich ohne Wissen des Theophilus Johannes von Jerusalem (oder Rufinus von Aquileja) zugesichert hatte, 82 bemerkt man den Schwenk, den Theophilus mittlerweile vollzogen hatte. Dahinter standen Eigeninteressen, die der alexandrinische Bischof gegen Anhänger des Origenes in Ägypten verfolgte. Auch in Palästina suchte er daher jetzt den Schulterschluss mit den Gegnern des Origenes, vor allem Hieronymus, der das böse Spiel bereitwillig mitmachte und die antiorigenistischen Osterfestbriefe des Theophilus der Jahre 401, 402 und 404 sowie einen Traktat gegen Origenes in das Lateinische übersetzte und verbreitete. 83 Genauso überraschend, wie Theophilus sich damit auf die Seite der Origenesgegner schlug, genauso schnell hat er danach jedoch das Interesse an der Bekämpfung des Origenes wieder verloren, was schon Zeitgenossen aufgefallen ist. 84 Dieses Taktieren demonstriert die Parteilichkeit des Theophilus. Er ist als Vermittler in diesen Streit involviert worden und hat sich den Anschein gegeben, als solcher aufzutreten. In Wirklichkeit jedoch war er von Anfang an Partei und behielt auch in seiner Rolle als Vermittler seine Interessen im Auge.

4. Fazit: Fehlanzeigen und Optionen Aus allen besprochenen Beispielen wird deutlich, weshalb es in der Alten Kirche Mediation im technischen Sinne des Wortes nicht gegeben hat. Die geschilderten Vorgänge und Elemente von Vermittlung und Friedensstiftung unterscheiden sich vor allem in zwei Punkten von Mediation: Zum einen gab es keine institutionalisierten Regeln, weder für die Vermittler noch für die Konfliktparteien, auf die man sich geeinigt hätte oder an die man sich gebunden 74

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gefühlt hätte. Die synodalen Verfahren und der briefliche Verkehr enthalten allenfalls Ansätze für eine solche Formalisierung. Was Friedensstifter wie Basilius angemahnt haben, sind allgemeine Grundsätze, die zwar für die Etablierung einer gewaltlosen Streitkultur bedenkenswert sind, aber in der Antike nicht in einem Regelwerk operationalisiert worden sind. Zum anderen, eng damit verknüpft, treffen wir in den geschilderten Vorgängen kein einziges Mal auf neutrale Dritte als Vermittler, wie sie für Mediation als Verfahren der Konfliktlösung konstitutiv sind. Um Friedensstiftung bemühte Personen waren jeweils Partei. Mediatoren im neuzeitlichen Sinn konnten sie damit gar nicht sein. Sie hatten jeweils eigene Interessen in den Konflikten, in denen sie deeskalierend zu agieren versuchten. Diese Interessen beeinflussten unvermeidlich ihr Handeln und beeinträchtigten ihre Erfolgsaussichten. Diese Fehlanzeigen sollten freilich die Elemente von Vermittlung und Friedensstiftung, die in den antiken christlichen Quellen zu eruieren sind, nicht übersehen lassen, mögen diese auch noch so spärlich sein. Auch wenn die Eigeninteressen die versöhnlichen Worte der Vermittler und ihr Tun beeinträchtigen, diskreditieren sie doch nicht gänzlich die Optionen von Deeskalation, Gewaltlosigkeit und Friedensstiftung und den für das Zusammenleben unerlässlichen Willen zur friedlichen Verständigung im Konfliktfall, die sie geltend machten. Ohne diese Grundhaltung bei allen an einem Konflikt beteiligten Parteien können auch ausgereifte Techniken der Mediation nicht oder kaum mit Aussicht auf Erfolg praktiziert werden. In diesem Sinne trifft sich das Ergebnis dieser Recherche im spätantiken Christentum mit einer Überlegung von Walter Benjamin darüber, ob und wie die gewaltlose Beilegung von Konflikten überhaupt möglich sei. Sie sei zum Abschluss zitiert, um zum Weiterdenken anzuregen: „Ist überhaupt gewaltlose Beilegung von Konflikten möglich? Ohne Zweifel. Die Verhältnisse zwischen Privatpersonen sind voll von Beispielen dafür. Gewaltlose Einigung findet sich überall, wo die Kultur des Herzens den Menschen reine Mittel der Übereinkunft an die Hand gegeben hat. Den rechtmäßigen und rechtswidrigen Mitteln aller Art, die doch samt und sonders Gewalt sind, dürfen nämlich als reine Mittel die gewaltlosen gegenübergestellt werden. Herzenshöflichkeit, Neigung, Friedensliebe, Vertrauen und was sich sonst hier noch nennen ließe, sind deren subjektive Voraussetzung.“ 85

Anmerkungen 1 Vgl. Norbert Brox, Konflikt und Konsens. Bewältigung von Meinungsverschiedenheiten in der Alten Kirche, in: Wolfgang Beinert (Hg.), Kirche zwischen Konflikt und Konsens. Versöhnung als Lebensvollzug der Glaubensgemeinschaft, Regensburg 1989, S. 63–83, hier S. 63; erneut in: Religionsunterricht an höheren Schulen 35, 1992, S. 219– 230. 2 Vgl. Origenes, Cels. III 11 (GCS Orig. 1, 211). 3 Vgl. Sokrates Scholasticus, hist. eccl. V 22,65 (GCS N.F. 1, 303).

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Alfons Fürst 4 Vgl. beispielsweise Irenäus, haer. III 4,3 (FC 8/3, 42): Die Gnostiker „sind alle viel später, nämlich erst in den mittleren Zeiten der Kirche, mit ihrer Apostasie aufgetreten“; Übersetzung: Norbert Brox, Fontes Christiani 8/2, Freiburg u. a. 1995, S. 43. Vgl. ebd. V 20,1 (FC 8/5, 156). 5 Ambrosius, epist. extr. coll. 9(13),1 (CSEL 82/3, 201). 6 Vgl. Brox, Konflikt (wie Anm. 1), S. 67 f. 7 Vgl. Paulus, Gal. 2,11–14 (p. 495 Nestle – Aland27 ). 8 Siehe dazu ausführlich Alfons Fürst, Augustins Briefwechsel mit Hieronymus (Jahrbuch für Antike und Christentum. Erg.-Bd. 29), Münster 1999, S. 1–87 (mit umfassendem Literaturverzeichnis); Ausgabe der Korrespondenz: Augustinus – Hieronymus, Epistulae mutuae. Briefwechsel, übersetzt und eingeleitet von Alfons Fürst, 2 Bde. (Fontes Christiani 41/1–2), Turnhout 2002. 9 Marcellinus Molkenbuhr, Dissertatio critica 19/1 de altercationibus et mutuis epistolis Ss. Hieronymum inter et Augustinum: an S. Paulus s. Petrum serio vel simulatorie reprehenderit Gal. 2, Münster 1796. Siehe dazu Fürst, Augustins Briefwechsel (wie Anm. 8), S. 246. 10 Zu den Synoden des 2./3. Jahrhunderts gegen den Montanismus und im Osterfeststreit siehe Joseph A. Fischer – Adolf Lumpe, Die Synoden von den Anfängen bis zum Vorabend des Nicaenums, Paderborn u. a. 1997, S. 23–59 bzw. S. 60–87. 11 Siehe Hermann Josef Sieben, Die Konzilsidee der Alten Kirche, Paderborn u. a. 1979, S. 466–510. 12 Diese sententiae episcoporum LXXXVII sind unter den Schriften Cyprians überliefert (CSEL 3/1, 435–461). Neuedition: Hans von Soden, Sententiae LXXXVII episcoporum. Das Protokoll der Synode von Karthago am 1. September 256, textkritisch hergestellt und überlieferungsgeschichtlich untersucht, in: Nachrichten von der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Phil.-hist. Klasse, Berlin 1909, S. 247–307 (Text: ebd. S. 247–277). Siehe dazu Sieben, Konzilsidee (wie Anm. 11), S. 476–482; Fischer – Lumpe, Synoden (wie Anm. 10), S. 264–307, bes. S. 296. 13 Ausgabe: Patrum Nicaenorum nomina Latine, Graece, Coptice, Syriace, Arabice, Armeniace, hg. von Heinrich Gelzer – Heinrich Hilgenfeld – Otto Cuntz, ND der 1. Auflage (1898) mit einem Nachwort von Christoph Markschies, Stuttgart – Leipzig 1995. 14 Tertullian, ieiun. 13,6 (CChr.SL 2, 1272), hat diese Konzilsidee so formuliert: „Außerdem werden in den griechischen Ländern an bestimmten Orten jene Versammlungen aus allen Kirchen, die man Konzilien (concilia) nennt, abgehalten, durch welche alle wichtigen Dinge gemeinschaftlich verhandelt werden, und worin auch eine Repräsentation der gesamten Christenheit in ehrfurchtgebietender Weise gefeiert wird. Und wie angemessen ist dies, sich aus Anlass des Glaubens von allen Seiten um Christus zusammenzuscharen! Siehe, ‚wie schön und lieblich ist es, wenn die Brüder einmütig zusammenwohnen‘ (Ps. 132[133],1).“ Übersetzung: Sieben, Konzilsidee (wie Anm. 11), S. 467. 15 Dazu ausführlich Changseon Yeum, Die Synode von Alexandrien (362). Die dogmengeschichtliche und kirchenpolitische Bedeutung für die Kirche im 4. Jahrhundert (Studien zur Orientalischen Kirchengeschichte 34), Münster 2005 (eine Dissertation von mäßiger Qualität), und neuerdings Thomas R. Karmann, Meletius von Antiochien. Studien zur Geschichte des trinitätstheologischen Streits in den Jahren 360–364 n. Chr. (Regensburger Studien zur Theologie 68), Frankfurt a. M. u. a. 2009, S. 168–305 (eine ausgezeichnete Dissertation). Zum kirchen- und theologiepolitischen Kontext siehe etwa Franz Dünzl, Kleine Geschichte des trinitarischen Dogmas in der Alten Kirche, Freiburg u. a. 2006, S. 112–116. In der alten Darstellung von Ignacio Ortiz de Urbina, Nizäa und

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Gewaltlose Konfliktregelung in der Alten Kirche Konstantinopel (Geschichte der ökumenischen Konzilien 1), Mainz 1964, S. 163 f., dominiert der kriegerische Stil der Dogmengeschichtsschreibung, wenn beispielsweise von „Waffenstillstand“ und „geschlossener Front“ die Rede ist. 16 Text: Athanasius, Werke II. Die Apologien, hg. von Hans-Georg Opitz (†) – Hanns Christof Brennecke u. a., Berlin – New York 2006, S. 340–351; Übersetzungen: Ortiz de Urbina, Nizäa (wie Anm. 15), S. 297–303; Yeum, Synode (wie Anm. 15), S. 32– 46; Karmann, Meletius (wie Anm. 15), S. 477–483. 17 Siehe dazu neuerdings Peter Gemeinhardt, Der Tomus ad Antiochenos (362) und die Vielfalt orthodoxer Theologien im 4. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 117, 2006, S. 169–196. 18 So im Kontext des Dauerstreits zu Recht Dünzl, Trinitarisches Dogma (wie Anm. 15), S. 116, zu Unrecht als „übertrieben“ kritisiert von Gemeinhardt, Tomus (wie Anm. 17), S. 196. Wahrscheinlich hat schon Gregor von Nazianz, orat. 21,35 (SC 270, 184– 187), in einem Enkomion auf Athanasius dessen Vorgehen als seine bewundernswerteste Tat gepriesen: Karmann, Meletius (wie Anm. 15), S. 180 f., mit überzeugenden Argumenten dafür (ebd. S. 181, Anm. 92), dass sich dieser Passus auf die Synode von Alexandrien 362 bezieht. Ders., ebd. S. 249 f., wertet die im Folgenden zitierten Passagen als „ein herausragendes Beispiel für theologische Toleranz in der frühen Kirche“ und „ein seltenes Zeugnis theologischer Liberalität“. 19 Athanasius, tom. ad Ant. 5,3 f. (Werke II p. 344 f. Opitz – Brennecke). 20 Ebd. 6,1 f. (II p. 345 f.). 21 Siehe dazu Yeum, Synode (wie Anm. 15), S. 73–78, 98–100; Gemeinhardt, Tomus (wie Anm. 17), S. 176–184. Karmann, Meletius (wie Anm. 15), S. 250, weist zu Recht darauf hin, dass „das Reden von einer oder drei Hypostasen … mit Verweis auf die völlige Suffizienz des Symbols von 325 letztlich einfach beiseite geschoben“ wird. 22 Athanasius, tom. ad Ant. 6,4 (Werke II p. 346 Opitz – Brennecke); Übersetzung: Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen I. Alte Kirche, ausgewählt, übersetzt und kommentiert von Adolf Martin Ritter, Neukirchen-Vluyn 6 1994, S. 165 f. 23 Gemeinhardt, Tomus (wie Anm. 17), S. 171, sieht die Pointe des Textes darin, dass er „mindestens implizit … eine Pluralität orthodoxer Theologien als möglich und gegeben voraussetzt“; vgl. ebd. S. 194 f. Hinsichtlich unterschiedlicher christologischer Begrifflichkeiten, die in tom. ad Ant. 7,1–3 (Werke II p. 346 f. Opitz – Brennecke) erörtert werden, scheint man ähnlich vorgegangen zu sein: Karmann, Meletius (wie Anm. 15), S. 251–270. 24 Origenes, princ. IV 3,15 (GCS Orig. 5, 347); Übersetzung: Origenes, Vier Bücher von den Prinzipien, herausgegeben, übersetzt, mit kritischen und erläuternden Anmerkungen versehen von Herwig Görgemanns – Heinrich Karpp (Texte zur Forschung 24), Darmstadt 3 1992, S. 779. 25 Vgl. Cyprian, epist. 55,21 (CSEL 3/2, 638 f.). Siehe dazu Fischer – Lumpe, Synoden (wie Anm. 10), S. 278 f. mit weiteren Belegen aus Cyprians Briefen ebd., Anm. 160 und 161. 26 Irenäus bei Eusebius, hist. eccl. V 24,16 f. (GCS Eus. 2, 496); Übersetzung: Philipp Haeuser – Hans Armin Gärtner, Darmstadt 5 2006, S. 269 f. 27 Brox, Konflikt (wie Anm. 1), S. 69. Siehe auch Ders., Der Konflikt zwischen Aniket und Polykarp, in: Concilium 8, 1972, S. 14–18. 28 Irenäus bei Eusebius, hist. eccl. V 24,12–17 (GCS Eus. 2, 494–496), die Zitate ebd. 13; 15; Übersetzung: p. 269 Haeuser – Gärtner. Zur Interpretation dieses Textes siehe Norbert Brox, Tendenzen und Parteilichkeiten im Osterfeststreit des zweiten Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 83, 1972, S. 291–324; erneut in: Ders., Das Frühchristentum. Schriften zur Historischen Theologie, hg. von Franz Dünzl – Alfons Fürst – Ferdinand R. Prostmeier, Freiburg u. a. 2000, S. 107–141, hier S. 108–124.

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Vgl. Eusebius, hist. eccl. V 24,9 f. (GCS Eus. 2, 494). Firmilian bei Cyprian, epist. 75,24 (CSEL 3/2, 825). 31 Ebd. 75,6 (CSEL 3/2, 813). 32 Seine Lebensdaten sind nicht bekannt. 33 Sozomenus, hist. eccl. VII 19,1 (GCS N.F. 4, 330); vgl. Günther Christian Hansen, Fontes Christiani 73/3, Turnhout 2004, S. 904 f. 34 Augustinus, epist. 82,34 (CSEL 34/2, 386); Übersetzung: Fürst, Fontes Christiani 41/2 (wie Anm. 8), S. 331. 35 Hieronymus, apol. c. Rufin. III 44 (CChr.SL 79, 116): Sit inter nos una fides, et ilico pax sequetur. 36 Text: ACO I/I 4, 7–9 bzw. bei Kyrill von Alexandrien, epist. 38 (PG 77, 169–173); Übersetzung: Pierre-Thomas Camelot, Ephesus und Chalzedon (Geschichte der ökumenischen Konzilien 2), Mainz 1963, S. 244–246. 37 Text: ACO I/I 4, 15–20 bzw. Kyrill, epist. 39 (PG 77, 173–181); Übersetzung: Camelot, Ephesus (wie Anm. 36), S. 246–251. 38 Brox, Konflikt (wie Anm. 1), S. 81. 39 Siehe dazu jüngst die am Briefwechsel zwischen Augustinus und Hieronymus exemplifizierten Überlegungen von Stefan Rebenich, Freund und Feind bei Augustin und in der christlichen Spätantike, in: Therese Fuhrer (Hg.), Die christlich-philosophischen Diskurse der Spätantike. Texte, Personen, Institutionen (Philosophie der Antike 28), Stuttgart 2008, S. 11–31, bes. S. 29. 40 Siehe zum Folgenden auch Reinhard M. Hübner, Basilius der Große, Theologe der Ökumene, damals und heute, in: Ders. u. a. (Hgg.), Der Dienst für den Menschen in Theologie und Verkündigung. Festschrift für A. Brems, Regensburg 1981, S. 207–216, übernommen von Brox, Konflikt (wie Anm. 1), S. 71–80. 41 Vgl. Basilius, epist. 128,2 (II p. 38 f. Courtonne). Dieses und weitere Beispiele für solches Verhalten bei Rebenich, Freund und Feind (wie Anm. 39), S. 25–29. Zum Homöer Euhippios siehe: Basilius von Caesarea, Briefe. Zweiter Teil, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Wolf-Dieter Hauschild (Bibliothek der Griechischen Literatur 3), Stuttgart 1973, S. 163, Anm. 92. 42 Epist. 114 (II p. 18 Courtonne); Übersetzung nach Hauschild, Basilius (wie Anm. 41), S. 37. 43 Epist. 128,3 (II p. 39 Courtonne); Übersetzung: Hauschild, Basilius (wie Anm. 41), S. 50. 44 Siehe dazu Klaus Koschorke, Spuren der alten Liebe. Studien zum Kirchenbegriff des Basilius von Caesarea (Paradosis 32), Freiburg i. d. Schw. 1991, S. 7–38, bes. S. 17–19. 45 Zur Rekonstruktion der historischen Abläufe und zu den theologischen Positionen der Parteien siehe die Diskussion der Forschungspositionen bei Koschorke, Spuren (wie Anm. 44), S. 24–26, 252–254. 46 Epist. 113 (II p. 17 Courtonne); Übersetzung nach Hauschild, Basilius (wie Anm. 41), S. 36. 47 Ebd.; Übersetzung: Hauschild, Basilius (wie Anm. 41), S. 37. 48 Vgl. epist. 114 (II p. 17–19 Courtonne). 49 Hauschild, Basilius (wie Anm. 41), S. 180, Anm. 290. 50 Vgl. epist. 204 (II p. 172–180 Courtonne). 51 Epist. 207,1 (II p. 183 Courtonne); Übersetzung: Hauschild, Basilius (wie Anm. 41), S. 141 f.; vgl. ebd. S. 181, Anm. 300. 52 Brox, Konflikt (wie Anm. 1), S. 78. 30

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Gewaltlose Konfliktregelung in der Alten Kirche 53 Hauschild, Basilius (wie Anm. 41), S. 182, Anm. 311. Vgl. auch noch epist. 210 (II p. 189–197 Courtonne) sowie Koschorke, Spuren (wie Anm. 44), S. 26 f. 54 Epist. 190,3 (II p. 143 Courtonne); Übersetzung: Hauschild, Basilius (wie Anm. 41), S. 116. 55 Epist. 191 (II p. 144 f. Courtonne); Übersetzung: Hauschild, Basilius (wie Anm. 41), S. 116 f. 56 Hauschild, Basilius (wie Anm. 41), S. 177, Anm. 250. 57 Koschorke, Spuren (wie Anm. 44), S. 34 f., bezieht die „alte Liebe“ auf die Anfänge des Christentums, von der sich in der Gegenwart des Basilius nur noch „Spuren“ erhalten haben. Das passt zwar zur diesbezüglichen Kirchenkritik des Basilius (s. oben) und schwingt gewiss auch hier mit, doch dürfte hier doch primär die reale Beziehung zwischen Basilius und Sympius gemeint sein. 58 Siehe dazu jetzt Johannes Hahn, Gewalt und religiöser Konflikt. Studien zu den Auseinandersetzungen zwischen Christen, Heiden und Juden im Osten des Römischen Reiches (von Konstantin bis Theodosius II.) (Klio Beihefte N.F. 8), Berlin 2004, S. 78–105. 59 Siehe dazu etwa Norman Russell, Theophilus of Alexandria, London – New York 2007, S. 17–34. 60 Das Folgende nach Russell, Theophilus (wie Anm. 59), S. 13–17. 61 Die vollständigste Studie ist nach wie vor Ferdinand Cavallera, Le schisme d’Antioche (IVe–Ve siècle), Paris 1905; siehe jetzt auch die auf Meletius (Bischof in Antiochien 360–381) konzentrierte Arbeit von Karmann, Meletius (wie Anm. 15), bes. S. 20–50, 453– 462. 62 Vgl. Ambrosius, epist. 70(56),4 (CSEL 82/3, 5). 63 Vgl. ebd. 70(56),2 (CSEL 82/3, 4). 64 Vgl. Severus von Antiochien, epist. II 93, in der Ausgabe mit Übersetzung von Brooks gezählt als II 3: The Sixth Book of the Select Letters of Severus, Patriarch of Antioch, in the Syriac Version of Athanasius of Nisibis, 2 Bde., hg. und übers. von E. W. Brooks, London 1902–1903, Bd. 2, S. 223. 65 Russell, Theophilus (wie Anm. 59), S. 14 f., folgt der Rekonstruktion der Vorgänge von Agostino Favale, Teofilo d’Alessandria (345 c. – 412), Scritti, Vita e Dottrina, Turin 1958, S. 77–80. 66 Eine Skizze der Ereignisse aus der Perspektive des Hieronymus bei Alfons Fürst, Hieronymus. Askese und Wissenschaft in der Spätantike, Freiburg u. a. 2003, S. 30–36 (mit Literaturhinweisen ebd. S. 306 f.); Näheres zu den Akteuren des Streits in der ‚Prosopographia Hieronymiana‘, ebd. S. 150–220. Siehe auch John N. D. Kelly, Jerome. His life, writings and controversies, London 1975, S. 195–209, und zu den theologischen Vorwürfen gegen Origenes Elizabeth A. Clark, The Origenist Controversy. The Cultural Construction of an Early Christian Debate, Princeton 1992, S. 85–158. 67 Vgl. Hieronymus, c. Ioh. 11 (CChr.SL 79A, 19 f.). 68 Vgl. Epiphanius bei Hieronymus, epist. 51,1 f. (CSEL 54, 395–399); Hieronymus, c. Ioh. 42 (CChr.SL 79A, 80); ferner das Zitat ebd. 44 (CChr.SL 79A, 81) aus dem Brief des Johannes an Theophilus. 69 Vgl. epist. 57,2 (CSEL 54, 504 f.). Die lateinische Übersetzung ist erhalten bei Hieronymus, epist. 51 (CSEL 54, 395–412). 70 Vgl. epist. 82,10 (CSEL 56, 116); c. Ioh. 43 (CChr.SL 79A, 80); Übersetzung des letzteren Textes bei Fürst, Hieronymus (wie Anm. 66), S. 233. Siehe dazu Pierre Nautin, L’excommunication de Saint Jérôme, in: Annuaire de l’École Pratique des Hautes Études. Section des Sciences religieuses 80–81, 1971–1973, S. 7–37. 71 Vgl. epist. 60,16 (CSEL 54, 570).

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Vgl. c. Ioh. 39 (CChr.SL 79A, 76 f.). Vgl. ebd. 37 (CChr.SL 79A, 72), wo Hieronymus aus dem Brief des Johannes an Theophilus zitiert, in dem Johannes einleitend über Theophilus sagte, diesem obliege die Sorge für alle Kirchen und besonders für die Kirche in Jerusalem. 74 Zitiert von Hieronymus, ebd. (CChr.SL 79A, 73). 75 Vgl. ebd. (CChr.SL 79A, 73). 76 Eine in Details alternative Rekonstruktion der Abläufe bei Pierre Nautin, La lettre de Théophile d’Alexandrie à l’Église de Jérusalem et la réponse de Jean de Jérusalem (juin– juillet 396), in: Revue d’Histoire Ecclésiastique 69, 1974, S. 365–394. 77 Vgl. Hieronymus, c. Ioh. 39. 40 (CChr.SL 79A, 75. 77 f.). 78 Text und französische Übersetzung dieser ‚Apologie‘ des Johannes, die aus den Zitaten in der Schrift des Hieronymus gegen Johannes rekonstruierbar ist, bei Nautin, Lettre (wie Anm. 76), S. 370–373. 79 Vgl. Hieronymus, c. Ioh. 37–43 (CChr.SL 79A, 73–80). 80 Vgl. epist. 63,1 (CSEL 54, 585). 81 Vgl. epist. 82,1 (CSEL 55, 107 f.). 82 So auch Nautin, Lettre (wie Anm. 76), S. 381. 83 Theophilus bei Hieronymus, epist. 96 (CSEL 55, 159–181); epist. 98 (CSEL 55, 185– 211); epist. 100 (CSEL 55, 213–232). Siehe dazu Clark, Controversy (wie Anm. 66), S. 105–121. Text und Übersetzung des Traktats gegen Origenes in: Origenes, Die Homilien zum Buch Jesaja. Im Anhang: Fragmente und Zeugnisse des Jesajakommentars und: Theophilus von Alexandria, Traktat gegen Origenes über die Vision Jesajas, eingeleitet und übersetzt von Alfons Fürst und Christian Hengstermann (Origenes. Werke mit deutscher Übersetzung 10), Berlin – New York – Freiburg u. a. 2009, S. 330–365 (zur Interpretation siehe ebd. S. 180–187). 84 Vgl. Sokrates Scholasticus, hist. eccl. VI 17,7–10 (GCS N.F. 1, 340). Siehe Clark, Controversy (wie Anm. 66), S. 106. 85 Walter Benjamin, Zur Kritik der Gewalt und andere Aufsätze. Mit einem Nachwort versehen von Herbert Marcuse, Frankfurt a. M. 1965, S. 47. Der Passus eröffnet eine längere Reflexion über die Sprache als „gewaltlose Sphäre menschlicher Übereinkunft“ (ebd. S. 48), die im Einzelnen höchst komplex und diskussionsbedürftig ist, was hier aber weder geleistet werden kann noch muss. 73

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Der König als Konfliktpartei Möglichkeiten und Grenzen von Vermittlung im Hochmittelalter Gerd Althoff Die folgende Fallstudie thematisiert ein Problem, dass sich immer dann stellen dürfte, wenn Vermittler auf eine Konfliktpartei treffen, die ihnen an Rang und Macht eindeutig übergeordnet ist und es nach der Beilegung des Konflikts auch bleiben wird. Im Folgenden ist dies der König als Konfliktpartei, der natürlich nach der Beilegung des Konflikts weiter König sein wird, was sicher die Bedingungen einer Beilegung nachhaltig beeinflusst. Beschränkt eine solche Situation nicht die Wirkungsmöglichkeiten der Vermittler so nachhaltig, dass sie quasi zu Agenten dieser einen Partei werden und ihren Unabhängigkeitsstatus verlieren? Diesem zweifellos relevanten Problem möchte ich im Folgenden auf einem konkreten Untersuchungsfeld nachgehen. In Konflikten des 10. bis 12. Jahrhunderts, an denen Könige beteiligt waren, lässt sich nämlich belegen, wie Vermittler mit diesen Problemen umgingen, welche Erfolge, aber auch welche Schwierigkeiten sie dabei hatten. Exemplarisch für diese Konstellation dürften die – zahlreichen – Fälle im Mittelalter sein, in denen der König von Adligen in bewaffnete Konflikte verwickelt wurde. Nicht selten reagierten in dieser Zeit ja Adelsgruppen auf Handlungsweisen von Königen, in denen sie eine Verletzung ihrer Ehre oder ihres Interesses sahen, mit einer Fehde. Und diese Fehden wurden in aller Regel durch Vermittler gütlich beigelegt. 1 Unter welchen Bedingungen arbeiteten also Vermittler, die einen König zur Einsicht in eine von ihnen verantwortete Form der Konfliktbeendigung führen mussten? Und wer verfügte im Mittelalter überhaupt über die Voraussetzungen, solch eine Aufgabe übernehmen zu können? Es dürfte kaum überraschen, dass die Schaffung dieser Voraussetzungen Teil eines Prozesses war, in dem Kirche und Adel von den Königen das Recht auf Partizipation an der Herrschaft erkämpften, ein Vorgang, der durchaus nicht konfliktfrei verlief. 2 Nur wenige Aspekte dieses komplexen Prozesses seien unweg angesprochen, da sie für das Verständnis der folgenden Ausführungen unverzichtbar sind. Im Mittelalter gab es natürlich noch keinen ausdifferenzierten Rechtsbereich, der einen Primat bei der Konfliktregulierung beansprucht hätte. 3 Zwar bemühten zu bestimmten Zeiten Könige Gerichte, um Gegner wegen des crimen laesae maiestatis zum Tode verurteilen zu lassen. Gleichberechtigt daneben 81

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finden wir jedoch die Fehdeführung von Adligen gegen Könige als Teil der Rechtsordnung; und wir hören von Vermittlern, die anstelle der Gerichte Konflikte zwischen Königen und Adligen oder zwischen Adligen beilegten, oder sogar von Vermittlungslösungen, die Gerichtsurteile obsolet machten, getreu dem römischen Rechtsgrundsatz: pactus legem vincit et amor iudicium. (Ein Vertrag hat Vorrang vor dem Gesetz und die gütliche Einigung vor dem Urteil). 4 Wann welcher Weg eingeschlagen wurde, bestimmten im Mittelalter die Gewohnheiten eines Herrschaftsverbandes, die nicht zuletzt die Machtverhältnisse in diesem Verband zum Ausdruck brachten, denn diese Gewohnheiten wurden nicht gesetzt, sondern in Beratungen des Herrschaftsverbandes immer wieder neu gefunden. Sie boten daher Raum für Einflussnahme und Mitbestimmung. 5 Vorstellen möchte ich die Zeit des Hochmittelalters und dort vor allem den Herrschaftsverband des entstehenden deutschen Reiches unter den Ottonen, Saliern und Staufern. Vermittler erkämpften sich in dieser Zeit vom 10. bis 12. Jahrhundert eine dominante Stellung gerade – aber nicht nur – bei der Beilegung von Konflikten, in denen Könige die eine und Adelige die andere Partei waren. Sie versuchten, bei ihren Lösungen auch die Interessen der Adligen zu berücksichtigen und die Könige zur Einhaltung der Lösungen zu bewegen, die sie, die Vermittler, mit beiden Parteien abgesprochen hatten. Dieser Prozess ging nicht ohne Schwierigkeiten vonstatten, da Könige häufiger in der Vorstellung agierten, dass die Vermittler sie und ihre Belange zu begünstigen hätten. Das taten diese jedoch nicht oder nicht immer. Es sei nur kurz auf das Ausmaß des Wandels hingewiesen, den diese Entwicklung im Vergleich zur Karolingerzeit mit sich brachte. Hier hatte man nämlich noch Konflikte zwischen Königen und Adligen in aller Regel gerichtlich gelöst. Die Heeresversammlung hatte sich in solchen Fällen als Gericht konstituiert, das Gegner des Königs in aller Regel auf Antrag des Königs zum Tode verurteilte, während der ‚gnädige‘ Herrscher dieses Urteil dann zur Blendung und/oder Klosterhaft abmilderte. 6 Man muss wohl nicht betonen, welchen Unterschied die Abkehr von solchen Verfahren und die Hinwendung zur Vermittlungspraxis bedeutete, auch wenn die Neutralität solcher Vermittlung gewiss nicht leicht einzuhalten war. Erste Anzeichen für Aktivitäten, die als Vermittlungsbemühungen zu klassifizieren sind, beobachten wir denn auch in der Situation, in der Ludwig der Fromme in Konflikt mit seinen Söhnen geriet. 7 In diesen Konflikten standen so starke und mächtige Parteien gegeneinander, dass sich eine bewaffnete Austragung dieses Konfliktes sozusagen von selbst verbot, und alle Beteiligten auf den Weg der gütlichen Einigung gewiesen wurden – der schließlich auch erfolgreich beschritten wurde. Von dort an gab es jedoch eine Entwicklung, die immer stärker von dem Gedanken dominiert wurde, dass zu einer gütlichen Beilegung eines Konflikts beide Seiten ihren Beitrag zu leisten hätten. Und diese Einsicht ermöglichte und bestimmte die Arbeit von Vermittlern. 82

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Die Entwicklung möchte ich zunächst mit zwei zeitlichen Schnitten verdeutlichen – mit den Konflikten unter Otto dem Großen in den 30er und 50er Jahren des 10. Jahrhunderts und den Auseinandersetzungen Heinrichs IV. mit dem sächsischen Adel in den 70er Jahren des 11. Jahrhunderts. Für das 12. Jahrhundert möchte ich dann abschließend zeigen, wie sich Vermittler zu Schiedsrichtern wandeln konnten, die mit einem Geltung heischenden Spruch Konflikte zu beenden versuchten. Mit der Herrschaftsübernahme der Ottonen 919 setzte ein scheinbar abrupter Wandel ein: Seit dieser Zeit wurden in Konflikten zwischen Königen und Adligen keine Gerichte mehr bemüht, vielmehr hören wir immer wieder von der erfolgreichen Tätigkeit der Vermittler, die einem Modell gütlicher Konfliktbeilegung verpflichtet waren, das Gegnern der Könige nach Genugtuungsleistungen die Reintegration in den Herrschaftsverband ermöglichte. Es basierte auf der Bereitschaft zu demonstrativer Unterwerfung der einen, und weitgehendem Verzicht auf Strafe der anderen Seite. 8 Zu unterwerfen hatten sich dabei immer die Adligen; Milde walten ließen dagegen die Könige, wie es ihnen die christliche Herrscherethik ja vorschrieb. Insofern bestätigte diese Form der Konfliktbeendigung jeweils die bestehende Ordnung. Diese neuen Formen der Konfliktbeilegung bestanden ihre Reifeprüfung in der Anfangsphase der Regierung Ottos des Großen, als der König mit verschiedenen Maßnahmen seine Verwandten und den Hochadel brüskierte und diese mit massivem und teilweise sehr erfolgreichem Widerstand reagierten. In dieser Phase haben vor allem Bischöfe Vermittlungsaufgaben übernommen und dafür gesorgt, dass die Konflikte nicht die gerade mühsam erreichte Zusammenarbeit zwischen König, Adel und Kirche vollständig zerstörten. Als Vermittler profiliert haben sich in dieser Zeit vor allem die Erzbischöfe Friedrich von Mainz und Brun von Köln sowie der Bischof von Augsburg, der hl. Ulrich. Die interessanteste Figur unter diesen Vermittlern ist Friedrich von Mainz, weil er durch seine Tätigkeit den massiven Unwillen König Ottos erregte. Dies deshalb, weil er sich offensichtlich gar nicht oder zumindest zu wenig nach den königlichen Vorstellungen richtete. Er dürfte deshalb entscheidende Verdienste an der Etablierung der Unabhängigkeit der Vermittler von königlichen Erwartungen oder sogar Weisungen haben, eine Unabhängigkeit, die immer gefährdet war, wie sich zeigen wird. Dass diese Unabhängigkeit des Vermittlers prinzipiell bekannt und akzeptiert war, zeigt aber eine diesbezügliche Rede, die Otto dem Großen in der Lebensbeschreibung seines Bruders Brun, des Kölner Erzbischofs, in den Mund gelegt wird, als dieser seinen Bruder um Vermittlung im Konflikt mit seinem Sohn Liudolf bat: „Tu also alles“, flehte der Herrscher in dieser Rede seinen Bruder an, nachdem er die Ursachen des Konflikts mit seinem Sohn lange geschildert und dem Sohn die alleinige Schuld zugewiesen hatte, „Tu also alles, gottgeweihter Mann, ich bitte dich, tu alles, um durch deinen Einfluss, durch den du so viel vermagst, je nach den örtlichen und zeitlichen 83

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Umständen – nicht so schnell wie möglich, sondern so wirkungsvoll wie möglich – die Kämpfe entweder zu verhindern, oder sie durch irgendeinen Vertrag beizulegen. Auch wenn ich äußerlich dir fern bin, wirst du, wo immer ich auch sein werde, meine Freude sein, werden deine Umsicht und Besonnenheit meinen dankbaren Beifall finden. Ich werde für Recht befinden, was du tun wirst. Mögest auch du für Recht befinden, was ich tun werde.“ 9 Mit dieser sicherlich vom Autor stilisierten Rede gibt der König seinem Bruder freie Hand und verspricht, mit allem einverstanden zu sein, was dieser tun wird, um den Konflikt beizulegen. Natürlich ist Otto sich angesichts der vorhergehenden intensiven Zusammenarbeit mit Brun wahrscheinlich sicher, dass dieser die Verhandlungen in seinem Sinne führen wird, doch stellt er ihm keine Bedingungen. Er soll nur der Wiederherstellung des Friedens verpflichtet sein. Und Otto verspricht von vorneherein, jedwede Lösungen zur Beendigung des Konflikts, die Brun in die Wege leitet, zu akzeptieren. Nun war aber die Zustimmung beider Parteien zur Person des Vermittlers nötig, auch Liudolf, der Sohn und Widersacher des Herrschers, musste mit der Vermittlung seines Onkels Brun einverstanden sein. Auch er wird also gehofft und erwartet haben, bei diesem Verständnis für seine Position zu finden. Damit stellt sich aber die spannende Frage, wie die Vermittler mit dieser Freiheit umgingen, ob sie in der Tat eigenständig agierten oder die königlichen Wünsche antizipierten. Der Autor der Lebensbeschreibung erzählt denn auch, wie Brun der beschriebenen Problematik Rechnung trug: „In der Überzeugung, dadurch dem Reich und dem König am besten zu dienen, traf er sich daher mit Liudolf, dem Sohn des Königs, seinem Neffen, linderte seine Beklommenheit mit Worten, süßer als Honig, und versprach ihm seine frühere Stellung wieder zurück, wenn er nur genauer auf das achten wolle, was ihm zukomme. Als er merkte, dass Liudolf die Arznei seiner Worte und das Gegengift seiner Mahnungen nicht mehr wie früher mit schiefen Ausreden von sich wies, sondern begieriger als gewohnt kostete und einnahm, lud er ihn alsbald mit großer Liebenswürdigkeit nach Bonn ein, und empfing ihn dort mit noch größerer Liebenswürdigkeit und bot ihm, eingedenk seiner königlichen Würde, alle Vergnügungen, die ihnen beiden angemessen und allen Anwesenden höchst erfreulich waren.“10 So erreichte er schließlich, dass sich der Sohn mit dem Vater versöhnte. Hingewiesen sei darauf, dass der Vermittler sich nach dieser Darstellung ermächtigt fühlte, dem Gegner des Königs, bei dessen bewaffnetem Widerstand es Tote und Verwundete gegeben hatte, die Rückgewinnung seiner früheren Stellung zu versprechen. In der Tat hat Liudolf nach seiner freiwilligen Unterwerfung unter den Vater, die sich darin ausdrückte, dass er Otto zu Füßen fiel, zwar nicht sein schwäbisches Herzogtum zurückerhalten, aber eine Stellvertretung des Königs in Italien, was sicher ein Äquivalent war. Dem Vermittler ist hier also das Kunststück gelungen, es beiden Seiten recht zu machen. Die 84

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kurzen Quellenzitate belegen die Spielräume wie die Arbeitsweisen eines Vermittlers in exemplarischer Weise. Es war jedoch nicht immer so, dass König Otto mit den Vermittlern in seinen Konflikten so zufrieden sein konnte wie mit seinem Bruder. Der schon angesprochene Erzbischof Friedrich von Mainz interpretierte nämlich seine Rolle mehrfach so, dass er den massiven Unwillen des Königs erregte. Wie sensibel das Feld war, auf dem sich ein Vermittler bewegte, zeigt das lebhafte Echo in mehreren ottonischen Quellen, das diese Vermittlungstätigkeiten Friedrichs von Mainz fanden. Interessant ist, dass die Autoren dabei nicht eindeutig die Partei des Königs ergreifen, sondern durchaus auch die Vorzüge dieses offensichtlich unbeugsamen Vertreters einer unabhängigen Vermittlerrolle ansprechen, die auch den Positionen der Gegner des Königs ihren Raum gibt. 11 Der Sachse Friedrich wurde 937 in der Phase Erzbischof von Mainz, als die Herzöge Eberhard von Franken, Giselbert von Lothringen und Ottos jüngerer Bruder Heinrich – und damit wesentliche Kräfte des Hochadels – die Königsherrschaft Ottos durch ihren Widerstand in eine tiefe Krise brachten. Schon Erzbischof Friedrichs erste Vermittlung in diesem Konflikt brachte nur scheinbar den Frieden, da der Hauptgewährsmann Widukind von Corvey den Leser wissen lässt, dass die Gegner Ottos ihre Friedensbereitschaft nur vortäuschten. 12 Ob der Vermittler das wusste, wird nicht gesagt. Herzog Eberhard von Franken erlangte nach dieser Darstellung vielmehr durch die Vermittlung Friedrichs die Verzeihung des Herrschers, nachdem er sich unterworfen hatte und für kurze Zeit in die Verbannung geschickt worden war. Er wurde aber schon bald in seine frühere Würde wieder eingesetzt. 13 Wenig später aber stellte er sich jedoch erneut auf die Seite der Gegner des Königs, wie er es zuvor angeblich mit ihnen verabredet hatte, und brachte so Otto in eine sehr schwierige Lage. Die daraufhin erneuerte Vermittlungsaktion Erzbischof Friedrichs aber hat großes Aufsehen erregt. Widukind beschreibt sie wie folgt: „Der Erzbischof, der zu Eberhard zur Herstellung des Friedens und der Eintracht geschickt wurde, setzte, da ihn danach dringend verlangte, bei dem wechselseitig bindenden Vertrag seinen Eid zum Pfande und soll deshalb gesagt haben, er könne davon nicht abgehen. Der König aber, der durch den Bischof eine Antwort sandte, die seiner Würde angemessen war, wollte sich durch nichts binden lassen, was der Bischof ohne sein Geheiß getan hatte. Dieser wurde deshalb, weil er nicht gegen die Autorität (Gottes) dem König als dem Oberherrn untertan sein wollte, sondern sich von ihm entfernte, wie zur Verbannung nach Hamburg verwiesen, den Bischof Ruthard aber schickte der König nach Corvey. Binnen kurzem jedoch verzieh er beiden huldvoll, nahm sie in Gnaden an und gab ihnen ihre frühere Würde zurück.“ 14 Einleitend zu dieser Passage hatte Widukind deutlich gemacht, welch heißes Eisen er mit diesem Bericht anfasste: „Den Grund des Abfalls mitzuteilen und die königlichen Geheimnisse zu lüften, steht mir nicht zu, doch glaube 85

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ich, der Geschichte genügen zu müssen. Lasse ich mir dabei etwas zu Schulden kommen, so möge man es mir verzeihen.“ 15 In der Tat ist die Kernaussage Widukinds überaus brisant, zumal wenn man bedenkt, dass er die Darstellung der Tochter Ottos des Großen widmete. Immerhin erzählte er nichts anderes, als dass der König die Arbeit eines Vermittlers desavouierte, indem er nichts von dem akzeptieren wollte, was dieser ohne sein Geheiß getan hatte. Konnte man aber einem Vermittler Anweisungen geben? Im Falle Bruns hatte Otto dies explizit verneint: „Ich werde für Recht befinden, was du tun wirst.“ 16 Damit degradierte Otto den Vermittler Friedrich in diesem Fall zu seinem langen Arm und verwehrte ihm die Freiheit, die er seinem Bruder Brun zugebilligt hatte. Bei den anderen Geschichtsschreibern der Zeit, Liutprand und Adalbert, finden sich zum Teil wilde Geschichten, die dem Erzbischof unterstellen, er habe nicht vermittelt, sondern mit den Gegnern des Königs gemeinsame Sache gemacht. Kurze Zeit später musste sich Friedrich sogar einem Gottesurteil stellen, um den Verdacht, an der Verschwörung beteiligt gewesen zu sein, zu zerstreuen.17 All diese Nachrichten und Vorwürfe zeugen davon, welch große Aufmerksamkeit die Geschehnisse fanden. Es sind Argumente, die beweisen sollen, dass nicht Otto, sondern Friedrich gegen ungeschriebene Gesetze verstoßen hatte. Die Vorwürfe vernebeln aber wohl eher den Kern des Problems: hier ging es offensichtlich zentral um die Frage, ob ein Vermittler bindende Zusagen für das zukünftige Verhalten des Königs machen konnte. Aus Widukinds Erzählung wird deutlich, dass Erzbischof Friedrich sich bei seiner Vermittlungstätigkeit berechtigt fühlte, solche Verpflichtungen einzugehen und sogar eidlich zu bekräftigen. Dies war zumindest mutig, wenn nicht kühn, da der Herzog Eberhard rückfällig geworden war und einen durch eine erste Vermittlungsaktion beigelegten Konflikt wieder aufgenommen hatte. Dass im Verhalten Erzbischof Friedrichs in der Tat sozusagen Methode steckte, zeigen dann Konflikte rund 15 Jahre später, mit denen der Hochadel der nächsten Generation Widerstand gegen Maßnahmen Ottos des Großen leistete. Diesmal wird Erzbischof Friedrich vom Geschichtsschreiber Adalbert bereits als Anwesender, wenn nicht als Teilnehmer einer Adelsverschwörung genannt, die der Königssohn Liudolf im fernen thüringischen Saalfeld initiierte. Zu diesem Ort war Liudolf extra aus Italien angereist, um in einem Gelage (convivium) seine Genossen davon zu überzeugen, dass Widerstand gegen den Herrscher geboten sei. Die Anwesenheit Erzbischof Friedrichs ist in diesem Zusammenhang mehr als auffällig. 18 Kurze Zeit später aber trafen die Verschwörer, Ottos Sohn Liudolf und Ottos Schwiegersohn Konrad an der Spitze, in Mainz mit dem König zusammen. Auf Rat Erzbischof Friedrichs erhielten sie Gelegenheit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. „Wegen der Gefährlichkeit des Ortes und der Umstände“, sagt dazu Widukind, „gab der König ihren Behauptungen in allen Stücken nach.“ 19 86

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Dann jedoch trennte man sich und Otto zog nach Sachsen und, wie Widukind kommentiert, „er erhob das königliche Ansehen wieder zu alter Herrlichkeit. Denn ermutigt durch die Gegenwart seiner Freunde und seines eigenen Volkes vernichtete er den Vertrag, von dem er erklärte, dass er nur aus Not darin eingewilligt habe. Und er befahl seinem Sohn und Schwiegersohn, die Urheber des ruchlosen Unternehmens zur Bestrafung auszuliefern, anderenfalls wisse er, dass sie Feinde des Reiches seien. Der Erzbischof aber verwandte sich für den früheren Vertrag, gleich als ob er für Frieden und Eintracht sorgen wolle, und erschien dem König dadurch verdächtig, des Königs Räten und Freunden aber durchaus verwerflich.“ 20 Wieder wie schon 15 Jahre zuvor hat Erzbischof Friedrich einen Vertrag zwischen den Konfliktparteien zustande gebracht, dessen Einhaltung er dann forderte, während Otto ihn für nichtig erklärte, weil er in einer Notlage erpresst worden sei. Interessant ist, wie Widukind an dieser Stelle den Erzbischof in Schutz nimmt: „Uns kommt es gar nicht zu, irgendein unbesonnenes Urteil über ihn zu fällen, aber was wir von ihm als gewiss erachten, ist, dass er groß war im Gebet bei Tag und Nacht, groß durch Reichlichkeit der Almosen, vorzüglich durch das Wort der Predigt, das haben wir geglaubt nicht verschweigen zu dürfen. Übrigens ist es der Herr, der da richtet über die vorgebrachten Beschuldigungen.“ 21 Dass Erzbischof Friedrich in der Tat wohl nur seine Vermittleraufgabe erfüllt hatte, zeigte sich wenig später, als die Konfliktparteien sich erneut zu direkten Verhandlungen trafen. „Zuletzt trat der Erzbischof ein, um sich zu verantworten, und versprach, durch jedes Rechtsverfahren, das der König befehle, zu zeigen, dass er nie dem König feindselig gesinnt gewesen sei … von Furcht getrieben, habe er den König verlassen, weil er erkannt habe, dass dieser ihm zürne. Er werde mit jeder Art von Schwur seine Treue beweisen. Darauf erwiderte der König: ‚Von euch verlange ich keinen Schwur, sondern nur, dass ihr mein Bemühen um Frieden und Eintracht fördert.‘“ 22 Die Formel vom Bemühen um Frieden und Eintracht (pax et concordia) dient übrigens zur Beschreibung der Vermittlertätigkeit. Die Antwort Friedrichs ist nicht überliefert. Sie hätte aber lauten können: Genau dies habe ich doch die ganze Zeit versucht. Jedenfalls wurde er wieder zu Gnaden angenommen. Es ist, glaube ich, richtig, die Schwierigkeiten Ottos mit diesem Erzbischof als Resultat einer unterschiedlichen Auffassung zu erklären, welche Kompetenzen ein Vermittler hatte. Friedrich hat sich durch die Selbständigkeit seiner Entscheidungen den Vorwurf eingehandelt, nicht Vermittler, sondern Parteigänger der Gegenseite zu sein. Er war aber wohl nur der erste, der es als Vermittler wagte, den Herrscher in vertragliche Abmachungen zu drängen, die auch die Interessen seiner Gegner wahrten. In dieser Auffassung ist er jedoch nicht ohne Nachfolger geblieben. Dies möchte ich mit einem zweiten zeitlichen Schnitt belegen, der die Rolle der Vermittler in den Auseinandersetzungen der Sachsen mit König Heinri87

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ch IV. beleuchtet. Wie im 10. Jahrhundert war es der König, der nach Meinung des sächsischen Adels durch verschiedene Maßnahmen dessen Rechte und Freiheiten massiv eingeschränkt hatte. Wie im 10. Jahrhundert wurden vor und während des daraufhin eröffneten bewaffneten Konfliktes Vermittler tätig, die die Parteien zu einer gütlichen Einigung bewegen wollten. Wieder waren es vorrangig Bischöfe, daneben aber auch Herzöge verschiedener Stämme des Reiches. Einschätzungen über deren Tätigkeiten hören wir vor allem aus sächsischer, aber auch aus königlicher Perspektive. 23 In einem ersten Anlauf brachten diese Vermittler den König dazu, sämtliche sächsischen Forderungen anzuerkennen und auf dieser Basis Frieden zu schließen. Aus sächsischer Perspektive, für die ich Lampert von Hersfeld zitiere, kam dies wie folgt zustande: „Darauf wurden vier Bischöfe abgeordnet, um mit ihnen (den Sachsen) über den Frieden zu verhandeln und ihnen im Namen des Königs zu versprechen, dass er allem bereitwillig beistimme, was sie berechtigterweise forderten, und was erwählte Schiedsrichter (iudices) beider Parteien für billig erachten würden … Darauf antworteten die Sachsen, sie verlangten nichts anderes, als was sie schon oft durch zahlreiche Gesandtschaften gefordert hätten. (Dann folgen noch einmal detailliert alle diese Forderungen) „Verspreche er ehrlich, das zu tun, und gebe ihnen als Bürgen zur Bekräftigung der unbezweifelbaren Zuverlässigkeit (seiner Zusagen) dieselben Reichsfürsten, die jetzt seine Friedensvermittler seien, so wären sie bereit, die Waffen niederzulegen, Frieden zu halten und in Zukunft seinen Geboten zu gehorchen.“ 24 Mit Bürgen für die Zuverlässigkeit der königlichen Aussagen meinten sie übrigens, dass die Fürsten als Geiseln für die Einhaltung der königlichen Versprechungen dienen sollten. Sollte Heinrich hierzu nicht bereit sein, drohten sie den bewaffneten Kampf an. Daraufhin überzeugten seine eigenen Ratgeber Heinrich IV., dass er keine Chance habe, sein Königtum zu retten, wenn er nicht auf dieses Angebot eingehe. „Da endlich gab der König nach, nachdem er zuvor alle Ausflüchte versucht hatte, weniger durch Vernunftgründe als durch seine schlimme Lage überwunden: er berief die Fürsten zur Versammlung, willigte ein, dass sie die Wirren nach ihrem Gutdünken beilegten und versprach – darauf könnten sie sich unbedingt verlassen –, allem beizustimmen, was sie zur Durchführung dieser großen Aufgabe für erforderlich hielten.“ Die Haltung Heinrichs IV. ist die gleiche, wie sie Otto der Große gegenüber seinem Bruder Brun einnahm: Er verspricht, alles zu akzeptieren, was den Vermittlern gut dünkt. Mit dieser ‚carte blanche‘ ausgestattet, „erwiderten die Fürsten, es gebe durchaus keinen anderen Weg … als die Forderungen der Sachsen zu erfüllen. Als er dies gelobte und Christi Namen zum Zeugen dafür anrief, begaben sich 15 Bischöfe und alle im Lager anwesenden Fürsten zu den Sachsen, um ihnen den Entschluss des Königs zu verkünden.“ 25 Nachdem auch die Sachsen dem zugestimmt hatten, „zogen alle in dichtem Haufen, wie sie standen, gerade am Tage Mariae Reinigung unter Führung der 88

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Bischöfe und der übrigen Fürsten, die die Friedensvermittler (mediatores pacis) gewesen waren, heran, um den König von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Dieser empfing sie mit allen Ehren, gewährte ihnen den Friedenskuss und bekräftigte durch die Macht des lebendigen Wortes die Friedensbedingungen.“ 26 In Auszügen zitiert habe ich eine der ausführlichsten Schilderungen, die wir über die Arbeitsweise von Vermittlern besitzen. Ich kann nicht beweisen, dass sich dies alles wirklich so zugetragen hat, wie Lampert es erzählt – immerhin ist er ein Gegner Heinrichs IV., wie wir seit Ranke wissen. 27 Da er seine Schilderung jedoch als Argument benutzt, muss die Darstellung den üblichen Gepflogenheiten zumindest in den wesentlichen Schritten entsprochen haben, sonst hätte er ja seine eigene Argumentation entwertet. Die Vermittler haben also den König so lange mit Argumenten bedrängt, bis er ihnen zugestand, dass sie den Konflikt nach ihrem Gutdünken beilegen könnten. Als er dies zugestanden hatte, haben sie ihn dazu gebracht, alle Forderungen der Sachsen zu erfüllen. So darf man sich die Arbeitsweise erfolgreicher Vermittler im Hochmittelalter vorstellen. Das Drama der Sachsenkriege Heinrichs IV. war mit dem zitierten Friedensschluss jedoch nicht beendet, sondern hatte einen zweiten Akt, nachdem die Sachsen den Frieden dadurch gebrochen hatten, dass sie bei der erlaubten Zerstörung der Harzburg zusätzlich die Gebeine von Verwandten Heinrichs IV. und die Reliquien der Heiligen in Altären schändeten. 28 Daraufhin dominierte zunächst die Gewalt: Heinrich nahm in mehreren Schlachten Rache für den Frevel und wurde hierbei von den meisten Reichsfürsten unterstützt. Erneute Verhandlungen über den Frieden lehnte er zunächst strikt ab. Irgendwann schlug dann aber doch wieder die Stunde der Vermittler. Und diese Phase des Konflikts beschreibt wieder Lampert sehr genau, um zu zeigen, dass dieser König sich über alle Abmachungen hinwegsetzte und einfach ein Tyrann war. Es dauerte wie gesagt lange, ehe der König bereit war, überhaupt vier Bischöfe und einen Herzog zu den Sachsen zu schicken, übrigens genau die, die sich die Sachsen zuvor als Vermittler erbeten hatten. 29 Diese hörten sich zunächst die angeblich durch fußfällige Bitten eingeleiteten Entschuldigungen und Erklärungen der Sachsen an. Dann entgegneten sie, „sie missbilligten die Ursache, aus der sie anfangs die Waffen gegen den König erhoben hätten, nicht völlig, auch billigten sie nicht den zu ihrer Vernichtung hartnäckig entschlossenen Sinn des Königs und seinen zähen Hass. Darin aber stimmten alle Fürsten des Reiches überein, dass sie dem König für ihre im Reich unerhörte und in den vielen vergangenen Jahrhunderten noch nie vorgekommene Freveltat nur dadurch Genugtuung leisten könnten, dass sie sich ohne jede Einschränkung unterwürfen. Täten sie dies auf ihren Rat hin, dann würden sie dafür sorgen, dass sie infolge ihrer Unterwerfung nichts erlitten, was ihrem Leben, ihrer Ehre, ihrem Vermögen abträglich wäre.“ 30 89

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Die Vermittler machen also zunächst ihre inhaltliche Neutralität deutlich: Sie billigen weder die Position der einen noch der anderen Seite vollständig. Dann aber skizzieren sie ihre Vorstellung von einer Lösung: Unterwerfung der Sachsen ohne jeden Vorbehalt. Nach dieser Vorleistung garantieren sie aber, dass nichts geschehen würde, was ihr Leben, ihre Ehre und ihr Vermögen beträfe. Man muss schon genau hinhören. Ihre Freiheit wird nicht thematisiert. Als die Sachsen daran zweifelten, ob die Fürsten dieses Angebot wirklich garantieren könnten, machten die Vermittler einen Vorschlag zum weiteren Prozedere: „sie würden zum König gehen, um zu erkunden, ob sie ohne Gefahr, desavouiert zu werden, ihr Wort geben und Verzeihung versprechen könnten, und was sie erkundet hätten, würden sie ihnen am nächsten Tag berichten.“ 31 In Zweifelsfällen konnten die Vermittler sich also noch einmal rückversichern, ob ihre Vorschläge zur Konfliktbeendigung auch wirklich die Zustimmung beider Parteien fanden. Dies war dann nach Lampert der Fall: „Der König stimmte der Friedensvereinbarung freudig zu und versprach, ja beschwor sogar, wie ein weit verbreitetes Gerücht behauptete, wenn sie sich ergeben hätten, gegen sie nichts wider ihren Willen und das Urteil derer zu veranlassen, durch deren Bemühen und Verdienst ihm dieser unblutige Sieg zuteil geworden sei.“ 32 Noch lange dauerte dann nach Lampert bei den Sachsen selbst das dramatische Ringen um die Frage, ob man diesen Zusicherungen trauen könne. Schließlich versicherten die Vermittler, Herzog Gozelo von Lothringen an der Spitze, „unter Eid, sie würden nicht an ihrem Leben, nicht an ihrer Freiheit, nicht an ihren Gütern, nicht an ihren Lehen, nicht an ihrer sonstigen Habe irgendwelche Einbußen zu spüren bekommen, sondern, wenn sie dem Antlitz des Königs und der Majestät des Reiches durch augenblickliche Genugtuung die Ehre erwiesen hätten, würden sie unverzüglich von der Übergabe losgesprochen und ohne jede Herabdrückung ihres Standes der Heimat und der Freiheit zurückgegeben.“ 33 Sie haben gemerkt, nun sind die Zusicherungen noch konkreter: auch die Freiheit und die Lehen wurden den Sachsen durch den Eid der Vermittler garantiert. Auf dieser Basis vollzog die gesamte Führungsschicht des sächsischen Volkes dann das Unterwerfungsritual, angeführt von sächsischen Bischöfen über den Hochadel bis zu den vornehmeren Freigeborenen unterwarfen sie sich Heinrich IV. ohne jeden Vorbehalt. 34 Dann aber kam es, wie es kommen musste: „Der König übergab sie einzelnen seiner Fürsten zur Verwahrung, bis in einer gemeinsamen Beratung über sie entschieden würde. Aber schon kurz danach brach er den Vertrag, missachtete alle Eidesbande, durch die er sich verpflichtet hatte, und ließ sie nach verschiedenen Orten in Gallien, Schwaben, Bayern, Italien und Burgund in Haft bringen.“ 35 90

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Damit hatte er die durch die Vermittler eidlich garantierten Versprechungen zur Beilegung des Konfliktes, denen er zuvor angeblich selbst mit einem Eid zugestimmt hatte, vollständig in den Wind geschlagen. Interessanterweise hören wir nichts von einer direkten Reaktion dieser Vermittler. Dies mag daran liegen, dass sich die Ereignisse überschlugen, denn Heinrich IV. eröffnete nahezu zeitgleich den Konflikt mit Papst Gregor VII., indem er diesen aufforderte, den Stuhl Petri zu räumen. Die Antwort des Papstes war die Bannung des Königs. 36 In Reaktion darauf, wahrscheinlich aber auch eingedenk der geschilderten königlichen Willkürakte in Sachsen, formierte sich aber die Opposition von Adligen und Bischöfen gegen Heinrich und schon ein Jahr nach dem Verrat an den Sachsen und der Brüskierung der Vermittler, traf sich die Elite des Reiches ohne den König in Tribur, untersuchte mehrere Tage seine bisherige Amtsund Lebensführung, und untersagte ihm dann alle königliche Amtsführung, bis er sich einer Fürstenversammlung unter Vorsitz Papst Gregors gestellt habe, die über die Frage entscheiden sollte, ob er noch länger König bleiben könne. Diese Entscheidung wurde nur deshalb nicht gefällt, weil Heinrich IV. ihr mit seinem Canossa-Gang zuvorkam. Doch diese von Vermittlern ebenfalls maßgeblich beeinflussten Geschehnisse in und um Canossa sind eine andere Geschichte, die hier nicht mehr erzählt werden kann. Ich möchte vielmehr zu den Lehren kommen, die man aus den Erfahrungen gezogen hat, dass Vermittler gegen königliche Willkür relativ machtlos waren. Sie lassen sich dahingehend beobachten, dass Vermittler nun in einigen Fällen zu Schiedsrichtern wurden, die konkrete Entscheidungen trafen, denen sich die Parteien zu fügen hatten. Exemplarisch fassbar wird diese Veränderung im Jahre 1121, als sich ganz ähnliche Konfliktparteien gegenüberstanden wie zu Zeiten Heinrichs IV. Auf der einen Seite der gebannte Kaiser Heinrich V., auf der anderen Seite der Papst, die Sachsen, sowie einige Reichsbischöfe. Als in dieser Konstellation wieder einmal zwei kampfbereite Heere voreinander standen, überließ man nicht Vermittlern die Aufgabe der Friedensstiftung, sondern einigte sich auf eine Schiedskommission, die aus je zehn Fürsten beider Parteien gebildet werden sollte. 37 Diese hatten nicht mehr die Aufgabe, mit den Parteien Rücksprache zu nehmen und so eine von allen Beteiligten akzeptierte Lösung zustande zu bringen. Sie sollten vielmehr eine Entscheidung treffen, die für alle verbindlich sein sollte. Die Fürsten, deren Namen wir leider nicht kennen, waren sich der Verantwortung, die sie so übernommen hatten, voll bewusst. Dies sieht man vor allem daran, dass sie sich gegenseitig schworen, die Treue untereinander zu wahren und dem Kaiser keine Unterstützung mehr zu geben, wenn er sich nicht ihrer Entscheidung beuge. 38 Diese Schwureinung war offensichtlich nötig, um das Vertrauen aller Mitglieder in die Kompetenz der Kommission zu sichern. 91

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Über die Arbeit dieser Kommission und das Zustandekommen der Entscheidung erfahren wir nichts; die Entscheidung war aber dezidiert und hat sich im Wortlaut erhalten. Der erste Satz lautete: „Der Herr Kaiser soll dem Herrn Papst gehorchen.“ 39 Sie wurde dann auch durchgesetzt, denn ein Jahr später 1122 war das Wormser Konkordat geschlossen, das den Frieden zwischen höchster weltlicher und höchster geistlicher Macht besiegelte. Wie es dazu gekommen ist, dass auch die von Seiten Heinrichs V. für diese Kommission bestellten Fürsten diese Entscheidung mittrugen, entzieht sich vollständig unserer Kenntnis. Doch ist hier gewiss ein Meilenstein auf dem Weg von der Vermittlungslösung zum Schiedsverfahren, Schiedsgericht zu beobachten. Doch dieser Weg war lang. 40 Drei Jahre später aber versuchte man es in verfahrener Situation anderen Inhalts erneut auf diese Weise: Je 10 Fürsten aus den Völkern des Reiches sollten sich auf eine Person einigen, die in der Nachfolge Heinrichs V. das Königsamt übernähme. Diese Kommission jedoch scheiterte, da drei Kandidaten übrig blieben, deren Reihung nicht mehr gelang. 41 Das Problem der Entscheidungsbefugnisse auf der einen und der Erwartungshaltungen der Parteien hinsichtlich ihres Einflusses auf die Vermittler auf der anderen Seite blieben jedenfalls die Pole, die Vermittlungsarbeiten auch im 12. Jahrhundert immer wieder charakterisierten. Vielleicht nicht zufällig ist denn auch für die wohl schwierigsten Vermittlungsbemühungen dieses Jahrhunderts, die Arbeit der Mediatoren am Frieden von Venedig 1177 zwischen Papst Alexander III. und Kaiser Friedrich Barbarossa, bezeugt, dass der Kaiser einmal seine Mediatoren erzürnt angeschrien habe, „sie hätten bei ihren Verhandlungen mehr für die Ehre Papst Alexanders als für die Würde des Imperiums gesorgt.“ 42 Dies kennzeichnet wohl hinreichend Friedrichs mehr oder weniger ohnmächtige Wut über die Selbständigkeit, die Vermittler inzwischen gewonnen hatten. Der Anpfiff hinderte seine Vermittler, mehrere Erzbischöfe des Reiches, nämlich nicht, auch weiterhin sehr selbstständig Lösungen des Konflikts auszuhandeln, die Friedrichs Ehre und Würde in der Tat tangierten. Er hatte nämlich in dem langjährigen Konflikt zuvor mehrfach geschworen, Alexander III. niemals als Papst anzuerkennen. Diese Anerkennung aber ließ sich nun nicht mehr umgehen. Vielleicht mussten die Vermittler aber gerade wegen des vorhergehenden Eides besonders demonstrative Formen der Anerkennung festlegen, die Friedrich dann in geradezu perfekt inszenierter Freiwilligkeit durchführte. Mehr Fußküsse, Steigbügel-Dienste und andere symbolische Formen gehorsamer Unterordnung hat jedenfalls kein Kaiser des Mittelalters gegenüber einem Papst geleistet. Und genau das hatten als debita reverentia (als die nötige Ehrerbietung für Alexander) die Vermittler angeordnet, die so als sehr autoritative Friedenstifter in Erscheinung treten. 43 So bieten die behandelten Jahrhunderte insgesamt sehr instruktive Beispiele für die Emanzipation der Vermittler von den Erwartungshaltungen gerade 92

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der Könige, die Vermittlung wohl gern als einen verlängerten Arm der Macht auffassten und zu instrumentalisieren versuchten. Das ging nicht ohne Konflikte, doch befähigte die Vermittler offensichtlich die Akzeptanz, die ihre Funktion in der Adelsgesellschaft des Hochmittelalters hatte, Positionen der Neutralität durchzuhalten und so Lösungen durchzusetzen, die auch andere Interessen berücksichtigten als die der jeweils Mächtigsten. Gleichermaßen aufschlussreich, das sei am Ende nur noch kurz angesprochen, aber scheint mir die Tatsache, dass sich auf dem Felde der Vermittlung im Mittelalter politische, rechtliche und religiöse Aspekte in fast untrennbarer Gemengelage beobachten lassen. Vermittler argumentierten in dieser Zeit vorrangig auf der Grundlage religiöser Wertevorstellungen, sie kreierten Konfliktlösungen, deren rituelle Durchführung der kirchlichen Bußpraxis nah verwandt war. Vermittler beachteten aber auch die politischen Kräfteverhältnisse und die Rangordnung bei ihren Lösungen, was nicht selten zu dem Befund führte, dass die Kleinen gehängt und nur die Großen versöhnt wurden, was ich hier jedoch nur noch andeuten kann. Die Frage schließlich, ob Vermittlungstätigkeit im Mittelalter ein rechtlicher Vorgang war, ist vielleicht naheliegend, aber anachronistisch, weil es eine ausdifferenzierte und abgetrennte Sphäre des Rechts noch gar nicht gab. Vermittler agierten in der von mir behandelten Zeit anstelle von Gerichten, sie wurden aber auch nach Gerichtsurteilen tätig und machten selbst Todesurteile obsolet, wenn sie die Parteien zu einer gütlichen Einigung brachten. Einen Anspruch auf Vorrang in der Frage der Konfliktlösung scheinen weder Gerichte noch Vermittler erhoben zu haben. Das Feld der Vermittlung ist daher wohl auch besonders geeignet, Ausdifferenzierungsprozesse auf dem Weg in die Moderne zu verfolgen; den Fortschritt, den sie brachten, zu beschreiben, aber auch die Folgekosten, die sie eventuell zeitigten. Anmerkungen 1 Zur Erscheinung und zum Begriff „Fehde“ s. auch noch Otto Brunner, Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Südostdeutschlands im Mittelalter (Veröffentlichungen des Instituts für Geschichtsforschung und Archivwissenschaft in Wien 1), 2. erg. Auflage, Brünn u. a. 1942; zur Kritik an Brunner vgl. Gadi Algazi, Herrengewalt und die Gewalt der Herren im späten Mittelalter. Herrschaft, Gegenseitigkeit und Sprachgebrauch (Historische Studien 17), Frankfurt 1996; jetzt auch Martin Pilch, Der Rahmen der Rechtsgewohnheiten. Kritik des Normensystems entwickelt am Rechtsbegriff der mittelalterlichen Rechtsgeschichte, Wien u. a. 2009; zur gütlichen Beilegung der Fehde vgl. Gerd Althoff, Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997, bes. S. 30 ff., 57 ff.; Hermann Kamp, Friedensstifter und Vermittler im Mittelalter (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne), Darmstadt 2001. 2 Dieser Prozess ist in der modernen Mediävistik in den letzten Jahren aus verschiede-

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Gerd Althoff nen Perspektiven verfolgt worden; vgl. zuletzt Steffen Patzold, Episcopus. Wissen über Bischöfe im Frankenreich des späten 8. bis frühen 10. Jahrhunderts (Mittelalter-Forschungen 25), Ostfildern 2008; Roman Deutinger, Der König als Richter, in: Wilfried Hartmann (Hg.), Recht und Gericht in Kirche und Welt um 900 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 69), München 2007, S. 31–48; Hagen Keller – Gerd Althoff (Hgg.), Die Zeit der späten Karolinger und der Ottonen. Krisen und Konsolidierungen. 888–1024 (Handbuch der deutschen Geschichte 3), Stuttgart 2008, bes. S. 358 ff. 3 Vgl. dazu Gerhard Dilcher, Zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der mittelalterlichen Rechtskultur, in: Ders. (Hg.), Leges, Gentes, Regna. Zur Rolle normativer Traditionen germanischer Völkerschaften bei der Ausbildung der mittelalterlichen Rechtskultur, Berlin 2006, S. 603–637; jetzt Pilch, Rahmen (wie Anm. 1), S. 415 ff. u. ö. 4 Vgl. hierzu bereits Stephen D. White, „Pactum … legem vincit et amor iudicium.“ The Settlement of Disputes by Compromise in Eleventh-Century Western France, in: The American Journal of Legal History 22, 1978, S. 281–301, S. 300. 5 Diese Sphäre des Informellen, der vertraulichen Vorbereitung von Entscheidungen, entzieht sich bis heute weitgehend dem Zugriff der Forschung, weil die Überlieferung selbst selten Einblick in sie gewährt. Versuche, hier Wandel zu schaffen, standen bisher zumeist im Zusammenhang von Hofforschung des Hoch- und Spätmittelalters, s. dazu zuletzt Reinhardt Butz – Jan Hirschbiegel, Informelle Strukturen bei Hof. Dresdener Gespräche III zur Theorie des Hofes (Vita Curialis 2), Münster 2009. 6 Vgl. exemplarisch zum Vorgehen Karls des Großen gegen Tassilo Matthias Becher, Eid und Herrschaft. Untersuchungen zum Herrscherethos Karls des Großen (Vorträge und Forschungen. Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte 39), Sigmaringen 1993, S. 64–73. 7 S. dazu Althoff, Das Privileg der deditio. Formen gütlicher Konfliktbeendigung in der mittelalterlichen Adelsgesellschaft, in: Ders., Spielregeln (wie Anm. 1), S. 99–125. 8 Vgl. dazu zuletzt Keller – Althoff, Karolinger und Ottonen (wie Anm. 2), S. 121. 9 Ruotger, Vita Brunonis, hg. von Irene Ott (MGH SSrG N. S. 10), Köln 1951, cap. 20, S. 21: Enitere igitur, vir Deo dedite, non quomodo primum, sed modo potissimum, enitere, queso, consilio illo tuo, quo calles plurimum, ut pro loco et tempore aut arma desuadeas aut quoque pacto compescas. Absens tibi corpore, ubicumque ero, gaudeam tibi, gratuler providenti et moderationi tu. Id michi reputare libet, quod feceris, id itidem libeat tibi, quod fecero (Übersetzung nach FSGA 22, S. 209). 10 Ebd. cap. 36, S. 37: …, arbitratus sic se regno consulere votisque imperatoris sic amplius deservire, Liudolfum, prolem regiam, nepotem suum, convenit, egrum eius animum blandiciis melle dulcioribus delinivit, statum pristinum, si, qu sua erant, accuratius vellet adtendere, repromisit. A quo postquam medicinalia sermonum et exhortacionum suarum antidota non ut prius obliquis ambagibus declinari, sed solito avidius pregustari et ad interiora pectoris recipi sensit, eum mox in episcopii sui locum venerabilem, Bonnam videlicet, iucunde satis invitavit, iucundius suscepit, omni voluptate utriusque digna et commoda cunctisque, qui aderant, gratissima, non immemor regi dignitatis, affecit (Übersetzung nach FSGA 22, S. 233 f.). 11 Vgl. dazu jetzt Katharina Vaerst, Laus inimicorum, bes. Kap. V. und VII. (Phil. Diss. Münster 2010). 12 Widukind von Corvey, Sachsengeschichte, neu bearb. von Paul Hirsch (MGH SSrG 60), Hannover 5 1935, II, 11–13, S. 74–78. 13 Ebd., II, 13, S. 78: Ne igitur ingens scelus inemendatum maneret, quasi in exilium in Hildinensem urbem a rege dirigitur. Sed non post multum temporis in gratiam clementer recipitur et honori pristino redditur.

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Der König als Konfliktpartei 14 Ebd., II, 25, S. 87–88: Summus pontifex missus ad Evurhardum pro concordia et pace, cum esset earum rerum desiderantissimus, pacto mutuo suum interposuit iuramentum, et ideo ab eo non posse desipere fertur narrasse. Rex autem per pontificem officio suo congruentia dirigens responsa, nil ad se pertinere voluit, quicquid episcopus egisset sine suo imperio. Quare quia contra auctoritatem regi quasi precellenti noluit subici, sed recessit ab eo, in Hammaburgensem urbem quasi in exilium destinavit, Rothardum vero episcopum Novam Corbeiam direxit. In brevi vero utrisque clementer ignoscit, in sui gratiam suscipit et honori pristino reddidit (Übersetzung nach FSGA 8, S. 111). 15 Ebd., II, 25, S. 87: Defectionis causam edicere et regalia misteria pandere super nos est, verum historiae satisfaciendum arbitramur; quicquid in hac parte peccemus, veniabile sit (Übersetzung nach FSGA 8, S. 111). 16 S. oben Anm. 9. 17 Vgl. Liutprand, Antapodosis, hg. von Joseph Becker (MGH SSrG 41), Hannover 3 1915, S. 1–158, IV, 27 und 32; Adalbert von Magdeburg, Continuatio Reginonis, hg. von Friedrich Kurze (MGH SSrG 50), Hannover 1890, a. 939, S. 160 f. 18 Adalbert, Continuatio (wie Anm. 17), a. 952–954, S. 165–168. 19 Widukind, Sachsengeschichte (wie Anm. 12), III, 13, S. 111: …, paruit tamen rex eorum sententiis in omnibus locorum temporumque angustia (Übersetzung nach FSGA 8, S. 137). 20 Ebd., III, 14/15, S. 111–112: …, regemque, quem in Francia pene perdidit, in patria magnifice recepit. XV. Nam confortatus amicorum gentisque propriae presentia, irritum fecit pactum, quod coactus inire confessus est, edictumque est filio generoque auctores sceleris puniendos tradere aut certe se hostes publicos nosse. Pactis pristinis pontifex intercessit, tamquam paci et concordiae consulturus. Ob id regi fit suspectus, amicis regalibus consiliariisque omnimodis spernendus (Übersetzung nach FSGA 8, S. 137). 21 Ebd., III, 15, S. 112: De eo nostrum arbitramur nequaquam aliquid temere iudicare; sed quod de eo probamus, quia magnus erat oratione die noctuque, magnus elemosinarum largitate, precipuus verbo predicationis, non silere dignum duximus; caeterum de accusatis causis qui iudicat Dominus est (Übersetzung nach FSGA 8, S. 137). 22 Ebd., III, 32, S. 119: Postremum pontifex summus rationem redditurus intravit, promittens se quocumque rex imperavisset iudicio significaturum numquam contra regem sensisse vel velle vel fecisse; timore coactum a rege discessisse, offensum sibi eum quia intellexisset, innocentem gravissimis accusationibus obrutum; de caetero iuramentorum omnibus argumentis fidem servaturum. Ad haec rex: ‚A vobis non exigo iuramentum, nisi pacis et concordiae consilium, in quantum possitis, adiuvetis‘ (Übersetzung nach FSGA 8, S. 147). 23 Vgl. dazu bereits Kamp, Friedensstifter (wie Anm. 1), S. 175 ff.; Gerd Althoff, Heinrich IV. (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 2006, S. 98 ff. 24 Lampert von Hersfeld, Annalen, hg. von Oswald Holder-Egger (MGH SSrG 38), Hannover – Leipzig 1894, S. 58–304, a. 1074, S. 177 f.: Tunc missi sunt quatuor ex episcopis agere cum eis de pace et promittere ex nomine regis, quod omnibus, quae racionabiliter postulassent, et quae electi ex utraque parte iudices equa censuissent, … Ad haec illi responderunt nihil aliud se postulare, quam quod multis iam sepe legationibus postulassent … Si haec se facturum fidelissime polliceatur et ad firmamentum indubitatae fidei fideiussores sibi det eosdem, quos nunc habeat recuperandae pacis intercessores, principes regni: paratos se arma deponere, pacem suscipere et deinceps dicto obtemperantes vivere (Übersetzung nach FSGA 13, S. 223 f.). 25 Ebd., a. 1074, S. 180: Tum ille non tam ratione victus quam necessitate, cum omnia prius incassum pertemptasset diverticula, tandem accitis ad consilium principibus permisit, ut pro suo arbitratu tantos motus componerent, promittens se indubitata fide omnibus annuere,

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Gerd Althoff quae ipsi conficiendis tantis rebus competere iudicassent. At illi responderunt non aliam prorsus patere viam subterfugiendi, quod stricto iam mucrone comminus intentaretur, prelii, quam ut faceret quae Saxones postulassent. Quod cum sub testificatione nominis Christi spopondisset, profecti sunt ad eos XV episcopi et quicquid principum in castris erat referre illis regis voluntatem (Übersetzung nach FSGA 13, S. 227). 26 Ebd., a. 1074, S. 180: … conglobato agmine ad videndam faciem regis processerunt ipso die purificationis sanctae Mariae, preeuntibus his qui reparandae pacis mediatores fuerant episcopis et aliis principibus. Quos ille venientes honorifice suscepit, osculum prebuit et pacis condiciones, quas per internuncios significaverat, vivae vocis auctoritate roboravit (Übersetzung nach FSGA 13, S. 227 f.). 27 Vgl. Leopold von Ranke, Zur Kritik fränkisch-deutscher Reichsannalisten, in: Alfred Dove – Theodor Wiedemann (Hgg.), Abhandlungen und Versuche von Leopold Ranke (Sämtliche Werke 51/52), Leipzig 1888, S. 125–149, der als erster die antiheinricianische Tendenz Lamperts entdeckte und herausarbeitete. 28 Lampert, Annalen (wie Anm. 24), a. 1074, S. 184: Postremo, ne qua regi instaurandi castelli occasio reliqua esset, filium eius et fratrem, quos ille ad gratificandum popularibus locum ibi tumulaverat, effodiunt aguntque omnia, quantum possunt, ne administrando bello deinceps mons complanatus ullam prestare postae fuerant, et effossa defunctorum corpora abbas ex vicino cenobio oportune superveniens furenti vulgo eripuit atque in suum monasterium cum honore transvexit. 29 Ebd., a. 1075, S. 235: Tandem placuit mitti ad eos Mogontinum archiepiscopum, Salzburgensem archiepiscopum, Augustensem episcopum, Werzeburgensem episcopum et cum his ducem Gozelonem, cuius potissimum in ea expeditione auctoritas valebat, et in eo omnium quae agenda erant summa et cardo vertebatur, pro eo quod, licet statura pusillus et gibbo deformis esset, tamen opum gloria et militum lectissimorum copia, tum sapientiae et eloquii maturitate caeteris principibus quam plurimum eminebat. Hos quinque nominatim ad colloquium suum Saxones expetierant, quod hos constantissimae fidei et veritatis esse compererant, et quicquid hi spopondissent, ratum fore haud dubio credebant. 30 Ebd., a. 1075, S. 236: Ad haec illi responderunt se causam, qua primum adversus regem arma sumpserint, non admodum improbare, nec placere sibi obstinatum ad perniciem eorum regis animum et pertinax odium; consensisse tamen in hoc omnes regni principes de usurpato in re publica novo hoc et multis retro seculis inaudito facinore non aliter regi vel rei publicae posse satisfieri, quam ut se absque ulla exceptione dedant; sibi autem, quorum hob consilio agant, curae futurum, ut nihil ex hac deditione, quod saluti eorum, quod honori, quod rei familiari officiat, experiantur (Übersetzung nach FSGA 13, S. 319). 31 Ebd., a. 1075, S. 237: … proinde ituros se ad regem et, si tuto fidem dicere, tuto veniam polliceri possent, comperturos et quae comperta fuissent die postera renunciaturos (Übersetzung nach FSGA 13, S. 321). 32 Ebd., a. 1075, S. 237: Rex gratissime amplexus pacis conventionem promisit et, sicut vulgata in plurimos fama loquebatur, etiam iusiurandum dedit nihil se in eos, si dediti fuissent, preter voluntatem et sententiam acturum eorum, quorum opera et beneficio incruenta sibi haec victoria obtigisset (Übersetzung nach FSGA 13, S. 321). 33 Ebd., a. 1075, S. 237: … etiam sub iureiurando confirmantes, non salutis, non libertatis, non prediorum, non beneficiorum, non caeterae suppellectilis suae ullam eos iacturam sensuros, sed postquam faciem regis et regni maiestatem momentanea satisfactione magnificassent, statim deditione absolvendos et patriae libertatique, in nullis imminuto sibi condicionis suae statu, restituendos esse (Übersetzung nach FSGA 13, S. 321). 34 Ebd., a. 1075, S. 238: Postera die rex ad suscipiendos eos in medio late patentis campi planiciae, in loco qui dicitur Spiraha assedit, toto exercitu ad hoc spectaculum solemniter

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Der König als Konfliktpartei evocato, latissimo inter constipatam multitudinem vacante spacio, ubi dum procederent, tocius exercitus oculis conspicui forent. Igitur introducuntur per ordinem Saxoniae ac Turingiae primo principes, Wezil archiepiscopus Magdaburgensis, Bucco episcopus Halberstadensis, Otto dux quondam Baioariae, Magnus dux Saxoniae, Herimannus comes, patruus eius, Fridericus palatinus comes, Diedericus comes de Cadalenburg, Adelbertus comes de Turingia, Ruodeger, Sizzo, Berenger, Bern comites; deinde ingenui omnes, qui generis vel opum claritate aliquantulum eminebant in populo; et sicut convenerat, absque ulla exceptione regi se dediderunt. 35 Ebd., a. 1075, S. 238 f.: Rex eos principibus suis, singulis singulos, donec de eis communi consilio deliberaretur, servandos commisit, et paulo post rupto federe, contemptis omnibus, quibus se obligaverat, iurisiurandi vinculis, eos per Galliam, Sueviam et Baioariam, per Italiam et Burgundiam deportari fecit (Übersetzung nach FSGA 13, S. 323). 36 Vgl. dazu und zum Folgenden Stefan Weinfurter, Canossa. Die Entzauberung der Welt, München 2006; Herbert E. J. Cowdrey, Pope Gregory VII, Oxford u. a. 1998, S. 140 ff. 37 Vgl. dazu bereits Heinrich Büttner, Erzbischof Adalbert von Mainz, die Kurie und das Reich in den Jahren 1118 bis 1122, in: Josef Fleckenstein (Hg.), Investiturstreit und Reichsverfassung (Vorträge und Forschungen 17), Sigmaringen 1973, S. 395–410, S. 403 ff.; Stefan Weinfurter, Reformidee und Königtum im spätsalischen Reich. Überlegungen zur Neubewertung Kaiser Heinrichs V., in: Ders. (Hg.), Reformidee und Reformpolitik im spätsalisch-frühstaufischen Reich. Vorträge der Tagung der Gesellschaft für Mittelrheinische Kirchengeschichte vom 11. bis 13. September 1991 in Trier (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 68), Mainz 1992, S. 1–45, S. 43 f.; Althoff, Spielregeln (wie Anm. 1), S. 136 ff. 38 Vgl. die schriftliche Fixierung ihrer Vereinbarungen, die die älteste dieser Art ist, in: MGH Constitutiones et acta publica imperatorum et regnum (MGH Legum sectio 4), Bd. 1, hg. von Ludwig Weiland, Hannover 1893, Nr. 106, S. 158: Si autem dominus imperator hoc consilium preterierit, principes sicut ad invicem fidem dederunt, ita eam observent. 39 Ebd.: Dominus imperator apostolice sedi obediat. 40 Vgl. dazu Wolfgang Sellert, Art.: ‚Schiedsgericht‘, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 1386–1393, mit weiteren Hinweisen. 41 Vgl. dazu Wilhelm Bernhardi, Lothar von Supplinburg (Jahrbücher der deutschen Geschichte 15), Leipzig 1879, bes. S. 30–33. 42 Vgl. dazu eindringlich Knut Görich, Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12. Jahrhundert (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne), Darmstadt 2001, S. 163 ff., bes. S. 166 mit Anm. 385. 43 Vgl. dazu Gerd Althoff, Friedrich Barbarossa als Schauspieler? Ein Beitrag zum Verständnis des Friedens von Venedig (1177), in: Trude Ehlert (Hg.), Chevaliers errants, demoiselles et l’Autre. Höfische und nachhöfische Literatur im europäischen Mittelalter. Festschrift für Xenja von Ertzdorff zum 65. Geburtstag, Göppingen 1998, S. 3–20; Johannes Laudage, Gewinner und Verlierer des Friedens von Venedig, in: Stefan Weinfurter (Hg.), Stauferreich im Wandel. Ordnungsvorstellungen und Politik in der Zeit Friedrich Barbarossas (Mittelalter-Forschungen 9), Stuttgart 2002, S. 107–130; mit der debita reverentia des Kaisers beginnt der schriftliche Vertrag zwischen Alexander III. und Friedrich Barbarossa; vgl. dazu Die Urkunden Friedrichs I. 1168–1180, bearb. von Heinrich Appelt (MGH DD 10), Hannover 1985, Nr. 687.

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Vermittlung in der internationalen Politik des späten Mittelalters Hermann Kamp Auch wenn die institutionalisierte Vermittlung als Form der Streitschlichtung in den letzten Jahrzehnten in vielen Bereichen der Politik an Bedeutung gewonnen hat, so tritt sie doch im 20. und 21. Jahrhundert vornehmlich im Zuge internationaler Konflikte in Erscheinung. Nach einer Erklärung braucht man nicht lange zu suchen. Die Vermittlung belässt es gemeinhin dabei, die Konfliktparteien zu einer Einigung kommen zu lassen. Der Vermittler zwingt die Kontrahenten nicht dazu, sich seinen Vorstellungen vom Frieden zu unterwerfen.1 Er sucht nach den gemeinsamen Interessen, die gleichsam als Unterpfand einer Lösung herhalten müssen. Gefragt ist der Vermittler insofern überall dort, wo die Kontrahenten auf ihrer eigenen Entscheidungsgewalt, auf ihrer Souveränität beharren. Genau dies aber gilt bis heute für die einzelnen Staaten, und so scheint bei zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen die Vermittlung vielfach als der einzig gangbare Weg, um zu einer friedlichen Lösung zu kommen. 2 Wo es indes feste Regeln, Normen und Verfahren und Instanzen gibt, nach denen Konfliktfälle zu entscheiden sind und denen sich die Konfliktparteien nicht einfach entziehen können, braucht man zunächst einmal keine Vermittler, sondern Personen oder Institutionen, die die anerkannte Autorität und das Wissen haben, die Regeln und Normen auf den Einzelfall anwenden zu können. Diese Regeln und Verfahren haben sich über die Jahrhunderte hinweg im Inneren der europäischen Reiche, Staaten oder Länder ausgebildet und dazu beigetragen, dass von Vermittlung vornehmlich bei internationalen Konflikten die Rede ist. Das war im Mittelalter anders. So brachte es die starke Stellung der Großen und Fürsten mit sich, dass bei Konflikten zwischen diesen Herrschaftsträgern vielfach auf Vermittler zurückgegriffen wurde. 3 Zugleich sahen der Kaiser, in Anlehnung später auch Landesherrn oder Städtebünde, eine ihrer Aufgaben darin, Konflikte einvernehmlich zu schlichten. Und wo der König selbst in Konflikte involviert war, da gab es nicht selten selbstbewusste Fürsten, die sich als Vermittler zwischen dem herausgeforderten Herrscher und dessen Untergebenen einbrachten. So kam es bei vielen Konflikten im Innern eines Reiches zu Vermittlungsaktivitäten. 4 Diese Vermittlungsaktivitäten waren nun aber nicht einfach das Produkt 98

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einer fehlenden Gerichtsbarkeit, sondern ergänzten diese, sei es dass sie einer gerichtlichen Klärung vorausgingen, diese überflüssig machten oder aber für die Annahme von Gerichtsurteilen sorgten. 5 Ebenso kennzeichnend für die damaligen Vermittlungsinitiativen war es, dass sie häufig aus bilateralen Verhandlungen hervorgingen. Gerade wenn Konflikte eskalierten, gab es bald niemanden mehr, der unmittelbar von außen in den Konflikt hätte eingreifen können, weil alle Beteiligten Partei waren.6 Dennoch erwuchsen zuweilen, wenn beide Seiten Verhandlungen aufnahmen, aus der Gruppe der Verhandlungsführer so genannte Friedensvermittler, weil sie im Laufe der Verhandlungen dann auch gegenüber der eigenen Partei im Namen des Friedens Forderungen stellten. Der Übergang war fließend und dies umso mehr, als sich die Vermittler über weite Strecken des Mittelalters nicht durch Neutralität auszeichneten, sondern ihre herausgehobene Stellung dem Umstand verdankten, dass sie auch zu Teilen der gegnerischen Seite gute, aber nicht unbedingt gleichwertige Beziehungen unterhielten. 7 Vor diesem Hintergrund ist es dann auch nicht mehr erstaunlich, dass im Bereich der so genannten zwischenstaatlichen Beziehungen Vermittler während des Mittelalters zunächst einmal eine untergeordnete Rolle spielten. Schlugen Probleme zwischen zwei Herrschern in Konflikte um, verhandelte man zumeist mit Hilfe von Gesandten, die einen bestimmten Auftrag bekamen, also weisungsgebunden und nur selten persönlich der Gegenseite verbunden waren, so dass aus ihnen eigentlich auch keine Vermittler werden konnten.8 Zugleich waren außenstehende Mächte nur selten in der Lage oder bereit, vermittelnd einzugreifen. Derartige Interventionen mied man, da sie sehr schnell Rang- und Statusprobleme hervorgerufen hätten. Infolgedessen lösten im Mittelalter eher die politischen Probleme im Inneren eines Reiches als die so genannten zwischenstaatlichen Konflikte Vermittlungsaktivitäten aus. Aber das Mittelalter war lang. Und so hat man gleich wieder einen Anlass, das soeben gezeichnete Bild zu retouchieren. Denn ohne Zweifel gingen die massiven Veränderungen, denen die europäische Gesellschaft seit dem 12. und 13. Jahrhundert ausgesetzt war, nicht spurlos an den Formen der Konfliktschlichtung vorbei. Im Zuge dieser Veränderungen, die man gemeinhin mit Stichworten wie Verrechtlichung, Verschriftlichung und Verstädterung oder mit den Worten Ausdifferenzierung oder Institutionalisierung auf den Begriff zu bringen versucht, wurde auch die Vermittlung deutlicher von anderen Formen der Konfliktschlichtung getrennt. Ebenso gewann die Schiedsgerichtsbarkeit an Bedeutung und das Gewicht der Gerichte stieg, wenn gleich dies je nach Land sehr unterschiedlich ausfiel. 9 Die Vermittlung verlor damit keinesfalls an Bedeutung, aber sie war auf den ersten Blick nicht mehr ganz so sichtbar wie noch zuvor. Und noch etwas veränderte sich. Europa wuchs stärker zusammen, und seit dem 12. Jahrhundert kam es zu einer schleichenden Internationalisierung von 99

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zwischenstaatlichen Konflikten.10 Ebenso nachhaltig wirkte sich der Aufstieg des Papsttums zur europäischen Macht aus. Die Päpste mischten sich immer häufiger in die politischen Auseinandersetzungen in und zwischen den einzelnen europäischen Reichen ein, und als eine Macht, die von einer anderen Welt war oder es zumindest vorgab, waren die Päpste für eine vermittelnde Rolle wie geschaffen.11 Allerdings beanspruchten sie wiederholt auch eine Richterfunktion, sei es weil nur sie über schwere Sünden befinden könnten, sei es weil sie für alle Konflikte als Richter von Gott eingesetzt seien, für die kein weltliches Gericht zuständig war. Damit aber stießen sie auf den heftigen Widerstand vieler Herrscher, die darin den Anspruch auf eine ungerechtfertigte päpstliche Oberherrschaft sahen. Das führte dann schließlich dazu, dass seit dem 14. Jahrhundert die Päpste bei bestimmten Konflikten bewusst ihre Intervention als die einer Privatperson hinstellten respektive betonten, nur vermitteln und nicht richten zu wollen. 12 Damit war ein Weg gefunden, wie man im zwischenstaatlichen Bereich Frieden stiften konnte, ohne gleich sofort an den Rang- und Statusproblemen zu scheitern. Da zugleich mit der wachsenden Internationalisierung der Politik die Nachfrage nach Schlichtung in diesem Bereich stieg, aufgrund fehlender Gerichte aber nur mittels eines Schiedsgerichts oder eben mittels der Vermittlung Konflikte beigelegt werden konnten, trat die Vermittlung damit stärker im so genannten zwischenstaatlichen Bereich in Erscheinung. So gesehen verlor die Vermittlung im späten Mittelalter einerseits an Bedeutung, gewann aber andererseits auf bestimmten Feldern sogar an Gewicht. Inwieweit sich damit neue Probleme für die Vermittlungstätigkeit ergaben, inwieweit sie sich in ihrer Art veränderte, das soll im Folgenden skizziert werden, ohne damit auch nur im Ansatz ein vollständiges Panorama liefern zu können. Zu diesem Zweck werden drei Vermittlungsinitiativen analysiert, die alle mit der Geschichte der burgundischen Herzöge in Verbindung stehen. Das ist vielleicht nicht nur ein bloßer Zufall. Denn das spätmittelalterliche Burgund konnte sich damals als eine fast eigenständige politische Größe zwischen dem Reich und Frankreich sowie zwischen England und Frankreich etablieren13 und löste damit selbst einerseits Konflikte aus, die schnell einen internationalen Charakter besaßen. Es konnte aber andererseits auch schnell eine vermittelnde Rolle zwischen den anderen Reichen einnehmen. Den Anfang soll dabei eine Auseinandersetzung machen, die nur in geringen Maßen international zu nennen ist, aber ein Beispiel dafür liefert, wie man durch Heiratsverbindungen zum Vermittler in einem fremden Land werden konnte, was im späten Mittelalter häufiger vorgekommen ist. Gemeint ist die Initiative, die der erste Herzog aus dem Haus der Valois, Philipp der Kühne, im Jahre 1379 ergriff, um den Konflikt zwischen dem Grafen von Flandern und den aufständischen Städten des Landes zu beenden.

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I. Die Auseinandersetzung, die Philipp der Kühne damals zu befrieden suchte, gehörte zu den für das späte Mittelalter so typischen Konflikten zwischen einer Stadt und ihrem Landesherrn. Befördert wurde der Streit aber auch durch die Konkurrenz unter den flandrischen Städten. So stand am Anfang der Auseinandersetzung ein Privileg, das der Graf von Flandern der Stadt Brügge verliehen hatte und das dieser das Recht verlieh, einen Kanal zwischen der Leie und dem Meer zu bauen. 14 Darin sahen die Genter einen Angriff auf ihre Handelsinteressen und versuchten den Kanalbau mit aller Gewalt zu verhindern. Bei seinem Versuch, ihr eigenmächtiges Vorgehen zu unterbinden, machte sich der gräfliche Amtmann selbst zur Zielscheibe des Unmutes, namentlich nachdem er einen Bürger der Stadt hatte verhaften lassen, was aus Sicht der Stadt gegen deren Statuten verstieß. Im September 1379 kam es dann zum öffentlichen Aufruhr, der gräfliche Amtmann wurde dabei getötet, ein gerade erbautes gräfliches Schloss in Brand gesetzt. Die Vertreter der Zünfte wählten darauf hin einen Hauptmann, der die Stadt in den Kampf mit dem Grafen führen sollte. Zugleich gewannen sie die wichtigen flandrischen Städte für ein Bündnis, selbst das vom Grafen geförderte Brügge stellte sich unter sanftem Druck auf die Seite Gents. 15 Zwar starb bald darauf der Hauptmann der Genter – einige sprachen von Vergiftung –, aber vier neue Hauptleute traten an dessen Stelle und setzten den Kampf gegen den Grafen fort. Dieser rief sein Lehnsheer in Oudenaarde zusammen. Um den Einsatz des Heeres zu verhindern, begannen die Genter eine Belagerung der Stadt. 16 Obwohl im abgelegenen Dendermonde weilend, fühlte sich der Graf immer unsicherer. Zur gleichen Zeit wurde der Herzog von Burgund aktiv. Es war ihm nicht zu verdenken, denn der Konfliktverlauf lief seinen Interessen vollständig entgegen. Im Jahre 1369 hatte er nämlich die Tochter des Grafen von Flandern geheiratet, und diese Ehe gab zu den besten Aussichten Anlass, da die Ehefrau beim Tod ihres Vaters, des Grafen, dem Ehemann nicht nur die Grafschaft Flandern, sondern auch die Grafschaften Artois, Nevers und Rethel und die Freigrafschaft Burgund einbringen sollte. 17 Das Filetstück dieses Erbes, die reiche Grafschaft Flandern, schien nun aber durch den Aufstand in Gefahr. Die Initiative zur Friedensstiftung ging allerdings nicht von Philipp aus. Vielmehr hatte ihn seine Schwiegermutter, die Gräfin Margarete von Artois, gebeten, den Konflikt zwischen ihrem Sohn und den aufständischen Städten zu schlichten.18 Und so zog der burgundische Herzog mit hochrangigem Gefolge auch zunächst nach Arras, wo er sich mit Margarete besprach. 19 Dabei traf die Gräfin auf einen bestens informierten Herzog von Burgund, dem sie vor allem die Notwendigkeit, Frieden zu stiften, darlegte. 20 Sie appellierte an die Standesehre, wies auf die Gefahr hin, in der sich der in Oudenaarde eingeschlossene Adel befand, und erklärte die Rückkehr zum Frieden zu einer Tat 101

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der Vernunft und einem Gebot Gottes. 21 Der Herzog, der mit einer ranghohen Begleitung erschienen war, zeigte sich überzeugt und übernahm die Aufgabe. Mit dem Grafen trat Philipp indes nicht unmittelbar in Kontakt und konnte es vielleicht auch gar nicht, da er gerade in Dendermonde belagert worden war. 22 Zu Beginn seiner Mission begab sich der Herzog nicht nach Flandern, sondern ins benachbarte, dem französischen König, seinem Bruder, direkt unterstehende Tournai. Von dort aus schickte er dann den Abt von Saint Martin in Tournai und einige Begleiter nach Oudenaarde, die erfolgreich Kapitäne des Genter Belagerungsheeres dazu bewegten, zum Herzog nach Tournai zu kommen, um dort, wie es in der Chronik von Tournai heißt, mit dem Herzog „den Frieden zwischen dem Herrn von Flandern und seinen Kommunen zu verhandeln.“ 23 Warum die Genter Kapitäne sich auf den Vorschlag eingelassen und nach Tournai gekommen sind, teilt der Autor der Chronik von Tournai seinem Leser gleich auch mit. Die Kapitäne hätten es gerne getan, um das gemeine Volk beim Herzog von Burgund zu entschuldigen. 24 Offenkundig schenkte man Philipp Vertrauen, glaubte an sein Verständnis. 25 Die Voraussetzungen dafür hatte der Herzog selbst in den Jahren seit seiner Ehe mit der Erbtochter des Grafen gelegt, als er sich bemüht hatte, das Wohlwollen und die Zuneigung der flandrischen Städte zu gewinnen. Philipp der Kühne war seit 1369 fast jedes Jahr in Flandern gewesen, hatte in den Städten Turniere veranstalten lassen, war sogar Bogenschützenvereinen beigetreten und hatte insofern vieles getan, um Anerkennung und Zuspruch zu finden. 26 Insofern dürfte die Bereitschaft der Genter Kapitäne, dem Vorschlag Philipps zu folgen, darauf beruhen, dass man in den flandrischen Städten zwischen ihm und seinem Schwiegervater zu unterscheiden vermochte. Die engen Bindungen an den Grafen und die eigenen Interessen, die er als künftiger Graf verfolgen mochte, schienen aus der Sicht der Genter Hauptleute nicht gegen eine Vermittlung durch Philipp zu sprechen. Ihre Hauptleute kamen mit den Abgesandten des Herzogs gegen Mitternacht nach Tournai und wurden in Privathäusern untergebracht. 27 Am nächsten Tag wurden sie von einem Vertrauten des Herzogs zu diesem geführt. Da Philipp der Kühne offenkundig des Flämischen nicht mächtig und die Kapitäne wenn überhaupt nur schlecht Französisch sprachen, übernahm der Vertraute des Herzogs die Aufgabe, für den Herzog zu reden.28 Die Unterredung hatte allein den Zweck, Ort und Termin für die Friedensverhandlungen zu finden, die dann zwei Tage später stattfinden sollten. Man vereinbarte, sich auf halbem Wege zwischen Tournai und Oudenaarde zu treffen, und zwar in Pont-à-Rosne. 29 Das Gespräch war um die Mittagszeit wieder beendet. Ehe die Verhandlungen in Pont-à-Rosne begannen, nahm der Herzog die Gelegenheit wahr, sich als Friedensstifter zu präsentieren. Denn am folgenden Tag wurde in der gefüllten Kathedrale von Tournai im Beisein des Herzogs ein feierlicher Gottesdienst gehalten, in dessen Verlauf für den Frieden in Flandern 102

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gepredigt wurde.30 Das war damals typisch. 31 Es galt den Friedensgedanken in den Köpfen zu stärken, Argumente zu liefern. Und für den Herzog war es eine zusätzliche Legitimation. Am nächsten Tag brach der Herzog zum Verhandlungsort auf, und zwar äußerst früh, um so vor seinen Verhandlungspartnern am Ort einzutreffen.32 Für diese Taktik dürften Sicherheitsgründe den Ausschlag gegeben haben. Angesichts des fortgesetzten Krieges war seine Mission für ihn selbst gefährlich, und das wusste er. So kam er denn auch mit einem kleinen Heer bewaffnet zum Treffpunkt. 33 Dies dürfte zuvor vereinbart worden sein, da die Delegation der aufständischen flandrischen Kommunen den bewaffneten Friedensstifter bei ihrer Ankunft nicht als Problem wahrnahm. In Pont-à-Rosne sollte neben der Abordnung aus Gent und Ypern auch eine Gesandtschaft aus Brügge erscheinen. Sie kam jedoch nicht, möglicherweise auf Grund der politischen Differenzen mit Gent. 34 Allerdings scheinen die Brügger sich später wieder beteiligt zu haben, so werden sie am Ende zu denen gezählt, die dem erzielten Abkommen zustimmten. 35 In jedem Fall wurde in den nächsten zehn Tagen Tag für Tag verhandelt, wobei der Herzog für die Nacht stets nach Tournai zurückkehrte. Über die Gespräche selbst erfährt man so gut wie nichts. Dennoch lassen deren Ergebnisse deutlich die Gesprächsgegenstände erkennen. Allem Anschein eröffnete der Herzog den Hauptleuten aus Gent die Möglichkeit, ihre Forderungen an den Grafen vorzubringen. Diese Forderungen scheinen einzeln debattiert worden zu sein. 36 Dann wurde notiert, worüber Einigkeit bestand und worüber nicht. Auf diese Weise konnten die Verhandlungen schrittweise vorangehen und man konnte sich zunehmend auf die schwer überwindbaren Probleme konzentrieren. Zugleich hielt man mit zunehmender Verhandlungszeit einen Fundus an Gemeinsamkeiten, den man nicht leichtfertig auf Spiel setzen wollte. Infolgedessen entstand ein Druck, auch die schwierigen Fragen lösen zu wollen. Im Zuge der Verhandlungen kam der Herzog den Genter Hauptleuten weit entgegen. Die Städte und insbesondere Gent sollten die Belagerung von Oudenaarde aufgeben und in den Gehorsam des Grafen zurückkehren.37 Aber alle Gewalttaten und jeglicher Ungehorsam sollte ihnen vergeben werden. Zugleich sollten sie wieder in den Genuss aller früheren Privilegien kommen. Des Weiteren sagte ihnen der Herzog zu, dass ein Berater des Grafen entlassen und ins Exil geschickt würde und eine allgemeine Untersuchung über das Verhalten der gräflichen Amtsträger durchgeführt werden sollte. Auch die Schleifung eines Tors der Befestigung von Oudenaarde wurde den Abgesandten der Genter konzediert. Und schließlich sollte die alljährliche Rechnungsprüfung für die Ein- und Ausgaben der gräflichen Regierung auch vor den Augen der Abgeordneten der Zünfte stattfinden. Folgt man Froissart, dann versprachen die Genter zudem dem Grafen, das zerstörte Schloss wieder aufbauen zu lassen, während der Graf sich verpflichtete, nach Gent zu kommen, um dort die beklagten Übel abzustellen. 38 103

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Eine Regelung des problembeladenen Verhältnisses zwischen dem Grafen und dessen Mutter, Margarete, die ja Philipp den Auftrag zur Vermittlung erteilt hatte, versagte der Herzog den Gentern, ebenso wenig ließ er sich darauf ein, allen mit schweren Strafen zu drohen, die Flandern verließen, um den Grafen aufzusuchen.39 Und keinen positiven Bescheid erhielten die Unterhändler der flandrischen Städte auch im Hinblick auf die Schleifung weiterer Tore in Oudenaarde. Noch am gleichen Tag verabredete der Herzog mit seinen Verhandlungspartnern einen Termin, an dem diese ihm ihre endgültige Antwort auf die Vorschläge mitteilen sollten. 40 In jedem Fall lief dann alles so wie geplant: man kam am 29. November 1379 erneut in Pons-à-Rosne zusammen, diesmal erschienen auf Seiten der Genter sogar 50 Hauptleute. 41 Zu verhandeln war jetzt nur noch die Frage der abzutragenden Stadttore, worüber man sich aber immer noch nicht einigen konnte. 42 Die Angelegenheit wurde auf den nächsten Tag verschoben. Allem Anschein wollte man einen Ausgleich daran nicht mehr scheitern lassen, und so wurden schließlich nach langen Verhandlungen die Tore in die Hände des Herzogs von Burgund gegeben, der dann darüber befinden sollte, wie damit zu verfahren sei. 43 Damit wurde der Vermittler selbst mit in die Friedensvereinbarungen einbezogen. Der endgültige Durchbruch bei den Verhandlungen erfolgte im Rahmen eines Essens, das der Herzog für die Hauptleute aus den verschiedenen flandrischen Städten gab und das als Zeichen des Wohlwollens und dank seines Verpflichtungspotentials wohl helfen sollte, bei den Rebellen die letzten Reserven gegenüber einem Abkommen aufzulösen. 44 Am Ende wurde dann ein schriftlicher Vertrag aufgesetzt, der bereits einen Tag später, am 1. Dezember, dem Grafen, der inzwischen Flandern verlassen hatte und sich in Mecheln aufhielt, vorlag und der ihn dann auch ratifizierte. 45 Besiegelt wurde der Vertrag von den Hauptleuten in Tournai, womit die Bedeutung des Vermittlers akzentuiert wurde, der dort ja sein Lager aufgeschlagen hatte. 46 Zwei Tage später wurde die Belagerung von Oudenaarde aufgehoben. Der von Philipp dem Kühnen vermittelte Frieden trat endgültig in Kraft, was allen durch die Ausrufung des Friedens an eben diesem Tag verkündet wurde. 47 Aufs Ganze gesehen hat man es mit einem Konflikt innerhalb eines Herrschaftsgebietes zu tun, in den jemand von außen eingreift, der zu beiden Seiten verhältnismäßig gute Beziehungen unterhielt. Keine Neutralität, sondern seine qualitativ höchst unterschiedliche Bindung an beide Konfliktparteien ließen Philipp zum anerkannten Vermittler werden. Philipp selbst scheint seine Rolle sehr aktiv interpretiert zu haben, er machte zwar selbst keine Vorschläge, aber nahm sich doch die Freiheit, die Forderungen der Genter selbst zu bewerten und teils zurückzuweisen, wobei allerdings offen bleiben muss, ob er dabei Rücksprache mit dem Grafen genommen hat. Im Kern passte Philipp die jeweiligen Forderungen den Machtverhältnissen an. Deshalb scheinen die Eigeninteressen, die er als künftiger Graf geradezu 104

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zwangsläufig mit verfolgte, seine Vermittlerrolle nicht in Frage gestellt zu haben. Die politische Konstellation ließ es gar nicht zu, dass man den Abgeordneten der flandrischen Städte etwas abverlangte, während der Graf von Flandern gar nicht anders konnte, als zu den meisten Forderungen Ja zu sagen. Fiel Oudenaarde mit den vielen gräflichen Kriegern in der Stadt – und der Hunger setzte bereits den Belagerten zu – dann hatte der Graf seine Herrschaft langfristig verloren. Die nicht mehr auszuschließende Einnahme Oudenaardes durch die Genter war es ja auch gewesen, die die Mutter des Grafen dazu gebracht hatte, Philipp als Vermittler einzuschalten, was eben auch bedeutet, dass sich damit die gräfliche Seite zum Einlenken gezwungen sah. Bleibt die Frage, warum es dann überhaupt eines fürstlichen Vermittlers bedurfte, wenn der Ausgang ohnehin schon feststand. Die Antwort ist einfach und banal. Der Abt von St. Martin in Tournai, der für Philipp als Unterhändler fungierte, 48 hätte durchaus die Forderungen der Genter an den Grafen von Flandern weiterleiten können. Nur hätten die Städte wohl niemals dem Abt zugetraut, dem Grafen eine Zustimmung zu den Forderungen zu entlocken und ihn dann auch noch für die Einhaltung der Abmachungen zu gewinnen. Und der Graf vermochte nur beim Herzog von Burgund darauf vertrauen, dass er schon aus Eigeninteresse bedrohliche Forderungen würde zurückweisen können, was dieser ja auch bei einigen Punkten getan hatte. Außerdem war der Graf nur einem Gleichrangigen gegenüber in der Lage, seine beträchtlichen Konzessionen ohne größeren Gesichtsverlust zu vermitteln, wobei er sie in diesem Fall sogar noch besser als Entgegenkommen gegenüber dem eigenen Schwiegersohn und Nachfolger hinstellen konnte. Doch so sinnvoll das Einschreiten Philipps auch erscheint, der ausgehandelte Frieden hielt nicht lange. Ein Jahr später brach der Konflikt von neuem aus. 49 Die Familie des getöteten gräflichen Amtmanns hatte sich an einigen Genter Kaufleuten schadlos gehalten, sie aus Rache verstümmelt und getötet. 50 Das nahm ein Teil der Genter als Friedensbruch wahr. Daraufhin zog der Anführer der antigräflichen Kräfte unter den Zünften nach Oudenaarde, nahm die Stadt im Handstreich ein und ließ dort zwei Stadttore und Teile der Stadtmauer zerstören. Als das wiederum dem Grafen zugetragen wurde und er die Schöffen der Stadt Gent zur Rede stellen ließ, verwiesen beide Seiten nochmals auf den Vermittler. Die Genter führten an, dass ihnen das mit Hilfe des Herzogs ausgehandelte Abkommen die Freiheit gegeben habe, die Stadt zu zerstören, wann immer sie wollten. Und die Abgesandten des Grafen antworteten, dass sich die Genter nach dem Überfall auf die Kaufleute zunächst einmal an den Herzog von Burgund hätten wenden müssen. Offenkundig übernahm der Vermittler in den Augen der Streitparteien über das Abkommen hinaus eine Verantwortung für dessen Einhaltung, die ihm dann auch bei Problemen und Streitfragen erlauben konnte, ein Wort mitzureden. Allerdings diente in diesem Fall – und das dürfte man noch häufiger feststellen – der Ruf nach dem Vermittler vor allem zur Legitimation des eigenen Han105

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delns. Philipp der Kühne jedenfalls sollte nach dem Abkommen von Pontà-Rosne nicht mehr zwischen den beiden Seiten vermittelnd tätig werden, sondern stellte sich bald schon auf die Seite seines Schwiegervaters, um sein Erbe zu retten. Dies zeigte sich schließlich in aller Deutlichkeit, als er 1382 ein Heer unter dem Banner des französischen Königs aufbot, das dann die Milizen der Städte 1382 vernichtend schlug. 51 Doch erst drei Jahre später, nach einem weiteren, wenn auch unblutigen Heereszug, kam es zu einem länger dauernden Frieden, den der Herzog selbst – und ohne Vermittler – als neuer Graf von Flandern mit den Städten aushandelte, da sein Schwiegervater inzwischen gestorben war. 52 Das Scheitern des Friedens von 1379 weist fraglos auf die Grenzen der Vermittlungstätigkeit in jener Zeit hin. 53 Der Handlungsspielraum der Vermittler war durch die jeweils aktuellen Machtverhältnisse bestimmt. Änderten sich diese, wozu nicht zuletzt der vermittelte Frieden beitragen konnte, dann erwies es sich allzu schnell als problematisch, dass man dieser oder jener Forderung nur unter dem Zwang der Verhältnisse zugestimmt hatte. So war es jedenfalls 1379/1380. Der Graf, wieder im ganzen Land anerkannt, hatte sich nicht damit abfinden können, dass die Mörder seines Vogtes in Gent weiter politisch aktiv waren, und mied folglich die Stadt. Als er dann nach langem Bitten Gent aufsuchte, konnten ihnen zwar die Patrizier davon abhalten, gegen den Wortlaut des Vertrages von 1379 öffentlich die Bestrafung der einstigen Übeltäter zu fordern. 54 Aber Groll und Misstrauen wuchsen auf beiden Seiten, und schon bald brach der Krieg wieder aus. Ein Frieden, hinter dem die Parteien nicht mehr stehen, verliert seinen Wert, und dazu kam es häufig. Immerhin hatte Philipp für den Moment erreicht, was er wollte. Andere Vermittler erreichten nicht einmal eine Vereinbarung, wie das zweite Fallbeispiel zeigen wird, das die Friedensinitiativen auf dem internationalen Friedenskongress von Arras zum Gegenstand hat.

II. International war dieser Kongress, der von Ende Juli bis Ende September 1435 stattfand, schon allein deshalb, weil auf ihm ein Frieden zwischen den Königen von Frankreich und England hergestellt werden sollte. 55 In einem internationalen Rahmen fand die Konferenz aber auch deshalb statt, weil einer der Vermittler ein päpstlicher Kardinallegat war und so mit dem Papsttum jene Macht vor Ort präsent war, die wie keine andere im späten Mittelalter als Friedensstifter bei Konflikten zwischen Königen agierte. 56 Allerdings waren in Arras zwei Kardinallegaten zugegen, weil das seit 1431 tagende, mit dem Papst konkurrierende Basler Konzil darum bemüht war, sein Ansehen durch erfolgreiche Friedensmissionen zu steigern. 57 So fand sich in Arras auf Einladung der 106

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Konfliktparteien neben dem päpstlichen Legaten Niccoló Albergati auch der Kardinal Hugo von Lusignan als Vertreter des Basler Konzils ein. 58 Im Hinblick auf den Zweck der Versammlung war der Kongress allerdings nicht international. Denn man verhandelte nicht über einen Frieden zwischen Frankreich und England, sondern über einen Frieden in Frankreich, 59 und nur wenn man dies vor Augen hat, kann man auch den Verlauf der Friedensverhandlungen verstehen, an deren Ende ein Frieden zwischen Frankreich und Burgund stand, der England nicht einband und dessen Interessen zuwiderlief. Dass der französische König mit dem englischen König über einen Frieden in Frankreich verhandeln musste, war eine Folge des Hundertjährigen Krieges, aber auch des französisch-burgundischen Bürgerkriegs in den Jahren zwischen 1407 und 1419. Denn 1419 wurde der burgundische Herzog Johann Ohnefurcht im Auftrag des damaligen französischen Thronfolgers ermordet, was seinen Sohn Philipp den Guten animierte, ein Bündnis mit den Engländern einzugehen, die so hofften, ihren Erbanspruch auf die französische Krone durchsetzen zu können. 60 Im Mai 1420 kam es unter der Führung Philipps des Guten dann zum Vertrag von Troyes, mit dem der alte und kranke französische König Karl VI. den englischen König Heinrich V. mit einer seiner Töchter verheiratete und ihn als künftigen König von Frankreich anerkannte.61 Der burgundische Herzog huldigte damals Heinrich V. und schwor, niemals einen Frieden in Frankreich ohne die Zustimmung des englischen Königs zu schließen.62 Frankreich war nun dreigeteilt, im Süden herrschte der kurz vor dem Vertrag von Troyes von seinem Vater enterbte französische Thronfolger, im Norden und in Paris walteten die Engländer und in Burgund und in Flandern sowie dem benachbarten Artois regierte der Herzog von Burgund. Ein Kleinkrieg entwickelte sich in der Folge an vielen Fronten, und schon 1422/1423 bemühte sich Niccoló Albergati im Auftrag des Papstes um einen Ausgleich zwischen dem enterbten Thronfolger und den Burgundern – allerdings ohne das Gehör des Herzogs zu finden. 63 Mit dem frühen Ableben Heinrichs V. und dem Tod Karls VI. 1422 änderte sich zunächst nicht viel, allein der enterbte Thronfolger nannte sich nun auch König von Frankreich und wurde folglich von seinen Anhängern als Karl VII. bezeichnet. 1429 in Reims gesalbt, machten seine Truppen zusehends Fortschritte bei der Eroberung der nördlichen Teile Frankreichs. 64 Da zudem der burgundische Herzog in Holland mit den Engländern aneinander geriet, wurden die Karten neu gemischt. Es brach eine Zeit an, in der die Freunde eines umfassenden Friedens in Frankreich wieder Hoffnung schöpften. 65 Deshalb bekam Albergati 1430 von Martin V. und dann von Eugen IV. eine Vollmacht, Friedensverhandlungen in Frankreich durchzuführen.66 Die Verhandlungen in den Jahren zwischen 1431 und 1433 scheiterten allerdings an der Weigerung des Herzogs von Burgund, das Bündnis mit England aufzugeben, dessen Regierung wiederum nicht gewillt war, auf den französischen Königstitel zu verzichten.67 Aber der Gedanke an einen umfassenden Frieden fand 107

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im Herzog von Burgund zusehends einen Fürsprecher, zumal er militärische Schwierigkeiten im Süden des Herzogtums bekam. Und so gewann er die Franzosen im Januar 1435, als er mit ihnen in Nevers verhandelte, dafür, noch im gleichen Jahr mit den Engländern in Arras nach einem für alle tragbaren Frieden zu suchen. Dass auf dieser Konferenz in Nevers weder ein päpstlicher Legat noch ein Abgesandter des Konzils von Basel zugegen waren, man sich aber trotzdem auf umfassende Verhandlungen einigen konnte,68 zeigt, dass man auch ohne Vermittler weiterkam. Allerdings schien es den Burgundern und Franzosen sinnvoll, in Arras wieder auf Vermittler zurückgreifen zu können, und so ergingen bald nach dem Treffen von Nevers Einladungen nach Rom und Basel. 69 Dass die nach Arras kommenden Legaten nichts anderes als vermitteln sollten, war allen klar. In einem englischen Verhandlungsprotokoll werden sie denn auch als „Vermittler des Friedens“ und amicabiles compositores bezeichnet, die keine Schiedsrichter sein sollten.70 Die Friedensstifter sollten auf dem Wege der „Mediation“ und nicht der Rechtsprechung einen Frieden herbeiführen und dabei vor allem unparteiisch sein. 71 Obwohl beide Vermittler letztlich den Franzosen näher standen, sei es aufgrund politischer Grundsätze wie bei Niccolò Albergati oder weil sie über enge Beziehungen zum französischen Königshaus verfügten, wie das bei Hugo von Lusignan der Fall war, 72 bemühten sie sich doch ebenso wie der Gastgeber darum, dem Vorwurf der Parteilichkeit keine Nahrung zu liefern. Als Albergati auf der Anreise über Brabant den Herzog hätte treffen können, wies dieser ihn darauf hin, dass er am besten vorbeiziehe, auf dass keine Verdächtigungen stattfänden. 73 In Arras waren die Vermittler ebenfalls bestrebt, unparteiisch zu erscheinen. Nach Möglichkeit wurde den drei Parteien stets die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt. Das galt für die jeweiligen Begrüßungsempfänge, das galt aber auch für die Verhandlungen im Kloster St. Vaast. Dort hatte der Abt den drei Delegationen mehrere Räume zur Verfügung gestellt. 74 Ein großer Saal war eigens für die beiden Vermittler eingerichtet worden, wo sie sich zumeist den Tag über aufhielten. 75 Daneben gab es jeweils einen Raum für die Franzosen, Engländer und Burgund, wohin sich diese, wenn sie mit den Kardinälen konferiert hatten, zurückziehen konnten.76 Die beiden Kardinäle empfingen immer nur eine Delegation und achteten darauf, dass sie der französischen und englischen Abordnung im Turnus Zutritt gewährten. 77 Am Ende unterstreichen auch die englischen Schuldzuweisungen nach dem Scheitern der Hauptverhandlungen, dass die Parteien nur einen unparteiischen Vermittler akzeptieren wollten. Denn für den Misserfolg machten die Engländer in erster Linie das parteiische Auftreten der Delegation des Basler Konzils, also Hugos von Lusignan verantwortlich. 78 Auch wenn man Vermittler gerne als Sündenböcke für gescheiterte Verhandlungen präsentierte, mögen die Engländer diesmal insofern nicht ganz falsch gelegen haben, als die Dele108

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gation, die das Basler Konzil entsandt hatte, viele Franzosenfreunde, aber so gut wie keine explizit den Engländern verbundene Mitglieder aufwies. 79 Nur aufgefallen ist es den Engländern etwas zu spät, was dafür spricht, dass die Kardinäle in Arras nach außen hin kaum gegen ihren von beiden Seiten gewünschten Status als Unparteiische verstoßen haben. Das Tun der Kardinäle bestand in Arras primär darin, die Kommunikation zwischen den Parteien, vor allem den Engländern und den Franzosen herzustellen und zu vereinfachen. Dies war insofern keine leichte Aufgabe, als zur gleichen Zeit noch gekämpft wurde. 80 Ihren Unwillen, miteinander zu reden, tat die englische Delegation in Arras nicht zuletzt dadurch kund, als sie es rundum ablehnte, gemeinsam mit den Franzosen Gottesdienste zu besuchen oder Friedensprozessionen durchzuführen.81 Man hatte nichts gegen Gottesdienste, nichts gegen Prozessionen, aber bitte schön in verschiedenen Kirchen und auf getrennten Wegen. Dieses Verhalten resultierte allerdings nicht allein aus Groll und kriegsbedingtem Hass, es entsprach auch der englischen Verhandlungsposition, die im Endeffekt nur einen Waffenstillstand, aber keinen endgültigen Frieden erstrebte.82 Wie schon Philipp der Kühne 1379 in Pont-à-Rosne, so machten auch die Kardinäle zunächst einmal keine eigenen Vorschläge. Sie ließen sich die Forderungen der Franzosen und Engländer mitteilen und übermittelten diese dann der anderen Seite. 83 Da beide Seiten der anderen keinen Vorteil lassen wollten, war das keine einfache Aufgabe. Immer wieder mussten die Kardinäle die Franzosen oder Engländer dazu auffordern, Vorschläge für eine Einigung zu unterbreiten. Gelang dies ihnen, so hatten sie dann ihr Wort für deren Anerkennung durch die andere Partei einzulegen. Denn indem man sie verweigerte, konnte man sich selbst der Aufgabe entledigen, selbst neue Vorschläge vorlegen zu müssen. Immerhin gelang es den Vermittlern, insgesamt sieben Vorschläge den Parteien abzutrotzen, über deren Inhalt man sich allerdings zu keinem Zeitpunkt einigen konnte. Dazwischen konferierten die Vermittler auch mit dem Gastgeber, dem Herzog von Burgund oder dessen Amtsträgern, und versuchten mit dessen Hilfe dann zusätzlichen Einfluss auf die Konfliktparteien zu gewinnen. 84 Kurz vor dem Scheitern oder bei offenkundig sehr wichtigen Fragen, kam es allerdings zuweilen zu direkten Kontakten zwischen den Delegationen, 85 was die Rolle der Vermittler als Vorbereiter unterstreicht, die bei der Regelung der wesentlichen Fragen dann wieder in den Hintergrund treten. Was die Vermittler zu den jeweiligen Vorschlägen sagten, weiß man nicht, allerdings haben sie die Parteien im Namen des Friedens wiederholt gebeten, weiterführende Vorschläge auf den Tisch zu legen. 86 Das passt ganz gut zu dem allgemein gepflegten Verhandlungsstil, der sich durch eine Art Salamitaktik auszeichnete. So wollten die Engländer zunächst nur über einen Waffenstillstand verhandeln, dann aber doch über eine Ehe zwischen ihrem minderjährigen König und einer Tochter Karls VII., schließlich auch über die Freilassung 109

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des seit 1415 in England weilenden Herzogs von Orléans, dann sogar über die Abtretung bestimmter Gebiete in Südfrankreich an Karl VII., der dort sein weiteres Leben verbringen sollte, ausgestattet mit einer von dem englischen König gezahlten großzügigen Leibrente.87 Und die Franzosen forderten zunächst einen sofortigen umfassenden Friedensvertrag und den Verzicht des englischen Königs auf die französische Krone. Nach einiger Zeit erklärten sie sich bereit auch über das Heiratsprojekt zu reden, die Freilassung des Herzogs von Orléans zu verhandeln und boten dem englischen König am Ende erst einen Teil und dann die ganze Normandie als Ausgleich für seinen Verzicht auf den französischen Königstitel. 88 Da die Engländer keinen Grund sahen, warum ihr König auf die französische Krone verzichten sollte, kündigten sie Ende August ihre Abreise an. 89 Daraufhin legte dann Albergati seine bisherige Zurückhaltung als Vermittler ab, wies auf die kirchliche Anerkennung des Königtums Karls VII. hin, nannte die von französischer Seite in Aussicht gestellten Kompensationen für den Verzicht der Engländer auf die Krone akzeptabel und drohte letzteren mit einem Sonderfrieden zwischen Frankreich und Burgund. 90 Da die Engländer ihre Ansprüche gewahrt sehen wollten und glaubten, der Herzog von Burgund werde zu seinem Eid stehen, nur mit ihrer Zustimmung einen Frieden zu schließen, ließen sie sich nicht beeindrucken, stellten die Verhandlungen ein und verließen Arras. 91 Das letzte Druckmittel, das den Vermittlern verblieben war, hatte nicht gefruchtet. Im Grunde genommen aber scheiterten die Vermittler an den ausgeglichenen Machtverhältnissen, die keine der beiden Seiten zu Kompromissen veranlassten. Karl VII. hatte durch die militärischen Erfolge der letzten Jahre wieder Zuversicht gewonnen, auch Paris und den Norden Frankreichs bald wiedergewinnen zu können, und die Engländer hatten angesichts der Rückschläge, die sie wiederholt den Franzosen beibringen konnten, keinen Grund, von ihren Ansprüchen auf die französische Krone abzulassen. 92 Allerdings war die englische Stellung nur solange gesichert, wie der Herzog von Burgund den französischen Avancen, einen Seperatfrieden zu schließen, nicht nachkam. 93 Aber Philipp oder genauer die südlichen Teile des Herzogtums litten am meisten unter dem Kriegszustand, 94 und so sahen, nachdem die Engländer am 6. September 1435 abgezogen waren, die Vermittler ihre Stunde gekommen – und sie machten ihre Sache gut. Dass Philipp bereits vor der Abreise der Engländer mit dem Gedanken gespielt hat, nun einen Sonderfrieden mit Karl VII. zu schließen, ist nicht ganz abwegig. Denn schon in den Abmachungen von Nevers vom Februar des gleichen Jahres war diese Möglichkeit als letzter Ausweg ins Auge gefasst worden. 95 Am nachfolgenden Tag rief dann der Herzog sofort eine Versammlung ein, an dem die Vertreter der Städte teilnehmen sollten, die bis dato überhaupt keine Rolle gespielt hatten und deren einzige Aufgabe wohl darin bestand, einen feierlichen Rahmen und Resonanzboden für die Reden zu liefern, die nun 110

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den Herzog aufforderten, sich für einen Frieden mit Frankreich zu entscheiden. 96 Vor der zusammengestellten Versammlung hielt Guillaume Hugues, der Sekretär Hugos von Lusignan und Vertraute Albergatis, eine lange Rede, in der er die Not Frankreichs und das kriegsbedingte Leiden seiner Bewohner mannigfach beschwor und alle anderen Sorgen wie die einst von Philipp geschworenen Eide und Versprechen als quantité négligeable hinstellte. 97 Damit war die Richtung für die kommenden Verhandlungen vorgegeben und man erkennt in der Folge schnell den Nutzen geistlicher Vermittler und ihrer Berater. Denn der Kardinal Albergati hatte mit Ludovico Garsiis, einen rechtskundigen Kanoniker aus Bologna mitgebracht, der sich dafür hergab, Philipp dem Guten in einer Art Gutachten zu erklären, warum er dem englischen König eigentlich gar nicht hätte huldigen noch einen Eid schwören dürfen. 98 Die Argumentation war einfach: da der damalige französische König kein Recht besaß, sein Reich über seine Tochter zu vererben, war der Vertrag von Troyes nicht rechtens und damit alle Handlungen, die sich daraus ergaben, rechtlich belanglos, so dass der Herzog, wenn er nun mit Karl VII. seinen Frieden machte, keinen Eidbruch beging. 99 Philipp überzeugte die Argumentation umso mehr, als ein paar Tage zuvor der Bruder Heinrichs V., der Herzog von Bedford, und damit die letzte Person gestorben war, der gegenüber der Herzog persönlich seine Eide abgelegt hatte. 100 Da die burgundische Seite schon zuvor ihre Forderungen an Frankreich zusammengestellt hatte, wurde man sich schnell einig. Philipp bekam eine Reihe von Vergünstigungen für seinen Parteiwechsel – unter anderem wurde er persönlich von einer Huldigung gegenüber dem französischen König befreit – um nicht dem Anstifter des Mordes an seinem Vater Treue schwören zu müssen. 101 Mit diesem Sonderfrieden führten die Vermittler ihr Werk doch noch zu einem Abschluss, wenn auch anders als ursprünglich geplant. Allerdings bestand die Aufgabe der Vermittler am Ende weniger darin, den Austausch von Forderungen zu ermöglichen, obwohl sie es auch jetzt noch taten. Aber in erster Linie waren sie nunmehr dazu da, die rechtlich-moralischen Voraussetzungen für den Friedensschluss herzustellen, Philipp von seinem Eid gegenüber dem englischen König zu lösen und dann dem Frieden selbst die Anerkennung durch Papst und Konzil zu verschaffen, was die Ankündigung kirchlicher Sanktionen zur Einhaltung des Abkommens einschloss. 102 Der Frieden von Arras wurde schließlich am 21. September 1435 in der Kirche von St. Vaast verkündet und von burgundischer Seite beeidet. Die Einholung der Eide des französischen Königs übernahmen nicht mehr die Vermittler, sondern Vertraute des burgundischen Herzogs. 103

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III. Da viele Charakteristika spätmittelalterlicher Vermittlungsversuche bereits angesprochen wurden, kann das letzte Beispiel in aller Kürze behandelt werden. Es rückt vor allem die Probleme ins Blickfeld, die entstehen, wenn Könige in die Rolle des Vermittlers schlüpfen oder schlüpfen wollen. Dies offenbaren die Bemühungen des dänischen Königs Christians I., den Konflikt zwischen Karl dem Kühnen und Kaiser Friedrich III. einvernehmlich zu beenden. Diese Auseinandersetzung brach im Jahre 1472 aus, als der Kölner Erzbischof Ruprecht, der sich mit den Ständen und Städten seines Fürstbistums überworfen hatte, Unterstützung beim burgundischen Herzog, mit dem er verbündet war, suchte. 104 Dieser schrieb zunächst an die Stadt, um sich als Vermittler zwischen dem Erzbischof und dessen Gegnern anzubieten.105 Obwohl der Herzog seine zweifache Bindung an Erzbischof und Kirche hervorhob, nahmen die Kölner das Angebot nicht an, vielleicht weil sie schon ahnten, dass es dem Herzog eigentlich nur darum ging, seinen Einfluss im Reich auszudehnen. Doch Karl ließ nicht locker, und nutzte dann auch einen Aufruf des Papstes zur friedlichen Beilegung des Kölner Streites, um sich ohne zu fragen als Friedensstifter aufzudrängen, wobei der Papst ihn gar nicht namentlich genannt hatte und später eigens darauf hinwies, nur dem Kaiser diese Aufgabe übertragen zu haben. 106 Dass Karl seit der Eroberung Gelderns 1473 unter Friedensstiftung weniger ein Vermitteln sah, sondern die Rückführung des Erzbischofs auf den Bischofsstuhl mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, wurde spätestens klar, als er im Dezember 1473 als dessen Schutzherr auftrat und sich im März 1474 die Vogtei des Erzstiftes übertragen ließ. 107 Im Juni 1474 verließ Karl dann den Verhandlungsweg und zog ein Heer zusammen, um gegen die Gegner Ruprechts vorzugehen. 108 Karl marschierte an den Rhein und belagerte seit Juli 1474 die Stadt Neuss, womit er aber alle Gegner des Erzbischofs treffen wollte. Die Auseinandersetzung weitete sich aus. Angesichts des herzoglichen Vormarsches hatte die Stadt Köln an den Kaiser appelliert, um diesen für ein Eingreifen zu gewinnen.109 Der Kaiser nahm die Herausforderung an, und ließ im Frühsommer auf dem Reichstag in Augsburg den Befehl zur Aufstellung eines Reichsheeres ergehen. In Augsburg traf damals auch König Christian I. von Dänemark, Norwegen und Schweden ein, der sich auf der Rückreise von einer Pilgerreise nach Rom befand. 110 Christian stand seit dem Frühjahr in einem engen Vertrauensverhältnis zu Kaiser Friedrich III., als er auf der Reise nach Rom in Rothenburg ob der Tauber Station gemacht und eine Woche mit dem Kaiser konferiert hatte. 111 Friedrich III. hatte dort die Grafschaft Holstein zum Herzogtum erhoben und den dänischen König damit belehnt.112 Darüber hinaus hatte er ihn gebeten, auf der Rückreise mit dem französischen König Ludwig XI. zusammenzutreffen und zugleich eine Botschaft an Karl den Kühnen zu übermitteln. 113 112

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Ob damals bereits eine Vermittlungsaktion in dem eskalierenden Konflikt mit Karl vorbereitet werden sollte, wie zuweilen behauptet, sei dahingestellt. 114 Vielleicht ging es dem Kaiser auch darum, Christian I., der ja nun in seiner Schuld stand, zu benutzen, um sein späteres Bündnis mit dem französischen König, dem notorischen Gegner des Burgunders, vorzubereiten. Jetzt in Augsburg dachte man trotz des Beschlusses, ein Reichsheer aufzustellen, weiterhin an eine Verhandlungslösung. Auch wenn der König von Dänemark keinen Auftrag bekam, in dem Streit zu vermitteln, so war man doch gewillt, dafür die Voraussetzungen zu schaffen. Denn am 1. Juli schlossen der dänische König und der Kaiser ein Freundschaftsbündnis, so wie es zwischen dem König und Herzog Karl seit 1467 bestand. 115 Da das neue Bündnis mit dem Kaiser keine konkreten Verpflichtungen erhielt, scheint sein Zweck vordringlich darin bestanden zu haben, die Bindungen zu der einen Seite auf das gleiche Fundament zu stellen wie zu der anderen. Das zeigt, wie sehr die Gleichwertigkeit der Bindungen zu den Konfliktparteien für die Zeitgenossen einen geeigneten Vermittler auszeichneten. Zwar wurde Christian I. für den Moment nicht gebeten, zwischen den Parteien vermittelnd tätig zu werden. Aber man schickte immerhin eine Gesandtschaft an den Herzog von Burgund, an deren Spitze ein Vertrauter des dänischen Königs stand, ohne dass man Genaueres über Inhalt und Ergebnis weiß.116 Christian I. zog nach Beendigung des Reichstags nach Holstein, 117 doch drei Monate später machte er sich wieder auf den Weg nach Köln, um nun in dem Konflikt zu vermitteln, wobei unklar bleibt, ob ihn jemand dazu aufgefordert hat. Christian nahm am 14. November 1474 Unterkunft in Düsseldorf. Dass der dänische König gekommen war, um zu vermitteln, hatte sich herumgesprochen, wie ein Brief der Stadt Köln an ihren Gesandten im kaiserlichen Lager zeigt. 118 Christian I. traf sich zunächst einmal am 17. 11. mit Karl dem Kühnen, den er auf einem Schiff gemeinsam mit dem Erzbischof von Köln empfing. 119 Man kam danach häufiger zusammen. Die Verhandlungen waren vertraulich. Die Gegenstände der Verhandlungen traten kaum nach außen. Auf zwei Themen wird man aber durch verschiedene Indizien hingewiesen. Zum einen bemühte sich der dänische König, Karl zu einem Abzug aus Neuss zu bewegen, und zum zweiten versuchte der Herzog von Burgund Christian auf seine Seite zu ziehen, indem er ihm für dessen Sohn die Heirat mit seiner Erbtochter Maria in Aussicht stellte. 120 Da der Kaiser noch immer hoffte, Maria für seinen Sohn Maximilian zu gewinnen, sah er die Verhandlungen zwischen dem dänischen König und Karl mit Misstrauen, hoffte aber andererseits noch immer auf eine friedliche Lösung, um eben Karl für das habsburgisch-burgundische Eheprojekt zu gewinnen.121 Das Misstrauen von kaiserlicher Seite stieg, als Christians Bruder, Graf Gerhard von Oldenburg, sogar Vasall des Herzogs wurde – es heißt, von nun an habe der Kaiser den dänischen König ausspionieren lassen. 122 113

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Der Kaiser befand sich inzwischen bei Koblenz, wo sich das Reichsheer versammelte. Dorthin wollte sich dann auch Christian I. begeben, nachdem eine Gesandtschaft unter der Führung seines Bruders beim Kaiser in Wiesbaden nichts hatte ausrichten können. 123 Aber die Städte weigerten sich, ihm für den Weg zum Kaiser Sicherheiten zu geben. 124 Im Dezember reiste der dänische König dann nach Köln, offiziell, um zum Schrein der heiligen drei Könige zu pilgern, 125 aber auch, um zwischen der Stadt und dem Herzog zu vermitteln. 126 Von dort schickte er eine Gesandtschaft an den Kaiser. 127 Wie es sich für einen Vermittler gehörte, ließ er die Gesandten die Vorschläge Karls für eine friedliche Beendigung des Konfliktes überbringen. 128 Karl erklärte sich darin bereit, die Entscheidung im Streit um den Erzbischof an den Papst zu übertragen und selbst auf den Titel und die Rechte des Vogtes der Kölner Kirche verzichten zu wollen, wenn ansonsten der Status quo bewahrt würde.129 Doch der Kaiser ging darauf nicht ein, zumal er gerade ein Bündnis mit Ludwig XI. gegen den burgundischen Herzog geschlossen hatte. 130 Vielmehr übersandte er am 7. Januar von Andernach aus Karl dem Kühnen die Kriegserklärung. Nichtsdestotrotz erhielt Christian noch eine weitere Chance als Vermittler, denn Friedrich III. ließ ihn am 17. Januar nach Andernach kommen und verhandelte mit ihm, da er verhindern wollte, dass der dänische König einen Frieden zwischen Karl dem Kühnen und der Stadt Köln arrangierte. 131 Allerdings weisen die Forderungen, die Friedrich III. dann stellte, auf ein geringes Interesse des Kaisers an einer friedlichen Lösung des Konfliktes hin: Friedensverhandlungen sollten erst nach einem Rückzug Karls beginnen, derselbe alle Lehen, für die er nicht gehuldigt hatte, zurückgeben, und der Streit in der Kölner Kirche solle von ihm, dem Kaiser, und dem Papst geklärt werden. 132 Offenkundig hatte die Aufstellung des Heeres, der soeben geschlossene Bündnisvertrag mit Frankreich und das Drängen einiger Fürsten, zum Angriff überzugehen, den Kaiser bewegt, die Bedingungen für eine einvernehmliche Lösung in die Höhe zu schrauben. Zudem scheint es auch der Stadt Köln gelungen zu sein, die Vermittlungsversuche als eine Taktik der Gegenseite hinzustellen, die auf diese Weise nur den Zug des Kaisers von Koblenz nach Neuss herauszögern und verhindern wolle, um so mit aller Gewalt gegen die Kölner und Neusser vorgehen zu können. 133 Bei dieser Bewertung sind Propaganda und berechtigte Bedenken nur schwer auseinander zu halten. Aber dass man Vermittlungsinitiativen auch genau dazu einsetzte, Zeit zu gewinnen, daran wird man nicht zweifeln. Christian I. gab dennoch nicht auf. Nach seiner Rückkehr nach Düsseldorf Ende Januar, nahm er erneut Kontakt mit Karl auf und verhandelte mit hochrangigen Abgesandten des burgundischen Herzogs. 134 Und nochmals sorgte er für einen Austausch der jeweiligen Positionen vornehmlich durch Briefe und Boten, und tat damit das, was man von einem Vermittler erwartete. 135 Aber die Antwort Karls auf die Vorschläge Friedrichs III. zeigt, dass er seine Sache noch nicht verloren glaubte. Zwar schlug er vor, die Vogtei aufzugeben, aber er hielt 114

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daran fest, dass Ruprecht als Kölner Erzbischof seine Rechte wiedererlangen müsse, und zeigte sich zwar bereit, die Auseinandersetzung zwischen Ruprecht und den Ständen nicht mehr nur allein dem Papst, aber eben nicht dem Kaiser, sondern nur dem dänischen König zur Entscheidung vorzulegen. 136 Das waren die Bedingungen für seinen Abzug, die der Kaiser aber nicht annahm. Angesichts des Vorrückens der kaiserlichen Truppen bemühte sich der dänische König zu guter Letzt um die Zustimmung beider Seiten für eine Friedenskonferenz in Metz, auf der später die grundsätzlichen Kontroversen geklärt werden sollten, während es für den Moment nur darum ging, das Blutvergießen zu verhindern. 137 Dieser Vorschlag gewann allerdings erst an Bedeutung, nachdem sich Ende April 1475 ein zweiter Vermittler hinzugesellt hatte, nämlich der Kardinal von Forli, der als Legat im kaiserlichen Heer mitgezogen war, und sich nun ebenfalls um einen Frieden zwischen beiden Seiten bemühte. 138 Er besaß offenkundig das Vertrauen des Kaisers und konnte insofern dessen Misstrauen gegenüber dem dänischen König wieder wettmachen. Man kam jetzt überein, dass Neuss an den Kardinallegaten übergeben werden solle, die Heere abziehen und alle Seiten in Metz dann über den Frieden verhandeln sollten, so ähnlich wie dies 1435 in Arras geschehen war. 139 Doch auch dieser Vorschlag konnte nicht umgesetzt werden, da Karl der Kühne im letzten Augenblick seine Unterschrift unter den ausgehandelten Vorschlag verweigerte, wohl weil damit Ruprecht keine Chance mehr sah, irgendwann einmal nach Neuss zurückkehren zu können, zumindest stellte man im Lager des dänischen Königs später die Dinge auf diese Weise dar, 140 aber auch der Kaiser hatte anscheinend kein Interesse mehr an einer Vermittlungslösung. 141 Für Christian I. bedeutete dies ein Scheitern auf ganzer Linie. Er hatte nicht nur nicht mehr das Vertrauen des Kaisers, er konnte offenkundig auch nicht mehr Karl von den Vorteilen eines einvernehmlichen Friedens überzeugen. So verließ er den Rhein und die Kontrahenten, die am 22./23. Mai das militärische Kräftemessen begannen, ohne jedoch eine Entscheidung herbeizuführen.142 Was Christian nicht geglückt war, sollte dann dem Legaten im Heer Friedrichs III. gelingen. Während der Kämpfe setzte der Kardinallegat Alexander von Forli seine Friedensbemühungen fort und vermochte schließlich am 29. Mai ein vorläufiges Abkommen zu vermitteln, das am 5. Juni einer Einigung Platz machte, die zum Rückzug Karls und zur Auflösung des kaiserlichen Heeres führte, wobei Karl den von ihm unterstützten Erzbischof fallenlassen musste. 143 Offenkundig hatte es der Kardinallegat einfacher, sich als unparteiische, unvoreingenommene Person zu präsentieren, obwohl er im Heer des Kaisers mitgezogen war. Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob es die persönlichen Fehler waren, die Christian haben scheitern lassen – etwa die zu große Nähe, die er Karl dem Kühnen gegenüber gezeigt hat. Aber vielleicht konnte er auch nicht anders, weil bis zum Abmarsch des Heeres aus Koblenz und darüber hinaus Karl der Kühne als der stärkere der Kontrahenten galt. Dass eine Lösung dem Kardinal von Forli am Ende gelungen ist, lag nicht 115

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zuletzt an der veränderten Lage, die durch das militärische tête-à-tête Ende Mai entstanden war. Keine der beiden Parteien hatte dabei irgendwelche Vorteile gewonnen. Und so waren beide wieder dem Frieden eher zugeneigt und konnten sich vorstellen, die strittigen Fragen später zu klären. Folglich musste sich der Kardinal nur noch um ein Problem kümmern, nämlich um den Abzug der beiden Heere, respektive um die Sicherheit, die beide Seiten haben wollten, dass der jeweils andere auch abzöge. 144 Insofern bestand hier die Aufgabe des Vermittlers nunmehr vor allem darin, Vertrauen zwischen den beiden Konfliktparteien zu schaffen. Und dies gelang dem Kardinallegaten, wenn auch nicht ohne größere Probleme.145 Das Bild, das die drei Beispiele von der Vermittlungstätigkeit zeichnen, unterscheidet sich, soviel dürfte klar geworden sein, nicht wesentlich von dem, was man aus dem früheren Mittelalter kennt. Dennoch treten Tendenzen zutage, die künftige Entwicklungen ankündigen: die Bedeutung der päpstlichen Schlichtung bei internationalen Fragen, die Bevorzugung der Äquidistanz gegenüber der unbestimmten doppelten Nähe oder die wachsende Betonung der Unparteilichkeit. In einem wichtigen Punkt aber sind Unterschiede kaum zu bemerken: die gescheiterten Vermittlungsversuche überwogen bei weitem diejenigen, die zum avisierten Ziel führten. Denn das Paradox der Vermittlung blieb bestehen. Das beste Argument für den Vermittler waren stets die aktuellen Machtverhältnisse. Nur diese zwangen die Konfliktparteien sich zu einigen. Wenn aber nicht zuletzt durch den Friedensschluss selbst, sich die Verhältnisse wieder änderten, dann wurde der Drang groß, die Zusagen in Frage zu stellen oder darüber hinwegzugehen. Dieses Problem dürfte die Vermittlungstätigkeit auch noch über das Mittelalter hinaus begleiten. Anmerkungen 1 Zum gegenwärtigen Bild vom Vermittler siehe Jacob Bercovitch, Mediation, in: Ders. u. a. (Hgg.), The Sage Handbook of Conflict Resolution, Los Angeles u. a. 2009, S. 340–357. 2 Vgl. zuletzt Ders. – Scott Sigmund Gartner, New approaches, methods and findings in the study of mediation, in: International conflict mediation. New approaches and findings, hg. von Dens., London 2009, S. 5. 3 Vgl. hierzu und zum Folgenden Hermann Kamp, Friedensstifter und Vermittler im Mittelalter, Darmstadt 2001, S. 130 ff. 4 Vgl. dazu neben der oben genannten Arbeit vor allem Gerd Althoff, Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997; sowie Ders., Regeln der Gewaltanwendung im Mittelalter, in: Rolf Peter Sieferle – Helga Breuninger (Hgg.), Kulturen der Gewalt. Ritualisierung und Symbolisierung von Gewalt in der Geschichte, Frankfurt a. M. – New York 1998, S. 154–170; Steffen Krieb, Vermitteln und Versöhnen. Konfliktregelung im deutschen Thronstreit 1198–1208 (Norm und Struktur 13), Köln 2000.

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Vermittlung in der internationalen Politik des späten Mittelalters 5 Vgl. Kamp, Friedensstifter (wie Amn. 3), S. 142; s. dazu auch Steffen Patzold, „inter pagensium nostrorum gladios vivimus“. Zu den „Spielregeln“ der Konfliktführung in Niederlothringen zur Zeit der Ottonen und frühen Salier, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte GA 118, 2001, S. 58–99; sowie Warren Brown, Konfliktaustragung, Praxis der Schriftlichkeit und persönliche Beziehungen in den karolingischen Formelsammlungen, in: Stefan Esders (Hg.), Rechtsverständnis und Konfliktbewältigung. Gerichtliche und außergerichtliche Strategien im Mittelalter, Köln u. a. 2007, S. 31– 53, für die frühmittelalterlichen Verhältnisse. 6 Vgl. Kamp, Friedensstifter (wie Anm. 3), bes. S. 34. 7 Vgl. ebd., S. 257 ff. 8 Selbstverständlich gab es auch Ausnahmen, zu denen etwa Heinrich von Troyes gehörte, der zwischen Friedrich Barbarossa und Ludwig VII. vermittelnd tätig wurde. Vgl. dazu Knut Görich, Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12. Jahrhundert, Darmstadt 2001, S. 36 ff.; s. grundsätzlich zur Konfliktbeilegung zwischen Herrschern und zum Gesandtenwesen zuletzt Jean-Marie Moeglin, Strukturelle Aspekte der spätmittelalterlichen Diplomatie. Die Verhandlungsnormen am Anfang des Hundertjährigen Krieges, in: Claudia Zey – Claudia Märtl (Hgg.), Aus der Frühzeit europäischer Diplomatie. Zum geistlichen und weltlichen Gesandtschaftswesen vom 12. bis zum 15. Jahrhundert, Zürich 2008, S. 255–275, S. 255 ff. 9 Vgl. Kamp, Friedensstifter (wie Anm. 3), S. 236–260. 10 Vgl. dazu Dieter Berg, Deutschland und seine Nachbarn (EDG 40), München 1997, S. 5 f. und 48. 11 Vgl. Werner Maleczek, Das Frieden stiftende Papsttum im 12. und 13. Jahrhundert, in: Träger und Instrumentarien des Friedens, hg. von Johannes Fried, Sigmaringen 1996, S. 249–332. 12 Vgl. ebd., S. 341 ff., und Kamp, Friedensstifter (wie Anm. 3), S. 215 ff. 13 Vgl. überblicksartig zuletzt Hermann Kamp, Burgund. Geschichte und Kultur, München 2007, S. 60–71. 14 Vgl. zu diesem Konflikt und dessen Hintergründen Richard Vaughan, Philip the Bold, Woodbridge 2002 (London u. a. 1962), S. 19–31, sowie Bertrand Schnerb, L’État bourguignon. 1363–1477, Paris 1999, S. 63–85. 15 Vgl. Vaughan, Philip the Bold (wie Anm. 14), S. 21. 16 Vgl. Jean Froissart, Chroniques, Bd. 9: 1377–1382, hg. von Kervyn de Lettenhove, Brüssel 1869, S. 199 ff.; vgl. dazu auch Vaughan, Philip the Bold (wie Anm. 14), S. 21. 17 Vgl ebd., S. 16 ff. 18 Vgl. Froissart, Chroniques (wie Anm. 16), S. 204 ff.: Ceste contesse se tenoit en la cite d’Arras. Sy escripsi deviers le duc Phelippe de Bourgogne, auquel li hiretages de Flandres de par madame Marguerite sa femme devoit parvenir apriès le mort dou conte, que il se vosist traire avant et venire en Artois. 19 Vgl. ebd. 20 S. ebd., S. 205: Li dus, qui bien estoit avisés de ces besongnes (car tous les jours il en ooit nouvelles), vint à Arras, et son conseil avecques li … 21 La contesse d’Artois les vei moult volontiers et leur remonstra moult sagement comment ceste guerre entre son fil et son païs estoit mal appartenant et li deplaisssoit grandement et devoit deplaire à toutes bonnes gens qui amoient raison, et comment ossi cil vaillant home, baron, chevalier et escuier, quoique il gueissent honnerablement en le ville d’Audenarde, y estoient en grant peril, et que pour Dieu on y vosist pourveir de conseil et de remède. Ebd. 22 Das ist gegen Schnerb, L’État (wie Anm. 14), S. 64, festzuhalten, der Ludwig von Male eine ebenso aktive Rolle wie Margarete im Vorfeld der Friedensmission zuweist.

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Hermann Kamp 23 Vgl. Chronique tournaisienne = Croniques de Franche, d’Engleterre, de Flandres, de Lile et espécialment de Tournay, hg. von Adolphe Hocquet, Mons 1938, S. 224: … pour trettier la paix de monseigneur de Flandres et de ses quemunes. 24 Vgl. ebd.: Et aussi li deux capitaines y vinrent moult volontiers; car il avoient bien grand dévotion de parler à monseigneur de Bourgogne pour excuser tout le quemun du pays de Flandres … 25 Dies unterstreicht auch Froissart, Chroniques (wie Anm. 16), S. 205, bei dem in der einen Version die Genter aus Ehre, in der anderen aus Liebe zu dem Herzog kommen. 26 Vgl. Vaughan, Philip the Bold (wie Anm. 14), S. 18 f. 27 Vgl. die Chronique tournaisienne (wie Anm. 23), S. 224. 28 Vgl. hierzu und zum Folgenden ebd. 29 Vgl. ebd. 30 Vgl. ebd. 31 Zur Bedeutung von Gottesdiensten im Rahmen der spätmittelalterlichen Friedensstiftung vgl. auch Nicolas Offenstadt, Faire la paix au Moyen Age. Discours et gestes de paix pendant la guerre de Cent Ans, Paris 2007, S. 165 ff. 32 Vgl. die Chronique tournaisienne (wie Anm. 23), S. 225. 33 Vgl. ebd. 34 Vgl. ebd., S. 225, wo das Wegbleiben der Delegation aus Brügge allein mit dem Hinweis, sie seien nicht einverstanden gewesen, erklärt wird. 35 Vgl. Froissart, Chroniques (wie Anm. 16), S. 207. 36 Vgl. Chronique tournaisienne (wie Anm. 23), S. 226: Sur IX articles que vous orez cy-après, tretta monseigneur de Bourgogne le paix des quemunes contre monseigneur de Flandres; … Nach diesem Satz zählt dann der Autor der Chronik von Tournai die neun Forderungen der flandrischen Hauptleute auf und fügt jeweils hinzu, ob dieser oder jener Punkt angenommen oder verworfen worden wäre. Und dann berichtet er von den anschließenden Verhandlungen in Pont-à-Rosne, an deren Ende letztlich fünf bzw. sechs Forderungen vom Herzog stattgegeben sein. Ebd., S. 226 f. 37 Vgl. hierzu und zum Folgenden ebd., S. 226 f., und Froissart, Chroniques (wie Anm. 16), S. 206 ff. 38 Vgl. Froissart, Chroniques (wie Anm. 16), S. 206 f. 39 Vgl. zu den Forderungen der Genter Abordnung Chronique tournaisienne (wie Anm. 23), S. 226 f. 40 Vgl. ebd., S. 227 f. 41 Vgl. ebd., S. 228. 42 Vgl. ebd. 43 Vgl. ebd. 44 Vgl. Froissart, Chroniques (wie Anm. 16), S. 207. 45 Vgl. ebd., S. 534. 46 Vgl. ebd., S. 207 f., und Chronique tournaisienne (wie Anm. 23), S. 229. 47 Vgl. Chronique tournaisienne (wie Anm. 23), S. 229 f. 48 Vgl. Froissart, Chroniques (wie Anm. 16), S. 205. 49 Vgl. Vaughan, Philip the Bold (wie Anm. 14), S. 22. 50 Vgl. hierzu und zum Folgenden Froissart, Chroniques (wie Anm. 16), S. 223–227. 51 Vgl. Vaughan, Philip the Bold (wie Anm. 14), S. 24 ff. 52 Vgl. ebd., S. 37. 53 Zu den hervorstechenden erfolglosen Vermittlungsbemühungen zwischen den burgundischen Herzögen und den Städten zählen diejenigen, die 1452 Johann von Estampes, sodann die Leden von Flandern und schließlich auch der französische König zwischen

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Vermittlung in der internationalen Politik des späten Mittelalters Philipp dem Guten und der Stadt Gent verfolgt haben. Vgl. dazu Schnerb, L’État (wie Anm. 14), und Marc Boone, Diplomatie et violence d’État. La sentence rendue par les ambassadeurs et conseillers du roi de France, Charles VII, concernant le conflit entre Philippe le Bon, duc de Bourgogne, et Gand en 1452, in: Bulletin de la Commission royale d’Histoire 156, 1990, S. 1–54. 54 Vgl. Froissart, Chroniques (wie Anm. 16), S. 218. 55 Grundlegend zu den Zielen und zum Ablauf des Kongresses von Arras Joycelyne Gledhill Dickinson, The Congress of Arras 1435. A Study in Medieval Diplomacy, Oxford 1955. Einen Einblick in deutscher Sprache und einige wichtige, wenngleich auch nicht auf dem neuesten Stand edierte Dokumente vermittelt Friedrich Schneider, Der europäische Friedenskongress von Arras (1435) und die Friedenspolitik Papst Eugens IV. und des Basler Konzils, Greiz 1919. 56 Vgl. zur Vermittlungstätigkeit der Päpste im späten Mittelalter Jean Gaudemet, Le rôle de la papauté dans le règlement des conflits entre États aux XIIIe et XIVe siècles, in: La paix II (Recueils de la Société Jean Bodin 15), Brüssel 1961, S. 79–106, und Maleczek, Papsttum (wie Anm. 11), sowie Heribert Müller, Konzil und Frieden. Basel und Arras 1435, in: ebd., S. 333–390, 339–344, mit weiterer Literatur. 57 Vgl. Dickinson, The Congress (wie Anm. 55), S. 87. 58 Vgl. Müller, Konzil (wie Anm. 56), S. 372 ff. Zu den Legaten vgl. auch Ders., La division dans l’unité. Le congrès d’Arras (1435) face à deux diplomaties ecclésiastiques, in: Arras et la diplomatie européenne. XVe–XVIe siècles, hg. von Denis Clauzel u. a., Arras 1999, S. 113 ff. 59 So heißt es denn auch in der Prokuration für die Delegation des Basler Konzils, dass sich die Abgesandten vornehmlich um den Frieden im allerchristlichen Frankreich bemühen sollten (precipua cura sit … pacem … maxime in christianissimo regno Francie). Zit. nach Müller, Konzil (wie Anm. 56), S. 346. 60 Vgl. Schnerb, L’État (wie Anm. 14), S. 172 ff. 61 Vgl. ebd. 62 Vgl. ebd., S. 175. 63 Vgl. Schneider, Der europäische Friedenskongress (wie Anm. 55), S. 4. 64 Vgl. Richard Vaughan, Philip the Good, Woodbridge 2002 (London – New York 1970), S. 26 ff., 63–67. 65 Vgl. ebd., S. 26 ff., und Roman Berger, Nicolas Rolin. Kanzler der Zeitenwende im burgundisch-französischen Konflikt 1422–1461, Freiburg /Schweiz 1971, S. 79 ff. 66 Vgl. Dickinson, The Congress (wie Anm. 55), S. 79, 82. 67 Vgl. Schneider, Der europäische Friedenskongress (wie Anm. 55), S. 9 f.; Berger, Nicolas Rolin (wie Anm. 65), S. 99 f.; Schnerb, L’État (wie Anm. 14), S. 184. 68 Vgl. Müller, Konzil (wie Anm. 56), S. 361. 69 Vgl. ebd., S. 362. 70 Vgl. das zweite englische Verhandlungsprotokoll (British Museum, Harley ms 4763) in: Schneider, Der europäische Friedenskongress (wie Anm. 55), S. 136. 71 Dieses Bewusstsein, als Vermittler zu agieren, bringen die Friedensstifter auch selbst zum Ausdruck, wenn man dem ersten englischen Verhandlungsprotokoll folgt: … apres disner on fut devers les cardinaulx, lesquieulx exposerent comme les adversaires estoient prestz de refformer convenablement leur commission et ne restoit maiz que à proceder du principal, et que pour venir à paix y avoit deux moyens, l’un de justice et l’autre de mediacion, et quant au fait de la justice la chose n’y estoit pas disposée, car … les parties ne voulloient aucun juge accepter et par ainsi failloit venir à paix par le moyen d’aimable composicion et mediacion; …

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Hermann Kamp (Schneider, Der europäische Friedenskongress [wie Anm. 55], S. 81–121, hier S. 97). Und vgl. Dickinson, The Congress (wie Anm. 55), S. 126 ff. 72 Niccolò Albergati befürwortete schon früh einen Separatfrieden zwischen Frankreich und Burgund; vgl. dazu Schneider, Der europäische Friedenskongress (wie Anm. 55), S. 9, und Dickinson, The Congress (wie Anm. 55), S. 83 f. Zur Franzosenfreundlichkeit des Hugo von Lusignan vgl. Müller, Konzil (wie Anm. 56), S. 358, 363, 370. 73 Vgl. Antoine de La Taverne, Journal de la Paix d’Arras (1435), hg. von André Bossuat, Arras 1936, S. 11 f. Die Unparteilichkeit der Vermittler fordert so auch der englische König Heinrich VI. in einem Brief an das Basler Konzil an und drückt seinen Wunsch aus, dass man Personen schicke, quae amatores pacis sint, et quae absque partialitate quacumque circa ipsius pacis bonum suas operas efficaces interponere … velint … Zit. nach Müller, Konzil (wie Anm. 56), S. 371, Anm. 113. 74 Vgl. Antoine de La Taverne, Journal (wie Anm. 73), S. 46, 48; s. auch Dickinson, The Congress (wie Anm. 55), S. 112, 118 f. 75 Vgl. La Taverne, Journal (wie Anm. 73), S. 40, 46. 76 Vgl. ebd., S. 46. 77 Vgl. ebd., S. 47–50, 52 f. 78 Vgl. Müller, Konzil (wie Anm. 56), S. 371. 79 Vgl. ebd., S. 363–370. 80 Vgl. Vaughan, Philip the Good (wie Anm. 64), S. 99. 81 Vgl. ebd. 82 Vgl. Christopher Allmand, Le traité d’Arras. Une perspective anglaise, in: Arras et la diplomatie européenne (wie Anm. 58), S. 101–108. 83 Vgl. hierzu und zum Folgenden Dickinson, The Congress (wie Anm. 55), S. 128 ff. 84 So gab Philipp der Gute am 1. September ein Essen zu Ehren der bereits abreisewilligen Engländer, bei dem er über eine Stunde mit dem Leiter der englischen Delegation verhandelte, um dann nach Beendigung des Banketts noch heimlich mit Albergati zusammenzutreffen. Vgl. La Taverne, Journal (wie Anm. 73), S. 62. 85 Am 4. September, als man in Arras schon vom Scheitern der Friedensbemühungen sprach, trafen sich die Franzosen und Engländer nochmals zu direkten Gesprächen in der Liebfrauenkirche der Stadt. Vgl. ebd., S. 66. 86 Vgl. Dickinson, The Congress (wie Anm. 55), S. 128 ff., 136 ff. 87 Vgl. La Taverne, Journal (wie Anm. 73), S. 69–72. 88 Vgl. ebd.; s. zu den Forderungen der beiden Seiten auch die sog. Denkschrift der Kardinäle, in: Schneider, Der europäische Friedenskongress (wie Anm. 55), S. 166–170; und allg. dazu Dickinson, The Congress (wie Anm. 55), S. 141 ff. 89 Vgl. La Taverne, Journal (wie Anm. 73), S. 60. 90 Vgl. Dickinson, The Congress (wie Anm. 55), S. 129. 91 Vgl. Schnerb, L’État (wie Anm. 14), S. 185. 92 Vgl. Allmand, Le traité (wie Anm. 82), S. 104, der auf die Erfolge von 1434/35 hinweist, aber insgesamt und über einen längeren Zeitraum betrachtet die Engländer seit 1429 eher ohne nachhaltigen Erfolg agieren sieht. 93 Vgl. Dickinson, The Congress (wie Anm. 55), S. 163. 94 Vgl. Berger, Nicolas Rolin (wie Anm. 65), S. 113 f. 95 Vgl. Dickinson, The Congress (wie Anm. 55), S. 163 f. 96 Vgl. La Taverne, Journal (wie Anm. 73), S. 69–73. 97 Vgl. ebd.; zu Guillaume Hugues vgl. Müller, Konzil (wie Anm. 56), S. 365 f. 98 Vgl. Schneider, Der europäische Friedenskongress (wie Anm. 55), S. 48 ff.

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Vgl. ebd. Vgl. Berger, Nicolas Rolin (wie Anm. 65), S. 137. 101 Der Vertragstext findet sich in: Les grands traités de la Guerre de Cent Ans, hg. von Eugène Cosneau, Paris 1889, S. 116–151. Eine Zusammenfassung der entscheidenden Abmachungen findet sich bei Schnerb, L’État (wie Anm. 14), S. 184–188; während Vaughan, Philip the Good (wie Anm. 64), S. 99, und Müller, Konzil (wie Anm. 56), S. 380, in dem Vertrag vor allem einen Sieg Karls VII. sehen, erkennt Berger, Nicolas Rolin (wie Anm. 65), S. 141, in dem Vertragswert einen Triumph Burgunds. Ohne selbst ein Urteil zu fällen, weist Schnerb, L’État (wie Anm. 14), S. 188, darauf hin, dass einige Franzosen den Vertrag als Demütigung Karls VII. einstuften. In jedem Fall profitierte der Herzog von Burgund zunächst einmal erheblich von dem Friedensvertrag, mögen wichtige Vorteile auch nicht von Dauer gewesen sein. 102 Vgl. Dickinson, The Congress (wie Anm. 55), S. 171–174. 103 Vgl. Müller, Konzil (wie Anm. 56), S. 375. 104 Vgl. dazu Richard Vaughan, Charles the Bold. The last Valois Duke of Burgundy, ND Woodbridge 2002 (London 1973), S. 315–345. Zur Vorgeschichte aus Kölner Perspektive Helmut Gilliam, Der Neusser Krieg. Wendepunkt der europäischen Geschichte, in: Joseph Lange u. a. (Hgg.), Neuss, Burgund und das Reich (Schriftenreihe des Stadtarchivs Neuss 6), Neuss 1975, S. 201–254, bes. S. 210–229; s. auch Heribert Müller, „Von welschem Zwang und welschen Ketten des Reiches Westmark zu erretten“. Burgund und der Neusser Krieg 1474/75 im Spiegel der deutschen Geschichtsschreibung von der Weimarer Zeit bis in die der frühen Bundesrepublik, in: Der Griff nach Westen, hg. von Burkhard Dietz u. a., Münster u. a. 2003, S. 137–184, mit weiterer Literatur. 105 Vgl. den Brief Karls an Köln vom 18. 3. 1472, in: Acten zum Neusser Kriege 1472– 1475, hg. von Adolf Ulrich (Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein 49), Köln 1889, Nr. 1, S. 6 f. Um 1467/1468 hatte sich Karl schon einmal als eine Art Vermittler im Streit zwischen Ruprecht und dem Domkapitel und der Stadt Köln ins Gespräch gebracht. Vgl. dazu Vaughan, Charles the Bold (wie Anm. 104), S. 315. 106 Vgl. Adolf Ulrich, Einleitung, in: Acten (wie Anm. 105), S. 2; Müller, „Von welschem Zwang“ (wie Anm. 104), S. 143. 107 Vgl. Vaughan, Charles the Bold (wie Anm. 104), S. 318, und Werner Paravicini, Karl der Kühne. Das Ende des Hauses Burgund, Göttingen u. a. 1976, S. 85. 108 Vgl. ebd., S. 319. 109 Vgl. Ulrich, Einleitung (wie Anm. 106), S. 3. 110 Vgl. Vivian Etting, Fra fællesskab til blodbad. Kalmarunionen 1397–1520, Kopenhagen 1998, S. 151, die sich ausführlich mit der Pilgerfahrt nach Italien und der anschließenden ‚Vermittlungsreise‘ des dänischen Königs an den Rhein beschäftigt. Grundlegend noch immer Vilho Niitemaa, Der Kaiser und die Nordische Union bis zu den Burgunderkriegen, Helsinki 1960. 111 Vgl. Etting, Fra fællesskab (wie Anm. 110), S. 135. 112 Vgl. ebd., S. 135 f. 113 Vgl. ebd. 114 So Etting, Fra fællesskabet (wie Anm. 110), S. 135. 115 Vgl. ebd., S. 150 f.; der Vertragstext in: Diplomatarium Christierni Primi. Samling af Aktstykker, Diplomer og Breve henhørende til Kong Christiern den Førstes Historie, hg. von Caspar Frederik Wegener, Kopenhagen 1856, Nr. 204, S. 305 ff. 116 Vgl. Niitemaa, Der Kaiser (wie Anm. 110), S. 304. 117 Vgl. ebd., S. 301. 118 Vgl. den Brief der Stadt Köln an Peter v. der Clocken vom 19. 11. 1474, in: Acten 100

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Hermann Kamp (wie Anm. 105), Nr. 56, S. 35 f.: … manne sait under anderen, der konynck [sci. von Dänemark] have vur zo dadin gen tussch en den parthyen … ; s. auch Joseph Lange, Pulchra Nussia. Die Belagerung der Stadt Neuss 1474/1475, in: Neuss, Burgund und das Reich (wie Anm. 104), S. 9–190, S. 66 f. 119 Vgl. Niitemaa, Der Kaiser (wie Anm. 110), S. 310. 120 Vgl. ebd., S. 311. 121 Vgl. ebd., S. 306, 314, und Gilliam, Der Neusser Krieg (wie Anm. 104), 242 f. 122 Vgl. Lange, Pulchra Nussia (wie Anm. 118), S. 68. 123 Vgl. Niitemaa, Der Kaiser (wie Anm. 110), S. 312 ff. 124 Vgl. Etting, Fra fællesskabet (wie Anm. 110), S. 152. 125 Vgl. das Geleitgesuch Christians I. vom 6. Dezember 1474, in: Acten (wie Anm. 105), Nr. 62, S. 39. 126 Vgl. den Brief der Kölner vom 21. 12. 1474 an Straßburg, in: Acten (wie Anm. 105), Nr. 69, S. 44: … man spricht, he [sci. Christian] seulde gerne daidingen in deser sachen … 127 Vgl. Acten (wie Anm. 105), Nr. 65, S. 41 f. 128 Vgl. Etting, Fra fællesskabet (wie Anm. 110), S. 152. 129 Vgl. ebd., S. 153. 130 Vgl. Niitemaa, Der Kaiser (wie Anm. 110), S. 319. 131 Vgl. ebd. 132 Vgl. Gilliam, Der Neusser Krieg (wie Anm. 104), S. 242 f., der allerdings dem Kaiser auch in dieser Situation noch ein Bemühen um einen Ausgleich zuspricht, weil er noch immer auf eine Heirat zwischen seinem Sohn Maximilian und Karls Tochter Maria hoffte. 133 Vgl. den Bericht der Kölner an ihren Gesandten im kaiserlichen Heer, in: Acten (wie Anm. 105), Nr. 75, S. 48: Item der konynck van Denmarcken wirt morn ryden zo k.m.; ind as wir verstain, have he sonderlingen beveyll van des hertzogen weigen dem keyser alreleye irbiedongen vurzobrengen ind intlest dat der hertzog willich sy alle sachen ind besonder die sache des unwillens tusschen yn ind der stat Coelne an die k.ma. ind die stat Coelne zo stellen etc. ind dat zo befestigen na noittorfft; in dis dat hoffen und vermoiden, der zugh soele dadurch vertzorgen werden, dat dairenbynnen die frunde van Nuyss in noeden komen ind oeverwonnen soelen werden. Mit dem Zug ist der kaiserliche Vormarsch nach Neuss gemeint. Vgl. auch den Bericht der Kölner an die Straßburger vom 21. Dezember 1474, in: Acten (wie Anm. 105), Nr. 69, S. 44: der konynck van Denemarcken mit den anderen fursten etc. is noch zo Colne; man spricht, he seulde gerne dadingen in deser sachen up dat die mit dem zugh wendich moechte werden. Eine ähnliche Bewertung der Vermittlung Christians I. findet sich in einem Brief, den die Kölner zwei Tage später nach Neuss schicken; s. ebd., Nr. 70, S. 44. 134 Es handelte sich um den burgundischen Kanzler Guillaume Hugonet und den Heeresführer Gui de Brimeu. Vgl. Brief Adolfs von Kleve an den Herzog Johann von Kleve vom 28. 1. 1475, in: Acten (wie Anm. 105), Nr. 83, S. 51. 135 Dementsprechend heißt es zu Beginn der Friedensbedingungen, die Karl dem Kaiser über den dänischen König mitteilen lässt: So as der keyser etzlige punt en dem konynge van Denmarcken up syn anbrengen etc. overgegeven hadde, so hefft der hertzoch van Bourgonien dem konunge deser naheschr[even]achte punten weder overgegeven … (Acten ([wie Anm. 105], Nr. 209, S. 175 f.). Vgl. zu den Verhandlungen Niitemaa, Der Kaiser (wie Anm. 110), S. 325, und Gilliam, Der Neusser Krieg (wie Anm. 104), S. 244. 136 S. die acht Vorschläge Karls in: Acten (wie Anm. 105), Nr. 209, S. 175 f.; vgl. dazu Gilliam, Der Neusser Krieg (wie Anm. 104), S. 244. 137 Vgl. Etting, Fra fællesskabet (wie Anm. 110), S. 155. 138 Vgl. Gilliam, Der Neusser Krieg (wie Anm. 104), S. 246 ff. 139 Vgl. Etting, Fra fællesskabet (wie Anm. 110), S. 155.

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Vermittlung in der internationalen Politik des späten Mittelalters 140

Vgl. ebd. Vgl. Niitemaa, Der Kaiser (wie Anm. 110), S. 328. 142 Vgl. Etting, Fra fællesskabet (wie Anm. 110), S. 155. 143 Gilliam, Der Neusser Krieg (wie Anm. 104), S. 248. 144 Vgl. ebd., S. 249, und Lange, Pulchra Nussia (wie Anm. 118), S. 142 ff. 145 Die Verhandlungen gerieten nochmals in die Krise, als sich die Kölner einiger burgundischer Schiffe bemächtigten und diese erst nach langen Verhandlungen wieder herausgaben. Vgl. Lange, Pulchra Nussia (wie Anm. 118), S. 147 ff. 141

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Parteiische Vermittler? Die Westfälischen Friedensverhandlungen 1643–48 Barbara Stollberg-Rilinger I. Mediatoren spielten in der Völkerrechtsliteratur des 17. Jahrhunderts eine überaus positive Rolle. Sie waren nämlich diejenigen, welche sich zwischen die streitende oder zum Krieg rüstende auch wohl bereits Krieg führende Partheyen freywillig legen und sie mit Authorität, Vernunffts-Gründen und Bitten zum gütlichen Vergleich und zu der Strittigkeit Beylegung zu bewegen trachten! da sie so ein heiliges Vorhaben zu hegen scheinen, wäre es die größte Unleutseeligkeit; [solches] selbiger Weise zu verwerffen, so schrieb der berühmte Naturrechtstheoretiker Samuel Pufendorf in seinem Epoche machenden Werk ‚De jure naturae et gentium‘ von 1672. Dies stehe den Christenmenschen desto besser an, als auch selbst der sonst abgeschmackte Alcoran [d. h. der Koran] befiehlet, dass wann zwey Musel-Männische Nationen oder Provincien mit einander kriegen, die übrige Frieden zwischen ihnen stifften und […] die Partheyen der Billigkeit nach wieder zu Freunden machen solten. Mediation sei der Freunde vornehmstes Ampt. Man solle ein solches Vermittlungsangebot selbst dann nicht verwerfen, wenn man den Verdacht habe, dass die Vermittler mit der andern Parthie in besonderer Freyheit stünden. Allerdings sei man auch nicht verpflichtet, ihre Vermittlungsvorschläge zu befolgen. 1 Das eben unterschied den Spruch des Vermittlers, des Mediators, von dem eines Schiedsrichters, arbiter, dem sich beide Parteien im Voraus unterwarfen, unabhängig vom Ausgang seines Urteils. Immanuel Kant schreibt über den Schiedsrichter: Zur Composition eines Streits kann man auch durch Urteil eines 3ten gelangen. Es wird willkührlich von ihm constituiret. […] Das Pactum wodurch er zum Schiedsrichter eingesetzt wird, heißt receptio. Hingegen zum Mediator: Der Mediator ist nicht ein Arbiter, sondern er nimmt sich beider Partheyen an, und sucht sie auf die Art zu vertheidigen und zu vergleichen. Er muss also unpartheiisch seyn. Die litigantes sind nicht verbunden, es beim Urtheil des Mediators bewenden zu lassen. 2 Eine Unterwerfung unter das Urteil eines Dritten, das im späten Mittelalter durchaus üblich gewesen war, kam für die nach Souveränität strebenden Potentaten der frühen Neuzeit keinesfalls in Frage; zu groß war ihr Bedürfnis nach Unabhängigkeit und zu berechtigt ihre Befürchtung, dass ein solches Amt dem Arbiter zu einer hegemonialen Stellung ver124

Parteiische Vermittler?

helfen könnte. Schiedsrichter zwischen den anderen Mächten zu sein, beanspruchten zwar einige der europäischen Monarchen, allen voran Frankreich, doch ohne dass ihnen die anderen das jemals zugestanden hätten. 3 Mediation hingegen war etwas anderes: eine freiwillig und einvernehmlich angenommene Vermittlung zwischen streitenden Parteien durch einen überparteilichen Dritten, dem aber keine richterliche Kompetenz zukommt und dessen Wirken keinerlei Verbindlichkeit beansprucht. Die Vermittlung sollte dazu dienen, die abgebrochene Kommunikation zwischen den Gegnern wiederherzustellen, das zerstörte Vertrauen wiederaufzubauen und überhaupt erst die Bedingungen und Formen der Versöhnung auszuhandeln. Wie weit die Befugnisse des Vermittlers gingen – ob er selbst der friedensunwilligen Partei mit Intervention drohen dürfe oder sich auf reine Vernunftargumente und gute Gründe beschränken müsse, oder ob er womöglich nur wie ein bloßer Bote die Kommunikation zwischen den Parteien aufrechterhalten sollte – darüber gingen die Meinungen der Völkerrechtler auseinander. Gemeinsam war ihnen aber die besondere Hochschätzung dieses „Amtes“ (officium) und die hohen Anforderungen, die man an seinen Inhaber stellte: Als Fürst dürfe er keinerlei eigenes Interesse an der Sache haben – außer natürlich der allgemeinen christlichen Liebe zum Frieden – und sein Gesandter dürfe sich von keiner Passion beherrschen lassen und sich keinerlei Parteilichkeit, welche auch immer es sei, verdächtig machen. 4 Die besondere Ehre, die das Amt verlieh, sollte dadurch zum Ausdruck kommen, dass man den Mediatoren im zeremoniellen Umgang den Vorrang vor allen Parteien zukommen ließ. Nichts verdeutlicht besser die hohe Würde, die man dem Vermittler zumaß, als dass man ihn mit Christus als dem Urbild eines Mediators – des Mediators zwischen Gott und den Menschen – verglich. Der politische und moralische Anspruch an den Mediator war also überaus hoch; von strengster Unparteilichkeit und reinster Friedensliebe geleitet, sollte er allein durch die Kraft der Vernunft den Streit zu einem gütlichen Ausgleich bringen. Hoch waren auch die Erwartungen, die man den Mediatoren entgegenbrachte, die sich im Jahr 1644 anschickten, in Münster dem verheerenden jahrzehntelangen Krieg auf deutschem Boden ein Ende zu bereiten. 5 Einer der beiden, der päpstliche Nuntius Fabio Chigi, schrieb in dem lateinischen Gedicht, das er in feinsinniger gelehrter Humanistenweise über seine Reise nach Münster verfasst hatte: gewaltig ist nun, Mimigarda, nach furchtbaren Kriegen Deine Sehnsucht nach Frieden, und innig verehrst Du des Papstes Boten, der kommt, um den Streit der Könige endlich zu schlichten! 6 Es gab bekanntlich zwei Vermittler bei den Westfälischen Friedensverhandlungen, deren Namen und Porträts im Friedenssaal des Rathauses zu Münster zu sehen sind: zum einen der Gesandte des Papstes, der Kölner Nuntius Fabio Chigi, zum anderen der Gesandte der Republik Venedig, Alvise Contarini (Abb. 1 und 2). 7 Mit dem Papst und der Republik Venedig hatten sich das ranghöchste und das rangniedrigste Mitglied aus der Gemeinschaft der euro125

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Abb. 1: Fabio Chigi. Gemälde von Jan Baptista Floris nach Anselm van Hulle, Münster, Friedenssaal

päischen Mächte zur Vermittlung angeboten und waren von den beteiligten Parteien als solche anerkannt worden. Sieht man sich indessen die Urteile mancher Zeitgenossen an, so ergibt sich ein eher ernüchterndes Bild. Gemessen an den hohen Ansprüchen haben die beiden Mediatoren scheinbar total versagt. Seitens der Franzosen hieß es abwechselnd über sie, sie hätten gar nichts getan, oder (so der Kardinal und erste Minister Mazarin) sie seien Frankreich gegenüber feindseliger gewesen als selbst die Gesandten der Feinde, der Spanier. 8 Umgekehrt warf die kaiserliche Seite ihnen aber ebenso vor, sich gar zuvil parteyisch an seiten der Frantzosen zu halten.9 Wenig später urteilte ein Kenner der Diplomatie der Zeit, der brandenburgische Gesandte Abraham de Wicquefort, die Mediatoren hätten in Münster viel Ärger und wenig Erfolg gehabt und noch weniger Ehre eingelegt. Ihre Absichten seien zwar gut gewesen, aber sie hätten eine solche geringe Flexibilität, ja Halsstarrigkeit an den Tag gelegt, dass man sie völlig habe umgehen müssen und am Ende sämtliche Einigungen zwischen den Parteien ohne sie zustande gekommen seien. 10 Andere Stimmen hingegen sprachen von durchaus erfolgreicher Vermittlung. Aus moderner Sicht hat man vor allem Chigi eine sehr geschickte Hand bei der Erfüllung seiner Funktion bescheinigt 11 und auch Contarini „einen Tropfen Öl in der Friedensmaschinerie“, 12 ja sogar den „ersten Mediator Europas“ genannt. 13 Was trifft denn nun zu? Waren die beiden Vermittler tatsächlich parteiisch – und wenn ja, inwiefern, für wen und warum? Den Fragen will ich im Folgenden nachgehen, 126

Parteiische Vermittler?

Abb. 2: Alvise Contarini. Gemälde von Jan Baptista Floris nach Anselm van Hulle, Münster, Friedenssaal

allerdings ohne die hochkomplexen Verhandlungen hier auch nur ansatzweise inhaltlich behandeln zu können. Es geht vielmehr um die grundsätzlichen, strukturellen Probleme in Münster. Die These ist: Vermittlung diente immer auch den Vermittlern selbst. Auch wenn sie noch so aufrichtig und unparteilich handelten – bei der Vermittlung ging es nie allein um die Beilegung des Konflikts, sondern immer auch um die Nebenwirkungen der Vermittlungstätigkeit für die politische Position und den sozialen Status der Vermittler selbst – und zwar sowohl der vermittelnden Macht (also hier: des Papstes und der Republik Venedig) als auch der individuellen Personen, die als bevollmächtigte Gesandte mit Repräsentativcharakter die Vermittlung ausführten. Das zeigen die Beispiele Chigis und Contarinis – aber auf jeweils ganz unterschiedliche Weise. Bevor ich das im Einzelnen zu belegen versuche, sollen zuerst kurz die Rahmenbedingungen und Verfahrensformen der Verhandlungen in Münster und Osnabrück skizziert werden. Dann werden die beiden Vermittler etwas eingehender vorgestellt und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihrer Vermittlungstätigkeit herausgearbeitet, um zu zeigen, was sie zur Vermittlung veranlasste, welche eigenen Interessen sie verfolgten und inwiefern das den Verhandlungen insgesamt schadete oder nutzte. Abschließend will ich in einem Resümee die Frage stellen, ob der Westfälische Frieden für die Geschichte der Mediation eine Epochenmarke darstellte, wie es diesem Friedensschluss für die Entwicklung des Völkerrechts insgesamt gemeinhin bescheinigt wird. 127

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II. In Osnabrück und in Münster bot sich zwischen 1643 und 1648 eine Situation ohne Verfahrensvorbilder: Nahezu alle europäischen Mächte waren vertreten, insgesamt waren es 82 verschiedene Gesandtschaften, die sich, verteilt über den Zeitraum von fünf Jahren, vorübergehend hier einfanden. Repräsentanten von Akteuren ganz unterschiedlichen Status’ und Ranges trafen auf engstem Raum aufeinander. Denn der Krieg war ja in Wirklichkeit nicht ein Krieg gewesen, sondern ein ganzes Bündel verschiedener Konflikte, die alle auf das Komplizierteste miteinander verflochten waren.14 Seine Schärfe und Dauer gewann dieser Krieg vor allem dadurch, dass sich die konfessionelle Spaltung mit den Verfassungsproblemen des Römisch-deutschen Reiches und das Ganze wiederum mit der gesamteuropäischen machtpolitischen Konfliktlage verknüpfte. Beide Seiten, der Kaiser wie die protestantischen Fürsten, hatten große europäische Mächte auf ihrer Seite; der Kaiser seine spanischen Verwandten, die deutschen Protestanten hingegen Schweden und Frankreich. Aus dem ursprünglich regionalen Aufstand der protestantischen Stände in Böhmen gegen die habsburgische Herrschaft – also an der Peripherie des Reiches – war ein ‚Teutscher‘ Krieg geworden und dann aus dem deutschen Krieg ein „europäischer Krieg in Deutschland“ (Repgen). Daher stand nun auch in Westfalen die ganze Ordnung des christlichen Europa zur Debatte. Gesandte fast aller europäischen Mächte trafen sich auf engem Raum. So etwas hatte es noch nie gegeben, sieht man einmal von den großen Reformkonzilien der Kirche ab. Aus der Rückschau fanden die Völkerrechtler des späten 17. und des 18. Jahrhunderts, dass hier eine neue Art zu denken und zu handeln etabliert worden sei und dass diese Zusammenkunfft eine der berühmtesten werden sollte, dergleichen man bisher in Europa nicht gesehen. 15 Das heißt: Hier in Westfalen und nirgends sonst war das ‚Theatrum Europaeum‘ errichtet, die Bühne Europas, auf der alle Akteure, die zukünftig politisch mitspielen wollten, ihr Verhältnis neu austarieren mussten. Im Kern handelte es sich um vier verschiedene Hauptverhandlungsstränge, die mehr oder minder miteinander in Zusammenhang standen: Erstens verhandelte die Krone Spanien mit den abtrünnigen niederländischen Provinzen in Münster. Sie schlossen am 15. Mai 1648 Frieden und beendeten damit den 80jährigen Unabhängigkeitskampf der Niederlande. 16 Zweitens verhandelten die Spanier und die Franzosen miteinander, ebenfalls in Münster, um ihren seit 1635 geführten Krieg zu beenden, aber ohne Erfolg; dazu kam es erst im sogenannten Pyrenäenfrieden von 1659. 17 Drittens verhandelten Kaiser und Reichsstände mit der Krone Frankreichs in Münster, 18 und viertens verhandelten Kaiser und Reichsstände mit der Krone Schwedens in Osnabrück. 19 Das waren aber nur die offiziellen Hauptverhandlungen; inoffiziell gab es daneben eine Vielzahl weiterer Kontakte. Alle möglichen europäischen Potentaten oder solche, die es werden wollten, verfolgten ihre eigenen Absichten in Münster 128

Parteiische Vermittler?

und Osnabrück: zum Beispiel die Schweizer Eidgenossen, die portugiesischen Rebellen gegen die Krone Spaniens, nicht zu vergessen einzelne Reichsstände, die teils mit dem Kaiser, teils mit Frankreich, teils mit Schweden verbündet waren. Angesichts der unüberschaubaren Vielzahl und Komplexität der Probleme erschien es schon den Zeitgenossen als ein schieres Weltwunder, dass es am Ende überhaupt zu einem Friedensschluss kam. Versuche, Friedensverhandlungen anzubahnen, hatten das Kriegsgeschehen fast von Anfang an begleitet. Immer wieder wurden bilaterale Verträge geschlossen, und einzelne Parteien schieden aus dem Kriegsgeschehen aus, während aber auf anderen Schauplätzen der Krieg nur umso verheerender weiterging. Einen wirklichen Frieden, eine pax universalis, konnte es aber nur geben, wenn alle Beteiligten zu einem Interessenausgleich kamen. Schon in Köln 1636 hatten sich Frankreich und der Kaiser geeinigt, dass ein allgemeiner Friedenskongress stattfinden sollte; in Hamburg 1641 hatte man ihn auf den März 1642 anberaumt und vereinbart, dass er in den beiden benachbarten westfälischen Bischofsstädten als neutralen Kongressorten stattfinden solle. Doch es dauerte nach den Hamburger Präliminarverhandlungen noch ganze vier Jahre, bis man endlich in substanzielle inhaltliche Verhandlungen eintrat. Und während des langjährigen Verhandlungsgeschehens schloss man fatalerweise niemals einen Waffenstillstand. Vielmehr ging der Krieg parallel ständig auf mehreren Schauplätzen weiter, und die Kriegsparteien versuchten weiterhin, ihre Verhandlungspositionen mittels militärischer Gewalt zu verbessern. 20 Die beiden Vermittler waren schon seit 1636 für die Verhandlungen zwischen den Hauptakteuren vorgesehen. Der päpstliche Nuntius sollte nur zwischen den katholischen Kronen vermitteln, also zwischen Spanien und Frankreich sowie zwischen dem Kaiser und Frankreich. Der Venezianer sollte darüber hinaus auch zwischen den beiden konfessionellen Lagern vermitteln, die jeweils an den beiden verschiedenen Orten mit den Kaiserlichen verhandelten: in Münster die Katholiken, in Osnabrück die Protestanten. Ursprünglich hatte der dänische König zusätzlich zwischen dem Kaiser und Schweden vermitteln sollen. Doch bevor die Verhandlungen begannen, im Dezember 1643, fing Schweden einen Krieg mit Dänemark an, so dass der dänische Gesandte keine Vermittlerrolle mehr spielen konnte. Ohnehin hielt die dänische Königin nichts davon. Man verzichtete daher in Osnabrück ganz auf offizielle Vermittler und verhandelte viel informeller – und tatsächlich effektiver – als in Münster. So wurden unter anderem sämtliche die Reichsverfassung betreffenden Materien allein in Osnabrück ausgehandelt.

III. Warum aber war dann in Münster überhaupt Vermittlung nötig? Was sollten die Vermittler tun? Wenn man sich doch bereits in Hamburg grundsätzlich 129

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geeinigt hatte, Frieden schließen zu wollen, wieso konnte man das nicht allein und unmittelbar tun? Vor allem das Anfangen war (und ist) bei der Überwindung eines gewaltsamen Konfliktes schwer. Die zentrale Frage hieß: Wer macht das erste Zugeständnis; wer muss wem wie weit entgegenkommen, damit man am Ende zu einem Ausgleich, also einer Übereinkunft gelangt, die von beiden Seiten ein ausgewogenes Maß an Zugeständnissen verlangt? Naturgemäß sind ja die Vorstellungen der beiden Seiten über diesen Punkt höchst ungleich; es gilt folglich sie gegeneinander auszutarieren. Es war daher die Aufgabe des Mediators, eine Plattform der Kommunikation in der Mitte zwischen beiden Seiten zu schaffen, um von jeder Seite Angebote entgegenzunehmen und sie der je anderen Seite zu unterbreiten, um auf diese Weise das Vertrauen, das die Parteien einander ja gerade nicht entgegenbrachten, durch beider Vertrauen in seine Person zu ersetzen. Nicht hingegen war es offizielle Aufgabe der beiden Mediatoren, selbst sachliche Vorschläge zu machen. Sie sollten allein als neutrale Boten und ‚Notare‘ dienen. Strittig war, wie gesagt, wer wem wie weit entgegenkommen sollte. Das Problem des ‚Entgegenkommens‘ war dabei nicht nur im übertragenen Sinne zu verstehen. ‚Entgegenkommen‘ war nämlich zunächst einmal, im buchstäblichen Sinne des Wortes, eine Frage der Stufen und Schritte, die der eine dem anderen Gesandten bei gemeinsamen Treffen entgegenkam. Das scheint uns heute lächerlich, war es aber damals keineswegs. Um die Bedeutung des Zeremoniells zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, dass es für die politischen Akteure damals immer darum ging, die Ehre ihres Hauses, den dynastischen splendeur, Ruhm und Rang zu vermehren. Das war ein Handlungsziel von höchster Priorität, um das der Krieg nicht zuletzt geführt wurde. Welchen Rang man im ‚Theatrum Europaeum‘ einnahm, das musste äußerlich sichtbar sein; es war eine Frage des Ansehens, der Schätzung seitens der anderen Potentaten. Und das Medium, in dem solche Geltungsansprüche zum Ausdruck gebracht und wechselseitig anerkannt wurden, war eben nichts anderes als das Zeremoniell, mit dem sich die hochadligen Potentaten bzw. ihre repräsentativen Gesandten gegenseitig behandelten. 21 Das zeremonielle tractament der Gesandten war eben nicht, wie in der modernen bürgerlichen Gesellschaft, einfach eine Frage der privaten Höflichkeit. Es war vielmehr von höchster politischer Relevanz, war ein Teil der Sache selbst, um die es ging: nämlich des jeweiligen Status im europäischen Mächtesystem. Die zeremoniellen Rangfragen präjudizierten immer schon die Verhandlungen. Denn die symbolischen Formen des Umgangs hatten rechtskonstitutive Wirkung. Was einmal von allen öffentlich unwidersprochen akzeptiert worden war, galt fortan als Präzedenzfall und verlieh für die Zukunft einen Rechtsanspruch. Es wurde zum ‚löblichen Herkommen‘ – denn in der frühen Neuzeit galt stets der Grundsatz (ähnlich wie im Völkerrecht in vieler Hinsicht noch heute) ex facto oritur jus, d. h. aus dem tatsächlichen 130

Parteiische Vermittler?

Handeln erwächst Recht. Mit anderen Worten: Das Faktische hatte eine hohe normative Kraft. Und das galt eben auch und besonders für das symbolische Handeln: Wie ein Gesandter im Zeremoniell von den anderen behandelt wurde, das begründete einen Anspruch seines Prinzipalen auf einen bestimmten Status und Rang in dem eben erst sich formierenden Völkerrechtssystem. Eine der zentralen politischen Streitfragen war beispielsweise der schon sehr alte Konflikt zwischen den Königen von Spanien und Frankreich über die Frage, wer von ihnen – nach dem Kaiser – der zweite Monarch der ganzen lateinischen Christenheit sei. Beide Könige hatten ihren Gesandten in die Instruktionen geschrieben, dass sie der anderen Seite auf keinen Fall irgendwo den Vortritt lassen sollten. Solange die Frage des Vorrangs aber nicht entschieden war – und wie hätte das gelingen sollen? –, galt es jede symbolisch-zeremonielle Festlegung zu vermeiden, die einen Präzedenzfall geschaffen hätte, und zwar bei allen öffentlichen Gelegenheiten, auch in allen offiziellen Schriftstücken, denn dort überall drohten ja symbolische Aussagen über die wechselseitige Rangzumessung – etwa in der Anordnung beim Sitzen, Stehen, Gehen, Reiten und Fahren, in der Grußform und Titulatur – schlechthin alles konnte zum Zeichen werden. Das machte den Umgang der Parteien miteinander schwierig bis unmöglich. Man musste jedes öffentliche Zusammentreffen so weit wie möglich vermeiden. Doch wie sollte man anfangen, wenn der erste Schritt auf den anderen zu schon in der Form eine Anerkennung von dessen Ansprüchen bedeuten konnte? Genau deshalb brauchte man Vermittler, gerade in Münster zwischen den katholischen Mächten. Einen vergleichbaren Rangkonflikt gab es zwischen dem Kaiser und der Krone Schweden in Osnabrück nicht. Allerdings wurden die Zeremonialprobleme, wie noch gezeigt werden soll, durch das Einschalten der Vermittler tatsächlich keineswegs gelöst – ganz im Gegenteil. Wie sah nun das alltägliche Verhandeln in Münster in den langen Jahren von 1643 bis 1648 aus? Es wäre völlig irreführend, wollte man sich das Geschehen ähnlich vorstellen wie ein modernes Gipfeltreffen der Regierungschefs und Staatsoberhäupter, so wie sie uns auf Pressefotos wie dem hier abgebildeten heutzutage in den Medien präsentiert werden (Abb. 3). Es gab zwar schon damals Bilder, illustrierte Flugblätter, die das suggerieren, so wie dieses hier mit dem Titel „Seufzer nach dem Güldenen Frieden, allen christlichen Potentaten in allen christlichen Hertzen zu bedencken“ (Abb. 4). Auch hier sitzen alle beteiligten Potentaten um einen Tisch herum, vorn auch der Papst, ein Jesuit und ein evangelischer Theologe. Es handelt sich dabei aber nicht um eine dokumentarische Abbildung irgendeines realen Geschehens, sondern um eine ideale Darstellung des corpus politicum Europaeum, der Gemeinschaft aller am Krieg beteiligten Potentaten, an deren christliche Gewissen das Blatt appelliert. Christus selbst wird zur Vermittlung aufgerufen, und zwar von den unschuldigen Seelen der umgebrachten Kinder im Vordergrund, die um Frieden flehen.22 Zweifellos symbolisiert das gemeinsame Sitzen um einen Tisch herum 131

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Abb. 3: G-20-Gipfeltreffen in Washington, November 2008 (dpa)

die geforderte Friedens- und Verhandlungsbereitschaft, so wie auch die von Ölzweigen umwundenen Schwerter der Potentaten. ‚Sich an einen Tisch setzen‘ steht ja noch heute als metaphorische Wendung für die Bereitschaft, eine verfahrene Situation vernünftig und einvernehmlich beizulegen. Doch das Flugblatt war ein Appell, eine Utopie. Eine solche Versammlung wie hier dargestellt gab es de facto nie. Sie hätte ja vorausgesetzt, dass es einen gemeinsamen Grundkonsens über die Verfahrensformen und vor allem auch über die prinzipielle Gleichberechtigung und Gleichrangigkeit aller Beteiligten gab. Doch gerade das war nicht der Fall. Erstens: Nie kamen die Fürsten – von Staatsoberhäuptern sollte man für diese Zeit ohnehin noch nicht sprechen – in Person nach Münster, sondern sie schickten stets nur bevollmächtigte Gesandte. Zweitens: Ebensowenig kam jemals ein gemeinsames Treffen aller Gesandten zustande. Die Begegnungen waren vielmehr meist nur bilateral und fanden in einem der Gesandtschaftsquartiere statt. Drittens: Der Kongress bestand nur zu einem – ganz geringen – Teil überhaupt aus förmlichen Akten (offiziellen congressus), sondern zum weitaus größeren Teil aus informellen Begegnungen (quasi ‚privaten‘ sogenannten discursus). Die kaiserlichen Gesandten trafen beispielsweise mit den französischen in Münster öffentlich nur dreimal an einem gemeinsamen Verhandlungstisch zusammen, und zwar jedes Mal erst zur Unterzeichnung fertiger Abschlussdokumente, und das, obwohl sie sich insgesamt fünf Jahre an demselben Ort aufgehalten hatten! Ansonsten spielte sich das Verhandeln anders ab: nämlich durch das Überbringen von Schriftstücken oder durch quasi-private, nicht-öffentliche Gespräche, und das – jedenfalls in Münster – stets über die Vermittler. Man muss sich den förmlichen Verkehr also so vorstellen, dass beispielsweise die kaiserliche Gesandtschaft einen Vorschlag zu Papier brachte und ihn dem Vermittler übergab. Dieser wiederum traf sich mit dem französischen Gesandten, um ihm das Papier zu überreichen. Woraufhin dieser eine schriftliche Antwort formulierte und sie seinerseits dem Vermittler übergab, damit dieser wieder132

Parteiische Vermittler?

Abb. 4: „Seuffzer nach dem Guldinen Friden“. Illustriertes Flugblatt von Jacob van der Heyden, 1647

um den kaiserlichen Gesandten traf und es ihm überreichte. Man kann sich vorstellen, wie langwierig sich das Ganze gestaltete – zumal es ja nie nur zwei beteiligte Parteien gab, sondern in jedem einzelnen Punkt die Interessen Dritter, vor allem der jeweiligen Bundesgenossen, mit betroffen sein konnten und man deren Meinung erst erfahren musste, bevor man antwortete. Schließlich kam noch hinzu, dass die Gesandten keine unbegrenzten Handlungsvollmachten besaßen und oft erst bei ihren Auftraggebern per Boten neue Instruktionen einholen mussten, bevor es weitergehen konnte – und die Postwege waren lang und beschwerlich. Doch das Grundproblem war: Jede Seite musste darauf bedacht sein, nicht als erste mit Zugeständnissen zu beginnen und sich, wenn überhaupt, dann nicht zu weit damit vorzuwagen, um den eigenen Verhandlungsspielraum nicht mehr als nötig einzuengen. Um einen Eindruck von den Schwierigkeiten des Anfangens und der Umständlichkeit – schon des sprachlichen Duktus, der sehr kennzeichnend ist – zu vermitteln, zitiere ich aus der Hauptinstruktion des Kaisers an seine Gesandten in Münster vom Juli 1643: Wan […] man ad materialia ipsa unnd auf die mittel schreite, durch welche man zum frieden und vorigen vernehmen gelangen […] wollte, so hettet ihr erstlich dem nuncio zu vermelden, ihr setzet in keinen zweifel, er wurde bey der cron Franckhreich penetriert haben, auf wem sie ihres orths die friedensconditiones zu setzen gedacht were, unnd ihme hoffentlich nit entgegen sein lassen, solche euch zu entdeckhen, welches allermassen es dem friedenswerckh befürderlich, also 133

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wurdet ihr hinwider in ebenmessiger confidenz euch gegen ihme nuncio herauß lassen und dergestelt man je eher und neher zusammen khommen khönte. D. h. die Gesandten sollten versuchen, zuerst aus dem Nuntius herauszulocken, was die Franzosen zuzugestehen bereit waren. Sollte aber er interpositor [d. h. der Nuntius] ain solches noch nicht penetriert haben, so hettet ihr befelch, ihne zu ersuechen, ob er annoch es bey den anwesenden Frantzößischen ministris zu penetrieren sich bemühen wollte. Da er nun hingegen in euch sezen thete, dass unnsrerseiths die erste proposition beschehe, so hettet ihr euch hievon so lang es müglich […] zu entschuldigen […]. So bald wir aber vernehmen wurden, waß der cron Franckhreich begeren [sei], ihr alßdann euch hinwider zu erkhleren befelcht weret unnd unverlengt erkhleren wollet. 23 Die Gesandten sollten also erst dann mit ihren eigenen Vorschlägen herausrücken, wenn der Nuntius ihnen die der Gegenseite übermittelt hätte. Den gleichen Auftrag hatten aber auch die Franzosen. Wie es unter diesen Umständen überhaupt je zu Ergebnissen kommen konnte, ist tatsächlich erstaunlich und nicht zuletzt ein erhebliches Verdienst des Nuntius.

IV. Was verband, was unterschied nun die beiden Vermittler, und was waren ihre eigenen Interessen bei der ganzen Sache? Alle geschilderten Umstände waren für die beiden Vermittler die gleichen; und beiden war gemein, dass sie diesen Bedingungen sorgfältig Rechnung zu tragen suchten. Auch ihre Auffassung von dem Dienst des Mediators, der allerdings kein festes Amt hatte, keine Institution war, 24 scheint sehr ähnlich gewesen zu sein. Beide sollten und wollten, wie gesagt, auf keinen Fall als Schiedsrichter fungieren, sondern nur als ‚Notare‘. Hinter beiden stand ja auch keine militärische Großmacht, die den eigenen Vorschlägen mit Sanktionsdrohungen hätte durchschlagende Geltung verschaffen können. Beide legten auch allergrößten Wert darauf, nicht den geringsten Anschein der Parteilichkeit an den Tag zu legen. Sie demonstrierten das, indem sie sich nie mit Parteienvertretern zum gemeinsamen Mahl zur Tafel setzten und nie Geschenke von irgendjemandem annahmen 25 – was sonst als Zeichen freundschaftlicher Beziehungen allgemein üblich war. Beide verhandelten fast ausschließlich jeweils mit nur einem Gegenüber, beide taten das meist schriftlich und auf Latein. Und beide wurden von Mitte des Jahres 1646 bis Mitte 1647 weitgehend ausgeschaltet und wussten lange Zeit überhaupt nicht mehr, was vorging. In den Verhandlungen zwischen Spanien und Frankreich nahmen ihnen die niederländischen Gesandten das Heft vorübergehend völlig aus der Hand. Und trotzdem wurde beiden im Lauf der Verhandlungen von verschiedenen Seiten auch bescheinigt, dass sie neutral, verlässlich und hilfreich seien. 26 Trotz all dieser Gemeinsamkeiten gab es am Ende aber einen Unterschied, 134

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Abb. 5: Die geopolitische Lage Venedigs zur Zeit des westfälischen Friedenskongresses

der ins Auge sticht: In Friedensvertrag wurde nur einer von beiden erwähnt, nämlich Contarini. Die allerdurchlauchtigste Republik Venedig habe in diesen schwierigen Zeitläuften ihren Rat und ihre Hilfe nie versagt, hieß es in der Münsteraner Präambel, und der Friede sei geschlossen worden durch die Intervention des illustrissimi et excellentissimi legati senatorisque Veneti, der das Amt eines Mediators fast fünf Jahre hindurch unermüdlich (impigre) ausgeübt habe. Auf diese ehrenvolle Erwähnung im Friedensdokument hatte Contarini selbst auch den allergrößten Wert gelegt, um sich dessen in seiner Schlussrelation an den Senat nach Hause ausführlich rühmen zu können. 27 Der andere hingegen, Chigi, der in einem ersten Münsteraner Vertragsentwurf ebenfalls noch lobend genannt worden war, legte genau umgekehrt am Ende den größten Wert darauf, mit keinem Wort erwähnt zu werden – weder in einem der beiden Verträge noch in irgendeinem anderen offiziellen Dokument. 28 Wie erklärt sich dieser auffällige Unterschied? Diese Frage führt zu den unterschiedlichen Interessen, die die beiden Vermittler bei ihrer Tätigkeit verfolgten. Sehen wir uns also jetzt die beiden Personen und die Mächte, in deren Auftrag und Namen sie agierten, kurz noch etwas genauer an. Zunächst zur Republik Venedig und ihrem Gesandten Alvise Contarini. 29 Venedig war eine autonome Stadtrepublik mit eigenen Herrschaftsgebieten im östlichen Mittelmeerraum, die ihre größte Zeit allerdings damals bereits 135

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hinter sich hatte (Abb. 5). Der Glanz der ehemals schwerreichen Handelsmetropole war im Verblassen, vor allem weil sich mittlerweile die wichtigste Welthandelsachse vom Mittelmeer zum Atlantik verlagert hatte. In den Dreißigjährigen Krieg war Venedig zeitweise selbst verwickelt gewesen, und zwar auf der Seite Frankreichs gegen Spanien und den Kaiser. Dieser Teilkonflikt war aber 1631 im Frieden von Cherasco beigelegt worden, und seither achtete die Republik auf Neutralität zwischen den Großmächten. Die Initiative zur Vermittlung zwischen den Großmächten war von den Venezianern selbst ausgegangen. Sie erschienen dafür auch besonders geeignet, denn sie waren die erfahrensten Diplomaten in ganz Europa; früher als alle anderen Mächte hatten sie begonnen, ständige Gesandtschaften an allen wichtigen Höfen zu unterhalten. Sie selbst hatten ein doppeltes Interesse an der Vermittlung: Erstens waren sie daran interessiert, dass die christlichen Mächte Frieden schlossen, um gemeinsam gegen die Türken vorzugehen, die das venezianische Territorium an der Adria permanent bedrohten (Eroberung Kandias auf Kreta durch die Türken 1645). Und zweitens legten die Venezianer Wert auf das Vermittlungsamt, weil es ihnen einen unerhörten Gewinn an Ehre, Reputation, decorum eintrug. Das lässt sich beispielsweise auf einer zeitgenössischen Karte Münsters mit den Wappen aller wichtigen Gesandten eindeutig ablesen: Contarinis Wappen als Vermittler rangiert darauf ganz oben, gleich neben dem Papstwappen (Abb. 6). An sich stand Venedig ein solcher Rang in der Hierarchie der christlichen Mächte keineswegs zu, denn als Handelsrepublik war es gleichsam ein ständischer Fremdkörper in der Welt der Monarchen. Auf die reichen venezianischen Kaufleute sahen die Fürsten herab – trotz oder vielleicht gerade wegen all ihres Reichtums. Am unteren Ende der europäischen Rangskala drängten sich nun neben den Venezianern eine ganze Reihe von Konkurrenten um den Vortritt: vor allem die Kurfürsten des Reiches und die neue Republik der Vereinigten Niederlande. Wollte Venedig seinen Rang im europäischen Mächtesystem verteidigen und gegenüber diesen alten und neuen Konkurrenten zeremoniellen Boden gewinnen, dann war die erfolgreiche Bewältigung der überaus ehrenvollen Vermittleraufgabe zwischen den Großmächten das Beste, was der Republik passieren konnte. Das politische Interesse der venezianischen Führungselite war in diesem Punkt von dem persönlichen Interesse des Gesandten Contarini nicht zu trennen.30 Contarini entstammte nämlich einem der führenden Geschlechter des venezianischen Adels; sein Onkel bekleidete das Amt des Dogen. 31 Er selbst war zuvor schon als Gesandter in Den Haag, London, Paris, Rom und Konstantinopel gewesen. Man darf sich die Diplomaten in dieser Zeit – und gerade Contarini – nicht wie Beamte vorstellen, die einem abstrakten Staatswesen dienten. Amt und Person waren nur sehr unvollkommen auseinander zu halten. Botschafter waren Höflinge, Protégés ihrer Monarchen oder hoher Räte und lernten das, was sie als Diplomaten wissen und können mussten, in der Regel durch das selbstverständliche Aufwachsen in der höfischen Kultur, nicht 136

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Abb. 6: Ansicht der Stadt Münster mit den Wappen der Gesandten. Kolorierter Kupferstich von Simon Beckenstein, 1648 (Stadtarchiv Münster: KuPlä A 3a)

durch professionelle Ausbildung. Sie bezogen nur selten feste Gehälter und mussten die teuren und aufwendigen Gesandtschaften weitgehend aus eigener Tasche finanzieren. Das Gesandtenamt musste sich in anderer Weise für sie lohnen: Es sollte ihr symbolisches Kapital vermehren. Es ging also um Ehre – für Contarini selbst wie für seine Auftraggeber. Und Ehre, Ansehen – davon war schon die Rede – manifestierte sich in der zeremoniellen Behandlung durch die anderen Gesandten. Das aber – so stellte sich bald heraus – stand der Tätigkeit Contarinis als Vermittler massiv im Weg. Und zwar gerade am Anfang, als die Gesandten nach und nach in Münster eintrafen und, wie es üblich war, in einer aufwendigen Empfangsprozession von den schon Anwesenden außerhalb der Stadt eingeholt werden sollten. Solche feierlichen Einzüge waren die maßgeblichen öffentlichen Symbolakte, die vor aller Augen nicht nur Reichtum und Pracht, sondern auch die wechselseitigen Rangverhältnisse der Beteiligten demonstrierten – oder besser gesagt: sie überhaupt erst herstellten. Anlässlich eines dieser Einzüge, nämlich dem des Herzogs von Longueville im Juni 1645, spitzte sich der schwelende Rangkonflikt zwischen Contarini und dem Gesandten 137

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der Kurfürsten, dem Osnabrücker Fürstbischof Franz Wilhelm von Wartenberg, dramatisch zu, und zwar an der Frage der Reihenfolge der Kutschen. 32 Nach wochenlangen ergebnislosen Verhandlungen drohte an diesem Punkt der gesamte Kongress zu scheitern, bevor er begonnen hatte. Der Konfliktgegenstand war nur scheinbar völlig nebensächlich. Tatsächlich ging es sowohl dem Venezianer als auch den Kurfürsten um die Durchsetzung eines ebenso fundamentalen wie umstrittenen Geltungsanspruchs, nämlich den, im Rang einer souveränen Macht vor aller Augen sichtbar anerkannt zu werden. Hätte der Venezianer es sich gefallen lassen, hinter den Kurfürsten zu fahren – die ja Vasallen des Kaisers waren und daher von äußerst zweifelhafter Souveränität –, dann hätte das seinen Statusanspruch empfindlich beeinträchtigt. Aber darauf kam es gerade jetzt in besonderem Maße an. Denn der Kreis der im vollen Sinne souveränen, d. h. unabhängigen und gleichberechtigten Völkerrechtssubjekte war ja gerade dabei, sich zu formieren und nach außen abzuschließen. Das Zeremoniell aber war das Medium, um genau diesen Status praktisch auszutarieren – also das, worum zumindest die Kurfürsten den Krieg unter anderem geführt hatten und worum es bei den Verhandlungen nun ebenfalls gehen sollte. Der Eklat um die Kutschenordnung konnte zwar am Ende vermieden werden, indem man auf jede Beteiligung am Einzug ganz verzichtete. Aber ähnliche Zeremonialkonflikte lauerten in Münster auch weiterhin auf Schritt und Tritt. Das war aber genau die Art von Problemen, zu deren Umgehung der venezianische Vermittler eigentlich eingesetzt worden war. Nun zeigte sich, dass er selbst ein Teil des Problems war, das er eigentlich lösen helfen sollte. Es stellte sich heraus, dass Contarinis eigenes Anliegen, nämlich Reputation und Rang der Republik Venedig (und das heißt: seiner führenden Familien) zu steigern, im Zweifelsfall vor dem Anliegen der Friedensstiftung rangierte. Die Mission in Münster war Mittel zum Zweck, den Rang der Republik Venedig zu erhöhen – und nicht etwa umgekehrt. Im Konfliktfall war Contarini daher bereit, eher abzureisen und die ganze Friedensmission scheitern zu lassen, als zu dulden, dass man seinem Ranganspruch im zeremoniellen Umgang irgendeinen Abbruch tat. 33 Auf die Dauer allerdings gelang es dann doch, beide Ziele zu vereinbaren, und die erfolgreiche Vermittlung wurde am Ende zur höheren Ehre der Republik Venedig im Vertrag ausdrücklich erwähnt, was Contarini in seinem Schlussbericht an seine Auftraggeber ausdrücklich hervorhob. 34 Ganz anders verhielt es sich mit dem zweiten – aber im Rang unbestritten ersten – Vermittler, dem Papst und seinem Gesandten Fabio Chigi. 35 Er stand weit über diesen Zeremonialstreitigkeiten – kein Wunder, denn ihm als dem Gesandten des Heiligen Stuhls wurde in Münster von den katholischen Mächten selbstverständlich immer der erste Rang zuerkannt. Im November 1645 erklärte er, entnervt über die permanenten Konflikte um Anredeformen und Titel (die ebenso wie Einzüge oder Visiten den wechselseitig zugestandenen Rang zum Ausdruck brachten), er sei bereit, jeden Gesandten mit ‚Eure Ma138

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jestät‘ anzureden, wenn das zum Frieden beitrage. 36 Chigi war ein feinsinniger humanistischer Gelehrter und gehörte der Klientel des Papstes Urban VIII. aus der Florentiner Familie Barberini an. 1655 wurde er selbst zum Papst gewählt. Bei seiner Vermittlungstätigkeit stellten sich ganz andere Probleme als bei Contarini. Die Päpste als Stellvertreter Christi beanspruchten traditionell seit dem Mittelalter die höchste Autorität in Sachen Friedensstiftung. 37 Sie hatten damit zwar insgesamt wenig Erfolg und mussten ihren Superioritätsanspruch gegenüber den christlichen Monarchen aufgeben, nicht aber ihren Neutralitätsanspruch. Schiedsrichter konnten sie nicht sein – wohl aber Mediatoren. Auch Papst Urban VIII. verstand sich als padre commune der ganzen Christenheit und leitete daraus seine Vermittlerrolle ab. Das Problem aber war, dass es mittlerweile keine einheitliche lateinische Christenheit mehr gab. Die Protestanten, die ‚Akatholischen‘, die Häretiker, gehörten aus der Sicht des Papstes nicht dazu. Mit ihnen überhaupt in Kontakt zu treten war daher für den Nuntius ausgeschlossen, denn das hätte ja bereits ihre Anerkennung als Vertragspartner bedeutet. Nach Kirchenrecht gehörten sie aber streng genommen entweder bekehrt oder auf den Scheiterhaufen. Einen gültigen Frieden konnte es mit ihnen gar nicht geben. Chigi sollte vielmehr allein den Frieden zwischen den ‚christlichen‘, d. h. katholischen Mächten vermitteln, also zu ihrer friedlichen Vereinigung beitragen, damit sie gemeinsam desto effektiver gegen die Häretiker und Ungläubigen vorgehen könnten. In der ausführlichen Instruktion des Papstes hieß es, das höchste Ziel der Mission sei das Heil der katholischen Religion. Chigi dürfe nicht nur mit den Häretikern in keinerlei Verhandlungen eintreten, sondern auch nichts tun, was irgend zu ihrem Vorteil gereiche, und entsprechenden Verträgen nicht zustimmen. 38 Mehr noch: Er solle bei den katholischen Mächten darauf hinwirken, dass auch sie den Protestanten keinerlei Zugeständnisse machen sollten (d. h. zum Beispiel, dass der Kurfürst von der Pfalz nicht in seine Rechte und Würden wiedereingesetzt werden sollte). Das Problem war nur: Die konfessionellen Frontlinien waren nicht die Frontlinien des Krieges. Das katholische Frankreich kämpfte ja mit dem protestantischen Schweden gegen die katholischen Habsburger und unterstützte die deutschen Protestanten. Verhandlungen allein mit den Spaniern und dem Kaiser konnten daher nicht im französischen Sinne sein; ihre Bundesgenossen, ob Ketzer oder nicht, mussten in die Verhandlungen einbezogen werden. Daher waren ja überhaupt zwei parallele Kongresse notwendig geworden, einer mit Protestanten in Osnabrück, einer ohne sie in Münster. Beide hingen aber von der Sache her eng zusammen und waren nicht zu trennen. Für Chigis Tätigkeit bedeutete das, dass er in wichtigen Fragen tatsächlich keineswegs neutral war. Auch wenn er die Protestanten formal ignorierte, so waren sie doch bei fast allen Fragen zwischen Frankreich und dem Kaiser gleichsam virtuell anwesend, und Chigi hatte den Auftrag, sich gegen sie zu verwenden. So erfolgreich Chigi als geschickter Diplomat im Einzelnen bis zuletzt auch 139

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Abb. 7: „Fabius Chisius nonce du Pape et Mediateur pour la paix generale“. Kupferstich von Paulus Pontius nach Anselm van Hulle, 1648

agierte – in diesem zentralen Punkt musste er scheitern. Ohne Einbeziehung der Protestanten war kein universaler Friede möglich. Im Beharren darauf, die Häretiker nicht als Völkerrechtssubjekte anzuerkennen, erließ der Papst am 20. November 1648 die berühmte Bulle Zelo domus Dei, in der er gegen das ganze Friedenswerk seinen allerdings ohnmächtigen Protest erhob. Das bedeutete, so hat es Konrad Repgen formuliert, „dass sich die Kurie aus dem neu geschaffenen Völkerrecht Europas und Staatsrecht Deutschlands [in einer wichtigen Frage] selbst ausschaltete“. 39

V. Zum Schluss der Versuch eines Fazits. Kann man sagen, dass die beiden Vermittler erfolgreich waren? Sicher ja, wenn man die persönlichen Interessen Contarinis und Chigis zum Kriterium macht. Beider Karrieren wurden durch die schwierige Vermittlungsmission gekrönt: Contarini vermehrte seine eigene, seiner Familie und seiner Heimatstadt Ehre und Ansehen; Chigi wurde wenig später selber zuerst Kardinal, dann Papst. Dass sie – wie die anderen Gesandten – in Münster Porträts von sich anfertigen ließen, die später in Form von Kupferstichen in hoher Auflage überall in Europa kursierten, ist auch ein Element dieser erfolgreichen persönlichen Karrierestrategie und hat dazu beigetragen, dass sie bis heute als Vermittler berühmt sind 40 (Abb. 7 und 8). Den 140

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Abb. 8: „Aloysius Contarenus Eques Patricius Venetus extraordinarius ad Pacis Tractatus Universalis, Legatus, et Mediator“. Kupferstich von Pieter de Jode nach Anselm van Hulle, 1648

Machtverfall ihrer Auftraggeber konnte das allerdings nicht wirklich aufhalten. Venedig konnte seine staatliche Unabhängigkeit nicht über die Revolutionsepoche hinwegretten; es fiel 1797 der großen revolutionären Flurbereinigung zum Opfer. Der Papst verlor in dem neuen, überkonfessionellen europäischen Völkerrecht endgültig seinen Führungsanspruch. Erfolgreich waren die beiden Vermittler aber dennoch – denn trotz aller strukturellen Hindernisse und Eigeninteressen gelang es ihnen durch ihr beträchtliches persönliches Geschick, die Verhandlungen in Gang zu bringen und zu halten – Chigi mehr noch als Contarini. Sie trugen dazu bei, dass auf dem Kongress in Westfalen neue diplomatische Formen ausgebildet wurden, die dann für die kommenden anderthalb Jahrhunderte den Standard darstellten. Mit dem Westfälischen Frieden endeten die alten Universalansprüche, aber keineswegs die Kriege zwischen den europäischen Mächten. Damit fing die große Zeit der Mediation erst richtig an, während die Zeit der alten Schiedsgerichtsbarkeit zu Ende ging. Denn das trug der Tendenz Rechnung, dass die Akteure sich wechselseitig als souveräne, gleichberechtigte und unabhängige ‚Staaten‘ zu behandeln begannen. Die Naturrechtstheorie des 141

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18. Jahrhunderts hat das auf den Punkt gebracht. 41 Zwischen Souveränen herrscht der Naturzustand, hier gibt es keinen Schiedsrichter – hier ist der Ort der Mediation.

Anmerkungen 1 Samuel Freiherr von Pufendorf, De jure naturae et gentium libri VIII (1672), V,13,7; hier zitiert nach der deutschen Übersetzung: Acht Bücher vom Natur- und Völkerrecht, Frankfurt am Main 1711, ND Hildesheim 2001, Bd. II, S. 244 ff. – Pufendorf hält allerdings um des Friedens willen auch die Interventionsdrohung des Vermittlers zugunsten der friedenswilligen Partei für naturrechtlich zulässig. Vgl. Heinz Duchhardt, Studien zur Friedensvermittlung in der Frühen Neuzeit (Schriften der Mainzer Philosophischen Fakultätsgesellschaft 6), Wiesbaden 1979, S. 97 ff.; Konrad Repgen, Friedensvermittlung als Element europäischer Politik vom Mittelalter bis zur Gegenwart, in: Ders., Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Studien und Quellen, hg. von Franz Bosbach und Christoph Kampmann, Paderborn u. a. 1998, S. 799–816; ders., Friedensvermittlung und Friedensvermittler beim Westfälischen Frieden, in: Westfälische Zeitschrift 147, 1997, S. 37–61; Fritz Dickmann, Der Westfälische Frieden, Münster 3 1972, S. 80 ff.; ferner Karl-Heinz Lingens, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit und Jus Publicum Europaeum 1648–1794 (Schriften zum Völkerrecht 87), Berlin 1988. 2 Immanuel Kant, Gesammelte Schriften. Akademie-Ausgabe, Abt. IV, Bd. 4: Vorlesungen zur Moralphilosophie, 2. Hälfte, Teil 2, Berlin 1979, S. 1377. 3 Tatsächlich wurde die Arbiter-Rolle hegemonialpolitisch genutzt; vgl. dazu Christoph Kampmann, Arbiter und Friedensstiftung. Die Auseinandersetzung um den politischen Schiedsrichter im Europa der Frühen Neuzeit, Paderborn 2001. Zur Rolle des Vermittlers im Mittelalter vgl. Gerd Althoff, Art. ‚Vermittler‘, in: Lexikon des Mittelalters 8, 2002, Sp. 1555–1557; Hermann Kamp, Friedensstifter und Vermittler im Mittelalter (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne), Darmstadt 2001. 4 Abraham de Wicquefort, L’Ambassadeur et ses fonctions, 2 Bde., Amsterdam 1 1676, Kap. XI: Sur la médiation. Hier wurde die zeitgenössische englische Fassung benutzt: The Embassador and his Functions, translated into English by Mr. Digby, London 1716, ND Leicester 1997, S. 364 ff. 5 Vgl. allgemein zu den Westfälischen Friedensverhandlungen: Dickmann, Der Westfälische Frieden (wie Anm. 1); Repgen, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede (wie Anm. 1); Klaus Bussmann – Heinz Schilling (Hgg.), 1648 – Krieg und Frieden in Europa. Politik, Religion, Recht und Gesellschaft, 2 Bde., o. O. 1998; Heinz Duchhardt (Hg.), Der Westfälische Friede. Diplomatie, politische Zäsur, kulturelles Umfeld, Rezeptionsgeschichte, München 1998; Ronald G. Asch – Wulf E. Voss – Martin Wrede (Hgg.), Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt, 2 Bde., München 2001; Lucien Bély – Isabelle Richefort (Hgg.), L’Europe des traités de Westphalie. Esprit de la diplomatie et diplomatie de l’esprit, Paris 2000; Claire Gantet, La paix de Westphalie (1648). Une histoire sociale, XVIIeXVIIIe siècles (Histoire et Société. Essais d’Histoire Moderne), Paris 2001; Randall Lesaffer (Hg.), Peace Treaties and International Law in European History, Cambridge 2004; Gabriele Haug-Moritz, Die Friedenskongresse von Münster und Osnabrück (1643– 1648) und Wien (1814/15) als „deutsche“ Verfassungskongresse. Ein Vergleich in verfahrensgeschichtlicher Perspektive, in: Historisches Jahrbuch 124, 2004, S. 125–178; Derek

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Parteiische Vermittler? Croxton – Anuschka Tischer (Hgg.), The Peace of Westphalia. A Historical Dictionary, Santa Barbara, Cal. 2001; Rainer Babel, Le diplomate au travail. Entscheidungsprozesse, Information und Kommunikation im Umkreis des Westfälischen Friedenskongresses, München 2005; Kerstin Weiand, Tagungsbericht „L’art de la paix“. Kongresswesen und Friedensstiftung im Zeitalter des Westfälischen Friedens, URL: hhttp://hsozkult.geschichte. hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2590i (08. 04. 2010). 6 Fabio Chigi, Gedichte zu seinem Aufenthalt in Münster von 1644–1649, o. O. 6 1986, S. 15. 7 Vgl. zu den Gesandtenporträts: Heinz Duchhardt – Gerd Dethlefs – Hermann Queckenstedt, „zu einem stets währenden Gedächtnis“. Die Friedenssäle in Münster und Osnabrück und ihre Gesandtenporträts, hg. von Karl Georg Kaster und Gerd Steinwascher, Bramsche 1996, S. 188 ff.; Internetportal Westfälische Geschichte: Friedensgesandte 1645/1649, URL: hhttp://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/ input_felder/langDatensatz_ebene¯.php?urlID=510&url_tabelle=tab_websegmentei (07. 04. 2010). 8 Wicquefort, Embassador (wie Anm. 4), S. 365 f. 9 So der Vorwurf gegenüber Contarini; Acta Pacis Westphalicae, Serie II, Abt. A: Die kaiserlichen Korrespondenzen, Bd. 1, bearb. von Wilhelm Engels, Münster 1969, S. 176, 538, 489; vgl. Bernd Roeck, Venedigs Rolle im Krieg und bei den Friedensverhandlungen, in: Bussmann – Schilling (wie Anm. 5), Textband, S. 161–168, hier S. 164. 10 Wicquefort, Embassador (wie Anm. 4), S. 366. 11 Grundlegend Repgen, Friedensvermittlung und Friedensvermittler (wie Anm. 1), S. 59. 12 Roeck, Venedigs Rolle (wie Anm. 9), S. 165. 13 So in: hhttp://www.jurablogs.com/de/europas-erster-mediator-alvise-contarinii (16. 11. 2008). 14 Eine überaus detaillierte Gesamtdarstellung des Dreißigjährigen Krieges gibt Peter Wilson, The Thirty Years War. Europe’s Tragedy, London – Cambridge, Mass. 2009; aktuelle Überblicksdarstellungen: Johannes Arndt, Der Dreißigjährige Krieg 1618–1648, Stuttgart 2009; Christoph Kampmann, Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg. Geschichte eines europäischen Konflikts, Stuttgart 2008; Georg Schmidt, Der Dreißigjährige Krieg, München 2005. 15 So Johann Christian Lünig, Theatrum Ceremoniale Historico-Politicum oder Historisch- und Politischer Schau-Platz Aller Ceremonien […], 3 Teile in 2 Bdn., Leipzig 1719–20, Bd. I, S. 797. 16 Vgl. Gerd Dethlefs (Hg.), Der Frieden von Münster / De Vrede van Munster 1648, Münster 1998; Arie Theodorus van Deursen, Die immer aktuelle Vergangenheit. Europa, die Niederlande und der Westfälische Friede, Münster 1993. 17 Vgl. Michael Rohrschneider, Der gescheiterte Frieden von Münster. Spaniens Ringen mit Frankreich auf dem Westfälischen Friedenskongress (1643–1649), Münster 2007. 18 Anuschka Tischer, Französische Diplomatie und Diplomaten auf dem Westfälischen Friedenskongress. Außenpolitik unter Richelieu und Mazarin, Münster 1999; Derek Croxton, Peacemaking in Early Modern Europe. Cardinal Mazarin and the Congress of Westphalia, 1643–1648, Selinsgrove 1999. 19 Sigmund Goetze, Die Politik des schwedischen Reichskanzlers Axel Oxenstierna gegenüber Kaiser und Reich, Kiel 1971; Jenny Öhman, Der Kampf um den Frieden. Schweden und der Kaiser im Dreißigjährigen Krieg, Wien 2005. 20 Zur Vorgeschichte, insbesondere den Verhandlungen in Köln und in Hamburg vgl.

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Barbara Stollberg-Rilinger Repgen, Friedensvermittlung und Friedensvermittler (wie Anm. 1), S. 40 f.; Dickmann, Der Westfälische Frieden (wie Anm. 1), S. 87 ff., 103 ff. 21 Zum Zeremoniell in der Diplomatie des 17. Jahrhunderts allgemein und auf dem Westfälischen Friedenskongress im Besonderen vgl. William Roosen, Early Modern Diplomatic Ceremonial. A Systems Approach, in: Journal of Modern History 52, 1980, S. 452–476; Ralph E. Giesey, Cérémonial et puissance souveraine. France XVe–XVIIe siècles, Paris 1987; Lucien Bély, Souveraineté et souverains. La question du cérémonial dans les relations internationales à l’époque moderne, in: Annuaire-Bulletin de la Société de l’Histoire de France, 1993, S. 27–43; Dickmann, Westfälischer Frieden (wie Anm. 1), S. 206 ff.; Winfried Becker, Der Kurfürstenrat. Grundzüge seiner Entwicklung in der Reichsverfassung und seine Stellung auf dem Westfälischen Friedenskongreß, Münster 1973, S. 169 ff.; Bernhard Jahn, Ceremoniel und Friedensordnung. Das Ceremoniel als Störfaktor und Katalysator bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden, in: Klaus Garber u. a. (Hgg.), Erfahrung und Deutung von Krieg und Frieden. Religion – Geschlechter – Natur und Kultur, München 2001, S. 969–980; Anja Stiglic, Zeremoniell und Rangordnung auf der europäischen diplomatischen Bühne am Beispiel der Gesandteneinzüge in die Kongreßstadt Münster, in: Bussmann – Schilling (wie Anm. 1), Textband, S. 391–396; Barbara Stollberg-Rilinger, Die Wissenschaft der feinen Unterschiede. Das Praezedenzrecht und die europäischen Monarchien vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: Majestas 10, 2002, S. 125–150; Dies., Völkerrechtlicher Status und zeremonielle Praxis auf dem Westfälischen Friedenskongress, in: Martin Kintzinger – Michael Jucker (Hgg.), Rechtsformen internationaler Politik. Theorie, Norm und Praxis vom 12. bis zum 18. Jahrhundert (Beihefte zur ZHF), Berlin 2011, S. 147–164; André Krischer, Das Gesandtschaftswesen und das vormoderne Völkerrecht, in: ebd., S. 197– 240; Ders., Souveränität als sozialer Status. Zur Funktion des diplomatischen Zeremoniells in der Frühen Neuzeit, in: Jan-Paul Niederkorn u. a. (Hgg.), Diplomatische Praxis und Zeremoniell in Europa und dem Mittleren Osten in der Frühen Neuzeit, Wien 2010, S. 1– 32; Niels Fabian May, Le cérémonial diplomatique au XVIe siècle comme expression politique. Les différends pendant les négotiations de Westphalie (1643–1648), unpubl. Maîtrise, Paris 2006. Eine Dissertation von Niels Fabian May zu diesem Thema ist in Vorbereitung. Vgl. ferner zu den Entscheidungsverfahren frühneuzeitlicher Diplomatie demnächst die Dissertation von Matthias Köhler, Formalität, Repräsentation, Kalkül. Verhandlungen auf dem Kongress von Nimwegen (erscheint vorauss. 2011); sowie Ders., Höflichkeit, Strategie und Kommunikation. Friedensverhandlungen an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert, in: Konjunkturen der Höflichkeit in der Frühen Neuzeit, hg. von Gisela Engel u. a. (Zeitsprünge 13), Frankfurt am Main 2009, S. 379–401. 22 Vgl. die Abbildung bei Bussmann – Schilling (wie Anm. 1), Textband, S. 226. 23 Kaiserliche Hauptinstruktion für die Gesandten Nassau und Krane für die Verhandlungen mit den Franzosen in Münster, Wien, 15. Juli 1643, Acta Pacis Westphalicae, Serie I, Abt. A, Bd. 1, Nr. 26, S. 400 f. 24 Repgen, Friedensvermittlung und Friedensvermitttler (wie Anm. 1), S. 48 f. 25 Dickmann, Westfälischer Frieden (wie Anm. 1), S. 194. 26 Allg. Repgen, Friedensvermittlung und Friedensvermittler (wie Anm. 1), S. 49 f.; Dickmann, Westfälischer Frieden (wie Anm. 1), S. 80 ff.; vgl. auch Konrad Repgen, Der Westfälische Frieden und die zeitgenössische Öffentlichkeit, in: Historisches Jahrbuch 117, 1997, S. 38–83. 27 Joseph Fiedler (Hg.), Die Relationen der Botschafter Venedigs über Deutschland und Österreich im 17. Jahrhundert (Fontes rerum Austriacarum II 26), Wien 1866, Bd. 1, S. 293–384, hier S. 295.

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Parteiische Vermittler? 28 Konrad Repgen, Fabio Chigis Instruktion für den Westfälischen Friedenskongress. Ein Beitrag zum kurialen Instruktionswesen im Dreißigjährigen Krieg, in: Römische Quartalschrift 48, 1953, S. 79–116, hier S. 99 f.; Repgen, Friedensvermittlung und Friedensvermittler (wie Anm. 1), S. 58. 29 Vgl. Stefano Andretta, La diplomazia veneziana e la pace di Vestfalia, 1643–1648, Rom 1978; ferner Repgen, Friedensvermittlung und Friedensvermittler (wie Anm. 1), S. 46 ff.; Roeck, Venedigs Rolle (wie Anm. 9); Kaster – Steinwascher (Hgg.), Gedächtnis (wie Anm. 7), S. 190 f.; Bertram Haller (Hg.), Alvise Contarini und der Westfälische Friedenskongreß in Münster, Ausstellung in der ULB Münster, 4.–30. Oktober 1982 (ULB Münster, Bibliotheksnachrichten Beiheft 1); Dickmann, Westfälischer Frieden (wie Anm. 1), S. 193 f. 30 Was die Untrennbarkeit von sozialen und politischen, persönlichen und institutionellen Handlungsmotiven für die Diplomatiegeschichte bedeutet, zeigen grundsätzlich jetzt Christian Windler – Hillard von Thiessen (Hgg.), Außenbeziehungen in akteurszentrierter Perspektive. Verflechtung – Gender – Interkulturalität (Externa 2), Köln u. a. 2010; sowie Krischer, Souveränität als sozialer Status (wie Anm. 21). 31 Repgen, Friedensvermittlung und Friedensvermittler (wie Anm. 1), S 46 ff.; Dickmann, Westfälischer Frieden (wie Anm. 1), S. 193 ff.; Roeck, Venedigs Rolle (wie Anm. 9); Andretta, La diplomazia veneziana (wie Anm. 29). 32 Vgl. zu diesem Rangkonflikt Becker, Der Kurfürstenrat (wie Anm. 21), S. 169 ff.; Jahn, Ceremoniel (wie Anm. 21); Stiglic, Zeremoniell (wie Anm. 21); Stollberg-Rilinger, Völkerrechtlicher Status (wie Anm. 21); May, Cérémonial diplomatique (wie Anm. 21). 33 Vgl. Repgen, Friedensvermittlung und Friedensvermittler (wie Anm. 1), S. 49 ff.; Dickmann, Westfälischer Frieden (wie Anm. 1), S. 211 ff. 34 Contarini, Bericht über seinen Aufenthalt zu Münster, in: Fiedler (Hg.), Relationen (wie Anm. 27), S. 294 f.; die Mission gereiche zum Ruhm seines Vaterlandes und zur ewigen Erinnerung seines eigenen Hauses: ebd. S. 366. 35 Quellen: Fabio Chigi, Diarium 1639–1651, Acta Pacis Wsetphalicae, Serie III, Abt. C, Bd. 1, bearb. von Konrad Repgen, Münster 1984; Repgen, Fabio Chigis Instruktion (wie Anm. 28); vgl. Ders., Friedensvermittlung und Friedensvermittler (wie Anm. 1), S. 53 ff.; Kaster – Steinwascher (Hgg.), Gedächtnis (wie Anm. 7), S. 188 f. 36 Repgen, Friedensvermittlung und Friedensvermittler (wie Anm. 1), S. 51 f.; Rohrschneider, Der gescheiterte Frieden (wie Anm. 17), S. 227. 37 Vgl. Althoff, Vermittler (wie Anm. 3); Kamp, Friedensstifter (wie Anm. 3). 38 Repgen, Fabio Chigis Instruktion (wie Anm. 28), S. 112 f.; zur Bewertung der verschiedenen Fassungen der Instruktion von 1636 und 1643 ebd. S. 92 ff. Repgen verzeichnet hier genau die Nuancen einer allmählichen Abmilderung der päpstlichen Haltung gegenüber den Protestanten. Zugeständnisse katholischer Mächte an die Protestanten sollten 1643 immerhin nicht mehr „mit allem Eifer“ missbilligt werden. 39 Repgen, Fabio Chigis Instruktion (wie Anm. 28), S. 100. Vgl. auch Helmut Lahrkamp, Die Friedensproteste des päpstlichen Nuntius Chigi, in: Quellen und Forschungen der Stadt Münster N.F. 5, Münster 1970, S. 281–287. 40 Zu den verschiedenen Kupferstichserien der Gesandtenporträts nach den Gemälden von Amselm von Hulle vgl. ausführlich Gerd Dethlefs, Die Friedensstifter der christlichen Welt. Bildnisgalerien und Porträtwerke auf die Gesandten der westfälischen Friedensverhandlungen, in: Kaster – Steinwascher (Hgg.), Gedächtnis (wie Anm. 7), S. 101–172. Vgl. auch demnächst die Dissertation von Dorothee Linnemann über die bildliche Darstellung des Gesandtschaftswesens im 17. und 18. Jahrhundert.

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Barbara Stollberg-Rilinger 41 Vgl. Emer de Vattel, Le droit des gens ou principes de la loi naturelle appliqués à la conduite et aux affaires des nations et des souverains (1758), dt. Übers. hg. von Walter Schätzel, Tübingen 1959. Umgekehrt war der Kaiser ursprünglich gegen die Mediation zwischen sich und den protestantischen Fürsten, weil er sie als seine Untertanen betrachtete und Mediation zwischen Ungleichen als nicht statthaft ansah.

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Friede als Figur – Figuren des Friedens Lessings ‚Nathan‘ (1779) revisited Martina Wagner-Egelhaaf 1. Einleitung Der literaturwissenschaftliche Beitrag zu diesem Band besteht, im Unterschied zu den anderen hier versammelten Aufsätzen, nicht darin darzustellen, wie in bestimmten Epochen, Kulturen und sachlichen Zusammenhängen Friedensvermittler tatsächlich gearbeitet haben, vielmehr geht es darum, das spezifische Reflexionspotential der Literatur im Hinblick auf das Thema ‚Mediation‘ zu beleuchten, in dem Sinne, in dem Aristoteles in seiner ‚Poetik‘ zum Unterschied zwischen Geschichtsschreibung und Dichtung gesagt hat, dass der Geschichtsschreiber mitteilt, was geschehen ist, und der Dichter, was geschehen müsste.1 Und dass einer Literaturwissenschaftlerin bei dem Thema „Mediation. Arbeitsweisen und Befugnisse der Vermittler und Friedensstifter“ gerade Lessings im Jahr 1779 publiziertes dramatisches Gedicht ‚Nathan der Weise‘ einfällt, das Max Kommerell als das „Drama des Ausgleichs schlechthin“ 2 bezeichnet hat, ist vielleicht nicht weiter erstaunlich. Die Figur des weisen Juden Nathan, der dem Sultan Saladin in Jerusalem die berühmte Parabel von den zwei trickreich kopierten und schließlich drei nicht mehr voneinander zu unterscheidenden Ringen erzählt und damit die Vereinigung der den drei Weltreligionen Judentum, Islam und Christentum angehörenden Protagonisten zur friedlichen Menschheitsfamilie bewerkstelligt, gehört seit nunmehr zweihundertdreißig Jahren zu den kanonischen Texten der deutschen Literatur und des Deutschunterrichts. Im Mittelpunkt des Lessing’schen Stücks steht „Nathan, ein reicher Jude in Jerusalem“ 3, wie es in den dramatis personae heißt. Zweifellos agiert Nathan in Lessings Drama in hohem Maße politisch, ist die Frage der Religionen und ihres Verhältnisses zueinander doch eingebunden in eine historisch-politische Szene, die in die Zeit nach dem 1192 geschlossenen dreijährigen Waffenstillstand zwischen Richard Löwenherz und dem Sultan Salah-ad-Din (arab.: Heil der [Welt und der] Religion) führt. Auch die sich vor Ort befindenden Vertreter des Christentums, zuvörderst der Patriarch von Jerusalem, aber auch der Tempelherr als Angehöriger des Templerordens, der sich zu einem militärisch wichtigen Machtfaktor während der Kreuzzüge entwickelte, sind natürlich politische Akteure. Religion und Politik durchdringen sich im plot des Dramas auf ’s Engste. 147

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Lessings ‚Nathan‘ steht bekanntlich im Kontext des sog. ‚Fragmentenstreits‘, der dadurch ausgelöst wurde, dass Lessing Passagen aus der ‚Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Vertreter Gottes‘ des Hamburger Gymnasialprofessors Hermann Samuel Reimarus unter dem Titel ‚Fragmente eines Ungenannten‘ veröffentlichte und infolgedessen mit den dort vertretenen Positionen einer „natürlichen Religion“ identifiziert und entsprechend öffentlich angegriffen wurde. Lessings Hauptgegner in diesem Streit war der Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze, gegen den Lessing 1778 mehrere Schriften, z. T. unter dem sprechenden Titel ‚Anti-Goeze‘, veröffentlichte. Das Drama ‚Nathan der Weise‘ wird, da Lessing ein Publikationsverbot in Fragen der Religion erhalten hatte, als Fortsetzung dieses Streits mit anderen, literarischen Mitteln betrachtet. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass sich sowohl die Literaturwissenschaft als auch die Theologie für das Stück interessieren. Die theologische Rezeption setzt sich allerdings eher mit den theologischen Aussagen und Positionen des Stücks vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Kontroversen und mit der verzweigten Quellenlage auseinander, während die literaturwissenschaftliche Lesart das künstlerisch-ästhetische Gefüge, Figurenkonstellation, Handlungsführung sowie die sprachliche Gestaltung in den Blick nimmt und danach fragt, mit welchen Mitteln Positionen und Aussagen ins Werk gesetzt werden. Damit steht natürlich auch die bis heute virulente Frage nach der politischen Interventionskraft der Literatur auf der Agenda. Im Folgenden geht es nicht um die theologische Auseinandersetzung, die hinter dem ‚Nathan‘ steht, sondern das Stück wird im Hinblick auf das Thema ‚Mediation‘ als ein Drama der Vermittlung gelesen und es wird versucht, ‚Arbeitsweisen und Befugnisse‘ jenes Vermittlers und Friedensstifters, nach dem das Stück benannt ist, aber auch die sich im Medium des Literarischen auftuenden Probleme der Vermittlung zu beleuchten. Der ‚Nathan‘ ist zweifellos ein Produkt der Aufklärung, literaturhistorisch also angesiedelt an einer bedeutsamen Umbruchstelle zur Moderne. Dabei wendet sich das Stück, wie bereits vermerkt, historisch in die Zeit der Kreuzzüge und zwar nach Jerusalem zurück, um seine aufklärerisch-moderne Lesart der vormodernen politisch-religiösen Verhältnisse zu entwickeln. Die Tatsache, dass sich Lessings Drama bei der Fülle an Forschungsliteratur, die es mittlerweile zum ‚Nathan‘ gibt, unter der Perspektive ‚Mediation‘ doch nochmals neu perspektivieren lässt, unterstreicht die Zugehörigkeit dieses Klassikers zu jenen gleichsam unerschöpflichen Texten, die auf innovative Fragestellungen neue und überraschend aktuelle Antworten geben. Der Titel dieses Beitrags „Friede als Figur – Figuren des Friedens“ rückt den Begriff der Figur in den Mittelpunkt, der im literaturwissenschaftlichen Verständnis ein doppelter ist. Zum einen meint er natürlich jene im Drama auftretenden Personen, die im Folgenden im Hinblick auf ihre Vermittlungstätigkeiten noch genauer in den Blick zu nehmen sind. Personen in literarischen 148

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Texten sind immer ‚Figuren‘ – das ist der literaturwissenschaftliche terminus technicus, der anzeigt, dass es sich nicht um reale Personen, sondern um künstliche, literarisch geschaffene handelt. ‚Figur‘ in diesem Sinne, der auf das sprachlich Geschaffene zielt, ist daher auch ein Grundbegriff der Rhetorik. Die rhetorische Figurenlehre beschreibt bekanntlich all jene sprachlichen Mittel, mit Hilfe derer der Redner bzw. der Autor seinen Text wirkungsvoll gestalten kann. 4 Dass Rhetorik bei Verhandlungen und Mediationen eine zentrale Rolle spielt, liegt auf der Hand und wird auch im Falle des ‚Nathan‘ virulent. 5 Wenn im Titel dieses Beitrags vom ‚Frieden als Figur‘ die Rede ist, geht es in Anlehnung an die rhetorische Gestaltungsfunktion um die sprachlich-literarische Darstellung dessen, was Lessings Drama seinen Leserinnen und Lesern bzw. dem Theaterpublikum als den zu erreichenden Idealzustand des menschlichen Miteinanders vor Augen stellt. Dieses ‚Vor-Augen-Stellen‘ ist im wörtlichen Sinn gemeint und fordert dazu auf, den Text als eine Bühne zu betrachten, auf der die auftretenden Figuren, ihre Reden und die Handlungselemente lesbare Konstellationen bilden. Die Literaturwissenschaft gebraucht für die sprachlich-literarische Inszenierung auch den Begriff der ‚Figuration‘. 6

2. Friede als Figur Die Figuration des Friedens im ‚Nathan‘ erscheint indessen als außerordentlich prekär. Wie bereits angedeutet spielt die Handlung Ende des 12. Jahrhunderts im Heiligen Land. Nach Saladins Sieg über die Kreuzfahrer im Jahr 1187 öffnete sich ihm Jerusalem und ergab sich (nach weitreichenden Zusicherungen Saladins) kampflos. Der dritte Kreuzzug von 1189–1192 sollte die von den Christen reklamierte Stadt befreien. Die Auseinandersetzungen wurden mit einem auf drei Jahre befristeten Waffenstillstand am 2. 9. 1192 zwischen Richard Löwenherz (1157–1199) und Sultan Saladin (1138–1193) beigelegt. Lessings Drama spielt nach diesem Waffenstillstand und vor dem frühen Tod Saladins, der bereits 1193 starb. D. h. es herrscht kein Friede im Heiligen Land, sondern lediglich ein Waffenstillstand; der äußerlich ruhigen Lage sind alle Spannungen der vorausgegangenen und folgenden Auseinandersetzungen eingeschrieben. In diese hybride, ungefestigte Situation sind die Akteure des Lessing’schen Dramas hineingestellt. Wie jede Schülerin / jeder Schüler weiß, geht es in dem Stück um die Gleichberechtigung der Religionen, das viel besprochene Toleranzpostulat, und das didaktische Bild, in das diese aufklärerischoptimistische Botschaft am Ende des Dramas gekleidet wird, ist das der Menschheitsfamilie. Es stellt sich nämlich heraus, dass Nathans Tochter Recha gar nicht seine wirkliche Tochter ist, sondern ein Pflegekind von christlicher Herkunft, und der Tempelherr, der sie heiraten wollte, ihr Bruder und zugleich der Neffe des Sultans Saladin, dessen Bruder Assad eine Stauffin geheiratet hatte. Recha und der Tempelherr, die im Laufe des Stücks als Liebespaar zu149

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einander finden, sind am Ende also Geschwister und Nichte und Neffe des Sultans Saladin und seiner Schwester Sittah. In der letzten Szene gibt der Sultan seinem neuen Familienglück in orientalischem Überschwang – Lessing scheut sich nicht vor Klischees – folgendermaßen Ausdruck: SALADIN […] Ich meines Bruders Kinder nicht erkennen? Ich meine Neffen – meine Kinder nicht? Sie nicht erkennen? ich? […] […] Sie sinds! sie sind es, Sittah, sind! Sie sinds! Sind beide meines … deines Bruders Kinder! er rennt in ihre Umarmungen. (V 8, 684 ff.)

Der letzte Satz des Stücks ist nur noch eine Regieanweisung: „Unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen fällt der Vorhang“ (V 8, 700 f.). Lessing lässt das dramatische Geschehen hiermit in eine finale Figuration münden, die in dem Sinne beredt ist, dass hier – ganz offensichtlich – nichts mehr gesagt zu werden braucht. 7 Aber: Ist diesem Frieden zu trauen? Dem heutigen Leser bleibe ein schales Gefühl, schreibt Ralf Simon, „wenn er sieht, wie wenig Schwierigkeiten es macht, wenn Recha und der Tempelherr ihre Liebe gegen ein paar dazugekommene Verwandte einzutauschen vermögen.“ 8 In der Tat: Es gehört schon recht viel aufklärerischer Idealismus dazu zu akzeptieren, dass sich Rechas und des Tempelherrn ‚Entflammtsein‘ füreinander (am Anfang des Stücks rettet der Tempelherr Recha aus den Flammen!) im Interesse der neuen Menschheitsfamilienbande so mir nichts, dir nichts in ein Schwester-Bruder-Verhältnis umwandeln lässt. Außerdem lässt aufmerken, dass da, wo am Ende alle miteinander verwandt sind, die Zentralfigur des Stücks, Nathan der Weise, als einziger keine Blutsverwandten umarmen darf. Das ist gewissermaßen eine Bruchstelle im Familienbild, 9 die auf Nathans Sonderstellung, die Sonderstellung des Vermittlers, aufmerksam macht. Um diese und auch das beschworene Bild des Menschheitsfriedens noch besser verstehen zu können, bedarf es der Berücksichtigung von Nathans Vorgeschichte. Im 7. Auftritt des IV. Akts erfährt man nämlich, wie Nathan zu dem Kind Recha kam. Ihr Vater, Wolf von Filnek – der zum Christentum konvertierte Bruder Saladins, Assad – schickte es einst seinem Freund Nathan, weil er selbst in den Kampf ziehen musste und, nach dem Tod seiner Frau, niemand sonst für das Kind sorgen konnte. Nathan sah in dem Kind ein Zeichen und Geschenk Gottes, denn, so erzählt er dem Klosterbruder, der ihm damals das Kind überbracht hatte: Ihr wißt wohl aber nicht, daß wenig Tage Zuvor, in Gath die Christen alle Juden Mit Weib und Kind ermordet hatten; wißt Wohl nicht, daß unter diesen meine Frau

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Friede als Figur – Figuren des Friedens

Mit sieben hoffnungsvollen Söhnen sich Befunden, die in meines Bruders Hause, Zu dem ich sie geflüchtet, insgesamt Verbrennen müssen. […] Als Ihr kamt, hatt’ ich drei Tag’ und Nächt’ in Asch’ Und Staub vor Gott gelegen, und geweint. – Geweint? Beiher mit Gott auch wohl gerechtet, Gezürnt, getobt, mich und die Welt verwünscht; Der Christenheit den unversöhnlichsten Haß zugeschworen – […] Doch nun kam die Vernunft allmählig wieder. Sie sprach mit sanfter Stimm’: „und doch ist Gott! […]“ […] […] Indem stiegt Ihr Vom Pferd’, und überreichtet mir das Kind, In Euern Mantel eingehüllt. […] […] ich nahm Das Kind, trugs auf mein Lager, küßt’ es, warf Mich auf die Knie’ und schluchzte: Gott! Auf Sieben Doch nun schon Eines wieder! (IV 7, 660 ff.)

Nathans Vor-Geschichte ist deswegen bedeutsam, weil sie die Kehrseite des am Ende beschworenen Friedensbildes darstellt, gleichsam das Fundament ist, auf dem die Friedensvision aufruht: die Erfahrung von Gewalt und Völkermord, grausamem Exzess, die Nathan an die Grenze seines Gottvertrauens führt. Dass diese im Drama selbst nicht dargestellte, sondern nur rückblickend erzählte Geschichte strukturell auf ’s Engste mit der dargestellten Handlung des Stücks verschränkt ist, verdeutlicht das Bild des von Christen angesteckten Hauses, in dem Nathans sieben Söhne und seine Frau verbrennen. Dieses Bild wird überblendet von dem Bild jenes brennenden Hauses, von dem im Drama ebenfalls nur erzählt wird, und zwar ganz zu Beginn, dem in Brand geratenen Hause Nathans, aus dem der Tempelherr Recha rettet und das damit gleichsam zur Urszene der im ‚Nathan‘ verhandelten Problematik wird. Hier wird deutlich, was mit der Formulierung vom „Friede[n] als Figur“ gemeint ist: Lessings ‚Nathan‘ ist mehr als ein dem Text zu entnehmendes Toleranzpostulat. Das Bild der sich umarmenden Menschheitsfamilienmitglieder gibt mehr zu lesen; es zitiert jenes andere Bild vom Genozid, der Zerstörung und Auslöschung konkreter Familien, das gleichsam das Fundament bildet, auf das die Utopie gestellt ist. Und da dieses Fundament eines von Gewalt und Zerstörung ist, also alles andere als ein tragfähiges ‚Fundament‘, bleibt das Bild des Friedens, am Ende des Stücks, wo sich alle stumm umarmen, ein ambivalentes Bild, fast eine Kippfigur. Dass Nathan, der als einziger im finalen Familientableau nicht blutsver151

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wandt ist, eine Art Bruchstelle in der Figuration des Bildes darstellt, ist auch im zeichen- und bedeutungstheoretischen Sinn zu verstehen. Lessings Drama zeigt eine sehr konkrete Familienkonstellation. Die Tatsache aber, dass im Stück immer wieder auf die Möglichkeit einer nicht-biologischen Vaterschaft hingewiesen wird (vgl. V 7, 502 f., 511 f.), verweist darauf, dass die im ‚Nathan‘ auf die Bühne gebrachten Familiengeschichten gelesen sein wollen, und zwar im übertragenen Sinn gelesen sein wollen. Nathan selbst markiert nicht nur die Bruchstelle, sondern als Bruchstelle genau jenen figurativen Ort der Übertragung, der ihn in der Figurenkonstellation des nach ihm benannten Dramas nicht nur zum Übervater der am Ende entstehenden ‚Patchworkfamilie‘ macht, sondern zur zentralen Vermittlungsinstanz des Dramas. Anders formuliert: Nathan hat die Familie zusammengeführt, aber als Vermittler bleibt er selbst außerhalb; keinesfalls geht er in seinem ‚Werk‘ auf, das gleichsam als sein Produkt der Vermittlung neben ihm auf der Bühne stehen bleibt. Die Übertragung auf die Menschheitsfamilie, die der gesamte Familiendiskurs des Dramas, einschließlich der Ringparabel, nahe legt, erscheint somit als etwas, das sich keineswegs auf natürliche Weise ergibt, sondern das mit allen diplomatischen Mitteln ins Werk gesetzt werden muss – und daher eine genaue kritische Betrachtung verdient. Das Familienidyll erscheint insofern als gebrochen, als eine Familie gezeigt wird, die, qua Gewalteinwirkung, vaterund mutterlos ist. Onkel (Saladin) und Tante (Sittah) sind da nur ein später und unvollkommener Ersatz wie auch die Umwandlung des Liebesverhältnisses von Recha und dem Tempelherrn in geschwisterliche Liebe dem ‚natürlichen Wachstum‘ der neuen Familie nicht förderlich ist. Da bedarf es weiterhin des Übervaters, der über sein Produkt wacht und über den sich die neue Gemeinschaft als Außenstehenden ihrer selbst versichern kann.

3. Nathan als Vermittler Selbstverständlich ist Nathan kein klassischer Mediator, der etwa im Auftrag eines Souveräns oder einer Staatengemeinschaft zwischen zwei streitenden Parteien vermittelt. Aber doch lassen sich aus seinem Agieren in Lessings Drama Verbindungen zu den und Perspektiven auf die „Arbeitsweisen und Befugnisse der Vermittler und Friedensstifter“ herstellen, wie sie im Zentrum dieses Bandes stehen. Mediatoren sollen neutrale Dritte sein. 10 Nathan ist natürlich überhaupt kein neutraler Dritter; vielmehr ist er in dem Trialog der Religionen Partei; neutral ist er nur insofern, als er zwischen den Vertretern des Islams und des Christentums als Jude eine dritte Position einnimmt, also weder für die eine noch für die andere Seite Partei ergreift, diese vielmehr miteinander ins Gespräch bringt. Hier zeigt sich, was etwa auch im Beitrag von Barbara Stollberg-Rilinger in diesem Band deutlich wird, dass die Neutralität des Vermittlers immer nur eine relative ist. 152

Friede als Figur – Figuren des Friedens

a) Das Kapital der Weisheit Wer ist dieser Nathan, dem das Stück den Beinamen ‚der Weise‘ gibt? „[E]in reicher Jude in Jerusalem“ (484) liest man, wie vermerkt, in den dem Dramentext vorausgestellten dramatis personae. Damit greift Lessing auf ein Klischee zurück, das Geld und Judentum miteinander identifiziert, ein Klischee, das in der Folgezeit bekanntlich dem Antisemitismus auf fatale Weise in die Hände spielte. In Lessings Drama steht Nathans Reichtum in engem Zusammenhang mit seiner Weisheit und diese wiederum begründet seine Vermittlungsposition. Gleich zu Beginn des Dramas, im 1. Auftritt des I. Akts, kehrt Nathan von einer Geschäftsreise heim. Nicht zufällig kommt er aus Babylon, wo er Schulden einkassiert hat. Babylon, das hebr. Babel, kann als Sinnbild für menschliche Hybris und Sündhaftigkeit, aber auch für die sprachliche Zerstreuung der Menschen, will sagen, strukturell gedacht, das Prinzip sprachlicher Differenz gelesen werden.11 Den beiden Frauen seines Hauses – das sind seine Tochter Recha und Daja, Rechas Gesellschafterin und Ersatzmutter, eine Christin – bringt Nathan kostbare Stoffe mit. Nathan ist also jemand, der herum- und herauskommt aus Jerusalem, der handelt und verhandelt, mit und über Geld, d. h. der den Wert des Geldes kennt. Der amerikanische Germanist Richard T. Gray stellt in seinem neuen Buch heraus, wie um 1800 in Deutschland zunehmend ökonomische Prozesse in das kulturelle Bewusstsein eindringen und sich die Aufmerksamkeit der geistigen Welt auf die Logik des Geldes richtet. 12 Das Bewusstsein, dass Geld ein ungedecktes Zeichensystem ist, dessen Materialwert nicht seinem Kaufwert entspricht wie zu Zeiten, da man mit Goldstücken bezahlte, rückt das Geld zunehmend in die Nähe jenes anderen in diesem Sinne ungedeckten Zeichensystems, die Sprache, um deren Wirkmacht es im ‚Nathan‘ zentral geht. Zwar hat erst Ferdinand de Saussure in seinem ‚Cours de linguistique genéral‘ zu Beginn des 20. Jahrhunderts explizit davon gesprochen, dass das sprachliche Zeichen, bestehend aus Bezeichnendem, dem Signifikanten (signifiant), und Bezeichnetem, dem Signifikat (signifié), arbiträr und konventionell ist, dass also den Wörtern keine wesenhaften Bedeutungen anhängen, sprachliche Bedeutung vielmehr systemabhängig ist, 13 doch sind dies Einsichten, die als solche schon älter sind. Zwischen 1770 und 1850, so zeigt Richard T. Gray, werden Sprache und Geld zunehmend im Wechselblick aufeinander diskutiert, und wo es darum geht, dem auf Geldscheinen geschriebenen Wert, also Papier und den darauf gedruckten Zeichen, Glauben, d. h. Vertrauen zu schenken, ist dies zweifellos nahe liegend. Reichtum und Weisheit des Juden Nathan sind in Lessings Drama eng miteinander verbunden und begründen, wie bereits angedeutet, Nathans Vermittlungsposition. Sein Reichtum, den er selbst aufgrund seiner Klugheit und Weisheit erwirtschaftet hat, macht Nathan unabhängig von Gönnern und Mächtigen und prädestiniert ihn daher zum Vermittler; er stellt, mit Bourdieu gesprochen, sein symbolisches Kapital dar. Nur aufgrund seines Reichtums wird Nathan 153

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zum Sultan Saladin gerufen, der gerade in einer prekären finanziellen Lage steckt. Im Gegensatz zu Nathan kann der Sultan – und auch das entspricht natürlich dem Klischee des Orientalen – überhaupt nicht mit Geld umgehen, er gibt es aus, wenn er es hat – und sitzt dann alsbald auf dem Trockenen. Es ist Sittahs, der klugen und rational denkenden Schwester des Sultans, Idee, Nathan darum zu bitten, dem maroden Staatshaushalt mit seinem Geld auszuhelfen. Und ganz klar bringt der Text des Dramas Nathans Reichtum und seine Weisheit in ein enges Wechselverhältnis. Zwischen Sittah und dem Derwisch Al-Hafi, dem Saladin unglücklicherweise die Staatsfinanzen anvertraut hat, kommt es zu folgendem Gespräch über Nathan: AL-HAFI […] Ganz recht: den nannt’ einmal das Volk den Weisen! Den Reichen auch. SITTAH Den Reichen nennt es ihn Itzt mehr als je. Die ganze Stadt erschallt, Was er für Kostbarkeiten, was für Schätze, Er mitgebracht. AL-HAFI Nun, ists der Reiche wieder: So wirds auch wohl der Weise wieder sein. SITTAH Was meinst du, Hafi, wenn du diesen angingst? AL-HAFI Und was bei ihm? – Doch wohl nicht borgen? – Ja, Da kennt Ihr ihn. – Er borgen! – Seine Weisheit Ist eben, daß er niemand borgt. (II 3, 261 ff.)

Wenig später sitzt Nathan, dem bereits zugetragen wurde, dass der Sultan Geld braucht, im Audienzsaal des Sultanspalasts. Doch wie überrascht ist er, als Saladin, statt ihn bei seinem Reichtum zu nehmen, eine Probe auf seine Weisheit macht, statt Waren Wahrheit möchte: NATHAN Du sollst das Beste haben Von allen; sollst es um den billigsten Preis haben. SALADIN Wovon sprichst du? doch wohl nicht Von deinen Waren? – Schachern wird mit dir Schon meine Schwester. […] […] […] Da du nun So weise bist: so sage mir doch einmal – Was für ein Glaube, was für ein Gesetz Hat dir am meisten eingeleuchtet? NATHAN Sultan, Ich bin ein Jud’. SALADIN Und ich ein Muselmann. Der Christ ist zwischen uns. – Von diesen drei

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Friede als Figur – Figuren des Friedens

Religionen kann doch eine nur Die wahre sein. – Ein Mann, wie du, bleibt da Nicht stehen, wo der Zufall der Geburt Ihn hingeworfen: oder wenn er bleibt, Bleibt er aus Einsicht, Gründen, Wahl des Bessern. Wohlan! So teile deine Einsicht mir Dann mit. […] […] […] So rede doch! Sprich! […] (III 5, 308 ff.)

Saladins überaus dringliche Aufforderung zum Reden – „[…] So rede doch! / Sprich! […]“ – betont noch einmal die eminente Vermittlungsrolle, die der Sprache bzw. der Rede in Lessings Drama zukommt. 14 Die zitierte Passage macht überdies deutlich, warum Lessings ‚Nathan‘ am Umbruch zur Moderne steht. Einerseits geht der Sultan davon aus, dass ein Mann des Verstandes nicht ohne Gründe eine bestimmte Position vertritt und dass er die Freiheit hat, kraft seiner Einsicht auch eine andere Position einzunehmen. Andererseits – und das wäre vormodern – ist ihm völlig klar, dass nur eine Wahrheit möglich sei. Tatsächlich benötigt Nathan in dieser schwierigen Situation, in die ihn der Sultan mit seiner unerwarteten Frage gebracht hat, einen Augenblick um nachzudenken: Nathan allein. Hm! Hm! – wunderlich! – Wie ist Mir denn? – Was will der Sultan? was? – Ich bin Auf Geld gefaßt; und er will – Wahrheit. Wahrheit! Und will sie so, – so bar, so blank, – als ob Die Wahrheit Münze wäre! – Ja, wenn noch Uralte Münze, die gewogen ward! – Das ginge noch! Allein so neue Münze, Die nur der Stempel macht, die man aufs Brett Nur zählen darf, das ist sie doch nun nicht! Wie Geld in Sack, so striche man in Kopf Auch Wahrheit ein? […] (III 6, 349 ff.)

Doch Nathan ist nicht nur weise, d. h. reich an Weisheit, er ist auch klug, muss er sich doch fragen, ob der Sultan vielleicht „[d]ie Wahrheit nicht in Wahrheit“ (III 6, 361) fordert, die Wahrheitsfrage also nur zum Schein gestellt hat, um Nathan in eine Falle zu locken. Persönlich glaubt er dies zwar nicht, doch sagt ihm seine Klugheit, dass man bei den Großen, den Mächtigen mit allem ‚rechnen‘ muss und daher Vorsicht angesagt ist. Wenn im Folgenden Nathan seine berühmte Ringparabel erzählt, tut er dies aus diplomatischen Gründen: Er ist gleichsam von einem weltlichen Herrscher eingesetzt worden, da eine Entscheidung zu treffen, wo ihm dies nicht möglich erscheint. Saladin be155

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stimmt Nathan gleichsam zum Richter, aber Nathan verweigert die richterliche Entscheidung. Die ‚Wahrheit‘, die er kund tun könnte, ist eine andere als die, welche der Sultan hören möchte, es ist bekanntlich eine Wahrheit, die auf Vermittlung hinausläuft, 15 eine Wahrheit, die in den Köpfen derer, die sie hören, einen Reflexions- und Erkenntnisprozess in Gang setzen möchte. Aber im Augenblick seines Nachdenkens weiß Nathan nicht, wie der Sultan seine Wahrheit aufnehmen würde. Daher erzählt er die Ringparabel, denn, so heißt es im Text: „Nicht die Kinder bloß, speist man / Mit Märchen ab.“ (III 6, 373 f.) Nathan ist auch deswegen ein so erfolgreicher Vermittler, weil er sich kraft seiner Reflexion über die eigene Position erheben kann ohne sie preiszugeben. Denn, bevor ihm der rettende Einfall kommt, Saladin ein Märchen zu erzählen, überlegt er kurz, ob er sich dem Ansinnen des Sultans nicht vielleicht verweigern sollte. Doch: […] So ganz Stockjude sein zu wollen, geht schon nicht. – Und ganz und gar nicht Jude, geht noch minder. Denn, wenn kein Jude, dürft er mich nur fragen, Warum kein Muselmann? […] (III 6, 368 ff.)

Nathan will einerseits gängigen Vorurteilen Juden gegenüber keinen Vorschub leisten und sich als „Stockjude“, d. h. als verstockter Jude, präsentieren, indem er sich der Frage Saladins verweigert. Er will aber auch sein Judentum nicht verleugnen. Nathan ist sich dessen bewusst, so lässt sich die angeführte Stelle interpretieren, dass ihn die Dissimulation seiner eigenen Position den entgrenzten hegemonialen Ansprüchen des Gegenübers ausliefern würde. Eine gelingende Mediation, ließe sich pointieren, muss die zur Verhandlung stehenden Positionen in ihren Grenzen halten, d. h. sie klar markieren; nur so kann sie die Gesprächspartner dazu bringen, die ebenso klar markierte Position des jeweils anderen zu respektieren. Nathans Mediatorengeschick zeigt sich auch in der Art und Weise, in der er zwischen Recha und dem Tempelherrn vermittelt. Der christliche Tempelherr hatte sich, nachdem er Recha aus den Flammen von Nathans brennendem Haus gerettet hatte, Rechas Begehren, ihm ihren Dank abzustatten, systematisch entzogen. Zu Beginn des Stücks wird der von seiner Geschäftsreise heimkehrende Nathan mit dieser un(auf)gelösten Situation konfrontiert. Dabei muss er zum einen die ins Schwärmen geratene Recha, die im Tempelherrn einen Engel sieht – „Ich also, ich hab’ einen Engel / Von Angesicht zu Angesicht gesehn; / Und m e i n e n Engel.“ (I 2, 196 ff., Hervorhebung so im Original) – auf den Boden der Tatsachen zurück holen und zum anderen den verstockten Tempelherrn, dem der Dank eines, wie er sagt, „Judenmädchen[s]“ (I 5, 610) nichts gilt, dazu bringen, mit Recha zu sprechen. Gilt es auf der einen Seite Gefühle zu dämpfen, muss ihnen auf der anderen Seite erst Raum 156

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gegeben werden. Die Vermittlerfigur Nathan zeichnet sich also durch Menschenkenntnis und Wissen um den menschlichen Gefühlshaushalt aus, einen untrüglichen Realitätssinn und – eine treffsichere Rhetorik, die, wie Ralf Simon gezeigt hat, der Rede und den zu erwartenden Argumenten seines Gesprächspartners immer schon auf den ungegründeten Grund gegangen ist, d. h. sie strategisch längst unterwandert und entkräftet hat, bevor der Gesprächspartner merkt, dass ihn Nathan schon auf seine Seite gezogen hat. Nathan verfügt über „die Argumentationskompetenz, den anderen in der eigenen Rede aufheben zu können“. 16 So kann der Tempelherr als Zielobjekt von Nathans strategischer Rhetorik nicht umhin, im Augenblick seines Weichwerdens stammelnd (denn ob soviel Sprachmacht versagen ihm die Worte) festzustellen: „Aber, Nathan – Ihr / Setzt Eure Worte sehr – sehr gut – sehr spitz – / Ich bin betreten“ (II 5, 472 ff.). Wenn oben Nathans Reichtum als das symbolische Kapital seiner weisen Vermittlertätigkeit interpretiert wurde, muss noch darüber nachgedacht werden, wie es zu verstehen ist, dass Al-Hafi Sittah gegenüber, die ein Kapitalgeschäft zwischen Nathan und dem Sultan ins Auge fasst, geltend macht, Nathans Weisheit bestehe eben darin, „dass er niemand borgt“ (II 3, 269). AL-HAFI Zur Not wird er Euch Waren borgen, Geld aber, Geld? Geld nimmermehr! […] […] […] Nur darum eben leiht er keinem, Damit er stets zu geben habe. […]“ (II 3, 273 ff.)

Und tatsächlich ist Nathan, als er zu Saladin geht, bereit, dem Sultan mit seinem Geld auszuhelfen und es ihm nicht nur zu leihen. Nathans Haltung ist so zu deuten, dass es seiner Klugheit (im Gegensatz zur Logik der modernen Kapitalmärkte!) widerspricht, mit einem Kapital zu kalkulieren, das er gar nicht hat, weil seine Gläubiger es ihm möglicherweise nicht zurückzahlen oder zurückzahlen können. Daher erscheint es ihm offensichtlich klüger, sich die Menschen dadurch zu verbinden, dass er ihnen schenkt, und dabei zugleich Übersicht und Kontrolle über das eigene Kapital zu behalten. Und wenn sich, wie es die bereits zitierte Textstelle nahe legt, mit Nathans modernem Münzgeld eine einfache und eindeutige Wahrheit nicht mehr bezahlen lässt, die Münze aber auch das Wort, die Logik der Sprache bezeichnet, wie es in der Redewendung ‚etwas für bare Münze nehmen‘ zum Ausdruck kommt, bedeutet das Schenken ein situationsbezogenes, von Nathan bewusst vollzogenes Heraustreten aus der marktgängigen Ökonomie des Geldes und der Sprache und setzt auf deren Deckung bzw. Gedecktsein durch die Tat. Vertrauensbildende Maßnahmen nennt man das im diplomatischen Jargon. Nathan kann Geld verschenken, weil er mit Geld umgehen kann, weil er den Wert des Geldes kennt, ganz im Gegensatz zu Sultan Saladin, den Lessings Stück im Grunde genommen auch als eine sympathische, zur friedlichen Ver157

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ständigung bereite Figur zeigt. Doch Saladin, der bemerkenswerter Weise immer nur in seinem Palast sitzt und nicht herauskommt wie Nathan, der die Welt im wahrsten Sinne des Wortes er-fährt, ist ein Verschwender, der das Geld ebenso spontan ausgibt wie sein Gefühl. Seine Gegenfigur ist nun nicht der Tempelherr, der ja am Ende zu seinem Neffen wird, sondern der christliche Patriarch von Jerusalem. Der übernimmt sozusagen den unsympathischen Part in Lessings Stück. Saladins Gegenfigur ist er deshalb, weil er sich bei allem „geistlichen Pomp“ (575), mit dem er sich umgibt, gerade nicht verausgabt, weil er sich keinen Millimeter bewegt und in seinem, wie er selbst sagt „Eifer Gottes“ (IV 2, 214) 17 auf der einmal als richtig erkannten Position beharrt und dieser Position sowohl die Vernunft 18 als auch die Rat suchenden Menschen unterordnet. Es war Karl Barth, der als erster darauf hingewiesen hat, dass Lessing, der, wie eingangs ausgeführt, im ‚Nathan‘ seinen Streit mit dem Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze literarisch, d. h. „from the new pulpit, the theater“ 19, fortsetzte, im Patriarchen wohl seinen Gegner Goeze porträtierte. 20 Wie auch immer: Wenn man die figurativen Konstellationen des Textes ernst nimmt, zeigt sich, dass die Familienfeier am Ende des Dramas ihr konstitutives Außen hat. Es sind mitnichten alle am interreligiösen Verständigungstableau beteiligt. Wer sich nicht auf den anderen zu bewegt, muss draußen bleiben, denn jedes Drinnen hat sein Draußen, braucht auch sein Draußen, sonst könnte es sich nicht als Drinnen konstituieren, wie die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe im Hinblick auf die Konstruktion politischer Gemeinschaften generell argumentiert hat, denen die Integration aller als utopischer Fluchtpunkt eingeschrieben bleibt. 21 Zugleich verweist die Wahrnehmung des Außen auf die Hybridität und konstitutive Gefährdung des keineswegs universalen, gegen Irritationen gefeiten Innen.

b) Für bare Münze Nachdem bislang gewissermaßen das ‚diplomatische Umfeld‘ sondiert wurde, ist es nun an der Zeit, auf die berühmte Ringparabel, Nathans schlagendes Vermittlungsargument, selbst einzugehen. Hier kommt nun das Vermittlungsgeschick der Literatur zum Einsatz. 22 Bekanntlich erzählt die Ringparabel, deren Vorbild Lessing in Giovanni Boccaccios ‚Decamerone‘ fand, wobei es noch andere und ältere Quellen gibt, von einem Mann, der „[v]or grauen Jahren […] in Osten“ (III 7, 395) lebte und einen Ring „von unschätzbarem Wert“ (III 7, 396) besaß. Dieser Ring […] hatte die geheime Kraft, vor Gott Und Menschen angenehm zu machen, wer In dieser Zuversicht ihn trug. […] (III 7, 399 ff.)

Diesen Ring, mit dem die Herrschaft im Hause verbunden war, vererbte er demjenigen seiner Söhne, den er am liebsten hatte, mit der Auflage, dass dieser 158

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ihn wiederum an seinen Lieblingssohn weitergebe. Auf diese Weise kam der Ring auf einen Mann, der drei Söhne hatte, die ihm alle gleich lieb waren. In seiner Ratlosigkeit, wem er am Ende seines Lebens den Ring vermachen solle, kommt er auf eine Idee. Er sendet in geheim zu einem Künstler, Bei dem er, nach dem Muster seines Ringes, Zwei andere bestellt, und weder Kosten Noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich, Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt Dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt, Kann selbst der Vater seinen Musterring Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft Er seine Söhne, jeden ins besondre; Giebt jedem ins besondre seinen Segen, – Und seinen Ring, – und stirbt. (III 7, 429 ff.)

Nach dem Tod des Vaters entdecken die drei Söhne, dass jeder von ihnen einen Ring hat, und alle drei beanspruchen nun die Herrschaft im Hause. Die Sache geht vor Gericht. Der Richter, der in der Ringparabel die Figur des Nathan spiegelt, kann den Fall auch nicht entscheiden. Da fällt ihm aber ein, dass der echte Ring ja die Wunderkraft besitzt, seinen Träger vor Gott und Menschen angenehm zu machen. Als die drei Söhne auf seine Frage, wen sie am meisten lieben würden, schweigen, deutet er ihr Schweigen so, dass sie sich selbst am meisten lieben und daher vermutlich der echte Ring verloren gegangen sei, so dass der Vater drei Ersatzringe anfertigen lassen musste. 23 Und er gibt ihnen den Rat mit auf den Weg, jeder möge sich seines Ringes, den er ja für den echten hält, würdig erweisen: […] Wohlan! Es eifre jeder seiner unbestochnen Von Vorurteilen freien Liebe nach! Es strebe von euch jeder um die Wette, Die Kraft des Steins in seinem Ring’ an Tag Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut, Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, Mit innigster Ergebenheit in Gott, Zu Hülf ’! (III 7, 524 ff.)

Hier ist nicht auf die theologischen Implikationen der Ringparabel einzugehen, über die sich namentlich die ältere Forschung zum ‚Nathan‘ viele Gedanken gemacht hat, z. B. auf die strittige Frage, ob das Liebesgebot der Parabel als ethische „Kraft“ in den göttlichen Heilsplan eingebunden bleibt oder ob sie den Menschen auf die Autonomie seiner Selbstverfügbarkeit verweist. Im vorliegenden Zusammenhang geht es um eine ‚diplomatische‘ Lesart. Als Nathan am Ende seiner Erzählung angekommen ist, stürzt Saladin auf ihn zu, ergreift 159

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seine Hand und bittet ihn, sein Freund zu sein. Warum? Wie hat Nathan bzw. die Ringparabel das geschafft? Die Parabel wird in der antiken Rhetorik „zu den erdichteten Paradigmen […] gezählt, die als in die Rede eingelegte Geschichten die Argumentation verstärken sollen.“ 24 Es handelt sich bei der Parabel um eine in sich verdichtete, gezielt komponierte Erzählung, die im vorliegenden Fall den Sultan zum Zuhören und Mitdenken bringt. Overath argumentiert, dass Nathan Saladin „ganz im Sinn der orientalischen Geschichtenerzähler“ 25 verführe. Die Parabelerzählung, könnte man sagen, lenkt ihn kurzfristig von seinem eignen Anliegen ab, weil er nicht sofort realisiert, dass es eigentlich um sein Anliegen geht. Doch sind jeder Parabel sog. „Transfersignale zur Richtungsänderung des Bedeutens“ 26 eingebaut: NATHAN […] […] der rechte Ring war nicht Erweislich; – nach einer Pause, in welcher er des Sultans Antwort erwartet: Fast so unerweislich, als Uns itzt – der rechte Glaube. (III 7, 446 ff.)

Diese Transferstruktur der Parabel bewirkt, dass sich der Zuhörer auf ihre Aussage einlässt und erst im nächsten Schritt veranlasst wird, sie auf sich zu beziehen. Dann ist es aber zu spät um abzuspringen, er ist gewissermaßen bereits der Gefangene der Parabel. Robert S. Leventhal liest die Ringparabel hermeneutiktheoretisch und liefert damit ein starkes Argument für die mit dem ‚Nathan‘ zur Debatte stehende Überzeugungs- bzw. Überredungskraft 27 der Literatur. Die Ringparabel „produced a complex hermeneutics that could not easily be incorporated into developmental descriptions of 18th century interpretation theory“ 28, schreibt Leventhal zu Lessings hermeneutikgeschichtlichem Stellenwert. Und zwar verfolge sie eine interpretative Strategie, die dem überlieferten Ursprungsdenken (der Vater der drei Söhne kann selbst den ursprünglichen Ring nicht mehr unterscheiden, so dass der Richter in der Parabel die Vermutung äußert, er könne verloren gegangen sein) im Bild der nurmehr vorhandenen drei Ringe plurale Deutungsmöglichkeiten entgegensetzt. Allerdings bemisst sich deren Wert am Glauben ihrer Verfechter – Bedeutung bedeutet nicht mehr an sich, sie hat keinen Ursprung oder Grund, sondern ist abhängig von der investierten Glaubenskraft bzw. dem Vertrauen derer, die von ihr Gebrauch machen. Was Leventhal „application“ 29 nennt, begründet „an essentially political form of what might be termed ‚hermeneutic intervention‘“ 30. Das Lesen und Interpretieren, d. h. die Literatur, wird politisch, weil sie sich in der und als Intervention bewähren muss – ‚Intervention‘ i. S. v. intervenire, ‚Dazwischengehen‘, will sagen: ‚Eingreifen‘ in politische und gesellschaftliche Verhältnisse. Einige Jahre vor dem performative turn der Geisteswissenschaften wird hier das Moment des Performativen 31 als literarischer Akt betont. 160

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Zweifellos enthält die Ringparabel eine Weisheit, die ihren strategischen Nutzen auch in Verhandlungssituationen außerhalb des literarischen Geltungsbereichs zeigt. Es liegt in der Logik des von Nathan Saladin erzählten Märchens, dass ein Ring der echte ist, wenn es sich nicht tatsächlich so verhält, wie der Richter zu bedenken gibt, dass nämlich die Eigenliebe aller beteiligten Streitparteien auf den Verlust des echten Ringes hinweist. Wo der echte Ring nicht mehr identifiziert werden kann, so lautet die Botschaft, ist er so gut wie verloren und da bringt es nichts, auf einer nicht mehr erweislichen historischen Position zu insistieren. Auf Saladins Einwand, dass die Religionen nicht alle eins sind und sich doch ganz offensichtlich voneinander unterscheiden, „Bis auf die Kleidung; bis auf Speis und Trank!“ (III 7, 457), kontert Nathan: Und nur von Seiten ihrer Gründe nicht. – Denn gründen alle sich nicht auf Geschichte? Geschrieben oder überliefert! – Und Geschichte muß doch wohl allein auf Treu Und Glauben angenommen werden? – Nicht? – Nun wessen Treu und Glauben zieht man denn Am wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen? (III 7, 458 ff.)

Der Hinweis auf die Befangenheit der Streitparteien in ihrer eigenen Geschichte, die es ihnen unmöglich macht, objektiv zu urteilen, wo sie selbst beteiligt sind, ist ein Plädoyer dafür, die geschichtlichen Gründe auf sich beruhen zu lassen, den echten Ring verloren zu geben und statt seines Besitzes dessen ideellen Wert zum Wertmaßstab des gegenwärtigen Tuns und Handelns, d. h. der neuen Friedensordnung zu machen. Bemerkenswerter Weise haben die Künstler, und, so ist zu ergänzen, die Literaten, ihren Anteil an der Beförderung dieser Erkenntnis, denn der verzweifelte Vater, der seine drei Söhne und späteren Streithähne gleichermaßen liebt, gibt seinen Wunderring einem Künstler, der zwei identische Kopien herstellt. In dem Maße, in dem die Künstler-Handwerker befähigt sind, identische Kopien und parallele Welten zu entwerfen, arbeiten sie einem Denken entgegen, das auf der absoluten, überzeitlich gültigen Differenz zwischen Original und Kopie, zwischen Wirklichkeit und Fiktion, zwischen Wahrheit und Lüge beharrt. Stattdessen verweisen sie auf die Gemachtheit dessen, was ist, und die Machbarkeit des Möglichen und werden in dieser Hinsicht zum Modell jener Verhandlungs-Künstler, die mit der Münze ihrer Worte zumindest bewirken, dass miteinander gesprochen wird. „Mediation ist vornehmlich eine verbale Methode“ 32, so heißt es auf der Homepage des Bundesverbands Mediation. Es ist bemerkenswert, dass Nathans Vermittlungstätigkeit im Text von Lessings Drama mit der Aufgabe des Richters eng geführt und ihr doch gegenübergestellt ist. 33 Von Saladin ist Nathan gleichsam als Richter angesprochen worden, der entscheiden möge, welche Religion die wahre und richtige sei, bzw. der Sultan will von Nathan die „Gründe[]“ (III 5, 332) hören, warum er als kritisch denkender und sorg161

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fältig abwägender Mensch beim Judentum geblieben ist. In der Ringparabel selbst wird der Fall der drei Ringe, d. h. der drei monotheistischen Religionen, vor den Richter gebracht, wenngleich vor einen weisen Richter, der nur unter dem Vorbehalt eines künftigen höheren göttlichen Richterspruchs ‚urteilt‘, wenngleich keine ‚Entscheidung‘ trifft. Als Mediator geht es Nathan nicht darum zu ‚richten‘ und zu ‚urteilen‘, vielmehr muss er diejenigen, die nicht (mehr) miteinander sprechen, zusammenbringen. Damit sie einander aber verstehen können, muss er ihnen die ‚Gründe‘ entwenden, die sie bislang auf ihrer Meinung als der einzig wahren haben beharren lassen. Das vermittelnde Wort vermag dann etwas zu bewirken, wenn es vorgängige Wahrheiten aussetzt und im Spielraum zwischen Wort und Bedeutung aus der Gleichberechtigung der Interpretationsansprüche eine Handlungsgrundlage für neue Ordnungen und Vereinbarungen gewinnt.

4. Schluss: Ein Märlein Klingt das nicht alles außerordentlich naiv und optimistisch angesichts einer Welt fortdauernden Kriegens und Streitens? Natürlich. Und noch nie sind Kampfhandlungen eingestellt worden, nur weil die Literaten es besser wissen. Und die Literatur weiß das natürlich auch. Deshalb erzählt sie die Ringparabel immer wieder neu und immer wieder ein bisschen anders. 34 Und sie erzählt auch von ihrem Scheitern. Um an Lessings Utopie zu glauben, schreibt Navid Kermani entsprechend im Jahr 2003, müsste man sie heute negieren, sonst werde sie affirmativ und damit zum Gegenteil dessen, was sie 1778 gewesen sei. 35 Und so entwirft der 1944 geborene österreichische Autor Robert Schindel, dessen Eltern von den Nationalsozialisten deportiert wurden, in seinem Text ‚Die Ringparabel 2003‘ ein bedrückendes Szenario einer waffenstarrenden Welt am Vorabend des Irakkriegs. Es ist eine Welt, die den Holocaust und das Versagen der monotheistischen Religionen erlebt – und wenig aus der Vergangenheit gelernt hat. Schindel lässt im Jahr 2003 auf dem Marktplatz von Jerusalem einen Juden und einen Moslem sich begegnen: Der eine mit der MP, der andere mit dem Gürtel. Sein Bruder fährt mit einem anderen Gürtel ein bisschen Autobus in Haifa. Ein Tempelherr hat diesmal seinen Aussichts- und Dirigentenplatz verlassen und sich beigesellt. Sie gehen in die Wohnung des Buddhisten, der sie freundlich auf seinem Fußboden niedersetzen lässt. Er selbst serviert grünen Tee, und die Dämmerung zieht beim Fenster herein. „Vor grauen Jahren lebt ein Mann im Osten“, sagt der Buddhist, hebt sich den Tee zu den Lippen und nippt. „Der einen Ring von unschätzbarem Wert aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein Opal.“ Daweil der Buddhist erzählt, kommt die Nacht über unsere Stadt Jerusalem. Als es

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wieder tagt, sind die vier Menschen, jeder, wie er es versteht, zur jeweiligen Heimstatt zurückgekehrt. Sie sind allesamt um ein Märlein reicher. 36

Wie immer man das versteht, als Verabschiedung von Lessings Aufklärungsoptimismus oder als eine Szene der zurückgesteckten Ansprüche, in der wenigstens für die Dauer der Erzählung nicht geschossen wird, die Ringparabel ist doch noch einmal erzählt worden, auch wenn es der Buddhist ist, der hier Nathans Erzähler- und Vermittlerrolle übernommen hat. Und auch in dieser neuen Version irritiert sie, sogar den Schindel’schen Ich-Erzähler selbst, der seine Geschichte folgendermaßen beschließt: Nachdem also der Buddhist seinen Tee ausgetrunken hat, komme ich und stelle ihm diese Frage: Sag, du hast den dreien das Märlein von der Gleich-Giltigkeit ihrer Religionen erzählt. Deine eigene kommt da gar nicht vor? Der Buddhist lächelt, denn er lächelt so oft. Ich lächle nicht zurück und frage verärgert: Ist dir die deine zu gering? Er stellt die Teeschale auf seinen Fußboden, antwortet und spricht: Nein gar nicht. Sie ist eine Methode … 37

Die Religion des Buddhisten ist kein Glaubensinhalt, keine Position, die gegenüber anderen zu verteidigen wäre, sondern eine Methode. Zweifellos ist es die Methode der Literatur, die Methode des Erzählens, das zwar keine Konflikte löst, aber zum Zuhören zwingt und die Menschen vielleicht ein wenig nachdenklicher nach Hause schickt – eine Methode des Erzählens, die um die Kontingenz jeglicher Erzählung, auch ihrer eigenen, weiß. Die ‚Vermittlungsleistung‘ der Literatur besteht gerade darin, in einer Welt des Unfriedens immer wieder – und sei es ex negativo – vom Frieden zu erzählen und so dafür zu sorgen, dass die Utopien erhalten bleiben. Denn ohne die Idee des Friedens, würden Friedensverhandlungen erst gar nicht begonnen. Anmerkungen 1 Vgl. Aristot. poet.1451b; vgl. Aristoteles, Poetik, übers. u. erl. v. Arbogast Schmitt, Darmstadt 2008, S. 13 f. Wenn Schmitt im Unterschied zu älteren Übersetzungen (vgl. etwa Aristoteles, Poetik, Griechisch/Deutsch, übers. u. hg. von Manfred Fuhrmann, Stuttgart 1982, S. 29) „müsste“ statt „könnte“ übersetzt, zielt dies nicht auf einen moralischen Imperativ, sondern auf die zwingende Logik der Wahrscheinlichkeit und handlungsbedingten Folgerichtigkeit: „Aufgrund des Gesagten ist auch klar, dass nicht dies, die geschichtliche Wirklichkeit ‚einfach‘ wiederzugeben, die Aufgabe eines Dichters ist, sondern etwas so ‚darzustellen‘, wie es gemäß ‚innerer‘ Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit geschehen würde, d. h., was ‚als eine Handlung eines bestimmten Charakters‘ möglich ist. / Denn ein | Historiker und ein Dichter unterscheiden sich nicht darin, dass sie mit oder ohne Versmaß schreiben […], der Unterschied liegt vielmehr darin, dass der eine darstellt, was geschehen ist, | der andere dagegen, was geschehen müsste. Deshalb ist die Dichtung

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Martina Wagner-Egelhaaf auch philosophischer und bedeutender als die Geschichtsschreibung. Die Dichtung nämlich stellt eher etwas Allgemeines, die Geschichtsschreibung Einzelnes dar.“ 2 Vgl. Max Kommerell, Lessing und Aristoteles. Untersuchung über die Theorie der Tragödie, Frankfurt a. M. 3 1960, S. 32; zit. n. Jürgen Schröder, ‚Nathan der Weise‘. Ein Drama der Verständigung, in: Lessings ‚Nathan der Weise‘, hg. von Klaus Bohnen (Wege der Forschung 587), Darmstadt 1984, S. 267–289, S. 285. 3 Gotthold Ephraim Lessing, Nathan der Weise. Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen, in: Ders., Werke und Briefe in zwölf Bänden, hg. von Wilfried Barner – Klaus Bohnen u. a., Bd. 9: Werke 1778–1780, hg. von Klaus Bohnen – Arno Schilson, Frankfurt a. M. 1993, S. 483–627, S. 1129–1282, S. 484 (Belege künftig im fortlaufenden Text). 4 Vgl. Joachim Knape, Art. ‚Figurenlehre‘ in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 3, hg. von Gert Ueding, mitbegründet von Walter Jens, Tübingen 1996, Sp. 289–432. 5 Schröder, ‚Nathan der Weise‘. Ein Drama der Verständigung (wie Anm. 2) sieht Wort und Sprache als die eigentlichen Handlungsträger des ‚Nathan‘ (vgl. ebd., S. 270); vgl. ebd., S. 272: „Denn hier hat die Sprache, das gut und weise gesprochene Wort noch die Kraft zu überzeugen. Wie Lessing selbst ist Nathan, vor aller Weisheit, ein Liebhaber des Gesprächs, ein Meister der Sprache und des gesprochenen Worts.“ Ralf Simon, Nathans Argumentationsverfahren. Konsequenzen der Fiktionalisierung von Theorie in Lessings Drama Nathan der Weise, in: DVjs 65, 1991, S. 609–635, nimmt in Nathans aufklärerischrhetorischer Praxis ein Aufbrechen überlieferter Gattungsstrukturen wahr, insofern als Nathans Rede- und Handlungsweise nicht von einem komödien- oder tragödienhaften Rollenmuster vorbestimmt ist, sondern dem „Prinzip des Redens selbst“ (ebd., S. 613) auf den Grund geht. 6 Theodor W. Adorno bezeichnet in ‚Der Essay als Form‘ von 1958 das Zusammentreten „diskret gegeneinander abgesetzter Elemente zu einem Lesbaren“ als „Konfiguration“ (in: Ders., Noten zur Literatur I, Gesammelte Schriften, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1974, S. 9– 33, S. 21). 7 Vgl. Schröder, ‚Nathan der Weise‘. Ein Drama der Verständigung (wie Anm. 2), S. 268: „Der Prozeß der Verständigung ist so gründlich ans Ziel gelangt, dass den Personen kein einziges Wort mehr zu sagen bleibt.“ 8 Simon, Nathans Argumentationsverfahren (wie Anm. 5), S. 629; auch Schröder, ‚Nathan der Weise‘. Ein Drama der Verständigung“ (wie Anm. 2) empfindet ein „Unbehagen“ (S. 268), vgl. auch ebd., S. 284. 9 Nathans Alleinebleiben am Ende ist auch bereits von Simon konstatiert worden. Simon behauptet sogar, Nathan sträube sich, in die Schlussumarmung einzugehen (vgl. Simon, Nathans Argumentationsverfahren [wie Anm. 5], S. 628). Da in der abschließenden Regiebemerkung von „allseitige[n] Umarmungen“ (V 8, 700) die Rede ist, lässt sich diese Lesart schwerlich aufrechterhalten. Indessen interpretiert Simon Nathans vermeintliches Ausgeschlossensein von der Schlussumarmung im Verbund mit anderen Unstimmigkeiten in der Konzeption des Stücks als kritische Kontrapunktierung des in der Ringparabel vermittelten Aufklärungsoptimismus. 10 Vgl. ‚Mediation‘ in der Definition des Bundesverbands Mediation http://www.bmev. de/index.php?id=mediation (9. 11. 2008). 11 Vgl. 1. Mos. 11. Gottes zürnendes Wort „Wohlan, lasst uns hinabfahren und daselbst ihre Sprache verwirren, dass keiner mehr des andern Sprache verstehe“ (7) (zit. n. Die Heilige Schrift des Alten und des Neuen Testaments, Zürcher Bibel, Zürich 18 1982, S. 10) begründet jene sprachliche und räumliche Trennung der Menschheit, die Nathans Vermittlungswerk, bildlich oder figurativ gesprochen, rückgängig zu machen sucht.

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Friede als Figur – Figuren des Friedens 12 Vgl. Richard T. Gray, Money Matters. Economics and the German Cultural Imagination, 1770–1850, Seattle – London 2008, S. 23 ff. 13 Vgl. Ferdinand de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, hg. v. Charles Bally – Albert Sechehaye unter Mitwirkung von Albert Riedlinger, übers. v. Hermann Lommel, Berlin – New York 3 2001, S. 82. Die Systemabhängigkeit der Sprache wird von de Saussure insbesondere über das sprachliche Prinzip der Linearität begründet. 14 Vgl. auch Monika Schmitz-Emans, Boccaccio, Lessing und Pavi. Variationen der Ringparabel, in: Ulrike Zeuch (Hg.), Lessings Grenzen, Wiesbaden 2005, S. 197–222, S. 198. 15 Navid Kermani, in: Angelika Overath – Navid Kermani – Robert Schindel, Toleranz. Drei Lesarten zu Lessings Märchen vom Ring im Jahre 2003, Göttingen 2003, S. 33–45, S. 37, bezeichnet Nathan als ‚Makler‘, und zwar als den „ersten Makler der Humanität“, um darauf aufmerksam zu machen, dass Lessings Drama keinesfalls einem allzu leichtgängigen Toleranz-Passepartout das Wort redet. 16 Simon, Nathans Argumentationsverfahren (wie Anm. 5), S. 620. 17 Vgl. Peter Sloterdijk, Gottes Eifer. Vom Kampf der drei Monotheismen, Frankfurt a. M. – Leipzig 2007; vgl. dazu Martina Wagner-Egelhaaf, Kulturwissenschaftlicher Nach-Eifer. Peter Sloterdijk über den Kampf der Monotheismen, literaturkritik.de, Nr. 4, April 2008 (http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=11782). 18 Zum Verhältnis von Glauben und Vernunft im ‚Nathan‘ vgl. aus theologischer Sicht Klaus Müller, Nathans wahre Provokation. Religion als Form von Aufklärung, in: Michael Böhnke – Michael Bongardt (Hgg.), Freiheit Gottes und der Menschen. Festschrift für Thomas Pröppner, Regensburg 2006, S. 223–247. Ralf Simon zufolge kommt es deshalb im ganzen Drama zu keiner unmittelbaren Begegnung zwischen Nathan und dem Patriarchen, weil Nathans Argumentationsstrategie beim Patriarchen nicht verfinge; für Nathans Kontingenzargumente wäre er, der seine Wahrheiten, wie er sagt, direkt von den Engeln eingeflüstert bekommt, vollkommen unzugänglich. Aus anderen Gründen immun gegen Nathans Rhetorik bleibt, so Simon, der Derwisch. Beide Figuren, Patriarch und Derwisch, markieren daher die Grenzen von Nathans rhetorischer Macht, die das Stück also durchaus klug reflektiert (vgl. Simon, Nathans Argumentationsverfahren [wie Anm. 5], S. 633 f.). 19 Robert S. Leventhal, The Parable as Performance: Interpretation, Cultural Transmission and Political Strategy in Lessing’s Nathan der Weise, in: The German Quarterly 61/ 4, 1988, S. 502–527, S. 518. 20 Auf dieser Grundlage konnte Lessings ‚Nathan‘ denn auch als Aufruf zum innerlutheranischen Dialog interpretiert werden. Vgl. Folker Siegert, Nathan als Lutheraner. Der Beitrag Lessings zum ‚Trialog‘, in: Thomas Bauer u. a. (Hgg.), „Kinder Abrahams“. Religiöser Austausch im lebendigen Kontext. Festschrift zur Eröffnung des Centrums für Religiöse Studien, Münster 2005, S. 193–203, S. 197; vgl. auch Frieder Lötzsch, Ein Jude, das Luthertum und die ‚Luthertümer‘. Lessings Nathan, in: Folker Siegert (Hg.), Grenzgänger. Menschen und Schicksale zwischen jüdischer, christlicher und deutscher Identität, Münster 2002, S. 161–173. 21 Vgl. Chantal Mouffe, Feminism, Citizenship and Radical Democratic Politics, in: Judith Butler – Joan W. Scott (Hgg.), Feminists Theorize the Political, New York – London 1992, S. 369–384, S. 379. 22 Vgl. auch Angelika Overath, in: Angelika Overath – Navid Kermani – Robert Schindel, Toleranz (wie Anm. 15), S. 21–31, S. 27. 23 Über den mit der Ringparabel historisch und systematisch verbundenen Topos von den drei Betrügern vgl. Friedrich Niewöhner, Veritas sive varietas. Lessings Toleranzparabel und das Buch von den drei Betrügern, Heidelberg 1988.

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Martina Wagner-Egelhaaf 24 Dietmar Wenzelburger, Art. ‚Parabel‘, in: Günther Schweikle – Irmgard Schweikle (Hgg.), Metzler Literatur Lexikon. Begriffe und Definitionen, Stuttgart 2 1990, S. 340. 25 Overath, Toleranz (wie Anm. 22), S. 26. 26 Rüdiger Zymner, Art. ‚Parabel‘, in: Horst Brunner – Rainer Moritz (Hgg.), Literaturwissenschaftliches Lexikon. Grundbegriffe der Germanistik, Berlin 1997, S. 257 f., S. 257. 27 Zur Ambiguität von Überzeugung und Überredung in der Rhetorik vgl. Martina Wagner-Egelhaaf, Überredung/Überzeugung. Zur Ambiguität der Rhetorik, in: Frauke Berndt – Stephan Kammer (Hgg.), Amphibolie, Ambiguität, Ambivalenz, Würzburg 2009, S. 33–51. 28 Leventhal, The Parable as Performance (wie Anm. 19), S. 503. 29 Ebd., S. 517. 30 Ebd., S. 502. Leventhals Lesart findet ihre Unterstützung darin, dass der Stein des ursprünglichen Rings (und konsequenterweise wohl auch der Replikate) „ein / Opal [war], der hundert schöne Farben spielte“ (III 7, 397 f.), und der Opal, Lessing zufolge, in seinem allegorischen Edelsteinwert gerade wegen seines changierenden Lichtspiels nicht eindeutig zu bestimmen ist (vgl. ebd., S. 510). Die Tatsache auch, dass der Richter in der Ringparabel seinen Urteilsspruch der größeren Weisheit eines Richters unterstellt, der „über tausend tausend Jahre“, also wohl in der Ewigkeit, seinen Richterstuhl einnehmen wird, liest Leventhal als prinzipielle Unabschließbarkeit der unter dem Vorbehalt der göttlichen Wahrheit stehenden menschlichen Interpretationen (vgl. ebd., S. 520). 31 Vgl. ebd., S. 521. 32 Vgl. Bundesverband Mediation (wie Anm. 10). 33 Ich danke Peter Oestmann für seine diesbezügliche Frage im Anschluss an den diesem Beitrag zugrunde liegenden Vortrag in der Ringvorlesung ‚Mediation. Arbeitsweisen und Befugnisse der Vermittler und Friedensstifter von der Antike bis zur Gegenwart‘ am 25. November 2008, die nochmals zur Profilierung dieses Punktes beigetragen hat. 34 Overath, Toleranz (wie Anm. 22), macht auf überzeugende Weise geltend, dass die bestürzende Aktualität von Lessings Drama und der Ringparabel über konkreten Konfliktsituationen stehe und eben darauf ihre ungebrochene Wirkungskraft zurückzuführen sei (vgl. ebd., S. 23 ff.). „Lessings Stück bleibt eine Spielanleitung zum Denken und eine Verführung zum Glauben an die Humanität, der seit über 200 Jahren in ungezählten Theatern, Klassenzimmern, Palästen und Hütten nachgegeben wird. […] Die Parabel, das Märchen von den drei Ringen, ist eine ästhetische Versöhnungsfigur, keine Anleitung zu versöhnender Praxis“ (ebd., S. 20 f.). Und das Stück ist sich dessen bewusst: Die stummen Umarmungen am Ende des Dramas liest Overath vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Nathan zwar eine Familie zusammenführen kann, diese jedoch über keine „konkrete[n] Handlungsanweisungen zum Beenden der Kreuzzüge“ (ebd., S. 30) verfügt. Einmal mehr werden also die Grenzen von Nathans Verhandlungsmacht deutlich. 35 Vgl. Kermani, Toleranz (wie Anm. 15), S. 37. Kermanis Kritik wendet sich im Speziellen gegen Claus Peymanns ‚Nathan‘-Inszenierung am Berliner Ensemble 2001, die er als „Toleranz-Kitsch“ bezeichnet: „Das genau meine ich, wenn ich sage, daß Nathans Ring so groß geworden ist, daß alles in ihn hineinpaßt und er nichts Spezifisches mehr faßt“ (ebd., S. 41). 36 Robert Schindel, Die Ringparabel 2003, in: Angelika Overath – Navid Kermani – Robert Schindel, Toleranz (wie Anm. 15), S. 47–54, S. 50 f. Den Hinweis auf Schindels Text verdanke ich Brigitte Prutti. 37 Schindel, Die Ringparabel 2003 (wie Anm. 36), S. 54.

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Der Papst als Mediator? Die Friedensinitiative Benedikts XV. von 1917 und Nuntius Pacelli* Hubert Wolf „Sancta simplicitas!“ – Heilige Einfalt! Und: „Sehr dürftig und schwach für den ‚Statthalter Christi‘ auf Erden!“ Mit diesen wenig schmeichelhaften Randglossen kommentierte Kaiser Wilhelm II. 1 ein Handschreiben, mit dem ihm Papst Benedikt XV. 2 im Januar 1917 zum Geburtstag gratuliert und vorsichtig Vorschläge für einen Verständigungsfrieden unterbreitet hatte. Unter anderem hatte der Papst geschrieben: „Wenn Eure Majestät … sich entschließen würde, neue Schritte zu unternehmen, wäre nicht ein Hinweis auf allgemeine Grundlagen zweckdienlich, wie zum Beispiel das Prinzip der Freiheit der Meere, das der Freiheit und Unabhängigkeit der kleinen Staaten, die der proportionalen Abnahme der Aufrüstung … ? Eine Vereinbarung über diese allgemeinen Prinzipien ist nicht schwer zu erreichen, und sie wird, so scheint Uns, den Übergang zu vollständigen und letztendlichen Verhandlungen leichter machen.“ Der Kaiser zeigte sich unbeeindruckt. Zum Stichwort „neue Schritte unternehmen“ merkte er an: „Erst siegen!“ Und auch die Initiative zur Abrüstung hielt er nicht für opportun: „Das hat Wilson 3 soeben getan und ist glänzend damit hineingefallen. Der Vatikan und Wilson sind anscheinend gleich weltfremd und utopisch!“ 4 Wie die Äußerungen schon erahnen lassen, waren die Voraussetzungen für eine Vermittlertätigkeit 5 des Papstes im Ersten Weltkrieg nicht die besten. Dabei erntete der Vatikan bei den Mittelmächten noch am meisten Wohlwollen. Mit diesen stand er durch seine Nuntiaturen in Wien und München in stetem diplomatischem Kontakt. Die Ententemächte hingegen waren mehr als skeptisch. Italien hatte 1915 in der sogenannten „Papstklausel“ des Londoner Geheimvertrags sogar die definitive Zusage erhalten, den Vatikan von allen Friedensverhandlungen auszuschließen.6 Für das streng laizistische Frankreich, das seit 1905 keine diplomatischen Beziehungen mehr zum Heiligen Stuhl unterhielt, dürfte eine vatikanische Vermittlungstätigkeit ohnehin kaum in Betracht gekommen sein. 7 Dennoch wagte der Papst im August 1917 den entscheidenden Schritt und unterbreitete den kriegführenden Mächten konkrete Vorschläge für einen Verhandlungsfrieden. 8 Welche Interessen vertrat er dabei, und wie sah er selbst seine Aufgaben als Papst? Wie kam diese Friedensinitiative zustande? Welche 167

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Argumente sprachen dafür und welche dagegen? Wie wurden sie im Vatikan und anderswo diskutiert? Was qualifizierte den Papst eigentlich zum Mediator zwischen den Kriegsparteien? Oder verstand er sich doch eher als arbiter Orbis christiani? Wie ist das Scheitern der Initiative zu beurteilen? Und vor allem: Welche Rolle spielte Eugenio Pacelli, 9 der als Nuntius in München maßgeblich an Benedikts Friedensdiplomatie beteiligt war und 1939 als Pius XII. selbst den Stuhl Petri besteigen sollte? Der Forschungsstand zu diesem Fragenkomplex ist als ausgesprochen gut zu bezeichnen. Die „deutsche“ Seite der Überlieferung ist durch Wolfgang Steglich seit 1970 mustergültig ediert. 10 Die vatikanischen Quellen wurden in Auszügen von Emma Fattorini 1992 und zuletzt von Nathalie Renoton-Beine 2004 benutzt. 11 Die Öffnung aller Bestände zum Pontifikat Pius XI. (1922– 1939) in den Jahren 2003 und 2006 stellt jedoch auch für unser Thema einen Quantensprung dar, denn damit wurden alle Akten der Münchener und Berliner Nuntiatur der Forschung zugänglich. Die Tätigkeit des Hauptakteurs der Päpstlichen Friedensinitiative in Deutschland, Nuntius Pacelli, wird damit erstmals in allen Einzelheiten historisch rekonstruierbar. Denn Pacelli schrieb Tag für Tag, manchmal sogar mehrmals täglich, aus München und Berlin nach Rom. Für seine Zeit als Nuntius in Bayern (1917– 1925) und Nuntius beim Deutschen Reich und in Preußen (1920–1929) liegen circa 6.000 Nuntiaturberichte in Entwurf und Ausfertigung vor. Ein Bericht kann zwischen einer und 50 Seiten umfassen. Pacelli legte durchschnittlich jedem dritten Nuntiaturbericht eine oder mehrere Anlagen (bis zu 150 Seiten) bei. Die Anlagen sollten dem Kardinalstaatssekretariat weitere Informationen zu den in den Berichten genannten Themen liefern. Es kann sich hierbei um Schreiben von und an Pacelli, um Denkschriften, Protokolle, Reden, Zeitungsund Zeitschriftenartikel, Bücher, Fotos usw. handeln. Zurzeit werden alle nachweisbaren Dokumente (Entwürfe, Ausfertigungen und Anlagen) am Seminar für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Westfälischen Wilhelm-Universität Münster im Rahmen des DFG-Langzeitprojekts „Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte von Eugenio Pacelli (1917–1929)“ in Zusammenarbeit mit dem Vatikanischen Geheimarchiv und dem Deutschen Historischen Institut Rom erfasst, kritisch ediert, kommentiert und ausgewertet. 12 Im Hinblick auf die Päpstliche Friedensinitiative wird hier eine erste umfassende Auswertung der Edition für das Jahr 1917 vorgenommen.

1. Zum Selbstverständnis Benedikts XV. Während des Ersten Weltkrieges wurde an der Römischen Kurie heftig darüber diskutiert, ob und wie weit sich der Heilige Stuhl als Friedensvermittler 168

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versuchen sollte. Hinter dieser Diskussion standen nicht zuletzt unterschiedliche Auffassungen von der Rolle des Papstes im weltlichen Bereich jenseits von Jurisdiktionsprimat und Unfehlbarkeit in Glaubensdingen, die bis weit ins Mittelalter zurückreichen. Spätestens Gregor VII. 13 hatte hier einen ungeheuren Anspruch erhoben, der freilich nie wirklich eingelöst werden konnte. 14 Die für einen Vermittler notwendige absolute Neutralität, massive weltliche Eigeninteressen – vor allem im Hinblick auf den Kirchenstaat – und die absolute Souveränität des arbiter mundi, des Schiedsrichters der Welt, waren schwer unter einen Hut zu bringen. Mediator, Konfliktpartei und Richter konnte auch ein Papst kaum gleichzeitig sein. Im Zeitalter der Konfessionalisierung war das Papsttum an sich dann ohnehin grundsätzlich infrage gestellt. Das Ende des Kirchenstaates 1870 brachte eine gewisse Wende, weil die Päpste den Verlust weltlicher Macht mit innerkirchlichem Jurisdiktionsprimat und Unfehlbarkeit kompensierten, ihr Amtsverständnis spiritualisierten und in der Folge durchaus an geistlicher Autorität gewannen. 15 Benedikt XV. hatte unter Papst Leo XIII. 16 an der Kurie Karriere gemacht. Dieser war bemüht, die politische Isolierung des Papsttums aufzusprengen und dessen auch weltlich verstandenen universalen Führungsanspruch zu erneuern. Seine Vorbilder fand er in den großen Päpsten des Mittelalters, vor allem in Innozenz III. 17 Im Jahr 1885 konnte Leo XIII. seine vagen Vorstellungen, selbst arbiter mundi zu sein, wenigstens ein kleines Stück weit einlösen: Auf Anregung Otto von Bismarcks 18 vermittelte er erfolgreich im Konflikt des Deutschen Reiches mit Spanien um die pazifische Inselgruppe der Karolinen. 19 1891 ließ Leo XIII. den Leichnam Innozenz’ III. von Perugia nach Rom überführen20 – ein höchst symbolträchtiger Akt. Der „Gefangene im Vatikan“ wollte wieder „Schiedsrichter der Welt“ sein. Durchaus in diese Tradition stellte sich Benedikt XV., der im September 1914 den Stuhl Petri bestieg. Er griff dabei auf die potestas–indirecta-Lehre der spätscholastischen Ekklesiologie zurück. Hier wurde zwar eine klare Trennung zwischen geistlicher und weltlicher Sphäre vorgenommen und dem Papst im Prinzip keinerlei Machtbefugnisse in temporalibus zugestanden. Der Papst war aber „berechtigt und auch verpflichtet, immer dann in die weltlichen Händel einzugreifen, wenn der Seelenfrieden der Gläubigen oder der Schutz der Kirche dies verlangten“. 21 Hierzu gehören auch die Überlegungen zur arbiter-Funktion des pontifex maximus, weil Kriege nicht selten dem Christentum Schaden zufügen. In diesen Ausnahmefällen müsse der Papst die Kriege zwischen den weltlichen Fürsten entscheiden.22 Den Ersten Weltkrieg bezeichnete Benedikt XV. als „finstersten Krieg, oder eher Gemetzel“. 23 Immer wieder appellierte er an die kriegführenden Mächte, einen Verhandlungsfrieden zu suchen, was zum Beispiel eine Karikatur des „Simplicissimus“ aus dem Jahr 1915 thematisiert. Dass er sich durchaus mit Erfolg um Überparteilichkeit bemühte, belegt die Tatsache, dass er etwa von Georges Clemenceau24 auf der einen Seite als „le pape boche“ und von Gene169

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ralquartiermeister Erich Ludendorff 25 auf der anderen Seite als „französischer Papst“ bezeichnet wurde. 26 Anfang 1915 beschwerte sich Frankreich, dass der Papst zum Überfall auf Belgien geschwiegen hatte und „einen Pazifismus vertrete, der die Frage des Rechts außer acht lasse“. 27 Benedikt nahm diese Kritik ernst und war versucht, konkret Position zu beziehen, sah er sich doch in der Pflicht, als „summus legis aeternae interpres et vindex“, 28 als höchster Ausleger und Anwalt des ewigen göttlichen Gesetzes bei Verstößen gegen dieses Gesetz seine Stimme zu erheben. Pietro Gasparri, 29 Kardinalstaatssekretär von 1914 bis 1930 und ein versierter Kirchenrechtler, beharrte hingegen darauf, dass der Papst als Oberhaupt einer transnationalen Weltkirche, als padre commune, zum Krieg entweder schweigen oder seine Ermahnungen und Forderungen an die Kriegsparteien allenfalls abstrakt formulieren sollte.30 Gasparri erinnerte den Papst außerdem wiederholt an die weltlichen Eigeninteressen des Vatikans. Er fürchtete zu Recht, Italien könnte ein päpstliches Engagement zum Anlass nehmen, um die Botschafter der Mittelmächte beim Heiligen Stuhl auszuweisen. 31 Im Falle revolutionärer Unruhen in Rom wurde sogar eine gewaltsame Einnahme des Vatikans befürchtet. 32 Die Kurie war der Abhängigkeit von Italien derart überdrüssig, dass sie im Ersten Weltkrieg ernsthaft Pläne ausarbeitete, den Sitz des Papsttums ins Fürstentum Liechtenstein oder nach Mallorca zu verlegen. 33 Gasparri äußerte zudem Zweifel an der Neutralität Belgiens und glaubte Hinweise dafür zu haben, dass Deutschland durch seinen Einmarsch lediglich Plänen Frankreichs für einen Angriff auf das Reich mit belgischer Hilfe zuvorgekommen sei. 34 Mit diesem Neutralitätskurs konnte sich der Kardinalstaatssekretär vorerst durchsetzen. Auch der Papst räumte ein, die päpstliche Autorität dürfe nicht in den Streit der Kriegsparteien hineingezogen werden. Allerdings sah er im Gegensatz zu Gasparri auch Chancen einer Päpstlichen Friedensinitiative im Hinblick auf die Interessenpolitik des Heiligen Stuhls: Eine erfolgreiche Vermittlertätigkeit würde ihm möglicherweise die Dankbarkeit der Mächte bringen, welche die Unabhängigkeit des Heiligen Stuhles garantieren und auf Italien einwirken könnten, um eine Lösung der seit 1870 schwelenden „Römischen Frage“ zu erreichen. 35 Auf ein weiteres mögliches Motiv für die Friedensinitiative Benedikts XV. hat jüngst Roberto Morozzo della Rocca aufmerksam gemacht. Demnach seien es vor allem innerkirchliche Gründe gewesen, die den Papst zu seinem Schritt bewegten. Katholiken kämpften gegen Katholiken, nationale Interessen dominierten die religiösen; man war eben zuerst Franzose oder Deutscher – und erst dann katholisch. Benedikt XV. „ließ sich“ daher „von der Notwendigkeit leiten, die den verschiedenen Lagern angehörenden Katholiken nicht noch weiter zu spalten“. 36 In seiner Konsistorialansprache vom 22. Januar 1915 hatte der Papst ausgeführt, dass es „weder angebracht noch nützlich“ sein könne, „die päpstliche Autorität in die Auseinandersetzungen der kriegführenden 170

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Abb. 1: Titelbild des „Simplicissimus“ vom 17. August 1915

Parteien“ selbst hineinzuziehen. Er begründete die „neutrale Position“ des Stellvertreters Jesu Christi auf Erden mit dem Argument, der Papst sei eben „gemeinsamer Vater aller Katholiken“ und seine „Söhne“ befänden sich „auf der einen wie auf der anderen kriegführenden Seite, um deren Heil es ihm gleichermaßen und ohne Unterschied geht.“ 37 Doch man würde Benedikt XV. sicher nicht gerecht, führte man sein Engagement für den Frieden nur auf Interessenpolitik zurück. „Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden“, heißt es nicht umsonst in der Bergpredigt (Mt 9,5). Bei Benedikt XV. ist durchaus davon auszugehen, dass er sich von der religiös begründeten Überzeugung leiten ließ, den Kriegsgräueln nicht tatenlos zuschauen zu dürfen. Aber die Päpste des 20. Jahrhunderts mussten immer wieder zwischen den Werten des Friedens 171

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und der Gerechtigkeit abwägen und vor diesem Hintergrund ihre Neutralität überdenken: War wirklicher Friede nicht mehr als die Abwesenheit von Krieg? Konnte nicht nur ein gerechter Friede ein wahrer und dauerhafter Friede sein? Musste der Papst sich aus den Gefilden der Politik heraushalten, als neutraler Vermittler bereitstehen, oder musste er Partei für die gerechte Sache ergreifen und sich dadurch dem Risiko aussetzen, auf der Gegenseite auch Katholiken zu verprellen? Und konnten die Völker Europas den wahrhaft gerechten Frieden eigentlich nicht nur unter dem einigenden Dach der katholischen Kirche finden?

2. Die Vorgeschichte der Friedensinitiative von 1917: neue Quellen zur Rolle Pacellis und Erzbergers Im Frühjahr 1917 kam es, was sehr ungewöhnlich war, zu einer „offenen Opposition“ des Kardinalstaatssekretärs gegen den Papst. 38 Grund für den Streit im Vatikan war die Ernennung Eugenio Pacellis zum Nuntius in München. Dessen Mentor Gasparri befürchtete, einer seiner fähigsten Mitarbeiter könne in Deutschland durch eine von vornherein zum Scheitern verurteilte Friedensinitiative „verheizt“ werden. 39 Doch die politische Lage hatte sich in der ersten Hälfte des Jahres 1917 entscheidend geändert: Die Mittelmächte hatten Friedenssignale ausgesandt und eine Vermittlungstätigkeit des Heiligen Stuhles angeregt, der russische Zar Nikolaus II. 40 hatte abgedankt, die Friedensinitiative Wilsons war gescheitert, die USA traten in den Krieg ein und der internationale Sozialismus bemühte sich um eine Friedensvermittlung. In dieser Situation setzte sich der Papst gegen Gasparri durch und Pacelli wurde in einer Friedensmission nach Deutschland gesandt. Als er seinen Posten als Nuntius in München antrat, teilte Gasparri ihm mit, dass auch für ihn die im November 1916 für seinen Vorgänger Giuseppe Aversa 41 verfasste Generalinstruktion ohne Abstriche weiter gelte. 42 In dieser Instruktion hatte der Kardinalstaatssekretär den Kurs der strikten Neutralität festgeschrieben. Für den Heiligen Stuhl – so die Instruktion – sei es schlicht unmöglich, die Schuld am Krieg einfach einer der kriegführenden Parteien allein anzulasten. Vielmehr sei das Gemetzel letztlich von der „internationalen Freimaurerei“ mit dem Ziel angezettelt worden, die Kirche Gottes und die letzte katholische Dynastie, das Haus Habsburg, zu vernichten.43 Unschwer sind hier klassische Feindbilder und Denkstrukturen des Ultramontanismus wiederzuerkennen. Bereits Nuntius Aversa war, vermittelt durch den Zentrumspolitiker Matthias Erzberger, 44 in Verhandlungen mit der Reichsregierung über eine mögliche Friedensvermittlung des Heiligen Stuhls im Hinblick auf Belgien gestanden. 45 Die Reichsregierung hatte dem Heiligen Stuhl im Februar 1917 ihre Bedingungen für einen Frieden mit Belgien zukommen lassen. Im Vatikan wies man das deutsche Angebot jedoch zurück, da eine Friedensvermittlung 172

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vor der zu erwartenden Frühjahrsoffensive der Entente zum Scheitern verurteilt sei. Man war allerdings bereit, zu einem späteren, günstigeren Zeitpunkt auf das deutsche Angebot zurückzukommen. 46 Mit der Übersiedlung Pacellis nach München am 25. Mai sah der Vatikan diesen günstigeren Zeitpunkt offensichtlich gekommen. Bereits in seiner Antrittsaudienz beim bayerischen König Ludwig III. 47 am 29. Mai sprach Pacelli von seiner Beteiligung an der Friedensmission Benedikts XV. 48 Und im Juni wies Gasparri den Nuntius ausdrücklich an, bei der deutschen Regierung die Möglichkeiten für einen Frieden zu sondieren. 49 Für die Friedensbemühungen Pacellis kam dem deutschen Zentrumspolitiker Matthias Erzberger, der als Verbindungsmann des Nuntius unermüdlich für eine Päpstliche Friedensinitiative kämpfte, entscheidende Bedeutung zu. Pacelli und Erzberger waren sich seit dessen erster Romreise im November 1914 persönlich bekannt. Erzberger hatte damals nach Rücksprache mit der Kurie im Auftrag des Auswärtigen Amts zwischen Österreich-Ungarn und Italien zu vermitteln versucht, um den Kriegseintritt Italiens auf Seiten der Entente zu verhindern. Um dies zu erreichen, hätte Österreich-Ungarn das Trentino dem Heiligen Stuhl überlassen sollen, der es wiederum an Italien abtreten sollte. Als Gegenleistung sollte der Heilige Stuhl von Italien territoriale Kompensationen zur Wiederherstellung des Kirchenstaates und der Lösung der „Römischen Frage“ erhalten. Das gemeinsame Projekt war jedoch am österreichisch-ungarischen Widerstand gescheitert. Es macht aber deutlich, dass der Heilige Stuhl in seiner Vermittlertätigkeit durchaus auch eigene Interessen verfolgte.50 Erzberger unterhielt über den geheimen Kammerherrn Benedikts XV., Rudolf Gerlach, 51 bis zu dessen Ausweisung aus Italien wegen des Verdachts der Spionage für die Mittelmächte engste Kontakte zur Römischen Kurie. Bereits unter den Vorgängern Pacellis in München, Andreas Frühwirth OP 52 und Giuseppe Aversa, war der Zentrumspolitiker zum wichtigsten politischen Informanten des Heiligen Stuhls in Deutschland avanciert. 53 Erzberger sah es als katholischer deutscher Politiker als seine Aufgabe an, nicht nur für das Deutsche Reich, sondern auch für den Heiligen Stuhl tätig zu sein. Dabei befürchtete er, dass der Vatikan nach der Ausweisung Gerlachs den Anliegen der Mittelmächte weniger Gewicht beimessen würde. Vor allem im Kardinalstaatssekretär sah Erzberger einen Freund der Entente. Er fürchtete, dass sich Gasparri zunehmend gegen Benedikt XV., den er für deutschfreundlich hielt, durchsetzen könnte.54 Erzberger war sich des strukturellen Problems bewusst, dass der Nuntius in München nur über unzureichende Kontakte zu den politischen Entscheidungsträgern und Regierungsstellen in Berlin verfügte. Über die Problematik der Errichtung einer Reichsnuntiatur in Berlin wurde deshalb auch während des Krieges verhandelt, doch scheiterte das Vorhaben. 55 Erzberger versuchte, diese Lücke zu schließen und machte sich selbst damit für den Informations173

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fluss nach Rom unersetzlich. Er sandte umfangreiche Denkschriften an die Münchener Nuntiatur zur Weiterleitung nach Rom. Häufig genug wurde er nicht ausdrücklich dazu aufgefordert, sondern verfasste diese Promemoria nach eigener Einschätzung. Es kam aber auch nicht selten vor, dass der Nuntius eine konkrete Aufforderung an Erzberger richtete, dieser möge eine Denkschrift zu einem bestimmten Thema anfertigen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Lorenzo Schioppa, 56 Auditor der Münchener Nuntiatur und in der Zeit zwischen Aversas Tod im April und Pacellis Dienstantritt im Mai 1917 Geschäftsträger der Münchener Nuntiatur, bat Erzberger am 16. Mai 1917 darum, eine Denkschrift über die deutschen Kriegsziele anzufertigen. 57 Die Bedeutung Erzbergers für die Informationsbeschaffung des Heiligen Stuhls über die Reichspolitik auch im Hinblick auf die Friedensinitiative lässt sich aus den Nuntiaturberichten Eugenio Pacellis leicht belegen. Von circa 120 Denkschriften, die Pacelli allein von Mai bis Dezember 1917 nach Rom sandte, stammten allein 56 aus der Feder Erzbergers beziehungsweise seines Büros 58 in Berlin. 59 Darunter finden sich auch die vertraulichen Protokolle der Sitzungen des Siebener-Ausschusses über die Beratungen um die deutsche Antwort auf die Päpstliche Friedensinitiative. 60 Doch nicht nur die Zahlen sprechen für sich, Pacelli selbst war sich der eigenen Abhängigkeit von Erzberger mit Blick auf die Informationsbeschaffung und Einflussnahme auf die Reichsregierung durchaus schmerzlich bewusst. Im Rahmen seiner ersten Berlinreise vom 26. bis 30. Juni 1917 versuchte er daher, direkte Beziehungen mit dem Staatssekretär des Auswärtigen Amts Arthur Zimmermann 61 aufzubauen. Er berichtete darüber ausführlich an den Kardinalstaatssekretär: „Durch den höchst aktiven und einflussreichen Herrn Erzberger schreiten die Angelegenheit zweifelsohne viel flinker voran; aber da er keinen offiziellen Charakter hat, stellen seine Antworten keine Verbindlichkeit seitens der Regierung dar, und da er von Natur aus zu exzessivem Optimismus neigt, kann man sich nie sicher sein, wie präzise das ist, was er berichtet. Außerdem ist es notwendig, Rücksicht zu nehmen auf die hohe Empfindlichkeit des Außenministeriums, welches beleidigt wäre, wenn es in den Beziehungen zwischen der Nuntiatur und der Zentralregierung außen vor gelassen würde. Aufgrund der außerordentlichen Natur vieler Fragen, die heutzutage durch den Krieg aufgeworfen werden, schlug ich daher dem Herrn Zimmermann vor, dass ich in Zukunft wie in der Vergangenheit auch regelmäßig die betreffende offizielle Notiz an den Herrn Graf von Hertling 62 schicken würde, es mir aber gleichzeitig, in ernsteren und dringenderen Fälle erlauben würde, direkt, wenn auch auf privatem Wege an ihn oder Herrn von Bergen63 zu schreiben. Auch Herr Zimmermann willigte mit Wohlgefallen zu. Ich hoffe, dass auf diese Weise die unglückliche Situation der Nuntiatur wenigstens teilweise behoben werden kann. Sie befindet sich gänzlich fernab vom Zentrum, in einem dunklen Graben, in dem es äußerst schwierig ist, sich Informationen zu beschaffen und sich um Angelegenheiten zu kümmern, die 174

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das Reich betreffen und in den gegenwärtigen Umständen auch von großer Bedeutung für den Heiligen Stuhl sind.“ 64 Pacelli schrieb Gasparri mehrfach, die Katholiken Deutschlands und Österreichs hofften auf eine Päpstliche Friedensinitiative. 65 Es ist nicht ganz leicht zu beurteilen, wie genau es um die oft beschworene „Friedenssehnsucht der Völker“ stand. Einiges deutet aber darauf hin, dass den Papst neben religiösem Idealismus und kirchenstaatspolitischen Motiven auch der Erwartungsdruck der katholischen Massen und vor allem die Konkurrenz der europäischen Sozialisten zu seiner Vermittlungstätigkeit getrieben haben. Die Mehrheitssozialdemokraten hatten am 17. April 1917 eine Friedensresolution in den Reichstag eingebracht. 66 Und die internationalen Sozialisten wollten sich im Spätsommer 1917 in Stockholm zu einer Friedenskonferenz treffen.67 „Der laute Aufruhr der Sozialisten für den Frieden hat auch Konfusion bei verschiedenen Katholiken hervorgerufen. Man hasst es zu wiederholen, dass nur die Sozialisten etwas für den Frieden unternehmen“, schrieb Pacelli am 10. Juli an Gasparri. 68 Auf diese Konkurrenz zwischen Katholiken und Sozialisten verwies auch Kaiser Wilhelm II., als er, begleitet von Prinz Heinrich, 69 am 30. Juni 1917 mit Pacelli in Bad Kreuznach zusammentraf. Der Kaiser schwadronierte zudem ausgiebig über die Einflussmöglichkeiten des Papstes auf die Katholiken und bestritt, dass Benedikt XV. bereits alles in seiner Macht Stehende getan habe: „Wenn der Papst ex cathedra spräche und seinen Organen in allen kriegführenden Ländern den Befehl gäbe, von der Kanzel in der Weise für den Frieden zu wirken, daß zunächst einmal gegen den ungeheuren Haß, der die Völker beseele und der durchaus unchristlich sei, gepredigt und darauf hingewiesen werde, daß die Völker sich wieder vertragen müßten und daß all das Elend und Blutvergießen nur aufhören werde, wenn die Völker sich dem Friedensgedanken wieder zuwendeten, so werde allmählich aus den Völkern heraus von unten her ein Verlangen nach Frieden lebendig werden, dem sich die regierenden Schichten auf die Dauer nicht entziehen könnten. Bei uns sei das nicht notwendig, denn das deutsche Volk kenne keinen Haß, und der Wunsch des Volkes nach Frieden werde von allen maßgebenden Stellen geteilt. … Übrigens habe die katholische Kirche ja auch noch andere Mittel, mit denen sie zu wirken so gut verstehe, wie zum Beispiel den Beichtstuhl und den Einfluß auf und durch die Frauenwelt.“ 70 In seinem Nuntiaturbericht schilderte Pacelli die Gespräche beim Treffen in Bad Kreuznach weit weniger ausführlich. Wilhelm II. habe sehr auf die Notwendigkeit gedrängt, „dass der Heilige Vater einen feierlichen Akt vornehme, der nicht an die Regierungen, sondern an den Klerus und an die Gläubigen der ganzen Welt gerichtet sei, in welchem er ihnen das Gebet und die gemeinsame Arbeit für den Frieden befehle. Er hat keinen Zweifel an der Effektivität einer solchen päpstlichen Verordnung.“ 71 Benedikt XV. griff dann aber doch nicht auf den Beichtstuhl, die Frauenwelt oder die Mobilisierung der katholischen 175

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Massen, sondern auf den Nuntius als Mediator und die Mittel der klassischen Kabinettspolitik zurück. Gasparri hatte Pacelli für das Treffen mit dem Kaiser präzise Anweisungen erteilt, die der Nuntius strikt befolgte. In Bezug auf die Belgienfrage hieß es etwa: „Sie [Pacelli] werden auch erläutern, dass die Freigabe Belgiens in seine Unabhängigkeit ein großes Hindernis zum Frieden zunichte machen würde und aufgrund der moralischen Auswirkung, die sie auf der ganzen Welt haben würde, ein Schritt im Voraus wäre, welcher immens dazu beitragen würde, den Beginn der allgemeinen Verhandlungen zu erleichtern und anzutreiben. Es wäre sicherlich richtig, wenn Deutschland Garantien vollständiger Unabhängigkeit Belgiens verlangen würde, auch gegenüber England und Frankreich.“ 72 Pacelli folgte dieser Weisung und bezeichnete im Gespräch mit dem Kaiser den Krieg als „Selbstmord des zivilen Europas“. 73 Wilhelm II. hörte dem Vortrag des Nuntius, wie dieser nach Rom berichtete, aufmerksam zu. Dabei wirkte er auf Pacelli durchaus befremdlich. „Ich würde dennoch offen sagen, dass er aufgrund der Art, wie er lange den Blick auf seinen Gesprächspartner heftet, aufgrund der Gestik und der Stimme (ich weiß nicht, ob in Folge der Beunruhigungen dieser drei langen und angsterfüllten Kriegsjahre) überspannt und nicht ganz normal wirkt.“ 74 Im Entwurf des Nuntiaturberichts hatte Pacelli den Kaiser noch als „nicht ganz ausgeglichen“ bezeichnet, dieses aber in einer Überarbeitungsphase in „nicht ganz normal“ geändert, die Charakterisierung des Kaisers also nochmals negativ gesteigert. 75 Als der Kaiser auf den Kriegseintritt Italiens, auf König Viktor Emmanuel III. 76 und die „Römische Frage“ zu sprechen kam, erregte er sich offensichtlich. „Es ist für immer vorbei mit dem Haus von Savoyen, fügte der Kaiser hinzu, das büßen werden muss für seinen Treuebruch (und hier machte er wieder die gleiche Bewegung mit der Faust wie vorher). Die Lage des Papstes ist unhaltbar; es ist notwendig, dass er zum Schutz seiner Souveränität ein unabhängiges Gebiet mit einem Landstrich bis ans Meer hat, das die Kommunikationsfreiheit gewährt.“ 77 Noch bevor Pacelli mit Kaiser Wilhelm II. in Bad Kreuznach zusammentraf, stattete er Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg 78 in Berlin seinen Antrittsbesuch ab. Während der Unterredung am 26. Juni äußerte sich der Reichskanzler pessimistisch über die Erfolgsaussichten einer Päpstlichen Friedensinitiative, schließlich hätte die Entente das deutsche Friedensangebot vom 12. Dezember des letzten Jahres nicht beachtet. 79 Weisungsgemäß fragte Pacelli vertraulich nach den deutschen Kriegszielen. Zwei der wesentlichen Punkte für den Vatikan waren die internationale Abrüstung und die Belgienfrage. In beiden Punkten zeigte sich der Reichskanzler ohne Absprache mit dem Kaiser konzessionsbereit. „Er erklärte mir, dass Deutschland sehr dazu bereit wäre, über die Abrüstung zu diskutieren, natürlich unter der Voraussetzung der Gleichzeitigkeit. … Auch in Bezug auf Belgien ist Deutschland dazu bereit, es in seiner vollkommenen Unabhängigkeit wiederherzustellen, wobei es allerdings rechtmäßige Garantien fordert, damit es nicht unter die 176

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politische, militärische und finanzielle Dominanz Englands oder Frankreichs falle, die Belgien sicherlich als ein Instrument zum Schaden Deutschlands nutzen würden.“ 80 Noch am 26. Juni, am Tag der Unterredung, informierte Pacelli Rom über das Treffen mit Bethmann Hollweg. 81 Im Vatikan, so antwortete ihm Gasparri, teile man die negative Einschätzung Bethmann Hollwegs für eine Päpstliche Friedensinitiative bei der Entente nicht. Es gebe durchaus Anzeichen für eine Friedensbereitschaft in Italien und in Frankreich. „Wegen dieser und anderer Betrachtungen – es wäre überflüssig, diese hier aufzuführen – glaube ich, dass ein Friedensangebot, im Wesentlichen im Einklang mit den guten Bestimmungen, die dem Heiligen Stuhl vom Kaiser Österreichs und dem deutschen Reichskanzler bekundet worden sind, und das vom Heiligen Stuhl zum richtigen Moment gemacht würde, eine gewisse Wahrscheinlichkeit haben würde, angenommen zu werden.“ 82 Gasparri legte dieser Anweisung eine Zusammenstellung über die päpstlichen Friedensvorschläge bei.

3. Die päpstlichen Vorschläge für den Frieden Die päpstlichen Vorschläge für den Frieden, die Pacelli dem Auswärtigen Amt übergab, umfassten sieben Punkte: 83 1. Freiheit der Meere. 2. Gleichzeitige und reziproke Abrüstung „in der Art, dass jeder Staat die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung erforderliche Zahl von Soldaten mit der entsprechenden Bewaffnung haben soll“. Diese soll durch die Friedenskonferenz festgelegt und mit einer internationalen Strafandrohung bewehrt werden. 3. Internationale Schiedsgerichtsbarkeit mit Sanktionsmöglichkeiten. 4. „England gibt die deutschen Kolonien an Deutschland zurück. Deutschland seinerseits: a) räumt das zurzeit besetzte französische Gebiet, b) räumt ganz Belgien mit den zu vereinbarenden Garantien für die völlige politische, militärische und wirtschaftliche Unabhängigkeit“ sowohl Deutschland, England und Frankreich gegenüber. 5. Regelung aller wirtschaftlichen Streitfragen zwischen den Nationen durch die Friedenskonferenz. 6. Regelung der Grenzfragen zwischen Italien und Österreich und zwischen Deutschland und Frankreich (Elsaß-Lothringen) durch die Friedenskonferenz. 7. Entscheidung der Friedenskonferenz über die politische Zukunft Polens, Serbiens, Rumäniens und Montenegros. Pacelli sollte diese römischen Vorgaben prüfen, sie gegebenenfalls modifizieren und im Rahmen einer möglichen weiteren Reise nach Berlin die Reaktion 177

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der Reichsregierung auf diese Vorschläge eruieren und ermitteln, zu welchem Zeitpunkt diese eine solche Friedensinitiative für angebracht halten würde. 84 Doch der Enthusiasmus im Vatikan wurde durch die negative Antwort Kaiser Wilhelms II. auf das Schreiben Benedikts XV. vom 13. Juni, 85 das ihm Pacelli in Bad Kreuznach übergeben hatte, getrübt. Deutschland sei wegen der Zurückweisung der eigenen Friedensvorschläge vom Dezember des letzten Jahres durch die Entente zur Weiterführung des Krieges gezwungen. 86 Durch die Julikrise veränderten sich indes die Voraussetzungen für eine Päpstliche Friedensinitiative. Erzberger hatte sich im Laufe des Frühjahrs von seiner annexionistischen Kriegszielpolitik entfernt und war zu der Einsicht gekommen, dass die militärische Lage für die Mittelmächte unhaltbar sei. Aus diesem Grund müssten sie um Friedensverhandlungen bitten. Diese Position trug er am 6. Juli 1917 im Hauptausschuss des Reichstags vor, was die Julikrise auslöste, die Ablösung Bethmann Hollwegs als Reichskanzler durch Georg Michaelis 87 am 13. Juli erzwang und letztlich zur Friedensresolution des Reichstags am 19. Juli führte. 88 Pacelli trat umgehend mit Michaelis in Kontakt und verabredete ein Treffen für den 23. Juli. Der neue Reichskanzler sei „von energischem Charakter, pietistischer Protestant, aber so sagt man, nicht katholikenfeindlich“. 89 Für dieses Treffen wollte Pacelli die päpstlichen Friedensvermittlungsvorschläge in Punkt zwei modifizieren. Dem Begriff „Entwaffnung“ wollte er den Begriff der „Abrüstung“ hinzufügen, da eine vollständige Entwaffnung schwierig zu erreichen sein werde. 90 Gasparri stimmte dem Änderungsvorschlag Pacellis zu. Schließlich handele es sich bei Punkt zwei um „die Grundlage des Projekts“. 91 Kurz darauf präzisierte der Kardinalstaatssekretär, Pacelli solle für den Fall, dass die päpstlichen Friedensvorschläge der Reichsregierung Schwierigkeiten bereiten würden, alles daran setzen, diese wirklich akzeptabel zu machen. „Andernfalls ist alles vergeblich, die Situation würde sich sogar als verschlechtert herausstellen.“92 Nicht wie ursprünglich verabredet am 23., sondern am 24. Juli trafen Pacelli, Reichskanzler Michaelis und der neue Staatssekretär des Auswärtigen Amts Arthur Zimmermann in Berlin zusammen. Pacelli sicherte den beiden Vertretern der Reichsregierung die Diskretion des Heiligen Stuhls für die laufenden Verhandlungen zu und wies auf die besondere Bedeutung des Deutschen Reichs für den Friedensprozess hin. Pacellis Aussagen lassen auch Rückschlüsse auf die Verhandlungsstrategie des Heiligen Stuhls zu. „Ich fügte hinzu, dass, obwohl solche Bedingungen den anderen Großmächten noch nicht mitgeteilt worden waren, der Heilige Stuhl selbst, zwar noch nicht mit Sicherheit, aber mit ernsthafter Wahrscheinlichkeit, dennoch meinte, wobei er sich auf Informationen stützte, die er aufgrund seiner bewundernswerten weltweiten Organisation erlangen konnte, glauben zu können, dass selbiger Vorschlag aufgenommen werden würde. Bevor man zu weiteren offiziellen Schritten bei den einzelnen Staaten voranschritt, wünschte der Heilige Stuhl 178

Der Papst als Mediator?

auf jeden Fall, zur besonderen Berücksichtigung Deutschlands, das sich mehr als alle anderen geneigt zum Frieden zeigte, auf vertraulichem Wege die Meinung der Reichsregierung zu den mehrfach erwähnten Bedingungen zu erfahren.“93 Der Nuntius zeigte sich in seinem kurzen Zwischenbericht an Gasparri sehr zuversichtlich. „Aufgrund meines Eindrucks hoffe ich, dass die vorgeschlagenen Bedingungen im Prinzip dieselben bleiben werden, abgesehen von formalen Änderungen, um sie für die Militärautoritäten akzeptabel zu machen, und einigen Hinzufügungen, die sich besonders auf die Interessen der anderen Alliierten Deutschlands … beziehen. … Ich hoffe bald eine hinreichend zufrieden stellende Antwort zu bekommen.“ 94 In seinem ausführlichen Bericht führte Pacelli die Position Michaelis’ und Zimmermanns näher aus. Sie befürchteten, dass die militärischen Führer, also Paul von Hindenburg 95 und Erich Ludendorff, mit Punkt zwei der päpstlichen Friedensvorschläge – der Abrüstung – nicht einverstanden sein würden. „Herr Zimmermann gestand offen, dass besagte Führer, besonders jetzt nach den neuerlichen Erfolgen gegen die Russen, absolute Herren der Situation seien, während die Politiker und Diplomaten, von Natur aus eher versöhnlich, nur ziemlich begrenzt Macht und Einfluss hätten. Ich antwortete, dass, wenn die Vorschläge, in der Art, in der sie vom Heiligen Stuhl formuliert worden waren, von den militärischen Führern nicht für akzeptabel erachtet werden würden, man zurecht eine neue Fassung in Betracht ziehen könnte. Ich fügte jedoch hinzu, dass je stärker eventuelle Änderungen den Inhalt selbiger Vorschläge und besonders den zweiten Punkt, der der springende Punkt ist, schwächten, die Wahrscheinlichkeit, dass sie von den Ententemächten angenommen werden würden, in geometrischer Proportion umso mehr abnehme. Und hier sei mir gestattet, hervorzuheben, dass leider die unermessliche Überlegenheit des Militarismus in Deutschland unbestreitbar ist.“ 96 Insgesamt wiederholte Pacelli nach Rücksprache mit dem ehemaligen Legationssekretär in der preußischen Gesandtschaft beim Heiligen Stuhl, Diego von Bergen und Matthias Erzberger, man könne hoffen, „dass die vorgeschlagenen Bedingungen größtenteils die gleichen bleiben werden, abgesehen von formalen Änderungen, um sie für die Militärautoritäten (von denen man Widerstand befürchtet) akzeptabel zu machen, und einigen Ergänzungen, die besonders darauf abzielen, die Interessen der Alliierten Deutschlands (einschließlich der Türkei, deren territoriale Integrität man sichern würde) zu wahren und die Rückgabe der von Japan und Frankreich besetzten Kolonien zu garantieren.“ 97 Tatsächlich hatte Zimmermann jedoch mit den päpstlichen Friedensvorschlägen wesentlich größere Schwierigkeiten, als dies Pacelli nach Rom berichtete. Nach Zimmermanns Aufzeichnungen habe er dem Nuntius ausdrücklich erklärt, „daß dem Vorschlag in vorliegender Form sehr erhebliche Bedenken von unserem Standpunkte entgegenständen“. Diese sah er vor allem in dem vom Gasparri als „Grundlage des Projekts“ bezeichneten Punkt zwei. Dieser 179

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sei, so Zimmermann, „für uns unannehmbar“. Es erscheine ihm „unmöglich“, dass die „feindlichen Mächte“ auf der zukünftigen Friedenskonferenz über die militärischen Bedürfnisse des Reiches entscheiden könnten. „Unsere Lage im Herzen Europas, umgeben von Feinden und zweifelhaften Nachbarn, schließe dies aus.“ Auch bei der Belgienfrage sah Zimmermann Schwierigkeiten: „In Punkt vier vermisse ich die Herausgabe sämtlicher Kolonien. Die deutsche Gegenleistung stehe aber auch im Falle der Herausgabe sämtlicher Kolonien in keinem angemessenen Verhältnis zu der feindlichen Leistung. Wir müßten namentlich hinsichtlich Belgiens Garantien für uns, nicht nur für Belgien stipulieren.“ 98 Pacelli schätze die Erfolgsaussichten demnach wesentlich günstiger ein, als sie tatsächlich waren. Saß der junge Nuntius hier – bestärkt durch Erzberger – dem eigenen Wunschdenken nach einer erfolgreichen päpstlichen Friedensvermittlung unter eigener Beteiligung auf? Eine definitive deutsche Antwort auf die päpstlichen Friedensvorschläge hatte er schließlich noch gar nicht erhalten, denn der Reichskanzler wollte sich zuerst mit dem Kaiser und der österreichisch-ungarischen Regierung beraten. Gasparri drängte aus Rom darauf, dass Pacelli den Reichskanzler, sobald letzterer wieder in Berlin sei, sofort aufsuchen solle, „sowohl um eine erste Antwort zu erhalten, die drängt, als auch um dort zu verhandeln und das Meistmögliche zu erreichen“. 99 Schließlich habe die englische Regierung mitgeteilt, dass sie bereit sei, „mit einem demokratisierten Deutschland zu verhandeln und [dass sie] die Demokratisierung als ausreichende Garantie für die Zukunft ansehen“ würde. Diese Demokratisierung sei dann erreicht, wenn der Reichskanzler vom Parlament abhängig sei. Gasparri erteilte dem Nuntius lapidar die Anweisung, er möge sich darum kümmern, „auf die Weise, die Sie für die am besten geeignete halten, dies vom Kaiser zu erlangen und somit den Weg zum Frieden zu ebnen“. 100 Der Nuntius stand dadurch vor der Aufgabe, die Demokratisierungs- und Parlamentarisierungsbestrebungen innerhalb des Deutschen Reichs unterstützen zu sollen, was eine ungeheuerliche Einflussnahme des Heiligen Stuhls in die inneren Angelegenheiten des Reichs dargestellt hätte. Der Prozess der Demokratisierung war in der Tat im Juli 1917 in vollem Gange, denn schließlich war es die Reichstagsmehrheit aus Mehrheitssozialdemokratie, Zentrumspartei, Fortschrittspartei und Nationalliberaler Partei, die unter Mitwirkung der Obersten Heeresleitung den Sturz Reichskanzler Bethmann Hollwegs erreicht hatte. Sie hatte auch eine eigene Friedensresolution zu Stande gebracht. Allerdings konnten sich die Mehrheitsparteien nicht dazu durchringen, einen eigenen Kandidaten zum Reichskanzler vorzuschlagen und diesen dann auch gegen den Kaiser durchzusetzen. Der Heilige Stuhl schien darauf zu spekulieren, dass dies bald geschehen würde und war bereit dazu beizutragen, um den Weg zum Frieden zu bahnen. Ziel scheint dabei eine parlamentarische Monarchie gewesen zu sein. Doch den entscheidenden Schritt in Richtung Parlamentarisierung machte die Reichstagsmehrheit erst 180

Der Papst als Mediator?

im Oktober 1918, als das Kabinett von Reichskanzler Max von Baden 101 von der parlamentarischen Mehrheit abhängig wurde. Die Vorbedingung Englands und auch der USA für Friedensverhandlungen waren im Sommer 1917 somit noch nicht erfüllt. 102 Der Heilige Stuhl drängte dessen ungeachtet Anfang August auf eine deutsche Antwort auf seine Friedensvorschläge, da er diese über die englische Regierung bei einer Konferenz der Entente am 7. August in London vorlegen wollte. Pacelli erhielt jedoch auf seine Anregung vom 4. August, erneut nach Berlin zu reisen, von der Reichsregierung eine Absage, und der Plan einer Friedensvermittlung des Heiligen Stuhls in London scheiterte. 103 Erst am 12. August konnte der Nuntius den Gesandten von Bergen in München empfangen, der ihm eine deutsche Gegendenkschrift zu den päpstlichen Friedensvorschlägen übergab. 104 Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Benedikt XV. bereits zu einem weiteren Schritt entschlossen. Im Vatikan war man anscheinend trotz der Probleme der deutschen Mission Pacellis weiterhin davon überzeugt, dass der richtige Zeitpunkt für eine erfolgreiche päpstliche Friedensvermittlung gekommen sei. Benedikt XV. ließ den Kriegsparteien am 9. August einen auf den 1. August zurückdatierten Friedensappell zustellen.105 Die ursprünglich geheime Friedensnote wurde am 17. August im „Osservatore Romano“ veröffentlicht.106 In der deutschen Presse war sie daraufhin einige Wochen lang ein beherrschendes Thema. Der Papst betonte zunächst seine „vollkommene Unparteilichkeit“ als unverzichtbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Mediation. 107 Dann schrieb er: „Wir, die Wir keine besondere politische Absicht verfolgen, die Wir weder auf Einflüsterungen noch auf die eigennützigen Bestrebungen irgendeiner der kriegführenden Parteien horchen, sondern einzig durch das höchste Pflichtgefühl als gemeinsamer Vater aller Gläubigen angetrieben sind, durch die inständigsten Bitten unserer Kinder, welche unsere Vermittlung und unser friedensstiftendes Wort erflehen und durch die Stimme der Menschlichkeit und der Vernunft selbst, Wir lassen von neuem einen Friedensruf ertönen und richten abermals eine dringende Mahnung an diejenigen, welche die Geschicke der Nationen in ihren Händen halten.“ 108

4. Der Papst als gescheiterter Mediator? Kann man von einem Mediator mehr erwarten? Entsprach Benedikt XV. nicht dem Typus des interessefreien, neutralen Vermittlers in idealer Weise? Benedikt war vielleicht halbwegs neutral, soweit es um Politik im engeren Sinne ging. Religiös und religionspolitisch neutral war er nicht, er konnte es qua Amt auch gar nicht sein. Benedikt XV. sprach in seiner Friedensnote zwar auch von Gründen der Vernunft und der Humanität, vor allem agierte er jedoch als Papst, als „gemeinsamer Vater der Gläubigen“. Waren mit „den Gläubigen“ 181

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nur die Katholiken angesprochen, oder versuchte der Papst auch Christen anderer Konfessionen zu vereinnahmen? Die nationalkonservativ-protestantische „Tägliche Rundschau“ kommentierte jedenfalls abschätzig: „Gegen die geistliche Anmaßung einer Vaterschaft über uns alle schlechthin sei … aufs allerunzweideutigste Einspruch getan.“ 109 Dass der Papst als religiöses Oberhaupt einer katholischen Kirche agierte, die sich noch nicht endgültig von ihrem Anspruch auf weltliche Herrschaft in einem wie auch immer gearteten Kirchenstaat verabschiedet hatte und weiterhin der oben skizzierten spätscholastischen potestas–indirecta-Lehre mit arbiter-Funktion des Papstes im Kriegsfall anhing, schmälerte seine Vertrauensbasis bei Anglikanern, Protestanten, Laizisten oder Atheisten erheblich. Insbesondere Benedikts Forderung nach einem internationalen Schiedsgericht zur Regelung aller offenen Fragen dürfte auch auf eine Internationalisierung der „Römischen Frage“ gezielt haben. Es überrascht, dass diese politischen Eigeninteressen des Papstes kaum öffentlich diskutiert wurden. Die Regierungen in Italien, Frankreich und Russland sahen hier aber den wunden Punkt: 110 Eine glaubwürdige Vermittlerrolle konnte nur spielen, wer keinen „politischen Sonderstandpunkt“ vertrat. Das war bei Benedikt XV., trotz aller feierlichen Behauptungen in der Note vom 1. August, nicht der Fall. Sehr viel deutlicher als in der letztlich doch sehr diplomatisch formulierten Friedensbotschaft von 1917 sollten sich die Interessen des Papstes später in der Enzyklika Pacem dei munus von Pfingsten 1920 zeigen. Benedikt XV. wiederholte hier die Notwendigkeit der Lösung der „Römischen Frage“ und betonte, dass die katholische Kirche die vollendete Ausprägung einer universellen Gemeinschaft darstelle und dass einstmals das christliche Europa unter der Führung der katholischen Kirche auf eine Einheit hin ausgerichtet gewesen sei, die seinen Wohlstand und seinen Ruhm begünstigt hätten. Als ideale Basis einer neuen Friedensordnung betrachtete er also ein katholisches Abendland unter Führung des Papstes – und nicht den „maßlosen“ Frieden von Versailles, der den Keim des neuen Krieges in sich trage. 111 Wäre der Papst als Schiedsrichter im Spiegelsaal anwesend gewesen, wäre es zu einem gerechten Frieden gekommen, das sollten Benedikt XV. 1922 und auch Pius XII. noch 1940 behaupten. 112 Während Benedikt XV. die Idee eines Völkerbundes zunächst grundsätzlich begrüßt hatte, 113 distanzierte sich der Vatikan später davon, weil er im Völkerbund mehr und mehr ein Instrument zur Durchsetzung der Pariser Vorortverträge sah. 114 Der Papst ging zudem in seinen Vorschlägen über das hinaus, was einem Mediator an Kompetenzen im Allgemeinen zugewiesen wird. Zwar ging es auch ihm darum, erst einmal den Kontakt zwischen den Kriegsparteien wiederherzustellen, aber er beschränkte sich nicht auf die Rolle des Boten. Der Papst machte vielmehr ganz konkrete Vorschläge, um die Grundlage für eine Verständigung zu schaffen: Er forderte die Freiheit der Meere, wechselseitige Abrüstung, Deutschlands Rückzug aus Frankreich, Englands Rückzug aus den 182

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deutschen Kolonien, vor allem aber die vollständige Unabhängigkeit Belgiens. Außerdem regte er „die Einführung der Schiedsgerichtsbarkeit mit ihrer hohen friedensstiftenden Wirkung gemäß vereinbarter Normen unter Androhung bestimmter Nachteile gegenüber dem Staate, der sich weigern sollte, sich entweder in internationalen Streitfragen der Schiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen oder deren Entscheidungen anzunehmen“, an. 115 Eine Sanktionsgewalt fehlte Benedikt XV. allerdings, weswegen es auch kaum denkbar war, dass er selbst die Funktion eines Schiedsrichters übernahm. Zwar besaß er, wie Wilhelm II. so schön erkannt hatte, auch als religiöses Oberhaupt nach wie vor einen erheblichen Einfluss auf die katholischen Massen aller Nationen und damit auch mittelbar politische Macht. Aber auch große Teile des katholischen Klerus in den kriegführenden Ländern hatten zumindest anfangs die Kriegsbegeisterung weiter Bevölkerungskreise geteilt. 116 Und die Zeiten, in denen der Papst mit seinen Söldnern drohen oder den Deutschen Kaiser exkommunizieren konnte, waren definitiv vorbei. Benedikt XV. blieb lediglich, sein moralisches Gewicht in die Waagschale zu werfen. Um der Friedensinitiative zum Durchbruch zu verhelfen, war das zu wenig. Nach der Ablösung von Reichskanzler Bethmann Hollweg und dessen Staatssekretär Zimmermann durch Georg Michaelis und Richard von Kühlmann 117 im Verlauf der Julikrise und der Affäre um das Zimmermann-Telegramm 118 hatte sich die politische Ausgangslage in Berlin grundlegend geändert. Der neue Reichskanzler fühlte sich nämlich an die Zusagen seines Vorgängers nicht mehr gebunden und für den neuen Staatssekretär war die vatikanische Friedensinitiative nur ein Nebenschauplatz. Die Beantwortung der öffentlichen Päpstlichen Friedensinitiative durch die Reichsregierung verzögerte sich ebenso, wie sich die Antwort auf die internen Friedensvorschläge in die Länge gezogen hatte. Das lag auch in den deutschen Rahmenbedingungen begründet, schließlich musste nicht nur der Reichskanzler, das Auswärtige Amt, der Kaiser, die Verbündeten und nicht zuletzt der Reichstag zu diesem Thema gehört werden. Die komplexen Verhandlungen um eine deutsche Antwort zogen sich daher bis September hin. Neben Diego von Bergen war es vor allem wiederum Matthias Erzberger, der Nuntius Pacelli vertraulich über die Vorgänge in Berlin unterrichtete. Bereits die Zusammensetzung des Siebener-Ausschusses, eines zur Beantwortung der Friedensinitiative neu gegründeten Gremiums aus Mitgliedern der Reichstags und der Reichsregierung, lasse auf „eine große Mehrheit für die günstige Beantwortung der päpstlichen Friedensnote“ schließen, berichtete Erzberger am 23. August. 119 In zwei Sitzungen am 28. August und am 10. September beriet der Siebener-Ausschuss über die deutsche Antwort. Erzberger leitete die Sitzungsergebnisse umgehend an Pacelli weiter. Am 28. August schrieb er, in der deutschen Antwort solle „klar und unzweideutig zum Ausdruck gebracht werden, dass Deutschland unter den in der päpstlichen Friedensnote gegebenen Voraussetzungen bereit ist, vollkommene Unabhängigkeit Belgiens 183

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gegenüber jeder Macht herzustellen. Nach meinen Darlegungen brachten die Vertreter sämtlicher Parteien zum Ausdruck, dass die Erklärung über Belgien in der heutigen Situation das wirksamste Mittel darstelle, um sämtliche Mächte zu Verhandlungen zu bewegen und dies Letztere sei zweifelsohne die Absicht Seiner Heiligkeit“. 120 Erzberger legte ein Sitzungsprotokoll bei und kündigte einen Besuch bei Pacelli in München an. Das Protokoll diente Pacelli als Vorlage für seinen Nuntiaturbericht, der letztlich nur eine Übersetzung desselben ist. 121 Die Chancen für eine erfolgreiche Friedensvermittlung standen aus Pacellis Sicht nicht schlecht, denn auch im Bundesrat stieß die Päpstliche Friedensinitiative auf Wohlwollen. 122 Allein die Antwort der USA schien dem im Wege zu stehen, denn US-Präsident Wilson forderte wie bereits vorher Großbritannien die Demokratisierung des Deutschen Reichs als Voraussetzung für Friedensverhandlungen. 123 Pacelli folgte hier Erzbergers Auffassung, dass die von Wilson geforderten Punkte durch die Friedensresolution des Reichstags bereits erreicht seien. 124 Die britische Regierung nutzte den Heiligen Stuhl weiterhin als Mediator. Sie ließ der Reichsregierung über Nuntius Pacelli mitteilen, dass sie eine „bestimmte Erklärung über die Absichten der Kaiserlichen Regierung bezüglich der vollen Unabhängigkeit Belgiens“ erwarte. 125 Diese Aufforderung wiederholte Pacelli mehrfach, um auf deren Tragweite hinzuweisen. 126 Am 9. September berichtete er nach Rom, dass die deutsche Antwort „positiv“ sein würde. 127 Nach der Zweiten Sitzung des Siebener-Ausschusses am 10. September wartete Pacelli ungeduldig auf die deutsche Antwort. 128 Erzberger berichtete, dass die deutsche Antwortnote im letzten Entwurf fertig sei. „Sie darf als ungemein günstig für die päpstliche Aktion bezeichnet werden.“ 129 Am folgenden Tag schrieb er: „Wie der Stand der Dinge heute ist, so muß die Friedensaktion Seiner Heiligkeit zum Ziele führen, denn die belgische Frage ist geklärt. Sollte wider Erwarten irgendeine neue Schwierigkeit auftauchen, so bitte ich unbedingt, mich zu informieren, denn diese muß jetzt beseitigt werden. Der Herr Kardinalstaatssekretär würde sich ein großes Verdienst erwerben, wenn er die Entente bewegen könnte, auf unsere Vorschläge betreffend Belgien einzugehen. Jedenfalls steht die Sache so, daß wir die Friedensaktion jetzt nicht scheitern lassen können. Die Hauptschwierigkeiten sind ja auch beseitigt.“ 130 Es ist bezeichnend, dass es nicht Erzberger war, der Pacelli neue, nun negative Nachrichten brachte, sondern Viktor Naumann, 131 mit dem Pacelli ebenfalls in Kontakt stand. Naumann hatte im April des Jahres im Auftrag Giuseppe Aversas eine Denkschrift für den Heiligen Stuhl über die Notwendigkeit einer Päpstlichen Friedensinitiative nach der Russischen Februarrevolution verfasst. 132 Nun informierte Naumann den Nuntius darüber, dass die Oberste Heeresleitung und der belgische Generalgouverneur Erich von Falkenhausen133 eine positive Antwort in der Belgienfrage ablehnen würden. „Auch der Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten hat in der geheimen Sitzung des Sie184

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bener-Ausschusses am vergangenen Montag gesagt, dass Belgien für Deutschland als Pfand einen hohen Wert hat, der verloren gehen würde, wenn man die Karten offen auf den Tisch legen würde, besonders wenn die Forderungen des Feindes noch sehr hoch sind, und dass eine so starke Kriegswaffe nicht aus den Händen rinnen darf, gerade jetzt, da sich der Moment der offiziellen Friedensverhandlungen nähert. Ich bitte Eure Eminenz mir entsprechende Anweisungen zu geben, besonders ob ich der Reichsregierung zu verstehen geben soll, dass bei einer mangelnden positiven und konkreten förderlichen Erklärung Belgiens die Friedensverhandlungen stark gefährdet wären.“134 Pacelli erhielt am 14. September die vorläufige deutsche Antwort auf die Päpstliche Friedensinitiative, mit der er nur teilweise zufrieden sein konnte.135 „Mir scheint, dass dort im Wesentlichen die vollständige Annahme der päpstlichen Vorschläge als geeignete Basis für eine Erlangung des Friedens zu finden sei.“ Ihm war der Hinweis auf die Friedensresolution des Reichstags besonders wichtig, „einerseits weil dieser die Zusammenarbeit und die Einwilligung der Vertreter des Volkes in die Antwort der Regierung bestätigt, andererseits weil dort ausdrücklich die ‚mit Gewaltanwendung erlangten territorialen Erwerbe‘ und die ‚politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Verletzungen‘ ausgeschlossen werden, worunter die Belgienfrage fällt“. 136 Damit sah er offensichtlich ähnlich wie Erzberger die Forderungen Wilsons nach einer Demokratisierung Deutschlands als erfüllt an. Doch die deutsche Antwort hatte eine entscheidende Schwäche, denn die gesonderten Garantien in der Belgienfrage blieben ausgeklammert. Erzberger erklärte das dadurch, dass sich die Antwort „nach dem Wunsch des Herrn Kardinalstaatssekretärs … in allgemeinen Sätzen bewegen soll. Dagegen wird in der Antwort auf die vertrauliche Anfrage, die Euer Exzellenz von Rom übermittelten – diese wurde in der Kommission als Brief des Kardinalstaatssekretärs bezeichnet – auf die belgische Frage alsbald eingegangen werden. Staatssekretär von Kühlmann möchte nur die Sicherheit haben, daß es zu Friedensverhandlungen kommt, wenn er die Erklärung über Belgien abgibt. Er sagt sich nämlich mit Recht, daß, wenn er jetzt die Erklärung abgibt, ohne die Gewißheit, daß man jetzt die Friedensverhandlungen eintritt, dann hat er einen wichtigen Trumpf aus der Hand gegeben. Er sei bereit dazu, er müsse aber auch wissen, daß er einen politischen Erfolg habe. Es ist also nur die Taktik; prinzipiell ist die Sache in Ordnung.“ 137 Am folgenden Tag suchte Kühlmann Pacelli in München auf und sie verhandelten lange über die Belgienfrage. Der Nuntius versuchte den Staatssekretär davon zu überzeugen, dass diese in der deutschen Antwort eindeutig geklärt werden müsse, ging aber nicht davon aus, dass er erfolgreich gewesen war. „Wahrscheinlich wird die erste Antwort noch etwas vage sein; ich hoffe jedoch, dass man, besonders wenn seitens der Entente nur ein wenig guter Wille vorhanden ist, langsam, aber sicher zu einer gänzlich konkreten und befriedigenden Erklärung kommen wird.“ Im Entwurf des Nuntiaturberichts 185

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fehlt der Zusatz „besonders wenn seitens der Entente nur ein wenig guter Wille vorhanden ist“, den Pacelli erst später einfügte.138 Von der Reichsregierung waren keine weiteren Zugeständnisse mehr zu erwarten. Damit stand die Päpstliche Friedensinitiative vor dem Scheitern. Pacelli blieb nur der Blick zur Entente und die Hoffnung, dass seine Verhandlungsergebnisse ausreichen und die Ententemächte an den Verhandlungstisch bringen würden. Denn seine Versuche, die Veröffentlichung der deutschen Antwortnote zu verschieben, waren vergebens.139 „Die Regierung ist verwundert über die mangelnde Zufriedenheit des Heiligen Stuhles, weil sie glaubte, sehr viel zugestanden zu haben als ersten Schritt, auf den, wenn die Feinde entsprechend guten Willen zeigen sollten, weitere folgen würden.“ 140 In Deutschland verstand man die Sorgen Pacellis nicht und war zuversichtlich, dass es zu Friedensverhandlungen kommen würde. „Hier herrscht im Allgemeinen Optimismus und man beurteilt den Heiligen Stuhl als übertrieben pessimistisch.“ 141 So bestand die Reichsregierung auf dem Wortlaut ihres Antwortschreibens und dem Heiligen Stuhl blieb nichts anderes übrig, als dieses am 22. September im Osservatore Romano zu veröffentlichen.142

5. Pacellis Erklärungsversuche für den Fehlschlag Gerade der deutsche Verzicht auf Belgien war jedoch der springende Punkt der Friedensinitiative des Heiligen Stuhls gewesen. Die deutsche Vorleistung sollte der Entente, die den Papst als Vermittler nicht gewollt hatte, eine Ablehnung der Initiative so gut wie unmöglich machen. Doch ohne diese deutsche Vorleistung antworteten die Entente-Mächte entweder negativ oder gar nicht. 143 Pacellis leise Hoffnungen auf den guten Willen der Entente erfüllten sich nicht und seine Friedensmission war zusammen mit der Päpstlichen Friedensinitiative gescheitert. Bei wem lag die Verantwortung für dieses Scheitern? Worin lagen die Gründe für diesen diplomatischen Schlag ins Wasser? Pacellis sah sich selbst in der Defensive. Würde man ihm in Rom die Schuld für das Scheitern zuschreiben? Um diesen Eindruck zu entkräften, sandte er Abschriften seiner Briefe, die er in den letzten Tagen an Reichskanzler Michaelis und den Gesandten von Bergen gerichtet hatte, nach Rom. Er wollte damit zeigen, dass er alles getan hatte, um die Reichsregierung doch noch umzustimmen, und dass die Schuld für das Scheitern der Friedensinitiative nicht bei ihm, sondern bei dieser lag. Pacelli führte drei maßgebliche Gründe für den Fehlschlag an. Vor allem sei die komplizierte Struktur in Deutschland Schuld, da sehr viele Stellen in die Beantwortung der Friedensinitiative hätten einbezogen werden müssen: der Kaiser, das Militär, die Generalgouverneure, der SiebenerAusschuss und vor allem die Alliierten. Das, so hatte Staatssekretär Kühlmann in der zweiten Sitzung des Siebener-Ausschusses erklärt, sei der Grund dafür, 186

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weshalb die Belgienfrage schließlich in der deutschen Antwort nicht behandelt worden sei. Außerdem sei „die öffentliche Meinung über die Belgienfrage in Deutschland … noch sehr geteilt“ und die Presse sei bereits über den Termin der deutschen Antwort informiert gewesen, weshalb deren Veröffentlichung nicht hätte verschoben werden können. 144 „Eine zweite Schwierigkeitsquelle war und ist zweifelsohne eine fehlende päpstliche Repräsentanz mit festem Sitz in Berlin. Es ist eine höchst beschwerliche Sache, aus der Distanz die Ereignisse zu verfolgen und zu agieren. Auch ist es nicht ratsam, es zur Gewohnheit zu machen, nur für einige Tage dorthin zu gehen; dies kann sogar manchmal unangemessen und schädlich sein, besonders in einigen ernsteren und delikateren Momenten, in denen eine Reise des Nuntius von München nach Berlin unendliches Gerede und Verdächtigungen mit sich bringen würde, die die Regierung selbst in Verwirrung bringen und Hindernisse anwachsen lassen würde … Zum Glück kann ich, da ich persönlich die wichtigsten Staatsmänner Berlins kennen gelernt habe, mit ihnen brieflich korrespondieren, aber, da ich nicht bei der Reichsregierung akkreditiert bin, hat diese Korrespondenz nur vertraulichen und nicht offiziellen Charakter und kann niemals den beständigen Kontakt und das mündliche Gespräch ersetzen.“145 Als dritte Schwierigkeit für eine erfolgreiche Friedensvermittlung nannte Pacelli den in Deutschland herrschenden Optimismus. „Ein solcher Optimismus betrifft nicht nur die innere Lage und die militärische Situation Deutschlands, besonders nach dem wirkungsvoll bestrittenen Widerstand an der Ostfront und den Siegen über Russland mit der gefeierten Einnahme von Riga, sondern auch die Wahrscheinlichkeit eines nahen Friedens.“ 146 Seine Warnungen vor einem Scheitern seien als „übertrieben pessimistisch“ abgetan worden. 147 Staatssekretär Kühlmann habe ihn bei seinem Besuch in München auf ihm vorliegende Hinweise aufmerksam gemacht, „die ihn vertraulich aus England erreichen“ und die „ein beständiges Anwachsen des Wunsches nach Friedens deutlich machen“. 148 Darüber hinaus hatte der bayerische Außenminister Georg Graf von Hertling Pacelli bei der Übergabe des bayerischen Antwortschreibens auf die Päpstliche Friedensinitiative am Vortag darauf aufmerksam gemacht, „dass die Entente – und besonders England – Deutschland seinen Wunsch zu verstehen gegeben hat, den Frieden geheim zu verhandeln und dass man in Berlin sogar einen Verhandlungsführer (der möglicherweise neutral sein wird) erwartet“. 149 Bei diesem Vermittler handelte es sich um den spanischen Gesandten in Brüssel, den Marqués de Villalobar, 150 durch dessen Vermittlung Kühlmann in Fühlung mit England und über dieses mit den anderen Ententemächten gelangen sollte. Auch dieser spanischen Mediation sollte allerdings kein Erfolg beschieden sein. 151 Doch von alledem konnte Pacelli nichts wissen und so konnte er auch nicht vorhersehen, „welchen Ausgang diese etwaigen geheimen Verhandlungen ha187

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ben können, die sich, wenn sie sich nicht zum Misserfolg verdammen wollen, notwendigerweise mit den höchst weisen päpstlichen Vorschlägen decken müssen. Auf jeden Fall, was auch immer man über solche Verhandlungen denken will, ist unangezweifelt, dass man ihnen hier Wichtigkeit beimisst und dies scheint mir zu erklären, warum Deutschland sich noch nicht eindeutig zur Belgienfrage aussprechen und als Konsequenz seine Positionen kompromittieren will.“ 152 Aus diesen Gründen habe die Reichsregierung keine „bessere Antwort“ gegeben. Sie glaube darüber hinaus, „als ersten Schritt sehr viel eingestanden zu haben (besonders wenn man dies mit der Einstellung der Entente vergleiche) und meine zudem, dass ihre Notiz den Weg zu weiteren Verhandlungen offen lasse“. 153

6. Der Papst als moralischer Sieger? Oder: Das symbolische Kapital des Scheiterns Am 23. September fuhr Matthias Erzberger in die Münchener Nuntiatur, wo er auf einen verzweifelten Nuntius traf. „Exzellenz Pacelli begrüßte [mich] mit den Worten: ‚Ich bin ganz mutlos, die Friedensaktion ist gescheitert, die deutsche Regierung trägt die Schuld. Ich habe, so lange Sie von Berlin abwesend waren, dreimal dringend auf Wunsch des Kardinalstaatssekretärs nach dorten telegraphiert. Man hat mir keine Antwort gegeben, oder nur eine mündliche … Ich bin ganz mutlos und weiß nicht, was nun aus der Friedensaktion werden soll.‘“ Der Nuntius ließ durchblicken, dass er sich zurückgesetzt fühle, dass er auf seinen Brief vom 30. August an den Reichskanzler bis heute noch keine Antwort erhalten habe … Wenn Berlin nicht mit ihm verhandeln wolle, so solle man dies offen sagen, aber als Nuntius könne er sich mit dieser Zurücksetzung nicht einverstanden erklären.154 Erzberger sah allerdings keinen Grund für Pacellis Pessimismus, denn schließlich werde bald eine deutsche Antwort auf die Belgienfrage erscheinen. Laut seiner Aktennotiz „besprachen“ Erzberger und Pacelli „dann den nach Rom zu verfassenden Bericht, der dem Kardinalstaatssekretär die Gesichtspunkte klar vor Augen führt und ihm erklärt, dass in Deutschland bei jeder Aktion immer 8 bis 10 Instanzen zu berücksichtigen sind. Der Kardinalstaatssekretär möge der Entente erklären, dass er von dem Inhalt der Antwortnote befriedigt sei und wünsche, dass die Entente eine ähnliche Note abfassen möchte. Der Nuntius versprach dies.“ Pacelli habe umgehend ein Telegramm nach Rom geschickt mit dem Inhalt, „dass er der Auffassung sei, dass Deutschland die Note in den Grundzügen akzeptiert habe“. Erzberger versprach, „alles zu tun, damit die Friedensaktion nicht scheitere“. 155 Ein solches Telegramm Pacellis konnte allerdings weder im Protokollbuch der Münchener Nuntiatur noch in den Beständen des Vatikanischen Geheimarchivs nachgewiesen werden. 188

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Kardinalstaatssekretär Gasparri versuchte von Rom aus zu retten, was noch zu retten war. Er ließ Pacelli bei Erzberger anregen, Reichskanzler Michaelis solle in seiner anstehenden Reichstagsrede am 26. September sagen, „Deutschland hätte größtenteils die Bedingungen akzeptiert, die der Heilige Stuhl vorgeschlagen habe, um über den Frieden zu verhandeln, wobei es sich vorbehalten hätte, diese durch eigene Verhandlungen zu präzisieren und zu vervollständigen.“ 156 Michaelis tat dies jedoch nicht. Bereits am 24. September hatte er dem Nuntius die von diesem angemahnte Antwort auf das Schreiben vom 30. August zugesandt. Doch gemäß der „Faustpfandtheorie“ seines Staatssekretärs Kühlmann sah sich der Reichskanzler „im heutigen Stadium der Dinge noch nicht in der Lage, … eine bestimmte Erklärung über die Absichten der Kaiserlichen Regierung im Hinblick auf Belgien und auf die von uns gewünschten Garantien abzugeben“. 157 Erzberger blieb auch nach dieser deutlichen Absage immer noch optimistisch. „Ich bitte Euer Exzellenz, mir zu vertrauen, daß die Friedensfrage gut weiter gehen wird.“ 158 Doch für Pacelli war die Friedensinitiative endgültig gescheitert. „Ich wäre sehr erfreut, Ihre wohlwollenden Überzeugungen zu teilen, aber leider erlauben die Tatsachen es mir nicht. Auf jeden Fall vertraue ich auf die göttliche Vorsehung, welche das Schicksal der Nationen lenkt.“ 159 Obwohl der Nuntius Erzberger, „der leicht von übertriebenem Optimismus in eine zu düstere Einschätzung der Lage“ treibe, bereits im Juli des Jahres treffend als „ein wenig impulsiv“ charakterisiert hatte, war er dessen Optimismus lange genug aufgesessen.160 Das hatte nun wohl auch Pacelli selbst bemerkt. Diese neue Einschätzung führte Pacelli allerdings nicht zu einer völligen Abkehr von seinem Informanten, sie ließ ihn aber vorsichtiger werden. Als Erzberger im Oktober verstärkt in die Kritik der konservativen Katholiken um den Kölner Kardinal Felix von Hartmann und den bayerischen Staats- und Außenminister Georg Graf von Hertling geriet, stützte ihn der Nuntius auch weiterhin. „Trotz solcher Einwände glaube ich nicht ihn aufgeben zu können, weil er intelligent und fähig ist, erfüllt von den besten Absichten, von einem außergewöhnlichen Einsatz und weil er der Nuntiatur und dem Heiligen Stuhl (vielleicht als einziger Politiker des Zentrums), von sich aus viele Dienste geleistet hat und leistet; aber natürlich muss ich die größtmögliche Vorsicht walten lassen, vor allem weil sich unter seinen unbestreitbaren hochgeschätzten Qualitäten die der Besonnenheit, des Maßes und der Zurückhaltung sicherlich nicht in der ersten Reihe befinden.“ 161 Pacelli schrieb sich Ende September den Frust von der Seele. Er fühlte sich von der Reichsregierung bewusst getäuscht. Staatssekretär Kühlmann habe ihn zwar bei seinem Besuch in der Nuntiatur vorgewarnt, „die erste Antwort würde wahrscheinlich etwas vage sein; aber er ließ mich auch hoffen, dass, besonders wenn die Entente von ihrer Seite ein wenig guten Willen zeigen würde, man langsam, aber sicher zu einer gänzlich konkreten und zufrieden stellenden Formulierung kommen würde. Leider ist der erste Teil der Vorhersage 189

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bereits eingetreten, auch jenseits dessen, was Herr von Kühlmann mir gegenüber geäußert hat, obwohl die Antwort des Herrn Kanzlers mir sogar noch weniger als einfach nur vage erschien; Gott mache, dass die für die Zukunft ersonnenen Hoffnungen Wirklichkeit werden!“ 162 Und weiter: „Zweifelsohne hat die Angelegenheit des Friedens in der letzten Zeit in Deutschland mehrere Schritte nach hinten gemacht. Außerdem war es hier immer so: wenn die Dinge eher schlecht laufen, sind sie bereit zu jedem Vergleich; aber wenn sich auch nur ein wenig der Horizont erhellt, verlieren sie sich in den verrücktesten Illusionen und schreiten fort zu unerhörten Forderungen, die gegen die eigentlichen Interessen des Landes sind. Möge der Herr helfen, dass die unsterbliche Initiative unseres geliebten Heiligen Vaters hier nicht auf neue und mächtigere Hindernisse treffe!“163 Aus der Bayerischen Staatszeitung entnahm Pacelli den Wortlaut einer Rede, die Reichskanzler Michaelis zwischenzeitlich vor dem Hauptausschuss des Reichstags gehalten hatte. Michaelis hatte ausgeführt: „Es ist nur schwer zu verstehen, wie ein Kenner der internationalen Lage und Gepflogenheiten jemals glauben könnte, dass wir in der Lage sein könnten, uns mit einer unilateralen und öffentlichen Erklärung zu unseren Ungunsten zur Lösung solch wichtiger Fragen äußern zu können, die unlösbar verbunden sind mit dem Problemkomplex, der in den eventuellen Friedensverhandlungen behandelt werden muss. Eine ähnliche Erklärung würde derzeit nur dazu führen, Verwirrung zu stiften und die Interessen Deutschlands zunichte zu machen. Ich muss daher momentan ablehnen, unsere Kriegsziele zu präzisieren und unsere Verhandlungsführer einzuengen.“ Pacelli fühlte sich von diesen Worten persönlich angegriffen. Von seiner wohlwollenden Charakterisierung des neuen Reichskanzlers von Mitte Juli blieb nach dem Scheitern der Friedensinitiative nun nicht mehr viel übrig. „Solche Worte erscheinen wie eine rüde und kategorische Antwort auf die lebhaft wiederholten Bemühungen, die ich die ganze Zeit umsonst im Namen des Heiligen Stuhles angestrengt habe, – und auch kürzlich nach dem chiffrierten Telegramm Eurer Eminenz vom 24. des laufenden Monats – mit dem Ziel eine eindeutige und explizite Annahme der Punkte drei und vier des päpstlichen Vorschlags zu erhalten. Um die Wahrheit zu sagen, war von einem fanatischen Protestanten, der Dr. Michaelis nun einmal ist, auch nichts anderes zu erwarten!“ 164 Doch lag die Verantwortung für das Scheitern der Päpstlichen Friedensinitiative tatsächlich nur bei der Reichsregierung? Trug der Heilige Stuhl nicht selbst eine Mitverantwortung? War das Scheitern denn nicht vorhersehbar? 165 Schließlich hatte man sich und auch die Reichsregierung unter zeitlichen Druck gesetzt, da die deutsche Antwort auf die päpstlichen Friedensvorschläge bis zum Beginn des dritten Kriegsjahres beziehungsweise spätestens bis zur Konferenz der Ententemächte Anfang August vorliegen sollte. 166 Obwohl sich die deutsche Antwort verzögerte und noch keine Zusicherungen vorlagen, lancierte Benedikt XV. vorschnell die öffentliche Friedensinitiative. Die deutsche 190

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Abb. 2: Titelbild des „Kladderadatsch“ vom 9. September 1917

Antwort darauf war ungewiss, vor allem nach dem Kanzlerwechsel von Bethmann Hollweg zu Michaelis von Mitte Juli. In der Friedensresolution des Reichstags vom 19. Juli mag der Heilige Stuhl ein Friedenssignal gesehen haben, das in seinen Augen nicht unbeachtet bleiben durfte. Dabei schätzte man in Rom die tatsächlichen Machtverhältnisse im Deutschen Reich falsch ein. Denn die politische Macht im Deutschen Reich lag nicht beim Reichstag, der einen Frieden ohne Annexion anstrebte, sondern bei der Reichsregierung und bei der einflussreichen Obersten Heeresleitung, die für einen annexionistischen Frieden standen. Die Fehleinschätzung des Heiligen Stuhls über die politischen Verhältnisse 191

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im Deutschen Reich zeigt sich auch darin, dass die britische Regierung bereits Ende Juli auf die Demokratisierung des Reichs als Vorbedingung für Friedensverhandlungen hingewiesen hatte. Auf einen solchen Einwand der Entente, der die Friedensinitiative umgehend zum Scheitern verurteilte und wie ihn USPräsident Wilson in seinem Antwortschreiben dann auch öffentlich erhob, musste der Heilige Stuhl vorbereitet sein. Die Anweisung an Pacelli, er solle sich beim Kaiser für die Einführung einer parlamentarischen Monarchie einsetzen, konnte dieser allein aus zeitlichen Gründen vor der öffentlichen Friedensinitiative nicht umsetzen. Doch es stellt eine fundamentale Fehleinschätzung dar, wenn man im Vatikan tatsächlich davon ausgegangen sein sollte, dass ein päpstlicher Nuntius, auch wenn er der Spitzendiplomat des Heiligen Stuhls war, den Deutschen Kaiser zu einem solchen Schritt hätte veranlassen können. Auf eine weitere Friedensinitiative ließ sich der Papst denn auch trotz entsprechender Anfragen von deutscher Seite nicht mehr ein. 167 Benedikt XV. und seine Diplomaten waren gescheitert, der Stern einer Friedensinitiative war ergebnislos verglüht, wie es eine „Kladderadatsch“-Karikatur versinnbildlicht. Pacelli hatte, gestützt auf die Informationen Erzbergers, die Lage zu optimistisch eingeschätzt, der skeptische Gasparri hatte recht behalten. Oder etwa doch nicht? Politisch gesehen war die Friedensinitiative von 1917 ein glatter Fehlschlag; an dieser Feststellung gibt es nichts zu rütteln. Vermittler haben durch ihre Tätigkeit aber vor allem symbolisches Kapital zu gewinnen. 168 Und das Beispiel Benedikts XV. zeigt, dass auf dieser Ebene die Frage von Gewinn und Verlust nicht vom unmittelbaren Erfolg der Vermittlungstätigkeit abhängt. Der Papst hatte mit seinen vielfältigen caritativen Bemühungen während des Ersten Weltkriegs, aber auch durch seine Friedensinitiative, ein Zeichen gesetzt und an Prestige und Ansehen gewonnen.169 Nicht nur in der katholischen, sondern auch in der parteilosen und liberalen Presse Deutschlands hatte er viel Anerkennung geerntet. Obwohl das Zentrum und die vom katholischen Lehramt verurteilte SPD im Reichstag schon häufiger gemeinsame Interessen verfolgt hatten, bemerkte beispielsweise der sozialdemokratische „Vorwärts“ nicht ohne Verwunderung: „Sozialismus und Papsttum – fürwahr ein seltsames Gespann!“ 170 Friedensaktivisten in aller Welt sahen in Papst Benedikt XV. und seinen Nachfolgern jetzt mögliche Verbündete, deren soziales und symbolisches Kapital nicht zu verachten war. Erste Recherchen im Vatikanischen Geheimarchiv haben bereits gezeigt, dass nicht nur Katholiken, sondern auch Sozialisten Pius XI. 171 immer wieder um Vermittlung bei internationalen Konflikten baten, so zum Beispiel der britische Friedensaktivist George Lansbury 172 im Britisch-Irischen Handelskrieg von 1932 bis 1938. 173 Der Vatikan hielt sich zunächst jedoch sehr zurück. Und in den Lateranverträgen wurde 1929 zwischen Italien und dem Heiligen Stuhl ein Kompromiss gefunden, der diese Zurückhaltung festschrieb: „Hinsichtlich der ihm auch auf internationalem 192

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Gebiete zustehenden Souveränität erklärt der Heilige Stuhl, daß er den weltlichen Streitigkeiten zwischen den andern Staaten und den ihretwegen einberufenen internationalen Kongressen fernbleiben will und fernbleiben wird, sofern die streitenden Parteien nicht gemeinsam an seine Friedensmission appellieren. In jedem Falle behält er sich jedoch vor, seine moralische und geistige Macht geltend zu machen.“ 174

7. „Schweigen“ statt Mediation? Pius XII. im Zweiten Weltkrieg und die Lehren von 1917 Eugenio Pacelli, der Mann, der 1917 maßgeblich am Scheitern der Friedensinitiative Benedikts XV. beteiligt war, sollte 1939 als Papst Pius XII. ein schweres Erbe antreten. Er agierte noch vorsichtiger als seine Vorgänger. Gerade ein halbes Jahr war er im Amt, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Pius XII. verurteilte den Überfall des Deutschen Reichs auf Polen mit deutlichen Worten. 175 Sein Anspruch, über den Parteien zu stehen, hinderte ihn auch in den folgenden Jahren nicht daran, immer wieder eindringlich zum Frieden aufzurufen. Auf vielfältige Weise setzte er sich außerdem für Kriegsgefangene, Flüchtlinge und Deportierte ein. 176 Auch seine Auffassungen von Gerechtigkeit äußerte er wiederholt: So verurteilte er zum Beispiel den Rassismus öffentlich, am deutlichsten vielleicht in seiner Weihnachtsansprache 1942. In dieser verwandte er sich ausdrücklich für die „Hunderttausende, die ohne eigenes Verschulden, bisweilen nur aufgrund ihrer Nationalität oder Rasse dem Tod oder fortschreitender Vernichtung preisgegeben sind“. 177 Um sich von seiner Position der Unparteilichkeit aus nicht allzu weit vorzuwagen, nahm er Zuflucht zur ‚uneigentlichen Rede‘. Pius XII. ging offenbar davon aus, dass allen Hörern klar sein musste, dass damit vor allem die Juden gemeint waren. Zu noch klareren Worten konnte er sich jedoch nicht durchringen. Mehr noch als seine Vorgänger war er darauf bedacht, unter gar keinen Umständen in den Geruch zu kommen, in irgendeiner Weise parteiisch zu sein. Dass er sich selbst Zurückhaltung auferlegte, dass er nicht alles tat, was er hätte tun können, schrieb Pius XII. immer wieder selbst. In seinen Briefen an die deutschen Bischöfe erläuterte Pius XII. während des Zweiten Weltkriegs seine Vorstellungen von der päpstlichen Unparteilichkeit im Krieg wiederholt. Ganz bewusst spreche er dabei von „Unparteilichkeit“, nicht von „Neutralität“, erklärte der Papst dem Münchener Kardinal Michael von Faulhaber. 178 „Neutralität könnte im Sinne einer passiven Gleichgültigkeit verstanden werden, die dem Oberhaupt der Kirche einem solchen Geschehen gegenüber nicht anstünde.“ 179 Und dem Würzburger Bischof Matthias Ehrenfried 180 schrieb er 1941: „Wo der Papst laut rufen möchte, ist ihm leider manchmal abwartendes Schweigen, wo er handeln und helfen möchte, geduldiges Harren geboten.“ 181 Wie ist diese Politik der Unparteilichkeit Pacellis zu erklären? In der For193

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schung herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass der Fehlschlag der Friedensinitiative Benedikts XV. von 1917 eine der Ursachen für den strikten Kurs der Unparteilichkeit Pius’ XII. im Zweiten Weltkrieg war. 182 Die Auswertung seiner Nuntiaturberichte scheint diese bisherigen Ergebnisse zu bestätigen. Zudem lässt sie erstmals einen Blick hinter die Kulissen des Heiligen Stuhls zu. Als Nuntius war Eugenio Pacelli ein für allemal zu dem Schluss gelangt, dass sich der Heilige Stuhl bei internationalen Konflikten strikt unparteilich zu verhalten habe. Deswegen überließ er als Papst die unmittelbare Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten den deutschen Bischöfen, die er mehrfach vorsichtig zum öffentlichen Protest ermunterte. An eine Friedensinitiative nach dem Muster von 1917 war im Zweiten Weltkrieg nicht zu denken. Im Vernichtungskrieg gab es keine Verhandlungsmasse oder allgemeinen Grundsätze, auf die sich die Kriegsparteien hätten einigen können. Im Zweiten Weltkrieg wäre der Papst deshalb nicht als abseits stehender padre commune der Katholiken und auch nicht als intermediatore oder gar Richter gefordert gewesen, sondern als Ankläger von Holocaust und Vernichtungskrieg. Der Papst hätte den Katholiken Adolf Hitler exkommunizieren können. 183 Er hätte die katholischen Soldaten der Achsenmächte vom Treueid auf ihre Führer entbinden können. Und er hätte natürlich auch den Holocaust ausdrücklich und öffentlich verurteilen können. Ungeachtet aller möglichen konkreten Folgen hätte er damit ein großartiges Zeichen gesetzt. Heute scheint klar zu sein: Nicht Unparteilichkeit, sondern eine bedingungslose Parteinahme für alle Verfolgten, ob Katholiken oder nicht, wäre das Gebot der Stunde gewesen. Dafür hätte sich Pius XII. vom über den Konfliktparteien stehenden Seelenhirten ganz zum entschiedenen „summus legis aeternae interpres et vindex“ entwickeln müssen. Stattdessen blieb Pacelli im Zwiespalt zwischen verschiedenen Rollenvorgaben gefangen. Hatte er dafür hinreichend legitime Gründe? Eine solche vor allem normative Frage ist allein durch Quellenstudien nicht abschließend zu beantworten. Die Diskussion über die Friedenspolitik von Benedikt XV., Pius XI. und vor allem Pius XII. wird deswegen auch dann nicht enden, wenn in vielleicht zehn Jahren die Archivbestände aus den Jahren des Zweiten Weltkriegs zugänglich werden.

8. Fazit Auch wenn die katholische Geschichtsschreibung Benedikt XV. zum völlig uneigennützigen Vermittler und göttlichen Friedensboten stilisiert 184 und die Schuld am Scheitern der Friedensinitiative je nach nationalem Standpunkt den Mittelmächten oder der Entente angelastet hat, ist die Lage doch wesentlich komplizierter. Benedikt XV. und seine Nachfolger suchten ohne Zweifel ernsthaft Frieden zu vermitteln. Aber sie standen vor einem mehrfachen Dilemma: 194

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Erstens mussten sie das päpstliche Selbstverständnis, dass mit den Dogmen vom universellen Jurisdiktionsprimat und der Unfehlbarkeit in Glaubens- und Sittenfragen von 1870 ins Unermessliche gestiegen war, mit der Rolle des uneigennützigen Mittlers zusammenbringen. Wenn die These stimmt, dass sich der päpstliche Primat seinem Anspruch nach gerade nicht nur auf den innerkirchlichen Bereich beschränkte, sondern im Sinne der unter Leo XIII. wieder entdeckten spätscholastischen potestas–indirecta-Lehre auch für den Fall galt, dass die christliche Religion durch Krieg gefährdet war, dann konnte der Papst nur als arbiter mundi und kaum als bescheidener mediator pacis auftreten – aller Fassade zum Trotz. Aber wie sollte das in der „ungläubigen“ Moderne, in der es eben keine christlichen Fürsten mehr gab, noch funktionieren? Außerdem stießen hier unterschiedliche Rechtsschulen in der Kurie aufeinander, für die Kardinalstaatssekretär Gasparri und Papst Benedikt XV. exemplarisch standen. Nathalie Renoton-Beine spricht im Zusammenhang der Päpstlichen Friedensinitiative zurecht davon, die Kurie sei hin- und hergerissen gewesen „entre le respect d’une stricte neutralité e la volonté de résoudre la question romaine“, so dass es schwierig, wenn nicht gar unmöglich gewesen sei, „à définir une ligne de conduite, susceptible de créer un climat de confiance propre à une médiation de paix“. 185 Zweitens durfte ein Vermittler oder gar ein Schiedsrichter keinerlei Eigeninteressen verfolgen, keinen „politischen Sonderstandpunkt“ einnehmen. Eigeninteressen des Papstes spielten aber durchaus eine Rolle beim Friedensengagement Benedikts XV. Es galt vor allem, den Kampf Katholiken gegen Katholiken zu beenden, der die Einheit der katholischen Kirche gefährdete. Außerdem sollte im Kontext des Friedens die Römische Frage internationalisiert und Italien so zu einer für den Heiligen Stuhl befriedigenden Lösung gezwungen werden. Drittens zeigen die neuen vatikanischen Quellen zur Nuntiatur Pacellis, wie abhängig der Papst in seinen Entscheidungen von den Informationen und Informanten war, die seine Diplomaten vor Ort lieferten. Wie sehr Nuntius Pacelli von Erzberger abhängig war und wie sehr er dessen optimistischer Einschätzung aufsaß, wird aus den Münchener Nuntiaturakten und den Berichten an Kardinalstaatssekretär Gasparri überdeutlich. Die beste Absicht, Friedensmediator sein zu wollen, war zum Scheitern verurteilt, weil Benedikt XV. – vermittelt durch Pacelli – die deutsche Haltung in der Belgienfrage völlig falsch einschätzte. Mediation kann nur gelingen, wenn der Vermittler über die Verhandlungsspielräume der Kontrahenten genauestens informiert ist. Dies war bei der Päpstlichen Friedensinitiative nicht der Fall. Hier zeigen sich die Grenzen der vielgerühmten päpstlichen Diplomatie. Schließlich ist ein viertes Dilemma anzusprechen, in dem der Papst als Friedensstifter bis heute steht: Tritt er kompromisslos für das Gute und Gerechte ein, wie es die christliche Botschaft vom vicarius Christi verlangt, wird er rasch Partei. Will er hingegen über den Parteien stehen, um padre commune 195

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bleiben zu können, verrät er möglicherweise die christlichen Grundprinzipien, was nicht zuletzt Pius XII. mit Blick auf den Holocaust vorgeworfen wird. Als Johannes Paul II. 186 den Irakkrieg verurteilte, stand er genau vor diesem Dilemma. Er wurde umgehend, vor allem von US-amerikanischen Katholiken, der Parteilichkeit geziehen, was seine Stellung als Vater aller Gläubigen gefährdete. Deshalb scheinen Päpste bei allen guten Absichten als allgemein akzeptierte Mediatoren nur bedingt geeignet zu sein. Aber das symbolische Kapital, das sie durch ihre Friedensbemühungen ohne Zweifel gewonnen haben, ist vielleicht der wichtigste Ertrag für einen Wiederaufstieg des Papsttums als politischer Akteur im Zeitalter der „public religion“ (José Casanova) des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Anmerkungen * Erweiterte und mit Quellen ergänzte Fassung meiner Ringvorlesung „Der gescheiterte Frieden? Päpste, Politiker und Massen im 20. Jahrhundert“ vom 2. Dezember 2008. Ich danke den Teilnehmern der Ringvorlesung für anregende Gespräche und Hinweise, die ich vor allem in Einleitung und Schlussteil der Schriftfassung aufgegriffen habe, sowie Dr. Holger Arning, Dr. Sascha Hinkel, Dr. Barbara Schüler und PD Dr. Klaus Unterburger für ihre Mitarbeit bei Konzeption und Überarbeitung des Beitrags. 1 Wilhelm II. (1859–1941), 1877 Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Bonn, 1888 Deutscher Kaiser und König von Preußen, 1890 verlangte er den Rücktritt des Reichskanzlers Fürst Otto von Bismarck, 1916 Einflussverlust auf die militärische Kriegführung, November 1918 Abdankung und Flucht in die Niederlande. Vgl. Christopher M. Clark, Wilhelm II. Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers, München 2008; Karl-Heinz Janssen, in: DBE 10, 2008, S. 634; John C. G. Röhl, Wilhelm II., 3 Bde., München 1993–2008; Klaus-Gunther Wesseling, in: BBKL 13, 1998, S. 1178–1217, online unter http://www.bbkl.de/w/wilhelm_ii.shtml (Stand: 27. 8. 2009). 2 Benedikt XV. (Giacomo Giovanni Battista della Chiesa) (1854–1922), 1871 Studium der Rechtswissenschaften in Genua, 1875 Studium der Theologie an der Gregoriana in Rom, 1878 Priesterweihe und Eintritt in die Päpstliche Diplomatenschule der Priesterakademie, 1880 Dr. jur. can., 1883 Sekretär der Nuntiatur in Madrid, 1887 Kabinettschef des Staatssekretariats, 1901 Unterstaatssekretär, 1907 Erzbischof von Bologna, 1914 Kardinal, 3. September 1914 Wahl zum Papst Benedikt XV. Vgl. Hans-Georg Aschoff, Benedikt XV. (1914–1922). Profil eines Pontifikats, in: HJ 127, 2007, S. 295–329; Friedrich Wilhelm Bautz, in: BBKL 1, 1990, S. 491–493, online unter http://www.bautz.de/bbkl/ b/benedikt_xv_p.shtml (Stand: 15. 6. 2009); François Jankowiak, Benoît XV, in: Philippe Levillain (Hg.), Dictionnaire de la papauté, Paris 1994, S. 219–224; Jean-Marie Mayeur, Drei Päpste. Benedikt XV., Pius XI., Pius XII., in: Ders. (Hg.), Die Geschichte des Christentums, Bd. 12: Erster und Zweiter Weltkrieg. Demokratien und totalitäre Systeme, Freiburg i. Br. u. a. 1992, S. 4–40; John F. Pollard, The Unknown Pope. Benedikt XV. (1914–1922) and the Pursuit of Peace, London 1999; Nathalie Renoton-Beine, La colombe et les tranchées. Benoit XV et les tentatives de paix durant la Grande Guerre, Paris 2004; Georg Schwaiger, Papsttum und Päpste im 20. Jahrhundert. Von Leo XIII. bis Johannes Paul II., München 1999, S. 161–192; Oktavian Schmucki, in: LThK3 2, 1994, Sp. 209 f.

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Der Papst als Mediator? 3 Woodrow Wilson (1856–1924), 1875 Studium in Princeton, 1879 Studium der Rechtswissenschaft in Virginia, 1886 Dr. phil., 1890–1910 Professor für Rechtswissenschaft und Nationalökonomie in Princeton, 1902 Präsident der Universität Princeton, 1910 Gouverneur von New Jersey, 1912–1921 Präsident der USA, 1917 Kriegseintritt der USA, 1918 14-Punkte-Programm, 1920 Friedensnobelpreis. Vgl. John Milton Cooper (Hg.), Reconsidering Woodrow Wilson: Progressivism, Internationalism, War, and Peace, Baltimore 2008; Arthur Stanley Link (Hg.), The Papers of Woodrow Wilson, 69 Bde., Princeton 1966–1994; Ders., Wilson, 5 Bde., Princeton 1947–1967. 4 Handschreiben Papst Benedikts XV. an Kaiser Wilhelm II. vom 16. Januar 1917 mit Randvermerken des Kaisers, in: Wolfgang Steglich (Hg.), Der Friedensappell Papst Benedikts XV. vom 1. August 1917 und die Mittelmächte. Diplomatische Aktenstücke des Deutschen Auswärtigen Amtes, des Bayerischen Staatsministeriums des Äußern, des Österreichisch-Ungarischen Ministeriums des Äußern und des Britischen Auswärtigen Amtes aus den Jahren 1915–1922, Wiesbaden 1970, S. 63 f., alle Zitate S. 64. 5 Zu Begriff und Problematik von Mediation vgl. die Beiträge in diesem Band. Dazu jetzt auch Alexander Koller, Art. ‚Mediation‘, in: Enzyklopädie der Neuzeit 8, 2009, Sp. 213–219. 6 Vgl. das Londoner Abkommen über den Kriegseintritt Italiens an der Seite der Entente vom 26. April 1915, Art. 15: „Frankreich, Großbritannien und Rußland werden den Widerstand unterstützen, den Italien jedem Vorschlag erweisen wird, der dahin geht, den Vertreter des Heiligen Stuhles zur Mitwirkung an allen Verhandlungen in Bezug auf den Frieden und die Regulierung der Fragen, welche der gegenwärtige Krieg aufwirft, heranzuziehen.“ Norddeutsche Allgemeine Zeitung vom 7. Dezember 1917; John Fisher, Curzon and British Imperialism in the Middle East, 1916–1919, London – Eastbourne 1999, S. 307–309. 7 Renoton-Beine, Colombe (wie Anm. 2), S. 52–59. 8 Apostolisches Mahnschreiben „Dès le debut“ Benedikts XV. an die Oberhäupter der kriegführenden Völker vom 1. August 1917, in: AAS 9, 1917, S. 417–420; Steglich (Hg.), Friedensappell (wie Anm. 4), S. 160–162; René Schlott, Die Friedensnote Papst Benedikts XV. vom 1. August 1917. Eine Untersuchung zur Berichterstattung und Kommentierung in der zeitgenössischen Berliner Tagespresse (Schriftenreihe Studien zur Zeitgeschichte 57), Hamburg 2007, S. 95–99. 9 Eugenio Pacelli (1876–1958), 1894 Studium der Philosophie, Theologie und des kanonischen Rechts am Capricanica-Kolleg, an der Gregoriana und am Apollinare in Rom, 1899 Priesterweihe, 1901 Dr. theol. und Apprendista der Kongregation für die außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten, 1902 Dr. jur. utr., 1903 Minutant in der Kongregation für die außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten, 1911 Unterstaatssekretär ebenda, 1912 Konsultor des Heiligen Offiziums, 1914 Sekretär in der Kongregation für die außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten, 1917 Titularerzbischof von Sardes, 1917– 1925 Nuntius in Bayern, 1920–1929 zugleich Nuntius beim Deutschen Reich und in Preußen, 1930 Kardinalstaatssekretär, 2. März 1939 Papst Pius XII. Vgl. Hugo Altmann, Art. ‚Pius XII.‘, in: BBKL 7, 1994, S. 682–699, online unter: http://www.bautz.de/bbkl/p/pius_ xii.shtml (Stand: 30. 6. 2009); Philippe Chenaux, Pie XII. Diplomate et pasteur, Paris 2003; Michael F. Feldkamp, Pius XII. und die Deutschen, Göttingen 2000; Josef Gelmi, Art. ‚Pius XII.‘, in: LThK3 8, 1999, Sp. 337 f.; Mayeur, Päpste (wie Anm. 2); Rudolf Morsey, Eugenio Pacelli als Nuntius in Deutschland, in: Herbert Schambeck (Hg.), Pius XII. zum Gedächtnis, Berlin 1977, S. 103–139; Matteo Luigi Napolitano, Pio XII tra guerra e pace. Profezia e diplomazia di un papa (1939–1945), Rom 2002; Jacques Nobécourt, „Silence“ de Pie XII., in: Levillain (Hg.), Dictionnaire (wie Anm. 2), S. 1570–1577;

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Hubert Wolf Andrea Riccardi, Pie XII., in: Levillain (Hg.), Dictionnaire (wie Anm. 2), S. 1362– 1372; José Mariano Sànchez, Pius XII and the Holocaust. Understanding the controversy, Washington D.C. 9 2002; Schwaiger, Papsttum (wie Anm. 2), S. 271–308; Andrea Tornielli, Pius XII. Il papa degli ebrei, Casale Monferrato (Alessandria) 2001; Hubert Wolf, Papst und Teufel, München 2 2009; Hubert Wolf – Klaus Unterburger, Eugenio Pacelli. Die Lage der Kirche in Deutschland 1929 (VKZG.A 50), Paderborn 2006, S. 26–32. 10 Steglich (Hg.), Friedensappell (wie Anm. 4). 11 Emma Fattorini, Germania e Santa Sede. Le nunziature di Pacelli fra la Grande guerra e la Repubblica di Weimar, Bologna 1992; Renoton-Beine, Colombe (wie Anm. 2). 12 Die Ergebnisse werden Wissenschaftlern ebenso wie einer breiteren Öffentlichkeit unter www.pacelli-edition.de zugänglich gemacht. 13 Gregor VII. (Hildebrand) (um 1015/1020–1085), 1048 Mönch in Cluny, 1049 Subdiakon, 1054–1058 Legat in Frankreich und Deutschland, 1059 Archidiakon der Römischen Kirche, am 22. April 1073 von den Römern zum Papst Gregor VII. ausgerufen, 1074 Verbot der Simonie und Erneuerung der Zölibatsvorstellungen, 1075 ‚Dictatus Papae‘ und Verbot der Laieninvestitur, 1076 Investiturstreit mit König Heinrich IV. Vgl. Friedrich Wilhelm Bautz, Art. ‚Gregor VII. (Hildebrand)‘, in: BBKL 2, 1990, S. 310–315, online unter: http://www.bautz.de/bbkl/g/gregor_vii.shtml (Stand: 30. 6. 2009); Marcel Pacaut, Grégoire VII, in: Levillain (Hg.), Dictionnaire (wie Anm. 2), S. 746–749; Rudolf Schieffer, Art. ‚Gregor VII.‘, in: LThK3 4, 1995, Sp. 1016–1018. 14 Hubert Mordek, Art. ‚Dictatus papae‘, in: LexMA 3, 1986, Sp. 978–981; Gerd Althoff, Heinrich IV., Darmstadt 2006, S. 116–195. 15 Hubert Wolf, Katholische Kirchengeschichte im „langen“ 19. Jahrhundert von 1789 bis 1918, in: Thomas Kaufmann – Raymund Kottje – Bernd Möller – Hubert Wolf (Hgg.), Ökumenische Kirchengeschichte. Bd. 3: Von der Französischen Revolution bis 1989, Darmstadt 2007, S. 91–177, hier S. 146–159. 16 Leo XIII. (Vincenzo Gioacchino Pecci) (1810–1903), 1818 Studium der Rhetorik, Philosophie und Theologie in Viterbo und am Römischen Kolleg, 1832 Ausbildung im Päpstlichen Verwaltungs- und Diplomatendienst an der Accademia dei Nobili in Rom, 1837 Dr. jur. can., Priesterweihe und Päpstlicher Hausprälat, danach Delegat in Benevent, Spoleto und Perugia, 1843 Titularerzbischof von Damietta und Nuntius in Belgien, 1846 Bischof von Perugia, 1853 Kardinal, 20. Februar 1878 Wahl zum Papst Leo XIII. Vgl. David I. Kertzer, Prisoner of the Vatican. The popes’ secret plot to capture Rome from the new Italian state, Boston 2004; Oskar Köhler, Art. ‚Leo XIII.‘, in: LThK3 4, 1997, Sp. 828– 830; Philippe Levillain, Léon XIII., in: Ders. (Hg.), Dictionnaire (wie Anm. 2), S. 1035– 1037; Daniele Menozzi (Hg.), Episcopato e società tra Leone XIII e Pio X. Direttive romane ed esperienze locali in Emilia Romagna e Veneto, Bologna 2000; Ekkart Sauser, Art. ‚Leo XIII.‘, in: BBKL 4, 1992, S. 1451–1463, online unter: http://www.bautz.de/bbkl/l/ Leo_XIII.shtml (Stand: 30. 6. 2009). 17 Innozenz III. (Lothar von Segni) (1160/1161–1216), Studium der Theologie in Paris und Bologna, 1187 Subdiakon, 1190 Kardinal-Diakon, 8. Januar 1198 Wahl zum Papst Innozenz III., beanspruchte als vicarius Christi den päpstlichen Vorrang im kirchlichen und weltlichen Bereich. Vgl. Olivier Guyotjeannin, Innocent III, in: Levillain (Hg.), Dictionnaire (wie Anm. 2), S. 877–881; Michael Hanst, Art. ‚Innozenz III.‘, in: BBKL 2, 1990, S. 1281–1285, online unter: http://www.bautz.de/bbkl/i/Innozenz_III.shtml (Stand: 30. 6. 2009); Markus Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker (Rothenburger Gespräche zur Strafrechtsgeschichte 5), Tübingen 2005; Jochen Johrendt – Harald Müller (Hgg.), Römisches Zentrum und kirchliche Peripherie: das universale Papsttum als Bezugspunkt der Kirchen von den Reformpäpsten bis zu

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Der Papst als Mediator? Innozenz III. (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen NF 2), Berlin – New York 2008; Theo Kölzer, Art. ‚Innozenz III.‘, in: LThK3 5, 1996, Sp. 516–518; Werner Maleczek, Art. ‚Innozenz III.‘, in: LexMA 5, 1991, Sp. 434–436. 18 Fürst Otto von Bismarck (1815–1898), 1832 Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Göttingen und Berlin, 1845 Mitglied des Provinziallandtags von Pommern, 1847 Mitglied des Vereinigten Preußischen Landtags, 1849 Mitglied der Zweiten Kammer des Preußischen Landtags, 1850 Abgeordneter des Erfurter Unionsparlaments, 1851 Preußischer Gesandter im Bundestag, 1854 Mitglied des Preußischen Herrenhauses, 1859 Preußischer Gesandter in St. Petersburg, 1862 in Paris und Preußischer Ministerpräsident, 1867 Kanzler des Norddeutschen Bundes, 1871 Reichskanzler des Deutschen Reichs, 1890 Entlassung als Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident, 1891 Mitglied des Reichstags (Nationalliberale). Vgl. Otto von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, München 3 2004; Lothar Gall, Bismarck. Der weiße Revolutionär, Berlin 2 2002; Robert Gerwarth, The Bismarck Myth. Weimar Germany and the Legacy of the Iron Chancellor, Oxford 2005, dt. Ausgabe: Der Bismarck-Mythos. Die Deutschen und der Eiserne Kanzler, München 2007; Bernd Heidenreich – Frank-Lothar Kroll (Hgg.), Bismarck und die Deutschen, Berlin 2005; Horst Kohl (Hg.), Die politischen Reden des Fürsten Bismarck. Historisch-kritische Gesamtausgabe, 14 Bde., Stuttgart 1892–1905; Max Lenz, in: ADB 46, 1902, S. 571–775, online unter: http://mdz10.bib-bvb.de/~db/bsb00008404/images/ index.html?seite=573 (Stand: 15. 5. 2009); Rainer F. Schmidt, Bismarck, Realpolitik und Revolution, München – Kreuzlingen 2006; Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode, Art. ‚Otto Bismarck‘, in: NDB 2, 1955, S. 268–277, online unter: http://mdz10.bib-bvb.de/~db/ 0001/bsb00016318/images/index.html?seite=288 (Stand: 15. 5. 2009); Rudolf Vierhaus, Art. ‚Otto von Bismarck‘, in: DBE 1, 1995, S. 545–547. 19 Jean-Marc Ticchi, Aux frontières de la paix. Bons offices, médiations, arbitrages du Saint-Siège (1878–1922), Rom 2002, S. 61–116. 20 Hanst, Art. ‚Innozenz III.‘ (wie Anm. 17), S. 1284. 21 Christoph Kampmann, Arbiter und Friedensstiftung. Die Auseinandersetzung um den politischen Schiedsrichter im Europa der Frühen Neuzeit (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte NF 21), Paderborn 2001, S. 59. 22 Ebd. S. 58–63 mit Bezug auf die Position des Dominikanertheologen Francisco de Vitorio (1483–1546). 23 Scilicet menses continuantur mensibus, necdum spes ulla ostenditur fore, ut calamitosissima haec dimicatio, vel potius trucidatio brevi conquiescat. Allocutio habita in Concistorio vom 22. Januar 1915, in: AAS 7, 1915, S. 33–36, hier S. 33. 24 Georges Clemenceau (1841–1929), 1858 Medizinstudium in Nantes und Paris, 1865 Korrespondent und Lehrer in den USA, 1870 Bürgermeister in Montmartre (Paris), 1871 und 1876–1893 Mitglied der Französischen Nationalversammlung (Radikalsozialisten), 1902 und 1911 Mitglied des Senats, 1906 Innenminister, 1906–1909 Ministerpräsident und Innenminister, 1917–1920 Ministerpräsident und Kriegsminister, 1918 Mitglied der Académie française. Vgl. Jean Jolly (Hg.), Dictionnaire des Parlementaires français de 1889 à 1940, Paris 1960, online unter: http://www.assemblee-nationale.fr/sycomore/biographies/ joly/asp/clemenceau-georges-eugene-benjamin.asp (Stand: 25. 11. 2009); Adolphe Robert – Gaston Cougny (Hgg.), Dictionnaires des Parlementaires français de 1789 à 1889, Bd. 2, Paris 1889, S. 126–130, online unter: http://www.assemblee-nationale.fr/histoire/biogra phies/1789–1889/Tome_2/CLAUDE_CLEMENT.pdf (Stand: 25. 11. 2009); Michel Winock, Clemenceau, Paris 2007; Benoît Yvert (Hg.), Dictionnaire des ministres de 1789 à 1989, Paris 1990, S. 411–414. 25 Erich Ludendorff (1865–1937), ab 1877 im preußischen Militärdienst, 1914 Schlacht

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Hubert Wolf bei Tannenberg und gemeinsam mit Paul von Hindenburg Oberkommando über die deutschen Truppen der Ostfront, 1916 neben Hindenburg Chef der Dritten Obersten Heeresleitung als „Erster Generalquartiermeister“, 1917 Beteiligung am Sturz von Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg, 1918 Flucht nach Schweden, 1919 Rückkehr nach Berlin, Verbreitung der Dolchstoßlegende und Verbindung zur „Nationalen Vereinigung“, 1920 Politischer Zusammenschluss mit Adolf Hitler, 1924–1928 Mitglied des Reichstags (Nationalsozialistische Freiheitspartei), 1928 Bruch mit der NSDAP, 1930 Gründung des religiösen Vereins „Deutschvolk“, 1933 Verbot desselben, 1937 Wiederzulassung desselben als „Bund für Deutsche Gotterkenntnis“. Vgl. Bernhard R. Kroener, Art. ‚Erich Ludendorff‘, in: DBE 6, 1997, S. 494; Erich Ludendorff, Das Geheimnis der Jesuitenmacht und ihr Ende, München 1929; Ders., Meine Kriegserinnerungen, Berlin 1919; Bruno Thoss, Art. ‚Erich Ludendorff‘, in: NDB 15, 1987, S. 285–290, online unter: http://mdz10.bib-bvb. de/~db/0001/bsb00016333/images/index.html?seite=301 (Stand: 26. 6. 2009). 26 Jankowiak, Benoît (wie Anm. 2), S. 221; Josef Schmidlin, Papstgeschichte der neuesten Zeit, Bd. 3, München 1936, S. 195. 27 Aschoff, Benedikt XV. (wie Anm. 2), S. 305. 28 Allocutio habita in Concistorio vom 22. Januar 1915, in: AAS 7, 1915, S. 34. 29 Pietro Gasparri (1852–1934), 1877 Priesterweihe, 1880 Professor des kanonischen Rechts am Institut catholique in Paris, ab 1896 Diplomat im päpstlichen Dienst, 1898 Titularerzbischof von Iconium und Apostolischer Delegat für Ecuador, Bolivien und Peru, 1901 Sekretär der Kongregation für die außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten, 1907 Kardinal, 1914–1930 Kardinalstaatssekretär. Vgl. Remigius Bäumer, Art. ‚Pietro Gasparri‘, in: LThK3 4, 1995, Sp. 297; Friedrich Wilhelm Bautz, Art. ‚Gasparri, Pietro‘, in: BBKL 2, 1990, S. 180 f., online unter: http://www.bautz.de/bbkl/g/gasparri_p.shtml (Stand: 24. 6. 2009); Giuseppe Dalla Torre, La vicenda poco nota delle Memorie del Cardinal Gasparri, Rom 2007; Giovanni Sale, Don Sturzo, il cardinale Gasparri e la fondazione del PPI, in: Civiltà Cattolica 157, 2006, S. 12–23; Hermann Tüchle, Pietro Kardinal Gasparri. Staatssekretär Benedikts XV. und Pius XI. 1914–1930, in: Wilhelm Sandfuchs (Hg.), Die Außenminister der Päpste, München – Wien 1962, S. 94–108; Wolf – Unterburger, Pacelli (wie Anm. 9), S. 28 f., 31–36. 30 Chenaux, Pie XII (wie Anm. 9), S. 85–102; Wolf – Unterburger, Pacelli (wie Anm. 9), S. 33. 31 Zur Ausweisung der diplomatischen Vertreter aus dem Vatikan siehe die Istruzioni per Monsignore Giuseppe Aversa, Nunzio Apostolico di Baviera, vom November 1916; ASV, Arch. Nunz. Monaco 257, fasc. 10, fol. 1–108, hier S. 94–105. Vgl. dazu Wolf, Papst und Teufel (wie Anm. 9), S. 49–52; Wolf – Unterburger, Pacelli (wie Anm. 9), S. 36–43. Tatsächlich verließen die diplomatischen Vertreter der Mittelmächte Italien nach dessen Kriegseintritt und führten ihre Geschäfte aus der Schweiz weiter. 32 „Non è impossibile e neppure improbabile che durante la guerra accadano in Italia gravi moti rivoluzionari.“ Es sei auch möglich, „che il Vaticano stesso sarebbe preso di mira dagli elementi rivoluzionari“. Istruzioni per Monsignore Giuseppe Aversa vom November 1916; ASV, Arch. Nunz. Monaco 257, fasc. 10, fol. 102. 33 Maximilian Liebmann, Der Papst – Fürst von Liechtenstein. Ein Vorschlag zur Lösung der Römischen Frage aus dem Jahre 1916, in: RQ 79, 1984, S. 93–108; Hubert Wolf, Verlegung des Heiligen Stuhls: ein Kirchenstaat ohne Rom? Matthias Erzberger und die Römische Frage im Ersten Weltkrieg, in: RoJKG 11, 1992, S. 251–270. 34 Istruzioni per Monsignore Giuseppe Aversa vom November 1916; ASV, Arch. Nunz. Monaco 257, fasc. 10, fol. 94–96; Wolf – Unterburger, Pacelli (wie Anm. 9), S. 37. 35 Giovanni Spadolini, Il Cardinale Gasparri e la questione Romana, Firenze 1973;

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Der Papst als Mediator? Pietro Scoppola, La Chiesa e il fascismo. Documenti e interpretazioni, Bari 1971; Josef Gelmi, Art. ‚Spadolini, Giovanni‘, in: LThK3 8, 1999, Sp. 1286 f. 36 Roberto Morozzo della Rocca, Benedikt XV. Der Papst und der Erste Weltkrieg, in: Michael Matheus – Lutz Klinkhammer (Hgg.), Eigenbild im Konflikt. Krisensituationen des Papsttums zwischen Gregor VIII. und Benedikt XV., Darmstadt 2009, S. 187– 210, hier S. 191. 37 At vero ipsis bellantium contentionibus pontificiam miscere auctoritatem hoc sane neque conveniens foret, nec utile. Profecto quisquis est prudens rerum aestimator, videt Apostolicam Sedem in hoc certamine, quamvis sine maxima cura esse non possit, tamen nullius partis esse debere: cum Pontifex romanus, … ut Parens autem catholici nominis, utrobique filios habeat frequentissimos, de quorum omnium salute aeque debet esse solicitus. Allocutio habita in Concistorio vom 22. Januar 1915, in: AAS 7, 1915, S. 34. 38 „Chiedo al papa quanto vi sia di vero nella mancata nomina di mons. Pacelli a nunzio a Monaco di Baviera. Il santo padre dice che la nomina non era stata affatto decisa, che sarebbe stata gradita dal governo bavarese, ma che il segretario di stato, cardinal Gasparri, ha fatto opposizione non volendo privarsi della collaborazione di mons. Pacelli, alla quale tiene moltissimo.“ Antonio Scottà, „La conciliazione ufficiosa“. Diario del barone Carlo Monti „incaricato d’affari“ del governo italiano presso la Santa Sede (1914–1922) (Storia e attualità 15), 2 Bde., Città del Vaticano 1997, hier Bd. 1, S. 469. 39 Wolf – Unterburger, Pacelli (wie Anm. 9), S. 36. 40 Nikolaus II. (1868–1918), 1885–1890 Studium der Rechtswissenschaften in St. Petersburg und militärische Ausbildung, 1894 Zar von Russland, 1905 Einführung einer gesetzgebenden Volksvertretung (Duma), 1907 Auflösung der Duma, Einschränkung des Wahlrechts und Rückkehr zu einer konservativen Politik, 1917 Abdankung, Verhaftung und Verbannung nach Sibirien, 1918 Ermordung durch bolschewistische Truppen. Vgl. Heinrich E. Schulz u. a. (Hgg.), Who was who in the USSR, Metuchen/New Jersey 1972, S. 411 f. 41 Giuseppe Aversa (1862–1917), 1885 Priesterweihe, 1906 Titularerzbischof von Sardi und Nuntius in Kuba, 1911 in Brasilien, 1916 in Bayern. Vgl. Egon Johannes Greipl, Das Archiv der Münchener Nuntiatur in der Zeit von 1904 bis 1934, in: QFIAB 66, 1986, S. 402–406; Wolf – Unterburger, Pacelli (wie Anm. 9), S. 36. 42 „Nel Gennaio del corrente anno, quando il compianto Monsignor Giuseppe Aversa, Arcivescovo tit. Di Sardi, predecessore di V.S. ill.ma e Rev.ma nell’attuale Ufficio di Nunzio Apostolico presso la R. Corte di Baviera, era per raggiungere la sua residenza, gli rimisi le Istruzioni di questa Segreteria dirette a facilitargli l’alto compito affidatogli. Non avendo il corso degli avvenementi consigliato alcuna modificazione alle accennate Istruzioni, il cui originale è conservato nell’Archivio della Nunziatura Apostolica alla quale Ella è preposta, la S.V. vorrà attendersi alle medesime nel compiere la delicata ed importantissima Missione a Lei confidata dalla benevolenza del Santo Padre.“ Gasparri an Pacelli vom 15. Mai 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 329, fasc. 1, fol. 37rv. 43 „… ma mirava atresì a salvaguardare la Monarchia degli Absburgo, contro del cui del pari che contro la Chiesa la massoneria europea, fomentando la guerra, tentava apportare la maggiore rovina.“ Istruzioni per Monsignore Giuseppe Aversa vom November 1916; ASV, Arch. Nunz. Monaco 257, fasc. 10, fol. 99. Pacelli wiederholte das Argument, dass die Freimaurerei am Krieg Schuld sei, gegenüber Reichskanzler Bethmann Hollweg im Rahmen seiner ersten Berlinreise. Pacelli an Gasparri vom 30. Juni 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. III, fol. 111r–120v, hier fol. 114r, online unter: www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 366. 44 Matthias Erzberger (1875–1921), Ausbildung als Volksschullehrer, 1895 Eintritt in

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Hubert Wolf die Zentrumspartei, ab 1896 Redakteur und Journalist, ab 1903 als Mitglied des Reichstags Finanzexperte in der Budgetkommission des Reichstags, 1918 Staatssekretär im Kabinett Max von Baden, Mitglied der Waffenstillstandskommission und Unterzeichner des Waffenstillstandsabkommens in Compiègne, 1919 Minister ohne Geschäftsbereich, 1919 Finanzminister, 1920 Rücktritt in Folge einer Hetzkampagne Karl Helfferichs, 1921 Opfer eines Attentats der rechtsextremistischen „Organisation Consul“. Vgl. Wolfgang Benz, in: Ders. – Hermann Graml, Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik, München 1988, S. 77 f.; Klaus Epstein, Art. ‚Erzberger, Matthias‘, in: NDB 4, 1959, S. 638–640, online unter: http://mdz10.bib-bvb.de/~db/0001/bsb00016320/images/index.html?seite= 654 (Stand: 30. 6. 2009); Ders., Matthias Erzberger und das Dilemma der deutschen Demokratie, Berlin 1962; Theodor Eschenburg, Matthias Erzberger. Der große Mann des Parlamentarismus und der Finanzreform, München 1973; Ulrich von Hehl, Art. ‚Erzberger, Matthias‘, in: DBE 3, 1996, S. 171 f.; Wolfgang Michalka (Hg.), Matthias Erzberger: „Reichsminister in Deutschlands schwerster Zeit“. Essays zur Ausstellung, Potsdam 2002; Christoph E. Palmer – Thomas Schnabel (Hgg.), Matthias Erzberger 1875–1921. Patriot und Visionär, Stuttgart – Leipzig 2007. 45 Das Auswärtige Amt, so Erzberger gegenüber Aversa am 16. Februar 1917, arbeite derzeit „energisch“ an Friedensbedingungen. Er solle zwei Vorträge über „1. die Stellung des Heiligen Stuhles“ und 2. über die „Neutralisierung der Missionen in sämtlichen Kolonien“ halten. „Es wäre mir nun äußerst angenehm, durch Vermittlung von Euer Exzellenz die entsprechenden Wünsche von Rom zu erfahren, damit ich hier in Berlin mein Referat entsprechend einrichten kann. Die Regierung hier ist vom besten Willen beseelt, die Stellung des Heiligen Stuhles so zu gestalten, dass demselben volle Freiheit und Unabhängigkeit zuteil wird. Ich selbst möchte aber der Regierung nicht präzise Vorschläge machen, ohne mich des Einverständnisses Seiner Heiligkeit zu vergewissern. Bevor ich daher den mir gewordenen amtlichen Auftrag ausführen kann, bitte ich um gefällige, entsprechende Benachrichtigung.“ Erzberger an Aversa (Kopie) vom 16. Februar 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 408, fasc. 3, fol. 146rv. 46 „Was die Opportunität des Angebots betrifft, so hebt der Kardinal hervor, dass die Deutsche Regierung selbst wohl kaum verkennen kann, dass der gegenwärtige Augenblick für ein Friedensangebot an Belgien nicht sehr geeignet ist, beabsichtigen die EntenteMächte in der nächsten Zeit eine Offensive gegen die Zentralmächte zu unternehmen und deshalb wird ein derartiges Angebot jetzt sicher nicht angenommen werden. Immerhin erklärt sich der Heilige Stuhl bereit, die Friedensvorschläge der deutschen Regierung an Belgien zu unterbreiten, sobald sich ein geeigneter Augenblick bietet. Was die Bedingungen selbst betrifft, wie sie die deutsche Regierung formuliert hat und Sie sie mir mitgeteilt haben, behält sich der Heilige Stuhl vor, im gegebenen Augenblick sich mit der Regierung selbst noch zu verständigen, um die Bedingungen noch etwas zu mildern.“ Aversa an Erzberger (Übersetzung) vom 27. Februar 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 408, fasc. 4, fol. 1r–2r. 47 Ludwig III. (1845–1920), 1863 Mitglied in der Kammer der Reichsräte, 1864 Studium der Philosophie, Rechtswissenschaften, Geschichte, Kunstgeschichte und Nationalökonomie in München, 1896 Ehrenmitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 1912 Prinzregent, 1913–1918 König von Bayern, 1918 Exil in Ungarn und in der Schweiz, 1920 Rückkehr nach Wildenwart am Chiemsee. Vgl. Harriet BrinkmöllerGandlau, Art. ‚Ludwig III.‘, in: BBKL 5, 1993, S. 332–334, online unter: http://www. bautz.de/bbkl/l/ludwig_iii_v_ba.shtml (Stand: 26. 6. 2009); DBE 6, 1997, S. 501 f.; Rudolf Reiser, Art. ‚Ludwig III.‘, in: Karl Bosl (Hg.), Bosl’s Bayerische Biographie. 8000 Persönlichkeiten aus 15 Jahrhunderten, Bd. 1, Regensburg 1983, S. 475, online unter:

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Der Papst als Mediator? http://rzblx2.biblio thek.uni-regensburg.de/blo/boslview/boslview.php?seite=511&band=1 (Stand: 26. 6. 2009); Wolfgang Zorn, Art. ‚Ludwig III.‘, in: NDB 15, 1987, S. 379–381, online unter: http://mdz10.bib-bvb.de/~db/0001/bsb00016333/images/index.html?seite= 395 (Stand: 26. 6. 2009). 48 „An diesem Friedenswerke mitzuarbeiten, ist die Mission, welche in einem Zeitpunkte, der in der Geschichte vielleicht nicht seinesgleichen hat, meinen schwachen Kräften anvertraut wird. Unter dem wohlwollenden, gnädigen Schutz Euerer Majestät … hoffe ich, daß die weisen und liebevollen Bemühungen des Papstes, meines erhabenen Herrn, erfolgreich sein werden.“ Steglich (Hg.), Friedensappell (wie Anm. 4), Nr. 64, S. 98 f., hier S. 99. 49 Gasparri an Pacelli vom 13. Juni 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 410, fasc. 1, fol. 12r–13r. 50 Chenaux, Pie XII (wie Anm. 9), S. 92; Renoton-Beine, Colombe (wie Anm. 2), passim; Stefano Trinchese, I tentativi di pace della Germania e della Santa Sede nella I Guerra Mondiale. L’attività del deputato Erzberger e del diplomatico Pacelli (1916–1918), in: AHP 35, 1997, S. 225–255. Siehe dazu auch die Bestände in ASV, Arch. Nunz. Monaco 409, fasc.4–7. 51 Rudolf Gerlach (* 1886), Studium der Theologie und des Kirchenrechts am Collegium Capranicum, 1907 Priesterweihe, Eintritt in die Accademia dei Nobili Ecclesiastici und Bekanntschaft mit Giacomo della Chiesa, dem späteren Papst Benedikt XV., 1914 Wirklicher Geheimer Kammerherr Benedikts XV. und inoffizieller Verbindungsmann zwischen dem Heiligen Stuhl und der deutschen Reichsregierung, 1917 Verdacht der Spionage für die Mittelmächte und Ausweisung aus Italien, 1920 Aufgabe seines Priesteramtes und Hochzeit mit der Protestantin Katharina Blankenhagen, 1933 Gegner der Nationalsozialisten, 1940 Flucht über die Niederlande und Großbritannien nach Kanada. Vgl. Erwin Gatz, Anton de Waal (1837–1917) und der Campo Santo Teutonico. Mit einem Schriftenverzeichnis Anton de Waals zusammengestellt von Michael Durst, Rom – Freiburg i. Br. – Wien 1980, S. 128, Anm. 535; Liebmann, Papst (wie Anm. 33), S. 106, Anm. 7; Wilhelm Patin, Beiträge zur Geschichte der deutsch-vatikanischen Beziehungen in den letzten Jahrzehnten. Als Manuskript gedruckt – nur für den Dienstgebrauch, Berlin 1942; Renoton-Beine, Colombe (wie Anm. 2), S. 59–62; Wolf, Verlegung (wie Anm. 33), S. 254, Anm. 22. 52 Andreas (Taufname Franz) Frühwirth OP (1845–1933), 1863 Eintritt in den Dominikanerorden und Studium der Theologie in Graz und Rom, 1867 Priesterweihe, 1870 Dozent der Theologie und Seelsorger in Graz, 1876 Prior in Wien, 1880–1884 und 1891 Provinzial der österreichisch-ungarischen Provinz, 1891 Generalmagister, 1904 an der Römischen Kurie, 1907–1916 Nuntius in Bayern, 1915 Kardinal, 1925 Großpönitentiar, 1927 Kanzler der römischen Kirche. Vgl. Friedrich Wilhelm Bautz, Art. ‚Frühwirth, Andreas‘, in: BBKL 2, 1990, S. 146, online unter: http://www.bautz.de/bbkl/f/fruehwirt_a.shtml (Stand: 18. 5. 2009); DBE 3, 1996, S. 515; Isnard Wilhelm Frank, Art. ‚Frühwirth, Andreas‘, in: LThK3 4, 1995, Sp. 211; Trinchese, Tentativi (wie Anm. 50), S. 227–233; Angelus Walz OP, Art. ‚Frühwirth, Andreas‘, in: NDB 5, 1961, S. 669 f., online unter: http://mdz10. bib-bvb.de/~db/0001/bsb00016321/images/index.html?seite=685 (Stand: 18. 5. 2009); Ders., Andreas Kardinal Frühwirth, Wien 1950. 53 Das Verhältnis zwischen Erzberger und Aversa und vor allem zwischen Erzberger und Frühwirth kann an dieser Stelle nicht aufgearbeitet werden. An dieser Stelle sei lediglich darauf hingewiesen, dass Erzberger die Einrichtung der neuen Kardinalswohnung Frühwirths in Rom übernahm. Siehe hierzu die Bestände aus dem Nachlass Erzbergers, die im Vatikanischen Geheimarchiv liegen; ASV, Arch. Nunz. Monaco 408, fasc. 3; Trinchese, Tentativi (wie Anm. 50), S. 227–233.

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Hubert Wolf 54

Epstein, Erzberger und das Dilemma (wie Anm. 44), S. 170 f. Als Unterstaatssekretär stand Pacelli einer Reichsnuntiatur nicht prinzipiell ablehnend gegenüber; Trinchese, Tentativi (wie Anm. 50), S. 241–243; Wolf – Unterburger, Pacelli (wie Anm. 9), S. 22–26. Zu den Diskussionen um die Errichtung einer Reichsnuntiatur in Berlin zwischen März und Mai 1917 siehe auch ASV, Arch. Nunz. Monaco 408, fasc. 4. 56 Lorenzo Schioppa (1871–1935), Apprendista in der Kongregation für die außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten, Privatsekretär des Apostolischen Delegaten in Kuba und Puorto Rico, Minutant bei der Kardinalskommission für die Güterverwaltung des Heiligen Stuhls, 1912 Sekretär der Nuntiatur in München, 1916 Auditor ebenda, 1920 Titularerzbischof von Mocissus und Nuntius in Ungarn, 1925 Internuntius in Holland, 1927 Nuntius in Litauen. Vgl. Raphael Merry del Val an Frühwirth vom 26. November 1912; ASV, Arch. Nunz. Monaco 275, fasc. 1, fol. 119r–v; Chi è? Dizionario biografico degli italiani d’oggi 1, 1928, S. 431; Giuseppe de Marchi, Le nunziature apostoliche dal 1800 al 1956 (Sussidi eruditi 13), Rom 1957, S. 167, 188, 255. 57 Schioppa an Erzberger vom 16. Mai 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 408, fasc. 3, fol. 223rv. Eine diesbezügliche Denkschrift konnte in den Münchener Nuntiaturakten nicht nachgewiesen werden. 58 Unmittelbar nach Kriegsausbruch erteilte Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg Erzberger die Genehmigung, ein „Nachrichtenbüro des Reichsmarineamts“ und eine „Zentralstelle für Auslandsdienst“ einzurichten. Beide Stellen hatten die Aufklärung des neutralen Auslandes zum Ziel. „Er korrespondierte – von Papst Benedikt XV. angefangen – mit allen prominenten Persönlichkeiten und Politikern der Verbündeten, aber auch neutraler Länder und den Regierungen der deutschen Bundesstaaten.“ Rudolf Morsey, Matthias Erzberger (1875–1921). Volksmann, Patriot und christlicher Demokrat, in: Michalka (Hg.), Erzberger (wie Anm. 44), S. 43–54, hier S. 51 f. Erzberger hatte in seinem Büro die Möglichkeit, Übersetzungen aus dem und ins Italienische vornehmen zu lassen. Die Nuntiatur nutzte die Möglichkeiten und machte sich einerseits nicht mehr die Mühe, ihre Korrespondenz ins Italienische zu übersetzen und andererseits bat sie darum, dass die Denkschriften, die für den Heiligen Stuhl vorgesehen waren, direkt in italienischer Übersetzung vorgelegt würden. Noradino Eugenio Torricella an Erzberger vom 7. Februar 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 408, fasc. 3, fol. 230; Erzberger an Schioppa vom 28. Juli 1916 (Kopie); ASV, Arch. Nunz. Monaco 408, fasc. 2, fol. 184r. 59 Siehe die Nuntiaturberichte Pacellis unter www.pacelli-edition.de. 60 Pacelli an Gasparri vom 30. August 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. IV, fol. 149r–151r, online unter: www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 398. Die Edition der Protokolle des Interfraktionellen Ausschusses von Erich Matthias – Rudolf Morsey (Bearb.), Der interfraktionelle Ausschuß 1917/18, Bd. 1 (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 1), Düsseldorf 1959, Nr. 40, S. 168–180, kennt die deutsche Vorlage der hier vorliegenden italienischen Übersetzung, das Protokoll des Zentrumsabgeordneten Matthias Erzbergers von der Ersten Sitzung des Siebener-Ausschusses vom 28. August 1917, nicht. Diese liegt in ASV, Arch. Nunz. Monaco 413, fasc.1, fol. 30r–32r. Pacelli wollte das Protokoll der 2. Sitzung des Siebener-Ausschusses vom 10. September 1917 anscheinend erneut in italienischer Übersetzung als Nuntiaturbericht versenden; Pacelli an Gasparri, Entwurf vom [12. September 1917]; ASV, Arch. Nunz. Monaco 413, fasc. 1, fol. 44r–47r, online unter www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 404. Er verwarf dieses Ansinnen jedoch und schickte dieses Sitzungsprotokoll weder als Nuntiaturbericht noch als Anlage nach Rom. Die deutsche Vorlage für die italienische Übersetzung, das Sitzungsprotokoll Matthias Erzbergers, liegt in der Editi55

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Der Papst als Mediator? on Matthias – Morsey (Bearb.), Der interfraktionelle Ausschuß (wie in dieser Anm.), Bd. 1, Nr. 42b, S. 184–194, vor. 61 Arthur Zimmermann (1864–1960), Jurastudium in Königsberg und Leipzig, ab 1893 im Auswärtigen Dienst mit Tätigkeit in China, 1902 im Auswärtigen Amt, 1916 Staatssekretär des Auswärtigen Amts, 1917 Vorschlag eines Bündnisses des Deutschen Reiches mit Mexiko und Japan gegen die USA im „Zimmermann-Telegramm“ führt zum Kriegseintritt der USA im April und zu Zimmermanns Entlassung im August. Vgl. DBE 10, 2008, S. 855; Markus Pöhlmann, Zimmermann-Telegramm, in: Gerhard Hirschfeld u. a. (Hgg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2009, S. 977. 62 Georg Graf von Hertling (1843–1919), 1861 Studium der Philosophie, Naturwissenschaften und Geschichte in München und Berlin, 1864 Dr. phil., 1867 Habilitation in Bonn, 1880 außerordentlicher Professor der Philosophie ebenda, 1882 Professor in München, 1876 Mitbegründer der „Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland“ und bis 1919 deren Präsident, 1875–1890 und 1896–1912 Mitglied des Reichstags (Zentrum), 1891–1918 Reichsrat der Krone Bayerns, 1909–1912 Vorsitzender der Reichstagsfraktion des Zentrums, 1912–1917 Königlich bayerischer Staatsminister des Königlichen Hauses und des Äußeren und Vorsitzender im Ministerrat, 1917–1918 Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident. Vgl. Winfried Becker, Georg von Hertling 1843–1919. Jugend und Selbstfindung zwischen Romantik und Kulturkampf (VKZG.B 31), Mainz 1981; Ders. (Hg.), Georg von Hertling 1843–1919 (Beiträge zur Katholizismusforschung, Reihe A: Quellentexte zur Geschichte des Katholizismus 8), Paderborn u. a. 1993; Ders., Art. ‚Hertling, Georg von‘, in: DBE 4, 1996, S. 650; Ernst Deuerlein, Art. ‚Hertling, v., Georg‘, in: NDB 8, 1969, S. 702–704, online unter: http:// mdz10.bib-bvb.de/~db/0001/bsb00016409/images/index.html?seite=718 (Stand: 25. 6. 2009); Klaus-Gunther Wesseling, Art. ‚Hertling, Georg Friedrich Freiherr (seit 1914: Graf) von‘, in: BBKL 20, 2002, S. 737–757, online unter: http://www.bautz.de/bbkl/h/ hertling_g_f.shtml (Stand: 25. 6. 2009). 63 Diego von Bergen (1872–1944), 1890 Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Berlin, ab 1893 im preußischen Justizdienst, 1895 Dr. jur und Aufnahme einer diplomatischen Laufbahn im Auswärtigen Dienst mit Dienst in Berlin, Peking, Luxemburg, Brüssel und Madrid, 1906 Legationssekretär in der preußischen Gesandtschaft beim Heiligen Stuhl, 1911 im Auswärtigen Amt in Berlin, 1919 preußischer Gesandter beim Heiligen Stuhl, 1920–1943 Botschafter des Deutschen Reiches beim Heiligen Stuhl. Vgl. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Bd. 1: A–F, Paderborn u. a. 2000, S. 116 f.; DBE 1, 1995, S. 442; Adalbert Erler, Art. ‚Bergen, Carl Ludwig Diego von‘, in: NDB 2, 1955, S. 78, http://mdz10.bib-bvb.de/~db/0001/bsb00016318/images/ index.html?seite=98 (Stand: 14. 5. 2009). 64 „Per mezzo dell’attivissimo ed influente Signor Erzberger, gli affari procedono senza dubbio molto più speditamente; ma, non avendo egli carattere ufficiale, le sue risposte non costituiscono nessun impegno da parte del Governo, ed essendo inoltre per natura portato ad un eccessivo ottimismo, non si può mai essere sicuri dell’esattezza di quanto egli riferisce. D’altra parte, é necessario di aver riguardo all’estrema suscettibilità, di questo Ministero degli Esteri, il quale rimarrebbe offeso se fosse messo da parte nelle relazioni fra la Nunziatura ed il Governo centrale. Proposi quindi al Signor Zimmermann che, dato il carattere straordinario di molte questioni le quali vengono ogni giorno sollevate dalla guerra, io avrei per l’avvenire regolarmente inviato, come in addietro, la relativa Nota ufficiale al Signor Conte de Hertling, ma che al tempo stesso, per gli affari più gravi ed urgenti, mi sarei permesso di scrivere direttamente, sebbene in via privata a lui od al sullodato Signor von Bergen. Anche il Signor Zimmermann annuì di buon grado. In tal

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Hubert Wolf modo spero si possa rimediare, sebbene soltanto in parte, alla infelice situazione di questa Nunziatura. Trovasi essa assolutamente fuori di centro, in una morta gora ove é sommamente difficile procurarsi le informazioni e curare gli affari, i quali riguardano l’Impero e che nelle circostanze attuali hanno pur tanta importanza per la Santa Sede.“ Pacelli an Gasparri vom 30. Juni 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. III, fol. 111r–120v, hier fol. 115v–116r, online unter: www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 366. 65 „Il Signor Deputato Erzberger mi narrava alcuni giorni or sono che nell’ultima sua visita a Vienna anche il Conte Czernin gli espresse la convinzione che l‚internazionale nera‘ non dovrebbe ritardare più la sua azione a favore della pace. A tale scopo si desidererebbe che la Santa Sede esortasse tutti i Vescovo a lavorare per la pace con prediche, preghiere, conferenze, ecc. e ad astenersi da ogni propaganda per la guerra; cosa, però, la quale in varietà appare assai difficile a conseguirsi, se si pensa allo stato d’animo ed all’attitudine tenuta finora da molti Vescovi, massime della Francia, dell’Inghilterra e del Belgio. In ogni modo, a parere del sullodato Signor Erzberger, il momento più favorevole per una simile azione di Sua Santità, sarebbe alla fine dell’offensiva d’estate, ossia verso il prossimo settembre od ottobre, tanto più che l’Imperatore Carlo gli avrebbe detto che anche l’Austria, insieme colla Germania, compierà allora un nuovo passo a favore della pace.“ Pacelli an Gasparri vom 10. Juni 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. III, fol. 96r–98v, hier fol. 98rv, online unter: www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 362. 66 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsdokumente 1900–1998 (Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte 3), Stuttgart 3 1990, Nr. 121, S. 177; Ders., Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung 1914– 1919, Stuttgart u. a. 1978, S. 256 f. 67 Die geplante Friedenskonferenz der Sozialisten fand nicht statt, da den Delegierten der Entente die Ausreise verweigert wurde. Johanna M. Welcker, Zwischen Wirklichkeit und Traum. Die Stockholmer Friedenskonferenz von 1917, in: Evelin Gröbl (Hg.), Arbeiterbewegung und Friedensfrage 1917–1939, Wien 1985, S. 33–69. 68 „La rumorosa agitazione dei 19000 socialisti per la pace ha pure originato confusione in parecchi cattolici. Si ode ripetere che soltanto i socialisti fanno qualche cosa per la pace.“ Pacelli an Gasparri vom 10. Juni 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. III, fol. 96r–98v, hier fol. 98r, online unter: www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 362. 69 Heinrich von Preußen (1862–1929), Bruder Kaiser Wilhelms II., 1877 Mittlere Reife und Ausbildung zum Seeoffizier in der kaiserlichen Marine, 1887–1895 Kommandant auf verschiedenen Schiffen, 1897–1909 Führung verschiedener Geschwader, 1906 Admiral, 1909 Großadmiral und Generalinspektor der Marine, 1914–1918 Oberbefehl über die Streitkräfte der Ostsee. Vgl. DBE 4, 1996, S. 532; Harald Eschenburg, Prinz Heinrich von Preußen – Der Großadmiral im Schatten des Kaisers, Heide 1989. 70 Werner Freiherr von Grünau an Bethmann Hollweg vom 3. Juli 1917, in: Steglich (Hg.), Friedensappell (wie Anm. 4), Nr. 79, S. 113–116, hier S. 114 f. 71 „… insisté moltissimo sulla necessità che il Santo Padre emani un Atto solenne, diretto non già ai Governi, ma al clero ed ai fedeli di tutto il mondo, nel quale comandi loro la preghiera ed il lavoro concorde in favore della pace. Egli non dubita dell’efficacia di tale prescrizione pontificia.“ Pacelli an Gasparri vom 30. Juni 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. III, fol. 111r–120v, hier fol. 117v, online unter: www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 366. 72 Die Anweisung enthielt insgesamt sechs Punkte: „1) Ripeterà di viva voce a Sua

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Der Papst als Mediator? Maestà le ansiose preoccupazioni del SANTO PADRE per il prolungarsi della guerra, per l’accrescersi degli odî e l’accumularsi delle rovine materiali e morali che fanno indietreggiare di secoli il cammino dell’umanità. 2) Lo esorterà caldamente a fare tutto il suo possibile per mettere fine a tanti mali, anche se si dovesse rinunziare a qualcuno degli scopi della guerra, perseguiti dal popolo tedesco. Gli farà rilevare che la pacificazione dell’umanità e la cessazione di tante inaudite sofferenze sarebbero una degna soddisfazione al Suo animo nobile e generoso. 3) Metterà in luce come contribuirebbe certamente negli Stati dell’Intesa a disporre gli animi alla pace, se la Germania si dichiarasse pronta a discutere la diminuzione o la soppressione degli armamenti – fatta, come ben s’intende, eccezione per quanto riguarda il necessario mantenimento dell’Ordine pubblico –; il che, inoltre, renderebbe sostenibile la situazione economica in tutti gli Stati belligeranti. 4) Illustrerà pure che la restituzione del Belgio nella sua indipendenza eliminerebbe un grande ostacolo alla pace e, per la ripercussione morale che avrebbe in tutto il mondo, sarebbe un passo previo, il quale conferirebbe immensamente ad agevolare e sollecitare l’inizio delle trattative generali. Sarebbe certamente giusto che la Germania esigesse garanzie di piena indipendenza del Belgio anche di fronte all’Inghilterra ed alla Francia. 5) V. S:, inoltre, toccherà con mano molto delicata la questione dell’Alsazia-Lorena. Sarebbe possibile la cessione di tutto, o almeno della parte francese, dietro un compenso, per esempio di una colonia? 6) In fine Ella procurerà d’indagare il pensiero di Sua Maestà sulla situazione interna della Russia, sulla sua efficienza bellica, sulla probabilità di una pace separata e sull’avvenire riservato alla Polonia.“ Gasparri an Pacelli vom 13. Juni 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 410, fasc. 1, fol. 12r–13r. 73 „… il suicidio dell’Europa civile …“ Pacelli an Gasparri vom 30. Juni 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. III, fol. 111r–120v, hier fol. 117r, online unter: www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 366. 74 „Dirò, tuttavia, subito con ogni franchezza che nel modo in cui fissa lungamente sul suo interlocutore lo sguardo, nel gesto, nella voce, Egli sembra (non so se per natura od in seguito alle preoccupazioni di questi tre lunghi ed angosciosi anni di guerra) come esaltato e non del tutto normale.“ Pacelli an Gasparri vom 30. Juni 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. III, fol. 111r–120v, hier fol. 117r, online unter: www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 366. 75 „Egli sembra (non so se per natura od in seguito alle preoccupazioni di questi tre lunghi ed angosciosi anni di guerra) come esaltato e non del tutto equilibrato ‚normale‘ [handschriftlich gestrichen und eingefügt von Pacelli].“ Pacelli an Gasparri vom 30. Juni 1917 (Entwurf); ASV, Arch. Nunz. Berlino 92, fasc. 1, fol. 3r–14r, hier fol. 10v, online unter www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 4498. 76 Viktor Emmanuel III. (1869–1947), 1881–1889 Besuch verschiedener Militärschulen in Neapel und Modena, 1889–1897 Befehlshaber in Neapel, Modena und Florenz, 1900 König von Italien, 1915 Befürwortung des Kriegseintritts Italiens auf Seiten der Entente, 1915–1918 vorübergehende Übergabe der Regentschaft an den Herzog von Genua, 1922 Ernennung Benito Mussolinis zum Ministerpräsidenten, 1925/26 Begünstigung der Errichtung der faschistischen Diktatur durch königliche Dekrete, 1936 Eroberung Äthiopiens und Übernahme des Titels „Kaiser von Äthiopien“, 1939 König von Albanien, 1943 Absetzung als König, 1944 Verzicht auf die Regentschaft zu Gunsten seines Sohnes Umberto II., 1946 Abdankung. Vgl. Dizionario dei personaggi storici, Bologna 1965, S. 313; Antonio Spinosa, Vittorio Emanuele III: l’astuzia di un re, Mailand 1999. 77 „E’finita per sempre colla Casa di Savoia, aggiunse l’Imperatore, che dovrà scontare il suo tradimento (e qui fece di nuovo col pugno stretto lo stesso gesto di prima). La situazione del Papa e intollerabile; é necessario che a tutela della sua sovranità abbia un territorio indipendente con una striscia sino al mare, la quale assicuri la libertà della co-

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Hubert Wolf municazioni.“ Pacelli an Gasparri vom 30. Juni 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. III, fol. 111r–120v, hier fol. 118r, online unter: www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 366. 78 Theobald von Bethmann Hollweg (1856–1921), 1876 Jurastudium in Straßburg, Leipzig und Berlin, 1880 Eintritt in den preußischen Verwaltungsdienst, 1899 Oberpräsident der Provinz Brandenburg, 1905 Preußischer Minister des Innern, 1907 Staatssekretär des Reichsamtes des Innern, Stellvertreter des Reichskanzlers und Vizepräsident des Preußischen Staatsministeriums, 1909–1917 Reichskanzler. Vgl. Theobald von Bethmann Hollweg, Betrachtungen zum Weltkriege, Teil 1: Vor dem Kriege; Teil 2: Während des Krieges, ND Essen 1989; DBE 1, 1995, S. 497; Fritz Fischer, Theobald von Bethmann Hollweg (1856–1921), in: Wilhelm von Sternburg (Hg.), Die deutschen Kanzler. Von Bismarck bis Schmidt, Berlin 1998, S. 87–114; Werner Frauendienst, Art. ‚Theobald Theodor Friedrich Alfred v. B. Hollweg‘, in: NDB 2, 1955, S. 188–193, online unter: http://mdz10.bib-bvb.de/ ~db/0001/bsb00016318/images/index.html?nativeno=188 (Stand: 29. 4. 2008); Wolfgang J. Mommsen, Die deutsche öffentliche Meinung und der Zusammenbruch des Regierungssystems Bethmann Hollwegs im Juli 1917, in: GWU 19, 1968, S. 656–671; Günter Wollstein, Theobald von Bethmann Hollweg. Letzter Erbe Bismarcks, erstes Opfer der Dolchstoßlegende, Göttingen 1995. 79 Zum deutschen Friedensangebot vom 12. Dezember 1916 siehe Jacques Grundewald – André Scherer (Hgg.), L’Allemagne et les problèmes de la paix pendant la première guerre mondiale. Documents extraits de l’Office allemand des affaires étrangères, Bd. 1, Paris 1962, Nr. 420, S. 613–615; Wolfgang Steglich, Bündnissicherung oder Verständigungsfrieden. Untersuchungen zu dem Friedensangebot der Mittelmächte vom 12. Dezember 1916 (Göttinger Bausteine zur Geschichtswissenschaft 28), Göttingen 1958. 80 „Egli mi dichiarò che la Germania é dispostissima a discutere la diminuzione degli armamenti, naturalmente a condizione di simultaneità. … Anche quanto al Belgio, la Germania è disposta a restituirlo nella sua piena indipendenza, esigendo però le giuste garanzie perché esso non cada sotto la dominazione politica, militare e finanziaria dell’Inghilterra e della Francia, le quali certamente se ne servirebbero come di uno strumento ai danni della Germania.“ Pacelli an Gasparri vom 30. Juni 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. III, fol. 111r–120v, hier fol. 112v–113r, online unter: www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 366. 81 Pacelli an Gasparri vom 26. Juni 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. III, fol. 108r–v, online unter: www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 6004. 82 „Io non condivido il pessimismo del Sig. Bethman Hollweg che cioè la pace per ora è impossibile a causa della ostinazione dei Governanti dell’Intesa, particolarmente di Lord George. Certo si è che i Governanti dell’Intesa, dopo la risposta data al primo messaggio di Wilson, hanno percorso un lungo cammino, lasciando cadere per istrada a poco a poco le pretese che rende vano impossibile la pace. Sonnino, per esempio, tre giorni or sono nelle sedute secrete della Camera dei deputati fu di una moderazione che recò meraviglia anche ai socialisti officiali. D’altronde lo stato di animo del popolo e dell’esercito in Italia è tale da destare serie preoccupazioni. Anche della Francia avrei molto da dire, ma preferisco astenermene, non essendo egualmente sicuro delle notizie che mi sono trasmesse. Per queste ed altre considerazioni che sarebbe superfluo esporre, io ritengo che una proposta di pace, conforme nella sostanza alle buone disposizioni manifestate alla S. V. dall’Imperatore di Austria e dal Cancelliere dell’Impero tedesco, fatta al momento opportuno dalla Santa Sede, avrebbe qualche probabilità di essere accolta.“ Gasparri an Pacelli vom 4. Juli 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 410, fasc. 1, fol. 52r–53r, hier fol. 52r–53v.

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Der Papst als Mediator? 83 Denkschrift über die päpstlichen Friedensvorschläge; ASV, Arch. Nunz. Monaco 410, fasc. 1, fol. 54r–55r; Das Dokument ist in der von Pacelli überarbeiteten Version und in deutscher Übersetzung ediert bei Steglich (Hg.), Friedensappell (wie Anm. 4), Nr. 98– 100, S. 132–135. Danach das Folgende. 84 „Unisco lo schema della proposta di pace, che, a parer mio, dovrebbe farsi a detti i belligeranti o almeno ai principali e V. S. è autorizzata a suggerire le modificazioni che giudicherà necessarie od opportune. Si accenti nel modo che crederà più conveniente, dovesse per questo fare un nuovo viaggio a Berlino: 1 quale viso farebbe la Germania a tale proposto di pace; 2 quale sarebbe, a giudizio della Germania, il momento opportuno per presentarla, se al principio del quarto anno di guerra, o nel prossimo autunno quando saranno terminate le offensive e ne sarà evidente la inefficacia. Non occorre che le raccomandi di fare tutto il Suo possibile affinché la Germania accolga bene una simile proposta, specialmente il n. 2 e 3; alla gloria militare essa aggiungerebbe il merito di aver ridato la pace all’umanità ed iniziato una nuova era di civiltà e di benessere nel mondo.“ Gasparri an Pacelli vom 4. Juli 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 410, fasc. 1, fol. 52r–53r, hier fol. 53rv. 85 Benedikt XV. an Wilhelm II. vom 13. Juni 1917, in: Steglich (Hg.), Friedensappell (wie Anm. 4), Nr. 69, S. 105 f. 86 Wilhelm II. an Benedikt XV. vom 15. Juli 1917, ebd., Nr. 80, S. 116–118. 87 Georg Michaelis (1857–1936), 1876 Studium der Rechtswissenschaft in Breslau, Leipzig und Würzburg, 1884 Dr. jur., 1885 Lehrer in Staats- und Verwaltungsrecht an der Schule deutscher Rechtswissenschaften in Tokio, ab 1888 im preußischen Justizdienst und im inneren Verwaltungsdienst in Liegnitz und Breslau, 1909 Unterstaatssekretär im preußischen Finanzministerium, 1914 Vorsitzender im Aufsichtsrat der Kriegsgetreide-Gesellschaft, 1915 Reichskommissar der Reichsgetreidestelle, 1917 preußischer Staatskommissar für Volksernährung, 14. Juli bis 1. November 1917 Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident, 1918–1919 kurzzeitig Oberpräsident der Provinz Pommern. Vgl. DBE 7, 1998, S. 121; Karl Dietrich Erdmann, Stellungnahme zu dem vorstehenden Aufsatz, in: GWU 7, 1956, S. 297–305; Dieter Hein, Georg Michaelis, in: Sternburg (Hg.), Kanzler (wie Anm. 78), S. 115–121; Georg Michaelis, Für Staat und Volk, eine Lebensgeschichte, Berlin 1922; Wilhelm Michaelis, Der Reichskanzler Michaelis und die päpstliche Friedensnote von 1917, in: GWU 7, 1956, S. 14–25; Ders., Der Reichskanzler Michaelis und die päpstliche Friedensaktion 1917. Neue Dokumente, in: GWU 12, 1961, S. 418–434; Rudolf Morsey, Art. ‚Michaelis, Georg‘, in: NDB 17, 1994, S. 432–434, online unter: http://mdz10.bib-bvb. de/~db/0001/bsb00016335/images/index.html?seite=448 (Stand: 30. 6. 2009); Christoph Regulski, Die Reichskanzlerschaft von Georg Michaelis 1917. Deutschlands Entwicklung zur parlamentarisch-demokratischen Monarchie im Ersten Weltkrieg, Marburg 2003; Ernst Schütte, Noch einmal: Der Reichskanzler Michaelis und die päpstliche Friedensaktion von 1917, in: GWU 7, 1956, S. 292–297. 88 Huber, Verfassungsgeschichte (wie Anm. 66), Bd. 5, S. 288–316; Wolfgang J. Mommsen, Die deutsche öffentliche Meinung und der Zusammenbruch des Regierungssystems Bethmann Hollwegs im Juli 1917, in: GWU 19, 1968, S. 656–671; Regulski, Reichskanzlerschaft (wie Anm. 87), S. 13–92. 89 „Attuale Cancelliere Bavarese [sic], di carattere energico, protestante pietista, ma, si dice, non ostile cattolici.“ Pacelli an Gasparri vom 15. Juli 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. III, fol. 134rv, online unter: www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 6050. 90 „Profittando autorizzazione dispaccio 39416 mi permetto proporre N 2 sostituire o almeno aggiungere alla parola ‚disarmo‘ le altre ‚diminuzione armamenti‘ giacché completo disarmo sarebbe difficilmente accettato.“ Pacelli an Gasparri vom 15. Juli 1917; ASV,

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Hubert Wolf A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. III, fol. 134v, online unter: www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 6050. 91 „Il numero 2 è il caposaldo del progetto. Può modificarsi nel modo seguente: Diminuzione simultanea e reciproca degli armamenti in guisa che ciascuno Stato abbia il numero dei soldati coi relativi armamenti necessario al mantenimento ordine pubblico. La conferenza della pace fisserà per ciascuno Stato tale numero dei soldati coi relativi armamenti e determinerà la sanzione internazionale contro lo Stato che violerà l’impegno assunto.“ Gasparri an Pacelli vom 16. Juli 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 410, fasc. 1, fol. 59r. 92 „Se note condizioni pace presentassero difficoltà, V. S. I. procuri in ogni caso ottenere tali che siano veramente accettabili dall’altra parte; altrimenti tutto è inutile, anzi situazione risulterebbe peggiorata. V. S. I. faccia riflettere Cancelliere che Germania, mostrandosi conciliante in modo da affrettare la pace, esce dalla lotta gigantesca con tutto l’onore delle armi e riacquista la simpatia del mondo intero.“ Gasparri an Pacelli vom 19. Juli 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 410, fasc. 1, fol. 60r. 93 „Aggiunsi che, sebbene tali basi non fossero state ancora comunicate alle altre Potenze, nondimeno la Santa Sede medesima, fondandosi sulle informazioni che e ad Essa possibile avere grazie alla sua ammirabile organizzazione mondiale, credeva di poter riten[ere] non già con certezza, ma con seria probabilità che la proposta medesima verrebbe accolta. Tuttavia, la Santa Sede, prima di procedere ad un passo ufficiale presso i vari Stati, assiderava, per uno speciale riguardo verso la Germania la quale più di tutti gli altri si hmanifestai [handschriftlich eingefügt von Pacelli] propensa alla pace, di conoscere in via confidenziale il pensiero dell’Imperiale Governo intorno alle più volte menzionate basi.“ Pacelli an Gasparri vom 27. Juli 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. III, fol. 148r–151v, hier fol. 148v, online unter: www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 378. 94 „Da impressione avuta spero che basi proposte rimarranno in principio le stesse, salvo mutazioni formali per renderle accettabili autorità militari, e alcune aggiunte riferentisi specialmente interessi altri alleati Germania e Colonie prese da Giappone e Francia. … Spero avere presso risposta sufficientemente soddisfacente.“ Pacelli an Gasparri vom 25. Juli 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. III, fol. 146r, online unter: www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 6053. 95 Paul von Hindenburg (1847–1934), 1859 Kadettenanstalt in Wahlstatt und Hauptkadettenanstalt in Berlin, 1866 Teilnahme am Preußisch-Österreichischen Krieg, 1870– 1871 Teilnahme am Deutsch-Französischen Krieg, 1870–1911 Abschied aus dem Militärdienst im Rang eines Kommandierenden Generals, 1914 Reaktivierung und Oberbefehlshaber der deutschen Truppen an der Ostfront, 1916 Übernahme der 3. Obersten Heeresleitung mit Erich Ludendorff, 1919 Ruhestand, 1925 Reichspräsident, 1932 Wiederwahl zum Reichspräsidenten. Vgl. Werner Conze, Art. ‚Hindenburg, Paul‘, in: NDB 9, 1972, S. 178–182, online unter: http://mdz10.bib-bvb.de/~db/0001/bsb00016326/images/index. html?seite=194 (Stand: 25. 6. 2009); Bernhard R. Kroener, in: DBE 5, 1997, S. 52 f.; Wolfgang Pyta, Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, Berlin 2007. 96 „Signor Zimmermann confessò apertamente che i detti Capi, sopratutto ora dopo i recenti successi contro i Russi, sono padroni assoluti della situazione, mentre gli uomini politici e diplomatici, per natura loro più concilianti, hanno un potere ed una influenza assai limitata. Risposi che se le proposte, nel modo in cui erano state formulate dalla Santa Sede, non si ritenevano accettabili dai Capi militari, ben si poteva studiare una nuova redazione. Aggiunsi però che, quanto più con eventuali modificazioni si fosse indebolito il contenuto delle proposte medesime, e specialmente del punto secondo che ne è il capo-

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Der Papst als Mediator? saldo, tanto più diminuiva, in proporzione geometrica, la probabilità che vengano accolte dalle Potenze dell’Intesa. E qui mi sia lecito rilevare come sia purtroppo innegabile la eccessiva preponderanza del militarismo in Germania.“ Pacelli an Gasparri vom 27. Juli 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. III, fol. 148r–151v, hier fol. 149v, online unter: www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 378. 97 „… che le basi proposte rimarranno in massima le stesse, salvo modificazioni di forma per renderle accettabili alle Autorità militari (che si teme opporranno resistenza) ed alcune aggiunte dirette specialmente a salvaguardare gli interessi degli Alleati della Germania (compresa la Turchia, di cui si vorrebbe assicurare l’integrità territoriale) e a garantire la restituzione delle colonie occupate dal Giappone e dalla Francia.“ Pacelli an Gasparri vom 27. Juli 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. III, fol. 148r–151v, hier fol. 150v, online unter: www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 378. 98 Aufzeichnung des Staatssekretärs des deutschen Auswärtigen Amtes Zimmermann vom 24. Juli 1917, in: Steglich (Hg.), Friedensappell (wie Anm. 4), Nr. 97, S. 131 f. 99 „Appena Cancelliere tornerà Berlino, crederei opportuno che V. I. S. rechisi subito Berlino sia per avere prima risposta, che urge, sia per discutere là ed ottenere il più possibile.“ Gasparri an Pacelli vom 3. August 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 410, fasc. 1, fol. 96r. 100 „Ministri inglesi hanno dichiarato esser disposti a trattare con Germania democratizzata e considerare democratizzazione come sufficienti garanzia per avvenire. Considerando che la democratizzazione consisterebbe nel rendere Cancelliere responsabile davanti Parlamento, V. I. S., nel modo che riterrà più opportuno, procuri ottenerla dall’Imperatore spianando così la via alla pace.“ Gasparri an Pacelli vom 29. Juli 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 410, fasc. 1, fol. 89r. 101 Max von Baden (1867–1929), 1889–1911 Militärlaufbahn, 1907 badischer Thronfolger, 1914 Einsatz für die Kriegsgefangenenfürsorge und für einen Verständigungsfrieden, vom 3. Oktober bis 9. November 1918 Preußischer Ministerpräsident und Reichskanzler eines parlamentarischen Regierungssystems, Angebot eines Waffenstillstands und Friedens an die USA, Verkündigung der Abdankung Kaiser Wilhelms II. und Übergabe des Amts des Reichskanzlers an Friedrich Ebert. Vgl. DBE 6, 1997, S. 674; Lothar Gall, Max von Baden (1867–1929), in: Sternburg (Hg.), Kanzler (wie Anm. 78), S. 137–143; Golo Mann – Andreas Burckhardt (Hgg.), Prinz Max von Baden, Erinnerungen und Dokumente, Stuttgart 1968; Erich Matthias – Rudolf Morsey (Hgg.), Die Regierung des Prinzen Max von Baden, Düsseldorf 1962; Karina Urbach – Bernd Buchner, Prinz Max von Baden und Houston Stewart Chamberlain. Aus dem Briefwechsel 1909–1919, in: VZG 52, 2004, S. 121–177, online unter: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/ 2004_1_4_urbach.pdf (Stand: 5. 12. 2009). 102 Udo Bermbach, Vorformen parlamentarischer Kabinettsbildung in Deutschland. Der Interfraktionelle Ausschuss 1917/18 und die Parlamentarisierung der Reichsregierung (Politische Forschungen 8), Köln 1967; Huber, Verfassungsgeschichte (wie Anm. 66), Bd. 5, S. 296–316, 373–401, 467–496, 521–550, 584–599; Thomas Kühne, Demokratisierung und Parlamentarisierung. Neue Forschungen zur politischen Entwicklungsfähigkeit Deutschlands vor dem Ersten Weltkrieg, in: Geschichte und Gesellschaft 31, 2005, S. 293– 316; Manfred Rauh, Die Parlamentarisierung des Deutschen Reiches (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 60), Düsseldorf 1977; Christoph Schönberger, Die überholte Parlamentarisierung. Einflußgewinn und fehlende Herrschaftsfähigkeit des Reichstags im sich demokratisierenden Kaiserreich, in: HZ 272, 2001, S. 622–666. 103 Siehe dazu die Korrespondenz zwischen Pacelli und Bergen vom 4. bis 11. August

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Hubert Wolf 1917, in: Steglich (Hg.), Friedensappell (wie Anm. 4), Nr. 107–110, 113, 115, 117, S. 142–144, 147–149. 104 Gegendenkschrift der deutschen Reichsregierung zu der vom Apostolischen Nuntius Pacelli übergebenen Denkschrift, ebd., Nr. 119, S. 150–155. 105 Papst Benedikt an die Oberhäupter der kriegführenden Völker, in: ebd., Nr. 124, S. 160–162. Wilhelm II. las das Schreiben ‚Dès le début‘ am 16. August in Homburg vor der Höhe, im Auswärtigen Amt lag es am 16. August vor. Siehe dazu Gasparri an Wilhelm II. vom 2. August 1917, ebd., Nr. 123, S. 159 f., hier S. 159. 106 Benedictus PP. XV., Aux Chefs des peuples belligérants, unter der Überschrift ‚Una Nota del Sommo Pontefice ai Capi dei popoli belligeranti‘, in: Osservatore Romano Nr. 225 vom 17. August 1917, S. 1. 107 Siehe die deutsche Übersetzung des Textes nach der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 18. August 1917 unter dem Titel ‚Die Friedensnote Papst Benedikts XV. vom 1. August 1917‘, in: Schlott, Friedensnote (wie Anm. 8), S. 95–99, hier S. 95. 108 Benedictus PP. XV., Aux Chefs des peuples belligérants, unter der Überschrift ‚Una Nota del Sommo Pontefice ai Capi dei popoli belligeranti‘ in: Osservatore Romano Nr. 225 vom 17. August 1917, S. 1. 109 Tägliche Rundschau Nr. 419 vom 18. August 1917, S. 1 f., zitiert nach Schlott, Friedensnote (wie Anm. 8), S. 37. 110 Dass Italien, Frankreich und Russland eine Vermittlerrolle des Heiligen Stuhls im Gegensatz zu den USA und Großbritannien ablehnten, lässt sich allein daraus ableiten, dass sie die Friedensinitiative nicht beantworteten und den Vatikan damit brüskierten. Aschoff, Benedikt XV. (wie Anm. 2), S. 313. 111 Enzyklika Benedikts XV. ‚Pacem, Dei munus pulcherrimum‘ vom 23. Mai 1920, in: AAS 12, 1920, S. 209–218, hier S. 215–217. Kardinalstaatssekretär Gasparri urteilte über die Versailler Friedensverträge: „Es ist ein Gewaltfriede zustande gekommen, und an dessen Festsetzung würde sich der Heilige Stuhl auch dann nicht beteiligt haben, wenn man ihn dazu eingeladen hätte.“ Friedrich Engel-Janosi, Vom Chaos zur Katastrophe. Vatikanische Gespräche 1918 bis 1938, Wien – München 1971, S. 35; Fattorini, Germania (wie Anm. 11), S. 163–166. 112 Vgl. Konrad Repgen, Die Außenpolitik der Päpste im Zeitalter der Weltkriege, in: Hubert Jedin – Konrad Repgen (Hgg.), Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. 7: Die Weltkirche im 20. Jahrhundert, Freiburg i. Br. u. a. 1979, S. 36–96, hier S. 51; Pius XII. an den deutschen Episkopat vom 6. August 1940, in: Burkhart Schneider u. a. (Hgg.), Die Briefe Pius’ XII. an die deutschen Bischöfe 1939–1945 (VKZG.A 4), Mainz 1966, Nr. 53, S. 85–97, hier S. 93. 113 Enzyklika Benedikts XV. ‚Pacem, Dei munus pulcherrimum‘ vom 23. Mai 1920, in: AAS 12, 1920, S. 216; Stefan Samerski, Der Hl. Stuhl und der Vertrag von Versailles, in: ZKG 107, 1996, S. 355–375, hier S. 362. 114 Ebd., S. 373. 115 Die Friedensnote Papst Benedikts XV. vom 1. August 1917, in: Schlott, Friedensnote (wie Anm. 8), S. 97. 116 Vgl. Heinrich Missalla, „Gott mit uns“. Die deutsche Kriegspredigt 1914–1918, München 1968. 117 Richard von Kühlmann (1873–1948), 1892 Jurastudium in Leipzig, Berlin und München, ab 1895 im bayerischen Justiz- und Verwaltungsdienst, 1896 Dr. jur., ab 1899 im Auswärtigen Dienst mit Tätigkeit in Berlin, Teheran, London, Washington, Den Haag, Stockholm und Konstantinopel, 1914 im einstweiligen Ruhestand, 1915 Gesandter in außerordentlicher Mission in Den Haag, 1916 kommissarischer Leiter der Botschaft in Kon-

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Der Papst als Mediator? stantinopel, 1917 Staatssekretär des Auswärtigen Amts, 1918 Leiter der deutschen Delegation bei den Friedensverhandlungen mit Sowjetrussland in Brest-Litowsk und mit Rumänien in Bukarest und danach Versetzung in den Ruhestand. Vgl. Ralf Berg, Art. ‚Kühlmann, Richard v.‘, in: NDB 13, 1982, S. 189 f., online unter: http://mdz10.bib-bvb. de/~db/0001/bsb00016330/images/index.html?seite=205 (Stand: 23. 6. 2009); Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes. 1871–1945, Bd. 2: G–K, Paderborn u. a. 2005, S. 683 f.; Richard von Kühlmann, Erinnerungen, Heidelberg 1948; Friedrich Meinecke, Kühlmann und die päpstliche Friedensaktion von 1917, in: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften 17, 1928, S. 174–192. 118 Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Arthur Zimmermann, sandte am 19. Januar 1917 ein codiertes Telegramm an den deutschen Botschafter in Washington, Johann Heinrich Graf von Bernstorff. Dieser sollte es an den deutschen Gesandten in Mexiko, Heinrich von Eckardt, weiterleiten und der mexikanischen Regierung ein gegen die USA gerichtetes Bündnis anbieten. Der britische Marinenachrichtendienst fing diese und eine weitere Nachricht Eckardts nach Mexiko ab und decodierte sie. Da die britische Regierung an einem Kriegseintritt der USA interessiert war, informierte sie den amerikanischen Botschafter in London. Am 1. März wurde der Text des sogenannten Zimmermann-Telegramms in der Presse veröffentlicht. Durch Bekanntwerden des Telegramms wurden die Kreise in den USA geschwächt, die den bisherigen isolationistischen Kurs beibehalten wollten. Die USA erklärten auch unter dem Eindruck des wiederaufgenommenen uneingeschränkten U-Boot-Krieges dem Deutschen Reich am 4. April 1917 den Krieg. Zimmermann musste am 6. August von seinem Amt als Staatssekretär zurücktreten, da er die Authentizität des Dokumentes bestätigte. Markus Pöhlmann, Zimmermann-Telegramm, in: Hirschfeld u. a. (Hgg.), Enzyklopädie (wie Anm. 61), S. 977. 119 Erzberger an Pacelli vom 23. August 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 413, fasc. 1, fol. 24r–25r, hier fol. 24r. 120 Erzberger an Pacelli vom 28. August 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 413, fasc. 1, fol. 26r–27r. 121 Pacelli an Gasparri vom 30. August 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. IV, fol. 149r–151r, online unter www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 398. Vgl. Matthias – Morsey (Bearb.), Der interfraktionelle Ausschuß (wie Anm. 60), Bd. 1, Nr. 40, S. 168–180. 122 Pacelli an Gasparri vom 24. August 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. IV, fol. 142r, online unter www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 8072. 123 Robert Lansing an Benedikt XV. vom 27. August 1917, in: Steglich (Hg.), Friedensappell (wie Anm. 4), Nr. 369, S. 422–424. Für die deutsche Übersetzung siehe Schlott, Friedensnote (wie Anm. 8), S. 106–109. Großbritannien, Frankreich und Italien stellten sich hinter die US-amerikanischen Forderungen und entwarfen keine eigenen Antwortschreiben. 124 Pacelli an Gasparri vom 6. September 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. IV, fol. 240r–241r, online unter www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 8076. 125 Pacelli an Michaelis vom 30. August 1917, in: Steglich (Hg.), Friedensappell (wie Anm. 4), Nr. 280, S. 342 f., hier S. 342. Siehe im italienischen Original online unter www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 10019: „… una dichiarazione precisa sulle intenzioni del Governo Imperiale circa il ristabilimento della completa indipendenza del Belgio …“ 126 Pacelli an Bergen vom 5. September 1917, in: Steglich (Hg.), Friedensappell (wie

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Hubert Wolf Anm. 4), Nr. 282, S. 344, online unter www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 10033; Pacelli an Bergen vom 9. September 1017, in: ebd., Nr. 284, S. 345. 127 „Mi si conferma da Berlino che risposta generale nota Santo Padre sarà favorevole e verrà inviata probabilmente settimana prossima.“ Pacelli an Gasparri vom 9. September 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesistici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. IV, fol. 155r, online unter www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 8078. 128 Matthias – Morsey (Bearb.), Der interfraktionelle Ausschuß (wie Anm. 60), Bd. 1, Nr. 42, S. 184–204. 129 Erzberger an Pacelli vom 10. September 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 413, fasc. 1, fol. 33r–34r, hier fol. 33r. 130 Erzberger an Pacelli vom 11. September 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 413, fasc. 1, fol. 39r–40r, hier fol. 40r. 131 Viktor Naumann (1865–1923), 1884 Studium der Rechtswissenschaften in Freiburg i. Br., Berlin und Leipzig, 1888 Dr. jur., 1888 im preußischen Justizdienst, danach freier Schriftsteller in Wien, Coburg, München und Wiesbaden, 1919 Direktor (Gesandter) der Nachrichtenabteilung im Auswärtigen Amt, danach Publizist in München für den „Frankfurter Generalanzeiger“, die „Schlesische Volkszeitung“, die „Augsburger Postzeitung“ und die „Plutus-Briefe für Heranbildung leitender Bankbeamter“. Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Bd. 3: L–R, Paderborn u. a. 2008, S. 345 f.; DBE 7, 1998, S. 351; Viktor Naumann, Dokumente und Argumente, Berlin 1928. 132 Denkschrift Victor Naumanns für den Heiligen Stuhl [um den 23.] April 1917, in: Steglich (Hg.), Friedensappell (wie Anm. 4), Nr. 44, S. 74–80. 133 Ludwig Freiherr von Falkenhausen (1844–1936), ab 1862 im preußischen Militärdienst, 1873 im Generalstab, 1902 als Kommandierender General des XIII. (Württembergischen) Armee-Korps im Ruhestand, 1914 Kommandierender General und Oberbefehlshaber, 1915 Dr. phil. h. c. in Berlin, 1917 Generalgouverneur in Belgien. Vgl. Hermann Gackenholz, Art. ‚Falkenhausen, v., Ludwig‘, in: NDB 5, 1961, S. 11, online unter: http:// mdz10.bib-bvb.de/~db/0001/bsb00016321/images/index.html?seite=27 (Stand: 6. 10. 2009). 134 „Anche Segretario Stato Affari Esteri nella sessione segreta commissione 7 lunedì passato ha detto che Belgio ha per Germania come pegno alto valore che sarebbe perduto, se si mettessero apertamente carte sul tavolo, specialmente allorché pretese nemico sono ancora molto elevate e che così forte arma guerra non deve cadere dalle mani precisamente ora che avvicinasi momento trattative ufficiali pace. Prego V. E. R. darmi sollecite istruzioni in proposito particolarmente se devo far comprendere Governo Imperiale che mancando positiva e concreta dichiarazione favorevole Belgio trattative pace rimarrebbero assolutamente compromesse.“ Pacelli an Gasparri vom 12. September 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. IV, fol. 158r, online unter www.pacelliedition.de, Dokument Nr. 8079. 135 Michaelis an Gasparri vom 19. September 1917, Entwurf H, in: Steglich (Hg.), Friedensappell (wie Anm. 4), Nr. 140, S. 193–202. 136 „A me sembra che nella sostanza vi sia l’accettazione piena delle proposte Pontificie come base acconcia per il raggiungimento della pace; accettazione esplicita per ciò che riguarda i punti fondamentali del disarmo e dell’arbitrato (salva la riserva degli interessi vitali dell’Impero e del popolo germanico), implicita per ciò che concerne gli altri punti. Importante pure mi sembra il richiamo alla manifestazione di pace del Reichstag del 19 luglio scorso (di cui, per ogni buon fine, unisco anche copia), sia perché conferma la collaborazione ed il consenso dei rappresentanti del popolo colla risposta del Governo, sia perché ivi espressamente si escludono gli ‚acquisti territoriali conseguiti colla forza‘ e

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Der Papst als Mediator? le ‚violazioni politiche, economiche e finanziarie‘, nel che rientra la questione del Belgio.“ Pacelli an Gasparri vom 14. September 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. IV, fol. 174r–175r, hier fol. 174v–175r, online unter www.pacelliedition.de, Dokument Nr. 5010. 137 Erzberger an Pacelli vom 14. September 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 409, fasc. 2, fol. 178r–v. 138 „Trattato lungamente questione Belgio e spero averlo convinto necessità risposta favorevole. Probabilmente prima risposta sarà alquanto vaga; spero però che, lentamente ma fermamente si giungerà dichiarazione del tutto concreta e soddisfacente.“ Pacelli an Gasparri vom 15. September 1917 (Ausfertigung); ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. IV, fol. 167rv, online unter www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 8622; Entwurf, ASV, Arch. Nunz. Monaco 413, fasc. 1, fol. 96r, online unter www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 8145. 139 Pacelli an Michaelis vom 18. September 1917, in: Steglich (Hg.), Friedensappell (wie Anm. 4), Nr. 290, S. 349; Pacelli an Bergen vom 20. September 1917, in: ebd., Nr. 296, S. 353; Pacelli an Bergen vom 21. September 1917, in: ebd., Nr. 301, S. 357 f. 140 „Governo rimasto sorpreso mancata soddisfazione Santa Sede giacché credeva avere concesso moltissimo come primo passo a cui, se nemici mostrassero corrispondenza buona volontà seguirebbero altre.“ Pacelli an Gasparri vom 21. September 1917; ASV, A.E.S., III. periodo, Stati Ecclesiastici, pos. 1317, fasc. 470, vol. IV, fol. 172r, online unter www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 5009. 141 „Qui in genere regna ottimismo e si giudica Santa Sede eccessivamente pessimista.“ Pacelli an Gasparri vom 21. September 1917; ASV, A.E.S., III. periodo, Stati Ecclesiastici, pos. 1317, fasc. 470, vol. IV, fol. 171r, online unter www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 8082. 142 Le riposte all’Appello Pontificio. La riposta dell’Imperatore d’Austria-Ungheria. La risposta del Governo tedesco, in: Osservatore Romano Nr. 262 vom 23. September 1917. 143 Die britische Regierung forderte am 21. August 1917 vom Deutschen Reich eine deutliche Stellungnahme zu ihren Plänen bezüglich Belgiens (Arthur James Balfour an John Francis Graf von Salis vom 21. August 1917, in: Steglich (Hg.), Friedensappell (wie Anm. 4), Nr. 272, S. 335). Erst danach könne sie selbst eine Antwort abgeben. Frankreich und Italien schlossen sich der US-amerikanischen Antwort an. 144 Kühlmann „Mi aggiunse (ed anch’io ho potuto facilmente constatarlo) che l’opinione pubblica in Germania è ancora assai divisa circa la questione del Belgio, né si è ancora efficacemente agito per orientarla ed unirla.“ Pacelli an Gasparri vom 22. September 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. IV, fol. 192r–196r, hier fol. 193v, online unter www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 5012. 145 „Una seconda fonte di difficoltà è stata ed è indubbiamente la mancanza di una Rappresentanza Pontificia residente stabilmente a Berlino. È cosa sommamente malagevole seguire gli avvenimenti ed agire a distanza. Né giova, in linea ordinaria, andare colà soltanto per qualche giorno; che anzi ciò può essere talvolta inopportuno e dannoso, specialmente in alcuni momenti più gravi e più delicati, durante i quali un viaggio del Nunzio di Monaco a Berlino solleverebbe infiniti commenti e sospetti, che metterebbero in imbarazzo lo stesso Governo ed accrescerebbero così gli ostacoli … Fortunatamente avendo fatto la conoscenza personale dei principali uomini di Stato di Berlino, posso corrispondere con essi per lettera; ma, oltre che, non essendo io accreditato presso il Governo Imperiale, tale corrispondenza ha soltanto carattere confidenziale e non ufficiale, essa non può mai sostituire il continuo contato e la discussione orale.“ Pacelli an Gasparri vom 22. Sep-

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Hubert Wolf tember 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. IV, fol. 193v–194r, online unter www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 5012. 146 „Tale ottimismo riguarda non soltanto le condizioni interne e la situazione militare della Germania, specialmente dopo l’efficace resistenza sostenuta nella fronte orientale e le vittorie sulla Russia colla celebratissima presa di Riga, ma anche la probabilità di una prossima pace.“ Pacelli an Gasparri vom 22. September 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. IV, fol. 194r–v, online unter www.pacelli-edition. de, Dokument Nr. 5012. 147 „… eccessivamente pessimistiche“. Pacelli an Gasparri vom 22. September 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. IV, fol. 194v, online unter www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 5012. 148 „… che a lui giungono riservatamente dall’Inghilterra … provano un costante aumento del desiderio di pace.“ Pacelli an Gasparri vom 22. September 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. IV, fol. 194v–195r, online unter www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 5012. 149 „… che l’Intesa, ed in particolare l’Inghilterra, ha fatto comprendere alla Germania la sua intenzione di trattare segretamente la pace e che anzi a Berlino si attende un negoziatore (il quale sarà forse un neutrale).“ Pacelli an Gasparri vom 22. September 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. IV, fol. 195r–v, online unter www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 5012. 150 Rodrigo de Saavedra y Vinent marqués de Villalobar (1864–1926), 1887 im spanischen diplomatischen Dienst mit Tätigkeit in Madrid, Washington, Paris, London, 1907 Gesandter in London, 1909 in Washington, 1910 in Lissabon, 1913 in Brüssel. Vgl. Jacques Willequet, Art. ‚Rodrigo de Saavedra y Vinent marqués de Villalobar‘, in: Biographie nationale Bd. 30, Brüssel 1959, Sp. 805–808. 151 Kühlmann fuhr demnach eine Doppelstrategie und versuchte neben dem Heiligen Stuhl Spanien als Mediator zu nutzen. Vgl. Steglich (Hg.), Friedensappell (wie Anm. 4), Nr. 434–509, S. 505–601. 152 „E’difficile prevedere quale, esito potranno avere queste eventuali trattative segrete, le quali, se non vorranno condannarsi all’insuccesso, dovranno necessariamente coincidere colle sapientissime proposte Pontificie. Ad ogni modo, checché si voglia pensare di tali negoziati, é indubitato che ad essi si dà qui importanza e ciò mi sembra spiegare come la Germania non voglia ancora pronunziarsi chiaramente sulla questione del Belgio e compromettere per conseguenza le sue posizioni.“ Pacelli an Gasparri vom 22. September 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. IV, fol. 195v, online unter www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 5012. 153 „Tali sono, a mio umile avviso, le principali cause che hanno impedito una migliore risposta. Il Governo Imperiale, del resto, crede di aver concesso moltissimo come primo passo (specialmente se si paragona coll’attitudine dell’Intesa) e ritiene che la sua Nota lasci la via aperta ad ulteriori trattative“; Pacelli an Gasparri vom 22. September 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. IV, fol. 196r, online unter www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 5012. 154 [Aktennotiz Erzbergers über eine] Besprechung mit Exzellenz Pacelli, Apostolischer Nuntius, München, den 23. September 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 409, fasc. 2, fol. 200r–201r, hier fol. 200r. 155 [Aktennotiz Erzbergers über eine] Besprechung mit Exzellenz Pacelli, Apostolischer Nuntius, München, den 23. September 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 409, fasc. 2, fol. 201r. 156 „L’Emo Signor Cardinal Segretario di Stato mi telegrafa che, per rimediare alla

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Der Papst als Mediator? sinistra impressione prodotta nei paesi dell’Intesa dalla risposta del Governo Imperiale al Santo Padre, sarebbe sommamente a desidararsi che S. E. il Signor Cancelliere dell’Impero, il quale domani al Reichstag parlerà probabilmente circa detta risposta, dicesse avere la Germania accettato in massima le basi proposte dalla Santa Sede per trattare la pace, riservandosi di precisarle e completarle per mezzo di negoziati particolari.“ Pacelli an Erzberger vom 25. September 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 409, fasc. 2, fol. 210r. 157 Michaelis an Pacelli vom 24. September 1917, in: Steglich (Hg.), Friedensappell (wie Anm. 4), Nr. 307, S. 361–363, hier S. 363. 158 Erzberger an Pacelli vom 26. September 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 409, fasc. 2, fol. 221r–v. 159 „Sarei lietissimo di poter dividere le Sue favorevoli convinzioni, ma pur troppo i fatti non me lo permettono. In ogni caso confido nella Provvidenza divina, la quale regge le sorti delle Nazioni.“ Pacelli an Erzberger vom 30. September 1917; ASV, Arch. Nunz. Monaco 409, fasc. 2, fol. 236r. 160 „… il che, del resto, é conforme al carattere alquanto impulsivo dell’ottimo Signor Erzberger, che passa facilmente da un esagerato ottimismo ad una visione troppo nera della situazione.“ Pacelli an Gasparri vom 19. Juli 1917; ASV, A.E.S., Germania, pos. 1618, fasc. 849, fol. 2r–3r, hier fol. 2r, online unter: www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 4002. 161 „Malgrado tali opposizioni, io non credo di poterlo abbandonare, giacché è intelligente, buono, animato dalle migliori intenzioni, di un’attività fenomenale ed ha reso e rende (solo forse fra gli uomini politici del Centro), spontaneamente, moltissimi servigi alla Nunziatura e alla S. Sede; ma naturalmente debbo usare la massima circospezione, tanto più perché fra le sue innegabili egregie qualità la prudenza, la misura e la riservatezza non si trovano certo in prima linea.“ Pacelli an Gasparri vom 22. Oktober 1917; ASV, A.E.S., Germania, pos. 1635, fasc. 863, fol. 18r–19r, hier fol. 19r, online unter www.pacelliedition.de, Dokument Nr. 4043. 162 „Mi prevenne, tuttavia, ad evitare disillusioni (com’egli disse), che la prima risposta sarebbe stata probabilmente alquanto vaga; che la prima risposta sarebbe stata probabilmente alquanto vaga; ma mi lasciò pure chiaramente sperare che, sopratutto se l’Intesa mostrasse dal canto suo un poco di buona volontà, si giungerebbe lentamente, ma fermamente, ad una formula del tutto concreta e soddisfacente. Purtroppo la prima parte delle previsioni si è verificata anche al di là di quel che il Signor von Kuehlmann mi avesse manifestato, giacché la risposta del Signor Cancelliere mi è sembrata anche meno che semplicemente vaga; Dio faccia che si attuino le speranze concepite per l’avvenire!“ Pacelli an Gasparri vom 27. September 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. III, fol. 172r–177r, hier fol. 174v, online unter www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 6007. 163 „Decisamente, la causa della pace ha fatto in questi ultimi tempi in Germania parecchi passi indietro. Del resto, è stato qui sempre così: quando le cose vanno piuttosto male, sono pronti ad ogni accomodamento; ma se per un poco l’orizzonte si rischiara, si abbandonano alle più folli illusioni ed avanzano pretese inaudite, contro i veri interessi del Paese. Voglia il Signore che l’immortale azione del Nostro amatissimo Santo Padre non incontri qui nuovi e più potenti ostacoli!“ Pacelli an Gasparri vom 27. September 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. III, fol. 176r, online unter www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 6007. 164 „‚È difficilmente comprensibile come un conoscitore della situazione internazionale e degli usi internazionali potrebbe mai credere che noi fossimo in condizione di pronunciarci con una unilaterale e pubblica dichiarazione, a tutto nostro svantaggio, sulla soluzione di così importanti questioni, indissolubilmente legate col complesso dei problemi da

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Hubert Wolf trattarsi in eventuali negoziati di pace. Una simile dichiarazione non riuscirebbe attualmente che a produrre confusione ed a danneggiare gl’interessi della Germania. Io debbo perciò al momento presente rifiutare di precisare i nostri fini di guerra e di vincolare i nostri negoziatori.‘ Tali parole sembrano una rude e categorica risposta alle vive e ripetute premure invano da me fatto in tutto questo tempo, – ed anche ultimamente dopo il cifrato di Vostra Eminenza del 24 corrente – a nome della Santa Sede al fine di ottenere una chiara ed esplicita accettazione dei punti 3 e 4 della proposta Pontificia. A dir il vero, da un protestante fanatico, qual’è il Dr. Michaelis, non vi era da attendersi altro!“ Pacelli an Gasparri vom 27. September 1917; ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, III. periodo, pos. 1317, fasc. 470, vol. III, fol. 176v–177r, online unter www.pacelli-edition.de, Dokument Nr. 6007. 165 Renoton-Beine, Colombe (wie Anm. 2), S. 241. 166 Repgen, Außenpolitik (wie Anm. 112), S. 47. 167 Vgl. Samerski, Hl. Stuhl (wie Anm. 113), S. 359 f. 168 Vgl. dazu auch den Beitrag von Barbara Stollberg-Rilinger in diesem Band. 169 Explizit Samerski, Hl. Stuhl (wie Anm. 113), S. 355, 371; zur caritativen Tätigkeit während des Krieges siehe Robert Leiber, Die Päpstliche Kriegsfürsorge, in: StZ 100, 1921, S. 197–208. 170 Stockholm und Papst, in: Vorwärts Nr. 224 vom 16. August 1917, S. 1, zitiert nach Schlott, Friedensnote (wie Anm. 8), S. 45. 171 Pius XI. (Achille Ratti) (1857–1939), 1879 Priesterweihe, 1907 Präfekt der Bibliothek Ambrosiana in Mailand, 1911 Vizepräfekt der Vatikanischen Bibliothek, 1914 Präfekt ebenda, 1918 Apostolischer Visitator für Polen, Litauen und Russland, 1919 Titularerzbischof von Lepanto und Nuntius in Warschau, 1920 Apostolischer Oberkommissar für Oberschlesien, 1921 Erzbischof von Mailand, 6. Dezember 1922 Wahl zum Papst Pius XI. Vgl. Marc Agostino, Pie XI, in: Levillain (Hg.), Dictionnaire (wie Anm. 2), S. 1351– 1362; Konrad Fuchs, Art. ‚Pius XI.‘, in: BBKL 7, 1994, S. 680–682, online unter: http:// www.bautz.de/bbkl/p/pius_xi.shtml (Stand: 30. 6. 2009); Josef Gelmi, Art. ‚Pius XI.‘, in: LThK3 8, 1999, Sp. 335–337; Giovanni Sale, La difficile conciliazione tra stato e chiesa in Italia, in: Civiltà Cattolica 160, 2009, S. 324–335; Schwaiger, Papsttum (wie Anm. 2), S. 193–270; Giordano Stella, Pio XI. Il papa dei concordati, Mailand 2009; Wolf, Papst und Teufel (wie Anm. 9). 172 George Lansbury (1859–1940), 1886 Eintritt in die Liberale Partei, 1892 Eintritt in die Sozialdemokratische Föderation, 1903 Eintritt in die Labour-Partei, 1910–1912 und 1922–1944 Mitglied im House of Commons (Labour), 1912 Mitbegründer des „Daily Herald“, 1932–1935 Chef der Labour-Partei, Vorsitzender der „No More War“-Bewegung. Vgl. Bob Holman, Good Old George: The Life of George Lansbury, Oxford 1990; John Shepherd, George Lansbury. At the heart of Old Labour, Oxford 2002. 173 Siehe dazu die Bestände in ASV, A.E.S., Inghilterra, IV. periodo, pos. 236, fasc. 82 und fasc. 83, ASV, A.E.S., Inghilterra, IV. Periodo, pos. 258, fasc. 101 sowie ASV, A.E.S., Stati Ecclesiastici, IV. periodo, pos. 364, fasc. 252. 174 Die Lateran-Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien vom 11. Februar 1929, italienischer und deutscher Text, Freiburg i. Br. 1929, Art. 24, S. 31. 175 „Das Blut ungezählter Menschen, auch von Nichtkämpfern, erhebt erschütternde Klage, insbesondere auch über ein so geliebtes Volk, wie das polnische, dessen kirchliche Treue und Verdienste um die Rettung der christlichen Kultur mit unauslöschlichen Lettern in das Buch der Geschichte geschrieben sind und ihm ein Recht geben auf das menschlischbrüderliche Mitgefühl der Welt.“ Rundschreiben Pius XII. ‚Summi pontificatus dignitatem‘ vom 20. Oktober 1939, in: AAS 31, 1939, S. 565–594, hier S. 592, im lateinischen Original S. 413–453, hier S. 449.

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Der Papst als Mediator? 176 Inter arma caritas. L’Ufficio Informazioni Vaticano per i prigionieri di guerra istituito da Pio XII (1939–1947), 2 Bde., 8 DVDs, Vatikanstadt 2004. 177 „Questo voto l’umanità lo deve alle centinaia di migliaia di persone, le quali, senza veruna colpa propria, talora solo per ragione di nazionalità o di stirpe, sono destinate alla morte o ad un progressivo deperimento.“ Rundfunkansprache Pius’ XII. ‚Il Radiomessaggio Natalizio al mondo‘ vom 24. Dezember 1942, in: Discorsi e radiomessaggi di S.S. Pio XII, Bd. 4, Vatikanstadt 1960, S. 325–346, hier S. 345. 178 Michael von Faulhaber (1869–1952), 1889 Theologiestudium in Würzburg, 1892 Priesterweihe und Kaplan in Kitzingen/Main, 1893 Präfekt am Kilianeum in Würzburg, 1896 Kaplan an der deutschen Nationalstiftung Santa Maria dell’Anima in Rom, 1898 Habilitation und Privatdozent für alttestamentliche Exegese in Würzburg, 1903 Professor für alttestamentliche Exegese an der Universität Straßburg, 1910 Bischof von Speyer, 1914 stellvertretender bayerischer Feldpropst, 1917 Erzbischof von München und Freising und Vorsitzender der Freisinger Bischofskonferenz, 1921 Kardinal. Vgl. DBE 3, 1996, S. 235; Klaus Fitschen, Art. ‚Faulhaber, Michael von‘, in: BBKL 24, 2005, S. 602–615, online unter: http://www.bautz.de/bbKl/f/faulhaber_m.shtml (Stand: 14. 12. 2009); Kardinal Michael von Faulhaber. 1869 bis 1952. Eine Ausstellung des Archivs des Erzbistums München und Freising, des Bayerischen Hauptstaatsarchivs und des Stadtarchivs München zum 50. Todestag (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 44), München 2002; Michael Schmaus, Art. ‚Faulhaber, Michael v.‘, in: NDB 5, 1961, S. 31 f., online unter http://mdz10.bib-bvb.de/~db/0001/bsb00016321/images/index.html?seite=47 (Stand: 24. 6. 2009); Ludwig Volk, in: Erwin Gatz (Hg.), Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1785/1803 bis 1945. Ein biographisches Lexikon, Berlin 1983, S. 177–181; Ludwig Volk – Heinz Hürten (Bearb.), Akten Kardinal Michael von Faulhabers 1917–1952 (VKZG.A 17, 26, 48), 3 Bde., Mainz – Paderborn 1975–2002. 179 Pius XII. an Faulhaber vom 31. Januar 1943, in: Schneider u. a. (Hgg.), Briefe Pius’ XII. (wie Anm. 112), Nr. 96, S. 214–217, hier S. 215. 180 Matthias Ehrenfried (1871–1948), 1891 Studium der Theologie und Philosophie am Collegium Germanicum und an der Gregoriana in Rom, 1898 Priesterweihe, 1899 Dr. theol. und Kaplan in Hilpoltstein, 1900 Professor der Dogmatik in Eichstätt, ab 1901 Professor der Apologetik, Exegese und des Neuen Testamentes sowie der Homiletik ebenda, 1924 Bischof von Würzburg. Vgl. Max Domarus, Bischof Matthias Ehrenfried und das Dritte Reich, Würzburg 1998; Theodor Kramer, Art. ‚Ehrenfried, Matthias‘, in: NDB 4, 1959, S. 354, online unter: http://mdz10.bib-bvb.de/~db/0001/bsb00016320/images/index. html?seite=370 (Stand: 14. 12. 2009); Klaus Wittstadt, in: Gatz (Hg.), Bischöfe 1785/ 1803 bis 1945 (wie Anm. 178), S. 175 f. 181 Pius XII. an Ehrenfried vom 20. Februar 1941, in: Schneider u. a. (Hg.), Briefe Pius’ XII. (wie Anm. 112), Nr. 66, S. 125–127, hier S. 125. 182 Repgen, Außenpolitik (wie Anm. 112), S. 41; Chenaux, Pie XII (wie Anm. 9), S. 121; Wolf, Papst und Teufel (wie Anm. 9). 183 Eine Exkommunikation Adolf Hitlers hatte 1938 offenbar ausgerechnet Mussolini angeregt, vgl. zusammenfassend Wolf, Papst und Teufel (wie Anm. 9), S. 305 f. 184 Friedrich Ritter von Lama, Die Friedensvermittlung Papst Benedikts XV. und ihre Vereitlung durch den deutschen Reichskanzler Michaelis. Eine historisch-kritische Untersuchung, München 1932. 185 Renoton-Beine, Colombe (wie Anm. 2), S. 373. 186 Johannes Paul II. (Karol Wojtyla) (1920–2005), 1938 Studium der Philosophie und der Literatur in Polen in Krakau, 1942 im geheimen Priesterseminar ebenda, 1946 Priesterweihe und Studium am Angelicum in Rom, 1948 Dr. phil., 1949 Dr. theol., 1953 Pro-

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Hubert Wolf fessor für Moraltheologie in Krakau, 1954 Lehrbeauftragter für Philosophie und Sozialethik in Lublin, 1955 Habilitation ebenda, 1958 Titularbischof von Ombi und Weihbischof in Krakau, 1964 Erzbischof von Krakau, 1967 Kardinal, 16. Oktober 1978 Papst Johannes Paul II. Vgl. Ioannes Paulus PP. II, in: http://www.vatican.va/holy_father/john_paul_ii/ index_ge.htm (Stand: 14. 12. 2009); Stefan Samerski, Johannes Paul II., München 2008; Hubert Wolf, Religionsstifter auf katholisch? Johannes Paul II. (1978–2005), in: Alf Christophersen – Friedemann Voigt (Hgg.), Religionsstifter der Moderne. Von Karl Marx bis Johannes Paul II., München 2009, S. 257–268.

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Vermittlungsverfahren in innenpolitischen Konflikten Beobachtungen zur Bundesrepublik Ulrich Willems 1. Einleitung Wie die Beiträge dieses Bandes zeigen, stößt man zu allen Zeiten und in beinahe allen Kulturen und Gesellschaften auf Institutionen und Praktiken der Vermittlung in Konflikten. 1 Allerdings muss die Idee der Vermittlung in Konflikten in gewisser Weise auch immer wieder neu entdeckt und neu erfunden werden. Wiederentdeckt werden kann diese Idee, wenn andere Institutionen und Praktiken des Umgangs mit Konflikten – wie die Entscheidung durch politische Mehrheiten oder Gerichte – durch neue Konfliktkonstellationen überfordert werden und Konflikte nicht mehr produktiv wirken oder zumindest zivilisiert ausgetragen werden, sondern destabilisierende und destruktive Effekte hervorrufen. Neu erfunden werden muss diese Idee, weil unterschiedliche Konfliktkonstellationen in der Regel auch verschiedene Praktiken und Institutionen der Vermittlung erfordern und diese zudem in die jeweiligen gesellschaftlichen Kontexte und die existierenden Institutionen und Praktiken der Konfliktbearbeitung und Streitlösung eingepasst werden müssen. Moderne Gesellschaften bilden hier keine Ausnahme. So ist denn auch die Idee der Vermittlung in innenpolitischen Konflikten in den frühen siebziger Jahren in den USA in gewisser Weise neu entdeckt und neu erfunden worden. Darauf deutet bereits der Terminus Vermittlungsverfahren hin. Denn charakteristisch für die Neuerfindung der Institution des Vermittlers in innenpolitischen Konflikten sind die Versuche, den Vermittlungsprozess zu normieren und die Vermittlerrolle zu professionalisieren. Beides verdankt sich nicht zuletzt einem dritten neuen Charakteristikum zeitgenössischer Vermittlungsverfahren, nämlich der intensiven wissenschaftlichen Reflexion. Denn parallel zur Neuerfindung dieser Institution in den 1970er Jahren setzt nicht nur eine theoretische Beschäftigung mit den Voraussetzungen und Strategien erfolgreicher Vermittlung ein, sondern auch die empirische Erforschung solcher Verfahren. Die theoretische Reflexion wie die empirische Erforschung weisen allerdings eine Besonderheit auf. Denn ähnlich wie bei der Erforschung neuer sozialer Bewegungen sind auch hier die Forscherinnen und Forscher vielfach in hohem Maße mit dem Forschungsgegenstand identifiziert, haben teilweise sogar eigene Varianten von 221

Ulrich Willems

Vermittlungsverfahren entwickelt, initiieren die Anwendung solcher Verfahren in der Praxis, arbeiten teilweise selbst als Mediatoren und beobachten und bewerten schließlich das Schicksal ihrer Innovationen und Interventionen. Der folgende Beitrag wird die Vermittlungsverfahren in innenpolitischen Konflikten moderner Gesellschaften in drei Schritten vorstellen und diskutieren. In einem ersten Schritt sollen die normative Idee und die Instrumente des Mediationsverfahrens vorgestellt werden. Nach einer kurzen Skizze der Erfindung von Mediationsverfahren als Instrument der Bearbeitung vornehmlich von umweltpolitischen Konflikten in den frühen 1970er Jahren werden die grundlegenden Ideen moderner Mediationsverfahren im öffentlichen Bereich dargelegt, 2 einige Varianten solcher Mediationsverfahren samt den dahinter stehenden Philosophien und den jeweiligen Aufgaben eines Mediators erläutert und schließlich die Voraussetzungen und Bedingungen des Erfolgs von Mediationsverfahren diskutiert. Ein zweiter Schritt widmet sich der Beantwortung der Frage nach der Wirklichkeit und der Leistungsfähigkeit von Mediationsverfahren in innenpolitischen Konflikten moderner Gesellschaften. Diese Überlegungen rekurrieren im wesentlichen auf die bisherigen Ergebnisse der Forschung über Mediationsverfahren in der Bundesrepublik. Der Beitrag schließt mit einigen Erwägungen zu bisher noch ungelösten grundlegenden Problemen und Herausforderungen von Mediationsverfahren.

2. Idee und Instrumente des Mediationsverfahrens 2.1

Entstehung

Die Karriere der Mediationsverfahren in innenpolitischen Konflikten nimmt in ihren Ausgang bei der Bearbeitung von Konflikten im Umweltbereich in den USA der frühen 1970er Jahre.3 Bis zu diesem Zeitpunkt kamen Mediationsverfahren vornehmlich bei Konflikten in Familien sowie bei der Konfliktregelung in Nachbarschaft und Unternehmen zum Einsatz. 4 Als erstes Mediationsverfahren im Umweltbereich gilt ein Verfahren in den Jahren 1973/74, in dem es gelang, einen 15 Jahre andauernden Konflikt um den Bau eines Dammes zur Flutsicherung am Snoqualmie River im Bundesstaat Washington zu lösen. Die beiden aus dem Wissenschaftsbereich stammenden Mediatoren, Gerald W. Cormick und Jane McCarthy, hatten Mittel der Rockefeller- und der Ford-Stiftung akquirieren können, um das Potenzial von Mediationsverfahren für die Lösung von Umweltkonflikten ermessen zu können. Sie konnten dann den Gouverneur des Staates Washington dazu bewegen, ihnen den Auftrag zur Durchführung eines Mediationsprojektes zu erteilen. 5 Der erfolgreiche Abschluss dieses ersten Pilotprojektes gilt in der Mediationsforschung gemeinhin als Ausgangspunkt für die rasche Verbreitung dieses neuen Instruments und die sehr schnell erfolgende Organisierung, Professionalisierung und Institu222

Vermittlungsverfahren in innenpolitischen Konflikten

tionalisierung von Mediationsverfahren und Mediatoren in den USA. So wurden umgehend eine Reihe von Organisationen und Institutionen gegründet, die Mediation als Dienstleistung anboten und sich schon bald einer wachsenden Nachfrage gegenüber sahen; auch das Angebot an Fort- und Ausbildungsgängen vergrößerte sich. 6 Zum Erfolg trug ebenfalls bei, dass eine Reihe von Stiftungen den Einsatz dieses neuen Instruments wie seine Erforschung förderten. Bedeutsam für die Etablierung des Feldes der Konfliktvermittlung war aber auch die parallel einsetzende empirische Erforschung und wissenschaftliche Reflexion der neuen Konfliktvermittlungsverfahren.7 Eine Reihe von gesetzgeberischen Maßnahmen der Bundesregierung – vor allem der Alternative Dispute Resolution Act sowie der Negotiated Rulemaking Act, beide aus dem Jahr 1990 – sowie ähnlicher Maßnahmen von Seiten der Bundesstaaten, die die Voraussetzungen für die Nutzung alternativer Instrumente der Konfliktregelung wie der Mediation durch die Verwaltung schufen und ihren Einsatz beförderten, trugen schließlich zur Institutionalisierung dieser neuen Verfahren und Instrumente bei. 8 In der Bundesrepublik wurde dieses neue Instrumentarium der Konfliktregelung erst in den neunziger Jahren rezipiert. Als ältestes Projekt gilt gemeinhin das Mediationsverfahren um eine Sonderabfalldeponie in der Nähe von Münchehagen in Niedersachsen, das angesichts zunehmend verhärteter Konfliktfronten von Mitarbeitern der in der Nähe gelegenen evangelischen Akademie Loccum angeregt wurde. Ein weiteres frühes Verfahren stellt das Mediationsverfahren zu einem neuen Abfallwirtschaftskonzept im Landkreis Neuss in Nordrhein-Westfalen dar. Dieses Verfahren ging wie das oben erwähnte US-amerikanische Pilotverfahren auf eine Initiative aus der Wissenschaft zurück. Denn auch Helmut Weidner und Hans-Joachim Fietkau von der Abteilung Normbildung und Umwelt des Wissenschaftszentrums Berlin waren auf der Suche nach einem Gegenstand, der ihnen die Untersuchung des Potenzials von alternativen Konfliktlösungsverfahren im Umweltbereich erlauben sollte – und brachten es gewissermaßen selbst auf den Weg, bevor sie es beobachteten und erforschten. 9 Die Wiederentdeckung und Neuerfindung von Mediationsverfahren vor allem in den USA, aber auch in der Bundesrepublik ist, wie gerade deutlich wurde, im wesentlichen einer konkreten Reaktion auf festgefahrene Konfliktlagen und oder gar Blockaden bei umweltbezogenen Vorhaben geschuldet. Die Gründe für dieses erhöhte Konfliktniveau lagen einerseits in einer erhöhten Sensitivität für Umweltbelastungen, die ihrerseits auf einem Wertwandel in der Gesellschaft beruhte. Dieser Wertwandel hatte eine deutlich erhöhte Pluralität individueller und gesellschaftlicher Bedürfnisse, Interessen und Ziele zur Folge und resultierte in einem verstärkten, wenn auch latenten Konfliktpotenzial. Dass sich dieses latente Konfliktpotenzial aktualisierte, lag aber auch an der seit den 1960er Jahren deutlich gewachsenen Bereitschaft und Fähigkeit von Bürgerinnen und Bürgern, sich für eigene Belange zu engagieren und zu 223

Ulrich Willems

organisieren. In der Konsequenz beider Entwicklungen sahen sich umweltschädigende Vorhaben in zunehmendem Maße mit massivem Protest von Bürgerinnen und Bürgern konfrontiert. Wo politisch-administrative Institutionen die Projekte gegen solchen Widerstand durchzusetzen versuchten, beschritten die Opponenten den Gerichtsweg oder griffen zu Mittelns zivilen Ungehorsams. 10 Viele Projekte mündeten so in langjährige Politikblockaden oder waren zumindest mit sehr hohen Konfliktkosten verbunden. In dieser Lage schien das in anderen Bereichen erfolgreich praktizierte Instrument des Mediationsverfahrens einen Ausweg zu eröffnen. Damit sind nun allerdings Erklärungsfaktoren genannt, die für fast alle westlichen Gesellschaften seit den 1960er Jahren zutreffen dürften. Interessanterweise zeigt nun aber der internationale Vergleich, dass diese neuen alternativen Verfahren der Konfliktvermittlung wie die Mediation in höchst unterschiedlichem Maße aufgegriffen und genutzt wurden und werden 11: Während vor allem in den USA, aber auch in Kanada alternative Verfahren der Konfliktvermittlung inzwischen intensiv genutzt werden und auch in Japan aufgrund der hohen Wertschätzung für gesellschaftlichen Konsens vergleichbare, wenn auch anders strukturierte Instrumente regelmäßig zum Einsatz kommen, fällt die Rezeption dieser Entwicklung in anderen westlichen Ländern, vor allem in Europa, zurückhaltend aus. Hier zählt die Bundesrepublik zu den Vorreitern des Einsatzes von Mediationsverfahren. Allerdings ist es der Forschung bisher nicht gelungen, strukturelle Ursachen für die unterschiedliche Nutzung dieser Verfahren zu identifizieren: weder Stärke und Ausmaß von Umweltbewusstsein und Umweltbewegung noch die Art der Umweltpolitik oder die Verfassung und der Aufbau von Staaten vermögen diesen Befund zu erklären. 12

2.2 Die grundlegenden Ideen des Mediationsverfahrens Die grundlegenden Ideen von Mediationsverfahren im öffentlichen Bereich lassen sich knapp formulieren: „Unter Mediationsverfahren werden Verhandlungsverfahren zur Regelung von Konflikten verstanden, an denen zwei oder mehrere Streitparteien freiwillig teilnehmen mit dem Ziel, in einem fairen und direkten (face-to-face) Kommunikationsprozeß Differenzen gemeinsam zu erkunden, Handlungsspielräume auszuloten und zu einer von allen Teilnehmern entwickelten und getragenen Lösung in Form einer Vereinbarung zu kommen. Hierbei werden sie von einer neutralen Person, dem Mediator oder der Mediatorin, unterstützt, deren Hauptaufgabe in der Gestaltung und Betreuung des Verfahrensablaufes liegt.“ 13 Gemäß dieser Definition soll das Mediationsverfahren zwei zentrale Grundfunktionen erfüllen: Es soll einerseits eine konstruktive Bearbeitung oder Regelung von Konflikten ermöglichen (Zivilisierung) und andererseits Lösungen für die den Konflikten zu Grunde liegenden Probleme bereit stellen.14 Dabei wird man in Rechnung stellen müssen, dass die erste Funktion erheblich leichter zu erfüllen ist als die zweite, jedenfalls 224

Vermittlungsverfahren in innenpolitischen Konflikten

dann, wenn die zweite Funktion nicht bloß auf eine Beilegung des Streites durch eine Vereinbarung, sondern auf einen grundlegenden Beitrag zur Problembearbeitung zielt. 15 Zu den zentralen Elementen dieses Instruments der Konfliktbearbeitung und Konfliktlösung werden in der Regel die Leitung des Verfahrens durch einen neutralen oder allparteilichen, nicht in den Konflikt involvierten Dritten, die Beteiligung möglichst aller von dem verhandelten Problem oder der Regelung des strittigen Sachverhalts Betroffenen (oder ihrer Repräsentanten), die Freiwilligkeit der Teilnahme, die Eigenverantwortung der Konfliktparteien und die Offenheit des Ergebnisses gerechnet. 16 Die Rolle des neutralen oder allparteilichen Dritten wird dabei durchaus unterschiedlich interpretiert: Sie reicht von der bloßen Strukturierung des Verfahrens über die Vermittlung zwischen den Konfliktparteien oder ihre Beratung bis hin zum aktiven Eingriff in den Verhandlungsprozess. 17 Freiwilligkeit der Teilnahme bedeutet nicht zuletzt, dass den Beteiligten zumindest prinzipiell jederzeit die Option offen steht, aus dem Verfahren auszuscheiden. Das Prinzip der Eigenverantwortung der Konfliktparteien lokalisiert die Verantwortung sowohl für die Interessenwahrnehmung als auch für die Erarbeitung des Ergebnisses bei den Konfliktparteien selbst. Ergebnisoffenheit soll verhindern, dass Mediationsverfahren zur Legitimation oder Durchsetzung bereits vorher gefasster Beschlüsse missbraucht werden. 18 Diese normativen Bestimmungen sind in der Praxis allerdings nicht ganz einfach zu realisieren. Das gilt etwa für die Forderung nach der Teilnahme aller Betroffenen. Denn dies setzt ja voraus, dass tatsächlich alle von einer umstrittenen Maßnahme mittelbar oder unmittelbar Betroffenen eruiert werden können. Vielfach wird daher in der Praxis der Kreis der Teilnehmer auf diejenigen eingeschränkt, die sich zuvor in der öffentlichen Debatte geäußert haben. Mit Schwierigkeiten verbunden ist auch das Prinzip der Freiwilligkeit. Zunächst kann der öffentliche Druck, sich an einem Mediationsverfahren als einem doch offensichtlich vernünftigem Versuch der Konfliktbearbeitung zu beteiligen, erheblich sein. Verweigerte Teilnahme kann als unvernünftige Blockade einer konstruktiven Konfliktlösung interpretiert werden. Aber auch ein späterer Rückzug aus dem Verfahren ist nicht ohne weiteres möglich, zumindest stark begründungsbedürftig. Es bleibt der Verdacht, auf diese Weise nur eine sich abzeichnende inhaltliche Niederlage im Verfahren vermeiden zu wollen. 19

2.3 Varianten von Mediationsverfahren und ihre Philosophien Die grundlegenden Ideen des Mediationsverfahrens lassen sich nun jedoch sehr unterschiedlich verstehen und mit verschiedenen Zielen umsetzen. In der theoretischen Beschäftigung mit diesem Instrument sind so eine Reihe von Philosophien der Mediation entwickelt worden, die die Praxis erheblich beeinflusst haben und einen wesentlichen Teil zum Erfolg des Instruments der Mediation beigetragen haben. 225

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Die prominenteste und bis heute die Mediationspraxis dominierende Mediationsphilosophie ist das Ende der siebziger Jahre im Harvard International Negotiation Project entwickelte ‚Harvard-Konzept‘, eine Philosophie des Verhandelns. Das 1981 von den Juristen Roger Fisher und William Ury verfasste Buch ‚Getting to YES: Negotiating agreement without giving in‘ wurde ein Welterfolg. Die von ihnen entwickelt Strategie sachgerechten Verhandelns zielt darauf, Konflikte in Verhandlungen so zu lösen, dass sie nicht auf Kosten einer oder mehrerer Parteien erzielt werden. Gesucht wird vielmehr nach einer Lösung, die Nutzen für alle Beteiligten garantiert, das heißt nach so genannten ‚win-win‘-Situationen. Das Harvard-Konzept des Verhandelns beruht auf vier zentralen Prinzipien. 20 Das erste Prinzip der Trennung von Personen und Problemen zielt darauf, in den Verhandlungen die Sachdimension in den Vordergrund zu rücken. Die Auseinandersetzungen und Verhandlungen sollen sich auf Probleme, Interessen und Lösungsmöglichkeiten konzentrieren. Die vielfach störenden sozialen und emotionalen Beziehungen zwischen den Konfliktparteien – Sympathie, Abneigung, Vorteile oder Profilierungssucht – sollen neutralisiert oder zumindest zurückgedrängt werden. Das zweite Prinzip der Konzentration auf Interessen anstatt auf Positionen zielt darauf, die hinter den jeweils geltend gemachten Positionen stehenden Interessen und Bedürfnisse in den Vordergrund zu rücken. Das Interesse richtet sich hier darauf, in Erfahrung zu bringen, warum die Konfliktparteien auf bestimmten, einander ausschließenden Positionen beharren. Dieser Schritt ist von der Hoffnung getragen, dass die hinter den geltend gemachten Positionen stehenden Interessen und Bedürfnisse sich als kompatibler erweisen können als die zumeist einander ausschließenden Positionen. 21 Das dritte Prinzip der Entwicklung möglichst vieler Lösungsmöglichkeiten zielt darauf, eine Vielzahl verschiedener Lösungsmöglichkeiten für das behandelte Problem zu entwickeln, weil so die Chance besteht, Dimensionen der Handlungssituation zu entdecken, die von den Parteien bisher nicht ins Kalkül gezogen worden waren, aber den wechselseitigen Vorteil erhöhen oder die Verhandlungsmasse vergrößern können. Entscheidend ist, dass die Lösungssuche von der Phase der Bewertung der Lösungsoptionen strikt getrennt wird, um die Kreativität der Verhandlungspartner nicht durch vorzeitige Festlegung auf eine Option zu behindern. 22 Das vierte Prinzip der Entscheidung auf Basis objektiv nachprüfbarer Kriterien soll garantieren, dass die am Ende vereinbarten Lösungen sachgerecht und zum allseitigen Vorteil sind, indem die Parteien sich vor der Bewertung von Handlungsoptionen auf Kriterien einigen, die die Parteien gemeinsam anerkennen können, weil sie nicht allein von Einzelinteressen bestimmt sind. Zudem soll so garantiert werden, dass sich nicht bloß die willensstärkste oder ausdauerndste Partei durchsetzt. Mit diesen Prinzipien soll der Verhandlungsprozess fair gestaltet werden und zugleich die Kommunikation und die wechselseitigen Beziehungen der Konfliktparteien gefördert werden. Am Ende eines nach diesen Prinzipien geführten fairen Verhandlungsprozesses soll ein sachlich ge226

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rechtfertigtes Ergebnis stehen, dass die Interessen der Beteiligten in angemessener Weise berücksichtigt. Weil auch die Kommunikationsbeziehungen zwischen den Konfliktparteien verbessert werden, erhöhen sich zugleich die Chancen auf künftige kooperative Problemlösungen. Das Harvard-Konzept ist zwar die dominierende und erfolgreichste Mediationsphilosophie, aber längst nicht mehr die einzige. Der Transformationsansatz, entwickelt von Joseph Folger und Robert Bush in den frühen 1990er Jahren,23 geht davon aus, dass Konflikte nicht nur auf widerstreitenden Interessen beruhen, sondern ihren Grund auch in den sozialen Beziehungen der Konfliktparteien, in ihrem Konflikt- und Diskussionsverhalten haben können. Anders als das Harvard-Konzept, das den Schwerpunkt auf sachorientiertes Verhandeln und die Produktion konkreter Problemlösungen legt, stellt der Transformationsansatz daher die Personen und ihr Verhalten in den Mittelpunkt und versucht, Prozesse sozialen Lernens und moralischen Wachstums in Gang zu setzen. Dahinter steht die Überzeugung, dass Konflikterfahrungen die Handlungskompetenz von Individuen beeinträchtigen, sie zu selbstfixierten, von sich und Anderen entfremdeten Personen machen können. Dementsprechend setzt der Transformationsansatz vor allem auf zwei Strategien. Die Teilnehmer sollen zum einen die Interessen und Situationsdeutungen der Konfliktgegner verstehen und zu respektieren lernen (recognition) und zum anderen dadurch in die Lage versetzt werden, ihre Konflikte selbstständig und eigenverantwortlich zu lösen (empowerment). Gegenüber den sozialen Lernprozessen und dem moralischen Wachstum tritt die Produktion konkreter Lösungen in den Hintergrund, sie muss nicht mehr im Verfahren selbst erfolgen. 24 Diese Mediationsphilosophien zeichnen sich durch unterschiedliche Stärken und Schwächen aus. Ein Vorteil des Harvard-Konzeptes besteht zunächst darin, in Konfliktsituationen, in denen die Konfliktparteien glauben, dass Entscheidungen mit Vorteilen für eine unvermeidlich mit Nachteilen für andere Konfliktparteien einhergehen, die Suche nach allseits vorteilhaften Lösungen zu ermutigen. 25 Auf der einen Seite können die Prinzipien des Harvard-Konzeptes auch sehr schnell an der Wirklichkeit scheitern. So läuft der Rat, Personen und Sachverhalte zu trennen, nicht selten ins Leere, weil die Konfliktparteien und ihre Beziehungen das eigentliche Problem bilden. 26 Zudem existieren keineswegs immer beiderseits vorteilhafte oder Kompromisslösungen – im Streit zwischen Gegnern und Befürwortern des Ausbaus eines Flughafens ist ein moderater Ausbau möglicherweise für keine der beiden Seiten akzeptabel. Allseits vorteilhafte Konfliktlösungen können auch mit einer höchst unterschiedlichen Verteilung von Vorteilen und Nachteilen einhergehen und zudem die Ausgangspositionen künftiger Auseinandersetzungen verändern. 27 Man kann dem Konzept daher auch vorwerfen, dass die Fokussierung auf die Befriedigung der Interessen der Konfliktparteien zu einer Vernachlässigung oder Ausblendung des Umstandes führt, dass die Parteien in dem Konflikt auch an der (lokalen oder globalen) Gerechtigkeit von Lösungen interessiert sind. 28 Ein 227

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grundlegender Einwand gegen das Harvard-Konzept macht schließlich geltend, dass Fragen nach den sozioökonomischen und politischen Voraussetzungen und Bedingungen für den Erfolg dieser Ansatzes erst gar nicht gestellt werden. 29 Der Transformationsansatz vermag mit seiner Konzentration auf die Beziehungen und die moralischen Kapazitäten der Konfliktparteien einige der gerade eben identifizierten Defizite des Harvard-Konzeptes zu kompensieren. Grundlegend wird man aber gegen den Transformationsansatz einwenden müssen, dass die alleinige Konzentration auf die Beziehungen der Konfliktparteien und ihre moralischen Kapazitäten unzureichend ist, weil letztlich in vielen Konfliktsituationen Entscheidungen über die umstrittenen Sachfragen unumgänglich sind und auch von den Konfliktparteien angestrebt werden. 30 Die in der Forschung beobachtbare strikte Frontstellung zwischen dem Harvard-Konzept einerseits und den verfochtenen Alternativen wie dem Transformationsansatz oder dem Konzept der narrativen Mediation andererseits sind vor dem Hintergrund eines sich neu entwickelnden Feldes von Dienstleistungen und der erheblichen Nachfrage wohl eher als Strategien der Profilierung und Vermarktung zu erklären.31 Der Blick auf die Wirklichkeit von Mediationsprozessen zeigt denn auch, dass in realen Mediationsverfahren durchaus unterschiedliche Ansätze komplementär genutzt werden.32 Es hängt zudem von den kontingenten Charakteristika von Konflikten wie etwa den Handlungsstrategien der Akteure oder den dem Konflikt zu Grunde liegenden Problemen ab, welche Mediationsphilosophien sich als geeignet erweisen.33 Insofern wird man die unterschiedlichen Konzepte der Mediation eher als komplementär und sich ergänzend denn als konkurrierend begreifen müssen. 34 Die Frontstellung zwischen dem Harvard-Konzept und alternativen Philosophien wie dem Transformationsansatz oder der narrativen Mediation schlägt sich auch bei der Bestimmung der Aufgaben und Kompetenzen eines Mediators nieder. 35 Mediatoren in der Tradition des Harvard-Konzeptes betonen die Neutralität oder Allparteilichkeit des Mediators: „Mediatoren müssen die Vertrauensperson aller Beteiligten sein. Daher dürfen sie auch keine eigenen inhaltlichen Interessen am Ausgang oder Verlauf des Verfahrens einbringen (Neutralität gegenüber dem Verfahren und den Beteiligten), sondern sollen vielmehr allen Beteiligten helfen, deren Interessen im Verfahren zu artikulieren und den Konflikt damit abzuarbeiten (Allparteilichkeit hinsichtlich der Interessen der Beteiligten). Obwohl der Mediator neutral in der Sache ist, versucht er gelegentlich auch durch eigene Ideen, den Prozess der Konfliktregelung in festgefahrenen Situationen neue Impulse zu geben. Allerdings muss der Mediator in Fällen, in denen die Herbeiführung einer sinnvollen und vertretbaren Lösung trotz aller Bemühungen ausgeschlossen erscheint, das Verfahren auch abbrechen können beziehungsweise von vornherein seine Aufnahme ablehnen.“ 36 Der Mediator ist nach dieser Auffassung jedoch nicht nur für die formale Organisation, die Strukturierung und Beförderung des Verfahrens zuständig, er soll auch für Fairness im Verfahren sorgen. So wird 228

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es etwa auch zu den Aufgaben des Mediators gezählt, für den Ausgleich von Informationsdefiziten zu sorgen, aber auch Hilfestellung für schwächere Verfahrensbeteiligte zu geben. Demgegenüber betonen Vertreter des Transformationsansatzes nicht nur, dass Neutralität nicht unbedingt erforderlich sei, 37 sondern dass ein Mediator es durch seine Intervention gar nicht vermeiden könne, zum Konfliktbeteiligten zu mutieren; 38 darüber hinaus wird sogar explizit gefordert, dass der Mediator eine Verpflichtung zur Unterstützung der schwächeren Verfahrensbeteiligten habe. 39 Diese Frontstellung ließe sich überwinden, wenn sich die Protagonisten dieser Debatte stärker an den Werten und Bedürfnissen der Verfahrensbeteiligten als an der Wahrung der jeweiligen Philosophien orientieren würden. 40 Die Forderung nach der Neutralität des Vermittlers ließe sich etwa durch seine allseitige Akzeptanz ersetzen,41 die ihrerseits auf seiner von den Parteien unterstellten Fairness beruhen könnte. Die Frage, wie sehr sich ein Mediator auf die Gestaltung des Verfahrens beschränken oder aktiv an der Erzielung guter Problemlösungen mitwirken soll, 42 wird letztlich mit Blick auf die jeweiligen konkreten Umstände eines Verfahrens, also die Konfliktkonstellation sowie die Akteure und ihre Beziehungen, als auch unter Berücksichtigung der jeweiligen Persönlichkeit und der Fähigkeiten des Mediators beantwortet werden müssen.

2.4 Erfolgsbedingungen von Mediationsverfahren: Wie oben bereits erwähnt, zählt es zu den Aufgaben eines Mediators zu prüfen, ob überhaupt die Voraussetzungen und Bedingungen für die erfolgreiche Durchführung eines Mediationsverfahrens vorliegen. Zunächst muss geprüft werden, ob der Konfliktgegenstand prinzipiell für eine Mediation geeignet ist, ob also tatsächlich Spielraum für Verhandlungen und damit eine mögliche Lösung existiert, die die Interessen aller Parteien berücksichtigt. Auch müssen die Parteien sich auf diesen Prozess einlassen und prinzipiell kooperationsbreit sein. Die Parteien dürfen also ihre Interessen nicht einseitig durchsetzen wollen. Sie dürfen aber auch nicht die Erwartung hegen, dass am Ende des Prozesses über alle Fragen Einvernehmen erzielt werden kann. 43 Der Konflikt darf auch nicht so weit eskaliert sein, dass bei den Parteien der Wunsch nach wechselseitiger Schädigung dominiert. 44 Auch gelten in der Regel Konstellationen, die sich durch grundlegende Wertkonflikte auszeichnen – wie etwa der Streit um die Kernernergie –, als nicht oder zumindest weniger geeignet für Vermittlungsverfahren.45 Die unterschiedliche Eignung von Interessen- und Wertkonflikten für die Bearbeitung durch Mediationsverfahren wird damit begründet, dass Werte anders als Interessen mit grundlegenden Überzeugungen bzw. moralischen oder ethischen Prinzipien der Konfliktbeteiligten verbunden sind. Solche grundlegenden Orientierungen lassen sich nicht oder nur schwer zum Gegenstand eines Kompromisses oder gar eines ‚Kuhhandels‘ machen, weil dies nicht selten als 229

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Kompromittierung oder Aufgabe dieser Überzeugungen und Prinzipien verstanden wird. 46 Eine weitere Voraussetzung für ein erfolgreiches Mediationsverfahren besteht darin, dass alle Konfliktparteien das Vermittlungsverfahren als die beste Möglichkeit betrachten, ihren Interessen Geltung zu verschaffen. Verfügen einzelne Konfliktparteien über eine Alternative zum Mediationsprozess – z. B. eine gerichtliche Auseinandersetzung oder die Mobilisierung von Protest –, von der sie glauben, dass sie auf diese Weise ihre Interessen sicherer oder in höherem Maße durchsetzen können, dann sind die Erfolgsaussichten für ein Vermittlungsverfahren deutlich geringer, weil die Verhandlungs- und Kompromissbereitschaft dieser Akteure höchst eingeschränkt sein wird. 47 Der Erfolg eines Mediationsverfahren hängt schließlich auch davon ab, wie groß die Chancen sind, dass ein mögliches konsentiertes Verhandlungsergebnis auch tatsächlich realisiert wird. Anders als in den USA sind in der Bundesrepublik bindende privatrechtliche Verträge am Ende solcher Verfahren (noch) eher unüblich. Dass ist auch dem Umstand geschuldet, dass viele dieser Verfahren in der Bundesrepublik im Kontext von gesetzlich vorgeschriebenen Genehmigungs- oder Prüfverfahren von und durch Verwaltungen stattfinden. Verwaltungen ist es jedoch aufgrund ihrer Verpflichtung zur Unparteilichkeit, dem Gebot zur gemeinwohlorientierten Abwägung sowie der Beachtung des Vorrangs und Vorbehalts der Gesetze untersagt, sich rechtlich an ein Verhandlungsergebnis zu binden. Mediationsverfahren im Kontext von Genehmigungs- oder Prüfverfahren von und durch Verwaltungen stehen daher unter dem Vorbehalt, dass Verwaltungen am Ende auch anders entscheiden können.48 Damit hängt in dieser Frage alles daran, wie groß seitens der Verwaltung die Bereitschaft ist, sich die im Verfahren produzierten ‚guten Gründe‘ zu eigen zu machen bzw. ob der zu erwartende Druck von Öffentlichkeit und Politik auf die Verwaltung ausreicht, sie zur Übernahme der Verhandlungsergebnisse zu bewegen.49

3. Wirklichkeit und Leistungsfähigkeit von Mediationsverfahren Ging es im ersten Schritt um die grundlegenden Ideen und die Charakteristika und Instrumente des Mediationsverfahrens, sollen nun die Wirklichkeit und die Leistungsfähigkeit von Mediationsverfahren im öffentlichen Bereich in den Fokus der Betrachtung rücken. Wie angekündigt sollen im Folgenden einige Befunde aus der Forschung über Mediationsverfahren im öffentlichen Bereich in der Bundesrepublik präsentiert und diskutiert werden. Die Konzentration auf die Bundesrepublik ist insofern gerechtfertigt, als der internationale Vergleich zeigt, dass in der Bundesrepublik dieses Instruments der Konfliktregelung durchaus genutzt wird, wenn auch nicht in dem Umfang und mit den Wachstumsraten wie in den USA. 50 Eine erste umfangreiche Dokumentation 230

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solcher Verfahren in der Bundesrepublik wurde Mitte der neunziger Jahre von Mitarbeitern der Oldenburger Mediator GmbH durchgeführt. Sie identifizierten von Mitte der 1980er Jahre bis Ende 1996 insgesamt 64 Verfahren.51 Eine Nachfolgestudie, durchgeführt ebenfalls von Mitarbeitern der Oldenburger Mediator GmbH, für den Zeitraum 1996 bis 2002 identifizierte 86 Mediationsverfahrens im öffentlichen Bereich. 52 Anders als in den USA ist die Zahl der Verfahren damit nicht dramatisch gewachsen, es handelt sich also nach wie vor nicht um ein quantitativ bedeutsames Instrument der Bearbeitung öffentlicher Konflikte. 53 Mit Blick auf die thematische Orientierung hat im von den beiden Studien untersuchten Zeitraum jedoch ein Wandel stattgefunden. Bis Mitte der 1990er Jahre befassten sich 40 % der Verfahren mit Fragen der Abfallwirtschaft, 20 % bezogen sich auf die Sanierung von Altlasten, weitere 20 % widmeten sich Gegenständen aus den Themenbereichen Naturschutz, Verkehr, Energie, Gentechnik und Chemie. 54 Die Themenfelder und Gegenstände machen deutlich, dass Mediationsverfahren ihren Ursprung im Feld der Umweltkonflikte hatten. Die neuere Studie zeigt demgegenüber eine Verschiebung und Diversifizierung der Anwendungsfelder von Mediationsverfahren: 29 % der Verfahren befassen sich nun mit Fragen der Stadtplanung, es folgt mit 19 % der Bereich Verkehr und mit 10 % der Bereich Raumplanung. Konflikte über Abfallfragen hatten anders als zuvor mit 7 % nicht mehr die dominante Rolle inne. Neu ist auch die Anwendung von Vermittlungsverfahren bei der Behandlung von politisch-sozialen Problemfeldern vor allem im Bereich der Gesundheit- und der Drogenpolitik. 55 Die Zusammensetzung der Teilnehmer der Verfahren seit Mitte der 90er Jahre zeigt jedoch, dass trotz Themenverschiebung und Diversifizierung bei den Verfahren nach wie vor Umwelt- und ökologische Gesichtspunkte eine große Rolle spielen. Denn in 64,3 % der Verfahren waren Umweltgruppen oder Umweltverbände beteiligt; Gruppen aus der Wirtschaft oder Wirtschaftsverbände nahmen an 62,9 % der Verfahren teil. Und immerhin in über der Hälfte der untersuchten Verfahren trafen Wirtschaftsverbände und Umweltverbände als Kontrahenten aufeinander, was die nach wie vor große Bedeutung von Mediationsverfahren für die Regelung von Konflikten zwischen ökonomischen und ökologischen Interessen deutlich macht. 56 Aber nicht nur die Themenfelder und Gegenstände, auch der Konflikttypus hat sich im Vergleich der untersuchten Zeiträume verändert. Die frühen, überwiegend im Umweltbereich angesiedelten Konflikte waren zudem zumeist Verteilungskonflikte nach dem ‚NIMBY‘ (not in my backyard)- oder ‚St.-FloriansPrinzip‘. Es handelte sich überwiegend um Standortkonflikte, in denen Kosten bzw. Risiken und der Nutzen höchst asymmetrisch verteilt waren. Bei Infrastrukturmaßnahmen und Entsorgungsanlagen etwa fällt der Nutzen beim Projektträger oder Betreiber konzentriert und bei großen Teilen der Gesellschaft breit gestreut und diffus an, während die Kosten in Form von Betriebsrisiken und Emissionen sich bei den Anwohnern konzentrieren.57 In der Studie 231

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von Troja und Meuer wird nun deutlich, dass nach wie vor der Hälfte der erhobenen Mediationsverfahren NIMBY-Konflikte zu Grunde lagen; in knapp der Hälfte der Verfahren ging es dagegen um Konflikte, 58 die sich an der Erarbeitung von Programmen oder Zielvorstellungen wie etwa eines Verkehrsentwicklungsplans oder die Erstellung eines Abfallwirtschaftsprogramms entzünden. 59 Zu den zentralen Prinzipien von Mediationsverfahren zählt die Beteiligung aller Betroffenen. Insofern sind die Daten über die Nichtteilnahme von eingeladenen Gruppen oder den Ausstieg von Gruppen aus einem Verfahren und vor allem die Gründe für diese Schritte von Interesse. Zu einer Nichtteilnahme trotz Einladung von Gruppen oder Personen kam es in 10 der 81 durchgeführten Verfahren. Aus einem laufenden Verfahren ausgestiegen sind einzelne Personen in sechs und Interessengruppen in 13 Fällen. Bei den Gründen für Nichtteilnahme oder Ausstieg zeigt sich, dass vor allem der hohe Aufwand an Zeit und Energie, der tatsächliche Verhandlungsspielraum, der mangelnde Einfluss auf das Ergebnis des Verfahrens beziehungsweise dessen Umsetzung sowie die Neutralität des Mediators zu den Schwachstellen von Mediationsverfahren zählen.60 Diese Punkte sind vor allem für ressourcenschwache und weniger konfliktfähige Akteure wie Umweltverbände und Bürgerinitiativen von erheblicher Bedeutung. Bei der Bewertung des Erfolgs von Verfahren61 kommen Troja und Meuer schließlich zu deutlich positiveren Ergebnissen als viele Studien aus den 1990er Jahren. 62 Ein erstes Charakteristikum der untersuchten Mediationsverfahren ist, dass sie tatsächlich eher als Vorbereitung oder Ergänzung denn als Konkurrenz zu etablierten Verwaltungs- oder politischen Verfahren zu begreifen sind. Denn über drei Viertel der 64 abgeschlossenen Verfahren enden mit einer Empfehlung an Verwaltung oder Politik. Nach wie vor lassen sich nur wenige Fälle einer rechtlich bindenden vertraglichen Gestaltung finden. 63 Troja und Meuer haben auch das Ausmaß erhoben, in dem die Ergebnisse von Mediationsverfahren in politisch-administrative Entscheidungen eingehen. Sie haben diesen Befund jedoch nicht direkt, durch eine Untersuchung der von ihnen betrachteten Verfahren, sondern durch eine Befragung der Mediatoren, die diese Verfahren leiteten, ermittelt. Nach Einschätzung der befragten Mediatoren gehen die Inhalte der Ergebnisse in den 49 Mediationsverfahren, zu denen es eine Rückmeldung gab, in 37 % der Fälle ganz und in 45 % der Fälle zu einem großen Teil in politisch-administrative Entscheidungen ein, und diese Entscheidungen wurden dann auch zu einem großen Teil umgesetzt. 64 Damit stellte sich die lose Kopplung von Mediationsverfahren und politischadministrativem Entscheidungsprozess als eine scheinbar doch höchst erfolgreiche heraus. Allerdings gelangen Fallstudien einzelner Mediationsverfahren in der Regel zu deutlich skeptischeren Ergebnissen.65 Besonders erfolgreich sind nach Einschätzung der Mediatoren die Verfahren jedoch bei den eher weichen Erfolgsfaktoren. Danach haben sich die Beziehungen zwischen den 232

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Konfliktparteien bei fast allen Verfahren verbessert, und es konnten Informationsgewinne erzielt werden. In zwei Dritteln der Fälle konstatierten die Mediatoren eine Erhöhung von Transparenz und Vertrauen sowie eine Verbesserung der Konfliktkultur. In gut einem Drittel der Fälle fand eine Verständigung über den Umgang mit zukünftigen Konflikten statt. 66

4. Resümee: Verbleibende Probleme und künftige Herausforderungen Wie die Rekonstruktion der theoretischen Debatten und der empirischen Befunde gezeigt hat, ist Mediation kein Allheilmittel, 67 sind einzelne Instrumente oder Fähigkeiten keineswegs in allen Konfliktfällen hilfreich oder wirksam. 68 Vielmehr hängt es von der kontingenten Konfliktkonstellation und den jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Kontexten ab, ob Mediationsverfahren ein geeignetes Mittel der Konfliktbearbeitung und Konfliktlösung sind. Gleichwohl lassen sich eine Reihe grundlegender und bisher ungelöster Probleme dieses Verfahrenstypus identifizieren. Ein erstes Problem besteht in der Rückkopplung der Verfahrensergebnisse an die von den Verhandlungsteilnehmern repräsentierten gesellschaftlichen Gruppen. 69 Denn Bindungswirkungen erzeugt das Verfahren erst einmal nur für die direkt am Verfahren Beteiligten, weil die Einsicht in die sachliche Qualität und die Fairness der gefundenen Lösung eben nicht nur aus ihrer sachlichen und moralischen Überzeugungskraft, sondern eben auch daraus resultiert, dass man an den vorangegangenen Diskussions- und Verhandlungsprozessen unmittelbar beteiligt war. Die Repräsentanten vor allem der Gegner von umstrittenen Vorhaben stehen daher vor dem grundlegenden Problem, den Verlauf und das Ergebnis des Prozesses an ihre jeweilige Basis zu vermitteln. Selbst wenn die Verhandlungsteilnehmer bei vielen Mitgliedern ihrer Gruppen damit Erfolg haben, müssen sich keineswegs alle durch das Ergebnis gebunden fühlen. Und den Rechtsweg wird man ihnen auch nicht grundsätzlich verwehren können. Daher garantieren selbst erfolgreiche Mediationsverfahren nicht die Beendigung des Konflikts. Eine zweites grundsätzliches Problem besteht in der Ungleichheit der am Verfahren Beteiligten. Bei den Gründen für die Nichtteilnahme und das vorzeitige Ausscheiden aus Verfahren wurde deutlich, dass für eine ganze Reihe von Einzelpersonen und Gruppen die Belastung durch die bloße Teilnahme an solchen Verfahren enorm ist. Zudem verfügen die Teilnehmer solcher Verfahren in höchst unterschiedlicher Weise über die für eine erfolgreiche Teilnahme am Verhandlungsprozess erforderlichen Ressourcen. Im Vergleich zu wirtschaftlichen und politisch-administrativen Akteuren sind Bürgerinitiativen oder Umweltgruppen in der Regel benachteiligt. Solche Asymmetrien in Ressourcenausstattung und Konfliktfähigkeit wird ein Mediator nur schwer aus233

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gleichen können. Zudem stehen gerade Umweltgruppen oder Bürgerinitiativen vor dem Problem, dass sie mit ihrer Verfahrensbeteiligung, die, wie oben bereits erwähnt, nicht völlig freiwillig ist, in der Gefahr stehen, sich ihrer wichtigsten Ressource zu berauben, nämlich ihrer Mobilisierungs- und Konfliktfähigkeit. Denn die kooperative Beteiligung an solchen Verfahren kann bei den Mitgliedern und Anhängern der repräsentierten Gruppen entweder dazu führen, dass sie sich aus Enttäuschung über die vermeintliche Kompromittierung wichtiger Ziele von ihren Organisationen abwenden oder sich entschiedeneren, radikaleren Vertretern ihrer Sache anschließen. Ein drittes grundsätzliches Problem besteht darin, dass nach wie vor ungeklärt ist, wie vereinbar Mediationsverfahren mit den normativen Anforderungen an den demokratischen Prozess sind. Auf der einen Seite haben Mediationsverfahren ohne Zweifel das Potenzial, die sachliche Qualität sowie die Fairness von Entscheidungen in strittigen Angelegenheiten zu befördern und zugleich eine breitere effektive Partizipation von Betroffenen zu ermöglichen. Aber die Kriterien der Bewertung von Handlungsalternativen in strittigen Fragen durch die Verfahrensbeteiligten müssen sich in keiner Weise mit denjenigen der allgemeinen Öffentlichkeit oder von politischen Entscheidungsträgern decken. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass die Ergebnisse solcher Verfahren Folgen für unbeteiligte Dritte haben. Das aber bedeutet, dass die Ergebnisse dieser Verfahren nicht einfach politisch ratifiziert werden dürfen, sondern in der allgemeinen politischen Öffentlichkeit wie in den politischen Entscheidungsarenen erneut diskutiert werden müssen. 70 Welche konkreten Effekte der Verlauf und die Ergebnisse von Mediationsverfahren auf diese nachgelagerten, aber normativ entscheidenden Diskussionen und Debatten haben (können), ist bisher noch weitgehend ungeklärt. Ein letztes Problem resultiert aus der bisher dominierenden Ausrichtung von Mediationsverfahren auf Verhandlungen und das Schnüren von Paketen aus Kompensationen und Koppelgeschäften. Diese Ausrichtung ist ein deutliches Indiz dafür, dass Mediationsverfahren auf die Verarbeitung von Interessenkonflikten zugeschnitten sind. Für die Bearbeitung von Wertkonflikten – so die herrschende Meinung in der Mediationsforschung – sind Mediationsverfahren dagegen nicht geeignet. Der einzige Weg zur Bearbeitung solcher Konflikte bestünde darin, sie in Interessenkonflikte zu transformieren bzw. sich auf die Bearbeitung der Interessenkomponenten zu beschränken. Gegen diese Überzeugung lässt sich zunächst einwenden, dass sich die Welt möglicher Konfliktgegenstände nicht einfach in Interessen- und Wertkonflikte scheiden lässt, sondern Konfliktmaterien in der Regel aus interessen- wie aus moralischer Perspektive betrachtet werden können. Jeder Interessenkonflikt kann durch Thematisierung von Fragen der Gerechtigkeit in einen Wertkonflikt transformiert werden. Reinhard Überhorst, einer der Pioniere des Einsatzes von wie der Reflexion über Mediationsverfahren in der Bundesrepublik, hat darüber hinaus angemerkt, dass viele der drängenden Konflikte, mit denen wir 234

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konfrontiert sind, etwa die Kontroversen über unsere zukünftige Energieversorgung und die Rolle, die Atomkraft und Sonnenenergie dabei spielen sollen, eher dem Typus des Wertkonfliktes entsprechen. Er hat daher eine Weiterentwicklung des Instrumentes des Mediationsverfahrens bzw. die Neuentwicklung von Verfahren gefordert, die weniger auf das Verhandeln als vielmehr auf das Argumentieren setzen. Auf diese Weise könne entweder ein gemeinsamer neuer Interpretationsrahmen entwickelt werden oder doch zumindest der Dissens auf seinen rationalen Kern reduziert werden. 71 Nun hilft ein rationaler Dissens ein wenig, aber angesichts der drängenden Fragen und des verbleibenden Konfliktpotenzials noch nicht sehr viel weiter. Auch die Hoffnung, man könne durch argumentative Verfahren in Wertkonflikten Einverständnis erzielen, erscheint problematisch. So argumentieren Vertreter der „Theorie der Kultur“ wie Mary Douglas und Aaron Wildavsky, dass unsere Interessen und moralischen Orientierungen von grundlegenden kulturellen Mustern geprägt werden. Die Konfliktparteien umweltpolitischer Auseinandersetzungen etwa orientieren sich an höchst unterschiedlichen Vorstellungen über die Konstitution der Natur als ein verletzliches oder ein robustes System. Solche grundlegenden Orientierungen lassen sich kaum empirisch überprüfen, und sie sind auch kaum in einen gemeinsamen Rahmen transformierbar. 72 Wenn diese theoretische Perspektive zutreffend ist, dann werden uns die gegenwärtig als Therapeutikum empfohlenen Philosophien und Instrumente des Mediationsverfahren nicht entscheidend weiterhelfen. Vielmehr bedürfte es der Reflexion über und Erfindung von Verfahren, die gerade mit Blick auf Wertkonflikte integrative Lösungen versprechen, die die divergierenden Weltsichten und moralischen Überzeugungen aller Konfliktparteien respektieren.73 Wenn diese theoretische Perspektive zutreffend ist, dann stehen wir bei der Suche nach Verfahren für die Bewältigung von Konflikten in kulturell und moralisch pluralen Gesellschaften erst am Anfang. Anmerkungen 1 Vgl. auch den knappen Überblick bei Christopher W. Moore, The mediation process, in: Lawrence E. Susskind – Larry Crump (Hgg.), Multiparty negotiation, Bd. 2: Theory and practice of public dispute resolution, Los Angeles u. a. 2008 (1996), S. 162– 174, S. 166 f. 2 Nachdem Mediationsverfahren inzwischen längst nicht mehr nur zur Bearbeitung von Umweltkonflikten eingesetzt werden, sondern auch in anderen Politikbereichen, hat sich im deutschen Sprachraum die Rede von ‚Mediation im öffentlichen Bereich‘ durchgesetzt; daher hat sich der zur Erforschung und Förderung der Umweltmediation im Januar 1988 gegründete Förderverein Umweltmediation e. V. im Jahre 2001 in Förderverein Mediation im öffentlichen Bereich e. V. umbenannt (vgl. Gerd Fuchs u. a., Umweltmediation. Ein Projekt der Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen e. V. (AGU), Bonn, 2 1999, S. 39 ff.; Förderverein Mediation im öffentlichen Bereich, Mediation im öffentlichen Bereich, Betzdorf 3 2006, S. 36 f. Aus den gleichen Gründen werden Mediation und ähnliche

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Ulrich Willems alternative Verfahren der Konfliktregulierung im angloamerikanischen Raum unter den Begriff der (alternative) public dispute resolution gefasst. 3 Vgl. zur Entstehungsgeschichte Lawrence E. Susskind – Sarah McKearnan, The evolution of public policy dispute resolution, in: Susskind – Crump (Hgg.), Multiparty negotiation (wie Anm. 1), S. 115–137. 4 Vgl. Thomas Saretzki, Mediation, soziale Bewegungen und Demokratie, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen 10, 1997, S. 27–42, S. 31; Anna Geis, Regieren mit Mediation. Das Beteiligungsverfahren zur zukünftigen Entwicklung des Frankfurter Flughafens (Studien zur politischen Gesellschaft, Bd. 6), Wiesbaden 2005, S. 71; vgl. auch Susskind – McKearnan, Evolution (wie Anm. 3), S. 117. Bereits in den 1920er und 1930er Jahren hatte man in den USA auf Mediation als einem Mittel zum Umgang mit gewaltsamen Streiks zurückgegriffen, die sich im Zuge der Formierung und Etablierung von Gewerkschaften ergeben hatten. Auch in den 1960er Jahren griff man in den USA wieder auf das Instrument der Mediation zurück, um der notorischen Überlastung der Justiz im Zuge der Bürgerrechtsbewegung und den Konflikten, die mit der Thematisierung und Politisierung von Diskriminierung verbunden waren, Herr zu werden. Vgl. Margaret S. Herrman, Introduction, in: Dies. (Hg.), The Blackwell handbook of mediation. Bridging theory, research, and practice, Malden u. a. 2006, S. 3–18, S. 5 f.; Moore, Mediation process (wie Anm. 1), S. 168. 5 Vgl. Saretzki, Mediation (wie Anm. 4), S. 31; Gail Bingham, Resolving environmental disputes. A decade of experience, Washington 1986, S. 13 ff.; Susskind – McKearnan, Evolution (wie Anm. 3), S. 117. Eine knappe Skizze des Verfahren findet sich in Förderverein Umweltmediation (Hg.), Studienbrief Umweltmediation. Eine interdisziplinäre Einführung, Bonn 1999, S. 255 f. 6 Vgl. hierzu und zum folgenden Susskind – McKearnan, Evolution (wie Anm. 3), S. 121 f. 7 Zu den Pionierarbeiten zählen u. a. Lawrence S. Bacow – Michael Wheeler, Environmental dispute resolution (Environment, development, and public policy. Environmental policy and planning), New York 1984; Bingham, Resolving (wie Anm. 5); Lawrence Susskind – Jeffrey Cruikshank, Breaking the impasse. Consensual approaches to resolving public disputes, New York 1987; Susan L. Carpenter – W. J. D. Kennedy, Managing public disputes: A practical guide to handling conflict and reaching agreements (The Jossey-Bass management series), San Francisco 1988. 8 Vgl. Susskind – McKearnan, Evolution (wie Anm. 3), S. 133. 9 Vgl. hierzu Saretzki, Mediation (wie Anm. 4), S. 31. Nach wie vor zählt daher das Neusser Verfahren neben dem Mediationsverfahren zum Ausbau des Frankfurter Flughafens Ende der 1990er Jahre zu den am besten erforschten Mediationsverfahren in der Bundesrepublik. Vgl. zum Neusser Mediationsverfahren Hans-Joachim Fietkau – Helmut Weidner, Umweltverhandeln. Konzepte, Praxis und Analysen alternativer Konfliktregelungsverfahren – ein erweiterter Projektbericht, Berlin 1998, Kap. 5, zum Frankfurter Mediationsverfahren Geis, Regieren (wie Anm. 4). Weitere ausführliche Fallstudien zu Mediationsverfahren liegen z. B. vor zum Interkommunalen Gewerbegebiet HechingenBodenhausen (vgl. Kerstin Langer – Ortwin Renn, Kooperative Planungsansätze in der interkommunalen Zusammenarbeit. Konfliktschlichtung am Runden Tisch? Mediationsverfahren ‚Runder Tisch Interkommunales Gewerbegebiet Hechingen-Bodenhausen‘, Stuttgart 2000; Irene Roch, Runder Tisch ‚Interkommunales Gewerbegebiet HechingenBodenhausen‘. Evaluation des Projektes, Stuttgart 2000), zu weiteren Gesundheitsräumen in St. Georg (vgl. Peter Henning Feindt, Regierung durch Diskussion? Diskurs- und Verhandlungsverfahren im Kontext von Demokratietheorie und Steuerungsdiskussion,

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Vermittlungsverfahren in innenpolitischen Konflikten Frankfurt am Main u. a. 2001) und zum Flughafen Berlin Brandenburg International (vgl. Thomas Barbian u. a., Das Beispiel „Bürgerdialog Flughafen Berlin Brandenburg International“, in: Horst Zilleßen (Hg.), Mediation. Kooperatives Konfliktmanagement in der Umweltpolitik, Opladen 1998, S. 108–136). 10 Vgl. Saretzki, Mediation (wie Anm. 4), S. 29 ff.; Geis, Regieren (wie Anm. 4), S. 72; Moore, Mediation process (wie Anm. 1), S. 167 f. 11 Vgl. Helmut Weidner (Hg.), Alternative dispute resolution in environmental conflicts. Experiences in 12 countries), Berlin 1998; Ders., Internationale Erfahrungen mit Umweltmediation, in: Förderverein Umweltmediation (Hg.), Studienbrief Umweltmediation. Eine interdisziplinäre Einführung, Bonn 1999, S. 135–163; Fietkau – Weidner, Umweltverhandeln (wie Anm. 9), Kap. 4; Andreas Gotwald u. a., Status und Erfahrungen mit Umweltmediation in Europa – Konfliktlösungsverfahren im Umweltbereich (Schriftenreihe des BMLFUW, Bd. 15/2000), Wien 2000; Markus Troja, Umweltkonfliktmanagement und Demokratie. Zur Legitimation kooperativer Konfliktregelungsverfahren in der Umweltpolitik (Forum Mediation und Verhandlung), Köln 2001, Kap. 5–6. 12 Fietkau – Weidner, Umweltverhandeln (wie Anm. 9), S. 199 f. 13 Ebd., S. 15 f. Vgl. auch die leicht variierenden Definitionen des Mediationsverfahrens bei Förderverein Mediation im öffentlichen Bereich, Mediation (wie Anm. 2), S. 10; Moore, Mediation process (wie Anm. 1), S. 162 f.; Troja, Umweltkonfliktmanagement (wie Anm. 11), S. 10. 14 Geis, Regieren (wie Anm. 4), S. 69. 15 Ebd., S. 69. 16 Vgl. zu den Prinzipien und ihrer Erläuterung Förderverein Mediation im öffentlichen Bereich, Mediation (wie Anm. 2), S. 11 f.; Sabine Runkel, Mediation – ein Weg aus der Sackgasse des Umweltkonfliktes, in: Förderverein Umweltmediation (Hg.), Studienbrief Umweltmediation. Eine interdisziplinäre Einführung, Bonn 1999, S. 17–41, S. 21 ff.; Stefan Kessen – Horst Zilleßen, Leitbilder der Mediation, in: Förderverein Umweltmediation e. V. (Hg.), Studienbrief Umweltmediation, Bonn 1999, S. 43–59; Troja, Umweltkonfliktmanagement (wie Anm. 11), S. 12 f.; Moore, Mediation process (wie Anm. 1), S. 162 ff. 17 Vgl. Troja, Umweltkonfliktmanagement (wie Anm. 11), S. 10. 18 Förderverein Mediation im öffentlichen Bereich, Mediation (wie Anm. 2), S. 11. Nachdem auf diese Weise die normative Logik des Mediationsverfahrens bestimmt ist, lässt es sich auch mehr oder weniger deutlich von anderen Formen der Entscheidungsfindung wie der politischen Mehrheitsentscheidung, dem Verwaltungsverfahren, dem Gerichtsverfahren und dem Schieds- sowie dem Schlichtungsverfahren unterscheiden (vgl. Förderverein Mediation im öffentlichen Bereich, Mediation (wie Anm. 2), S. 12 f.). Die entscheidenden Differenzen der Mediation zu anderen Formen der Entscheidungsfindung liegen zum einen darin, dass in den anderen Verfahren nicht die Beteiligten selbst, sondern andere Akteure dominieren, und zum anderen darin, dass in den anderen Verfahren in der Regel Dritte die Entscheidungsgewalt über den Konfliktgegenstand innehaben oder doch zumindest – wie im Schlichtungsverfahren – eine Konfliktlösung anbieten. Mediationsverfahren werden von Mediatoren und wissenschaftlichen Beobachtern überwiegend als Ergänzung der etablierten und rechtlich vorgeschriebenen Entscheidungsverfahren in Politik und Verwaltung begriffen. Sie sollen diese Verfahren nicht etwa ersetzen, sondern werden als Instrumente einer besseren Entscheidungsvorbereitung begriffen. Durch die Mobilisierung von lokalem Sachverstand und die Inklusion der Interessen und Sichtweisen von Betroffenen sollen die Chancen erhöht werden, dass die späteren Lösungen sachgerechter sind und ein höheres Maß an Akzeptanz finden (vgl. Markus Troja –

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Ulrich Willems Dirk Meuer, Mediation im öffentlichen Bereich, in: Gerhard Falk u. a. (Hgg.), Handbuch Mediation und Konfliktmanagement (Schriften zur Gruppen- und Organisationsdynamik 3), Wiesbaden 2005, S. 219–241, S. 220). In der Bundesrepublik kann die Kopplung von Mediationsverfahren und den etablierten Entscheidungsverfahren in Politik und Verwaltung aufgrund rechtlicher Bedingungen derzeit allenfalls lose ausfallen (vgl. Dieter Kostka, Umweltmediation im gesellschaftlichen Kontext Deutschlands, in: Förderverein Umweltmediation (Hg.), Studienbrief Umweltmediation. Eine interdisziplinäre Einführung, Bonn 1999, S. 61–79). Das Mediationsverfahren lässt sich aber nicht nur von anderen etablierten Formen der Entscheidungsfindung, sondern auch von anderen Formen alternativer Konfliktregelung unterscheiden. Dazu werden etwa Verhandlungsverfahren ohne Konfliktmittler, mit Hilfe eines Moderator geführte Verhandlungsverfahren und Schiedsverfahren ohne Bindungswirkung des Schiedsspruchs gezählt (vgl. Runkel, Mediation (wie Anm. 16), S. 37). 19 Ralf Tils, „Vorsicht: Mediation!“ Chancen und Risiken der Umweltmediation aus der Perspektive von Umweltverbänden und Bürgerinitiativen, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen 10, 1997, S. 43–52, S. 43 f. 20 Vgl. zum Folgenden Roger Fisher u. a., Das Harvard-Konzept. Der Klassiker der Verhandlungstechnik, Frankfurt am Main, 22., durchges. Aufl. 2004; vgl. auch Kessen – Zilleßen, Leitbilder (wie Anm. 16), S. 43 ff.; Förderverein Mediation im öffentlichen Bereich, Mediation (wie Anm. 2), S. 23 ff.; Dean G. Pruitt, Mediation at the millennium, in: Margaret S. Herrman (Hg.), The Blackwell handbook of mediation. Bridging theory, research, and practice, Malden u. a. 2006, S. 395–411, S. 396 f. 21 Das klassische, vielfach angeführte Beispiel ist der auflösbare Streit zweier Personen beim Kochen um die letzte verbliebene Orange (zwei einander sich ausschließende Positionen), weil die eine nur den Saft (Interesse 1), die andere nur die Schale der Orange (Interesse 2) benötigt. 22 Wechsel- oder allseitig vorteilhafte Lösungen lassen sich durch eine Reihe von Strategien integrativen Verhandelns erreichen (vgl. zum Folgenden Dean G. Pruitt, Achieving integrative agreements, in: Max H. Bazerman – Roy J. Lewicki (Hgg.), Negotiating in organizations, Berverly Hills 1983, S. 35–50, nach Kessen – Zilleßen, Leitbilder (wie Anm. 16), S. 49 f.; vgl. dazu auch Geis, Regieren (wie Anm. 4), S. 84). So können Parteien z. B. die Verteilungsmasse zu erhöhen trachten (Erweiterung des Kuchens), eine Partei kann eine andere für Zugeständnisse entschädigen, gegebenenfalls auch finanziell (unspezifische oder finanzielle Kompensation), Parteien können bei einem Thema Zugeständnisse machen, wenn die andere Partei bei einem anderen Thema Zugeständnisse macht (logrolling) oder es können Themen miteinander verbunden werden (bridging). 23 Vgl. Robert A. Baruch Bush – Joseph P. Folger, The promise of mediation. Responding to conflict through empowerment and recognition (The Jossey-Bass conflict resolution series), San Francisco 1994, vgl. aber auch E. Franklin Dukes, Resolving public conflict. Transforming community and governance (Political analyses), Manchester – New York 1996. Vgl. zum Folgenden auch Hans-Joachim Fietkau, Psychologie der Mediation. Lernchancen, Gruppenprozesse und Überwindung von Denkblockaden in Umweltkonflikten, Berlin 2000, S. 16; Förderverein Mediation im öffentlichen Bereich, Mediation (wie Anm. 2), S. 25 f.; Lisa P. Gaynier, Transformative mediation: In search of a theory of practice, in: Conflict Resolution Quarterly 22, 2005, S. 397–408, S. 398; Pruitt, Mediation (wie Anm. 20), S. 860. 24 Inzwischen sind noch eine Reihe weiterer Mediationsphilosophien mit jeweils spezifischen Zielsetzungen entwickelt worden. Das zählt etwa der ‚Kreativitätsansatz‘. Hier wird Mediation vornehmlich als Chance betrachtet, kreative Problemlösungen zu entwickeln.

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Vermittlungsverfahren in innenpolitischen Konflikten Die zentrale These dieses Ansatzes lautet, „dass ein auf Gegensätzen basierendes Denken über Konflikte unzureichend ist und dass wir uns einem entwerfenden Denken mit all seiner kreativen Energie zuwenden müssen“ (Edward De Bono, Konflikte. Neue Lösungsmodelle und Strategien, Düsseldorf u. a. 1987, S. 7, zit. n. Hans-Joachim Fietkau, Leitfaden Umweltmediation. Hinweise für Verfahrensbeteiligte und Mediatoren (FS II 94–323), Berlin 1994, S. 17). Der Ansatz der ‚narrativen Mediation‘ geht demgegenüber davon aus, dass Konflikte soziale Konstruktionen sind, die sich in den Erzählungen der Parteien niederschlagen. Das Ziel der Mediation ist hier darauf gerichtet, die den Konflikt stützenden und verstetigenden Erzählungen der Parteien aufzulösen und durch neue gemeinsame und Gemeinsamkeiten stiftende Erzählungen der Parteien zu ersetzen. Vgl. dazu Brian Jarrett, The future of mediation: A sociological perspective, in: Journal of Dispute Resolution 2009, S. 49–75, mit Verweis auf John Winslade – Gerald Monk, Narrative mediation. A new approach to conflict resolution, San Francisco 2000; vgl. auch Pruitt, Mediation (wie Anm. 20), S. 859. 25 Kessen – Zilleßen, Leitbilder (wie Anm. 16), S. 56. 26 Carrie Menkel-Meadow, Why hasn’t the world gotten to yes? An appreciation and some reflections, in: Negotiation Journal 22, 2006, S. 485–503, S. 488. 27 Kessen – Zilleßen, Leitbilder (wie Anm. 16), S. 56 ff.; vgl. auch Fietkau – Weidner, Umweltverhandeln (wie Anm. 9), S. 324. 28 Dean G. Pruitt, Some reasearch frontiers in the study of conflict and its resolution, in: Morton Deutsch u. a. (Hgg.), The handbook of conflict resolution. Theory and practice, San Francisco 2. 2006, S. 849–867, S. 859, mit Verweis auf Donald E. Conlon, Mediation and the fourfold model of justice, in: Margaret S. Herrman (Hg.), The Blackwell handbook of mediation. Bridging theory, research, and practice, Malden u. a. 2006, S. 247–259. Darüber hinaus ist ja auch nicht auszuschließen, dass das Ergebnis eines Mediationsverfahrens darin bestehen könnte, dass die Position oder das Interesse einer Seite mit guten Gründen – etwa um des Allgemeinwohls willen – nicht bedient werden sollte (Fietkau – Weidner, Umweltverhandeln (wie Anm. 9), S. 324). 29 Menkel-Meadow, Why (wie Anm. 26), S. 499. 30 Pruitt, Mediation (wie Anm. 20), S. 408 f. 31 Jarrett, Mediation (wie Anm. 24), S. 59. 32 Ebd. 33 Pruitt, Research frontiers (wie Anm. 28), S. 860 ff. 34 Pruitt, Mediation (wie Anm. 20), S. 408. 35 Jarrett, Mediation (wie Anm. 24), S. 73. 36 Förderverein Mediation im öffentlichen Bereich, Mediation (wie Anm. 2), S. 29 f. 37 Dukes, Resolving (wie Anm. 23), S. 175; vgl. hierzu und zum Folgenden auch Geis, Regieren (wie Anm. 4), S. 91 f. 38 Bush – Folger, Promise (wie Anm. 23), S. 77. 39 Dukes, Resolving (wie Anm. 23), S. 175; vgl. auch Lea Wing, Mediation and inequality reconsidered: Bringing the discussion to the table, in: Conflict Resolution Quarterly 26, 2009, S. 383–404. 40 Gaynier, Mediation (wie Anm. 23), S. 403. 41 Geis, Regieren (wie Anm. 4), S. 92. 42 Ebd., S. 91, vgl. auch Kessen – Zilleßen, Leitbilder (wie Anm. 16), S. 47 f.; Troja, Umweltkonfliktmanagement (wie Anm. 11), S. 10. 43 Dabei bilden diese Voraussetzungen und Bedingungen keine unüberwindlichen Hindernisse; sofern nur einzelne dieser Voraussetzungen und Bedingungen nicht gegeben

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Ulrich Willems sind, kann ein Mediator diese Hindernisse durchaus überwinden (Kenneth Kressel, Mediation revisited, in: Morton Deutsch u. a. (Hgg.), The handbook of conflict resolution. Theory and practice, San Francisco 2. 2006, S. 726–756, S. 731 ff.). 44 Dieter Kostka, Erfolg von Umweltmediationsverfahren, in: Förderverein Umweltmediation (Hg.), Studienbrief Umweltmediation. Eine interdisziplinäre Einführung, Bonn 1999, S. 213–221, S. 217; vgl. auch Kressel, Mediation revisited (wie Anm. 43), S. 731 ff. 45 Weidner, Internationale Erfahrungen (wie Anm. 11), S. 141; vgl. ähnlich auch Horst Zilleßen – Thomas Barbian, Neue Formen der Konfliktregelung in der Umweltpolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 39/40, 1992, S. 14–23, S. 17; Feindt, Regierung, S. 684; Geis, Regieren (wie Anm. 4), S. 85, m. w. N. 46 Lawrence Susskind – Patrick Field, When values collide, in: Susskind – Crump (Hgg.), Multiparty negotiation (wie Anm. 1), S. 190–223, S. 191 f.; vgl. auch Geis, Regieren (wie Anm. 4), S. 85; Dorothea Jansen, Mediationsverfahren in der Umweltpolitik, in: Politische Vierteljahrsschrift 38, 1997, S. 274–297; Troja, Umweltkonfliktmanagement (wie Anm. 11), S. 95. 47 Vgl. u. a. Katharina Holzinger, Grenzen der Kooperation in alternativen Konfliktlösungsverfahren: Exogene Restriktionen, Verhandlungsleitlinien und Outside Options, in: Wolfgang van den Daele – Friedhelm Neidhardt (Hgg.), Kommunikation und Entscheidung. Politische Funktionen öffentlicher Meinungsbildung und diskursiver Verfahren, Berlin 1996, S. 232–274. 48 Tils, Mediation (wie Anm. 19), S. 47 f., m. w. N. 49 Bernd Holznagel – Ulrich Ramsauer, Konsensuale Sachverhaltsermittlung als Mediationsziel. Data-Mediation am Beispiel der Verhandlungen über den Hamburger Autobahndeckel, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen 10, 1997, S. 65–72, S. 67; Tils, Mediation (wie Anm. 19), S. 47 f. Aus diesen Randbedingungen sowie den oben erläuterten Prinzipien ergeben sich auch Ablauf und Struktur von Mediationsverfahren (vgl. zum Folgenden Petra Voßebürger – Frank Claus, Ablauf von Umweltmediationsverfahren, in: Förderverein Umweltmediation (Hg.), Studienbrief Umweltmediation. Eine interdisziplinäre Einführung, Bonn 1999, S. 81–99, dort v. a. das Schaubild auf S. 96; Troja, Umweltkonfliktmanagement (wie Anm. 11), S. 14 ff.; Förderverein Mediation im öffentlichen Bereich, Mediation (wie Anm. 2), S. 25 ff.). In einer Initiierungs- und Vorbereitungsphase gilt es nicht nur den künftigen Mediator zu finden, dieser muss auch erst eine sorgfältige Interessen- und Konfliktanalyse vornehmen, um zu entscheiden, ob die Bedingungen für eine erfolgreiche Vermittlung – v. a. die grundsätzliche Kooperationsund Kompromissbereitschaft der Beteiligten und mögliche Verhandlungsspielräume – überhaupt gegeben sind. Anschließend gilt es die Teilnehmer des Verfahrens zu bestimmen. In dieser Anfangsphase bedarf es ausführlicher Hintergrundgespräche des Mediators mit den Konfliktparteien, um den Streitgegenstand, die betroffenen und involvierten Akteure und ihre Beziehungen, die Konfliktursachen, die konkreten Streitgegenstände und die Argumentationsstrategien zu erheben. In der Verhandlungs- und Vermittlungsphase gilt es zunächst, Entscheidungen über die Regeln und den Ablauf des Verfahren zu vereinbaren, bevor die grundlegenden Interessen der Beteiligten geklärt, die Suche nach kreativen Lösungen vorangetrieben, mögliche Verhandlungspakete und Kompromisse ausgelotet sowie die erarbeiteten Optionen bewertet werden können. In der abschließenden Phase der Ergebnissicherung wird die vereinbarte Lösung festgeschrieben, werden Schritte zur ihrer Umsetzung beschlossen und Maßnahmen zu ihrer Überprüfung vereinbart. 50 Überblicke über und vergleichende Auswertungen von deutsche(n) Verfahren finden sich u. a. bei Frank Claus – Peter M. Wiedemann (Hgg.), Umweltkonflikte. Vermitt-

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Vermittlungsverfahren in innenpolitischen Konflikten lungsverfahren zu ihrer Lösung. Praxisberichte), Taunusstein 1994; Matthias Jeglitza – Carsten Hoyer, Deutsche Verfahren alternativer Konfliktlösung bei Umweltstreitigkeiten – eine Dokumentation, in: Horst Zilleßen (Hg.), Mediation. Kooperatives Konfliktmanagement in der Umweltpolitik, Opladen 1998, S. 137–183; Dirk Meuer – Markus Troja, Mediation im öffentlichen Bereich – Status und Erfahrungen in Deutschland 1996– 2002. Abschlussbericht eines Forschungsprojektes im Rahmen des DFG-Schwerpunktptogramms „Mensch und globale Umweltveränderungen“, Oldenburg 2004; Troja – Meuer, Mediation (wie Anm. 18). Die folgenden Ausführungen rekurrieren auf diese Studien. 51 Jeglitza – Hoyer, Verfahren (wie Anm. 50), S. 180. Da viele verschiedene Mediationsphilosophien existieren und reale Verfahren aufgrund der jeweiligen kontingenten Kontexte und Konfliktkonstellationen selten den Idealvorstellungen folgen (können), spielt die Wahl der Kriterien bei der Auswahl der zu berücksichtigen Fälle eine entscheidende Rolle. Die Untersuchung von Jeglitza und Hoyer beruht auf Verfahren, die von einem Mittler beziehungsweise einer Mittlerin begleitet wurden und ergänzend zu einem formal vorgeschriebenen Verfahren durchgeführt wurden. Vgl. dazu Saretzki, Mediation (wie Anm. 4), S. 34. 52 Troja – Meuer, Mediation (wie Anm. 18), S. 222. 53 Vgl. auch Geis, Regieren (wie Anm. 4), S. 75. Geis vermutet, dass die Ursache dieser zögerlichen Rezeption u. a. auch darauf beruhen könnte, dass in der Bundesrepublik das bestehende Konfliktvermittlungs- und Konfliktregelungssystem (noch) in hinreichendem Maß über Funktionsfähigkeit und Legitimität verfügt. 54 Jeglitza – Hoyer, Verfahren (wie Anm. 50), S. 222. 55 Troja – Meuer, Mediation (wie Anm. 18), S. 223 f. 56 Ebd., S. 228. 57 Ebd., S. 221. 58 Ebd., S. 228. 59 Ebd., S. 228 u. 222. 60 Ebd., S. 229 f.; Meuer – Troja, Mediation (wie Anm. 50), S. 63 ff. 61 Die Definition von Kriterien für den (relativen) Erfolg oder das (relative) Scheitern von Mediationsverfahren ist mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. So bedarf es etwa der Entscheidung darüber, ob bzw. in welchem Verhältnis die möglicherweise divergierenden Urteile der Teilnehmenden oder der (wissenschaftlichen) Beobachter zählen sollen, wie die Qualität des Verfahrensverlaufs und seiner Effekte gegenüber der Qualität der Verfahrensergebnisses gewichtet werden soll und ob die Ergebnisse in ihren Folgen nur für die Konfliktbeteiligten oder auch für die Allgemeinheit berücksichtigt werden sollen (vgl. Geis, Regieren (wie Anm. 4), S. 93; vgl. auch die ausführliche Liste von Erfolgskriterien bei Kostka, Erfolg, S. 214). Schließlich ließen sich, so Geis, die Verfahren und ihre Folgen auch danach beurteilen, wie sehr sie den Kriterien legitimen demokratischen Regierens entsprechen. Dann wäre von Bedeutung, ob alle wichtigen Konfliktparteien (auch die mittelbaren, von den Ergebnissen von Mediationsverfahren betroffenen) beteiligt sind, ob die Ergebnisse in der politischen Öffentlichkeit ausreichend diskutiert werden konnten und ob eine kritische Prüfung der Ergebnisse durch Parlament und Administration erfolgte (vgl. Geis, Regieren (wie Anm. 4), S. 95 ff.). 62 Vgl. zum Folgenden Troja – Meuer, Mediation (wie Anm. 18), S. 230 ff., 237. 63 Ebd., S. 231 ff. 64 Ebd., S. 233 ff. 65 Vgl. u. a. Geis, Regieren (wie Anm. 4). 66 Troja – Meuer, Mediation (wie Anm. 18), S. 236 f. 67 Fietkau – Weidner, Umweltverhandeln (wie Anm. 9), S. 322.

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Ulrich Willems 68

Herrman, Introduction (wie Anm. 4), S. 5. Geis, Regieren (wie Anm. 4), S. 86 f. 70 Vgl. dazu ebd., S. 96 f. 71 Reinhard Ueberhorst, Mittlergestützte diskursive Verfahren in der Energie- und Umweltpolitik, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen 10, 1997, S. 53–64. 72 Vgl. Mary Douglas – Aaron B. Wildavsky, Risk and culture. An essay on the selection of technical and environmental dangers, Berkeley 1982; Aaron B. Wildavsky, The rise of radical egalitarianism, Washington 1991; Michael Thompson, Cultural theory as political science, in: Ders. u. a. (Hgg.), Cultural theory as political science (Routledge/ ECPR studies in European poltical science, Bd. 11), London – New York 1999, S. 1–23; Mary Douglas, Being fair to hierarchists, in: University of Pennsylvania Law Review 151, 2003, S. 1349–1370. 73 Vgl. Ulrich Willems, Wertkonflikte im politischen Prozess. Charakteristika, Dynamiken und Strategien der Zivilisierung. Habilitationsschrift, Ms., Hamburg 2008, S. 255 ff.; Dan M. Kahan – Donald Braman, Overcoming the fear of cultural politics: Constructing a better debate (http://www.psych.nyu.edu/tyler/Publications/Overcoming_fear_cultural_politics.pdf, letzter Zugriff am 23. 05. 2005), Ms., o. J. Vgl. zu Vorschlägen für den Umgang mit Wertkonflikten aus Mediationsperspektive Susskind – Field, Values (wie Anm. 46), S. 199–223. 69

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‚Vermittlung‘ als Form der friedlichen Streitbeilegung im Völkerrecht der Gegenwart Christian Walter 1. Drei Thesen zu Beginn Die ‚Vermittlung‘ gehört zu den gängigen Methoden der sog. friedlichen Streitbeilegung, die heute in Art. 33 Abs. 1 UN-Charta kodifiziert sind. Folgt man der üblichen Unterteilung in richterliche und nicht-richterliche Methoden 1, dann ist die Vermittlung den nicht-richterlichen Methoden zuzuordnen. Das Institut der Vermittlung gehört zu den schon früh kodifizierten Methoden der friedlichen Streitbeilegung. In Art. 4 der I. Haager Konvention vom 29. Juli 1899 heißt es: „Die Aufgabe des Vermittlers besteht darin, die einander entgegengesetzten Ansprüche auszugleichen und Verstimmungen zu beheben, die zwischen den im Streite befindlichen Staaten etwa entstanden sind.“ 2 Kennzeichnend ist also, dass ein nicht am Streit beteiligter Dritter (sei es ein Staat, eine internationale Organisation oder auch eine einzelne Persönlichkeit) sich darum bemüht, im Zusammenwirken mit den Streitparteien einen Lösungsvorschlag zu erarbeiten. Die Haager Konvention stellt dabei einerseits klar, dass ein Vermittlungsvorschlag nie als unfreundlicher Akt gewertet werden darf (Art. 3 Abs. 3 I. Haager Konvention), andererseits aber auch immer nur die Bedeutung eines „Rathes und niemals verbindliche Kraft“ hat (Art. 6 I. Haager Konvention). Vermittlung ist demnach ein ‚weiches‘ Instrument, das durch den Charakter des Kompromisses und durch Freiwilligkeit gekennzeichnet ist. Vor dem Hintergrund dieser einführenden Bemerkung sollen dem Referat drei Thesen vorangestellt werden, welche die für die nachfolgende Analyse leitenden Gesichtspunkte formulieren: 1. Vermittlung setzt voraus, dass die Parteien über den Gegenstand verfügen können. Deshalb verbleibt umso weniger Raum für Vermittlung, je stärker verrechtlicht eine Materie ist. Vermittlung ist demnach im Kern ein außerrechtlicher Vorgang. 2. Gleichwohl setzt das Recht entscheidende Rahmenbedingungen für Inhalt und Erfolg von Vermittlung. Vermittlung erfolgt also ‚im Schatten des Rechts‘. 3. Auch heute spielen die Person des Vermittlers und seine/ihre Verbindungen zu den Parteien und anderen Staaten eine zentrale Rolle. 243

Christian Walter

2. Die moderne Völkerrechtsentwicklung: Von der Souveränität der Staaten zu einer internationalen Rechtsgemeinschaft Um die Bedeutung von Vermittlung im heutigen Völkerrecht richtig einschätzen zu können, bedarf es einer kurzen Skizze wesentlicher Aspekte der modernen Völkerrechtsentwicklung. Diese Skizze erfolgt in drei Stationen: Ausgehend vom Souveränitätsprinzip nach der Lotus-Entscheidung des IGH (1.) werden wesentliche Änderungen beim Souveränitätsprinzip in der Rechtsentwicklung nach 1945 nachgezeichnet (2.), bevor die Bedeutung der heutigen ‚internationalen Gemeinschaft‘ als einer Rechtsgemeinschaft betont wird (3.).

2.1. Das Lotus-Prinzip (1927): Souveränität als Ausgangspunkt Zentral für die gesamte Völkerrechtsordnung ist das Souveränitätsprinzip. Heute ist es ausdrücklich in Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta verankert, der vom „Grundsatz der souveränen Gleichheit“ aller Mitglieder spricht. Nach dem verbreiteten Verständnis bedeutet Souveränität „Zuhöchstsein“. Dies beinhaltet zum einen die Freiheit von fremden Zwängen und zum anderen geht mit der Souveränität die unmittelbare Völkerrechtssubjektivität einher. 3 Von besonderer Bedeutung für eine Betrachtung der modernen Völkerrechtsentwicklung ist das Verhältnis von Freiheit und Bindung unter dem Gesichtspunkt der Souveränität. 4 Der Gesichtspunkt der Freiwilligkeit von Bindungen spielte allerdings erst im 19. Jahrhundert eine größere Rolle. 5 Aus ihm resultiert eine starke Betonung von Konsens und Freiwilligkeit, was das Eingehen von rechtlichen Bindungen angeht. Bis heute steht für diese Sichtweise die Formulierung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs aus der Lotus-Entscheidung. Der Fall betraf den Zusammenstoß des französischen Schiffes ‚Lotus‘ mit einem türkischen Kohleschiff auf Hoher See, bei dem das türkische Schiff sank und acht türkische Seeleute ums Leben kamen. Nach dem Einlaufen der ‚Lotus‘ in einen türkischen Hafen hatte die Türkei ein Strafverfahren gegen den wachhabenden französischen Offizier durchgeführt, der wegen seiner Unachtsamkeit zu einer (geringen) Strafe nach türkischem Strafrecht verurteilt wurde. Frankreich stellte sich auf den Standpunkt, dass für mögliche Straftaten auf Hoher See ausschließlich der Flaggenstaat des betreffenden Schiffes (im konkreten Fall: Frankreich) zuständig sei, die Türkei also mit der Durchführung des Strafverfahrens französische souveräne Rechte verletzt habe. Die Türkei war dagegen der Auffassung, dass es keine völkerrechtliche Regel gebe, welche der Ausübung der türkischen Strafgewalt entgegenstehe. Hinter den beiden Positionen Frankreichs und der Türkei standen unterschiedliche Vorstellungen von der staatlichen Souveränität: Frankreich behauptete, dass jedes Handeln einer ermächtigenden Grundlage bedürfe (welche nicht vorhanden sei), während die Türkei argumentierte, sie dürfe alles, was ihr nicht ausdrücklich verboten sei. Der Ständige Internationale Gerichts244

’Vermittlung’ als Form der friedlichen Streitbeilegung im Völkerrecht der Gegenwart

hof entschied mit folgenden berühmt gewordenen Worten im Grundsatz zugunsten der türkischen Position: „International law governs relations between independent States. The rules of law binding upon States therefore e m a n a t e f r o m t h e i r o w n f r e e w i l l as expressed in conventions or by usages generally accepted as expressing principles of law […]. Restrictions upon the independence of States cannot therefore be presumed.“ 6

Diese Vorstellung einer weitgehenden Freiheit der Staaten von allen nicht freiwillig eingegangenen Bindungen lässt sich heute kaum noch halten. Inzwischen hat sich nicht nur sehr viel stärker als früher die Idee einer internationalen Gemeinschaft durchgesetzt, sondern diese wird in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend zu einer Rechtsgemeinschaft. Dabei hat das Souveränitätsprinzip wichtige Veränderungen erfahren.

2.2.Wesentliche Änderungen beim Souveränitätsprinzip seit 1945 Schon 1927 dürfte die noch der Lotus-Entscheidung zugrunde liegende Vorstellung überholt gewesen sein, dass nur Staaten als Völkerrechtssubjekte in Betracht kommen und dass sie nur freiwillig eingegangenen Bindungen unterliegen. 7 Wie dem auch sei: Seither sind wichtige neue Akteure hinzugekommen und der Umfang der rechtlichen Bindungen ist erheblich angewachsen. Unter den zusätzlichen Akteuren sind insbesondere die internationalen Organisationen zu nennen, deren Zahl nach 1945 exponentiell angestiegen ist und deren Völkerrechtssubjektivität jedenfalls für Regierungssituationen heute dem Grunde nach nicht mehr bestritten wird. 8 Neben die internationalen Organisationen sind ebenfalls nach 1945 die Individuen jedenfalls insoweit als weitere Völkerrechtssubjekte getreten, als ihnen von Völkerrechts wegen eigene Rechte zugestanden oder Pflichten auferlegt werden. Mit dem zuletzt genannten Gesichtspunkt sind zwei neuere Entwicklungen im Völkerrecht angesprochen, die gleichfalls zu Veränderungen beim Souveränitätsverständnis geführt haben. Seit 1945 sind zunächst durch universelle und regionale vertragliche Vereinbarungen (zu nennen sind insbesondere die beiden UN-Menschenrechtspakte des Jahres 1966 9, aber auch die Europäische10 und die Amerikanische Menschenrechtskonvention 11) menschenrechtliche Bindungen der Staaten geschaffen worden, die jedenfalls in einem elementaren Kernbestand inzwischen auch völkergewohnheitsrechtlich gelten.12 Zunächst unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg mit den Kriegsverbrechertribunalen von Nürnberg und Tokio und dann seit Mitte der 1990er Jahre mit den beiden ad-hoc Strafgerichtshöfen für Jugoslawien und Ruanda 13, sowie mit dem durch das Römische Statut geschaffenen Internationalen Strafgerichtshof 14 sind darüber hinaus auch im Völkerrecht strafrechtliche Bindungen gegenüber dem einzelnen Individuum entstanden und durchsetzbar geworden 15, die gleichfalls für eine partielle Völkerrechtssubjektivität von Individuen spre245

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chen. Noch weit reichender ist, dass im Römischen Statut dem Sicherheitsrat die Möglichkeit verschafft wurde, auch Situationen an den Internationalen Strafgerichtshof zu überweisen, die sich auf dem Gebiet von Nicht-Vertragsparteien abspielen (Art. 13 lit b) Römisches Statut). Dies hat vor kurzem dazu geführt, dass ein Haftbefehl gegen das amtierende Staatsoberhaupt des Sudan Omar al Bashir erlassen wurde. 16 Der in einem solchen Akt liegende Souveränitätseingriff ist offensichtlich und illustriert den Wandel des Völkerrechts in diesem Bereich. 17 Alles in allem ist durch diese Entwicklungen der Bereich der rein innerstaatlichen Angelegenheiten deutlich zurückgedrängt worden. Das Völkerrecht kann sich inzwischen in fast jedem Bereich der nationalen Gesetzgebung auswirken.

2.3. Die heutige ‚internationale Gemeinschaft‘ als Rechtsgemeinschaft Diese Entwicklung hat (insbesondere in der deutschen) Völkerrechtslehre dazu geführt, die internationale Gemeinschaft als eine Rechtsgemeinschaft zu konzipieren.18 Der Begriff der ‚internationalen Gemeinschaft‘ taucht auch in offiziellen internationalen Dokumenten auf. Die wohl wichtigste Referenz ist die Wiener Vertragsrechtskonvention aus dem Jahr 1969, in deren Art. 53 der zwingende Charakter bestimmter Normen des Völkerrechts wie folgt definiert wird: „Ein Vertrag ist nichtig, wenn er im Zeitpunkt seines Abschlusses im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts steht. Im Sinne dieses Übereinkommens ist eine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts eine Norm, die von der i n t e r n a t i o n a l e n S t a a t e n g e m e i n s c h a f t in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann.“ 19

Während diese Bestimmung aus dem Jahr 1969 die internationale Gemeinschaft eindeutig als eine Gemeinschaft von Staaten konzipiert, ist inzwischen die Entwicklung weitergegangen. Der im Jahr 2001 von der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen angenommene und von der UN-Generalversammlung zustimmend zur Kenntnis genommene Entwurf über die Staatenverantwortlichkeit spricht an verschiedenen Stellen (Art. 25 Abs. 1 lit b), Art. 33 Abs. 1, Art. 42 lit b) und Art. 48 Abs. 1 lit b)) nur noch von der „gesamten internationalen Gemeinschaft“ („international community as a whole“), also ohne den zusätzlichen Hinweis auf Staaten. Darin kommt noch einmal deutlich zum Ausdruck, dass sich der Kreis der Völkerrechtssubjekte erweitert hat und Staaten nicht mehr die alleinigen Akteure sind. In der Völkerrechtstheorie wurde der Gedanke der internationalen Gemeinschaft in einem nächsten Schritt unter dem Aspekt der ‚Konstitutionalisierung‘ also einer quasi-verfassungsrechtlichen Verdichtung betrachtet. 20 Dieser Ansatz 246

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stellt dem Gedanken der Gemeinschaftsbildung noch eine verfassungsrechtliche Flankierung zur Seite. Darin dürfte jedenfalls auf der theoretischen Ebene der Höhepunkt der Verrechtlichung zu sehen sein. Als weiterer Schritt in der gerade beschriebenen Entwicklung darf die Herausbildung der sog. ‚Responsibility to Protect‘ als politisches und inzwischen möglicherweise auch völkerrechtliches Konzept gedeutet werden. Dieses Konzept entstand vor dem Hintergrund zahlreicher schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen, die durch den Zusammenbruch vorhandener staatlicher Strukturen begünstigt oder gar veranlasst wurden. Dramatische Beispiele waren die Völkermorde in Ruanda und Burundi. Unter dem Eindruck des Versagens sowohl der staatlichen wie der internationalen Schutzmechanismen begannen zunächst kleine Expertengruppen und später auch offizielle Gremien der Vereinten Nationen über neue Optionen nachzudenken. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Bericht des sog. High Level Panel on Threats Challenge and Change zu, das Ende 2003 vom UN-Generalsekretär eingesetzt wurde. 21 Dieses Expertengremium formulierte allgemeine Vorschläge zur Reform der Vereinten Nationen und beschäftigte sich dabei auch mit der Responsibility to Protect. In der entsprechenden Passage des Berichts wird deutlich, dass mit dem neuen Konzept eine Veränderung des traditionellen Verständnisses der staatlichen Souveränität einhergeht. Die Kommission deutet die Souveränität als mit der Verantwortung belastet, die eigene Bevölkerung effektiv vor schweren Menschenrechtsverletzungen zu schützen. Ist ein Staat nicht in der Lage, dieser Verantwortung gerecht zu werden, so fällt sie an die internationale Gemeinschaft als Ganzes. 22 „In signing the Charter of the United Nations, States not only benefit from the privileges of sovereignty but also accept its responsibilities. Whatever perceptions may have prevailed when the Westphalian system first gave rise to the notion of State sovereignty, today it clearly carries with it the obligation of a State to protect the welfare of its own peoples and meet its obligations to the wider international community. But history teaches us all too clearly that it cannot be assumed that every State will always be able, or willing, to meet its responsibilities to protect its own people and avoid harming its neighbours. And in those circumstances, the principles of collective security mean that some portion of those responsibilities should be taken up by the international community, acting in accordance with the Charter of the United Nations and the Universal Declaration of Human Rights, to help build the necessary capacity or supply the necessary protection, as the case may be. What we seek to protect reflects what we value. The Charter of the United Nations seeks to protect all States, not because they are intrinsically good but because they are necessary to achieve the dignity, justice, worth and safety of their citizens. These are the values that should be at the heart of any collective security system for the twenty-first century, but too often States have failed to respect and promote them. The collective security we seek to build today asserts a shared responsibility on the part of all States and international institutions, and those who lead them, to do just that.“ 23

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Bei der Wahrnehmung einer solchen Verantwortung der internationalen Gemeinschaft kommt dem Sicherheitsrat eine besondere Rolle zu, weil die UNCharta ihm die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zuweist und ihm in Kapitel VII das entsprechende Handlungsinstrumentarium zur Verfügung stellt. 24 Darin liegt eine erhebliche Aufwertung des internationalen Kollektivmechanismus gegenüber der Souveränität der Mitgliedstaaten.

3. Vermittlung im System der ‚friedlichen Streitbeilegung‘ 3.1. Das System gegenseitiger kollektiver Sicherheit der Vereinten Nationen Unter einem System kollektiver Sicherheit versteht man Friedenssicherungsmechanismen, die auf dem Prinzip beruhen, dass die gemeinsame Sicherheit sowohl gegenüber potentiellen Bedrohungen von außen als auch gegenüber solchen aus dem Kreis der Mitglieder gewährleistet werden muss. Das System kollektiver Sicherheit der Vereinten Nationen ist durch drei zentrale Grundprinzipien gekennzeichnet: Es beinhaltet erstens die Verpflichtung aller Mitglieder, von der Anwendung oder Androhung von Gewalt in ihren zwischenstaatlichen Beziehungen abzusehen und stattdessen ihre Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln zu regeln (Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta). Es führt zweitens für den Fall eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung einen kollektiven Zwangsmechanismus ein (Kapitel VII UN-Charta). Schließlich schafft es drittens die Möglichkeit, militärische Maßnahmen zu ergreifen, die – ohne das Ausmaß einer Zwangsmaßnahme zu erreichen – den Erhalt des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dienen (sog. Friedenstruppen 25).

3.2. Friedliche Streitbeilegung und kollektiver Zwang – ein wichtiger Zusammenhang Verstünde man die Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung (Art. 2 Ziff. 3 UN-Charta) lediglich in dem Sinne, dass sie nicht-friedliche Mittel der Streiterledigung ausschließt, dann wäre sie nicht mehr als eine Dopplung der sich ohnehin aus dem Gewaltverbot ergebenden Grenzen. Sie wird deshalb zu Recht ganz überwiegend als Verpflichtung zu einem bestimmten Verhalten verstanden, wenn auch nicht als eine zu einem bestimmten Ergebnis. 26 Das Gewaltverbot und die Pflicht zur friedlichen Streiterledigung sind demnach als einander wechselseitig ergänzende und aufeinander bezogene Pflichten zu verstehen. Die zentralen und als solche auch gewohnheitsrechtlich anerkannten Instrumente friedlicher Streitbeilegung werden in Art. 33 UN-Charta aufgezählt: Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung, Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder 248

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Abmachungen, sowie weitere unbenannte Mittel der Streitbeilegung. 27 Die Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung enthält keine Hierarchie oder Reihenfolge zwischen den verschiedenen zur Verfügung stehenden Mechanismen. Vielmehr sind die Mechanismen gleichwertig und die Staaten grundsätzlich in ihrer Wahl frei. In diesen Kontext ist das Instrument der ‚Vermittlung‘ im geltenden Völkerrecht einzuordnen.

4. Voraussetzungen für erfolgreiche Vermittlung im modernen Völkerrecht 4.1. Sechs Beispiele zur Erläuterung Die Voraussetzungen für erfolgreiche Vermittlung lassen sich am besten anhand von konkreten Beispielen darstellen und erläutern. Hierzu werden die folgenden sechs Beispiel vorweg ganz kurz in ihrer historischen Entwicklung geschildert, um anschließend darauf Bezug nehmen zu können. a) Vermittlung des Papstes im Beagle Kanal-Konflikt zwischen Chile und Argentinien Der Beagle Kanal-Konflikt betraf einen Streit über die Gebietshoheit über drei Inseln und den Verlauf der Seegrenze im Beagle-Kanal. 28 Der Beagle-Kanal ist eine natürliche Wasserstraße, welche den Atlantik und den Pazifik an der Südspitze von Feuerland miteinander verbindet. Die Territorialstreitigkeit reiht sich ein in eine größere Zahl ähnlicher Streitigkeiten, welche ihre Ursache im Verlauf ehemaliger Kolonialgrenzen haben. 29 Derartige Streitigkeiten werden üblicherweise nach dem Prinzip des uti possidetis entschieden, d. h. maßgeblich soll die ehemalige Kolonialgrenze sein. Problematisch ist allerdings, dass deren Verlauf vielfach unklar und schwer nachzuweisen ist. Im Falle des Beagle-Kanals gab es schon Mitte des 19. Jahrhunderts zwischen Chile und Argentinien Grenzstreitigkeiten, welche zunächst 1855 und dann nochmals 1881 durch Grenzverträge beigelegt wurden. Gleichwohl flammte der Streit um die drei Inseln immer wieder auf. Mitte der 1970er Jahre wurde dann der Versuch unternommen, den Streit einer schiedsgerichtlichen Lösung zuzuführen. Der Schiedsspruch sprach die Hoheit über die drei Inseln Chile zu. 30 Während Chile wenig überraschend das ihm günstige Urteil anerkannte, erklärte Argentinien die Entscheidung für nichtig und begann militärischen Druck auf das Nachbarland auszuüben. Kurz bevor es zu militärischen Auseinandersetzungen kam, führte zum Jahreswechsel 1978/1979 ein Vermittlungsangebot des Papstes zur Unterzeichnung der sog. Akte von Montevideo, in der sich beide Seiten auf den Vermittlungsversuch des Heiligen Stuhls einließen. Als Vermittler vor Ort agierte der Päpstliche Sondergesandte Kardinal Samorè. Ein im Dezember 1980 unterbreiteter Vorschlag fand 249

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keine vollständige Zustimmung und die Ereignisse um die Falkland-Inseln einschließlich des von Argentinien verlorenen Kriegs gegen das Vereinigte Königreich gaben der weiteren Entwicklung eine andere Richtung. Mit der Beseitigung der Diktatur in Argentinien wurde 1984 ein Friedens- und Freundschaftsvertrag möglich 31, durch den auch die chilenische Gebietshoheit über die umstrittenen Inseln bestätigt wurde. Im Hintergrund dieser Lösung stand wiederum eine Vermittlung durch den Heiligen Stuhl. 32 b) Vermittlung durch Algerien während der Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran (November 1979 bis Januar 1981) Am 4. November 1979 besetzten etwa 400 iranische Studenten die US-amerikanische Botschaft in Teheran. Vor dem Gebäude versammelten sich außerdem einige Tausend Demonstranten. Die US-amerikanischen Botschaftsangehörigen wurden gefangen genommen und als Geiseln zur Dursetzung der iranischen Forderung nach Auslieferung des früheren Schah Mohammad Reza Pahlavi missbraucht. In einer von den USA erstrittenen Entscheidung verurteilte der Internationale Gerichtshof das Verhalten Irans in besonders deutlichen Worten als völkerrechtswidrig. 33 Die Geiselnahme dauerte im Zeitpunkt der IGH-Entscheidung noch an. Ein Vermittlungsversuch der Vereinten Nationen zwischen Februar und April 1980 scheiterte. Das gleiche gilt für einen militärischen Befreiungsversuch der USA Ende April 1980. Neue Bewegung entstand erst nach dem Tod des ehemaligen Schah Ende Juli 1980 und dem Ausbruch des Iran-Irak-Krieges im September 1980. Ab Oktober 1980 vermittelte Algerien, was schließlich am 19. Januar 1981 zum Abschluss eines iranisch-amerikanischen Abkommens zur Geiselfreilassung führte und damit den Konflikt beendete.34 c) Vermittlung durch den amerikanischen Außenminister Alexander Haig im Falkland Konflikt zwischen Argentinien und dem Vereinigten Königreich Seit ihrer Entdeckung im 17. Jahrhundert war die Gebietshoheit über die Falkland-Inseln zwischen zunächst Spanien und seit der Unabhängigkeit im Jahr 1816 Argentinien und dem Vereinigten Königreich umstritten. Die seit 1976 regierende argentinische Militärjunta machte neben Gebietsansprüchen an der Südspitze Südamerikas 35 auch Ansprüche auf die von Argentinien Malvinas genannten Falkland-Inseln geltend. Am 2. April 1982 erfolgte die zunächst militärisch erfolgreiche argentinische Invasion auf den Inseln. Sowohl in den Vereinten Nationen als auch seitens der USA setzten intensive Bemühungen um eine diplomatische Lösung ein, die aber scheiterten. 36 Die USA waren dabei in einer besonders heiklen politischen Situation, denn sie waren über unterschiedliche Bündnissysteme mit beiden Streitparteien verbunden. Mit Argentinien über die Organisation amerikanischer Staaten und mit dem Vereinigten Königreich abgesehen von den ohnehin engen historischen Bindungen auch über den Nordatlantikpakt (NATO). Außerdem waren beide 250

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Konfliktparteien wichtige Bündnispartner im Kalten Krieg mit den kommunistischen Ostblock-Staaten. Dies führte dazu, dass der damalige amerikanische Außenminister Alexander Haig im Wege einer Shuttle-Diplomatie zwischen Buenos Aires und London eine Vermittlungstätigkeit aufnahm, die allerdings erfolglos blieb. Nach deren Scheitern kam es zur offenen militärischen Auseinandersetzung, die das Vereinigte Königreich letztlich für sich entscheiden konnte. Mitte Juni 1982 war der Falkland-Krieg zu Ende. d) Vermittlung durch die Sowjetunion im Konflikt zwischen Indien und Pakistan um Kaschmir Um das zwischen Indien und Pakistan schon unmittelbar nach 1945 umstrittene Kaschmir kam es von August bis September 1965 zum zweiten Kaschmirkrieg. Am 20. September 1965 verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Resolution, in der er zu einem Waffenstillstand aufrief. 37 Beide Kriegsparteien nahmen den Vorschlag an, sodass der Waffenstillstand am 23. September in Kraft treten konnte. Anfang 1966 berief der damalige sowjetische Ministerpräsident Kossygin eine internationale Konferenz in Taschkent (heute Usbekistan) ein. Dort kam es aufgrund der sowjetischen Vermittlung zur Annahme der Deklaration von Taschkent, in der sich Indien und Pakistan auf die Wiederherstellung des Vorkriegszustandes einigten. Ungeklärt blieb allerdings der zukünftige Status der von beiden Parteien beanspruchten Region Kaschmir. e) Vermittlung der Vereinten Nationen und der USA in der Jugoslawienkrise Der seit Beginn der 1990er Jahre ausgebrochene Jugoslawienkonflikt beruht auf ethnischen Auseinandersetzungen, die seit 1991 den schubweisen Zerfall der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien bewirkten. Die Unabhängigkeitserklärungen von zunächst Slowenien und dann Kroatien führten jeweils zu kriegerischen Auseinandersetzungen. 38 Von 1992 bis 1995 kam es zu dem besonders blutigen Bosnienkrieg, dem die Unabhängigkeitserklärung von Bosnien und Herzegowina zugrunde lag. In den Jugoslawienkriegen wurden unzählige Kriegsverbrechen begangen 39, die den Sicherheitsrat schließlich dazu bewogen, ein ad-hoc-Tribunal zur strafrechtlichen Verfolgung einzurichten. 40 Zur Beendigung des bosnischen Teilkonflikts trugen unter anderem Vermittlungsbemühungen der USA und der Vereinten Nationen bei, welche 1995 in den Abschluss des Abkommens von Dayton mündeten. Das Abkommen wurde am 14. Dezember 1995 in Paris unterzeichnet. Vorausgegangen waren mehrwöchige Verhandlungen in Dayton, bei denen die USA erheblichen Druck insbesondere auf die serbische Seite ausübten.

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f) Der ‚Weisen-Bericht‘ zur Lösung der Österreich-Sanktionen als ‚Vermittlung‘ Im Januar 2000 kam es in Österreich zu einem Regierungswechsel, bei dem zum ersten Mal die als rechtspopulistisch eingestufte FPÖ unter ihrem umstrittenen Parteivorsitzenden Jörg Haider an der Regierung auf Bundesebene beteiligt wurde. 41 Die übrigen XIV Mitgliedstaaten der EU beschlossen daraufhin – außerhalb der vertraglich vorgesehenen Verfahren – ‚Sanktionen‘ gegen Österreich zu verhängen. Sie entschieden: „Die Regierungen der 14 Mitgliedsstaaten werden keinerlei offizielle bilaterale Kontakte auf politischer Ebene mit einer österreichischen Regierung unter Einbindung der FPÖ betreiben oder akzeptieren; es wird keine Unterstützung für österreichische Kandidaten geben, die Positionen in internationalen Organisationen anstreben; Österreichische Botschafter werden in den EU-Hauptstädten nur noch auf technischer Ebene empfangen.“ 42 Diese Maßnahmen stürzten die EU in eine politische Krise, die man schließlich durch die Einsetzung eines Gremiums von drei sog. ‚Weisen‘, dem ehemaligen finnischen Staatspräsidenten Martti Ahtisaari, dem ehemaligen spanischen EU-Kommissar Marcelino Oreja und dem deutschen Völkerrechtler Jochen Abr. Frowein zu überwinden hoffte. Die Auswahl der drei Personen übertrug man dem damaligen Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Luzius Wildhaber. Das Mandat der ‚Weisen‘ bestand darin, „auf der Grundlage einer eingehenden Untersuchung einen Bericht vorzulegen über – das Eintreten der österreichischen Regierung für die gemeinsamen europäischen Werte, insbesondere hinsichtlich der Rechte von Minderheiten, Flüchtlingen und Einwanderern; – die Entwicklung der politischen Natur der FPÖ.“ 43 Der Bericht wurde am 8. September 2000 in Paris dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac als neuem EU-Ratspräsidenten übergeben. Streng betrachtet handelt es sich bei der Erstellung des Berichts nicht um eine Vermittlungstätigkeit, weil den drei ‚Weisen‘ dem ersten Anschein nach eine klare juristische und politische Einschätzungsaufgabe übertragen war. Man darf aber bei der Analyse nicht übersehen, dass die Einsetzung der drei ‚Weisen‘ aus der Sicht der politischen Akteure als Ausstiegsszenario aus der Sackgasse gedacht war, in die man durch die Verhängung der Sanktionen einerseits und die Unbeugsamkeit des österreichischen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel andererseits geraten war. Politisch war im frühen Sommer 2000 klar, dass man es sich nicht leisten konnte, dauerhaft ein Mitglied der Europäischen Union aus den gemeinsamen informellen Entscheidungsprozessen herauszuhalten. Die drei ‚Weisen‘ wurden dadurch in eine Schlüsselrolle zur Lösung der Krise gedrängt, denn vom Inhalt des Berichts war abhängig, ob die übrigen XIV Mitgliedstaaten der EU in eine Position kommen würden, in der sie ohne Ansehensverlust die Sanktionen wieder aufheben konnten. Dies wiederum erforderte, dass auf österreichischer Seite gewisse Zugeständnisse ge252

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macht werden mussten, was die Frage anging, ob Ende Januar 2000 berechtigter Anlass zu Sorge bestand, Österreich könne eine demokratisch und/oder rechtsstaatlich problematische Entwicklung nehmen. Aufgrund dieser politischen Hintergründe kann die Mission der drei ‚Weisen‘ vielleicht am besten als eine ‚verdeckte Vermittlung‘ beschrieben werden.

4.2. Der ‚Schatten des Rechts‘ Unter den eingangs formulierten Thesen wurde festgehalten, dass erfolgreiche Vermittlung voraussetzt, dass die Parteien über den Gegenstand des Streits verfügen können. Wo aus rechtlichen Gründen nur ein bestimmtes Ergebnis die zulässige Lösung sein kann, kommt Vermittlung nicht in Betracht. In einem solchen Fall kann nur das rechtlich Gebotene durchgesetzt werden. In diesem Sinne erfolgt Vermittlung im ‚Schatten des Rechts‘. a) Ius cogens: Zwingende Normen des Völkerrechts Vor dem Hintergrund des gerade Gesagten erlangt das zwingende Völkerrecht (sog. ius cogens) besondere Bedeutung. Nach Art. 53 Wiener Vertragsrechtskonvention handelt es sich bei einer zwingenden Norm um eine Norm „die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf […].“ 44 Beispiele für derartige Normen sind das Aggressionsverbot oder das Genozidverbot. Hieraus folgt, dass ein Vermittlungsergebnis niemals gegen eine zwingende Norm des Völkerrechts verstoßen darf. Betrachtet man die beiden Beispiele für zwingende Normen, so darf man sicher davon ausgehen, dass die vom ius cogens ausgehende Beschränkung in der Vermittlungspraxis keine ernsthaften Probleme bereitet. Man kann im Gegenteil ganz allgemein sagen, dass gerade der Bereich der Friedenssicherung eine vergleichsweise geringe rechtliche Durchdringung erfahren hat. Die Überlegung zum zwingenden Völkerrecht macht aber darauf aufmerksam, dass viele anderen rechtlichen Regelungen einer von ihnen abweichenden Vermittlungslösung nicht entgegen stehen. Entscheidend ist allein, dass die Parteien zulässigerweise von ihnen abweichen können. Dies lässt sich gut mit dem Beispiel der Beagle-Kanal-Vermittlung illustrieren. Hier gab es einen verbindlichen Schiedsspruch, der Chile die Souveränität über die umstrittenen Inseln einräumte. Dies hindert Chile aber nicht daran, auf dieser Rechtsposition nicht zu bestehen, sondern die bereits durch den Schiedsspruch entschiedene Frage erneut im Wege der Vermittlung klären zu lassen. Ein Staat kann völkerrechtlich eben auf solche Rechtspositionen wie die durch den Schiedsspruch begründete verzichten, ohne dass er deswegen völkerrechtswidrig handeln würde.

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b) Drittbegünstigungen Anders sieht die Situation dagegen bei sog. Drittbegünstigten aus. Das wichtigste Beispiel für diese Beschränkung bildet die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes. Die in völkerrechtlichen Verträgen (also in Verträgen zwischen Staaten!) begründeten internationalen Menschenrechtsgarantien sind – jedenfalls was den Kern klassischer Freiheits- und Gleichheitsrechte angeht – nicht nur eine zwischenstaatliche Angelegenheit zwischen den am Vertrag beteiligten Staaten, sondern sie verleihen dem begünstigten Individuum eine eigene Rechtsposition, die es unter modernen Schutzmechanismen wie der Europäischen Menschenrechtskonvention auch selbst durchsetzen kann. Diese eigene Rechtsposition des begünstigten Individuums entzieht den Vertragsparteien die Hoheit über die im Vertrag enthaltenen einzelnen Garantien, einvernehmlich zu Lasten der Individuen zu verfügen. Das Ergebnis einer Vermittlung darf also nicht gegen völkervertraglich garantierte Individualrechtspositionen verstoßen, wie sie insbesondere durch Menschenrechtsschutzverträge begründet werden. Aber auch darin dürfte keine allzu problematische Beschränkung internationaler Vermittlungspraxis liegen. c) Straffreiheit für Kriegsverbrecher? Anders sieht die Sache dagegen hinsichtlich der modernen Entwicklung im Bereich des Völkerstrafrechts aus. Art. 27 des Römischen Statuts über den internationalen Strafgerichtshof bestimmt ausdrücklich, dass „die amtliche Eigenschaft als Staats- oder Regierungschef, als Mitglied einer Regierung oder eines Parlaments, als gewählter Vertreter oder als Amtsträger einer Regierung eine Person nicht der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach diesem Statut“ entbindet. Mit dieser Vorschrift soll sichergestellt werden, dass bei schweren Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch ‚die Großen‘ verfolgt und bestraft werden können. Diese Verfolgungsund Bestrafungsabsicht des Völkerstrafrechts kann aber im Einzelfall in Widerspruch treten zu Bemühungen um die Eindämmung eines Konfliktes und die Herstellung von Waffenstillständen. Welches Interesse an einer solchen Lösung sollten militärische und politische Führer haben, die anschließend mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen müssen. In diesen Fällen können – wie die aktuellen Entwicklungen um den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den sudanesischen Staatspräsidenten Omar al Baschir zeigen – die Interessen von Friedensherstellung und strafrechtlicher Verantwortlichkeit in Konflikt geraten. 45 Das Römische Statut behält es dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vor, im Einzelfall Ausnahmen von der Strafverfolgung zu beschließen (Art. 16 Römisches Statut 46). Daraus folgt im Umkehrschluss, dass es im Rahmen von Vermittlungen nicht möglich ist, Straffreiheit für die genannten schweren Verbrechen zu versprechen, wenn nicht gleichzeitig ein entsprechender Beschluss des Sicherheitsrats erwirkt 254

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werden kann. Hieran kann unter Umständen eine wichtige Beschränkung von Vermittlungsmöglichkeiten liegen, für die es aber gute Gründe gibt.

4.3. Konsens der Parteien Die zweite wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Vermittlung liegt im Konsens der Parteien. Das Vermittlungsergebnis kann nur dann für eine erfolgreiche Beendigung von Auseinandersetzungen sorgen, wenn es von den Parteien akzeptiert wird. Die für den Konsens erforderliche Bereitschaft muss sich vielfach erst entwickeln. Das Scheitern der Vermittlungsversuche des amerikanischen Außenministers Alexander Haig in der Falkland-Krise war entscheidend darauf zurückzuführen, dass es in dieser Phase des Konflikts auf beiden Seiten an der Bereitschaft zum Konsens fehlte.47 Ob und wann die Bereitschaft zum Konsens entsteht, hängt von sehr unterschiedlichen Faktoren ab. a) Das Problem der Internationalisierung Vermittlung bedeutet fast zwangsläufig Internationalisierung, weil der Vermittler in aller Regel eine irgendwie geartete internationale Rechtsstellung besitzt, meist wird es sich um andere Völkerrechtssubjekte handeln. Eine solche Internationalisierung ist vielfach von mindestens einer Streitpartei unerwünscht. Die Skepsis gegenüber einer Internationalisierung kann rechtliche Hintergründe haben. So spielte für Südafrika während der Apartheid immer die Überlegung eine Rolle, möglichst keine Argumente für eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit zu schaffen.48 Man kann ganz allgemein sagen, dass in internen Konflikten in aller Regel die Regierungsseite sich gegen eine Internationalisierung wendet und behauptet, dass es sich um eine rein interne Angelegenheit handle. Darin kann ein erhebliches Hemmnis gegenüber internationaler Vermittlung liegen. b) Politische, militärische und wirtschaftliche Stärke der Streitparteien Ein ganz entscheidender Faktor für die Erfolgsaussichten ist die militärische, politische und wirtschaftliche Situation der Streitparteien. Starke Staaten können sich gegen externe Vermittlungsversuche wehren, schwache dagegen oftmals nicht. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Situation Serbiens in der Jugoslawienkrise. Hier war es eine Mischung aus militärischem und politischem Druck von USA, EU, NATO und UNO, die schließlich die serbische Regierung dazu zwang dem Dayton-Abkommen zuzustimmen. Hieran zeigt sich, dass insbesondere der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dazu in der Lage ist, seine Zwangsbefugnisse nach Kapitel VII UN-Charta dazu zu nutzen, die für eine erfolgreiche Vermittlung erforderliche Zustimmung unter Umständen auch einmal zu erzwingen. Ähnlich war auch die Situation der Sowjetunion in der Kaschmirkrise. Der Umstand, dass Pakistan auf ihre militärische und 255

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politische Unterstützung angewiesen war, ermöglichte es der Sowjetunion im Rahmen ihrer Vermittlerrolle auch, in gewissem Umfang Druck auf Pakistan auszuüben, um das gewünschte Vermittlungsergebnis zu erreichen. c) Festgefahrene militärische Situation Sieht man sich den militärischen Faktor noch näher an, so wird leicht klar, dass die deutliche militärische Überlegenheit einer Partei deren Vermittlungsbereitschaft sinken lässt. Wer den Konflikt militärisch für sich entscheiden kann, dessen Bereitschaft zu Zugeständnissen im Rahmen eines Kompromisses nimmt ab. Umgekehrt kann deshalb gerade eine militärisch festgefahrene Situation die Bereitschaft dafür anwachsen lassen, nach alternativen Lösungsmöglichkeiten für einen Konflikt zu suchen. Auch hierfür bildet der KaschmirKonflikt ein gutes Beispiel, weil es auch der militärischen Pattsituation geschuldet war, dass die Vermittlung durch die Sowjetunion erfolgreich war. d) Veränderte politische Rahmenbedingungen Schließlich kann sich die Bereitschaft für eine Vermittlung aus veränderten politischen Rahmenbedingungen ergeben. Dies lässt sich gut am Beispiel der Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran, aber auch am Beagle-Kanal-Konflikt erläutern. Im Teheraner Geiselfall kamen gleich mehrere Aspekte zusammen. Ein wichtiger Gesichtspunkt war die fortschreitende Zeit. Es war klar, dass die Besetzung der amerikanischen Botschaft und die Inhaftierung des Botschaftspersonals ein symbolträchtiger Akt in einer revolutionären Phase waren. Man kann aber nicht auf Dauer Revolution machen, so dass mit fortschreitender Zeit eine Lösung für das Problem drängender wurde. Hinzu kam die während der noch anhaltenden Inhaftierung ergangene IGH-Entscheidung, mit welcher ein erheblicher internationaler Druck auf Änderung der Situation verbunden war und – als wohl wichtigster Gesichtspunkt – der irakische Angriff auf den Iran, der die innen- und außenpolitische Situation erheblich veränderte. Erst aufgrund dieser Veränderungen konnten die algerischen Vermittlungsbemühungen Erfolg haben. Im Beagle-Kanal-Fall war es der Ausbruch des Falkland-Krieges, durch welchen die argentinische Situation nachhaltig verändert wurde, weil eine parallel militärische Auseinandersetzung in beiden Konflikten nicht in Betracht kam.

4.4. Richtiger Zeitpunkt Die zuletzt genannten Beispiele zeigen, dass es für eine erfolgreiche Vermittlung entscheidend auf den richtigen Zeitpunkt ankommt. Der Konflikt muss ‚reif‘ für eine Vermittlung sein, weil nur dann die gerade beschriebenen Bedingungen vorliegen, insbesondere bei den Konfliktparteien die Bereitschaft besteht, sich auf Kompromisse einzulassen. Vor dem Hintergrund dieser Überlegung wird deutlich, warum die Vermittlungsversuche des amerikanischen 256

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Außenministers Haig in der Falklandkrise keinen Erfolg hatten, obwohl es sich um den höchsten Diplomaten einer Supermacht mit erheblichem Einfluss auf beide Parteien handelte. Umgekehrt kann man auch verstehen, warum die algerischen Vermittlungen, obwohl von einem in weltweiten Maßstab eher unbedeutenden Staat unternommen, in der konkreten Situation des Herbstes 1980 Erfolg versprechend war.

4.5. Auswahl des richtigen Vermittlers Die algerischen Vermittlungen zwischen dem Iran und den USA machen auf einen weiteren Gesichtspunkt aufmerksam: die Auswahl des richtigen Vermittlers. Seit der Geiselnahme hatte es keinerlei offizielle Kontakte zwischen den beiden Staaten gegeben. Die iranische Regierung hatte die USA zum Feind jeglicher Werte des Islam und der iranischen Revolution stilisiert und war schon aus Gründen der eigenen Glaubwürdigkeit nicht ohne Weiteres in der Lage, in die direkte Verhandlungen mit den USA zu treten. Die USA wiederum waren darauf angewiesen, durch einen Vermittler mit Verständnis für die iranische Kultur Kommunikationswege zu eröffnen, in die auch der Iran Vertrauen haben konnte. Algerien war vor diesem Hintergrund ein nahezu idealer Vermittler, weil es die genannten Anforderungen sämtlich erfüllte. Aufgrund ihrer Distanz zu den Streitparteien und einer hohen Autorität der hinter ihnen stehenden Organisationen kommen oftmals die Generalsekretäre internationaler Organisationen als Vermittler in Frage. Teilweise kann formal die Vermittlung auch durch die Organisation selbst erfolgen. Ein Beispiel hierfür bilden die vielfachen Vermittlertätigkeiten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), welches immer wieder im Bereich des humanitären Völkerrechts vermittelt hat. Selbstverständlich bedarf es bei einer Vermittlung durch Institutionen immer konkreter Personen, welche die Vermittlung übernehmen. Dies lässt sich gut am Beispiel der Vermittlung des Heiligen Stuhls (als Völkerrechtssubjekt) im Beagle-Kanal-Fall illustrieren. Hier übernahm als persönlicher Gesandter des Papstes Kardinal Samorè die Vermittlertätigkeit. Über die Persönlichkeit des Kardinals schrieb der Economist 1979, er sei „tireless, bubbling over with humour and goodwill, a beaming Pickwickian prelate who was also the soul of discretion“ 49. Besser lässt sich kaum beschreiben, dass es für erfolgreiche Vermittlung immer auch auf die Persönlichkeit des Vermittlers ankommt. Auch die Rolle des ehemaligen finnischen Staatspräsidenten Ahtisaari in der Österreich-Krise des Jahres 2000 unterstreicht diesen Punkt. Als ehemaliger finnischer Staatspräsident konnte er auf höchster Ebene sowohl dem österreichischen Bundeskanzler als auch den Staats- und Regierungschefs der XIVEU-Mitgliedstaaten begegnen. Er nutzte diese Position auch aus, um in beide Richtungen Verhaltensvorschläge zu signalisieren, die letztlich den Ausweg aus der Situation durch die Annahme des Berichts erst möglich machten. 257

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Hieraus – wie auch aus dem algerischen Beispiel – wird zugleich deutlich, dass Vermittlern wichtige Einflussmöglichkeiten zustehen, die ihnen aus ihrer zentralen Rolle in der Kommunikation zwischen den Parteien zuwachsen. Vielfach kommt es darauf an, dass sie bestimmte Aspekte in die eine oder die andere, gelegentlich auch in beide Richtungen kommunizieren. Über die Rolle des amerikanischen Außenministers Haig im Falkland-Konflikt wird etwa gesagt, dass eine erste zentrale Aufgabe darin bestand, die argentinische Militärjunta davon zu überzeugen, dass das Vereinigte Königreich tatsächlich bereit war, sich auf eine militärische Auseinandersetzung einzulassen, es also eine Fehleinschätzung wäre, wenn sie die entsprechenden Drohungen der britischen Regierung als bloßen Bluff ansähe. 50

4.6. Neutralität des Vermittlers? Dem ersten Anschein nach könnte man erwarten, dass Vermittler gegenüber den Streitparteien neutral sein müssten. Diese Überlegung ist insofern richtig, als beide Seiten dem Vermittler vertrauen müssen. Von dieser Grundvoraussetzung abgesehen wäre es aber illusorisch anzunehmen, dass ein Vermittler sich ohne eigenes Interesse an der Sache engagiert. Dieses Interesse kann sehr unterschiedlicher Natur sein und reicht von konkreten eigenen Vorteilen, wenn eine militärische Auseinandersetzung vermieden wird, bis zum bloßen Imagegewinn als Friedensorganisator. Für die USA ging es während der Falkland-Krise darum eine eigene politisch heikle Situation zu überwinden, weil die Gefahr bestand (und sich später realisierte!), dass man sich zwischen zwei engen Verbündeten würde entscheiden müssen: „Shuttling between Buenos Aires and London in an effort to reconcile the Governments of General Galtieri and Mrs. Thatcher calls for more than patience and an iron constitution.“ 51 Dagegen hatte Algerien mit seiner Vermittlung in der Krise um die Botschaftsgeiseln hauptsächlich einen Imagegewinn im Sinn.

5. Drei Thesen zum Ende 1. Auch das moderne Völkerrecht ist ganz wesentlich auf den Konsens der Staaten angewiesen. Das gilt für friedliche Streitbeilegung und kollektiven Zwang gleichermaßen. Ohne den Konsens der Streitparteien ist Vermittlung nicht möglich. 2. Im Zusammenspiel von friedlicher Streitbeilegung und Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII UN-Charta eröffnen sich neue Handlungsoptionen, weil kollektiver Einigungsdruck erzeugt werden kann. 3. Der Bereich der Friedenssicherung ist von umfassender Verrechtlichung noch sehr weit entfernt. Das schafft Spielräume für politische Gestaltung 258

’Vermittlung’ als Form der friedlichen Streitbeilegung im Völkerrecht der Gegenwart

und verspricht der ‚Vermittlung‘ als Instrument friedlicher Streitbeilegung auch in Zukunft ein breites Anwendungsfeld. Anmerkungen 1

Theodor Schweisfurth, Völkerrecht, Tübingen 2006, S. 255. Reichs-Gesetzblatt Nr. 44 vom 09. 11. 1901, S. 393 ff. 3 Wolfgang Graf Vitzthum, Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts, in: Ders. (Hg.), Völkerrecht, Berlin 4 2007, Rn. 46. 4 Näher Stefan Oeter, Souveränität – ein überholtes Konzept?, in: Hans-Joachim Cremer u. a. (Hgg.), Tradition und Weltoffenheit des Rechts. Festschrift für Helmut Steinberger (Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 152), Berlin 2002, S. 259 ff. (263); Christian Hillgruber, Souveränität – Verteidigung eines Rechtsbegriffs, in: JZ 11, 2002, S. 1072 ff. (1074 f.). 5 Bardo Fassbender, Die Souveränität des Staates als Autonomie im Rahmen der völkerrechtlichen Verfassung, in: Heinz-Peter Mansel u. a. (Hgg.), Festschrift für Erik Jayme, Bd. 2, München 2004, S. 1089 ff. (1091). 6 PCIJ Series A No. 10, S. 18 – Hervorhebung nicht im Original. 7 Volker Epping, in: Knut Ipsen (Hg.), Völkerrecht, München 5 2004, § 4 Rn. 3. 8 Streit besteht nur über die rechtliche Konstruktion der Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen und über ihren Umfang; vgl. Matthias Ruffert – Christian Walter, Institutionalisiertes Völkerrecht, München 2009, Rn. 150 ff. 9 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. 12. 1966, UNTS 999, S. 171 ff., BGBl. 1973 II, S. 1553 ff.; Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. 12. 1966, UNTS 993, S. 3 ff., BGBl. 1973 II, S. 1569 ff. 10 Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04. 11. 1950, ETS – No. 005, BGBl. 1952 II, S. 685 ff. 11 Amerikanische Konvention der Menschenrechte vom 22. 11. 1969, OAS Treaty Series Nr. 36. 12 Matthias Herdegen, in: Theodor Maunz – Günter Dürig (Hgg.), Kommentar zum Grundgesetz, Art. 1 Abs. 2 Rn. 29. 13 SC Res. 808 vom 22. 02. 1993 (Ruanda) und SC Res. 827 vom 25. 05. 1993 (Yugoslawien). 14 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshof vom 17. 07. 1998, UNTS S. 3, BGBl. 2000 II, S. 1393. 15 Kay Heilbronner, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte, in: Vitzthum (Hg.), Völkerrecht (wie Anm. 3), Rn. 219. 16 Näher s. 2 c). 17 Matthias Herdegen, Souveränität heute, in: Ders. u. a. (Hgg.), Staatsrecht und Politik. Festschrift für Roman Herzog zum 75. Geburtstag, München 2009, S. 117 ff. (121). 18 Bis heute programmatisch Hermann Mosler, The international society as a legal community, in: RdC 140, Heft 4, 1974, S. 1 ff.; daneben stammen wichtige weitere Beiträge von deutschen Rechtswissenschaftlern: Christian Tomuschat, Die internationale Gemeinschaft, in: AVR 33, 1995, S. 1 ff.; ders., Obligations Arising for States without or Against their Will, in: RdC 241, Heft 4, 1993, S. 195 ff.; Bruno Simma, From Bilateralism to Community Interest in International Law, in: RdC 250, Heft 6, 1994, S. 221 ff.; Bardo Fassbender, Der Schutz der Menschenrechte als zentraler Inhalt des völkerrechtlichen Gemeinwohls, in: EuGRZ, 2003, S. 1 ff.; sowie umfassend monographisch: Andreas L. 2

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Christian Walter Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht. Eine Untersuchung zur Entwicklung des Völkerrechts im Zeitalter der Globalisierung, München 2001. 19 Hervorhebung nicht im Original. 20 S. ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Bardo Fassbender, The United Nations Charter as a Constitution of the International Community, in: Colum.J.Transnat’l L. 36, 1997/98, S. 529 ff.; Ders., The Meaning of International Constitutional Law, in: Ronald St. John MacDonald – Douglas M. Johnson (Hgg.), Towards World Constitutionalism, Leiden – Boston 2005, S. 837 ff.; Pierre-Marie Dupuy, The Constitutional Dimension of the Charter of the United Nations Revisited, in: Max Planck Yearbook on United Nations Law 1, 1997, S. 1 ff.; Ronald St. John MacDonald, The Charter of the United Nations in a Constitutional Perspective, in: Australian Yearbook of International Law 20, 1999, S. 205 ff.; Jochen A. Frowein, Konstitutionalisierung des Völkerrechts, in: BerDGVR 39, 2000, S. 427 ff.; Christian Walter, International Law in a Process of Constitutionalization, in: Erika de Wet – Andre Nollkaemper (Hgg.), New Perspectives on the Divide between National and International Law, Oxford 2007, S. 191 ff.; Ders., Constitutionalizing (Inter)national Governance. Possibilities for and Limits to the Development of an International Constitutional Law, in: German Yearbook of International Law 44, 2001, S. 170 ff.; Mattias Kumm, The Legitimacy of International Law. A Constitutionalist Framework of Analysis, in: EJIL 15, 2004, S. 907 ff.; sowie zuletzt umfassend Jan Klabbers u. a. (Hgg.), The Constitutionalization of International Law, Oxford 2009. 21 UN Doc. A/59/565 vom 2. Dezember 2004, http://www.un.org/secureworld/. 22 UN Doc. A/59/565 vom 2. Dezember 2004, Rn. 29 f. 23 Ebd. 24 Christopher Verlage, Responsibility to protect, Diss., Univers. Tübingen 2009, S. 224 ff.; Andreas von Arnauld, Souveränität und responibility to protect, in: Die Friedens-Warte 84, Heft 1, 2009, S. 11 ff. 25 Diese sind in der UN-Charta nicht ausdrücklich erwähnt, werden aber inzwischen völlig selbstverständlich als von der allgemeinen friedenssichernden Zuständigkeit der Vereinten Nationen erfasst angesehen; s. statt anderer Ruffert – Walter (Hgg.), Institutionalisiertes Völkerrecht (wie Anm. 8), Rn. 397 f. 26 Nachweise bei Christian Tomuschat, in: Bruno Simma (Hg.), Kommentar zur Charta der Vereinten Nationen, Oxford u. a. 2 2002, Art. 33, Rn. 14 f. 27 Damit nennt Art. 33 UN-Charta praktisch alle international anerkannten Formen friedlicher Streitbeilegung ausdrücklich. Die Vorschrift wurde gleichwohl bewusst offen formuliert, um einer möglichen späteren Praxis nicht vorzugreifen; vgl. Tomuschat (wie Anm. 26), Art. 33, Rn. 34. 28 Zum Folgenden ausführlich Louise Angélique de La Fayette, Art. ‚Beagle Channel Dispute‘, in: Max Planck Encyclopedia of International Law, Oxford 2009. 29 Vgl. Grenzstreit zwischen Libyen und Tschad, ICJ Rep. 1994, S. 83 ff.; Grenzstreitfall zwischen Burkina Faso und Mali, ICJ Rep. 1986, S. 564 ff.; Grenzstreit zwischen Guinea Bissau und Senegal, ILR 83, S. 56 ff. und außerdem Grenzstreit zwischen EL Salvador und Honduras ICJ Rep. 1992, S. 386 ff.; Grenzstreit zwischen Nicaragua und Honduras ICJ Rep. 1986, S. 586 f.; Grenzstreit zwischen Kolumbien und Venezuela, RIAA 1, 1922, S. 228. 30 RIAA 21, 1977, S. 53 ff. 31 Vgl. ausführlich zum Inhalt des Friedensvertrags und zur Vermittlung durch den Papst im Beagle-Kanal Konflikt Guillermo R. Moncayo, La médiation pontificale dans l’affaire du Canale Beagle, in: RdC 242, Heft 5, 1993, S. 197 ff. 32 Moncayo, La médiation pontificale (wie Anm. 31), S. 362 ff. 33 „The frequency with which at the present time the principles of international law

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’Vermittlung’ als Form der friedlichen Streitbeilegung im Völkerrecht der Gegenwart governing diplomatic and consular relations are set at naught by individuals or groups of individuals is already deplorable. But this case is unique and of very particular gravity because here it is not only private individuals or groups of individuals that have disregarded and set at naught the inviolability of a foreign embassy, but the government of the receiving State itself. Therefore in recalling yet again the extreme importance of the principles of law which it is called upon to apply in the present case, the Court considers it to be its duty to draw the attention of the entire international community, of which Iran itself has been a member since time immemorial, to the irreparable harm that may be caused by events of the kind now before the Court. Such events cannot fail to undermine the edifice of law carefully constructed by mankind over a period of centuries, the maintenance of which is vital for the security and well-being of the complex international community of the present day, to which it is more essential than ever that the rules developed to ensure the ordered progress of relations between its members should be constantly and scrupulously respected.“, in: ICJ Rep. 1980, 3, § 92. 34 Vgl. zum Wortlaut des Abkommens I.L.M. 20, 1981, S. 223 ff. 35 S. oben a). 36 SC Res. 502 vom 3. April 1982. 37 SC Res. 211 vom 20. September 1965. 38 Stephanie Baer, Der Zerfall Yugoslawiens im Lichte des Völkerrechts, Diss., Univers. Frankfurt a. M. 1995, S. 41. 39 S. etwa Stefan Oeter, Kriegsverbrechen in den Konflikten um das Erbe Jugoslawiens. Ein Beitrag zu den Fragen der kollektiven und individuellen Verantwortlichkeit für Verletzungen des Humanitären Völkerrechts, in: ZaöRV 53, 1993, S. 1 ff. 40 SC Res. 827 vom 25. 05. 1993 (Yugoslawien). 41 S. zum Folgenden im Einzelnen den Sachbericht bei Frank Schorkopf, Die Maßnahmen der XIV EU-Mitgliedstaaten gegen Österreich, Berlin u. a. 2002, S. 15 ff. 42 Die entsprechende Erklärung der portugiesischen Ratspräsidentschaft ist vollständig abgedruckt bei Schorkopf, Maßnahmen (wie Anm. 41), S. 145. 43 Das Mandat ist zu Beginn des von den drei ‚Weisen‘ vorgelegten Berichts wiedergegeben; der Bericht ist gleichfalls dokumentiert bei Schorkopf, Maßnahmen (wie Anm. 41), S. 163 ff. 44 Näher Stefan Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, Berlin 1992. 45 Annette Weber – Denis M. Tull, Der Internationale Strafgerichtshof und Darfur. Wie hinderlich ist die Gerechtigkeit, in: SWP-Aktuell 65, 2008. 46 Die Vorschrift lautet: „Richtet der Sicherheitsrat in einer nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen angenommenen Resolution ein entsprechendes Ersuchen an den Gerichtshof, so dürfen für einen Zeitraum von 12 Monaten keine Ermittlungen und keine Strafverfolgung aufgrund dieses Statuts eingeleitet oder fortgeführt werden; der Rat kann sein Ersuchen zu den gleichen Bedingungen wiederholen.“ 47 John G. Merrills, International Dispute Settlement, Cambridge 4 2005, S. 41. 48 Ebd., S. 32. 49 Zitiert bei Merrills, International Dispute Settlement (wie Anm. 47), S. 34. 50 Ebd., S. 37. 51 Ebd., S. 31.

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Friedensstiftung durch Wahrheitskommissionen Vermittlung ex post? Christian Tomuschat 1. Vermittlung ex post? Das mir zugedachte Thema scheint einer Begriffsverwirrung entsprungen zu sein. Ist Vermittlung nicht eigentlich nur während eines laufenden Konflikts möglich, wo der Vermittler sich einmischt, um einen Ausgleich zwischen den beteiligten Parteien herbeizuführen? Lässt sich ernstlich von Vermittlung ex post sprechen? Alle diese Fragen hängen mit dem Begriff des Konflikts zusammen. Ganz offensichtlich hat man es mit einem Konflikt zu tun, solange auf einem Gefechtsfeld gekämpft und geschossen wird. Aber auch wenn die Kampfhandlungen ihr Ende gefunden haben, ist damit doch noch nicht automatisch der Friede wiederhergestellt. Frieden ist ein sehr komplexer Zustand, der sich nicht nur in äußeren Vorgängen und Zuständen äußert, sondern sehr viel mit der Einstellung zu diesen Vorgängen zu tun hat. So wie der Krieg in den Köpfen beginnt, benötigt auch der Frieden eine mentale Grundlage. Ein Waffenstillstand kann von jetzt auf gleich ein Kampfgeschehen zu Ende bringen. Aber ein dauerhafter und stabiler Friedenszustand ist damit noch nicht erreicht. Beispiele sind uns allen geläufig. Juristen werden sich daran erinnern, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sich dazu entschlossen hat, seine Befugnisse nach dem Kapitel VII der VN-Charta für die Errichtung zweier Strafgerichtshöfe zu nutzen, des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien 1 und des Strafgerichtshofs für Ruanda. 2 Zu Recht war er der Auffassung, dass seine Aufgabe, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und wiederherzustellen, sich nicht darin erschöpfe, für ein Ende der Gewalttätigkeiten zu sorgen. Um den Frieden zu konsolidieren, musste auch für eine Pazifizierung der Nachkonfliktsphase gesorgt werden. Offensichtlich hat es Israel zu wiederholten Malen versäumt, konstruktive Strategien für Perioden einer Waffenruhe im Verhältnis zu den Palästinensern zu sorgen. So wurde der Bevölkerung im Gaza-Streifen nach dem Abzug der israelischen Streitkräfte kein Angebot zu friedlicher Kooperation gemacht, was schließlich im Dezember 2008/Januar 2009 in den Strudel eines Krieges hineinführte, der unzählige Todesopfer vor allem auf Seiten der palästinensischen Zivilbevölkerung gefordert hat. 3 262

Friedensstiftung durch Wahrheitskommissionen

Aber es geht hier nicht um Palästina, das lediglich punktuell als Beispiel herangezogen wird. Sondern es soll deutlich gemacht werden, dass soziale Auseinandersetzungen, vor allem bewaffnete Konflikte, in aller Regel eine zeitliche Dimension haben, die sich nicht mit bestimmten genauen Daten angeben lässt. Durchweg erwachsen soziale Auseinandersetzungen aus Wurzeln, die tief in die Vergangenheit zurückreichen und auch die Zukunft beeinträchtigen können, wenn eine Gesellschaft sich der latenten Gefahrenlage gar nicht bewusst ist oder diese bewusst ignoriert. Wahrheitskommissionen (WKen) haben ihre Stunde in postkonfliktuellen Situationen. Ihnen stehen in der Regel keine weit reichenden Befugnisse zu. Wer staatliche Institutionen mit der Ausübung von Zwang und Gewalt, mit Befehl und Herrschaft gleichsetzt, wird das Instrument der WK kaum verstehen. Freilich ist auch bei den Juristen in den letzten Jahrzehnten das Verständnis für informelle Verfahren zunehmend gewachsen. Insgesamt darf man in der Tat eine WK dem Bereich des Informellen zuordnen.

2. Was ist eine Wahrheitskommission? Üblicherweise wird eine WK eingerichtet, wenn eine Gesellschaft sich nach dunklen Jahren einer Gewalt- und Unrechtsherrschaft wieder auf ihre grundlegenden Werte besinnt und nach Orientierung für die Zukunft sucht. Von der Erfahrung ausgehend, dass der Staat, der an sich dazu berufen ist, seine Bürger zu schützen, in die Hände einer verbrecherischen Clique fallen kann, wird versucht, nach den Ursachen für die eingetretenen Fehlentwicklungen zu suchen und verlässliche Vorkehrungen gegen eine Wiederholung solcher Willkürherrschaft zu schaffen. Dazu soll als erstes ungehemmte Aufklärung dienen. Die Prämisse dabei ist, dass Erkenntnis bereits einen ersten Schritt auf dem Wege zu einer wirksamen Therapie darstellt. 4 Unbefangen wird dabei meist von ‚Wahrheit‘ gesprochen, die das Ergebnis der Arbeit einer WK sein soll. Dem Philosophen mögen sich die Federn sträuben, wenn derart unbefangen das Wort ‚Wahrheit‘ gebraucht wird. Natürlich ist es nicht einfach, herauszufinden, „wie es eigentlich gewesen“ 5, und wer in dem Geschehen die Abläufe in Bewegung gesetzt hat. Die Politik muss hier einfach auf geordnete Verfahren setzen. Sie muss sich mit der Wahrheit begnügen, die durch solche Verfahren hervorgebracht wird. Bekanntlich ist in komplexen sozialen Konstellationen das Verfahren die einzige Möglichkeit, brauchbare Ergebnisse zu erzielen, wobei man sich meist durchaus bewusst ist, dass es tatsächlich bessere Verfahren geben könnte als diejenigen, die man angewandt hat. Herauszufinden, wie es war – das ist also die primäre Aufgabe einer Wahrheitskommission. Man kann von einer Art offizieller Geschichtsschreibung sprechen. Was sonst der Historiker in mühsamer individueller Arbeit oder 263

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auch in Zusammenarbeit mit anderen Fachkollegen im Wege der eigenverantwortlichen Forschung analysiert, wird hier gleichsam von Amts wegen ans Licht gebracht. Offensichtlich trägt ein solches Wahrheitsmonopol ein gewisses Risiko in sich, sollte nun damit jede sachliche Gegenbehauptung ausgeschlossen sein. Soweit ich es sehe, hat es aber solche Kämpfe um die Wahrheit in den bekannten WKen nicht gegeben. Freilich hat wohl derjenige eine Vermutung gegen sich, der die Feststellungen einer WK angreift.

3. Bisherige Wahrheitskommissionen WKen wurden zuerst in Lateinamerika als Instrumente der Friedensstiftung eingesetzt. 6 Nach einem ersten eher erfolglosen Versuch in Bolivien im Jahre 1982 begann im Jahre 1983 nach dem Rücktritt der Generäle in Argentinien die ‚Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas‘, die ihren berühmten Bericht ‚Nunca más‘ im Jahre 1984 vorlegte. In diesem Bericht wurde das Verschwinden von etwa 9.000 Personen dokumentiert, zusammen mit Berichten über zahllose weitere Gewalttaten. Der Bericht schloss mit der Empfehlung, Strafverfahren gegen die Verantwortlichen einzuleiten. Im Jahre 1990 entschloss sich dann auch Chile, nach der Wahl des neuen Präsidenten Aylwin eine WK einzusetzen, die sog. Rettig-Kommission (nach dem Namen ihres Vorsitzenden), die schon im Februar 1991 ihren Bericht übergeben konnte. Es folgte die WK in El Salvador, die in den Jahren 1992/93 tätig war und die die während eines über 12jährigen Bürgerkrieges begangenen Gräueltaten zu untersuchen hatte. 7 Erst im Jahre 1996 folgte die südafrikanische WK, die von allen bisher existierenden WKen den höchsten Bekanntheitsgrad erlangt hat. 8 Zwei Gründe sind dafür maßgebend. Zum einen ist das breite Publikum besser mit der englischen als mit der spanischen Sprache vertraut. Aber noch stärker fällt ins Gewicht, dass die WK in Südafrika öffentlich verhandelte. Wer eine Amnestie erlangen wollte, musste sich in der Tat öffentlich und rückhaltlos zu seinen Missetaten bekennen. Durchweg hat man sonst davon abgesehen, solche öffentlichen Verhandlungen abzuhalten, nicht zuletzt, um die Zeugen – und damit möglicherweise auch die Täter – zu schützen. Die WK in Guatemala 9 beruhte auf einem Abkommen, das im Juni 1994 die Regierung des Landes kraft Vermittlung der norwegischen Regierung in Oslo mit den vier Guerilla-Organisationen abgeschlossen hatte. 10 Sie sollte unmittelbar nach Abschluss eines definitiven Friedensvertrages ihre Arbeit aufnehmen. Zum Abschluss dieses Vertrages kam es im Dezember 1996, wenige Tage vor dem Ende der Amtszeit von UN-Generalsekretär Boutros BoutrosGhali. Aber natürlich konnte die geplante WK nicht schon am nächsten Tage ihre Tätigkeit beginnen. Zuerst musste die Kommission eingerichtet werden. Ursprünglich hatte man geplant, den UN-Vermittler bei den Friedensgesprächen zum Koordinator der WK zu ernennen. Dieser Vermittler, der Franzose 264

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Jean Arnault, wurde aber vom UN-Generalsekretär mit der Leitung der UNMission MINUGUA betraut, konnte also nicht gleichzeitig auch die Leitung der WK wahrnehmen. Danach verfiel man auf meine Person, da ich schon in zuvor liegenden Jahren für die UN-Menschenrechtskommission als Berichterstatter für die Menschenrechtslage in Guatemala tätig gewesen war und demzufolge gut mit dem Lande und seinen inneren Verhältnissen vertraut war. Meine Tätigkeit konnte ich im April 1997 aufnehmen, aber doch nicht wirklich in effektiver Weise. Denn die WK hatte bei ihrem Start keinerlei Geldmittel zu ihrer Verfügung. Das Abkommen von Oslo sah zunächst nur eine zeitlich eng begrenzte Tätigkeitszeit von sechs Monaten vor, die um weitere sechs Monate verlängerbar sein sollte. Diese knappen Fristen ließen sich nicht einhalten. Schließlich gelang es aber doch, den 12-bändigen Bericht 11 am 25. Februar 1999 der Öffentlichkeit, der Regierung von Guatemala und gleichzeitig den Vereinten Nationen zu übergeben. In wenigen Wochen wird sich also der Tag der Übergabe des Berichts zum zehnten Male jähren. Feierlichkeiten sind vorgesehen, wie man mir mitgeteilt hat, und eine vorläufige Einladung hat mich erreicht. Ob es aber definitiv zu einem solchen Festakt kommen wird, scheint bis zum heutigen Tage nicht festzustehen.12

4. Die Funktionen einer Wahrheitskommission A. Berichtsfunktion Wie schon die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, lässt sich nicht von einem einheitlichen Konzept der WK sprechen. Jede WK hat in dem Lande, in dem sie tätig geworden ist, eine spezifischen Auftrag erhalten. Nur wenige gemeinsame Merkmale lassen sich festhalten. Meist wird angenommen, dass die Kennzeichen der südafrikanischen WK auch sonst anzutreffen seien, was aber nicht der Fall ist. Vor allem ragt die südafrikanische WK aus allen anderen WKen dadurch hervor, dass sie, wie schon erwähnt wurde, befugt war, unter bestimmten Voraussetzungen einem Täter eine Amnestie zu gewähren. Gemeinsames Merkmal aller WKen ist aber der ihnen erteilte Auftrag, eine Dokumentation über das Geschehen in den der Untersuchung zugrunde liegenden Jahren zu erstellen. Der erste Schritt einer WK soll durchweg die Aufklärung sein. Ohne Klarheit, ohne Wahrheit, so lautet die Grundprämisse, kann es keine Aussöhnung geben. In der Tat war in vielen Ländern die Vergangenheit ideologisch vernebelt. So betrachteten die herrschenden Schichten in Guatemala den 30jährigen Bürgerkrieg mit seinen 200.000 Toten als einen großen Erfolg, da es gelungen sei, das Land vor dem Zugriff des Kommunismus zu retten. Das Leiden der Maya-Bevölkerung, die Unzahl der Opfer wurden als nebensächlich betrachtet, und meist hatte sich sogar in den Köpfen ein 265

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verfälschtes Bild der Wirklichkeit eingenistet. Die Verlustzahlen wurden geleugnet, nur die Siegesparolen der Streitkräfte wurden nachgebetet. Aber auch dort, wo man an sich die Wahrheit aufspüren wollte, war die Suche nach der Wahrheit teilweise durch Scheuklappen eingeschränkt. Im Falle Argentiniens wurde der Auftrag an die WK durch die Wendung definiert, die Kommission solle „den Verschwundenen“ nachspüren. Zwar gelang es der Kommission, einen eindrucksvollen Bericht zu fertigen, der Tausende von Einzelschicksalen darstellt. Aber es bleibt völlig ausgeblendet, dass zuvor linksorientierte Gruppen jahrelang eine Terrorkampagne vor allem gegen Angehörige der Streitkräfte wie auch Unternehmer und Manager geführt hatten. In Guatemala war solche Einseitigkeit dadurch ausgeschlossen, dass das Abkommen von Oslo mit einfachen Worten von „Gewalttaten“ („hechos de violencia“) sprach, die dokumentiert werden sollten, ohne Rücksicht darauf, wer als Täter in Betracht kam. Insgesamt hat sich in Lateinamerika die These durchgesetzt, dass ein jedes Volk ein Recht darauf habe, die Wahrheit zu erfahren. Das guatemaltekische Abkommen von Oslo nimmt auf dieses Recht in seinem Vorspruch ausdrücklich Bezug („Considerando el derecho del pueblo de Guatemala a conocer plenamente la verdad“). Ob es sich hierbei um eine politische Forderung oder um eine juristische Rechtsposition handelt, ist bis heute nicht definitiv geklärt worden. 13 In einer Demokratie sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass in öffentlichen Angelegenheiten völlige Transparenz herrscht. Im Grunde wendet sich also das „Recht auf die Wahrheit“ gegen Regierungsstrukturen, die als diktatorische Regime dem Volkswillen widersprechen.

B. Sanktionsfunktion Der Bericht einer WK lässt sich in gewisser Weise auch als Sanktion gegenüber denjenigen deuten, die für die geschilderten Gewalttaten verantwortlich sind. Ganz offensichtlich handelt es sich in keinem Falle um mehr als eine ‚soft sanction‘. Denn eine WK ist kein Gericht. Sie verhängt keine Strafen, soll dies auch nicht tun – eine ganz bewusste Entscheidung. Immerhin kann der Einzelne eine schwere Einbuße an persönlicher Reputation erleiden, wenn er in einem offiziellen Bericht als Gewalttäter, als Täter von Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit, dargestellt wird. In dieser Frage divergieren die einzelnen WKen in sehr signifikanter Weise. Während es in Südafrika insoweit keinen Persönlichkeitsschutz gab und in puncto Öffentlichkeit die rigiden Regeln des Strafverfahrens galten, das die Öffentlichkeit als Schutz und zugleich als Sanktion für den Angeklagten zulässt, hieß es insbesondere in dem Abkommen von Oslo, dass die Verantwortlichkeiten nicht individualisiert werden dürften („Los trabajos, recomendaciones e infome de la Comisión no individualizarán responsabilidades“). Was das heißen sollte, wurde lange und mit hohem Scharfsinn erörtert. Schließlich 266

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setzte sich vor allem auf Grund der ziemlich eindeutigen Entstehungsgeschichte die Auffassung durch, dass der Bericht keine Namen nennen dürfe. Natürlich galt das nur für die mutmaßlichen Täter einzelner Gewaltverbrechen. Der Kommission konnte gewiss nicht verboten werden, die amtlichen Funktionsträger jener Zeit zu benennen, wie etwa die Staatspräsidenten, die Verteidigungsminister, die Polizeipräsidenten oder einzelne militärische Kommandanten in den verschiedenen Regionen des Landes. Auf diese Weise war nicht nur eine institutionelle, sondern zugleich auch eine persönliche Verantwortung festgestellt. Freilich mussten die Zusammenhänge erst von Kundigen klargestellt werden, was nur vereinzelt geschehen ist.

C. Die Versöhnungsfunktion Durchweg soll eine WK auch zur Aussöhnung nach internen Auseinandersetzungen beitragen, die das Gewebe mitmenschlicher Gemeinschaft zerrissen haben. So hieß es in dem Abkommen von Oslo, also dem Gründungsstatut ‚meiner‘ WK, dass es notwendig sei, „eine Kultur der Eintracht und des gegenseitigen Respekts zu fördern, die jede Form der Rache ausschließt“, und in diesem Sinne wurde als eines der Ziele der Kommission formuliert, Empfehlungen auszusprechen, die den Frieden und die Eintracht befördern. Eintracht, „concordia“, war somit zu einem der Schlüsselwörter erhoben. Streit und Gewaltsamkeit sollten auf diese Weise überwunden werden. Dies ist leichter als Ziel festgelegt denn in Wirklichkeit erreicht. Denn eine WK hat keine unmittelbar wirksamen Mittel, um einen Zustand allgemeiner Glückseligkeit herbeizuführen. Die primäre Aufgabe einer WK besteht eben darin, die Fakten zu ermitteln und sie dann der Öffentlichkeit ungeschminkt zugänglich zu machen. Alles, was sich daraus ergibt oder ergeben kann, ist eher eine Frage der Sozialpsychologie. Wie viel Wahrheit vertragen die Menschen? Soll wirklich von allen Geschehnissen die verhüllende Decke des Nichtwissens weggerissen werden? Und welche neue Handlungskette wird damit in Gang gesetzt? Hier gibt es in jedem Lande zumindest zwei Denkschulen. Die erste Richtung plädiert dafür, die Vergangenheit nicht aufzurühren. Alte Wunden sollten nicht erneut geöffnet werden. Man müsse nach vorn blicken. Die notwendige nationale Aufbauarbeit verlange alle Kräfte, die nicht in nutzlosen Rückwärtsgefechten verzettelt werden dürften. Zudem stifte eine schonungslose Offenheit gerade keine Eintracht, sondern vertiefe wieder die Gräben. Rachegefühle würden angestachelt, die bis hin zu Lynchmorden führen könnten. So komme die Nation nicht zur Ruhe. Der Konflikt werde, wenn vielleicht auch in subtilerer Form, weitergeführt. Die andere Richtung verwirft diese zweifelnden Thesen. Sie ist der Auffassung, dass nur auf der Grundlage der Wahrheit eine echte nationale Aussöh267

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nung Platz greifen könne. Verstehe man sich nicht dazu, die Herrschaft der Willkür in ihrer hässlichen Brutalität darzustellen, bereite man damit schon den Boden für einen Rückfall vor. Schonung der Täter bedeute Privilegierung des Unrechts. Damit werde schon der Samen für neues Unrecht gelegt. Vor allem die früheren Gewaltherrscher müssten ihr übles Tun offen und ohne Vorbehalte eingestehen. Nur so könne glaubhaft gemacht werden, dass die Nation wahrhaft einen Neuanfang wage. Im Allgemeinen seien die Opfer bereit, sich auf einen friedlichen Ausgleich einzulassen. Doch ohne vorheriges oder gleichzeitiges Entgegenkommen von Seiten der Täter seien Zugeständnisse auf Seiten der Opfer undenkbar. Der Neuanfang dürfe nicht die Gewaltherrschaft im Nachhinein rechtfertigen. Eine WK setzt die zweite These in Wirklichkeit um. Aber sie kann mit ihren Ermittlungen und ihren Berichten lediglich Grundlagen schaffen für Heilungsprozesse, welche innerhalb der betroffenen Bevölkerung selbst ablaufen müssen. Aussöhnung kann nicht dekretiert, sie kann auch nicht importiert werden. Es sind die Menschen selbst, die sich ihres Schicksals bewusst werden und die auch bereit sein müssen, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. In einer Gesellschaft, die von demokratischem Geist erfüllt ist, wo echte Meinungsfreiheit herrscht, ist dies leichter als in einer Gesellschaft, über der noch die Wolken der Vergangenheit lagern, wo Furcht vor Rache und Repressalien die öffentliche Debatte lähmen. Überdies lassen sich die Folgen von Bürgerkrieg oder politischer wie auch rassischer Verfolgung nicht von einem Tag zum andern wegwischen. Unvermeidlich graben sich die Spuren jahrzehntelanger Unsicherheit tief in das individuelle wie auch das kollektive Gedächtnis ein. In Guatemala dauerte die interne Auseinandersetzung über drei Jahrzehnte. In all diesen Jahren gab es keinerlei institutionelle Sicherheit. Die Gerichte versagten kläglich, was wiederum nicht völlig unverständlich ist, da die sich abwechselnden Militärdiktaturen die Justiz gnadenlos unter Druck setzten. Auf dem Lande war die Bevölkerung völlig schutzlos. Sie wurde einerseits von den Guerilla-Gruppen zur Unterstützung gezwungen; andererseits schlugen die staatlichen Streitkräfte erbarmungslos zurück, wenn sie auch nur den Verdacht hegen konnten, dass der Guerilla an einem Orte oder in einer Region Hilfe geleistet werde. Niemand war vorhanden, an den die Menschen sich als eine objektive Autorität hätten wenden können. Der Schatten willkürlicher Gewalt begleitete sie Tag für Tag. Es liegt auf der Hand, dass sich die dadurch verursachten traumatischen Verkrustungen nicht von einem Tag zum anderen auflösen lassen. Wen Bewusstsein und Unterbewusstsein zum Feind erklärt haben, der wird nicht über Nacht zum Freund. Gesellschaftliche Heilungsprozesse sind ihrer Natur nach langwierig. Diese Erfahrung hat Deutschland in seinem Verhältnis zu Israel gemacht, und Israel wird eines Tages dieselbe Erfahrung mit den Palästinensern machen. Wo WKen eingerichtet worden sind, kann man die Erfolge meist 268

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auch nicht mit bloßem Auge erkennen. Durchweg hat sich eine eher unstabile neue Lage eingestellt, die zwar durch das Ende organisierter Kampfhandlungen gekennzeichnet ist, aber doch nicht viel an innerer Annäherung gebracht hat. Das gilt für Südafrika ebenso wie für Guatemala. Vor allem dort, wo der Konflikt seine Ursachen in einer rassistischen Politik hatte, sind die Verhärtungen schwerer zu überwinden, als wenn es in einer Gesellschaft ‚lediglich‘ politische Divergenzen waren, welche die nationale Katastrophe herbeigeführt haben. So bleibt in Südafrika unübersehbar die Aufteilung der Bevölkerung in weiß und schwarz, mit den Indern als einer Mittelgruppe, welche wohl am besten eine Brückenfunktion wahrnehmen kann, und in Guatemala hat sich bis heute zwischen den Maya-Ethnien und den Nachkommen der Eroberer aus Spanien keine echte Volksgemeinschaft ausgebildet. Dass man ein multikulturelles Gemeinwesen sei, wird zwar in der Gegenwart immer wieder betont. Diese schlichte Wahrheit ist vor allem den führenden Schichten aber bis heute nicht wirklich ins Bewusstsein gekommen.

5. Alternative Vergangenheitsbewältigung: Gerichtliche Strafverfolgung Klassischem Staatsdenken würde es entsprechen, die während der Zeit einer Unrechtsherrschaft begangenen Verbrechen mit justiziellen Mitteln zu bewältigen. In der Tat gibt es eine zunehmende Tendenz auf internationaler Ebene, die von den Mitgliedern eines Regierungsapparates begangenen Verfehlungen zur Anklage zu bringen. Nürnberg und Tokio bildeten den Auftakt, und seit nunmehr über 15 Jahre haben die damaligen Militärgerichte der alliierten Siegermächte ihre Fortsetzung in Gerichtsinstanzen gefunden, die von der internationalen Gemeinschaft eingerichtet worden sind. Zunächst entschloss sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Jahre 1993, einen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien einzurichten. Es folgte ein Jahr später der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda. 14 Die notwendige Globalisierung dieser regional begrenzten Initiativen erfolgte 1998 mit der Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs, der allerdings Zuständigkeiten nur für die Ratifikationsstaaten des Römischen Statuts besitzt. 15 Schließlich sind für Ost-Timor, für Kambodscha und für Sierra Leone sog. Hybridgerichte geschaffen worden, in denen nationale Richter mit international bestellten Richtern zusammenwirken. WKen sind an sich keine Alternative zu gerichtlicher Strafverfolgung, es sei denn, man treffe bewusst eine solche Wahl, wie das in Südafrika geschehen ist, wo die soziale Ächtung des seine Taten bekennenden Täters seine Ächtung durch gerichtliches Urteil ersetzen soll. In Guatemala sah die nationale Gesetzgebung in geschickter Weise vor, dass eine Amnestie gewährt werde, die allerdings nicht die vom Völkerrecht als internationale Verbrechen qualifizierten 269

Christian Tomuschat

Taten umfassen solle. 16 In Argentinien wurde zunächst der Bericht der Wahrheitskommission vorgelegt. Anschließend stellte die Regierung Überlegungen über eine Strafverfolgung an, die dann durch eine Schlusspunktgesetzgebung zum Halt gebracht wurden. Erst vor wenigen Jahren wurden erneut Strafverfahren eingeleitet, nachdem das Verfassungsgericht die Amnestiegesetzgebung für verfassungswidrig erklärt hatte. Aber weder in Guatemala noch in Argentinien ist die Justiz bisher sehr erfolgreich gewesen. Für Guatemala lässt sich eine totale Passivität der Staatsanwaltschaft feststellen. Nur in einem der von der WK als Völkermord gekennzeichneten Fälle (Fall „de Las Dos Erres“) hat es ein Verfahren gegeben, und dieses Verfahren ist schließlich im Sande verlaufen, nachdem das Verfassungsgericht angebliche prozedurale Mängel entdeckt hatte. 17 Warum ist es so schwierig, eine Vergangenheit gerichtlich aufzuarbeiten und die Schuldigen zu bestrafen? Viele Gründe lassen sich angeben. Zunächst gilt, dass in vielen Fällen eines Regimewechsels die bisherigen Machthaber nicht im eigentlichen Sinne besiegt worden sind, sondern nach wie vor als zu berücksichtigender Machtfaktor im Hintergrund stehen. Politisch wäre es aussichtslos, gegen ihre Führungsleute strafrechtlich vorzugehen. Dann aber fragt es sich auch, wer eigentlich legitimiert sein kann, als Richter zu fungieren. Wie schon hervorgehoben, spielen in den meisten Unrechtsregimen die Richter keine rühmliche Rolle. An die herrschenden Verhältnisse angepasst, dienen sie in aller Regel als getreuer Vollzugsapparat für die Machthaber. In Deutschland hat diese Pervertierung der Justiz mit dem Volksgerichtshof von Roland Freisler seinen beschämenden Höhepunkt gefunden. Hinzu kommt schließlich der Zweifel, ob nicht das Volk in seiner Gesamtheit eine Mitschuld an den dunklen Geschehnissen der Vergangenheit trägt. In keiner Diktatur verkörpert sich das Unrecht allein in der Führungsfigur. So wie Adolf Hitler nicht allein war, war auch Pinochet in Chile nicht allein. Diktatoren sind stets von einem Kranz von servilen Befehlsempfängern und Günstlingen umgeben. Aber da sind dann auch diejenigen, die auf niederer Stufe bereit sind, das Unrecht in harte Realität umzusetzen. Das geht bis hinab zu dem Lokführer, der die Waggons, in die Menschen eingesperrt sind, bis in das Konzentrationslager fährt, wo sie der sichere Tod erwartet. Und weiter kann sogar die Frage gestellt werden, ob nicht jeder, der in einem solchen System brav seine Alltagspflichten erfüllt, zu einem Helfershelfer wird, allein dadurch, dass er sein Gewissen abgeschaltet und nicht den Mut gefunden hat, sich zu einer Tat des Widerstands zu bequemen. So hinterlässt eine Unrechtsherrschaft eine moralische Wüste. Nur wenige von denen, die nicht zu den Unterdrückten gehört haben, können mit vollem Recht sagen, dass sie die erforderliche moralische Integrität für das Richteramt besitzen würden. Auf der anderen Seite sollten auch Verfahren der Vergangenheitsbewältigung nicht zu Instrumenten der Rache umfunktioniert werden. Das Dilemma ist offensichtlich. Den Deutschen ist die Last dieses Dilemmas 270

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in weitem Umfang durch die Nürnberger Prozesse abgenommen worden, und für das ehemalige Jugoslawien hat man eben den Internationalen Strafgerichtshof eingerichtet, da man in der internationalen Gemeinschaft die jugoslawische Gesellschaft nicht für fähig hielt, verantwortlich mit der eigenen Vergangenheit umzugehen. Prozesse in Belgrad, so die ganz einhellige Meinung, wären dort unweigerlich in den Strudel der politischen Kämpfe geraten und hätten sogar die Sicherheit eines Gerichts in Gefahr gebracht. Ein Verfahren gegen Slobodan Milosevic hätte nie und nimmer an dem Ort geführt werden können, wo die Befehle für die von seinem Regime begangenen Rechtsverletzungen erlassen worden waren. Ein Verfahren der Vergangenheitsbewältigung durch Einrichtung einer WK führt aus diesem moralischen Dilemma heraus. Eigentlich, in ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse, müssten alle Teile der betroffenen Bevölkerung daran interessiert sein zu erfahren, welche Ursachen in die nationale Katastrophe geführt haben. Die Einteilung in Gut und Böse, in Richter und Angeklagter, unterbleibt. Vom Ansatz her ist eine WK ein Instrument der Einheit. Man stellt sich der Geschichte und fasst die Geschehnisse der überwundenen Vergangenheit als ein Unglück, eine Kalamität, auf, die das Volk in seiner Gesamtheit getroffen hat. Natürlich können darüber hinaus auch noch Strafprozesse geführt werden, jedenfalls gegen die Hauptschuldigen, so wie auch in Nürnberg die „major war criminals“ sich vor den Schranken des alliierten Militärgerichts zu verantworten hatten. Aber durch das Verfahren der WK wird dem Volk in seiner breiten Mehrheit erspart, auf korrektes politisches Handeln hin überprüft zu werden. Jedenfalls den Historikern ist noch wohlbekannt, welchen Unwillen in Deutschland die sog. Entnazifizierung hervorrief, einen Unwillen, der sogar den Erfolg der Umerziehung zu den Werten der Demokratie in Frage stellte.

6. Eine Strategie der Aussöhnung Zurück nun zu der konkreten Arbeit, die eine WK zur Erfüllung der ihr gesetzten Ziele leisten kann. Es geht ja gewiss nicht um Idealkonzepte, die sich leicht am Schreibtisch ausdenken lassen, sondern um ein Handeln in der sozialen Wirklichkeit, das sich auf eher ungesichertem Boden bewegt. Mit Strafgerichten haben die westlichen Gesellschaften jahrhundertelange Erfahrungen. Das Verfahren der WK hingegen enthält wegen seiner bisher nur kurzen Tradition immer noch viele Unbekannte. Dennoch lassen sich einige Parameter angeben, die sich in der bisherigen Praxis als unabdingbare Voraussetzungen einer erfolgreichen Arbeit herausgestellt haben. Es sei wiederholt, dass die Arbeit einer WK auf der Prämisse beruht, dass die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit, in der Lage ist, als Grundlage für einen Prozess der nationalen Aussöhnung zu dienen. Der Sozialempiriker mag 271

Christian Tomuschat

an dieser Prämisse zweifeln. Aber sie scheint in gewisser Weise normativ vorgegeben zu sein. In das Bild einer demokratischen Gesellschaft, die sich für befähigt hält, ihre innere und äußere Ordnung rational zu gestalten, passt eine Strategie der Verheimlichung einfach nicht hinein. Es kann keine Tabus geben. Die Wahrheit muss eine Gesellschaft aushalten, zumal ja auch die Verfechter der Nichtaufklärung meist nur jene sind, die von der Feststellung der Tatsachen persönliche Nachteile zu befürchten haben. Das Interesse des Kriminellen an der Nichtaufdeckung seiner Tat kann aber schwerlich als Leitlinie der Politik dienen. Damit das Unternehmen ‚WK‘ gelingen kann, müssen hohe Anforderungen an die Zusammensetzung einer Kommission gestellt werden. Eine WK muss von der gesamten Bevölkerung als unabhängig und unparteiisch anerkannt sein. Sie darf nicht eine Regierungsbehörde sein, und sie darf auch nicht den äußeren Anschein einer solchen erwecken. Nur dann wird es ihr gelingen, Vertrauen zu erwerben und von allen als kompromissloser Verteidiger der Wahrheit anerkannt zu werden. In unterschiedlicher Weise hat man versucht, diesem Erfordernis Rechnung zu tragen. In Argentinien und in Chile hat man allein eigene Staatsangehörige zu Mitgliedern der Kommission berufen. In Argentinien plante man eine sehr breite Zusammensetzung mit 16 Mitgliedern aus dem öffentlichen Leben, aber nur 13 nahmen tatsächlich an der Arbeit teil. Auch in Chile lag die Teilnehmerzahl mit acht Personen eher hoch: hier hatte man versucht, einen möglichst breiten Querschnitt zu legen und die Pluralität der Gesellschaft offen abzubilden, auch unter Einschluss von Anhängern der überwundenen Diktatur. In Südafrika war die Mitgliederzahl noch größer mit 18 Personen. Einen radikalen Umschwung stellte es dar, als in die salvadoranische WK, um die Objektivität der Berichterstattung zu sichern, lediglich drei Personen berufen wurden, sämtlich Ausländer, unter ihnen der heutige amerikanische Richter am IGH, Thomas Buergenthal. Offensichtlich orientierte man sich in gewisser Weise bei der guatemaltekischen WK am salvadoranischen Vorbild, indem man die Mitgliederzahl ebenfalls auf drei reduzierte. Allerdings sollte das objektivierende ausländische Element nur aus einer Person bestehen. Der Koordinator sollte dann im Einvernehmen mit den beteiligten Parteien noch zwei weitere Personen ernennen, einen Bürger von „untadeligem Ruf“ – nichts Weiteres war angegeben – sowie eine Person von einer Dreierliste, die von den Rektoren der Universitäten des Landes aufgestellt werden sollte. Die Person von „untadeligem Ruf“ nahm dann als Maya-Frau mit akademischem Hintergrund Gestalt an (Otilia Lux de Cotí), und von der Dreierliste wurde ein Anwalt gewählt, der sich über alle Diktaturen hinweg die Anerkennung als unbeugsamer Verfechter der Rechtsstaatlichkeit bewahrt hatte (Alfredo Balsells). Damit war die Unabhängigkeit von der Regierung des Landes sichergestellt. Es war vor allem der Koordinator, der institutionell als Garant für „Wahrheit und Klarheit“ dienen sollte. 272

Friedensstiftung durch Wahrheitskommissionen

Von erheblicher Bedeutung ist bei einer WK die Dauer der Tätigkeit. Ist die Frist zu kurz angesetzt, kann der spätere Bericht keine Glaubwürdigkeit aufweisen. Verliert sich hingegen eine WK in jahrelange Untersuchungen, verliert die Öffentlichkeit sehr schnell das Interesse. Eine WK wird dann als eines der zahlreichen bürokratischen Gremien angesehen, die irgendwo innerhalb des Staatsapparates funktionieren. Durchweg ist man sich dieser Zwangslage bewusst gewesen. Was speziell Guatemala angeht, so war die ursprüngliche Frist von sechs Monaten sicher allzu knapp. Die vorgesehene Verlängerungsmöglichkeit um weitere sechs Monate stellte daher eine zwingende Notwendigkeit dar. Schließlich gelang es mit einem Kunstgriff, der Jahresfrist noch weitere sechs Monate hinzuzuschlagen, indem als Arbeitszeitraum lediglich die eigentliche Ermittlungsarbeit im Felde angerechnet wurde, d. h. unter Abzug der für die Abfassung des Berichts benötigten Zeit. Die Zeit spielt auch sonst eine entscheidende Rolle. Unmittelbar nach Ende einer Diktatur oder eines bewaffneten Konflikts kann eine WK keinen Erfolg haben. Solange die Emotionen noch aufgerührt sind, kann man nicht erwarten, verlässliche Auskünfte zu erhalten. Innerhalb der Kommission werden sich politische Fronten bilden. Auch besteht die Gefahr, dass die WK selbst unter Gewaltdrohungen gerät. Insgesamt braucht eine WK ein gewisses Klima der Beruhigung. So würde gegenwärtig eine WK im Verhältnis zwischen Israel und den Palästinensern aller Voraussicht nach nur auf Hass und Vorurteile stoßen. Jede WK ist als Teil eines Friedensprozesses zu begreifen. Sie kann aber nicht der erste Baustein sein, sondern braucht einen Gesamtrahmen, der schon die Grundlagen eines friedlichen Ausgleichs absteckt. Zu den weiteren Funktionsbedingungen gehört die Öffnung einer WK für die Bürger des Landes. Es sollen ja gerade Verhärtungen überwunden, Gräben zugeschüttet, Ausgrenzungen rückgängig gemacht werden. Deshalb darf die Arbeit einer WK sich nicht innerhalb eines abgeschlossenen Elitezirkels abspielen. Die Tür für eine breite Beteiligung der Bevölkerung muss offen stehen. In Guatemala war jedermann das Recht garantiert, über das von ihm erlittene Unrecht zu berichten. Da es sich um ein armes Land handelt, wo viele in einer Subsistenzwirtschaft leben, ohne auch nur über ein Minimum an Bargeld zu verfügen, hieß dies, dass die Kommission Zweigbüros in den entfernteren Regionen des Landes eröffnen musste, um tatsächlich jedermann die Möglichkeit zu geben, Zeugnis abzulegen. Das hieß gleichzeitig, dass die Kommission Mitarbeiter einstellen musste, die dann vor Ort die Zeugenaussagen entgegennehmen konnten. So wuchs die Kommission auf ihrem Höhepunkt bis zu einem Bestand von 270 Personen an – natürlich mit entsprechenden finanziellen Lasten. Es waren diese Begegnungen von Gewaltopfern mit uns und unseren Mitarbeitern, in denen sich der Sinn der WK in der anschaulichsten Weise entfaltete. Die Opfer waren in der Lage, gegenüber einer Person ihres Vertrauens unbeobachtet über ihre leidvollen Erfahrungen zu berichten. Es galt dabei für 273

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alle Mitarbeiter die Anweisung, sich Zeit zu nehmen. Gerade bei der MayaBevölkerung ging es darum, zunächst um Vertrauen zu werben. Die Menschen waren es auch nicht gewöhnt, schnurstracks auf ihr Ziel zuzusteuern. Üblicherweise ging die Rede stockend voran, vielfach mit Hilfe eines Übersetzers, in Kreisen, mit vielen Wiederholungen. Gerade dies tat den Menschen wohl, ernst genommen zu werden, sich nach ihrer Art aussprechen zu dürfen, nicht gedrängt zu werden. Gerade in der am meisten heimgesuchten Region des Landes, dem Quiché, wo die Sicherheitskräfte grauenhafte Verheerungen angerichtet hatten, hatte unsere Methode der Langsamkeit einen geradezu ansteckenden Effekt. Vor allem die Frauen, die zu tausenden Opfer sexueller Gewalt geworden waren, drängten sich nach einer ersten Periode des Zögerns, ihre Aussage machen zu dürfen.

7. Der Neuanfang Unser Bericht, am 25. Februar 1999 im Nationaltheater von Guatemala übergeben, war ein großes Ereignis in der Geschichte des Landes. Über 3000 Menschen füllten den Saal, weitere Tausende verfolgten das Geschehen draußen auf großen Bildschirmen. Die Tatsache, dass die Kommission im Hinblick auf bestimmte Einzelgeschehnissen zu dem Ergebnis gelangt war, dass Völkermord begangen worden sei, wurde von einer großen Mehrheit im Saal mit nicht enden wollendem Beifall begrüßt – natürlich wurde nicht der Völkermord als solcher begrüßt, sondern die Tatsache, dass ein amtliches Gremium den Mut gehabt hatte, das Geschehen entsprechend zu qualifizieren. Mit etwas gedrücktem Gesicht nahmen auch der Staatspräsident und die Armeeführung an dem Akt teil, ganz offensichtlich sehr viel weniger enthusiastisch als die große Menge der Zuschauer. Am nächsten Tage waren auch die Zeitungen voll mit der Berichterstattung. Eine Kurzfassung des Berichtes mit seinen Hauptergebnissen sowie sämtlichen Empfehlungen in einem Umfang von 86 großformatigen Seiten war gleichzeitig mit der Übergabe des Berichts sowohl in spanischer als auch in englischer Sprache erschienen. So war eine Grundlage für einen Neuanfang geschaffen. Aber die Euphorie der Medien endet schnell. Es braucht nur eine unglückliche Niederlage der Fußballnationalelf, um das große Thema von den Titelseiten zu verdrängen. So hätte es eines entschlossenen Handelns von Regierung und Parlament bedurfte, um die Weichen für eine bessere Zukunft zu stellen. Aber zu einer solchen positiven Reaktion vermochte die Regierung sich nicht durchzuringen. Noch weniger an Aktionskraft ließ sich im Parlament mobilisieren. Auch im Volke selbst fehlte es an Aufbruchsstimmung, die einen organisierten politischen Ausdruck gefunden hätte. So wurde der historische Moment verpasst. Es kam nicht zu vorwärts weisenden Reformplänen. Immerhin wurde in den folgenden Jahren das Budget der Streitkräfte drastisch gekürzt, so dass diese 274

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allmählich aus ihrer Zentralstellung in der Politik des Landes verdrängt wurden. Während auch noch nach dem Ende der Militärherrschaft mit der Einführung einer neuen Verfassung im Jahre 1985 ständig der Schatten eines Militärputsches über dem Lande gelegen hatte, ist dieser Spuk mittlerweile verschwunden. Heute könnte sich niemand mehr damit brüsten, dass mit einem solchen Putsch die Gefahr einer kommunistischen Machtübernahme abgewendet worden sei. Materielle Schadensersatzleistungen waren von der Kommission nur in ganz begrenztem Umfang empfohlen worden, zugunsten der Allerärmsten, die durch die Auseinandersetzungen jede Erwerbsmöglichkeit oder sonst ihren Familienunterhalt verloren hatten. Lange Jahre geschah indes überhaupt nichts. Erst in jüngster Zeit sind erste Zahlungen angelaufen, mit ungeheurem zeitlichen Abstand. Inwieweit dadurch das begangene Unrecht tatsächlich gutgemacht werden konnte, lässt sich nur schwer beurteilen. Immerhin sind damit symbolische Gesten gezeigt worden, die sich als Konsequenz der Arbeit der WK deuten lassen. Ist der Heilungsprozess abgeschlossen? Vermutlich wird man mit einem Nein antworten müssen. Guatemala ist eine junge Nation. Für die meisten Angehörigen der jüngeren Generation gehört der Konflikt der Jahre 1964 bis 1996 einer grauen Vergangenheit an, die außerhalb ihres persönlichen Vorstellungsbildes liegt. In einer allgemeinen Atmosphäre großer Armut sind die Menschen in erster Linie damit beschäftigt, ihr persönliches Überleben zu sichern. Nicht nur materielle Not treibt sie, sie sehen sich auch einer ständig ansteigenden Welle von Gewaltkriminalität ausgesetzt. Viel Zeit zum Nachdenken über die Vergangenheit bleibt ihnen daher nicht. War die Arbeit der WK daher nutzlos? Ich teile diese Auffassung nicht, bin natürlich auch befangen. Zwei Dinge vor allem hat der Bericht herausgearbeitet und in das allgemeine Bewusstsein eingerückt. Viele der Gewaltepisoden erklären sich durch einen unverhohlenen Rassismus, der die ganze Geschichte Guatemalas von der Zeit der spanischen Eroberung an durchzogen hat. 18 Heute weiß man zumindest, dass die Maya-Völker zur Nation gehören und dass ihnen Achtung entgegengebracht werden muss – wie schwierig das in der harten Welt der Tatsachen auch sein mag. Man hat auch gelernt, dass politische Divergenzen nicht mit Waffengewalt ausgetragen werden sollten. Insoweit hat sich auch für Guatemala segensreich ausgewirkt, dass der harte Antagonismus zwischen Ost und West mittlerweile entfallen ist. Anmerkungen 1

International Tribunal for the Prosecution of Persons Responsible for Serious Violations of International Humanitarian Law Committed in the Territory of the former Yugoslavia, geschaffen durch Sicherheitsrats-Resolution 827 (1993), 25. 5. 1993. 2 International Criminal Tribunal for the Prosecution of Persons Responsible for Ge-

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Christian Tomuschat nocide and Other Serious Violations of International Humanitarian Law Committed in the Territory of Rwanda and Rwandan Citizens Responsible for Genocide and Other Such Violations Committed in the Territory of Neighbouring States, between 1 January 1994 and 31 December 1994, geschaffen durch Sicherheitsrats-Resolution 955 (1994), 8. 11. 1994. 3 S. den Report of the United Nations Fact Finding Mission on the Gaza Conflict, UN-Dok. A/HRC/12/48, 15. 9. 2009. 4 Allgemein zu Wahrheitskommissionen vgl. etwa Mohammed Abu-Nimer (Hg.), Reconciliation, Justice and Coexistence, Lanham u. a. 2001; Thomas Buergenthal, Truth Commissions. Functions and Due Process, in: Pierre-Marie Dupuy u. a. (Hgg.), Völkerrecht als Wertordnung. Festschrift für Christian Tomuschat, Kehl 2006, S. 103–113; Greg Grandin, Truth Commissions. State Terror, History and Memory, Durham 2007; Priscilla B. Hayner, Unspeakable Truths. Facing the Challenge of Truth Commissions, New York – London 2001; Robert I. Rotberg – Dennis Thompson (Hgg.), Truth v. Justice. The Morality of Truth Commissions, Princeton – Oxford 2000; William A. Schabas – Shane Darcy (Hgg.), Truth Commissions and Courts. The Tension between Criminal Justice and the Search for Truth, Dordrecht 2004; Christian Tomuschat, Human Rights and National Truth Commissions, in: Peter R. Baehr u. a. (Hgg.), Innovation and Inspiration. Fifty Years of the Universal Declaration of Human Rights, Amsterdam 1999, S. 151– 160. 5 Das Zitat stammt bekanntlich von Leopold von Ranke, Sämtliche Werke, Bd. 33/ 34, Leipzig 1885, S. VII. 6 Vgl. Christian Tomuschat, Latin American Truth and Reconciliation Commissions, in: Antonio Cassese (Hg.), The Oxford Companion to International Criminal Law, Oxford u. a. 2009, S. 547–551. 7 Aufschlussreich das Kommissionsmitglied Thomas Buergenthal, The United Nations Truth Commission for El Salvador, in: Vanderbilt Journal of Transnational Law 27, 1994, S. 497–544. 8 Genannt sei als Darstellung etwa Emily Hahn-Godeffroy, Die südafrikanische Truth and Reconciliation Commission, Baden-Baden 1998. 9 Der Verf. dieses Beitrags war der Koordinator dieser Kommission; vgl. Christian Tomuschat, Between National and International Law. Guatemala’s Historical Clarification Commission, in: Volkmar Götz u. a. (Hgg.), Liber amicorum Günther Jaenicke (Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 135), Berlin u. a. 1998, S. 991– 1011; Ders., Clarification Commission in Guatemala, in: Human Rights Quarterly 23, 2001, S. 233–258. 10 Abgedruckt in englischer Übersetzung in International Legal Materials 26, 1997, S. 283. 11 Guatemala Memoria del Silencio. Informe de la Comisión para el Esclarecimiento Histórico, Guatemala 1999. 12 Der Übergabe des Berichts wurde in der Tat am 25. Februar 2009 durch einen feierlichen Staatsakt auf dem Zentralplatz der Hauptstadt Guatemala gedacht. Der Verf. nahm an dieser Feierlichkeit teil. 13 Vgl. Yasmin Naqvi, The Right to the Truth in International Law. Fact or Fiction?, in: Revue internationale de la Croix-Rouge = International Review of the Red Cross 88, 2006, Heft 862, S. 245–273; Juan E. Méndez, The Human Right to Truth. Lessons Learned from Latin American Experiences with Truth Telling, in: Tristan Anne Borer (Hg.), Telling the Truths. Truth Telling and Peace Building in Post-Conflict Societies, Notre Dame 2006, S. 115–150.

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Friedensstiftung durch Wahrheitskommissionen 14

S. oben Anm. 1, 2. BGBl. 2000 II, 1394. 16 Ley de Reconciliación Nacional – Decreto No. 145–96 del Congreso de la República de Guatemala, 18. 12. 1996, Art. 8. 17 Entscheidung vom 4. 10. oder 8. 12. 2004, Az. 2235–2,004, http://alainet.org/active/ 7561&lang=es. Der Fall wurde im Juli 2008 wegen Verletzung staatlicher Rechtsschutzgewährung von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission dem Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof vorgelegt, http://www.cidh.org/demandas/11.681% 20Dos%20Erres%20Guatemala%2030%20Julio%202008%20ESP.pdf (s. dort Randnr. 279). 18 Dazu der Bericht ‚Guatemala Memoria del Silencio‘ (wie Anm. 11), Vol. 1, S. 86–94, Rdnr. 241–264; Marta Elena Casaús Arzú, Genocidio. La máxima expresión del racismo en Guatemala?, Guatemala 2008, sieht den in dem Lande vorherrschenden Rassismus als tiefere Ursache für den stattgefundenen Völkermord. 15

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Ein unmöglicher Friede? Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern Joschka Fischer Recht herzlichen Dank für die Einladung zu dieser Ringvorlesung über Mediation, in der Tat eigentlich das Kerngeschäft moderner Diplomatie und modernen Krisenmanagements. Ich erinnere mich zurück an die Einladung, die mit dem Vorschlag verbunden war, dass der Nahostkonflikt als Beispiel und auch als Erfahrungshintergrund diese Ringvorlesung bestimmen sollte. Es war da noch nicht vorauszusehen, wie aktuell das Thema zur Zeit des Vortrags sein würde. Heute sehen wir die tragische Situation der militärischen Konfrontation des Krieges in Gaza mit den furchtbaren, herzzerreißenden Bildern. Vermittlung ist nötiger denn je und wird dennoch immer unwahrscheinlicher. Als wir damals die Absprache getroffen haben, konnten wir nicht ahnen, in welchem aktuellen Umfeld diese Ringvorlesung stattfinden würde. Aber dieses Risiko ist konstitutiv für die politische Situation im Nahen Osten, dass jederzeit eine Lage, die ich als nicht friedlich bezeichnen würde, umschlagen kann in einen akuten Konflikt. Es ist jederzeit möglich, dass dort die Situation, die mit alltäglicher Gewalt, mit Terrorgefahr durchsetzt ist, mit Okkupation und ihren Folgen vor allen Dingen für die palästinensische Seite, dass dies in eine aktuelle Zuspitzung umschlagen kann. Das ist öfters die Realität gewesen. Aber genauso gilt auch, dass trotz Gewalt und unsäglichem Leid die Möglichkeiten neuer politischer Lösungen sich unerwartet eröffnet haben. Wenn wir uns diesen Konflikt anschauen, dann ist nicht zu übersehen, dass die öffentlichen Wahrnehmungen und Stimmungen in der heutigen Welt sehr stark von Bildern beeinflusst sind. Dieser Hinweis ist für Studentinnen und Studenten der Kulturwissenschaften an einer heutigen Universität wahrscheinlich nicht neu, er ist aber wichtig. Die universelle Kommunikationsrealität, die visuelle Realität, die unmittelbare in Echtzeit übertragene Übermittlung von Bildern, vor allen Dingen von Fernsehbildern, zunehmend aber auch von Internetbildern bestimmt ganz vorrangig unsere politischen Wahrnehmungen und Einstellungen. Es reicht aber nicht Bilder zu schauen, um zu verstehen. Und insofern gestatten Sie mir, bevor ich zu dem eigentlichen Thema Mediation komme, eine kurze, gedrängte Darstellung des Konflikts aus historischer Perspektive zu versuchen. Meine Erfahrung ist nämlich die, dass es ohne ein gewisses historisches Verständnis sehr schwer ist, die aktuellen Positionen 278

Ein unmöglicher Friede?

und Probleme der Konfliktparteien angemessen zu verstehen. Es ist aber unabdingbar, dass Sie als Vermittler die Positionen beider Parteien zu verstehen versuchen, sonst haben Sie gar keine Chance auf Erfolg. Und ich unterstreiche ganz bewusst: Dazu gehört nicht nur Rationalität und historisches Wissen, dazu gehört nicht nur Wissen um die Interessen, um die Akteure und ihre jeweiligen Agenden, dazu gehört auch eine gewisse Empathie für beide Seiten. Und diese Empathie bedarf einer gewissen Distanz, denn Sie werden sonst sehr schnell hineingezogen in den Solidarisierungszwang mit einer der beiden Seiten – und Solidarisierung hebt die Distanz auf, die Sie als Vermittler brauchen. Der Palästina–Konflikt spielt sich ja in einem Großraum ab, der sich über den Nahen und Mittleren Osten ausdehnt bis an die Grenze Indiens. Dieser Raum ist seit dem beginnenden 20. Jahrhundert von vielen Konflikten und Krisen heimgesucht worden. Wenn Sie sich die Ursachen für die vielen Konflikte dort anschauen, dann werden Sie feststellen, dass es im Wesentlichen die Einwirkungen fremder Mächte waren, die zur Destabilisierung der Verhältnisse geführt haben. Denken Sie an das russische Imperium in seiner Gestalt der Sowjetunion in der letzten Ausformung, aber in Kontinuität mit dem russischen Imperium der Zaren. Sie haben es ferner zu tun mit dem British Empire. Wenn Sie sich die heutige Staatenbildung im Nahen Osten anschauen, dann geht sie im Wesentlichen zurück auf das britische und französische Kolonialinteresse, das nach dem Ersten Weltkrieg dort umgesetzt wurde. Die Kolonialzeit hat eine der ganz großen, aktuellen Schwierigkeiten in dieser Region mit verursacht, nämlich die Instabilität und die Schwäche der Staaten, die Instabilität der Grenzen. Wir haben es ja auch in Europa selbst erlebt, welche Bedeutung die Unantastbarkeit der Grenzen hat für Frieden und Stabilität. Im Nahen und Mittleren Osten haben wir es aber mit Staaten zu tun, die alle nach dem Ersten Weltkrieg, nach dem Untergang des Osmanischen Reiches geschaffen wurden. Und sie wurden nicht von unten her geschaffen, unter Berücksichtigung der Interessen der Bevölkerung, sondern entlang der Interessen der beiden Siegermächte, der Westmächte Großbritannien und Frankreich. Es wurden Grenzen gezogen, die sehr leicht in Frage gestellt werden können. Es gibt Völker ohne eigenen Staat, die aber einen eigenen Staat wollen. Das bringt sie in einen Gegensatz zu den Interessen ihrer jeweiligen Nachbarn, die über Staaten verfügen. Das kurdische Volk ist ein solches Beispiel, das sich heute verteilt auf den Irak, auf die Türkei, auf den Iran und auf Syrien. Ein Unruhe- und Destabilisierungsfaktor ist folgerichtig die kurdische Nationalbewegung. Wenn man den Äußerungen der Nachbarn folgt, stellt sie eines der ganz großen Probleme dar, die im Zusammenhang mit der amerikanischen Intervention im Irak aufgeworfen wurden. Wir haben es mit anderen Worten mit massiven Problemen zu tun, für die nicht zuletzt ein Beschluss der Vereinten Nationen die Ursache abgibt. Dies ist eine der Hauptursachen, warum wir die aktuelle Zuspitzung haben. Ich komme darauf später zurück. 279

Joschka Fischer

Die Unklarheit darüber, was eigentlich die palästinensische Position ist, wird aber gespiegelt durch die Unklarheit darüber, was Israel unter Israel versteht. Ariel Sharon hat mir gegenüber einmal gesagt – da klappte mir der Unterkiefer herunter, aber er hatte recht, und ich habe etwas gelernt – „Unsere Ostgrenze ist nicht definiert“. Das heißt, auch Israel hat bis heute nicht klargemacht, wo es beginnt und wo es endet. Gestatten Sie mir, dass ich hier einen kurzen Rekurs auf unsere eigene Geschichte nehme: Das große Problem der deutschen Nationalstaatsbildung nach 1871 war genau diese Frage – wo beginnt, wo endet Deutschland? Nehmen Sie zum Beispiel Preußen: Preußen war eben nicht nur ein deutscher Territorialstaat, sondern ein deutsch-polnischer Territorialstaat. Im Zuge der Herstellung der deutschen Einheit im Jahre 1990 war aber diese Frage bis im letzten Moment die entscheidende Voraussetzung für die deutsche Einheit. Der deutsche Bundestag musste unsere Ostgrenze anerkennen. Und diese Frage war historisch extrem aufgeladen, weil es bezüglich der Frage der Anerkennung der deutschen Ostgrenze nach dem Ersten Weltkrieg von der nationalen Rechten bis hin zur KPD nur eine Position gab: die wird nicht anerkannt. Darin liegt die große, wenn Sie so wollen, historische Leistung der sozial-liberalen Koalition, und vor allen Dingen der Person Willy Brandts, diese Anerkennung durchgesetzt zu haben. Auf dem Hintergrund unserer jüngeren Geschichte war dies ein Tabubruch, aber zugleich die Voraussetzung für die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit 1990. Die hätte es sonst nicht gegeben. Das heißt, auch am Beispiel unserer eigenen Geschichte können wir die ganze Problematik der Grenzziehung und der Anerkennung von Grenzen zwischen zwei Völkern erkennen. Und der Kern des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern – wobei dies nicht den ganzen Nahostkonflikt ausmacht, auch darauf komme ich später noch ausführlich zu sprechen – liegt genau darin, dass zwei Völker um dasselbe Land kämpften. Und beide, und davor warne ich, wollen ihre Position vollständig durchsetzen. Ich verstehe die Emotionen auf beiden Seiten, aber wenn Sie zu einhundert Prozent Recht bekommen wollen, bekommen Sie gar kein Recht. Ich habe folgende Erfahrung gemacht: Wenn ich den Palästinensern zuhörte, dann war ich immer der Überzeugung, tja, die haben völlig recht. Und dann war ich in Israel und bekam denselben Vortrag auf demselben, qualitativ höchsten Niveau – denn die machen das seit Jahrzehnten, teilweise dieselben Leute – und dann war ich der Meinung, die Israelis haben völlig recht. Und ich finde, Jossi Beilin, einer der Chefarchitekten und -unterhändler in Oslo, Jossi Beilin hat völlig recht mit dem Satz, den er gesagt hat: „Das Tragische an diesem Konflikt ist, dass beide Seiten hundert Prozent recht und hundert Prozent unrecht haben.“ Das heißt: Es gibt, wenn man Frieden will, keine hundert Prozent. Für keine Seite. Solang man an hundert Prozent festhält – das muss man realpoli280

Ein unmöglicher Friede?

tisch durchbuchstabieren –, heißt es Krieg, Stillstand, wieder Krieg. Der einzig dynamische Faktor ist das Leid der unschuldigen Menschen, die die Friedhöfe füllen. Und für jemanden, der beide Seiten über die Jahre hinweg sehr genau studieren konnte und auch kennt, ihre offenen und verborgenen Agenden kennt, die Akteure kennt, die Gefühlslagen, kann ich nur sagen, mich erschüttert und deprimiert dieser Konflikt aufgrund der Tatsache, dass beide Seiten sich nicht einigen können, das hart umkämpfte Territorium zu teilen. Beide wissen, sie müssen es teilen. Der Wunschtraum der Palästinenser, eines Tages ist Israel verschwunden, wird nicht in Erfüllung gehen. Die Palästinenser werden eines Tages die weiße Fahne hissen und gehen, auch dieser Traum wird nicht in Erfüllung gehen. Beide werden bleiben, also bleibt nur der territoriale Kompromiss. Egal mit wem Sie in den politischen Führungen sprechen, wird ihnen das hinter mehr oder weniger offenen oder geschlossenen Türen auch bestätigt. Und dennoch, aufgrund der mangelnden Fähigkeit, des Unwillens oder auch der mangelnden Kraft, war es bisher nicht möglich, auf beiden Seiten eine Entscheidung herbeizuführen, wo beginnt, wo endet Israel, wo beginnt, wo endet Palästina? Das macht diesen Konflikt so überaus schwierig und meine prägende Erfahrung war folgende – sie stand zufällig am Anfang, aber durch sie wurde ich auf die Probleme gestoßen. Natürlich besucht man als deutscher Außenminister immer wieder die Region, dabei gab es für mich persönlich eine sehr tragische Erfahrung, als ich bei meinem zweiten Besuch dort war. Die Abteilungen bereiten für Gespräche immer sogenannte Gesprächskarten vor, auf denen alles in Stichworten der Reihe nach aufgelistet ist, und daran arbeitet man sich dann in einem Gespräch ab. Ich hatte am Abend in Tel Aviv ein Gespräch mit dem damaligen Außenminister der Großen Koalition, mit Schimon Peres, und habe da brav meine Karten abgearbeitet, die ich auch noch brauchte. Dann hatten wir einen Empfang mit in Israel lebenden Deutschen und israelischen Gästen beim deutschen Botschafter, und als ich ins Hotel zurückfuhr, gab es einen Riesenstau, Blaulicht, Sirenen. Ein junger Selbstmordattentäter, 17, 18 Jahre alt, hatte sich vor einer Diskothek, wo Gleichaltrige warteten, in die Luft gesprengt und ein Massaker angerichtet. Es war eine große Tragödie. Und das hat mich in diesen Konflikt sozusagen hinein gestoßen, und seitdem brauchte ich keine Karten mehr. Und in diesen Gesprächen hat sich eben herauskristallisiert, dass beide Seiten noch nicht zu einem territorialen Kompromiss wirklich bereit waren – beide nicht. Die israelische Seite, die palästinensische Seite verfolgen dabei völlig unterschiedliche Narrative. Die Geschichte, die sie erzählen, ist völlig unterschiedlich. Die Israelis sagen: „In Camp David wurde Euch ein Staat angeboten und ihr habt ihn nicht akzeptiert.“ Die Palästinenser sagen: „Seit Oslo geht der Siedlungsbau immer weiter und wir verlieren jeden weiteren Tag mehr an Land. 200 000 israelische Siedler sind eine klare Ansage, dass eigent281

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lich kein palästinensischer Staat gewollt wird.“ Das sind zwei völlig unterschiedliche Narrative, und in beiden steckt mehr als nur ein Kern Wahrheit. Aber in beiden steckt auch ein starkes Element von Unwahrheit, nämlich nicht wirklich auf die andere Seite zugehen zu wollen. Wenn ich zurückdenke – noch vor wenigen Jahren hätte es einen großen Aufschrei gegeben, wenn man gesagt hätte, die Grenzen von 1967 mit geringem territorialem Austausch, der verhandelt werden muss, unter Einschluss Jerusalems, das ist die einzige Möglichkeit, eine Lösung zu finden. Heute ist das auf beiden Seiten akzeptiert. Aber es fehlt die Kraft oder auch der Wille, eine solche Lösung durchzusetzen. Und deswegen sterben erneut so viele unschuldige Menschen, Frauen, Kinder, auf beiden Seiten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man sehr gut beraten ist, wenn man beiden Seiten gerecht werden will, Distanz zu halten. Das heißt aber nicht, meine Damen und Herren, damit ich hier nicht missverstanden werde, dass ich nicht eine klare persönliche Position habe. Daraus habe ich gegenüber meinen arabischen Partnern und Freunden nie einen Hehl gemacht. Für mich als jungen Deutschen, der herangewachsen ist nach dem Krieg, war es eine der schockierendsten Auseinandersetzungen, und ich werde es nie vergessen, ich war damals 14, 15 Jahre und auf dem Gymnasium, als ich zum ersten Mal mit einem Film konfrontiert wurde von der Landesbildstelle, der war damals im Unterricht vorgesehen, er hieß: Hitler, Mein Kampf. Und als junger Deutscher, Nachkriegsdeutscher, mit 14, 15 war ich wie mit dem Hammer auf den Kopf gehauen, als ich zum ersten Mal die Bilder gesehen habe, die dank eines völlig anderen Zugangs zu unserer Vergangenheit heute für Euch alle selbstverständlich zur politischen Bewusstwerdung und zum Unterricht gehören. Und noch etwas ist nicht zu vergessen: Damals lebten viele Täter und Mitläufer noch, Angehörige der Generation unserer Eltern. Für mich ist die Quintessenz aus dieser Erfahrung und unserer Geschichte, dass Deutschland eine Verpflichtung gegenüber Israel und seinem Existenzrecht hat, und dass es mit uns kein Verhandeln darüber geben kann, wenn wir unserer historischen Verantwortung gerecht werden wollen. Nur heißt das für mich auch, dass die Existenz Israels nur gesichert sein wird, wenn die legitimen Rechte des palästinensischen Volkes auf einen eigenen Staat und auf Selbstbestimmung gewährleistet werden. Andernfalls wird der Konflikt nämlich fortgeführt. Insofern sehe ich keinen Unterschied in der Distanz zu beiden Positionen. Allerdings, in der Frage, ob wir Israel allein lassen können, da, meine ich, müssen wir eine klare Position beziehen, und die heißt: nein! Hier haben wir eine Verpflichtung, die sich aus unserer eigenen Geschichte ergibt, und die auch für Euch als jüngere Generation nicht vergehen wird. Und um nicht in Fallen hinein zu laufen, in die auch unsereins hinein gelaufen ist, rate ich dringend, sich ein Bewusstsein von der Komplexität der Geschichte zuzulegen und eine gewisse Distanz zu den Bildern und zu den Akteuren zu 282

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wahren, ohne allerdings die historische Verpflichtung selbst dabei aufzugeben. Das war eine Haltung, die von beiden Seiten akzeptiert wurde. Das war eine Haltung, die nicht eine falsche Distanz war, eine kalte Distanz, sondern die gleichzeitig emotionale Nähe und Verständnis mit sich gebracht hat und, das ist für Mediation von entscheidender Bedeutung, Glaubwürdigkeit. Sie können jede Form von Vermittlung vergessen, wenn Sie nicht glaubwürdig auf beiden Seiten sind, das heißt die Möglichkeit haben, von beiden Seiten als ernsthaft, seriös, glaubhaft angesehen zu werden, ohne dass Sie sich zu hundert Prozent mit der jeweiligen Position identifizieren. Der Nahostkonflikt war immer eingebunden in größere Konflikte. Es begann in der Endphase des Osmanischen Reiches. Eine britische Wirtschaftszeitung, die ich sehr schätze, ‚The Economist‘, bot in dieser Woche ein Titelblatt mit der Überschrift „Der Hundertjährige Krieg“. Es bezieht sich darauf, dass im Jahr 1906 zum ersten Mal – hauptsächlich von aus Russland stammenden zionistischen Sozialisten – eine Selbstverteidigungsorganisation gegründet wurde. Das ist jetzt 100 Jahre her. Die viel spannendere Frage, die sich stellt: Wird das nochmals Jahrzehnte weitergehen? Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Meine große Sorge ist, dass wir noch lange nicht an dem Punkt sind, an dem beide Parteien die Bereitschaft haben, sich zu ernsthaften Friedensgesprächen zusammen zu setzen. Ein Hundertjähriger Krieg – und wenig spricht dafür, dass beide Seiten bereit sind, den Schritt zu tun, das umkämpfte Territorium wirklich zu teilen. Dabei gibt es keine Alternative. Der Nahostkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern war eingebunden in den israelisch-arabischen Konflikt, er war eingebunden in den Kalten Krieg, davor in den europäischen Kolonialismus von Großbritannien und Frankreich, und schließlich auch in das Ende des Kalten Krieges, die Hoffnungszeit von Oslo, und dann in den sogenannten ‚War against Terror‘. Die Frage, die sich stellt: Was wird jetzt folgen? In all den Jahrzehnten gab es eine Entwicklung in Richtung Anerkennung der Teilung – wenn auch nur Schritt für Schritt. Es hat lange Zeit gedauert. Auf der israelischen Seite war man der Meinung, es gibt kein palästinensisches Volk. Die PLO hat über vier Jahrzehnte gebraucht, sich mit dem Faktum des israelischen Staates soweit in Übereinklang zu bringen, dass sie ihre Charta geändert hat. Was wir aber jetzt feststellen ist, dass eine neue Dimension hinzukommt, die einen Frieden, und damit eine Friedensstiftung noch sehr viel schwieriger macht – und das ist, dass neue Akteure in dieser Region auftreten, die nicht mehr nur ein politisches Programm verfolgen, sondern die sich zunehmend religiös begründen. Die Religion handelt von den letzten Dingen, und diejenigen, die sich mit dem Dreißigjährigen Krieg beschäftigt haben, was hier in Münster ja nahe liegt, oder mit dem Zeitalter der Religionskriege in Europa, die wissen, dass die furchtbarsten Kriege die religiös begründeten Kriege sind, weil bei den letzten Dingen eigentlich Kompromisse ausgeschlossen sind. Das 283

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macht ein Stück weit auch die Barbarei der Kriege im 20. Jahrhundert aus, dass sie auf säkularer Basis ‚Religionskriege‘ wurden, ideologische Kriege, die ebenfalls behaupteten, mit den letzten Dingen zu tun zu haben. Mit der iranischen Revolution 1979 dankte mehr und mehr der von Europa im 19. Jahrhundert übernommene Nationalismus ab, der sich in Panarabismus umsetzte, und von dessen Ausbildung sowohl die PLO, die Fatah in Palästina profitierten, aber auch andere Gruppen, sehr viel radikalere, in Syrien die Ba’ath-Partei und ebenso im Irak, die jungen Offiziere, die in Ägypten geputscht haben am Anfang der 50er Jahre, die bis heute, sehr alt geworden, aber nach wie vor faktisch die Macht halten. Sie finden ähnliche Einstellungen bei der FLN in Algerien genauso wie bei dem Militärregime unter Ben Ali in Tunesien, aber diese Entwicklung hat sich erschöpft. Diese Bewegungen sind in Korruption verfallen, haben ihre Kraft verloren und dort, wo sie die Macht haben, können sie nicht wirklich liefern, was die Mehrheit ihrer Bevölkerung will, nämlich wirtschaftlichen Fortschritt, Perspektive, aber auch das Gefühl, das eigene Leben selbst zu bestimmen in Würde. Diesen Faktor würde ich nicht unterschätzen, wenn wir den Nahen Osten betrachten. Dabei haben wir es mit einer zunehmend jungen Bevölkerung zu tun. In Gaza ist fast die Hälfte der Menschen unter 18 Jahren, etwas über vierzig Prozent. Ähnliche Werte gelten insgesamt für diese Region. Das heißt, der Druck in Richtung Radikalisierung, die Suche nach Überzeugungen, an denen sich junge Menschen festhalten können, an die sie glauben, wird natürlich zunehmen. Was wir feststellen ist – das gilt nicht nur für Palästina –, dass der Druck in Richtung Radikalisierung sehr stark zunimmt. Zwischen der Macht und der Mehrheit der Bevölkerung tut sich ein immer tieferer Graben auf, ein Defizit an Legitimation. Und mit Geheimdiensten und Bajonetten allein lässt sich auf Dauer schlecht überleben. Das ist eine Erfahrung, die wurde und wird nicht nur in dieser Region gemacht. Nur stellt sich dann die Frage eines sich völlig verändernden regionalen Umfelds für den Nahostkonflikt. Das lässt befürchten, dass die Selbstdefinition immer radikaler wird und immer mehr zurückgreift auf eine religiöse Fundierung und Begründung. Das wird aber einen Kompromiss, einen territorialen Kompromiss sehr viel schwerer machen. Die Hamas ist bereit, einen langfristigen Waffenstillstand einzugehen, aber sie lehnt jeden Friedensvertrag mit Israel ab, weil sie davon ausgeht, dass Israel kein Recht hat, in dieser Region zu existieren. Ich würde das nicht als Rhetorik unterschätzen. Es kommt hier eine neue Dimension hinzu und das Schlimme ist, dass die kompromissorientierten, die weltlichen Kräfte, mehr und mehr diskreditiert werden. Ich glaube, die Wahl der Hamas in einer freien und geheimen Wahl war ein Wendepunkt nach Rückwärts. Die Hamas hat gewonnen, weil sich die Fatah, eine weltliche, nationalistische Bewegung mehr und mehr diskreditiert hatte. Die Fatah war nicht in der Lage, das zu liefern, was die Menschen wollten, im Gegenteil. Die Menschen sahen, wie die Führer in Luxus lebten, aber 284

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nichts gegen die Armut taten. Die Islamisten agierten, wie früher bei uns Sozialdemokraten und Gewerkschaften und Kommunisten agiert haben. Sie haben sich um die alltäglichen Belange der Menschen gekümmert, haben sich als nicht korrupt erwiesen, haben dafür Sorge getragen, dass die Hungernden etwas bekamen, dass für Witwen und Waisen etwas getan wurde oder für Arbeitslose. Sie haben ein karitatives Netz aufgebaut. Aber es war nicht nur eine selbstlose Kirche, sondern das Ganze verfolgte natürlich einen politisch-radikalen Zweck, das darf man nicht vergessen. Diese Situation, die ich Ihnen gerade beschrieben habe, hat sich in hohem Maße zugespitzt, wie wir es jetzt in Gaza erleben. Ich sage es ganz offen, wenn wir heute noch einmal den Titel meines Vortrags festlegen müssten, wäre ich mir nicht sicher, ob ich dem Fragezeichen noch zustimmen würde. Man muss sich fragen, ob es nicht besser wäre, den Satz einfach indikativ stehen zu lassen: Ein unmöglicher Friede. Wenn Sie sich die Optionen anschauen, meine Damen und Herren, Sie sehen die Radikalisierung des israelisch-palästinensischen Konfliktes eingebunden in die Radikalisierung der Region. Es ist ja nicht nur eine Radikalisierung, die in Israel stattfindet. Wenn Sie sich die Lage in Ägypten anschauen, in anderen arabischen Staaten, dann werden Sie begreifen, dass es sich hier um eine regionale Entwicklung handelt, ja schlimmer noch, das eigentlich Fatale der Intervention, des Einmarsches, des Krieges der USA im Irak war, dass die USA selbst zu dieser Radikalisierung entscheidend beigetragen haben. Ja noch schlimmer, sie haben nicht nur zur Radikalisierung in den arabischen Ländern beigetragen, sondern sie haben zugleich die einzige Macht, die ein machtpolitisches Interesse an dieser Radikalisierung hat und die auch über eine staatliche Tradition verfügt, diese Macht stabil umzusetzen und zu erhalten, den Iran, in der Region in eine hegemoniale Rolle gebracht. Damit aber verlagerte sich der Schwerpunkt des Konflikts. Nicht mehr Israel, Palästina und der Westen der arabischen Welt waren das Zentrum und sind das Zentrum dieses Konfliktes, sondern fortan hat sich das Richtung Irak und den Golf verschoben. Und es geht nicht nur um die Frage der internen Radikalisierung, sondern um die Funktionalität der internen Radikalisierung in der arabischen Welt im iranischen Hegemonialinteresse. Also nicht nur, dass die Religion als Faktor eine neue Dimension dieses Konflikts hervorgebracht hat, sondern zugleich haben wir es jetzt mit einem hegemonialen Konflikt in dieser Region zu tun – dank des strategischen Genius des ausscheidenden amerikanischen Präsidenten Bush und seiner Berater. Irak ist jetzt Teil der iranischen Einflusszone geworden. Ich war bei einer Diskussion in Saudi-Arabien, deswegen erzähle ich das, weil das Problem so auf den Punkt kommt. Dort wurde auch über die Zukunft des Iran gesprochen; es war ein saudischer Konferenzteilnehmer, der mich fragte: „Herr Fischer, wenn Herr Bush, der 150.000 US-Soldaten im Irak hat, den Irak besuchen will, dann muss er nachts durch die Hintertür kommen und es ist ein 285

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Staatsgeheimnis, dass er kommt. Wenn Präsident Ahmadinedschad aus dem Iran Bagdad besucht, wird es zwei bis drei Wochen vorher verkündet, er landet auf dem Bagdader Flughafen bei hellem Sonnenschein und fährt unter dem Jubel der Massen nach Bagdad hinein.“ Und dann stellte der saudische Diskussionsteilnehmer mir die Frage: „Now Mr. Fischer, tell me – who is running the country?“ Das klingt lustig, ist aber das Gegenteil davon, weil es das Problem auf den Punkt bringt. Wir haben es gesehen 2006 im Norden: die Konfrontation zwischen Israel und der Hisbollah, der schiitischen Partei Gottes und ihres militärischen Flügels. Zu Recht wird das auch als der erste iranisch-israelische Krieg beschrieben. Was jetzt in Gaza stattfindet, ist nicht nur ein palästinensisch-israelischer Krieg, sondern der zweite iranisch-israelische Krieg. Nicht nur Israel ist besessen von der Tatsache, dass der Iran Nuklearmacht werden könnte. Fahren Sie in den Golf oder nach Saudi-Arabien, dort ist es fast noch ernster, was die Existenzängste anbetrifft angesichts des iranischen Nuklearprogramms. Das heißt, was wir gegenwärtig erleben, ist, dass die ganze Entwicklung weniger Richtung Mediation geht, weniger Richtung Frieden, sondern eher in die gegenteilige Entwicklung, dass sich die eh schon komplexe Konfliktsituation mit weiterer Komplexität noch auflädt. Und in diesem Zusammenhang stellt sich natürlich die Frage, welche Rolle spielt Europa dabei oder sollte, kann es spielen. Da komme ich zu einem entscheidenden Punkt. Ich habe festgestellt, selbst wenn Sie sehr gut sind beim Vermitteln eines Waffenstillstandes, bei der Umsetzung eines Waffenstillstandes bleibt Ihnen nur ein Instrument: das Telefon. Sie müssen in Washington anrufen, weil Sie ohne die USA und ihre Macht bei der Überwachung nicht wirklich weiterkommen. Zum ersten Mal, das war für mich ein Moment der Hoffnung, 2006, als die UN-Mission, die UNIFIL-Mission aufgewertet wurde durch eine stärkere europäische Teilnahme, vor allen Dingen von Frankreich, Italien und einigen anderen, es war ein Hoffnungspunkt. Dass europäische Polizisten bei der Kontrolle, bei den Grenzübergängen dabei waren, war ebenfalls ein Hoffnungspunkt. Aber meine Damen und Herren, meine Erfahrung ist die, die Überwachung, die Umsetzung – und sonst bleibt es gedrucktes Papier oder Sie sind von der Gutwilligkeit der Akteure abhängig und das ist keine starke Grundlage für einen Frieden – die Überwachung und die Umsetzung setzt Macht voraus. Frieden ohne Macht funktioniert nicht. Deswegen war ich als Minister allzu oft in einer Situation – und ich nicht allein, sondern gemeinsam mit den europäischen Kollegen, das galt nicht nur im Nahen Osten, sondern auch für die Tragödien der westafrikanischen Bürgerkriege, der Intervention dort – immer stand zur Frage: Setzen die USA ihre Macht ein, wenn nicht direkt vorne dann zumindest im Hintergrund? Das heißt, wenn wir über Frieden in solchen Konflikten sprechen, müssen wir auch über die Machtmittel sprechen, um die Umsetzung dieses Friedens garantieren, überwachen und zum Erfolg führen zu können. 286

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Ich denke, gerade in einer Welt, in der die Vernetzung der Konflikte immer offensichtlicher wird. Beachten Sie den Al Jazeera-Effekt, nicht nur in der arabischen Welt, sondern in der muslimischen Welt und darüber hinaus. Das was bei uns der sogenannte CNN-Effekt war, findet heute in zig Millionen Wohnzimmern, in denen der Fernseher läuft, Tag für Tag weltweit statt. Auch das verändert die politischen Bedingungen für einen Frieden essentiell. Es tut mir leid, meine Damen und Herren, dass ich Ihnen hier kein rosiges Bild malen kann, was angesichts der aktuellen Tragödie eh schon schwer fallen würde. Aber wie ich eingangs sagte, ich halte es für extrem wichtig, dass Sie versuchen, die wirklichen Antriebskräfte hinter den Bildern zu begreifen. Das ändert nichts an der Notwendigkeit unseres Mitgefühls und auch der Solidarität für die Menschen, die jetzt eine humanitäre Katastrophe durchmachen, getötet, verstümmelt werden und Angehörige verlieren. Aber es ist wichtig, wenn man Frieden will, die Bedingungen für Frieden zu begreifen und zu analysieren. Was ist zu tun? Alles wartet auf den neuen amerikanischen Präsidenten. Ist das eigentlich nicht traurig, wenn man sich Europa anschaut? Alles wartet auf den neuen amerikanischen Präsidenten. Ich auch, damit Sie mich nicht missverstehen. Es grenzt fast schon an Heilserwartung, was wir von dem Mann alles verlangen. Eine solche Form von Pro-Amerikanismus habe ich in meinem bisherigen Leben noch nicht erlebt, wenn ich ehrlich sein soll. Aber es reflektiert die reale Situation. Dabei hat Amerika selbst riesige Probleme. Dennoch, ich denke, es wird ganz entscheidend sein, dass Obama sich auf die Region konzentriert. Ich glaube nicht, dass es israelisch-palästinensischen Fortschritt gibt, wenn Syrien und Iran außen vor bleiben. Die Frage an Syrien und Iran allerdings ist, wenn eine regionale Vereinbarung mit ihnen nicht gelingt, dann wird die Konfrontation verstärkt, sehr viel gefährlicher und in aller Härte zurückkommen, weil der Konflikt dann nicht verschwindet. Dennoch meine ich, es wird wichtig sein, dass Präsident Obama und seine Außenministerin Hillary Clinton gemeinsam mit der Internationalen Gemeinschaft versuchen, nicht nur möglichst schnell einen Waffenstillstand herbeizuführen, sondern diesen Waffenstillstand dann auch wenigstens auf mittlere Sicht zu stabilisieren, die Konfliktparteien in einen Prozess einzubinden, sie nicht alleine zu lassen. Aber dennoch empfehle ich Prioritätensetzung: Versuche eine regionale Lösung an erster Stelle. Warum? Weil ich nicht glaube, wenn ich mir die innenpolitische Lage in Israel anschaue und bei den Palästinensern, die ja faktisch in einem Bürgerkrieg sind, dass es wirklich Akteure gibt auf beiden Seiten, die in der Lage wären, einen ernsthaften Prozess zu beginnen. Dabei wird eine der ganz schwierigen Fragen sein: Wie mit der Hamas umgehen? Die Isolationsstrategie ist gescheitert. Es ist leicht zu sagen: Redet mit ihnen, bindet sie ein, aber wenn sie an ihrer Wir-wollen-Israel-zerstören-These festhalten, wird es fast unmöglich sein. Deswegen meine ich, die Priorität sollte dem Versuch gehören, die regionalen Parameter zu ändern. 287

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Was heißt das? Das heißt zu versuchen, mit dem Iran die drei wesentlichen Konflikte einvernehmlich zu lösen: das Nuklearprogramm, den Verzicht auf Atomwaffen und die Rolle des Iran in der Region und ganz besonders im Nahostkonflikt. Wenn es gelingt, mit Syrien und Iran das, was man sozusagen auf Englisch ein ‚grand bargain‘ nennt, herbeizuführen, dann gewinne ich wieder Mut und Optimismus. Dann werden sich die veränderten regionalen Parameter auch auf den Nahostkonflikt, auf Israel und Palästina auswirken; wenn nicht, wird die Wirkung umso fataler sein. Vergessen wir nicht meine Damen und Herren, da ich Sie jetzt schon so in die stumme Depression mitgenommen habe, vergessen wir nicht, dass hinter dem Horizont die eigentliche Herausforderung so langsam sichtbar wird, und das ist die Gefahr einer zerfallenen Atommacht Pakistan. Jetzt habe ich Ihnen das ganze regionale Bild gezeichnet, wie es sich für mich darstellt. Ich finde, es ist wichtig, diese Probleme zusammen zu sehen. Es wird jetzt also entscheidend darauf ankommen, gelingt eine Veränderung der Grundparameter der Region? Und das ist leichter gesagt als getan, weil es im Nahen Osten mit Ausnahme Israels in nahezu allen anderen Staaten ein essentielles Interesse gibt: das Überleben des jeweiligen Regimes. Ägypten ist gegenwärtig besessen von der einen Frage, die Nachfolge für den Sohn von Präsident Mubarak zu sichern – Hafiz al-Assad ist dies in Syrien gelungen –, republikanische Dynastien also zu installieren, was diese Staaten nicht stabiler machen wird, aus meiner Sicht. Das Überleben des Regimes steht auch in Teheran an erster Stelle, in Damaskus, überall. Die Frage ist – und die kann niemand beantworten außer denjenigen, die dort das Sagen haben: Sehen sie für sich eine Perspektive, wenn sie einem Kompromiss zustimmen und sich öffnen, oder sehen sie für sich nur Gefahren und Risiken? Wenn das Zweite der Fall ist, wird es keine ernsthafte Bewegung geben. Insofern wird auf die amerikanische Diplomatie und auch die Europäer, die dort sehr hilfreich sein können, eine sehr wichtige Frage zukommen, nämlich: Wie kann man diesen Regierungen dabei helfen, sich zu öffnen ohne unterzugehen? Eine sehr schwierige, auch moralisch extrem schwierige Frage, meine Damen und Herren. Das ist aber etwas, was Sie in jedem Friedensprozess erleben. Wenn Sie ernsthaft daran interessiert sind, werden Sie immer vor die Abwägung gestellt. Oft müssen Sie Frieden mit Feinden schließen, die meistens furchtbare Dinge getan haben. Gerechtigkeit und Wahrheit gegen Frieden. Eine Abwägung, die dazu gehört. Ich habe jetzt gerade vor zwei Tagen auf einer Konferenz von einem Teilnehmer aus dem Sudan gehört, dass im Ostkongo und Uganda zwei Rebellenführer die Unterschrift verweigern, solange sie nicht vom Sicherheitsrat volle Amnestie bekommen. Das ist eine extrem schwierige Frage, meine Damen und Herren, weil auf der einen Seite alles nach Gerechtigkeit schreit. Wenn Sie aber wissen, was diese Typen zu verantworten haben, welche furchtbaren Gräuel an 288

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der Zivilbevölkerung begangen wurden und begangen werden, wie entscheiden Sie dann? Auf der anderen Seite wissen Sie ja auch: Ohne die Unterschrift geht das Grauen weiter. Ich bin in diesem Punkt der Meinung, dem Frieden den Vorrang zu geben, um das klar zum Ausdruck zu bringen und mich hier nicht hinter diplomatischen Formulierungen zu verstecken. Warum? Weil hier das alte Wort gilt, Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sie mahlen. Wir haben es in Lateinamerika erlebt, in Argentinien und Chile. Dort gab es Amnestien und dennoch: Ab einem bestimmten Punkt wurden sie zurückgenommen und die Verfolgung tat das ihre. Das gilt in anderen Konflikten ganz genau so, auf dem Balkan, wo auch immer. Das sind schwierige Abwägungen. Es ist leicht gesagt: Mediation. Es hört sich gut an: Friedensbringer, Friedensnobelpreis, weiß der Teufel was alles. Aber wenn Sie vor solchen Fragen stehen, ist die Lösung nicht einfach. Das sind aber Fragen, die werden sich die westlichen Regierungen und andere, die sich ernsthaft um eine Veränderung der Grundparameter der Region bemühen, gegenüber allen Regimen stellen müssen. Wenn wir sie als Partner brauchen, wie können wir ein Stück weit zu ihrem Überleben so beitragen, dass sie bereit sind, Kompromisse zu schließen und sich zu öffnen? Das wird die schwierigste und am schwierigsten zu beantwortende Frage sein. Also, meine Damen und Herren, im Nahostkonflikt kann es gut sein, dass wir vor einem unmöglichen Frieden stehen. Ich hoffe, dass noch vor der Amtsübernahme Barack Obamas allerdings ein Waffenstillstand in Gaza erreicht werden kann, denn ein militärischer Sieg mag dort möglich sein, politisch allerdings ist der Kampf so niemals zu gewinnen, sondern wird nur immer tiefer in den Morast und in das Labyrinth dieser hundertjährigen Tragödie hineinführen.

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Zwischen Krieg und Frieden Oder: Der Mensch bemüht sich. Weiß die ‚Struktur‘ es besser? Hans-Georg Soeffner 1. Ein produktiver Widerspruch: der Antagonismus von Krieg und Frieden Zum Ausgangspunkt seiner ‚Idee einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht‘ 1 und seiner Überlegungen zur Möglichkeit eines gewaltfreien Zusammenlebens aller Völker: zu einem friedlichen Weltbürgertum, nimmt Kant, der große – meist skeptische – Aufklärer, eine im Kern negative Anthropologie, von der er – nun nicht mehr skeptisch – hofft, dass sie zu einem guten Ende führen werde. Der Mensch, so Kant, sei von sich aus ganz und gar nicht von vornherein gut, friedlich und auf Harmonie aus. Im Gegenteil: Sein Wesen sei geprägt durch den unaufhebbaren „Antagonism“ der „ungeselligen Geselligkeit“. 2 Zwar habe er eine „Neigung, sich zu vergesellschaften; weil er in einem solchen Zustande sich mehr als Mensch, d. i. die Entwicklung seiner Naturanlagen“, fühle. „Er hat aber auch“, fährt Kant fort, „einen großen Hang, sich zu vereinzeln (isolieren); weil er in sich zugleich die ungesellige Eigenschaft antrifft, alles bloß nach seinen Sinnen richten zu wollen, und daher allerwärts Widerstand erwartet, so wie er von sich selbst weiß, daß er seinerseits zum Widerstande gegen andere geneigt ist. Dieser Widerstand ist es nun, welcher alle Kräfte des Menschen erweckt …, seinen Hang zur Faulheit zu überwinden, und, getrieben durch Ehrsucht, Herrschsucht oder Habsucht, sich einen Rang unter seinen Mitgenossen zu verschaffen, die er nicht wohl leiden, von denen er aber auch nicht lassen kann“. 3 Kants Hoffnung zielt darauf, dass gerade der Antagonismus der ungeselligen Geselligkeit, der die Natur des Menschen ausmacht, zu einem zwar mühselig zu erringenden, letztlich aber willentlich und vernünftig geschaffenen Friedensvertrag zwischen den einzelnen Menschen und den Völkern insgesamt führen werde. Zwar liebe jeder Mensch, vor allem aus Bequemlichkeit, auch von sich aus „Eintracht“, weil er „gemächlich und vergnügt leben“ wolle, „aber die Natur weiß besser, was für seine Gattung gut ist: sie will Zwietracht“. Sie will ihn aus seiner „Lässigkeit und untätigen Genügsamkeit“ 4 herausholen und zwingen, seine ungesellige Geselligkeit produktiv zu nutzen. Denn einerseits ist „der Mensch … ein Tier“, gekennzeichnet durch seine „selbstsüchtige tierische Nei290

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gung“ 5, anderseits verfährt er in seinen „Bestrebungen nicht bloß instinktmäßig, wie Tiere“ 6. Dadurch ist uns „von der Natur [etwas] auferlegt“ 7, dem wir uns annähern müssen, um aus der Negation des in uns angelegten Antagonismus eine Position zu machen. Hier wird bereits ein Gedanke formuliert, den Helmuth Plessner später aufgreifen, variieren und ausarbeiten wird. 8 Denn Kant stellte fest: „Die Rolle des Menschen ist [also] sehr künstlich“. 9 Und eben dieser Künstlichkeit verdanken wir das, was das menschliche Tier von seinen tierischen Geschwistern unterscheidet. Sie verlangt von uns, unser Leben nicht einfach zu leben, sonden es bewusst zu führen und uns eine Umgebung zu schaffen, die unserer ‚natürlichen Künstlichkeit‘ entspricht: „Alle Kultur und Kunst, welche die Menschheit zieret, die schönste gesellschaftliche Ordnung, sind Früchte der Ungeselligkeit, die durch sich selbst genötigt wird, sich zu disziplinieren, und so, durch abgedrungene Kunst, die Keime der Natur vollständig zu entwickeln.“ 10 In der Nachfolge Kants konstatiert Georg Simmel für die Soziologie, dass „eine Gruppe, die schlechthin zentripetal und harmonisch, bloß ‚Vereinigung‘ wäre, nicht nur empirisch unwirklich ist, sondern auch keinen eigentlichen Lebensprozess aufweist“. 11 Auch für Simmel ist der Mensch gekennzeichnet durch einen „Oppositionstrieb“ oder „Oppositionsinstinkt“: „Der erste Instinkt, mit dem [eine Persönlichkeit, H.-G. S.] sich bejaht, [ist] die Verneinung des anderen“. 12 Konfliktfreiheit und friedliche Harmonie sind somit nur in einer statisch in sich ruhenden Gemeinschaft von Heiligen oder Engeln zu haben. Dante beschreibt für das Paradies eine solche ewige Harmonie mit dem Bild einer weißen, nie welkenden Rose: „In dem Gewande einer weißen Rose / erschien mir also die geweihte Herde / die Christi Blut erlöste von dem Menschenlose“. 13 Diese vom Menschenlose erlöste, geweihte Herde ruht in sich selbst. Sie kennt keinen Streit, keine Planung und Entwicklung, keine Vergangenheit und Zukunft. Sie lebt in einer ewigen Gegenwart. Alles Menschliche ist ihr fremd. In diesem himmlischen Paradies „stirbt das Naturgesetz am trocknen Aste“ 14 und mit der alten Natur sowohl Oppositionsinstinkt als auch die ungesellige Geselligkeit. Denn die alte Natur sah anders aus. Man solle, so Simmel, nicht „vergessen, dass in frühen Kulturzuständen der Krieg fast die einzige Form bildet, in der es überhaupt zu einer Berührung mit fremden Gruppen kommt“. 15 Was für das Verhältnis der Individuen gelte, dass nämlich für uns selbst „im Unglück unserer besten Freunde etwas ist, was uns nicht völlig missfällt“, 16 das bestimme im Grunde auch das Verhältnis unterschiedlicher Gruppen und Völker zueinander. Daraus folgt allerdings weder zwingend, dass der Mensch des Menschen Wolf ist (Hobbes), noch dass aus dem Oppositionsinstinkt und der ungeselligen Geselligkeit unterschiedlos ein Freund/Feind-Verhältnis (Carl Schmitt) abgeleitet werden kann, das sowohl das menschliche Zusammenle291

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ben als auch die Beziehung von Staaten zueinander prägt. Festzuhalten ist dennoch, dass Interessenkonflikte große Bereiche der menschlichen Interaktion formen und als Machtkämpfe ausgetragen werden. Dabei verstehe ich, mit Max Weber, „Macht“ als „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht“. 17 Webers allgemeine Definition legt nahe, nach den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen zu fragen, aus denen sich Chancen ergeben, Macht auszuüben, denn von diesen Bedingungen hängt weitgehend ab, welche Form die Gewaltausübung annimmt – von der unmittelbaren physischen Gewalt über die Drohung bis hin zu mehr oder weniger subtilen Formen der sogenannten ‚psychischen‘, verdeckten Gewalt und Einflussnahme (politische Propaganda; religiös motivierte Strafandrohungen; das Einklagen von ‚Gruppen‘-, ‚Klassen‘-, Volkssolidarität; Werbung; Verhaltenssteuerung im Gewand von Psychotherapien etc.). Im Anschluss an Simmel und die ihm später folgenden Theorien ‚funktionaler gesellschaftlicher Ausdifferenzierung‘ (Strukturfunktionalismus, Systemtheorie) lässt sich – sehr verallgemeinert – vermuten: Je einfacher, undifferenzierter Gruppen, Gemeinschaften, Kulturen, Gesellschaften strukturiert sind, umso basaler fallen die Konfliktauslöser und die Formen der Machtausübung aus. So regiert beim Kampf um Ressourcen und um das unmittelbare Überleben des Einzelnen oder der Gruppe das Prinzip des destruktiven Gabentausches: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Je (aus)differenzierter und ‚pluralistischer‘ dagegen Gesellschaften strukturiert sind, umso höher fällt einerseits das Potenzial an Interessen und damit auch an Konflikten aus. Gleichzeitig aber sind andererseits die Individuen eingebunden in ein ständig wachsendes Netz unterschiedlicher Verpflichtungen und Loyalitäten. 18 Mit dieser Zunahme der gesellschaftlichen „Wechselwirkungen“ (Simmel) entsteht ein größerer Druck zum Interessenab- bzw. ausgleich. Damit wächst auch das Konfliktlösungspotenzial, eine Tendenz, an der Kulturkritiker gern vorbeisehen. Auf den ersten Blick also scheint die in den modernen Gegenwartsgesellschaften zu beobachtende Omnipräsenz von Interessenkonflikten und Machtkämpfen zu empfehlen, nach der alten Formel zu verfahren: Si vis pacem, para bellum! 19 Das genauere Hinsehen rät dagegen zu folgender Maxime: Wenn du den Frieden willst, so wisse, (1) dass dieser, sofern du ihn erreichst, nicht dauerhaft sein wird und (2) dass du dich schon im Voraus aller Mittel vergewissern musst, ihn im Konfliktfall wieder herzustellen. Als Mitglieder moderner, ausdifferenzierter, pluralistischer Gesellschaften sind auch wir noch ungesellige Gesellige. Aber anders als Sippen- oder Stammesangehörige vergangener Zeiten bewegen wir uns in einem Spektrum von sowohl zunehmenden als auch ständig variierenden Interessenkonflikten und Machtkämpfen einerseits und ebenso zunehmenden und variierenden Abhän292

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gigkeiten und Loyalitäten andererseits, also zwischen (1) dem Wunsch und der Chance, eigene Machtansprüche durchzusetzen, solange ihnen nicht genug Widerstand entgegengesetzt wird, einer Chance, die durch das Netzwerk von Wechselwirkungen eingegrenzt ist, und damit (2) einer erzwungenen Interessen- und Machtbalance, weil unsere Macht nicht ausreicht, anderen gegen ihr Widerstreben den eigenen Willen aufzuzwingen. Dies gilt sowohl für die Konflikte innerhalb einer Gesellschaft als auch für zwischenstaatliche Konflikte. Da der Staat und die Staaten-‚Gemeinschaft‘ nicht getragen werden von einer „erlösten, geweihten Herde“ (s. oben), sondern eher den „modus vivendi des argen Menschen“ 20 repräsentieren, einen „Notbehelf“ 21 zur Koordinierung von Egoismen ungeselliger Geselliger, werden wir zur Einsicht in die Notwendigkeit eines Gesellschaftsvertrages – auch für eine ‚Weltgesellschaft‘ – gezwungen. Es muss ein Vertrag sein, der auf rechtlicher, verfahrenssicherer Basis das Verhältnis von Individuen, Gruppen, Interessengemeinschaften, Gesellschaften und Staaten zueinander als einen Austausch von Interessen, Rechten und Pflichten sichert. Machtansprüche und ihre Institutionalisierung in Herrschaftssystemen können darin als konkrete Herrschaftsausübung von – durch Wahl legitimierten – Herrschenden über die – ihre Macht deligierenden – Beherrschten dementsprechend nur auf rechtlicher Grundlage und temporär wahrgenommen und durchgesetzt werden. Wenn die Grundstruktur menschlicher Vergesellschaftung gekennzeichnet ist durch einen andauernden Prozess der Lösung von Interessenkonflikten, die ihrerseits sowohl anthropologisch als auch konkret historisch immer schon die antagonistische Ausgangssituation menschlicher Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie menschlichen Handelns konstituieren, so kann es nicht einfach und schon wieder darum gehen, Konflikt, Streit und Krieg in die Sprichwort‚Weisheit‘ zu kleiden, sie seien die ‚Väter aller Dinge‘. Vielmehr kommt es darauf an, die Typen, Erscheinungsformen und Bedingungen der Beendigung von Konflikt, Streit und Krieg herauszuarbeiten.

2. Sieg oder Niederlage, Versöhnung oder Kompromiss Der totale Sieg und die vollständige Niederlage sind im gesellschaftlichen Leben Ausnahmeerscheinungen. Selbst im Sport und in regelgeleiteten Kampfspielen, bei denen noch am ehesten per definitionem oder durch die Zuschauer triumphaler Erfolg oder desaströser Misserfolg gefeiert oder erlitten werden, stellen nicht den Normalfall dar (Punktesieg, Platzierung, technischer k.o. vs. Niederschlag etc.). Dennoch misst sich an ihnen, eben weil sie den realisierten Extremfall in den Blick bringen, sowohl das Wunschpotenzial (im Falle des imaginierten Sieges) als auch – vor allem am Beispiel von absoluter Niederlage und Vernichtung (Mord, Genozid) – das Bedrohungsszenario. Gründe für einen Sieg lassen sich leicht benennen: physische, militärische, 293

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taktische, intellektuelle, moralische etc. Überlegenheit des Siegers, der nach seinem Sieg die Geschichte schreibt und sich dabei gern mit all diesen Qualitäten schmückt. 22 Sieht man sich die jeweiligen Siege genauer an, so finden sich auch andere Ursachen: das Friedensbedürfnis einer Partei, die sich ihrer eigenen Halsstarrigkeit gegenüber einer widersinnigen Aufrechterhaltung des Streites schämt; die Resignation eines Diskutanten gegenüber einem ebenso lauten wie törichten, aber populären Debattenbeitrag des Gegners; die Kriegsmüdigkeit eines Volkes, das sich seit langem in eine Kette von Kriegen mit unterschiedlichen Gegnern verwickelt sah. Am Streit von Kindern lassen sich darüber hinaus noch unterschiedliche Reaktionen auf einen Konflikt zeigen, bei dem überraschend das Streitobjekt wegfällt, z. B. weil die Mutter das Streitobjekt, eine Puppe, an sich nimmt. Zum einen kann hier der Streit ‚schlagartig‘ enden; zum anderen kann sich das eine Kind mit ein bisschen Selbstbetrug nachträglich als Sieger fühlen, weil ja dem Kontrahenten die Puppe weggenommen wurde; ebenso können sich beide, falls sie sich nicht gegen die Mutter verbünden, schämen, weil sie nachträglich die Unsinnigkeit ihres Streites und ihrer Aggressivität erkennen; schließlich lassen sich die Emotionen umlenken, indem die Kinder ein neues Streitobjekt finden und sich nun um den Teddybären schlagen. All diese Reaktionen kann man ohne große Mühe auf andere ‚höher aggregierte‘, gesellschaftliche Konfliktarten übertragen, denen – aus welchem Grund auch immer – das Streitobjekt abhanden kommt. In einigen Fällen, so etwa bei sogenannten ‚Erbfeindschaften‘ oder ‚ethnischen Konflikten‘, die sich an unterstellten Volkscharakteren und/oder Kulturmustern, Religion, Speise-, Kleidungs-, Feiertagsvorschriften etc. entzünden und wach halten, gibt es – bei wechselndem ‚Kriegsglück‘ – im eigentlichen Sinne solange weder Sieger noch Besiegte, wie man an den eigenen Abgrenzungs- und Zuschreibungsbemühungen festhält: Gerade im Interesse des Hervorhebens der eigenen und der Exklusion der anderen Gruppe muss allen Beteiligten daran gelegen sein, den Konflikt aufrecht zu erhalten, da bei Sieg oder Niederlage jenes feindliche Gegenüber, der Negativspiegel, wegfiele, demgegenüber das eigene, positive Selbstbild besonders hell leuchtet. Anders als bei einander feindlich gegenüberstehenden Gruppen oder Gemeinschaften ist bei einer persönlichen Auseinandersetzung zwischen zwei Individuen die Chance erheblich höher, dass der Streit bis zu einem ‚bitteren Ende‘ geführt, also der vollständige Sieg und die Vermeidung der eigenen Niederlage mit allen Mitteln gesucht werden. Gerade durch diese Zuspitzung werden jedoch die Streitenden gezwungen zu versuchen, selbst der scheinbar unvermeidlichen Niederlage noch einen Gewinn abzutrotzen, indem sie die eigene Schwäche und Niederlage zu einem moralischen Sieg verklären: ‚Der (moralisch) Stärkere gibt nach‘. Gegenüber einer solch bigotten – nur an der Oberfläche kritischen – Haltung arbeitet Simmel einen anderen, ebenso bewusst reflektiven wie auch 294

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emotional tief gehenden Typus eines letzten Sieges in der Niederlage heraus: das dezidierte Eingeständnis der eigenen Schwäche (um die man ebenso weiß wie um eigene Stärken). Die paradoxe Stärke dieser Schwäche liegt darin, dass sich daraus die Chance der entschiedenen „Freiwilligkeit des Sich-besiegt-Erklärens“ ergibt und damit die Chance zu einem letzten Machtbeweis des Subjektes: „dieses Letzte wenigstens hat es noch gekonnt, ja, es hat damit dem Sieger noch etwas geschenkt“. 23 Dass Letzterer über dieses zweideutige Geschenk durchaus nicht glücklich ist, es im Gegenteil oft sogar als Affront empfindet, liegt nicht zuletzt daran, dass dem Sieger verdeckt suggeriert wird, er sei der eigentlich Schwächere, dem man nachgegeben habe, ohne wirklich dazu gezwungen worden zu sein. Über Simmels Analyse hinaus lässt sich in der durch „Freiwilligkeit des Sich-besiegt-Erklärens“ neu konstituierten, sozialen Beziehung zwischen Sieger und Besiegtem auch der Versuch des Besiegten erkennen, den Sieger auf Fairness zu verpflichten: auf die große Geste des Eingeständnisses der Schwäche mit der Großmut der Stärke zu antworten. Dadurch würde der vermeintlich schale Sieg nachträglich dennoch (moralisch) vergoldet – sofern der Sieger über ein ähnlich hohes Reflexionsniveau verfügt wie der Besiegte. Auch hier lassen sich im Übrigen Interaktionsmuster erkennen, die auch in zwischenstaatlichen Politikstrategien einsetzbar sind: Die bedingungslose Kapitulation des Besiegten verbunden mit demonstrativer freiwilliger Unterwerfung und Bewunderung des Siegers produziert zwar nicht per se Marshallpläne, erleichtert sie aber. So knapp und unvollständig im Vorangegangenen das Wechselverhältnis von Sieg und Niederlage dargestellt wurde, es steht doch für eine verallgemeinerbare, nur vordergründig triviale Grundstruktur, die sich wiederum als ein unauflöslich miteinander verbundenes Gegensatzpaar darstellen lässt: (1) Der Frieden als Ergebnis des Streites/Krieges enthält – wenn auch oft bewusst überspielt oder verdeckt – noch alle wesentlichen Elemente des Ausgangskonfliktes. Eben diese geben jedem Friedensschluss sein besonderes Gesicht. Ebenso enthält (2) der Streit/Krieg als Beendigung eines Friedenszustandes jene Elemente des (vordergründig) friedlichen Zusammenlebens, die für die späteren Gegner schon zu Friedenszeiten strittig waren. Damit verweist dieses Gegensatzpaar seinerseits auf die gesellschaftliche und auch politisch strukturell wahrscheinlichste, zugleich rationalste Lösung von Konflikten: auf den Kompromiss. Er verkörpert die bewusste Suche nach Gemeinsamkeiten bei gleichzeitigem Wissen um (oft auch unüberbrückbare) Differenzen. Zugleich repräsentiert er die Prozesshaftigkeit des Wechselspiels von sich ändernden Interessen, Bündnissen und Machtkonstellationen. Im Gegensatz hierzu steht ein völlig anderer Typus der friedlichen Beendigung von Streit und Krieg: die Versöhnung. Sie hält dem Rationalitätskonzept des Kompromisses eine – im strikten Sinne existenzielle – Grundidee entgegen: Ihr gelten, wiederum im Anschluss an Simmel, 24 die folgenden Überle295

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gungen, vor deren Hintergrund sich sowohl die Besonderheit und Unwahrscheinlichkeit der Versöhnung als auch die hohe Variierbarkeit und Wahrscheinlichkeit des Kompromisses herausheben. Anders als einer sozialen Beziehung, die gekennzeichnet ist durch das wechselseitige Bemühen, die eigenen Interessen und Machtansprüche gegen das Widerstreben des Gegners durchzusetzen, liegt der Versöhnung eine Haltung zugrunde, die Krieg und Streit vorausgeht und damit dem Konflikt von vornherein einen anderen Akzent gibt: Es ist die Wertschätzung nicht nur des Gegners, sondern auch der sozialen Beziehung zu ihm als solcher. Ebenso wie die „Streitlust“, die – gegen alle Rationalität – den Kampf sucht, steht die „Versöhnlichkeit“ für eine „primäre Stimmung, die ganz jenseits objektiver Gründe, den Kampf zu beenden versucht“. Diese „irrationale Versöhnlichkeitstendenz“ ist, so Simmel, „etwas ganz anderes … als Schwäche oder Gutmütigkeit, soziale Moral oder Nächstenliebe“. 25 Es ist eine Tendenz, der grundsätzlich daran liegt, den Bruch zu vermeiden und die zudem selbst dann weiterbesteht, wenn es zu einem Bruch kommt. Denn für denjenigen, den diese Grundstimmung trägt, wird gerade an der Entzweiung der Wert des anderen und der Beziehung zu ihm schmerzhaft deutlich. Man will sich allerdings weder versöhnen, weil man sich ‚plötzlich‘ dessen bewusst wird, dass man den anderen braucht, noch weil man sich und dem anderen etwas Gutes tun will, um einander zu befrieden. Vielmehr sieht man eine soziale Beziehung bedroht, die allein durch ihre Existenz dem eigenen Leben einen Sinn verleiht, der nicht zu ersetzen ist. Nicht nur ist hier das Leiden an Bruch und Entzweiung besonders intensiv, sondern es überträgt auch seine Intensität auf den Willen zur Versöhnung. Ziel der Versöhnung soll dabei gerade nicht sein, alles zu vergessen, was zum Bruch geführt hat. Denn dadurch würden sowohl die ursprüngliche soziale Beziehung als auch die bedrohliche und tiefgehende Erfahrung des Bruches entwertet. Vielmehr kann es nur darum gehen, diese Erfahrung zur Grundlage einer neuen, vertieften sozialen Beziehung und einer erhöhten wechselseitigen Wertschätzung zu machen. Theodor Fontane schildert in seiner Ballade ‚Archibald Douglas‘ eine solche Versöhnung. Fontane zeigt zunächst an dem quälenden Parcours des sich im Kettenhemd neben dem ‚hoch zu Ross‘ reitenden König herschleppenden Douglas sowohl den intensiven Willen des um Versöhnung Bittenden, als auch mit der ebenso entschiedenen Zurückweisung der Bitte durch den König die Tiefe der Entzweiung und Verletzung, die aufgrund eines früheren Bruches zwischen beiden bestehen. Wenn König Jakob am Ende der Ballade schließlich doch vom Pferd herabspringt und – sich auf eine Ebene mit dem Bittenden stellend – dem ehemaligen Seneschall das königliche Schwert mit den Worten überreicht: Nimm’s hin, nimm’s hin und trag es neu, 26 so deutet sich hier der seltene – gemessen am Normalrepertoire sozialer Beziehungen: unwahrscheinliche – Typus einer Versöhnung an. Sie stellt – jenseits der Standesgrenzen und 296

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Herrscher-Vasallen-Symbolik – die Sozialbeziehung zwischen zwei Personen an sich in den Mittelpunkt, eine Beziehung, die weder durch einen einseitigen Gnadenerweis oder ‚milde‘ Vergebung, noch gar durch ein rationales Kalkül gekennzeichnet ist, sondern durch die primäre, wechselseitige Bindung und gegenseitige Wertschätzung zweier Personen. An diesem Beispiel sollte zudem deutlich geworden sein, dass sich ein solches Versöhnungsmodell nicht auf die sogenannte ‚Versöhnung zwischen Völkern‘ übertragen lässt: Völker sind weder Subjekte noch gar Persönlichkeiten, sie können weder ihre Existenzen ganzheitlich aneinander binden, noch erhält ihre Existenz durch eine solche Bindung einen konstituierenden, übergeordneten Sinn. Weil solche persönlichen Bindungen auf einer letztlich irrationalen Verknüpfung zweier menschlicher Existenzen, der daraus entspringenden wechselseitigen Wertschätzung und der existenziellen Fundierung eines gemeinsamen ‚Lebenssinnes‘ beruhen, 27 lassen sie sich auch nicht auf nächste Generationen vererben. Das Gleiche gilt für Versöhnungen. Jede Versöhnung ist so einmalig wie das enge, unmittelbare Wechselverhältnis der einander bindenden Personen, das der Entzweiung vorausgeht und das durch die Versöhnung auf eine ebenso enge, aber neue Basis gestellt wird. Vor dem Hintergrund der Irrationalität, hohen Emotionalität und Rarität der Versöhnung werden Rationalität, Reflektiertheit und Verfahrensorientiertheit der Kompromissbildungen besonders gut sichtbar. Wie bei Friedensschlüssen generell (s. oben), so lassen sich auch an Kompromissen die Besonderheiten der ihnen vorausliegenden Konflikte, Kriege und Streitigkeiten erkennen, und umgekehrt verweist die Spezifik eines Konfliktes, Streites oder Krieges darauf, ob sie überhaupt einem Kompromiss zugänglich sind. Sofern bei Auseinandersetzungen ein Streitobjekt erkennbar ist, zeigt sich darüber hinaus, dass ein Kompromiss dann unwahrscheinlich oder gar unmöglich ist, wenn das Streitobjekt unteilbar oder unersetzbar ist: Nebenbuhlern beim Kampf um die Gunst einer Frau; 28 Sammlern, die um ein Unikat konkurrieren; Gläubigen, die einem allein seligmachenden Gott anhängen oder eine bestimmte heilge Stadt verteidigen; Rächern, die einen konkreten Täter zur Strecke bringen wollen, kann man kaum Kompromisse anbieten. Entsprechend unwahrscheinlich sind hier ‚rationale‘ Lösungen. Erheblich größer sind die Chancen, einen Konflikt zu lösen, wenn das Streitobjekt teilbar oder ersetzbar ist, so etwa beim Tausch eines Territoriums gegen ein anderes oder bei der Teilung eines Gebietes, bei der sich beide Parteien als Teilsieger fühlen dürfen. Ähnliches gilt für die Zahlung von Entschädigungen. Diese stößt jedoch an ihre Grenzen, wenn es um ideelle oder existentielle Verletzungen der gegnerischen Partei oder des Opfers geht. Hier zeichnet sich sehr schnell ab, wo materielle Entschädigungsleistungen kein oder nur ein unzureichendes Äquivalent gegenüber einem immateriellen Schaden darstellen. Dementsprechend ist weder der gegenwärtig von der Rechtsprechung erprobte Täter-Opfer-Ausgleich bei einer erheblichen Schädi297

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gung des Opfers möglich, weil hier vom Opfer deutlich mehr verlangt wird, als es zu leisten ‚willens oder imstande‘ ist und weil durch die Gegenleistung des Täters die grundlegend gestörte Sozialbeziehung zwischen beiden Seiten auf der Basis von Tauschmechanismen nicht ‚geheilt‘ oder ‚ausgeglichen‘ werden kann. Noch lassen sich Völkermord oder Holocaust nach dem Entschädigungsmodell ‚ausgleichen‘. Das in den Bezeichnungen ‚Wiedergutmachung‘, ‚Ausgleichfonds‘ oder ‚Abfindung‘ zum Ausdruck kommende Begriffsprekariat verweist von sich aus auf das nicht zu beseitigende Ungleichgewicht zwischen Schaden und Entschädigung. Daran wird deutlich, dass einerseits die Täter, indem sie sich zu Entschädigungsleistungen verpflichten (oder dazu gezwungen werden), ihre Verantwortung sowohl materiell als auch symbolisch beweisen (müssen), den Konflikt beizulegen, dass aber andererseits nur an der – materiell nicht zu erzwingenden, sondern lediglich freiwillig angebotenen – Bereitschaft der Opfer abzulesen ist, ob das Bemühen der Täter anerkannt wird oder nicht. Eine der größten Leistungen der Kompromissbildung kann dann erreicht werden, wenn es den streitenden Parteien gelingt, das Streitobjekt auszuklammern, indem man es zwar einerseits benennt und definiert, zugleich aber die Definition dazu benutzt, das Verbot auszusprechen, das Streitobjekt weiterhin als Streitgrund zuzulassen. Der Augsburger Religionsfrieden (1555) steht für einen solchen Versuch: Die Anerkennung der Differenz zwischen unterschiedlichen Religionsrichtungen wird zur Grundlage genommen, durch die Verpflichtung auf die Einhaltung einer gemeinsamen Regel (cuius regio – eius religio) ein friedliches Nebeneinander der Streitenden zu garantieren. Bereits Kubilai Khan (13. Jahrhundert) hatte in China wie später Akbar der Große (16. Jahrhundert) in Indien auf ähnliche Weise versucht, das friedliche Nebeneinander von Religionen in seinem Reich zu gewährleisten: Die Reichsverfassungen gewährten Religionsfreiheit, solange die Religionen einander nicht bekämpften, sondern sich in ihrer Differenz anerkannten. Auch die Verfassungen moderner demokratischer Staaten – ebenso wie die Charta der Vereinten Nationen – versuchen, diesem Prinzip gerecht zu werden. Heute erhält die Europäische Einigung eine Art Modellcharakter: Sie ist das Ergebnis von Jahrhunderte währenden Religionskriegen, nationalen und kulturellen Konflikten, zwei Weltkriegen, Vertreibungen, ethnischen ‚Säuberungen‘ und Genoziden. Sie ist entstanden sowohl aus der Erkenntnis der grundlegenden Differenzen zwischen den Staaten und innerhalb staatlicher Grenzen als auch aus dem darauf basierenden vereinten Versuch, aus diesen Differenzen eine gemeinsame „Kultur des Unterschiedes“ (Richard Sennett) entstehen zu lassen: Es sollen dezidiert die Unterschiede sein, die den spezifischen Wert dieser Kultur ausmachen. Für ‚Leitkulturen‘ ist hier kein Raum. Da wäre es eine der schlechtesten Lösungen, die Hoffnung auf eine ‚Küngisierung‘ zu setzen, darauf also, dass man die Unterschiede zwischen den Religionen und den Kulturen einebnet und eine Art Nebeneinander von an298

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geblich im Kern Gleichem postuliert. Carl Schmitt hat seine Kritik an derartigen Versuchen im Rückgriff auf Lessings Ringparabel formuliert: „Wenn man schon drei Ringe so täuschend echt imitieren kann, dass der echte Ring überflüssig wird …, dann ist beim besten Willen nicht einzusehen, warum man nur drei und nicht allmählich auch dreißig oder dreihundert Ringe imitieren und in den Kurs bringen soll“. 29 Anders ausgedrückt, der geballte gute Wille zum Werteaus- und abgleich repräsentiert nichts anderes als die innere Logik einer nivellierenden Neutralität, deren entscheidende Fehlleistung darin besteht, dass sie die gesellschaftlichen Antagonismen zum Verschwinden bringen will – mit der Folge, dass mit diesem Verschwinden auch die gesellschaftliche Produktivität und Erneuerungsfähigkeit absterben. Dieser Logik fehlt ein Drittes: eine übergeordnete Wertidee, die aus der existierenden Differenz der Werthaltungen selbst einen Wert macht. Simmels Feststellung: „Im Ganzen ist der Kompromiss … eine der größten Erfindungen der Menschheit“ 30 spielt implizit auf die strukturell gegebene Tendenz des Kompromisses an, zwei oder mehrere streitende Parteien auf die Suche nach einem vermittelnden Dritten zu schicken. Im Spannungsfeld zwischen (vorgeblich) nicht zu Verhandelndem und dem Zwang, dem Gegenüber etwas anbieten zu müssen, entsteht ein Möglichkeitsraum, der sich in einen (begrenzten) Freiheitsspielraum umgestalten lässt. Was die streitenden Parteien am meisten fürchten müssen, ist eine Pattsituation. Sie würde den Konflikt ‚zementieren‘, weil sie den Erfolg (oder die Erfolgsillusion) beider Parteien grundsätzlich in Frage stellt.

3. Die Suche nach dem Dritten. Typen des Dritten Die Furcht vor dem Patt führt meist dazu, ein bewährtes Verfahren als vermittelndes Drittes einzusetzen, das sich distanzierend und schützend zwischen die Streitenden schiebt. Dieser Umweg gestattet es ihnen, formal das Gesicht zu wahren: Es hat sich nicht die eine Partei der anderen, sondern beide haben sich einvernehmlich einem bewährten, oft durch Tradition ‚geheiligten‘ Verfahren oder einer Regel unterworfen. Die Volksabstimmungskaskade über die Zugehörigkeit des Saarlandes zu Frankreich oder Deutschland (1955/1956/1957) bietet ein gutes Beispiel für die Lösung eines Konfliktes zwischen früheren ‚Erbfeinden‘ durch ein bewährtes und durch Völkerrecht abgesichertes Verfahren. Ebenso kann der Druck von außen dazu führen, dass die Streitenden ihn produktiv aufnehmen, indem sie die ‚Drückenden‘ zur Vermittlung aufrufen und in die Lösung einbinden. Etwa dann, wenn ein streitendes Ehepaar sich an die ‚Großfamilie‘ (beide Abstammungsfamilien) oder an Honoratioren (Schiedsleute) wendet, um seinen Konflikt zu lösen. Einen ähnlichen Versuch unternehmen Staaten, wenn sie zur Lösung ihres Konfliktes die Staaten299

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gemeinschaft anrufen, die ihrerseits, weil sie solche Versuche kennt, oft schon von sich aus prospektiv und mithilfe bekannter (oft gerade deswegen wirkungsloser) Drohgebärden Vermittlungsbemühungen einleitet. Schließlich können internalisierte – übergreifende – Normen als vermittelndes Drittes fungieren. Wenn man, wie der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt, Politik als ‚pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken‘ begreift und das eigene Handeln grundsätzlich an übergeordneten Werthaltungen orientiert, hat man für sich selbst ein solches Drittes (einen internalisierten Dritten) immer schon eingesetzt. Allerdings besteht das ethische Dilemma der Politik, so sieht es Max Weber, gerade darin, dass sie (1) immer auch die Ausübung von Macht ist, hinter der, wenn es sein muss „Gewaltsamkeit steht“, und dass (2) auch dann, wenn man als Politiker sittliche Zwecke verfolge, „keine Ethik der Welt … um die Tatsache herumkommt, dass die Erreichung guter Zwecke in zahlreichen Fällen daran gebunden ist, dass man sittlich bedenkliche Mittel“ und auch „die Wahrscheinlichkeit übler Nebenerfolge in Kauf nimmt, und keine Ethik der Welt kann ergeben: wann und in welchem Umfang der ethisch gute Zweck die ethisch gefährlichen Mittel und Nebenerfolge heiligt“. 31 Ähnliche Gedanken werden auch Helmut Schmidt mehrfach – so z. B. beim Baader/Meinhoff-Konflikt – in den Sinn gekommen sein. All diese Versuche, einen Dritten/ein Drittes zur Vermittlung zwischen den streitenden Parteien einzusetzen, basieren auf der Konstruktion einer neutralen Instanz. Dadurch soll eine Ausklammerung von Zugehörigkeitsaffekten und Parteilichkeit erreicht oder erzwungen werden. Besonders anschaulich wird dieser Versuch an dem im 15./16. Jahrhundert bei einigen oberitalienischen Städten entstehenden Brauch, bei Streitfällen – zwischen mächtigen Familien einer Stadt – Richter oder Schlichter von außen einzuschalten. Notfalls wurden die zur Schlichtung oder zum Richtspruch Auserwählten gekidnappt. Grundsätzlich wurden sie isoliert, wenn es sein musste: auch weggesperrt, so dass außerhalb der Verhandlung kein Kontakt mit den streitenden Parteien möglich war. Solche Vorläufer einer unabhängigen Justiz und durch eine Verfassung abgesicherter, unabhängiger Richter verweisen bereits auf einen Widerspruch, der sich auch im modernen, demokratischen Rechtsstaat wiederfindet: Unabhängig sind Justiz und Richter (idealtypisch) gegenüber den Parteien und den anderen beiden Gewalten. Abhängig sind sie dagegen von den sich ändernden Normen, Werthaltungen und Zeitgeistern, die der Gesetzgeber in die Gesetze oder die Richter in die konkrete Rechtsprechung und das jeweils historisch geltende Recht einfließen lassen. Dementsprechend stellt die Suche nach zeitunabhängigen, übergreifenden Rechtsnormen ein Kernproblem moderner Rechtsprechung dar. 32 Solche allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen bzw. eine „Rechtsidee“ (Radbruch) sollen nicht nur die sich immer wieder ändernden Werthaltungen kontrollieren, sondern auch die Tendenz der Justiz, sich als Institution zu verselbständigen und dabei sowohl den eigenen Machtanspruch 300

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als auch ein fundamentalistisches, ohne jedes Ansehen der Person fungierendes Rechtsverständnis durchzusetzen – Simmel hat die Gefahr einer solchen kompromisslosen Rechtsorthodoxie am Beispiel jener radikalen Rechtsidealisten beschrieben, die „dem Kampf [um das Recht, H.-G. S.] einen Radikalismus und eine Schonungslosigkeit … geben“, die dann inhuman wird, wenn jene Idealisten wegen „der Idee, der sie sich selbst zu opfern meinen, auch jeden anderen … schlachten“. 33 Die Schwierigkeit, allgemein formulierte Rechtsnormen und Einzelfallgerechtigkeit in einen humanen Einklang zu bringen, besteht zwar grundsätzlich, wird aber in pluralistischen, durch (neben dem Gesetz geltende) konkurrierende Werthaltungen deutlich gesteigert. Dabei gerät auch Luhmanns Formel, wonach in modernen (Rechts-)Gesellschaften zumindest ein Konsens über (Problemlösungs-)Verfahren bestehe, an die Grenze ihrer Geltung: Wo selbst über die Geltung solcher Verfahren gestritten wird, werden rationale Konfliktlösungen immer schwerer, weil formale (Verfahrens-) und materiale (Konfliktlösungs-)Rationalität sich kaum mehr aufeinander beziehen lassen. ‚Moderne‘ Gesellschaften reagieren auf diese Situation mit immer höheren institutionellen ‚Aggregierungen‘ (Europäischer Gerichtshof, Internationaler Gerichtshof, Parlament der sogenannten ‚Vereinten Nationen‘ etc.). Damit lösen sie das Problem nicht, sondern verlagern ihre Debatten in die jeweils nächst höheren und zugleich komplexeren Institutionen. Zugleich werden die Debatten über den Anlass und die Lösung eines Streites immer mehr zum Streit über die Form der Debatten: über Verfahren. Diese Entwicklung fördert zunehmend den Einfluss einer – in sich ebenfalls durch Interessenvielfalt und Multiperspektivität gebrochenen – gesellschaftlichen ‚Großmacht‘: die des medialen Dritten. Er liefert – immer häufiger in ‚Echtzeit‘ und damit aufdringlich präsentisch – die Bilder, Kommentare und Wertungen zu bestehenden Konflikten, ‚definiert‘, was als Konflikt gelten/ ‚wahr‘genommen werden soll und gibt durch verändertes oder neues Bildmaterial an, was vergessen werden kann (oder soll). Als der ‚Medienzar‘ Randolph Hearst, das Vorbild für Orson Welles’ ‚Citizen Kane‘, im Spanisch-Amerikanischen Krieg um Kuba (Ende des 19. Jahrhunderts) seinen Bildreportern den Auftrag gab, die Gräuel der Spanier mithilfe des damals neuen Bildmediums Photographie festzuhalten, glaubte er, über den Eintritt der USA in den Krieg und somit auch über die Optionen des Präsidenten entscheiden zu können. Hearsts Anweisung an seinen Bildkorrespondenten Frederic Remington macht dies unmissverständlich klar: „You furnish the pictures. I furnish the war“. Schon damals war – angesichts der miteinander konkurrierenden Berichterstattungen – Hearsts Selbstüberschätzung unübersehbar. Heute korrespondieren mit der Omnipräsenz und Wiederabrufbarkeit jener Bilder, die zentrale Ereignisse weniger dokumentieren als vielmehr – in bestimmter Weise – herstellen und formen, zugleich Bildproduzenten, Agenten und Agenturen. Auf 301

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der einen Seite prägen szenische Bildabfolgen und Einzelbilder als Repräsentanten jener Ereignisse, die als herausgehoben gelten sollen (Holocaust, Hiroshima/Nagasaki, Napalmbomben auf Kinder [Vietnam], der Anschlag auf die Twin Towers [‚nine eleven‘], das zerstörte Gaza …) angeblich das ‚kollektive Gedächtnis‘. Andererseits dringt der Kampf um diese Bilder insofern bis in das Bildmaterial selbst ein, als es – je nach Agentur, Interesse, Ideologie und Perspektive – neu geschnitten, umsortiert, mit wechselnden Kommentaren und Musikeinspielungen unterlegt und in neue Kontexte eingefügt wird. Die Berichterstattung über den 11. September 2001 bietet hierfür ein einprägsames Beispiel: Je nachdem, ob BBC, CNN und andere ‚westliche‘ Agenturen oder arabische, iranische, afrikanische und asiatische Sender ihre Bilder ‚ins Netz‘ stellten, umso deutlicher wurde, dass außer dem Datum des Ereignisses und der Konstanz des Bildrepertoires (nicht der Abfolge der Bilder!) alles andere manipulierbar ist und ständig neu ausgedeutet wird: Das ‚kollektive Weltgedächtnis‘ stellt sich somit einem Außenbeobachter nicht als einheitlich strukturierte Erinnerung, sondern als Kaleidoskop perspektivisch gebrochener, einander widersprechender Einzeldeutungen dar. Dennoch wird bei dem Kampf um die Bilder unterstellt, man könne das Ziel dieses Kampfes, die Ächtung der oder des Gegner(s), dadurch erreichen, dass man eine (letztlich ebenso diffuse wie anonyme) Größe: ‚die Weltöffentlichkeit‘, für sich einnehme. Bei dieser multiperspektivischen, durch Interessengegensätze geprägten Kriegsführung ist eine Vermittlung kaum möglich: Der in sich zerstrittene, mediale Dritte ist schon für sich genommen zur Kompromissbildung nicht fähig. Dennoch wird er – von außen – als Schiedsrichter angerufen. Es ist ein Schiedsrichter, der seine Macht dem – hier scheinbar tatsächlich vorhandenen – kollektiven Glauben an die Existenz eines Gespenstes, der Schimäre ‚Weltöffentlichkeit‘ verdankt. Sie, die Vertreterin einer konturlosen Moral, deren Einzelmoralen miteinander Krieg führen, soll das ‚Weltgewissen‘ repräsentieren. – Wer auf ein solches vermittelndes Drittes setzt, muss ständig um die Aufrechterhaltung der eigenen Illusionsbildung kämpfen. Nicht grundsätzlich anders steht es um die Hoffnung auf Vermittlung durch die Autorität einer ‚moralisch integren‘, der religiösen oder weltanschaulichen Position nach ‚innerweltlich-außerweltlichen‘ Autorität. Sei es das Amtscharisma, das persönliche Charisma oder die Verknüpfung beider Charismaformen bei religiösen Führern (Papst, Dalai Lama, Ajatollahs), sie alle bewegen sich in modernen Gesellschaften ebenfalls auf Bühnen des medialen Dritten, dessen sie sich bedienen wollen und müssen – und der sich ihrer bedient. Sie alle weisen von sich aus die Tendenz zum „Telekhomeini“ (Derrida) auf, oder diese wird ihnen zugeschrieben. Damit agieren sie ebenfalls als Händler auf dem medialen Basar der miteinander konkurrierenden Werthaltungen, Lebensführungsmuster und Weltanschauungen. Trotz der im 20. und im beginnenden 21. Jahrhundert ständig zunehmen302

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den Orientierung an der Fiktion vom in sich konsistenten, medialen Dritten als Weltöffentlichkeit ist es nach der Erfahrung von Weltkriegen und der damit verbundenen Verbrechen gelungen, eine Art überstaatliches Sittengesetz für das Zusammenleben der unterschiedlichen Menschen, Kulturen und Völker zu formulieren: Die Erklärung der Menschenrechte bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen (1948). Mit ihr und ihren Vorläufern – den Maximen der europäischen Aufklärung, den französischen und amerikanischen Verfassungsentwürfen – sind die zur Gestaltung einer Weltgesellschaft gezwungenen Völker in eine Diskussion eingetreten, die dem kleinsten und schwächsten Element, das sich zugleich in ‚ungeselliger Geselligkeit‘ von den anderen Elementen abgrenzt: dem Individuum und seiner ‚Würde‘, den höchsten Wert zuerkennt – einen Wert, der gerade deswegen besonderen Schutzes bedarf, weil er in dem schwächsten, aber eben auch realsten Glied der Gesellschaft verankert ist. Offenkundig ist eine solche Diskussion – basierend auf miteinander konkurrierenden Interessen, der Verteidigung unterschiedlicher Traditionen, Weltanschauungen und disparaten Herrschaftsansprüchen – weit davon entfernt (und sie muss dies auch sein), ein ‚herrschaftsfreier Diskurs‘ zu sein. 34 Ebenso wenig können (und dürfen) die Debatten in der Generalversammlung der Vereinten Nationen und in den Parlamenten pluralistischer Gesellschaften sich an den Prinzipien einer ‚idealen Sprechsituation‘ 35 orientieren. Nicht nur würde der ‚herrschaftsfreie Diskurs‘ in einer ‚idealen Sprechsituation‘ einem harmonischen Sprechgesang der – philosophisch ins Innerweltliche transponierten – „geweihten Herde“ Dantes (s. oben) ähneln, sondern er teilte auch mit den von Dante geschilderten paradiesischen Zuständen jene Stagnation, die sich aus dem Verlust von Differenzen und aus der fehlenden Notwendigkeit, sich mit fundamentalen Widerständen auseinandersetzen zu müssen, ergibt. Demgegenüber arbeiten sich die Weltgesellschaft, ihre miteinander konkurrierenden Völker, Kulturen, Religionen und Institutionen an immer neuen Widersprüchen und sich ständig ändernden Machtkonstellationen ab, wobei der in sich disparate, anonyme mediale Dritte weiterhin Gewalt ausübt, ohne durch ein weltweit abgesichertes Recht kontrolliert zu werden. In dieser Situation darauf zu hoffen, dass es möglich sei, die „Praxis“ gesellschaftlichen Handelns „im Lichte einer kommunikativen Vernunft“ zu einer „weltverändernden Kumulation von Wissen“ 36 zu führen, ist verwegen. Schon das Setzen darauf, dass mit dem wachsenden Konfliktpotenzial auch der Zwang zunimmt, mehr und neue Konfliktlösungsmöglichkeiten zu entwickeln (s. oben), entspringt mehr einem Wunsch als dem Rückblick auf die Geschichte der Menschheit. Allerdings zeigt dieser Rückblick auch, dass es oft nur jene Gesellschaften waren, die – gezwungen durch die in ihnen herrschenden Differenzen und scheinbar unlösbaren Konflikte – Modelle und Verfassungen für ein Leben mit und in Unterschieden zu entwickeln vermochten, die weder durch kommunikative 303

Hans-Georg Soeffner

Vernunft und grandiosen Wissenszuwachs erleuchtet waren, noch auf der Basis eines von sich aus wirkenden guten Willens standen, sondern aus Angst vor der totalen Niederlage handelten. Anmerkungen 1

In: Immanuel Kant, Werke in zehn Bänden 9, hg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1971, S. 31–50. 2 Ebd., S. 37. 3 Ebd., S. 38. 4 Alle Zitate ebd., S. 38 f. 5 Ebd., S. 40. 6 Ebd., S. 34. 7 Ebd., S. 41. 8 Helmuth Plessner, Die Stufen des Organischen und der Mensch, Berlin 1928, ND Berlin – New York 1975, vgl. das „Gesetz der natürlichen Künstlichkeit“. 9 Kant, Idee (wie Anm. 1), S. 41. 10 Ebd., S. 40. 11 Georg Simmel, Soziologie der Konkurrenz, in: Ders., Individualismus der modernen Zeit, hg. von Otthein Rammstedt, Frankfurt a. M. 2008, S. 202. 12 Alle Zitate aus Georg Simmel, Der Mensch als Feind. Zwei Fragmente aus einer Soziologie, in: Ders., Individualismus (wie Anm. 11), S. 195. 13 Dante Alighieri, Die göttliche Komödie, übertragen von Benno Geiger, Luchterhand Verlag (ohne Ort) 1960, Teil 3, Das Paradies, 31. Gesang, S. 213. 14 Ebd., 30. Gesang, S. 211. 15 Simmel, Mensch (wie Anm. 12), S. 197. 16 Ebd., S. 194. 17 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1976, S. 26. 18 Vgl. Hans-Georg Soeffner, Individuelle Macht und Ohnmacht in formalen Organisationen, in: Gesellschaft ohne Baldachin, Weilerswist 2000, S. 310–353. 19 „Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor.“ 20 Fritz Mauthner, Art. ‚Recht‘, in: Wörterbuch der Philosophie 2, Zürich 1980, S. 305. 21 Ebd., S. 304. 22 Vgl. Daniel Damler, Wildes Recht. Zur Pathogenese des Effektivitätsprinzips in der neuzeitlichen Eigentumslehre, Berlin 2008. 23 Georg Simmel, Das Ende des Streits, in: Ders., Individuum (wie Anm. 11), S. 229. 24 Ebd., S. 231 ff. 25 Ebd., S. 231. 26 In: Theodor Fontane, Balladen und Gedichte, Köln 1970, S. 52. 27 Eines der eindrücklichsten Zeugnisse für eine solche Bindung ist Albert Camus’ sogenanntes „letztes Wort …, der berühmt berüchtigte Ausspruch über Gerechtigkeit und seine Mutter“. Dieses „letzte Wort“, das Camus in einem Brief an Amrouche im Anhang seiner Tagebücher wiederholte, passt in kein ‚philosophisches System‘, folgt keiner Ideologie, lässt sich auf keine überpersönliche Ethik abbilden, beugt sich keiner Kausalität und lässt sich schon gar nicht auf ein Nutzenkalkül zurückführen. Es hat deshalb zu Ärger, Verstimmungen, Spott und Unverständnis geführt – auch bei Bernard-Henry Levy, in dessen Camus-Laudatio die allgemeine Hilflosigkeit wiederholt wird, die sich aus dem angeb-

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Zwischen Krieg und Frieden lich sträflichen Mangel der Nichtverallgemeinbarkeit dieses „letzten Wortes“ ergibt. Denn dieses formuliert keinen kategorischen Imperativ für die Menschheit, sondern beschreibt eine singuläre, existentielle Bindung zwischen zwei Personen. Hier ist das „letzte Wort“: „Keine gute Sache, so unschuldig und gerecht sie auch sein mag, wird mich von der Solidarität mit meiner Mutter abbringen, denn sie [die Zusammengehörigkeit von Mutter und Sohn, H.-G. S.] ist die wichtigste gute Sache in der Welt“. Vgl. Bernard-Henry Levy, Bruder Camus. Zum fünfzigsten Todestag des französischen Philosophen und Stilisten, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 3. Januar 2010, S. 22. 28 Vgl. Simmel, Ende (wie Anm. 23), S. 229. 29 Carl Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols, Stuttgart 2 1995, S. 164. 30 Simmel, Ende (wie Anm. 23), S. 230. 31 Max Weber, Soziologie. Universalgeschichtliche Analysen. Politik, hg. von Johannes Winckelmann, Stuttgart 1973, S. 172, 175 f. 32 Vgl. hierzu exemplarisch Gustav Radbruchs Versuch (die ‚Radbruchformel‘), das jeweils geltende Recht durch ein Gerechtigkeitsgefühl/die „Rechtsidee“ kontrollieren zu lassen: Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, hg. von Erik Wolf – Hans-Peter Schneider, Stuttgart 1973, insbes. § 4, S. 119 ff. 33 Georg Simmel, Soziologie, Gesamtausgabe 11, hg. von Otthein Rammstedt, Frankfurt a. M. 1992, S. 308. 34 Vgl. Hans-Georg Soeffner, Gewalt als Faszinosum, in: Ders., Zeitbilder, Frankfurt a. M. 2005, insbes. S. 70 ff. 35 Vgl. Jürgen Habermas, Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz, in: Ders. – Niklas Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, Frankfurt a. M. 1971, S. 139. 36 Jürgen Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt a. M. 1985, S. 388.

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Autorenverzeichnis Rainer Albertz, geb. 1943, ist emeritierter Professor für Altes Testament am Evangelisch-Theologischen Seminar der Universität Münster und PI (Principal Investigator) im Münsteraner Exzellenzcluster „Religion und Politik“. Publikationen u. a.: „Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit“, 2 Bde. (2. Aufl. 1996/7) und „Geschichte und Theologie. Studien zur Exegese des Alten Testaments und zur Religionsgeschichte Israels“ (2003). Gerd Althoff, geb. 1943, ist Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Münster und Sprecher des Münsteraner Exzellenzclusters. Publikationen u. a.: „Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde“ (1997) und „Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter“ (2003). Joschka Fischer, geb. 1948, war von 1998 bis 2005 Außenminister und Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland. Er berät Unternehmen und politische Organisationen und übernahm Gastprofessuren in Princeton (2006) und Düsseldorf (2010). Publikationen u. a.: „Die Rückkehr der Geschichte. Die Welt nach dem 11. September und die Erneuerung des Westens“ (2005) und „Die rot-grünen Jahre. Deutsche Außenpolitik – vom Kosovo bis zum 11. September“ (2007). Alfons Fürst, geb. 1961, ist Professor für Alte Kirchengeschichte, Patrologie und Christliche Archäologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster und PI im Münsteraner Exzellenzcluster. Publikationen u. a.: „Die Liturgie der Alten Kirche. Geschichte und Theologie“ (2008) und „Origines. Werke mit deutscher Übersetzung“ (2009 ff.). Hermann Kamp, geb. 1959, ist Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Paderborn. Publikationen u. a.: „Friedensstifter und Vermittler im Mittelalter“ (2001) und „Burgund. Geschichte und Kultur“ (2007). William Ian Miller, geb. 1946, ist Thomas G. Long Professor of Law an der University of Michigan Law School und war Carnegie Centenary Professor an der University of St. Andrews (2007). Publikationen u. a.: „Bloodtaking and Peacemaking: Feud, Law, and Society in Saga Iceland“ (1990) und „Eye for an Eye“ (2006).

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Autorenverzeichnis

Hans-Georg Soeffner, geb. 1939, ist emeritierter Professor für Allgemeine Soziologie an der Universität Konstanz, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und Senior Fellow und Vorstandsmitglied am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen. Publikationen u. a.: „Die Ordnung der Rituale – Die Auslegung des Alltags II“ (2. erw. Aufl. 1995) und „Kultursoziologie. Eine Einführung“ (2005). Barbara Stollberg-Rilinger, geb. 1955, ist Professorin für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Münster, Sprecherin des Münsteraner Sonderforschungsbereichs 496, Trägerin des Leibniz-Preises 2005 und PI im Münsteraner Exzellenzcluster. Publikationen u. a.: „Europa im Jahrhundert der Aufklärung“ (2000) und „Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches“ (2008). Christian Tomuschat, geb. 1936, ist emeritierter Professor für öffentliches Recht, insbesondere Völker- und Europarecht an der Humboldt-Universität Berlin, ehemaliges Mitglied des UN-Menschenrechtsausschusses, ehemaliger Vorsitzender der UN-Völkerrechtskommission und Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Publikationen u. a.: „International Law: Ensuring the Survival of Mankind on the Eve of a New Century“ (2001) und „Human Rights. Between Idealism and Realism“ (2003). Martina Wagner-Egelhaaf, geb. 1957, ist Professorin für Neuere deutsche Literatur unter besonderer Berücksichtigung der Moderne und der Gegenwartsliteratur an der Universität Münster und PI im Münsteraner Exzellenzcluster. Publikationen u. a.: „Die Melancholie der Literatur“ (1997) und „Transkulturalität. Türkisch-deutsche Konstellationen in Literatur und Film“ (2007). Christian Walter, geb. 1966, ist Professor für öffentliches Recht einschließlich Völker- und Europarecht an der Universität Münster und PI im Münsteraner Exzellenzcluster. Publikationen u. a.: „Religionsverfassungsrecht in vergleichender und internationaler Perspektive“ (2006) und „Rechtliche und politische Koordinierung der Außenbeziehungen der Europäischen Gemeinschaften 1951–1992“ (hg. mit Rolf Ahmann und Reiner Schulze, 2010). Ulrich Willems, geb. 1960, ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politik und Religion an der Universität Münster und PI im Münsteraner Exzellenzcluster. Publikationen u. a.: „Entwicklung, Interesse und Moral. Die Entwicklungspolitik der Evangelischen Kirche in Deutschland“ (1998) und „Politik und Religion“ (hg. mit Michael Minkenberg, 2003).

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Autorenverzeichnis

Hubert Wolf, geb. 1959, ist Professor für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster, Leiter des DFG-Langzeitprojektes „Römische Inquisition und Indexkongregation“, Träger des Leibniz-Preises 2003 und PI im Münsteraner Exzellenzcluster. Publikationen u. a.: „Index. Der Vatikan und die verbotenen Bücher“ (2006) und „Clemens August Graf von Galen. Gehorsam und Gewissen“ (2006).

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