Fremder Text – fremde Welt?: Zu Störungen im Organisationsablauf beim Verstehen fremdsprachlicher Texte 9783110685442, 9783110685411

Text comprehension processes have long been neglected by pedagogy but are the focus of this empirically based study. How

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Fremder Text – fremde Welt?: Zu Störungen im Organisationsablauf beim Verstehen fremdsprachlicher Texte
 9783110685442, 9783110685411

Table of contents :
Inhalt
Vorwort und Danksagung
Abbildungsverzeichnis
Diagrammverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Im Dialog mit dem Text: Textverstehen als Interaktion
2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen: Modellierung eines linguistisch fundierten (Text)Verstehensmodells
3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht
4 Empirischer Teil
5 Schlussbetrachtung: Sage mir, wie du liest…
6 Bibliographie
7 Anhang
Stichwortverzeichnis

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Johanna Wolf Fremder Text – fremde Welt?

Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie

Herausgegeben von Éva Buchi, Claudia Polzin-Haumann, Elton Prifti und Wolfgang Schweickard

Band 450

Johanna Wolf

Fremder Text – fremde Welt? Zu Störungen im Organisationsablauf beim Verstehen fremdsprachlicher Texte

Gedruckt mit Unterstützung der Stiftungs- und Förderungsgesellschaft der Paris Lodron Universität Salzburg.

ISBN 978-3-11-068541-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-068544-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-068550-3 ISSN 0084-5396 Library of Congress Control Number: 2022938829 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Integra Software Services Pvt. Ltd Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Für Florian

Lesen-Können – darauf läuft schließlich alles hinaus. (Christian Morgenstern)

Inhalt Vorwort und Danksagung  Abbildungsverzeichnis  Diagrammverzeichnis  Tabellenverzeichnis 

 XIII  XVII  XIX

 XXI  1

1

Im Dialog mit dem Text: Textverstehen als Interaktion 

2

Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen: Modellierung eines linguistisch fundierten (Text)Verstehensmodells   9 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen   13 Gehirn und Sprachverstehen: Die neurobiologische und -linguistische Perspektive   16 Die Struktur von Wissensbeständen aus kognitionspsychologischer Perspektive   24 Schemata   29 Frames und scripts   32 Mentale Modelle   35 Das sprachliche Zeichen – Dimensionen der Bedeutung – Ebenen des Wissens: zeichentheoretische Überlegungen zum Textverstehen   37 Repräsentationistische und instrumentalistische Zeichentheorien: Gottlieb Frege und Ludwig Wittgenstein   40 Das komplexe Zeichenmodell nach Blank 1997 und seine Übertragbarkeit auf sprachliche Verstehensprozesse   44 Die philologisch-hermeneutische und kulturwissenschaftliche Perspektive: Die Konstruktion «objektiver» Interpretation und konsensuellen Verstehens durch diskursgeleitete Mechanismen   60 Text, Textbedeutung und Textverstehen   72 Ein offener Textbegriff   72 Text als Satzkette: Kohäsion   75 Text als Sinnkontinuität: Explizite und implizite Kohärenzrelationen   76

2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.2.1 2.1.2.2 2.1.2.3 2.1.3

2.1.3.1 2.1.3.2 2.1.4

2.2 2.2.1 2.2.1.1 2.2.1.2

X 

 Inhalt

2.2.2 2.2.2.1 2.2.2.2

Textverstehen   78 Wissen als mentale Repräsentation im Textverstehen   79 Textverarbeitung und Textverstehen als mentale Prozesse   82

 89 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht  Das multilinguale mentale Lexikon: Entwicklung und Strukturierung lexikalischer Einträge   97 3.1.1 Levelts Blueprint und die Betonung des Lexikons   104 3.1.2 Das Revised Hierarchical Model und das Modified Hierarchical Model als Erklärungsräume für mapping-Prozesse zwischen konzeptueller Repräsentation und einzelsprachlich-semantischer Bedeutungsdimension   110 3.2 Die Rolle des Texts im Unterricht   119 3.3 Problemstellung   126 3.3.1 Verstehensblockaden bei mapping-Prozessen auf die konzeptuelle (einzel)sprachlich-lexikalische Wissensebene   126 3.3.2 Verstehensblockaden bei mapping-Prozessen auf die konzeptuelle epistemisch-diskursive Wissensebene   131 3.3.3 Überprüfung der Hypothesenbildung in ihrer Relevanz für einen mehrdimensionalen Erklärungsansatz   133 3.3.3.1 Testdesign   134 3.3.3.2 Ergebnisse   135 3.3.4 Diskussion   141

3 3.1

4 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.2.1 4.1.2.2 4.1.2.3 4.1.2.4 4.1.2.5 4.1.2.6 4.1.3 4.1.4

Empirischer Teil   145 Störungen des Textverstehens: Das Problem der  Dekomposition   147 Relevanz   147 Material und Methoden   151 Testpersonen   151 Materialien und Pilotierung   152 Exkurs: quedarse, volverse, hacerse und ponerse als polyseme Ausdrücke und ihre Konzeptualisierung   153 Ablauf der Testung   155 Forschungsfragen   155 Ergebnisse   155 Diskussion   167 Zwischenfazit   168

Inhalt 

4.2

4.2.1 4.2.2 4.2.2.1 4.2.2.2 4.2.2.3 4.2.2.4 4.2.2.5 4.2.2.6 4.2.2.7 4.2.3 4.2.3.1 4.2.3.2

4.2.4 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.2.1 4.3.2.2 4.3.2.3 4.3.2.4 4.3.2.5 4.3.2.6 4.3.3 4.3.3.1 4.3.3.2 4.3.3.3 4.3.3.4 4.3.4

 XI

Störungen der Verstehensprozesse: It’s the vocabulary…? Zum Zusammenhang zwischen Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung   169 Relevanz   169 Material und Methoden   175 Testpersonen   175 Materialien   178 Ablauf der Testung   179 Transkription   180 Die Methode des «Lauten Denkens»   181 Forschungsfragen   186 Ergebnisse   186 Diskussion der Ergebnisse   206 Diskussion der Forschungsfragen zum Verhalten in Bezug auf den Strategieneinsatz zwischen beiden Gruppen   206 Diskussion der Forschungsfragen im Hinblick auf die Interaktion von Strategienverwendung zur Worterschließung und Prozessen des Textverstehens (Etablierung eines Text-Welt-Modells)   211 Zwischenfazit   216 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis   218 Relevanz   218 Material und Methoden   223 Testpersonen   223 Materialien   226 Ablauf der Testung   227 Forschungsfragen   232 Die Pilotierung   232 Ergebnisse der Hauptstudie   235 Diskussion   252 Diskussion der Ergebnisse: Assoziationstest   252 Diskussion der Ergebnisse: Lesesituation   254 Diskussion der Ergebnisse: Recall-Aufgabe   258 Diskussion der Ergebnisse: Wissenstest   258 Zwischenfazit   260

5

Schlussbetrachtung: Sage mir, wie du liest… 

6

Bibliographie 

 273

 265

XII 

 Inhalt

7 7.1

Anhang   297 Anhang zur Überprüfung der Stichhaltigkeit der Hypothesenbildung (Texte)   297 Anhang zu Studie 1: Komplexe nicht-kompositionelle Störungen   301 Fragebogen   301 Grundtabellen   303 Tabellen über kumulierte Häufigkeiten   320 Anhang zu Studie 2: Worterschließungsstrategien im Zusammenhang mit konzeptioneller Kohärenzetablierung   321 Fragebogen   321 Texte   322 Übersicht über alle Probanden Studie 2   327 Anhang zu Studie 3: Vorwissen und die Konstruktion eines Text-Welt-Modells   328 Fragebogen   328 Lesetext    329 Wissenstest (Deutsch – Spanisch)   330 Übersicht über alle Probanden Studie 3   332

7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.4 7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.4

Stichwortverzeichnis 

 335

Vorwort und Danksagung «Niemand ist eine Insel» – auch wenn gerade in der Endphase eines Habi­ litationsprojekts die Phasen der gefühlten Einsamkeit verstärkt auftreten, so bewahrheitet sich dieses Sprichwort doch im wahrsten Sinne des Wortes und so gilt es zuallererst Dank zu sagen für die unglaubliche Unterstützung und Hilfsbe­ reitschaft, die mir in den letzten vier Jahren von so vielen Menschen zuteilwurde. Großer Dank gebührt dabei Bernhard Pöll, der mir nicht nur ermöglichte, das vorliegende Projekt an seiner Professur durchzuführen, sondern der sich, obwohl ein eingefleischter Syntaktiker, auf die kognitive Textlinguistik einließ und die Arbeit begleitete. Sein stets offenes Ohr für alle Belange sowie die vielen Beratungsstunden am Besprechungstisch waren eine unschätzbare Hilfe in dieser Zeit. Wertvolle Anregungen verdanke ich Angela Schrott, deren freundschaftliche Förderung und Ermutigung mich nun schon eine ganze Weile auf meinem wis­ senschaftlichen Weg begleiten – eine Begleitung, die ich nicht missen möchte. Für ihren scharfen Intellekt und ihre Bereitschaft, sich mit mir in theore­ tischen Diskussionen zu verlieren, danke ich Maria Selig – ihre Gabe, den Finger auf den wunden Punkt zu legen und dann aber auch zu dessen Heilung beizutra­ gen, ist unerreicht. Viele Kollegen und Kolleginnen haben mich während der Arbeit an meinem Habilitationsprojekt begleitet und sind mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Ihnen allen bin ich zu Dank verpflichtet. Besonderer Dank geht an Agustín Corti, der mit mir zusammen, quasi als «Habilitationsbruder», die Tagung «Perspektiven der romanistischen Fachdidaktik: Grundlagen – Theorien – Methoden» organi­ sierte. In etlichen Kaffee­Mate­Pausen versicherten wir uns immer wieder der Tatsache, dass es ein Leben nach der Habilitation gäbe. Er hat mir sehr geholfen, alle Widrigkeiten mit der nötigen Prise Humor zu bewältigen. Auch war er eine große Hilfe bei allen Fragen im Hinblick auf sprachliche Schwierigkeiten sowie bei der Bewertung der spanischen Texte. Seine Markierungen und Korrekturen sind nicht mit Gold aufzuwiegen. Dank geht an dieser Stelle auch an Tanja Angelovska, deren Begeisterung für Spracherwerbsprozesse auf wunderbare Weise anste­ ckend ist und deren unerschütterlicher Optimismus mir in dieser Zeit über viele Zweifel hinweg geholfen hat – auch unsere gemeinsamen Zugfahrten, auf denen wir lebhaft über mögliche Modellierungen der Sprachverarbeitung diskutierten, sind mir in bester Erinnerung und ich hoffe auf etliche Fortsetzungen. Auch danke ich Christopher Laferl für seine wertvollen Hinweise in Bezug auf die literaturwis­ senschaftliche Sichtweise auf Hermeneutik und Textverstehen: Die gemeinsame Vorlesung war sowohl fachlich als auch menschlich eine Bereicherung. Elisabeth Prantner­Hüttinger möchte ich für ihre sorgfältige Durchsicht und Auswertung der https://doi.org/10.1515/9783110685442-203

XIV 

 Vorwort und Danksagung

ausgewählten Texte danken: Ihr geschultes Dolmetscherauge filterte jede Hürde heraus. All meinen Salzburger Kollegen und Kolleginnen, die hier nicht eigens erwähnt werden, sei an dieser Stelle herzlichst für ihre kollegiale Unterstützung und die vielen kleinen wie großen Gesten der Ermunterung gedankt. Aus manchen Begegnungen haben sich über die Jahre hinweg Freund­ schaften entwickelt und so danke ich Anne Wolfsgruber für ihre stetige Ermuti­ gung und die vielen Aufheiterungen selbst noch aus der Ferne – es war mir ein Fest. Besonderer Dank geht auch an Nicola Tschugmell, die trotz Hausbau und Umzugsstress die Zeit fand, mir bei allen Fragen aus dem Bereich der klinischen Linguistik und der Psycholinguistik kompetent zur Seite zu stehen und deren Sichtweise und Expertise meinen Horizont erweiterte. Des Weiteren danke ich Sabine Heinemann und Franziska Braun für das sorgfältige Lektorat, die klugen Anmerkungen und vor allem für ihren Mut, sich durch so manches syntaktische Ungetüm zu arbeiten. Auch euer wunderbarer Zuspruch in allen Krisen war eine unschätzbare Hilfe. Ihr wart mir nicht nur Stütze, sondern auch Vorbild, und ihr seid großartig – ich danke euch. Selbstver­ ständlich gehen alle verbleibenden Fehler zu meinen Lasten. Peter Bauer (†) danke ich dafür, dass er dafür sorgte, dass meine Zahlen zu sprechen begannen. Unermüdlich suchte er nach Möglichkeiten, statistisch auszudrücken, was sich in meinen Daten verbarg. Er hat mir die Angst vor statis­ tischen Tests genommen und mich gelehrt, dass Zahlen unverwüstlich sind. Du bleibst der Herr der Zahlen. Nach seinem plötzlichen Ableben erklärte sich Max Bauer bereit, mich bei der Auswertung meiner Daten rechnerisch zu beraten und auch ihm bin ich zu großem Dank für seine Hilfe verpflichtet: Ihr habt beide einen Zugang zu mathematischen Verfahren, der mich immer wieder staunen lässt. Eure Bereitschaft mit mir zu einer gemeinsamen Sprache zu finden, war ein großer Gewinn. Besonders herzlich möchte ich mich auch bei meinen Diplomandinnen, Iris Wiesbauer und Anna Griesacker bedanken, die durch ihr Engagement und ihren Elan viel zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Es war mir eine Freude, ihre Diplomarbeiten zu begleiten. Zu danken habe ich auch Judith Zaunschirm und Annika Moratzky für ihre Hilfe bei der Überprüfung der Materialien und ihren unermüdlichen Einsatz bei der Vorbereitung der Druckfassung. Selbstver­ ständlich gehen alle verbleibenden Fehler auf mein Konto! Ein ebenso großer Dank geht an dieser Stelle auch an all meine Studenten und Studentinnen, die mir ihre Zeit und ihr Wissen so großzügig zur Verfügung gestellt und sich bereit erklärt haben als Testpersonen zu fungieren. Einen besonders großen Dank schulde ich zudem der Stiftungs­ und Förderungsgesellschaft der Paris Lodron Universität Salzburg für ihre großzügige Förderung bei der Drucklegung der Arbeit. Auch den Herausgebern der Beihefte

Vorwort und Danksagung 

 XV

zur Zeitschrift für romanische Philologie möchte ich für ihre Unterstützung und ihre Geduld mit mir sehr herzlich danken – und natürlich auch für die Aufnahme in ihre Reihe. Dank schulde ich auch Christine Henschel und Anne Stroka – vor allem für ihre scharfen Augen bei der Finalisierung – und dem gesamten Team des De Gruyter­Verlags für die gute und kooperative Betreuung! Auch meinen Gutachtern, Elmar Schafroth, Claudia Polzin­Haumann und Guiseppe Manno möchte ich für die konstruktive Kritik und die hilfreichen Anmerkungen danken, die ich versucht habe, für die Veröffentlichung möglichst aufzunehmen. Und dann ist da auch noch die Familie: Euch gilt mein größter Dank! Ohne die Unterstützung meiner Eltern, meiner Geschwister und meiner Schwiegerfa­ milie wäre das Projekt in dieser Form nicht möglich gewesen. Worte gehören zwar zu meinem Fach – aber hier fehlen sie mir, um euch angemessen für eure Liebe und euren Rückhalt zu danken. Ihr seid in jeder Hinsicht groß. Danke. Vor allem möchte ich hierbei meiner Mutter danken: Was du für mich und uns getragen hast, war unendlich und jedes Wort ist zu klein dafür. Meine drei Jungs, Nikolaus, Max und Vincent, sind Spezialisten darin, ihre Mutter innert Sekunden auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen: Ihr seid ein Geschenk und ich bin dankbar, dass ihr mein Leben bereichert. Die verlässlichste und größte Stütze aber war und ist mein Mann Florian. Du hast mich durch alle Höhen und Tiefen begleitet und jeden Tag bin ich froh, dass ich dich gefunden habe. Salzburg/München im März 2022

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1

Abbildung 2 Abbildung 3 Abbildung 4 Abbildung 5 Abbildung 6 Abbildung 7 Abbildung 8 Abbildung 9

Darstellung der neuronalen Netzwerke, die parallel bei der Sprachverarbeitung von längeren sprachlichen Einheiten beteiligt sind (Mason/Just 2006, 767)   21 Informationsverarbeitung aus kognitiver Sicht; eigene Darstellung   26  45 Das sprachliche Zeichen nach Blank (Blank 1997, 102)  Ebenen des semantisch relevanten Wissens und Dimensionen der Bedeutung (adaptiert nach Blank 1997, 95)   46 Ein integratives Textverstehensmodell, adaptiert nach dem TWM Modell nach Schwarz-Friesel (2001) sowie dem Zeichenmodell von Blank (1997)   88 Sprachproduktionsmodell nach Levelt (Levelt 1989: 9; eigene Darstellung)   105 Das Revised Hierarchical Model (nach Kroll/Stewart 1994, 158; eigene Darstellung)   111 Das Modified Hierarchical Model (Pavlenko 2009a, 127; eigene Darstellung)   112 Stadien des Wortschatzerwerbs in der L2 (Jiang 2000, 54; eigene Darstellung)   115

https://doi.org/10.1515/9783110685442-204

Diagrammverzeichnis Diagramm 1 Diagramm 2 Diagramm 3 Diagramm 4 Diagramm 5 Diagramm 6 Diagramm 7 Diagramm 8 Diagramm 9 Diagramm 10 Diagramm 11 Diagramm 12 Diagramm 13 Diagramm 14 Diagramm 15 Diagramm 16 Diagramm 17 Diagramm 18 Diagramm 19 Diagramm 20 Diagramm 21

Ergebnisse Pilotierung – Stichhaltigkeit des Erklärungsansatzes Gruppe 1   137 Ergebnisse Pilotierung – Stichhaltigkeit des Erklärungsansatzes Gruppe 2   139 Ergebnisse Pilotierung – Stichhaltigkeit des Erklärungsansatzes  141 Gruppe 3  Häufigkeit der Strategien Gruppe A in %   188 Häufigkeit der eingesetzten Strategien Gruppe B in %   190 Übersicht über Häufigkeit der verwendeten Inferenzprozesse Gruppe A in %   192 Übersicht über Häufigkeit der verwendeten Inferenzprozesse Gruppe B in %   193 Strategieneinsatz und verknüpfte Etablierung TWM Gruppe A in %   195 Qualitative Auswertung Strategien – TWM Gruppe A in %   196 Strategieneinsatz und verknüpfte Etablierung TWM Gruppe B in %   198 Qualitative Auswertung Strategien – TWM Gruppe B in %   198 Mittelwert über die Gesamtanzahl der Antworten Assoziationstest in % und Dezimalzahlen   235 Mittelwert über die richtigen Antworten Assoziationstest in % und Dezimalzahlen   236 Richtige Antworten aller Teilnehmer   237 Mittelwert über die Inferenzen durch konzeptuell kulturelles Wissen und epistemische Einschätzungen gesamt   239 Mittelwerte über die Inferenzen durch passendes konzeptuell-kulturelles Wissen und epistemische Einschätzungen   240 Inferenzen über passendes konzeptuell kulturelles Wissen und epistemische Einschätzungen   241 Mittelwerte über die erinnerten textthematischen Konzepte der RecallAufgabe in Bezug auf die einzelnen Gruppen   248 Mittelwert über die erinnerten textthematischen Konzepte der Recall-Aufgabe in Bezug auf die einzelnen Teilnehmer   249 Mittelwerte über die richtigen Ergebnisse Wissenstest/Ergebnisse über die Gruppen in % und Dezimalzahlen   250 Standardabweichung Wissentest in % und Dezimal   251

https://doi.org/10.1515/9783110685442-205

Tabellenverzeichnis Tabelle 1 Tabelle 2 Tabelle 3 Tabelle 4 Tabelle 5 Tabelle 6 Tabelle 7 Tabelle 8 Tabelle 9 Tabelle 10 Tabelle 11 Tabelle 12 Tabelle 13 Tabelle 14 Tabelle 15 Tabelle 16 Tabelle 17 Tabelle 18 Tabelle 19 Tabelle 20 Tabelle 21 Tabelle 22 Tabelle 23 Tabelle 24 Tabelle 25 Tabelle 26 Tabelle 27 Tabelle 28 Tabelle 29 Tabelle 30

Lese- vs. Textverstehen   10 Zuordnung der Bedeutungsdimensionen nach Blank (1997) zu den Ebenen des Wortwissens, adaptiert nach Nation (2001, 49)   99 Beschreibung Leseverstehen allgemein (GER 2001, 74–75)   121  122 Beschreibung Textverarbeitung (GER 2001, 98)  Häufigkeitsverteilung der Type-Token-Relation der Verbalphrase quedarse für NNS und NS   157 Häufigkeitsverteilung der Type-Token-Relation der Verbalphrase volverse für NNS und NS   159 Häufigkeitsverteilung der Type-Token-Relation der Verbalphrase ponerse für NNS und NS   160 Häufigkeitsverteilung der Type-Token-Relation der Verbalphrase hacerse für NNS und NS   161 Statistische Maßzahlen zu den Type-Token Relationen   165 Kontingenztafel (Vier-Felder-Tafel)   167 Sprachlernerfahrung Gruppe A   177 Sprachlernerfahrung der Gruppe B   177 Anteil des häufigsten unbekannten Vokabulars und jeweilige Verarbeitungsstrategien Gruppe A   187 Wortverarbeitungsstrategien auf je unbekanntes Vokabular Gruppe A   188 Anteil des häufigsten unbekannten Vokabulars und jeweilige Verarbeitungsstrategien Gruppe B   189 Angewandte Wortverarbeitungsstrategien auf je unbekanntes Vokabular Gruppe B   190 Verwendete Inferenzprozesse Gruppe A   191 Verwendete Inferenzprozesse Gruppe B   192 Worterschließungsstrategie und verknüpfter Textverarbeitungsprozess Gruppe A   194 Häufigkeiten der angewandten Strategien bei Etablierung TWM Gruppe A   195 Worterschließungsstrategie und verknüpfter Textverarbeitungsprozess Gruppe B   196 Häufigkeiten der angewandten Strategien bei Etablierung TWM, Gruppe B   197 Grundtabelle quedarse NNS-Gruppe   304 Grundtabelle quedarse NS-Gruppe   306 Grundtabelle volverse NNS-Gruppe   308 Grundtabelle volverse NS-Gruppe   310 Grundtabelle hacerse NNS-Gruppe   312 Grundtabelle hacerse NS-Gruppe   314 Grundtabelle ponerse NNS-Gruppe   316 Grundtabelle ponerse NS-Gruppe   318

https://doi.org/10.1515/9783110685442-206

XXII  Tabelle 31 Tabelle 32 Tabelle 33 Tabelle 34

 Tabellenverzeichnis

Kumulierte Häufigkeiten über Konstruktionen NNS-Gruppe  Kumulierte Häufigkeiten über Konstruktionen NS-Gruppe  Übersicht über alle Probanden Studie 2   327 Übersicht über alle Probanden Studie 3   332

 320  320

1 Im Dialog mit dem Text: Textverstehen als Interaktion If a writer of prose knows enough of what he is writing about he may omit things that he knows and the reader, if the writer is writing truly enough, will have a feeling of those things as strongly as though the writer had stated them. The dignity of movement of an ice­berg is due to only one­eighth of it being above water. A writer who omits things because he does not know them only makes hollow places in his writing. (Ernest Hemingway, Death in the Afternoon)

In seinem Artikel Analphabetismus als geheimes Bildungsziel (FAZ 24.09.2014) geht Konrad Paul Liessmann hart mit den Unterrichtspraktiken im Bereich Lesen und Schreiben ins Gericht. Auf polemisch­drastische Weise skizziert er den drohenden Verlust der beiden Kulturtechniken und findet auch mehrere «Schuldige», die ihren Beitrag dazu leisteten, dass die Kinder nicht mehr in der Lage seien, Texte zu produ­ zieren oder zu verstehen. Die Hauptverantwortlichen, so Liessman, seien dabei zum einen die Reduktion des Sprachbegriffs auf die Funktion der Informationsübermitt­ lung, die die Komplexität der menschlichen Sprache als Kommunikationsmittel verdecke, und zum anderen die permanente Kontrolle, der sich die Lerner1 während des Lesens ausgesetzt sähen. Außerdem kämen die Lerner über die Nivellierung der Texte im Sinne der «Leichten Sprache» erst gar nicht mehr mit elaborierten dis­ tanzsprachlichen Äußerungen in Kontakt und so sei es nicht verwunderlich, dass unter dem Vorwand der «Zugangserleichterung» im Grunde eine Privilegierung etablierter Bildungseliten vonstattengehe, die den Lernern letztendlich den Zugang zu Wissensbeständen und Erkenntnis verwehre und eben gerade nicht erleichtere. Liessmann spricht in diesem Zusammenhang von einer «systematischen Sabotage» hinsichtlich der Befähigung, Inhalte zu reflektieren, zu evaluieren und damit auch hinsichtlich der Möglichkeit, über Lesen und Schreiben an der Wissensgesellschaft zu partizipieren. Auch macht Liessmann die ständige Kontrolle der Lernprozesse sowie die «Überformalisierung» der Lernformate dafür verantwortlich, dass die Lerner wichtiger Erfahrungen beraubt würden. Die permanente Unterbrechung der Denk­ und Verstehensprozesse wird von Liessmann harsch kritisiert: […] jungen Menschen überhaupt die Möglichkeit zu verwehren, sich wenigstens hin und wieder dem Prozess des Schreibens überlassen zu können, um sich selbst mit einer Ordnung

1 Die vorliegende Arbeit verwendet aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Mas­ kulinum. https://doi.org/10.1515/9783110685442-001

2 

 1 Im Dialog mit dem Text: Textverstehen als Interaktion

oder Unordnung ihrer Gedanken zu konfrontieren, die sich erst im Schreiben gebildet hat, kommt dem mutwilligen und fahrlässigen Verzicht auf eine zentrale Bildungserfahrung gleich. Auch die Texte und Kontrollfragen, die etwa der Pisa­Test benutzt, um die Lesekom­ petenz zu überprüfen, verraten einen einseitigen und eingeschränkten Lesebegriff. Im Zuge der Bestimmung des Lesens als einer ständig zu überprüfenden Kompetenz geht die aktu­ elle Lesedidaktik dazu über, jeden Leseakt durch vermeintlich hilfreiche Kontroll­ und Ver­ ständnisfragen zu stören und damit zu zerstören. […] Wie soll ein Kind, ein junger Mensch unter diesen Bedingungen Lust am Lesen entwickeln, wie soll er lernen, sich der Dynamik des Lesens zu überlassen, in einen Text zu versinken, in den Sog des Geschriebenen zu geraten, wenn er alle paar Minuten über das Gelesene Rechenschaft ablegen, sich nach jedem Absatz überprüfen lassen muss? (Liessmann, FAZ 24.09.2014)

Liessmann konzipiert damit in seinem Pamphlet das Lesen als einen Prozess, in dem der Rezipient mit dem Text in einen Dialog tritt. Dabei geht es eben nicht darum, dass der Leser in einem passiven Vorgang Bedeutungen und Informationen aus dem Text entnimmt, sondern darum, dass die Bedeutung des Textes eben erst durch den Prozess des Rezipierens selbst, also in einem aktiven Prozess zwischen Text und Leser, inkrementell konstituiert wird (Christmann/Groeben 2006, 145). Dies verweist auf die Definition, mit der der Textverstehensbegriff aus der Perspek­ tive einer kognitiven und konstruktivistisch orientierten Textlinguistik beschrieben werden kann: «Insofern handelt es sich beim Lesen als Textverstehen immer um eine Wechselwirkung zwischen Text(­Information) und Rezipienten/innen(­Wissen): eine Text­Leser­Interaktion» (Christmann/Groeben 2006, 146). Diese Bestimmung des Lesens als Textverstehensprozess entspricht auch dem Aspekt, unter dem die vorlie­ gende Arbeit das Lesen in der Fremdsprache analysieren will. Dabei wird der Prozess des Leseverstehens als Dekodierprozess der hierarchieniedrigen Ebenen weitgehend ausgeblendet, da das Textverstehen in erster Linie als Konstruktion konzeptueller Kontinuität verstanden wird, die zur Konstruktion eines Text­Welt­Modells führt (Schwarz­Friesel 2001). Dabei herrscht in der Forschung zu Textverstehensprozessen nahezu Konsens darüber, dass die Herstellung konzeptueller Kontinuität für Leser in einer Fremdsprache meist bedeutend schwieriger zu bewerkstelligen ist als für Leser in der L1 (Kaiser/Peyer 2011, 97). Die Unterschiede, die aus Textverstehensprozessen von Fremdsprachenlernern im Vergleich zu L1­Lesern beobachtet werden können, verweisen meist darauf, dass erstere zwar lokale Kohärenz herstellen können, bei der Etablierung globaler Kohärenz aber oft Schwierigkeiten haben (vgl. Kaiser/Peyer 2011, 104), was dazu führt, dass auch keine Kontinuität im Bereich der konzeptu­ ellen Kohärenz erreicht werden kann. Studien zum Textverstehen in der Fremd­ sprache suchen die Ursachen für diese Schwierigkeiten in mehreren Faktoren: Vor­ wissen, Kompetenzniveau, Interesse oder auch Geschlecht werden herangezogen, um die Komplexität der Vorgänge beim Verstehen von Texten in der Fremdsprache besser fassbar zu machen und zu präzisieren, wo beispielsweise Lehr­/Lernformate ansetzen könnten, um diese Verstehensprozesse besser zu fördern (vgl. Kaiser/Peyer

1 Im Dialog mit dem Text: Textverstehen als Interaktion 

 3

2011, 98–104). Einen zentralen Bereich nehmen dabei Untersuchungen zur Rolle des Vorwissens ein, da dieses auch in den meisten Modellen, die für Textverstehenspro­ zesse in der L1 entworfen wurden, als essentieller Bestandteil für einen gelingenden mentalen Verarbeitungsprozess gilt, in dem es dem Rezipienten gelingt, die Infor­ mationen aus den Textdaten mit dem Kontext und seinem Weltwissen in Einklang zu bringen und zu verarbeiten, wodurch sich eine kohärente Struktur des Textes als mentale Repräsentation ergibt. Bereits 1978 formulierten Kintsch und van Dijk die Interaktion zwischen diesen drei Komponenten – Textdaten, Kontext, Weltwissen – als Grundbedingung für die Kohärenzetablierung: Sentences are assigned meaning and reference not only on the basis of the meaning and reference of their constituent components but also relative to the interpretation of other, mostly previous, sentences. Thus, each sentence or clause is subject to contextual inter­ pretation. The cognitive correlate of this observation is that a language user needs to relate new incoming information to the information he or she already has, either from the text, the context, or from the language user’s general knowledge system. (Kintsch/van Dijk 1978, 389)

Texte aus fremden Kulturen und Gesellschaften rekurrieren in anderer Weise auf Wissensbestände und Kollektivsymbole als wir es aus unseren L1­Leseroutinen gewohnt sind. Die Vermutung, Textverstehensprobleme in der Fremdsprache auf einen Mangel an Vorwissen zurückzuführen, lag demnach auf der Hand. Die Rolle des Vorwissens wurde daher durch mehrere Studien genauer untersucht, wobei im Hinblick auf das relevante Vorwissen bei Textverstehensprozessen zumeist in inhaltliches Vorwissen (generelles Faktenwissen) und kulturelles Vor­ wissen sowie Textsortenwissen unterschieden wird (Kaiser/Peyer 2011, 99). Das Bild, das die Ergebnisse der Studien zeichnen, die den Einfluss des Vorwissens auf die Verstehensleistung untersuchten, ist allerdings kein scharfes: Während beispielsweise die Untersuchungen von Johnson (1981) und Droop und Verhoe­ ven (1998) auf einen positiven Effekt des kulturellen Vorwissens bei Textverste­ hensaufgaben für Fremdsprachenlerner schließen lassen, zeigten Studien, die sich dem Einfluss des inhaltlichen Wissens widmeten, entweder nur vereinzelte positive Effekte (Bernhardt 1991) oder gar keine Wirkung (Hammadou 1991). Im Gegensatz dazu lieferte allerdings die Studie von Barry und Lazarte 1998 Hinweise darauf, dass sowohl inhaltliches als auch Textsortenwissen durch­ aus positiv mit der Etablierung globaler Kohärenz korrelierten. Als Messgröße wurde bei ihrer Studie für die Zielsprache Spanisch die Anzahl der Inferenzen bestimmt, die die Probanden (L1­Englisch) während des Textverstehensprozes­ ses zogen. Dabei zeigte sich auch, dass die Anzahl der Inferenzen bei syntaktisch komplexen Texten höher war als bei syntaktisch einfacheren (Barry/Lazarte 1998). Vorwissen schien sich  also positiv auf die Verarbeitung der sprachlich komplexeren Texte auszuwirken – möglicherweise, da sich die Aufmerksamkeit

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 1 Im Dialog mit dem Text: Textverstehen als Interaktion

über das Vorwissen von der Ebene der linguistischen Analyse auf die Ebene der konzeptuellen Analyse und Verarbeitung verlagern konnte und somit der Fokus auf der Etablierung einer semantischen Sinnstruktur lag, über die dann konzep­ tuelle Kontinuität hergestellt werden konnte.2 Insgesamt aber blieb die Bestim­ mung der tatsächlichen Rolle des Vorwissens vage und ließ kaum Rückschlüsse darauf zu, worin die Probleme bei der Etablierung globaler Kohärenz beim fremd­ sprachlichen Textverstehen tatsächlich herrührten (Kaiser/Peyer 2011, 104). Kaiser und Peyer konstatieren als einen Problembereich bei Tests, die auf die Rolle des Vorwissens abzielen, «dass die Vorkenntnisse […] zu wenig genau bestimmt wurden» (Kaiser/Peyer 2011, 100). Dies ist eine Beobachtung, die für die meisten Definitionen des Weltwissens, wie sie im Rahmen von Analysen zum Textverstehen in der Fremdsprache getroffen werden, zutreffend zu sein scheint (vgl. z. B. Nold/Rossa 2007, 198). Dieses Problem verweist auf ein weiteres, grund­ legendes Problem: Den Untersuchungen wird zumeist die Konzeption eines «idealen» Texts sowie die Konzeption eines «idealen» Lesers zugrunde gelegt, was suggeriert, dass sich Verstehensprozesse rein mentalistisch in der Kognition des Rezipienten abspielen, die in dieser Perspektive als eine Art «Reinraum» konzipiert ist, in den keinerlei Einflüsse von außen auf die Verstehensprozesse einwirken. In dieser Vorstellung generiert der Rezipient Wissen über die Bereit­ stellung «wahrer» Propositionen in «wahren» Texten, da er vollständig über das relevante Wissen, das er dafür benötigt, zu verfügen scheint. Dies verweist auf das Dilemma der Beziehung zwischen Sprache, Denken und Welt, da wir zumeist unsere Wirklichkeitsdarstellung über das Medium Sprache vermitteln, dabei aber bereits Sinneseindrücke und Wahrnehmungen verarbeiten. Die Vorstellung, einer «logische[n] Ordnung der Welt und [einer] ihr korrespondierende[n] ideale[n] Sprache» ist in der Sprachtheorie zu einer Chimäre geworden (Gardt 2007, 265). Diese Loslösung von der Vorstellung eines «abbildtheoretischen Sprachbegriffs» (Gardt 2007, 265) bedeutet in der Konsequenz, dass auch unser Wissen Realität nicht unbeeinflusst widerspiegeln kann. Vielmehr muss unser Wissen in seiner Verfasstheit stets in Verbindung zur Episteme der Gesellschaft gesehen werden, in der wir kommunizieren. Dies bedeutet, dass unsere Verstehensprozesse in gewisser Weise stets die soziale Konstruktion der Wissensbestände reflektie­ ren, die in der Gesellschaft als «Verfestigung von Handlungen und Deutungen in Prozessen der wechselseitigen Typisierung» (Keller 2011, 43) institutionalisiert sind. Über diesen Rückbezug menschlicher Verstehensprozesse auf einen sozial 2 Barry/Lazarte (1998, 191) führen die höhere Anzahl der Inferenzen auch darauf zurück, dass sich die Elaboration auf Ebene der konzeptuellen Kohärenz im Vergleich zur Elaboration auf der linguistischen Ebene als effektivere Strategie für das Textverstehen erwies und die Probanden daher verstärkt darauf zurückgriffen.

1 Im Dialog mit dem Text: Textverstehen als Interaktion 

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konstruierten Bestand an gesellschaftlichen Regeln und Normen, die Verstehen regeln, müssen Verstehensprozesse innerhalb von sprachlichen kommunikativen Kontexten als zumindest teilweise präfiguriert betrachtet werden. Diese wissens­ soziologische Sicht auf die Konstruktion menschlicher Wissensbestände ver­ weist darauf, dass Verstehen stets innerhalb des sogenannten «kommunikativen Haushalts» (Luckmann/Berger 1980) einer Gesellschaft zu sehen ist. In diesem kommunikativen Haushalt sind die Normen, Regeln, Kategorisierungen und auch Deutungen einer Gesellschaft als epistemische Wissensbestände festgelegt und der Mensch greift in seiner Ausdeutung der Welt unweigerlich darauf zurück (vgl. Keller 2011, 42–43). Dies impliziert auch, dass wir beim Textverstehen Infor­ mationen nicht nur über Textinformationen, den jeweiligen Kontext des Textes und Weltwissen elaborieren, sondern diese auch stets vor dem Hintergrund unseres epistemischen Wissens evaluieren und validieren. Können wir auf diese Ebene nicht zurückgreifen, so bleibt der Verstehensprozess letztlich unvollstän­ dig. Diese Ebene ist allerdings in den meisten kognitiv ausgerichteten Modellen zum Textverstehen nicht explizit enthalten, sondern wird über die Integration des Weltwissens als außersprachlicher Wissensbestand sozusagen stillschweigend geleistet. Dies führt aber in der Folge zu einem undifferenzierten und unpräzisen Wissensbegriff, der in dieser Form für Untersuchungen, die sich auf Störungen und Blockaden während des Organisationsablaufs des Textverstehens konzent­ rieren, unbrauchbar wird. Daher wird hier vorgeschlagen, die außersprachlichen Wissensbestände, die beim Textverstehen aktiviert werden, in folgende Formen zu untergliedern: 1) Weltwissen als generelles, enzyklopädisches Faktenwissen, das in dieser Form auch kulturelles Wissen, z. B. Wissen über kulturelle, histo­ rische Ereignisse inkludiert; 2) konnotatives Wissen, das auf persönlichen und individuellen Erfahrungen beruht und 3) epistemisch­diskursives Wissen, das als soziale Konstruktion als Folie für Wertungs­ und Assoziationsprozesse z. B. im Hinblick auf Kollektivsymbole und Sinnzuweisungen dient. Damit wird auch der Herausforderung begegnet, die in der Metaphorik der «Partizipation» mit Blick auf den Lerner und Lernprozesse herangezogen wird und die aktuell als leitend für den Bildungsbegriff bestimmt werden kann: Lernen bedeutet Teilhabe an der Episteme einer Gesellschaft (Sfard 1998, 6). Verstehensprozesse müssen demnach auch stets vor dem Hintergrund dieser Forderung als Möglichkeit der Partizipa­ tion an Wissensgesellschaften definiert werden und bedürfen daher auch einer entsprechenden Kategorisierung der beteiligten Wissensformate. Ein solchermaßen ausdifferenziertes System antwortet aber nicht nur auf die Notwendigkeit einer adäquaten Beschreibung menschlicher Wissensbestände, son­ dern es erleichtert in Bezug auf das außersprachliche Wissen auch die Identifikati­ on, auf welcher der genannten Wissensebenen die Bedeutungszuweisung während des Textverstehens nicht gelingen konnte. Dies verlangt eine weitere theoretische

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 1 Im Dialog mit dem Text: Textverstehen als Interaktion

Präzisierung, die in Textverstehensmodellen der kognitiven Textlinguistik ebenfalls nur implizit transportiert wird: Die Unterscheidung zwischen den Bedeutungsdi­ mensionen einerseits, die sprachliche Zeichen in ihrer Eigenschaft als Bedeutungs­ träger in sich bergen, und den Wissensformaten andererseits, die Zeichen auf der konzeptuellen Ebene evozieren und die dann zu einer Bedeutungszuweisung füh­ ren. Um dies zu erreichen, schlägt die vorliegende Arbeit die Integration eines kom­ plexen Zeichenmodells (Blank 1997) vor, über das die unterschiedlichen Funkti­ onen und Ebenen dargestellt werden können. Dadurch wird die Komplexität des Organisationsablaufs der einzelnen Aktivierungen auf der konzeptuellen Ebene für die Bereiche des einzel­ und außersprachlichen Wissens sichtbar gemacht und Störungen in diesem Ablauf im Sinne fehlgeleiteter (Missverstehen) oder abge­ brochener Abbildungsprozesse können auf der konzeptuellen Ebene interpretiert werden. Dies erlaubt, die Komplexität des Textverstehens im Moment des Inein­ andergreifens der evozierten Konzepte in einer Weise zu reduzieren, so dass die «Störstelle» lokalisiert werden kann. Dadurch ergibt sich ein Erklärungsraum für Störungen und Blockaden des Textverstehens, der in fremdsprachlichen Lesekon­ texten als Instrument eingesetzt werden kann, um die Probleme von Lernern beim Textverstehen leichter nachvollziehbar zu machen und dementsprechend bei­ spielsweise passende Strategien stärker zu trainieren oder auch Aufgabenformate anzupassen. Vorliegende Arbeit definiert die Probleme beim Textverstehen in der Konse­ quenz dieser Überlegungen als Störungen bei mapping­Prozessen, die vorwie­ gend die Bedeutungszuweisung zwischen konzeptuell einzelsprachlicher und konzeptuell außersprachlicher Ebene betreffen. Damit wird auch hier davon aus­ gegangen, dass sich Rezipienten während des Textverstehensprozesses stärker darauf konzentrieren, semantische Sinnstrukturen zu etablieren und dass die Verarbeitung der syntaktischen Strukturen während dieses Prozesses für die Bedeutungszuweisung eine sekundäre Rolle spielen (Christmann/Groeben 2006, 156–157) – es sei denn, sie werden nicht in ihrem Bedeutungszusammenhang erkannt, wie beispielsweise im Fall komplexer, nicht­kompositioneller Struktu­ ren, was dann die Konstruktion einer semantischen Sinnstruktur blockiert. Dies wiederum scheint für das fremdsprachliche Textverstehen durchaus von Belang zu sein, da in diesem Fall der mapping­Prozess bereits zwischen Bedeutungsdi­ mensionen und Wissensebenen nicht korrekt abläuft. Das führt zu der – für das fremdsprachliche Textverstehen essentiellen – Frage, welche Rolle das Kompe­ tenzniveau in der Zielsprache spielt. Etliche Studien weisen darauf hin, dass die Etablierung konzeptueller Kontinuität durchaus mit einem höheren Sprachniveau in Verbindung steht (Geva 1992; Horiba 1996). Auch hier können die Ergebnisse erneut vor der access­Hypothese Walters diskutiert werden, dass die linguistische Analyse den Zugang zu allgemeinen kognitiven Problemlösestrategien behindere

1 Im Dialog mit dem Text: Textverstehen als Interaktion 

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und die Lerner daher erst gar nicht auf die Ebene der konzeptuell­inhaltlichen Elaboration kämen (Walter 2004; 2007). Die Lerner selbst führen diese Probleme gern auf einen Mangel an entsprechendem Vokabular zurück, wobei allerdings diskutiert werden muss, ob nicht eher ein Mangel an geeigneten Strategien der Bedeutungszuweisung für die Verstehensprobleme verantwortlich zeichnet. Vermutet wird auch hier, dass das ursächliche Problem in der Organisation der mapping­Prozesse auf der konzeptuellen Ebene liegt, wodurch ein ganzheitliches Verstehen und eine daraus resultierende Sinnzuweisung erschwert werden. Die vorliegende Arbeit lässt sich in drei größere inhaltliche Abschnitte glie­ dern: Einem theoretischen Teil, in dem die Grundlagen zu Sprach­ und Textver­ stehensprozesse aus verschiedenen Perspektiven zunächst allgemein beleuchtet und in einen Erklärungszusammenhang überführt werden, der zeigt, dass es notwendig ist, die Organisation von Verstehensprozessen aus einer mehrdimen­ sionalen Modellierung heraus zu betrachten, um sich ihrer Komplexität anzu­ nähern. Das Augenmerk liegt dabei vor dem Hintergrund zeichentheoretischer Annahmen auf den Abbildungsprozessen zwischen den einzelnen Wissensfor­ maten auf der konzeptuellen Ebene. Ein zweiter, ebenfalls theoretisch ausge­ richteter Teil, transferiert diese Annahmen und Modellierungen dann auf das Textverstehen in der Fremdsprache, wobei besonders die Rolle des Texts für den Fremdsprachenunterricht berücksichtigt wird und wie diese Annahmen gewinn­ bringend in Lehr­/Lernkontexte integriert werden können. In diesem zweiten Teil wird der Blick auch auf drei Schwerpunkte verengt, die als zentrale Schwachstel­ len in der Organisation des fremdsprachlichen Textverstehens bestimmt werden. Ein dritter, empirischer Teil analysiert diese Schwachstellen dann im Rahmen von drei Studien für die Sprachen Französisch und Spanisch auf ihre Relevanz. Das erste Kapitel stellt das Zusammenspiel zwischen den einzelnen Wissensfor­ maten, die während des Verstehensprozesses in der Kognition organisiert werden müssen, ausführlich dar und diskutiert den jeweiligen Stellenwert der Wissensfor­ mate für ein gelingendes (Text­)Verstehen. Im Rahmen dieses Kapitels wird eine zeichentheoretische Basis für die Modellierung von Textverstehensprozessen sowie eine Differenzierung der außersprachlichen Wissensbestände vorgeschlagen und diese Darstellung der Verstehensprozesse zu den Annahmen modularistischer wie auch konnektionistischer Modelle in Bezug gesetzt. Dabei wird im Rahmen dieser Arbeit eine integrative Sicht vertreten. Zudem werden in einem weiteren Unterka­ pitel grundlegende Thesen zu Text und Textverstehen aus textlinguistischer Sicht erläutert und vor dieser Folie ein erweitertes Text­Welt­Modell in Anlehnung an Schwarz­Friesel (2001) und Schwarz­Friesel/Consten (2014) vorgeschlagen. Im zweiten theoretischen Teil wird dieses Modell dann auf das Textverste­ hen in der Fremdsprache übertragen und auf dessen Basis ein Erklärungsraum für Störungen im Organisationsablauf der Textverstehensprozesse entworfen,

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 1 Im Dialog mit dem Text: Textverstehen als Interaktion

wobei der Fokus vor allem auf mapping­Prozessen zwischen einzel­ und außer­ sprachlicher konzeptueller Ebene ruht. Hier werden auch verschiedene Modelle des multilingualen mentalen Lexikons auf ihre Brauchbarkeit in Bezug auf ihre Beschreibung der konzeptuellen Ebene analysiert und ebenfalls eine Verbindung mit zeichentheoretischen Annahmen postuliert, die zu präziseren Darstellungen der Abbildungsprozesse führen soll. In einem dritten Schritt werden die Hypothesen, die aus dem postulierten Erklärungsansatz theoretisch abgeleitet wurden, dann empirisch überprüft und mögliche Implikationen für den Fremdsprachenunterricht aus den Ergebnissen der Studien abgeleitet und diskutiert. Das letzte Kapitel bietet eine Zusammenfassung sowie einen Ausblick auf weiterführende Studien im Bereich des Textverstehens in der Fremdsprache.

2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen: Modellierung eines linguistisch fundierten (Text)Verstehensmodells Aus dieser Sprache, die sich rings um uns befindet, zugleich aber nicht vorhanden ist, gilt es zu übersetzen. Wir übersetzen, ohne den Urtext zu haben. Die gelungenste Übersetzung kommt ihm am nächsten und erreicht den höchsten Grad von Wirklichkeit. (Günter Eich, Der Schriftsteller vor der Realität)

Lesen, so Hurrelmann, sei nicht nur eine grundlegende Voraussetzung für gesell­ schaftliche Partizipation, sondern darüber hinaus «kommunikatives Handeln», das denjenigen, der diese Kulturtechnik beherrscht, ermächtigt, an der Vielfalt der Verständigungsprozesse in der und über die Welt aktiv teilzunehmen (Hur­ relmann 2002, 123). In dieser Bestimmung des Begriffs der Lesefähigkeit wird Lesen als Handeln fokussiert, das auf Verstehensprozessen beruht, aber selbst auch zum Ausgangspunkt weiterer Verstehensprozesse werden kann. Dies deutet auf die Vielschichtigkeit des Lesebegriffs3 hin, der verschiedene Dimensionen der Lesefähigkeit wie auch des Lese­ und Textverstehens inkludiert. Um diese unterschiedlichen Dimensionen in Bezug auf die Lesekompetenz4 und die jeweils mit ihnen verbundenen Forschungsfragen greifbarer zu machen, wird bisweilen unterschieden zwischen der Lesefähigkeit im Sinne eines Deko­ dierprozesses und der Lesefähigkeit im Sinne eines Textverstehensprozesses (vgl. Rost 2018). Dabei kann der Fokus auf der kognitionswissenschaftlichen Per­ spektive ruhen, die die hierarchiehöheren Ebenen der Lesekompetenz analysiert (Leseverstehen = Textverstehen). Davon ausgehend wird versucht, Rückschlüsse auf mentale Prozesse zu ziehen, die dem menschlichen Verstehen zugrunde liegen (vgl. Rosebrock et al. 2011). Die hierarchieniedrigen Prozesse (Leseverste­ hen = Dekodieren) bilden, wie gesehen, ebenfalls eine wichtige Domäne in der Lesekompetenzforschung, gehen sie den erstgenannten doch als unbewusste, automatisierte Dekodierprozesse voraus und bedingen somit ein gelingendes Lese­ und Textverstehen.5 So bedeutet für den Leseanfänger das Lesen in erster 3 Vgl. beispielsweise zu einer Geschichte des Lesens Gauger (1996). Gauger unterteilt diese Ge­ schichte in sechs aufeinanderfolgende Epochen von Lesekulturen, in denen das Lesen jeweils eine bestimmte dominierende soziale Funktion erfüllt habe. 4 Voraussetzung für alle im Rahmen der vorliegenden Arbeit gemachten Aussagen in Bezug auf Lese­ und Textverstehen ist ein unauffälliger Leseerwerb in der L1. 5 Vgl. zur Differenzierung in hierarchieniedere und hierarchiehöhere Ebenen im Bereich der Le­ sekompetenz Richter/Christmann (2002, 28–34). Da die vorliegende Arbeit sich auf Prozesse des https://doi.org/10.1515/9783110685442-002

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

Linie ein (oft) mühsames Entschlüsseln graphischer Zeichen und grammatischer Strukturen bis er die Ebene der hierarchiehöheren Verstehensprozesse erklimmen kann, auf der er dann, da das Dekodieren nun automatisiert abläuft, auf Wort­ und Satzebene zum Aufbau lokaler und globaler Kohärenz gelangt.6 Ein geübter Leser hingegen wird vermutlich je nach Text und Anlass das Lesen zwar auch als anstrengend, vielleicht gar langweilig empfinden, aber, liest er zum Vergnügen, ebenfalls als ein Eintauchen in eine fremde Welt. Zusammenfassend können die Unterschiede zwischen Lese­ und Textverstehen mit den ihnen korrespondieren­ den Aufgabentypen, wie sie bei Lese­ und Textverstehensaufgaben zum Einsatz kommen sowie den verschiedenen Verarbeitungsebenen folgendermaßen darge­ stellt werden (vgl. Tabelle 1): Tabelle 1: Lese- vs. Textverstehen.7 Leseverstehen

Textverstehen

– Sprachliche Ebene: einzelsprachliches Wissen, z. B. Graphem-PhonemDekodierung, lexikalische Informationsverarbeitung – Verarbeitungseinheiten: Wortlänge, Satzlänge, Satzstellung, formulaic language, Sprachgebrauchsmuster, Frequenzeffekte

– Sprachliche Ebene: einzelsprachliches Wissen – Außersprachliches Wissen: konnotatives Wissen, enzyklopädisches Wissen, epistemisch-diskursives Wissen – Verarbeitungseinheiten: Menge der neuen Informationseinheiten, neue Konzepte, Ambiguitäten, Polysemie, Erkennen des Texttyps/der Gattung8

Text­ und Leseverstehens konzentriert, die auf der hierarchiehöheren Ebene angesiedelt sind, wird der Leseerwerb als Erwerb von Dekodierprozessen nur marginal berücksichtigt. Vgl. aber grundlegend zum (Erst­)Leseerwerb Bredel/Fuhrhop/Noack (2011). 6 Lokale Kohärenz meint dabei die Herstellung eines Sinnzusammenhangs zwischen unmit­ telbar aufeinanderfolgenden Textsegmenten. Globale Kohärenz bezieht sich dagegen auf die Etablierung eines Sinnzusammenhangs über den gesamten Text hinweg. Lokale Kohärenzpro­ zesse zählen dabei zu den hierarchieniedrigen Teilprozessen, globale Kohärenzbildung zu den hierarchiehöheren (vgl. Schnotz 2006). Vgl. zu den unterschiedlichen Verstehensprozessen im Leseerwerb Richter/Christmann (2002, 28). 7 Die hier vorgenommene Trennung soll nicht dahingehend interpretiert werden, dass die Pro­ zesse, die für ein Leseverstehen und die Prozesse, die für ein Textverstehen postuliert werden, streng voneinander getrennt ablaufen. Selbstverständlich laufen sie teilweise parallel ab und in­ teragieren miteinander, gerade bei geübten Lesern (vgl. hierzu z. B. Christmann/Groeben 2006). Die Trennung dient hier vor allem der übersichtlicheren Darstellung der Komplexität von Lese­ und Textverstehensprozessen. 8 Je nach Salienz der typischen Textsortenmerkmale kann diese jedoch auch schon auf Ebene des Leseverstehens als Information verarbeitet werden, z. B. Textsorte Brief, Gebrauchsanweisung oder Rezept.

2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen 

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Tabelle 1 (fortgesetzt) Leseverstehen

Textverstehen

– hierarchieniedrige Teilprozesse des Verstehens: lokale Kohärenz, Aufbau der propositionalen Textrepräsentation – Gedächtnisebene: Kapazität des Arbeitsspeichers/Arbeitsgedächtnis (AG) – Zugeordnete Aufgaben aus lesedidaktischer Sicht: Aufgabentypen: Fragen, Zusammenfassungen, Lückentexte, Unterstreichungen, Einzelwortsuche (= oberflächliche Elaborationen auf niederer Hierarchieebene im processing)

– hierarchiehöhere Teilprozesse des Verstehens: globale Kohärenz, Superstrukturen, rhetorisch-stilistische Kategorisierung – Gedächtnisebene: Interaktion AG und Langzeitgedächtnis (LZG) (Lernprozesse) – Möglichkeit, auf Ebene des «Textsinns» zu gelangen (Interpretation) – Zugeordnete Aufgaben aus lesedidaktischer Sicht: Vorwissensaktivierung, Visualisierung, Verarbeitung auf Konzeptebene, z. B. vernetztes Lesen9 (= tiefergehende Elaborationen auf höherer Hierarchieebene)

– kognitive Verarbeitung auf Ebene der Kohäsion

– kognitive Verarbeitung multipler Bedeutungsebenen – Ebene der frames/scripts – Ebene des mentalen Modells – Ebene der Kohärenz/ Kohärenzkontinuität über «bloße» Textebene hinaus – Ebene des Text-Welt-Modells (Schwarz-Friesel 2001; 2006)

Sowohl Lese­ als auch Textverstehen beinhalten für die jeweiligen Textre­ zipienten demnach, in Abhängigkeit von Alter, kognitiver Reife und Lesesozia­ lisation,10 unterschiedliche Herausforderungen. All diesen Leseerfahrungen ist jedoch eines gemeinsam: Ausgehend von einem Medium, das als Text identi­ fiziert wird, aktiviert das menschliche Gehirn Verstehensprozesse im weitesten Sinne des Wortes. Innerhalb dieser Verstehensprozesse vollziehen sich komplexe neuronale und kognitive Vorgänge, die im Rahmen des vorliegenden Kapitels skizziert werden sollen, um so eine Grundlage zu schaffen, auf der die Bedeu­ tung des Verstehens sprachlicher Äußerungen im Allgemeinen und des Lese­ und Textverstehens im Besonderen modelliert werden sollen. Nahezu alle Theorien in der Lese­ und Textverstehensforschung legen dabei ihren Modellen die Vorstel­ 9 Vgl. zu dieser Methode v. a. Costa (2010). 10 Vgl. hierzu z. B. Isler/Philipp/Tilemann (2010).

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

lung zugrunde, dass das Textverstehen auf einer Interaktion zwischen Textdaten, externalen Bedeutungsfaktoren und dem Weltwissen des Rezipienten beruht, die als fortlaufende Bewegung zwischen Bottom-up- und Top-down­Prozessen11 beschrieben werden kann. Der Text wird dabei zu einem komplexen kommunika­ tiven Zeichen, über das die menschlichen Wissensstrukturen aktiviert und modi­ fiziert werden können. In Bezug auf die Textverarbeitung weist Strohner auf die notwendige Diffe­ renzierung zweier Verarbeitungsdimensionen innerhalb des Textverstehens hin, die es bei einer Modellierung der Verarbeitungsprozesse zu berücksichtigen gilt: die systemische und die kommunikative Ebene (Strohner 1990, 14). In Bezug auf das Textverstehen auf der kognitiven Ebene muss der Text als Information defi­ niert werden, die die Datenbasis für den Verstehensprozess bildet (Ebene der Textdaten, Bottom-up-Prozesse). Auf der Ebene der Kommunikation bildet der Text stets die Funktion einer Nachricht ab, die eine Reaktion auslösen möchte und die ebenfalls Teil des Verstehensprozesses sein muss (Ebene der Bedeu­ tungs­ und Referenzdeterminations sowie der Sinnzuweisung, Top-down­Pro­ zesse, vgl. Strohner 1990, 76).12 Im Folgenden soll nun zunächst die Dimension des Systems in den Blick genommen werden, um zu klären, welche neuronalen und welche kognitiven Prozesse bei der Verarbeitung von «Text» als Form des sprachlichen Inputs akti­ viert werden. Dabei sollen zuerst die neuronalen Prozesse, wie sie über bildge­ bende Verfahren zumindest annäherungsweise ermittelt werden können, darge­ stellt werden, um dann über die Darstellung der kognitiven Prozesse sowie der Wissensstruktur und ­information zu einer allgemeinen Theorie des Sprach­ und Textverstehens zu gelangen.

11 Bottom-up­Prozesse seien hier definiert als (text­)datengeleitete Prozesse, bei der konkrete sprachliche Realisierungen in abstrakte Repräsentationsformen umgewandelt werden. Topdown­Prozesse umfassen dagegen die konzept­, wissens­ und vorstellungsgeleiteten Vorgänge, die zu einer Interpretation der ankommenden Daten führen. Da Top-down­Prozesse während der Verarbeitung permanent ablaufen, kommt es auch nur zu einer selektiven Wahrnehmung von Ereignissen, so dass der jeweilige Kontext als Bezugsrahmen an Bedeutung gewinnt. Vgl. hierzu z. B. Zimbardo/Gerrig (1999). 12 Diese Sicht auf Textverstehensprozesse kann als zentral für sprachbezogene Verstehenspro­ zesse allgemein gesehen werden – Sprachverstehen in der Kommunikation zielt immer auf die Bereitstellung von Sinn ab.

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen Beschäftigt man sich mit der Theorie der Sprachverarbeitung und des Sprachver­ stehens aus der kognitiven Perspektive, so kommt man nicht umhin, zwischen zwei, sich widersprechenden Theorien Stellung zu beziehen: der Modularitäts­ und der Interaktionstheorie (Christmann/Groeben 2006, 155). Die klassisch­mo­ dalen Auffassung geht dabei davon aus, dass die neuronalen Repräsentationen über modale Systeme in sogenannte amodale Symbole transferiert werden, die dann in dieser Form für weitere kognitive Prozesse verwendet werden können. Dies würde bedeuten, wir verarbeiten sprachliche Informationen über ein auto­ nomes Sprachmodul. Oder ist Sprachverarbeitung doch als ein reines Epiphäno­ men der allgemeinen Kognition zu sehen? Dies würde bedeuten, wir verarbeiten Sprache als einen sensorischen Reiz unter vielen innerhalb eines konnektionisti­ schen Systems – dies wäre ein dynamischer Ansatz, der Verarbeitung als probabi­ listische Mustererkennung (statistische Verfahren) modelliert (Sucharowski 1996, 161). Syntaktische Muster würden dann unter der Hinzunahme des semantischen und pragmatischen Kontexts wie auch des außersprachlichen Wissens analysiert (vgl.  Christmann/Groeben 2006, 155–156). Im Rahmen der interaktionistischen Theorie muss auch auf die Annahmen der «embodied cognition» hingewiesen werden: Hierbei wird davon ausgegangen, dass unsere Kognition und die Ver­ arbeitung von Information in hohem Maße von unserer Körperlichkeit beein­ flusst werden, das heißt, Geist, Körper und Umwelt müssen als Komponenten eines dynamischen Systems verstanden werden, in dem die Verarbeitung stets über die Interaktion zwischen den einzelnen Komponenten abläuft (Barsalou 1999).13 Gegenwärtig scheint diese Diskussion nahezu in eine Sackgasse geraten zu sein (Zwaan 2014, 229), und so entpuppt sich die Frage nach der menschlichen Informationsverarbeitung immer noch als ein ungelöstes Problem innerhalb der kognitions­ und psycholinguistischen Forschung, dem man sich nur über ver­ schiedene Modellierungen annähern kann. So lässt es sich nicht vermeiden, eine

13 Barsalou weist aber darauf hin, dass vermutlich nur eine Synthese der gewonnenen Erkennt­ nisse der drei Ansätze zu einer Annäherung an die mentalen menschlichen Verarbeitungspro­ zesse führe: «[…] I believe that each of these approaches has discovered something fundamental­ ly important about human knowledge, which the other two have not. Classic amodal approaches have discovered the importance of structured representations, productivity, and propositions. Statistical approaches have discovered the importance of generalization, partial matches, adap­ tation, frequency effects, and pattern completion. Embodied approaches have discovered the importance of grounding knowledge in sensorymotor mechanisms and the significance of en­ vironments and action for cognition» (Barsalou 1999, 652).

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

reduktionistische Sicht auf den menschlichen Verstehensprozess einzunehmen, um die Prozesse, die in der Kognition beim Verstehen, Erkennen und auch beim Wissenserwerb stattfinden, wenigstens ansatzweise darzustellen, um so in lern­ und lehrtheoretischen Kontexten Antworten auf Fragen nach einer Input­ und Methodenoptimierung und damit auch nach einer effektiveren Form des Lernens zu finden. Lernen wird hierbei definiert als Wissenserwerb, der auf Informations­ verarbeitung basiert, die über Aufmerksamkeit, Üben und Evaluierung zu einer Konsolidierung von Inhalten führt. Dabei kommt es zur Speicherung mentaler Repräsentationen (Schemata, scripts, frames etc.). Lernen wird so einerseits als Informationsverarbeitung, andererseits aber auch als aktive Konstruktion von Wissen verstanden, da es im Rahmen des Lernvorgangs auch zu Interpretations­ und Evaluationsprozessen im Sinne eines individuellen Lernens kommt (Hassel­ horn/Gold 2009, 63–64).14 In dieser Perspektive nehmen Texte eine bedeutende Rolle ein, beruht doch ein Großteil unserer Wissenserwerbsprozesse auf der Interaktion mit didaktischen bzw. Lehrtexten, das heißt wir werden kontinuier­ lich mit der Aufgabe konfrontiert, Informationen aus Sach­ und Instruktions­ texten zu verarbeiten. Vor dem Hintergrund der immer bedeutsamer werdenden Forderung nach interkultureller Kompetenz, die Lerner einer Fremdsprache im Sinne einer Alteritätserfahrung und gesellschaftlicher Partizipation ausbilden sollen, kann diese Aussage auch für narrative Texte getroffen werden, da auch hier Lernprozesse stattfinden können, die möglicherweise erst auf einen zweiten Blick ihre Relevanz für kulturelle Fragestellungen offenbaren. In Anlehnung an die PISA­Studie können somit der Informationsermittlung und ­verarbeitung als einem zentralen Aspekt von Lernen aus Texten noch die Aspekte textbezogenes Interpretieren sowie Reflexion und Bewertung15 von Textinformationen hinzuge­ fügt werden (Richter 2003, 13).

14 Diese Perspektivierung des Lernens als aktive Konstruktion von Wissen, die zu Wissens­ erwerb führt, wird in der vorliegenden Arbeit vertreten. Vgl. zur Definition des Begriffs Lernen v. a. Hasselhorn/Gold (2009, 35–66). 15 Auf die Tatsache, dass Reflexions­ und Bewertungsprozesse in der kognitionspsycholo­ gischen Forschung nicht in den Blick genommen wurden, weisen bereits Richter/Christmann (2002) hin. Richter (2003) antwortet auf dieses Desiderat, indem eben diese Prozesse für das Le­ severstehen bei Sachtexten kognitionspsychologisch analysiert werden. Allerdings geht Richter dabei nicht auf die Rolle der sprachlichen Verfasstheit von Welt ein (vgl. Richter 2003), wie es im Rahmen der vorliegenden Arbeit aus einer konstruktivistischen Sicht der Fall ist: In dieser Sicht wird Sprache zur zentralen Vermittlungsinstanz für die Konstruktion unserer Realität(en). Die Frage, wie wir zu Plausibilitätsurteilen über Informationen gelangen, die wir Texten entnehmen, stellen sich allerdings auch linguistische Arbeiten zur kognitiven Verarbeitung beim Textverste­ hen nicht, vgl. zu einer Kritik dieses Defizits z. B. Busse (2015).

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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Angesichts einer so gewählten Definition von Lernen gewinnen Fragen nach der konzeptuellen Organisation unseres Wissens einen besonderen Status, also solche, die einerseits die kognitive Verarbeitung von Input, andererseits aber auch die Speicherungsform verschiedener Wissensformate betreffen. Während modulare Ansätze davon ausgehen, dass das semantische und konzeptuelle Wissen als zwei voneinander getrennte Systemebenen des menschlichen Geistes zu konzipieren seien, wobei die semantische Repräsentationsebene von sprach­ lichen Prinzipien determiniert wird,16 verknüpfen holistische Modellierungen diese Ebenen miteinander.17 Hinweise darauf, dass ein paralleles processing verschiedener Informations­ ebenen als Netzwerkaktivierung über die Verknüpfung semantischen und kon­ zeptuellen Wissens bei der Verarbeitung sprachlichen Inputs wahrscheinlich ist, geben neuere Untersuchungen aus dem Bereich der Sprachverarbeitung. Dies stärkt die Annahme einer holistischen wie auch konnektionistischen Verarbei­ tung des sprachlichen Inputs, in der semantisches und konzeptuelles Wissen eben nicht als getrennte Module, sondern als verknüpfte Domänen konzipiert sind:18 At the semantic level, the co­activation of left fronto­temporal language regions with modal­ ity­specific areas reflecting semantic aspects of language materials supports neurocognitive theories of embodied cognition that view the conceptual and semantic store as a result of information exchange with the world in the context of perceptions and actions. (Pulvermüller 2009, 168)

Um sich Verstehensprozessen, denen sprachlicher Input zugrunde liegt, im Modell anzunähern, gilt es demnach, zunächst die Struktur unseres conceptual

16 Wiese etabliert innerhalb eines modularistischen Ansatzes beispielsweise eine Schnittstel­ len­Ebene, die Elemente des conceptual systems sprachlichen Strukturen zugänglich macht. Ihr Modell differenziert dabei sprachliche und nicht­sprachliche Bedeutungsaspekte innerhalb eines komplexen Moduls und trennt somit auch semantische und konzeptuelle Elemente. Sie interpretiert dabei die semantische Repräsentation als Filter der konzeptuellen Repräsentations­ ebene (Wiese 1999, 93–94). Im Rahmen eines konnektionistischen Modells würde der Kontext die Bedeutungszuweisung aktivieren und somit die notwendigen Konzepte selegieren. 17 Ein komplexes Zeichenmodell, das sich leicht an die konnektionistische Modellierung von Bedeutungskonstitution adaptieren ließe und trotzdem von trennbaren Dimensionen für die Bedeutungszuweisung sowie getrennten Wissensformaten ausgeht, bietet beispielsweise Blank (1997, 98–101). Wie dieses Modell für die Modellierung von Verstehensprozessen adaptiert wer­ den kann, wird in Kapitel 2.1.3 ausführlich erläutert. 18 Es soll an dieser Stelle allerdings nicht verschwiegen werden, dass andere Arbeiten aus dem Bereich der Neurolinguistik weiterhin rein modulare Modelle stützen. Diese stützen ihre Argu­ mentation weniger auf die räumliche als auf die zeitliche Dimension der Verarbeitungsprozesse, sondern modellieren die Beziehung zwischen semantischem und konzeptuellem Wissen über die Vorstellung eines Interface, vgl. z. B. Friederici (2002).

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

systems sowie die Faktoren, die darauf Einfluss nehmen, näher zu beschreiben. Dies bedeutet in Bezug auf Sprachverarbeitung vor allen Dingen hinsichtlich des Aufbaus des mentalen Lexikons Stellung zu beziehen. Auch hier stehen sich kon­ troverse Ansichten in Bezug auf die Frage gegenüber, inwieweit neben sprachli­ chem Wissen auch Weltwissen im mentalen Lexikon abgespeichert ist, verbunden mit der Überlegung, dass wir eben nicht «Wörter» speichern, sondern vielmehr Symbole und Konzepte, deren jeweilige Bedeutung erst über den Gebrauch akti­ viert wird (vgl.  Elman 2004). Wie bereits erwähnt, plädieren modularistische Ansätze hier für eine Trennung, während konnektionistische Theorien wie auch der Ansatz der «embodied cognition» dagegen eine Verknüpfung der beiden Wis­ sensbereiche postulieren (Schwarz 2008, 106). Wie also arbeiten Sprache und Gehirn zusammen?

2.1.1 Gehirn und Sprachverstehen: Die neurobiologische und -linguistische Perspektive Vor etwa 35 Jahren ist die Untersuchung von Lese­ und Textverstehensprozes­ sen in den Fokus kognitionspsychologischer Forschungsarbeiten gerückt, nicht zuletzt, um neben der Erforschung von Störungen und Krankheitsbildern wie Aphasie, Dyslexie etc. gezielt auch die Lern­Lehrformate im Hinblick auf die Methodik des Leseerwerbs sowie auch der Verstehensprozesse zu verbessern (vgl. Rayner et al. 2012, 3). Der Leseprozess wird dabei als eine äußerst komplexe Form der Sprachverarbeitung verstanden, bei der es zunächst darum geht, dass dem Leser der Dekodierungsprozess (reine Informationsverarbeitung ohne Eva­ luation)19 gelingt, bevor auf der hierarchiehöheren Ebene dann ein Verstehen der verarbeiteten Informationen einsetzt, das mit Wissenserwerb gleichgesetzt werden kann. Auf dieser Ebene finden auch Validierungen, Evaluationen und Kontrolle der Informationen statt, bevor sie in die Strukturen des Langzeitge­ dächtnisses (LZG) integriert werden. Um Sprachverarbeitungsprozesse sichtbar zu machen, greift man in der neurolinguistischen Untersuchung vor allem auf bildgebende Verfahren zurück. Dabei kommen hämodynamische Verfahren wie PET und fMRI zur Anwendung, 19 Sicherlich kann der Evaluierungsprozess, wie bereits erwähnt, bei geübten Lesern nicht vom Dekodierungsprozess getrennt werden. Wie Christmann/Groeben (2006) hervorheben, kommt ein geübter Leser gar nicht umhin, parallel zu den Dekodierungsprozessen auch sofort Verste­ hensprozesse zu elaborieren (Christmann/Groeben 2006, 172–178). Die Frage, die sich für den Fremdsprachenunterricht hier unweigerlich stellt, ist, ob die Lerner über Wissensbestände ver­ fügen, die ihnen eine solche Kontrolle ermöglichen.

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

 17

um herauszufinden, welche Gehirnbereiche während der Sprachverarbeitung aktiviert werden.20 Die derzeit wohl komplexeste Form zur Darstellung und Modellierung von Gehirnaktivitäten in Bezug auf Sprachverarbeitungsprozesse bieten MEG­Studien. Dienen PET, fMRI und MEG vorwiegend zur Lokalisierung von Gehirnaktivitäten, können Verarbeitungszeiten über Stimulus­Response­Me­ thoden mittels elektromagnetischer Techniken in EEG­ und ERP­Verfahren bild­ lich dargestellt und über sie wiederum Rückschlüsse auf die neuronalen Prozesse gezogen werden. Verfahren in Bezug auf das Verhalten während der Lese­ und Textverstehensprozesse werden dagegen sowohl mithilfe von Offline­ als auch von Online­Methoden gemessen, wobei die Messung der Augenbewegung (Eyetracking) in diesem Bereich als aufschlussreichste Untersuchungsmethode gilt, da sie, im Gegensatz zu Single-Word-Methods, den Leseprozess am wenigsten stört (vgl. Rayner et al. 2012, 90–91). All diese Verfahren gelten als probate Mittel bei dem Versuch herauszufinden, wie kognitive Prozesse den Lese­ und Verstehens­ prozess beeinflussen und ob sich daraus Hinweise auf die Verarbeitung ergeben (Rayner et al. 2012, 91). Allerdings weisen auch Eye-tracking Studien zunächst nur auf eine höhere kognitive Verarbeitungsleistung hin, indem sie über die Sicht­ barmachung der Bewegungsverläufe Rückschlüsse darauf erlauben, an welcher Stelle die Bewegung vermutlich zur Herstellung von globaler Kohärenz genutzt wurde (vgl. Strohner 2006, 241). Damit ist aber nur angezeigt, wo eine vermeint­ liche Schwierigkeit liegt, nicht aber warum. Daher können auch sie nur in be­ schränktem Maße Auskunft über den Auslöser für den höheren Verarbeitungs­ aufwand geben.21 Für Fragen nach Verstehensprozessen auf der konzeptuellen Ebene eignen sich daher auch Offline­Methoden wie z. B. Assoziationstests oder die Methode des Lauten Denkens nach wie vor, um mögliche Probleme während des Verstehensvorgangs sichtbar zu machen (vgl. z. B. Kroll/Sundermann 2003; Maier/Richter 2016; Pavlenko 2009a; 2009b). Aus neurobiologischer Sicht kann der Leseprozess22 zunächst als Transduk­ tionsprozess beschrieben werden, in dem äußere Reize auf die Fovea centralis,23 den Bereich der Retina (‘Netzhaut’), der über die beste Sehschärfe verfügt, weiter­

20 Für einen guten Überblick über neurolinguistische Messverfahren siehe Dehaene (2009). Speziell zu PET und fMRI Methodik siehe Pugh et al. (2010). 21 Auf diese Einschränkung weisen bereits Just/Carpenter (1980) hin. 22 Eine sehr ausführliche Beschreibung des Leseprozesses bieten beispielsweise die einzelnen Beiträge in Rayner et al. (2012); Underwood (2005); van Gompel et al. (2007). 23 Um die Fovea herum liegen die Parafovea, die unmittelbar an die Fovea angrenzt, und die Peripherie. In beiden Bereichen erlangen wir aber nicht die Sehschärfe wie im Bereich der Fovea. Parafoveale Information spielt beim Lesen noch eine Rolle, während periphere Informationen nicht mehr in den Leseprozess integriert sind.

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

geleitet werden. Die Retina ist der Teil des Auges, der mit dem visuellen Cortex im Hinterhautlappen der Großhirnrinde verbunden ist, wo dann die weitere Verarbei­ tung des Reizes erfolgt (Wittmann/Pöppel 2006, 225). Daran maßgeblich beteiligt sind zwei neuronale Leitungsbahnen, die magnozelluläre Leitungsbahn (M­Lei­ tungsbahn) und die parvozelluläre Leitungsbahn (P­Leitungsbahn). Dabei spre­ chen Reize mit niedriger räumlicher Komplexität und hoher zeitlicher Frequenz stärker die M­Leitungsbahn an, während die P­Leitungsbahn besser auf Reize mit hoher räumlicher Komplexität und niedriger zeitlicher Frequenz reagiert (Witt­ mann/Pöppel 2006, 225). Eine wichtige Grundlage für einen funktionierenden Leseprozess bildet die Fähigkeit, visuelle Reize adäquat zu dekodieren.24 Bezüg­ lich der Worterkennung25 wird in der Leseforschung davon ausgegangen, dass es sich hierbei entweder um eine holistische Verarbeitung (template-matching-theory) oder um eine analytische (feature-detection-theory) handelt. Die templatematching-theory geht davon aus, dass bestimmte Muster als Ganzes erkannt und dementsprechend prozessiert werden, während die feature-detection-theory Reize eher als Bündel aus distinktiven Merkmalen begreift, die dann nach Regeln der Ähnlichkeit vs. Distinktheit voneinander getrennt und so dekodiert werden (Rayner et al. 2012, 11). Vermutlich ist die Worterkennung neurobiologisch stärker der linken Hemisphäre zuzuordnen, da sich in Studien zeigte, dass die Proban­ den Wörter effizienter verarbeiten, wenn man ihnen die Stimuli über das rechte Sehfeld präsentiert (Rayner et al. 2012, 18). Der Leseprozess bei Texten geht über das hier beschriebene bloße Wortdekodieren hinaus und ist ein weitaus komple­ xerer Vorgang. Untersuchungen des Leseprozesses haben gezeigt, dass dieser hin­ sichtlich der Augenbewegungen nicht als kontinuierlicher Prozess beschrieben werden kann, sondern vielmehr durch die Abfolge von Sakkaden (‘Blicksprünge’) und Fixationen (‘Pausen’) charakterisiert ist (Rayner et al. 2012, 91). Sakkaden werden durch ein weiträumig verteiltes okulomotorisches Netzwerk im Gehirn

24 Rayner verweist im Zusammenhang mit dem Dekodierungsprozess in Bezug auf graphisch ma­ terialisierte Einheiten auf die essentielle Rolle der Prosodie: Die graphisch kodierten Reize werden beim Lesen zuerst in phonetische Informationen transmittiert (Rayner et al. 2012, 18). Es ist daher von großer Bedeutung, dass der Rezipient über ausreichend prosodische Kompetenz verfügt, um diese Überführung leisten zu können. Dieser Aspekt scheint im Fremdsprachenunterricht zumin­ dest für Leseprozesse noch nicht ausreichend untersucht worden zu sein (vgl. Walter 2007). 25 Zugrunde gelegt werden hier Dekodierungsprozesse, die Buchstabenschriften betreffen. Diese Prozesse stellen sich beim Dekodieren von Piktogrammen, wie sie z. B. im Chinesischen oder Japanischen als Schriftform vorhanden sind, anders dar, z. B. fordert das Lesen von Pikto­ grammen mehr Fixationen (vgl. hierzu Hoosain 1986). Dies sorgt auch für verschiedene Typen von Lese­Rechtschreib­Schwächen: Weisen Betroffene, die Buchstabenschriften dekodieren müssen, ein phonologisches Verarbeitungsdefizit auf, so handelt es sich in Fällen mit Pikto­ gramm­Schrift um ein visuelles Verarbeitungsdefizit (Hoosain 1986; Radach/Kennedy 2013).

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

 19

gesteuert und sind schnelle und in ihrem Verlauf nicht kontrollierbare (ballisti­ sche) Bewegungen, die ca. zwischen 20ms und 35ms dauern. Unterschieden wird ferner zwischen Vorwärts­ und Rückwärtssakkaden, den sogenannten Regressio­ nen. Regressionen erfolgen etwa alle 2–3 Sekunden und machen etwa 10–15% des Leseprozesses aus. Sie erfolgen ebenfalls meistens unbewusst (Rayner et al. 2012, 91–92). Von diesen zu unterscheiden sind die Zeilenrücksprünge und die Refixa­ tionssakkaden. Während der Sakkaden erfolgt keine Informationsverarbeitung, sie sorgen vielmehr dafür, dass es zu einer Fovealisierung eines Objektes kommt. Anders verhält es sich mit den sogenannten Fixationen, die zwischen 150 und 200 ms dauern und ca. 7–9 Buchstabenabfolgen umfassen (Rayner et al. 2012, 91). Schwankungen im Bereich der Fixationen werden als Hinweise auf kognitive Pro­ zesse gewertet, die mögliche Erklärungen zu den stattfindenden Dekodierungs­ und Verstehensprozessen geben und so möglicherweise als Hinweise auf kog­ nitive Regeln gelten können. Diese Beobachtung führte Just und Carpenter zur Formulierung der sogenannten Unmittelbarkeitshypothese. Diese besagt, dass das Gehirn sprachlichen Input so bald wie möglich weitgehend verarbeitet, was wiederum die Schlussfolgerung erlaubt, dass die benötigte Lesezeit bei jedem einzelnen Wort anzeigt, wie hoch die Verarbeitungskosten in Bezug auf kognitive Prozesse sind (Just/Carpenter 1987). Hintergrund für dieses Modell bildete die Auge­Geist­Hypothese (eye-mind-assumption), die von einer unmittelbaren Kor­ respondenz zwischen Fixation und kognitiver Verarbeitung ausgeht. Aufgrund neuerer Forschungen musste diese Position allerdings dahingehend abgemildert werden, dass Wortverarbeitungsprozesse bereits vor der Fixierung des betreffen­ den Wortes einsetzen. Auch zeigte sich, dass ein Großteil der Wörter während des Leseprozesses gar nicht fixiert wird (Radach 1996).26 Zudem muss berück­ sichtigt werden, dass eine aufgrund der Schwierigkeit des Wortes auftretende längere Fixationsdauer sich auch auf benachbarte Wörter übertragen kann. Ein weiteres wirkmächtiges Modell, das sich in der Forschung zu Augenbewegungen etabliert hat, ist das E-Z Reader­Modell von Keith Rayner (vgl. Rayner et al. 2012, 163–183). Auch dieses Modell versucht, Zusammenhänge zwischen Augenbewe­ gungen und kognitiven Prozessen darzustellen, wobei von einer zweistufigen Verarbeitung ausgegangen wird. Ein fixiertes Wort wird durch einen sogenannten Vertrautheitscheck kontrolliert (Phase 1, familiarity check), auf den dann die lexi­ kalische Verarbeitung folgt (Phase 2, lexical completion). Das Modell von Rayner geht dabei von einer seriellen Aufmerksamkeitsverlagerung (SAS, serial attention

26 Von einer völligen Entkoppelung der Fixationen von den kognitiven Verarbeitungsprozessen kann jedoch auch nicht ausgegangen werden. Fixationen können zumindest als Hinweise, nicht jedoch als vollständige Erklärung für diese Prozesse gewertet werden (vgl. Reitbauer 2008).

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

shift) aus, das heißt, die Aufmerksamkeit verläuft kontinuierlich über die Wörter einer Zeile.27 Eye-tracking­Methoden liefern demnach gute Hinweise auf die Verarbeitungswege, die Leser nehmen müssen, um sich durch das Dickicht aus sprachlichem Material hindurchzuarbeiten. Sichtbar werden Aufmerksamkeits­ verläufe und Mechanismen in der Sprachverarbeitung, die Rückschlüsse darauf erlauben, wie sich die Leser an der Textoberfläche orientieren. Darüber hinaus können sie aber nur wenig Aufschluss bezüglich der Frage liefern, wohin diese Wege dann im Verlauf der kognitiven Verarbeitung, beispielsweise im Hinblick auf Plausibilitätsurteile und Modifizierungen im LZG, führen, worauf Reitbauer in ihren Arbeiten zum Textverstehen hinweist: […] we can say that the use of eye­tracking data can enhance our understanding of the navi­ gational processes in hypertext in areas such as processing mechanisms and attentional distribution. However, for a more comprehensive approach and an in­depth understanding of the reading process we need to include other methods of research such as computational and qualitative approaches. We have to find out why and how navigational decisions are taken because it is not enough to only record where and when readers change paths. (Reitbauer 2008, 35)

Damit stellt sich die Frage, welche kognitiven Prozesse im Rahmen eines Textverste­ hens ergänzend berücksichtigt werden müssen, um eine möglichst ganzheitliche Sicht auf diese Form des Sprachverstehens zu entwickeln. Bevor nun genauer auf diese kognitiven Prozesse beim Lese­ und Textverstehen eingegangen wird, scheint es ratsam, zunächst den Sprachverarbeitungsprozess wie er in der Neuro­ und Psy­ cholinguistik angenommen wird, holzschnittartig zu umreißen, um dann auf dieser Grundlage den Lese­ und Textverstehensprozess besser beleuchten zu können. Allgemein geht man davon aus, dass Sprachverstehen drei, zumindest teil­ weise zeitlich geordnete Stufen umfasst: zunächst eine Stufe der Perzeption, die die Prozesse umfasst, während derer unsere Wahrnehmung von auditiven bzw. visuellen Reizen (Zuhören, Lesen) dekodiert wird, das heißt Laute und Wortformen werden analysiert und identifiziert. Darauf folgt eine Stufe, auf der ausgehend von den Informationen über Wortart, Lemmata und morphologische Kategorien die syntaktische und semantische Analyse erfolgt (Parsing) (Friederici 2002, 79; 2012). Die letzte Stufe bildet dann die Ebene der Verwendung, das heißt der Rezipient kann reagieren.28 27 Ein Gegenmodell, das von einer parallelen Wortverarbeitung ausgeht, bietet dagegen das Glenmore­Modell von Radach (Reilly/Radach 2006). Beide Positionen werden gegenwärtig inner­ halb der Augenbewegungsforschung diskutiert. 28 Vgl. zum Stufenmodell des Sprachverstehens Anderson (2013, 275). Anderson weist darauf hin, dass die drei Stufen sich zeitlich auch überlappen können; so können sich beispielsweise Schlussfolgerungen mit weiteren Wahrnehmungen überschneiden.

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

Left

Right Anterior

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coarse semantic processing network

Posterior

coherence monitoring network text integration network protagonist’s perspective interpreter network spatial imagery network

Abbildung 1: Darstellung der neuronalen Netzwerke, die parallel bei der Sprachverarbeitung von längeren sprachlichen Einheiten beteiligt sind (Mason/Just 2006, 767).

In Ergebnissen aus bildgebenden Verfahren zeigen Vergleiche von Aktivie­ rungsmustern der betroffenen Hirnareale deutlich, dass beim Verstehen größerer sprachlicher Einheiten wie Textpassagen mehr Gehirnareale aktiviert werden als bei Parsing­Prozessen einzelner Sätze (Mason/Just 2006, 767). Dies deutet darauf hin, dass beim Textverstehen viele kognitive Prozesse zusammenspielen, um die Informationen elaborieren zu können. Mason/Just nennen fünf wesentliche neu­ ronale Netzwerkstrukturen, die sie für essentiell bei der Verarbeitung von Texten halten (vgl. zu den aktivierten Gehirnarealen Abbildung 1): 1. Grobe semantische Verarbeitung (Überblick) 2. Netzwerkaktivierung zur Kohärenzüberwachung 3. Netzwerkaktivierung zur Textintegration 4. Netzwerkaktivierung zur Interpretation/Perspektive des Rezipienten 5. Netzwerkaktivierung zur räumlichen Darstellung (bildliche Repräsentation) (Mason/Just 2006, 765). Deutlich wird hier, dass der Vergleich der Gehirntätigkeit bei der Sprachverarbei­ tung mit der Aktivierung eines breiten Netzwerks plausibel ist, das sich über mehrere Ebenen der Informationsverarbeitung erstreckt (Schrott/Jacobs 2011, 176). Von außen betrachtet wirkt dieser Prozess der Netzwerkaktivierung beim Textverstehen wie eine Simulation der im Leseprozess rezipierten Vorgänge.

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

Dieses oft als ein «Sich versenken» in eine irreale Welt bezeichnete Leseerlebnis ist wissenschaftlich bisher nur wenig analysiert worden (Schrott/Jacobs 2011, 35) und wird mit dem Phänomen der Immersion beschrieben: However, the phenomenological experience of being immersed in a story world goes far beyond this. When reading a story, we may ‘experience’ cold wind blowing in our face, the smell of stale beer, a kiss on our lips, and a hot piece of pizza sticking to the roof of our mouth. This may seem far­fetched, but it is not. Listening to a scenario about people smoking after­dinner cigarettes has been shown to elicit physiological and cognitive res­ ponses indicative of smoking urges in smokers […]. In fact, scenarios like these are as effi­ cient in eliciting smoking urges as are in vivo cues, such as holding (but not smoking) a lit cigarette. It is not unreasonable to hold situation­model theories accountable for explai­ ning this kind of vicarious experiencing by way of language. However, current theories and models fall far short of meeting this expectation. (Zwaan 1999, 83)

Nach Zwaan (1999) liegt dem Verstehensprozess während der Textverarbeitung die Etablierung eines Situations­Modells zugrunde. Dies bedeutet, Leser konstruieren eine mentale Vorstellung, die auf drei Prozessen in der Sprachverarbeitung beruht, die beim Lese­ und Textverstehen ineinandergreifen und sich teilweise bedingen: Erstens erfolgt eine Aktivierung mentaler Repräsentationen durch Worte und Sätze. Worte und Sätze werden dabei in der Theorie Zwaans zu sensorischen Reizen, die im Gehirn in multimodale Symbole umgewandelt werden und folglich auch als Symbole mental verankert sind (Zwaan 2003, 56). Barsalou spricht in Bezug auf diese Symbolrepräsentationen von sogenannten perzeptuellen Symbolen (Barsa­ lou 1999). Er definiert sie als dynamische Aktivierungsmuster, die sich über eine Vielzahl von neuronalen Netzwerken erstrecken. In dieser Vorstellung der Wort­ speicherung als Symbole spiegelt sich die «Lerngeschichte» eines Individuums, das heißt, die Aktivierungsmuster werden über einen langen Zeitraum erworben und bleiben gegenüber neuen sensorischen Eindrücken elastisch (Barsalou 1999; Zwaan 2003). Dies impliziert aber auch, dass die Konstruktionen der jeweiligen Situationsmodelle abhängig sind von der persönlichen Erfahrungswelt des jewei­ ligen Rezipienten (Konnotationswissen) und damit sehr individuelle Wahrneh­ mungsmodelle der Welt bieten. Innerhalb der mentalen Modelle sollten sich aber bei Rezipienten derselben Sprach­ und Wissensgemeinschaft zumindest ähnliche Strukturen durch die Integration von enzyklopädischem und epistemisch­diskur­ sivem Wissen ergeben. Zweitens werden diese Reize leichter verarbeitet, wenn sie mit erwartbaren Erfahrungen übereinstimmen und bereits gespeicherte Eigen­ schaften aufweisen. Die Informationen können dabei im mentalen Lexikon in redundanter Form vorliegen. Drittens können sie leichter integriert werden, wenn sie zeitlich und räumlich vorhersagbaren Veränderungen entsprechen (Zwaan 2003, 57–58). In eine ähnliche Richtung gehen die lernpsychologischen Überlegun­ gen Elmans, der das mentale Lexikon ebenfalls als redundant in seiner Verarbei­

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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tungsweise beschreibt, da Wörter als sogenannte Operatoren bestimmte neuron­ ale Zustände bewirken, die eine starke Abhängigkeit von externalen Faktoren wie beispielsweise dem Gebrauchskontext aufweisen (Elman 2004, 301).29 In Elmans Modell verhalten sich Wörter demnach in gleicher Weise wie sensorische Reize, deren Bedeutung in Abhängigkeit des Kontextes dynamisch konstruiert wird: The fundamental suggestion of the present proposal is to treat words as stimuli, whose ‘meaning’ lies in the causal effects they have on mental states. Or, to paraphrase Dave Rumelhart – words do not have meaning, they are cues to meaning.30 On the face of it, this might seem to demote the role of any given word in determining the meaning of utterances, but in fact it gives it far greater potential for interacting flexibly with other cues. (Elman 2004, 306)

Aktuelle Studien aus dem Bereich der Neurolinguistik scheinen diese These zu stützen, wie beispielsweise die Arbeiten Pulvermüllers zu funktionalen Netzen belegen (vgl. Pulvermüller 1999; Shebani/Pulvermüller 2012).31 Wörter wie laufen, springen, werfen scheinen über das Spiegelzellensystem die gleichen neuronalen Schaltkreise oder zumindest sich überlappende Schaltkreise zu aktivieren wie die motorisch real ausgeführten Bewegungen. Im Rahmen dieser Modelle werden semantisches und konzeptuelles Wissen als miteinander verknüpfte Bestandteile im conceptual system in der Bedeutungsaktivierung durch sprachliche Reize kon­ zipiert. Diese Erkenntnisse aus der Neurolinguistik ermöglichen es, das Zusam­ menspiel zwischen Gehirn und Geist präziser darzustellen: Die netzwerkartige neuronale Aktivität wird in den meisten Modellen zu kognitiven Prozessen reflek­ tiert und erlaubt somit wenigstens eine Annäherung an unsere Verstehenspro­ zesse sowie eine Vorstellung, wie wir unser Wissen organisieren und wie unsere Wissensbestände beim Lesen und Textverarbeiten mit dem sprachlichen Input zusammenarbeiten.

29 Elmans Theorie erinnert hierbei unweigerlich an das berühmte Zitat Ludwig Wittgensteins: «Man kann für eine große Klasse von Fällen der Benützung des Wortes ‹Bedeutung› – wenn auch nicht für alle Fälle seiner Benützung – dieses Wort so erklären: Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache» (Wittgenstein [1953], PU: §43). Vgl. ausführlicher zu Wittgensteins Zeichentheorie Kapitel 2.1.3.1 der vorliegenden Arbeit. 30 Diese Sicht auf die Beziehung zwischen Bedeutung und sprachlichem Zeichen liegt auch instrumentalistischen Zeichentheorien zugrunde, die sich damit als tragfähige Fundierung für eine konstruktivistische Modellierung von Sprachverstehensprozessen erweisen. Dem sprach­ lichen Input kann in dieser Perspektivierung erst im Gebrauch Bedeutung zugewiesen werden und somit kann auch erst im Kontext eine Sinnkonstitution stattfinden. 31 Diese Ergebnisse stützen auch die Postulierung der Konstruktionsgrammatik, nach der sprachlicher Input holistisch verarbeitet wird. Auch hier wird ein solchermaßen redundantes mentales Lexikon angenommen.

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

2.1.2 Die Struktur von Wissensbeständen aus kognitionspsychologischer Perspektive Ausgehend von der zwar banal klingenden Hypothese Roths, Wissen könne nicht übertragen, sondern nur neu geschaffen werden (Roth 2004, 497), muss dennoch gerade im Kontext von lern­ und lehrtheoretischen Überlegungen, die Verste­ hens­ und Verarbeitungsprozesse beleuchten und modellieren wollen, nach der Organisation sowie der Struktur unserer Wissensbestände gefragt werden, vor allem im Hinblick darauf, welche Ursachen einer möglichen Störung dieser Abläufe zugrunde liegen könnten. Eine Antwort, die für die Wissensdefinition wirkmächtig wurde, findet sich in der Philosophie. Auf die Frage Sokrates’, was Wissen sei, antwortet Theaite­ tos folgendermaßen – er verwendet allerdings den Begriff Erkenntnis: «Zu sagen, daß alle Vorstellung es sei, o Sokrates, ist unmöglich, indem es auch falsche Vorstellungen gibt. Es mag aber wohl die richtige Vorstellung Erkenntnis sein; und dieses will ich nun geantwortet haben. Denn sollte es uns, wenn wir weiter gehen, nicht mehr so scheinen, so wollen wir, wie jetzt auch, dann versuchen, etwas anderes zu sagen» (Theaitetos 187b).32 Er definiert Erkenntnis, die im Fol­ genden mit Wissen gleichgesetzt wird, demnach als eine richtige Vorstellung von einer Sache und trennt sie scharf von den Sinneswahrnehmungen ab. Wissen erscheint bei Platon also als eine wahre Meinung.33 In dieser Definition von Wissen als einer wahren Überzeugung liegt der Ausgangspunkt für die philo­ sophisch begründeten Wissensbegriffe, die als ein weiteres Kriterium – zumin­ dest teilweise – die gerechtfertigte Begründung nennen, die der Überzeugung ebenfalls zugrunde liegen muss. Der Wissensbegriff hat demzufolge ein Wahr­ heitskriterium, ein Überzeugungskriterium und ein Rechtfertigungskriterium zu erfüllen.34 Wesentlich scheint hier, dass Wissen stets mit Reflexion verbunden

32 Die Zitate sind entnommen aus: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst, Platons Werke, Ber­ lin, Akademie Verlag, [1817–1826] (1984–1987), verfügbar unter: http://gutenberg.spiegel.de/ buch/platons­werke­2430/52. 33 Das Gespräch Sokrates’ mit seinem Schüler Theaitetos über Erkenntnis in den Dialogen bei Platon hat im Zusammenhang mit der Frage nach einer Wissensdefinition nahezu Berühmtheit erlangt, vgl. hierzu Wieland (1999). Dort geht es allerdings um die Frage, was Erkenntnis sei. Dieser Erkenntnisbegriff, der bereits einige Momente des heutigen Wissensbegriffs enthält, wird hier mit diesem gleichgesetzt. 34 Während Wahrheits­ und Überzeugungskriterium feste Bestandteile der philosophischen Standarddefinition bilden, wird das Rechtfertigungskriterium diskutiert. Fundamentalistische und kohärentistische Positionen versuchen, die Rechtfertigung zu explizieren, wohingegen na­ turalistisch­epistemologische Positionen dieses Kriterium nicht in ihre Wissensdefinition auf­ nehmen und an dessen Stelle eine transparente Analyse von Wissen nach naturwissenschaftli­

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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zu sein scheint, die als Prüfkriterium darüber entscheidet, ob wir die Informa­ tionen als «wahr» speichern und verarbeiten. Das heißt, Wissenserwerb setzt voraus, dass in der Kognition evaluative Prozesse ablaufen, die Sachverhalte auf ihre Überzeugung und Begründung hin untersuchen, bevor diese in bestehende Wissensbestände aufgenommen werden (Richter 2003, 25). Allerdings antworten die kognitionspsychologischen Studien auf diese Evaluations­ und Validierungs­ prozessen, über die die Kontrolle der Informationen auf «Wahrheit» von den Rezipienten vorgenommen wird, in der Regel nur auf unbefriedigende Weise und bleiben die Antwort nach der Wissensgrundlage, die dabei leitend ist, schuldig (vgl. Maier/Richter 2016; Richter 2003). Dies führt dazu, dass die in der philoso­ phischen Definition entscheidenden Kriterien der Wahrheit, Überzeugung und gegebenenfalls auch der Begründung in einem kognitionspsychologischen Wis­ sensbegriff nur mehr implizit vorhanden sind,35 da hier die kognitiven Prozesse sowie die mentale Repräsentation von Wissen fokussiert werden: In den kognitivistischen Ansätzen wird die menschliche Kognition als ein System mentaler Strukturen und Prozesse angesehen und im Rahmen von Modellen beschrieben, welche die Komplexität mentaler Aktivitäten berücksichtigen. […] Kognitivistischen Erklärungsmodel­ len liegt die Annahme zugrunde, daß kognitive Prozesse zielgerichtete Aktivitäten darstel­ len, die sich nicht einfach kausal aufgrund assoziativer Mechanismen beschreiben lassen. Kognitive Einheiten und Prozesse sind als Teile komplexer Zusammenhänge aufzufassen und lassen sich nicht auf isolierte, unstrukturierte Komponenten reduzieren. (Schwarz 2008, 16)

In Modellen der Kognitionswissenschaften wird meist die Vorstellung herangezo­ gen, der Mensch sei ein System, das äußere Reize intern verarbeitet. Der mensch­ liche Informationsverarbeitungsprozess lässt sich dabei, wie in Abbildung 2 dar­ gestellt, folgendermaßen skizzieren:

chen Kriterien setzen (vgl. zu dieser Diskussion und den verschiedenen Positionen v. a. Richter 2003, 23–25). 35 Ziem (2008a, 36) geht davon aus, dass die philosophisch­erkenntnistheoretische Beurteilung nach wahr oder falsch keine Rolle mehr spiele, wobei sich dann die Frage ergibt, worüber Ent­ scheidungen über die Plausibilität dann geregelt werden, wenn man für die menschliche Kom­ munikation davon ausgeht, dass Verstehen zumindest teilweise über ein geregeltes Aushandeln von Konsens funktioniert. Für die epistemische Evaluation der Informationen, die in der Kogni­ tion verarbeitet werden, nimmt Richter diese Unterscheidung dementsprechend an, führt aber nicht aus, woraus sich «Überzeugungswissen» ergibt (Richter 2003, 26). Zudem scheint diese Unterscheidung auch hinsichtlich der Evaluation von Sachverhalten als «plausibel» eine wichti­ ge Rolle zu spielen (vgl. Richter/Schroeder/Wöhrmann 2009; Richter/Schmid 2010).

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

Informationen/Input

Sensorisches Gedächtnis

Arbeitsgedächtnis (AG)

Langzeitgedächtnis (LZG)

Abbildung 2: Informationsverarbeitung aus kognitiver Sicht; eigene Darstellung.

Treffen Reize bzw. Informationen auf das sensorische Gedächtnis, so werden sie dort sehr kurz als direkte Repräsentationen gespeichert. Von dort aus werden sie in das Arbeitsgedächtnis (AG) transferiert, in dem dann bewusste Verarbei­ tungsprozesse (chunking, Inferieren etc.) stattfinden. Von dort aus können sie ins LZG überführt werden, wo sie als stabile Wissenseinheiten (prozedurales und deklaratives Wissen) abgelegt werden können. Von dort aus können sie jederzeit wieder ins AG übermittelt werden, wenn die Informationen für die Elaboration neuer Informationen benötigt werden. Diese Modellierung der menschlichen Informationsverarbeitung führte in den kognitiven Wissenschaften zu der Annahme, dass externe Reize über die interne Verarbeitung zu Repräsentationen verarbeitet werden, die die Welt sowie alle Vor­ stellungen über diese kodieren. Die Menge aus systeminternen Repräsentationen wird dann als Wissen definiert, wobei Wissen nicht als statisches, sondern als dynamisches Inventar verstanden wird, dessen Komplexität sich ständig vergrö­ ßert (vgl. Strube/Schlieder 1996, 799–801).36 In der Vorstellung, unser Wissen über die Welt werde in Einheiten gespeichert, die in der Kognition als abstrakte Modelle der Objekte und Ereignisse quasi produziert würden, verbirgt sich die zentrale Annahme der kognitiven Wissenschaften, ohne die Existenz solcher Repräsenta­ tionen könne keine Informationsverarbeitung stattfinden und unsere Wahrneh­ mung liefe demnach ins Leere. Kognitive Repräsentationen sind zwar individuell, da sie auf Erfahrung beruhen, sie sind aber gleichzeitig auch abhängig von sozia­ 36 Beide Autoren verweisen eingangs auf die Heterogenität des Wissensbegriffs und die ver­ schiedenen Dimensionen. Für die Sprachverarbeitung und das Textverstehen insbesondere wird hier v. a. auf den kognitionspsychologischen Wissensbegriff rekurriert, da er die Grundlage der kognitiven Textverarbeitungsmodelle bildet (vgl. hierzu Strube/Schlieder 1996).

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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len und kulturellen Faktoren, sprich von ihrem Entstehungskontext, der episte­ misch geprägt ist und demnach auch die mentalen Repräsentationen präfiguriert. Diese Definition von Wissen evoziert allerdings eine anders gelagerte Frage­ stellung als die Wissensdefinition der Philosophie, da Kriterien wie Überzeugung, Wahrheit oder Rechtfertigung in der kognitionspsychologischen Perspektive auf Wissen, wie bereits erwähnt, eben nur eine implizite Rolle spielen. Aus kogni­ tionswissenschaftlichem Blickwinkel müsste die Fragestellung daher vielmehr lauten: Wie sind die Repräsentationen, in denen Wissen gespeichert ist, aufge­ baut und organisiert und inwieweit beeinflusst die soziokulturelle Präfigurierung unserer mentalen Wissenseinheiten den Verstehensprozess? Daran anschließend müsste aus einer pragmatisch­konstruktivistischen Perspektive auch gefragt werden, wie der Zugriff und die Regelung gegenseitigen bzw. rezipientenseitigen Verstehens in der Kommunikation vonstattengehen. Aus kognitionspsychologi­ scher Sicht kann zumindest die erste Frage über die nachfolgende Beschreibung der Wissensstrukturen annäherungsweise beantwortet werden. In Bezug auf die Strukturierung unseres Wissens wird zunächst eine grund­ legende Unterscheidung in deklaratives und prozedurales Wissen vorgenom­ men, das heißt in strukturelles Wissen über Objekte und Ereignisabläufe einer­ seits und Wissen als Voraussetzung für Realisierungsmechanismen des realen Handelns andererseits (vgl.  Schwarz 2008, 99–100). Beide Arten von Wissen sind entsprechend ihrer Unterscheidung auch an unterschiedliche mentale Repräsentationsformen gebunden. Während man hinsichtlich des prozedura­ len Wissens von einer Repräsentation in Form von Produktionsregeln ausgeht, werden dem deklarativen Wissen mehrere verschiedene Formate zugeordnet. Es umfasst sowohl episodisches als auch semantisches Wissen, wobei vor allem das semantische Wissen für die Sprachverarbeitung von Bedeutung ist: Die als semantisch bezeichneten Inhalte des Langzeitgedächtnisses bestehen aus allge­ meinen Wissensinhalten, die beispielsweise Regelwissen (z. B. die syntaktischen Regeln der Sprache, Regeln des sozialen Verhaltens, mathematisches, physika­ lisches Wissen) sowie Bedeutungswissen (z. B. die Bedeutung von Symbolen, Bedeutungen von Wörtern) betreffen. Hinsichtlich der Organisation der seman­ tischen Gedächtnisinhalte wird dabei angenommen, dass es sich im Unterschied zu den räumlich und zeitlich organisierten episodischen Gedächtnisinhalten um Wissensbestände handle, die in Form von Repräsentationen nach inhaltlichen Gesichtspunkten und auf der Basis individueller Erfahrungen als systematisch organisierte Wissensbestände organisiert sind.37 Diese Wissensbestände werden

37 Vgl. zur Darstellung des menschlichen Gedächtnisses v. a. Baddeley (2002); Roth (2004). Einen guten Überblick über die Beziehungen zwischen Gedächtnis und Sprache bietet Schwarz (2008).

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

für die vorliegende Arbeit auf der konzeptuellen Ebene als Formate des außer­ sprachlichen Wissens angesiedelt. Im Hinblick auf diese Repräsentationsformen wird zwischen digitalen und analogen Formaten unterschieden, wobei mit digital sprachähnliche oder symbo­ lische und mit analog ikonische Repräsentationen bezeichnet werden (vgl. Richter 2003, 30). Unter digitale Repräsentationsformen würden in Bezug auf Sprachre­ zeption somit propositionale Netzwerke, Schemata, scripts und frames fallen,38 während beispielsweise mentale Modelle zu den analogen Repräsentationsfor­ men zählen (vgl. Christmann 2006, 617; Göpferich 2008, 294; Richter 2003, 26). Auf die Frage, wie sich diese Formen der mentalen Repräsentationen von Wissensstrukturen modellieren lassen, bietet Fauconniers Theorie der mentalen Räume (Fauconnier [1985] 1994; 1997; 2007; Fauconnier/Turner 2002). Fauconnier greift dabei auf die Idee zurück, dass sprachliche Ausdrücke an sich zunächst keine Bedeutung haben, sondern nur das Potenzial bieten, Bedeutungen zu kon­ struieren, die über die kognitive Prozessierung entsteht. Die sprachlich sicht  – bzw. hörbare Äußerung spiegle nur einen Bruchteil der Abläufe in der Kognition während der Konstitution und Zuweisung von Bedeutung: Language, as we use it, is but the tip of the iceberg of cognitive construction. As discourse unfolds, much is going on behind the scenes: New domains appear, links are forged, abs­ tract mappings operate, internal structure emerges and spreads, viewpoint and focus keep shifting. Everyday talk and common­sense reasoning are supported by invisible, highly abstract, mental creations, which grammar helps to guide, but does not by itself define. (Fauconnier 1994, xxii–xxiii)

Für die Bedeutungskonstitution sind nach Fauconnier zwei Prozesse verant­ wortlich, die er als grundlegend modelliert: Die mentale Ausbildung sogenann­ ter mentaler Räume und die Möglichkeit, diese über «mapping» verknüpfen zu können.39 Fauconnier geht dabei davon aus, dass während der Bedeutungskons­ titution virtuelle, konstruierte Vorstellungsräume aktiviert werden, in denen die Sprecher die Szenen imaginieren, die sich aus dem Diskurs ergeben. Verstehen

38 Die Konzeption von Schemata und scripts als Strukturen des menschlichen Wissens standen auch zu Beginn in enger Verbindung zur Forschung im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI), vgl. zu dieser Beziehung v. a. Rumelhart (1975); Schank/Abelson (1977). Über die Fokussierung der Relationen zwischen den Schemata wendete man sich von einer rein additiven Betrachtung der Propositionen ab. Dies führte zu einer stärkeren Betonung der Dynamik und Flexibilität als wesentliche Merkmale der menschlichen Wissensorganisation. Auch aktuell spielen sie, zusam­ men mit frames und Netzwerken, weiterhin eine wichtige Rolle bei der Modellierung der KI, vgl. hierzu z. B. Garnham (2017). 39 Vgl. ausführlich und detailliert zur Bedeutung der Theorie Fauconniers im Rahmen kogniti­ ver Ansätze Zima (2021, 103–124).

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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ergibt sich dann dadurch, dass sich die jeweils von den Kommunikationspart­ nern imaginierten Räume überlappen, das heißt, ähnliche bis gleiche Räume konstruiert werden. Für das Verstehen, wie es hier bereits dargelegt wurde, ist dabei ausschlaggebend, dass in solchen mentalen Räumen sowohl bestehende Wissensstrukturen aktiviert und integriert als auch neue Strukturen etabliert werden können. Hier bietet sich eine Verknüpfung zu Modellen der kognitiven Linguistik wie z. B. Schematas und frames geradezu an, da durch ihre Aktivierung bestimmte mentale Räume ausgebildet werden, wie beispielsweise der klassische Kindergeburtstagsframe (Ziem 2008b). Die Konstitution solcher mentaler Räume mündet beim Textverstehen in ein Text­Welt­Modell, in dem frames und mentale Räume für die Etablierung von Kohärenzkontinuität sorgen – vorausgesetzt, es finden sich zwischen Text und den Wissensstrukturen des Rezipienten ausrei­ chend Überlappungen. Die vorliegende Arbeit fokussiert dabei die Aktivierung von frames, nimmt aber die Etablierung von mentalen Räumen im Sinne Faucon­ niers als basalen Prozess der Bedeutungskonstitution an. Da dieser Prozess aber stets als Grundgerüst für Verstehensprozesse innerhalb von sprachlicher Inter­ aktion zu sehen ist, konzentrieren sich die nachfolgenden Ausführungen auf die Strukturen, die wirksam werden und diese Räume inhaltlich füllen: die zu akti­ vierenden Wissensstrukturen. Da diese Vorstellung, wie mentale Wissensstrukturen beim Sprachverstehen wirken, für die kognitive Textlinguistik grundlegend ist, – nimmt sie doch an, dass über die Aktivierung dieser Strukturen über Textdaten Wissenserwerb und Wissensverarbeitung stattfinden kann – sollen die zentralen Wissensformate kurz umrissen werden. 2.1.2.1 Schemata Schemata40 spielen innerhalb der Sprachverarbeitung eine zentrale Rolle, da sie in Form typisierter Muster Sachverhalte aus der realen Welt mental abbilden (Rickheit/Strohner 1993, 80). Sie sind quasi als Oberbegriff für mentale Repräsen­ tationsformen zu verstehen. Allgemein werden sie als interne Datenstrukturen beschrieben, in denen Erfahrungen in verallgemeinerter Form sowie erwartbare Zusammenhänge gespeichert werden. Ihre Komplexität kann sich dabei von der Speicherung eines Buchstabens, physischen Gegenstandes bis hin zu komple­ xen sozialen Ereignissen oder philosophischen Prinzipien erstrecken (Schnotz

40 Dieser Ansatz geht vornehmlich auf Frederic Bartlett (1932) zurück. Er betonte v. a. die Bedeu­ tung der Schemata bei Behaltensprozessen. Etabliert hat sich der Begriff vor allem ab den sieb­ ziger Jahren für die Beschreibung mentaler Wissensbestände (vgl. Christmann 2006; Rumelhart 1975; Rumelhart/Ortony 1977; Schnotz 1994).

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1994,  61). Die Modellierung der Wissensrepräsentation in Form von Schemata geht dabei davon aus, dass innerhalb der Datenstrukturen Leerstellen vorhanden sind, die gefüllt werden können, so dass kognitive Schemata jederzeit dynamisch an neue Sachverhalte angepasst werden können. Diese Leerstellen können sowohl mit hypothetischen Daten besetzt werden, die aufgrund bisheriger Erfahrungen als wahrscheinlich angesehen werden, als auch mit empirischen Daten (Schnotz 1994, 93). Kognitive Schemata werden auch als Erwartungsstrukturen bezeich­ net, da in ihnen Ersatzannahmen (default assignments) gespeichert werden, die so lange Gültigkeit besitzen bis ein empirisches Datum vorliegt, durch das sie ersetzt werden können. Diese Möglichkeit der Füllung durch Erwartungswerte «ermöglich[t] dem Individuum Inferenzen41 im Sinne von plausiblen Annahmen bezüglich nicht explizit genannter Gegebenheiten» (Schnotz 1994,  62), was für das Textverstehen von immenser Bedeutung ist, wenn es darum geht, im Text­ verarbeitungsprozess konzeptuelle Kontinuität zu konstruieren. Der Prozess der Füllung durch empirische Daten führt weiterhin zur Annahme, dass dadurch komplexe begriffliche Strukturen entstehen (Symbolstrukturen), die mit Propo­ sitionen gleichgesetzt werden können (Schnotz 1994, 93). In diesem Fall spricht man auch von der Instanziierung eines kognitiven Schemas, das heißt, das betreffende Schema entspricht dann einem konkreten Sachverhalt in der Reali­ tät. Je nachdem, ob die Leerstellen also mit empirischen Daten oder mit Hypo­ thesen gefüllt werden, kann der repräsentierte Sachverhalt entweder als Reprä­ sentation eines realen Ereignisses, einer realen Situation oder Handlung etc. beschrieben werden oder als Repräsentation eines prototypischen Sachverhalts, wie z. B. ein Restaurantbesuch (Schnotz 1994, 62–63). Aufgrund der unterschied­ lichen Komplexität einzelner Schemata nimmt man eine hierarchische Struktur der Schemata an: Weniger komplexe Schemata können in komplexere Schemata eingebettet sein, beispielsweise kann das Schema Augen eingebettet sein in das Schema Gesicht, dieses wiederum in das Schema Mensch usw. Schnotz spricht in diesem Zusammenhang von einer «Komplexionshierarchie», wobei er darauf

41 Es sei darauf verwiesen, dass nicht klar ist, ob der Begriff «Inferenz», wie er in der kogniti­ ven Linguistik gebraucht wird, deckungsgleich mit dem Begriff «Inferenz» in der linguistischen Pragmatik ist. Weiterhin müsste im Rahmen der Modelle zur Textverarbeitung der kognitiven Textlinguistik die Rolle der Griceʼschen Konversationsmaximen als Interpretationsstrategien stärker berücksichtigt werden (vgl. hierzu v. a. Lötscher 2005, 21–24). Im Rahmen dieser Maxi­ men formulierte Grice die sog. «Maxime der Qualität», die besagt, dass der Kommunikations­ partner davon ausgehen könne, dass die Äußerung wahr sei. Dies ist aber gerade bei persuasi­ ven, ambiguen oder ironischen Äußerungen nicht der Fall, was Rezipienten erkennen müssen und was erneut zu der Frage führt, über welches Wissensformat sie dies bewerkstelligen können. Vgl. hierzu das Kapitel 2.1.4.

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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verweist, dass zwischen den einzelnen Schemata Kooperationsverhältnisse bestehen müssen, das heißt bei einer Evaluation auf Passung und Plausibilität müssen die Subschemata im Verhältnis zum übergeordneten Schema ebenfalls positiv auf diese Kriterien evaluiert werden können (Schnotz 1994, 66). Zusätz­ lich zu den Komplexionshierarchien bilden Schemata Abstraktionshierarchien, die einer semantischen Relation zwischen Hyperonym und Hyponymen gleich­ kommen, im eben aufgeführten Beispiel handelte es sich dann um eine merony­ mische Beziehung. Den Verstehensprozess stellt man sich in der Schematheorie als einen datengeleiteten Prozess vor, in dem die Schemaaktivierung aufsteigend erfolgt. Übertragen auf einen Textverstehensprozess hieße das, dass zuerst ein Schema graphischer Merkmale aktiviert würde, was zur Aktivierung von Buch­ staben­Schemata führt. Diese wiederum aktivierten Schemata für Buchstaben­ cluster bis hin zur Aktivierung von Wort­Schemata. Von dort aus könnten dann die Schemata der Wortbedeutungen aktiviert werden. Dabei kommt es zur Akti­ vierung mehrerer miteinander in Konkurrenz stehender Schemata, was bedeutet, dass gleichzeitig über den Dateninput eine Selektion erfolgen muss. Man geht hierbei davon aus, dass mit der Progression der Datenaufnahme genau dieser Prozess stattfindet, es also zu einer absteigenden Schemaaktivierung kommt. Datenverarbeitung entspricht in der Schematheorie demnach einer Interaktion von auf­ und absteigender Schemaaktivierung nach dem Best-Match­Prinzip (Schnotz 1994, 69). Der Vorteil der Theorie der kognitiven Schemata liegt darin, dass über die Annahme von auf­ und absteigenden Aktivationsprozessen erklärt werden kann, wie der Mensch mit einer begrenzten Anzahl an «Wissenseinheiten eine Viel­ zahl von neuen und komplexen Situationen bzw. Sachverhalten repräsentieren kann» (Schnotz 1994, 71). Dieses Zusammenspiel von auf­ und absteigender Sche­ maaktivierung kann zu einem Verstehensprozess führen, an dessen Ende dann eine stabile Schemakonfiguration steht, die man mit einem Wissenserwerb im Sinne von Lernen gleichsetzen kann. Das setzt allerdings voraus, dass aktivier­ bare Schemata vorhanden sind, das heißt, dass die zu verarbeitenden Informa­ tionen an vorhandenes Wissen, Vorwissen, andocken können.42 Dies birgt auch den erheblichen Vorteil, den die Schematheorie für Verstehensprozesse mit sich brachte: Sie erlaubte, die Rolle des Vorwissens als vorstrukturierenden Mecha­ nismus in den Vordergrund zu rücken und konnte damit Unterschiede in Verar­ beitungs­ und Behaltensleistungen plausibel über individuelle Vorerfahrungen

42 Auf die zentrale Rolle des Vor­ und Weltwissens sowie die Interaktion Text – Leser für Lern­ prozesse anhand von Textverarbeitungs­ und ­verstehensprozessen wird unter Kapitel  2.2.2.2 detailliert eingegangen.

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erklären (vgl.  z. B. Hasselhorn 2006). Kritisiert wurden vor allem die Überbe­ tonung der kognitiven Prozesse sowie die dominierende Rolle des Vorwissens, was zu einer Vernachlässigung des sprachlichen Inputs und auch des Kontexts als Einflussfaktoren auf den Textverstehensprozess führte. Auch zeigte sich in Studien, dass Schemata in erster Linie dazu herangezogen werden können, um die abweichende Darstellung von Textinhalten bei Erinnerungsaufgaben zu explizieren (vgl. Kaiser/Peyer 2011, 88). Grundlegend für diese Einsicht war die Studie Bartletts, bei der Studierende eine Geschichte nacherzählen sollten, und sich bei allen Probanden zeigte, dass sie ihre Versionen der Geschehnisse im Text über ihr Vorwissen modifizierten (Bartlett 1932). Was genau die Aktivierung von Schemata während des Verstehens triggert, ist allerdings ungeklärt (Kaiser/Peyer 2011, 88). Die schematheoretische Perspektive auf die mentale Strukturierung von Wissenseinheiten basiert insgesamt auf der Annahme, dass unser Wissen nach assoziationistischen Prinzipien geordnet und entsprechend aktiviert wird. Die Verknüpfungen zwischen den einzelnen Schemata entspricht demnach der Vor­ stellung, dass die menschliche Kognition Wissenseinheiten geordnet und gerich­ tet organisiert und die Wissensbestände in ständiger Interaktion befindlich sind. Dabei wird allerdings angenommen, dass die Relationen zwischen den Schemata nicht alle gleichermaßen gut verknüpft werden, da von der bereits erwähnten hierarchischen Struktur innerhalb der schematischen Netzwerke ausgegangen wird.43 Umso bedeutsamer ist es demnach, in Textverstehensprozessen, die auf Lernprozesse in der hier erfolgten Definition abzielen, entsprechende Wissens­ kontexte aufzubauen, die die Rezipienten inferieren und so neue Informationen integrieren können. 2.1.2.2 Frames und scripts Sowohl scripts als auch frames beziehen sich als mentale Repräsentationsformen auf Wissensbestände, die die Interaktion zwischen Vorwissen und neuen Infor­ mationen fokussieren (Christmann/Groeben 2006, 168). Sie können unter dem Begriff der kognitiven Schemata, wie in 2.1.2.1 erläutert, als spezielle Formate gefasst werden.44 In Anlehnung an Busse (Busse 2005, 46–47) wird im Folgenden

43 Dies verhält sich im klassischen Assoziationismus anders. Dort wird von einer Gleichwertig­ keit der Verknüpfungen ausgegangen. 44 Minsky verwendet den Begriff frame beispielsweise synonym zum Begriff der kognitiven Schemata (vgl. Minsky 1975; 1977). Vgl. zur begrifflichen Redundanz hinsichtlich dieser Formate auch Blank (2001, 54).

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der Begriff des Wissensrahmens45 als Oberbegriff für alle komplexen konzeptuel­ len Struktureinheiten verwendet, in dem sowohl frames als auch scripts als Wis­ senselemente enthalten sind. Die Unterscheidung zwischen frames und scripts dient dabei vor allem einer besseren Beschreibbarkeit von Handlungsroutinen vs. über sprachlichen Input aktivierte frames. Beaugrande und Dressler (1981, 131) geben hinsichtlich einer Differenzierung zwischen Schemata und frames die geordnete Struktur an, die Schemata in ihrer Definition aufweisen, und die frames dagegen fehlt. Funktionaler scheint hier der Vorschlag Busses zu sein, nach dem jeweiligen Praxisbezug zu unterscheiden, wobei auch hier die Trennung zwischen einem Aktivierungskontext von stereotypisierten Situationen (script) und sprachlich aktivierten, konzeptuellen Strukturen (frame) aufzuschimmern scheint (Busse 2015, 161). Beide werden daher im Rahmen dieser Arbeit als Struk­ turelemente von Wissensrahmen auf der konzeptuellen Ebene definiert. Unter scripts werden stabile Handlungspläne verstanden, über die Routinen­ wissen zu stereotypisierten Handlungs­ und Situationsabläufen aktiviert wird. Sie beinhalten daher kein allgemeines Weltwissen, sondern bereits spezifisches Wissen über die Ereignisse und Sachverhalte, die sie jeweils repräsentieren. Wie Schemata sind sie hierarchisch und sequentiell strukturiert und weisen eben­ falls Leerstellen auf, die dann mit konkreten Rollen oder Objekten belegt werden können (Christmann/Groeben 2006, 168). Frames beinhalten in der Konzeption der kognitiven Linguistik Alltagswis­ sen über Konzepte. Über sie wird gebündelt, was innerhalb eines Konzeptes als zusammengehörig erfasst wird.46 Zentral ist in der Konzeption von frames als Wissensstrukturen, dass die Verknüpfungen zwischen den zugehörigen Einhei­ ten auf Kontiguitätsrelationen beruhen. Ähnlich wie Schemata weisen sie drei Merkmale auf: Leerstellen, konkrete Füllelemente (fillers) und die sogenannten default assignments, die mit prototypisch erwartbaren Füllelementen besetzt werden können. Frames sind v. a. über die Arbeiten Fillmores in den Blickwinkel der Textverstehensforschung gerückt und werden dort besonders als Erklärungs­ modelle für die Verbindung zwischen semantischem und diskursivem Wissen benutzt (Busse 2012, 613; Ziem 2008b, 96). Ebenso erlauben sie die Integration konzeptuellen Wissens, können also im Rahmen von Wissensmodellen mit dem Ziel der Darstellung, wie verstehensrelevante Elemente miteinander vernetzt 45 Auf die zentrale Funktion von Wissensrahmen als Einheiten der konzeptuellen Ebene wird im Hinblick auf das Textverstehen unter 2.2.2.1 der vorliegenden Arbeit gesondert und detailliert eingegangen. 46 Frames als Wissensrahmen spielen eine zentrale Rolle im Entwurf einer interpretativen Se­ mantik, die sehr stark an Prinzipien der Frame­Semantik Charles Fillmores angelehnt ist, vgl. hierzu Busse (2015).

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sind und interagieren, gut für die Beziehung zwischen Begriffen und aktiviertem Wissen eingesetzt werden: With the term ‹frame semantics› I have in mind a research program in empirical semantics and a descriptive framework for presenting the results of such research. Frame semantics offers a particular way of looking at word meanings, as well as a way of characterizing principles for creating new words and phrases, for adding new meaning to words, and for assembling the meaning of elements in a text into the total meaning of the text. By the term ‹frame› I have in mind any system of concepts related in such a way to understand any one of them you have to understand the whole structure it fits; when one of the things in such a structure is introduced into a text, or into a conversation, all of the others are automatically made available. (Fillmore 1982, 111)

Wie scripts sind auch frames kulturspezifische Wissensstrukturen, das heißt sie sind in diesem Sinne zwar als fixierte, standardisierte Wissenseinheiten zu defi­ nieren, gleichzeitig sind sie aber auch variabel und dynamisch (Fillmore 1982, 130). In der Konzeption Fillmores erweisen sich frames als deckungsgleich mit Schemata, allerdings mit Bezug auf verstehensrelevantes Wissen im Hinblick auf sprachliche Ausdrücke (Blank 1997, 83; Ziem 2008a, 25). Werden sie aktiviert, evozieren frames Wissensstrukturen stets als Netzwerk, in dem sich mehrere Konzepte miteinander verbinden können, das heißt jeder frame bildet selbst wieder sogenannte Subframes aus, da die Füllelemente eben­ falls den Status eines frames besitzen (Ziem 2008a, 18). Um die Begrifflichkeiten eindeutiger zuordenbar zu machen, sei noch einmal darauf verwiesen, dass in der vorliegenden Arbeit der Begriff Wissensrahmen verwendet wird, wenn von der gesamten, übergeordneten Wissensstruktur auf der konzeptuellen Ebene die Rede ist, die ein sprachliches Zeichen evoziert. Frames und scripts werden dabei als Wissenselemente definiert, die als spezifizierende Strukturelemente in diese Wissensrahmen integriert sind und wiederum spezifische Wissensele­ mente (Konzepte) bereithalten, die dann bei der Verarbeitung jeweils aktiviert und ins AG transferiert werden können. Es sei auch darauf hingewiesen, dass die Konzepte, die innerhalb eines Wissensrahmens miteinander verknüpft werden, in einer Kommunikationssituation bereits kontextgebunden kodiert sind, das heißt innerhalb von Verstehensprozessen wird kein «unschuldiges» Konzept aktiviert.47 Diese Vorstellung rekurriert auf die Modellierung des «unschuldigen Sprachbenutzers», die Charles Fillmore stark kritisierte:

47 Dabei ist die Kontextabhängigkeit graduell – so können sprachliche Zeichen natürlich relativ übereinstimmende Konzepte in Sprechern aktivieren. Andere wiederum aktivieren spezielle Be­ deutungszuweisungen nur für bestimmte Gruppen oder Personen, vgl. Barsalou (1982).

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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As a decoder, or hearer, the innocent language user calculates the meaning of each sentence from what it knows about the sentence’s parts and their organization. It makes no use of past calculations: each time a structure or sentence reappears, it is calculated as new. As an encoder, or speaker, the innocent language user decides what it wishes its interlocutors to do or feel or believe and constructs a message which expresses that decision as directly as possible. There are no layers of inference between what it says and what it means. The innocent speaker/hearer is in principle capable of saying anything sayable, given enough time. That is, its semantic system satisfies Jerrold Katz’s condition of Effability and hence qualifies as a full­fledged natural language system (Katz 1972, pp.18 ff). But the discourse of innocents tends to be slow, boring, and pedantic.48 (Fillmore 1979, 64)

Der Vorwurf Fillmores zielt dabei darauf ab, dass sich Sprachverstehen, und dieser Vorwurf trifft letztlich auch die kognitive Perspektive auf Sprachverarbei­ tungsprozesse, eben nicht in einem Reinraum vollziehe, sondern stets kontex­ tuell gebunden sei. Dies bedeutet, sprachliche Ausdrücke tragen meist bereits einiges an «Gepäck» mit sich und der Rezipient kann in diesen Fällen biswei­ len nur schwer von epistemischen Relationen abstrahieren, die ihm zudem auch bewusst sein müssen. Dies führt zurück auf das bereits mehrfach angesprochene Problem der «Wahrheit»: In einer strikt kognitiven Sicht auf Textverarbeitung müssen Texte im Grunde zunächst als ideale Abbildungen wahrer Aussagen gesehen werden – ein Problem, das über die Hinzunahme einer Analyse epis­ temologischer Einschätzungen zumindest abgefedert werden kann.49 Dies kann auch als Vorteil der Frame­Semantik gesehen werden, da sie mit ihrer Konzep­ tionierung von Wissensrahmen erlaubt, diese Ebene der epistemischen Präfigu­ rierung miteinzubeziehen und als diskursives Wissen innerhalb der jeweiligen frames zu verankern (vgl. Busse 2007, 2012; Ziem 2008a; 2008b). 2.1.2.3 Mentale Modelle Auch die Theorie der mentalen Modelle operiert mit Schemata als Organisa­ tionsformen der menschlichen Wissensbestände. Ihnen liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Rezipienten Sachverhalte mit ihrem Vorwissen verknüpfen 48 Fillmore übt hier über die Ironisierung des idealen Sprechers bei Chomsky natürlich vor­ nehmlich Kritik an der Übertragung des Kompositionalitätsprinzips auf die Semantik und vor allem an der Vorstellung, Bedeutung lasse sich auf diesem Wege explizieren und konstituieren. Seine Kritik verweist allerdings bereits hier auf das Problem, das mit Busse (2015) als «verste­ henstheoretisches Defizit» bezeichnet werden kann, nämlich die Ausklammerung des Kontexts. Diesem Defizit versucht Busse über die Modellierung einer «Kontextualisierungssemantik» ent­ gegenzusteuern, die Wissensaktualisierungen als eine Form von Kontextualisierung begreift und diese in die Bedeutungskonstitution integriert (vgl. Busse 2007). 49 Vgl.  hierzu z. B. die Kritik der konstruktivistisch und kulturwissenschaftlich orientierten Textlinguistik an rein mentalistischen Modellen, z. B. in Gardt (2003).

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

und dabei ein sogenanntes mentales Modell der Informationen konstruieren. Entscheidend ist dabei, dass die Informationen nicht nur als sprachlich­symboli­ sche Repräsentation vorliegen, sondern dass der Rezipient in seiner Vorstellung ein Bild des Sachverhalts, eben ein mentales Modell, konstruiert (Johnson­Laird 1983). Ereignisse, Situationen und Handlungen werden dabei simuliert, das heißt, sie werden für den Rezipienten quasi erfahrbar. Mentale Modelle reprä­ sentieren demnach eher Situationen oder Sachverhalte, die nahezu losgelöst von der sprachlichen Ebene sind (Christmann 2006, 617; Göpferich 2008, 294). Einen besonderen Stellenwert haben die mentalen Modelle daher für konnektio­ nistische Vorstellungen über Bedeutungskonstitution und Wissensaktivierung bzw. ­erwerb erhalten. Die Hypothese, sprachlicher Input verhalte sich in glei­ cher Weise wie alle anderen sensorischen Reize, sei also auch als ein solcher zu definieren, kann mit der Annahme, wir konstruierten Bedeutung ausschließlich über die Aktivierung kontextabhängiger Konzepte als eine mentale Simulation des jeweiligen Realitätsauschnittes, mit der konnektionistischen Perspektive auf Sprachverarbeitung gut in Einklang gebracht werden. Im Fokus steht dabei für die Verstehensprozesse der Weltbezug, der über das Ineinandergreifen von Bottom-up- und Top-down­Prozessen erreicht wird. Mentale Modelle bilden im Gegensatz zu Schemata, scripts und frames allerdings stärker eine mentale Ver­ arbeitungsebene ab und sind daher weniger als ein Speicherungsformat zu ver­ stehen. Ihr großer Vorteil für die Textverarbeitungsforschung bestand vor allem darin, dass mit der Vorstellung, der Leser konstruiere in Interaktion mit seinem Vorwissen einerseits und der Einbeziehung extensionaler Bedeutungsaspekte andererseits, das Problem rein additiver, propositionaler Ansätze überwunden werden konnte und damit auch der Vorwurf, diese würden die mentale Repräsen­ tation als zu sehr vom jeweiligen Kontext losgelöst betrachten und vernachlässig­ ten daher die referenziellen Bezüge zur Welt: «Mental models represent what the text is about. Not the text itself» (Glenberg/Meyer/Lindem 1987, 70). Da mentale Modelle die Textverarbeitungs­ und ­verstehensforschung grundlegend geprägt haben, werden die Bedingungen für die Etablierung eines solchen Modells im Rahmen der Ausführungen zum Textverstehen ausführlicher behandelt. In der vorliegenden Arbeit wird dabei davon ausgegangen, dass die Rezipienten ein solches mentales Modell während des Textverstehens konstruieren, in das aber die Wissenselemente in Form von Wissensrahmen integriert und die Repräsenta­ tionen der Referenzwelt quasi auch über diese strukturell organisiert sind. Bevor aber auf die Entität ‚Text‘ als Form des sprachlichen Inputs und die besonderen Formen der Verarbeitung von textuell gebundenen Informationen eingegangen wird, scheint es angezeigt, zunächst eine Analyse der unterschiedlichen Bedeu­ tungsdimensionen in ihrer Zuordnung zu den verschiedenen Kategorien von Wissen vorzunehmen, die allgemein beim Verstehen sprachlicher Zeichen als

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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Medium menschlicher Kommunikation vonnöten sind. Für einen ganzheitlichen Zugriff auf die Prozesse, die beim Verstehen ablaufen, liegt die Notwendigkeit einer solchen zeichentheoretischen Untermauerung dabei in der Relevanz, die in der Etablierung einer möglichst vollständigen Bedeutungszuweisung zwischen sprachlichem Material und Wissen für kommunikative Kontexte enthalten ist und die in Textverstehensprozessen in der Elaboriertheit der mentalen Modelle reflek­ tiert wird.

2.1.3 Das sprachliche Zeichen – Dimensionen der Bedeutung – Ebenen des Wissens: zeichentheoretische Überlegungen zum Textverstehen Vor dem Hintergrund der biologischen sowie der kognitiven Perspektive auf das Textverstehen scheint es unabdingbar, die verschiedenen Ebenen der Bedeu­ tung, die sprachliche Zeichen transportieren bzw. evozieren können, zu skizzie­ ren, um die Bezugsgrößen, auf die ein Textverstehen unweigerlich abzielen muss und die während der Organisation des Verstehens verarbeitet werden müssen, zu definieren. Zudem scheint es ratsam, geht man im Rahmen einer kognitions­ linguistischen Perspektive davon aus, dass es während des Verstehensprozesses zur Bildung von korrekten bzw. falschen Inferenzen kommt, diesen Überlegun­ gen ein adäquates Zeichenmodell zugrunde zu legen, in dem die Ergebnisse der empirischen Studien, die auf Störungen bzw. auf ein Gelingen der Inferenz­ und Verstehensprozesse hindeuten, sprach­ und kognitionstheoretisch verortet und erklärt werden können.50 Denn letztlich beruht ja der Verstehensprozess darauf, dass sprachliche Zeichen korrekt dekodiert und unter Einbeziehung von relevan­ tem Wissen zur Bereitstellung einer Referenzwelt führen, die im Einklang mit der intendierten Referenzwelt der Äußerung ist. «Wenn man aber sagt: ‹Wie soll ich wissen, was er meint, ich sehe ja nur seine Zeichen›, so sage ich: ‹Wie soll er wissen, was er meint, er hat ja auch nur seine Zeichen›» (Wittgenstein, PU §504; Kursivierung wie im Original). In diesem Zitat aus den Philosophischen Untersuchungen bringt Wittgenstein das eigentliche Dilemma menschlicher Kommuni­ kation auf den Punkt: Es ist die Frage, wie es in der Kommunikationssituation gelingt, dass die Sprecher erkennen, welchen Zweck die verwendeten Zeichen

50 Diesen Vorwurf macht Ziem den psycholinguistischen Arbeiten zum Textverstehen: Es fehle die Bereitstellung eines «zeichentheoretischen Grundmodells», ohne das die empirischen Stu­ dien letztlich im Deskriptiven steckenbleiben (Ziem 2008, 444). Dieser Vorwurf ist nicht unbe­ rechtigt, allerdings scheint es ebenfalls schwierig, in Ziems Gegenmodell des Verstehensraumes mögliche Störungen im Verstehensprozess zu lokalisieren.

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und Zeichenabfolgen beinhalten. Diese Frage ist, so Keller, die Essenz der Zei­ chentheorien seit Platon (Keller 2018, 13) und sie muss auch im Rahmen einer textlinguistischen Arbeit gestellt werden, die das Verstehen der kommunikativen Absichten von Texten analysieren will.51 Der Versuch, hier eine Antwort auf diese Frage zu geben, kann nur als eine reduktionistischer Erklärungsansatz dessen gesehen werden, was in der Interaktion zwischen Sprechern, Zeichen und dem Verweisen auf die reale Welt tatsächlich geschieht, da sich Rezeptionsprozesse sowie die Konstituierung von Wissen nur bedingt steuern und empirisch erfassen lassen.52 Ausgangspunkt der nachfolgenden Überlegungen ist dennoch eine holis­ tische Auffassung des Verstehensakts von sprachlichen Zeichen, wie ihn Anttila und Embleton definiert haben – zwar im Rahmen einer semiotisch begründeten Theorie des Bedeutungswandels, deren Forderungen aber auf eine Textverstehens­ theorie übertragbar und sogar notwendig erscheinen: «Only a full understanding of the notion ‹linguistic sign› makes both change and reconstruction comprehen­ sible and theoretically explainable» (Anttila/Embleton 1989, 157).53 Essentiell ist hier, dass der Interpretationsakt aus einer perzeptiven Perspek­ tive betrachtet wird, das heißt Ausgangspunkt ihrer Überlegungen hinsichtlich der Zeicheninterpretation ist der Adressat. Dadurch wird der Verstehensprozess an Inferenz und Abduktion gebunden (Anttila/Embleton 1995, 98). Übertragen auf den Textverstehensprozess bekräftigt dies die Aussage, die Bedeutung eines Textes ergäbe sich erst durch die Interaktion zwischen Leser und Text während des Leseprozesses (Christmann 2006; Christmann/Groeben 2006; Gardt 2003), da eine Sinnzuweisung nur während des Rezeptionsprozesses über die Inferenzen und die Erkenntnis im Adressaten erfolgen kann. Dabei tritt die Bedeutung des Konnexes von außersprachlichem und sprachlichem Wissen auf der konzeptuel­

51 Für Arbeiten zum Bedeutungswandel scheint diese Frage bereits zu einer Art Leitmotto avan­ ciert zu sein, vgl. z. B. Nyman (1994, 175): «A theory of language change depends on the under­ lying theory of language.» 52 Diese Begrenzung von empirischen Studien und theoretischer Modellierung im Hinblick auf Lese­ und Textverstehensprozesse bringt z. B. Kembo klar zum Ausdruck: «Reading test scores may reveal perhaps only reading ability in a particular genre or rhetorical organisation and the particular questions set, but may not always reveal with certainty the global reading capability of a particular reader. The very idea of testing seems to place psychological pressures on readers that may prevent them from accessing meaning. To add to this complex scenario is the fact that to date, although more is now understood about reading, it is not enough for comprehending the process because most of what goes on in reading occurs unobserved and what we try to assess as the ability is perhaps only a very small part of that process» (Kembo 2001, 93). 53 Ihre semiotisch begründete Theorie eines Bedeutungswandels, die letztlich in Nähe einer gestalttheoretischen Theorie verortet werden muss, legen sie in einer erweiterten und überarbei­ teten Fassung 1995 in Form eines Aufsatzes vor, vgl. hierzu Anttila/Embleton (1995).

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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len Ebene in der Kognition klar zutage: Der vollständige Interpretationsprozess sowie die kognitive Disposition des Adressaten wie auch des Senders können nicht nur rein psychologistisch­außersprachlich konzipiert werden, da das sprachliche Zeichen seine Wirkung erst vollständig im Kommunikationsprozess entfaltet und seine Sinnzuweisung erst im Rezeptionsvorgang durch die Aktivie­ rung der verschiedenen Wissensebenen (linguistisch, konzeptuell, epistemisch) erhält, die aber teilweise sozial genormt sind und somit immer in Relation zur Sprechergemeinschaft zu sehen sind.54 Eine Verbindung zwischen sprachlichem und außersprachlichem Wissen innerhalb der Kognition ist hierbei allerdings als essentielle Bedingung immer vorauszusetzen: «It [eine nicht­psychologistische Theorie der Kognition; J.W.] provides an efficient vehicle for explanation, since it joins the facts of language with something else, the cognitive machinery as a prerequisite for language» (Anttila/Embleton 1995, 98).55 Durch die Herauslösung aus einer rein psychologistischen Betrachtung wird die Frage nach dem Ver­ hältnis von Sprache, Denken und Wirklichkeit dann allerdings auch unter dem Aspekt des Sprachhandelns, also aus einer pragmatischen Sichtweise, formu­ liert. Dies führt zurück zu der Überlegung, wie die menschliche Wahrnehmung geprägt ist und welchen Einflussgrößen sie bei der Lektüre von Texten unterliegt. Wie konstruiert ein Rezipient im Interpretationsprozess eine mögliche Realität des jeweiligen Textes? Welchen Regeln ist er dabei unterworfen? Um diese Fragen zu beantworten, soll zunächst die Beziehung zwischen Zeichen und Bedeutung definiert werden, da diese Relation ausschlaggebend für eine Sinnentnahme im Rahmen des Textverstehens ist, wie es den Überlegun­ gen im Rahmen dieser Arbeit zugrunde gelegt wird, da hier davon ausgegangen wird, dass Textverstehen von mehreren Verarbeitungsprozessen abhängig ist, die kognitiv auf unterschiedlichen Wissensebenen ablaufen und daher auch von ver­ schiedenen Elementen des sprachlichen Zeichens «getriggert» werden. Blocka­ den56 entstehen dabei, wie bereits ausgeführt, wenn eben nicht alle involvierten

54 Vgl. hierzu die Zeichentheorie von Peirce (1903). 55 Diese Aussage kann in Einklang gebracht werden mit Überlegungen, dass Kinder bereits be­ stimmte kognitive Strukturen ausgebildet haben müssen, bevor der Bedeutungserwerb im Sinne einer Zuordnung von Lautfolgen zu Dingen erfolgen kann, was allerdings die Parallelität einer Entwicklung von sprachlichen und kognitiven Strukturen nicht ausschließt (vgl. Schwarz 1992, 64–65). In dieser Sichtweise wird die Ausbildung kognitiver Strategien der Wahrnehmung und mentalen Verarbeitung zu einer notwendigen Bedingung des Bedeutungserwerbs. 56 Der Begriff Blockade wird hier keinesfalls in einem pathologischen Sinn verstanden, sondern vielmehr definiert als der Moment, in denen der (Text)verstehensprozess nicht mehr reibungslos verläuft, sondern eben, aufgrund einer Störung im mentalen Organisationsprozess der Sprach­ verarbeitung «blockiert» bzw. «gestört» ist.

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Ebenen erfolgreich aktiviert werden können und somit kein mentales Modell etabliert werden kann, das die transportierten Informationen in ihrer Ganzheit abbilden kann.57 2.1.3.1 Repräsentationistische und instrumentalistische Zeichentheorien: Gottlieb Frege und Ludwig Wittgenstein Dabei zeigt sich, dass der Begriff der Bedeutung unscharf ist und in Bezug auf das sprachliche Zeichen auch teilweise kontrovers diskutiert wurde und wird.58 Einen Vorschlag, wie die Beziehung zwischen Zeichen und Bedeutung beschrie­ ben werden kann, unterbreitet Frege bereits 1892. Frege ordnet den Zeichen einen Erkenntniswert zu, der sich über Bedeutung und Sinn fassen lässt (Frege 1892, 27). Dabei kann der Sinn als eine rein sprachbezogene Größe definiert werden, die kontextunabhängig dem Zeichenausdruck einen Inhalt zuordnet und somit dem Zeicheninhalt gleichzusetzen wäre (Blank 1997, 47). Die Bedeutung ergibt sich erst durch den Gebrauch des sprachlichen Zeichens als Möglichkeit der Repräsenta­ tion und über dessen Funktion, auf einen Referenten zu verweisen.59 Die Bedeutung ist in Freges Zeichentheorie ein «sinnlich wahrnehmbarer Gegenstand» (Frege 1892, 28), sie erscheint als relativ stabile sowie generalisierbare Kategorie, deren Zuordnung durch die Relation zwischen Zeichenausdruck und Referenten geregelt zu sein scheint.60 Getrennt von dieser regelhaften Zuordnung ist die Vorstellung, die bei Frege als ein «inneres Bild» von «Erinnerungen an Sinneseindrü­ cken» und «Tätigkeiten» beschrieben wird (Frege 1892, 29), das im Gegensatz zur Bedeutung unscharf und verschwommen sein kann, da in ihm durchaus auch Emotionen gespeichert sein können. Die Vorstellung ist daher zunächst eine indi­

57 Dabei ist natürlich zu fragen, ob ein solchermaßen definierter Verstehensprozess, der von einem «idealen Verstehen» ausgeht, in der Realität der Kommunikationssituation überhaupt möglich ist. Im Rahmen der hier vorgenommenen Modellierung des Textverstehens wird daher zwar die Existenz eines solches „Idealverstehens“ postuliert, allerdings im Bewusstsein über dessen Grenzen, da letztlich jeder Textverstehensprozess als ein individueller Prozess zu sehen ist und sich ein Zugriff auf die letztendlich vorgenommenen Evaluierungen des Rezipienten ent­ zieht (vgl. Lutjeharms 1994, 36). 58 Vgl. zu einer ausführlichen Diskussion über verschiedene Definitionsversuche der Relation zwischen sprachlichem Zeichen und Bedeutung innerhalb der Sprachwissenschaft Blank (1997, 47–50). Vgl. zu einer detaillierten und kritischen Darstellung der Zeichentheorie Gottlob Freges Keller (2018, 59–77). 59 Die Frage, ob die Erzeugung von «Inhalt» ohne Kontext überhaupt möglich ist, stellt Frege dabei allerdings noch nicht. 60 Frege schränkt dies aber auf die Relation Bedeutung – Referent in den jeweiligen Einzelspra­ chen ein (vgl. Frege 1892, 27).

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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viduelle Kategorie, die vom Sinn zu trennen ist, da der Sinn bei Frege als über­ individuell («Schatz von vielen») kategorisiert wird (Frege 1892, 29). Allerdings verweist Frege darauf, dass sich die Vorstellung durchaus auch aus Elementen zusammensetzt, die innerhalb von Gesellschaften tradiert werden und die somit sozio­historisch und kulturell gebunden sind. Damit nimmt Frege letztlich die Idee vorweg, dass der Verstehensprozess teilweise über eine Normierung der Epi­ steme einer Gesellschaft und ihres kommunikativen Haushalts gesteuert wird, gleichzeitig aber dynamisch ist, da sowohl das sprachliche Zeichen an sich als auch die gesellschaftlich gesetzten Normen und Tradierungen Wandelprozessen unterworfen sind. Die Vorstellung, so Frege, muss daher stets im Zusammen­ hang mit ihrer zeitlichen und gesellschaftlichen Gebundenheit gesehen werden (Frege 1892, 29) und kann somit als eine Größe definiert werden, die zwar an subjektives Empfinden und individuelle Erfahrung gebunden ist, aber auch an epistemisches Wissen. Sie wäre demnach sowohl auf der Ebene des Wissens als auch auf der Ebene der Bedeutung anzusiedeln. Freges Interesse gilt im Rahmen seiner Zeichentheorie allerdings nicht der Vorstellung, sondern hauptsächlich der Funktion von Zeichen als Mittel der Repräsentation von Dingen und Begrif­ fen, weswegen Keller Freges Zeichentheorie auch zu den repräsentationistischen zählt (Keller 2018, 76). Im Rahmen einer solchen Zeichenauffassung richtet sich der Fokus der Theorie auf die Inhaltselemente des sprachlichen Zeichens, die wahrheitsfunktional sind und somit zum Wahrheitswert von Aussagen beitragen (vgl. Keller 2018, 72–73). Es genüge, so Frege, die jeweilige Einzelsprache «hinrei­ chend» zu kennen (Frege 1892, 27). Dabei scheint für Frege letztlich nur der Sinn greifbar, die Bedeutung entzieht sich bereits einer eindeutigen Zuordnung – die so entstehende Unmöglichkeit einer „regelmäßigen Verknüpfung“ sei dabei der Verschiedenheit der historischen Einzelsprachen geschuldet: Der Sinn eines Eigennamens wird von jedem erfaßt, der die Sprache oder das Ganze von Bezeichnungen hinreichend kennt, der er angehört; damit ist die Bedeutung aber, falls sie vorhanden ist, doch immer nur einseitig beleuchtet. Zu einer allseitigen Erkenntnis der Bedeutung würde gehören, daß wir von jedem gegebenen Sinne sogleich angeben könnten, ob er zu ihr gehöre. Dahin gelangen wir nie. Die regelmäßige Verknüpfung zwischen dem Zeichen, dessen Sinn und dessen Bedeutung ist derart, daß dem Zeichen ein bestimmter Sinn und diesem wieder eine bestimmte Bedeutung entspricht, während zu einer Bedeu­ tung (einem Gegenstande) nicht nur ein Zeichen zugehört. Derselbe Sinn hat in verschiede­ nen Sprachen, ja auch in derselben verschiedene Ausdrücke. Freilich kommen Ausnahmen von diesem regelmäßigen Verhalten vor. Gewiß sollte in einem vollkommenen Ganzen von Zeichen jedem Ausdrucke ein bestimmter Sinn entsprechen; aber die Volkssprachen erfül­ len diese Forderung vielfach nicht, und man muß zufrieden sein, wenn nur in demselben Zusammenhange dasselbe Wort immer denselben Sinn hat. Vielleicht kann man zugeben, daß ein grammatisch richtig gebildeter Ausdruck, der für einen Eigennamen steht, immer einen Sinn habe. (Frege 1892, 27–28)

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

In der Konsequenz konzentriert sich Frege daher innerhalb seiner Theorie auf den Bereich der Zeichenbedeutung, der nach seiner Ansicht über die Anwendung von logischen und generalisierbaren Schlussfolgerungen dekodiert und losge­ löst von seinem Gebrauch in der Kommunikation betrachtet werden kann – den Sinn.61 Somit bietet Frege zwar Anknüpfungspunkte für eine linguistische Ver­ stehenstheorie, antwortet aber nicht auf die entscheidende Frage nach der Ver­ knüpfung von außersprachlichem Wissen (Vorstellung) und Zeicheninhalt (Sinn). Damit vermeidet er letztlich eine Erklärung, wie die Relation zwischen Zeichen und Referent zustande kommt und wie diese vom Rezipienten in der Kommuni­ kation verstanden wird, wie es also zu einer Konstruktion von Realität kommen kann – ein Defizit, das repräsentationistische Zeichentheorien nicht zu lösen imstande sind (vgl. Keller 2018, 77).62 Dieses verstehenstheoretische Defizit versuchen dagegen instrumentalisti­ sche Zeichentheorien aufzulösen, indem sie das Zeichen in seinem Gebrauch in den Fokus nehmen und die Bedeutungszuweisung in den Kommunikationsakt verschieben: «‚Die Bedeutung eines Wortes ist das, was die Erklärung der Bedeu­ tung erklärt.‘ D. h.: willst du den Gebrauch des Worts ‹Bedeutung› verstehen, so sieh nach, was man ‹Erklärung der Bedeutung› nennt» (Wittgenstein, PU §560). Eine der wohl bekanntesten instrumentalistischen Zeichentheorien, die die Bedeutung über den Gebrauch zu erklären versucht, stammt von Ludwig Witt­ genstein.63 Keller gruppiert dessen Theorie unter die instrumentalistischen Zei­ chenauffassungen, da sie nicht die Beziehung zwischen Zeichen und Referent in den Blick nimmt, also Bedeutung nicht als eine Beziehungsrelation definiert, sondern die Generierung von Bedeutung in den Akt der Kommunikation legt

61 Zu diesem Schluss kommt bereits Keller (2018, 77). Keller verweist hier auch auf das grundle­ gende Problem, dass Frege keinerlei Aussagen darüber macht, wie der Anteil an wahrheitsfunk­ tionalen Inhalten bestimmt werden kann und welcher Anteil des Zeicheninhalts dafür relevant sei (Keller 2018, 76). 62 Dies – und das kann bereits hinsichtlich der aristotelischen Zeichentheorie festgestellt wer­ den – ist auch nicht ihr Ziel: Repräsentationistische Zeichentheorien zielen vielmehr darauf ab, das Überindividuelle und Zeitlose in der Beziehung zwischen Zeichen und Welt darzustellen, wie am Beispiel Freges illustriert wurde. Wie Keller überzeugend darlegt, versuchen sie «objek­ tive Abbilder der Dinge» (Keller 2018, 57) in dieser Relation herauszufiltern und können daher nicht als ‹Vorstellungen› in einem modern­psychologischen Verständnis gesehen werden (Keller 2018, 56–57). 63 Blank (1997, 49) bezeichnet die Theorie Wittgensteins als «radikalste ‹operationale Bedeu­ tungstheorie›», da Wittgenstein postuliere, dass sich die Bedeutung nicht aus der Verwendung erschließen lasse, sondern vielmehr der Gebrauch die Bedeutung sei (Blank 1997, 49). Vgl. zu einer ausführlichen und kritischen Würdigung der Theorie Wittgensteins Keller (2018, 79–95).

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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(Keller 2018, 83). Dabei gerät die Frage nach der Interpretierbarkeit von Zeichen in den Fokus – wie gelingt es, eine mögliche Interpretation des Gemeinten her­ zustellen, damit die Sprecher in der jeweiligen Kommunikationssituation nicht zu einer beliebigen, sondern zu einer bestimmten, intendierten Interpretation gelangen? Damit verschiebt sich die ‚Bedeutung‘ von einer Definition durch die Beziehung hin zu einer Definition durch Erklärung (vgl. Keller 22018, 82–83). Dies führt zu den eingangs gestellten Fragen zurück: Die Zuweisung von Bedeutung kann nicht völlig dem Zufall unterworfen sein, so wie es die radikale Form einer operationalen Bedeutungstheorie vermuten lässt (vgl. Blank 1997, 49). Wie Keller ausführt (vgl. Keller 2018, 85–95), verschiebt Wittgenstein daher das regulierende Moment in den Sprachgebrauch: Man kann für eine große Klasse von Fällen der Benützung des Wortes ‹Bedeutung› – wenn auch nicht für alle Fälle seiner Benützung – dieses Wort so erklären: Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache. (Wittgenstein, PU §43; Kursivierungen wie im Original) Ist, was wir ‹einer Regel folgen› nennen, etwas, was nur ein Mensch, nur einmal im Leben, tun könnte? – Und das ist natürlich eine Anmerkung zur Grammatik des Ausdrucks ‹der Regel folgen›. Es kann nicht ein einziges Mal nur ein Mensch einer Regel gefolgt sein. Es kann nicht ein einziges Mal nur eine Mitteilung gemacht, ein Befehl gegeben, oder verstanden worden sein, etc. – Einer Regel folgen, eine Mitteilung machen, einen Befehl geben, eine Schach­ partie spielen sind Gepflogenheiten (Gebräuche, Institutionen). Einen Satz verstehen, heißt, eine Sprache verstehen. Eine Sprache verstehen, heißt, eine Technik beherrschen. (Wittgenstein, PU §199; Kursivierungen wie im Original)

Daraus lässt sich schließen, dass es in einer Sprache einen regelhaften Gebrauch für Wörter und ihre Bedeutungen gibt, die die Interpretation in der Kommunika­ tionssituation (teilweise) steuern (Keller 2018, 88). Damit gelingt es, im Rahmen einer solchen instrumentalistischen Theorie, die Bedeutung als durchaus greif­ bare Größe zu definieren: «Sie sind weder im Kopf noch in der Seele und das erleichtert ihre Untersuchung enorm!» (Keller 2018, 92). Dies erlaubt auch, Bedeutung über traditionelle, linguistische Offline­Methoden zu analysieren, d. h. über Frequenz, Implikations­, Präsuppositions­ und Assoziationstests wie auch über Verbalisierung.64 In der Konsequenz seiner Überlegungen verschiebt Keller dann allerdings die Kategorie der Bedeutung komplett auf die linguistische Ebene und löst sie somit gänzlich sowohl von der ontologischen Ebene (reprä­ sentationistische Zeichentheorien) als auch von der epistemologischen Ebene

64 Dies impliziert allerdings nicht, dass Bedeutungen über die Zeit hinweg stabil sind – auch ihr Gebrauch ist dem Wandel und der Dynamik unterworfen, die Sprache inhärent sind.

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

(Zeichentheorie Saussures und rein kognitivistische Theorien) (vgl. Keller 2018, 148). Damit zeigt sich aber, dass eine Verstehenstheorie, die nur die Bedeutung eines sprachlichen Zeichens in den Blick nimmt, zu kurz greift und der Kommu­ nikationsprozess zwischen Zeichen und Adressat mit einer solchen Verstehens­ theorie nur unzureichend beschrieben werden kann. Keller hat zwar insofern recht, als der wahrnehmbare Zeichenausdruck in dieser Sichtweise zunächst nur Bottom-up­Prozesse in Gang setzen kann, die auf einer linguistischen, genauer gesagt auf einer einzelsprachlichen Ebene anzusiedeln sind, wie beispielsweise grammatikalische und syntaktische Bedeutungszuweisungen. Er übersieht dabei allerdings die Tatsache, dass die menschliche Wahrnehmung immer präfiguriert ist: Zwar findet der Zuweisungsprozess individuell statt, das Individuum ist aber immer eingebunden in die soziale und kulturelle Verfasstheit seiner Sprachge­ meinschaft.65 Bliebe also der Dekodierungsprozess nun auf dieser rein (einzel­) sprachlichen Ebene, so fehlte der «‹Blick in die Tiefe›» (Blank 1997, 89). In eine solche Zeichentheorie wäre eine Verknüpfung mit außersprachlichem Wissen nur schwer integrierbar, zudem antwortet sie nicht auf die Frage, wie verstehens­ relevante Elemente im Gedächtnis als Wissen organisiert sind, die in der Verwen­ dung von Zeichen ja aber aktiviert werden. Um dies zu erreichen, muss folglich eine rein sprachliche Definition von Bedeutung um Elemente erweitert werden, die sich auf der Ebene der Konnotationen und des enzyklopädischen Wissens befinden (vgl. Blank 1997, 90). 2.1.3.2 Das komplexe Zeichenmodell nach Blank 1997 und seine Übertragbarkeit auf sprachliche Verstehensprozesse Um diesen unterschiedlichen Bedeutungsdimensionen gerecht zu werden, schlägt Blank ein komplexes Modell des sprachlichen Zeichens vor, in das er sowohl die einzelsprachlichen als auch die außersprachlichen Ebenen und damit auch die verschiedenen Wissensformen als deren mentale Bezugsgrößen integriert: Blank verlässt mit seinem Zeichenmodell, dargestellt in Abbildung 3, die klas­ sischen Polygonmodelle, die zwar den Prozess der Semiose bereits sehr komplex abbilden,66 aber die unterschiedlichen Wissensebenen vor allem in Bezug auf 65 Vgl. hierzu die Bestimmung der Sprache als fait social bei Saussure (Saussure [1916] 1970). Mit dieser Bestimmung verweist Saussure auf die Definition des fait social bei Émile Durkheim, in dessen soziologischer Theorie das Kollektiv die Wahrnehmung des Individuums weitestge­ hend bestimmt. Dies bedeutet, dass auch Verstehensprozesse in gewisser Weise gesellschaftli­ chen Normen unterworfen sind. Vgl. zu dieser Beeinflussung wie auch zur Sprache als fait social bei Saussure Wald (2012). 66 Vgl. hierzu z. B. die Modelle von Heger (1987), Hilty (1971) oder Raible (1983). Die Rolle der außersprachlichen Ebene wird in ihnen allerdings noch nicht so differenziert – das betrifft vor

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

Einzelsprachliche Ebene Zeichen

Signifiant

Außersprachliche Ebene Designat

(lexikalisches Wissen)

(phonologisches Wissen)

Signifié

Konnotationen, enzyklopädisches Wissen, diskursiv-epistemisches Wissen Abstrakte Ebene Konzeptuelle Ebene

(sememisches Wissen)

Konkrete Lautung

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Referent (konkret) Konkrete Ebene

Abbildung 3: Das sprachliche Zeichen nach Blank (Blank 1997, 102).

das außersprachliche Wissen nicht ausreichend differenziert modellieren. Was Blanks Modell ebenfalls auszeichnet, ist sein Bezug zur Prototypen­ und Frametheorie. Dies scheint vor allem bei der Überprüfung, ob ein Zeichenmodell sich auch als Basis für eine textlinguistische Verstehenstheorie eignet, ein geeignetes Kriterium für die Transferierbarkeit zu sein. Denn eine Einbeziehung prototypen­ wie auch frametheoretischer Annahmen führt direkt zu der Frage, wie Zeichen im mentalen Lexikon abgespeichert werden und wie ihre Aktivierung verläuft, bzw. was in der Interaktion zwischen Zeichen und Adressat aktiviert wird, und erlaubt die Verknüpfung eines solchermaßen strukturierten Zeichenmodells mit den kognitionspsychologischen Modellierungen von Wissensrahmen wie sie unter 2.1.3.2 bereits ausführlich dargestellt wurden. Dort wurden die Wissensrah­ men allerdings nur in ihrer Funktionsweise dargestellt, die Frage, aus welchen Elementen sie sich zusammensetzen und was sie bei der Analyse von Zeichen leisten, wurde erst in Ansätzen beantwortet. Zudem ist es erforderlich, eine Begriffsbestimmung hinsichtlich des Verhältnisses von Kognition und Episteme als Struktur bzw. Inhaltselemente von Wissensrahmen vorzunehmen, um auch hier eine Unterscheidung der Wissensaktivierungen bzw. Wissensebenen vorneh­ men zu können. Um eine solche Analyse zu leisten, scheint es zunächst essentiell, im Rück­ griff auf das von Blank (1997) bereitgestellte Modell des sprachlichen Zeichens,

allem die Unterscheidung von enzyklopädischem und konnotativem Wissen – dargestellt wie im Modell von Blank. Vgl. zu einer ausführlichen Darstellung und Kritik dieser Modelle Blank (1997, 96–101), Heger (1987) sowie Raible (1983).

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

der fundamentalen Unterscheidung zwischen den Ebenen der Bedeutung und den Ebenen des Wissens (siehe Abbildung 4), die Blank im Rahmen dieses Modells vornimmt, zu folgen:

Ebenen des Wissens

Zeichen als Bedeutungsaktivierer

III. außersprachliches Wissen

II. einzelsprachlich-lexikalisches Wissen

Dimensionen der Bedeutung Zeichen als Bedeutungsträger

3a. konnotatives und epistemisch-diskursives Wissen 2a. interne Wortvorstellung 2b. externe

I. einzelsprachlichsememisches Wissen

1. Semem

Wortvorstellung 2c. syntagmatische Relationen 3b. enzyklopädisches Wissen Abbildung 4: Ebenen des semantisch relevanten Wissens und Dimensionen der Bedeutung (adaptiert nach Blank 1997, 95).

Deutlich wird hier, dass das Dekodieren sprachlicher Zeichen in einem komple­ xen Zusammenspiel erfolgt, bei dem der Adressat mehrere Ebenen der Bedeu­ tung sowie mehrere Ebenen des Wissens gleichzeitig abrufen und aktivieren muss. Ebenfalls erkennbar ist aber auch, dass Blank auf eine Ebene zurückgreift, die aus strukturalistischen Zeichenmodellen bekannt ist: die Ebene des Semems und das damit verknüpfte einzelsprachlich­sememische Wissen.67 Das Semem kann in dieser Modellierung als ein Merkmalsbündel definiert werden, dass auf­ 67 Die Plausibilität dieser Annahme ergibt sich aus der Argumentation Blanks, dass wir zur Ab­ grenzung, auch im Rahmen der Prototypen­ und Gestalttheorie auf Merkmale zurückgreifen, um beispielsweise randständige Vertreter kategoriell einordnen zu können. Gestalt und Merkmal be­ dingen sich demnach wechselseitig (Blank 1997, 66).

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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grund dieser Merkmalsstruktur Bedeutungszuweisungen über alle Bedeutungs­ dimensionen hinweg triggert und so Wissensrahmen in allen Wissensbeständen aktivieren kann. Blanks Modell schlägt zudem eine Trennung zwischen den einzelnen Wissen­ sebenen vor und plädiert für eine Unterscheidung zwischen einzelsprachlichem Wissen und den damit verbundenen Bedeutungsebenen und außersprachlichem Wissen, dem Blank Konnotationen und Weltwissen zuordnet. Vorgeschlagen wird in diesem adaptierten Modell eine zusätzliche Differenzierung zwischen konno­ tativem und epistemisch­diskursivem Wissen, um den Wissensbestand zu kenn­ zeichnen, der für die Validierung und Evaluierung von Propositionen zuständig ist. Diese erfolgen eben nicht über reines Faktenwissen, sondern auch aufgrund von Überzeugungswissen, das über epistemische Einschätzungen in die Verar­ beitung von Information integriert wird. Dabei wird unterschieden in individuel­ les Erfahrungswissen und gesellschaftlich epistemisches Wissen, das die jewei­ ligen epistemischen Einschätzungen präfiguriert und somit auch die Strukturen der Wissensrahmen prägt, die dann im mentalen Lexikon gespeichert werden. In diesem Modell wird durch die Differenzierung der einzelnen Wissensformate auf der konzeptuellen Ebene aber ebenfalls erkennbar, dass es auch zu Abbildungs­ prozessen (mapping) unter den jeweiligen Wissensbeständen kommen muss, was in Modellen, die nur sprachliches und nicht­sprachliches Wissen trennen, unscharf modelliert wird, da hier nicht präzise lokalisiert werden kann, zwischen welchen Ebenen solche Prozesse ablaufen müssen, um zu einer vollständigen Dekodierung bzw. Enkodierung zu gelangen. Die Trennung in einzelne Bedeutungs­ und Wissensebenen rückt das Blank­ sche Modell zwar in die Nähe der modular konzipierten Modelle,68 aber nur im

68 Vgl. hierzu z. B. das Zwei­Ebenen­Modell von Bierwisch (1983 a, b, c; 1987) oder das Drei­Ebe­ nen­Modell von Schwarz (2002) und Schwarz­Friesel (2017). Vgl. zu einer ausführlichen Kritik Ziem (2008a, 67–103). Ziem lehnt in seiner Modellierung die Annahme einer möglichen hierar­ chischen Organisation verstehensrelevanten Wissens ab und postuliert stattdessen einen «Ver­ stehensraum» (Ziem 2008, 443). Dabei nimmt auch Ziem verschiedene Arten des Wissens an, die aber stets gleichzeitig aktiviert werden. Dies deutet möglicherweise darauf hin, dass Ziem ebenfalls von einem idealen Sprecher respektive von einer der langue vergleichbaren virtuellen Sprachebene ausgeht. Dies ist bei einer Modellierung des Verstehensprozesses sprachlicher Zei­ chen insofern problematisch, da Daten aus dem Spracherwerb sowie Daten von Aphasiepatien­ ten durchaus belegen, dass der Abruf nicht immer holistisch erfolgt bzw. erfolgen kann, sondern verschiedene Verarbeitungsschritte durchlaufen werden (vgl. hierzu z. B. Hillert 1987, 58; 119). Auch ist der Transfer auf ein multilinguales mentales Lexikon problematisch, da für dieses meist verschiedene konkurrierende, dynamische einzelsprachliche Systeme angenommen werden, die in Teilen gleichzeitig aktiviert werden können (z. B. Kroll 1993; Pavlenko 2009a). Kommt es dabei zu mapping­Problemen zwischen konzeptuell einzelsprachlicher und außersprachlicher Ebene,

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

Hinblick auf die Trennung verschiedener Arten von Wissen (Blank 1997, 89).69 Dies scheint eine essentielle Differenzierung zu sein, die die Verarbeitung ver­ stehensrelevanten Wissens plausibel zu modellieren vermag. Blanks Modell kann dementsprechend als ein integratives Zeichenmodell gedeutet werden, das sprachliches Wissen teilweise modular modelliert, wobei stets Durchlässigkeit gegeben ist – diese Einheiten entsprechen möglicherweise den Einheiten, die Hillert (1990) als semimodular beschreibt. Diese können aufgrund ihrer Eigen­ schaft, Informationen aus mehreren Quellen zu beziehen, in Interaktion mit anderen Einheiten treten (Hillert 1990, 69).70 Auf diese Weise kann die strikte Trennung zwischen modularen und interaktionistischen Modellen überwunden werden, indem auf der Beibehaltung der verschiedenen Wissensarten beharrt wird, das System als Ganzes jedoch grundsätzlich offen interagieren kann. Die Plausibilität seines Modells erreicht Blank dabei über zwei notwendige Fundie­ rungen: Zum einen durch die Einbeziehung der Prototypen­ und Frametheorie und zum anderen durch die Unterfütterung seines Modells durch Beobachtungen aus dem kindlichen Spracherwerb und aus Sprachstörungen.71 Blank definiert Prototypen und frames, die der hier zugrunde gelegten Defi­ nition der Wissensrahmen entsprechen und daher im Folgenden auch so benannt werden, als Größen, die einer «Semantik des Weltwissens» (Blank 1997, 85) zuzu­ ordnen sind. Bei der Verarbeitung von Zeichen stellen sie eine Form der Struk­ turierung bereit, die in erster Linie über die Faktoren Similarität und Typikalität funktioniert und in der über einen Abgleich zwischen Zeichen und Welt rasch Entscheidungen über Zuordnungen und Aktivierungen getroffen werden können. so kann dies nicht über eine rein holistische Aktivierung erklärt werden. Ähnlich schwer über eine rein holistische Aktivierung erklärbar sind Reparaturen, die Sprecher während ihrer Äuße­ rungen machen. 69 Diese Annahme bedeutet nicht, dass im Rahmen des Modells von verschiedenen Gedächtnis­ systemen ausgegangen wird, wie Bedeutungsmodellen, die für eine solche Trennung in Wissens­ arten plädieren, bisweilen vorgeworfen wird. 70 Wie Hillert anmerkt, verfügen wir nicht über eine vollständige Einsicht in die Verarbeitungs­ prozesse (Hillert 1990, 263). Daher wäre es vermessen mit Blanks Modell ein realitätsadäquates Modell des Verstehensprozesses zu postulieren. Die differente Unterscheidung zwischen Wis­ sensarten und Bedeutungsdimensionen macht es aber zu einem guten Analyseinstrument für Verstehensprozesse, die beim Textverstehen ablaufen. 71 Die fehlende Integration von Daten bzw. Beobachtungen von z. B. Aphasiepatienten ist ein Manko, das auf viele holistische Modelle zutrifft (vgl. z. B. Busse 2015; Ziem 2008). Diese sug­ gerieren teilweise eine Gleichsetzung von (einzel)sprachlich­semantischem und konzeptuellem Wissen, die aus linguistischer Sicht zumindest problematisch erscheint. Auch fehlt die Einbe­ ziehung der mehrsprachigen Perspektive und damit verbundener Fragen nach kompetitiven Sprachsystemen, in denen die Aktivierung der konzeptuellen Ebene möglicherweise über die Dominanz eines Systems läuft.

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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In einer solchen Form der Strukturierung des mentalen Lexikons scheinen einzel­ sprachlich­sememische Merkmale für eine Beschreibung der verstehensrelevan­ ten Elemente von Bedeutung zunächst obsolet zu sein: Wortbedeutungen können nicht länger mittels Merkmalsmengen, die durch hinreichende und notwendige Merkmale definiert sind, dargestellt werden. Die einzelnen Bedeutungen sind als mentale Prototypen strukturiert. Es sind mentale Repräsentationen mit obligatori­ schen und fakultativen Bestandteilen, die durch Standardwerte (Defaults) mental begrenzt werden, jedoch Optionen zulassen und daher als instanziierbare Variablen fungieren. Die einzelnen Bestandteile weisen (abhängig vom Grad ihrer Typikalität) unterschiedliche Akti­ vationshöhen (Schwellenwerte für Aktivierbarkeit) auf. Typische Einheiten haben einen niedrigeren Schwellenwert als untypische Einheiten. Deshalb werden normalerweise die typischen Merkmale von Bedeutungen am schnellsten aktiviert (und in Verifikationstests am schnellsten identifiziert). Das Primat der Typikalität kann aber in entsprechenden Kon­ texten aufgehoben werden. (Schwarz 1992, 91)

Es bleibt jedoch anzumerken, dass Prototypen genau über die höchste Anzahl der als «typisch» erkannten Merkmale definiert werden, was eine sememische Beschreibung quasi durch die Hintertür wieder in die Bedeutungszuweisung ein­ schließt und sogar zu einem essentiellen Bestandteil der Prototypenidentifizie­ rung werden lässt. Ziem (2008a, 115) schlussfolgert allerdings aus Schwarzens Ausführungen, dass in ihrer Modellierung «Bedeutungen […] allein unter dem Gesichtspunkt der Prototypikalität zu untersuchen» seien. Dies scheint denn aber doch zu kurz zu greifen, da ja explizit das Vorhandensein von «untypischen Einheiten» postuliert wird sowie auch die Aufhebung des Prinzips, dass Bedeu­ tungen nur über Typikalität und Similarität aktiviert würden, für bestimmte Kontexte thematisiert wird, d. h. die Problematiken einer allein auf Prototypen beruhenden Strukturierung werden klar benannt. Ziems Vorschlag, die Ein­ träge im mentalen Lexikon in einer rein frame­strukturierten Modellierung dar­ zustellen (Ziem 2008a, 114), bietet allerdings die Möglichkeit, der Dynamik der verstehensrelevanten Elemente von Bedeutungen gerecht zu werden und auch die Problematik ihrer kulturellen Abhängigkeit adäquater abzubilden.72 Diese Forderung nach einer Verbindung von Prototyp und Wissensrahmen im Kontext einer Bedeutungstheorie scheint das Modell von Blank (1997) bereits einzulösen, da Blank klar beschreibt, dass Kategorien wie Prototypen und Wissensrahmen erst in einer solchen Verbindung für die Linguistik als Beschreibungskategorien

72 Allerdings fehlt Ziems Modell der Blick auf andere Sprachen – eine rein framebasierte Model­ lierung, in der das einzelsprachliche Wissen nicht mehr als eigene Wissensart verstanden wird (ohne eine Trennung zu postulieren!), greift ebenfalls zu kurz, da sie Probleme bei der Aktivie­ rung der konzeptuellen Wissensebene hinsichtlich verschiedener einzelsprachlicher Einträge im mentalen Lexikon nicht in den Blick nimmt.

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

nutzbar werden (Blank 1997,  89).73 Blank beschreibt diese Verbindung als die Möglichkeit, Prototypen als Strukturelemente in Wissensrahmen zu integrieren: Frame und Prototyp sind in dieser Sichtweise komplementäre, einander ergänzende Kon­ zeptionen zur Erfassung der Welt: Die nach dem Similaritätsprinzip organisierten proto­ typischen Kategorien werden in Frames erst aktualisiert; sie sind ansonsten Abstraktionen, die auf Erfahrungen der Wirklichkeit beruhen, aber nicht in konkrete Wissenskontexte ein­ gebaut sind. Die nach Kontiguitäten organisierten Frames auf der anderen Seite sind selbst prototypisch, insofern sie als typisch erfahrene Lebenssituationen erfassen und zentralere, typischere Komponenten oder Teilhandlungen enthalten und randständigere […]; ihnen fehlt jedoch eine abstrahierte, taxonomische Klassifikation aufgrund von perzeptuellen oder funktionellen Ähnlichkeiten zusammengehöriger Elemente. (Blank 1997, 88–89)

In dieser Fassung gelingt es, Prototypen und Wissensrahmen auf der außer­ sprachlichen Ebene des Wissens anzusiedeln und somit in die Bedeutungsebene des enzyklopädischen und konnotativen Wissens zu integrieren. Hier bietet sich die Beschreibung dieser Form verstehensrelevanten Wissens als Wissensrahmen bzw. Verstehensräume durchaus an, und es lassen sich ebenfalls weitere Wis­ sensformen in diese Räume integrieren (vgl. Ziem 2008a, 443). Sie bleiben aber in ihrer Art des Wissens auf einer ontologischen und epistemischen Ebene74 veror­ tet, die mit der einzelsprachlichen Ebene verbunden werden muss. Hierbei lässt sich eine hierarchische Verarbeitung durchaus plausibel annehmen, da über sie beispielsweise erklärt werden kann, warum bei Lese­ und Textverstehensprozes­

73 Einen ersten Vorschlag zu einer Verbindung von Frame­ und Prototypentheorie liefert bereits Taylor (1989). 74 Hinsichtlich der Definition kognitiver Wissensrahmen gibt es gelegentlich terminologische Konfusionen, was auf ein grundlegendes Problem in der Bestimmung der Wissensrahmen hin­ zuweisen scheint, wie sie in Entwürfen einer epistemologischen Semantik verschiedentlich vor­ genommen wurde: die Gleichsetzung des Begriffs kognitiv mit epistemisch. Dabei sollte deutlich zwischen dem Vorgang des Verstehens (Kognition) und dem Ergebnis dieses Vorgangs (Erkennt­ nis/Wissenskonstitution als epistemische Form der Erkenntnis) unterschieden werden (vgl. Pawlowski 2015, 65–67). Damit wird deutlich, dass epistemisches Wissen und damit verbundene Erkenntnis auch nicht nur mit den innerhalb der Kognition eines einzelnen Individuums ab­ laufenden Verstehensprozessen in Beziehung stehen, sondern auch mit gesellschaftlichen Pro­ zessen hinsichtlich einer Verständigung über das «Sagbare». Vgl.  zu dieser unscharfen Tren­ nung der Begriffe kognitiv und epistemisch bzw. epistemologisch Busse 2008 a, b, c. Zu einer Kritik an dieser Gleichsetzung Pawlowski 2015. Busse selbst verweist allerdings ebenfalls auf die Problematik einer solchen Gleichsetzung: «Ich verwende [...] häufig die Doppelform ‹kognitiv/ epistemisch› (oder umgekehrt), da beide Begriffe zwar etwas bezeichnen, das eng zusammen­ hängt, sie aber keineswegs synonym sind. Während in ‹kognitiv› eher der Erkenntnisakt fokus­ siert wird, betont ‹epistemisch› eher das auf vorgängige Erkenntnisakte zurückgehende Wissen als solches. Beide Begriffe repräsentieren also das, was Grice einmal als ‹act­object ambiguity› charakterisiert hat: einen (hier: geistigen) Akt und sein Ergebnis» (Busse 2012, 23).

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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sen teilweise zwar eine Repräsentation der Oberfläche erfolgt, aber keine Elabo­ ration auf der außersprachlichen konzeptuellen Ebene und demnach auch keine Konstruktion einer Repräsentation der konzeptuellen Kohärenz bzw. der Refe­ renzwelt. Diese müssen erst miteinander verknüpft werden, damit ein Verste­ hen auf allen Ebenen geleistet werden kann. Die Bedeutung dieser Verbindung wird klar, wenn man die Komplexität der Verknüpfungsprozesse zwischen der außersprachlichen und der sprachlichen Ebene betrachtet und den Grad, den sie an kognitivem Organisationsvermögen benötigen. Über diese Anforderungen in der menschlichen Sprachverarbeitung können Beobachtungen zu einer solchen Bedeutungszuweisung Aufschluss liefern, wie sie in Studien zu Spracherwerb und Sprachstörungen vorliegen (Blank 1997, 90). Um diese Abläufe zu verdeutli­ chen, werden im Folgenden die Prozesse im Hinblick auf den Bedeutungserwerb in vereinfachter Weise skizziert: Im Rahmen des Bedeutungserwerbs müssen Kinder, lapidar ausgedrückt, Bedeutungen aufbauen und auf sprachliche Formen abbilden. Dies setzt voraus, dass Kinder in der Lage sind, ihre Umgebung zu strukturieren und Kategorien aus­ zubilden. Als Meilenstein gilt in dieser Phase die Ausbildung der sog. «Symbol­ funktion» (Szagun 72019, 77). Dies bedeutet, dass Kinder einen Gegenstand nicht mehr vor Augen haben müssen, sondern mentale Repräsentationen ausbilden und somit über Wissen über diesen Gegenstand verfügen («Objektpermanenz»). Das heißt, sie können den sprachlichen Zeichen nun eine Referenzwelt zuordnen, die sie allein über ihre außersprachlichen konzeptuellen Wissensbestände gene­ rieren. Dabei fließen mit zunehmender kognitiver Reifung immer mehr Elemente des enzyklopädischen, aber auch des konnotativen, epistemisch­diskursiven Wissens mit ein. In der Konsequenz lässt sich schlussfolgern, dass das Ausbil­ den konzeptueller Repräsentationen und Kategorien eine Grundbedingung für den Aufbau sprachlich­semantischer Repräsentationen darstellt (Schwarz 1992, 64–65). Kinder gehen dabei von individuell ausgeprägten Form­Bedeutungszuwei­ sungen zu immer abstrakteren. Gleichzeitig orientieren Kinder sich aber auch an typischen Vertretern einer Kategorie, an Prototypen (Dittmann 22006, 39–40). Das heißt, die Herausforderung im Erwerb besteht letztlich darin, dass die Kinder ihre Kategorien strukturieren und – bleibt man in einem zeichentheoretisch basierten Modell des mentalen Lexikons – immer mehr Leerstellen füllen und auch immer mehr Verknüpfungen (Knoten) in ihren Wissensrahmen über mapping­Prozesse zwischen einzelsprachlichen und außersprachlichen Wissensbeständen ausbil­ den. Dabei durchlaufen die Kinder die von Blank postulierten Wissensebenen und erwerben dabei die jeweiligen Bedeutungsdimensionen: Global­konzeptuel­ les Wissen (Weltwissen, Konnotationen, Überzeugungswissen) und einzelsprach­ lich­sememisches Wissen. Das bedeutet, sie binden im Verlauf einzelsprachliches Wissen an bestimmte außersprachliche Konzepte  und bilden so ein Netzwerk

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

zugehöriger Konzeptualisierungsmöglichkeiten und Bedeutungsdimensionen aus. Während dieser Erwerbsprozesse kommt es durchaus zu Fehlzuweisungen, die Hinweise auf die Verarbeitungsprozesse und das Verstehen geben. Wie diese ablaufen können, zeigt recht eindrücklich ein Beispiel aus dem Erstspracherwerb: Ein Mädchen, L1 Deutsch, Alter 5,1 Jahre, erzählt, dass sie sich einen Hund wünsche. Dieser Hund solle Lisa heißen und sie wolle ihm verschiedene Befehle beibringen (Kontext: Der Onkel des Mädchens hatte vor kurzem einen Hund bekommen und sie ist dort oft zu Besuch, hat also wohl einen entsprechenden Wissensrahmen zu «Hund als Haustier» ausgebildet). Sie zählt die verschiedenen Befehle, die Lisa erlernen soll, auf: Lisa, bleib! Lisa, sitz! Lisa, Tonne!75 Offensicht­ lich hat sie mühelos, vermutlich in Form von chunks, die Befehle Bleib! und Sitz! in ihren Wissensrahmen zum Konzept Hund eingebunden und dort abgespei­ chert. Aufgrund ihres Alters76 dürfte auch sprachliches Wissen über Imperativfor­ men sowie kategoriales Wissen zu Wortarten (Verb vs. Nomen) vorhanden sein. Die Verwechslung von Fass! und Tonne! belegt aber, dass kein einzelsprachlicher Eintrag des Verbs fassen in der Bedeutung von «zubeißen; ergreifen» in ihrem mentalen Lexikon vorhanden ist. Wohl aber ist das Konzept des Nomens Fass abgelegt, das sie wohl im entsprechenden Wissensrahmen mit seinem Synonym Tonne verknüpft hat (Similarität). Abrufbar ist also konzeptuelles Wissen, das aber gerade noch nicht mit dem einzelsprachlich­sememischen Wissen verknüpft ist. Das Kind hat sein sprachliches Wissen zu den verschiedenen Begriffen und Konzepten noch nicht vollständig in die jeweiligen Einträge seines mentalen Lexikons inetgriert und es kommt zu Verwechslungen, die in der Produktion als „Fehler“ wahrgenommen werden. Der Umgang mit sprachlichen Äquivalenzen scheint demnach besonders herausfordernd, anfällig für Störungen und auch hierarchisch gegliedert. Die Beobachtung aus dem Erstspracherwerb stützt die Annahme, dass auch in Sprachverarbeitungsmodellen, die nicht­modular arbei­ ten, zumindest eine teilweise hierarchische Organisation der verstehensrelevan­ ten Elemente innerhalb von verschiedenen Wissensarten anzunehmen ist, die möglicherweise besondere Schwierigkeiten im Fremdsprachenerwerb bedeuten. In diese Richtung weisen auch Daten aus einem Übersetzungskorpus von Proban­ den mit einer hohen Sprachkompetenz in der Zielsprache, die bei der Übersetzung des nachfolgenden Satzes erhebliche Schwierigkeiten hatten, dem Wort billet ein deutsches Äquivalent zuzuordnen: «Les portes et les ponts illustrant les billets européens incarnent déjà la fluidité des échanges entre des commerçants sans

75 Beleg entstammt eigener Sammlung. 76 Im Alter von fünf Jahren haben Kinder i. d. R. den Grammatikerwerb in ihrer L1 weitestgehend abgeschlossen (vgl. Klann­Delius 2008; Szagun 1997).

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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ancrage et sans européens.»77 Obwohl im vorangehenden Satz der Begriff monnaie gebraucht und damit das Konzept Geld evoziert wird, übersetzt die Probandin, L1 deutsch, L2 Englisch, L3 Französisch mit Niveau C1 nach GER den Ausdruck billets européens mit «Tickets».78 Offensichtlich war dies das einzige oder zumin­ dest das dominante Übersetzungsäquivalent, das sie in ihrem mentalen Eintrag unter billet abgespeichert hatte. Trotzdem die Konzepte europäischer Markt und Währung bereits im Text gesetzt waren, die einen Wissensrahmen Geldge­ schäfte evozieren hätten können, gelingt es der Lernerin hier nicht, ihr konzep­ tuelles Wissen, das sie sicherlich hinsichtlich dieses Wissensrahmens besitzt, mit dem einzelsprachlichen Lexem in Verbindung zu bringen. Dieses Problem ergab sich an genau dieser Stelle für 9 von insgesamt 12 Probanden.79 Die Probanden konnten also zwar auf einzelsprachliches Wissen zurückgreifen, es fehlte ihnen aber die Möglichkeit, die Verbindung zu einem passenden Wissensrahmen zu aktivieren. Daraus lässt sich ableiten, dass die Aktivierung der verschiedenen Wissensformen, die im Gedächtnis zur Verfügung stehen, nicht immer automa­ tisch holistisch aktiviert werden und problemlos gleichzeitig interagieren. Lerner scheinen im gesteuerten Fremdsprachenerwerb, ähnlich wie Kinder im Erstspra­ chenerwerb, Bedeutung zunächst äußerst spezifisch (1  Lexem  → 1 Konzept) zu erwerben und Probleme zu haben, globalere Wissensrahmen im Hinblick auf den lexematischen Eintrag aufzubauen respektive bestehende Wissensrahmen auf der konzeptuellen, außersprachlichen Ebene mit dem konzeptuell einzelsprach­ lichen Wissen zu verknüpfen und weiteres konzeptuelles Wissen zu integrieren – das zitierte Beispiel aktiviert für die Probanden ja kein kulturspezifisches Wissen, da alle aus dem Kulturraum Europa stammen und daher über relativ ähnliche Wissensrahmen in Bezug auf EU und Europa verfügen dürften. Vielmehr sprechen Beispiele dieser Art für die Annahme eines Wissenskontinuums, in dem sprach­ liches und nicht­sprachliches Wissen zwar getrennt voneinander abgespeichert werden, die Verarbeitung und die mapping­Prozesse zwischen einzelsprach­ lichem und außersprachlichem konzeptuellen Wissen aber überlappend bzw. fließend sind. Die hier zugrundeliegende Störung in der Organisation des Verste­ hensprozesses liegt demnach auf der Verknüpfungsebene des außersprachlichen konzeptuellen und des einzelsprachlich­semantischen Wissens: Die polyseme

77 Der Textauszug entstammt dem Artikel Contre la langue unique von Serge Halimi, erschienen in Le monde diplomatique vom 8. Mai 2013. 78 Den Studierenden stand ein einsprachiges Wörterbuch zur Verfügung. 79 Nur drei Probanden gelang eine Übersetzung mit «Schein», «Geld» oder «Geldschein». Wei­ tere fehlerhafte Vorschläge waren z. B. «Brief» oder «Karte». Alle Probanden sind Studierende an der Universität Salzburg, verfügen über ein Sprachniveau zwischen B2+ und C1 nach GER und sind durchschnittlich 22,3 Jahre alt.

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

Bedeutung von billet wurde auf der einzelsprachlich konzeptuellen Ebene nicht abgespeichert und konnte trotz der passenden Referenzialisierung durch den Kontext nicht abgerufen werden. Die grammatikalisch­syntaktischen Informatio­ nen (Plural, attributiver Gebrauch etc.) hingegen wurden korrekt erfasst, was z. B. in der syntaktischen Auflösung des participe présent in einen Relativsatz deutlich wird, der allen Probanden glückte. Diese Annahmen werden zusätzlich durch Beobachtungen aus Aphasiestu­ dien gestützt, bei denen die Betroffenen beispielsweise Benennungsblockaden haben, wenn sie Begriffe kontextisoliert abrufen sollen, diese dann aber im Rahmen einer konzeptuellen Verortung des betreffenden Begriffs problemlos abrufen können.80 Hillert vermutet, dass es sich dabei allerdings nicht um eine Zugangs­, sondern eher um eine Organisationsstörung handeln könne, da eine vollständige Aktivierung aller Verknüpfungen in Form von mapping­Prozessen nicht mehr erfolgen könne (Hillert 1987, 71–72). In eine ähnliche Richtung ver­ weisen die in Stachiowak berichteten Probleme von Aphasikern, Gegenstände in der Benennung zu unterscheiden, obwohl sie in der Lage sind, exakt zu erklären, wozu welcher Gegenstand benutzt wird (Stachowiak 1979; 1982). Auch dies deutet möglicherweise auf eine Störung in der Organisation von Bedeutungswissen hin, da das einzelsprachliche Wissen auf der Konzeptebene nicht mehr aktiviert werden kann, das außersprachliche konzeptuelle Wissen hingegen durchaus (vgl. Blank 1997, 91; Hillert 1987, 69–72). Daraus wird ersichtlich, dass es unab­ dingbar ist, innerhalb des Verstehensprozesses sowohl eine Form des einzel­ sprachlich­sememischen wie auch des einzelsprachlich­lexikalischen Wissens anzunehmen, die getrennt vom außersprachlichen Wissen aktiviert werden können, ohne die aber eine Verknüpfung mit den weiteren Wissensarten in ihrer Erklärungskraft unvollständig bleibt. Die Notwendigkeit dieser Differenzierung von einzelsprachlichem und außersprachlichem Wissen zeigt sich auch, wenn man sich die Begriffe dt. Eis und ihre französischen Übersetzungsäquivalente81 frz. verglas und glace ansieht: Der Duden führt als Bedeutungsangaben für dt. Eis sowohl «gefrorenes Wasser (im Sinne von Glatteis) » als auch «Speiseeis» auf. Das heißt, über den einzelsprachlichen Ausdruck dt. Eis können beide Konzepte mit den jeweils zugehörigen Wissensrahmen (Winter vs. Sommer; Gefahr vs. Erfri­

80 Hillert führt hier das Beispiel eines Patienten an, der im Benennungstest beim Bild eines Soldaten, das entsprechende Lexem nicht abrufen konnte. Auf die Nachfrage, ob er denn Soldat gewesen sei, antwortet er aber, er sei sehr wohl Soldat und im Krieg gewesen, wobei er dann auch etliche Szenarien aus dem Krieg berichtete und keinerlei Probleme hat, den Begriff Soldat zu artikulieren (Hillert 1987, 69). 81 Alle Belege wurden für Deutsch mittels der online­Version des Duden überprüft, für das Fran­ zösische mittels der online­Version des Trésor de la langue française.

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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schung; Eisstadion vs. Badesee etc.) aktiviert werden. Im Französischen stehen dagegen für das Konzept Glatteis und das Konzept Speiseeis jeweils verschie­ dene einzelsprachliche Lexeme zur Verfügung: So wird der Begriff frz. verglas in einem Native Speaker nur das Konzept Glatteis mit den zugehörigen Wissens­ rahmen aktivieren können, nicht aber das Konzept Speiseeis. Ein weiteres, noch deutlicheres Beispiel liefern die französischen Entsprechungen für dt. Fleisch: viande und chair (vgl. Blank 1997, 92). Dabei ruft frz. viande das Konzept Fleisch zum Verzehr auf, während frz. chair das Konzept (Menschlicher) Körper (im Gegensatz zum menschlichen Geist) aktiviert. In einem Sprichwort wie Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach käme als Übersetzungsäquivalent dem­ entsprechend nur frz. chair in Frage. Um einen frame «Metzgerei» zu aktivieren, kann aber nur frz. viande als Aktivierungsauslöser verwendet werden.82 Die Annahme verschiedener Wissensarten, in die das verstehensrelevante Wissen differenziert werden kann, bedeutet allerdings nicht, dass in Blanks Zei­ chenmodell davon ausgegangen wird, dass «sich die konzeptuelle Information separaten Gedächtnissystemen zuordnen läßt» (Hillert 1987, 53) – sie bleibt stets aufeinander bezogen. Was Blank aber vorschlägt, ist die Möglichkeit, die ver­ schiedenen Wissenstypen (semantische Information, Weltwissen etc.) getrennt voneinander zu analysieren, um zu einer möglichst ganzheitlichen Beschreibung der verschiedenen Bedeutungsdimensionen sowie ihrer Organisation im Verste­

82 Beispiele dieser Art lassen sich zahlreich finden, vgl. hierzu auch die Beispiele in Blank (1997, 91–92). Die Verwendung von dt. Fleisch und frz. viande, in dem die Wissensrahmen «essbares Fleisch» und «menschlicher Körper im Gegensatz zu menschlicher Geist» zusammenfallen, ist der religiöse Kontext: So spricht man im Messritus durchaus von «le vin et la viande du bonheur» bzw. für dt. «Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, für das Leben der Welt“ (Joh 6, 49–51). Dies ist allerdings nicht erstaunlich, da der katholische Glaube davon ausgeht, dass im Hochgebet die Hostie tatsächlich als Realsymbol in das Fleisch Christi verwandelt werde und somit tatsächlich ein Verzehr des Leibs stattfindet. Solche mehrfachen Übersetzungsäquivalente stellen aber oft gerade im Fremdsprachener­ werb die Lerner vor erhebliche Probleme, da sie den Transfer aus ihrem bereits gespeicherten konzeptuellen Wissen auf verschiedene einzelsprachliche Formen leisten müssen und dement­ sprechend auch über spezifisches konzeptuelles Wissen in der Zielsprache verfügen müssten, das eben nicht deckungsgleich mit dem konzeptuellen System ihrer L1 ist. Auch dieses kompa­ rative Moment scheint bisweilen in Modellen zur Beschreibung verstehensrelevanten Wissens unberücksichtigt zu bleiben (vgl. Busse 2015; Ziem 2008a), so dass im Rahmen eines, für eine Einzelsprache formulierten Modells, eine Differenzierung der Wissensarten per se unnötig er­ scheint, da die Aktivierungen hier immer nur für ein Sprachsystem beschrieben werden müs­ sen. Dadurch werden sie aber für die Übertragung auf den Fremdsprachenerwerb unbrauchbar, da hier die Aktivierung von einzelsprachlichem Eintrag und passendem konzeptuellen Wissen mit zugehörigen Wissensrahmen in Bezug auf verschiedene einzelsprachliche Systeme entschei­ dend für den Verstehensprozess ist.

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

hensprozess zu gelangen. Dies erlaubt zum einen die Annahme, dass Bedeutungs­ wissen in Form von verschiedenen Repräsentationsarten des semantischen bzw. konzeptuellen Wissens organisiert ist, und zwar unter der Prämisse, dass individu­ ell­gebundene Erfahrungen sowie kulturspezifisches Wissen in die semantischen Informationen integriert werden und so zu in unterschiedlichem Grad elaborier­ ten, abstrahierten mentalen Repräsentationen führen können (vgl. Hillert 1987, 53–54). Zum anderen bietet es die Möglichkeit, eventuell auftretende Blockaden beim Verstehensprozess als Störungen in der Wissensorganisation zu definieren und hier ebenfalls getrennt voneinander in Abhängigkeit von der jeweils betrof­ fenen Wissensart und des für sie benötigten mapping­Prozesses zu analysieren. Außerdem ermöglicht die Unterscheidung der verschiedenen Bedeutungsdimen­ sionen und ihre Zuordnung zu jeweils verschiedenen Wissensformaten, die kom­ plexe Organisation von Verstehensprozessen darzustellen. In dieser Perspektive auf Sprachverstehen als Organisationsprozess, bei dem Bedeutungszuweisungen und Wissensevozierungen auf unterschiedlichen Ebenen in der Kognition geleis­ tet werden, lassen sich zeichentheoretische Überlegungen auch gewinnbringend in Modellierungen des mentalen Lexikons überführen, um die Organisation der Prozesse, die bei der Etablierung von Sinn in mehrsprachigen Sprechern ablau­ fen müssen, adäquater und differenzierter abbilden zu können.83 Dies erlaubt einerseits eine Integration des Modells in Modelle des Lexikonerwerbs im Fremd­ sprachenerwerb und rechtfertigt andererseits auch seinen Einsatz als Analyse­ grundlage für Blockaden bei der Organisation von Bedeutungszuweisung und Sinnkonstitution beim Textverstehen in der Fremdsprache. Zusammenfassend seien die verschiedenen Wissensarten im Zusammenspiel mit den unterschiedlichen Bedeutungsdimensionen definiert: 1. Einzelsprachlich­sememisches Wissen: Hier handelt es sich um die Wissens­ form, in der genau die Merkmale gespeichert werden, die es z. B. erlauben, den Prototyp von randständigen Typen sowie auch alle zu dieser Klasse ge­ hörigen Typen zu unterscheiden. Dieses Wissen beinhaltet auch alle notwen­ digen Merkmale und Elemente, um Bedeutungsdeterminationen über alle Wissensformate hinweg zu triggern und mapping­Prozesse auszulösen. 2. Einzelsprachlich­lexikalisches Wissen: In dieser Form des Wissens werden aus linguistischer Sicht die externe und die interne Wortvorstellung sowie syntagmatische Relationen gespeichert, das heißt hier werden syntaktisch­ grammatikalische, semantische und diasystematische Informationen, die als verstehensrelevante Elemente im jeweiligen sprachlichen Zeichen gebün­

83 Dennoch bleibt es eine reduktionistische Annäherung, die die tatsächlichen Gedankenpro­ zesse nicht in ihrer Gänze erfassen kann.

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

3.

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delt sind, kodiert und im Eintrag des mentalen Lexikons vermutlich als rein sprachlich enkodierte Konzepte gespeichert. Außersprachliches Wissen: Dies sind die Wissensbestände, die in Form von Wissensrahmen, Prototypen und außersprachlich konzeptuellem Wissen im mentalen Lexikon gespeichert sind und denen aus linguistischer Sicht die Dimensionen des enzyklopädisches Bedeutungswissens sowie der Konnota­ tionen (individuelle Erfahrungen) und des epistemisch­diskursiven Wissens (Überzeugungswissen) zuzuordnen ist. Dieses Wissen wird in Wissensrah­ men organisiert, die jeweils über das einzelsprachliche Zeichen aktiviert werden. Wissensrahmen gelten dabei als dynamisch und kulturell gebun­ dene Organisationseinheiten, die als Wissensrahmen auch mit der epistemi­ schen Ebene der jeweiligen Sprach­ und Wissensgesellschaft verbunden sind (vgl. Blank 1997, 2001).84

Vor dem Hintergrund eines solchermaßen ausdifferenzierten Zeichenmodells ergeben sich in der Folge aber keine scharf voneinander getrennten Ebenen, sondern es beschreibt vielmehr, wie bereits erwähnt, ein Wissenskontinuum, in dem die einzelnen Wissensarten zwar getrennt analysiert werden können, die Übergänge zueinander jedoch fließend bleiben und das grundsätzlich offen ist.85 84 In einer solchen Definition stellen sie auch das Verbindungselement zwischen der Kognition (Individuum) und dem kommunikativen Haushalt einer Gesellschaft dar. Vgl. zum Begriff des kommunikativen Haushalts z. B. Luckmann (1986). 85 Letztlich stellt sich im Rahmen eines solchen Modells auch nicht mehr die Frage nach einer modularen bzw. nicht­modularen Verarbeitung. Hier scheinen auch Missverständnisse zwischen Vertretern der Mehr­Ebenen­Modelle und den Vertretern der holistischen Modelle vorzuliegen: So postuliert Schwarz eben gerade nicht die strikte Trennung zwischen sprachlichem und nicht­sprachlichem Wissen, nimmt aber mit Blick auf den Spracherwerb (Schwarz 1992, 64 ff.) ebenfalls die Organisation des verstehensrelevanten Wissens in unterschiedliche Wissensar­ ten an. In ihrer Kritik an den Mehr­Ebenen­Modellen scheinen z. B. Busse und Ziem jedoch die Relevanz dieses Postulats für klinische Befunde und Fremdsprachenerwerb außer Acht zu las­ sen und die Ebenen stets auf die Vorstellung von getrennten Systemen zu beziehen. Hier liegt meines Erachtens ein Fehlschluss vor, der in einem integrativen Modell zur Beschreibung von Bedeutung, wie es Blank (1997) bietet, bereits überwunden wurde. Auch Hillert schreibt dem menschlichen Sprachsystem eine Zwitterstellung zu, da es über modulare und nicht­modulare Eigenschaften verfüge (Hillert 1990, 263, vgl. auch Barsalou 1999). Dabei ordnet er der konzep­ tuellen Ebene nicht­modulare Eigenschaften zu, sie bilden den interaktiven Teil – Hillert spricht in diesem Zusammenhang von pragmatischen Strukturen. Modular organisiert seien dagegen die sprachlichen Strukturen (Semantik, Syntax und Phonologie), vgl. Hillert (1990, 19–21). Als Lösungsmöglichkeit skizziert Hillert die Annahme semi­modularer Einheiten, die interaktiv sind und aus mehreren Quellen Informationen empfangen können, wobei für die Operationen der jeweiligen Einheit nur ein bestimmter Teil des Inputs wichtig sei (Hillert 1990, 69). Dies er­ laube aus neurologischer Sicht auch eine mögliche Kompensation bei läsionsbedingtem Aus­

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

Die Organisation der mapping­Prozesse ist aber hierarchisch ausgelegt. Dies macht es für eine Analyse von Verstehensprozessen, die beim Textverstehen in der Fremdsprache ablaufen, zu einem operablen und adäquaten Zeichenmodell, da die auftretenden Blockaden nicht nur einzeln, sondern auch in ihrer Bezie­ hung zueinander beschreibbar werden. Da sich die nachfolgenden empirischen Untersuchungen vor allem auf mapping­Prozesse zwischen konzeptuell einzelsprachlicher und außersprachlicher Wissensebene konzentrieren, also darauf, wie sprachliche Zeichen die relevanten Wissensrahmen als strukturierte Wissensformen evozieren, scheint es sinnvoll, diese im Folgenden genauer zu betrachten und ihre Relevanz für ein gelingendes Textverstehen herauszuarbeiten. Dabei stellt sich im Rahmen einer Textverste­ henstheorie vor allem die Frage, wie es gelingt, über die Verwendung bestimm­ ter sprachlicher Zeichen die Verknüpfungen zu eben diesem außersprachlichen Wissen zu aktivieren und somit den gesamten Verstehensraum zugänglich zu machen, in dem der Prozess der Sinnkonstitution dann ablaufen kann. Diese Herausforderung formulierte Marcel Proust in À la recherche du temps perdu sehr anschaulich:

fall einer Einheit. Im Rahmen einer ausschließlich mit Offlinemethoden arbeitenden Untersu­ chung kann eine solche Annahme keinesfalls überprüft und schon gar nicht bestätigt werden. Sie kann aber als Ausgangspunkt für Überlegungen dienen, den Verstehensprozess ebenfalls als eine Art «Zwitterwesen» zu modellieren, in dem interaktionistische und modulare Verarbei­ tungsphasen bei mapping­Prozessen zwischen sprachlicher und konzeptueller Ebene ineinan­ dergreifen, und somit statt eines theoretisch geschlossenen Modells einen integrativen «Erklä­ rungsraum» (Kochendörfer 2000, 15) anbieten. Damit entzieht sich die vorliegende Modellierung eines solchen Erklärungsraumes zwar einer theoretischen Positionierung, kann aber der Kritik von Seiten neurologischer Forschung begegnen, sie lasse sprachliche Realitäten der theoreti­ schen Stimmigkeit des Modells wegen außer Acht, wie sie z. B. bei pathologischen Befunden zum Stottern, Aphasien und Alzheimer Demenz untersucht werden. Vgl. zu einer beispielsweise relativ vernichtenden Kritik an bestehenden linguistischen Modellen zur Sprachverarbeitung (mentalistische Modelle, Levelts Blueprint etc.) Kochendörfer (2000, 11–16). Kochendörfer wirft den Modellen vor, teilweise aus ideologischen Gründen, Beobachtungen der Sprecherrealitäten auszugrenzen, und kommt daher zu dem Schluss, «daß die Linguistik durch Grenzziehungen beschränkt wird, deren Effekt eigentlich nur negativ sein kann» (Kochendörfer 2000, 15). Um diesen Effekt wenigstens abzumildern, bezieht der hier angebotene Erklärungsansatz daher so­ wohl Annahmen aus mentalistischen als auch aus gebrauchsbasierten Modellen sowie Aspekte modularer und konnektionistischer Perspektivierungen der Sprachverarbeitung und des Fremd­ sprachenerwerbs mit ein.

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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L’écrivain ne dit que par une habitude prise dans le langage insincère des préfaces et des dédicaces: ‹mon lecteur›. En réalité, chaque lecteur est, quand il lit, le propre lecteur de soi­ même. L’ouvrage de l’écrivain n’est qu’une espèce d’instrument optique qu’il offre au lecteur afin de lui permettre de discerner ce que, sans ce livre, il n’eût peut­être pas vu en soi­même. La reconnaissance en soi­même, par le lecteur, de ce que dit le livre est la preuve de la vérité de celui­ci, et vice versa, au moins dans une certaine mesure, la différence entre les deux textes pouvant être souvent imputée non à l’auteur mais au lecteur. De plus, le livre peut être trop savant, trop obscur pour le lecteur naïf et ne lui présenter ainsi qu’un verre trouble, avec lequel il ne pourra pas lire. Mais d’autres particularités (comme l’inversion) peuvent faire que le lecteur ait besoin de lire d’une certaine façon pour bien lire; l’auteur n’a pas à s’en offenser mais, au contraire, à laisser la plus grande liberté au lecteur en lui disant: ‹Regardez vous­même si vous voyez mieux avec ce verre­ci, avec celui­là, avec cet autre›. (Proust 1927, 271–272)

Der Vorgang des Textverstehens, wie ihn Proust hier beschreibt, wurde bereits mehrfach erwähnt: Der Sinn eines Textes konstituiert sich erst im Prozess der Interaktion zwischen Zeichen und Adressat. Bisher haben wir uns auf die rein mentalen, kognitiven Prozesse konzentriert, die dabei im Adressaten ablaufen. Die Frage, ob der Autor diesen Rezeptionsprozess in irgendeiner Form steuern kann und vor allem wie er das vermag, wurde in den zeichentheoretischen Aus­ führungen angedeutet: Sinnkonstruktion entsteht im regelhaften Gebrauch eines Zeichens innerhalb einer Sprachgemeinschaft. Die Interpretation dieses regelhaften Gebrauchs unterliegt sozialen und kulturellen Bedingungen. Die Frage, inwieweit sprachliche Zeichen kulturelles Wissen abbilden und wie dieses in Texten herausgefiltert werden kann, ist quasi die Urfrage der philologischen Betrachtung von Texten als Wissensträger, die es gilt, als eben diese zu inter­ pretieren und dabei der Dynamizität menschlichen Wissens sowie dem Problem einer postulierten Wahrheit gerecht zu werden. Um den Textverstehensprozess in seiner Komplexität zumindest annähernd greifbar zu machen, soll daher nun der kognitiven Perspektive eine philologisch­kulturwissenschaftliche hinzuge­ fügt werden, die mit diskursanalytischen Annahmen verknüpft wird, um von der Ebene der Konstruktion eines mentalen Modells zur Ebene einer Sinnkon­ stitution zu gelangen, die als Prozess sozial­kulturell präfiguriert ist und in der Praktiken des „geregelten“ Verstehens innerhalb des kommunikativen Haus­ halts einer Gesellschaft zum Tragen kommen. Erst durch die Hinzunahme des hermeneutischen wie auch des diskursanalytischen Blicks auf den Gegenstand «Sprache» wird deutlich, wie das konzeptuelle Wissen geformt und wie letztlich Leerstellen in den Wissensrahmen besetzt werden können. Damit lassen sich auch hermeneutische, diskursive und mentale Verstehensprozesse zumindest im Modell voneinander trennen und können so in ihrer Wechselwirkung analysiert werden.

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

2.1.4 Die philologisch-hermeneutische und kulturwissenschaftliche Perspektive: Die Konstruktion «objektiver» Interpretation und konsensuellen Verstehens durch diskursgeleitete Mechanismen Busse spricht in Bezug auf die linguistische Perspektivierung des Verstehensbe­ griffes von einem «verstehenstheoretischen Defizit» (Busse 2015, 21). Dement­ sprechend bezieht sich seine Kritik an bestehenden psycho­ und kognitionslin­ guistischen Modellen zum Textverstehen auch auf deren Konzentration auf eine reine Innensicht des Sprachverarbeitungsprozesses, das heißt auf die Frage, wie Wissen innerhalb des Individuums konzipiert werden kann. Dabei gerate der kommunikative Akt sowie die Prägung des Verstehens durch die epistemisch­ diskursive Ebene, zu der der Einzelne immer in Relation steht, aus dem Blick, wodurch unweigerlich eine Reduzierung der verstehensrelevanten Elemente erfolge (Busse 2015, 380 ff.). Die Hauptschwierigkeit sieht Busse folglich in der Modellierung von Wissen als «objektiv» und gesichert, wie sie in einem rein kogni­ tiven Zugriff angenommen würden: «Der höhere Grad an ‹Sicherheit› des Wissens auf diesen Ebenen der Textproduktion und ­rezeption bedeutet jedoch nicht, dass es sich deshalb um ‹objektive› Vorgänge, um eine Identität des Wissens bei allen Beteiligten einer Sprachgemeinschaft handelt, wie manchmal fälschlicherweise behauptet wird. Auch Wissen auf diesen Ebenen ist subjektiv gefärbt […]» (Busse 2015, 382). Diese Annahme mündet in die Vorstellung, über die Stabilisierung von Wissen könnten Faktizitäten hergestellt werden, die innerhalb einer Sprachge­ meinschaft Gültigkeit besäßen. Zudem spricht sie auch das Problem an, dass Texte in einer rein kognitiven Perspektive als „wahr“ ausgelegt werden, womit der Bereich der epistemischen Einschätzungen als Einflussgröße des Verstehens ausgeklammert wäre. Auf dieses Defizit, dass die Validierung und Kontrolle über die Propositionen in kognitiven Textverstehensmodellierungen nur noch implizit vorhanden sind und auch keine differenzierte Beschreibung der für sie notwendi­ gen Wissensbestände vorliegt, wurde bereits in Kapitel 2.1.2 hingewiesen.86 Diese Überlegung führt zurück zur Adaption von Blanks Zeichenmodell (Blank 1997) und der darin vorgenommenen Ausdifferenzierung der Wissensbe­ stände in Konnotationen, Überzeugungs­ und enzyklopädisches Wissen. Während enzyklopädisches Wissen insofern als stabil und auch allgemeingültig angenom­ men werden kann, verhält es sich mit Konnotationen und Überzeugungswissen

86 Vgl. hierzu auch die Arbeiten von Maier/Richter (2016); Richter/Maier (2017), die diesen As­ pekt aus kognitionspsychologischer Perspektive untersuchen, wobei dabei der Effekt der episte­ mischen Einschätzungen auf Lernprozesse im Fokus steht.

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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anders: Sie beruhen auf Erfahrungen und sind daher per se als subjektives Wissen zu definieren. Während jedoch Konnotationen individuelle Erfahrungen reflektie­ ren, betrifft Überzeugungswissen epistemische Einschätzungen, die vor dem Hin­ tergrund der Episteme einer Gesellschaft zu sehen sind und die auf einem durch konsensuelle Überzeugungen geregelten Verstehen beruhen. Sie stehen in Ver­ bindung mit dem, was in einer Gesellschaft als «sagbar» gilt und können daher durchaus als normiert betrachtet werden. Dieses Wissen wird im hier postulierten Erklärungsraum für Verstehensprozesse auf der epistemisch­diskursiven Ebene verortet. Diese inkludiert auch Wissen, das in eine Domäne fällt, die Assmann mit dem Begriff des kommunikativen Gedächtnisses einerseits sowie des kulturellen Gedächtnisses andererseits umschrieben hat und die zusammen das kollektive Gedächtnis ausbilden (Assmann 1988). Die Unterscheidung, die Assmann trifft, ist dabei fundamental, beschreibt sie doch den Prozess der Sinnzuweisung innerhalb der Kommunikation und deren Bindung an Gruppen. Für den Verste­ hensprozess ergibt sich daraus als Konsequenz, dass Verstehen auch über Par­ tizipation (z. B. als ein Aushandeln von Konsens) an der Episteme einer Gesell­ schaft geleistet wird, was bedeutet, dass die Mitglieder dieser Gesellschaft die Regeln des kommunikativen Haushalts kennen und wissen, was konsensuell als «sagbar» gilt. Dies kann vor allem auch bei Lese­ und Verstehensprozessen in der Fremdsprache zu Herausforderungen führen, da nicht nur ein Sprachwechsel, sondern auch ein Wechsel auf der epistemischen Ebene geleistet werden muss, damit die passenden Wissensrahmen aktiviert werden können. Die Sprecher bzw. Rezipienten müssen über Wissen über die kommunikativen Handlungsräume verfügen, damit sie die Propositionen auch vor dem Hintergrund konsensueller Normierungen des Sagbaren validieren können.87 Ein weiterer Kritikpunkt betrifft hierbei auch die eingangs erwähnte An­ nahme, Texte könnten als Abbild einer «wahren» Realität gelesen werden, die eine rein kognitive Modellierung der Verstehensvorgänge zumeist impliziert. Hier findet sich das bereits mehrfach angesprochene Problem der Vorstellung eines «idealen Sprechers/Lesers» wie auch eines «idealen Texts»: Über diese Vorstel­ lung wird der Blick auf ein «Wissen» gerichtet, das als gesichertes Faktenwissen und damit als «wahr» erfasst wird. Diese Kritik führt zurück zum eigentlichen Problem des philologischen Arbeitens: Ziel ist das Bereitstellen von Wissen und Erkenntnis über die Exegese schriftlicher Symbole,88 um Aufschluss über das 87 Vgl. zur Funktion von Diskursen, das Sagbare zu limitieren sowie zu einer Begriffsbestim­ mung des Sagbaren z. B. Hirschauer (2016, 58–59). 88 Eine Diskussion, was der Gegenstand philologischer Betrachtung sei, kann hier nicht geführt werden. Der Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind Texte in schriftlicher Form. Dass diese

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

Denken und die kulturelle Verfasstheit von Gemeinschaften zu einem bestimm­ ten Zeitpunkt zu geben bzw. darüber, wie sich Denkräume und Wissensrahmen im Laufe der Zeit verändert haben. Dies impliziert, dass sich eine philologische Textanalyse immer auch als eine Kulturanalyse verstehen muss, um Texte in ihrer Sinnhaftigkeit verstehbar zu machen: Es ergäbe sich für die Analyse also immer auch eine kulturwissenschaftlich­linguistische Ebene, die es in den Verstehens­ prozess zu integrieren gälte. In diesem Sinne kann Philologie definiert werden als eine Verstehenswissenschaft, in der sich linguistische und kulturwissenschaftli­ che Fragestellungen verbinden. Der hier angedeutete, notwendige Konnex der Linguistik mit Philologie und Kulturwissenschaft ist nicht neu:89 «Es gibt keinen zweig der cultur, bei dem sich die bedingungen der entwicklung mit solcher exactheit erkennen lassen als bei der sprache, und daher keine culturwissenschaft, deren methoden zu solchem grade der vollkommenheit gebracht werden kann wie die der sprachwissen­ schaft» (Paul 1886, 5). Paul begibt sich hier in die Tradition einer Konzeption der Linguistik als Anthropologie, wie sie Humboldt vorgeschlagen hatte, und bestimmt den Gegen­ stand sprachwissenschaftlicher Forschung als einen psychisch, historisch und sozial verfassten (vgl.  Paul 1886, 5–7). Paul bindet dabei die menschliche Kog­ nition unauflöslich an gesellschaftliche und kulturelle Bedingungen und nimmt dabei gedanklich die Idee des Konstruktivismus, dass sich Realität erst in der konkreten Kommunikationssituation konstituiere, quasi vorweg: Der vor stellu ngsin h alt selb st ist also u n ü b e r t r agb a r. Al l e s, wa s w i r von dem eines an d ern in d iv iduu m s zu w issen gl au b e n , b e r u h t n u r au f s ch lü s­ sen aus unse re m e ige n e n . Wir setzen dabei voraus, dass die fremde seele in dem selben verhältniss zur aussenwelt steht wie die unsrige, dass die nämlichen physischen eindrücke in ihr die gleichen vorstellungen erzeugen wie in der unsrigen, und dass diese vorstellun­ gen sich in der gleichen weise verbinden. Ein gewisser grad von übereinstimmung in der geistigen und körperlichen organisation, in der umgebenden natur und den erlebnissen ist demnach die vorbedingung für die möglichkeit einer verständigung zwischen verschiede­ nen individuen. Je grösser die übereinstimmung, desto leichter die verständigung. Umge­ kehrt bedingt jede verschiedenheit in dieser beziehung nicht nur die möglichkeit, sondern die notwendigkeit des nichtverstehens, des unvollkommenen verständnisses oder des miss­ verständnisses. (Paul 1886, 14; Sperrung wie im Original)

Gegenstandsbestimmung eine Reduktion des Forschungsobjekts bedeutet, wird dabei in Kauf genommen. 89 Vgl. grundlegend dazu Gardt (2001). Vgl. zur Thematisierung einer sog. «Rephilologisierung» z. B. Erhart (2004); Warnke (2002).

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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Damit rekurriert Paul in modern anmutender Weise auf das Dilemma, das lin­ guistischen Verstehenstheorien immanent ist: Wie formt sich die Kognition? Was beeinflusst unser Denken? Inwiefern hängen Sprache, Denken und Kultur zusammen? Paul gibt auf diese Fragen eine Antwort, die immer noch Gültigkeit besitzt: Für ein gegenseitiges Verstehen ist eine zumindest teilweise Übereinstim­ mung der Wissensformen vonnöten, wie sie im Rahmen der zeichentheoretischen Modellierung unterschieden wurden (konnotatives Wissen ausgenommen). Zudem weist er darauf hin, dass eine rein psychische Betrachtung von Sprache nicht aus­ reichend für eine Theorie des Sprachverstehens sein kann. Hierbei gibt er auch einen entscheidenden Hinweis, wie das außersprachliche Wissen geprägt wird: Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen und die Vorstellung, die er von der Welt entwickelt, ist durch die Gemeinschaft beeinflusst, in der er sich bewegt (Paul 1886, 13). Damit ist, wie bereits ausgeführt wurde, Verstehen immer durch geltende gesellschaftliche Normen und kulturelle Traditionen präfiguriert. Dies scheint zunächst eine banale Feststellung zu sein. Aber sie führt direkt zu der Frage, wie Verstehen gelingt und fordert im Grunde genau das ein, was unter dem Schlagwort des linguistic turn90 diskutiert wurde und wird. Günthner/ Linke verweisen darauf, dass die Thesen des linguistic turns eng mit der Vorstellung des Konstruktivismus verbunden seien, Sprache habe wirklichkeitskonstituierende Macht (Günthner/ Linke 2006, 4). Vor diesem Hintergrund lassen sich sprachliche Äußerungen als Werkzeuge interpretieren, die auf die Konfiguration solchermaßen konstruierter Wirklichkeiten einwirken können. Damit verbunden ist aber auch die Absage an die Möglichkeit, Realität an sich zu erkennen, da die Wirklichkeit(en) immer ein Konstrukt des Gehirns darstellt (vgl. Roth 1996, 315–317). In einer radikal konstruk­ tivistischen bzw. solipsistischen Auffassung wäre demnach Verstehen unmöglich, da sich jeder in seiner von ihm geschaffenen Wirklichkeit befände – tatsächlich definiert Roth das Missverstehen91 als unmarkierten Fall (Roth 1996, 336). Jedoch, so Roth, ist ein Verstehen in der menschlichen Kommunikation durchaus möglich, wenn «für einen bestimmten kommunikativen Kontext ein spezifischer konsensu­ eller Bereich im Sinne von Maturana (1982)92 existiert, also ein Bereich, in dem 90 Siehe zu einer Begriffsbestimmung und zur Aktualität dieser Diskussion Günthner/Linke 2006, 2–4. 91 Dies findet sich allerdings bereits bei Schleiermacher, der davon ausgeht, dass sich «das Mißverstehen von selbst ergibt», wohingegen «das Verstehen auf jedem Punkt […] gewollt und gesucht werden» muss (Schleiermacher 1977, 92). 92 Maturana versteht unter «konsensuellem Bereich» einen Überlappungsbereich im Verhal­ ten von Individuen, in dem sie gemeinsam und in wechselseitiger Abstimmung agieren können. Maturana unterscheidet dabei konsensuelle Bereiche unterschiedlicher Ordnung, konsensuelle Bereiche zweiter Ordnung können z. B. nicht mehr von semantischen Bereichen unterschieden werden. Sie sind auch produktiv, das heißt, sie erzeugen in den Interaktionen Strukturverände­

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

Signalen durch individuelle Gehirne dieselbe Bedeutung zugeordnet wird» (Roth 1996, 335). Ebenfalls impliziert eine konstruktivistische Perspektive die Unmöglichkeit von Objektivität, die auch ein mögliches Textverstehen betrifft, da «Vorgänge sprachlicher Bedeutungsbildung […] grundsätzlich durch den Begriff der Objektivität, des objektiven Erkennens nicht angemessen beschreibbar [sind]» (Gardt 2007, 266; Kursivierungen wie im Original). Eine konstruktivistische Texttheorie geht also von der Unmöglichkeit aus, einen Text als einen geschlossenen Verstehensraum zu sehen, dem nur eine Mög­ lichkeit der Interpretation zugrunde liegt (vgl. Gardt 2007, 265/266). Dies ist, wie Gardt zurecht bemerkt, ebenfalls kein neuer Gedanke. Er findet sich als Problem, die Autorintention zu erkennen, bereits in der Hermeneutik, der klar formuliert, dass es im Auslegungsprozess darum gehen müsse, «[…], ,die Rede zuerst eben­ sogut und dann besser zu verstehen, als ihr Urheber‘. Denn weil wir keine unmit­ telbare Kenntnis dessen haben, was in ihm ist, so müssen wir vieles zum Bewußt­ sein zu bringen suchen, was ihm unbewußt bleiben kann, […]» (Schleiermacher 1977, 94). Was bei Schleiermacher noch als Theorem des «Besserverstehens»93 for­ muliert wird, entwickelt sich bei Gadamer (1965) in der Folge zur Forderung der «Horizontverschmelzung», bei der Verstehen als ein «Einrücken in ein Überlie­ ferungsgeschehen aufgefasst wird, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart beständig vermitteln» (Gadamer 1965, 274) und es somit nur im Dialog zwischen Text und Leser zu einem Verstehensprozess kommen kann – aber eben nur unter der Voraussetzung, dass es eine Übereinstimmung der «Horizonte» gibt. Damit verschiebt sich das Objektivitäts­ und Interpretationsdilemma in das Feld der her­ meneutischen Auslegung und scheint sich daher einem linguistischen Zugriff zu entziehen. Insofern könnte der eingangs zitierten Kritik Busses entgegengehalten werden, dass die Frage nach der Konstitution eines Sinnhorizontes in das Auf­ gabenfeld von Philosophie und Kulturwissenschaft fiele (vgl. Gardt 2007). Dies beinhaltete aber eine Reduktion des Forschungsgegenstandes, wie er zwar gele­

rungen (vgl. Maturana 1982, 258–261). In konsensuellen Bereichen erster Ordnung kann die Inter­ aktion dagegen nicht zu einer solchen Veränderung führen, da keine semantischen Abbildungen produziert werden. Sprache wird somit erst in konsensuellen Bereichen zweiter Ordnung erzeugt (Maturana 1982, 259). Sprachliche Interaktion wird bei Maturana definiert als «streng struktur­ determinierte ineinandergreifende Ketten von Verhalten» (Maturana 1982, 261). Vgl. zur Sprach­ theorie Maturanas Gumbrecht (1988, 724–725). 93 Die Tradition und Herausbildung des Theorems des «Besserverstehens» in der Hermeneutik kann hier nicht zur Gänze nachgezeichnet werden, vgl. einschlägig dazu z. B. Danneberg (2003) sowie zur Begründung der Hermeneutik Gadamers di Cesare (2009).

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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gentlich gefordert wird,94 die aber das Forschungsprogramm der Sprachwissen­ schaften dahingehend verkürzen würde, dass Fragen nach der Möglichkeit eines gegenseitigen Verstehens über den Austausch sprachlicher Zeichen letztendlich

94 Vgl.  hierzu den wohl bewusst provokant gehaltenen Artikel von Meisel und Schwarze, in dem die beiden Autoren eine kognitive Wende und damit implizit eine Lösung von kulturwis­ senschaftlich und philologisch begründeten Fragestellungen fordern. Es sei nicht mehr zeitge­ mäß, so die Autoren, das Verhältnis zur Literaturwissenschaft zu diskutieren, vielmehr sei eine Orientierung an der Allgemeinen Sprachwissenschaft vonnöten (vgl. Meisel/Schwarze 2002). Die Antwort Kramers weist dies nachdrücklich zurück, verengt aber das Verhältnis erneut stärker auf rein philologische Fragen (vgl. Kramer 2004). Dabei stellt sich die Frage, ob sich die roma­ nische Sprachwissenschaft überhaupt zwischen beiden Paradigmen (philologische vs. linguis­ tische Orientierung) entscheiden muss: Historisch gesehen waren und sind beide Forschungs­ richtungen immer schon in ihr vertreten. Dies liegt in ihrer Entstehungsgeschichte begründet. Nachdem sich die Romanische Philologie parallel zu den Neuphilologien und zur Historisch­Ver­ gleichenden Sprachwissenschaft entwickelt hat, sind ihr Verbindungen zu beiden Forschungs­ programmen von Beginn ihrer Entstehung an immanent – stärker sprachsystematische Frage­ stellungen über die Orientierung an der Historisch­Vergleichenden Sprachwissenschaft und stärker kulturwissenschaftliche an der Verbindung zur philologischen Textwissenschaft. Neuere Ansätze sehen dies im Gegensatz zu Meisel und Schwarze auch nicht mehr als Spaltung bzw. Zersplitterung (vgl. Meisel/Schwarze 2002, 426), sondern als eine Möglichkeit sich dem Objekt Sprache möglichst ganzheitlich zu nähern, was beide Blickrichtungen legitimiert. So finden sich beispielsweise verstärkt Annäherungen zwischen einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Linguistik und neuro­ bzw. psycholinguistischen Paradigmen, wobei wohlgemerkt das jeweili­ ge Interesse am gemeinsamen Untersuchungsobjekt weiterhin divergiert. Die Verzahnung von Kultur, Sprache und Kognition wird aber betont: «Rather than treating Culture or Language as monolithic and independent entities, modern researchers typically break them down into their component mechanisms and analyze these independently. While there is obviously some inter­ section between these two sets of mechanisms (especially in pragmatic communication, which requires Theory of Mind and shared intentionality) they are also somewhat disjunct […]. Thus, while the biological basis for culture overlaps with that of language, it is not identical. But if they overlap at all, attempts to allocate any synchronic linguistic feature to either general ‹culture› or linguistic ‹biology› are doomed to failure: everything will have components of both» (Fitch 2011, 357). Vgl. zum Verhältnis von Psycholinguistik zu Kulturwissenschaft und der Notwendig­ keit des Blicks «über den Tellerrand» ebenfalls Knobloch (2016). Vgl. zur historischen Begrün­ dung der beiden Paradigmen innerhalb der Philologie z. B. Gardt (2003; 2013), speziell für die Romanische Philologie Kalkhoff (2010). Vgl. zu einer exemplarischen Anwendung im Rahmen der romanistischen Sprachwissenschaft z. B. Schrott (2014). Diese Wende hin zu einer stärker integrativen Perspektive von linguistisch­kulturwissenschaftlichen und linguistisch­kognitiven Fragestellungen lässt sich möglicherweise auch damit begründen, dass Sprache und Sprechen verstärkt als eine spezifische Ausprägung von menschlichem Verhalten in den Blick rückt und der Verstehensprozess somit nicht mehr nur als individueller mentaler Verarbeitungsprozess im Gehirn einer Einzelperson konzipiert wird, sondern auch als ein Aushandeln von Konsens zwi­ schen Einzelpersonen perzipiert wird, der wiederum auf sozialen, historischen und kulturellen Faktoren beruht (vgl. dazu bereits Maturana 1982; vgl. auch Gardt 2007).

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

obsolet würden, womit eine Grundfunktion von Sprache ausgeklammert würde. Dieses Dilemma versucht das Paradigma der kulturwissenschaftlichen Linguis­ tik aufzulösen, indem sie verstärkt Aspekte in ihre Analysen integriert, die als Konzepte zunächst in der kulturwissenschaftlichen Methodologie Eingang in die Untersuchung von sprachlichen Äußerungen gefunden haben: Dies ist zum einen der Begriff der Kultur selbst, zum anderen die Konzeptionierung diskursi­ ven Wissens in Anlehnung an Foucault (Foucault 1966; 1969). Beide Begriffe sind notwendig, wenn im Rückgriff auf die Frage, wie Verste­ hen gelingen kann, Wirklichkeit jeweils nur in Form von Realitäten konstruiert und Kommunikation somit als ein Aushandeln von gemeinsamem Konsens ver­ standen wird, der als ein konsensueller Bereich im Sinne Maturanas (Maturana 1982) modelliert werden soll. Sowohl der Kultur­ als auch der Diskursbegriff wurden in der Linguistik bereits rezipiert. Die wesentlichen Eigenschaften dieser Begriffe und ihre jeweilige Leistung im Rahmen einer linguistischen Interpreta­ tion werden daher im Folgenden nur knapp umrissen. Hermanns (1999, 356) kennzeichnet den Begriff Kultur als einen sogenannten «Totalitätsbegriff» bzw. eine «Totalitätsbezeichnung». Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass Kultur als Begriff eine Vielzahl von Elementen umschließt, die zusammen eine «Gesamtheit von Entitäten» (Hermanns 1999, 356) bilden. Damit lässt sich Sprache als ein Teil dieses Ganzen definieren, was die Betrachtung von Sprache in Abhängigkeit der anderen Entitäten wiederum legitimiert (Gardt 2003, 2). Eng verbunden mit dieser Konzeption von Kultur als Komplex aus identitätsstiftenden Einheiten ist die Definition der Kultur als «Vergesellschaftetheit des Menschen» (Günthner/Linke 2006, 7), die auf Edward Burnett Tylor (1871) zurückgeht. Auch wenn Tylor die Sprache als integralen Bestandteil seiner Kulturbestimmung95 nicht nennt, so scheint doch sein Hinweis darauf, dass der Mensch als «member of the society» kulturelles Wissen erwor­ ben habe, essentiell zu sein – Wissen ist demnach in vielerlei Hinsicht kulturell geprägt und erlernt (vgl. Günthner/Linke 2006, 7). Das Medium, das ein solches Lernen ermöglicht, ist die Sprache; sie kann in dieser Sichtweise also durchaus in einer Vermittlerfunktion gesehen werden, die den Menschen und seine Wahrneh­ mung von der Welt formt. Gleichzeitig prägt aber auch der Mensch seinerseits die sprachliche Verfasstheit seiner Umgebung. Dieser Gedanke findet sich in kultur­ theoretischen Ansätzen wie sie beispielsweise in Ernst Cassirers Philosophie der

95 «Culture or civilization taken in its wide ethnographic sense, is that complex whole which includes knowledge, belief, art, morals, law, custom, and any other capabilities and habits ac­ quired by man as a member of society» (Tylor 1871, 1).

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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symbolischen Formen (1994) oder Clifford Geertz Theorie der Bedeutungsnetze96 vorliegen. Beide Theorien97 gehen davon aus, dass sich der Mensch in einem Netz aus Symbolen bewegt, deren Bedeutungen innerhalb einer Gemeinschaft einer­ seits tradiert werden, sich andererseits aber auch ständig verändern. In Cassi­ rers Theorie wird dabei die konstruktivistische Grundidee, dass der Mensch seine Wahrnehmung der Realität letztlich nur über eine semiotische Deutung leisten könne, in absoluter Konsequenz geschildert. Je weiter die menschliche Entwick­ lung fortschreitet, desto stärker ist er innerhalb des symbolischen Netzes verfan­ gen und auf eine unaufhörliche Semiose angewiesen: Er lebt nicht mehr in einem bloß physikalischen, sondern in einem symbolischen Univer­ sum, Sprache, Mythos, Kunst und Religion sind Bestandteile dieses Universums. Sie sind die vielgestaltigen Fäden, aus denen das Symbolnetz, das Gespinst menschlicher Erfahrung gewebt ist. Aller Fortschritt im Denken und in der Erfahrung verfeinert und festigt dieses Netz. Der Mensch kann der Wirklichkeit nicht mehr unmittelbar gegenübertreten; er kann sie nicht mehr als direktes Gegenüber betrachten. Die physische Realität scheint in dem Maße zurückzutreten, wie die Symboltätigkeit des Menschen an Raum gewinnt. Statt mit den Dingen hat es der Mensch nun gleichsam ständig mit sich selbst zu tun. So sehr hat er sich mit sprachlichen Formen, künstlerischen Bildern, mythischen Symbolen oder religiö­ sen Riten umgeben, daß er nichts sehen oder erkennen kann, ohne daß sich dieses artifizi­ elle Medium zwischen ihn und die Wirklichkeit schöbe. (Cassirer [1944] 1996, 50)

In diesem Ausschnitt wird aber auch deutlich, dass der Mensch diesem Prozess nicht einfach unterworfen ist, sondern dass er ihn gleichermaßen auch gestaltet. Vor diesem Hintergrund ergibt sich Sinnkonstitution dadurch, dass wir erken­ nen können, wie diese Prozesse der Bedeutungs­ und Sinnzuschreibungen in der Welt, die uns umgibt, funktionieren. Um diese Vorgänge modellieren zu können, bietet sich der Begriff des Diskurses an. Der Diskursbegriff sowie das methodische Inventar der linguistischen Dis­ kursanalyse können im Forschungsparadigma der Sprachwissenschaft als eta­ bliert betrachtet werden.98 Analysen, die sich in der Nähe einer konstruktivis­ tischen Perspektive auf den Untersuchungsgegenstand befinden, rekurrieren

96 Vgl.  zur Theorie der dichten Beschreibung, in der Geertz die Metapher der Kultur als Text prägte Geertz (1991). 97 Theorien dieser Art haben in der Philologie eine lange Tradition, vgl. hierzu Gardt (2003). Vgl. einschlägig zur Sprachtheorie Cassirers Dessì Schmidt (2005). Zur Rezeption Cassirers durch Geertz vgl. Günthner/Linke (2006, 12). 98 Vgl.  grundlegend hierzu z. B. die Arbeiten von Dietrich Busse (2005; 2015), Andreas Gardt (2007; 2013; 2017), Siegfried Jäger, Siegfried und Margarete Jäger (1993; 2007), Wolfgang Teubert (2010; 2013), Ingo Warnke (2004; 2007) oder Martin Wengeler (2012; 2013). Ebenfalls grundle­ gend die Arbeiten Reinhart Kosellecks (1979) zur Begriffsgeschichte, die vor allem über die His­ torische Semantik Eingang in die linguistische Forschung gefunden haben.

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dabei meist auf einen Diskursbegriff in Anlehnung an Foucault (Foucault 1966). Im Rahmen dieser Diskursbestimmung wird davon ausgegangen, dass Dis­ kurse als Bindeglied zwischen Sprache und Denken (der Gesellschaft) fungie­ ren können, wobei sich bestimmte diskursive Muster analysieren lassen, mittels derer Bewegungen in der epistemischen Schicht einer sozialen Gemeinschaft sichtbar werden. Diskurse werden in dieser wissenssoziologischen Bestimmung des Begriffs definiert als regelgeleitete Praktiken, die die Architektur von Wissen konstituieren, indem sie etablierte Diskursformationen entweder bejahen oder dekonstruieren. Damit bilden sie eine Möglichkeit ab, Veränderungsprozesse, Zäsuren oder Brüche, aber auch Tradierungen von Erfahrungen, Strukturen oder Abläufen im Wissensvorrat einer Gesellschaft zu modellieren.99 Diese Vorstellung ist eng verbunden mit der Überzeugung, dass die Konstruktion von Realitäten immer zu einem großen Teil durch Sprache und Sprachverwendung reflektiert wird. Erkennen ist damit immer ein sprachgebundenes Erkennen im Sinne einer Bedeutungszuweisung und Sinnkonstruktion über den Austausch sprachlicher Zeichen (vgl. Gardt 2017, 5).100 Damit kann dem Verstehensprozess im einzelnen Individuum, wie er aus der Perspektive der Neuro­ und Kognitionslinguistik dar­ gestellt wurde, ein zentrales Element hinzugefügt werden: die Modellierung, wie Bedeutungszuweisungen im Sprachhandeln über soziokulturelle Normierungen geformt und in der jeweiligen Episteme der Gesellschaft verankert werden, die dann die Bezugsfolie für den Deutungsprozess wird. Hieran knüpft allerdings die Frage an, wie Diskurse in der Kommunikation greifbar gemacht werden können. Mit Gardt lassen sich Diskurse folgendermaßen definieren: – Ein Diskurs ist die Auseinandersetzung mit einem Thema, – die sich in Äußerungen und Texten der unterschiedlichsten Art nieder­ schlägt, – von mehr oder weniger großen gesellschaftlichen Gruppen getragen wird,

99 Es sei in diesem Kontext explizit darauf hingewiesen, dass mit dem Begriff Diskurs hier nicht der Coseriusche Diskursbegriff gemeint ist, sondern ein wissenssoziologischer Diskursbegriff, wie er sich in der Weiterentwicklung des Foucaultschen Diskurskonzeptes vor allem durch die germanistische, aber auch die soziologische Diskursanalyse etabliert hat. Diskurse meinen hier (sprachliche) Praktiken, die an der Konstruktion von gültigen Wissensmustern in einer Gesell­ schaft beteiligt sind. Vgl. zur wissenssoziologischen Definition des Diskursbegriffes z. B. Bublitz (2006). Vgl. aber zur Anwendung des Coseriuschen Diskursbegriffes als Analyseinstrument für sprachliche Muster, die gesellschaftliche Traditionen und somit sozial­kulturelles Wissen abbil­ den können, Schrott (2014). 100 Vgl. hierzu die aktuellen Debatten zum Begriff des framings durch die Medien bzw. Politik. Vgl. dazu z. B. die Arbeiten Wehlings, in denen neurolinguistische Methoden mit diskursanalyti­ schen und frametheoretischen Ansätzen verknüpft werden (Lakoff/Wehling 2008; 2012, Wehling 2016).

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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das Wissen und die Einstellungen dieser Gruppen zu dem betreffenden Thema sowohl spiegelt als auch aktiv prägt und dadurch handlungsleitend für die zukünftige Gestal­ tung der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Bezug auf dieses Thema wirkt (Gardt 2017, 3).101

In Wissenskonstitutionen wirksame Diskurse zeichnen sich demnach dadurch aus, dass sie thematisch gebunden, miteinander vernetzbar und dialogisch sind. Dadurch können sie gesellschaftliche Veränderungen evozieren (Funktion als Stimuli) sowie gleichzeitig als Ausdrucksmittel des Denkens einer Gesellschaft fungieren, d. h. sie spiegeln für soziale Gruppen den im Hinblick auf bestimmte Themen ausgehandelten Konsens respektive dessen Negation (vgl. Gardt 2007, 29). Diese Spiegelung funktioniert innerhalb von Gruppen über die Bereitstellung von zumindest ähnlich strukturierten Wissensrahmen, die für die vorliegende Arbeit bereits im Rückgriff auf die Analysen Busses als Strukturgefüge definiert wurden, […] in dem einzelne für das Verstehen eines Wortes oder in einem Satz ausgedrückten Prä­ dikation notwendige Wissensaktivierungen zu einer sich nach Inhaltsaspekten ergeben­ den mehr oder wenigen stabilen Ganzheit zusammenkommen. […] Wissensrahmen sind im Gebrauch und Verstehen sprachlicher Zeichen an so elementarer Stelle und Funktion wirksam, daß sprachliche Verständigung und damit die Ausdrückbarkeit von Wissen ohne sie nicht denkbar ist. (Busse 2005, 46–47)

Lassen sich Diskurse als Möglichkeit definieren, gesellschaftliches Wissen in seiner Schichtung aus Kontinuitäten, Zäsuren und Brüchen zu gliedern, wodurch ein Zugriff auf die «Wissensordnungen der Gesellschaft» (Gardt 2017, 5) ermög­ licht wird,102 so bilden Wissensrahmen deren kognitive Struktur ab. Über das sprachliche Zeichen werden die Füllelemente der Wissensrahmen aktiviert und die Bedeutungszuweisung erfolgt. Dabei sind die Diskurse in der Episteme einer Gesellschaft verankert und damit in hohem Maße kulturell und historisch geprägt. Vor diesem Hintergrund lässt sich der Verstehensprozess demnach als ein Organisationsprozess der sprachlichen Verarbeitung konzipieren, in dem es einerseits darauf ankommt, dass die verstehensrelevanten Elemente sprachlicher Äußerungen über die Bereitstellung von Bedeutungszuweisungen miteinander 101 Vgl. zu dieser Definition auch Gardt (2007). 102 Diskursanalytische Arbeiten sind i. d. R. korpusbasiert, das heißt, um bestimmte Diskursfor­ mationen herauszufiltern, die zu einer bestimmten Zeit für eine bestimmte Gesellschaft Gültig­ keit besessen haben, werden sprachliche Äußerungen, meistens in Form von Texten, die sich um ein bestimmtes Thema gruppieren, analysiert, um sprachliche Muster wie z. B. die Verwendung von Metaphern, Kollektivsymbolen oder Legitimationsformeln ausfindig zu machen, die für den Wissensvorrat dieser Gesellschaft konstitutiv waren.

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

verbunden werden und innerhalb der postulierten Bedeutungsebenen interagie­ ren (Ebene Kognition). Andererseits muss im Rahmen dieses Prozesses auch eine Aktivierung der Wissensformate erfolgen, die hier als sozial und kulturell präfigu­ riert definiert wurden und über die eine Form des gesellschaftlich konsensuellen Verstehens zumindest teilweise erreicht wird. Über sie können Validierungs­ und Evaluationsprozesse als Kontrolle geschaltet und die Verortung der Äußerungen im kommunikativen Haushalt gewährleistet werden. Erst dann, wenn es gelingt, den Organisationsprozess auf diesen Ebenen zusammenzuführen, kann von einer ganzheitlichen Bedeutungszuweisung gesprochen werden, die dann die Grund­ lage für die Bereitstellung von Sinn bildet. Die Bedeutung der Teilhabe an eben diesen epistemisch­diskursiven Strukturen, wie sie hier als konstitutiv für Dis­ kursformationen innerhalb des kommunikativen Haushalts einer Sprachgemein­ schaft bzw. Wissens­ und Sprachgesellschaft angenommen werden, wurde für Lernprozesse bereits verschiedentlich diskutiert. Im Rückgriff auf Vygotsky und Piaget wird davon ausgegangen, dass mit der kognitiven Reifung ein Wissens­ zuwachs durch Lernprozesse einhergeht. Der Lerner muss somit fortwährend die Dekonstruktion wie auch die (Re)Konstruktion von Bedeutung leisten, um neue Wissensstrukturen in bestehende einzugliedern (vgl. Sfard 1998, 5). Die Modellierung des Verstehensprozesses auf der kognitiven und der dis­ kursiven Ebene innerhalb eines Organisationsprozesses103 soll dieser Vorstellung

103 Diese diskursive Ebene fehlt in den meisten kognitionspsychologischen Arbeiten zum Text­ verstehen. So weist zwar Richter auf die essentielle Rolle «epistemologischer Einschätzungen» im Rahmen des Verstehens (Richter 2003, 12) hin, äußert sich aber nicht zu deren kultureller Verfasstheit und subsummiert sie in der Konsequenz als besondere Form von Wissen unter Vor­ wissen, nämlich als Überzeugungswissen. Über eine zeichentheoretische Fundierung hätte sich hier ein differenzierteres Bild des Verstehensvorgangs ergeben sowie die Möglichkeit, die kultu­ relle Abhängigkeit von Verstehen als Problemfeld bei Blockaden bzw. Störungen in der mentalen Organisation schärfer zu skizzieren (vgl. Richter 2003). Auf der anderen Seite übergehen viele textlinguistische Arbeiten diesen Problembereich, indem die Analyse der epistemologischen Ebene und damit Fragen, wie Wissen und Bewusstsein geformt sind, beiseitegelassen werden. Wissen wird in diesem Sinne dann zwar als kulturell gebunden, nicht aber als eine soziale Kate­ gorie gefasst. Vgl. hierzu beispielsweise die umfassende Arbeit Schluers, die zwar detailliert und kenntnisreich die Ebenen des Wortschatzwissens und daraus resultierende Probleme des Lese­ verstehens für Lerner des Englischen (lexical and conceptual awareness) herausarbeitet, aber daraus dann keine Verbindung zu kognitionspsychologischen und zeichentheoretischen Ansät­ zen ableitet (Schluer 2017). Damit verbleiben auch ihre Beobachtungen und Rückschlüsse ohne Bezug zur epistemischen Ebene, der Verstehensvorgang wird also nur teilweise modelliert. Prob­ lematisch scheint hier auch Schluers Interpretation des Blankschen Modell als ein Drei­Ebenen­ Modell – hier scheint eine Gleichsetzung mit dem Modell der Mehrebenensemantik von Schwarz (Schwarz 1992; 2001) und der Postulierung unterschiedlicher Wissensformate bei Blank (Blank 1997; 2001) stattgefunden zu haben, was letztlich nicht ganz korrekt ist (vgl. Schluer 2017, 137).

2.1 Brain, Mind und Language – die Modellierung von Sprachverstehen 

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des Lernens, besonders im Hinblick auf den Fremdsprachenerwerb, insofern Rechnung tragen, als Lernen sowohl unter der Metapher des Erwerbs als auch unter der Metapher der Partizipation verstanden wird (vgl. Sfard 1998). Erst über die Verbindung dieser beiden Aspekte, denen hier die Integration der hermeneu­ tisch­diskursiven Ebene in die kognitive Modellierung des Verstehens entspricht, wird der Lernprozess auch zu einem ganzheitlichen Verstehensprozess, indem es dann in der Konsequenz dieser doppelten Metaphorik104 zu einer Sinnbildung kommen kann, wie er für das Textverstehen von Bedeutung ist. Diese integrative Sicht erlaubt es, Verstehensblockaden bzw. Störungen von Organisationspro­ zessen innerhalb des Wissenskontinuums zwischen (einzel)sprachlichem und außersprachlichem Wissen zu lokalisieren und somit auch sensible Bereiche des Textverstehens in der Fremdsprache in differenzierter Weise sichtbar zu machen. Bevor aber explizit auf die Verstehensproblematik im Rahmen des fremdsprach­ lichen Textverstehens eingegangen wird, soll zunächst der Text als eine Form der sprachlichen Äußerung sowie als Informationsträger definiert werden. Auch wird im Folgenden die Bereitstellung eines integrativen Erklärungsraumes zum Textverstehen vorgeschlagen, von dem ausgehend dann mögliche Problemfelder des Textverstehens in der Fremdsprache analysiert werden.

So bietet Blank einen integrativen Ansatz, dieser ist aber nicht mit einem modularistischen Mo­ dell gleichzusetzen. Auch Schwarz geht im Übrigen nicht von einer völligen Unverbundenheit aus, sondern postuliert explizit, dass es zwischen den Ebenen zu Interaktionen kommen müsse, setzt also eine Art Kontinuum für Verstehensprozesse an, ohne jedoch semantische und kon­ zeptuelle Ebene gleichzusetzen (vgl. Schwarz 1994, 12). Vgl. zur Thematisierung des Problems der Sinnkonstituierung in Texten z. B. Schwarz­Friesel 2006. Einen ersten Lösungsansatz bietet Hermanns Fassung einer Linguistischen Hermeneutik (Hermanns 2009; 2012), in der aber eben­ falls kognitionspsychologische Ansätze nur rudimentär verankert werden. 104 Vgl. zu den unterschiedlichen Metaphern für Lernprozesse und ihrer inhaltlichen Entspre­ chung Sfard (1998, 7). Sfard verweist auch auf die Notwendigkeit, die Partizipations­ der Er­ werbsmetapher an die Seite zu stellen, denn: «While AM [Acquisition Metaphor; J.W.] emphasizes the inward movement of the object known as knowledge, PM [Participation Metaphor; J.W.] gives prominence to the aspect of mutuality characteristic of the part­whole relation» (Sfard 1998, 7). Lernen wird dann nicht mehr nur als reine Wissensanhäufung verstanden, sondern darüber hi­ nausgehend «as a process of becoming a part of a greater whole» (Sfard 1998, 7). Sfard geht dabei davon aus, dass die Implementierung der Partizipationsmetapher auf lange Sicht auch die Wahrnehmung der Lernprozesse verändern werde (vgl. Sfard 1998). Diese Auffassung von Lernen als Partizipation wird besonders im Kapitel zur Rolle des Texts im Fremdsprachenunter­ richt diskutiert, vgl. Kapitel 3.2.

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

2.2 Text, Textbedeutung und Textverstehen 2.2.1 Ein offener Textbegriff Im Gegensatz zu den Laiendefinitionen, die man erhält, fragt man «Durchschnitts­ sprachteilnehmer» (Fix 2019, 19), wie der Begriff Text zu definieren sei, beantwor­ tet die Textlinguistik diese Frage sehr uneinheitlich. Während die Laienlinguisten mehrheitlich Kriterien wie Geschlossenheit, thematische Gebundenheit, Sinn und Quantität (mehr als ein Satz) nennen, um die Kategorie Text zu definieren, also eine recht klare Vorstellung von einem Text gespeichert zu haben scheinen, hat die Textlinguistik Mühe, hier konkrete Antworten zu geben. In den 1960er Jahren versuchte man, dem Phänomen Text über einen Katalog von Struktur­ merkmalen näher zu kommen und den Text so auf strukturalistische Weise als eine Verkettung mehrerer Sätze zu definieren. Allerdings gelangt man über diese transphrastische Bestimmung als definitorisches Instrumentarium nur zu einer reinen Beschreibungsebene, die den Text als eine Entität begreift, die zwar formal über eine Analyse dieser Strukturmerkmale relativ autonom beschreibbar ist, die aber keinerlei erklärende bzw. interpretatorische Kraft entwickeln kann. Doch bereits zu diesem frühen Zeitpunkt, quasi der Geburtsstunde der Textlinguistik, waren sich deren strukturalistisch geprägte Vertreter darüber im Klaren, dass eine solchermaßen rein deskriptive Vorgehensweise auf der strukturellen Ebene der Texte verharrte und noch keinen Beitrag zu einer explanativen Textlinguistik leistete, wie Hartmann bereits 1971 eindeutig formulierte: «Mit der Behandlung von Textgegebenheiten werden neben Gesichtspunkten der Textbildungsnorm auch Gesichtspunkte der Sprachverwendung wichtig, zumal das Herstellen von Texten anderen Regeln unterliegt als das Herstellen von (sprachrichtigen) Sätzen und von einem erheblich breiteren Spektrum von Voraussetzungen und Zwecken bestimmt wird» (Hartmann 1971, 25). Erkennbar wird hier, dass die Textlinguistik den «Sprachbenutzer» nicht außer Acht lassen kann und sich ihrem Forschungsobjekt statt über eine rein sys­ temorientierte über eine stärker gebrauchsorientierte Perspektive annähern muss (vgl. Gansel/Jürgens 2007, 35–39). Damit wird deutlich, dass sich die Textlingu­ istik nicht nur als eine deskriptive, sondern vor allem auch als eine explanative Disziplin versteht, der es ebenfalls darum geht, Textkompetenz als «Fähigkeit, mit Texten rezeptiv und produktiv umzugehen» (Portmann­Tselikas 2002, 14) zu definieren und dabei zu modellieren, wie solche Prozesse einer Sinnkonstitution ablaufen. Bevor versucht wird, eine Synthese der aktuellen Tendenzen innerhalb der Textdefinitionen zu leisten, um über diese zu einem anwendbaren Textbegriff zu gelangen, sollen Kriterien festgelegt werden, die den Textbegriff für die nachfol­

2.2 Text, Textbedeutung und Textverstehen 

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genden Überlegungen einengen. Über diese notwendige Reduktion können die theoretischen Annahmen in der Praxis überprüft und somit auch übertragbar gemacht werden. 1. Trotzdem sich sowohl in der Literatur­ und Sprachwissenschaft wie auch in den Sprachendidaktiken die Tendenz findet, von einem entgrenzten Textbe­ griff auszugehen, der der Vielfalt an Medialität und unterschiedlicher Kodes im Hinblick auf die Realisierungsmöglichkeiten von Texten zu entsprechen versucht, wird hier der Text auf die mediale Form der Schriftlichkeit einge­ schränkt. Dies dient vor allem auch dazu, den Fokus auf die Verarbeitung sprachlicher Zeichen richten zu können. 2. Ebenfalls wird hier in Anlehnung an Antos der Blick auf die «Rehabilitierung der sprachlichen ‹Oberfläche›» gelenkt (Antos 1989, 14), auf der diskursive, textuelle wie auch epistemische Implikationen verankert sind (Antos 1989, 14–15). Die Oberfläche wird hier als «Eingangstor in die Textbedeutung und die Textinterpretation» (Fix 2009, 105) verstanden und somit als Anfangs­ moment des Verstehens gekennzeichnet. Verstehen kann nur an der Texto­ berfläche, der sprachlichen Materialisierung ansetzen (Fix 2009, 106). Damit verbunden ist die Annahme, dass es nur zu einer Aneinanderreihung von Ein­ zelsatzbedeutungen ohne konzeptuellen Kohärenzzusammenhang kommt, wenn Verstehensprozesse nicht bereits über die Textdatenbasis ausgelöst werden und somit auf der Ebene der lokalen Kohärenz verbleiben. Dies wäre dann eine Repräsentation der syntaktischen Struktur ohne Sinnkonstitution über die Etablierung konzeptueller, globaler Kohärenz. Innerhalb der textlinguistischen Annäherungen an das Phänomen Text scheint Konsens darüber zu herrschen, als Ausgangspunkt die klassischen Definitionskri­ terien für Textualität heranzuziehen, die Beaugrande und Dressler 1981 erstellt haben: Kohäsion, Kohärenz, Intentionalität, Akzeptabilität, Informativität, Situ­ ationalität, Intertextualität (Beaugrande/Dressler 1981, 31 f.).105 Adamzik schlägt vor, die von Beaugrande und Dressler genannten Kriterien zumindest als Rahmen für eine prototypische Definition von Text zu verwenden, um ein Instrumentarium zu erhalten, mit dem sich das breite Spektrum von möglichen Texten operabel

105 Vgl. zu diesem Konsens die Ausführungen von Fix (2008, 18–19). Sie hebt hervor, dass die Grundlage der theoretischen Diskussion um das Phänomen Text in nahezu allen Fällen von den Textualitätskriterien ausgehen sollte, um diese dann entweder kritisch abzulehnen oder wei­ terzuentwickeln. Als äußerst problematisch zeigt sich in der Konzeption von Beaugrande und Dresslers vor allem die Definition von Nicht­Texten als Texte, die keine (erkennbare) Kommuni­ kationsfunktion innehätten (vgl. Adamzik 2004, 52–53 zur Kritik; zur Definition eines Nicht­Tex­ tes vgl. Beaugrande/Dressler 1981, 3).

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

beschreiben ließe (Adamzik 2004, 51). Ihr Vorschlag zielt darauf ab, die Textua­ litätskriterien nicht als notwendig zu definieren, sondern vielmehr als Beschrei­ bungsdimensionen, die dazu dienen, einen Text als guten Vertreter seiner Katego­ rie zu definieren (Adamzik 2004, 58).106 Mit einem solchermaßen prototypischen Textbegriff lässt sich innerhalb des breiten Spektrums an unterschiedlichen Textsorten und Textfunktionen sinnvoll operieren. Er erlaubt auch scheinbare «Nicht­Texte» zu integrieren. Einen ähnlichen Weg schlägt Fix ein, indem sie die Wissensbestände, die durch die Textualitätskriterien aktiviert werden, als konzentrisch um einen Kern angeordnet definiert (Fix 2008; 2009; 2019). Dabei geht sie vom Innersprachli­ chen  zum Außersprachlichen und fügt zu den genannten Kriterien die beiden Kriterien der «Gestaltganzheit und Kulturalität» sowie «Medium, Material und Ort» hinzu (Fix 2008, 343). Dieser Vorschlag impliziert eine Hierarchisierung der Kriterien, die einen Text als einen typischen Vertreter kategorisieren, wobei Fix ebenfalls von der Textoberfläche ausgeht und sich dann den nicht­sprachlichen Faktoren nähert. Deutlich wird bei diesen Bestimmungen des Textbegriffs, dass es sich bei den Vorschlägen zur Bestimmung und Modellierung von Textualitäts­ kriterien um ein offenes System handelt, das den Text stets als eine dynamische, kommunikative und handlungsbestimmte Größe beschreibt. Zentral hierbei ist die Vorstellung des Texts als einer Entität, die über sich hinausweist und die, definiert als ein kommunikatives sprachliches Zeichen, stets in einen Handlungszusam­ menhang eingebettet ist, das heißt, sie tritt mit dem Rezipienten in Interaktion: «Text ist ein Phänomen im sozialen Zwischenbereich zwischen den Menschen und deshalb eine intersubjektive, überindividuelle Größe; ein Text steht immer schon in funktionalen Bezügen, in Handlungsgefügen, in Sprachspielen, d. h. in einer gesellschaftlichen Praxis» (Busse 2015, 387; Kursivierung wie im Original). Diese Vorstellung verbindet sich mit der Postulierung kognitiver Textverar­ beitungstheorien, es gelte den Kontext sowie das Weltwissen der Rezipienten stärker in die Darstellung der Verstehensprozesse einzubinden. Darüber hinaus muss auch nach der sozio­kulturellen wie historischen Gebundenheit der Kon­ zepte gefragt werden. Diese Forderungen legitimieren die Integration einer dis­ kursiven Wissensebene als vermittelnde Instanz zwischen sprachlichem und außersprachlichem konzeptuellen Wissen im Rahmen eines Textverstehens­ modells, das mögliche Störungen und Blockaden während der Verstehenspro­ zesse analysieren will. Auf diese Weise kann dem Umstand Rechnung getragen werden, dass Texte in der Regel «einen Sitz im Leben» haben und somit meist

106 Einen ähnlichen Vorschlag macht Sandig (2000; 2006).

2.2 Text, Textbedeutung und Textverstehen 

 75

auch auf ihre Relevanz für die Gesellschaft gelesen werden, da ihnen unterstellt wird, sie könnten Aufschluss über soziokulturelle Entwicklungen geben (Texte als Wissensträger). Bevor jedoch auf die gesellschaftliche Einbettung von Texten, ihren episte­ misch­diskursiven Zusammenhang und ihre Funktion im sozio­kulturellen Wis­ sensgefüge eingegangen wird, sollen die zuvor genannten Kriterien kurz beleuch­ tet und der Prozess des Textverstehens umrissen werden. 2.2.1.1 Text als Satzkette: Kohäsion Das erste Kriterium wollen wir KOHÄSION nennen. Es betrifft die Art, wie die Komponenten des OBERFLÄCHENTEXTES, d. h. die Worte, wie wir sie tatsächlich hören oder sehen, mitei­ nander verbunden sind. Die Oberflächenkomponenten hängen durch grammatische Formen und Konventionen voneinander ab. so daß also Kohäsion auf GRAMMATISCHEN ABHÄN­ GIGKEITEN beruht. (Beaugrande/Dressler 1981, 3–4; Hervorhebung wie im Original)

Allgemein versteht man unter Kohäsion107 die grammatische Verknüpfung der Textelemente auf der Oberfläche durch morphologisch­syntaktische Mittel, wobei als wichtigste Kohäsionsmittel Verfahren der Wiederaufnahme (Rekur­ renz und Teilrekurrenz) und der Verbindung (lokale, temporale, komparative, kausale Beziehungen) gelten. Diesen Bereich des Wissens über textgrammati­ sche Zusammenhänge definiert Fix als den innersten und gleichermaßen engsten Kern, den transphrastischen Kern, von dem ausgehend sich dann immer weitere Wissensbestände anreichern (Fix 2009, 111). Die Begründung für ihr Vorgehen sieht sie in der Begriffsdefinition der Kohäsion bei Beaugrande und Dressler, die betonen, dass Kohäsion über die reine Beschreibung textgrammatischer struk­ tureller Oberflächenmerkmale hinausgehe und vielmehr das Interaktionspoten­ zial dieser Merkmale mit den anderen Textualitätskriterien in den Blick nehme (Beaugrande/Dressler 1981, 87; Fix 2019, 21). Das erklärt den zentralen Rang dieses Kriteriums als Zentrum, obwohl in den unterschiedlichen Forschungsaus­ richtungen innerhalb der Textlinguistik Einigkeit darüber besteht, dass Kohäsion kein notwendiges Kriterium zur Bestimmung eines Textes ist. Ungleich wichti­ ger ist das Kriterium der Kohärenz, der inhaltlichen Kontinuität und Verbindung

107 Nicht alle Autoren folgen der Unterscheidung zwischen Kohäsion und Kohärenz. Brinker legt seinen Arbeiten einen sehr weiten Kohärenzbegriff zugrunde, der sowohl explizite Relati­ onen (Kohäsion) als auch implizite Relationen (Kohärenz) umfasst (Brinker 2010). Da Verste­ hensblockaden sowohl im Bereich der grammatischen Verknüpfung als auch im Bereich der in­ haltlichen Kontinuität erfolgen können, scheint es sinnvoll, im Rahmen dieser Arbeit die beiden Bereiche auch durch die Wahl der Begriffe Kohäsion und Kohärenz deutlicher voneinander zu trennen als dies bei Brinker erfolgt.

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

zwischen referenziellen Informationen, die eben nicht unbedingt über explizite kohäsive Mittel vermittelt sein müssen, sondern auch implizit ausgedrückt und erst durch elaborative Prozesse erfasst werden können, die der Leser zu leisten hat (Fix 2019, 26–27; Schwarz­Friesel/Consten 2014, 85; Spooren 1999, 195). So bilden Kohärenzprozesse das zentrale Untersuchungsgebiet der kognitiven Lin­ guistik, die gezielt danach fragt, wie referenziell unterspezifizierte Texte im Kopf des Lesers zu einem „sinnvollen“ Ganzen im Sinne einer konzeptuellen Kontinu­ ität zusammengefügt werden und so eine kohärente mentale Repräsentation des Textes konstruiert werden kann (Schwarz­Friesel 2001, 15). 2.2.1.2 Text als Sinnkontinuität: Explizite und implizite Kohärenzrelationen Ein Text ‚ergibt Sinn‘, weil es eine SINNKONTINUITÄT innerhalb des Wissens gibt, das durch Ausdrücke des Textes aktiviert wird. […] Diese Sinnkontinuität möchten wir als die Grundlage der KOHÄRENZ ansetzen, welche ihrerseits den gegenseitigen Zugriff und die gegenseitige Relevanz von KONZEPTEN (Begriffen) und RELATIONEN (Beziehungen) inner­ halb einer Konfiguration darstellt. Diese dem Text zugrunde liegende Konstellation ist die TEXTWELT, die mit der gewöhnlich angenommenen ‚realen‘ Welt, d. h. mit der von einer Gesellschaft oder sozialen Gruppe als gültig angesehenen Auffassung der menschlichen Lage, nicht unbedingt übereinstimmen muss. (Beaugrande/Dressler 1981, 88; Hervorhebungen wie im Original)

Im Allgemeinen wird mit Kohärenz die konzeptuelle Kontinuität eines Textes bezeichnet, die entweder über explizite Mittel, wie beispielsweise lexikalische Kohäsionsmittel,108 erreicht werden kann oder die nur implizit vorhanden ist und über die Aktivierung von Weltwissen erschlossen werden muss (Schwarz­Friesel/ Consten 2014, 89). Hintergrund dieser Definition von Kohärenz bildet die Vor­ stellung, dass unter Textverstehen eine (Re)Konstruktion der im Text enthalte­ nen Informationen verstanden wird, die der Rezipient über kognitive Prozesse zu leisten hat (Christmann/Groeben 1999, 146). Kohärenzprozesse sind demnach stets zu definieren als interaktive Prozesse zwischen Textinformation und Sprach­ bzw. Weltwissen des Rezipienten (Christmann/Groeben 1999, 147). Um diese Interaktionsprozesse auf der mentalen Ebene präziser beschreiben zu können, wird zunächst in lokale und globale Kohärenz unterschieden (Kintsch/van Dijk 1978). Lokale Kohärenz meint dabei das Herstellen eines Zusammenhangs zwi­ schen unmittelbar aufeinanderfolgenden Sätzen, während globale Kohärenz die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen einzelnen Textabschnitten bezeich­

108 Zur Bildung eines «Sinnflusses» durch Wiederholung lexikalischer Einheiten und dessen Einfluss auf das Text­ bzw. Leseverstehen vgl. z. B. Quathamer (1998).

2.2 Text, Textbedeutung und Textverstehen 

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net (Schnotz 2006, 228). Lokale Kohärenz kann also auch als berühmter «roter Faden» zwischen den einzelnen Satzinhalten definiert werden, der eine lineare Sinnkontinuität zwischen den einzelnen Sätzen spinnt. Aktiviert werden dabei die Referenzbeziehungen, die dem weiteren Kontext entsprechen und die eine Verbindung zwischen den beiden Propositionen aufgrund der explizit vorhande­ nen Informationen abbilden. Daneben kommt es über Inferenzbeziehungen zu Verbindungen zwischen den Propositionen, die nur implizit erschlossen werden können. Hier fließt bereits außersprachliches Wissen des Rezipienten in den Aufbau der Repräsentationsstruktur des Textes ein (Rickheit/Strohner 1989, 237). Über Inferenzen lassen sich ebenfalls Referenzbeziehungen bilden, die dann aber durch Implizitheit gekennzeichnet sind (Strohner 2006, 197). Lokale Kohärenzbil­ dung lässt sich, bezogen auf die neurobiologische Perspektive, auch beschreiben als das Zusammenspiel von «Wiederaufnahme­ und Verknüpfungseinheiten auf der KZG­Ebene» (Schwarz­Friesel/Consten 2014, 93), deren wichtigste Verbin­ dungseinheiten Referenz (explizite Konzeptzuordnung zwischen zwei Propositi­ onen) und Inferenz (implizite Erschließung der Verbindung) bilden. Damit findet sich ein direkter Anknüpfungspunkt an die Strukturen des mentalen Lexikons und zwar die Vorstellung, die einzelnen Propositionen würden über semantische Relationen verknüpft und bildeten so ein erstes Gesamtbild des Bedeutungszu­ sammenhangs netzwerkartig ab (Schnotz 1994; Schnotz/Bannert 2003, 144). Globale Kohärenzbildung aktiviert ebenfalls außersprachliche Wissensbe­ stände, die im LZG gespeichert sind. Zudem müssen sich die Propositionen einer hierarchisch höheren kognitiven Domäne zuordnen lassen, sprich, thematische Relationen müssen in eine übergeordnete Struktur überführbar sein. Der Rezipient muss hierbei sowohl abstrahieren als auch klassifizieren, um zu einer Sequenzan­ ordnung zu gelangen, in der die einzelnen Textteile hierarchisch und konzeptuell zusammenhängend angeordnet sind (Schwarz­Friesel/Consten 2014, 94). Ob es dem Rezipienten gelingt, konzeptuelle Kontinuität herzustellen, liegt daran, ob der Rezipient die Relationen zwischen den Textabschnitten für plausi­ bel halten kann oder nicht. Schwarz­Friesel und Consten erklären daher das Kri­ terium der Plausibilität zum wichtigsten Parameter bei der Etablierung konzeptu­ eller Kontinuität, da dieses darüber entscheide, ob es zum Aufbau einer Textwelt komme oder nicht (Schwarz­Friesel/Consten 2014, 89–90).109 Dabei wird aller­ dings nicht thematisiert, wie der Rezipient zu seinen Plausibilitätsurteilen gelangt 109 Die Autoren weisen auch darauf hin, dass es sich bei diesem Kriterium um eine relative Größe handelt, da der «menschliche Geist […] sich schnell an neue ontologische Gegebenhei­ ten anpass[t]» (Schwarz­Friesel/Consten 2014, 90) und somit Textwelten für plausibel erklären könne, die mit der realen Welt nicht übereinstimmen, wie z. B. Textwelten aus dem Bereich der Fiktion. Über welche Form von Wissen dies geschieht, wird dabei allerdings nicht spezifiziert.

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

und inwieweit diese von epistemischen Einschätzungen beeinflusst werden, Validierungen also präfiguriert sind. Auch das Problem, dass in dieser Sicht den Texten quasi untergeschoben wird, Wahrheiten zu vermitteln, wird hier letztlich nicht gelöst. Eine Integration der epistemischen Ebene sowie des epistemisch­dis­ kursiven Wissens erfolgt im Rahmen dieses Text­Welt­Modells noch nicht. Zusammenfassend lässt sich Kohärenz demnach definieren als «semantisch­ konzeptuelle Kontinuität» (Schwarz­Friesel 2006, 64; 2001, 18), in der sowohl explizite als auch implizite Relationen innerhalb eines Textes zur Konstruktion einer mentalen Repräsentation der Textbedeutung beitragen. Die Kohärenzetab­ lierung wird dabei als Prozess modelliert, in dem sowohl Bottom-up­, textgeleitete Prozesse, als auch Top-down­, wissensgeleitete Prozesse, nach bestimmten Prin­ zipien weitgehend vorhersehbar interagieren (Schwarz­Friesel 2006, 65). Dabei wird davon ausgegangen, dass die Konzeptualisierungsaktivität des Rezipienten durch bestimmte sprachliche Strukturen bereits determiniert ist, unter der Vor­ aussetzung einer Überlappung der Textinformationen und des Weltwissens. Mit dieser Definition der Kohärenz als «Menge aller plausiblen Relationen zwischen Textteilen» (Schwarz­Friesel/Consten 2014, 95), die interaktiv über Bottom-upund Top-down-Prozesse inkrementell im Kopf des jeweiligen Rezipienten etab­ liert wird, befinden wir uns bereits mitten in der Beschreibung der konkret ablau­ fenden Textverstehensprozesse. Diesen widmet sich der folgende Abschnitt.

2.2.2 Textverstehen In der Theorie des Textverstehens wird Verstehen meist damit gleichgesetzt, dass die im Text gegebene Information mit dem Vorwissen, also dem bereits beste­ henden deklarativen und prozeduralen Wissen, in Beziehung gesetzt wird (Ebene der Textverarbeitung) und es so zu einer Modifikation der mentalen Wissensre­ präsentationen kommt (Ebene des Textverstehens). Kernstück der kognitiven Textlinguistik ist dabei die Annahme, dass in den Verstehensprozessen während der Textverarbeitung die referenzielle Unterspezifizierung des Textdatenmateri­ als durch weltwissensbasierte Inferenzprozesse gefüllt wird und die Rezipienten auf diese Weise zu einer mentalen Repräsentation des Textinhalts gelangen, der als Interaktion zwischen Text­Leser­Welt zu verstehen ist (Kintsch 2004; Schwarz 2008, 197). Im Hinblick auf Lern­/Lehrformate wird dabei davon ausgegangen, dass es durch den (erfolgreichen) Aufbau und der Speicherung dieser Reprä­ sentationen zu einer Modifizierung der im LZG gespeicherten Wissenseinheiten kommt und so ein Wissenserwerb im Sinne von Lernen erfolgt. Um diese Modifi­ kationen präziser erklären zu können, soll daher zunächst in einem Rückgriff auf Kapitel 1.2 die Rolle der verschiedenen Formate unserer Wissensrepräsentationen

2.2 Text, Textbedeutung und Textverstehen 

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teilweise noch einmal explizit für den Textverstehensprozess skizziert werden, um deren Stellenwert innerhalb des Textverstehensprozesses herauszuarbeiten. 2.2.2.1 Wissen als mentale Repräsentation im Textverstehen Im Allgemeinen werden in Bezug auf verstehensrelevantes Wissen für den Textverarbeitungsprozess vier Formen der Wissensrepräsentation in Bezug auf das deklarative Wissen unterschieden: Propositionales Wissen, konzeptuelles Wissen, mentale Modelle und eine vierte Form, die als «super­structure» bezeich­ net wird (Rickheit/Schnotz/Strohner 1985, 10–12). Hinsichtlich des Wissens über ‚Text‘ sind damit Wissenseinheiten gemeint, die Leser über unterschiedliche Textsorten und die damit verbundenen Erwartungshaltungen gespeichert haben (Rickheit/Schnotz/Strohner 1985, 12).110 Die Vorstellung, Wissen sei in Form propositionaler Netzwerke gespeichert, zeigte sich in der Textverstehensforschung als durchaus einflussreich. Dem Modell liegt die Vorstellung zugrunde, dass sich Informationseinheiten in Pro­ positionen überführen lassen,111 wobei eine Proposition die kleinste, selbstän­ dige Wissenseinheit bildet, die sich als falsch oder wahr beurteilen lässt. Proposi­ tionen lassen sich in Prädikate und Argumente zerlegen, die als Modellierung der Bedeutung der elementaren Aussagen zu interpretieren sind. In der Vorstellung der propositionalen Netzwerke liegen die Informationen folglich als Symbolein­ heiten vor. Unklar bleibt allerdings, stellt man sich den Verstehensprozess als Verknüpfung propositionaler Einheiten vor, inwieweit Vorwissen, Kontextwissen und möglicherweise auch senso­motorisches Wissen an eben diesem beteiligt sind (vgl.  Schnotz 2006, 228). Um diese «Lücken» zu füllen, bedarf es weiterer Wissensrepräsentationen, der Konzepte. Darunter versteht man zunächst die grundlegende menschliche Eigenschaft, im Wahrnehmungsprozess Kategorisie­ rungen vorzunehmen und dementsprechend bereits gespeichertes Wissen für die erkannten Kategorien auf der konzeptuellen Ebene zu aktivieren. Konzepte sind dabei kleinere Einheiten, die in größeren mentalen Netzwerken miteinan­ der verbunden sind und so das Grundgerüst für den Verstehensprozess liefern. Mit Konzept wird weiterhin all das bezeichnet, was sprachliche Zeichen evozie­

110 Wissen wird hier in seiner Funktion als Informationsträger fokussiert. Damit nimmt die Textlinguistik hier nur einen Teil des verstehensrelevanten Wissens in den Blick, da die Frage nach dem (einzel)sprachlichen Verstehen nicht mehr gestellt wird. Zugeordnet werden können diese Wissensformen der konzeptuellen Ebene im Modell von Blank (1997). 111 Die Modellierung propositionaler Repräsentationen geht v. a. auf die Theorien von Ander­ son und Berkowitz (1978), Norman und Rumelhart (1978) und Kintsch (1988) zurück.

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

ren können und was über den sprachlichen Input aktiviert wird.112 Damit trifft man aber eine begriffliche Bestimmung, die essentiell ist: Die Konzeptebene ist immer definiert als die Ebene der mentalen Repräsentationen, denen entweder noch keine sprachliche Form zugewiesen wurde oder die keine sprachliche Ent­ sprechung haben. Hinsichtlich der sprachbasierten Konzepte, also den Reprä­ sentationen, die versprachlicht werden können, kann zwischen lexikalischen und grammatikalischen Konzepten unterschieden werden, die unterschiedlichen semantischen Versprachlichungsbedingungen unterliegen, die aber erst auf der (einzel)sprachlich­semantischen Ebene aktiviert werden (vgl z. B. Pavlenko 2000, 33). Allerdings muss im Hinblick auf die konzeptuelle Ebene auch klar gesagt werden, dass sie nicht präzise definiert ist: Wirklich fundierte Kenntnisse über das konzeptuelle System liegen […] nicht vor. Hypothe­ sen über die Organisation dieser bedeutenden kognitiven Komponente haben eher den Cha­ rakter von Mutmaßungen. Das konzeptuelle System spielt in der Funktionsweise unserer Kognition eine herausragende Rolle: Es repräsentiert kategorisiertes Wissen über die Welt in einem weitgehend amodalen Format (wobei noch unklar ist, wie ein solches Repräsen­ tationsformat zu modellieren ist) und fungiert dadurch als eine Vermittlerebene, auf der modalitätsgebundene Informationen aufeinander bezogen und zu holistischen Erfahrungs­ einheiten integriert werden können. Das in den Konzepten gespeicherte Wissen stellt dabei das inhaltliche Potential für semantische Einheiten dar, die dann ausschnittartig konzeptu­ elle Informationen an sprachliche Formen binden. (Schwarz 1994, 15–16)

Diese Aussagen Schwarzens können größtenteils auch heute noch als gültig ange­ nommen werden (vgl.  z. B. Pavlenko 2009b). Daher sind auch die im Rahmen dieser Arbeit getroffenen Aussagen stets nur als tentative Annäherungen an die Beschreibung dieser Ebene zu verstehen. Dabei wird davon ausgegangen, dass die konzeptuelle Ebene teilweise präfiguriert ist durch das, was als epis­ temisches und diskursives Wissen definiert wurde. Es wurde versucht, sie über einen frametheoretischen Zugang in ihrer Struktur fassbar zu machen und sie als 112 Signifié wären in dieser Definition von Konzept dann einzig die einzelsprachlich relevan­ ten Informationen, die einen besonderen Teil des Konzepts darstellen. Auf diesen Zusammen­ hang zwischen signifié und Konzept im Hinblick auf die Sprachverarbeitung wird im Kapitel über sprachliche Blockaden und Störungen in der Organisation des Verstehensprozesses noch ausführlicher eingegangen (3.1), da dies die Lernkontexte in erheblichem Maße betrifft, da zu einem signifiant oft nicht die einzelsprachlich relevanten Informationen mit erworben werden und daher auch keine kulturell «korrekte» Konzeptualisierung erfolgt. Das heißt, das signifiant ruft letztlich weiterhin Konzepte aus der L1 auf und nicht ausschließlich relevante Konzepte der betreffenden Zielsprache. Damit wird die Vermittlung zwischen konzeptueller Ebene und den jeweiligen Bedeutungsdimensionen als störanfälliger und sensibler Bereich modelliert, deren Bedeutung für das Textverstehen in der Fremdsprache meist eher marginal behandelt wird (vgl. Schluer 2017, 16).

2.2 Text, Textbedeutung und Textverstehen 

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Wissensrahmen zu definieren, wobei aber von einer Trennung der außersprach­ lichen Wissenselemente und der damit verbundenen sprachlich­semantischen Wissenselemente ausgegangen wird. Das bedeutet, die mentalen Repräsentatio­ nen bleiben stets auf der konzeptuellen Ebene und aktivieren die Enkodierung auf der (einzel)sprachlichen Ebene. Zusätzlich wird die konzeptuelle Ebene als ein dynamisches System konzipiert, das adäquat auf die Anforderungen, die ein mehrsprachiges Textverstehen an die Rezipienten stellt, reagieren kann, indem neue, kulturell abhängige Konzepte integriert werden können.113 In Bezug auf Textverarbeitungsprozesse wird in psycholinguistischen Ansät­ zen auch die Bedeutung der sogenannten «super­structure» hervorgehoben (Rick­ heit/Schnotz/Strohner 1985, 12). Damit ist die formale Präsentation eines Textes gemeint, was hier mit Textsorte gleichgesetzt wird.114 Der Einfluss von Textsor­ tenwissen hat sich als wichtiger Faktor bei Textverstehensprozessen herausge­ stellt, da rezipientenseitig bestimmte Erwartungshaltungen evoziert werden, die dann sowohl den Verarbeitungs­ als auch den Verstehensprozess positiv beein­ flussen. Textsortenwissen spielte vor allem auch innerhalb der Ansätze, die Text­ verstehen über die Modellierung von Geschichtengrammatiken115 darzustellen versuchten, eine Rolle (vgl. Christmann 2006; Christmann/Groeben 2006). 113 Vgl. ausführlich dazu das Kapitel 3.1 zur Modellierung des mehrsprachigen mentalen Lexi­ kons und die daraus folgenden Implikationen für das Textverstehen in der Fremdsprache. Damit wird der Auffassung Chomskys widersprochen, der hinsichtlich des konzeptuellen Systems fol­ gendermaßen formulierte «[…] there is no clear alternative to the assumption that acquisition of vocabulary is guided by a rich and invariant conceptual system which is prior to any experience» (Chomsky 1987, 22). Vgl. zu einer Kritik an dieser Position z. B. Wierzbicka (1997); speziell für die Diskussion hinsichtlich eines mehrsprachigen mentalen Lexikons Pavlenko (2000). 114 Zu Arbeiten, die Textverstehen in der Fremdsprache für die Lerner vor allem über eine Ana­ lyse von Superstrukturen erleichtern wollen und in dem Erkennen dieser Strukturen das Haupt­ problem des Verstehens identifizieren vgl. z. B. Cubo de Severino et al. (2005); Reitbauer (2000). 115 Im Rahmen der Textverarbeitungsforschung wurden vor allem scripts und Geschichten­ grammatiken intensiv untersucht: Über scripts kann erklärt werden, warum in Textverstehens­ prozessen ganze Handlungsabläufe mitaktiviert werden können (vgl. hierzu z. B. Blank 2001, 54–56). Geschichtengrammatiken bezeichnen hingegen Wissensstrukturen, die die globale Ordnung von Textelementen in narrativen Texten beschreiben, z. B. Kategorien wie Textthema, Ereignis, Charaktere etc. Sie beinhalten auch die Regeln und Prinzipien, nach denen diese Text­ elemente angeordnet sind. Allerdings haben sich Geschichtengrammatiken als wenig adäquate Formate für die Erklärung von Textverstehensprozessen bei Erzähltexten herausgestellt. Als we­ sentlich zentraler für das Textverstehen haben sich der semantische Gehalt sowie die Verknüp­ fung zwischen den Propositionen erwiesen. Daher richtet sich das Augenmerk bei der Erklärung der Verstehensprozesse aktuell stärker auf die Erfassung von Problemlösehandlungen, über die die Kausalitäten zwischen den einzelnen Elementen als Kette erfasst werden (vgl. Christmann 2006, 617). Über die Diskursforschung haben aktuell auch Analysen, die auf der Frame­Semantik basieren, starken Zulauf erfahren.

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

Am wohl einflussreichsten innerhalb der Textverarbeitungsforschung ist aber die Theorie der mentalen Modelle geworden, deren elaborierteste Form ver­ mutlich mit dem Construction-Integration-Modell (im Folgenden CI­Modell) von Kintsch vorliegt (Kintsch 1988; 1998).116 Es beruht auf der Weiterentwicklung des Modells der zyklischen Verarbeitung von Textdaten in einem interaktiven Text­ Leser­Prozess von Kintsch und van Dijk (Kintsch/van Dijk 1978). Die Konstruktion eines mentalen Modells, basierend auf Textdaten, Kontext und Vorwissen, gilt als eine Grundvoraussetzung für ein gelingendes Textverstehen sowie ein erfolgrei­ ches Lernen mit und aus Texten (Kintsch 2004). 2.2.2.2 Textverarbeitung und Textverstehen als mentale Prozesse Schon die Definition von Kohärenz als konzeptueller Kontinuität legt nahe, dass Textverstehen als ein interaktiver Prozess gedeutet wird, in dem text­ und wissens­ geleitete Prozesse miteinander interagieren, also eine «Text­Leser­Interaktion» (Groeben 1982, 9) stattfindet. Akzentuiert wird in dieser Vorstellung die Rolle des Vorwissens, das der Rezipient mit den Textdaten verknüpft, um so die Bedeutung des Textes zu konstruieren (Göpferich 2008, 293). Verbunden mit dieser Vorstel­ lung sind vor allem zwei Richtungen in der Textverarbeitungsforschung, die schematheoretischen Ansätze und die Theorie der mentalen Modelle, da beide Modelle sehr stark die Rolle des Vorwissens betonen. Ebenfalls bedeutsam schei­ nen in neuerer Zeit Ansätze zu sein, die Verstehensprozesse über die Aktivierung von Wissensrahmen erklären (Busse 2015). Allen Ansätzen ist gemeinsam, dass der Verstehensprozess als inkrementeller Prozess definiert wird, der auf einem Ineinandergreifen von Bottom-up- und Top-down­Prozessen beruht. Unterschiede bestehen hinsichtlich der Aktivierungsprozesse des Vorwissens sowie vor allem in der Akzentuierung der Kontextrolle. In der Vorstellung der schematheoretischen Ansätze wird das Vorwissen während des Lese­ und Verstehensprozesses aktiviert, indem Schemata aufgeru­ fen werden, über die dann Inferenzprozesse gesteuert werden können.117 Verste­ hensprozesse sind in dieser Theorie in hohem Maß davon abhängig, ob der Rezi­ pient die notwendigen Schemata bereits gespeichert hat, diese also auch über die Textdaten abrufbar sind. Entscheidend im Textverstehensprozess ist, dass 116 Ebenfalls vielversprechende Ergebnisse liefern die Modellierungen des Textverstehens über das event-indexing­Modell (Zwaan/Langston/Graesser 1995) und das landscape­Modell (van den Broek et al. 1999). Vgl. zu einem Vergleich der Modelle Kaiser/Peyer (2011, 89–98). 117 In der Forschung ist man sich nicht darüber einig, ob es sich hierbei um echte Inferenzpro­ zesse oder Pseudo­Inferenzprozesse handelt, da sich die Schlussfolgerung nicht aus der Inter­ aktion mit den Textdaten ergibt, sondern bereits aus den im Schema gespeicherten Hintergrund­ annahmen (vgl. zu dieser Diskussion Ziem 2008a, 175–176).

2.2 Text, Textbedeutung und Textverstehen 

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Schemata ungefüllte Slots (Leerstellen) aufweisen, die dann von den Rezipien­ ten mit aus den Textdaten gewonnenen Informationen gefüllt werden können (vgl. Christmann 2006, 615). Der Kontext wird hierbei weniger beachtet und auch der textgeleitete Verstehensprozess rückt in den Hintergrund. Anders verhält sich dies in den Theorien, die mit mentalen Modellen und Wissensrahmen arbeiten. Zwar spielt auch hier die Vorwissensaktivierung eine zentrale Rolle, aber auch kontextuell bedingte Einflussfaktoren werden in den Verstehensprozess integ­ riert. Stellvertretend für die Ansätze, die mit mentalen Modellen arbeiten, sollen hier zwei Modelle skizziert werden, deren Hypothesen vor allem hinsichtlich einer Übertragbarkeit auf Lern­Lehrkontexte besonders interessant erscheinen und die als besonders geeignet scheinen, einen Erklärungsraum zu modellieren, in dem gezielt nach Möglichkeiten gesucht wird, um zu analysieren, warum es oft nur zu einer lückenhaften Konstruktion mentaler Modelle kommt:118 Das CI­Mo­ dell von Kintsch sowie das Text­Weltmodell von Schwarz­Friesel. Im Gegensatz zu anderen psychologischen Textverarbeitungsmodellen sieht das CI­Modell die Rolle von Textdaten und Vorwissen nahezu als gleichwertig an (Kintsch 1988; Leopold 2009, 125; Richter 2003, 43).119 Hintergrund für dieses Modell bilden zwei Grundannahmen: Zum einen werden Wissensorganisation, ­zugriff und ­aktivierung aus einer konnektionistischen Perspektive verstan­ den, zum anderen geht Kintsch davon aus, dass in Bezug auf Texte eine Ober­ flächen­ und eine Tiefenstruktur angenommen werden kann. Ausgangspunkt des CI­Modells bildet die von Kintsch und van Dijk formulierte Hypothese der portionsweisen zyklischen Verarbeitung (Kintsch/van Dijk 1978; 1983). Die Ver­ arbeitungszyklen umfassen im CI­Modell zwei Phasen, eine Konstruktions­ und eine Integrationsphase. Die mentale Repräsentation erfolgt über eine beständige Aktualisierung, über die neue Informationen integriert werden. Diese Konstruk­ tion des mentalen Modells erfolgt in Zyklen, die in etwa der Länge von kurzen Sätzen gleichkommen (Kintsch/van Dijk 1978; 1983). Während der Konstruktionsphase bildet der Rezipient über Konzeptakti­ vierungen, die auf dem sprachlichen Input basieren, Propositionen aus. Diese Propositionen werden elaboriert, d. h. über Assoziationen bilden sich Netz­ werke, in denen zugehöriges konzeptuelles Wissen aufgerufen wird. Dies wird

118 Dieser Fokus scheint über das CI­Modell sowie das Text­Welt­Modell besser bedienbar zu sein als z. B. im landscape­Modell. Daher konzentriert sich die vorliegende Arbeit auf diese bei­ den Modelle. 119 Diese Überbetonung der kognitiven Prozesse wurde unter anderem aus den Reihen der ko­ gnitiven Textlinguisten selbst kritisiert, da «es sich bei den Prozessen um sprachverarbeitende, also ganz spezifische Prozesse handelt, die sich ihrerseits wieder auf linguistische Einheiten gründen» (Rickheit/Schade 2000, 281).

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

hauptsächlich über lokale und globale Elaborationen sowie Inferenzen erreicht (Kintsch 1988). Ergebnis dieser Konstruktionsphase ist ein vorläufiges, Bottom-up gesteuertes Repräsentationsmodell, das noch nicht konsistent und kohärent ist. Es befinden sich zunächst auch unpassende Elaborationen in der Repräsenta­ tion, die in einem Evaluierungsprozess als nicht textadäquat einzustufen wären (Kintsch 1988; Leopold 2009, 145). Dies wird dann in der auf die Konstruktions­ phase folgenden Integrationsphase erreicht, in der die Top-down­Prozesse eine gewichtigere Rolle spielen. In einem evaluierenden Selektionsprozess werden nur die textadäquaten Elaborationen behalten, wobei wichtige Konzepte einen hohen Aktivierungswert erhalten und als nicht­konsistent bewertete Konzepte gehemmt werden. Über diese Prozesse erhält der Rezipient eine relativ stabile Repräsentation des Textinhalts, die zusätzlich zu den textdatenbezogenen Infor­ mationen mit Elementen aus seinem Vorwissen sowie kontextuellen Faktoren angereichert ist. Diese Repräsentation kann dann ins LZG übertragen werden, wobei darunter letztlich eine Modifikation der Wissensstrukturen im LZG ver­ standen werden muss. Ein Vorteil dieses Modells ist die Integration von text­ und wissensbasierten Prozessen sowie die präzisere Einbindung von Vorwissen und Kontextualisie­ rung, die die schematheoretischen Ansätze nur vage formulierten. Ein Nachteil ist sicherlich die fehlende Strategieneinbindung, wie Kintsch selbst bemerkt (Kintsch/Rawson 2006). Das Modell bietet jedoch eine solide Basis für Strategi­ enforschung, die besonders im Bereich von Sachtexten Erfolge zeigte (Kintsch 2004; Kintsch/Rawson 2006; Leopold 2009). Deutlich wurde hier, dass Texte im Hinblick auf Behalten und Wissenserwerb wesentlich besser verarbeitet werden konnten, wenn die Rezipienten auf Vorwissen zurückgreifen konnten und wenn es ihnen gelang, ein mentales Modell zu konstruieren.120 Die Vorstellung, Textverarbeitung und Textverstehen beruhten auf einem Mehrebenenprozess prägt auch das Text­Welt­Modell von Schwarz­Friesel. Der Fokus liegt hier stärker auf dem Prozess der Kohärenzetablierung beim Textver­ stehen, der als das Zusammenspiel von konzeptueller Referenzialisierung und dem Aufbau des Text­Welt­Modells (im folgenden TWM) definiert wird.121 Sie geht dabei davon aus, das TWM stelle eine «rein geistige Zwischenebene im Arbeits­

120 Leopold (2009) sowie Leopold und Leutner (2012) wiesen nach, dass Resümieren und Unterstreichungen nur wenig Lernerfolg erzielten, wohingegen Visualisierungsstrategien, also Strategien, die darauf ausgelegt sind, ein mentales Modell zu konstruieren, zu einem deutlich besseren Lernergebnis führten. Zudem konnten sie den positiven Effekt von Bildern im Hinblick auf Textverstehensprozesse belegen. 121 Vgl. zum Text­Welt­Modell v. a. Schwarz­Friesel (2001; 2006; 2011); Schwarz­Friesel/Consten (2014).

2.2 Text, Textbedeutung und Textverstehen 

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gedächtnis […] bzw. im Langzeitgedächtnis […] dar, die durch Informationsein­ heiten des Textes aufgebaut wird und Referenten als mentale Einheiten mit ihren Relationen und Aktivitäten sowie ihrer raumzeitlichen Verankerung speichert» (Schwarz­Friesel/Consten 2014, 59). Die Etablierung des TWM beginnt ebenfalls auf der Ebene der sprachlichen Struktur, die weitgehend mit der Satzebene gleichgesetzt wird. Ausgehend von dieser erfolgt die semantische Repräsentation des Textes auf der Ebene der Pro­ positionen, die dann in ihrer Gesamtheit das textsemantische Potenzial für die Etablierung des TWM bilden (Schwarz­Friesel/Consten 2014, 60). Zentral ist nun, dass es dem Rezipienten, ausgehend von der propositionalen Ebene, gelingt, Textreferenten aufzubauen und über den Leseprozess hinweg aufrecht zu erhal­ ten. Der Textreferent kann als mentale Einheit modelliert werden, dem ein bestimmter Stellenwert innerhalb des konzeptuellen Netzwerks, das das TWM konstituiert, zugewiesen ist. Diese Einheit ist dynamisch, d. h. neue Informatio­ nen in Bezug auf den jeweiligen Textreferenten können integriert werden. Text­ referenten können «ruhen», aktiviert oder auch deaktiviert werden, je nachdem, wie sich ihr Status innerhalb der Textprogression verändert. Zusammengefasst wird mit Textreferent hier eine mentale Einheit verstanden, die rein sprachlich evoziert ist und der eine konzeptuelle Adresse im TWM zugeordnet wird. Über diese Vorstellung eignet sich das TWM besonders für die Beschreibung der Text­ verarbeitungs­ und ­verstehensprozesse in längeren Texten. Diese Ebene der textreferenziellen Sachverhalte, also die Ebene des TWM, muss dann in Bezug zur außersprachlichen Welt gesetzt werden (Schwarz­Friesel 2001, 18). Im TWM finden sich sowohl textgeleitete Elaborationen als auch Elaborationen, die der Rezipient aufgrund seines Vorwissens geleistet hat. Diese Interaktion zwischen Text und Kognition vollzieht sich während eines Leseprozesses automatisch: The text­world model is based on the information of the text itself, but at the same time it is elaborated as a result of cognitive processing performed by the reader; or to put it more succinctly, a text­world model is the result of applying knowledge representations to the text base. Building up a text­world model is a highly automated process which always takes place in the comprehension process. (Schwarz­Friesel 2001, 18)

Hinsichtlich des Verstehensprozesses trifft Schwarz­Friesel damit eine funda­ mentale Unterscheidung: Es geht im Verstehensprozess zum einen darum, kon­ zeptuelle Kontinuität zu etablieren und so zu einem TWM zu gelangen, das dann in Referenz zur außersprachlichen Welt gesetzt werden kann. Dies ist immer noch die Ebene der Kohärenz, die unbewusst und automatisch konstruiert wird, aber keinen subjektiven Prozess darstellt, da sie auf der Fähigkeit der Rezipienten be­ ruht, komplexe sprachliche Ausdrücke Plausibilitätsurteilen zu unterziehen und entsprechend Konzepte im Weltwissen zu aktivieren (Schwarz­Friesel 2006, 65).

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

Dabei bleibt aber unklar, inwieweit es sich hier um regelgeleitete Prozesse han­ delt, die in Abhängigkeit des epistemischen Wissens des Rezipienten gesehen werden müssen, womit erneut deutlich wird, dass eine Vermittlungsinstanz zwi­ schen Welt und Kognition, zwischen gesellschaftlicher Kommunikation und in­ dividuellem Verstehensprozess fehlt. Dadurch wird in Schwarz­Friesels TWM suggeriert, die Rezipienten könnten zu einem objektiven Verstehen gelangen und bezieht dabei aber nicht die Präfiguration des Prozesses durch die epistemische Ebene mit ein. Dieses Defizit ihres Modells verschiebt Schwarz­Friesel aus der kognitiven Perspektive, lässt es aber dennoch nicht gänzlich unberücksichtigt. Denn es geht im Verstehensprozess ja durchaus auch darum, eine Ebene des Textsinns zu konstruieren, der als Ergebnis kontrollierter interpretativer Prozesse zu werten ist. Die Konstruktion eines Textsinns findet aber strenggenommen auf einer Ebene statt, die nicht mehr in der Etablierung des TWM zu verorten ist, sondern erst daran anschließt. Damit gelangt Schwarz­Friesel zu einer Unter­ scheidung zwischen «inhaltlicher Kontinuitätsetablierung» und «interpretativer Sinnauslegung» (Schwarz­Friesel 2006, 64), wobei letztere eher im Bereich her­ meneutischer Prozesse anzusiedeln ist. Diese Herauslösung der epistemisch­dis­ kursiven Ebene als Bindeglied zur Wissensgesellschaft, in der sich Rezipienten bewegen, und über die die Verstehensprozesse in diesem Sinne kommunikativ reguliert und auch normiert werden, ist allerdings für einen Erklärungsraum zum Textverstehen in der Fremdsprache problematisch, da Störungen, die auf dieser Ebene stattfinden, nicht lokalisiert und damit unspezifiziert ins Weltwissen ver­ schoben werden. Um eine differenziertere Sicht auf die Aktivierung der Wissens­ bestände in Verbindung mit den zeichentheoretischen Überlegungen zu erhal­ ten, wird daher im Rahmen dieser Arbeit diese Ebene in das TWM integriert. Sie stellt damit die notwendige Vermittlungsebene zum kommunikativen Haushalt der jeweiligen Sprechergemeinschaft dar, die Validierungen und epistemische Einschätzungen erst ermöglicht, da es für einen gelingenden Textverstehenspro­ zess im Sprachenunterricht zentral scheint, diese Ebenen zusammenzuführen, um tatsächlich höhergeordnete Ziele wie Partizipation und interkulturelles Ver­ stehen zu ermöglichen. Heinemann plädiert daher dafür, den Diskursbegriff im Rahmen des Deutsch­ unterrichts einzuführen und entwirft für eine Textdidaktik, deren Ausgangspunkt die Hypothese bildet, Textrezeption hänge stark vom kollektiven Gedächtnis der jeweiligen Diskursgemeinschaft ab (Heinemann 2006a, 40). Es sei, so Hei­ nemann, von essentieller Bedeutung, dass die Leser sich der Tatsache bewusst seien, dass ihre Konzeptualisierungsprozesse in hohem Maße präfiguriert seien (Heinemann 2006a, 40). Dies führt zurück auf die Definition von frames als Wis­ sensrahmen, wie sie für die vorliegende Arbeit im Rückgriff auf Fillmore, Blank und Busse erfolgte: Unsere Konzeptualisierungen sind abhängig vom jeweiligen

2.2 Text, Textbedeutung und Textverstehen 

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tradierten epistemischen Wissen der Diskursgemeinschaft, in der wir uns befin­ den und deren Wissenskollektiv unsere Wahrnehmung mitdeterminiert. Diese Feststellung rekurriert dabei auf den Diskursbegriff bei Foucault, der in der Sichtbarmachung der Diskurse gleichermaßen die Aufdeckung der Konnexionen zwischen Texten und gesellschaftlichen Konfigurationen versteht. Es erscheint daher unabdingbar, den Textverstehensprozess als einen komplexen Prozess zu modellieren, in den sowohl Prozesse der Kohärenzetablierung als auch Prozesse der Textsinnkonstruktion sowie diskursive Prozesse zu integrieren sind. Bereits bei der Aktivierung der Wissensrahmen durch den sprachlichen Input werden diskursive Verfasstheiten mitevoziert und wirken auf die Bedeutungszuweisun­ gen ein, weshalb sie als strukturgebende Größen in Bezug auf unser Wissen defi­ niert werden müssen. Dabei sind Diskurse nicht nur in ihrer historischen Dimen­ sion zu sehen, sondern auch als Einflussgröße bei der Konfigurierung aktueller Phänomene, die unsere Wahrnehmung prägen. Sie sind definierbar als […] prinzipiell offene Mengen von thematisch zusammengehörenden und aufeinander bezogenen Äußerungen. Es handelt sich nicht um objektiv gegebene und streng gegenei­ nander abgegrenzte Komplexe, sondern um Zusammenhänge, die eine Kommunikations­ gemeinschaft im gesellschaftlich­historischen Prozess als geistige Ordnungsgrößen konsti­ tuiert, vor deren Hintergrund einzelne Texte produziert und rezipiert werden. Kein Text und keine Äußerung entsteht unabhängig von anderen. (Adamzik 2010, 254)

Dementsprechend können die ineinandergreifenden Prozesse für das Textver­ stehen zunächst modelliert werden als Zusammenhang von sprachlichen Daten, propositionaler und konzeptueller Ebene. Hier greifen bereits Mechanismen, die mit der diskursiv­epistemischen Ebene verknüpft sind, die wiederum, zumindest teilweise, in den Prozess der Textsinnetablierung integriert ist. Im nachfolgenden Modell wird Textverstehen somit als eine Tätigkeit beschrieben, die «sich inhalt­ lich auf mehreren Dimensionen ereignet» (Lötscher 2005, 20). Dabei können die von Lötscher angesprochenen Dimensionen mit den Bedeutungsdimensionen nach Blank (2001, 132) in Einklang gebracht werden: einzelsprachlich­lexikali­ sches Wissen, Bedeutungswissen und außersprachliches Wissen. Ziel ist, in der hier eingenommenen Perspektive die Konstruktion eines mentalen Modells zu ent­ werfen, das die Informationen symbolisch repräsentiert und in dem die verschie­ denen Ebenen, auf denen die Wissensbestände des Rezipienten mit den sprach­ lichen Zeichen interagieren, unterschieden werden können. Dabei wird auch die Ebene des Textsinns miteingebunden, die in dieser Modellierung zu der Ebene wird, auf der Textwelt, Referenzwelt und Sinnzuweisung in ihrem Organisations­ ablauf letztendlich in Einklang gebracht werden müssen. Verbunden ist sie mit der epistemisch­diskursiven Ebene und der konzeptuellen Ebene, um zu verdeut­ lichen, dass sie bereits ab der Ausbildung von Propositionen stets eine Bezugsfolie

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 2 Allgemeine Grundlagen zu Sprach- und Textverstehen

für die Verstehensprozesse bildet und das TWM somit auch in Wechselwirkung mit ihr zu sehen ist und eben nicht losgelöst von ihr konstruiert wird. Sie ist in diesem Modell in das TWM integriert (vgl. hierzu Abbildung 5). Die Zusammengehörigkeit der Ebenen soll dabei durch den gestrichelten Kreis dargestellt werden. Die Unter­ brechung der Linien zeigt aber bereits an, dass hier keine objektive Interpretation stattfindet, sondern dass jede Sinnzuweisung einen individuellen Prozess bildet, der sehr stark davon abhängig ist, wie viele Wissensstrukturen geteilt und akti­ viert werden. Damit ergibt sich ein komplexer Erklärungsraum, in dem Störungen im Organisationsablauf auf differenzierte Weise sichtbar gemacht werden können.

Top-down-Prozesse

Epistemische Ebene Diskursgemeinschaft Wissensstrukturen

Konzeptuelles Wissen und Kognitive Strategien Text-WeltModell Textsemantik/ Propositionen Frame-Aktivierung…

Bottom-up-Prozesse

Textsinn Interpretationsebene

Textebene Sprachlicher Input (Lexik, Grammatik, Syntax…)

Abbildung 5: Ein integratives Textverstehensmodell, adaptiert nach dem TWM Modell nach Schwarz-Friesel (2001) sowie dem Zeichenmodell von Blank (1997).

Ausgehend von diesem Modell eines mehrdimensionalen Erklärungsraumes soll nun im Folgenden speziell auf das Textverstehen im Fremdsprachenunterricht ein­ gegangen werden, wobei der Fokus auf möglichen Blockaden liegt, die bereits fort­ geschrittene Leser daran hindern, zur Konstruktion eines vollständigen TWM zu gelangen, da die Interaktionsprozesse zwischen den verschiedenen Ebenen nicht in ihrer Gesamtheit stattfinden. Dabei konzentriert sich die Arbeit vornehmlich auf Schwierigkeiten bei mapping­Prozessen zwischen einzelsprachlichen Bedeu­ tungsdimensionen und den einzelnen Wissensformaten auf der konzeptuellen Ebene, über die ein Instrumentarium zur differenzierten Identifizierung möglicher Problembereiche im Rahmen von Lehr­/Lernkontexten bereitgestellt werden soll.

3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht Die Sprache ist ein Labyrinth von Wegen. Du kommst von einer Seite und kennst dich aus; du kommst von einer andern zur selben Stelle, und kennst dich nicht mehr aus. (Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen)

Lange Zeit ruhte das Hauptaugenmerk der Leseforschung im Fremdsprachenun­ terricht auf der Frage, ob es Unterschiede im Leseprozesses in Bezug auf die L1 und die Zielsprache gäbe. Dabei wurden vor allem zwei Annahmen diskutiert: Zum einen ging man davon aus, dass Probleme beim Lesen in der Fremdsprache auf sprachliche Kompetenzprobleme in der Zielsprache zurückzuführen seien (vgl. Alderson 1984; Clarke 1980, zum anderen wurden auftretende Schwierigkei­ ten mit bereits in der L1 vorherrschenden Problemen, wie z. B. fehlenden Strate­ gien, begründet, was zu der Schlussfolgerung führte, dass ein erfolgreiches Lesen in einer Fremdsprache122 vor allem davon abhänge, ob es gelänge, die Lesestra­ tegien aus der L1 auf den Verstehensprozess in einer Fremdsprache zu transferie­ ren (Casanave 1988; Cummins 1980; 1991; Geva/Ryan 1993; Hudson 1982; Walter 2004; 2007).123 Im Zusammenhang mit der Annahme, dass sprachliche Kompe­ tenz ein wichtiger Faktor für einen gelingenden Leseprozess sei, wurden in der Folge zwei Hypothesen formuliert: die Schwellen­ und die Interdependenzhy­ pothese. Die sprachliche Schwellenhypothese (Linguistic Threshold Hypothesis) geht dabei davon aus, dass ein erfolgreicher Leseprozesses vom Erreichen eines bestimmten Kompetenzniveaus in der Zielsprache (Schwelle) abhängig ist, damit 122 Der Begriff Fremdsprache wird hier ausschließlich dann verwendet, wenn auf gesteuerte Lern­ kontexte Bezug genommen wird. Für alle anderen Erwerbskontexte wird der Begriff L2 verwendet, wobei L2 hier als Oberbegriff für L2, L3, L4…Ln­Erwerb benutzt und erst im Rahmen der Studienergeb­ nisse differenziert wird. Der Begriff L2 wird allerdings dann für gesteuerte Kontexte genutzt, wenn z. B. die Reihung der Sprachen in den Blick genommen wird und eine Differenzierung nötig ist. Um den gesteuerten Kontext zu kennzeichnen, wird dann allerdings der Ausdruck L2­Lerner verwendet, um eine Differenzierung zwischen L2­Sprechern (ungesteuerte Kontexte) und L2­Lernern (gesteuerte Kontexte) zu ermöglichen. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Grenze zwischen diesen Kontextunterscheidungen keine scharf gezogene ist: Durch die zunehmenden Möglichkeiten auch über digitale Formate an einer Form des „Online­Fremdsprachenunterrrichts“ teilzunehmen, bei der oftmals vordergründig nur die Präsenz einer Lehrperson zu fehlen scheint, verwischt die Unter­ scheidung mehr und mehr. Da es hier aber gezielt um Fremdsprachenunterricht in der traditionellen Klassenzimmersituation geht, ist sie im Rahmen dieser Arbeit weiterhin sinnvoll. 123 Vgl.  zu dieser Diskussion in detaillierter Form v. a. Ehlers (1998). Vgl.  zu einem konzisen Überblick Kaiser/Peyer (2011, 98–104). https://doi.org/10.1515/9783110685442-003

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 3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht

Lesestrategien aus der L1 überhaupt auf Leseprozesse in der Zielsprache über­ tragen werden können (Alderson 1984).124 Dagegen geht die sprachliche Inter­ dependenzhypothese (Linguistic Interdepence Hypothesis) davon aus, dass die Lesekompetenz aus der L1 von Beginn an auf Leseprozesse in einer Fremdsprache übertragen werden könnte (vgl. Cummins 1991), woraus sich schlussfolgern lässt, dass schwache Leser in der L1 vermutlich auch in der Fremdsprache schwache Leser bleiben werden, starke Leser dagegen auch unter fremdsprachlichen Bedin­ gungen erfolgreich lesen.125 Die empirischen Arbeiten in diesem Bereich deuten darauf hin, dass beide Theorien in Teilen Gültigkeit besitzen (Reitbauer 2000, 16). Allerdings scheint der Einfluss des Kompetenzniveaus in der Zielsprache zumin­ dest für die Ebene des Leseverstehens, wie sie eingangs definiert wurde, bedeut­ samer zu sein, als die Übertragung von Lesestrategien aus der L1.126 In dieser Perspektive wird die Rolle der sprachlichen Kompetenz neuerdings verstärkt für Studien im Rahmen von Tertiärspracherwerb und Mehrsprachigkeit disku­ tiert,127 wobei allerdings festzustellen ist, dass der Fokus dabei auf der Verarbei­ tung grammatikalisch­syntaktischer Strukturen liegt, und damit auf der Ebene des Leseverstehens (Dekodierung) und nicht auf der Ebene des Textverstehens, worauf Manno deutlich hinweist: «[…] Es muss jedoch erwähnt werden, dass es hier nicht um das Leseverständnis im eigentlichen Sinn geht, sondern eher um

124 Vgl. zu einer Diskussion der Schwellentheorie für den L2­Erwerb im allgemeinen Hulstijn (2015). Vgl.  für eine Interpretation von Leseprozessen im Englischen als Fremdsprache z. B. Nold/Rossa/Chatzivassiliadou (2008). Vgl. zu einer Diskussion beider Theorien z. B. Reitbauer (2000, 15–17); im Hinblick auf Leseprozesse für Französisch als L2 bzw. L3 in der Primarstufe vgl. Manno (2017). 125 Vgl. zu einem detaillierten Überblick über die unterschiedlichen Aspekte und Forschungs­ richtungen in Bezug auf das Lesen in einer L2 Eskey (2005). 126 Vgl. ausführlich zu einer Diskussion der beiden Hypothesen mit Blick auf das Leseverstehen in der Fremdsprache Kaiser/Peyer (2011, 13–27). 127 Vgl. hierzu z. B. die Arbeiten von Berthele, Kaiser und Peyer (Kaiser/Peyer 2011; Kaiser/Peyer/ Berthele 2010 a, b), die gezielt den Einfluss von Transferleistungen aus der L1 in eine Fremd­ sprache bei mehrsprachigen Sprechern untersuchen, wobei der Fokus auf kontrastiven und si­ milären grammatischen und syntaktischen Strukturen sowie Mehrsprachigkeitsstrategien beim Dekodieren (Leseverstehen) liegt. In diesem Bereich zeigte sich für die Leseverstehensleistung ein positiver Effekt von Mehrsprachigkeitsstrategien. Vgl. zu einer Kritik an der Konzentration auf die Verarbeitung von grammatikalischen Strukturen als Indikator für Verstehensprozesse Pavlenko (2000; 2009b). Allerdings, und dies sei betont, können ohne gute Dekodierfähigkeiten auf der Ebene des Leseverstehens meist erst gar keine Verstehensprozesse auf der Ebene des Textverstehens ansetzen. Daher sind Einblicke, wo Schwierigkeiten auf dieser Ebene liegen, von unschätzbarem Wert für Untersuchungen der Textverstehensebene, da diese auch auf Probleme der Kategorie ‚Text‘ im Unterricht verweisen, wie z. B. Defizite in der Konfrontation der Lerner mit distanzsprachlichen Texten etc.

3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht 

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die Dekodierung und das Verstehen von grammatikalischen Strukturen auf Satz­ ebene» (Manno 2017, 142). In der Metaanalyse von Jeon und Yamashita zu den Studien in diesem Bereich ergab sich ein recht klares Bild, dass die Performanzfaktoren, die den Leseprozess in einer Fremdsprache beeinflussen, tatsächlich in Abhängigkeit vom jeweiligen Sprachniveau in der Zielsprache und der Lesefähigkeit in der L1 zu sehen sind (vgl.  Jeon/Yamashita 2014). So zeigte sich, dass ein gelingender Leseprozess vor allem von Faktoren abhängt, die bereits in der fremdsprachlichen Kompetenz eine Rolle spielen und dann dementsprechend eine hohe positive Korrelation hinsicht­ lich des Leseverstehens aufweisen: Die höchste Korrelation wies dabei die Fähig­ keit zur Dekodierung in einer Fremdsprache auf, gefolgt von lexikalischem und grammatikalischem Wissen. Wesentlichen Einfluss zeigte allerdings auch die Lese­ kompetenz aus der L1: So bestätigte sich die bereits erwähnte Annahme, dass gute Leser in der L1 auch dazu tendieren, gute Ergebnisse in Bezug auf die Lesekompe­ tenz in einer Fremdsprache zu erreichen, was die Interdependenzhypothese stützt. Als weniger relevant stellten sich Faktoren wie phonologisches Bewusstsein in einer Fremdsprache, orthographische und morphologische Kompetenz, Hörverste­ henskompetenz sowie Metakognition oder Belastbarkeit des Arbeitsgedächtnisses heraus.128 Diese Ergebnisse müssen allerdings relativiert werden, da, wie bereits dargelegt wurde, im Lese­ und Verstehensprozess auch außersprachliche Wissens­ bestände sowie die Kontextualisierung eine erhebliche Rolle spielen. Das Fehlen dieser Faktoren im Rahmen der untersuchten Studien kann möglicherweise damit erklärt werden, dass der Fokus innerhalb der Leseforschung überwiegend auf Fragen beruhte, die den Erstleseerwerb betreffen und daher die deutliche Mehrzahl der Probanden meist aus der Primarstufe stammt, was die Testung von Vorwissen und kognitiver Reifung als Performanzfaktoren erschwert und die Untersuchungen daher vor allem auf der Ebene des Leseverstehens verblieben: «Studies into predic­ tors of reading comprehension have long focused on primary schoolers, whereas the scientific interest in adolescents was scarce» (Van Steensel et al. 2014, 1). Für Forschungsarbeiten, die stärker die Ebene des Textverstehens in den Blick nahmen, wurde dementsprechend eher auf die Interdependenzhypothese und deren Annahmen rekurriert. Dabei wurden Fragen nach der Etablierung

128 Dieses Ergebnis wirkt erstaunlich angesichts der Tatsache, dass Leser im Leseprozess den graphischen Input auch in phonologische Information transferieren. Die Autoren weisen aber darauf hin, dass der Dekodierprozess als eigener Faktor gewertet wurde, das heißt, dieser Trans­ ferprozess ist bereits impliziert. Dies erklärt auch den niedrigen Faktor in Bezug auf das Arbeits­ gedächtnis (vgl. Jeon/Yamashita 2014). Die vorliegende Arbeit übernimmt, wie bereits erläutert, diese Trennung zwischen einem Dekodierprozess (Leseverstehen) und einem Textverarbeitungs­ und ­verstehensprozess.

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eines mentalen Modells wie auch nach der Rolle des Vorwissens in den Fokus des Verstehensprozesses gerückt (Walter 2004; 2007). Hierbei wurde betont, dass es beim Textverstehen nicht darum gehe, Texte Satz für Satz zu dekodieren, wie es für Lerner mit einem niedrigen Niveau in der Zielsprache (low proficiency), beob­ achtet werden kann (Walter 2004). Diese erreichen in der Folge meist nur geringe Verstehensleistungen im Hinblick auf ein globales Textverstehen, was bedeu­ tet, dass eine Konstitution von Textsinn nicht stattfindet (Kaiser/Peyer 2011, 98; Walter 2004; 2007). Walter verweist darauf, dass es sich dabei weniger um eine zu erbringende Transferleistung handelt, sondern vielmehr darum, dass Lerner beim Lesen in einer Fremdsprache Zugang zu ihren, für die Lesefertigkeit in der L1 bereits ausgebildeten Lesefähigkeiten erhielten, womit sie den Blick stärker auf den Strategieneinsatz und allgemeine kognitive Fähigkeiten des Verstehens lenkt (Walter 2007, 15).129 Dieser Ansatz und seine Bedeutung für eine Sinnkonsti­ tution soll im Folgenden für das Textverstehen genauer erläutert werden. Bislang wurde der Lese­ und Textverstehensprozess als ein mehrdimensio­ naler Verstehensprozess stets aus der Perspektive eines L1­Sprechers betrach­ tet, der Texte in eben dieser L1 rezipiert. Dabei wurde dieser Prozess definiert als Fähigkeit, textdatengeleitete Informationen mit solchen aus dem LZG zu kombinieren, Texte aufgrund kontextueller Faktoren adäquat einzuordnen und dementsprechend Erwartungshaltungen aufzubauen sowie Evaluationsprozesse vorzunehmen. Weiterhin beruht der Verstehensprozess darauf, dass der Rezi­ pient in der Interaktion zwischen Text­Leser­Welt unpassende Inferenzen und Aktivierungsprozesse selegieren und hemmen kann und so zur Etablierung einer konzeptuellen Kontinuität und damit auch zur Konstruktion eines Text­Welt­ Modells gelangt, das dann die Grundlage für weitere, kontrollierte, interpreta­ tive Vorgänge bildet, die dem Rezipienten eine Deutung des Textsinnes ermög­ lichen können. Ein solchermaßen modellierter Textverstehensprozess bewirkt rezipientenseitig einen doppelten Effekt: Er kann den Rezipienten hinsichtlich seines textuellen Verhaltens beeinflussen, d. h., erwirbt der Rezipient beispiels­ weise spezifisches Textsortenwissen, so kann er dieses sowohl in produktiven als auch in rezeptiven Prozessen anwenden, da er die mentale Repräsentation in der jeweiligen Situation aktivieren und für sich nutzbar machen kann. Dies steht in Verbindung mit dem zweiten Effekt, der den erstgenannten quasi bedingt: Über den Textverstehensprozess kommt es zu einer Modifizierung der Wissenformate im LZG, was bedeutet, dass Lernprozesse im Sinne von Wissenszuwachs statt­ 129 Walter verweist dabei aber auch auf das Problem der kognitiven Aufmerksamkeit: Sowohl für das Leseverstehen in der L1 als auch in einer L2 gilt, dass bei einer niedrigen Lesekompetenz, die Dekodierprozesse bereits so viel kognitive Arbeitsleistung in Anspruch nehmen, dass keine Aufmerksamkeit mehr auf ein Textverstehen gelenkt werden kann (Walter 2007, 15–16).

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finden, die künftig Auswirkungen auf Problemlösehandlungen haben können.130 In diesem Sinne kann ein vollständiges Textverstehen in der Fremdsprache erst dann angenommen werden, wenn diese Effekte beobachtbar sind. Aus kognitiver Sicht beinhaltet der Textverstehensprozess bereits auf der Ebene der Konstruktion eines Text­Welt­Modells mehrere Interaktionsprozesse, die ineinandergreifen: Zunächst die Interaktion zwischen Text und Leser, bei der es zu einer Fusion der Textdaten mit dem Vorwissen des Lesers kommt, bei der allerdings Evaluierungsprozesse dafür sorgen, dass die richtigen Elaborationen und Inferenzen stattfinden. Bereits dieser Evaluierungsprozess ist gekennzeich­ net durch den Einfluss externaler Bedeutungsfaktoren, wie beispielsweise dem Kontext und der Integration epistemischer Einschätzungen. Ebenfalls ist das kon­ zeptuelle System, das heißt die Netzwerke, die während des Lese­ und Textver­ stehensprozesses aktiviert werden, geprägt durch sozio­kulturelle und historische Implikationen. Die Organisation dieser Prozesse (Propositionsaufbau, Konstruk­ tion TWM, Evaluierung, Modifizierung) läuft in der L1 automatisch und größten­ teils unbewusst ab. Dabei ist wichtig, dass neben der Sprachverarbeitung auch allgemeine kognitive Verstehensprozesse ablaufen müssen, die für geübte Leser in der L1 vorausgesetzt werden können und auf die gute Leser auch in einer Fremd­ sprache zurückgreifen können sollten (vgl. Gernsbacher 1995; 1997; Walter 2007): 1. Die Grundstruktur für die Etablierung eines mentalen Modells muss angelegt werden. 2. Es muss zu mapping­ und Integrationsprozessen der neuen Informationen in bestehende Wissenrahmen kommen. 3. Bestehende Wissensrahmen bzw. mentale Modelle müssen entsprechend modifiziert und neu strukturiert werden. Diese Prozesse laufen unbewusst und automatisch ab und führen in der Konse­ quenz zu einer Form der Text­ und Wissensverarbeitung, die als Lernprozess defi­ niert wurde und die letztendlich als Ziel des Textverstehensprozesses Teilhabe an den Wissenstrukturen einer Gesellschaft anvisiert.131 130 Christmann (2006) geht beispielsweise davon aus, dass ein gelingendes Textverstehen vor allem auch davon abhängig ist, ob der Rezipient die geeigneten Problemlösestrategien einsetzen kann. Sie interpretiert Textverstehen als eine Verkettung von Problemlösehandlungen, vor allem im Hinblick auf narrative Texte. 131 Vgl. hierzu grundlegend die Arbeiten Gernsbachers, der diese drei Prozesse im Sinne eines allgemeinen kognitiven Verstehensprozesses definiert, die dann die Grundlage für spezifische Verstehensprozesse, wie z. B. Sprachverarbeitung, bilden. Die Hauptaussage seiner Arbeiten ist, dass der Aufbau dieser Grundstrukturen stets die Bedingung für Verstehensprozesse bildet und es ohne diese Grundstruktur nicht zu einem integrativen Verstehen kommen kann (Structure Building Framework), vgl. Gernsbacher (1995; 1997), Gernsbacher et al. (2004). Dies führte u. a.

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Das Ergebnis eines solchen Leseprozesses (Wissenszuwachs und Teilhabe) entspräche denn auch den Forderungen, die das literacy­Konzept im Hinblick auf ein erfolgreiches Lese­ und Textverstehen etabliert und das die PISA­Studien ihren Tests zur Lesekompetenz unterlegt, nämlich Sinnzusammenhänge – auch inter­ textuell – erkennen, einordnen und nutzbar machen zu können und das in dieser Form auch auf Lesekontexte im Fremdsprachenunterricht übertragen werden sollte. Denn der Textverstehensprozess ermöglicht in dieser Konzeptionierung gesellschaftliche Partizipation nicht nur in Bezug auf eine gelingende Kommuni­ kation, sondern auch in Bezug auf ein analytisches Verstehen der gesellschaftli­ chen Konstellationen in ihrer sozio­historischen wie kulturellen Dimension: Reading literacy focuses on the ability of students to use written information in real­life situations. PISA defines reading literacy as understanding, using, reflecting on and enga­ ging with written texts, in order to achieve one’s goals, to develop one’s knowledge and potential, and to participate in society (OECD, 2009). This definition goes beyond the tradi­ tional notion of decoding information and literal interpretation of what is written towards more applied tasks. PISA’s conception of reading literacy encompasses the range of situa­ tions in which people read, the different ways written texts are presented through different media, and the variety of ways that readers approach and use texts, from the functional and finite, such as finding a particular piece of practical information, to the deep and far­rea­ ching, such as understanding other ways of doing, thinking and being. (OECD 2014, 178)

Der gute Leser erscheint vor diesem Hintergrund zunächst als ein «guter Infor­ mationsverarbeiter» (Costa 2010, 22). Allerdings verweist die Konzeption des literacy­Konzeptes dezidiert auf die Herausforderung, auf die ein Textrezipient in einer Fremdsprache in der Regel unweigerlich stoßen wird: Die Kenntnis eines zumindest teilweise fremden kulturellen Backgrounds, in dem geregeltes Verste­ hen über andere Diskursformationen und Wissensrahmen präfiguriert ist und das somit auf einer anderen epistemischen Ebene zu verorten ist («understan­ ding other ways of doing, thinking and being»). Das heißt im Umkehrschluss, dass auch das außersprachliche konzeptuelle Wissen beim mapping­Prozess zwi­ schen (einzel)sprachlichem und außersprachlichem konzeptuellem Bedeutungs­ wissen die passenden Konzepte bereitstellen können muss, um eine reibungslose Organisation des Verstehensprozesses zu gewährleisten.132

zu einer stärkeren Berücksichtigung des Vorwissens in der Textverstehensforschung; vgl. hierzu für die L1 z. B. Adams/Bell/Perfetti (1995). Besondere Berücksichtigung findet das Zusammen­ spiel Vorwissen und Textverstehen neuerdings auch in Untersuchungen zur Rezeption von Fach­ sprache in den Naturwissenschaften; vgl. z. B. Rous (2016); Schmitz (2016); Schmitz et al. (2016). 132 Die Rolle des kulturellen (Vor)wissens wurde für das Textverstehen bereits verschiedentlich untersucht, vgl. z. B. Droop/Verhoeven (1998); Wurr (2003).

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Die Bedeutung dieses sozio­kulturell gebundenen Wissens für den Textver­ stehensprozess in der Fremdsprache, der ein solcher Wechsel der epistemischen Wissensebene beizumessen ist, ist durchaus essentiell, wie van Dijk betont. Denn die epistemischen Implikationen und Präfigurierungen, die Texten innewoh­ nen und die wir nahezu automatisch beim Lesen inferieren, gehören zu einem Wissen, das wir innerhalb einer Sprachgemeinschaft erwerben und das tradiert wird. Wir müssen also den kommunikativen Haushalt einer Gesellschaft zumin­ dest in Ansätzen kennen, um Propositionen auf der Textebene analysieren und evaluieren zu können: «Knowledge is acquired, shared and used by people in interaction, as well as by groups, institutions and organizations. […] It is this social nature of shared knowledge that defines presupposition and that allows discourse to be understandable […]» (van Dijk 2003, 86). Das bedeutet, dass Leser in einer Fremdsprache, wollen sie zu einem «guten Leser» werden, in Bezug auf die Informationsverarbeitung mehrere Transfer­ und Wechselprozesse zu bewältigen haben: 1. Den Transfer in die Zielsprache: Hier müssen Verarbeitungsprozesse des grammatikalisch­syntaktischen und lexikalischen Inputs geleistet werden. 2. Den Transfer der kognitiven Verarbeitungsfähigkeiten, gemeint sind hier v. a. Elaborations­ und Inferenzfähigkeiten. 3. Den Wechsel innerhalb einer epistemisch geprägten Kultur­ und Diskursge­ meinschaft.133 Diese drei Transfer­ bzw. Wechselebenen gilt es im Fremdsprachenunterricht im Blick zu haben, wenn man die Lerner dabei unterstützen will, auch in der L2 zu einem «guten Leser» zu werden. Dabei versteht es sich von selbst, dass die Pro­ gression hierbei in hohem Maße von der Progression der sprachlichen Kompetenz abhängt. Bei Niveau A1 und A2 wird vor allem die erste Transferebene im Fokus stehen müssen, da noch nicht davon ausgegangen werden kann, v. a. in Bezug auf A1, dass die Dekodierprozesse bereits vollständig automatisiert sind, so dass der Verstehensprozess hier vermutlich auch wegen phonologischer Defizite blo­ ckiert sein kann. Der Transfer im Hinblick auf die konzeptuelle Ebene sollte aber dennoch von Beginn des Fremdsprachenerwerbs (FSE) an berücksichtigt werden. Geht es doch bereits beim Wortschatzerwerb darum, dass dem signifiant auf der Ebene der Bedeutungskonstitution alle Bedeutungsebenen (einzelsprachliche 133 Vgl. zu diesen Wechselprozessen hinsichtlich der kognitiven Fähigkeiten v. a. Costa (2010, 98–103). Zur Transferkompetenz in Bezug auf die L2 vgl. v. a. Handwerker (2012). In Bezug auf die kulturelle Vorverfasstheit von Konzepten und deren Rolle für die Fremdsprachendidaktik v. a. hinsichtlich des Erwerbs interkultureller Kompetenz vgl. Altmayer (2004); Freadman (2014); Kramsch (1998).

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und außersprachliche konzeptuelle Ebene) zugeordnet werden können. Das heißt, der Lerner sollte hinsichtlich der Verbindung von Zeichen und Konzept möglichst viele kulturell gebundene Informationen und Assoziationen miter­ werben, um diese dann innerhalb des Transferprozesses auf der konzeptuellen Ebene elaborieren zu können und nicht, um es überspitzt zu formulieren, einem spanischen signifiant ein deutsches signifié nebst zugehörigem deutschen Kon­ zeptwissen zuordnen. Auch der dritte Wechsel kann von Beginn an zumindest thematisiert werden, wenn auch die sprachliche Kompetenz sowie das vorhan­ dene Weltwissen134 noch nicht ausreichend für eine Analyse dieser Bezüge mit Blick auf Sprachmaterial aus der jeweiligen Zielsprache zu sein scheinen.135 Die Rolle, die der Wortschatzerwerb für einen Fremdsprachenlerner spielt, sowie der damit verbundene Aufbau eines multilingualen mentalen Lexikons wurde mit Blick auf die zeichentheoretischen Implikationen bereits erläutert. Problemstellungen und Diskussionen, die in der Forschung im Hinblick auf die Konzeptionen eines mehrsprachigen mentalen Lexikons geführt werden, haben durchaus auch Konsequenzen für Fragen zum fremdsprachigen Textverstehen, da Störungen in der Organisation der Bedeutungszuweisung, die zunächst nur ein einzelnes Lexem bzw. eine sprachliche Struktur zu betreffen scheinen, zumeist im Textverstehensprozess reflektiert werden bzw. diesen ebenfalls stören. Anderer­ seits zeigen Studien zum Textverstehen in der Fremdsprache, dass mehrsprachige Lerner einen erheblichen Nutzen aus ihrer Mehrsprachigkeit ziehen könnten, wenn sie geeignete Interkomprehensionsstrategien, z. B. beim kontextinduzier­ ten Erschließen fremden Vokabulars nutzen und im Beispielfall auf strukturell ähnliche Lexeme in ihren Sprachen zurückgreifen würden. So erzielte Meißner 134 In Bezug auf außersprachliches Wissen muss hier auch auf die Notwendigkeit des vernetz­ ten Unterrichts verwiesen werden. So ist es für die Organisation und Strukturierung von Wissen ein erheblicher Vorteil, wenn zusammengehörige Inhalte auch parallel angeboten werden. Kon­ kret hieße dies z. B., dass im Geschichtsunterricht die Franco­Ära thematisiert werden könnte, wenn im Spanischunterricht dementsprechende Texte behandelt werden. Leider ist aber die spanische Geschichte immer noch nur wenig in der Unterrichtsrealität präsent, obwohl ja z. B. in den deutschen wie in den österreichischen Bildungsstandards zum Fach Geschichte nach­ drücklich Inhalte der europäischen Geschichte aufgelistet sind. Auch hier ist wohl der Zeitfaktor hauptverantwortlich für dieses Defizit. 135 Dabei ist natürlich anzumerken, dass in der vorliegenden Arbeit Texte in Schriftform ge­ meint sind. Anders verhält es sich z. B. im Hinblick auf das Medium Film. Hier können solche Bezüge durch die Verbindung mit dem visuellen Input durchaus schon recht früh analysiert wer­ den, vgl. hierzu die Forschungen auf dem Gebiet des Hör­Seh­Verstehens. Sass definiert dabei das Sehverstehen als fünfte Fertigkeit, deren Stellenwert erst in den letzten Jahren Eingang in die Forschungen zum FSE und seiner Didaktik gefunden hat. Hier böte sich eine ergänzende Komponente für den Entwicklungsprozess zu einem «guten Leser». Vgl. Sass (2007, 7), auch die Beiträge in dem Themenheft Fremdsprache Deutsch 36: Sehend lernen.

3.1 Das multilinguale mentale Lexikon 

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durch den Einsatz von Interkomprehensionsstrategien erstaunliche Ergebnisse bei einem Versuch, Romanistikstudierende einen Text in einer, von ihnen nicht studierten romanischen Sprache (Portugiesisch) lesen und ins Deutsche überset­ zen zu lassen (vgl. Meißner 1997). Allen Probanden gelang zumindest eine grobe Zusammenfassung bzw. Übertragung des Textes ins Deutsche, was darauf hin­ weist, dass es durchaus zu positiven Transfererscheinungen bei der Verarbeitung in einem multilingualen mentalen Lexikon kommen kann (Meißner 1997, 40). Im Hinblick auf das Textverstehen in der Fremdsprache ließe sich daraus ableiten, dass ein verstärktes Trainieren von metasprachlichen und interkomprehensiven Strategien auch förderlich für ein besseres Textverstehen ist.136 Weiterhin haben Studien ergeben, dass Vokabelwissen in der Fremdsprache ein guter Prädiktor für das Leseverstehen in der Fremdsprache ist (Laufer 1992; 1997; Nation 1993).137 Daher scheint es sinnvoll, die Modellierung des multilin­ gualen mentalen Lexikons kurz zu referieren, um im Anschluss daran Störungen bei der Organisation von Textverstehensprozessen auch vor dem Hintergrund der Mehrsprachigkeit beleuchten zu können.

3.1 Das multilinguale mentale Lexikon: Entwicklung und Strukturierung lexikalischer Einträge « […] while without grammar very little can be conveyed, without vocabulary nothing can be conveyed» (Wilkins 1972, 111–112). Dieses recht bekannte Zitat ver­ deutlicht, welche Rolle das Lexikon und damit auch der Lexikonerwerb für eine gelingende Kommunikation spielen. Es ist daher nicht erstaunlich, dass die Frage nach einem erfolgreichen Wortschatzerwerb in der Fremdsprache im Zentrum zahlreicher Arbeiten steht, die es sich vor allem zum Ziel gesetzt haben, das multi­ linguale mentale Lexikon zu untersuchen.138 Ziel ist dabei i. d. R. darzustellen, wie die Einträge im mentalen Lexikon139 modelliert werden können und wie die ein­ 136 Weitere Studien mit mehrsprachigen Probanden zeigten allerdings, dass ein automatisier­ ter und unbewusster Einsatz von Mehrsprachigkeitsstrategien nicht vorauszusetzen ist, sondern aktiv trainiert werden muss, vgl. hierzu Ender (2007); Müller­Lancé (2003a, b). 137 Dies deckt sich mit den Erkenntnissen darüber, dass sich auch in der L1 ein großes und sicheres Vokabelwissen positiv auf die Lesefähigkeit auswirkt (Perfetti/Roth 1981). Für ein ge­ lingendes Lesen in einer L2 schätzt Nation die Größe des dafür notwendigen Vokabulars auf 8.000–9.000 Wörter (Nation 2006, 70). 138 Vgl. zu einer Übersicht z. B. Neuser (2017, 5–6). 139 Vgl. grundlegend zur Konzeption des mentalen Lexikons Aitchison (2012), zur Konzeption des mentalen Lexikons vor dem Hintergrund des L2­Erwerb Singleton (1999; 2000); zur Beson­ derheit des L3­Erwerbs vgl. z. B. Szubo­Sitarek (2016).

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zelnen Komponenten der Wortbedeutungen vernetzt sind, d. h. welche Tiefe das Wortwissen zu einer lexikalischen Einheit erreicht hat.140 Es liegt auf der Hand, dass der Erwerb dieses Wissens essentiell für das Verstehen von Äußerungen in der Fremdsprache und damit auch grundlegend für ein gelingendes Textverste­ hen ist.141 Die einzelnen Komponenten, die ein sprachliches Zeichen evoziert, wurden bereits beschrieben und werden hier nur noch einmal kurz gelistet: 1. Lexikalisches Wissen auf der einzelsprachlichen Ebene (phonologisches, lexikalisches, sememisches Wissen) 2. Außersprachliches Wissen (enzyklopädisches Wissen, Konnotationen, epis­ temisch­diskursives Wissen) Diesen Ebenen können im Erwerb die entsprechenden Informationsmengen zuge­ ordnet werden, die die Lerner nach Nation im jeweiligen Eintrag in ihrem mentalen Lexikon abspeichern müssen (vgl. Nation 2001, 44–91). Dabei ergeben sich leichte Verschiebungen, da Nations Modell die einzelnen sprachlichen Ebenen nicht nach ihrer Bedeutungsfunktion ausdifferenziert, sondern die Dimensionen Form, Inhalt und Gebrauchskontext heranzieht (Nation 2001, 49). Dabei verknüpft er allerdings morphologische Informationen (Wortbildung, Analyse in lexikalische vs. gramma­ tikalische Morpheme) mit der Form, die aus linguistischer Sicht eher dem Bereich Zeicheninhalt und damit der einzelsprachlichen lexikalisch­sememischen Bedeu­ tung zuzuordnen wären. Diese Trennung zwischen den verschiedenen Bedeutungs­ dimensionen ist bei Nation unscharf (Nation 2001, 49). Über eine Verknüpfung der beiden Modelle, wie in Tabelle 2 dargestellt, lässt sich aber die Komplexität eines einzelnen Zeicheneintrags im Hinblick auf den Erwerb gut abbilden:

140 Vgl. zur Problematik des Vokabelerwerbs hinsichtlich der unterschiedlichen Komponenten im Rahmen des gesteuerten Fremdsprachenerwerbs z. B. die Arbeiten von Nation (2001; 2006; 2015), auch Schmitt (2008; 2014). 141 Vgl.  zum Anstieg der Studien zu Lexikonerwerb, Lernerbewusstsein und Leseverstehen Schluer (2017, 15). Ausgewertet wurden dabei folgende Datenbanken: ERIC (Education Resources Information Center), FIS (Fachinformationssystem Bildung) und PSYNDEX (eine Datenbank, in der die Forschungsarbeit aus dem Bereich der Psychologie seit 1977 gebündelt wird). Schluers quantitative Analyse zeigt sehr deutlich, dass die genannten Bereiche zumeist getrennt vonein­ ander betrachtet werden und nur sehr selten bis gar nicht das Zusammenspiel zwischen lexika­ lischem und konzeptuellem Wissen in seiner Relevanz für den Leseprozess in den Blick genom­ men wird (Schluer 2017, 13–16). Schluers Arbeit liefert hier ein gelungenes Beispiel für Englisch als L2, wie dieses Defizit in der Forschung zum Leseverstehen in der L2 überwunden werden kann (vgl. Schluer 2017).

3.1 Das multilinguale mentale Lexikon 

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Zeichen

Einzelsprachliche Ebene

Tabelle 2: Zuordnung der Bedeutungsdimensionen nach Blank (1997) zu den Ebenen des Wortwissens, adaptiert nach Nation (2001, 49). Zeichenausdruck Sprachliche Konzeptebene (phonologisches Wissen, graphematisches Wissen)

Form

Zeicheninhalt Sprachliche Konzeptebene (einzelsprachlichlexikalisches und einzelsprachlichsememisches Wissen

Inhalt als Morphosyntaktisches Wissen Bedeutungs- (Wortbildung, syntaktischwissen grammatikalisches Wissen etc.)

Gesprochen (Phonematische Ebene) Geschrieben (Graphematische Ebene)

Form-Bedeutungszuweisung Gebrauchswissen

Syntaktisches Musterwissen (formulae, chunks) Idiomatisches Wissen

Außersprachliche Ebene

Wissen um constraints, z. B. diasystematisches Wissen, Frequenz etc. Außersprachliches Wissen Nicht-sprachliche Konzeptebene (abstrakte Ebene)

Konnotationen und Assoziationen Enzyklopädisches Wissen (universelles, kulturelles Wissen) Epistemische Ebene (diskursives Wissen, Überzeugungswissen)

Menge der möglichen Referenten (konkrete Ebene)

In dieser Modellierung wird die Unterscheidung zwischen den Bedeutungsdi­ mensionen und den konzeptionellen Wissensformaten erneut deutlich. Die Über­ lappung zwischen den Wissensdimensionen innerhalb des konzeptuell­außer­ sprachlichen Wissens soll über die Unterbrechung der Linien dargestellt werden. Erstaunlicherweise ist die Trennung zwischen semantischem und konzeptuellem Wissen, die in zeichentheoretischen Modellen einen integralen Bestandteil bei der Komposition von Bedeutung bildet, erst in neueren Modellen zum mehrspra­ chigen Lexikon berücksichtigt worden: «The first problem identified with the

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study of concepts in bilingual memory is the continuous confusion between the semantic and conceptual levels of representation» (Pavlenko 2000, 1).142 Damit verbunden ist die Erkenntnis, dass psycholinguistische Testmethoden meist eben nur einen Teil der Bedeutungsverarbeitung erfassen können, wie z. B. durch Priming tasks, lexical decision tasks oder auch Stroop tests (vgl. Pavlenko 2000, 1–2), da diese keinen Einblick in die Verarbeitung der konzeptuellen Reprä­ sentation bieten. Die in der Folgezeit entstandenen Modelle zum mehrsprachi­ gen Lexikon und der Erwerb fremdsprachigen Wortschatzes werden seitdem ver­ stärkt unter dem Aspekt des conceptual change betrachtet, der für die Lerner eine besondere Herausforderung darstellt, da die Lerner zumindest im gesteuerten Fremdsprachenerwerb bereits über ein relativ konsolidiertes Überzeugungswis­ sen verfügen und auch die Perzeption der Welt i. d. R. meist weiterhin stark über Diskurse gesteuert wird, die über ihre L1 vermittelt werden. Zwar sind Wissens­ rahmen, die über sprachliche Zeichen evoziert werden und innerhalb derer dann die Bedeutungszuweisung abläuft, dynamisch und in Bezug auf ihre Verknüp­ fungen veränderbar – d. h. Elemente können ersetzt bzw. erweitert werden, aber dennoch scheinen einmal getroffene epistemische Einschätzungen relativ stabil zu sein. Diese Annahmen erinnern an Diskussionen, die in der Linguistik unter dem Stichwort der Sprachlichen Relativität geführt werden. Dahinter verbirgt sich die seit Herder kursierende Ansicht, dass die Wahrnehmung und Kategorisie­ rung der Welt, die selbst nicht vorstrukturiert ist, im menschlichen Denkprozess durch die jeweilige Einzelsprache und ihre Struktur entscheidend geprägt und damit zumindest teilweise sprachlich­kulturell determiniert ist (vgl. Werlen 2005, 1426).143 Am deutlichsten tritt diese Annahme in den Arbeiten Wilhelm von Hum­ boldts hervor, der das Prinzip der sprachlichen Relativität in seiner Abhandlung Über das Vergleichende Sprachstudium formuliert hatte:

142 Diese Feststellung scheint auf ein grundlegendes Problem in der Kommunikation zwischen linguistischer und fremdprachendidaktischer Forschung hinzuweisen: Sie findet im Grunde immer noch auf unzureichende Weise statt, denn dass die Unterscheidung zwischen konzep­ tueller und semantischer Ebene fundamental ist, darauf verweisen bereits Zeichenmodelle der 1970er und 1980er Jahre, die noch dem Paradigma des Strukturalismus zuzuordnen sind, vgl.  hierzu z. B. Heger (1987); Hilty (1971); Raible (1983). Zur Rolle dieser Ebenen für den Be­ deutungserwerb vgl. z. B. für den deutschsprachigen Raum Schwarz (1992). Die pessimistische Einschätzung Ågrens, dass der Austausch zwischen linguistischer Grundlagenforschung, ange­ wandter Fremdsprachenerwerbsforschung und ­unterrichtsforschung verstärkt werden müsse, scheint zumindest in dieser Hinsicht korrekt zu sein (vgl. Ågren 2017). 143 Vgl. zur Geschichte dieses Prinzips von den Anfängen der Sprachwissenschaft z. B. Gardt (1994; 1999).

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Durch die gegenseitige Abhängigkeit des Gedankens, und des Wortes von einander leuchtet es klar ein, dass die Sprachen nicht eigentlich Mittel sind, die schon erkannte Wahrheit dar­ zustellen, sondern weit mehr, die vorher unerkannte zu entdecken. Ihre Verschiedenheit ist nicht eine von Schällen und Zeichen, sondern eine Verschiedenheit der Weltansichten selbst. Hierin ist der Grund, und der letzte Zweck aller Sprachuntersuchung enthalten. Die Summe des Erkennbaren liegt, als das von dem menschlichen Geiste zu bearbeitende Feld, zwischen allen Sprachen, und unabhängig von ihnen, in der Mitte; […]. (Humboldt [1820] 1904, 27)

Während der Konsolidierungsphase der Sprachwissenschaft im 19. Jahrhundert fand das Prinzip der sprachlichen Relativität eher weniger Beachtung. Die Dis­ kussion flammte erst wieder mit den Arbeiten Benjamin Lee Whorfs und Edward Sapirs auf, von wo aus sie Eingang in verschiedene Teildisziplinen der Linguistik fand.144 Im Rahmen einer Arbeit über das Textverstehen in der Fremdsprache ist dabei vor allem die Rezeption im Bereich der Mehrsprachigkeit wie auch in Psy­ cholinguistik und kognitiver Linguistik wichtig. So wurde die Idee des sprach­ lichen Relativismus vor dem Hintergrund der Mehrsprachigkeit zunächst von Fishman dahingehend ausgedeutet, dass nicht mehr Ein­, sondern Mehrspra­ chigkeit als «Normalfall» zu werten seien (vgl. Werlen 2005, 1432). Auch konnte auf diesem Weg die Gleichwertigkeit von Minderheitensprachen betont werden. Insgesamt verhalf die Rezeption und Umdeutung der Whorfschen Annahmen in diesem soziolinguistischen Bereich kleineren und oftmals eher als minderwer­ tig wahrgenommener Kulturen zu einer Gleichstellung und Aufwertung (Werlen 2005, 1432). Von größerer Bedeutung für den Spracherwerb im Allgemeinen und der Mehrsprachigkeitsforschung im Besonderen ist aber die Umdeutung des sprachlichen Relativismusprinzips durch Slobin, der im Rahmen einer psy­ cholinguistischen Ausdeutung des sprachlichen Relativismus seine Theorie des Thinking for speaking fomulierte (Slobin 1996; 2000). Basierend auf der Annahme eines sprachlichen Relativismus nimmt Slobin dabei an, dass Spre­ cher in der Kommunikation durch Strukturen ihrer jeweiligen Einzelsprache in ihrer Ausdrucksweise restringiert sind und somit dieselbe Botschaft jeweils auf unterschiedliche Art und Weise, in Abhängigkeit einer Sprachgemeinschaft, ver­ sprachlicht wird. Darauf beruht in einer konstruktivistischen Sicht auf Kommuni­ kation letztlich die Annahme, dass über einen bestimmten Sprachgebrauch auch die Wahrnehmung und Kategorisierung der Welt durch die Sprecher beeinflusst

144 Vgl. zu einer Übersicht der unterschiedlichen Rezeption in den verschiedenen Teildiszipli­ nen z. B. Werlen (2005).

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 3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht

werden könnte.145 In die kognitive Linguistik fand das Prinzip vor allem über die Studien Lakoffs zu Metaphern und Metonymien Eingang, in denen sie zeigten, dass diese die Denkstrukturen der Sprechergemeinschaften spiegelten (Lakoff/ Johnson 1980). Daraus resultierte die Annahme, dass Versprachlichungsprozesse die mentale Repräsentation beeinflussen und somit auch auf die konzeptuelle Organisation einwirken (Werlen 2005, 1433).146 Vorsichtig lässt sich demnach schlussfolgern, dass die zentrale Frage des sprachlichen Relativismus «[W]elchen Stellenwert hat die Verschiedenheit von Sprachen für das Denken der Individuen in einer Sprach­ und Kommunikationsgemeinschaft» (Werlen 2005, 1433) auch übertragbar ist auf Fragen bezüglich der Organisation von Verstehensprozessen im multilingualen mentalen Lexikon sowie im fremdsprachigen Textverstehen, wenn man davon ausgeht, dass die Beobachtung Lakoffs und Wehlings – «Mes­ saging is about thinking, not just language. To get language right, you have to understand the thought it conjures up» (Lakoff/Wehling 2012, 2) – zutrifft. Damit wird ein Grundproblem des Fremdsprachenerwerbs angesprochen: Wie und auf welche Weise wird dieses Beziehungsgeflecht zwischen Sprache, Welt und Kognition von den Lernern rezipiert und verarbeitet? Entscheidend ist hierbei, ob es den Lernern gelingt, konzeptuelle und semantische Repräsentati­ onen der Zielsprache in derselben Weise und Tiefe in ihrem mentalen Lexikon abzuspeichern, wie sie dies für lexikalische Elemente in ihrer jeweiligen L1 tun. Zentral scheint dabei zu sein, dass die Lerner dabei auf der konzeptuellen Ebene die Menge an möglichen Repräsentationen speichern und eben nicht nur spezifische: «A semantic or conceptual system can be considered to have an innumerable set of possible semantic components, of which any word meaning is identified with a subset or a particular pattern of activation or ‹connection weights› across the entire system» (Francis 2005, 252). Dies scheint allerdings eine semiotische Maximalanforderung für den Lerner zu beinhalten, angesichts derer die Frage gestellt werden muss, ob es überhaupt möglich ist, im Rahmen eines gesteuerten, sukzessiven Fremdsprachenerwerbs im Erwachsenenalter147

145 Vgl. hierzu beispielsweise die Diskussionen über weibliche Endungen, wie sie im Rahmen von  Genderdebatten geführt werden. Auch Diskussionen über politisch korrekte Sprachver­ wendung begründen ihre Aussagen letztlich über diese Umdeutung des sprachlichen Relativis­ musprinzips. 146 Es kann angenommen werden, dass die Einflussnahme reziprok ist, also die Wahrnehmung der Welt auch auf die Sprache zurückwirkt. 147 Die Einteilung der unterschiedlichen Erwerbsphasen erfolgt in Anlehnung an Meisel (2011, 205). Ein doppelter L1­Erwerb (zwei L1) ist danach bis zum Alter von etwa drei Jahren, ein früher Zweitspracherwerb bis zum Alter von etwa 8 Jahren und der erwachsene L2­Erwerb ab etwa 8 Jahren anzunehmen. Dies bedeutet, dass sich der Fremdsprachenerwerb im Fall des

3.1 Das multilinguale mentale Lexikon 

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Vokabular auf eine Weise zu lernen, so dass sämtliche Bedeutungsdimensionen innerhalb der mentalen Repräsentation abgespeichert werden und in Folge die entsprechenden epistemisch­diskursiv geprägten Wissensrahmen der jeweiligen kommunikativen Haushalte der betreffenden Sprachgemeinschaften aktiviert und validiert werden können. Hier scheint die Aussage Lakoffs und Wehlings in Bezug auf einmal durch bestimmte gesellschaftliche Diskurse besetzte Wissensrahmen, die zwar für die politische Rede formuliert wurden, durchaus auf den Fremdsprachenerwerb übertragbar zu sein: «Adding new language when related fundamental ideas are in place is relatively easy, but introducing new ideas and new language at the same time […] is hard. It takes a lot of repetition by a lot of people to change public discourse in any significant way» (Lakoff/Wehling 2012, 133). Übertragen auf den Lernerkontext im gesteuerten Fremdsprachenerwerb bedeutet dies, dass es den Lernern zwar möglicherweise leichtfallen wird, neue Zeichenausdrücke zu erwerben und diese zumindest teilweise mit einem passenden Zeicheninhalt  – das heißt morphologischer, grammatikalischer, syntaktischer und semantischer Information – zu verknüpfen. Ob es ihnen jedoch gelingt, in der Folge diese Ver­ bindung von Zeichenausdruck und Zeicheninhalt dann aber auch mit neuem konzeptuellem Wissen zu verknüpfen und so das Repertoire an Wissensrahmen zu erweitern, dürfte wesentlich schwieriger sein und hängt sehr stark von den Lehr­/Lernformaten ab: Diese Form der Integration erfordert eine Konfronta­ tion mit dem Lexemgebrauch in multiplen, möglichst authentischen Kontexten, wobei die einzelne Verwendung auch noch möglichst repetitiv (Frequenz) erfol­ gen sollte, was schlicht oft durch zeitliche Begrenzungen in Unterrichtskontexten unmöglich zu sein scheint. Es ist ohne Zweifel ein Verdienst der Fremdsprachenerwerbsforschung, dass die zeichentheoretischen Modellierungen mit sprachphilosophischem Hinter­ grund empirisch unterlegt wurden148 und somit gute Rückschlüsse auf die Ent­ wicklung und die Struktur des mentalen Lexikons liefern. Auch die dezidierte Einbeziehung der Mehrsprachigkeit als Möglichkeit, neue Einsichten in den Zusammenhang zwischen Sprache – Kognition – Welt unter dem Aspekt des sprachlichen Relativismus zu erhalten, liefert wertvolle Hinweise auf die Organi­ sation von Verstehensprozessen im mentalen Lexikon, für die mittlerweile zahl­ reiche Modelle zur Verfügung stehen. Allerdings werden die Schwerpunkte hin­ sichtlich der unterschiedlichen Bereiche im Verarbeitungsprozess und der damit

Spanischen im schulischen Kontext im deutschsprachigen Raum zumeist als erwachsener L3/L4­Erwerb vollzieht. 148 Für den Sprachwandel liegen allerdings korpusbasierte Studien vor; vgl. z. B. Blank (1997).

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 3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht

verbundenen Fragestellungen – gerade vor dem Hintergrund des mehrsprachi­ gen Gehirns – in diesen auch dementsprechend unterschiedlich modelliert: Currently, it is a time for researchers to use different modeling tools to investigate differ­ ent issues within bilingualism. Eventually, however, these models [gemeint sind Modelle, die entweder mit einer verteilten oder einer lokalistischen Architektur arbeiten; J.W.] must come together to generate a (semantically transparent) model that explains how two lan­ guages can be acquired, maintained, and controlled in a dynamic changing cognitive system. (Thomas/van Heuven 2005, 223)

Daher konzentrieren sich auch die folgenden Überlegungen zur Sprachverarbei­ tung und zum mentalen Lexikon auf Modelle, die in ihrer Konzeption vornehm­ lich den mapping­Prozess zwischen außersprachlichem und einzelsprachlichem konzeptuellem Wissen unter Einbeziehung der semantischen Bedeutungsdimen­ sion fokussieren und damit besonders relevant für Fragestellungen sind, die die Organisation des Verstehensprozesses beim Textverstehen betreffen. Es wurde bereits auf die bedeutsame Rolle des Lexikons bei diesen Prozessen verwiesen. Daher wird zunächst ein Modell der Sprachproduktion genauer dargestellt, das quasi die Grundidee für die Annahme bildete, dass das Lexikon in den Prozessen dominant sei.

3.1.1 Levelts Blueprint und die Betonung des Lexikons Den Ausgangspunkt für Modellierungen der Sprachverarbeitung im mentalen Lexikon bildet in Studien zur lexikalischen Sprachverarbeitung zumeist das Blueprint­Modell von Levelt (1989), in dem die Sprachproduktion und ­rezeption dargestellt werden, allerdings in Bezug auf gesprochene Sprache und monolingu­ ale Sprecher. Levelts Modell (siehe Abbildung 6) unterscheidet zwischen dekla­ rativem und prozeduralem Wissen als Formen des LZG, wobei das deklarative Wissen Weltwissen, situationales, diskursives und lexikalisches Wissen beinhal­ tet. Dem prozeduralen Wissen werden in der Konsequenz als Verarbeitungsebe­ nen die Konzeptualisierungs­, Formulierungs­, Artikulations­, Auditionsebene und das Sprachverständnissystem zugeordnet (vgl. Levelt 1989; 1999).

3.1 Das multilinguale mentale Lexikon 

CONCEPTUALIZER

 105

discourse model situation knowledge encyclopedia etc.

message generation monitoring

parsed speech

FORMULATOR grammatical encoding

LEXICON

SPEECHCOMPREHENSION SYSTEM

lemmas

surface structure

forms

phonological encoding phonetic plan (internal speech

phonetic string

ARTICULATOR

AUDITION overt speech

Abbildung 6: Sprachproduktionsmodell nach Levelt (Levelt 1989: 9; eigene Darstellung).

Ausgangspunkt der Sprachproduktion bildet in Levelts Modell149 die Konzep­ tualisierungsebene. Über die unterbrochene Linie soll dabei darauf verwiesen werden, dass der gesamte Sprachproduktionsprozess vor dem Hintergrund des konzeptuellen Wissens abläuft, der Sprecher also ständig darauf rekurriert. Auf dieser Ebene entstehen als Output die Sprechabsichten als sog. präverbale Bot­ schaften, die somit bereits durch das konzeptuelle Wissen des Sprechers präfi­ guriert sind. Diese präverbalen Botschaften gilt es dann auf der nächsten Stufe zu verarbeiten, so dass es zu einer konkreten Sprechäußerung kommen kann. Die Leistung, die auf der Konzeptualisierungsebene erfolgen muss, besteht in der Zuweisung von Ideen und Vorstellungen auf lexikalische Konzepte, die als sprachliches Material gespeichert sind (vgl. Levelt 1999, 87–88; auch Levelt 1989). Der Schritt der Überführung der lexikalischen Konzepte in sprachliche Struk­ turen erfolgt dann auf der Formulierungsebene, auf der der präverbalen Nachricht die nötigen phonologischen und syntaktischen Strukturen zugeordnet werden. Das bedeutet, die präverbale Nachricht durchläuft hier zwei Phasen der sprach­ 149 Levelts Modell wird hier nur in seinen Grundzügen dargestellt. Vgl. zur Gesamtdarstellung Levelt (1989; 1993; 1995; 1999). Vgl. zu einer ausführlichen und kritischen Besprechung des Mo­ dells hinsichtlich seiner Transfermöglichkeit auf multilinguale Sprecher z. B. Ender (2007).

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 3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht

lichen Enkodierung: die grammatikalische und die phonetisch­artikulatorische. Dabei erfolgt die grammatikalische Enkodierung im Modell vor der phonologi­ schen. Die über das mentale Lexikon bereitgestellten Lemmata150 werden dann mit den notwendigen syntaktischen Strukturen versehen. Dies bedeutet, dass zunächst eine abstrakte syntaktische Struktur der Nachricht erzeugt wird, die sog. Tiefenstruktur. In der phonologischen Enkodierung erfolgen dann die morpholo­ gischen und phonologischen Spezifikationen, die nötig sind, um die Tiefenstruk­ tur auf eine entsprechende Oberflächenstruktur abbilden zu können (vgl. Levelt 1999, 88), bevor die Äußerung dann auf der nächsten Ebene, der Artikulationse­ bene, in ein auditiv wahrnehmbares Sprechereignis umgewandelt wird. Auf der Artikulationsebene wird die Information an die phonetische Orga­ nisation weitergeleitet, die dafür verantwortlich ist, dass die notwendigen arti­ kulatorischen Bewegungen ausgewählt werden, damit die Nachricht phonetisch korrekt in ein Lautereignis umgewandelt werden kann. Die phonetische Enko­ dierung wird dabei allerdings noch im articulatory buffer gespeichert, da noch eine Kontrolle über die Auditions­ und die Sprachverständigungsebene erfolgt (Kontrolle von internal und overt speech) (vgl. Levelt 1999, 88). Die zentrale Schaltstelle in Levelts Modell bildet dabei das mentale Lexikon, da es «als Mediator zwischen Konzeptualisierung und grammatischer und pho­ nologischer Kodierung» (Ender 2007, 77) fungiert und somit verantwortlich für die korrekte Zuweisung der semantischen Informationen ist. Diese Funktionszu­ weisung veranlasste Levelt zu der Annahme, dass der Sprachproduktions­ und ­rezeptionsprozess über das Lexikon gesteuert wird: This means that grammatical and phonological encodings are mediated by lexical entries. The preverbal message triggers lexical items into activity. The syntactic, morphological, and phonological properties of an activated lexical item trigger, in turn, the grammatical, morphological and phonological encoding procedures underlying the generation of an utterance. (Levelt 1989, 181)

Dies bedeutet in der Konsequenz, dass ohne lexikalische Information keinerlei Sprechäußerung erfolgen kann, was in der Postulierung der Lexical Hypothesis mündete: The lexical hypothesis entails, in particular, that nothing in the speaker’s message will by itself trigger a syntactic form, such as passive or a dative construction. There must be medi­ ating lexical items, triggered by the message, which by their grammatical properties and

150 In dieser Phase findet sich auch die Erklärung für etwaige Versprecher: Bei der Aktivierung der beabsichtigten Worteinheiten im mentalen Lexikon werden auch semantisch ähnliche Be­ griffe mitaktiviert (Netzwerkaktivierung), wodurch es zu Verwechslungen in der Planung und damit zu Versprechern kommen kann.

3.1 Das multilinguale mentale Lexikon 

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their order of activation cause the Grammatical Encoder to generate a particular syntactic structure. (Levelt 1989, 181; Kursivierung wie im Original)

Diese Sichtweise scheint zunächst eine modulare Verarbeitungsweise abzubilden, da konzeptuelles, lexikalisches und grammatikalisches wie auch phonologisches Wissen getrennt voneinander verarbeitet werden. Allerdings sind Conceptualizer und Formulator als autonome Systeme modelliert, zwischen denen in Levelts Modell keine vermittelnde Instanz angenommen wird, was bedeuten würde, sie können sich gegenseitig beeinflussen und interagieren – womit eine streng modulare Konzeptionierung in der Sprachverarbeitung unterlaufen würde. Damit erweist sich auch Levelts Modell als anfällig für die Diskussion, ob eine interaktio­ nistische oder eine modulare Form des processing wahrscheinlicher ist (vgl. Sing­ leton 1999, 106–112). Vertreter einer strikt modular konzipierten Sprachverarbei­ tung plädierten daher für die Annahme eines vermittelnden Moduls zwischen Conceptualizer und Formulator (Vbl), das die Abbildung der semantischen Infor­ mation auf die unterschiedlichen Lemmata im mentalen Lexikon leisten solle (vgl. de Bot/Schreuder 1993, 193).151 Dabei erhält das Vbl­Modul eine essentielle Funktion innerhalb des Vermittlungsprozesses zwischen konzeptueller Vorstel­ lung und semantisch­lexikalischer Information: Vbl is a many­to­many mapping that maps pieces of conceptual structure to semantic representations of lemmas in the mental lexicon. This particular module is necessary, […], because the conceptual structure presents the Formulator with fragments that exceed the size of one lemma’s semantic representation. The Vbl module is responsible for cutting up the fragments in chunks that can be matched with the semantic information associated with the different lemmas in the mental lexicon. Such lemmas are characterized by three different types of information: the semantic form (SF), the argument structure (AS), and the grammatical form (GF). The SF, AS, and GF are different but nevertheless related types of information and constitute the lemma while the phonetic form (PF) belongs to the system of lexemes – a different component in the mental lexicon. (de Bot/Schreuder 1993, 195)

Diese Erweiterung des Modells würde zudem durch die Argumentation gestützt, dass über das Postulat einer solchen Vbl­Funktion auch der Verarbeitungspro­ zess in einem multilingualen Lexikon geleistet werden könne (de Bot/Schreuder 1993, 193), denn ein weiterer Problembereich in Levelts Modell ist, wie bereits

151 Die Autoren begründen ihr Postulat einer Vermittlungsinstanz über das Modell lexika­ lischer Repräsentationen nach Jackendoff (1991) sowie über die Modellierung semantischer Repräsentationen in der Zwei­Ebenen­Semantik nach Bierwisch. Ausgangspunkt ihrer Überle­ gungen bildet auch die bereits in Bierwisch/ Schreuder 1992 formulierte Kritik an der fehlenden Koppelung zwischen Conceptualizer und Formulator in Levelts Modell (vgl. Bierwisch/Schreuder 1992, 48–49).

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 3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht

erwähnt, dass dessen Blueprint for the speaker den Sprachproduktionsprozess für ein monolinguales mentales Lexikon abbildet. Statistisch kann aber davon ausgegangen werden, dass Mehrsprachigkeit im Vergleich zu Einsprachigkeit eher den Normal­, denn den Sonderfall darstellt (vgl.  z. B. Riehl 2006, 15). Die Welt wird aber in verschiedenen Sprachen auch über jeweils unterschiedliche sprachliche Strukturen lexikalisiert. Geht man nun davon aus, dass die präver­ balen Nachrichten sprachneutral sind (wie es bei Levelt der Fall ist), dann könnte die Vbl­Funktion auch als Vermittlungsinstanz zwischen verschiedenen Spra­ chen fungieren: «[…] we are forced to assume that the Vbl function is sensitive to different lexicalization patterns and somehow ‹knows› which lexicalization pattern to choose» (de Bot/Schreuder 1993, 195). De Bot und Schreuder gehen davon aus, dass die präverbale Nachricht bereits einen Hinweis (cue) auf die zu wählende Sprache enthalte, der über das jewei­ lige kommunikative setting validiert werden könne (de Bot/Schreuder 1993, 203). Damit formulieren auch sie das grundlegende Problem für mehrsprachige Spre­ cher, die nicht in allen Sprachen als high proficient gelten können: «Nonprofi­ cient speakers of a language must find a balance between the selection criteria for a given lexical element and the availability of this element. Quite often a ‹second best› solution will be chosen involving an element that does not meet all of the necessary constraints of the preverbal message» (de Bot/Schreuder 1993, 203). Daraus lässt sich folgern, dass die verschiedenen Sprachen im mentalen Modell – zumindest für den sukzessiven gesteuerten Erwerb – als kompetitive Systeme152 gesehen werden können, was eine Erklärungsbasis für die eingangs unterstellten Schwierigkeiten liefert, dass eben nicht immer das vollständige konzeptuelle Wissen auf die entsprechende semantische und lexikalische Infor­ mation des jeweiligen Zeichens abgebildet werden könne. Davon gehen auch de Bot und Schreuder aus: «Lexical elements from different languages may compete for lexicalization. Levels of activation between languages may differ to the extent that one language will win out most of the time» (de Bot/Schreuder 1993, 203). In einer solchermaßen modularen Interpretation des Leveltschen Modells würden die einzelnen Komponenten dann relativ autonom arbeiten, was aller­ dings wiederum zu der Frage führt, ob lexikalisches Wissen in der Konsequenz

152 Diese Feststellung führt direkt ins Herz der Forschung zu Transferverhalten in mehrspra­ chigen Sprechern. Fragen, wie lexikalischer Transfer für das multilinguale Gehirn modelliert werden kann, können im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht in zufriedenstellender Weise diskutiert werden. Der Blickwinkel wird hier auf Modelle und Studien verengt, die gezielt nach dem mapping­Prozess zwischen konzeptuellem und semantischem Wissen fragen. Vgl. zu einer detaillierten Darstellung des aktuellen Forschungsstands zu lexikalischem Transfer in mehr­ sprachigen Sprechern z. B. Neuser (2017).

3.1 Das multilinguale mentale Lexikon 

 109

dann auch gänzlich als deklaratives Wissen gespeichert werden kann. Diesem Vorwurf, dass Wissen dadurch als unverbunden modelliert wird, wie er vor allem im Rahmen konnektionistischer Ansätze formuliert wird, scheint allerdings bis­ weilen eine Gleichsetzung von Getrenntheit mit Unverbundenheit zugrundezu­ liegen,153 wie Singleton betont: «Perhaps the principal point to emerge from the discussion of these models is that one should not be too quick to equate distinc­ tiveness with unconnectedness» (Singleton 1999, 111). Um Sprachproduktionsprozesse auch für multilinguale Sprecher modellieren zu können, wurden in Anlehnung an Levelts Arbeiten für den L2­Erwerb Modelle entwickelt,154 die sich vor allem auf das Problem konzentrieren, wie Lerner eine holistische Bedeutungsvorstellung in Bezug auf Zeichen für verschiedene Sprach­ systeme ausbilden und speichern können und wie die Sprachsysteme interagie­ ren – eine zentrale Frage bleibt dabei immer, ob es den Sprechern gelingt, selek­ tiv auf nur ein Sprachsystem zuzugreifen.155

153 Dieses Problem wurde für die vorliegende Arbeit dahingehend gelöst, dass mit Blanks Zeichenmodell ein in dieser Hinsicht integratives Modell gewählt wurde, in dem Bedeutungs­ dimensionen und Wissensarten zwar getrennt modelliert werden, die aber nicht unverbunden nebeneinander laufen, sondern bei der Bereitstellung der vollständigen Bedeutung interagieren müssen, bzw. können. Dabei wurden semi­modulare Einheiten angenommen, die eine solche Verarbeitung möglicherweise leisten könnten und auch teilweise konnektionistisch modellier­ bar wären. Es sei allerdings noch einmal deutlich darauf hingewiesen, dass diese Modellierung keinen Anspruch auf eine Entsprechung in der Realität stellen kann und daher als eine rein theo­ retische Annäherung an das Problem der Organisation sprachlicher Verstehensprozesse gesehen werden muss. Die Modellierung versteht sich als Versuch einer Integration rein mentalistischer Modelle mit stärker gebrauchsorientierten Modellen, um den Vorwurf abzufedern, in mentalis­ tischen linguistischen Modellierungen seien «Beobachtungen über Vorgänge in den Gehirnen der Sprecher ausgeklammert» (Kochendörfer 2000, 13). Aus neurologischer Sicht sind aber The­ oriebildungen, die nur auf Verhaltensbeobachtungen und deren statistischer Analyse beruhen, ebenso problematisch, da dies eine Theorieanbindung letztlich obsolet mache (Kochendörfer 2000, 13–14). Gefordert wird daher ein «Erklärungszusammenhang» (Kochendörfer 2000, 16), der dann als Rahmen für eine Hypothesenbildung dienen kann. Einen solchen Erklärungszu­ sammenhang für die Organisation von Textverstehensprozessen in der Fremdsprache bereitzu­ stellen, ist Ziel der vorliegenden Arbeit. 154 Vgl. zu einer Übersicht zu den Vorläufern der im Rahmen dieses Teilkapitels ausführlicher besprochenen Modellen z. B. Costa (2005, 309–320). 155 Diese Diskussion ist meist in Verbindung zu sehen mit der Frage, welche Rolle Hemm­ prozesse (inhibition) bei der lexikalischen Verarbeitung im multilingualen Gehirn spielen. Die Forschungslage liefert hierzu allerdings noch kein klares Bild, eine Rolle scheint aber das Sprachkompetenzniveau zu spielen: «It may very well be that with an increase of L2 proficiency, there is a shift from reliance on inhibitory processes toward language­specific selection process­ es» (Costa 2005, 322). Daran schließt dann auch die Frage an, inwieweit man für mehrspra­ chige Sprecher die Existenz eines «input­lexicon» und eines «output­lexicon» annehmen kann

110 

 3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht

3.1.2 Das Revised Hierarchical Model und das Modified Hierarchical Model als Erklärungsräume für mapping-Prozesse zwischen konzeptueller Repräsentation und einzelsprachlich-semantischer Bedeutungsdimension Die nachfolgenden Modelle sind, im Gegensatz zu Levelts Modell, mit einer konnek­ tionistischen Vorstellung der Verstehensprozesse verbunden. Dies erlaubt ihnen auch die Fokussierung der sprachlichen Aktivierung innerhalb eines Netzwerkes, in dem die Konzepte in Strukturen organisiert sind, die hier als Wissensrahmen defi­ niert wurden. Dabei wurde bereits auf die kategorielle Verschiedenheit der Wissen­ selemente hingewiesen und auf damit jeweils spezifisch verbundenen Schwierig­ keiten bei der Organisation des Sprachverstehens. Als besondere Herausforderung wurde im Hinblick auf Lerner mit einem bereits guten bis sehr guten Sprachkom­ petenzniveau in der Zielsprache (C1) die Bedeutungszuweisung von kulturell präfi­ guriertem und diskursiv gebundenem Wissen zu (einzel)sprachlichen Zeichen, vor allem in Bezug auf die vollständige Abbildung der konzeptuellen Repräsentation auf die semantische Ebene, bestimmt. Für ein gelingendes Verstehen ist hier beson­ ders die gespeicherte Repräsentation auf der konzeptuellen Ebene von Bedeutung, für die angenommen wurde, dass diese zumindest in Teilen während des Fremd­ sprachenerwerbs L1 dominiert bleibt. Dieser Problemstellung wird in Modellen zum mehrsprachigen Gehirn auf verschiedene Weise Rechnung getragen. Eine erste Lösung bietet das Revised Hierarchical Model (RHM) (Kroll 1993; Kroll/Stewart 1994), in dem die Aktivierung der zielsprachlichen Lemmata im multilingualen Gehirn als eine Art Kontinuum modelliert wird, in dem die Domi­ nanz der L1 mit zunehmender Sprachkompetenz langsam abnimmt, wobei das Modell von einer parallelen Aktivierung der Sprachsysteme ausgeht (vgl. hierzu Abbildung 7). Dabei sind die durch die L1 aktivierten Wissensrahmen zumindest

(Christoffels/de Groot 2005, 472–474), was wiederum auf Selektions­ und weniger auf Hemm­ prozesse in Bezug auf die Sprachverarbeitung hinweisen würde. Für eine solche Annahme spre­ chen beispielsweise Untersuchungen zum Simultandolmetschen (vgl.  Christoffels/ de Groot 2005). Den Hintergrund aller Modelle bildet aber stets die Annahme, dass «word meanings are stored in memory representations that are shared between the two languages» (Christoffels/de Groot 2005, 472). Damit bleibt der mapping­Prozess zwischen konzeptueller und semantischer Ebene auch bei Sprechern mit einer sehr guten Kompetenz der zentrale Schaltpunkt in der Or­ ganisation des Verstehensprozesses. Die Verbindung zwischen zunehmender Sprachkompe­ tenz und abnehmender Aktivierung L1­gebundenen konzeptuellen Wissens konstatieren auch Kroll und Tokowicz: «[…].we reviewed evidence which suggests that during early stages of L2 acquisition, learners have limited access to concepts for second language words. With increas­ ing proficiency in L2, conceptual processing appears to become increasingly direct» (Kroll/ Tokowicz 2001, 71).

3.1 Das multilinguale mentale Lexikon 

 111

im Hintergrund immer wirksam, das Modell geht also von einer beständigen Asymmetrie zwischen konzeptueller Ebene und den einzelsprachlichen lexika­ lisch­semantischen Bedeutungsdimensionen aus. Diese Sichtweise wird auch durch die Studie von Kroll und Sundermann bestätigt, in der anhand von Inter­ ferenzstudien sprachübergreifende Einflüsse nachgewiesen werden konnten (Kroll/Sundermann 2003). lexikalische Verknüpfungen L1

konzeptuelle Verknüpfungen

L2

Konzepte

konzeptuelle Verknüpfungen

Abbildung 7: Das Revised Hierarchical Model (nach Kroll/Stewart 1994, 158; eigene Darstellung).

Das RHM integriert allerdings noch nicht die Möglichkeit einer zumindest parti­ ellen Überlappung der konzeptuellen Ebenen und kann somit die Bedingung des conceptual change für den lexikalischen Transfer nur unzureichend modellieren. Problematisch ist auch, dass das Modell die verschiedenen Wissensebenen nicht ausdifferenziert, so dass auch die konzeptuelle Ebene in ihrer Gestalt nicht fassbar wird. Wünschenswert wäre eine Unterscheidung in die einzelsprachliche konzep­ tuelle Ebene und die außersprachliche konzeptuelle Ebene, um Störungen bei den mapping­Prozessen besser identifizieren und kategorisieren zu können. Dieser Kritikpunkt wird im Modified Hierarchical Model (MHM, siehe Abbildung 8) von Pavlenko (2009a) partiell aufgefangen und dahingehend gelöst, dass es die Mög­ lichkeit bietet, das konzeptuelle Wissen als vollständig bzw. teilweise auf verschie­ densprachige items abgebildet oder als gänzlich separiert (= komplett mit dem L1­Eintrag assoziiert) zu modellieren (Pavlenko 2009a). Damit fügt sie ihrem MHM eine entscheidende Komponente hinzu, die sowohl in den Vorgängermodellen wie auch im RHM fehlen und die aber die Möglichkeit bietet, konzeptuelles und seman­ tisches Wissen im multilingualen Gehirn einerseits getrennt voneinander und in der Beziehung zur jeweilig dominanten Sprache zu betrachten, andererseits aber auch die Entwicklung einer schrittweisen Loslösung von den L1 gebundenen Wis­

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 3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht

sensrahmen und die damit verbundene Anreicherung der L2 gebundenen Wissens­ rahmen miteinbezieht. Eine Differenzierung der außersprachlichen Wissensbe­ stände erfolgt allerdings im MHM nicht, was eine Schwäche des Modells ausmacht. Lexikalische Verknüpfungen L1-Wörter

L2-Wörter

Transfer aus L1 Konzeptuelle Verknüpfungen

Transfer aus L2

L1-spezifische Kategorien

Konzeptuelle Verknüpfungen

Geteilte Kategorien L2-spezifische Kategorien

Konzeptuelle Entwicklung und Restrukturierung

Abbildung 8: Das Modified Hierarchical Model (Pavlenko 2009a, 127; eigene Darstellung).

Im Vergleich zum RHM wird hier die Aufteilung in verschiedene Stadien der Über­ lappung des konzeptuellen Wissens deutlich. Den einzelnen Sprachsystemen (Sprachwelten) sind somit auch unterschiedliche kognitive Systeme156 auf der Ebene der Konzepte (Denkwelten) zugeordnet, die ebenfalls kompetitiv model­ liert sind. Grundlegend ist dabei die Definition des Konzeptes, die Pavlenko ihrem Modell unterlegt: «I see concepts as mental representations that affect individu­ als’ immediate perception, attention and recall and allow members of specific language and culture groups to conduct identification, comprehension, inferen­ cing, and categorization along similar lines» (Pavlenko 2009b, 435). Ein wichtiges Kriterium für den Erwerb bildet dabei die konzeptuelle Äqui­ valenz (conceptual equivalence). Die verschiedenen Stadien dieser konzeptuellen Äquivalenz (völlige, teilweise und keine Übereinstimmung), auf die ein Lerner während des Erwerbs treffen kann, und die ihnen entsprechende Schwierigkeits­ stufe beschreibt Pavlenko folgendermaßen: 156 Aus Pavlenkos Modell geht allerdings nicht hervor, wie sie sich die Aktivierung der ver­ schiedenen konzeptuellen Ebenen vorstellt und wie diese untereinander vernetzt sind.

3.1 Das multilinguale mentale Lexikon 

1.

2.

3.

 113

conceptual equivalence facilitates L2 vocabulary learning through positive transfer; the main learning task in this context is the establishment of links between L2 words and already existing concepts; partial non­equivalence facilitates learning through partial overlap (positive transfer), yet also complicates it when learners assume complete equivalence and display negative transfer; the main L2 learning task in this context is conceptual restructuring; non­equivalence simultaneously complicates learning, as learners have to develop new categories, and facilitates it through the absence of competing representations; the L2 learning task here involves development of a new lin­ guistic category that allows learners to map a new word onto real­world refer­ ents; this task may be easier in the case of new objects and more challenging in the case of abstract or emotion categories (Pavlenko 2009a, 152–153).

Je nach Grad der conceptual equivalence kann also der Lerner die vorhandenen Wissensrahmen bei der Integration neuen Vokabulars nutzen. Gibt es allerdings keine Überschneidung, müssen neue Wissenselemente in die bestehenden Struk­ turen eingebaut werden, was nach Pavlenko dann dazu führt, dass die Welt der konkreten Referenten mit einer neuen sprachlich strukturierten Gedankenwelt verbunden werden kann.157 Damit beschreibt sie die eigentliche Herausforderung im Fremdsprachenerwerb dahingehend, dass Lerner im Erwerbsverlauf auf ein Level gelangen müssen, indem sie die Aktivierung L1­gebundener Wissensrahmen quasi unterdrücken (inhibition) und vollständig auf eine L2­gebundene Ebene der Wissensrahmen wechseln können – die Möglichkeit einer Selektion eines kon­ zeptuellen Systems ist im Modell zumindest angelegt, wird aber nicht diskutiert. Das Modell bietet jedoch die Möglichkeit, eine Vermittlungsinstanz wie das episte­ misch­diskursive Wissen zu integrieren, über die den Lernern der Aufbau sprach­ spezifischer Wissensrahmen gelingt, die im Hinblick auf die einzelnen items alle möglichen Repräsentationen enthalten. Dies setzt aber voraus, dass sie auch innerhalb ihrer epistemischen Einschätzungen eine gewisse Flexibilität aufwei­ sen und ebenso über diskursives Wissen in den betreffenden Sprachen verfügen.

157 Ein konkretes Beispiel aus dem Bereich der romanischen Sprachen wäre die Kategorie des Aspekts für deutschsprachige Lerner: Es handelt sich dabei um eine Kategorie, die in der Gedan­ kenwelt deutschsprachiger Lerner unbekannt ist, sie ziehen sie also nicht heran, um Zeit auszu­ drücken. Im Spanischen oder Französischen ist aber diese Kategorie Teil der sprachlich verfass­ ten Gedankenwelt – die Lerner müssen sie also auch als Teil dieser Gedankenwelt erwerben, um sie korrekt einsetzen zu können. Dann erst kann die Organisation von Verstehensprozessen um das Konzept Zeit ganzheitlich und korrekt verlaufen.

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 3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht

Dementsprechend muss der Erwerb von sprachlichen Zeichen als kontinuier­ liche Entwicklung modelliert werden, in dem sich die vollständigen Bedeutungs­ dimensionen schrittweise entwickeln, womit die bereits mehrfach aufgeworfene Frage verbunden ist, ob Lernern im sukzessiven und gesteuerten Fremdsprache­ nerwerb im Erwachsenenalter eine Integration des fremdsprachlichen Vokabu­ lars mit allen Bedeutungsdimensionen sowie den verknüpften Wissensformaten überhaupt möglich ist und ob es nicht wahrscheinlicher ist, selbst für gute Spre­ cher, mögliche Störungen vor allem in der Organisation des Verstehensprozesses im Moment des mapping zwischen außersprachlicher und einzelsprachlich­se­ mantischer, konzeptueller Ebene zu vermuten, weil die Repräsentationen hier noch zu spezifisch, d. h. L1­gebunden, sind. Diesem Umstand tragen z. B. auch die Studien Jiangs Rechnung, die den Verlauf des Erwerbs lexikalischen Wissens explizit für einen sukzessiven und gesteuerten Fremdsprachenerwerb im Erwach­ senenalter untersuchen (vgl.  Jiang 2000; 2004a, b). Jiangs dreistufiges Modell (siehe Abbildung 9) basiert auf der Annahme, dass Lerner bereits über ein gut aus­ gebildetes mentales Lexikon in der L1 verfügen und geht, ähnlich wie Pavlenko, davon aus, dass die zentrale Herausforderung im Erwerb in einer vollständigen Hinzunahme der mit einem fremdsprachigen Lexikoneintrag verbundenen Kon­ zepte bzw. Wissensrahmen liegt. Auch sie geht davon aus, dass die unterschied­ lichen Sprachsysteme im multilingualen mentalen Lexikon kompetitiv miteinan­ der interagieren, es also i. d. R. ein dominanteres Sprachsystem, meist das der L1, gibt und die Verarbeitung dementsprechend über inhibition läuft. Dabei ist sie allerdings hinsichtlich eines vollständigen Erwerbs wesentlich pessimistischer als Pavlenko,158 da sie davon ausgeht, dass die Lerner vor dem Hintergrund ihres bereits ausgebildeten konzeptuellen Wissens in der L1 nur wenig Anreize verspü­ ren, die etablierten Wissensrahmen mit weiteren zu verknüpfen. Jiang nimmt an, dass der Eintrag im mentalen Lexikon aus zwei Einheiten besteht, dem Lemma und dem Lexem. Das Lemma beinhaltet die Bedeutung sowie die syntaktischen Informationen, während im Lexem sowohl die morphologische als auch die phonologische Form gespeichert ist. Kritisch anzumerken ist hinsichtlich Jiangs Modellierung, dass sie keine Trennung von konzeptueller und semantischer Ebene postuliert, wodurch diese beiden Dimensionen in der Beschreibung und Modellierung des Erwerbsverlaufs nur schwierig fassbar sind. Im Modell erfolgt der Verlauf dann über verschiedene Stadien, das Wortassoziationsstadium, das L1­Lemma­Mediationsstadium und L2­Integrationsstadium, die die drei Phasen abbilden, die Lerner für einen vollständigen Erwerb durchlaufen müssen:

158 Beide gehen aber von einer grundsätzlichen Verschiedenheit zwischen L1­ und L2­Wort­ schatzerwerb aus.

3.1 Das multilinguale mentale Lexikon 

L1 Semantik L2 Phon/Orth

L1 Syntax L2 Phon/Orth

L2 Semantik

 115

L2 Syntax

L2 L2 Morphology Phon/Orth

Abbildung 9: Stadien des Wortschatzerwerbs in der L2 (Jiang 2000, 54; eigene Darstellung).

Dabei geht Jiang davon aus, dass im Wortassoziationsstadium zunächst nur die formalen Aspekte des fremdsprachlichen Wortes gespeichert werden. Die Aktivierung und Verwendung des L2­Wortes ist nur zusammen mit der Aktivie­ rung des entsprechenden Übersetzungsäquivalents aus der L1 möglich (vgl. Jiang 2000, 50–51; Jiang 2004b, 418). In einem zweiten Schritt, während des L1­Lem­ ma­Mediationsstadiums, erfolgt dann ein semantischer Transfer aus der L1 in die L2. Allerdings nimmt Jiang an, dass dabei nur schwache Verbindungen zwischen dem L2­Wort und der Ebene des konzeptuellen Wissens aufgebaut werden, was darauf verweist, dass sie diese Ebene zumindest implizit in getrennter Form in ihr Modell integriert hat. Das bedeutet, dass der L2­Eintrag immer noch einen hohen Anteil an semantischen, aber auch syntaktischen Informationen aus der L1 auf­ weist. Dennoch wird keine L1­Übersetzung mehr aktiviert und es kommt zu einer Steigerung der fluency innerhalb des L2­Lexikons sowie einer höheren Automati­ zität beim Abruf (vgl. Jiang 2000, 51–52; 2004b, 417). Die letzte Phase bildet dann das entscheidende Stadium ab: das L2­Integrationsstadium. Dieses ist erreicht, wenn der L2­Eintrag zur Gänze mit der jeweiligen semantischen, syntaktischen und morphologischen Information gefüllt und somit unabhängig vom Eintrag in der L1 ist. Dann erst kann es völlig automatisch abgerufen sowie in allen idioma­ tischen Kontexten verwendet werden. Jiangs Untersuchungen deuten allerdings daraufhin, dass die meisten Lerner dieses letzte Stadium nicht erreichen und es bereits im zweiten Stadium, der L1­Lemma­Mediation, zu einer Fossilisierung kommt, was bedeutet, dass die Lerner zwar die formalen Aspekte des L2­Wor­ tes, nicht aber die semantischen Informationen erworben haben und somit das L2­Wort aus semantischer Perspektive wie das L1­Wort verwenden (vgl.  Jiang 2000, Jiang 2004b, 417, 425). Basierend auf diesen Beobachtungen formulierte Jiang die sog. semantische Transferhypothese, die davon ausgeht, «that L2 words are mapped to existing meanings or concepts when such meanings are available and that the transition from mapping to existing meanings to mapping to new concepts may not occur for a majority of words, and as a result, L1 lemma medi­ ation often becomes the steady state of lexical performance» (Jiang 2004b, 419). Der Zugriff auf eine L1­gebundene konzeptuelle Ebene kann, so Jiang, kaum unterbunden werden. Unterstützend seien häufiger Sprachkontakt sowie kontex­

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 3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht

tualisierter Input, über den die Lerner zusätzliches konzeptuelles und semanti­ sches Wissen erwerben können. Jiang sieht dabei allerdings mehrere Schwierig­ keiten: Zum einen besteht die Gefahr, dass die bereits bestehende Verbindung zwischen L1­Bedeutung und L2­Form über den Input weiter verstärkt wird, da die Lerner dem Kontext oft zu wenig Beachtung schenken und auch nicht das Bedürf­ nis vorhanden ist, bestehendes Wissen mit neuen Elementen anzureichern. Zum anderen kann auch das Vorhandensein von bestehender semantischer Informa­ tion im L2­Eintrag die Einbindung neuer fremdsprachenspezifischer Bedeutungen blockieren. Der Übergang vom Stadium der L1­Lemma­Mediation in das Stadium der völligen Integration kann daher sehr lange dauern bzw. gar nicht erst erreicht werden (vgl.  Jiang 2000, 56–57).159 Die Komplexität und die Schwierigkeit einer solchen vollständigen Unterdrückung der dominanten Sprache, bzw. einer mög­ lichen Selektion eines spezifischen Sprachsystems, illustriert das Beispiel einer Sprecherin (47 Jahre) mit nahezu muttersprachlicher Kompetenz im Deutschen (C1+/C2), L1 Französisch, L2 Englisch, L3 Deutsch und L4 Spanisch. Alle Sprachen werden auf einem sehr hohen Kompetenzlevel beherrscht (mind. C1). Die Spre­ cherin lebt seit 12 Jahren in Deutschland. Während eines Gesprächs auf Deutsch, alle weiteren Gesprächspartner außer der Sprecherin haben L1 Deutsch, kommt es zu folgender Äußerung: «Mein Spanisch ist nicht mehr frisch. Ich muss es erwi­ schen.»160 Ausdrücken wollte die Sprecherin offenbar ein Konzept, das sie in ihrer L1 mit frz. rattraper verbunden hat. Neben dem Konzept erwischen kann rattraper auch das Konzept aufholen, nachholen abbilden – auf Französisch hätte der entsprechende Satz wohl «il faut que je rattrape» gelautet. Hier kam es bei der Sprecherin zu einer Störung in der Organisation des Semioseprozesses, da sie im Deutschen wohl entweder nur erwischen im Sinne von ,einfangen‘ als Entspre­ chung gespeichert hat, oder diese Entsprechung als prototypisch bei ihr abgelegt ist und somit als erste aktiviert und dann im obigen Beispiel eben falsch eingesetzt wird. Interessant ist, dass die Sprecherin, obwohl sie idiomatisch passend das Adj. frisch verwendet, nicht auf das entsprechende Verb auffrischen zurückgegrif­ fen hat – eventuell wollte sie aus stilistischen Gründen die Wiederholung vermei­ 159 Erstaunlicherweise trafen diese Beobachtungen einer Fossilisierung in der L1­Lemma­Medi­ ation auch für Lerner zu, die bereits lange im Land der Zielsprache lebten, wie die Studie Jiangs mit Probanden zeigte, deren L1 Chinesisch war und die bereits zwischen 8 und 10 Jahren Englisch als Unterrichtssprache hatten sowie mindestens ein Jahr in den USA lebten (Jiang 2004a). Die Pro­ banden mussten englische Wortpaare vervollständigen, für die es im Chinesischen immer nur ein Übersetzungsäquivalent gab. Zusätzlich mussten sie den Unterschied zwischen den englischen Wörtern erklären. Dies gelang nur in insgesamt 64% der Fälle, eine zufriedenstellende Definition wurde für keines der Wortpaare gefunden (vgl. Jiang 2004a, 113–114). Dies zeigt zwar, dass konzep­ tuelles und semantisches Wissen für die L2 aufgebaut wurde, dieses aber noch unvollständig war. 160 Beispiel aus eigener Sammlung.

3.1 Das multilinguale mentale Lexikon 

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den. Insgesamt zeigt sich hier aber, dass die L1 aktiviert und auf der konzeptuellen Ebene auch dominant war, was wiederum eher für die Annahme einer Kontrolle der Verarbeitungsprozesse über inhibition spräche, und weniger für die Möglich­ keit der spezifischen Selektion. Selbstverständlich haben einzelne Beispiele dieser Art keinerlei Aussagekraft, aber sie können zumindest die komplexen Herausfor­ derungen, denen mehrsprachige Sprecher begegnen, gut verdeutlichen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Verknüpfung der außer­ sprachlichen Ebenen mit den jeweils zugehörigen einzelsprachlichen Ebenen einen sensiblen und herausfordernden Bereich für die Fremdsprachenlerner dar­ stellt. Modelle des mehrsprachigen mentalen Lexikons gehen davon aus, dass die Dominanz der konzeptuellen Ebene der L1 bei der Wissensaktivierung innerhalb eines gesteuerten, sukzessiven Fremdsprachenerwerbs im Erwachsenenalter kaum bis gar nicht unterdrückt werden kann (Jiang 2004a, b; Pavlenko 2009b).161 Die stark epistemische Verfasstheit dieser Wissensebene führt zurück zu der Defi­ nition der Wissensrahmen, über die sich die Struktur des außersprachlichen kon­ zeptuellen Wissens beschreiben lässt. In ihnen sind sowohl enzyklopädisches Wissen als auch Konnotationen, aber eben auch epistemisch­diskursives Wissen enthalten, die auf Konzeptebene letztlich erst eine vollständige Bedeutungszu­ weisung zu einem sprachlichen Zeichen im Verstehensprozess im Hinblick auf die zielsprachliche Referenzwelt ermöglichen. Aus diesem Grund geht Pavlen­ kos Modell davon aus, dass unterschiedlichen Sprachwelten auch unterschied­ liche Gedankenwelten zugeordnet werden können, d. h. die Fremdsprachenler­ ner benötigen ebenfalls Kenntnis über die epistemischen Einschätzungen, die über die fremdsprachlichen Zeichen transportiert und über die in der jeweiligen Diskurs­ und Sprachgemeinschaft gültigen Diskursformationen geregelt werden. Dies setzte aber eine intensive Beschäftigung mit der diskursiven Struktur der fremden Kultur sowie Zugang zum kommunikativen Haushalt der jeweiligen Gesellschaft voraus. Pavlenko schließt daraus, dass Fremdspracherwerb zu einem 161 Allerdings scheint diese Schwierigkeit ebenfalls mit den spezifischen Lehr­/Lernfomaten in Zusammenhang zu stehen. So finden Poarch, Van Hell und Kroll (2015) eine hohe Aktivierung von L2­spezifischem konzeptuellem Wissen in der Aktivierung von L2­Wörtern bei niederländi­ schen Kindern im Erwerb des Englischen. Sie führen das teilweise darauf zurück, dass die Kinder nicht mehr in der klassischen «Vokabellistentradition» unterrichtet werden, sondern über eine assoziative Methode: «In this method, much less stress is placed on translating Dutch words into English via paired associate learning, which would strengthen L2 word to L1 word form connections, but more on the integration of L2 words in a meaningful context, which fosters the development of L2 word form­to­concept connections» (Poarch/Van Hell/Kroll 2015, 367). Zudem seien die Kinder einem Kontext ausgesetzt, in dem Englisch ständig präsent sei, wie z. B. in den Medien – auch dies sei förderlich für den Aufbau von L2­gebundenem konzeptuellem Wissen (Poarch/Van Hell/Kroll 2015, 367).

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 3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht

bestimmten Teil auch immer Sozialisierung ist (Pavlenko 2009b). Je nachdem, wie sehr sich die Lerner in der fremden Kultur «sozialisieren» lassen, könne demnach eine Akkulturation im Sinne einer Übernahme allgemeiner epistemi­ scher Einschätzungen erfolgen, das heißt der Wechsel der konzeptuellen Ebenen gelänge. Dies führt zur Perspektivierung des Fremdsprachenerwerbs «not as the acquisition of a new set of grammatical, lexical, and phonological forms but as a  struggle of concrete socially constituted and always situated beings to par­ ticipate in the symbolically mediated lifeworld […] of another culture» (Lantolf/ Pavlenko 2000, 155). Lantolf und Pavlenko formulieren vor diesem Hintergrund die Hypothese, dass das Erreichen eines «border crossing» zwischen den Kultu­ ren und daraus resultierender Partizipation an der fremden Kultur im Sinne einer integrativen Alteritätserfahrung durchaus auch aus linguistischer Perspektive ein legitimes und wichtiges Ziel des Fremdsprachenerwerbs sei (vgl.  zur Metapher der Partizipation Lantolf/Pavlenko 2000).162 Ohne eine Teilhabe an der Episteme und am kommunikativen Haushalt der jeweiligen Sprachgemeinschaft bliebe das notwendige Wissen im Bereich der konzeptuellen Repräsentationen unvollstän­ dig und es könne somit auch nicht zu einem ganzheitlichen Verstehen kommen, wie es als Bedingung für ein gelingendes Textverstehen im Unterschied zu einem Leseverstehen im Rahmen der vorliegenden Arbeit postuliert wurde. Textver­ stehen, das zu einer Konstitution von Sinn führt, steht und fällt demnach mit der Aufnahme kulturell gebundenen sowie epistemisch­diskursiven Wissens als Strukturelemente in die bereits gespeicherten Wissensrahmen, bzw. in der Eta­ blierung neuer Wissensrahmen. Im Rückgriff auf die Arbeiten Lakoffs und Weh­ lings für politisches framing (vgl. Lakoff/Wehling 2012) ließ sich allerdings auch feststellen, dass diese Prozesse in einem unterrichtlichen Kontext nur schwer zu leisten sind, da sie intensiven Sprachkontakt und hohe Frequenz der jeweiligen Wissenselemente sowie eine Konfrontation der einzelnen items in möglichst der gesamten Bandbreite ihrer Gebrauchskontexte fordern. Daraus lässt sich vorsichtig folgern, dass das Evozieren der richtigen Wissens­ rahmen auch für Sprecher mit einer hohen Sprachkompetenz (high-proficiency) beim 162 Lantolf und Pavlenko verweisen hierbei allerdings auf ein Problem, mit dem Forschungs­ fragen, die sich mit dieser Perspektive auf den Fremdsprachenerwerb beschäftigen, immer wie­ der konfrontiert werden: Sie werden von der scientific community nicht ernstgenommen. So be­ richten die Autoren die Reaktion eines anerkannten Kollegen aus dem SLA­Bereich auf ihren Vortrag über die Bedingung der kulturellen Partizipation, dass dieser die Relevanz ihrer Aussa­ gen durchaus anerkannte, eine Integration in das Forschungsprogramm aber für problematisch hielt, da «he/she would not be taken seriously by our colleagues» (Lantolf/Pavlenko 2000, 174). Jedoch scheint das Forschungsprogramm hier mittlerweile offener zu reagieren, wie Arbeiten be­ legen, die im Paradigma einer kulturwissenschaftlichen Linguistik anzusiedeln sind. Vgl. hierzu z. B. Kramsch (2006a, b; 2008).

3.2 Die Rolle des Texts im Unterricht 

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Textverstehen in der Fremdsprache vermutlich noch Schwierigkeiten bereiten dürfte und zu einer fehlerhaften Sinnkonstruktion bzw. Interpretation führen könnte, da sie meist nicht über dieselben diskursiven Praktiken verfügen wie die Native Speaker der jeweiligen Sprachgemeinschaft. Ebenso scheint eine prototypische Speicherung von idiomatischen Ausdrücken, wie sie z. B. in komplexen, nicht­kompositionellen Ausdrücken vorliegen können, zu Störungen im Organisationsprozess führen zu können. Die Schwierigkeiten dieser mapping­Prozesse werden im Folgenden für das Problem der prototypischen Speicherung komplexer nicht­kompositioneller Ausdrücken, für die Bedeutung mehrsprachiger Strategien beim Leseverstehen als Voraussetzung für Textverstehen sowie für die Rolle von kulturellem Wissen als not­ wendiges Vorwissen beim Textverstehen zunächst theoretisch diskutiert, um dann in einen Erklärungszusammenhang überführt zu werden, vor dessen Hintergrund Forschungsfragen in Bezug auf diese Phänomene abgeleitet werden können. Im Anschluss werden diese Forschungsfragen dann anhand empirischer Einzelstudien auf ihre Relevanz und Erklärungskraft für Störungen bei Organisationsprozessen im Rahmen des Textverstehens in der Fremdsprache untersucht. Bevor nun auf die angesprochenen Problemstellungen für die Rezipienten eingegangen wird, die den Verstehensprozess behindern können, soll zunächst noch auf die besondere Rolle des Textverstehens im Rahmen des Fremdspra­ chenunterrichts eingegangen werden, indem die Aussagen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) für Sprachen in Bezug auf Lese­ und Text­ verstehen mit dem hier zugrunde gelegten Modell in Beziehung gesetzt werden. Besonderes Augenmerk soll dabei auf die Anforderungen gelegt werden, die im GER formuliert werden und wie sich diese mit der Konzeption des Textverstehens als Wissenserwerbs­ und Partizipationsprozess in Einklang bringen lassen, so wie er im Rahmen der vorliegenden Arbeit verstanden wird.

3.2 Die Rolle des Texts im Unterricht Durch die Fokussierung der Sprachhandlungskompetenz hat der Text im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts eine immense Aufwertung erfahren: Er ist zum Dreh­ und Angelpunkt der Unterrichtspraxis geworden, worauf die Textdefini­ tion, die der GER festlegt, hinweist: «Text heißt jeder Diskurs (mündlich oder schriftlich), der sich auf einen bestimmten Lebensbereich bezieht. Texte werden während der Ausführung einer Aufgabe Anlass für Sprachaktivitäten, indem sie diese unterstützen oder sogar als Prozess oder als Produkt Ziel der Aktivitäten sind» (GER 2001, 21). Es scheint, durch die besondere Betonung der Allgegenwart von Texten werde auch dem Textverstehen im Fremdsprachenunterricht mehr Aufmerksamkeit

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 3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht

geschenkt, da Textverstehen ja sozusagen zu den lebenslang zu leistenden Aufgaben gehört, die wir zu bewältigen haben. Die genaue Lektüre des GER ergibt indessen, dass der Begriff des «Textverstehens» genau zweimal erwähnt wird (GER 2001, 143, 166). Textverstehen, so heißt es dort, spiele eine Rolle beim Lernen von «gesproche­ nen und geschriebenen Texten» (GER 2001, 143). Der bloße Kontakt mit einem Text könne schon einen Lerneffekt erzielen; das Ergebnis des Textverstehens könne aber «durch Fragen und Antworten in der L2, Multiple­Choice­Aufgaben, Zuordnungen zu Bildern usw. kontrolliert und sichergestellt» werden (GER 2001, 143). Wie dieser Ver­ stehensprozess genau ablaufen und was er beinhalten soll, ja welche Lernprozesse sich in der Auseinandersetzung mit einem Text vollziehen sollen, darüber wird letzt­ lich nichts ausgesagt. Diese fehlende Präzisierung des Begriffs «Verstehen» wird im GER selbst zum Kritikpunkt: Bei der Begründung der Beispielsskalen und Deskrip­ toren heißt es dort, die Deskriptoren für das Leseverstehen besäßen besonders hohe Stabilität (GER 2001, 212), allerdings geben die Autoren bei der Erklärung, warum die sogenannte Differential-Item­Funktion (DIF) nach Möglichkeit vernachlässigt wurde, zu bedenken, dass «muttersprachliche Lehrende den Begriff ‹Verstehen› bei fortgeschrittenen Lernenden vielleicht etwas strikter interpretierten, vor allem in Bezug auf Literatur» (GER 2001, 213). Tatsächlich deckt der «Verstehensbegriff» ein weites Spektrum an unterschiedlichen Bedeutungen ab. Gerade aber in einer Hand­ reichung für Lehrende im Sprachenunterricht sollte dieser Begriff präzise gefasst und operabel gemacht werden, soll er nicht zu einer Worthülse werden, die eben keine Hilfestellung bietet, was denn nun in der Auseinandersetzung mit Texten verstanden werden soll. Dieses Manko spiegeln auch die Deskriptoren in Bezug auf das Textverstehen, die keinerlei Aussagen darüber treffen, ob und wie Lernprozesse stattfinden sollen und die sich stattdessen auf formale Kriterien wie Textlänge, Anzahl und Schwierigkeitsgrad der Wörter oder die Textsorte beschränken: Die Komplexität von Texten wird hier auf der Textebene vornehmlich an der Text­ länge gemessen, was nun doch als ein verkürzter Blick auf Bedeutung und Bedeu­ tungskonstitution gewertet werden muss. Daneben wird immerhin das Vokabular als weitere einflussreiche Größe bestimmt. Letztlich werden aber keine greifbaren Aussagen zur Komplexität von Texten gemacht, was mit Blick auf die Lehrenden als Defizit gewertet werden muss. Verstehen scheint im GER sehr stark auf die Ebene des Dekodierens und der Wort­für­Wort­Analyse beschränkt zu werden, womit Verste­ hensprozesse im Bereich des Leseverstehens anzusiedeln sind und noch nicht auf der Ebene eines sinnstiftenden Textverstehens betrachtet werden, vgl. Tabelle 3.163

163 Vgl.  zu einer Kritik an diesem Lese­ und Textverstehensbegriff Foschi Albert (2012: 25), Thörle (2010).

3.2 Die Rolle des Texts im Unterricht 

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Tabelle 3: Beschreibung Leseverstehen allgemein (GER 2001, 74–75). Leseverstehen allgemein C2

Kann praktisch alle Arten geschriebener Texte verstehen und kritisch interpretieren (einschließlich abstrakte, strukturell komplexe oder stark umgangssprachliche literarische oder nicht-literarische Texte). Kann ein breites Spektrum langer und komplexer Texte verstehen und dabei feine stilistische Unterschiede und implizite Bedeutungen erfassen.

C1

Kann lange, komplexe Texte im Detail verstehen, auch wenn diese nicht dem eigenen Spezialgebiet angehören, sofern schwierige Passagen mehrmals gelesen werden können.

B2

Kann sehr selbstständig lesen, Lesestil und -tempo verschiedenen Texten und Zwecken anpassen und geeignete Nachschlagewerke selektiv benutzen. Verfügt über einen großen Lesewortschatz, hat aber möglicherweise Schwierigkeiten mit seltener gebrauchten Wendungen.

B1

Kann unkomplizierte Sachtexte über Themen, die mit den eigenen Interessen und Fachgebieten in Zusammenhang stehen, mit befriedigendem Verständnis lesen.

A2

Kann kurze, einfache Texte zu vertrauten konkreten Themen verstehen, in denen gängige alltags- oder berufsbezogene Sprache verwendet wird. Kann kurze, einfache Texte lesen und verstehen, die einen sehr frequenten Wortschatz und einen gewissen Anteil international bekannter Wörter enthalten.

A1

Kann sehr kurze, einfache Texte Satz für Satz lesen und verstehen, indem er/sie bekannte Namen, Wörter und einfachste Wendungen heraussucht und, wenn nötig, den Text mehrmals liest.

Auch die Deskriptoren zur Textverarbeitung bieten ein diffuses Bild bei der Bestimmung, welche Prozesse und Kompetenzen im Umgang mit Texten erwor­ ben werden und in der Produktion zur Anwendung kommen sollen: Weder das Lese­ noch das Textverstehen werden genau definiert und auch nicht zueinander in Beziehung gesetzt, so dass die Referenzskala letztlich wenig aussagekräftig bleibt, da keinerlei Dialektik zwischen Input und gewünschtem Intake zu erkennen ist. Textverarbeitung bedeutet hauptsächlich, der Lernende ist in der Lage, eine Syntheseleistung zu erbringen, sprich, er kann den Inhalt verschieden langer Texte zusammenfassen. Erst ab C2 löst sich der GER von der Inhaltswiedergabe als Anspruch und es findet sich der Hinweis auf intertextuelles Verarbeiten. Dominant ist der Anspruch, der Lernende sei in der Lage, Detailin­ formationen und Gesamtinhalt zu memorieren. Die Gedächtnisleistung wird hier, so scheint es zumindest, mit dem Verstehensprozess nahezu synonym gesetzt vgl. Tabelle 4.

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 3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht

Tabelle 4: Beschreibung Textverarbeitung (GER 2001, 98). Textverarbeitung C2

Kann Informationen aus verschiedenen Quellen zusammenfassen und die Argumente und berichteten Sachverhalte so wiedergeben, dass insgesamt eine kohärente Darstellung entsteht.

C1

Kann lange, anspruchsvolle Texte zusammenfassen.

B2

Kann ein breites Spektrum von Sachtexten und fiktiven Texten zusammenfassen und dabei die Hauptthemen und unterschiedliche Standpunkte kommentieren und diskutieren. Kann Auszüge aus Nachrichten, Interviews oder Reportagen, welche Stellungnahmen, Erörterungen und Diskussionen enthalten, zusammenfassen. Kann die Handlung und die Abfolge der Ereignisse in einem Film oder Theaterstück zusammenfassen.

B1

Kann kurze Informationen aus mehreren Quellen zusammenführen und für jemand anderen zusammenfassen. Kann kurze Textpassagen auf einfache Weise zusammenfassen, indem er/sie dabei den Wortlaut und die Anordnung des Originals benutzt.

A2

Kann im Rahmen seiner/ihrer Erfahrungen und begrenzten Kompetenz aus einem kurzen Text Schlüsselwörter, Wendungen und kurze Sätze heraussuchen und wiedergeben.

A1

Kann kurze Texte in Druckschrift oder klarer Handschrift abschreiben. Kann einzelne Wörter und kurze Texte, die in gedruckter Form vorliegen, abschreiben.

Dies deutet auf ein grundsätzliches Problem hin, auf das Busse in seiner Beschreibung einer verstehenstheoretisch reflektierten interpretativen Seman­ tik aufmerksam macht und das bereits diskutiert wurde: Obgleich das Verstehen von Texten eine essentielle Rolle im Alltagsleben spielt, werden «Phänomene des Sprachverstehens» aus sprachtheoretischen Arbeiten wie auch aus Reflexionen über den Umgang mit Texten im Fremdsprachenunterricht nahezu ausgeblen­ det (vgl. Busse 2015, 21). Busse bezeichnet diesen Mangel an Reflexion über den Verstehensbegriff als ein «verstehenstheoretisches Defizit der Linguistik» (Busse 2015, 21), ein Defizit, das sich in den Ausführungen des GER zu spiegeln scheint und das auch in weiteren Arbeiten zum Text und zum Textverstehen zu finden ist, in denen zwar der Erwerb von Textsortenwissen thematisiert wird, nicht aber, inwieweit dieses Wissen zu einem Verstehensprozess führt,164 wie er im Rahmen

164 Vgl. hierzu z. B. Thörle (2010); auch Roviró/Thörle (2011). Beide thematisieren das Problem in Bezug auf die Definition der Kategorie Text im GER sowie auch die mangelnde inhaltliche Unterfütterung der Ziele, die über Textverarbeitungsprozesse erreicht werden sollen. Allerdings bleiben die Autorinnen dann auf der Stufe des Textsortenwissens als pragmatische Form eines Wissenserwerbs stehen, der im Rezipienten bestimmte Erwartungen hervorruft. Dies ist bezo­ gen auf den Lese­ und Textverstehensprozess im Allgemeinen sicherlich ein wichtiges Kriteri­ um, weil es erklärt, dass aufgrund formaler Kriterien und bestimmter Sprechtraditionen bereits

3.2 Die Rolle des Texts im Unterricht 

 123

dieser Arbeit definiert wird: Verstehen in Bezug auf die Arbeit mit und an Texten bedeutet demnach nicht nur die Bedeutungsexplikation aufgrund der Interaktion zwischen Textdaten und Kognition, die die Ebene des TWMs konstituiert – dies zu explizieren definiert z. B. Busse als originäre Aufgabe der Linguistik (vgl.  Busse 2015) –, sondern es beinhaltet auch, auf eine Stufe der Wissensverarbeitung zu gelangen, die anschlussfähig ist für interpretative Prozesse, die zwar aus dem eigentlichen Textverstehensvorgang ausgliedert sind (hermeneutische Ebene), die aber implizit als Aufforderung zu eigenem Sprachhandeln im Umgang mit Texten immer vorhanden sind (vgl.  Busse 2015, 394–395). Interpretieren wird hierbei in Rekurs auf die hermeneutische Tradition als ein «besser verstehen» aufgefasst, das bereits auf einen «Anderen» gerichtet ist, das Textverständnis also für einen bestimmten Adressatenkreis erleichtert (Busse 2015, 399; Scherner 1984, 50). Richtet sich dieser Vorgang nur auf den Rezipienten selbst, so bezie­ hen sich sowohl Verstehens­ als auch Interpretationsprozesse zunächst nur auf die eigene Wissensbasis. Der durch die Interaktion zwischen Textdaten und Vor­ wissen gewonnene Textsinn (Ebene der Kognition) kann aber durch Hinzuziehen weiteren Wissens auf eine höhere Bedeutungsebene überführt werden, die zu einem «besseren Textverständnis» (Busse 2015, 399) führt und die dann herme­ neutische Prozesse einschließt.165 Dabei sei die Bedeutungsexplikation, so Busse, das Gebiet, das die Sprachwissenschaft zu modellieren habe, wobei sie sich dabei ihrer Grenzen aber durchaus bewusst sein müsse. Dementsprechend seien ihre Angebote hinsichtlich dieser Modellierung im Rahmen einer «interpretativen Semantik» nur als ein Mosaikstein im Rahmen einer interdisziplinär zu denken­ den Textwissenschaft zu verstehen (Busse 2015, 19). In eine ähnliche Richtung geht bereits der Vorschlag Oesterreichers, der in seine Konzeption einer Textphilologie genau diesen Gedanken integriert und eine Textwissenschaft vorschlägt, die inter­ disziplinär von Linguistik, Literatur­ und Kulturwissenschaft sowie einer sozialen Semiotik zu bespielen sei (vgl. Oesterreicher 2009, 90; auch Oesterreicher 2014). bestimmte Konzepte und Wissensrahmen evoziert werden, die den Verstehensprozess dann erleichtern. Dies ist aber kein spezifisches Kriterium für ein besseres Textverstehen im Fremd­ sprachenunterricht, da die Unterschiede sich eben meist nur auf die formale Rahmung, nicht aber auf die inhaltliche Ebene beziehen. Polemisch formuliert hieße dies, hat der Lerner entspre­ chendes Textsortenwissen bereits in der L1 erworben, so wird er einen Brief immer als Brief, ein Kochrezept immer als Kochrezept, einen explikativen Text als explikativ und einen argumentati­ ven Text als argumentativ erkennen, auch wenn der Bereich der formalen Kriterien Änderungen unterliegt. Vgl. zu einer Kritik an der Konzentration auf die äußere, nicht die inhaltliche Form Oelkers (2005, 105–106). Die Frage müsste aber vielmehr lauten, ob der Rezipient, wenn er die Textsorte erkennt, auch in der Lage ist, passend auf die Textfunktion zu reagieren. 165 Vgl. hierzu auch Schwarz­Friesel (2006), die ebenfalls eine Trennung zwischen konzeptuel­ ler Kontinuität, Textsinn und Textinterpretation postuliert.

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 3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht

Diese Überlegungen im Hinblick auf ein Textverstehen, dass tatsächlich kulturelle Partizipation ermöglicht, spielen im GER indessen wohl nur eine sehr marginale Rolle. Auch Überlegungen hinsichtlich des Lexikon­ und Bedeutungserwerbs vor dem Hintergrund des multilingualen mentalen Lexikons scheinen für den Bereich des Textverstehens nicht miteinbezogen worden zu sein, womit die Möglichkeit über Texte an fremden Kulturen zu partizipieren aus dem Blick gerät.166 Aus den Reihen der Literatur­ wie auch der Kulturdidaktik lassen sich daher bereits seit geraumer Zeit kritische Stimmen zum Umgang mit dem Medium Text im Sprachenunterricht, vor allem im Hinblick auf den Einsatz literarischer Texte vernehmen. Vehement fordert beispielsweise Hallet eine stärkere Fokussierung der kognitiven und ästhetischen Kompetenz.167 Texte ermöglichten wie kein anderes Medium ein Lernen als kulturelle Partizipation (Hallet 2012). Dies freilich ist eine Perspektive auf den Lerner­Text­Kontakt, die stark an die Idee der Bildung durch Alteritätserfahrung erinnert – ein Grundprinzip des Humboldt’schen Bil­ dungsideals. Zentral ist aber an Hallets Ausführungen, dass er im Kontakt mit Text zunächst die Möglichkeit sieht, sich Inhalte anzueignen und somit ein Primat des inhaltlichen Wissenserwerbs an Stelle der Konzentration auf münd­ liche Kommunikationskompetenz formuliert. In dieser Sichtweise wird Lernen konzipiert «as a process of becoming a member of a certain community» (Sfard 1998, 6). Dieser Forderung entspricht die hier als Bedingung für einen gelingen­ den Verstehensprozess formulierte Teilhabe am kommunikativen Haushalt der Sprachgemeinschaft bzw. ­gesellschaft. Ähnlich kritisch äußert sich Bergfelder, die die Gefahr betont, dass ein kreativer Umgang mit Literatur sowie die Entwick­ lung spezifischer Rezeptionstechniken über die nur mehr dienende Funktion, die Texte im Fremdsprachenunterricht erhalten hätten, nicht erreicht werden könne (Bergfelder 2007). Verbunden mit dieser Kritik am Umgang mit dem Medium Text ist auch eine Kritik an einem Bildungsbegriff, der, mit der einseitigen Betonung einer kommunikativen Kompetenz, die auf «Zielgruppen» und «Kurzzeitigkeit» ausgerichtet zu sein scheint (Oelkers 2005, 106), die Konzeption eines Bildungs­ begriffs, der den «Erwerb von Verstehen» ins Zentrum rückt, als nebensächlich bewertet (Oelkers 2005, 109).168 Dieser Aspekt des Bildungsbegriffs scheint jedoch im GER nur mehr eine untergeordnete Rolle zu spielen, was darauf hindeutet,

166 Vgl.  zur Forderung einer Metapher «Partizipation» im Hinblick auf Lernprozesse für den FSE z. B. Lantolf/Pavlenko (2000, 155) sowie die Ausführungen in Kapitel 2.1.4. 167 Vgl. hierzu z. B. Hallet/Noeth (2015); Hallet (2012; 2014). 168 Oelkers definiert Bildung als einen Erwerb des Verstehens, der die Lernenden befähigt, die Welt als Symbolsystem zu interpretieren. Dies setze auch voraus, dass der Lernende Hindernisse überwinden lernt, was ihn zu einer immer tieferen Reflexion führe (Oelkers 2005, 110). Lernen müsse auch Anstrengung beinhalten, eine «Konfrontation mit dem, was man nicht kann» (Oel­

3.2 Die Rolle des Texts im Unterricht 

 125

dass die Erkenntnisse der Leseforschung, die sich speziell mit dem Text­ und Leseverstehen fremdsprachiger Literatur und deren Rolle für den FSE auseinan­ dergesetzt hat und die genau diesen Verstehenserwerb reflektiert,169 im GER wie auch in den Bildungsstandards nur sehr unzureichend aufgegriffen wurde (Tesch 2010, 89).170 Ziel eines Sprachenunterrichts, der den Text und die Handlungskompetenz in den Fokus rückt, muss es aber sein, die Lernenden zu befähigen, sich in einer Welt, in der die literale Kultur einen hohen Stellenwert hat und die in ihren Sym­ bolen, Bedeutungen und Beziehungen immer komplexer wird, in Bezug auf alle Diskursräume kommunikativ erfolgreich bewegen zu können. Dies bedeutet, sie zu einem mehrdimensionalen Verstehen zu führen, das nicht nur zu einer Kom­ munikation an der Oberfläche befähigt, sondern zu einer verstehenden Analyse der «Traditionen» des Sprechens und somit zu einer kulturellen Partizipation an der (Bedeutungs)Welt des Anderen. Gelingt ein solches mehrdimensionales Verstehen den Lernern im Lesepro­ zess nicht oder nur teilweise, so ist davon auszugehen, dass Störungen in der Organisation des Verstehensprozesses auf einer der hier beschriebenen konzep­ tuellen Ebenen (Sprachebene, propositionale, konnotative, enzyklopädische, epistemisch­diskursive Ebene) stattgefunden haben und der Textwelt keine pas­ sende Referenzwelt an die Seite gestellt werden konnte, was die Konstruktion eines elaboriertes TWMs jedoch bedingt. Dieses Phänomen lässt sich auch bei fortgeschrittenen Lernern immer wieder beobachten. Um die Lern­/Lehrformate im Bereich der fremdsprachlichen Lesekompetenz zu verbessern, müssen folg­ lich die Ursachen für diese Störungen ermittelt und Strategien zu ihrer Über­ windung entwickelt werden. Dies bildet die grundlegende Fragestellung für die nachfolgenden Abschnitte. Untersucht werden diese Störungsursachen hierbei bei Lehramtsstudierenden, da deren Textkompetenz in der Forschung nur selten berücksichtigt wird (vgl. van Steensel et al. 2014). Zudem scheint es ratsam, sich auch auf die Ausbildung der künftigen Lehrer und Lehrerinnen zu konzentrieren, da deren «metareflexive Fähigkeiten der Entwicklung der Schülerkompetenzen vorgeordnet sind» (Scherner 2006, 6).

kers 2005, 106). Eine künstliche Minimierung der Schwierigkeiten drohe die Schulung des Den­ kens zu verhindern (Oelkers 2005, 110). 169 Vgl. hierzu z. B. die Arbeiten Bredellas (2002; 2010) oder auch die Beiträge in Fäcke/Wan­ gerin (2007). 170 In eine ähnliche Richtung weist auch die Forderung Heinemanns nach einer expliziten Textdidaktik, die sich dieses Defizits annimmt. Er entwirft diese allerdings für den Deutsch­ unterricht (vgl. Heinemann 2006b).

126 

 3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht

3.3 Problemstellung 3.3.1 Verstehensblockaden bei mapping-Prozessen auf die konzeptuelle (einzel)sprachlich-lexikalische Wissensebene Costa formuliert in ihrer Studie zur Rolle der lexikalischen Kompetenz von L2­ Lernern die Hypothese, der Lese­ und Textverstehensprozess hänge in erster Linie davon ab, ob die Lerner die unbekannten Wörter verstünden (Costa 2010, 26).171 Aufgrund ihrer Ergebnisse fordert sie eine stärkere Konzentration des FSU auf die Leseprozesse, die auf der Mikroebene angesiedelt sind, das heißt auf der Wort­ und Satzebene (Costa 2010, 278–279). Dies deckt sich mit der im Rahmen der vorliegenden Arbeit postulierten Prämisse, Verstehen setze zunächst auf der Textoberfläche an und syntaktisch­grammatikalische Bezüge bildeten den innersten Kern des hier unterlegten Textbegriffs, von dem ausgehend weitere Verstehensprozesse stattfinden (vgl.  Antos 1989, 14–15; Fix 2009, 106).172 Costa nimmt allerdings einen leicht verkürzten Blick auf Verstehensblockaden ein, die sich ihrer Meinung nach hauptsächlich aufgrund des fehlenden Vokabulars ergeben. Ihre Schlussfolgerung, ein unvollständiges oder nicht erreichtes Text­ verstehen resultiere aus der Tatsache, dass die Lerner dem signifiant kein signifié in der Zielsprache zuordnen können, ist dabei sicherlich auch dem Lernerniveau ihrer Probanden (A2 und B1) geschuldet und verhindert, dass die epistemisch­dis­ kursive Ebene in den Blick gerät. Daraus leitet sie ab, dass die Lerner bereits auf der Mikroebene Probleme haben, lokale Kohärenz zu etablieren, was dann in der Konsequenz zumeist auch den Aufbau globaler Kohärenz verhindere (Costa 2010: 251). Sie vermutet daher, die Ursache für Verstehensblockaden sei vorwiegend im fehlenden Vokabular zu suchen, was erklärt, dass keine Verbindung zwischen Mikro­ und Makrostruktur hergestellt werden kann (Costa 2010). Allerdings the­ matisiert sie weder kognitive Strategien der Syntaxverarbeitung, noch Aspekte des Grammatikerwerbs, sondern trennt diesen Bereich vom Lexikon ab, was zu keiner Ursachenklärung der eigentlichen Störung in der kognitiven Organisation führt. Um ein Verstehen zu skizzieren, das auf mapping­Prozessen außersprach­ licher und einzelsprachlich­lexikalischer Konzeptebene beruht, ist es zentral, die

171 Vgl. zum Zusammenhang zwischen der Größe des Vokabulars und Textverstehen auch Na­ tion (2001; 2006). 172 Vgl.  zur Modellierung der mehrdimensionalen Verstehensprozesse vor dem Hintergrund des Zusammenspiels von grammatikalischen Strukturen und Textverstehen v. a. Lötscher (2005). Lötscher sieht in der Rolle der Grammatik zwar eine dienende, aber doch essentielle Funktion: «Grammatik begrenzt zwar die Freiheit; sie begrenzt aber auch die Beliebigkeit des Verstehens […]» (Lötscher 2005, 44).

3.3 Problemstellung 

 127

Verarbeitungsprozesse zu beachten, um davon ausgehend zu erkennen, welche Strukturen den Lernern Probleme bereiten. Meist handelt es sich nicht um das Problem, eine Einzelwortbedeutung zu klären, sondern die Bedeutung eines komplexen Ausdruckes. Beobachtungen aus dem FSU legen nahe, dass Lerner gerade im Bereich komplexer, nicht­kompositioneller Ausdrücke Schwierigkeiten bei der kognitiven Verarbeitung haben, da sie sich diesen oftmals über das Kom­ positionalitätsprinzip nähern. Es gelingt ihnen in diesem Fall nicht, zu erkennen, dass die Gesamtbedeutung holistisch abgerufen werden muss, was vermutlich daran liegt, dass sie keine mentale Repräsentation der betreffenden Struktur gespeichert haben.173 Das heißt, das mapping­Problem beginnt bereits auf der einzelsprachlichen, konzeptuellen Ebene, da keine entsprechende Bedeutungs­ zuweisung über die aktivierte einzelsprachlich­semantische Bedeutungsdimen­ sion erfolgen und somit auf Konzeptebene kein passender Adressat gefunden werden kann. Die vorliegende Arbeit geht in Anlehnung an die Arbeiten von Ellis, Cadierno und Handwerker davon aus, dass der erwachsene L2­Erwerb vor allem im Bereich komplexer, nicht­kompositioneller sprachlicher Ausdrücke durch den Erwerb von Konstruktionen geprägt ist.174 Dies bedeutet, dass hier folgende Annahmen in Bezug auf den erwachsenen L2­Erwerb zugrunde gelegt werden, die auch für den Fremdsprachenerwerb Gültigkeit besitzen: 1. Spracherwerb wird als lebenslanges Lernen interpretiert. Er ist untrennbar mit kognitiven und perzeptuellen Prozessen verbunden, Sprachverarbeitung erfolgt über die Aktivierung von Gedächtnisinhalten, z. B. Wissensrahmen. 2. Die Existenz von Konstruktionen im Sinne von form-meaning-pairs wird zumindest für einen Teilbereich der sprachlichen Strukturen angenommen. 3. Spracherwerb in der Fremdsprache ist in hohem Maße gebrauchsbasiert. Frequenz, formelhafte Sequenzen und Imitationslernen spielen eine bedeu­ tende Rolle beim Fremdsprachenerwerb, vor allem auch im Hinblick auf den Erwerb von Idiomatizität. 4. Während der Fremdsprachenerwerbsprozesse etabliert der Lerner ein Konti­ nuum, in dem mehrere Stufen an Abstraktion hinsichtlich der sprachlichen Ausdrücke existieren. So kommt es neben der Speicherung von chunks auch zur Speicherung abstrakter, schematischer wie auch substantiver (gefüllter

173 Die erwähnten Beobachtungen stammen größtenteils aus Übersetzungskursen, wurden aber auch von Kollegen aus der Literaturwissenschaft bestätigt. So zeigten Lerner (Niveau C1) beispielsweise erhebliche Probleme, die Bedeutung von Ausdrücken wie poner a alguien a orillas de oder meter la pata herzuleiten, da sie die Ausdrücke nicht als Bedeutungseinheit erkannten. 174 Vgl.  hierzu z. B. Cadierno/Eskildsen (2007); Ellis (2003; 2005; 2008); Handwerker (2012; 2015).

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 3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht

bzw. teilgefüllter) Konstruktionen. Es wird allerdings nicht davon ausgegan­ gen, dass eine Überführung der Strukturen vom chunk­Format in ein abstrak­ tes Format immer gelingt (vgl. hierzu auch Cadierno/Ellis 2009, 111–112). Es zeigt sich meist, dass Lerner in Bezug auf komplexe, nicht­kompositionelle Ausdrücke wie beispielsweise Periphrasen, Kollokationen, Funktionsverbgefüge oder auch Phraseologismen nur wenig Bewusstsein und auch kaum geeignete Strategien zur Verarbeitung dieser Ausdrücke besitzen. Dieses Defizit kommt dann innerhalb des Verstehensprozesses, der an der Textoberfläche ansetzt, zum Tragen und blockiert bereits hier die Organisation der anschließenden Verstehens­ prozesse. Dieser Vorgang verdient umso mehr Beachtung, als ein hoher Anteil unseres Sprachgebrauchs in der Verwendung formelhafter Sequenzen besteht (Wray 2002). Werden diese nicht als solche erkannt, so können die syntaktischen Strukturen nicht in ausreichendem Maße dekodiert werden und es kommt zu einer Blockade auf den hierarchieniederen Ebenen des Leseprozesses. Für diese Situation scheinen vor allem zwei Gründe ausschlaggebend zu sein: Erstens: Obwohl die empirische Forschung im Bereich des Grammatiker­ werbs für den FSE erhebliche Beachtung findet, lässt sich hinsichtlich des Trans­ fers neuer Erkenntnisse auf diesem Gebiet in die Lehrwerke, die die Lern­Lehrsi­ tuation oftmals prägen, eher von einem unzureichenden Zustand sprechen: In spite of the extensive and growing body of literature on grammar acquisition and teach­ ing, there is scarce methodological investigation on whether new perspectives on grammar teaching have reached actual teaching techniques in published materials, in particular Spanish textbooks. To my knowledge, there is not an investigation yet that addresses how grammar is taught in Spanish textbooks and whether and how these materials are incorpo­ rating grammar teaching techniques that reflect newer L2 teaching perspectives.175 (Fernández 2011, 156)

Gerade für sprachliche Strukturen, die ein hohes Maß an kognitiver Verarbei­ tungsleistung erfordern, wäre es aber essentiell, im Erwerbskontext auf die kog­ nitiven Prozesse zu achten und dementsprechend zwischen dekompositioneller und holistischer Verarbeitung in Bezug auf die vorliegende Struktur zu unterschei­ den, da eine Grammatikinstruktion, die den zugrunde liegenden Verarbeitungs­

175 Als ein Hauptproblem deutet Fernández den Mangel an Übungen, die die Lerner dabei unterstützen, Form­Bedeutungs­Paare zu erkennen. In ihren Augen vernachlässigen die Lehr­ werke immer noch die zentrale Rolle des Inputs beim Erwerb der L2­Grammatik. Zudem müsse eine stärkere Synthese zwischen expliziter Instruktion und Input Processing gefunden werden, um die Vorteile beider Ansätze für den FSE fruchtbar zu machen (Fernández 2011, 165; Fernán­ dez 2008, 279). Einen gelungenen Ansatz für den Transfer kognitionslinguistischer Erkenntnis in den FSU bietet z. B. Jansen (2013).

3.3 Problemstellung 

 129

prozess vernachlässigt oder ihm, im schlimmsten Fall, sogar entgegenarbeitet, unweigerlich ins Leere läuft und so kein Erwerb stattfinden kann (vgl. Handwer­ ker 2015, 129). Als Folge erkennen die Lerner solche komplexen Strukturen erst gar nicht und versuchen, die Bedeutung über das semantische Kompositionali­ tätsprinzip zu erschließen, das im Falle dieser Strukturen aber nicht greift.176 Im Hinblick auf größere Äußerungseinheiten ist ein Verstehen damit kaum kognitiv organisierbar. Es gilt also, den Input stärker auf seine Rolle bei der Entwicklung einer L2­Grammatik zu berücksichtigen, die dann die Basis für Verstehenspro­ zesse in der L2 bildet.177 Dies führt zu einer zweiten Annahme über die Ursachen für Verstehensblockaden auf der Oberflächenebene. Zweitens: Um über den Input zum Erwerb einer L2­Grammatik zu gelangen, in der komplexe nicht­dekompositionelle Ausdrücke auch als solche erkannt und dementsprechend verarbeitet werden, müssen diese Strukturen in Lernfoma­ ten in einer Weise angeboten werden, die den Lernern den Erwerb ermöglicht. Didaktisierte Texte weisen aber die Tendenz auf, gerade diese Strukturen zu unterdrücken oder nur in prototypischer Verwendung darzubieten, da sie eben sehr hohe Verarbeitungskosten verlangen. Dieses Problem erscheint in den Dis­ kussionen über die Verwendung authentischen Textmaterials im Unterricht als grundlegendes, aber immer noch ungelöstes Problem.178 Hornung interpretiert den Einsatz vereinfachter, didaktisierter Texte, ebenso wie «schludriger Alltags­ texte» (Hornung 2007, 240) als kontinuierliche Unterforderung der Lerner, was in der Konsequenz zu einer mangelnden Textkompetenz in Bezug auf Textrezeption wie ­produktion führt:179 Wenn vielen jungen Menschen Textkompetenz heute zu fehlen scheint, sind dafür vielleicht auch die – gesellschaftlichen und schulischen – Strategien der Textvermittlung verantwort­ lich zu machen. Dazu gehört die Überschüttung mit medialen Produkten minderer Qualität, dazu gehören die […] sich ständig häufenden Schludrigkeiten, dazu gehört auch die päda­ gogisch­didaktisch motivierte Simplifizierung von Texten […]. Die Strategie […] ist eine der

176 Diese Vermutung wird auch durch Ergebnisse gestützt, die Vergleiche von Eye-tracking­Da­ ten im Bereich formelhafter Sequenzen erbrachten: Während die Fixationen der Native Speakers die Schlussfolgerung auf eine holistische Verarbeitung von komplexen nicht­kompositionellen Strukturen zuließen, zeigten die Fixationen der Non-Native Speakers, dass diese versuchten, die Struktur über Kompositionalität zu verarbeiten, vgl. Schmitt/Underwood (2004). Zur Dominanz des Kompositionalitätsprinzips v. a. im Hinblick auf Textverstehen vgl. auch Foschi Albert (2012). 177 Vgl. zur zentralen Rolle des Inputs bei diesem Prozess z. B. Ellis (1994); Gass (1997); Krashen (1985); Van Patten (2003). 178 Vgl. hierzu beispielsweise die Beiträge in Frings/Leitzke­Ungerer (2010). 179 Vgl.  hierzu auch die Kritik Cumminsʼ, der für den gesteuerten Fremdsprachenerwerb ein deutliches Defizit in Bezug auf die Vermittlung distanzsprachlicher Stilebenen konstatiert (Cum­ mins 2000).

130 

 3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht

Anpassung des zu Lernenden an vermutete nicht vorhandene Fähigkeiten der Rezipieren­ den. […] Wenn aber Lernen durch die hier angesprochene Art der Anpassung […] gefördert wird, besteht die Gefahr der Unterforderung. Unterforderung ist alles andere als motivie­ rend […]. (Hornung 2007, 254)

Hornung spricht in diesem Zusammenhang von einem appiattimento der Inhalte, des Textbegriffs sowie des, in ihren Augen, übergeordneten Unterrichtsziels, die Rezipienten hinsichtlich mehrdimensionaler Verstehensprozesse zu unter­ stützen und ihnen über die Textrezeption kommunikative und gesellschaftliche Partizipation zu ermöglichen (Hornung 2007). In eine ähnliche Richtung gehen auch die Überlegungen Michlers und Rösslers, die ebenso die Notwendigkeit authentischen Sprachmaterials, insbesondere im Hinblick auf Texte, thema­ tisieren (vgl.  Michler 2010; Rössler 2010). Sie machen ebenfalls auf das Defizit im Hinblick auf einen Input aufmerksam, der den Gebrauch der Zielsprache in ihrer Heterogenität (Diatopik, Diastratik, Diaphasik, Nähe­Distanz) nur ungenü­ gend vermitteln kann und so letztlich dazu führt, dass rezipientenseitig nur eine «didaktisierte Lernervarietät» erworben werden kann (Michler 2010, 55). In der Tat scheint eine Vernachlässigung distanzsprachlicher Kommunikationsformen die Textverstehensleistung negativ zu beeinflussen (Hornung 2007). Insgesamt weisen diese Studien auf einen «blinden Fleck» in der Textver­ stehensforschung hin: den Zusammenhang zwischen Lexikon und Grammatik wie auch den Zusammenhang zwischen Erwerbsverlauf und Verarbeitung der sprachlichen Strukturen hinsichtlich des Textverstehens – hier ist vor allem der Prozess der Abbildung von konzeptueller Repräsentation auf die semantische Ebene in den Blick zu nehmen. Nahezu selbstverständlich werden diese Bereiche aber meist getrennt voneinander betrachtet. Hier wäre es wünschenswert, stärker auf Ergebnisse aus Studien einzugehen, wie sie beispielsweise aus dem Umfeld der Konstruktionsgrammatik entstanden sind und die sehr klar auf eine Sensi­ bilität von Fremdsprachenlernern in Bezug auf den Erwerb von Konstruktionen hindeuten (Valenzuela Manzanares/Rojo López 2008, 223). Gerade für den L2­Er­ werb scheint die Annahme, dass die Lerner zunächst über die Speicherung von chunks entweder zum Erwerb von Regelwissen oder im Bereich komplexer, nicht­ kompositioneller Strukturen zum Erwerb schematischer bzw. substantiver Kons­ truktionen gelangen, äußerst wahrscheinlich (vgl. Handwerker 2012; 2015). Dies bedeutet, dass im FSU unterschiedliche Annahmen über den Erwerb grammati­ scher Strukturen sowie die Unterlegung grammatischer Instruktionen mit einem für die jeweiligen Strukturen adäquaten Grammatikmodell stärkere Berücksichti­ gung finden müssen als bisher (vgl. Fernández 2008; 2011), um dann in der Folge einen positiven Effekt für die Textverstehensleistung zu entfalten.

3.3 Problemstellung 

 131

Diese Überlegungen führen zur Formulierung einer ersten Hypothese: Hypothese 1: Selbst Lerner mit einem fortgeschrittenen Niveau (B2/C1) haben im Bereich komplexer nicht-kompositioneller sprachlicher Ausdrücke Verarbeitungsschwierigkeiten, da sie nur über unzureichende Strategien verfügen, diese zu erkennen. Dies liegt vermutlich daran, dass von den Lernern für diese Strukturen keine entsprechende konzeptuelle Repräsentation abgerufen werden kann. Dies führt bereits zu einer Störung der Organisation des Verstehensprozesses beim mapping-Prozess auf der konzeptuellen einzelsprachlichen Ebene (lexikalisch-semantisches Wissen). Damit kann der Aufbau eines TWM beeinträchtigt oder auch verhindert werden.

3.3.2 Verstehensblockaden bei mapping-Prozessen auf die konzeptuelle epistemisch-diskursive Wissensebene Es wurde bereits mehrmals auf die Konzeption des Verstehens als mehrdimen­ sionaler Prozess hingewiesen, dessen Teilprozesse miteinander interagieren. Die Grenze einer rein linguistisch modellierbaren Verstehensebene während des Lese­ und Textverstehensprozesses wurde dabei weitgehend auf die Etab­ lierung eines Text­Welt­Modells beschränkt, das dadurch gekennzeichnet ist, dass der Rezipient einerseits konzeptuelle Kontinuität herstellen und anderer­ seits im Prozess der Kohärenzetablierung die unterspezifizierten Sachverhalte referenziell über Vorwissensaktivierungen füllen kann. Das bedeutet, dass der Rezipient passende Konzeptinhalte identifizieren kann, die dann den passenden Wissensrahmen evozieren, so dass es zur Konstruktion eines Text­Welt­Modells kommen kann, das sowohl textgeleitete als auch (vor)wissensgeleitete Informa­ tionen enthält, die in der Folge als «neues» Wissen in die Wissensstrukturen des LZG überführt werden können. Wie gesehen, besteht die Schwierigkeit in Bezug auf einen fremdsprachigen Text nun darin, dass es dem Rezipienten gelingt, sein sozio­kulturell präfiguriertes konzeptuelles Wissen mit Elementen anzureichern, die ihm zusätzlich zum Sprachenwechsel auch einen Wechsel der konzeptuel­ len wie auch der epistemisch­diskursiven Ebene erlauben (Partizipationsme­ tapher).180 Dies führt zurück zur Forderung Oesterreichers, eine Textphilologie

180 Für ein interkulturelles Verstehen ist dieser Wechsel zentral, wie Kramsch betont. Gerade im Zeitalter des globalisierten Sprachenlernens und ­lehrens sei es notwendig, sozio­historische und kulturelle Bezüge als Ausdruck des kollektiven Gedächtnisses einer Diskursgemeinschaft identifizieren zu können: «Language learners can only understand the situated choices made by interlocutors in conversations or by writers in texts if they understand how the ‹subjectivity [of speakers] is locked into the historical experience of groups› […], that is, their collective memo­

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 3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht

als wissenschaftliche Disziplin zu definieren, in der linguistische, kultur­ und literaturwissenschaftliche Perspektiven auf das Medium Text wieder zusam­ menfinden können (Oesterreicher 2009). Für eine solche Forderung ist neben der konstruktivistischen Perspektivierung auch eine Fokussierung des Merkmals der Historizität von Sprache ausschlaggebend (Oesterreicher 2001): Sprache wird dann nicht mehr nur als System betrachtet – diese Dimension von Sprache war für die Formulierung von Hypothese 1 grundlegend – sondern als Diskursuni­ versum (Freadman 2014, 376). Dieser Aspekt scheint allerdings aus dem Skopus des Fremdsprachenunterrichts gerückt zu sein,181 obwohl er essentiell für den Umgang mit Texten ist, und zwar sowohl Sach­ als auch literarischen Texten, denn ohne die historische Dimension bleibt der Lerner bei einem «Dekodieren» der Inhalte stehen, ohne zu einem tieferen Verstehen zu gelangen: My contention is that understanding – not decoding, but deep intercultural understand­ ing  – cannot be achieved without retrieving a systematically diachronic perspective in our discipline, and this, I insist, without nostalgia and without a clear understanding of what has changed in the relation of culture to language in the century since the demise of philology. (Freadman 2014, 377)

Diese Rückbesinnung auf philologische Methoden zur Texterschließung im Sinne einer Analyse der diskursiven Implikationen und der Diskursformationen kann die notwendige komplementäre Analyseebene im Rahmen eines Textverstehen­ prozesses bilden, da sich über diese vor allem die passenden Evozierungen inner­ halb der Wissensrahmen aktivieren lassen, die der Rezipient für ein Durchdrin­ gen der jeweiligen Kontexte benötigt. Diese Form der Philologie dürfe aber nicht als eine Nationalphilologie verstanden werden (Freadman 2014, 378), sondern stünde vielmehr in Beziehung zur Definition von Philologie wie sie Ferdinand de Saussure 1916 formulierte: «La langue n’est pas l’unique objet de la philologie, qui veut avant tout fixer, interpréter, commenter les textes; cette première étude

ries – in other words, if they understand what a text relies on but does not need to say» (Kramsch 2014, 300). 181 Freadman interpretiert diesen Verlust als Folge einer einseitigen Konzentration auf den Er­ werb von Regelwissen und kommunikativer Kompetenz, wobei letztere ohne Berücksichtigung der Historizität die Lerner eben nicht dabei unterstützen kann, sich selbst zu erzählen oder die Identität des Anderen zu erkennen (Freadman 2014, 377). Vor allem die fehlende Dimension der Historizität erscheint ihr für den FSU bedenkenswert: «What we have lost, therefore, is the con­ ceptual coherence under which language was understood as the repository of cultural memory and culture was studied as what language had made over the centuries. However, language is the repository of cultural memory if, and only if, the fundamental presupposition of the word ‹language› is discourse, not system» (Freadman 2014, 377).

3.3 Problemstellung 

 133

l’amène à s’occuper aussi de l’histoire littéraire, des mœurs, des institutions, etc.; partout elle use de sa méthode propre, qui est la critique» (Saussure 1916, 13). Der hier modellierte Erklärungsansatz antwortet auf diese Forderung durch die Integration der epistemisch­diskursiven Ebene in das Textverstehensmo­ dell sowie der Annahme einer Vermittlungsinstanz zwischen Gedanken­ und Sprachwelt in Form von Diskursformationen, die die Wissensrahmen als kogni­ tive Verarbeitungselemente prägen. Zudem wurden die außersprachlichen Wis­ sensbestände entsprechend ausdifferenziert, um die Problembereiche leichter lokalisieren zu können. Damit rechtfertigt sich die Annahme eines besonders störanfälligen Bereiches für das mapping zwischen epistemischer und konzep­ tueller Ebene, da die Lerner für die fremdsprachlichen Texte oft weder auf den kommunikativen Haushalt noch auf geeignetes kulturelles Vorwissen zurückgrei­ fen können. In der Konsequenz muss auch der Bereich des kulturellen Wissens als eine wichtige Bedingung für einen reibungslosen Verstehensprozess definiert werden, da ohne dieses die Lerner bei der Kohärenzetablierung vermutlich auf konzeptuelle Repräsentationen, die weiterhin L1­gebunden sind, rekurrieren und es somit weder zu einer ganzheitlichen Bedeutungszuweisung noch zur Bereit­ stellung einer passenden Referenzwelt kommt, wie sie hier für einen gelingenden Textverstehensprozess angenommen wird. Dabei wird ebenfalls vermutet, dass diese Störung dadurch mitbedingt wird, dass die Lerner beim Textverstehen nicht auf geeignete Determinationsstrategien zurückgreifen, um z. B. fremdes Vokabu­ lar zu erschließen, was sie eventuell auch auf die richtige konzeptuelle Spur und damit zu einem gelingenden Verstehen führen könnte. Dies führt zur Formulierung einer zweiten und dritten Hypothese: Hypothese 2: Lerner greifen beim Textverstehen trotz fortgeschrittenen Kompetenzniveaus nicht auf geeignete Determinationsstrategien zurück. Hypothese 3: Lerner mit fortgeschrittenem Niveau verfügen nicht über ausreichend kulturelles und epistemisch-diskursives Vorwissen, um sprachliche Bezüge hinsichtlich ihrer sozio-kulturellen Determiniertheit zu analysieren.

3.3.3 Überprüfung der Hypothesenbildung in ihrer Relevanz für einen mehrdimensionalen Erklärungsansatz Um die erstellten Hypothesen auf ihre Relevanz und Stichhaltigkeit hin überprü­ fen zu können, wurde eine Überblicksstudie mit drei Studierendengruppen im Fach Spanisch an der Universität Salzburg (insgesamt 37 Probanden) durchge­ führt, um zu ermitteln, ob die angenommenen Problembereiche auch tatsäch­ lich als Ursachen für Verstehensblockaden in Lese­ und Textverstehensprozessen

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 3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht

angenommen werden konnten und sich somit für weiterführende Studien eigne­ ten. Ziel war es dabei, die Textverstehensleistung im Hinblick auf mapping­Pro­ zesse zwischen konzeptueller und sprachlicher Ebene anhand dreier verschiede­ ner Texte über Offline­Testverfahren zu evaluieren. 3.3.3.1 Testdesign Die Probanden waren im Durchschnitt 24,6 Jahre alt, es waren 30 weibliche und 7 männliche Teilnehmer. In 33 Fällen war die L1 Deutsch, in drei Fällen handelte es sich um bilinguale Sprecher (2x2L1­Erwerb; dt­cz; dt­alb; dt­sp) und in einem Fall um L1 Bosnisch mit frühem L2­Erwerb Deutsch. Spanisch war innerhalb der Sprachbiographie der Probanden entweder L2 (1x), L3 (8x), L4 (16x), L5 (10x) oder L6 (1x). Die Informanten füllten einen Fragebogen zur Sprachbiographie (Fragebogen in Anlehnung an Ender 2007), zur Selbsteinschätzung einmal in Bezug auf ihre gesamte Sprachkompetenz und einmal in Bezug auf ihre Lesekompetenz (Kom­ petenzbeschreibungen nach GER) sowie ihre Motivation hinsichtlich selbstver­ antwortlichen Sprachtrainings aus. Gefragt wurde auch nach ihrer Motivation, nach dem Lesen des Titels den ganzen Text zu lesen. Erhoben wurde ebenfalls das Grammatikniveau (Testdesign anhand von Fragen aus Dialang, Niveau C1). In den persönlichen Daten wurde das Vorhandensein einer Lese­ oder Sprach­ störung erfragt, da für die Erhebung von einem ungestörten Leseerwerb ausge­ gangen wird und daher Probanden mit pathologischen Befunden wie einer Lese­ Rechtschreib­Schwäche aus der Wertung ausgeschlossen wurden. Ausgewählt wurden drei Texte,182 die jeweils einer Gruppe vorgelegt wurden: Ein Sachtext zu einem Thema, das eher nicht aus der Lebenswelt der Probanden stammt, ein Sachtext, dessen Thema unmittelbar die universitäre Lebenswelt der Probanden betrifft sowie eine Glosse zu einem allgemeinen sozialen Thema. Vor dem Lesen des Textes wurde den Probanden der Titel mit der Aufgabe vorgelegt, den möglichen Inhalt vorherzusagen. Die Fragen zu den Texten lassen sich in folgenden Kategorien zusammenfassen: 1. Detailinformation, leicht auffindbar (kursorisches Lesen) 2. Detailinformation, nicht offensichtlich (statarisches Lesen) 3. Hinweise im Text, Ebene der lokalen Kohärenz, Inferenzelaboration gelingt leicht (nur geringfügige Aktivierung konzeptuellen/epistemischen Wissens nötig) 4. Hinweis im Text, Ebene der globalen Kohärenz, Inferenzelaboration komple­ xer, («Hintergrundwissen» nötig) 182 Die Texte befinden sich im Anhang der Arbeit.

3.3 Problemstellung 

5. 6. 7.

 135

Ebene Textsinn: kulturelles Wissen nötig, kein Hinweis im Text (Eigeninter­ pretation vor dem Hintergrund einer gelingenden TWM­Etablierung) Globales Textverständnis (Grundidee) gezielte Informationsabfrage, kodiert in «komplexen» syntaktischen bzw. semantischen Strukturen (Periphrasen, Phraseologismen, Metaphern etc.)

Die Probanden wurden weiterhin gebeten, schwierige Stellen im Text farbig zu markieren und dabei über die Wahl verschiedener Farben zu entscheiden, ob es sich um ein syntaktisch­grammatikalisches oder ein lexikalisches Problem handelt. Wenn sie sich hinsichtlich der Zuordnung unsicher waren, so sollten sie die betreffende Textstelle wiederum in einer anderen Farbe markieren. Die Benutzung eines zweisprachigen Wörterbuchs war ihnen erlaubt. Nach der Beantwortung der Fragen erhielten die Studierenden einen weiteren Fragebo­ gen, in dem sie den Schwierigkeitsgrad des Textes sowie ihr eigenes (vermutetes) Abschneiden bewerten sollten. Auch sollten sie sich über die Ursachen für eigene Verstehensschwierigkeiten äußern und ob sie über Strategien in Bezug auf Text­ verstehen verfügten, vor allem, wenn sie den Text als schwer verständlich ein­ schätzten. Es sei an dieser Stelle betont, dass die Studie nur dazu diente, die for­ mulierten Hypothesen daraufhin zu überprüfen, ob die angenommenen Bereiche auch tatsächlich die meisten Schwierigkeiten beinhalteten. 3.3.3.2 Ergebnisse 3.3.3.2.1 Gruppe 1 Gruppe 1 bestand aus 20 Testpersonen, mit einem Durchschnittsalter von 24,3 Jahren. 18 Probanden hatten als L1 Deutsch, zwei Probanden wiesen einen dop­ pelten Erstspracherwerb (2L1) auf und zwar mit der Kombination Tschechisch­ Deutsch und Albanisch­Deutsch. Gemäß der erfragten Erwerbsbiographien ver­ teilte sich Spanisch in der Reihenfolge des Erwerbs wie folgt: 4 x L3, 11 x L4 und 5 x L5. Das zertifizierte Sprachniveau (nach GER),183 über das die Probanden ver­ fügten, war 17 x C1, 1 x C2 und 2 x B2. In der Selbsteinschätzung in Bezug auf ihre gesamte Sprachkompetenz ordneten sich die Probanden überwiegend auch dem­ entsprechend ein, in Bezug auf die Lesefertigkeit ordneten sie sich jedoch mit einer leichten Tendenz zum höheren Niveau ein: 13 x C1; 6 x C2 und 1 x B1, was für rezeptive Kompetenzen erwartbar ist und sich auch in Studienergebnissen wider­ spiegelt. 75% der Probanden gaben allerdings an, Probleme beim Textverstehen

183 Das zertifizierte Sprachniveau wurde an dem Sprachniveau für die jeweiligen Sprachkurse bemessen, die die Probanden im Moment der Datenerhebung positiv absolviert hatten.

136 

 3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht

in Bezug auf abstrakte, komplexe Texte zu haben. 46,7% aus dieser Gruppe spezi­ fizierten ihre Textverstehensprobleme und erläuterten, diesbezüglich vor allem Probleme bei literarischen Texten zu haben. Die Ergebnisse des Grammatiktests ergaben, dass die Probanden hinsichtlich ihres Grammatikerwerbs eher ein etwas niedrigeres Niveau aufwiesen: 11 x C1, 6 x B2 und 5 x B1. Gruppe 1 erhielt einen Text von Rosa Montero aus El País über 328 Wörter mit dem Titel Mateo. Der Text behandelte in Form einer ironischen Meinungsäuße­ rung (Textsorte Glosse) die Schere zwischen Arm und Reich vor dem Hintergrund des «Matthäus­Prinzips» (Mt 25: 29).184 Eine Inferenz auf den Apostel gelang 15% der Probanden. Bei der Bewertung des Schwierigkeitsgrades des Textes gaben 30% an, den Text als schwer empfunden zu haben, wobei hiervon 66,6% angaben, Ursache ihrer Verständnisschwierigkeiten sei das fehlende Vokabular. Der Rest nannte als Ursachen den «literarischen Stil und die Syntax» (TP13; f; Sp L4) sowie «mangelnde Vertrautheit mit dem Thema» (TP 10; f; Sp L3). Die Auswertung der Ergebnisse des Lesetests (siehe Diagramm 1) zeigte für diese Gruppe, dass keine Korrelation zwischen dem Ergebnis des Grammatiktests und den Ergebnissen des Lesetests bestand, wohl aber eine Korrelation zwischen der Motivation des jeweiligen Probanden, den Text zu lesen und den Ergebnis­ sen aus dem Lesetest.185 In der Kategorie «Globales Textverstehen» arbeiteten die Probanden treffsicher und ohne Verständnisschwierigkeiten, die Grundaussage wurde von allen erfasst (100%). Ein ähnlich gutes Ergebnis erbrachten die Proban­ den in der Kategorie «Lokale Kohärenzetablierung» mit 95%. In Bezug auf wich­ tige Detailinformationen erreichten sie im Schnitt 82,5%, ebenfalls ein sehr gutes Ergebnis. Probleme hinsichtlich des Verstehens ergaben sich dann in den Katego­ rien «Komplexe sprachliche Strukturen», «Globale Kohärenz» und «Textsinn». In Bezug auf Textfragen, die speziell auf Informationen aus Textpassagen abzielten,

184 Dort heißt es: «Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden.» Dieses Bibelzitat hat sich nahezu zu einem Gemeinplatz für die Kluft zwischen Arm und Reich entwickelt, im Text von Rosa Montero taucht es allerdings erst ganz am Ende auf. 185 Dies deckt sich teilweise mit dem Ergebnis der Hattie­Studie, dass Motivation, vor allem intrinsische, als mittlere Einflussgröße für Lernerfolg zu werten sei. In der Hattie­Studie wird Mo­ tivation mit dem Faktor d=0,48 in Bezug auf die Effektstärke angegeben, was Rang 51 entspricht (Hattie 2009, 48). Rang 1 erhalten bei Hattie die «self­reported­grades», also die Selbsteinschät­ zung, Rang 2 wird mit den «Piagetian programs» besetzt, also der kognitiven Reifung der Lerner (Hattie 2009, 43). Vgl. zu einer kritischen Analyse der Ergebnisse der Hattie­Studie in Bezug auf ihre Konsequenz für die Sprachendidaktik v. a. de Florio Hansen (2014, 27–49, insbes. 31–33). De Florio Hansen (2015, 58) bewertet den Faktor Motivation im Gegensatz zu Hattie als wichtigste Einflussgröße für Lernerfolg.

 137

3.3 Problemstellung 

in denen komplexe sprachliche Strukturen vorhanden waren, gaben nur 45% rich­ tige Antworten. Dasselbe Ergebnis wurde bei Fragen zur globalen Kohärenzetab­ lierung erreicht, in denen auch speziell nach kulturell kodiertem konzeptuellen Wissen gefragt wurde. Das schlechteste Ergebnis lag für die Ebene der Textsinner­ schließung vor: Nur 15% gaben als korrekt zu wertende Antworten ab. Im Rahmen dieser Kategorie wurde gezielt nach einem interpretierenden Verstehen gefragt. Interessant war in dieser Gruppe, dass 85% der Probanden bei der Beantwortung eine Auswahlstrategie wählten und den Textinhalt zusammenfassten. 120 100 80

100

95 82.5

60

45

45

40

Komplexe sprachliche Strukturen (VII)

Globales Textverständnis (VI)

Globale Kohärenz (IV)

Lokale Kohärenz (III)

Detailinformationen zusammengefasst (I/II)

0

Textsinn (V)

15

20

Korrekte Ergebnisse in relativen Zahlen (Angaben in %) Diagramm 1: Ergebnisse Pilotierung – Stichhaltigkeit des Erklärungsansatzes Gruppe 1.

Auch die Markierungen im Text ließen Rückschlüsse auf Verstehensblockaden auf der sprachlichen Ebene zu: 80% markierten beispielsweise die Periphrase, über die die Antwort auf die Informationsfrage aus der Kategorie «Komplexe Sprachliche Strukturen» kodiert war, als schwierige und unverständliche Text­ stelle. Auch die weiteren Markierungen betreffen komplexe sprachliche Struk­ turen wie Phraseologismen oder Kollokationen. Auffällig war, dass eigentlich als bekannt vorausgesetzte sprachliche Ausdrücke markiert wurden, wenn sie kreativ gebraucht wurden, das heißt nicht zur Gänze dem erwarteten Muster entsprachen. Sehr deutlich wurde dies an der syntaktischen Fügung quedarse

138 

 3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht

pasmada,186 bei der 85% der Probanden pasmada (‘verblüfft‘) farblich als lexi­ kalisches Problem markierten und offensichtlich nicht erkannten, dass hier eine komplexe nicht­kompositionelle Struktur vorlag, obwohl die Probanden die Struktur quedarse + Adj./Part. für das Konzept werden aus den Sprachkur­ sen kennen. Augenscheinlich liegt hier tatsächlich ein Verarbeitungsproblem in Bezug auf diese Strukturen vor, da für diese wohl anscheinend kein menta­ les Repräsentationsformat aktiviert werden kann und so versucht wird, über die einzelnen Bestandteile die Bedeutung zu erschließen. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Lerner selbst auf diesem fortgeschrittenen Niveau über unzurei­ chendes metakognitives Wissen verfügen und damit auch kein Bewusstsein für diese Strukturen entwickeln können. 3.3.3.2.2 Gruppe 2 Gruppe 2 bestand aus 8 Probanden, Durchschnittsalter 24,75. Die Erwerbsbiogra­ phie war hier wie folgt: 8 x L1 Deutsch, Spanisch war 3 x L4, 3 x L3, 1 x L5 und 1 x L6. Das zertifizierte Sprachniveau lag bei 5 x C1, 3x C2. In der Selbsteinschät­ zung zeigten die Studierenden hier eher die Tendenz, sich auf einem niedrigeren Niveau einzustufen: 6 x C1 und 2 x B2. Dieses Verhalten übertrug sich auch auf die Einschätzung der Lesefähigkeit. Die Selbsteinschätzung bestätigte sich dann in den Ergebnissen des Grammatiktests: Drei Probanden erzielten C1, ein Proband B2 und vier Probanden erreichten B1.187 62,5% gaben ebenfalls an, Verständnis­ schwierigkeiten bei abstrakten und komplexen wie auch literarischen Texten zu haben. Gruppe 2 wurde der Text Investigar no es un lujo von Javier Solana aus El País vorgelegt, der 453 Wörter umfasste. Es handelt sich dabei um einen Sachtext, der die Schwierigkeiten der Drittmittelakquise für wissenschaftliche Projekte beschreibt. In Bezug auf die Titelinferenz war interessant, dass 50% das Konzept Polizei und ermitteln aktivierten, die anderen 50% inferierten in Bezug auf den Textinhalt korrekt auf das Konzept Forschung. Bei der Bewertung des Schwierigkeitsgrades gaben 62,5 Prozent als Grund das fehlende Vokabular an, 25% nannte weiterhin die Komplexität der syntaktischen Strukturen und 12,5% nannten «mangelnde Kohärenz der textuellen Bezüge» (TP 8; f; sp L4).

186 Die Erzählperspektive ist weiblich. 187 Hinsichtlich dieser Ergebnisse ist aber darauf hinzuweisen, dass die Probanden mit den Testformaten von Dialang nicht vertraut waren und das erste Mal mit diesem Aufgabenformat konfrontiert wurden.

 139

3.3 Problemstellung 

Die Auswertung des Lesetests (siehe Diagramm 2) ergab ein vergleichbares Bild zu Gruppe 1. Die Probanden arbeiteten durchgängig sehr gut in den Kate­ gorien «Globales Textverstehen» (75%), «Lokale Kohärenzetablierung» (62,5%) sowie «Offensichtliche Details» (87,5%). Größere Schwierigkeiten erzeugten in dieser Gruppe ebenfalls die Kategorien «Komplexe Sprachliche Strukturen» (25%), «Globale Kohärenz» (12,5%) und «Textsinn» (0%). Auch hier zeigten die Proban­ den bei Fragen, die ein interpretierendes Verstehen verlangten, Ausweichstrate­ gien wie Resümieren des Textes oder auch Zitieren der betroffenen Textstelle. 100 90

87.5 75

80 70

62.5

60 50 40

25

30 20

12.5

10

Komplexe sprachliche Strukturen (VII)

Globales Textverständnis (VI)

Globale Kohärenz (IV)

Lokale Kohärenz (III)

Detailinformationen zusammengefasst (I/II)

Textsinn (V)

0

0

Korrekte Ergebnisse in relativen Zahlen (Angaben in %)

Diagramm 2: Ergebnisse Pilotierung – Stichhaltigkeit des Erklärungsansatzes Gruppe 2.

3.3.3.2.3 Gruppe 3 Gruppe 3 bestand aus 9 Probanden, das Durchschnittsalter lag bei 25,1. Die Probanden wiesen folgende Erwerbsbiographien auf: Deutsch: 7 x L1, 2 x 2L1 Deutsch/Spanisch; Deutsch/Bosnisch; Spanisch: 1 x L2; 1 x L3; 2 x L4; 4 x L5. Das zertifizierte Niveau ergab 7 x C1, 1 x C2 (bilinguale Sprecherin mit 2L1) und 1 x B2. In der Selbsteinschätzung zeigte auch diese Gruppe eine Tendenz, sich auf ein niedrigeres Niveau zu stufen: 4 x C1, 1 x C2, 3 x B1 und 1 x B1. Inte­ ressant ist in dieser Gruppe, dass dagegen die Selbsteinschätzung in Bezug auf die Lesefähigkeit eher zu einem höheren Niveau neigte: 3 x C1, 5 x C2 und 1 x B2.

140 

 3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht

Die Ergebnisse des Grammatiktests lagen erneut wieder stärker in der Nähe der Selbsteinschätzung der Probanden in Bezug auf die gesamte Sprachkompetenz: 1 x C1, 4 x B2 und 3 x B1.188 Gruppe 3 erhielt den Text Portugal se enreda en su ortografía von Javier Martín, ebenfalls aus El País und mit einer Länge von 536 Wörtern. Es handelte sich dabei um einen Sachtext über die geplanten Orthographiereformen und die damit verbundene Diskussion plurizentrischer Fragestellungen sowie der Mög­ lichkeit einer Supranorm. Hier zeigte sich, dass die Probanden allein über den Titel korrekte Elaborationen aufbauen konnten (66,6%). Der Text wurde von den Probanden allgemein als nicht schwierig eingestuft, 44,4% nannten allerdings erneut das fehlende Vokabular als Ursache für mögliche Verstehensblockaden. 22,2% machten explizit ihr fehlendes Kontextwissen für Verständnisschwierig­ keiten verantwortlich und 11,1% gaben an, den Text aus mangelndem Interesse für das Thema nur unzureichend zu verstehen. Im Hinblick auf die Auswertungen von Gruppe 1 und 2 zeigten die Ergebnisse des Lesetests (siehe Diagramm 3) von Gruppe 3 ein abweichendes Verhalten, das vermutlich damit erklärt werden kann, dass dieser Text erheblich mehr Inferen­ zelaborationen auf vorhandenes spezifisch kulturelles Wissen in Bezug auf die im mentalen Lexikon der Probanden gespeicherten Konzepte verlangte. Darauf deutet die Tatsache hin, dass dies der einzige Text war, bei dem die Probanden sich bei Verstehensschwierigkeiten auf inhaltliche Wissenslücken beriefen. Somit waren die Ergebnisse auch in den Kategorien «Globales Textverstehen» (44,4%), «Lokale Kohärenzetablierung» (22,2%) eher in einem mittleren bis nied­ rigen Bereich zu verorten. In der Kategorie «Offensichtliche Details» hingegen arbeiteten die Probanden ebenfalls sehr gut (81,4%). Ferner deuteten ebenso die Kategorien «Komplexe Sprachliche Strukturen» (33,3%), «Globale Kohärenz» (44,4%) und «Textsinn» (11,1%) auf Verständnisschwierigkeiten hin.

188 Hier sei noch einmal an die Hattie­Studie erinnert: Die Ergebnisse zeigen, dass die Pro­ banden in Bezug auf die «self­reported­grades» eine hohe Sicherheit in Bezug auf die korrekte Einschätzung ihrer Sprachkompetenz aufwiesen. Dies spricht sehr stark für ein noch stärkeres Einbeziehen individualisierter Lernformate und des eigenverantwortlichen Lernens, gerade in Bezug auf Gruppen, deren kognitive Reifung auch eine reflektierte Selbsteinschätzung möglich macht.

 141

3.3 Problemstellung  90 80

81.4

70 60

44.4

50

44.4 33.3

40 30

22.2

20

Komplexe sprachliche Strukturen (VII)

Globales Textverständnis (VI)

Globale Kohärenz (IV)

Lokale Kohärenz (III)

Detailinformationen zusammengefasst (I/II)

0

Textsinn (V)

11.1

10

Korrekte Ergebnisse in relativen Zahlen (Angaben in %) Diagramm 3: Ergebnisse Pilotierung – Stichhaltigkeit des Erklärungsansatzes Gruppe 3.

3.3.4 Diskussion Die über die Überblicksstudie erhobenen Daten aus den drei Probandengruppen ließen Schlussfolgerungen auf die Relevanz des theoretischen Erklärungszusam­ menhangs sowie die in dessen Rahmen abgeleiteten Hypothesen (Hypothese 1 und 3) zu. Aufgrund des kleinen Settings können allerdings nur tendenzielle Aus­ sagen getroffen werden. In Bezug auf Hypothese 1 kann festgestellt werden, dass sowohl durch die Markierungen, die die Probanden in den Texten vorgenommen haben, als auch durch den geringen Anteil an korrekten Antworten auf Fragen, die auf Informa­ tionen abzielten, für die eine kognitive Verarbeitung von komplexen sprachli­ chen Strukturen notwendig war, ein deutliches Defizit hinsichtlich der Verar­ beitungsstrategien im Hinblick auf diese Strukturen wie auch im Hinblick auf metakognitives sprachliches Bewusstsein angenommen werden kann. Gerade die Tatsache, dass die Probanden durchweg dazu neigten, komplexe, nicht­kom­ positionelle Ausdrücke als rein lexikalisches Problem zu kennzeichnen, indem sie nur einen Bestandteil mit der Farbe für lexikalische Schwierigkeiten markier­ ten, lässt darauf schließen, dass nur wenig Sensibilität im Bereich holistisch zu verarbeitender Strukturen erworben wurde. Dies liegt vermutlich an einer unge­

142 

 3 Vom Fremdverstehen: Textverstehen im Fremdsprachenunterricht

nügenden Explizierung, das heißt die Verbindung zwischen Input Processing und expliziter Grammatikinstruktion ist nur unzureichend erfolgt, so dass die Lerner die Analyse der zu erwerbenden Konstruktion kognitiv nicht bewältigen können und bei einem chunk­Format stehenbleiben, das ihnen aber möglicherweise den Blick für einen kreativen Sprachgebrauch verstellt und nur die Verarbeitung pro­ totypischer Verwendungen erlaubt, wie es im Falle von quedarse pasmada deut­ lich wurde. In Bezug auf eine Inputoptimierung sollte hier zum einen der Brü­ ckenschlag zwischen expliziter Grammatikinstruktion und Inputverarbeitung in den Lern­Lehr­Kontexten besser artikuliert werden.189 Zum anderen muss der Input gerade in Bezug auf Textmaterial diese Strukturen stärker berücksichtigen, was wiederum auf die Frage nach der Adäquatheit der Lernertexte verweist: In einer vorsichtigen Formulierung lässt sich aus den Problemen bei der Verarbei­ tung komplexerer Strukturen möglicherweise schlussfolgern, dass die Lerner Probleme im distanzsprachlichen Bereich aufweisen, da sie zu wenig Kontakt mit Texten auf dieser Stilebene haben (vgl. Cummins 2000). In der Konsequenz sollten L2­ wie auch Fremdsprachenerwerbskontexte stärker auf sogenannte formelhafte Sequenzen fokussieren und die Sensibilität der Lerner hinsichtlich dieser prefabs (prefabricated units; Bybee 2010, 60) stärken. Nur wenn die Lerner ein Bewusstsein für diese Strukturen erwerben, können sie diese erkennen und entsprechend verarbeiten. Gelingt ihnen dies nicht, so können sich im Rahmen des Textverstehens Störungen in der Kohärenzetablierung ergeben, die dann zu einer nur unvollständigen Etablierung eines Text­Welt­Modells führen und damit möglicherweise auch anschließende interpretative Verstehensprozesse auf der Ebene des Textsinns hemmen. Diese Beobachtungen rechtfertigen die Überprü­ fung, ob Lerner in Bezug auf komplexe, nicht­kompositionelle sprachliche Aus­ drücke in der Zielsprache möglicherweise über ein anderes Speicherformat verfü­ gen als Native Speaker, was zu Textverstehensproblemen auf der mapping­Ebene zwischen einzelsprachlich­semantischer und außersprachlich konzeptioneller Ebene führt. In Bezug auf Hypothese 3190 lässt sich erkennen, dass die Rolle des (kulturel­ len und diskursiven) Vorwissens im Rahmen der kognitiven Modelle als essenti­ elle Einflussgröße für Textverstehensprozesse richtig eingeschätzt wird, da die Elaboration korrekter Inferenzprozesse in hohem Maße vom vorhandenen Vor­ wissen der Lerner und damit von mapping­Prozessen zwischen epistemischer 189 Vgl. zu dieser Forderung auch Fernández (2011); Handwerker (2015). 190 Hypothese 2 ließ sich in diesem Setting nur ansatzweise überprüfen, da die Lerner bei Vo­ kabellücken sofort zum zweisprachigen Wörterbuch griffen. Die Hypothese wird für den empi­ rischen Teil allerdings aufgrund der Forschungslage als relevant angenommen, vgl. hierzu z. B. Ender (2007); Meißner (1997); Müller­Lancé (2003a).

3.3 Problemstellung 

 143

und konzeptueller Ebene abhängt. Die kulturelle Präfigurierung der kognitiven Wissenseinheiten ist dabei ebenfalls von Bedeutung. Dies zeigte sich recht klar im Text zur Reform der portugiesischen Orthographie. In den Antworten auf Fragen, die ein spezifisches Wissen zur Plurizentrik­ und Supranormdebatte in Bezug auf europäisches und brasilianisches Portugiesisch verlangten, transfe­ rierte ein Großteil der Probanden die Debatte auf den deutschsprachigen Raum mit der Begründung, kein entsprechendes enzyklopädisches Wissen für den lusitanischen Sprachraum gespeichert zu haben. Die Ergebnisse legen den Ver­ dacht nahe, dass die Lerner tatsächlich im Hinblick auf Zeichen der Zielsprache nur unzureichend außersprachlich konzeptuelles Wissen erwerben und dem­ zufolge auch keine Assoziationen hinsichtlich sozio­kultureller wie historischer Informationen ausbilden können. Diese Vermutungen müssen allerdings relati­ viert werden, da sich gezeigt hat, dass die Offline­Methode der Fragebogenerhe­ bung nur bedingt dazu geeignet ist, Assoziationsprozesse dieser Art greifbar zu machen. Um Hypothese 3 in der Hauptstudie überprüfen zu können, muss daher statt auf eine quantitative Methode (Fragebogen) auf eine qualitative Methode zurückgegriffen werden. Hier bieten sich vor allem Assoziationstests und die Methode des Lauten Denkens (Maier/Richter 2016) an, um gezielt mentale Pro­ zesse, die während der Informationsverarbeitung ablaufen, nachvollziehbar zu machen.191 Insgesamt rechtfertigen die Beobachtungen der Überblicksstudie aber eine Untersuchung zu diesem Bereich. Zu Hypothese 2 kann aufgrund des Testformats nur sehr bedingt eine Schluss­ folgerung gezogen werden, da sich zeigte, dass das Testdesign hierüber keinen Aufschluss gab. Allerdings erlauben die Aussagen der Studierenden, dass das Hauptproblem das mangelnde Vokabular sei, eine Überprüfung dieser Aussage unter der Annahme, dass es sich eher um ein Defizit in der Anwendung geeigne­ ter Determinationsstrategien bei der Bedeutungszuweisung handelt, das dann zu einer Störung der Kohärenzetablierung führt, als um ein tatsächliches Vokabel­ problem. Diese Annahmen des postulierten Erklärungszusammenhangs sollen im an­ schließenden empirischen Teil auf ihre Relevanz für Störungen in der Organisa­ tion der Textverstehensprozesse in der Fremdsprache überprüft werden.

191 Vgl. zu dieser Methode bei der Untersuchung von mentalen Prozessen einschlägig Ericsson/ Simon (1980; 1993); auch Charters (2003); Leow/Morgan­Short (2004); Oh/Wildemuth (2016). Speziell zum Einsatz des Lauten Denkens für Text­ und Leseverstehen Kucan/Beck (1997); Maier/ Richter (2016); Walker (2005).

4 Empirischer Teil Eine Regel beim Lesen ist die Absicht des Verfassers, und den Hauptgedanken sich auf wenig Worte zu bringen und sich unter dieser Gestalt eigen zu machen. Wer so liest ist beschäftigt, und gewinnt, es gibt eine Art von Lektüre wobei der Geist gar nichts gewinnt, und viel mehr verliert, es ist das Lesen ohne Vergleichung mit seinem eigenen Vorrat und ohne Vereinigung mit seinem Meinungs­System. (Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, F1222)

Die Ergebnisse der Überblicksstudie, die selbstverständlich keinerlei Anspruch auf Signifikanz oder Validität erheben können, dienten in erster Linie dazu, die aus dem theoretischen Erklärungsansatz abgeleiteten Vermutungen, in welchen Bereichen die Störungen in der Organisation der Textverstehensprozesse ver­ stärkt auftreten, in ihrer Relevanz zu bestätigen. Vermutet wurde anhand der Ver­ knüpfung des zeichentheoretischen Modells mit einem kognitiven Text­Welt­Mo­ dell (TWM) und der darüber erreichten Ausdifferenzierung der Wissensbestände auf der konzeptuellen Ebene, dass die Probleme vor allem an der Schnittstelle zwischen einzelsprachlich­lexikalischem und außersprachlichem Wissen liegen, da die mapping­Prozesse während der Organisation des Verstehensprozesses vor allem zwischen diesen Bereichen störanfällig sind und die Konstruktion menta­ ler Repräsentationen dadurch ins Stocken gerät bzw. blockiert wird. Diese Stö­ rungen scheinen sich vor allem in drei Bereichen zu äußern: 1. Komplexere, nicht­kompositionelle sprachliche Strukturen werden nicht erkannt. Sie werden daher über das Dekompositionalitätsprinzip192 zerlegt und führen somit zu Missverständnissen, da über diese Strategie kein passender Refe­ rent auf der konzeptuellen Ebene gefunden werden kann. Die Bedeutungszuwei­ sung scheitert und blockiert nachfolgend das Textverstehen. Dieses Problem liegt auch an der Schnittstelle zwischen Lese­ und Textverstehen, d. h. es sind auch Dekodierprozesse impliziert, die die rein sprachlich­strukturelle Ebene betreffen. Die mapping­Probleme werden daher bereits bei der Abbildung der sprachlichen Bedeutungsdimensionen auf die Konzeptebene gestört und es kann dadurch gar nicht mehr zu einer Interaktion der Wissensbestände auf der Konzeptebene

192 Dekompositionalitätsprinzip meint hier die Strategie der Lerner, die komplexen Strukturen in ihre Einzelteile zu zerlegen, um so zu einer Bedeutungsdetermination zu gelangen. Hinter der Anwendung dieser Zerlegungsstrategie steckt natürlich die Übertragung des semantischen Kompositionalitätsprinzips (Frege­Prinzip), das besagt, dass sich die Gesamtbedeutung aus der Summe der Einzelbedeutungen ergäbe. https://doi.org/10.1515/9783110685442-004

146 

2.

3.

 4 Empirischer Teil

kommen, so dass keine Referenzzuweisung erfolgen kann. Das Problem liegt demnach darin, dass gar kein passendes Konzept über das sprachliche Zeichen adressiert werden kann und infolgedessen auf «falsche» Bedeutungsträger aus­ gewichen wird, über die dann zwar Konzepte aktiviert werden können, die aber keine Relevanz für die intendierte Bedeutungszuweisung haben. Unbekanntes Vokabular führt zu Störungen: Die Probanden führten in der Befragung ihre Verstehensprobleme mehrheitlich auf das unbekannte Voka­ bular zurück. Hier muss überprüft werden, ob es tatsächlich das unbekannte Vokabular ist, das die Organisation stört, oder nicht vielmehr der jeweilige Umgang mit diesem. Auch ist zu prüfen, ob diese Probleme nicht ein weite­ res verdecken: Die textthematischen Konzepte werden nicht elaboriert, da der Aufmerksamkeitsfokus zu stark auf die Einzelwortebene ausgerichtet ist. Dies behindert in der Konsequenz die Etablierung konzeptueller Kohärenz und damit die Konstruktion eines TWMs. Dies betrifft die Organisation des Verstehens auf der konzeptuellen Ebene: Hier kommt es zu Störung der map­ ping­Prozesse zwischen einzelsprachlichem und außersprachlichem Wissen. Außersprachliches Wissen: Große Schwierigkeiten bereitete den Probanden die Beantwortung von Fragen, die auf eine aktive Integration von enzyklopä­ dischem Wissen, meist in Form von konzeptuell kulturellem Wissen abziel­ ten. Offensichtlich konnten keine relevanten Wissensstrukturen und damit auch keine passenden Wissensrahmen evoziert werden. Hier gelang es den Probanden nicht, eine entsprechende Referenzwelt zur Textwelt zu etablieren und somit konnte in diesen Fällen ebenfalls kein TWM konstruiert werden. Auch hier betreffen die Störungen die mapping­Prozesse zwischen einzel­ sprachlichem und außersprachlichem Wissen. Zudem gilt es hier zu unter­ suchen, inwieweit enzyklopädisches mit epistemisch­diskursivem Wissen im Hinblick auf die jeweilige Gedankenwelt verbunden ist, der die Sprachwelt der entsprechenden Zielsprache zuzuordnen ist.

Diese drei Problembereiche sollen im empirischen Teil über kleinere Studien untersucht und auf ihre Relevanz für den Erklärungsansatz geprüft werden. Ziel ist dabei, ein differenziertes «Diagnoseinstrument» für Störungen im Organisati­ onsprozess des Lese­ und Textverstehensprozesses zu entwerfen, das möglicher­ weise in Überlegungen hinsichtlich geeigneter Lehr­/Lernkontexte einfließen kann. Vor dem Hintergrund des hier postulierten Erklärungszusammenhangs, der vor allem auf eine differenziertere Beschreibung der konzeptuellen Ebenen hinsichtlich des Textverstehensmodells abzielt, können dann entsprechend spe­ zifische Anpassungen an Methoden und Materialien vorgenommen werden und so den Störungen möglicherweise adäquater und individueller begegnet werden. Alle Studien und damit auch die Tendenzen, die sich daraus ableiten lassen,

4.1 Störungen des Textverstehens: Das Problem der Dekomposition 

 147

wurden mit Probanden durchgeführt, die bereits über ein höheres Sprachniveau verfügten, um Störungen auf der Ebene der Leseprozesse weitgehend ausblenden und so den Fokus der Fragestellungen stärker auf Textverstehensprozesse bei der Verarbeitung der hierarchiehöheren Prozesse richten zu können.

4.1 Störungen des Textverstehens: Das Problem der Dekomposition 4.1.1 Relevanz In der Überblicksstudie193 war auffällig, dass die Probanden komplexe nicht­kom­ positionelle Strukturen auch dann nicht identifizieren konnten, wenn sie mit dem Muster bereits in verschiedenen Lehr­/Lernkontexten konfrontiert worden waren (Bsp. quedarse + x). Dies verweist auf ein grundlegendes Problem des Textverste­ hens, das eng mit den Dekodierprozessen auf der Ebene des Leseverstehens ver­ knüpft ist: Wenn die Dekodierung des sprachlichen Materials fehlerhaft oder in zu geringem Ausmaß erfolgt, dann wird ein Teil der Lerner erst gar nicht auf die Ebene der eigentlichen Informationselaboration, der Bildung von Propositionen gelangen, und tritt somit auch nicht in den Textverstehensprozess ein. Eine spe­ zielle Herausforderung, so ließen die Resultate der Überblickserhebung vermu­ ten, bilden dabei idiomatische Wendungen, das heißt lexikalisch und syntaktisch komplexe Ausdrücke mit nicht­kompositioneller Bedeutung oder Ausdrücke, die in Bezug auf die Bedeutungsaktivierung polysem sind. In Bezug auf solche idio­ matischen Wendungen haben Lerner augenscheinlich oft Mühe, geeignete Bedeu­ tungszuweisungen vorzunehmen. Ihre sprachliche Kompetenz in der betroffenen Sprache ist noch nicht differenziert genug, um ihnen passende Konzepte zu liefern. Das Problem ist nicht neu, und es finden sich auch zahlreiche Untersuchungen, die beispielsweise den Zusammenhang zwischen Wortschatz und Leseverstehen beim Erwerb einer romanischen Sprache in den Blick nehmen (vgl. z. B. Costa 2010; Ender 2007). Dabei wird allerdings meist von einzelnen Lexemen ausgegangen, was bedeutet, dass die Möglichkeit komplexer nicht­kompositioneller Strukturen oft nicht in den Blick genommen wird. Dies impliziert aber gleichzeitig, dass Kom­ positionalität als Verarbeitungsprinzip nicht hinterfragt und Strukturen, die sich in einem sogenannten Zwischenraum, einem Kontinuum, befinden, ausgeblendet

193 Die Daten der Studie wurden bereits in Wolf (2018) vorab publiziert, der Fokus lag dabei allerdings auf der grammatiktheoretischen Fragestellung und daraus ableitbaren Implikationen für den Fremdsprachenunterricht.

148 

 4 Empirischer Teil

werden. Dies erscheint in Bezug auf diese Strukturen jedoch problematisch, da sie als Form­Bedeutungspaare im Sinne der Konstruktionsgrammatik (Goldberg 2006; Handwerker 2009) betrachtet werden können und sich somit die Frage stellt, ob nicht eine holistische Verarbeitung und Speicherung angenommen werden muss.194 Diese Überlegung steht in engem Zusammenhang mit einer gebrauchsba­ sierten Perspektive auf den Spracherwerb, in der, unterlegt mit den theoretischen Modellierungen der Konstruktionsgrammatik (KxG), von einem Kontinuum zwi­ schen grammatikalischem und lexikalischem Wissen ausgegangen wird, in dem die Strukturelemente in Form von Konstruktionen miteinander vernetzt sind.195 Für die romanischen Sprachen wird diese gebrauchsbasierte Perspektive auf den Erwerb von idiomatischen Wendungen, speziell für Phraseme, besonders in den Arbeiten Schafroths vertreten (vgl. z. B. Schafroth 2014; Schafroth/Imperiale 2016).196 Grundsätzlich besteht im Rahmen der Konstruktionsgrammatik Klärungsbe­ darf, welche Strukturen unter den Begriff der Konstruktion subsumiert werden dürfen (vgl. Stefanowitsch 2009, 568–569). Goldberg schlägt diesbezüglich einen weiten Konstruktionsbegriff vor, der keinen Unterschied zwischen kompositio­ nellen und nicht­kompositionellen Strukturen macht: «Any linguistic pattern is recognized as a construction as long as some aspect of its form or function is not strictly predictable from its component parts or from other constructions recog­ nized to exist. In addition, patterns are stored as constructions even if they are fully predictable as long as they occur with sufficient frequency» (Goldberg 2006, 5). Hier wird der Konstruktionsbegriff zugunsten einer Integration der Gebrauchs­ häufigkeit erweitert und so den gebrauchsbasierten Ansätzen innerhalb der Kons­ truktionsgrammatik Rechnung getragen. In Anlehnung an Goldbergs Definition werden Konstruktionen für die hier vorgestellte Studie definiert als 1. form-meaning pairs, d. h. Konstruktionen sind immer Ausdrucks­Inhalts­Paare, die 2. nicht­kompositionell sind oder frequente kompositionelle Muster bilden, und die 194 Es ist allerdings anzumerken, dass meist keine grammatiktheoretische Auseinanderset­ zung erfolgt, so dass diese Diskussion erst gar nicht in den Blick rückt. Die fehlende Auseinan­ dersetzung mit der Frage, welches Grammatikmodell sich als Grundlage für empirische Arbeiten anbietet, um zu Reflexionen im Hinblick auf eine Inputoptimierung zu gelangen, wird dabei bisweilen als Manko empfunden, das es dringend zu beheben gilt (vgl. Handwerker 2015, 129). 195 Vgl. zu diesen Modellierungen in der KxG und ihre Relevanz für den L2­Erwerb z. B. Ellis (2003); zu einer Darstellung der unterschiedlichen theoretischen Positionierungen innerhalb der KxG vgl. Fischer/Stefanowitsch (2006). 196 In diesem Zusammenhang muss auch auf das Projekt der Online Lernerplattform Italienisch der Universität Düsseldorf (Leitung Elmar Schafroth) hingewiesen werden, die den Erwerb von Phrasemen dezidiert mit den theoretischen Annahmen der KxG verbindet.

4.1 Störungen des Textverstehens: Das Problem der Dekomposition 

 149

3.

kombinierbar sind, d. h. Äußerungen, die größer als ein Morphem sind, können also auf mehrere Konstruktionen abbildbar sein, und 4. deren Komplexitäts­ und Abstraktionsgrad ein Kontinuum bildet von lexika­ lisch voll­ oder teilspezifiziert bis hin zu abstrakt und lexikalisch unausgefüllt sowie von einmorphemig über mehrmorphemig bis hin zu Syntagmen.197 Übertragen auf die im Rahmen der vorliegenden Studie getesteten Verbalphra­ sen198 (quedarse; ponerse; hacerse; volverse + x) ließe sich die unterschiedliche Konzeptaktivierung und die jeweils zugehörige Konstruktion beispielsweise bezogen auf quedarse folgendermaßen darstellen: (1) (a) Konstruktionsform: span [NP ((Det)Nom) VPlok+dur PP (P + NP (N)]199 (b) Konstruktionsbedeutung [X bleibt in/bei…Y] (c) Konkretisierung: María se queda en casa. (2) (a) Konstruktionsform: span. [NP ((Det)Nom) VPZustandsveränderung + dur Adj/Part/etc.] (b) Konstruktionsbedeutung [Y­Zustand tritt für X ein und dauert an] (c) Konkretisierung: María se queda muda. Beide Konstruktionen bilden komplexe Strukturen ab, deren Slots je nach Kontext gefüllt werden können, wobei das Subjekt immer nur {+belebt} sein kann. Bei­ spiel (1) bildet hierbei keine Probleme: Dabei handelt es sich um eine klassische 197 Vgl.  hierzu Fischer/Stefanowitsch (2006, 5–7). Vgl.  zum Komplexitäts­ und Abstraktions­ kontinuum in Bezug auf Konstruktionen v. a. Koch (2016, 18–21). 198 In diesem Zusammenhang muss auf eine Reduktion hingewiesen werden, die die Kom­ plexität des Erwerbs von sogenannten Mehrworteinheiten betrifft und die in der vorliegenden Studie im Hinblick auf Kontrollierbarkeit der Faktoren wie auch der Präzision der Ergebniss in Kauf genommen wurde. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit kann eine Diskussion über die ver­ schiedenen Formen solcher Mehrworteinheiten nicht in ausreichender Reflektiertheit geführt werden. Selbstverständlich liegen Unterschiede zwischen Phraseologismen, Kollokationen und Phrasemen vor, die für den Erwerb eine Rolle spielen. Für die Studie hier wurden ausschließ­ lich Mehrworteinheiten betrachtet, die aus einem fixierten, lexikalischen Element und einem freieren Element bestehen, das aber grammatikalischen Restriktionen unterliegt. Ziel war es, zu sehen, ob Fremdsprachenlerner sich in der Verarbeitung und Produktion ähnlich wie Native Speaker verhalten. Um illustrieren zu können, dass diese Verbalperiphrasen dann Probleme be­ reiten, wenn Frequenz und ein Lernen en bloc nicht gegeben sind, wurde diese Differenzierung innerhalb der Mehrworteinheiten ausgeblendet. Vgl.  aber zu dieser Problematik Wood (2019) sowie zur Verarbeitung von formulaic language Conklin/Schmitt (2012). 199 Im Rahmen der vorliegenden Studie wird nicht gesondert auf die Pro-drop­Eigenschaft des Spanischen eingegangen und nur die vereinfachte Form mit overtem Subjekt dargestellt. Die Kursivierung soll aber die Möglichkeit eines nicht overten Subjekts wenigstens andeuten.

150 

 4 Empirischer Teil

komplexe Konstruktion, die sich in weitere Konstruktionen aufsplitten lässt. Für die so geöffneten Leerstellen bieten sich lexikalisch mehrere Möglichkeiten, deren Füllung den Lernern in der Regel keine Probleme bereitet. (2) hingegen ist anders gelagert: Hier kann das Element, mit dem der Slot gefüllt werden kann, zwar variieren, er muss aber gleichzeitig idiomatisch besetzt werden. Beide Kons­ truktionen zählen in der Modellierung von Koch zu den schematischen Konstruk­ tionen, d. h. sie bestehen aus kategorialen Slots (Koch 2016, 20).200 In Bezug auf eine mentale Speicherung (Erwerb des Konzepts werden) müssten die L2­Lerner diese Konstruktionen demzufolge auch als schematische Konstruktionen spei­ chern, die sie dann kreativ­produktiv abrufen könnten. Zentral ist hierbei die Unterteilung zwischen schematischen und substantiven Konstruktionen, da sie, denkt man die von Koch vorgenommene Differenzierung der Konstruktionsformate weiter, in Bezug auf mögliche Repräsentationsformen zu einer weiteren Unterscheidung führt (vgl.  Koch 2016). Während substantive Konstruktionen lexikalisch voll­ oder teilspezifiziert gespeichert werden, werden schematische Konstruktionen als abstrakte Formate gespeichert, deren Leerstellen erst im Gebrauch gefüllt werden. Erfolgt für diese aber eine mentale Repräsenta­ tion als bereits «gefüllte Konstruktion», d. h. mit vorgefüllten Slots, so ist von einer chunk­Speicherung zu sprechen, da keine abstrakte Repräsentation vorliegt.201 Das bedeutet in Bezug auf die schematischen Konstruktionsformate muss unterschieden werden zwischen einer abstrakten Konstruktion als Speicher­ format, deren leere Slots erst im Gebrauch gefüllt werden und chunks, die voll­ gefüllt gespeichert und dann auch so instantiiert werden. Diese Unterscheidung zwischen abstrakten schematischen Konstruktionen und chunks erlaubt, Konst­ ruktionen und chunks als Speicherformate in Bezug auf ihren Gebrauch für den Erwerb zu trennen und so auf verschiedene mentale Repräsentationen zu schlie­ ßen. Damit kann eine Verbindung zwischen der Ebene der mentalen Repräsen­ tation von lexikalisch­grammatischem Wissen und der Ebene der tatsächlichen, kontextgesteuerten Produktion und Rezeption komplexer Strukturen hergestellt werden, über die Konzeptualisierungsschwierigkeiten der Lerner im Fremdspra­ chenerwerb sichtbar gemacht werden können. Denn eine Speicherung als schema­ tische Konstruktion setzt voraus, dass im Erwerbsverlauf eine Analyse des Inputs erfolgt, der ausgehend von chunks zu einem abstrakten syntaktisch­lexikalischen Wissen führt. Dies impliziert im Hinblick auf Texte als einer möglichen Form der 200 Koch trennt diese schematischen Konstruktionen von den substantiven Konstruktionen. Letztere enthielten bereits lexikalisches Material, wären also lexikalisch voll­ oder teilspezifi­ ziert (Koch 2016, 20). 201 Vgl. zur Rolle von chunks im L2­ und Fremdsprachenerwerb z. B. Aguado (2002a, b); Bybee (2006); Haberzettl (2006); Wong­Fillmore (1979).

4.1 Störungen des Textverstehens: Das Problem der Dekomposition 

 151

sprachlichen Äußerungen, mit denen Lerner konfrontiert werden, dass auf der konzeptuellen Ebene auch nur dann eine entsprechend variable Referenzherstel­ lung möglich ist, wenn eine schematische Konstruktion gespeichert wurde. Liegt die Speicherung in Form eines chunks vor, so kann auch nur ein entsprechen­ des Bedeutungsäquivalent abgerufen werden, d. h. die Referenzzuweisung ist nicht flexibel. Hier können sich demnach mapping­Probleme bei der Zuweisung der sprachlichen Bedeutungsdimensionen auf die konzeptuelle Ebene im Hin­ blick auf die Aktivierung relevanter und passender Konzepte ergeben, die darauf zurückgehen, dass bereits die semantische Information, die im sprachlichen Zeichen kodiert ist, nicht korrekt verarbeitet werden konnte und daher falsche Konzepte, und in der Folge auch falsche Referenten, aufgerufen werden. Die Ergebnisse der Überblicksstudie legen dabei nahe, dass auch Lerner mit einem fortgeschrittenen Niveau in Bezug auf diese idiomatischen Wendungen dazu ten­ dieren, nur hochfrequente Muster abzuspeichern und dementsprechend auch nur prototypische Konzepte abrufen können. Im Folgenden werden die Ergebnisse einer quantitativen Studie vorgelegt, die die Annahme untersucht, dass nur prototypische und exemplarische Sequen­ zen im Sinne eines chunks gespeichert werden, die auf Gebrauchspräferenzen und Frequenz beruhen und deren Slots dementsprechend vorgefüllt sind.

4.1.2 Material und Methoden 4.1.2.1 Testpersonen An der Studie haben insgesamt 43 Personen teilgenommen, die untersuchte Ziel­ sprache ist Spanisch. Die Teilnahme erfolgte freiwillig. Die TN verteilten sich auf zwei Gruppen: Die Gruppe der Non-Native Speaker (NNS) und die Gruppe der Native Speaker (NS). Die NNS umfasste dabei 35 TN und die NS 8 TN. Die Daten für die NNS wurden in je zwei Kursen des Unterrichtsfachs Spa­ nisch der Universität Salzburg erhoben. Die Sprachkurse sehen für produktive Fertigkeiten das Niveau B2+ bzw. C1 und für rezeptive Fertigkeiten das Niveau C1/ C1+ vor. Die Kurse wurden nicht von der testenden Person geleitet. Die Testung erfolgte am Ende des WS 2015/16, so dass davon ausgegangen werden konnte, dass die TN über die entsprechenden Kompetenzniveaus verfügen. Die Daten der NS wurden jeweils individuell über Fragebögen erhoben. Die 35 Probanden der NNS zeichnen sich durch folgende personenabhängige Merkmale aus: – Alle TN haben L1 Deutsch. – Alle TN verfügen über ein Niveau von B2/C1 in der Zielsprache.

152  – –

 4 Empirischer Teil

Alle Probanden sind Studierende der Universität Salzburg und studieren Spanisch im Rahmen ihres BA­ bzw. Lehramtsstudiums. Die TN sind zwischen 19 und 30 Jahre alt (∅ 21,8 Jahre).

Diese Probandengruppe ist relativ homogen in Bezug auf Alter,202 Bildungs­ grad203 sowie Sprachniveau. Sechs Probanden waren männlich, 29 waren weib­ lich. Die Auswahl der Gruppe zu einem bestimmten Zeitpunkt ist eine bewusste Auswahl, sie kann zwar als kleines Abbild der Gesamtheit über die Jahre hinweg interpretiert werden. Da es sich aber nicht um eine Zufallsstichprobe handelt, können auch die Methoden der Stichprobentheorie nicht uneingeschränkt auf das vorliegende Verfahren angewendet werden. Bei den Probanden der NS­Gruppe handelt es sich um acht Probanden, die sich durch folgende personenabhängige Merkmale auszeichnen: – Alle TN haben L1 Spanisch. – Die TN sind zwischen 25 und 69 Jahre alt (∅ 42,8 Jahre). Diese Gruppe kann nur als relativ homogen in Bezug auf den Bildungsgrad bezeich­ net werden. In Bezug auf die Variablen Alter sowie Herkunft (die Probanden stammen aus unterschiedlichen spanischsprachigen Ländern)204 ist die Gruppe sehr heterogen, vgl. beispielsweise die Spannweite hinsichtlich des Alters von 25 bis 69 Jahre.205 Zwei Probanden sind männlich, sechs Probanden sind weiblich. 4.1.2.2 Materialien und Pilotierung Die Probanden erhielten jeweils einen kombinierten Fragebogen, der einen Fra­ genteil zu ihrer Sprach­/Lernbiographie sowie separat eine Autorisierungser­ 202 Nur ein Proband war zum Zeitpunkt der Aufnahme im Abstand zu den anderen TN deutlich älter (30 Jahre). 203 Das Bildungsniveau wurde, gemäß der Empfehlungen von OECD und Eurostat, über den höchsten abgeschlossenen Bildungsabschluss gemessen (OECD/Eurostat 2014, 6). 204 Drei Probanden stammen aus Chile, Kuba und Uruguay. Die restlichen fünf stammen aus Spa­ nien, hier allerdings auch aus unterschiedlichen Regionen. Sicherlich müsste in einer größeren Erhebung die Herkunft und damit die verschiedenen Regionalnormen in Bezug auf das Spanische differenziert werden. Die hier getestete kleine «Stichprobe» erlaubte es aber, die produzierten Kons­ truktionen auf ihre überregionale Verwendung zu überprüfen und die diatopische Verschiedenheit somit zu vernachlässigen. Bis auf eine idiomatische Konstruktion waren alle produzierten Kons­ truktionen überregional bekannt und unterschieden sich lediglich im Hinblick auf ihre diapha­ sische Markierung. So verwendete die jüngste Probandin die Konstruktion hacerse un gilipollas, die zwar alle anderen Probanden kannten, aber nur in extremen Situationen verwenden würden. 205 Die Aussagen beruhen auf den im Fragebogen zur Sprachlernbiographie erhobenen Daten. Der Fragebogen wurde in Anlehnung an Ender (2007) verfasst und befindet sich im Anhang dieser Arbeit.

4.1 Störungen des Textverstehens: Das Problem der Dekomposition 

 153

klärung zur Nutzung und Veröffentlichung der Daten und einen Aufgabenteil in Bezug auf die zu produzierenden items enthielt. Das Testdesign wurde zunächst anhand einer Gruppe von elf Probanden mit L1 Deutsch (L2­Niveau B2/C1) pilotiert, um sicherzugehen, dass die Probanden die Fragestellung richtig verstehen und der Test auch die aufgestellten Hypothesen über die Antworten bedienen kann. Die Ergebnisse der Pilotstudie zeigten, dass die Probanden die Fragestellung einheitlich richtig verstehen konnten. Anhand der in der Pilotierung erzielten Ergebnisse ließ sich abschätzen, dass mit dem gewählten Design die erstellten Hypothesen bearbeitet werden können. 4.1.2.3 Exkurs: quedarse, volverse, hacerse und ponerse als polyseme Ausdrücke und ihre Konzeptualisierung Für den Aufgabenteil wurden vier Strukturen im Spanischen gewählt, die polysem sind, d. h. mehrere Konzepte im mentalen Lexikon aufrufen können, sich aber in einem Konzept überschneiden. Es handelt sich um die Verben quedarse, volverse, hacerse und ponerse,206 die zusätzlich zu ihrem literalen Sinn auch als Pseudo­ kopula, als sogenannte verbos de cambio konzeptualisiert werden können. Diese Verbgruppe ist bekannt dafür, dass sie einen Problembereich für Lerner darstellt (vgl.  Bermejo Calleja 1994). Gerade für Lerner mit L1 Deutsch ist es schwierig, semantische Unterschiede beim Konzepttransfer festzustellen: (1) quedarse quieto (2) volverse loco (3) hacerse rico (4) ponerse rojo In allen vier Fällen wird das Konzept werden aktiviert, die Unterscheidung hin­ sichtlich der Situationsaspekte bzw. Aktionsarten muss allerdings erlernt werden und ist nicht für alle vier Konstruktionen gleichermaßen transparent (vgl. Bybee/ Eddington 2006). Konstruktionen mit quedarse + Adj. lässt sich der Situations­ aspekt [+durativ] zuordnen, d. h. es erfolgt eine Zustandsveränderung, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckt. In Kombination mit Partizip wird eher die Aktionsart [+ resultativ] evoziert, wobei es durch einen Konzepttransfer aus der L1 Deutsch hier auch zu einem blending der Konzepte kommen kann: Wendungen wie

206 Neben diesen vier Konstruktionen gibt es noch weitere Möglichkeiten das Konzept werden im Spanischen abzubilden, wie z. B. convertirse, tornarse, trocarse, meterse etc. Der vorliegende Beitrag beschränkt sich auf die vier genannten Beispiele, da es hierfür Korpusanalysen zu Ge­ brauchspräferenzen im Spanischen gibt, über die Aussagen zur Unterscheidung von kreativem Gebrauch versus Abruf eines chunks gemacht werden können.

154 

 4 Empirischer Teil

quedarse dormido aktivieren hier sicherlich neben dem Konzept werden noch das Konzept bleiben, zwar nicht mehr im Sinn einer Lokativkonstruktion, aber doch sicherlich als eine Art «semantischer Konzeptrest», der die Konstruktion insge­ samt leichter prozessierbar macht. Ponerse + Adj. lässt sich im Vergleich dazu die Aktionsart [+ inchoativ] zuordnen, die stärker den Beginn denn den Prozess selbst fokussiert. Hier kann eine eindeutige explizite Grammatikinformation im Sinne des C&K­Ansatzes (Chunk­ und Konstruktionenansatz) nach Handwerker (2015) zu einer Abstrahierung der Konstruktionen im Fremdsprachenerwerb führen und damit zu einem kreativ­produktiven Gebrauch. Sehr viel schwieriger gestaltet sich die Zuord­ nung einer Selektionsbeschränkung über die Aktionsart im Fall der beiden anderen Konstruktionen. Die von Bermejo Calleja (1994, 50) vorgeschlagene Opposition Qualität versus Zustand erscheint angesichts der in der Studie von den L1­Sprech­ ern produzierten spanischen Konstruktionen zu unscharf und damit als Kriterium für eine Verbesserung der L2­Lernformate ungeeignet. So wurde beispielsweise sowohl die Konstruktion volverse famoso als auch die Konstruktion hacerse famoso gebildet, die in Akzeptabilitätsurteilen als synonym eingestuft wurden. Auch die Korpusstudie von Bybee und Eddington (2006), die von einem gänzlich verschiedenen Ansatz bei der Unterscheidung der vier Verbalphrasen hinsichtlich ihrer Möglichkeiten syntaktische Fügungen über die Hinzunahme eines Adjektivs zu bilden, ausging, kam in Bezug auf volverse und hacerse zu keinem eindeutigen Ergebnis. Bybee und Eddington versuchten, für alle vier Ver­ balphrasen einen Prototyp zu ermitteln, mit dem bevorzugt Verbindungen gebil­ det wurden. Die Adjektive, die in den anderen Verbindungen auftraten, wurden dann hinsichtlich ihrer Ähnlichkeitsbeziehung zum Prototypen analysiert, um so Gebrauchspräferenzen hinsichtlich bestimmter Muster zu ermitteln. Dies gelang allerdings nur im Fall von quedarse und ponerse, also den Verben, die auch hin­ sichtlich der implizierten Aktionsart gut unterscheidbar sind (Bybee/Eddington 2006, 348–351). Im Fall von volverse zeigte sich zwar eine hohe Gebrauchspräfe­ renz für die Kollokation volverse loco, die restlichen Verbindungen waren aber so heterogen, dass nicht von einer Gruppierung der Elemente um einen prototy­ pischen Vertreter auszugehen ist (Bybee/Eddington 2006, 331). Auch für hacerse waren keine Gebrauchspräferenzen ermittelbar. In Bezug auf die Konzeptaktivierung von werden scheint eine Abstrahie­ rung sowie eine Vorhersage der Füllelemente aufgrund grammatikalischer oder semantischer Kategorien demnach äußerst schwierig. Das bedeutet, es liegen zwar schematische Konstruktionen vor, es bleibt jedoch fraglich, ob die Lerner diese Ausdrücke im (gesteuerten) Fremdsprachenerwerb dann auch als Konst­ ruktionen speichern, was kreative Varianz bei der Produktion von syntaktischen Fügungen mit diesen Verben erlauben würde. Möglich ist aber auch, dass die Lerner letztlich nur hochfrequente und gebrauchspräferierte Sequenzen spei­

4.1 Störungen des Textverstehens: Das Problem der Dekomposition 

 155

chern, die einer vollgefüllten Konstruktion entsprechen und somit hinsichtlich ihres Speicherformats als chunk definiert werden müssten. Dies würde allerdings bedeuten, die Lerner gelangen selbst auf einem fort­ geschrittenen Niveau teilweise nicht zu einem abstrakteren Wissen über Kons­ truktionen, da sie die inputbasierten chunks nicht in abstrakte Einheiten zerle­ gen können. Ob dies tatsächlich angenommen werden kann, wird im folgenden Abschnitt behandelt, der die Studie und die erhobenen Daten beschreibt. 4.1.2.4 Ablauf der Testung Als Testdesign wurde ein Offline­Test gewählt, die Anweisung lag in der L1 vor und wurde den Probanden vorgelesen. Um Priming­Effekte zu vermeiden, wurde die Anweisung tatsächlich so offen wie möglich gehalten: Die Probanden sollten anhand der vorgegebenen Verben quedarse, volverse, hacerse und ponerse kor­ rekte spanische Ausdrücke mit diesen Verben bilden. Den Probanden lagen die Verbalphrasen gereiht vor, so dass z. B. das gemeinsame Konzept werden sofort hätte aktiviert werden können. 4.1.2.5 Forschungsfragen Ziel war es zum einen, festzustellen, ob die produzierten Types in Bezug auf das Konzept werden die Gebrauchspräferenzen aus der Studie von Bybee und Edding­ ton (2006) widerspiegelten und ob hier Unterschiede zwischen den beiden Gruppen feststellbar wären. Zum anderen sollte getestet werden, wie viele verschiedene Kon­ zepte die NNS­Gruppe überhaupt aktiviert und inwieweit es hier Unterschiede zur NS­Gruppe gäbe. Dementsprechend wurden folgenden Forschungsfragen formuliert: 1. Verhalten sich die NNS im Vergleich zu den NS in Bezug auf die Produktion von Types auf das Konzept werden ebenso produktiv wie die NS? 2. Kann aufgrund eines unterschiedlichen Produktionsverhaltens auch auf unterschiedliche Speicherformate in Bezug auf die mentale Repräsentation geschlossen werden? 4.1.2.6 Ergebnisse Anhand der Erhebungen wurden Unterschiede in den relativen Häufigkeiten un­ tersucht.207 Die Parameter Mittelwert, Standardabweichung sowie der Variations­ koeffizient wurden ermittelt. Wie bereits eingangs erwähnt, erlaubt ein geringer Erhebungsumfang keine klassischen Parametertests, weil insbesondere ein Zugrun­ 207 Die Auswertung der Ergebnisse liegt in geraffter Form in einer Vorabpublikation ebenfalls vor in Wolf 2018, 53–63.

156 

 4 Empirischer Teil

delegen der Normalverteilung im Allgemeinen nicht möglich ist. Um aber wenigs­ tens eine wahrscheinlichkeitstheoretische Aussage machen zu können, wurde der Mediantest nach Yates durchgeführt (vgl. Lienert 1973, 168 ff.). Mit diesem Test wurde die Hypothese, dass sich das Verhalten der NNS­Gruppe in Bezug auf die Type-Token­Relation hinsichtlich der Verbalphrasen gleich verhält (H0: NNS = NS) gegen die Hypothese (H1: NNS ≠ NS), dass diese beiden Gruppen ein unterschiedliches Verhalten aufweisen mit Hilfe der χ2­Verteilung (mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit von 5% (p = 0,05)) getestet. Vermutet wurde ein Testergebnis zugunsten der H1, das bedeutet, dass die Probanden der NNS­Gruppe bei der Produktion der Verbalphra­ sen nicht denselben Variationskoeffizienten aufweisen wie die NS­Gruppe. Dabei wurde zunächst jede korrekt produzierte Verbalphrase als Treffer, d. h. als Abruf einer gespeicherten mentalen Repräsentation der jeweiligen Konstruktion, gewer­ tet. Über die Auswertung der erfolgten Treffer nach Frequenz (Prototypeneffekt) und Variabilität (Kreativität in der Produktion) ließ sich dann auf die Gestalt der menta­ len Repräsentation schließen, d. h. ob sie als chunk, also mit lexikalischer Füllung, oder als schematische Konstruktion in abstrakter Form mit Leerstellen konzeptua­ lisiert wird. Die Auswertung der Daten erfolgte aufgrund des kleinen Erhebungsumfangs händisch. 4.1.2.6.1 Auswertung der Konstruktionsproduktionen von NNSund NS-Gruppe in Bezug auf Type-Token Relationen Bei der Auswertung der Konstruktionen der NNS­Gruppe wurden ungramma­ tische Konstruktionen aus der Wertung genommen.208 Miteinbezogen wurden grammatisch korrekte Konstruktionen, die zwar denkbar wären, aber als nicht idiomatisch und daher in Bezug auf einen reellen Gebrauch als eher unwahr­ scheinlich bewertet wurden. Diese Konstruktionen wurden in der Rubrik ‚Übrige‘ geführt. In diese Rubrik wurden innerhalb der NS­Gruppe Konstruktionen ein­ geordnet, die einen besonders hohen Grad an Idiomatizität aufwiesen, wie bei­ spielsweise Phraseologismen sowie eine Konstruktion, die hauptsächlich im chi­ lenischen Sprachraum gebräuchlich zu sein scheint. In der Auswertung wurde dann zunächst unterschieden zwischen der Anzahl der abgerufenen Konzepte. Basierend auf der Häufigkeit der Tokens auf ein Type innerhalb eines Konzeptes in der NNS­Gruppe wurde dann in verschiedene Types unterteilt und die Tokens der Probanden auf die jeweiligen Types gezählt. Types, für die keine auffällige Token­Relation ermittelt werden konnte, wurden in die Kategorie „Sonstige“ 208 Die Überprüfung der produzierten Konstruktionen in Bezug auf grammatikalische Korrektheit und Idiomatizität wurde von zwei Spanisch L1­Sprechern unabhängig voneinander durchgeführt.

4.1 Störungen des Textverstehens: Das Problem der Dekomposition 

 157

eingeordnet. Diese Kategorie kann als Indikator für Varianz und somit für einen kreativen Umgang mit den hier ausgewählten schematischen Konstruktionen in Bezug auf die Bildungen von syntaktischen Fügungen gewertet werden. Bereits hier zeigen sich Unterschiede zwischen den beiden Gruppen: Während die NNS­Gruppe bei der Verbkonstruktion quedarse die meisten Tokens (96) erzielte, und volverse deutlich mehr Schwierigkeiten zu bereiten schien (44 Tokens), arbei­ tete die NS­Gruppe wie zu erwarten relativ homogen und wies keine hohen Schwan­ kungen auf. Weiterhin lässt sich innerhalb der NNS­Gruppe beobachten, dass die beiden Verbalkonstruktionen am produktivsten zu sein schienen, bei denen eine expli­ zite Grammatikinstruktion erfolgen kann: quedarse und ponerse erzielten in Bezug auf die jeweiligen Types die höchste Anzahl an Tokens (96 und 87), wohin­ gegen volverse und hacerse deutlich weniger erzielten (44 und 64). Um diese Ver­ mutung zu bestätigen, soll im nachfolgenden Abschnitt die Auswertung hinsicht­ lich der einzelnen Verbalphrasen erfolgen.209 4.1.2.6.2 Vergleich der Bedeutungsaktivierungen in Bezug auf die einzelnen Verbalphrasen und Häufigkeitsverteilungen Das unterschiedliche Verhalten zwischen den beiden Gruppen wird sichtbar, wenn man Verbalkonstruktionen hinsichtlich der Bedeutungsaktivierungen der verschiedenen Konzepte sowie der darauf bezogenen jeweiligen Types vergleicht (siehe Tabelle 5). Tabelle 5: Häufigkeitsverteilung der Type-Token-Relation der Verbalphrase quedarse für NNS und NS. Tabelle (quedarse) Konzepte – Types

NNS Tokens

1. bleiben[Lokativ] – en casa – en la cama – en un lugar – Sonst.

13 2 3 10

Σ (zusammen)

28

NS

Anteil in %

Anzahl

am jew. Konzept

insgesamt

46,5 7,1 10,7 35,7

13,6 2,1 3,1 10,4 29,2

100

Anteil in % am jew. Konzept

insgesamt

3 0 0 0

100 0 0 0

6,0 0 0 0

3

100

6,0

209 Für eine Detailansicht der Gruppenauswertung in Bezug auf Types und Tokens vgl. die Grund­ tabellen im Anhang.

158 

 4 Empirischer Teil

Tabelle 5 (fortgesetzt) Tabelle (quedarse) Konzepte – Types

NNS Tokens

2. bleiben [figurativ] – boquiabierto – dormido – solo – sin palabras – Sonst.

3 2 4 2 12

Σ (zusammen)

23

3. werden – mudo – quieto – ciego – sordo – Sonst. Σ (zusammen)

8 8 7 6 8

NS

Anteil in %

Anzahl

am jew. Konzept

insgesamt

13,0 8,7 17,4 8,7 52,2

3,1 2,1 4,2 2,1 12,5

0 0 1 0 6

24,0

7

8,3 8,3 7,3 6,3 8,3

4 2 2 1 24

100 21,6 21,6 18,9 16,2 21,6

Anteil in % am jew. Konzept

insgesamt

0 0 14,3 0 85,7

0 0 2,0 0 12,0

100 12,1 6,1 6,1 3,0 72,7

14,0 8,0 4,0 4,0 2,0 48,0

37

100

38,5

33

100

66,0

4. Übrige

8

100

8,3

7

100

14,0

Σ (zusammen)

8

100

8,3

7

100

ΣΣ (insgesamt)

96

X

50

X

100

14,0 100

Unterschieden wurde bei quedarse in Bezug auf die Bedeutungsaktivierung die Konzepte bleiben im Sinne einer Lokativkonstruktion, bleiben figurativ (Konzeptblending), werden und «Übrige». Unter letzterer Kategorie wurden alle Types summiert, die zu heterogen für eine Gruppenbildung waren. Im Falle der NNS waren dies die nicht­idiomatischen, aber grammatikalisch korrekten Types, die im Akzeptabilitätsurteil durch die L1­Sprecher als eher unwahrscheinlich im Gebrauch eingeordnet wurden, während in der Gruppe der NS dort die sehr idiomatischen Types (vorwiegend Füllung der Slots mit Phraseologismen wie quedarse para vestir santos) zusammengefasst wurden. Die Verteilung der Häufigkeiten hinsichtlich der Type-Token­Verteilung auf die aktivierten Konzepte zeigt im Fall quedarse, dass die NS­Gruppe sehr viel pro­ duktiver und kreativer im Bereich des Konzepts werden war. Während die NNS­ Gruppe relativ homogen in der Bedeutungsaktivierung ist, deutet die Anteilsver­ teilung in Bezug auf die Konzeptaktivierung in der NS­Gruppe darauf hin, dass vorwiegend auf das Konzept werden produziert wurde (66%). Damit produzierte die NS­Gruppe mehr als doppelt so viele Bildungen auf das figurative Konzept wie die NNS­Gruppe. Weiterhin wird die Vermutung gestützt, dass im Bereich

4.1 Störungen des Textverstehens: Das Problem der Dekomposition 

 159

der figurativen Bedeutung (Konzept werden) in der NNS­Gruppe vor allem hoch­ frequente und gebrauchspräferierte Strukturen produziert werden. Tatsächlich entsprechen die Types, die sich durch eine höhere Token­Rate hervorheben, auch den von Bybee und Eddington (2006) ermittelten gebrauchspräferierten Kolloka­ tionen für [quedarse(verbo de cambio) + Adj.]. In der NS­Gruppe zeigt sich hier dagegen ein deutlicher Unterschied: Neben der Produktion der Types, die den von Bybee und Eddington (2006) ermittelten Gebrauchshäufigkeiten entspricht, produzierten die NS in der Kategorie «Sonstige» sehr kreativ und variantenreich Kollokationen (Types) auf das Konzept werden (48%). Die NNS­Gruppe weist dagegen im Verhalten auf die unterschiedlichen Konzepte insgesamt nur wenig Unterschiede auf, die Anteile der Konzepte in Bezug auf die Gesamtheit zeigen nur kleine Schwankungen. Dies stützt bereits die Hypo­ these, dass die Kollokationen eher als chunks gespeichert werden und ein mentales Repräsentationsformat als schematische Konstruktion noch nicht erreicht wurde. Ein wenig anders zeigt sich die Verteilung der Häufigkeiten im Fall volverse (vgl. Tabelle 6): Tabelle 6: Häufigkeitsverteilung der Type-Token-Relation der Verbalphrase volverse für NNS und NS. Tabelle (volverse) Konzepte – Types

NNS Tokens

1. zurück, wieder – a casa – para hacer algo – Sonst.

2 1 1

Σ (zusammen)

4

NS

Anteil in %

Anzahl

Anteil in %

am jew. Konzept

insgesamt

50,0 25,0 25,0

4,5 2,3 2,3

1 0 4

9,1

5

63,7 6,8 4,5 15,9

7 0 0 29

90,9

36

100

83,7 4,7

100

am jew. Konzept

insgesamt

20,0 0 80,0

2,3 0 9,3

100

2. werden – loco – antipático – un tacaño – Sonst.

28 3 2 7

Σ (zusammen)

40

100

3. Übrige

0

0

0

2

100

Σ (zusammen)

0

0

0

2

100

ΣΣ (insgesamt)

44

X

100

43

X

70,0 7,5 5,0 17,5

19,4 0 0 80,6

11,6 16,3 0 0 67,4

4,7 100

Hier zeigt sich ein relativ einheitliches Bild hinsichtlich der Konzeptaktivie­ rung: Beide Gruppen arbeiten quantitativ am produktivsten in Bezug auf das

160 

 4 Empirischer Teil

Konzept werden. Allerdings ist auch hier die NS­Gruppe wesentlich produkti­ ver im Bereich der kreativen Bildungen, d. h. ihr Produktionsverhalten spiegelt zwar die Gebrauchspräferenzen für volverse werden aus dem Korpus von Bybee und Eddington (2006) wider (dort zeigte die Kollokation volverse loco eine hohe Anzahl von Tokens, vgl. Bybee/Eddington 2006, 331), zeigt aber auch, dass die NS­Gruppe ein hohes Maß an idiomatischer Vielfalt aufweist.210 Dies erhärtet den Verdacht weiterhin, dass die L2­Lerner in diesem Fall beim Erwerb von chunks, hier exemplifiziert an volverse loco,211 stehenbleiben und kein abstraktes syntak­ tisch­lexikalisches Wissen in Bezug auf die möglichen Slotfüllungen, also keine Konstruktion im engeren Sinne erwerben. Dieser Eindruck verstärkt sich dann bei Betrachtung der Verteilung der Häu­ figkeiten der beiden letzten Verbalphrasen, ponerse und hacerse. Hier sind die Schwankungen zwischen NNS und NS zwar nicht ganz so ausgeprägt, bestäti­ gen aber die Tendenz, dass die Non-Native Speaker in hohem Ausmaß Tokens auf gebrauchspräferierte Types abbilden, außerhalb dieser Gruppe aber nur relativ wenig «eigene» Types generieren, also vermutlich auch keine abstrakte Konstruk­ tion abgespeichert haben, während die Native Speaker beide Verhaltensweisen zeigen: Sowohl die Produktion der gebrauchspräferierten Sequenzen (mentale Repräsentation möglicherweise ebenfalls als chunk) als auch kreative Bildungen (vgl. Tabellen 7 und 8). Tabelle 7: Häufigkeitsverteilung der Type-Token-Relation der Verbalphrase ponerse für NNS und NS. Tabelle (ponerse) Konzepte – Types 1. anziehen – Sonst.

NNS Tokens

4

NS

Anteil in %

Anzahl

am jew. Konzept

insgesamt

100

4,6

Anteil in % am jew. Konzept

insgesamt

3

100

6,7

Σ (zusammen)

4

100

4,6

3

100

2. ‚erklären‘

1

100

1,2

0

0

0 0

Σ (zusammen)

1

100

1,2

0

0

3. einverstanden sein

1

100

1,2

1

100

6,7

2,3

210 Sowohl Bybee (2008) als auch Bermejo Calleja (1994) weisen darauf hin, dass Types mit volverse für das Konzept werden für Lerner am schwierigsten zu bilden sind. 211 Für diesen Type ermitteln Bybee und Eddington (2006) eine sehr hohe Gebrauchspräferenz in Bezug auf alle vier Verbalphrasen mit dem Konzept werden.

 161

4.1 Störungen des Textverstehens: Das Problem der Dekomposition 

Tabelle 7 (fortgesetzt) Tabelle (ponerse) Konzepte – Types

NNS Tokens

NS

Anteil in % am jew. Konzept

Anzahl

insgesamt

Anteil in % am jew. Konzept

insgesamt

Σ (zusammen)

1

100

1,2

1

100

2,3

4. aufstehen

1

100

1,2

2

100

4,4

Σ (zusammen)

1

100

1,2

2

100

4,4

24,1 13,8 11,4 9,2 5,7 4,6 4,6 16,1

5 2 2 2 0 1 2 22

5. werden – rojo – triste – nervioso – enfermo – alegre – en forma – furioso/féliz – Sonst.

21 12 10 8 5 4 4 14

Σ (zusammen)

27,0 15,4 12,8 10,3 6,4 5,1 5,1 17,9

13,9 5,7 5,7 5,7 0 2,8 5,7 61,2

11,1 4,4 4,4 4,4 0 2,3 4,4 48,9

78

100

89,5

36

100

79,9

6. Übrige

2

100

2,3

3

100

6,7

Σ (zusammen)

2

100

2,3

3

100

ΣΣ (insgesamt)

87

X

45

X

100

6,7 100

Tabelle 8: Häufigkeitsverteilung der Type-Token-Relation der Verbalphrase hacerse für NNS und NS. Tabelle (hacerse) Konzepte – Types

NNS Tokens

NS

Anteil in % am jew. Konzept

Anzahl

insgesamt

1. vorgeben etw. zu sein – el tonto – Sonst.

3 0

100 0

4,7 0

5 5

Σ (zusammen)

3

100

4,7

10

25,0 12,5 10,9 15,6 6,3 3,1 15,6

5 1 1 2 1 2 11

2. werden – rico – famoso – abogado – médico/profesor – millionario – vegetariano – Sonst.

16 8 7 10 4 2 10

28,1 14,0 12,3 17,5 7,1 3,5 17,5

Anteil in % am jew. Konzept

insgesamt

50,0 50,0

11,4 11,4

100 21,8 4,3 4,3 8,7 4,3 8,7 47,9

22,8 11,4 2,3 2,3 4,5 2,3 4,5 25,0

162 

 4 Empirischer Teil

Tabelle 8 (fortgesetzt) Tabelle (hacerse) Konzepte – Types

NNS Tokens

NS

Anteil in %

Anzahl

am jew. Konzept

insgesamt

Anteil in % am jew. Konzept

insgesamt

Σ (zusammen)

57

100

89,0

23

100

52,3

3. zubereiten – Sonst.

3

100

4,7

1

100

2,3

Σ (zusammen)

3

100

4,7

1

100

2,3

4. Übrige

1

100

1,6

10

100

22,6

Σ (zusammen)

1

100

1,6

10

100

22,6

ΣΣ (insgesamt)

64

X

44

X

100

100

Zusammenfassend lässt sich mit Blick auf die Einzelauswertungen der Häu­ figkeitsverteilungen in Bezug auf die Type-Token­Relation zunächst festhalten, dass bei allen vier Verbalphrasen in der Bedeutungsaktivierung des Konzepts werden die durch Bybee und Eddington (2006) ermittelten Gebrauchspräferen­ zen sowohl von der NNS­ als auch von der NS­Gruppe widergespiegelt wurden. So wurden beispielsweise quedarse mudo, quieto, volverse loco, ponerse nervioso, rojo, triste und hacerse rico, famoso gleichermaßen produziert.212 In der NNS­Gruppe zeigte sich bereits hier eine Tendenz zu einer relativ homogenen Kollokationsproduktion auf die Konzeptaktivierung von werden, die NNS hatten wesentlich mehr Mühe, kreative Kollokationen im Sinne von nicht erwartbaren Types zu bilden. Die NS arbeiteten dagegen durchgehend am Konzept werden am produktivsten und zeigten hier auch in Bezug auf jede Verbalphrase ein hohes Maß an Varianz und Kreativität.

212 In der Korpusanalyse von Bybee und Eddington (2006) wurden quedarse und ponerse in ihren Types für werden genauer untersucht, wobei die beiden Autoren zu dem Schluss kom­ men, dass hochfrequent auftauchende Kollokationen wie quedarse quieto und ponerse nervioso auch im Fall der L1­Sprecher zusätzlich zu einer abstrakten Konstruktion [verbo de cambio + Adj.] als chunks mit dem Ziel einer schnelleren Aktivierung und Verarbeitung gespeichert sind (vgl. Bybee/Eddington 2006; Bybee 2008, 227). Diese Beobachtung stützt die hier erstellte Hypo­ these, dass es bei den L2­Lernern über Frequenz und usage einer Konstruktion in der Zielsprache zwar zu einem entrenchment als chunk – Bybee spricht hier von prefabs – nicht aber zu einer Speicherung als schematische Konstruktion kommt.

4.1 Störungen des Textverstehens: Das Problem der Dekomposition 

 163

4.1.2.6.3 Gesamtauswertung über Mittelwert, Standardabweichung und Variationskoeffizienten Die bereits geäußerte Vermutung, am produktivsten seien die beiden Verbalphra­ sen quedarse und ponerse in der Gruppe der NNS, muss dahingehend relativiert werden, dass diese zwar insgesamt die höchste Anzahl an Tokens erzielten, in Bezug auf die kreative Produktion aber nicht den ersten Platz belegen (vgl. hierzu Tabelle 9). Denn für die verschiedenen Types, die auf die Gesamtheit der Konzepte gebildet wurden, wurde der höchste Variationskoeffizient für volverse ermittelt, und somit kann die höchste Varianz innerhalb der gebildeten Types für volverse angenommen werden (v = 158,7). Im Vergleich dazu erhält ponerse nur Rang zwei mit einem Variationskoeffizienten (v) von 87,3. Damit übertrifft das relative Streu­ ungsmaß von volverse in Bezug auf die Verschiedenheit der gesamten Types die Variationskoeffizienten der restlichen Verbalphrasen bei weitem (quedarse = 55,0 und hacerse = 79,0). Bei Betrachtung der Ergebnisse der NS­Gruppe fällt auf, dass der höchste Mittelwert der Tokens ebenfalls im Fall von quedarse erzielt wurde, d. h. dass hier im Schnitt die meisten Tokens gebildet wurden. Am produktivsten in Bezug auf den kreativen Umgang war die NS­Gruppe bezogen auf die Gesamtheit der Types ebenfalls bei dieser Verbalphrase (Variationskoeffizient 178,4), gefolgt von volverse (Variationskoeffizient 171,4). Für ponerse liegt der Variationskoeffizient für die Gesamtanzahl der Types bei 159,0, für hacerse bei 86,5. Blickt man auf die Variationskoeffizienten hinsichtlich des Konzepts werden so relativiert sich das Bild hinsichtlich der Kreativität und Varianz für die NNS­ Gruppe. Dort liegen die Variationskoeffizienten in einem deutlich niedrige­ ren Bereich als für die Gesamtheit der produzierten Types, mit Ausnahme von volverse, das zwar am höchsten streut, aber immer noch deutlich unter dem Variationskoeffizienten der NS­Gruppe liegt. Den niedrigsten Variationskoeffizi­ enten zeigt quedarse (v = 10,8), also ausgerechnet die Verbalphrase, für die eine explizite Grammatikinstruktion am leichtesten in die L2­Lernformate integrier­ bar wäre. Es scheint daher schwierig, eine Relation zwischen der Möglichkeit der expliziten Grammatikinstruktion und der Abstrahierung von chunks zu Konstruk­ tionen anzunehmen. Die Variationskoeffizienten von hacerse und ponerse liegen nah beieinander, hier zeigen sich keine allzu großen Unterschiede (51,8% und 56,3%). Auch bezogen auf die Gesamtheit der Verbalphrasen zeigt sich für die Bedeutungsaktivierung von werden und die darauf gebildeten Types, dass die Gruppe relativ homogen gearbeitet hat und nur wenig Varianz zeigt (v = 67,0). Sehr viel kreativer waren die NNS bei der Bildung von Types auf die anderen Konzepte: v = 105,2. Im Vergleich dazu bietet sich ein differentes Bild bei der NS­Gruppe. Für das Konzept werden liegt der Variationskoeffizient bei 147,8, ist also mehr als doppelt so hoch wie bei der NNS­Gruppe. Der Variationskoeffizient

164 

 4 Empirischer Teil

für die anderen Konzepte und die darauf gebildeten Types ist dabei niedriger als für das Konzept werden, v = 113,2. Diese Ergebnisse stützen die Hypothese, dass die L2­Lerner doch auf einer chunk­Stufe im Erwerb von nicht­kompositionellen syntaktischen Fügungen stehenbleiben, hier am Beispiel der verbos de cambio exemplifiziert. Der Mangel an Kreativität, die in dieser Studie über die Varianz gemessen wurde, deutet stark darauf hin, dass eine Speicherung als schemati­ sche Konstruktion nur teilweise gelungen ist. Auch deuten die Ergebnisse auf eine differente Verarbeitung hin, was die Hypothese über unterschiedliche Kon­ zeptualisierungsprozesse stützt. Für quedarse zeigt sich, und hier kann von einer sehr deutlichen Tendenz gesprochen werden, dass die Konzeptaktivierung bei literalen Bedeutungen auch hinsichtlich eines kreativen Gebrauchs produktiv ist (v = 70,8), wohingegen dieser bei den figurativen Bedeutungen deutlich abnimmt. Dies spricht möglicherweise dafür, dass die literal-first-Hypothese213 für L2­Lerner nicht nur für Phraseologis­ men, sondern für den gesamten Bereich komplexer nicht­kompositioneller Aus­ drücke angenommen werden kann. Der Vergleich der Mittelwerte hinsichtlich der Tokens auf die Bedeutungsak­ tivierungen lässt darauf schließen, dass die NNS­Gruppe eine stärkere Tendenz zu einer semasiologischen sowie einer zunächst von der literalen Bedeutung ausgehenden Verarbeitung der vorgegebenen Verbalphrasen aufweist als die NS­ Gruppe, was Überlegungen zu möglichen Unterschieden in der Organisation im mentalen Lexikon (semasiologisch für die L2 und onomasiologisch für die L1) stützen würde. Relativ deutlich wird dies, wenn man die Variationskoeffizienten in Bezug auf alles Types ohne werden und auf alle Types von werden vergleicht. Die NNS­Gruppe weist in Bezug auf die Types ohne werden einen deutlich höheren Variationskoeffizienten auf, was bedeutet, dass hier sehr viel kreativer und vermutlich auch sicherer mit der Verbalphrase umgegangen wurde – dies deutet letztlich auch auf eine Speicherung als Konstruktion hin. Die NS­Gruppe zeigt diesbezüglich ein diametral umgekehrtes Verhalten, sie war wesentlich kre­ ativer bei der Bildung von Types mit Konzeptaktivierung von werden.214 213 Diese besagt, dass auf der Konzeptebene zunächst die wörtliche Bedeutung aktiviert wird und erst dann übertragene Bedeutungen aufgerufen werden können. Demgegenüber steht die direct-access­Hypothese, die von einem sofortigen Zugriff auf übertragene Bedeutungen ausgeht (Römer/Matzke 2005, 178). 214 Darauf weist auch sehr stark die Form der ausgefüllten Bögen hin. Sie spricht sowohl für die literal-first­Hypothese als auch für eine semasiologische Aktivierung: In der Gruppe der NNS wurden bis auf zwei Ausnahmen zunächst stets die literalen Bedeutungen (bleiben, machen, wieder etw. tun und anziehen) aufgerufen und dann erst das Konzept werden. Am deutlichs­ ten zeigt sich dies im Fall von quedarse. Bei den NS­Probanden verhielt es sich genau umgekehrt: Bei der Hälfte der Testpersonen wird ausschließlich das Konzept werden aufgerufen, bei den

4.1 Störungen des Textverstehens: Das Problem der Dekomposition 

 165

Tabelle 9: Statistische Maßzahlen zu den Type-Token Relationen.215 Konzept

NNS n

A

μ

NS σ

v

a) quedarse (1) insgesamt (TP) (2) ohne werden (TP) (3) insgesamt (Types) (4) ohne werden (Types) (5) werden (TP) (6) werden (Types)

35 35 15 10 35 5

96 59 96 59 37 37

b) volverse (1) insgesamt (TP) (2) ohne werden (TP) (3) insgesamt (Types) (4) ohne werden (Types) (5) werden (TP) (6) werden (Types)

35 35 8 4 35 4

44 1,26 0,69 54,8 4 0,11 0,32 290,9 44 5,50 8,73 158,7 4 1,00 0,71 71,0 40 1,14 0,76 66,7 40 10,00 10,60 106,0

c) hacerse (1) insgesamt (TP) (2) ohne werden (TP) (3) insgesamt (Types) (4) ohne werden (Types) (5) werden (TP) (6) werden (Types)

35 35 11 4 35 7

64 7 64 7 57 57

2,74 1,69 6,40 5,90 1,06 7,40

1,83 0,20 5,82 1,75 1,63 8,14

n

A

1,66 60,6 8 1,35 79,9 8 3,52 55,0 15 4,18 70,8 10 1,29 122,9 8 0,80 10,8 5

μ

σ

v

50 17 50 17 33 33

4,25 2,13 3,33 1,70 4,13 6,60

0,83 13,3 1,54 72,3 5,94 178,4 2,57 151,2 1,76 42,6 8,75 132,6

8 8 8 4 8 4

43 7 43 7 36 36

5,38 0,86 16,0 0,88 0,78 88,6 5,38 9,22 171,4 1,75 1,48 84,6 4,50 1,41 31,3 9,00 11,90 132,2

1,28 69,9 8 0,58 290,0 8 4,63 79,0 11 1,30 74,3 4 1,24 76,1 7 4,22 51,8 7

44 21 44 21 23 23

5,50 2,63 4,00 5,25 2,88 3,29

0,87 15,8 1,58 60,1 3,46 86,5 3,19 60,8 2,03 70,5 3,41 103,6

anderen steht es zumindest immer an erster Stelle. Um dies valide zu bestätigen, müssen natür­ lich größere Erhebungen gemacht werden – die Tendenz allerdings zeigt sich deutlich und ist für die Optimierung des Inputs im Bereich Lexikonerwerb bedeutsam, da eine onomasiologische Aktivierung z. B. erlauben würde, Polysemien im mentalen Lexikon zu integrieren. 215 Legende für die in den Tabellen verwendeten Zeichen: (1) TP­bezogene Ergebnisse über alle Types (TP=Testpersonen) (2) TP­bezogene Ergebnisse über alle Types ohne diejenigen von werden (3) Type-bezogene Ergebnisse über alle Types (4) Type­bezogene Ergebnisse über alle Types ohne diejenigen von werden (5) TP­bezogene Ergebnisse über alle Types von werden (6) Type­bezogene Ergebnisse über alle Types von werden n: Anzahl der Gesamtheit der TP/ bzw. der Konzeptaktivierungen A: Anzahl der Tokens μ: Mittelwert der Tokens insgesamt σ: Standardabweichung der Tokens σ v: Variationskoeffizient der Tokens in % mit v = × 100[%] μ

166 

 4 Empirischer Teil

Tabelle 9 (fortgesetzt) Konzept

NNS n

A

μ

NS σ

v

n

A

μ

d) ponerse (1) insgesamt (TP) (2) ohne werden (TP) (3) insgesamt (Types) (4) ohne werden (Types) (5) werden (TP) (6) werden (Types)

35 35 13 5 35 8

87 9 87 9 78 78

2,49 0,26 6,69 1,80 2,23 9,75

1,50 60,2 8 0,55 211,5 8 5,84 87,3 13 1,17 65,0 5 1,67 74,9 8 5,49 56,3 8

e) alle Verbalphrasen (1) insgesamt (TP) (2) ohne werden (TP) (3) insgesamt (Types) (4) ohne werden (Types) (5) werden (TP) (6) werden (Types)

140 140 47 23 140 24

291 79 291 79 212 212

2,08 0,56 6,19 3,43 1,51 8,83

1,45 69,7 32 182 5,69 1,03 183,9 32 54 1,69 5,62 90,8 47 182 3,87 3,61 105,2 23 54 2,35 1,37 90,7 32 128 4,00 5,92 67,0 24 128 5,33

45 9 45 9 36 36

5,63 1,13 3,46 1,80 4,50 4,50

σ

v 1,11 19,7 1,36 120,4 5,50 159,0 1,17 65,0 1,87 41,6 6,75 150,0 0,99 1,53 6,12 2,66 1,90 7,88

17,20 90,5 158,1 113,2 47,5 147,8

4.1.2.6.4 Hypothesenprüfung Angesichts der Auswertungen des Produktionsverhaltens216 von NNS und NS lässt sich vermuten, dass sich beide Gruppen bezüglich der Type-Token­Relation unterschiedlich verhalten. Um diese Vermutung abzusichern, wird der Median­ test von Yates herangezogen. Wird die Nullhypothese H0: NNS und NS verhalten sich in Bezug auf die Type-Token­Relation gleich – d. h. es wird angenommen, dass jeweils die gleiche Anzahl von Tokens pro Type in den Verbalphrasen auf­ tritt, also NNS = NS – bei einem Signifikanzniveau von 95% verworfen, und damit die H1: NNS und NS verhalten sich unterschiedlich, also NNS≠NS, angenommen, bedeutet dies, dass die formulierten Ergebnisse tatsächlich als solide Basis für nachfolgende Forschungsarbeiten in einem größeren Rahmen herangezogen werden können. Für den Mediantest werden die Ergebnisse wie sie in den Tabellen zu den kumulierten Häufigkeiten ermittelt wurden217 vereinigt und der Median mit Hilfe der kumulierten Häufigkeiten ermittelt. Die Kontingenztafel (Tabelle 10) gibt für jede Gruppe die Anzahl der Tokens wieder, die größer oder kleiner als der Medi­ anwert sind.

216 Gemeint ist hier sowohl quantitativ als auch qualitativ im Sinne von kreativem Gebrauch. 217 Vgl. zu den kumulierten Häufigkeiten die Tabellen im Anhang.

4.1 Störungen des Textverstehens: Das Problem der Dekomposition 

 167

Tabelle 10: Kontingenztafel (Vier-Felder-Tafel). Gruppen

x > Me

x ≤ Me

Σ

NNS

a  = 54

b  = 86

NS

c   = 32 N = 86 2

d  = 0 N = 86 2

140 = N1

Σ

32  = N2 172 = N

Die folgende Testgröße

2 2 æ æ Nö 172 ÷ö ÷ N × ççç a × d — b × c — ÷÷÷ 172 × ççç 54 × 0 — 86 × 32 — ÷ çè çè 2 ÷ø 2 ÷ø x2 = = ( a + b ) × ( a + c ) × ( b + d ) × ( c + d ) (54 + 86) × (54 + 32) × (86 + 0) × (32 + 0)

= 36,896 ist χ2  verteilt. Da χ2  = 36,896 χ21FG: 0,95 = 3,84218 muss H0 zugunsten von H1 abge­ lehnt werden. Aufgrund dieser Berechnung kann H0 also zugunsten von H1 verworfen wer­ den, d. h. die Anzahl der von der NNS­Gruppe gebildeten Tokens unterscheidet sich bei einem Signifikanzniveau von 95% signifikant von der Anzahl der von der NS­Gruppe gebildeten Tokens. Dementsprechend ist dies für den hier postulier­ ten Erklärungsraum relevant und ermutigt zu weiteren Forschungsarbeiten, auf deren Grundlage die aufgestellten Hypothesen noch besser abgesichert werden könnten.

4.1.3 Diskussion Die Auswertung hat im Hinblick auf die gestellten Forschungsfragen zu einer klaren Hypothesenbildung geführt. Die Tendenzen, die sich im unterschiedli­ chen Verhalten zwischen der NNS­ und der NS­Gruppe zeigten, weisen darauf hin, dass fortgeschrittene Lerner in Bezug auf komplexe nicht­kompositionelle Ausdrücke  – hier am Beispiel der Kollokationsmöglichkeiten mit quedarse, volverse, hacerse und ponerse – eher dazu neigen, diese als chunks abzuspeichern und nicht als schematische Konstruktionen mit offenen Slots. Das Verhalten der NS­Gruppe lässt vermuten, dass es tatsächlich sinnvoll ist, für diese Ausdrücke mentale Repräsentationen im Sinne von Konstruktionen anzunehmen, da in der

218 Der Vergleichswert χ21FG: 0,95 = 3,84 für den anhand der Kontingenztabelle ermittelten Wert wurde entnommen aus Tab.IIa in: Schaich 1977, 321.

168 

 4 Empirischer Teil

Produktion einerseits Prototypen und Exemplare219 gespiegelt und diese auch in Akzeptabilitätsurteilen seitens der Native Speakers herangezogen wurden, um die von der NNS­Gruppe gebildeten Kollokationen zu bewerten. Andererseits wurde hier aber auch auf die unterschiedlichen Aktionsarten Bezug genommen und kreativ produziert. Insgesamt sprechen die Ergebnisse sehr stark für einen gebrauchsbasierten Erwerb hinsichtlich der Kategorie komplexe nicht­komposi­ tionelle Ausdrücke, in dem entrenchment vornehmlich über Frequenz erfolgt, in dem aber für den L2­Erwerb unbedingt von verschiedenen Speicherformaten aus­ gegangen werden sollte. Eine wesentliche Rolle scheint dabei auch die Frequenz­ verteilung, die sich in den Gebrauchspräferenzen niederschlägt, zu spielen. Aufgrund der Ergebnisse kann darauf geschlossen werden, dass Lerner für den Erwerb idiomatischer Wendungen, wie sie hier exemplarisch über die komple­ xen, nicht­kompositionellen Strukturen für das Konzept werden im Spanischen vertreten wurden, eine große Bandbreite unterschiedlichster syntaktischer Fügungen, Wendungen und Phraseologismen benötigen – und diese jeweils in hoher Frequenz –, um Strukturen dieser Art in ihrem mentalen Lexikon zu spei­ chern. Ob das Speicherformat als chunk dabei in das Format einer schematischen Konstruktion überführt werden kann, bleibt allerdings fraglich.

4.1.4 Zwischenfazit Die vorliegende Studie weist in ihrer Tendenz darauf hin, dass im Hinblick auf idiomatische Wendungen tatsächlich ein «Speicherproblem» auf Seiten der Fremdsprachenlerner besteht. Wenn diese nicht­kompositionellen Strukturen aber nur in Form von Prototypen und chunks im mentalen Lexikon vorliegen, so haben die Lerner unweigerlich Schwierigkeiten bei mapping­Prozessen zwischen sprachlich kodierten Bedeutungsdimensionen und konzeptueller Ebene sowie der Bedeutungsdetermination, sobald diese nicht in hochfrequenten und proto­ typischen Mustern vorliegen. Dies impliziert, dass die Integration solcher Struk­ turen in Lehr­/Lernkontexten gefördert werden muss, wie auch das Bewusstsein für das Vorhandensein solcher komplexen, nicht­kompositionellen Strukturen. Dies könnte beispielsweise über eine gewisse Bandbreite bei der Produktion dieser Ausdrücke zunächst vor allem über Imitationslernen an authentischem Material erreicht werden.220 Ob Lerner überhaupt im Bereich idiomatischer Aus­

219 Vgl. zur Wirkungsweise von Prototypen und Exemplaren im Fremdspracherwerb v. a. Bybee (2006; 2008; 2013). 220 Vgl. hierzu v. a. Aguado (2002 a, b).

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

 169

drücke und nicht­kompositioneller, komplexer Fügungen zu einer mentalen Repräsentation der Struktur als Konstruktion gelangen, bleibt allerdings fraglich. Zu überdenken ist aber sicherlich, ob nicht durch Imitation und damit verbunde­ nem pattern drill ein Aufbrechen der chunks in das abstrakte Konstruktionsfor­ mat erfolgen kann, nimmt man an, dass ein gebrauchsbasierter Ansatz für den Fremdsprachenerwerb erfolgsversprechend ist.221 Dies könnte auch dazu führen, dass Verarbeitungsblockaden, die auf einer Dominanz des Dekompositionalitäts­ prinzips beruhen, überwunden werden können und es somit zu einem ökonomi­ scheren Einsatz von verschiedenen Verarbeitungsstrategien in Abhängigkeit von den sprachlichen Strukturen kommt, was insbesondere für die rezeptive Kom­ petenz des Text­ und Leseverstehens von Bedeutung wäre. Damit verbunden ist aber auch die Frage, ob nicht auch ein gezieltes Training zum Umgang mit unbe­ kannten Lexemen stärker in die Lehr­/Lernkontexte integriert werden müsste, um die Strategie der mot-à-mot­Übersetzungen, zu der die Lerner über Anwendung des Dekompositionalitätsprinzips zu greifen scheinen, durch geeignete Strate­ gien zur Bedeutungsdetermination zu ersetzen. Die Bedeutung eines geeigneten Inventars von Strategien zur Wortschatzerschließung und Bedeutungszuweisung wird Thema der anschließenden Studie sein.

4.2 Störungen der Verstehensprozesse: It’s the vocabulary…? Zum Zusammenhang zwischen Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 4.2.1 Relevanz Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass sowohl der Breite als auch der Tiefe des Wortschatzwissens in der Fremdsprache im Hinblick auf ein gelingen­ des Textverstehen in der Forschung eine relativ große Bedeutung zugemessen wird.222 Auch in der Überblicksstudie, die zur Erfassung der unterschiedlichen 221 Noch einmal sei darauf hingewiesen, dass im Rahmen dieser Arbeit davon ausgegangen wird, dass sich die Erwerbsmechanismen zwischen L1­Erwerb und L2­Erwerb unterscheiden. Eine konstruktionsgrammatische Annäherung an den L2­Erwerb scheint aufgrund der hier ge­ wonnenen Ergebnisse zumindest für Teile des Erwerbs sinnvoll zu sein. Das heißt aber nicht, dass ein regelbasierter Ansatz abgelehnt wird, vielmehr wird eine integrative Sicht auf die bei­ den Ansätze vertreten, vgl. hierzu z. B. Trousdale (2014), der genau dies versucht und die Annah­ men der KxG im Rahmen traditioneller Grammatikalisierungs­theorien auf ihre Integrationsfä­ higkeit und Erklärungskraft hin analysiert. 222 Vgl. zur Relevanz der Wortschatzbreite Nation (2001; 2006). Ender gibt als Minimum für ein gelingendes Textverstehen in Bezug auf einen «unspezifischen» Text eine Wortschatzgröße von

170 

 4 Empirischer Teil

Problembereiche und ihres Stellenwertes hinsichtlich des Textverstehens diente, nannten die Probanden das Vokabular als größten Problembereich. Im hier zugrunde gelegten Erklärungsansatz, demzufolge Störungen im Textverstehen meist bei mapping­Prozessen zwischen dem einzelsprachlichen Zeichen (Zeichen als Träger der verschiedenen Bedeutungsdimensionen) und der konzeptuellen Ebene (Zeichen als Aktivierer der Wissensformate) auftreten, ist es daher notwen­ dig, zu wissen, wie dieser Verstehensprozess mit der Bedeutungszuweisung bei unbekannten Lexemen im Text zusammenhängt. Beim Lesen in der Fremdspra­ che, so lässt sich vermuten, spielt es dabei für einen gelingenden Textverstehens­ prozess, der zumindest die Etablierung eines TWM beinhaltet – in einem weiteren Schritt dann die Bereitstellung von Sinn – eine besondere Rolle, ob der Prozess der Bedeutungszuweisung mit der Textprogression erfolgreich interagiert. So geraten vor diesem Hintergrund die Strategien in den Blick, die Lerner bei der Erschließung fremden Vokabulars beim Lesen und Textverstehen in der Fremd­ sprache anwenden, um diese Prozesse zu bewältigen. Dabei kann im Hinblick auf erfahrene Fremdsprachenlerner vermutet werden, dass sie als Rezipienten über ausreichende Strategien der Worterschließung verfügen (vgl. Meißner 1997, 29). In diesem Zusammenhang wird vor dem Hintergrund der Mehrsprachig­ keitsforschung wie auch ­didaktik223 immer wieder auf die Besonderheit und die Vorteile verwiesen, über die mehrsprachige Lerner in Bezug auf Strategienwissen verfügen sollen. In ihrer Analyse zum Einsatz von Strategien bei mehrsprachigen Lernern kam Mißler dahingehend auch zu einem positiven Urteil: Ihre Untersu­ chung ergab, dass mehrsprachige Lerner, vermutlich aufgrund ihrer breiteren lin­ guistischen Erfahrung, Strategien effizienter einzusetzen wussten und auch häu­ figer nutzten als monolinguale Lerner (vgl. Mißler 1999). Vor diesem Hintergrund erhielt das Konzept der Interkomprehension immer mehr Aufmerksamkeit und so wurde das Augenmerk des Fremdsprachenunterrichts stärker auf Fragen nach einer positiven Nutzung des Potenzials der verschiedenen Wissensbestände, wie sie für das multilinguale mentale Lexikon angenommen werden, im Hinblick auf einen positiven Transfer zwischen den unterschiedlichen Sprachsystemen

5.000 Grundwörtern an (Ender 2007, 70), wobei darauf verwiesen sei, dass als Grundwort immer nur die lexikalische Morphembasis zu verstehen ist und etwaige derivationelle oder komposi­ tionelle Bildungen nicht mehr gezählt werden. So könnte z. B. frz. {chauff­} als ein Grundwort gewertet werden, zu dem dann entsprechend als Ableitungen chauffer, chauffage, déchauffer etc. gezählt würden (vgl. Ender 2007, 70). 223 Vgl. zu einem Überblick über die Entwicklung der Mehrsprachigkeitsdidaktik sowie zur He­ rausbildung ihres Forschungsprogramms Siebel (2017, 60–66); vgl. auch Martinez (2015).

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

 171

gelenkt.224 Ausgangspunkt für Überlegungen, wie dieses Potenzial in den Lernern wirksam werden könne, bildet das Phänomen der „crosslinguistic influence“, unter das sämtliche Erscheinungen der interlingualen Vernetzung und Interak­ tion wie z. B. Transfer, Interferenz, inhibition etc. subsumiert werden (vgl. Ender 2007, 53). Damit stehen etliche Programme in Verbindung, die gezielt Interkom­ prehensionsstrategien einsetzen, um den Spracherwerb zu fördern. Dabei zielen diese Strategien auf das bewusste wie auch unbewusste Aktivieren von Verbin­ dungen zwischen den einzelnen Sprachsystemen im Bereich Morphosyntax, Syntax und Lexikon ab, wobei zumeist davon ausgegangen wird, dass diese Pro­ zesse über das Kriterium der Ähnlichkeit evoziert und unterstützt werden (Ender 2007, 54).225 Innerhalb dieses Paradigmas wurden vor allem auch rezeptive Fähig­ keiten beim Sprachverstehen, wie beispielsweise die Lesefertigkeit in der Fremd­ sprache, fokussiert. Besonders erwähnenswert scheint in diesem Kontext die auf Basis des Interkomprehensionsansatzes entwickelte EuroComRom­Methode (Klein/Stegmann 2000), über die es möglich sein sollte, in relativ wenig Zeit eine rezeptive Kompetenz in einer der romanischen Sprachen auszubilden (vgl. Arntz 2011, 471). Die Lerner wenden bei dieser Methode die sogenannten Sieben Siebe an, über die interlinguale Transferbasen erkannt werden sollen (Klein/Stegmann 2000, 9–13).226 Allerdings verweisen Berthele et al. darauf, dass diese Methode erst ab dem Erreichen einer gewissen Wortschatzgröße zu einem flüssigeren Lesen in der jeweiligen Zielsprache führe (vgl. Berthele et al. 2011, 490).227 Dies lenkt den Blick zurück auf die Überlegungen, inwieweit Strategien zur Wort­ schatzerschließung, vor allem vor einem multilingualen Hintergrund, das Text­ verstehen insgesamt beeinflussen. Müller­Lancé weist dabei dem multilingualen mentalen Lexikon eine besondere Rolle zu, da bereits angelegte Einträge das Speichern und Verarbeiten neuer Einheiten erleichterten – und damit auch den Verstehensprozess beim Erwerb unbekannter lexikalischer items (Müller Lancé 2003a, 114). Diese Prozesse der Vernetzung innerhalb des mentalen Lexikons beschreibt Müller­Lancé mit der Metapher der Kletterwand: 224 Vgl. zu einem Überblick über die Entwicklung der Mehrsprachigkeitsforschung im Rahmen fremdsprachendidaktischer Fragen z. B. Martinez (2015). 225 Damit verbunden ist auch eine verstärkte Erforschung des Tertiärsprachenerwerbs, wie sie etwa ab Beginn der 2000er zu beobachten ist und die sehr gezielt auf die interlinguale Beein­ flussung abhebt; vgl. hierzu z. B. die Beiträge in Cenoz, Hufeisen und Jessner (2001); de Angelis, Jessner und Kresic (2015); Herdina und Jessner (2002); vgl.  auch de Angelis (2007); Hufeisen (1998; 2003); Hufeisen/Neuner (2006); Jessner (2008). 226 Die Methode der EuroComprehension wurde mittlerweile auf weitere Sprachen ausgeweitet: EuroComGerm (Hufeisen 2002), EuroComSlav (Zybatow 1999; 2002). Die Methode setzt allerdings erwachsene und spracherfahrene Lerner voraus. 227 Dies spricht für die Annahme einer Schwellenhypothese.

172 

 4 Empirischer Teil

So wie der multilinguale Wortschatz zur Entschlüsselung unbekannter Formen beitragen kann, so kann er auch dabei helfen, neu zu erlernenden Wortschatz leichter zu memorie­ ren. Je mehr Wörter bereits im Mentalen Lexikon abgelegt sind, desto leichter ist es, neuen Wortschatz mit diesem zu verknüpfen. Das mehrsprachige Mentale Lexikon ist also nicht wie ein Speicher zu verstehen, der irgendwann voll ist, sondern eher wie eine unendliche Kletterwand, in der jedes vorhandene oder zusätzliche Wort als Griff zum Vorankommen dient. (Müller­Lancé 2013, 24)

Angesichts der Annahmen der Eurocom-Methode und der Interkomprehension über intralinguale Vernetzungen könnte man nun zu dem Schluss gelangen, ein gutes Training multilingualer Strategien im Bereich der Wortschatzerschließung würde nun auch zu einem besseren Textverstehen führen und sei daher ein zen­ trales Kriterium bei der Förderung des Textverstehens in der L2. Dies scheint aber möglicherweise ein Trugschluss zu sein: Zum einen zeigte sich in Studien zum Strategieeinsatz beim Lesen fremdsprachiger Texte, dass die Lerner nicht automatisch Gebrauch von interlingualen bzw. interkomprehensiven Strategien machen: «Insgesamt fließen die breiten Ressourcen der mehrsprachigen Ler­ nenden nur gelegentlich in den Prozess der Bedeutungsdetermination ein. Meist geschieht dies in Form von intralingualen Strategien und selten durch das Ent­ decken von Anknüpfungspunkten zu bereits vorhandenem Wissen über die Erst­ und die Zielsprache hinaus» (Ender 2007: 208). Ender schlussfolgert daraus, dass erst die Fähigkeit, Mehrsprachigkeitsstra­ tegien während Sprachverstehensprozessen einzusetzen, im Rahmen von Lern­ kontexten als gewinnbringend betrachtet werden können, wohingegen eine mehr­ sprachige Biographie allein noch nicht darauf schließen lasse, dass kognitive Prozesse im Hinblick auf interlinguale Vernetzungen stattfänden (Ender 2007, 208–209). Ausschlaggebend scheint also erst die Verbindung zwischen interlin­ gualem Strategieneinsatz und multilingualen Wissensbeständen zu sein, um von einer Erleichterung in Bezug auf sprachliche Interkomprehension zu sprechen. Vermutlich hängt dies erneut von einem bestimmten Niveau der Sprachkompe­ tenz ab. Ähnlich vorsichtig schätzt auch bereits Müller­Lancé (2003b) sein Ergeb­ nis in Bezug auf den Einsatz interlingualer Strategien ein und macht für die hohe Schwankung eines solchen Strategieneinsatzes im Lerner vor allem die starke Abhängigkeit derselben von individuellen Vorlieben verantwortlich:228 « […] the individual willingness of making use of crosslinguistic relations differed widely from subject to subject. Some participants liked switching vividly between their 228 Auch Schmenk (2009) weist darauf hin, dass der Einsatz von Strategien im Fremdsprachen­ unterricht vom kulturellen und sozialen Hintergrund der Lerner abhinge und in hohem Maße individuell ist. Allerdings schließe das nicht aus, dass Strategien im Unterricht gezielt gefördert und ihr Einsatz trainiert werden könne.

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

 173

different languages; others clearly preferred two of their languages; others were focused on the L1» (Müller­Lancé 2003b, 131). Damit zeigt sich, dass sich der Einsatz intralingualer Strategien nicht unbe­ dingt voraussetzen lässt und es vermutlich eines intensiven Strategientrainings bedarf, bevor es zu einer automatischen Verwendung von Interkomprehension durch die Lerner kommt (vgl. Ender 2007; Müller­Lancé 2003a, b). Jedoch weist ein interlingualer Strategieeinsatz daraufhin, dass es zu einer tieferen Verarbei­ tung im mentalen Lexikon kommt, was die Behaltensergebnisse in Enders Studie zu belegen scheinen (Ender 2007, 209–210).229 So ist die verführerische Gleichsetzung eines lexikalischen Dekodierprozes­ ses unbekannter Wörter über einen interlingualen Abgleich eine doch relativ trügerische Angelegenheit, setzt sie doch einen Textverstehensprozess letztlich mit einem Verstehensprozess gleich, der darauf beruht, linear Wortbedeutung an Wortbedeutung zu reihen und die Schwierigkeit des Textverstehens nur im fremden Vokabular zu suchen, ohne nach der Verbindung zwischen Konzepten und Wissensrahmen mit der sprachlichen Ebene zu fragen. Diese aber sorgen erst dafür, dass während der Textprogression eine Kohärenzkontinuität entste­ hen kann, die dann auf einer weiteren Ebene zu einer Sinnkonstitution und zu Wissenszuwachs führt, was ja gerade das Ziel eines ganzheitlichen Textverste­ hensprozesses sein sollte. Bei einer solchen Gleichsetzung wird der Komplexität der Bedeutungszuweisung in Bezug auf sprachliche Zeichen denn doch in redu­ zierter Form Rechnung getragen, was der hier zugrunde gelegte Erklärungsansatz vermeiden will. Die Problematik der angesprochenen mot-à-mot­Übersetzungen ist den meisten Lehrenden aus Übersetzungskursen bekannt, worauf Foschi Albert hinweist: Um einen Text übersetzen zu können, kann man nicht davon ausgehen, wie viele es tun, die sprachlichen Zeichen, die ihn konstituieren, auf ihren jeweiligen lexikalischen Sinn einzeln zurückzuführen und sie durch Zeichen der Zielsprache zu ersetzen. Umso mehr kann nicht erwartet werden, aus durch Wörterbücher erworbenen Wort­für­Wort­Übersetzungen den Sinn eines fremdsprachigen Textes zu erschließen. (Foschi Albert 2012, 27)

Foschi Albert schließt daraus, dass vor allem die Technik des Nachschlagens, die nach ihrer Beobachtung die häufigste Form der Worterschließungsstrategie bei

229 Vgl. zur Behaltensleistung von fremdem Vokabular durch Lesen auch Pigada/Schmitt (2006). In einem Testdesign mit extensive reading ergibt sich auch in der Studie von Pigada und Schmitt, dass tiefere kognitive Verarbeitung zu besseren Behaltensleistungen führt. Diese ist allerdings in Verbindung mit Frequenz zu sehen, dass heißt das Lexem muss mehrmals in einem Text auftau­ chen und in verschiedenen Kontexten bevor es zu einer tieferen Verarbeitung kommt (vgl. Pigada/ Schmitt 2006; auch Day/Bamford 1998).

174 

 4 Empirischer Teil

den Studierenden bilde, Kohärenzprozesse blockiere und nicht zu einem sinnstif­ tenden Textverstehensprozess führe, es also auch nicht zur Etablierung eines TWMs kommen könne: «Eine Leseprozedur, die jedes unbekannte Wort im Text auf seine lexikalische Bedeutung zurückführt, erleichtert Textverstehen insofern nicht, als sie die zur Rekonstruktion der Textkohärenz nötigen Verknüpfungen zwischen Wörtern und Wortgruppen im Text und zwischen Repräsentationen […] nicht wirklich begünstigt» (Foschi Albert 2012, 28). Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Costa (2010, 71), die im Rahmen ihrer Untersuchung feststellte, dass die Rückführung jedes unbekannten Wortes auf seine Bedeutung die Progression beim Textverstehen hemmte und damit letztlich nahezu unmöglich machte. Im Rahmen dieser Überlegungen und Beob­ achtungen fordert Foschi Albert dementsprechend: «Im Bereich des universitä­ ren Fremdsprachenunterrichts erscheint es als sinnvoll, Fremdsprachenlernende vom Versuch abzuhalten, Texte durch die noch weit verbreitete Praxis der Wort­ für­Wort­Textübersetzung verstehen zu wollen» (Foschi Albert 2012: 25). Die Frage, die daran anschließt, ist jedoch, ob nur die Strategie des Nach­ schlagens ein solches Hemmnis für den progressiven Aufbau konzeptueller Kohä­ renz darstellt und ob andere Strategien wie Raten (extralingual, intralingual, interlingual) diesen Prozess ebenfalls behindern oder ihn im Gegenteil womög­ lich fördern. Sollte dies der Fall sein, so müsste das Augenmerk bereits von Anfang an im Rahmen von Leseaufgaben vor einem mehrsprachigen curricularen Hintergrund dahingehend ausgerichtet werden, dass solche Strategien im FSU gezielt vermittelt und trainiert werden. Um die Stichhaltigkeit dieser Überlegung bezüglich eines besseren Textverstehens und des Stellenwerts der Interaktion zwischen Bedeutungszuweisungen im Hinblick auf unbekanntes Vokabular und Textprogression innerhalb des postulierten Erklärungsansatzes zu überprüfen – zumindest mit Blick auf fortgeschrittene Lerner –, wurde daher eine Studie mit dem Ziel durchgeführt, die Verknüpfung von Worterschließungsstrategien und ihren Zusammenhang mit der Etablierung eines TWMs zu analysieren.230 230 In Bezug auf das Inferieren bei unbekanntem Vokabular liegt eine reiche Literatur vor; vgl. hierzu z. B. die detaillierte Übersicht in Paribakht/Wesche (2010, 3–10). Dabei richtet sich der Fokus der Studien aber in der Regel auf folgende Fragestellungen: Welche Faktoren beeinflussen Interferenz? Welche Rolle spielen cross-linguistic­Phänomene? Welche Verarbeitungstiefe wird erreicht? Wie ist die Behaltensleistung? Vgl. z.B zu «zufälligem Vokabellernen» Laufer/Hulstijn (2001); vgl. auch Hulstijn (2001); Paribakht/Wesche (1999). Vgl. zum Zusammenhang zwischen Strategien und Vokabellernen Fraser 1999; Ender 2007. Vgl. zu cross-linguistic-Effekten z. B. Pa­ ribakht/Tréville (2007); Paribakht/Wesche (2010). Zur Behaltensleistung vgl. z. B. Ender (2007); Paribakht/Wesche (2006); Pigada/Schmitt (2006). Studien, die gezielt nach dem Zusammen­ hang zwischen den Inferenzprozessen bei der Bedeutungserschließung des Vokabulars und des Textes fragen, sind dabei weniger vertreten; vgl. hierzu z. B. Foschi Albert (2012); Schluer (2017).

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

 175

4.2.2 Material und Methoden 4.2.2.1 Testpersonen An der Studie231 haben insgesamt 14 Personen232 teilgenommen, die untersuchte Zielsprache ist Französisch. Die Teilnahme basierte auf Freiwilligkeit. Die Teilneh­ mer wurden für die Testung in zwei verschiedene Sprachniveaugruppen einge­ teilt: Gruppe A verfügte dabei über das Kompetenzniveau B1+/B2 (GER). In dieser Gruppe befanden sich Teilnehmer (TN) des Sprachkurses 1 der Universität Salz­ burg. Dieser Sprachkurs sieht für produktive Fertigkeiten das Zielniveau B1+ und für rezeptive Fertigkeiten das Zielniveau B2 vor. Die Testung erfolgte am Ende des WS 2016/17, so dass davon ausgegangen werden kann, dass die TN über die ent­ sprechenden Kompetenzniveaus verfügen. Zu dieser Gruppe gehören die TN 1­6. Gruppe B umfing die TN 7­14, die ebenfalls allesamt Studierende der Univer­ sität Salzburg waren und bereits am Ende ihres Studiums standen. Sie hatten alle Sprachbeherrschungskurse absolviert und verfügten demnach über das Zielni­ veau C1 in den produktiven und über das Zielniveau C1+ in den rezeptiven Fer­ tigkeiten. Damit wies diese Gruppe ein höheres Sprachniveau auf als Gruppe A. Von den 14 TN waren ein TN männlich (TN1), alle anderen TN waren weiblich.233 Alle TN verfügten über folgende, personenabhängige Eigenschaften:234

231 Die Studie bildet in Teilen eine Replikation der Studie in Ender (2007). Allerdings wurde hier, im Gegensatz zu Ender (2007), mit zwei Gruppen eines je unterschiedlichen Sprachniveaus in der Zielsprache gearbeitet. Auch ist der Fokus der Fragestellung anders gelagert, da der Zu­ sammenhang zwischen Strategien der Worterschließung und Etablierung eines TWM betrachtet wird, und nicht, wie in Ender (2007) die Verarbeitungstiefe und Behaltensleistung in Abhängig­ keit von den Worterschließungsstrategien. 232 Die Rekrutierung der Probanden stellte sich als unerwartet schwierig heraus. Viele Studie­ rende hatten verständlicherweise Hemmungen ihrer Dozentin Think-Aloud-Protocols zur Verfü­ gung zu stellen. Daher wurde entschieden, die Daten im Rahmen eines studentischen Projekts zu erheben, was sowohl die Teilnahmebereitschaft erhöhte als auch die Hemmschwelle senkte. Ich danke an dieser Stelle Frau Iris Hannah Wiesbauer für ihre Bereitschaft, die Daten (Sprach­ lernbiographien und Audioaufnahmen) zu erheben und mir anschließend zur Verfügung zu stellen. Über dieses Vorgehen waren die Studierenden informiert und erklärten sich schriftlich damit einverstanden. Zudem sorgte die Tatsache, dass Frau Wiesbauer allen TN bekannt war und sie zur betroffenen peer group gehörte, für eine lockere und angenehme Atmosphäre, die gerade in Hinsicht auf die Methode des Lauten Denkens wichtig ist (vgl. Charters 2003). 233 Dies lässt sich durch den generell wesentlich höheren Anteil an weiblichen Studierenden im Fach Französisch erklären. Vor diesem Hintergrund ist es praktisch unmöglich, eine Ausge­ wogenheit in Bezug auf das Geschlecht herzustellen. 234 Die Aussagen beruhen auf den im Fragebogen zur Sprachlernbiographie erhobenen Daten. Der Fragebogen wurde in Anlehnung an Ender 2007 verfasst und befindet sich im Anhang dieser Arbeit.

176  – – – – – –

 4 Empirischer Teil

Alle hatten als L1 Deutsch. Alle waren Studierende der Universität Salzburg und studierten Französisch im Rahmen ihres BA­ bzw. Lehramtsstudiums. Alle lernten zum Zeitpunkt der Testung über einen Zeitverlauf von mehreren Jahren kontinuierlich die Zielsprache. Alle verfügten über Kenntnisse in mindestens noch zwei weiteren Fremd­ sprachen. Alle Teilnehmer können als erfahrene Lerner im Allgemeinen sowie als sprach­ lernerfahren im Besonderen bezeichnet werden. bei keinem der TN wurde eine Lese­Rechtschreibstörung diagnostiziert.235

Besondere Eigenschaften der Gruppe A: – Die TN sind unter 20 Jahre alt (∅ 18,3 Jahre). – Die TN besuchten zum Zeitpunkt der Studie den gleichen Sprachkurs (Niveau 1). – Die Teilnehmer beschäftigen sich auch außerhalb des Studiums mit der fran­ zösischen Sprache, und zwar im Umfang von einmal pro Monat bis mehrmals die Woche (Radio, Zeitung, Filme und Videos). – Die TN haben noch nicht längere Zeit im Zielsprachenland verbracht, alle haben aber mindestens zwei Wochen während ihrer Schulzeit dort verbracht. – Lerndauer: mindestens vier bis maximal sieben Jahre. Besondere Eigenschaften der Gruppe B: – Die TN sind alle unter 24 Jahre alt (∅ 22,9 Jahre). – Die TN haben zum Zeitpunkt der Studie alle Sprachbeherrschungskurse236 der Universität Salzburg positiv abgeschlossen. – Die TN weisen eine Lerndauer von mindestens vier237 bis maximal elf Jahren auf. – Die TN beschäftigen sich außerhalb des Sprachkurses mit der französischen Sprache, und zwar im Umfang von mindestens einmal pro Woche (Radio, Zei­ tungen, Romane, Filme, Nutzung sozialer Netzwerke). – Die TN haben bereits einen längeren Aufenthalt im Zielsprachenland ver­ bracht (mindestens ein Monat bis maximal fünf Monate). Bei einem Vergleich der beiden Gruppen fällt neben dem unterschiedlichen Kom­ petenzniveau auch die unterschiedlich starke Integration der Zielsprache in den 235 Diese Aussage beruht auf den Angaben der Probanden, die im Rahmen der Sprachbiogra­ phie erhoben wurde. 236 Diese umfassen: 4 Sprachkurse, Hin­ und Herübersetzung (Deutsch→Französisch; Franzö­ sisch→Deutsch), Vertiefung Grammatik, Mündliche Kompetenz, Schriftliche Kompetenz. 237 TN 14 hatte Französisch nicht als Schulfach.

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

 177

Alltag der TN auf. Aufgrund der kleinen Probandenanzahl lassen sich hieraus jedoch keine Rückschlüsse auf die Ergebnisse ziehen. Die Sprachlernerfahrungen der Testpersonen (siehe Tabellen 11 und 12) las­ sen sich je nach Gruppe wie folgt darstellen – die Reihung der Sprachen erfolgt dabei in der Reihenfolge des Erwerbs: Tabelle 11: Sprachlernerfahrung Gruppe A. TN

L1

L2

L3

L4

TN1

Deutsch

Englisch

Französisch

Italienisch

TN2

Deutsch

Englisch

Latein238

Französisch

TN3

Deutsch

Englisch

Französisch

Italienisch

TN4

Deutsch

Englisch

Französisch

Spanisch

TN5

Deutsch

Englisch

Latein

Französisch

TN6

Deutsch

Englisch

Französisch

Latein

L5

Latein

Spanisch

Alle TN verfügten demnach über Kenntnisse in mindestens drei Fremdsprachen, alle wurden sukzessiv im Rahmen eines gesteuerten Erwerbskontexts im Erwach­ senenalter erworben. Dabei ist Englisch für alle TN L2, was sich durch die tradi­ tionelle Reihung der Fremdsprachen in den österreichischen Curricula erklären lässt. Tabelle 12: Sprachlernerfahrung der Gruppe B. TN

L1

L2

L3

L4

L5

TN7

Deutsch

Englisch

Französisch

Latein

Spanisch

TN8

Deutsch

Englisch

Französisch

Latein

Spanisch

TN9

Deutsch

Englisch

Französisch

Latein

Portugiesisch

TN10

Dt.-Poln.

Englisch

Latein

Spanisch

Französisch

TN11

Deutsch

Englisch

Französisch

Latein

Spanisch

TN12

Deutsch

Englisch

Französisch

Latein

Russisch

TN13

Deutsch

Englisch

Französisch

Latein

TN14

Deutsch

Endlisch

Latein

Spanisch

Portugiesisch

Französisch

238 Latein fehlt bei zwei TN, da sie zum Zeitpunkt der Erhebung die in Salzburg für das Studi­ um einer romanischen Sprache obligatorische Latein­Ergänzungsprüfung noch nicht abgelegt hatten.

178 

 4 Empirischer Teil

Die TN dieser Gruppe verfügen, mit Ausnahme von TN13, alle über Sprachlerner­ fahrungen in mindestens vier Fremdsprachen. Bei sechs der TN ist Französisch L3, bei TN10 und 14 ist es L5, da sie in der Schule zuerst Latein und dann Spanisch belegt hatten. Alle TN verfügen über Lateinkenntnisse. 4.2.2.2 Materialien Alle TN mussten vor der eigentlichen Testung einen Fragebogen zu ihrer Sprach­ lernbiographie sowie eine Autorisierung ausfüllen, dass ihre Daten in anonymi­ sierter Form verwendet werden dürfen. Die Erhebung des Fragebogens erfolgte unter Angabe der Initialen sowie der Matrikelnummer, damit eine spätere Zuord­ nung zu den anderen Daten möglich war. Im Fragebogen wurden die TN nach ihren Fremdsprachen und der Reihenfolge des Erwerbs sowie nach dem Ausmaß ihrer Beschäftigung mit der Zielsprache außerhalb von studentischen Arbeiten befragt. Auch wurde erhoben, ob eine Lese­Rechtschreib­Störung vorlag. Zudem sollten die TN ihre Kompetenz in Bezug auf ihre erworbenen Fremdsprachen und etwaige Auslandserfahrungen angeben.239 Die Studierenden erhielten dann je zwei unterschiedliche Lesetexte (Sach­ und literarischer Text),240 die jeweils an das Sprachniveau angepasst waren.241 Durch die Verwendung zweier unterschiedlicher Sprachstile und Textsorten sollte die Validität der Ergebnisse erhöht werden. Gruppe A erhielt als literarischen Text einen Ausschnitt aus Le voleur d’ombre von Marc Levy und als Sachtext den Zeitungsartikel Une heure de service pour 1 m² de logement: à Genève, étudiants et retraités cohabitent aus Le Figaro Étudiant. Gruppe B erhielt als literarischen Text einen Auszug aus Gustave Flauberts Madame Bovary und als Sachtext den Zeitungsartikel La hausse du niveau des océans ralentit la rotation de la terre aus L’Express. Bei der Auswahl der Texte wurde darauf geachtet, dass zumindest die Sachtexte Themen behandelten, die in der Lebenswelt der Studierenden ver­ mutlich auch vorkommen (Wohnungssuche im Studium, Klimawandel). Die TN wurden gebeten, die Texte auf Verständnis zu lesen. Zur Überprüfung sollten die TN beide Texte kurz zusammenfassen.

239 Die Auswertung der Fragebögen liegt bereits in der Beschreibung der beiden Testgrup­ pen vor. 240 Die Texte befinden sich im Anhang der vorliegenden Arbeit. 241 Das Niveau der Texte wurde durch zwei Sprachdozenten des Fachbereichs Romanistik je­ weils unabhängig voneinander geprüft. Auch das vorauszusetzende Vokabular wurde so über­ prüft.

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 



– –

 179

Bei der Auswahl der Texte wurde auf folgende Kriterien geachtet: Länge: Alle Texte weisen eine Wortanzahl von 300–400 Wörtern auf. Für das Lesen der Texte und die anschließende Zusammenfassung wurden ca. 40–45 Minuten veranschlagt. Unterschiedlichkeit der Texte in Bezug auf das Sprachniveau: Vokabular und Stil wurden im Schwierigkeitsgrad an die jeweilige Gruppe angepasst.242 Genre und Thema: Bei den Sachtexten wurde darauf geachtet, dass die Themen auch im deutschsprachigen Raum bekannt und somit in der epis­ temischen Ebene der TN verankert sein sollten. Hinsichtlich der Autoren ist festzuhalten, dass Marc Levy einer der meistgelesenen zeitgenössischen französischen Autoren ist, dessen Texte eher als einfach gelten. Gustave Flaubert zählt dagegen zur sog. Höhenkammliteratur. Auch steht er auf der Leseliste des Fachbereichs Romanistik und sollte den Studierenden daher bekannt sein.

4.2.2.3 Ablauf der Testung Die Testung243 besteht aus zwei Phasen: In einem Prätest werden die TN gebeten, unbekanntes Vokabular in den beiden Lesetexten anzustreichen. Drei Wochen später findet dann die Lesesituation statt, bei der die Probanden gebeten werden, die Lesetexte auf Verständnis hin zu lesen und zusammenzufassen. Dabei sollen sie auch ihren Umgang mit den fremden Vokabeln beschreiben. 4.2.2.3.1 Die Prätestung Bei der Prätestung erhalten die TN die beiden Lesetexte, die sie mit ihren Initia­ len und ihrer Matrikelnummer versehen sollen. Sie werden gebeten, das fremde Vokabular in den Texten zu markieren. Die Wahl der Markierung wird dabei den Studierenden überlassen. Die Lesetexte werden wieder eingesammelt. Bei der Prätestung geht es vor allem darum, sicherzustellen, dass nicht mehr als 5% an unbekanntem Vokabular in den Texten enthalten ist.244

242 Beide Sprachlehrer stuften dabei den Zeitungsartikel als jeweils einfacher im Hinblick auf Vokabular und Stilhöhe ein. 243 Da sich das gewählte Testdesign stark an Ender 2007 (Replikation) anlehnt, wurde auf eine Pilotierung verzichtet. 244 Nach Laufer (1989) ist dies eine Voraussetzung, damit sinnstiftendes Lesen in der Fremd­ sprache überhaupt stattfinden kann.

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 4 Empirischer Teil

4.2.2.3.2 Die Lesesituation Die Lesesituation findet zeitversetzt nach drei Wochen statt und wird mit jedem TN individuell vereinbart. Die Testperson erhält dabei ihre Lesetexte wieder und wird gebeten, die Lesetexte auf Verständnis hin zu lesen. Dabei kommt es zu zwei Lesedurchgängen: Der erste Lesedurchgang erfolgt im Modus des Leise Lesens, da Lautes Lesen eine Konzentration auf den Inhalt verhindert (vgl. Harmer 2007). Beim zweiten Durchgang werden die Teilnehmer sodann gebeten in Form eines Think-Aloud-Protocols (TAP) die Texte inhaltlich zusammenzufassen und dabei ihren Umgang mit dem fremden Vokabular, z. B. die Erschließung der Bedeutung, zu versprachlichen. Als Hilfsmittel stehen den TN dabei sowohl ein einsprachiges als auch ein zweisprachiges Wörterbuch zur Verfügung. Sie dürfen zudem ent­ scheiden, wie oft sie den Text lesen und ob sie sich beim Lesevorgang Notizen machen. Die Aufnahmen werden im Anschluss transkribiert und dienen als Ana­ lysebasis, um herauszufiltern, inwieweit Strategien zur Vokabelerschließung die Bildung einer konzeptuellen Kontinuität und eines TWM befördern bzw. hemmen. 4.2.2.4 Transkription Die Audioaufnahmen werden in TAPs transkribiert, damit sie zur Analyse herange­ zogen werden können. Insgesamt wurden dabei 5h 41ˈ5ˈˈ transkribiert. Dabei wird die Aufnahme in eine adaptierte, weitgehend standardisierte Form des gespro­ chenen Deutsch übertragen, d. h. dialektale Färbungen werden zumindest pho­ netisch nicht transkribiert. Beibehalten werden typische Verschleiferscheinungen des gesprochenen Deutsch. Die Transkription erfolgt durchgehend in der Klein­ schreibung und ohne Verwendung von Interpunktion. Zielsprachige Äußerungen werden kursiviert. I. d. R. erfolgt die Äußerung nur von Seiten der TN, an einigen wenigen Stellen erfolgt die Intervention der aufnehmenden Person, z. B. wenn die Zusammenfassung vergessen wurde oder eine Stelle besonders auffällig schien, diese ist jeweils mit «iw» gekennzeichnet.245 Bei Wiederaufnahme der Rede durch die TN wird dies mit «TNx», je nach Teilnehmerkodierung, gekennzeichnet. In Anlehnung an Ender 2007: 115 werden folgende Transkriptionszeichen verwendet: (.) (..) (…)

Sprechpause von ca. einer Sekunde Sprechpause von ca. zwei Sekunden Sprechpause von ca. drei Sekunden Pausen, die länger als drei Sekunden dauern, werden mit der Sekundenzahl wie folgt angegeben: (.x.)

245 Zu einer Diskussion über Inferenzen von Seiten der aufnehmenden Person während der Aufnahme vgl. Charters (2003, 74–75).

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

(X) % ? (/)

 181

Unverständliche Stelle Füllwort Anhebung im Intonationsverlauf; Markierung von Fragen Absenkung im Intonationsverlauf; Markierung des Endes einer Aussage

4.2.2.5 Die Methode des «Lauten Denkens» Da diese Methode eine der zentralen Erhebungsmethoden im Rahmen der vorlie­ genden Arbeit bildet, wird im Folgenden genauer auf sie eingegangen. Das «Laute Denken» gehört zu den sog. introspektiven Methoden, die beson­ ders im Bereich der Analyse von Denk­, Lern­ und Problemlöseprozessen ange­ wandt wird und dabei einen Einblick in die kognitiven Prozesse geben soll, die im Lerner stattfinden (vgl. Konrad 2010; Sandmann 2014). Ziel ist es, mentale Reprä­ sentationen sichtbar zu machen, die während der Verarbeitung der Informatio­ nen ablaufen. Grundidee dieser Methode ist, dass die Probanden in der Lage sind, ihre «innere Sprache» (inner speech) während ihrer Gedankenvorgänge zu verba­ lisieren. Dabei kann das Laute Denken drei unterschiedliche Formen annehmen: 1. Introspektion: die Verbalisierung erfolgt augenblicklich 2. unmittelbare Retrospektion: Die Verbalisierung erfolgt unmittelbar nach der Introspektion 3. verzögerte Retrospektion: Die Verbalisierung erfolgt direkt nach Bearbeitung der Aufgaben (vgl. Konrad 2010, 476).246 Dabei gilt, «[…] dass die engste Verbindung zwischen Denken und verbalen Berichten dann nachweisbar [ist], wenn das Individuum seine Gedanken unmit­ telbar im Zuge der Aufgabenbearbeitung in Worte fasst (‹Introspektion›)» (Konrad 2010, 476). Die Methode des «Lauten Denkens» entstand vor dem theoretischen Hin­ tergrund der Denk­ und Lernpsychologie und basiert auf frühen Methoden der sogenannten Selbstbeobachtung, wie sie bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Testpersonen in der Psychologie durchgeführt wurde (vgl. Konrad 2010, 477). Besondere Aufmerksamkeit fand sie gegen Ende der 1960er Jahre, als in der psychologischen Forschung ein vermehrtes Interesse an kognitiven Prozessen aufkam und somit nach Methoden gesucht wurde, diese für Analysen sichtbar zu machen (vgl. Konrad 2010, 478). Seitdem bildet sie beispielsweise einen festen Bestandteil des methodischen Inventars der Problemlöseforschung in der kogni­

246 Konrad (2010, 476) weist dabei allerdings darauf hin, dass es in der Praxis nicht immer möglich ist, die drei Formen sauber voneinander zu trennen.

182 

 4 Empirischer Teil

tiven Psychologie, aber auch in der Spracherwerbsforschung (vgl. Bowles 2010; Gass/Mackey 2000, 54–60). Die theoretischen Grundannahmen stehen in enger Verbindung mit der Kon­ zeptionierung der menschlichen Sprachverarbeitung als Informationsverarbei­ tung, wie sie auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit bereits modelliert wurde (vgl.  Kapitel  2.1.2). Zentral für die Methode des Lauten Denkens ist dabei die Annahme, dass für Elaborations­ und Organisationsprozesse, über die die Infor­ mationen enkodiert und vom KZG ins LZG überführt werden, diese Informationen zunächst aus dem LZG wieder ins KZG abgerufen werden. Nur Elemente, die sich im KZG befinden, können in dieser Perspektivierung der Informationsverarbei­ tung dann bewusst bearbeitet und somit auch verbalisiert werden (Konrad 2010, 479). Aufgrund dieser Beobachtung formulierten Ericsson und Simon (1993) drei Ebenen der Verbalisierung, die in diesem Rahmen stattfinden können: talk aloud (Informationen liegen bereits sprachlich kodiert vor und werden einfach laut artikuliert), think aloud (Informationen müssen erst noch sprachlich enkodiert werden, dies verlängert die Bearbeitungszeit), reflection prompts (hier werden die Informationen auch im Sinne von Interpretationen, Erklärungen etc. von Seiten der Probanden «bearbeitet», was zu einer Manipulation der kognitiven Prozesse führt) (Ericsson/Simon 1993, 17–18). In Form dieser theoretischen Modellierung fand die Methode Eingang in Studien zum Zweit­ bzw. Fremdspracherwerb.247 Anwendung fand sie dabei in den unterschiedlichsten Domänen: Lesen, Schrei­ ben, Übersetzen, Studien zu Sprachbewusstheit etc. (vgl. Bowles 2010, 7–12). Als Möglichkeit der Verbalisierung von Gedankenvorgängen wurden sie dabei konzi­ piert als «a window into the minds of learners, as a means of capturing their inter­ nal thought processes» (Bowles 2010, 2). Dabei weisen Forscher im Hinblick auf diese Form der Gewinnung qualitativer Daten darauf hin, dass diese nicht objek­ tiv, nur wenig kontrollierbar und kaum reproduzierbar und damit wenig valide seien (vgl. Konrad 2010, 480). Der Vorwurf der mangelnden Reliabilität und Vali­ dität ist aber eine generelle Crux der qualitativen Datenerhebung. Um diesem zu begegnen wird versucht, die Repräsentativität der Daten und der anhand dieser Daten getroffenen Aussagen im Bereich der qualitativen Daten nun genau über deren «Reichhaltigkeit, Offenheit, Breite, Detaillierung, Betroffenheit und Exper­ tise» (Konrad 2010, 481) unter Beweis zu stellen, wobei die fehlende Objektivität auf Seiten der Testpersonen als «relevante Informationsquelle» betrachtet wird

247 Die Methode wurde und wird auch als Datenerhebungsinstrument für den L1­Erwerb ge­ nutzt; siehe zu einer Übersicht der Studien Bowles (2010, 6–7).

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

 183

(Konrad 2010, 480). Wie also kann die Methode des «Lauten Denkens» erkennt­ nisstiftend für eine Studie im Rahmen des Fremdsprachenerwerbs eingesetzt werden? Vor dem Hintergrund einer kognitivistischen Sicht auf Sprachverarbeitungs­ prozesse, die in einer solchen als reine Informationsverarbeitung definiert werden, kann die folgende Aussage als zutreffend gewertet werden, da diese von einer direk­ ten Verbindung der Verarbeitungsprozesse im Hinblick auf sprachliche Informati­ onen ausgeht: «Think­alouds therefore [aufgrund der Perspektivierung als Infor­ mationsprozess; J.W.] are seen as a window into cognitive processes and are used as a data collection tool» (Bowles 2010, 137). Grundlegend ist dabei die Annahme, dass gedankliche Prozesse beim Problemlösen über den Vorgang der zeitnahen Verbalisierung die kognitiven Verstehensleistungen relativ wahrheitsgetreu abbil­ den. Nichtsdestotrotz darf aber, gerade mit Blick auf sprachliche Vorgänge, nicht verschwiegen werden, dass diese Gleichsetzung von Gedanke – Sprache durchaus kontrovers gesehen werden kann und muss: Zum einen muss sie sich der Tatsache stellen, dass nur die Inhalte verbalisiert werden können, die dem Sprecher bewusst sind – d. h. TAPs können nur Einblick in einen Ausschnitt der Gedankengänge liefern. Dieser Reduktion innerhalb des Datenmaterials muss man sich daher stets bewusst sein (vgl. Meißner 1997, 29). Zum anderen wurde bereits relativ früh, von Seiten einer eher die sozio­kulturellen Implikationen des Spracherwerbs fokussie­ renden Richtung, der Vorwurf formuliert, verbalisierte Gedanken seien bereits ver­ ändert und würden daher den Gedankenprozess bereits in einer «deformierten» Version abbilden, denn: «A speaker often takes several minutes to disclose one thought. In his mind the whole thought is present at once, but in speech it has to be developed successively» (Vygotsky 1962, 150). Aufgrund dieser oktroyierten Sukzessivität im Hinblick auf die gedankliche Abbildung durch den Akt der Ver­ balisierung könne keine «rigid correspondence between the units of thought and speech» (Vygotsky 1962, 150) angenommen werden, was zu einer Verzerrung der Daten führe. In der Forschung wird dieser Vorwurf allerdings dadurch entkräftet, dass man davon ausgeht, dass dieser Effekt abgemildert wird, wenn nur sehr wenig Zeit zwischen Aufgabe und Verbalisierung liegt (vgl. Bowles 2010, 14). Zusammenfassend können demnach als Schwächen der Methode folgende Kritikpunkte formuliert werden: Sie setzt bereits eine relativ hohe kognitive Reifung voraus: Die Testpersonen sollten daher lern­ und reflexionserfahren sein. Für den Bereich des Lese­ und Textverstehens ist dabei auch darauf hinzuwei­ sen, dass automatisch ablaufende Prozesse (Dekodieren, Ebene der hierachie­ niedrigen Prozesse) i. d. R. nicht verbalisiert werden, da wie bereits erwähnt, kein Bewusstsein für diese entwickelt wird und sie somit auch keine Aufmerksamkeit erhalten. In dieser Hinsicht sind TAPs im Bereich des Lese­ und Textverstehens immer unvollständig. Der wohl zentralste Kritikpunkt besteht aber vor allem in

184 

 4 Empirischer Teil

der Gefahr einer veränderten kognitiven Leistung (Reaktivitätseffekt), worauf Bowles hinweist: «Rather, their validity is questioned because it is not known whether the act of verbalizing while completing a task is reactive, acting as an additional task and altering cognitive processes rather than providing a true reflection of thoughts […]» (Bowles 2010, 14). Etliche Studien im Bereich der SLA­Forschung haben daher versucht, diesen schwerwiegenden Vorwurf, Lautes Denken könne zu einem Reaktivitätseffekt führen, zu entkräften. Leow und Morgan­Short (2004) verglichen die Ergebnisse zweier Gruppen von Spanischstudierenden (insgesamt 77 Probanden), wobei eine Gruppe die Aufgaben leise las und bearbeitete, die anderen die Aufgabe über Lautes Denken verbalisierte. Im Rahmen dieser Studie konnte allerdings kein Reaktivitätseffekt festgestellt werden und die Forscher kamen zu folgendem Schluss: The results of the study revealed the following: For this sample of participants (adult first­ semester students of Spanish) thinking aloud while performing an L2 reading task of 384 words did not appear to have detrimental or facilitative effects on comprehension, intake, or controlled written production when compared to a nonthink­aloud group performing the same task. In other words, thinking aloud was nonreactive in this study, and these results provide empirical support for the validity of the use of such procedures to gather concurrent data on learners’ cognitive processes. (Leow/Morgan­Short 2004, 50)

In eine ähnliche Richtung hinsichtlich eines Reading-Tasks weisen die Ergebnisse von Yoshida 2008, die ebenfalls keine Reaktivitätseffekte in Bezug auf die Lese­ aufgaben zwischen der Gruppe, die leise arbeitete und der Gruppe, die über TAPs arbeitete, feststellen konnte. Ein solcher Effekt trat erst zutage, als die Testperso­ nen gebeten wurden, komplexere Aufgaben, z. B. zusätzliche Schreibaufgaben, gleichzeitig auszuführen.248 Auch sie kommt daher hinsichtlich der Gefahr eines Reaktivitätseffektes zu folgendem Schluss: «Even though reactivity is possibly observed in some performances, the think­aloud protocols can provide valuable information, as long as it reflects common patterns of processes between the experimental conditions of the study» (Yoshida 2008, 208). Es gälte, so Yoshida, vor allem darauf zu achten, dass die Forschungsfrage zielgerichtet auf das Design gewählt werde – nicht jeder Bereich sei für introspek­ tive Methoden wie das Laute Denken geeignet. In Bezug auf das Lese­ und Text­

248 In einer Replikationsstudie zu Leow und Morgan­Short (2004) zeigten sich jedoch Effekte, die die Forscher aber darauf zurückführten, dass die Testpersonen das Aufgabenformat (Über­ setzung) nicht gewohnt waren (Polio/Wang in review; berichtet in Bowles 2010, 75). Vgl. zu einer detaillierten Übersicht über Studien, die den Reaktivitätseffekt bei Lautem Denken untersucht haben Bowles (2010, 74–75).

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

 185

verstehen ist ihre Einschätzung jedoch eindeutig positiv: «Despite its limitations, however, the think­aloud analysis is still a valuable online tool for studying L2 reading processes» (Yoshida 2008, 208).249 Die genannten Kritikpunkte können für die nachfolgenden Studien daher nur abgemildert, aber nicht gänzlich vermieden werden: Hinsichtlich der Forderung nach problemlösegeübten Testpersonen wurden daher aufgrund der geforderten kognitiven Reife Studierende ausgewählt, da bei dieser Gruppe davon ausgegan­ gen werden kann, dass sie aufgrund ihrer Lernerfahrung und ihres Bildungscur­ riculums gute Problemlöser sind und über ein hohes Maß an Reflexionsvermögen verfügen. In Bezug auf die Reduktion der sichtbaren Prozesse durch die Bewusstsein­ sebene kann demnach Folgendes festgehalten werden: Das Interesse der Analyse liegt in beiden Studien, die mit TAPs arbeiten, auf der Ebene der hierarchiehöhe­ ren Prozesse. Selbstverständlich wird im Rahmen dieser Arbeit nicht davon aus­ gegangen, dass ein vollständiges und gültiges Modell der Verarbeitungsprozesse beim Textverstehen in der Fremdsprache bereitgestellt werden kann. Daher dienen die Studien, wie bereits erwähnt, als ein Erklärungsansatz, in dessen Rahmen weitere, breiter angelegte Studien durchgeführt werden müssen, um ihn in ein solches Modell überführen zu können – wenn dies im Hinblick auf Prozesse zwi­ schen Denken – Sprechen – Welt, wie ein gelingendes Textverstehen sie voraus­ setzt, überhaupt möglich ist. Auch hier ist sich die vorliegende Arbeit, zumal sie durchaus die konstruktivistische Perspektive der Kritik an einer möglichen Wirk­ lichkeitsabbildung der Gedanken über Sprache teilt, ihrer Grenzen wohl bewusst. Dennoch kann man für die TAPs feststellen, dass sie aufgrund ihrer aus­ geprägten Prozessorientiertheit gerade für den Bereich des Textverstehens im Rahmen von Leseaufgaben eine gute Methode bieten, um hierarchiehöhere Prozesse in der Verarbeitung von Informationen sichtbar zu machen. Das Laute Denken kann somit «als differenzierte Beschreibungen der individuellen Infor­ mationsverarbeitung [gelten], speziell wenn es sich um erwachsene Personen handelt, die zur Selbstreflexion in der Lage sind» (Konrad 2010, 485).

249 Ein ähnliches Resumé ziehen Hu und Gao (2017) hinsichtlich des Einsatzgebietes von TAPs. Auch sie weisen deutlich auf die Grenzen der Methode hin wie auch auf die Schwierigkeiten in Bezug auf eine wahrheitsgetreue Abbildung von Gedankenvorgängen durch Verbalisieren und Reaktivitätseffekten. Dennoch empfehlen sie die Methode für Leseaufgaben, da «we still believe that think aloud protocol remains an important methodological tool for us to collect learners’ verbal data about metacognition and gain insights into self­regulated reading processes with help of other data tools» (Hu/Gao 2017, 191).

186 

 4 Empirischer Teil

4.2.2.6 Forschungsfragen Für den Bereich der Strategienverwendung zur Worterschließung werden fol­ gende Forschungsfragen als Leitfragen im Rahmen der Studie formuliert: 1. Spielt die Sprachkompetenz in der Zielsprache eine Rolle bei der Strategien­ wahl? Dabei wird angenommen, dass mit zunehmender Sprachkompetenz bei der Erschließung des unbekannten Vokabulars stärker auf Strategien wie Raten oder Ignorieren zurückgegriffen wird. 2. Führt eine höhere Sprachkompetenz in der Zielsprache auch zu einer Zunahme bei der Verwendung inter­ und intralingualer Strategien? Für den Bereich der Interaktion von Strategienverwendung zur Worterschließung und Prozessen des Textverstehens (Etablierung eines TWM) werden folgende For­ schungsfragen formuliert: 3. Ist Nachschlagen bei der Herstellung von konzeptueller Kohärenz eher als störend einzuordnen und wird die Etablierung eines TWMs dadurch eher behindert? 4. Fördern dagegen Erschließungsstrategien wie Raten und Ignorieren die Etab­ lierung eines TWMs?

4.2.2.7 Ergebnisse 4.2.2.7.1 Das unbekannte Vokabular und die Verarbeitungsstrategien: quantitative Analyse Im Folgenden wird für jede Gruppe der Anteil an unbekanntem Vokabular gelistet sowie die jeweiligen Verarbeitungsstrategien, die die TN im Hinblick auf dessen Erschließung angewendet haben. Auch wird das unbekannte Vokabular im Hin­ blick auf jeden TN und die von ihm/ihr angewandten Verarbeitungsstrategien quantitativ ausgewertet (siehe Tabelle 13). Insgesamt ergibt sich für Gruppe A ein Anteil von 45 unbekannten Wörtern, wovon 23 mindestens 50% der TN unbekannt war. Die Gruppe verhielt sich demnach relativ homogen in Bezug auf die unbekannten Wörter. Für Gruppe B ließ sich ein Anteil von insgesamt 53 Wörtern ausmachen, wovon 26 von mindestens 50% der TN als unbekannt angegeben wurden. Die Ergebnisse werden für beide Gruppen in Tabellenform dargestellt, wobei zunächst nur die häufigsten unbekannten Wörter mit den jeweils bestimmten Verarbeitungsstrategien dargestellt werden:

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

 187

Tabelle 13: Anteil des häufigsten unbekannten Vokabulars und jeweilige Verarbeitungsstrategien Gruppe A. unbekannte Wörter

wie oft unbekannt

Ignorien (I)

Nachschlagen (NS)

Raten (R)

R & NS

Text 1 tondre la pelouse

6 Mal

3

1

cantonal

5 Mal

2

1

2

fournir

5 Mal

1

2

1

rassurer

3 Mal

1

1

le courant

4 Mal

2

le boulot

4 Mal

3

prodiguer des soins

5 Mal

Gesamt:

2

3

9

13

2 1 1 1

1 1

4

6

Text 2 le plateau-repas

3 Mal

2

1

condamner

3 Mal

2

1

l’exode

4 Mal

l’extinction

4 Mal

1

3

la condamnation

4 Mal

2

2

la carcasse

5 Mal

2

2

la volaille

5 Mal

2

2

faire le vœu

5 Mal

3

1

1

l’évapotranspiration

6 Mal

3

2

le poil

4 Mal

2

1

la sueur

6 Mal

tondre

3 Mal

le sommeil

4 Mal

le grenier

6 Mal

1

5

l’axe

6 Mal

2

1

la lucarne

6 Mal

2

4

15

32

Gesamt

1

1

3

1 1

4 1

1 2

2 3

1 3 19

8

Im Hinblick auf das unbekannte Vokabular, das zumindest der Hälfte der TN Schwierigkeiten bereitet, können nur Tendenzen festgestellt werden: Zum einen fällt auf, dass vor allem diastratisch markierte Lexeme schwierig sind: Dazu gehört zum einen Fachvokabular wie évatranspiration, extinction (Fachwortschatz ‚Kli­ ma‘) aber auch Ausdrücke, wie cantonal oder lucarne und axe. Im Bereich der Dia­ phasik sind es eher Lexeme, die einem höheren Stilniveau zuzuordnen sind, wie beispielsweise exode. Desgleichen bereiten komplexere Ausdrücke wie tondre la pelouse oder prodiguer des soins Probleme.

188 

 4 Empirischer Teil

Auf die einzelnen Teilnehmer verteilte sich das unbekannte Vokabular sowie die Verarbeitungsstrategien wie folgt (vgl. hierzu die Tabellen 14 und 15): Tabelle 14: Wortverarbeitungsstrategien auf je unbekanntes Vokabular Gruppe A. TN

insgesamt

Ignorieren abs.

%

Nachschlagen abs.

%

Raten abs.

%

Raten & NS abs.

%

TN1

23

1

4,35

14

60,87

3

13,04

5

TN2

31

2

6,45

21

67,74

5

16,13

3

9,68

TN3

17

4

23,35

2

11,76

7

41,18

4

23,53

TN4

31

17

54,84

7

22,58

3

9,68

4

12,90

TN5

22

5

22,73

7

31,82

7

32,82

3

13,68

TN6

25

3

12

9

36

11

44

2

 8

149

32

40,27

36

24,16

gesamt

21,48

60

21

21,74

14,09

Zunächst konnte anhand der Auswertung überprüft werden, dass keinem der TN mehr als 5% des Gesamtwortschatzes der beiden Texte unbekannt war, ein grobes Verstehen also gesichert sein sollte (vgl.  Laufer 1989). Zudem wird ersichtlich, dass Gruppe A vorwiegend auf das Nachschlagen als Strategie zur Erschließung des unbekannten Vokabulars zurückgegriffen hat. Nachschlagen bildet somit die häufigste Strategie in dieser Gruppe, gefolgt mit einigem Abstand von der Stra­ tegie des Ratens und, mit wenig Abstand zum Raten, der Strategie des Ignorie­ rens. Am wenigsten verwendet wurde die Kombinationsstrategie aus Raten und Nachschlagen. Der Blick in die einzelnen TN belegt jedoch, dass in Bezug auf den Strategieneinsatz sehr individuell gearbeitet wurde, was sich mit allgemeinen Aussagen zum Strategieneinsatz deckt (vgl. Schmenk 2009). In Diagramm 4 wird diese Verteilung gut erkennbar: 50

40.27

40 30

24.16

21.48

20

14.09

10 0

Ignorieren

Nachschlagen

Raten

Wortverarbeitungsstrategien Diagramm 4: Häufigkeit der Strategien Gruppe A in %.

Raten & Nachschlagen

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

 189

Im Vergleich dazu die Ergebnisse der Gruppe B im Hinblick auf die häufigsten unbekannten Wörter und die verwendeten Verarbeitungsstrategien: Tabelle 15: Anteil des häufigsten unbekannten Vokabulars und jeweilige Verarbeitungsstrategien Gruppe B. unbekannte Wörter

wie oft unbekannt

I

NS

R

R & NS

Text 1 la banquise

8 Mal

la COP 21

5 Mal

imputable

6 Mal

amender

5 Mal

1

les calottes glaciaires

8 Mal

2

le freinage

5 Mal

le noyau terrestre

5 Mal

la ramification

7 Mal

2

receler

5 Mal

1

Gesamt

3 1

6

3

2

4

1

5 4

1

2

1

4

2

3

1

3

3

1

4 9

22

7

1

6

1

Text 2  le proviseur

8 Mal

le pupitre

6 Mal

méritoire

5 Mal

le chantre

7 Mal

1

l’habit-veste

5 Mal

1

le drap

8 Mal

3

2

2

être gêné aux entournures

5 Mal

1

2

2

la fente

8 Mal

5

2

1

le parement

8 Mal

5

3

les bretelles

7 Mal

4

1

1

le soulier

4 Mal

2

2

ciré

5 Mal

le clou

4 Mal

1

le sermon

4 Mal

3

1

le coude

4 Mal

2

1

le seuil

5 Mal

4

1

la muraille

6 Mal

Gesamt

1

5 1

4

1

5 4

4 1

1 32

1

1 1

2 1

5 16

46

4

Für Gruppe B lässt sich ebenfalls eine Tendenz feststellen, dass Probleme im Bereich des domänenspezifischen Vokabulars vorliegen, Bereich Klima und

190 

 4 Empirischer Teil

Kleidung. Auch für diese Gruppe folgt die Übersicht, wie sich der Anteil der unbekannten Wörter und der jeweiligen Verarbeitungsstrategien gesamt auf die TN verteilt (siehe Tabelle 16): Tabelle 16: Angewandte Wortverarbeitungsstrategien auf je unbekanntes Vokabular Gruppe B. TN

insgesamt

Ignorieren abs.

%

Nachschlagen abs.

%

Raten abs.

%

Raten & NS abs.

%

TN7

29

2

6,9

10

34,48

8

27,59

9

31,03

TN8

31

6

19,35

1

3,23

21

67,74

3

9,68

TN9

30

12

1

3,33

17

56,67

0

 0

TN10

15

1

6,67

4

26,67

7

46,67

3

20

TN11

34

8

23,53

4

11,76

22

64,71

0

 0

TN12

28

5

17,86

4

14,29

18

64,29

1

3,57

TN13

23

8

34,78

3

13,04

10

43,48

2

8,7

17

3

17,65

0

 0

14

82,35

0

207

45

21,74

27

117

56,52

18

TN14 gesamt

40

13,04

 0 8,7

Für Gruppe B gilt ebenfalls, dass keinem der TN mehr als 5% des Wortschatzes unbekannt war. Im Vergleich zu Gruppe A zeigt sich hier jedoch eine deutliche Präferenz der TN für die Strategie des Ratens, mit etlichem Abstand gefolgt von der Strategie des Ignorierens. Eher weniger beliebt scheinen dagegen die Strate­ gie des Nachschlagens und die kombinierte Strategie des Ratens und des Nach­ schlagens zu sein, wie auch aus Diagramm 5 deutlich hervorgeht: 60 50 40 30 20 10 0

56.52

21.74

Ignorieren

13.04 Nachschlagen

8.07 Raten

Raten & Nachschlagen

Wortverarbeitungsstrategien Diagramm 5: Häufigkeit der eingesetzten Strategien Gruppe B in %.

Bevor die Ergebnisse zwischen verwendeter Wortverarbeitungsstrategie und daran anschließendem bzw. damit verknüpftem Textverstehensprozess dargestellt werden, scheint es sinnvoll, die einzelnen Ratestrategien auch hinsichtlich der Qualität des

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

 191

zugrundeliegenden Inferenzprozesses zu unterscheiden, um etwaige Relationen zwischen Inferenz­ und damit verbundenen Textverstehensprozessen feststellen und auch um mögliche Tendenzen im Hinblick auf die Strategienwahl in Abhängig­ keit von der jeweiligen Sprachkompetenz ausmachen zu können. Im Rückgriff auf Christmann und Groeben (2006) werden Inferenzen grundsätzlich als «integraler Bestandteil des Verstehensprozesses» definiert, bei denen «über den unmittelbar gegebenen sprachlichen Input hinausgegangen wird, indem durch Schlußfolger­ ungsprozesse die vorgegebenen Informationen mit bereits vorhandenem Wissen integriert werden» (Christmann/Groeben 2006, 160–161). Die Verbindung von Infe­ renz und Determinationsstrategie wird somit als Möglichkeit gesehen, Verstehen­ sprozesse bei der Konstruktion konzeptueller Kontinuität sichtbar zu machen. Dabei wird hinsichtlich der Strategien in Anlehnung an Ender (2007)250 unterschieden in: – intralinguale Strategien (Herleitung über zielsprachliche Morphologie) – interlinguale Strategien (Herleitung über Ähnlichkeitsbeziehungen aus anderen Sprachen, Morphologie und Lexik) – extralinguale Strategien (Weltwissen und Kontext)251 – gemischte Strategien (Einsatz mehrerer Inferenzprozesse gleichzeitig) – Kategorie unklarer Fälle (die Verbalisierung in den TAPs war nicht ausrei­ chend für die Kategorisierung) Zunächst zur Auswertung der Inferenzprozesse der Gruppe A (Tabelle 17): Tabelle 17: Verwendete Inferenzprozesse Gruppe A. insgesamt

intralingual

interlingual

extralingual

gemischt

unklar

TN1

3

1

1

0

0

1

TN2

5

1

0

1

1

2

TN3

7

2

0

5

0

0

TN4

3

0

0

1

1

1

TN5

7

1

1

4

0

1

TN6

11

1

3

2

0

5

gesamt

36

6=16,67%

5=13,89%

13=36,11%

2=5,5%

10=27,78%

250 Die Analyse folgt der in Ender (2007) vorgeschlagenen Kategorisierung nach Wissensarten, da diese Form der Kategorisierung sich gut mit den hier vorgeschlagenen Ebenen des Textverste­ hens sowie den Bedeutungsdimensionen der sprachlichen Zeichen verbinden lässt (vgl. Ender 2007). Vgl. zu einem detaillierten Überblick über Strategien Ender (2007, 37–56). 251 Die Studie folgt dabei der Argumentation Enders, dass kontextuelles Wissen und Weltwis­ sen oft nicht scharf voneinander zu trennen sind (Ender 2007, 190). Weltwissen als Strategie beim extralingualen Raten wurde daher nur dann gewertet, wenn der Bezug eindeutig war.

192 

 4 Empirischer Teil

Die Häufigkeiten verteilen sich wie folgt auf die Inferenzprozesse (siehe Dia­ gramm 6): 40

36.11

35

27.78

30 25 20

16.67

13.89

15 10

5.56

5 0

intralingual

interlingual

extralingual

gemischt

unklar

Inferenzprozesse beim Raten Diagramm 6: Übersicht über Häufigkeit der verwendeten Inferenzprozesse Gruppe A in %.

Die Gruppe A zeigt eine deutliche Präferenz für den Einsatz von extralingualen Inferenzprozessen in Bezug auf die Ratestrategien. Demgegenüber sind intra­ und interlinguale Strategien nur wenig vertreten. Die TN der Gruppe A greifen dabei auch am wenigsten häufig auf eine Mischung der unterschiedlichen Infe­ renzprozesse zurück. Für Gruppe B fällt die Verteilung etwas anders aus (vgl. Tabelle 18): Tabelle 18: Verwendete Inferenzprozesse Gruppe B. insgesamt

intralingual

interlingual

extralingual

gemischt

unklar

TN7

8

1

0

3

0

4

TN8

21

5

0

7

3

6

TN9

17

6

0

9

0

2

TN10

7

1

0

4

2

0

TN11

22

6

2

6

2

6

TN12

18

8

0

8

0

2

TN13

10

3

0

5

0

2

TN14

14

7

2

3

1

1

117

37 = 31,62%

4 = 3,42%

45 = 38,42%

8 = 6,84%

23 = 19,66%

gesamt

Diagramm 7 zeigt die Verteilung der Häufigkeiten der eingesetzten Inferenzpro­ zesse:

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung  45

38.46

40 35

 193

31.62

30 25

19.66

20 15 10 5 0

6.84

3.42 intralingual

interlingual

extralingual

gemischt

unklar

Inferenzprozesse beim Raten Diagramm 7: Übersicht über Häufigkeit der verwendeten Inferenzprozesse Gruppe B in %.

Im Vergleich zu Gruppe A wird hier die Zunahme der intralingualen Infe­ renzprozesse deutlich, was vermutlich an der höheren Sprachkompetenz liegt. Dennoch liegt auch bei Gruppe B die Präferenz beim Inferieren über Weltwissen und Kontext. Kaum genutzt wird der Einsatz gemischter oder auch interlingua­ ler Strategien, also der Rückgriff auf die weiteren sprachlichen Wissensbestände (vgl. Diagramm 7). 4.2.2.7.2 Ergebnisse der Wortverarbeitungsstrategien und der damit verknüpften Textverstehensprozesse: quantitative Analyse Im Hinblick auf die Aussagen Foschi Alberts, dass ein Leseprozess, der für jedes unbekannte Wort zunächst die Bedeutung ermittelt, für die Konstruktion eines TWM sowie die Etablierung von Sinn eher hinderlich sei (Foschi Albert 2012, 27–28), wurden in einer zweiten Analyse alle Stellen herausgefiltert, bei denen beobachtet werden konnte, dass die Wortverarbeitung zu einem weiterführenden Textverstehensprozess führte oder direkt mit einem solchen verknüpft war. Die Analyse wurde immer über beide Texte geführt, fasst also die entsprechenden Stellen über beide Texte zusam­ men. Dabei wurde zunächst in die Kategorien Nachschlagen sowie Raten und ver­ balisiertes Ignorieren unterschieden, wobei sich zeigte, dass nur Ratestrategien für die Wertung in Betracht zu ziehen waren, da Ignorieren den Kohärenzfluss an keiner Stelle unterbrach und der Textverstehensprozess einfach weiterlief, ohne dass eine Bedeutungszuweisung erfolgte, wodurch keine Aussagen über eine mögliche posi­ tive oder negative Wirkung dieser Strategie auf die Etablierung konzeptueller Kon­ tinuität gemacht werden kann. Aus diesem Grund wurde entschieden, nur extra­, inter­ und intralinguale Inferenzen in die Analyse miteinzubeziehen. Im weiteren Verlauf der Analyse wurden die so ermittelten Stellen dann daraufhin geprüft, ob sie

194  – –

– – –

 4 Empirischer Teil

den Verstehensprozess eher störten, sich also kein weiterer Textverstehen­ sprozess anschloss. im Rahmen des Textverstehensprozesses zur Etablierung konzeptueller Kon­ tinuität und der Konstruktion eines TWM führten. Hier wurde unterschieden, ob das TWM über intra­ oder interlinguales Wissen, Weltwissen oder über konzeptuelle Kontiguität aufgrund der Textdaten konstruiert wurde. zwar zur Etablierung konzeptueller Kontinuität führten, aber unvollständig ausgeführt wurden. zu einer Visualisierung des Textinhaltes führten. zu falschen Annahmen verleiteten.

Für Gruppe A ergab sich eine Anzahl von 30 beobachtbaren Stellen, was im Hin­ blick auf die Gesamtsumme der Fälle von kommentiertem unbekanntem Vokabular ohne Ignorieren (149 – 32 = 117) einen Anteil von 25,64% ausmacht. Für Gruppe B belief sich die Anzahl der beobachteten Stellen auf 59, was in Bezug auf den Gesamt­ anteil der Fälle von kommentiertem unbekanntem Vokabular ohne Ignorieren (207 – 45 = 162) einen Anteil von 27,78% ausmacht. In der rein quantitativen Auswer­ tung ähneln sich demnach beide Gruppen im Verhalten, zumeist führt die Wort­ verarbeitung nicht zu einem weiteren Textverstehensprozess, d. h., zumindest zu keinem beobachtbaren. In der Regel sprangen die TN in diesen Fällen thematisch sofort zum nächsten Absatz, ohne dass sich aktuell in der Verarbeitung befindliche Thema weiter zu elaborieren und es kam in Bezug auf dieses zu einem Abbruch. Analysiert man die Stellen jedoch nach der Strategie der Wortverarbeitung und der Qualität des verknüpften Textverstehensprozesses, zeigt sich ein ver­ ändertes Bild hinsichtlich des Gruppenverhaltens. Zunächst die Ergebnisse für Gruppe A, dargestellt in Tabelle 19: Tabelle 19: Worterschließungsstrategie und verknüpfter Textverarbeitungsprozess Gruppe A. Prozess der Sinnetablierung Nachschlagen führt zu vertiefter Kohärenzbildung Nachschlagen führt zu Visualisierung Nachschlagen blockiert weitere Kohärenzbildung Nachschlagen führt zu falscher Annahme Visualisierung Visualisierung scheitert an fehlendem WS Kohärenzetablierung über Weltwissen Kohärenzetablierung über konzeptuelle Kontiguität

TN1

TN2

TN3

TN4

TN5

TN6

Gesamt

1

2

0

1

1

2

6

0 2

1 0

0 0

0 2

0 1

0 1

1 6

1 0 0 0 1

1 0 0 1 1

0 1 0 2 3

1 0 1 0 0

0 0 0 1 2

0 0 0 0 0

3 1 1 4 7

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

 195

Tabelle 19 (fortgesetzt) Prozess der Sinnetablierung

TN1

TN2

TN3

TN4

TN5

TN6

Gesamt

Unvollständige Kohärenzetablierung

0

0

0

0

0

0

0

Kohärenzetablierung über konzeptuelle Kontiguität führt zu falscher Annahme

0

0

0

1

0

0

1

beobachtete Stellen gesamt

30

Die für Gruppe A beobachteten Stellen wurden dann nach der Häufigkeit hinsichtlich der eingesetzten Wortverarbeitungsstrategien zusammengefasst, die mit der Etablierung eines TWM in Zusammenhang gebracht werden konnten (siehe Tabelle 20): Tabelle 20: Häufigkeiten der angewandten Strategien bei Etablierung TWM Gruppe A. Strategie/ TWM

Beobachtete Stellen gesamt

Angabe in Prozent

Nachschlagen

16

53,33

Visualisierung

2

6,67

12

40,00

Etablierung konzeptueller Kontinuität über TWM

Gut erkennbar wird die Präferenz der Gruppe A, die unbekannten Wörter über Nach­ schlagen auf ihre Bedeutung zurückzuführen und auf diese Weise zu versuchen, zu einer mentalen Repräsentation des Textes zu gelangen. Allerdings greifen sie auch durchaus auf extralinguale Strategien und Visualisierung zurück, um Bedeutung zu­ zuweisen, und dann im Anschluss Kohärenz zu etablieren – bei den 14 Fällen (Visua­ lisierung und Etablierung konzeptueller Kontinuität) handelt es sich 13x um extra­ linguale Strategien und einmal um eine interlinguale Strategie (vgl. Diagramm 8). 60 50 40 30 20 10 0

53.33 40

6.67 Nachschlagen

Visualisierung

Etablierung Kohärenz über TWM

eingesetzte Strategie Diagramm 8: Strategieneinsatz und verknüpfte Etablierung TWM Gruppe A in %.

196 

 4 Empirischer Teil

In einem weiteren Schritt wurden die Stellen dann dahingehend ausgewertet, ob sie einen negativen (z. B. falsche Annahme oder Blockade) bzw. einen positi­ ven Effekt auf die Etablierung des TWM hatten (vgl. Diagramm 9). Der Einfachheit halber wurden dabei die Visualisierungen252 jeweils mit in die Kategorien Nach­ schlagen bzw. Raten aufgenommen, da ihr Anteil aufgrund der geringen Anzahl vernachlässigbar scheint. 85.71

100 56.25

43.75

50 14.29 0

negativ

positiv

Textverstehen über Nachschlagen

Textverstehen über TWM (R&I)

Diagramm 9: Qualitative Auswertung Strategien – TWM Gruppe A in %.

Gut ersichtlich ist, dass die über Raten verknüpften Prozesse zur Etablierung eines TWMs einen höheren positiven Effekt aufweisen als die Strategie des Nach­ schlagens. Somit scheint sich die These Foschi Alberts zumindest für Gruppe A bereits in der Tendenz als richtig herauszustellen. Die Ergebnisse der Gruppe A werden nun im Folgenden mit den Ergebnissen der Gruppe B verglichen (vgl. Tabelle 21). Tabelle 21: Worterschließungsstrategie und verknüpfter Textverarbeitungsprozess Gruppe B. Prozess der Sinnetablierung

TN7 TN8 TN9 TN10 TN11 TN12 TN13 TN 14 Gesamt

Nachschlagen führt zu vertiefter Kohärenzbildung

0

1

0

3

0

0

0

0

5

Nachschlagen führt zu Visualisierung

0

0

0

0

0

0

0

0

0

Nachschlagen blockiert weitere Kohärenzbildung

0

0

0

0

0

0

0

0

0

Nachschlagen führt zu falscher Annahme

1

0

0

0

1

0

0

0

2

252 Auch Visualisierungen konnten in den TAPs nur gewertet werden, wenn Hinweise in den Formulierungen, wie z. B. „da stell ich mir dann vor…“, vorlagen. Auch hier ist eine mögliche Reduktion der tatsächlichen Visualisierungen durch die Methode des Lauten Denkens anzuneh­ men.

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

 197

Tabelle 21 (fortgesetzt) Prozess der Sinnetablierung

TN7 TN8 TN9 TN10 TN11 TN12 TN13 TN 14 Gesamt

Visualisierung

0

0

Visualisierung scheitert an fehlendem WS

2

1

0

0

0

0

0

0

0

Kohärenzetablierung über Weltwissen

1

1

0

2

0

1

0

1

6

Kohärenzetablierung über konzeptuelle Kontiguität

2

5

5

4

4

4

6

6

36

Unvollständige Kohärenzetablierung

0

1

0

0

0

0

0

0

1

Kohärenzetablierung über konzeptuelle Kontiguität führt zu falscher Annahme

1

0

1

1

1

1

1

0

6

3

Beobachtete Stellen gesamt

59

Auch für Gruppe B wurde die Verteilung der Häufigkeiten auf die verschiede­ nen Strategien ermittelt (siehe Tabelle 22): Tabelle 22: Häufigkeiten der angewandten Strategien bei Etablierung TWM, Gruppe B. Strategie/ TWM

Beobachtete Stellen gesamt

Angabe in Prozent

Nachschlagen

7

11,86

Visualisierung

3

5,08

49

83,05

Etablierung konzeptueller Kontinuität über TWM

Hier zeigt sich die Differenz im Verhalten der Gruppe B im Vergleich zur Gruppe A: Gruppe B tendiert sehr viel häufiger dazu, Worterschließungsstrategien mit der Etablierung eines TWM zu verknüpfen, die auf Raten zurückzuführen sind. Dabei interagieren acht Mal intralinguale und 44 Mal extralinguale Strategien mit der Textprogression; es gab keine Interaktion mit einer interlingualen Strategie. Analog zu Gruppe A erfolgt auch für Gruppe B die Auswertung hinsichtlich eines negativen bzw. positiven Effektes der jeweiligen Wortverarbeitungsstrate­ gien hinsichtlich der Etablierung eines TWM (vgl. die Diagramme 10 und 11). Hier tritt der positive Effekt, den Wortverarbeitungsstrategien wie Raten oder Ignorieren auf die Etablierung des TWMs zu haben scheinen, nicht ganz so deut­ lich hervor wie in Gruppe A, was allerdings an der sehr geringen Anzahl der erfass­

198 

 4 Empirischer Teil

100

83.05

80 60 40 20 0

11.86

5.08

Nachschlagen

Visualisierung

Etablierung Kohärenz über TWM

eingesetzte Strategien Diagramm 10: Strategieneinsatz und verknüpfte Etablierung TWM Gruppe B in %. 100 50 0

71.43 28.75

82.69

17.31

negativ Textverstehen über Nachschlagen

positiv Textverstehen über TWM (R&I)

Diagramm 11: Qualitative Auswertung Strategien – TWM Gruppe B in %.

ten Stellen liegt, die im Bereich des Nachschlagens lagen (sieben in absoluten Zahlen), wodurch sich dieser Eindruck relativieren lässt. 4.2.2.7.3 Qualitative Analyse: Etablierung eines Text-Welt-Modells und Wortverarbeitungsstrategien Als Ergänzung zu den quantitativen Analysen in 4.2.2.7.2 folgt eine qualitative Aufarbeitung des Materials, um die Aussagekraft der beobachteten Tendenzen zu stützen (vgl. Charters 2003). Dazu werden einzelne Beispiele aus den TAPs der TN herangezogen, um die Gedankenprozesse in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Worterschließungsstrategien und der Etablierung eines TWMs zu ver­ deutlichen. Beispiele für Nachschlagen und Etablierung eines Text-Welt-Modells Es wurde bereits erläutert, dass die Strategienwahl in hohem Maße von indivi­ duellen Faktoren abhängt. Auch kann für die beiden im Rahmen dieser Studie untersuchten Gruppen davon ausgegangen werden, dass die Strategienwahl dieser Gruppen aufgrund ihrer langjährigen Lernerfahrung relativ gefestigt im Hinblick auf ihre Vorlieben und entsprechende Vorgehensweise bei Problemlö­

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

 199

seaufgaben sein dürfte. Dennoch konnte für Gruppe A eine Präferenz des Nach­ schlagens (40,27%) ausgemacht werden, was sich mit den Ergebnissen in Ender (2007, 185) deckt. In 56,25% der Fälle führte Nachschlagen in dieser Gruppe zu einer Störung bis hin zu einer Blockade bei der Etablierung eines TWMs. Im Folgenden soll daher anhand einzelner Beispiele aus den TAPs gezeigt werden, wie sich der Zusammenhang zwischen Nachschlagen und der Etablierung eines TWMs in den Verbalisierungen äußert. TN1 kann als ein extremes Beispiel für die von Foschi Albert beobachtete Tendenz gelten, die Lerner würden zu exzessivem Nachschlagen v. a. in bilin­ gualen Wörterbüchern neigen (vgl. Foschi Albert 2012). Von insgesamt 23 unbe­ kannten Wörtern versucht TN 1 bei 22 die Bedeutung zu erschließen: 14 Wörter werden nachgeschlagen, bei 3 geraten und bei 5 werden beide Strategien heran­ gezogen. Demgegenüber steht TN4, die von 31 unbekannten Wörtern 17 ignoriert, 7 nachschlägt, 3 rät und für 4 zu beiden Strategien greift. Ein ebenfalls etwas abweichendes Verhalten zeigt TN3: Bei 17 unbekannten Wörtern wird in 2 Fällen nachgeschlagen, in 7 geraten, in 4 Fällen werden beide Strategien herangezogen und 4 Fälle werden ignoriert. Bei TN1 zeigt sich auch sehr deutlich, dass allein die zeitliche Unterbrechung durch das Nachschlagen die Verstehensprogression unterbricht: «% lutter glaube ich aufhellen aber ich bin mir gerade nicht sicher/ ich schaue nach (.15.) kämpfen ringen contre l‘isolement okay ja kämpfen/ (.10.) beim nächsten muss ich mal (.) weiß ich nicht ob ich den zusammenhang ver­ standen habe/ muss ich den satz noch einmal lesen» (TN1). Der Prozess bricht hier allerdings dann vollständig ab und TN1 führt die angekündigte Wiederholung nicht aus. Noch deutlicher wird die Behinderung des Verstehens im folgenden Beispiel: da war dann noch prodiguer des soins (.35.) verschwendung okay/ verschwendendes soins (... ) jetzt schaue ich nach was soins heißen könnte (.33.) sorgfalt % okay sorgfalt / (...) okay ,,iw“: was könnte das jetzt gemeinsam heißen prodiguer des soins? „TN1“: ja die also sorgfältig sein allgemein hätt ich gesagt / aufpassen auf die (...) die alten leute (TN1)

TN1 gelingt es nicht, eine passende Bedeutung für den Ausdruck prodiguer des soins zu konstruieren, obwohl im Text eine Hilfestellung über das Wort santé gegeben wird. Darüber hinaus hätte ein passender Wissensrahmen Gesundheit aufgerufen werden können, der zusammen mit dem Wissen über ältere Menschen (Gebrechlichkeit, fragile Gesundheit etc.) leicht zur Etablierung einer Kohärenz­ kontinuität über Kontiguitätsbeziehungen hätte führen können. TN1 gelangt aber erst gar nicht auf diese Ebene, sondern bleibt vielmehr auf der Ebene einer mot-àmot­Übersetzung stehen. Dies führt im Fall von TN1 nicht nur zur Störung bei der

200 

 4 Empirischer Teil

Konstruktion eines mentalen Modells, sondern auch zu Fehlschlüssen, die TN1 aber nicht bewusst werden: dann vorletzte zeile habe ich noch monter en dou ce dans le grenier/ (...) en douce also weich dans le grenier/ da schau ich jetzt nach le grenier (.26.) speicher dachboden bodenraum (...) % passt / ,,iw“: und was denkst du dass der satz jetzt bedeutet? „TN1“: dass man halt feinfühliger wird für die speicher (X) auf unserer erde hätte ich jetzt gesagt / (TN1)

Der Absatz, der TN1 so viele Schwierigkeiten bereitete, lautete wie folgt: Maman s’était endormie, j’ai augmenté un peu le son de la télé pour tester son sommeil, il était profond. Encore une de ses journées épuisantes. Ça me démoralisait de la voir dans cet état. Raison de plus pour ne pas la réveiller. J’ai baissé le volume et je suis monté en douce dans le grenier. La lune viendrait bientôt se mettre dans l’axe de la lucarne. (Levy 2010, 91)

Der Text liefert genug Daten, um passende Wissensrahmen zu aktivieren: Man erfährt, dass die Mutter eingeschlafen ist, endormie war TN1 bekannt. Man erfährt auch, dass die Mutter wohl anstrengende Tage durchlebt und der Protagonist sie daher schlafen lassen und eine Störung vermeiden will: konzeptuelle Kohärenz über Kontiguität zwischen épuisantes, ne pas la réveiller; daran anschließend Aufbau konzeptueller Kohärenz über Kontiguität baisser le volume, monter en douce. Der Hinweis auf die schlafende Mutter hätte zudem auch außerhalb der Textdaten über Weltwissen aktivieren können, dass man sich leise verhält, wenn jemand schläft. All dies wird jedoch nicht herangezogen, um konzeptuelle Kohä­ renz aufzubauen und somit zu einem TWM zu gelangen. Auch ein Zusammen­ hang zwischen monter und grenier kann nicht hergestellt werden. Folglich gelingt TN1 auch keine sinnstiftende Zusammenfassung des zweiten Textes, obwohl TN1 weniger als 5% des Vokabulars unbekannt war. Sie scheitert vielmehr am Unver­ mögen von TN1, konzeptuelle Kohärenz zu etablieren. Am Beispiel von TN1 zeigt sich somit sehr deutlich, dass ein häufiges Nachschlagen und die damit verbun­ dene zeitliche Unterbrechung die verstehensgeleitete Progression auf Textebene empfindlich stören kann. Dazu kommt noch, dass TN1 nur zum bilingualen Wör­ terbuch greift und daher zumeist auch keine Verwendungen der betreffenden Wörter im Kontext findet. Dies führt dazu, dass TN1 nur mit den Bedeutungsan­ gaben operiert, die das bilinguale Wörterbuch vorschlägt.253 Neben der zeitlichen 253 Die Hinzuziehung eines zweisprachigen Wörterbuchs ist allerdings eine Vorliebe, die bei allen TN zum Tragen kommt und die sich mit den Ergebnissen von Ender (2007, 185–186) deckt. Offensichtlich sind die TN den Umgang mit einem monolingualen Wörterbuch auch nicht ge­ wöhnt. Auf Nachfrage gaben elf TN von den hier aufgenommenen 14 TN an, dass sie zu Hause

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

 201

Unterbrechung und der fehlenden Inbezugsetzung zwischen nachgeschlagener Bedeutung und Kontext zeigt sich beim Nachschlagen auch, dass das Dekom­ positionalitätsprinzip die TN bei der Bereitstellung einer sinnstiftenden Bedeu­ tung bisweilen stark behindert. Prototypisch stehen hierfür die Probleme, die, wie bereits erwähnt, der Ausdruck prodiguer des soins bereitete. TN6 verbalisiert hier klar: also da im wörterbuch steht dann eh die phrase prodiguer des soins à qn (.) jemandem pflege angedeihen lassen jemanden versorgen/ n‘est pas question de demander (..) also die einzelnen wörter verstehe ich schon aber alle gemeinsam nicht(..) (TN6)

Im Gegensatz zu TN1 erkennt sie, dass es sich hier um eine idiomatische Wendung handelt und greift dementsprechend beim Nachschlagen auf ihr syntaktisches Wissen zurück, wodurch sie die korrekte Bedeutung erhält. TN6 ist allerdings in der Hinsicht auffällig, da sie häufiger auf interlinguale Strategien zurückgreift und dies auch im Sinne einer Sprachenbewusstheit (awareness) reflektiert: also ich versuche mir immer die wörter von einer anderen sprache herzuleiten oder einfach aus latein / das geht manchmal ganz gut und manchmal auch nicht (.) und wenn ich es gar nicht weiß dann suche ich das wort im internet oder halt auch im wörterbuch (TN6)

Möglicherweise ist dies als Indiz zu werten, dass eine gute Sprachenbewusst­ heit auch die Bereitschaft steigert, multilinguale Strategien einzusetzen und sich auf sein Sprachwissen zu verlassen. Tritt Nachschlagen also in Verbindung mit sprachlichem Wissen (morphologisch, syntaktisch) auf, kann es den Textverste­ hensprozess durchaus stützen. Wie schwierig dies den Lernern aber teilweise zu fallen scheint, zeigt eine Passage von TN 5: genau und dann die bezeichnung douce dans le grenier % (..) douce glaube ich dass es so etwas wie süß heißt (.) und dans le grenier weiß ich eben nicht % und ich würde le grenier nachschauen (.46.) genau (.) da steht jetzt dass grenier der speicher oder dachboden ist und das dass jetzt mit meiner theorie mit douce keinen sinn mehr ergibt schaue ich dieses wort jetzt auch noch nach (.36.) okay da steht jetzt doch süß (...) und wenn das für mich keinen sinn ergibt dann schaue ich bei den beispielsätzen nach ob es noch eine andere verwen­ dung gibt (.33.) aber für mich ergibt die phrase keinen sinn (.) und in so einem fall würde ich einfach die professorin fragen ob sie mir helfen kann die übersetzung zu finden/254 (TN5)

nur mit einem bilingualen Wörterbuch arbeiteten, sieben davon nur mit online­Wörterbüchern. Dabei gaben sie ebenfalls an, dass sie die Vokabeln auch nicht über eine Kontextsuche etc. nach­ schlugen, sondern sich in der Regel auf das bilinguale Wörterbuch verließen. 254 Auffällig ist auch hier, dass die Zusammengehörigkeit nicht erkannt und versucht wird, eine Lösung über Zerlegung in alle Einzelbedeutungen zu finden. Der Fall ist ähnlich gelagert wie die Probleme bei prodiguer des soins.

202 

 4 Empirischer Teil

TN5 erkennt nicht, dass en douce syntaktisch zu monter gehört und kann daher auch durch Nachschlagen aller unbekannten Wörter keine Bedeutung zuweisen. Der Absatz bleibt für sie unverständlich. An diesem Beispiel wird deutlich, dass das Nachschlagen einzelner Lexeme auch dazu führen kann, den Kontext über der Bedeutungssuche völlig aus dem Blick zu verlieren. TN5 ist nur noch auf douce und grenier fixiert und geht nicht mehr in den Text zurück. Hier kommt es zu einem völligen Abbruch der Verstehensprozesse auf der Textebene. Die Hinzuziehung anderer Wissensarten scheint in Bezug auf das Nachschla­ gen möglicherweise tatsächlich entscheidend zu sein, wie das nächste Beispiel zeigt, in dem Nachschlagen den Verstehensprozess ebenfalls unterstützt: ich würde dann noch das wort prodiguer nachschauen und dann könnte ich es mir viel­ leicht schon irgendwie zusammenreimen was die ganze phrase bedeutet (.53.) okay da finde ich jetzt nichts passendes und darum schaue ich jetzt des soins doch noch nach weil dann heißt das glaube ich etwas anderes(..) ich habe nämlich prodiguer mit proteger verwechselt (.) also dass es darum geht dass es nicht die aufgabe von dem studenten wäre dass er sich um den anderen mann kümmert oder um den älteren herrn oder die ältere dame weil er dafür nicht qualifiziert ist / so habe ich mir das gedacht aber ich schaue des soins jetzt trotz­ dem noch nach weil ich glaube dass es das nicht heißt (.48.) okay dann könnte es in dem zusammenhang irgendwas mit pflege heißen weil es steht sowohl bei prodiguer etwas mit pflege als auch bei des soins (.) also ich glaube dass es doch irgendetwas heißen könnte dass ein student nicht dafür verantwortlich ist dass er den älteren mann pflegt (.) (TN2)

Im Vergleich zu TN1 wird hier deutlich, dass TN2 beim Nachschlagen anders vorgeht: Sie schlägt zwar das Wort nach, bezieht bei der Bedeutungserschließung jedoch stark den Kontext mit ein, wodurch sie die Kohärenzbildung auf der Texte­ bene nicht unterbricht. Sie ist im Gegensatz zu TN1 in der Lage, die Textdaten mit den Bedeutungsangaben in Relation zu setzen und darauf basierend zu inferie­ ren. TN2 gelingt es als einer der wenigen, die Bedeutung von prodiguer des soins korrekt mit der Bedeutung Pflegen zu versehen, indem sie zwar vermutlich nicht über den Wissensrahmen Gesundheit (santé) geht,255 wohl aber über die Textda­ ten, die sie beim Nachschlagen in ihre Überlegungen miteinbezieht. Gruppe B hingegen griff nur selten auf Nachschlagen als Worterschließungs­ strategie zurück. Am häufigsten benutzte TN7 diese Strategie, TN14 dagegen nutzte das Wörterbuch in keinem Fall. Dabei zeigt sich bei TN7 ein Problem, das vermutlich in Lernsituationen häufiger vorkommen dürfte: 255 Zumindest wird dies nicht aus dem TAP ersichtlich – hier ist allerdings auf die bereits er­ wähnten Grenzen des Lauten Denkens hinzuweisen: Es gibt zwar keinen Beleg dafür, dass TN2 Wissensrahmen heranzieht, aber auch keinen Beleg, dass sie es nicht tut. Die Vermutung kann allerdings dadurch verstärkt werden, dass TN2 während der Gesamtaufnahme die Aktivierung von Wissensrahmen generell verbalisiert.

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

 203

das wort la banquise gleich am anfang kenne ich nicht darum schaue ich das jetzt nach/ am leichtesten tue ich mir wenn im französisch deutschen wörterbuch nachschaue weil es da schneller geht für mich die bedeutung zu erschließen (.23.) okay das heißt packeis aber das wort ist mir im deutschen auch nicht so geläufig darum schaue ich jetzt noch im einsprachi­ gen wörterbuch nach weil vielleicht ist es dort genauer beschrieben (.19.) okay es handelt sich scheinbar um ein eis dass durch schmelzen von meereswasser entstanden ist (..) und dass dann irgendwie eine bank oder so ergibt (..) (TN7)

Neben der bereits erwähnten Präferenz für das bilinguale Wörterbuch wird hier deutlich, dass sich trotz Nachschlagens keine Bedeutung ergibt, weil TN7 auf der konzeptuellen Ebene keinen entsprechenden Eintrag gespeichert hat. Erst durch Nachschlagen im monolingualen Wörterbuch kann sie dieses Defizit besei­ tigen und dem sprachlichen Zeichen ein Konzept zuordnen. Obwohl sie vorher ausdrücklich auf ihre Vorliebe für das bilinguale Wörterbuch hinweist, greift sie während der Aufgabe immer öfter auf das monolinguale Wörterbuch zurück, da die Angaben nicht zu ihrem mentalen Modell passen. Bei TN7 wird deutlich, dass sie eine mentale Repräsentation des Textes aufbaut und ihre Wortsuche darauf abstimmt. In ihrem Fall führt das Nachschlagen nicht zu einer Hemmung des Textverstehensprozesses, sondern unterstützt diesen. Insgesamt führt die Strate­ gie des Nachschlagens nur in zwei Fällen zu nicht korrekten Annahmen, wobei sie die Etablierung eines TWMs aber nicht stört. Die Gruppe B greift verstärkt auf die Strategie des Ratens bzw. des Ignorierens zurück, um unbekannten Wortschatz zu verarbeiten. Folgen für die Etablierung des TWMs im Hinblick auf fremdes Voka­ bular werden vornehmlich in Bezug auf Ratestrategien deutlich – beim Ignorieren läuft der Konstruktionsprozess, wie bereits erwähnt, einfach auf Textebene weiter, weshalb auch nur Ratestrategien für den Zusammenhang zwischen dieser Strate­ gie und der Etablierung des TWMs im Folgenden genauer analysiert werden. Beispiele für Raten und Etablierung eines Text-Welt-Modells Aus der quantitativen Analyse ging hervor, dass Raten generell zu einem eher positiven Effekt hinsichtlich der Etablierung eines TWMs zu führen schien. In Gruppe A griffen vor allem TN3 und TN5 auf das Raten zurück und erschlos­ sen sich die Bedeutung des unbekannten Lexems entweder über kontextuelles Wissen oder Weltwissen, intra­ bzw. interlinguales Inferieren trat kaum auf. So setzte beispielsweise TN3 die Strategie der Inferenzbildung über den Kontext erfolgreich bei dem Ausdruck prodiguer des soins ein: prodiguer des soins kenne ich nicht aber ich glaube es bedeutet in dem kontext nach der gesundheit schauen der leute bei denen sie wohnen (.) jetzt fällt mir das deutsche wort nicht ein (.) also ich denke es bedeutet dass weil% davor wird erklärt dass das einzige dass sie nicht machen müssen (TN3)

204 

 4 Empirischer Teil

TN3 erschließt nicht nur die Bedeutung korrekt aus den zuvor gegebenen Text­ daten, sondern sie baut dieses Wissen auch in die weitere Etablierung der Kohä­ renzkontinuität ein. Anders als beim Nachschlagen kommt es hier nicht zu einer zeitlichen Unterbrechung, sondern die Verarbeitung scheint weiter progredieren zu können. TN3 setzt stark auf die Herstellung von Kontiguitätsbezügen, ihre Ver­ stehensleistung ist in Bezug auf den Text als sehr gut zu bewerten. Sie ist auch die einzige, die in punkto Textverstehen sehr erfolgreich die Strategie der Visuali­ sierung256 einsetzt und darüber etliche Passagen erschließt, wobei sie auch diese Strategie stets mit der Herstellung von Kontiguität verbindet: und la carcasse kenne ich auch nicht (.) also er wird halt irgendwie das huhn angeschaut haben oder halt das was übrig ist/ also ich nehme an dass er das huhn anschaut und dann vegetarier werden will (TN3)

Mit Hilfe der Textdaten verbindet sie die evozierten Wissensrahmen zu einer logi­ schen Situation, wodurch sie sich vorstellen kann, wohin der Blick des Prota­ gonisten fällt. Raten führt allerdings nicht immer zu einer korrekten Annahme, auch wenn die auf den Textdaten basierenden Schlussfolgerungen zwar logisch scheinen, der evozierte Wissensrahmen aber trotzdem nicht ganz korrekt ist: le poste würde ich nicht nachschauen (..) weil das kann man sich vorstellen was das heißt/ dass das einfach irgendeine aufgabe für ihn ist (..) da steht ja elle m‘installa devant le poste und das heißt ja dass sie ihn davor sitzt und er muss das halt machen (.) und dann steht un crayon et un cahier (.) also einen stift und ein heft (TN4)

Die Bezüge zwischen Textdaten und Wissensrahmen leitet TN4 logisch ab, wozu sie vermutlich auch ihr Weltwissen nutzt. Allerdings führt in diesem Fall die Unkenntnis des Wortes poste zu einem Fehlschluss, da die Mutter das Kind nicht vor eine Aufgabe, sondern vor den Fernseher setzt. Für den weiteren Verlauf des Textverstehens spielt diese falsche Annahme allerdings keine Rolle und TN4 kann die Bedeutung des Textes relativ gut erschließen. Zumeist ergibt sich aber im Hinblick auf die Strategie des Ratens ein positiver Effekt für die Etablierung eines TWMs. Nicht immer kann dabei das Weltwissen klar vom kontextuellen Wissen getrennt werden, was bereits bei der quantitativen Analyse diskutiert wurde. Selten wird ein Inferenzprozess so deutlich wie im Beispiel von TN6: 256 In Studien zum Strategieneinsatz beim Lernen aus Fachtexten zeigte sich, dass Visualisie­ rung zu einem guten Lernerfolg führte; vgl.  Leopold (2009); Leopold/Leutner (2012). Leopold weist allerdings darauf hin, dass der Effekt noch verstärkt wird, wenn die Lerner sich intensiv mit der konzeptuellen Ebene auseinandersetzen und konzeptuelle Bezüge aktiv suchen (Leo­ pold 2009, 284–286). Auffällig ist, dass die TN von dieser Strategie so gut wie keinen Gebrauch machen, was vermuten lässt, dass sie diese weniger oder gar nicht trainiert haben – dies wurde allerdings nicht abgefragt und sollte in weiteren Untersuchungen berücksichtigt werden.

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

 205

achso das habe ich schon einmal in GWK257 gelernt/ also in brasilien ist es so dass durch den regenwald die erde atmet und weil die bäume dort so hoch sind und so eng beeinander stehen dass dann das nicht durchkommt (TN6)

TN6 lässt ihr Weltwissen hier aktiv miteinfließen und erschließt sich so die Bedeu­ tung von évapotranspiration. Die extralingualen Inferenzprozesse scheinen bei der Bedeutungserschließung störungsfrei mit den Textverstehensprozessen zu interagieren und die Informationen scheinen im TWM integriert und weiterver­ arbeitet zu werden. In Gruppe B zeigt sich dies noch deutlicher: Die TN nutzen die Strategie des Ratens sehr intensiv und haben damit auch meist Erfolg. Wie Gruppe A wählt Gruppe B beim Raten zumeist die Determination durch extralinguale Inferen­ zen, also über kontextuelles Wissen und Weltwissen. Im Gegensatz zu Gruppe A kommen aber hier auch verstärkt intralinguale Inferenzen zum Zug, was mög­ licherweise in Verbindung mit einer höheren Sprachenbewusstheit zu sehen ist, die sich durch das höhere Niveau in der Zielsprache ergeben könnte. Innerhalb dieser Gruppe lässt sich denn auch ein Zusammenhang zwischen intra­ und extralingualen Strategien beobachten, die bei der Bedeutungszuweisung positiv zu interagieren scheinen: das erste wort war zum beispiel la fonte des glaciers (.) also das fonte % eigentlich kenne ich das wort nicht aber ich kenne fondre also schmelzen daher denke ich es ist die glet­ scherschmelze und banquise kenne ich auch nicht aber im kontext denke ich es ist halt eisschmelze oder die gletscherzunge oder so in die richtung / aber auch auf alle fälle etwas mit eis (.) (TN9)

TN9 erschließt sich die Bedeutung von fonte korrekt über ihr morphologisches Wissen, dies nutzt sie, um in Folge weiter zu inferieren, wobei sie dann aber auf den Kontext rekurriert. Beide Strategien wirken hier unterstützend auf der Ebene des Textverstehens. Wie sehr die TN in dieser Gruppe auf Schlussfolge­ rungen über den Kontext zurückgreifen, wird auch in einem Beispiel von TN10 deutlich, die während des Verbalisierens ihre mentalen Repräsentationen wie­ deraufnimmt, um Bedeutungen zuzuweisen oder ihre Hypothesen sogar zu korri­ gieren – zunächst übersetzte sie proviseur mit «Lehrer»: das erste wort war dieser proviseur wobei ich denke dass ist irgendein höherer rang (.) weil dass dann aus dem text herauskommt % weil er eben einen neuen schüler herbringt und % weil er eben eine gewisse autorität ausstrahlt und dann war mir klar dass er irgendetwas höheres sein muss / wahrscheinlich der direktor (TN10)

257 Gemeint ist Geographie und Wirtschaftskunde.

206 

 4 Empirischer Teil

Auch hier wird wieder die enge Verknüpfung von kontextuellem Wissen und Weltwissen ersichtlich: Sie verbindet die Textinformationen (‚bringt einen neuen Schüler‘) mit ihrem Wissen über solche Situationen in der Schule und inferiert damit korrekt, dass es sich um den Direktor handelt. Eine ähnliche Verknüpfung findet sich bei TN10 auch für den Sachtext: das erste ist zum beispiel la banquise / das kenne ich nicht aber im kontext denke ich mir dass es so etwas wie das packeis sein könnte (.) weil das phänomen kenne ich und es geht um die gletscherschmelzen und dann muss banquise so etwas wie packeis sein (TN10)

Hier findet ebenfalls eine Interaktion zwischen Kontext und Weltwissen statt, was zu einem korrekten Inferenzprozess führt. Bisweilen lässt sich allerdings auch in dieser Gruppe eine Trennung zwischen Weltwissen und Kontext nach­ vollziehen, wie dieses Beispiel zeigt: dann calotte / si vous faites fondre les calottes glaciaires ou les glaciers (..) da denke ich dass ich weiß was gemeint ist % weil ich denke mir was kann schmelzen (.) eigentlich bloß die polkappen und die gletscher (.) und das sind die größten eismassen / also das habe ich jetzt von der logik her erschlossen (TN8)

Insgesamt stützt die qualitative Analyse anhand einzelner Beispiele die Beobach­ tung, dass Raten, vor allem wenn es über extralinguale Inferenzprozesse läuft, einen positiven Effekt auf die Etablierung des TWMs zu haben scheint, während beim Nachschlagen die Gefahr einer Störung größer zu sein scheint. In der nach­ folgenden Diskussion sollen diese Analysen nun ausführlich auf diese Effekte hin interpetiert werden.

4.2.3 Diskussion der Ergebnisse Aufgrund der Analysen werden in diesem Kapitel nun die Ergebnisse im Hinblick auf die eingangs formulierten Hypothesen interpretiert. 4.2.3.1 Diskussion der Forschungsfragen zum Verhalten in Bezug auf den Strategieneinsatz zwischen beiden Gruppen Hinsichtlich des Verhaltens beim Strategieneinsatz wurde zunächst gefragt, ob die Sprachkompetenz in der Zielsprache eine Rolle bei der Strategienwahl spiele. Dabei wurde angenommen, dass mit zunehmender Sprachkompetenz bei der Erschließung des unbekannten Vokabulars stärker auf Strategien wie Raten oder Ignorieren zurückgegriffen werde.

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

 207

Im Hinblick auf diese Fragestellung kann über die quantitative Auswertung des Gruppenvergleichs die Frage zunächst bejaht werden, wobei auch hier wieder betont werden muss, dass aufgrund der kleinen Probandenanzahl nur Tenden­ zen aufgezeigt werden können, die nicht ohne weiteres übertragbar sind, jedoch zu weiteren Tests in einem größeren Setting ermutigen. Im Vergleich zu Gruppe A (Niveau B1+/B2) griff Gruppe B (Niveau C1/C1+) bei der Bedeutungszuweisung deutlich stärker auf die Strategien des Ratens und des Ignorierens zurück und bestätigt dabei die Beobachtungen, die bereits auch Fraser (1999) für die Präfe­ renz von Lernern hinsichtlich des Strategieneinsatzes ausmachte. Das Verhal­ ten der Gruppe A deckte sich allerdings gänzlich mit den Ergebnissen in Ender (2007). Damit verbunden war auch eine Fokusverlagerung in der Bearbeitung der Aufgabe: Gruppe A konzentrierte sich insgesamt viel intensiver auf den Wort­ schatz und bearbeitete das Textverstehen eher als sekundäre Aufgabe. Gruppe B kehrte diese Reihe fast in allen Fällen um und konzentrierte sich stärker auf das Textverstehen. Erkennbar wird dies beispielsweise an Metakommentaren wie den folgenden, die in den TAPs der Gruppe B bisweilen mit der Strategie des Igno­ rierens auftreten: also diese calotte kenne ich nicht aber es muss irgendetwas mit den gletschern und dem schmelzen zu tun haben/ aber das würde ich einfach überlesen weil so wichtig erscheint mir das jetzt nicht (TN12) also ich glaube ich verstehe das wort eher nicht (..) hätte ich jetzt aber nicht nachgeschaut weil ich verstehe den sinn vom ganzen text eigentlich schon (TN9)

Hier wird gut erkennbar, dass die TN der Gruppe B dazu tendieren, stärker über die Etablierung mentaler Repräsentationen sowie konzeptueller Kontinuität an die Textverstehensaufgabe heranzugehen. Sie zeigen in diesem Sinne tatsächlich „Mut zur Lücke“ und sichern ihre Strategien bei der Bedeutungserschließung durch Raten bzw. Ignorieren vor allem über Kontiguitätsbezüge auf der Konzept­ ebene und nicht durch Überprüfen mit Hilfe eines Wörterbuchs. Möglicherweise ist dieses Ergebnis mit der Schwellenhypothese in Verbindung zu bringen, da die Lerner, zumindest in der hier vorliegenden Studie, erst ab einem sehr hohen Niveau auf ihre Sprachkenntnisse vertrauen und sich darauf verlassen, dass sie über ihre allgemeinen kognitiven Problemlösefertigkeiten den Sinn des Textes richtig konstruieren können. Hier ist erneut auf die access­Hypothese Walters hinzuweisen, die vor dem Hintergrund der Theorie des Structure Building Framework davon ausgeht, dass die Verarbeitung des sprachlichen Materials im Arbeits­ gedächtnis bereits so viel kognitiven Einsatz erfordert, dass die Lerner aufgrund der Belastung ihres Arbeitsgedächtnisses keinen Zugang (access) zu ihren Pro­ blemlösestrategien mehr haben und daher keine mentalen Modelle ausbilden

208 

 4 Empirischer Teil

können (Walter 2004; 2007). Diese Hypothese ist allerdings vor allem in Hinblick auf die Forschungsfragen 3 und 4 zu untersuchen. Ender diskutiert das Ergebnis, dass ihre Probanden vornehmlich auf das Wörterbuch zurückgegriffen haben vor den Annahmen Jiangs (Ender 2007, 188–189), die davon ausgeht, dass es nicht zu einem vollständigen mapping zwi­ schen den Bedeutungsdimensionen des fremdsprachlichen Zeicheninhalts auf den Zeichenausdruck komme, da die Lerner die Notwendigkeit eines solchen mappings schlicht nicht wahrnehmen und daher auch nicht aktiv nach konzep­ tuellen Unterschieden suchen (Jiang 2004b). Basierend auf der Semantic Transfer Hypothesis geht Jiang davon aus, dass die L1 vor allem in frühen und mittleren Erwerbsstadien das konzeptuelle Gerüst für mapping­Prozesse bleibt, vor allem im Hinblick auf außersprachliche Wissensformate (Jiang 2004b, 419–420), und sich dies nur langsam bis gar nicht im Hinblick auf höhere Erwerbsstadien ändert (Jiang 2004b, 425). Bezüglich der Ergebnisse ihrer Studie mit Koreanisch­L1­Ler­ nern des Englischen (L2) kommt sie daher zu dem Schluss, dass diese «provide direct experimental evidence for the continued presence of transferred semantic structures, and thus very limited semantic development in the L2» (Jiang 2004b, 425). Dies stützt auch die Annahme hinsichtlich des multilingualen Lexikons, dass, solange der Erwerb auf Ebene einer geringen bis mittleren Sprachkompe­ tenz in der Zielsprache steht, die unterschiedlichen Sprachsysteme nicht selektiv aktiviert, sondern in Bezug auf den Input stärker über das Prinzip der language dominance inferiert bzw. gehemmt werden (vgl.  Neuser 2017, 54). Dies wird für Frage 2 noch von besonderer Relevanz und dort ausführlicher zu diskutieren sein. Jiangs Theorie des semantischen Transfers, oder besser gesagt, des nicht aus­ reichend stattfindenden semantischen Transfers liefert demnach eine mögliche Erklärung für die starke Präferenz des Nachschlagens bei Gruppe A: Die TN dieser Gruppe haben kein Bewusstsein für konzeptuelle und semantische Unterschiede im Hinblick auf ihre L1 und die Zielsprache ausgebildet und verlassen sich daher auf mapping­Prozesse zwischen konzeptueller L1­Ebene und Zeichenausdrucks­ ebene der Zielsprache. Dies fügt sich in den dieser Arbeit zugrundegelegten Erklärungsansatz, dass Störungen bei der Organisation von Textverstehenspro­ zessen vorwiegend als Probleme bei mapping­Prozessen auf der konzeptuellen Ebene zwischen den einzelnen Wissensformaten (einzelsprachlich­lexikalisch, enzyklopädisch, konnotativ, epistemisch­diskursiv) betrachtet werden können. Die gewählte Strategie des Nachschlagens weist dabei auf ein Defizit in der Sprachbewusstheit der Lerner hin. Dies kann möglicherweise auch mit der Tra­ dition des Listenlernens in Verbindung gebracht werden, die, zumindest in den meisten Anhängen zum Vokabular, in den Lehrwerken stark vertreten ist und auch die Methoden der Vokabelheftführung sowie des Karteikastens betrifft. Die Lerner werden oft darauf «getrimmt», die zielsprachliche Einheit mit einem

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

 209

Bedeutungsäquivalent in ihrer L1 zu versehen, was nach Ender 2007 dann zu fol­ gender Situation führt: «Ausgehend von diesem vorhandenen Wortschatz und seinen zugrunde liegenden Konzepten bauen sie einen neuen zielsprachlichen Wortschatz auf; d. h. um eine neue zielsprachliche lexikalische Einheit zu ver­ stehen, wird nach einem passenden L1­Bedeutungsäquivalent gesucht» (Ender 2007, 188).258 Dadurch wird aber der Zugang zu einer zielsprachlich präfigurierten Konzept­ ebene blockiert, auch auf epistemologische Einschätzungen kann so nicht zuge­ griffen werden. Dies könnte nun dazu einladen, die L1 gänzlich aus dem Lern­ kontext zu verbannen, wovor aber z. B. Jiang (2004b) ausdrücklich warnt. Denn nach wie vor darf auch die ökonomische Perspektive, die alle Lehr­/Lernkontexte unweigerlich betrifft, nicht außer Acht gelassen werden: Gerade im Anfangssta­ dium des Erwerbs kann der Rückgriff auf semantische Assoziationen zwischen L1 und Zielsprache hilfreich sein (Jiang 2004b, 426). Jiang weist darauf hin, dass erst ab einem gewissen Kompetenzniveau Hinweise auf semantische und konzeptuelle Unterschiede sinnvoll seien und ab diesem Zeitpunkt stärker in den Unterricht einfließen sollten, und zwar in Form einer «combination of explicit explanation and contextualized input and interaction specifically designed to target a particu­ lar word or set of words» (Jiang 2004b, 427). Anhand der Ergebnisse der vorliegen­ den Studie scheint auch eine Gewöhnung an monolinguale Nachschlagewerke ab einem höheren Kompetenzniveau (B1) durchaus zielgerecht zu sein, um die Lerner auf semantische Unterschiede aufmerksam zu machen. Zudem scheint ein aktives Training in Ratestrategien ebenfalls eine gute Möglichkeit zu sein, Bedeutungs­ erschließungen vom L1­Kontext zu lösen und anhand des zielsprachlichen Kon­ texts Bedeutungen zu determinieren. Auch ließe sich so auf der Ebene der Stra­ tegien eventuell ein Bewusstsein für sprachliche Abbildungsprozesse erzeugen, beispielsweise über Vergleiche zwischen Bedeutungsangaben in bilingualen und monolingualen Wörterbüchern. Eine weitere gute Möglichkeit bietet hier gleicher­ maßen der Ansatz des extensive reading, wie ihn Pigada und Schmitt (2006) getes­ tet haben: Die Behaltensleistung in ihrer Studie stieg stark an, wenn Lexeme öfter und in verschiedenen authentischen Kontexten verarbeitet wurden. (vgl. Pigada/ Schmitt 2006). Dies spricht dafür, die Kritik der Literaturdidaktiker in Bezug auf ein Verschwinden des Textes aus dem Fremdsprachenunterricht ernst zu nehmen (vgl. Hallet 2012; Hornung 2007) und den Text, vor diesem Hintergrund polemisch ausgedrückt, wieder verstärkt als Informations­ und Unterhaltungsmedium und weniger als Steinbruch für Grammatikübungen einzusetzen.

258 Dies deckt sich mit den Ergebnissen des Nachschlagens als Determinationsstrategie: Auch hier wird letztlich „nur“ ein Pendant aus der L1 zu einem Lexem der Fremdsprache gesucht.

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 4 Empirischer Teil

Im Hinblick auf Forschungsfrage 2, ob eine höhere Sprachkompetenz in der Zielsprache auch zu einer Zunahme bei der Verwendung inter­ und intralingua­ ler Strategien führe, kann die Antwort aufgrund der Ergebnisse nur geteilt aus­ fallen. In Bezug auf den Einsatz interlingualer Strategien zeichnet sich für die vorliegende Studie ein eher negatives Bild ab – allerdings muss hier wieder auf die geringe Aussagekraft des kleinen samples hingewiesen werden. Insgesamt decken sich aber hier die Ergebnisse ebenfalls mit Enders (2007), was als eine gewisse Bekräftigung der Aussagen interpretiert werden kann. Interlinguale Strategien werden weder von Gruppe A noch von Gruppe B in hohem Maße herangezogen. Ein stärkerer Rückgriff auf diese Methode erfolgt in Gruppe A, also in der Gruppe mit der niedrigeren zielsprachlichen Kompetenz (13,8%). Gruppe B hingegen nutzt diese Strategie am wenigsten, insgesamt wird sie nur in 3,42% der Fälle herangezogen. Möglicherweise kann dieses Ergebnis auch vor dem Hintergrund der Schwellenhypothese diskutiert werden, da in der L1 zwar alle als geübte Leser gelten können und somit über dieselben Fertigkeiten in Bezug auf Lese­ und Textverstehen in der L1 verfügen sollten, beim Textver­ stehen in der Fremdsprache dann aber auf unterschiedliche Weise Zugang zur Informationsverarbeitung finden, da die verschiedenen Sprachsysteme in unter­ schiedlicher Weise aktiviert werden und für Gruppe A nach Jiang 2004b eine Dominanz der L1 in Bezug auf mapping­Prozesse zwischen konzeptuell einzel­ sprachlich­lexikalischem Wissen und der konzeptuellen Ebene der außersprach­ lichen Wissensformate angenommen werden kann, die die Gruppe B durch Errei­ chen einer höheren Stufe (Schwelle) möglicherweise bereits ausgleichen kann. So kann auch ein klarer Unterschied für den Einsatz intralingualer Strate­ gien im Verhalten der beiden Gruppen festgestellt werden: Die TN der Gruppe B greifen in ungleich höherem Ausmaß auf diese Strategie bei der Bedeutungszu­ weisung zurück (31,62%). Dieses Ergebnis lässt sich möglicherweise vor dem Hin­ tergrund der Annahmen zur language dominance einerseits wie der Hypothesen in Bezug auf die Aktivierung der unterschiedlichen Sprach­ und Wissensbestände im multilingualen Lexikon andererseits interpretieren. So stellte Jessner 2006 bei einer Studie mit Think Aloud Protocols von 17 bilingualen Probanden (Italienisch/ Deutsch; Kontext Tirol) fest, dass diese, obwohl sie als balanced bilinguals gelten können, in Bezug auf Transferphänomene beim Bearbeiten englischer Texte den höchsten Wert in ihrer L1 Deutsch erreichten (Jessner 2006). Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen Singleton und O’Laoire 2006, die im Rahmen ihrer Studie aller­ dings das Transferverhalten bilingualer Sprecher (Englisch/Irisch), die nicht als balanced gelten können, untersuchten. Bei ihren Probanden zeigten sich bei einer Produktionsaufgabe in Französisch die meisten Transferphänomene für L1 Englisch (vgl. Singleton/O’Laoire 2006). Dies führt zur Überlegung, wie das Phä­ nomen der Sprachdominanz definiert werden könne. Neuser schlägt dafür die

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

 211

Faktoren «exposure» und «proficiency» vor (Neuser 2017, 54). Je nachdem, wie sehr man der Zielsprache bzw. der L1 ausgesetzt ist und je nachdem wie hoch die Kompetenz in den jeweiligen Sprachen ist, kommt es zu einer dominanten Aktivierung des jeweiligen Sprachsystems im multilingualen Lexikon. Diese Defi­ nition lässt sich auf den Kontext der vorliegenden Studie übertragen: Zwar sind beide Gruppen der Zielsprache sowie der L1 in etwa gleichem Maße ausgesetzt, jedoch ist die Höhe des Kompetenzlevels unterschiedlich. Dies führt zu einer ersten vorsichtigen Interpretation der Ergebnisse für Gruppe B: Eventuell führt die höhere Kompetenz in der Zielsprache bei den TN der Gruppe B, im Gegen­ satz zu den TN der Gruppe A, zu einer Dominanz bei der Aktivierung des Sprach­ systems Französisch, wodurch sie stärker auf ihr einzelsprachlich­lexikalisches Wissen in dieser Sprache zurückgreifen und dementsprechend inferieren. Diese Vermutung kann in Zusammenhang gesehen werden mit einer weiteren Über­ legung, die im Hinblick auf sehr gute Sprecher für das multilinguale Lexikon gemacht wird und die zu einer zweiten vorsichtigen Erklärung der Ergebnisse führt: In Gruppe B haben wir es mit Sprechern zu tun, die über eine hohe Kom­ petenz in der Zielsprache verfügen und die möglicherweise dementsprechend in der Lage sind, die unterschiedlichen Sprachsysteme selektiv zu aktivieren. Dies würde bedeuten, dass sich die Aktivierung der Netzwerke im multilingualen Gehirn von einer nicht­selektiven Aktivierung, die über inhibition gesteuert wird, hin zu einer selektiven wandelt, wie sie bisweilen für Sprecher mit einer hohen Kompetenz diskutiert wird (vgl. Christoffels/de Groot 2009, 472). Auch hier kann natürlich nur wieder eine Tendenz beobachtet werden, aus der sich keine validen Schlüsse ziehen lassen.259 4.2.3.2 Diskussion der Forschungsfragen im Hinblick auf die Interaktion von Strategienverwendung zur Worterschließung und Prozessen des Textverstehens (Etablierung eines Text-Welt-Modells) Bevor die Ergebnisse im Bereich der Interaktion zwischen Strategien der Bedeu­ tungszuweisung und der Etablierung eines TWMs interpretiert und diskutiert werden, muss auch hier darauf hingewiesen werden, dass die beobachtbaren Stellen insgesamt in einer relativ geringen Anzahl vertreten waren: Für Gruppe A waren dies insgesamt 30 von 117 Stellen (Ignorieren ausgenommen) und damit

259 Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass der Großteil der Forscher von einem nicht­selektiven Zugang ausgeht (Christoffels/de Groot 2009, 472). Dies bestätigt beispielsweise auch die Studie von Libben und Titone, die starke Evidenz aus einer Eyetracking Studie für einen nicht selektiven Zugang fanden (vgl. Libben/Titone 2009). Allerdings verfügten ihre Probanden eher über ein mittleres bis niedriges Sprachniveau.

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 4 Empirischer Teil

nur 25,64% in Bezug auf die Gesamtmenge ohne Ignorieren, an denen Wortver­ arbeitungen in den TAPs über die Verbalisierung festgestellt werden konnten. Für Gruppe B ergab sich ein geringfügig höherer Prozentsatz von 27,78% für die Gesamtmenge der beobachteten Stellen (162 ohne Ignorieren). In Bezug auf die rein quantitative Auswertung ähnelte sich demnach das Verhalten der Gruppe. Unterschiede wurden erst über eine Auswertung in der Qualität der Strategien sichtbar, also im Hinblick auf die unterschiedlichen Inferenzprozesse, die beim Einsatz deutlich wurden. Diese Unterschiede und ihre Wirkung auf die Etablie­ rung des TWMs werden im Folgenden ausführlich interpretiert. Für die im Rahmen der leitenden Forschungsfragen formulierte Frage 3, ob Nachschlagen bei der Herstellung von konzeptueller Kohärenz eher als störend ein­ zuordnen sei und ob die Etablierung eines TWMs dadurch eher behindert werde, muss das Urteil differenzierter ausfallen. Nachschlagen wurde vor allem von den TN der Gruppe A herangezogen und im Rahmen des Textverstehensprozesses genutzt, um die Informationen zu verarbeiten. Dabei kam es in 56,25% der Fälle zu einer Störung des Kohärenzprozesses, was allerdings durch die absoluten Zahlen relativiert werden muss: Es handelt sich dabei um neun von insgesamt 15 beobach­ teten Stellen. Dies muss aber auch vor dem Hintergrund der Gesamtanzahl gesehen werden, bei der die TN zum Lexikon griffen: Insgesamt machten die TN der Gruppe A in 60 Fällen von der Strategie des Nachschlagens Gebrauch, was demnach nur in 25% aller Fälle zu einer Interaktion mit der Textebene führte. Raten wird als Strate­ gie der Bedeutungszuweisung immerhin in 41,67% der Fälle (15260 von 36) gewählt. Zudem konnte festgestellt werden, dass bei allen sechs Stellen, bei denen Nach­ schlagen zu einer weiteren Kohärenzbildung führte und somit bei der Fortführung der Etablierung des TWMs beteiligt war, andere Wissensformate herangezogen wurden: Die TN glichen die vom Wörterbuch vorgeschlagene Bedeutung entweder mit dem Kontext ab oder zogen ihr sprachliches Wissen heran, um sich abzusi­ chern. Ähnlich verhielt es sich bei Gruppe B: Die Teilnehmer der Gruppe griffen insgesamt nur bei 27 Stellen auf Nachschlagen zurück. Davon führten wiederum insgesamt sieben zu einer Interaktion mit der Textebene, dies sind nur 25,93% der Fälle, wovon in 28,75% das Nachschlagen zu einer Störung der Etablierung des TWMs führte. In Verbindung mit dem Raten kam es immerhin in 41,88% zu einer solchen Aktion, wovon 82,69% eine positive Wirkung für die Etablierung des TWMs aufwiesen. Offensichtlich bestätigen die Ergebnisse der vorliegenden Studie auch die Ergebnisse in Foschi Albert 2012, die einen ähnlich negativen Effekt im Hinblick auf Nachschlagen als Strategie der Bedeutungszuweisung ausmacht, vor

260 Die Zahl 15 für Gruppe A ergibt sich aus der Menge der Ratestrategien, die über Kohärenze­ tablierung (12) oder Visualisierung (3) laufen.

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

 213

allem, wenn es hauptsächlich aus Gründen der Ökonomie geschieht (vgl. Foschi Albert 2012, 29). Wird Nachschlagen folglich ohne Hinzuziehung des Kontexts oder weiterer Wissensbestände eingesetzt, so muss Frage 3) bejaht werden. Als zentrales Problem des Nachschlagens wurde, neben der fehlerhaften und stark L1­basierten Bedeutungszuweisung, hier die zeitliche Unterbrechung des Leseflusses bestimmt. In den meisten aller beobachteten Stellen (Gruppe A wie Gruppe B) führte das Nachschlagen zu einem Verlust des berühmten «roten Fadens», d. h. die TN verloren den Kontext aus dem Blick und konzentrierten sich nurmehr auf das fehlende Lexem, so dass die Kohärenzetablierung unterbrochen und zumeist auch nicht mehr fortgeführt wurde: ich denke ich würde le rechauffement zur sicherheit auch nochmal nachschauen / es ist immer so man hört vokabeln die man eigentlich kennen sollte aber man kann sich dann einfach nicht mehr so genau daran erinnern (.47.) temperatur / erderwärmung heißt es in dem zusammenhang / dann zum schluss wird eh nichts mehr von da oben berichtet / nur dass die mama halt eingeschlafen ist vorm fernseher (TN2)

In diesem kleinen Auszug wird recht gut deutlich, dass TN2 nachschlägt, die Bedeutung zuweist und dann einen thematisch relativ großen Sprung im Text macht, nämlich von einem Sinnabsatz zum nächsten – die konzeptuelle Kohärenz im Absatz über die Erderwärmung im literarischen Text der Gruppe A führt sie nicht mehr fort. Das Ergebnis in Bezug auf die Problematik der Unterbrechung der konzeptuellen Kontinuität durch Nachschlagen im Hinblick auf eine positive Inter­ aktion mit der Textebene kann aus textlinguistischer Sicht daher gut in Einklang gebracht werden mit den Überlegungen Sanders und Gernsbachers (2004) zur kohärenzbasierten Textprogression: Sie gehen dabei von folgender Annahme aus: Text and discourse processing results in a cognitive representation of the information. The crucial characteristic of this representation is that it shows connectedness. This connected­ ness can be best characterized as coherence. The cognitive processes of text and discourse production and interpretation can be modeled as dynamic processes in which activation fluctuates. These processes are influenced, or even to a large extent determined, by the linguistic characteristics of the text or discourse. (Sanders/Gernsbacher 2004, 80; Kursivierung wie im Original)

In Verbindung mit dem hier zugrunde gelegten Modell des Textverstehens, das Textverstehen als Interaktion zwischen Bottom-up­ und Top-down­Prozessen ver­ steht, die zur Bildung mentaler Repräsentationen auf Konzeptebene führen, die dann in die Etablierung eines TWMs münden, ist es notwendig, dass die Dynamik des Abgleichens, Verbindens wie auch Verwerfens auf der Ebene der konzeptu­ ellen Kohärenz kontinuierlich abläuft. Die Textdaten werden dabei unaufhörlich im Arbeitsspeicher verarbeitet und in die Bildung mentaler Repräsentationen integriert. Unterbrechungen durch Nachschlagen, und seien sie auch nur kurz,

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 4 Empirischer Teil

unterbrechen diese Dynamik und stören so den Zugang zu den bereits evozier­ ten Wissensrahmen in den mentalen Repräsentationen, wodurch die gesamte Organisation des Textverstehensprozesses empfindlich beeinträchtigt werden kann, da die Vernetzung der Informationen untereinander abbricht. Studien aus der kognitiven Psychologie zu Lerneffekten beim Textverstehen belegen eben­ falls, dass vor allem eine intensive Bearbeitung des Textes auf der konzeptuel­ len Ebene, also auf der Ebene der Wissensrahmen, zu einer deutlich besseren Behaltensleistung führt (Leopold 2009; Leopold/Leutner 2012; Leopold/Sum­ fleth/Leutner 2013; Richter 2003). Als guter Prädiktor für Lernerfolg stellte sich z. B. die Erarbeitung der Textinformationen über Flussdiagramme bei Rous (2016, 179) heraus. Aus textlinguistischer Sicht sollte daher im Bereich des Textverste­ hens stärker über elaborierte Formen261 der Zusammenfassung (vgl.  Leopold 2009) und der Bereitstellung von Visualisierungen auf Kohärenzebene gearbeitet werden, d. h. diese Techniken sollten vermehrt trainiert und angewendet werden (Foschi Albert 2012, 36). Hinsichtlich Frage 4, ob dagegen Erschließungsstrategien wie Raten die Eta­ blierung eines TWMs fördern, kann die Antwort in der Tendenz vorsichtig positiv ausfallen. Allerdings muss auch hier wieder eine Differenzierung nach der Kate­ gorie und der Qualität der jeweiligen Strategie gemacht werden. Wie bereits erwähnt, führte Raten in beiden Gruppen häufiger und prozentual gesehen mit höherer Wahrscheinlichkeit zu einer Interaktion mit der Textebene, wobei für Gruppe A gilt, dass sie eher auf Nachschlagen rekurriert, während Gruppe B eine hohe Tendenz zum Raten hat. In Gruppe A konnte in 14 Fällen Raten als Strategie beobachtet werden, die mit einer Interaktion auf der Textebene in Verbindung steht. Dabei ist erstaun­ lich, dass alle Stellen, an denen die TN der Gruppe A über extralinguale Stra­ tegien Bedeutungszuweisungen vorgenommen haben, eine solche Interaktion auslösten (13 von 13).262 Für die beobachteten Stellen ergibt sich somit, dass in 92,86% eine extralinguale Strategie und in 7,14% eine interlinguale Strategie eine Wirkung auf die Etablierung des TWMs aufweist, was für 85,71% der Stellen positiv ausfällt. Ein ähnliches Bild zeichnet sich in der Gruppe B in Bezug auf den Einsatz extralingualer Strategien ab: Insgesamt 44 der beobachteten 52 Stellen,

261 Foschi Albert führt diese Techniken unter dem Begriff des spottings als Lesetechnik, die mit vertieften Elaborationen auf der konzeptuellen Ebene durchgeführt wird. Demgegenüber stehen Lesetechniken, die der Etablierung eines globalen Verständnisses (Hauptinformation) dienen (skimming) und Techniken, die dazu dienen, die Kohärenzebenen zu erkennen (scanning), vgl. Foschi Albert (2012, 32). Vgl. zu skimming als Lesetechnik auch Nold/Rossa (2007, 197). 262 Dies relativiert sich jedoch, wenn man auf die Gesamtverteilung der Ratestrategien in Grup­ pe A blickt: Extralinguale Strategien sind bereits dort anteilsmäßig überrepräsentiert.

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

 215

an denen Raten zu einer Interaktion mit der Textebene führte, entfallen auf extra­ linguale Strategien, das sind 84,62%. Bei insgesamt acht Stellen interagieren int­ ralinguale Strategien mit der Textebene, das sind 15,38%. Im Hinblick auf die Gesamtanzahl der eingesetzten extralingualen Strategien in Gruppe B (45) ist die Rate auch hier verblüffend hoch: 97,78%. Allerdings muss auch mit Blick auf dieses Ergebnis auf die Stichprobengröße hingewiesen werden, die keine validen Aussagen über die Signifikanz dieses Ergebnisses erlaubt. In der Tendenz weist dies aber auf die bereits im Hinblick auf Forschungsfrage 3 festgestellte Bedeu­ tung einer Elaboration der konzeptuellen Kohärenz für Aufgaben des Textverste­ hens hin. Dies zeigt sich vor allem an der hohen Interaktion der extralingualen Strategien mit der Textprogression, was wiederum aus textlinguistischer Sicht mit der Modellierung der kognitiven Prozesse während des Textverstehens in Ver­ bindung gebracht werden kann. Indem die TN Bezüge zwischen linguistischen Daten (Ebene Bottom-up, Bedeutungszuweisung) und ihren bereits vorhandenen mentalen Repräsentationen herstellen, in die sie zudem noch Weltwissen mit­ einfließen lassen (Ebene Top-down), kann ein TWM erfolgreich etabliert werden. Die extralingualen Strategien scheinen hier sogar förderlich, da sie zu einer Ela­ boration der konzeptuellen Kohärenz führen und Progression nicht stören. In Bezug auf Textverstehen in der Fremdsprache kann demnach ein Training der extralingualen Strategien für Lehr­/Lernkontexte empfohlen werden. Allerdings ist dabei zu beachten, dass diese für den Erwerb unbekannten Vokabulars eher weniger relevant zu sein scheinen, wie die Ergebnisse in Ender 2007 belegen. Für die Behaltensleistung bei extralingualen Ratestrategien ermittelte sie nur 37% Erfolgsquote, wohingegen intralinguale Strategien mit 65% und interlinguale Strategien mit 73% deutlich bessere Ergebnisse erzielten (Ender 2007, 209). Dies bedeutet, dass eine Konzentration auf extralinguale Strategien hinsichtlich des Lernerfolgs vorsichtig zu beurteilen ist. Sinnvoller scheint eine Kombination der Assoziationsstrategien, damit die Lerner auch im Hinblick auf den Zuwachs ihres Vokabulars in der Fremdsprache profitieren können. Denn die, wenn auch in geringer Anzahl vertretenen Stellen, an denen inter­ und intralinguale Strategien eingesetzt wurden, führten in allen Fällen zu einer erfolgreichen Weiterverarbei­ tung der konzeptuellen Kohärenz im Hinblick auf die Textprogression, da alle in der Bereitstellung von Kontiguitätsbezügen mündeten. Keine Stelle führte zu einer falschen Annahme, was die Vermutung einer impliziten positiven Wirkung intra­ und interlingualer Strategien auf das Textverstehen bestärkt. Insgesamt scheinen die Ergebnisse jedoch erneut auf das Dilemma hinzuweisen, in dem der Text und seine Verwendung im Fremdsprachenunterricht zu stecken scheint: Je nachdem, welche Lernziele mit ihm verbunden werden, sollten eher Strategien zum Vokabelerwerb oder Strategien zur Textprogression auf konzeptueller Ebene gefördert werden.

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4.2.4 Zwischenfazit Abschließend muss noch einmal auf die Rolle der höheren Kompetenz eingegan­ gen werden: Offensichtlich ist ein gewisses Niveau in der Zielsprache vonnöten, damit Lerner überhaupt erst in verstärkter Weise auf Ratestrategien zurückgrei­ fen können, die dann eine positive Wirkung auf das Textverstehens entfalten können. Insofern kann die Rolle, die das unbekannte Vokabular und vor allen Dingen der Umgang mit diesem bei Verstehensprozessen spielen, durchaus als entscheidend betrachtet werden. Ein Training der Strategien, die rein auf den linguistischen Daten beruhen, die Text und Lerner bereitstellen, kann daher möglicherweise bereits für niedrigere und mittlere Kompetenzstufen als gewinn­ bringend angesehen werden. Trotzdem scheint ein Faktor durch die Daten auf­ zuscheinen, der bereits im Hinblick auf das Textverstehen in der Fremdsprache generell diskutiert wurde: Ab welchem Sprachniveau können die Lerner auf die in ihrer L1 vorhandenen kognitiven Fähigkeiten zurückgreifen und diese in den Textverstehensprozess in der Fremdsprache miteinfließen lassen? Ein erster vor­ sichtiger Interpretationsversuch der vorliegenden Daten lässt möglicherweise drauf schließen, dass erst mit steigender, relativ hoher Sprachkompetenz auch das Vertrauen in die eigenen Fertigkeiten steigt und die Lerner dadurch wieder stärker auf ihre allgemeinen kognitiven Verstehensfertigkeiten zurückgreifen (vgl. Gernsbacher 1991; Walter 2007). Dies ist allerdings unbefriedigend, scheint es doch die These Foschi Alberts zu bestätigen, dass komplexere Texte wohl nur einem kleinen Teil von Lernern zugänglich sind: Gemäß den jeweiligen A2­C1­Deskriptoren des Gemeinsamen Europäischen Referenzrah­ mens werden es DaF­Lernende – was das allgemeine Leseverstehen angeht– niemals schaf­ fen, sich mit komplizierten Texten bzw. mit Exemplaren jeder beliebigen Textsorte erfolg­ reich auseinanderzusetzen […]. (Foschi Albert 2012, 31)

Wie lässt sich auf diese pessimistische Vorhersage antworten? In ihrem Plädoyer, nicht mehr von einem Transfer von Lese­ und Textverstehensfertigkeiten aus der L1 auf die Zielsprache zu sprechen, sondern von einem Zugang, der für Fremd­ sprachenlerner beim Lesen in der Zielsprache blockiert ist, spricht sich Walter vor allem für die Methode des extensive reading aus (Walter 2007, 31). Sie situiert die Schwierigkeiten vor allem in Hinblick auf die Leistung des Arbeitsgedächtnisses, das mit der Verarbeitung des fremdsprachlichen Materials zu stark gefordert ist, weshalb kein Zugriff auf das Structure Building Framework erfolgen kann, dessen Aktivierung und Etablierung, wie bereits erwähnt, aber einen guten Problemlöser ausmachen: «In a hierarchical structure built by a skilled comprehender, nodes representing the main ideas in a text will be frequently enhanced as new ideas are

4.2 Bedeutungsdetermination und Kohärenzetablierung 

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mapped onto the structure, and therefore will be more highly activated and more easily recalled than subsidiary ideas» (Walter 2007, 18). In der Fremdsprache, so Walter, könne der Lerner demnach nicht mehr auf seine generellen Fähigkeiten zur Kategorisierung, Mustererkennung etc. zurückgreifen. Erstaunlicherweise trennt sie dieses Problem jedoch von der konzeptuellen Ebene: Their [die Lerner; J.W.] performance cannot be attributed to conceptual difficulty, since the same stories were read in the L1 and the L2 (each participant reading each story in one lan­ guage only). Rather, the results are consistent with the hypothesis that lower­intermediate learners, when reading texts in their L2, are unable to access the structure building skill that they deploy well in identical circumstances in their L1. It is a problem of access. (Walter 2007, 29)

Dabei scheint sie zu übersehen, dass aber ja der reibungslose Ablauf der Orga­ nisationsprozesse auf der konzeptuellen Ebene geradezu eine Bedingung für Prozesse auf der Ebene bildet, auf der sich die structure building skill befindet bzw. die diese aktiviert: Es ist die Ebene der unterschiedlichen Wissensformate, die beim Problemlösen aktiviert werden muss und nicht mit den einzelsprachli­ chen Bedeutungsdimensionen gleichzusetzen ist. Daher scheint es tatsächlich, gerade vor dem Hintergrund von Walters access­Hypothese, darum zu gehen, die Lerner in die Lage zu versetzen, dass sie korrekte mapping­Prozesse zwischen den Konzepten, die sie auf der einzelsprachlichen, lexikalischen und semanti­ schen Ebene aktivieren, mit relevanten Konzepten auf der außersprachlichen Wissensebene bewältigen können. Dabei stellt sich die Frage, wie das erreicht werden kann. Dies führt zu den Annahmen Pavlenkos, die, in Anlehnung an die Theorien Barsalous (Barsalou 1992) davon ausgeht, dass konzeptuelle Informa­ tionen jeweils in Abhängigkeit vom Kontext getriggert werden und es demnach der Kontext bzw. die Kommunikationssituation ist, die die richtige Zuweisung der Konzepte, auch untereinander, bedingt (vgl.  Pavlenko 2009a, b). Für eine solche Zuweisung ist es aber notwendig, bereits über entsprechende Wissens­ rahmen zu verfügen, die dann jeweils erfolgreich evoziert werden können. Auf die Bedeutung von Inferenzstrategien, die auf außersprachlichem Vorwissen beruhen, wurde in der Forschung zur Interkomprehensionsforschung verschie­ dentlich bereits hingewiesen (Meißner/Morkötter 2008; 2009; Morkötter 2016). Vor allem Morkötter (2016) arbeitet die verschiedenen Inferenzebenen, auf die Lerner zurückgreifen müssten, um zu einem holistischen Textverstehen zu gelan­ gen, heraus. Allerdings fokussiert auch sie sehr stark auf rein auf der sprachli­ chen Ebene wirksame Trigger für Inferenzziehungen und geht nicht weiter auf die unterschiedlichen außersprachlichen Wissensrahmen ein, die sie unter Welt­ wissen und Kontext subsummiert (Morkötter 2016, 81). Es scheint aber essenti­ ell, zunächst ein Bewusstsein für die unterschiedlichen epistemischen Kontexte

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von Texten zu schaffen, bevor der Prozess des Textverstehens anlaufen kann. Ansonsten laufen die mapping­Prozesse vermutlich ins Leere oder aktivieren nicht die passenden Wissensrahmen. Dies wirft natürlich die Frage auf, über welches Wissen die Rezipienten verfügen müssen, um überhaupt relevante und passende Wissensrahmen evozieren zu können. Verbunden ist mit dieser Frage, vor dem Hintergrund des Textverstehens, vor allem die Ebene des Vorwissens, die beispielsweise nach Kintsch (1988) eine zentrale Voraussetzung für die Etab­ lierung mentaler Modelle beim Textverstehen ist. Daher soll in der letzten Studie der vorliegenden Arbeit die Wirkung des Vorwissens auf das Textverstehen in der Fremdsprache betrachtet und geprüft werden, ob ein entsprechender Aufbau von Vorwissen den Zugang zu den allgemeinen kognitiven Fertigkeiten möglicher­ weise erleichtert und in der Folge auch die Konstruktion eines TWMs vollständi­ ger und leichter erfolgen kann.

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 4.3.1 Relevanz Die Rolle des Vorwissens beim Textverstehen im Allgemeinen sowie auch im Hin­ blick auf das Textverstehen in der Fremdsprache wurde bereits in Kapitel  2.2.2 der theoretischen Einführung ausführlich diskutiert. Daher sei an dieser Stelle nurmehr kurz umrissen, warum es auch für ein Textverstehen in der Fremdspra­ che von Bedeutung ist, dass die Lerner vor dem Lese­ und Textverstehenspro­ zess geeignete Wissensrahmen aufbauen (z. B. durch gezielte Instruktion, narrow reading, multiple Texte etc.), die dann während der Rezeption erfolgreich evoziert werden und zu einem korrekten mapping zwischen Textdatum und konzeptuel­ ler Ebene führen. Es wurde im Rahmen der vorliegenden Arbeit bereits kritisiert, dass rein mentalistische Modelle den Text als Text und seinen Sitz im Leben aus dem Blick verlieren (vgl.  z. B. Bredella 2002; 2010) und dass der Text mehr als Träger von grammatischen Informationen verstanden wird, denn als Träger von inhaltlichen Informationen. Gerade vor dem Hintergrund der verstärkten Forde­ rung nach interkultureller Kompetenz (Kramsch 2008) scheint hier jedoch zumin­ dest eine teilweise Rückbesinnung auf den Text als Träger kulturellen Wissens im philologischen Sinne und als Träger epistemologischen Wissens im diskursiven Sinne gefordert zu sein. Bereits 1981 weist Johnson auf ein zentrales Merkmal von Texten hin: «Re­ search in reading comprehension of texts of a foreign cultural back­ground has

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 

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shown that discourse has a meaning of its own which determines the relative meaningfulness of groups of sentences which comprise it» (Johnson 1981, 169). Bedeutung in Texten erschließt sich nicht, indem man einzelnen Sätze eine Bedeutung zuweist, sondern indem man die Einzelbedeutungen zu einem sinn­ vollen Ganzen verbindet und dabei Welt­ und Erfahrungswissen integriert. In dieser Interaktion zwischen Text, Leser und Welt ist es zudem wichtig, dass die Propositionen über das epistemisch­diskursive Wissen kontrolliert und validiert werden. So gelangt der Rezipient aus konstruktivistischer Perspektive zu einer Vorstellung der Welt und der Dinge, die ihm begegnen. Auf die entscheidende Rolle des präfigurierten epistemischen Wissens, die besonders für Texte in der Fremdsprache zum Tragen kommt, wurde bereits verschiedentlich hingewiesen. In ihrer Studie verglich Johnson eine Gruppe iranischer Englisch­Lerner (mittle­ res und höheres Niveau) mit einer Gruppe amerikanischer L1­Englisch­Sprecher. Dabei bekamen beide Gruppen je einen Text aus dem Kulturkreis der iranischen Lerner («Mullah Story») und einen Text aus dem Kulturkreis der amerikanischen Studierenden («Buffalo Bill Story»). Die Gruppen erhielten die beiden Texte auch jeweils in einer vereinfachten Version (grammatikalisch­syntaktische Ebene/ Beifügung von Paraphrasen) und der Originalversion ohne jegliche Verände­ rung (vgl. Johnson 1981). Die Ergebnisse zeigten für die iranischen Lerner einen geringen Effekt hinsichtlich der Verstehensleistung bei den vereinfachten Texten, in Bezug auf die Verstehensleistung für die adaptierte und die nicht adaptierte Version. Vereinfachte Texte förderten in Johnsons Studie das Verstehen demnach nicht in signifikanter Weise (Johnson 1981). Dahingegen zeigten sich große Unter­ schiede im Hinblick auf den kulturellen Hintergrund der jeweiligen Geschichte – hier war die Verstehensleistung bei dem Text mit vertrautem kulturellen Hin­ tergrund deutlich erhöht. Hinsichtlich der Englisch­L1­Gruppe zeigten allerdings sowohl die Komplexität auf der sprachlichen Ebene als auch der kulturelle Hin­ tergrund Effekte für die Verstehensleistung (Johnson 1981, 171–173). Sie kommt anhand ihrer Ergebnisse daher zu dem Schluss: «That elements of culture are crucial to understanding a text […]» (Johnson 1981, 174). Im Fall der bekannten Kulturkreise führten die Verweise dementsprechend zu Elaborationen, im Fall der unbekannten Bezüge zu Störungen der Verstehensleistung, obwohl die L1­ Englisch­Probanden die Texte sprachlich einwandfrei verstehen konnten. Dies bestätigt die Annahme, dass Leseverstehen auf der Oberfläche durchaus zu einer Repräsentation führen kann, ohne dass jedoch der Inhalt des Textes verstanden wurde.263 Bei einer solchen Repräsentation können die Texte von den Rezipien­ 263 Vgl. hierzu die Kritik Foschi Alberts an der mot-à-mot­Übersetzungsmethode (Foschi Albert 2012). Zum Aufbau einer mentalen Repräsentation der Textoberfläche ohne Elaborationen der Inhaltsebene vgl. Leopold (2009); Rous (2016).

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 4 Empirischer Teil

ten bestenfalls wortwörtlich wiedergegeben werden, ohne dass jedoch Lernef­ fekte auftreten – die Vergessensrate ist allerdings, wenig überraschend, hierbei am höchsten (Rous 2016, 42).264 Ähnliche Ergebnisse im Hinblick auf die entscheidende Rolle von kulturel­ lem Wissen beim Textverstehen in der Fremdsprache erbrachten die Studien von Droop und Verhoeven (1998). Auch sie kamen zu dem Ergebnis, dass: «[…] children of varying cultural backgrounds differ in the extent to which their prior knowledge is reflected in the supposed cultural content of the text» (Droop/Ver­ hoeven 1998, 266). Sie kommen dementsprechend zu folgendem Schluss: «It can be assumed that a lack of background knowledge may hamper the reading process in such a way that there is an overload of short term memory» (Droop/Verhoeven 1998, 266–267). Ähnlich wie Walter (2004; 2007) gehen sie von einer Blockade auf Grund einer kognitiven Überlastung des Arbeitsgedächtnisses aus, die, im wahrsten Sinne des Wortes, den Zugang zur konzeptuellen Ebene versperrt und damit die Etablierung eines TWMs stört.265 Auch die Überblickserhebung zeigte, dass die Probanden erhebliche Prob­ leme im Hinblick auf das Textverstehen hatten, wenn es darum ging, Inferen­ zen zu bilden, die eine Integration von kulturell gebundenem, also spezifischem Weltwissen in die Textdaten forderten. Um diesem Problem zu begegnen, wurde in das TWM von Schwarz­Friesel (2000) die zusätzliche Ebene der Episteme und der Vermittlung durch diskursives Wissen einbezogen, um die zentrale Funktion von Überzeugungswissen und kollektivem Gedächtnis in seiner sozio­kulturellen Präfiguration darzustellen und den verschiedenen Wissensformaten Rechnung zu tragen. Es ist dabei davon auszugehen, dass geübte Leser, auch wenn sie noch kein hohes fremdsprachliches Niveau erreicht haben, aufgrund ihrer allgemei­ nen kognitiven Problemlösefähigkeiten (Gernsbacher 1990; 1991) durchaus in der Lage sind, aufgrund ihres konzeptuellen Wissens über die Bereitstellung von Kontiguitätsbezügen konzeptuelle Kohärenz zu konstruieren, wenn es sich um einfache Texte, die aus ihrer Lebenswelt stammen, also bekannte Themen behan­

264 Rous weist jedoch zurecht daraufhin, dass es auch Ausnahmen gibt: Auswendiglernen führt z. B. zu einer tieferen Verarbeitung – allerdings ist hier auch anzunehmen, dass gerade beim Auswendiglernen von Rollen und ähnlichem eine Auseinandersetzung mit der Inhaltse­ bene stattgefunden hat – hier wirkt Rousʼ Argumentation nicht überzeugend. Plausibel ist ihre Feststellung jedoch im Hinblick auf das Gedichtlernen, vgl. hierzu Rous (2016, 42). 265 Im Gegensatz zu Walter (2007) verorten Droop/Verhoeven (1998) mapping­Prozesse, die die konzeptuelle Ebene betreffen, durchaus im Bereich allgemeiner kognitiver Problemlösestrategi­ en. Dieser Ansicht folgt auch die vorliegende Arbeit.

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 

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deln. Betrachtet man beispielsweise den nachfolgenden Text, so ist er für Lerner sehr einfach und gut verständlich: Pedro está enfermo. Faltó a clase toda la semana pasada. No pudo asisistir a la fiesta de cumpleaños de Ana. (eigenes Beispiel)

Der Lerner wird richtig schlussfolgern, dass Pedro krank ist und daher auch nicht zur Schule konnte. Er wird vermutlich auch korrekt inferieren können, selbst wenn cumpleaños noch nicht erwoben wurde, dass er deswegen auch nicht zur Feier von Ana kommen kann. Wenn sich die Lerner anhand ihres Erfahrungswis­ sens vorstellen (konzeptuelle Elaboration), zu welcher Art von Feier Schulkinder normalerweise eingeladen werden, die auch nur eine Einzelperson betrifft, dann werden die meisten auch den Geburtstag richtig inferieren. Die Ebene der Text­ daten kann hier problemlos auf die konzeptuelle Ebene gemappt und Text­ und Referenzwelt können in Einklang gebracht werden. Anders sieht es aus, wenn man den Text leicht verändert: Pedro está enfermo. Faltó a clase toda la semana pasada. No pudo asistir a las clases de gimnasia que tanto le gustan. (Beispiel aus Cubo et al. 2007, 28)

Für Lerner mit L1 Französisch ist der Text sicherlich immer noch kein Problem – sie haben eher Vorteile aufgrund der typologischen Nähe zwischen Französisch und Spanisch. Für Lerner mit L1 Deutsch enthält der Text aber einen Knackpunkt: Das Wort gimnasia. Bei Lernern mit L1 Deutsch ist die Gefahr sehr groß, wenn das Lexem noch nicht erworben wurde, dass aufgrund der Ähnlichkeit das deut­ sche Wort Gymnasium266 aufgerufen wird267 und keine sinnvolle Proposition mehr erschlossen werden kann, der Kohärenzfluss demnach unterbrochen wird. Wenn sie für gimnasia nicht das Konzept Turnen evozieren können, sondern dt. Gym­ nasium aufrufen, kann der Text nicht verstanden werden, da kein passendes mapping zwischen konzeptuell einzelsprachlicher und konzeptuell außersprach­ licher Ebene stattgefunden hat – hier allerdings bereits aufgrund eines falschen Abrufens der semantischen Bedeutungsdimension, d. h. es wurde nicht der inten­ dierte Bedeutungsträger aktiviert, sondern ein, durch die Ähnlichkeit des signifiants bedingt, unpassendes «Ausweichzeichen». Dies verweist noch einmal auf die banal klingende, aber essentielle Tatsache, dass die Verarbeitungsprozesse 266 Es handelt sich dabei um einen sogenanntem false friend. Vgl.  zu deren Bedeutung im Fremdsprachenunterricht und die Schwierigkeiten im Erwerb z. B. Brenders/van Hell/Dijkstra (2011). 267 Es kann natürlich nicht ausgeschlossen werden, dass die Lerner korrekt auf Gymnastik zurückgreifen. Dominanter dürfte aber das Konzept Gymnasium sein, da Schüler eher das Wort Sport/Sportunterricht anstatt Gymnastik verwenden.

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der unterschiedlichen Bedeutungsdimensionen im Hinblick auf die sprachlichen Zeichen und die entsprechende Zuweisung der richtigen Wissensformate mitein­ ander verknüpft sind und unaufhörlich interagieren. Der Erklärungsansatz, dass Probleme beim Textverstehen vor allem auf unvollständige mapping­Prozesse zwischen den unterschiedlichen Wissensformaten auf der konzeptuellen Ebene zurückzuführen sind, muss demnach auch für Fehlschlüsse und Missverständ­ nisse bei Inferenzprozessen, die auf die Etablierung einer Referenzwelt zielen, betrachtet werden. Das Beispiel mit sp. gimnasia zeigte, dass Lerner mit L1 Deutsch eventuell keinen passenden Referenten in ihren außersprachlichen Wissensbe­ ständen finden, da ihr konzeptuelles Wissen L1­dominiert ist und daher mögli­ cherweise keinen bereit hält. Hier gelangt die Rolle des Vorwissens ins Spiel. Alle Lerner verfügen bereits über Vorwissen in den unterschiedlichsten Bereichen. Sie alle perzipieren die Welt, die sie umgibt, durch die Wissensrahmen, die sie evozieren, wenn sie Dinge verarbeiten. Dies betrifft natürlich die Sprache glei­ chermaßen, was zu den Annahmen hinsichtlich der konzeptuellen Systeme im multilingualen Lexikon und auch zu den Annahmen der sprachlichen Relativität zurückführt, die darauf hinweisen, dass eine große Herausforderung für Lerner darin bestehe, ein zur jeweiligen Sprache passendes konzeptuelles System zu ent­ wickeln (Wierzbicka 1992; Pavlenko 2009). Dabei wird davon ausgegangen, […] that the lexicons of different languages do indeed suggest different conceptual univers­ es, and that not everything that can be said in one language can be said (without additions and subtractions) in another, and that it is not just a matter of certain thingsʼ being easier to say in one language than in another. (Wierzbicka 1992, 20; Kursivierung wie im Original)

Diese Aussage über Sprachen und wie konzeptuelles Wissen über sie perzipiert wird, kann im Hinblick auf die Qualität von Konzepten dahingehend differenziert werden, dass mit Barsalou angenommen werden kann, es gäbe kontextunab­ hängige Konzepte und kontextabhängige Konzepte, wobei kontextunabhängige Konzepte von allen Menschen in etwa gleich wahrgenommen und verarbeitet würden, also in etwa die gleichen Wissensrahmen evozierten, während kontext­ abhängige Konzepte auf deutlich spezifischere Wissensrahmen abzielten und die Informationen, die für ein Verstehen notwendig seien, in hohem Maße über den Kontext, in dem sie verwendet werden, übermittelt werden (vgl. Barsalou 1982). Dabei gilt, dass, «CD [kontextabhängige Konzepte; J.W.] properties may be repre­ sented in concepts, but they are not usually activated by encoding the respective words. Rather, these properties are activated only by relevant encoding contexts in which a word appears» (Barsalou 1982, 20). Diese Unterscheidung lässt sich auf das Textverstehen im Fremdsprachen­ unterricht übertragen: Anhand der genannten Beispiele lässt sich vermuten, dass Texte, die in der Mehrzahl kontextunabhängige Konzepte enthalten, weniger

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 

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schwierig für Lerner sind als Texte, die gehäuft solche kontextabhängigen Kon­ zepte evozieren. Vergegenwärtigt man sich nun aber die Funktionen, die die PISA­Studie Texten im Unterricht zuweist, so wird deutlich, dass eine bedeutende Funktion, auf die bereits verschiedentlich im Zusammenhang mit der Forderung nach kultureller Partizipation hingewiesen wurde, beinhaltet, Texte «[…] as understanding other ways of doing, thinking and being» zu nutzen (OECD 2014, 178). Dies ist eine Auffassung der Funktion von Texten, die auch für den Fremd­ sprachenunterricht relevant ist. Die Herausforderung ist komplex: Nicht nur muss der Lerner den passenden Kontext für die Deutung der Konzepte finden, er muss gleichzeitig die mit diesem Kontext verbundenen Wissensebenen akti­ vieren. Dies beinhaltet Faktenwissen, wie historisches und kulturelles Wissen, aber auch epistemisch­diskursives Wissen, um geeignete Validierungen und Kontrollprozesse über die im Text enthaltenen Propositionen bilden zu können (vgl. Maier/Richter 2016). Vor diesem Hintergrund ist es zentral, dass der Lerner über ausreichend Vorwissen verfügt, über das die Textdaten im Arbeitsgedächtnis elaboriert werden können und als neue Informationen in seinem konzeptuellen System gespeichert werden (vgl. Kintsch 1988). Im Kontext des Fremdsprachen­ erwerbs scheint aber genau dies oft ein empfindlicher Bereich zu sein, in dem Störungen leichtsam auftreten können. Daher soll in der nachfolgenden Studie gezeigt werden, wie sich das Vorhandensein passender Wissensrahmen auf die Konstruktion des TWMs auswirkt.

4.3.2 Material und Methoden 4.3.2.1 Testpersonen An der Studie haben insgesamt 25 Personen teilgenommen, die untersuchte Zielsprache ist Spanisch.268 Die Teilnahme basierte auf Freiwilligkeit.269 Die TN wurden in drei Gruppen aufgeteilt: Gruppe A, Gruppe B und Gruppe C. Die TN der Gruppen A und B waren allesamt Spanischstudierende der Universität Salzburg. Bei der Auswahl wurde darauf geachtet, dass die Gruppe relativ homogen in

268 Die Wahl unterschiedlicher Fremdsprachen für die Studien erfolgte aufgrund der Überle­ gung, dass dies eine höhere Generalisierbarkeit der Aussagen erlaubt. 269 Auch hier wurden die Daten, aufgrund der positiven Erfahrung aus Studie 2, mit Hilfe einer Diplomandin erhoben, die das Datenmaterial dann ebenfalls für ihre studentische Projektarbeit nutzte. Ich danke an dieser Stelle Frau Anna Griesacker für ihre Bereitschaft, sich zum einen auf das Testdesign einzulassen und zum anderen dafür, die Daten mit mir gemeinsam zu erheben. Die Teilnehmer waren wie in der vorhergehenden Studie über das Vorgehen informiert und erklärten sich schriftlich damit einverstanden, dass Frau Griesacker das Datenmaterial an mich weitergab.

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 4 Empirischer Teil

Bezug auf die Sprachlernbiographien war, um eine bessere Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu erreichen.270 Die Zuteilung zu den Gruppen erfolgte über das Los­ verfahren. Sie alle verfügten über ein Kompetenzniveau von C1 für Spanisch und somit über ein hohes Niveau in der Zielsprache.271 Die Gruppen A und B bestan­ den aus jeweils zehn TN. Gruppe C setzte sich aus Native Speaker mit L1 Spanisch zusammen, die zum Zeitpunkt der Datenerhebung entweder im Rahmen eines Erasmusaufenthaltes oder aus beruflichen Gründen in Salzburg lebten.272 Alle TN verfügten über ein höheres Bildungsniveau.273 Von den 25 TN waren 18 TN weib­ lich und sieben TN männlich. Die 20 TN der Gruppen A und B verfügten über folgende personenabhängige Eigenschaften:274 – Alle hatten als L1 Deutsch; TN4 ist 2L1 Albanisch­Deutsch und TN8 ist 2L1 Ungarisch­Deutsch. – Alle waren Studierende der Universität Salzburg und studierten Spanisch im Rahmen ihres BA­ bzw. Lehramtsstudiums. – Alle lernten zum Zeitpunkt der Testung über einen Zeitverlauf von mehreren Jahren kontinuierlich die Zielsprache. – Alle verfügten über Kenntnisse in mindestens noch einer weiteren Fremd­ sprache.

270 Wie auch in Studie 2 lag das Problem der Ungleichheit in Bezug auf das Geschlecht am hohen Anteil weiblicher Studierender, in dieser Hinsicht konnte keine Ausgewogenheit erreicht werden. 271 Auch hier wurde das Zielniveau C1 über die positive Absolvierung des Sprachkurses 3 der Universität Salzburg abgesichert, d. h. die Probanden hatten diesen Kurs zum Zeitpunkt der Da­ tenerhebung bereits abgeschlossen. Ein zusätzlicher Sprachtest wurde nicht durchgeführt. 272 In diesem Zusammenhang muss auf eine der größten Herausforderungen in der philolo­ gisch begründeten, experimentellen Forschung: Sprecher und Sprecherinnen können nicht unter dem exkludierenden Blick eines Laborexperiments untersucht werden. Daher können auch nicht alle Faktoren so kontrolliert werden, dass die Wirksamkeit jedes einzelnen Faktors zur Gänze berücksichtigt werden kann. So haben die TN der Gruppen A, B und C unterschiedli­ che Schulsysteme durchlaufen, was möglicherweise einen Einfluss auf die Ergebnisse zeitigen könnte. Dem wurde jedoch durch die Überlegung entgegengewirkt, dass ein Themenspektrum gewählt wurde, dass mit Blick für die Gruppe der L1­Sprecher als Allgemeinwissen gelten kann und für die Gruppen A und B sicher im universitären Kontext behandelt wurde. Auf diese Weise können die Unterschiede im Bildungssystem wenigstens abgefedert werden. 273 Das Bildungsniveau wurde über die vorliegenden Bildungsabschlüsse ermittelt, alle TN hatten Matura bzw. einen maturaäquivalenten Abschluss und besaßen einen Universitätssab­ schluss bzw. waren auf dem Weg dorthin. 274 Die Aussagen beruhen auf den im Fragebogen zur Sprachlernbiographie erhobenen Daten. Der Fragebogen wurde in Anlehnung an Ender (2007) verfasst und für Spanisch adaptiert. Er befindet sich im Anhang der vorliegenden Arbeit.

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 

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Alle Teilnehmer können als erfahrene Lerner im Allgemeinen sowie als sprachlernerfahren im Besonderen bezeichnet werden. Bei keinem der TN wurde eine Lese­Rechtschreibstörung diagnostiziert.

Besondere Eigenschaften der Gruppe A (TN1–TN10): – Die TN sind zwischen 21 und 25 Jahre alt (∅ 23,2 Jahre). – Die Teilnehmer beschäftigen sich auch außerhalb des Studiums mit der spanischen Sprache, und zwar im Umfang von einer Stunde täglich bis zu einmal die Woche (Radio, Zeitung, Romane, Filme und Videos, Kontakt mit L1­Spanischsprechern (Tandem, Social Media)). – Drei der zehn TN haben noch nicht längere Zeit im Zielsprachenland ver­ bracht, die verbleibenden sieben TN haben zwischen zwei und zwölf Monate in einem spanischsprachigen Land verbracht (Aupair, Auslandssemester, anderer Reiseaufenthalt) – Lerndauer: mindestens fünf bis maximal elf Jahre. Besondere Eigenschaften der Gruppe B (TN11–TN20): – Die TN sind zwischen 21 und 25 Jahre alt (∅ 23,4 Jahre). – Die Teilnehmer beschäftigen sich auch außerhalb des Studiums mit der spa­ nischen Sprache, und zwar im Umfang von einer Stunde täglich bis zu einmal alle zwei Wochen (Radio, Zeitung, Romane Filme und Videos, Kontakt mit L1 Spanischsprechern (Social Media)). – Drei der zehn TN haben noch nicht längere Zeit im Zielsprachenland ver­ bracht, die verbleibenden sieben TN haben zwischen zwei und zehn Monate in einem spanischsprachigen Land verbracht (Aupair, Auslandssemester, anderer Reiseaufenthalt). – Lerndauer: mindestens fünf bis maximal zehn Jahre. Besondere Eigenschaften der Gruppe C (TN21–25) – Die TN sind zwischen 21 und 38 Jahre alt (∅ 26,6 Jahre). – Alle TN stammen aus Spanien und haben Kastilisch als L1. TN22 hat zudem Katalanisch als L1 und TN24 Valenzianisch.275 – Alle TN sprechen noch mindestens zwei weitere Fremdsprachen.

275 Die Zuordnung Valenzianisch beruht auf eigener Angabe der TN. Vor dem Hintergrund, dass es darum ging, zu erfahren, ob die Native Speaker in Bezug auf die evozierten kulturellen Wis­ sensrahmen über ähnliche Assoziationsmuster verfügten, war es wichtig, darauf zu achten, dass sie in sprachlicher Hinsicht relativ homogen sind. Dies erschwerte die Probandenrekrutierung erheblich, da L1 Sprecher des Spanischen aus Lateinamerika von vornherein ausschieden.

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 4 Empirischer Teil

4.3.2.2 Materialien Alle TN mussten vor der eigentlichen Testung einen Fragebogen zu ihrer Sprach­ lernbiographie ausfüllen sowie eine Autorisierung, dass ihre Daten in anonymi­ sierter Form verwendet werden dürfen. Die Erhebung des Fragebogens erfolgte anonym unter Angabe der Initialen sowie der Matrikelnummer, damit eine spätere Zuordnung zu den anderen Daten möglich war. Im Fragebogen wurden die TN nach ihren Fremdsprachen und der Reihenfolge des Erwerbs sowie nach dem Ausmaß ihrer Beschäftigung mit der Zielsprache außerhalb von studenti­ schen Arbeiten befragt. Auch wurde erhoben, ob eine Lese­Rechtschreib­Stö­ rung vorlag. Zudem sollten die TN ihre Kompetenz in Bezug auf ihre erworbenen Fremdsprachen und etwaige Auslandserfahrungen angeben.276 Die Studierenden erhielten für die Lesesituation jeweils denselben Lesetext: Frikismo von Rosa Montero, erschienen in El País (Rubrik Opinión). Der Text kann als meinungsbetont kategorisiert werden und entspricht der korrespondierenden Textsorte Glosse. Der Text wurde aufgrund folgender Kriterien ausgewählt: 1. Distanzsprachliches Niveau 2. Hohes Vorkommen kulturspezifischer Andeutungen, die den TN der Gruppen A und B aus den kulturwissenschaftlichen Veranstaltungen nahezu alle bekannt sein sollten. Zusätzlich enthielt der Text Anspielungen, von denen anzunehmen war, dass diese über die epistemische Ebene der Native Speaker evaluiert und validiert werden können. 3. Der Text sollte eine Länge von maximal 300 Wörtern nicht überschreiten. 4. Der Text sollte ein hohes Aktivationspotenzial in Bezug auf Wissensrahmen zu Geschichte, Kultur und Gesellschaft Spaniens haben. 5. In Bezug auf die Textsorte wurde entschieden, keinen reinen Sachtext zu wählen, sondern einen Text, der hinsichtlich der Illokutionsdominanz eher als assertiv­expressiv einzuordnen wäre. Damit kamen meinungsbetont­per­ suasive Texte in die nähere Auswahl, die ein Thema entfalteten, das dezi­ diert die Situation in Spanien zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt auch über Assertionen kommentierte. Dadurch sollte die Wahrscheinlichkeit erhöht werden, dass die Rezipienten eine tieferen Reflexion wie auch eine Interpretation der im Text genannten Themen entwickelten und auch die epi­ stemische Ebene (epistemologische Einschätzungen/diskursives Wissen) in den Textverstehensprozess integrierten. 6. Kastilischsprachige Autorin (aufgrund Gruppe C)

276 Die Auswertung der Fragebögen liegt bereits in der Beschreibung der beiden Testgruppen vor.

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 

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Kriterium 2 wurde folgendermaßen überprüft: Die Lehrenden der Universität Salzburg, die für die betreffenden landeswissenschaftlichen Kurse und deren Inhalte verantwortlich sind und diese Kurse auch jeweils selbst geben, wurden gebeten, die Bezüge zu kulturspezifischem Wissen im Text dahingehend zu über­ prüfen, ob die genannten Ereignisse auch Teil der Lehrinhalte waren. Bis auf ein im Text genanntes Ereignis gehörten alle Ereignisse zu den Kursinhalten.277 Zudem wurden eine geprüfte Übersetzerin für Spanisch­Deutsch, die gleichzei­ tig Sprachkurse am Fachbereich Romanistik der Universität Salzburg lehrt, also auch das Niveau der Studierenden gut im Blick hat, und ein Spanischlektor des Fachbereichs gebeten, den Text auf seine Schwierigkeit hin zu lesen und dabei in folgende Kategorien zu unterscheiden: – Schwierigkeitsgrad auf Ebene der Syntax – Schwierigkeitsgrad auf Ebene der Lexik – Schwierigkeitsgrad auf Ebene des landeskundlichen Wissens In Bezug auf die sprachliche Ebene wurde der Text als mittelschwer eingestuft, auf Ebene des landeskundlichen Wissens auf mittelschwer bis schwer.278 Alle drei Befragten (der befragte Spanischlektor erteilt gleichzeitig den Landeswissen­ schaftlichen Kurs) bescheinigten dem Text zudem ein hohes Aktivationspotenzial in Bezug auf Wissensrahmen zu Geschichte und Gesellschaft Spaniens nach 1975 sowie auch im Hinblick auf eine weiterführende Interpretation. Der Text wurde aufgrund dieser Einstufung279 als geeignet bewertet.280 4.3.2.3 Ablauf der Testung Die Testung besteht aus vier bzw. fünf Phasen: 1. Assoziationstest 2. Phase des Vorwissensaufbaus 3. Lesesituation 4. Recall­Aufgabe (schriftliche Zusammenfassung) 5. Wissenstest

277 Die Dozenten waren nicht in die Studie involviert. 278 Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die Übersetzerin den Text nur aufgrund des kulturspe­ zifischen Wissens als schwer für die Studierenden empfand. Syntax und Lexik stufte sie als eher leicht ein. 279 Die Befragung fand jeweils unabhängig voneinander statt und die betroffenen Lehrpersonen wussten nicht, dass außer ihnen noch jemand zu dem Text befragt wurde. An dieser Stelle danke ich allen Kollegen und Kolleginnen für ihre Unterstützung und bereitwillige Durchsicht des Textes. 280 Der Text befindet sich im Anhang der vorliegenden Arbeit.

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 4 Empirischer Teil

Phase 2 erfolgte nicht für alle Teilnehmer: Gruppe A und Gruppe C machten sofort mit der Lesesituation weiter, Gruppe B erhielt dagegen eine Unterrichtsstunde, in der die landeskundlichen Themen, die im Text vorkommen, in ihrem geschichtli­ chen Kontext (Spanien nach 1975) mit Bildmaterial, kleinen Texten und einer Zeit­ tafel zum 20. Jahrhundert unterrichtet wurden. Auch die Anekdote des «pequeño Nicolás» wurde in diesem Zusammenhang am Rande erwähnt. Ziel dieser Ins­ truktionsphase war es, zumindest in Teilen die konzeptuelle Ebene des Textes vor­ zuentlasten, damit die TN spezifische Wissensrahmen etablieren konnten. Zwi­ schen den jeweiligen Phasen sollten höchstens eine Woche, mindestens jedoch zwei Tage liegen. Zwischen Phase 1 und Phase 2 lag für alle TN der Gruppe B genau eine Woche. Auch zwischen den Phasen 4 und 5 lag genau eine Woche. 4.3.2.3.1 Die Assoziationsphase In dieser Phase erhalten alle TN dieselbe, freie Assoziationsaufgabe: Sie werden gebeten, zu bestimmten Begriffen ihre Assoziationen zu notieren. Diesem Format liegt die Überlegung zugrunde, dass die Wörter im mentalen Lexikon in Bedeu­ tungsnetzen miteinander in Beziehung stehen und somit über semantische, para­ digmatische, syntagmatische und taxonomische Relationen organisiert sind (Ait­ chison 2012, 99–112). Bei freien Assoziationstests zeigte sich, dass Mitglieder einer Sprachgemeinschaft dazu tendieren, ähnliche Assoziationen in Bezug auf das Aus­ löserwort aufzurufen (Aitchison 2012, 100). Aitchison kritisiert dabei allerdings im Hinblick auf Assoziationstests, dass wichtige Faktoren, wie beispielsweise der Kontext oder individuelle Eigenschaften, außer Acht gelassen werden und somit die Bedeutungsnetze nur in verzerrter Form wiedergegeben werden (Aitchison 2012, 101; Neveling 2004, 128). Diese Kritik kommt aber der hier vermuteten Insta­ bilität von konzeptuellen Vernetzungen, die ein item aufrufen kann, gerade ent­ gegen: Dadurch, dass im Rahmen der vorliegenden Studie von variablen, instabi­ len und dynamischen Verbindungen ausgegangen wird, kann vermutet werden, dass eben diese in einem Assoziationstest sichtbar werden (vgl. Plieger 2006, 98). Dementsprechend werden die Probanden mit folgenden acht items konfrontiert, wobei ihnen die einzelnen Wörter jeweils nacheinander in immer derselben Rei­ henfolge vorgelegt werden: transición, 11-M, GAL,281 Matanza de Atocha, crisis,

281 Grupos Antiterroristas de Liberación (GAL). Bei den Truppen der GAL handelte es sich um paramilitärische Gruppen, die zwischen 1983 und 1987 in verdeckten Einsätzen gegen die ETA kämpften. Diese Einsätze gelten als höchstumstritten, letztendlich kann wohl durchaus von einer terroristischen Vereinigung gesprochen werden, obwohl es sich nominell um eine Antiter­ roreinheit handelte.

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ETA,282 secesionismo catalanista, pequeño Nicolás. Durch die Sprachenwahl sollte sichergestellt werden, dass die TN auch den richtigen Kontext (Spanien) als Wis­ sensrahmen evozieren. Pro item haben sie 90 Sekunden Zeit, Assoziationen auf­ zubauen. Die genannten Assoziationen werden notiert. Ausgegangen wird dabei davon, dass den TN alle items, bis auf den pequeño Nicolás, ein relativ bekannter Hochstapler in Spanien, wenigstens durch den Besuch der Kulturvorlesung,283 in der alle anderen genannten Themen behandelt werden, bekannt sind. Über den Assoziationstest sollte ermittelt werden, ob die TN bereits über relevantes Vorwis­ sen verfügten, und wenn ja, in welcher Menge und Qualität. 4.3.2.3.2 Der Vorwissensaufbau Diese Phase durchlaufen nur die TN11–20 der Gruppe B. Die Phase findet zeitver­ setzt zum Assoziationstest statt (mindestens ein bis maximal drei Tage). In dieser Phase erhalten die TN eine Unterrichtsstunde zum Thema «Geschichte Spaniens nach 1975», in der die im Text angesprochenen historischen Ereignisse im Kontext erklärt, mit Bildmaterial und weiteren kleinen Sachtexten angereichert werden. Das Augenmerk lag dabei auf einer reinen Faktenvermittlung. Dieser Phase liegt die Annahme zugrunde, dass bei der Etablierung eines TWMs die mentalen Repräsentationen eben nicht nur über die Textdaten zustande kommen, sondern auch durch aktive Integration von außersprachlichen Wissensbeständen. Die Bedeutung eines Textes kommt dann durch die Interaktion zwischen der kon­ zeptuellen Ebene des Rezipienten und der im Text über sprachliche Zeichen kodierten konzeptuellen Ebene zustande, wobei die Informationen der beteilig­ ten Ebenen in Einklang gebracht und miteinander verknüpft werden müssen: «People carry meanings, and linguistic inputs merely act as cues which people can use to recreate and modify their previous knowledge of the world. What is comprehended and remembered depends on an individual’s general knowledge of his environment» (Bransford/Barclay/Franks 1972, 207). Über die geschichtliche und kulturbezogene Einführung bzw. Auffrischung der genannten Themen soll sichergestellt werden, dass diese Gruppe über die relevanten Wissensrahmen verfügt.

282 Euskadi Ta Askatasuna (ETA), baskisch für ‚Baskenland und Freiheit‘, baskische Terroror­ ganisation. Ihre endgültige Auflösung erfolgte am 2. Mai 2018. 283 Diese Lehrveranstaltung hatten zum Zeitpunkt der Erhebung alle TN der Gruppe A und B bereits positiv im Rahmen ihres Hispanistikstudiums an der Universität Salzburg absolviert.

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 4 Empirischer Teil

4.3.2.3.3 Die Lesesituation Die Lesesituation betrifft wieder alle Gruppen und findet zeitversetzt zum Asso­ ziationstest statt, für die TN der Gruppe ohne Vorwissensaufbau (im Folgenden GoV) mindestens 1 bis maximal drei Tage. Für die TN mit Vorwissensaufbau (im Folgenden GmV) findet sie zeitversetzt zur Instruktionsphase statt (mindestens ein bis maximal drei Tage). Sie wird mit jedem TN individuell vereinbart. Die Lesesitua­ tion enthält zwei Lesedurchgänge. Jeder TN bekommt den Text vorgelegt und erhält Zeit, um den Text einmal leise auf Verständnis durchzulesen. Dabei erhalten die TN kein zeitliches Limit. Beim zweiten Durchgang werden sie dann gebeten, über die Methode des Lauten Denkens284 ihre Gedankenprozesse während des Lesens zu verbalisieren. Dieser zweite Durchgang wird jeweils aufgenommen. Die Aufnahmen werden im Anschluss transkribiert und dienen dann in Form von TAPs der Analyse der Inferenzprozesse, die während des Lesedurchgangs stattgefunden haben. Als Hilfsmittel stehen ihnen ein­ und zweisprachige Wörterbücher zur Verfügung. 4.3.2.3.4 Die Recall-Aufgabe Nach der Lesesituation werden die TN gebeten, eine schriftliche, möglichst detaillierte Zusammenfassung des Textes in Bezug auf die in ihm verarbeiteten Themen anzufertigen. Diese Recall­Aufgabe dient dazu, feststellen zu können, ob der Textinhalt mental verarbeitet und gespeichert wurde und ob die TN in der Lage sind, eine Reproduktion des mentalen Modells, das sie während des Textverstehens als Gedächtnisinhalt gebildet haben, anzufertigen. Dabei ist es für die Analyse von Interesse zu erfahren, wie viele textthematische Konzepte von den TN erinnert werden können, also wie detailliert das mentale Modell ist, da sich auch hier Hinweise auf integriertes Vorwissen und einen Lernzuwachs ergeben können. Die TN dürfen diese Zusammenfassung in ihrer jeweiligen L1 schreiben, da Fremdsprachenlerner die Tendenz zeigten, bei Recall­Aufgaben zu Lesen in der Fremdsprache bessere Ergebnisse zu erreichen, wenn sie dabei ihre L1 verwenden (Lee 1986a, b; Droop/Verhoeven 1998). Da sich bei höherem Sprachniveau allerdings das Dominanzverhältnis oft zugunsten der Fremdspra­ che ändert, diese also dominant wird (Droop/Verhoeven 1998), wurde diese Ent­ scheidung den TN überlassen. Die Recall­Aufgabe findet für die GoV und die GmV zeitversetzt mindestens drei bis maximal fünf Tage nach der Lesesituation statt.

284 Vgl. ausführlich zur Eignung der Methode des Lauten Denkens Kapitel 4.2.2.5 der vorliegen­ den Arbeit.

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 

 231

4.3.2.3.5 Der Wissenstest Eine Woche nach der Lesesituation und der Recall­Aufgabe werden die TN gebeten, einen Wissenstest zu den Inhalten auszufüllen, die im Text angespro­ chen werden. Die TN haben dabei nur den Termin erhalten, erfuhren aber nicht, was die letzte Phase beinhaltete. Dabei erhalten alle TN neun Fragen, bei denen es sich teilweise um textbezogene Fragen, teilweise um offene Fragen handelt. Der Test dient der Kontrolle, ob Wissensbestände in Bezug auf die Textthemen gespeichert wurden und ob ein Lerneffekt stattgefunden hat. Der Wissenstest findet für die GoV und die GmV zeitversetzt mindestens fünf bis maximal sieben Tage nach der Recall-Aufgabe statt. 4.3.2.3.6 Transkription Die Audioaufnahmen werden in TAPs transkribiert, damit sie zur Analyse herange­ zogen werden können. Insgesamt wurden dabei 2h 26ˈ 34ˈˈ transkribiert. Dabei wird die Aufnahme in eine adaptierte, weitgehend standardisierte Form des gesproche­ nen Deutsch übertragen, d. h. dialektale Färbungen werden zumindest phonetisch nicht transkribiert. Beibehalten werden typische Verschleiferscheinungen des gesprochenen Deutsch. Die Transkription erfolgt durchgehend in Kleinschreibung und ohne Verwendung von Interpunktion. Zielsprachige Äußerungen werden kursiviert. I. d. R. erfolgt die Äußerung nur von Seiten der TN, sollte dennoch eine Intervention der aufnehmenden Person notwendig sein, z. B. bei auftauchenden Problemen mit der Aufgabenstellung trotz vorhergehender Instruktion, ist diese jeweils mit «ag» gekennzeichnet.285 Bei Wiederaufnahme der Rede durch die TN wird dies mit «TNx», je nach Teilnehmerkodierung, gekennzeichnet. In Anlehnung an Ender (2007, 115) werden folgende Transkriptionszeichen verwendet: (.) (..) (…)

Sprechpause von ca. einer Sekunde Sprechpause von ca. zwei Sekunden Sprechpause von ca. drei Sekunden

Pausen, die länger als drei Sekunden dauern, werden mit der Sekundenzahl wie folgt angegeben: (.x.) (X) % ? (/)

Unverständliche Stelle Füllwort Anhebung im Intonationsverlauf; Markierung von Fragen Absenkung im Intonationsverlauf; Markierung des Endes einer Aussage

285 Zu einer Diskussion über Inferenzen von Seiten der aufnehmenden Person während der Aufnahme vgl. Charters (2003, 74–75). Eine solche Intervention kam bei den TAPs in dieser Studie allerdings nur an einer einzigen Stelle vor.

232 

 4 Empirischer Teil

4.3.2.4 Forschungsfragen Als Leitrahmen für die nachfolgende Studie wurden folgende Forschungsfragen formuliert: 1. Aktiviert die Kontrollgruppe der Native Speaker, im folgenden KG bezeichnet, mehr und differenziertere Assoziationen in Bezug auf die gewählten items als die Gruppen GoV und GmV, da sie sowohl auf der Ebene des enzyklopädi­ schen Wissens als auch auf der Ebene des epistemisch­diskursiven Wissens über andere konzeptuelle Strukturen verfügt? 2. Zeigen die TN der GmV nach dem Vorwissensaufbau mehr Inferenzen auf konzeptionelles kulturelles Wissen (Bereich enzyklopädisches Wissen), das sie über außersprachliche Wissensbestände beim Textverstehen abrufen? 3. Nähert sich die GmV beim Textverstehen in Bezug auf die konzeptuell kultu­ rell basierten Inferenzen dem Verhalten der KG? 4. Rezipieren die TN der GmV den Text nach dem Vorwissensaufbau in gleicher Weise wie die KG, d. h. können sie auf die assertiven Illokutionen entspre­ chend besser reagieren und eine über das TWM hinausweisende Sinninter­ pretation konstruieren? Werden die Propositionen auf ihren Wahrheitsgrad hin evaluiert und validiert oder werden sie als Faktenwissen eingestuft und dementsprechend affirmativ verarbeitet (Ebene epistemologische Einschät­ zungen)? 5. Ist die Behaltensleistung der GmV beim Wissenstest in Bezug auf textthema­ tische Konzepte mit einem Bezug zu außersprachlichen, konzeptuell kultu­ rellen Wissensbeständen besser als die der GoV? 6. Kann ein Lernzuwachs für die GmV auch über einen längeren Zeitraum beob­ achtet werden? Dabei wird angenommen, dass sich die GmV aufgrund des Vorwissensaufbau in ihrem Verhalten demjenigen der KG in Bezug auf die Organisation des Textverste­ hensprozesses annähert und ein Lernzuwachs zu verzeichnen ist. 4.3.2.5 Die Pilotierung Um zu überprüfen, ob das gewählte Testdesign sowie die dafür entwickelten Materialien geeignet waren, um die formulierten Forschungsfragen zu beant­ worten, wurde eine Pilotstudie mit vier Studierenden des Fachs Spanisch durch­ geführt. Die TN sind zwischen 20 und 26 Jahren alt und haben alle L1 Deutsch, Spanisch ist L3 bzw. L4. Alle verfügen noch über Kenntnisse in mindestens einer weiteren Fremdsprache und bei keinem der TN wurde eine Lese­Rechtschreibstö­

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 

 233

rung diagnostiziert.286 Für die Erhebung bildeten je zwei Studierende die PGoV und zwei die PGmV. Auf eine Kontrollgruppe wurde verzichtet. 4.3.2.5.1 Ergebnisse des Assoziationtests Die Vermutung, dass die items den TN teilweise bereits bekannt waren, bestätigte sich. Auch die Annahme, dass die Sprache der items bereits den gewünschten Kontext (Spanien) evozierte, bestätigte sich. Bis auf einen TN ordneten die TN die items alle korrekt in den gewünschten frame ein. Es wurde daher entschieden, bei der Hauptstudie einen Priming­Effekt zu erzeugen und die TN zu bitten, im Hinblick auf das Konzept Spanien zu assoziieren, worüber erwartet wird, eine homogenere Aussage zu erhalten. Auch zeigte sich, dass 90s als Assoziationszeit pro item zu lange waren. Sie wurde daher entsprechend auf 60s reduziert. Es zeigte sich allerdings auch, dass das Assoziationsverhalten in Bezug auf die verschiedenen items unterschiedlich war. So konnte keiner der TN in der Pilotstu­ die dem Begriff GAL etwas zuordnen, während zu ETA in allen vier Fällen Terror und Baskenland assoziiert wurden. Ebenso hoch war die Quote bei Transición, zu diesem Begriff wurde von allen vier TN eine Assoziation zu Franco und Über­ gangszeit gebildet. Mit 11-M gelang einem TN die Assoziation des Terroranschlags. Secesionismo catalanista wurde von allem vieren mit dem Unabhängigkeitsbestre­ ben Katalaniens assoziiert, zweimal fiel der Name Puigdemont. Zu Matanza de Atocha konnte einer der Teilnehmer ein Terrorattentat assoziieren. Assoziationen zu crisis waren bei drei TN Jugendarbeitslosigkeit, zweimal wurde Wirtschaftskrise genannt. Zu pequeño Nicolás wurde keine Assoziation hergestellt. Insgesamt aktivierte die PGoV 33 Assoziationen, davon waren 21 passend zu den kulturellen Bezügen im Text, das ergibt einen Durchschnittswert von ∅ 10,5. Die PGmV aktivierte insgesamt 31 Assoziationen, davon waren 18 passend zu den Bezügen im Text, das ergibt einen Durchschnitt von ∅ 9,5. Der Assoziationstest wurde somit in der leicht veränderten Form als geeignet eingeschätzt, um das Ausmaß des Vorwissens in Bezug auf den Text zu überprüfen. Auch konnte eine relative Homogenität der TN angenommen werden. 4.3.2.5.2 Der Vorwissensaufbau TN 3 und TN 4 bildeten die GmV. Sie erhielten eine Einführung in Form eines kleinen Unterrichts in die Geschichte Spaniens nach 1975. Es erfolgte für diese Phase keine Wissenskontrolle.

286 Die TN in der Pilotierung füllten denselben Fragebogen zur Sprachlernbiographie aus wie die regulären TN. Auf diesen Angaben beruhen die hier gemachten Aussagen.

234 

 4 Empirischer Teil

4.3.2.5.3 Die Lesesituation Alle TN durchliefen dann die Phase der Lesesituation. TN1 und TN2 bildeten die Gruppe ohne Vorwissen, PGoV. Dabei zeigte sich als ein erster Effekt, dass die GmV im Schnitt weniger Wörter (∅ 4,0 Wörter) nachschlug und den Text stärker über inhaltliche Bezüge zu verstehen versuchte. Beide TN der PGmV konnten korrekte Inferenzen, basierend auf außersprachlichem konzeptuell­kulturellen Wissen, zu den items des Assoziationstests ziehen und darüber konzeptuelle Kohärenz aufbauen. Dabei erreichten sie im ∅ 7,5 passende Inferenzen, die aktiv über die Integration konzeptuell kulturellen Wissens liefen. Die PGoV verhielt sich ebenfalls wie erwartet: Sie hatten Mühe, Kohärenz durch eine konzeptuelle Analyse herzustellen und griffen daher sehr viel stärker auf die Möglichkeit der linguistischen Analyse zurück, d. h. sie schlugen beispiels­ weise mehr Wörter nach (∅ 8,5 Wörter) und versuchten den Text durch mot-àmot­Übersetzungen zu erschließen. In Bezug auf passende Inferenzprozesse, die aktiv über die Integration von konzeptuell kulturellem Wissen gezogen wurden, erreichten die TN der PGoV ∅ 3,0. Einer der TN der PGoV zieht im Hinblick auf den pequeño Nicolás den Fehlschluss, es handle sich um Nicolas Sarkozy, den ehemaligen Präsidenten Frankreichs. Dieses Ausweichverhalten, ein Defizit an passenden Konzepten über Fehlschlüsse zu kompensieren, wurde auch in der Studie von Barsalou 1982 beobachtet. 4.3.2.5.4 Die Recall-Aufgabe Hier lieferten beide TN der PGoV nur eine globale Zusammenfassung, die keine Details enthielt und blieben beide sehr allgemein. Die Anzahl der erinnerten Kon­ zepte beläuft sich im Durchschnitt auf ∅ 2,5. In der PGmV zeigten die Ergebnisse, dass ein deutlich höherer Anteil an text­ thematischen Konzepten, die einen Bezug zu historischen bzw. kulturellen Ereig­ nissen herstellten, erinnert werden konnte. Im Gegensatz zur PGoV lieferte die PGmV sehr konzeptbezogene Zusammenfassungen. Die TN der PGmV erreichte einen Durchschnitt von 5,5 erinnerten Konzepten. Auch verwies TN3 auf die inter­ pretatorische Ebene der Autorin und die Textsorte. 4.3.2.5.5 Der Wissenstest Im Hinblick auf den Wissenstest zeigte sich, dass die Fragen teilweise zu unprä­ zise formuliert waren und daher nicht geeignet waren, einzelne Konzepte abzu­ fragen. Die Ergebnisse lieferten in der Pilotstudie keine verwertbaren Ergebnisse. Aus diesem Grund wurden die Fragen gründlich überarbeitet und präzisiert.

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 

 235

4.3.2.6 Ergebnisse der Hauptstudie 4.3.2.6.1 Ergebnisse Assoziationstest Quantitative Analyse Alle TN wurden in Einzelterminen gebeten, zu den acht items Transición, 11-M, GAL, Matanza de Atocha, crisis, ETA, secesionismo catalanista und el pequeño Nicolás Assoziationen zu bilden. Diese wurden notiert. Zudem wurden die TN gebeten, vor dem Hintergrund Spanien auf die jeweiligen items zu assoziieren, um die Gefahr der Fehlassoziationen zu verringern. Die Auswertung der Ergebnisse wurde dann folgendermaßen vorgenommen: Zunächst wurden alle Assoziationen pro Teilnehmer gezählt. In einem zweiten Durch­ gang wurden die Antworten als „richtig“ gewertet, die eine Verbindung zu den histori­ schen und sozio­kulturellen Bezügen, die im Text inferiert werden sollten, herstellten. Diese wurden so als Vorwissen im Hinblick auf die Textlektüre gewertet. Als Maß für die nachfolgenden Berechnungen wurde dann stets das Treffermaximum bestimmt, zu dem alle anderen Antworten in Relation gesetzt wurden. Dies sollte sicherstellen, dass das Verhältnis der Gruppen zueinander möglichst korrekt dargestellt wird, da die KG erheblich kleiner ist als die Gruppen GoV und GmV. In einem nächsten Schritt wurde dann die Quote pro Teilnehmer ermittelt und aus diesen Quoten der Mittel­ wert für jede Gruppe bestimmt. Über die so berechneten Mittelwerte lassen sich die Gruppen dann zueinander in Bezug auf die erreichte Leistung ins Verhältnis bringen und im Diagramm darstellen. Für die Auswertung des Assoziationstests ergibt sich folgendes Bild für die Gesamtanzahl aller möglichen Antworten (vgl. Diagramm 12): 100%

Mögliche Antworten [%]

90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% GoV GmV KG

Transición

11-M

GAL

0.11 0.13 0.60

0.08 0.13 0.70

0.07 0.04 0.31

Matanza de Atocha 0.12 0.20 0.48

crisis

ETA

0.20 0.32 0.67

0.15 0.14 0.53

secesionismo el pequeño catalanista Nicolas 0.14 0.02 0.25 0.03 0.64 0.58

Assoziationswörter

Diagramm 12: Mittelwert über die Gesamtanzahl der Antworten Assoziationstest in % und Dezimalzahlen.

236 

 4 Empirischer Teil

Die Auswertung der Antworten insgesamt zeigt bereits, dass die KG mehr Assoziationen nannte als GoV und GmV. GmV assoziierte allerdings ebenfalls mehr Wörter pro items als GoV. Dieser Trend bestätigt sich auch für die Auswer­ tung der «richtigen» Assoziationen (vgl. Diagramm 13), die einen Bezug zu den historischen bzw. sozio­kulturell bedeutsamen Ereignissen aus dem Text bildeten und somit als vorhandenes Wissen gewertet wurden: 100% 90%

Richtige Assoziationen [%]

80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Transición

11-M

GAL

Matanza de Atocha

crisis

ETA

secesionismo catalanista

el pequeño Nicolas

GoV

0.09

0.03

0.00

0.06

0.20

0.15

0.11

0.00

GmV

0.10

0.12

0.03

0.20

0.31

0.14

0.25

0.01

KG

0.60

0.70

0.31

0.40

0.64

0.53

0.64

0.58

Assoziationswörter

Diagramm 13: Mittelwert über die richtigen Antworten Assoziationstest in % und Dezimalzahlen.

Die KG assoziierte weiterhin deutlich mehr Wörter auf die items als GoV und GmV und verfügte damit über mehr Vorwissen und relevante Wissensrahmen. Aber auch GmV war im Mittelwert im Verhältnis zu GoV besser. Dieses Ergebnis muss allerdings dahingehend relativiert werden, dass die Gruppen sich insgesamt in Bezug auf die Assoziationsleistung sehr heterogen verhielten. Die Analyse über alle TN zeigt, dass sich in der GmV ein sogenannter «Ausreißer» befindet, der die Werte nach oben verändert. Es handelt sich hierbei um TN11, der wie auch die wei­ teren Tests zeigen, eine außerordentlich gute Leistung erbrachte – er assoziierte auf fast alle Begriffe sehr gut und behielt diese Leistung auch in den anderen Tests bei, weshalb er als «Spitzenreiter» definiert wird. Ebenfalls eine sehr gute Leis­ tung, allerdings nur auf einzelne items bezogen, zeigten TN16 und 18. Aufgrund der kleinen Stichprobe hat dies entsprechende Auswirkungen auf die Gesamtan­ zahl. Dies wird in Diagramm 14 über alle TN in Bezug auf die richtigen Antworten im Verhältnis zum Maximum ersichtlich:

 237

100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% TN1 TN2 TN3 TN4 TN5 TN6 TN7 TN8 TN9 TN10 TN11 TN12 TN13 TN14 TN15 TN16 TN17 TN18 TN19 TN20 TN21 TN22 TN23 TN24 TN25

Antworten [%]

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 

Teilnehmer Transición

11-M

GAL

Matanza de Atocha

crisis

ETA

secesionismo catalanista

el pequeño Nicolas

Diagramm 14: Richtige Antworten aller Teilnehmer.

Aufgrund dieses Ergebnisses wurde bei der Auswertung im Folgenden vor allem auch darauf geachtet, inwieweit sich die GmV insgesamt an ihren «Spitzen­ reiter» anglich, um so eine etwaige Verbesserung der Leistung besser beurteilen zu können. Qualitative Analyse Im Hinblick auf die Assoziationen, die die einzelnen Gruppen auf die gegeben acht items (Transición, 11-M, GAL, Matanza de Atocha, crisis, ETA, secesionismo catalanista, el pequeño Nicolás) evozierten, ist nicht nur der quantitative Unterschied im Verhältnis der Gruppenleistungen untereinander erwähnenswert. Auch die Differenziertheit der Assoziationen, die jeweils von der GoV und der GmV im Ver­ gleich zur KG gemacht wurden, verdient, in die Auswertung zumindest anhand einzelner Beispiele aufgenommen zu werden, da hier bereits deutlich wird, dass ein großer Unterschied in der Evozierung präfigurierter Wissensrahmen liegt. So assozierten die TN der GoV und der GmV mit dem Begriff ETA in den meisten Fällen völlig korrekt das Baskenland, Terror bzw. Terrororganisation. Bei den TN der KG kamen jedoch noch Assoziationen wie «miedo» (TN25; TN21) oder «uno de los peores canceres» (TN22) hinzu. Dabei ist die Assoziation anscheinend nicht altersabhängig, da die drei TN zwischen 21 und 27 Jahre alt sind, also über einen ähnlichen Erfahrungshorizont in Bezug auf ihr diskursives Wissen verfügen dürften. Eine vermutlich altersbedingte Dynamik ließ sich in der KG allerdings für den Begriff GAL beobachten: So konnten nur drei der fünf TN etwas mit dem Begriff

238 

 4 Empirischer Teil

anfangen (TN23, TN24, TN25). Die präzisesten Assoziationen hatte dabei das älteste Gruppenmitglied («terrorismo del estado; policías corruptas»), während die beiden anderen TN nur vage Assoziationen mit terror bildeten. Eine ähnliche Dynamik in den außersprachlichen Wissensbeständen, die über das Alter erklär­ bar sind, betraf das item Matanza de Atocha: Auch hier assoziierte das älteste Grup­ penmitglied als einziger TN richtig das terroristische Attentat auf die Anwälte vom 24. Januar 1977 («abogados asesinados por grupos fascistas paramilitares», TN23), während die anderen TN der KG hier dieselben Assoziationen wie die TN der GoV und der GmV hatten, nämlich das Bombenattentat im Bahnhof von Atocha vom 11. März 2004, das in ihrer Erfahrungswelt wesentlich präsenter sein dürfte. Ein weiteres Beispiel, das die epistemisch bedingte Färbung der Assoziatio­ nen und ihre Präfiguration durch individuelle Konnotationen einerseits, wie aber auch durch diskursives Wissen andererseits, deutlich werden lässt, sind die dia­ metral entgegengesetzten Assoziationen in Bezug auf den Begriff secesionismo catalanista, die TN22 und TN23 nennen. So belegt TN22 den Begriff mit durchge­ hend positiven Assoziationen: «sueño, realidad, las ganas por recuperar las liber­ tades robadas y huir de un gobierno y país corrupto dominado por las empresas y la Ibex. Irnos, divorciarnos de aquel que nos pega, humilla y maltrata» (TN22). TN23 hingegen bewertet die katalanische Unabhängigkeitsbewegung mit durchweg negativen Assoziationen: «egoísmo, regiones ricas que quieren sepa­ rarse de los pobres, racismo, lengua como instrumento de separación en lugar de unión» (TN23). Hier dürfte der jeweils regionale Hintergrund eine entscheidende Rolle spielen, TN22 stammt aus Katalonien und TN23 aus der Gegend um Madrid. Die einzelnen Beispiele stützen die Integration einer epistemisch­diskursiven Ebene in einen Erklärungsansatz in Bezug auf das Textverstehen in der Fremd­ sprache, da sie deutlich belegen, dass die KG im Gegensatz zu GoV und GmV Konnotations­ und Erfahrungswissen sowie diskursives Wissen bereits bei der mentalen Verarbeitung abruft und mitverarbeitet. Dies wird in der Diskussion ausführlicher behandelt. 4.3.2.6.2 Ergebnisse Lesesituation Quantitative Analyse Bei der Lesesituation, die jeweils zeitversetzt zum Assoziationstest bzw. zur Ins­ truktionsphase stattfand, wurden die TN gebeten, den Text auf Verständnis zu lesen. Sie wurden dann dazu aufgefordert, ihre Gedankenprozesse während des Lesens über die Methode des Lauten Denkens zu verbalisieren. Dabei wurden die  TN gebeten, alles auszusprechen, was ihnen einfalle, ohne dabei zu struk­

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 

 239

turieren oder zu erklären, warum sie etwas tun bzw. artikulieren.287 Dieser Ver­ balisierungsprozess wurde aufgenommen und dann in TAPs transkribiert. Bei der Analyse wurden nur die Inferenzen gezählt, die aktiv und erkennbar über die Integration von konzeptuellem außersprachlichem Wissen gezogen wurden, um zu kontrollieren, wie stark jede Gruppe jeweils auf außersprachliche Wis­ sensbestände wie kulturelles, historisches oder soziales Wissen zurückgriff. Sie werden unter dem Begriff konzeptuelles kulturelles Wissen zusammengefasst. Die Auswertung erfolgte dann analog zum Assoziationstest über das Verhältnis der Mittelwerte in Bezug auf die einzelnen Gruppen. Für die KG ergab sich dabei ein überraschendes Bild. Die KG inferierte zwar über konzeptuell kulturelles Wissen, aber anteilsmäßiger inferierten die TN der KG sehr viel stärker über ihr Überzeu­ gungswissen, das Erfahrungen und Konnotationen enthielt und hier in Anleh­ nung an Richter (2009) als epistemische Einschätzungen gewertet wird. Dieses Verhalten zeigte sich für die GoV und die GmV an keiner Stelle der TAPs. Dabei zeigte sich folgendes Ergebnis in Bezug auf die gesamten Inferenzen über konzep­ tuell kulturelles Wissen und epistemische Einschätzungen (vgl. Diagramm 15): 100% 90% 80% 70% 60% 50%

25,2

30% 20%

41,8

37,8

40% 15,2

10% 0%

0,0 Inferenzen über konzeptuell kulturelles Wissen GoV

GmV

0,0

Epistemische Einschätzungen KG

Diagramm 15: Mittelwert über die Inferenzen durch konzeptuell kulturelles Wissen und epistemische Einschätzungen gesamt.

Wie erwartet war das Resultat der KG besser als das der GoV. Unerwartet war das Ergebnis der GmV, die bei diesem Test in Bezug auf die Aktivierung von außer­ sprachlichen Wissensrahmen auch die KG übertraf. Deutlich wird, dass die KG

287 Die Empfehlung orientierte sich dabei an den Hinweisen von Heine und Schramm (2007, 178).

240 

 4 Empirischer Teil

statt auf konzeptuell kulturelles Wissen sehr viel stärker auf epistemische Ein­ schätzungen rekurrierte. Qualitativ zeigen sich bei der Auswertung in Diagramm 16 auf inhaltlich passende konzeptuell kulturelle Inferenzen nur leichte Verschie­ bungen, die vor allem die GoV betreffen, da es in dieser Gruppe beim Textverste­ hen teilweise zu falschen Inferenzen kam, d. h. es wurden keine passenden Wis­ sensrahmen aktiviert. 100% 90% 80% 70% 60% 50%

25,2

30% 20%

41,8

37,8

40% 13,9

10% 0%

0,0 Inferenzen über konzeptuell kulturelles Wissen GoV

GmV

0,0

Epistemische Einschätzungen KG

Diagramm 16: Mittelwerte über die Inferenzen durch passendes konzeptuell-kulturelles Wissen und epistemische Einschätzungen.

Erkennbar wird, dass sich die GoV um 1,3 Prozentpunkte in ihrer Leistung ver­ schlechterte (= 8,5% der Fälle), da die TN eine falsche Schlussfolgerung zogen, woraus Missverstehen resultierte. GmV und KG verhielten sich konstant. Aufgrund der Heterogenität in den Gruppen wird in Diagramm 17 auch die Auswertung in Bezug auf alle TN herangezogen, um zu sehen, ob sich in Bezug auf die Streuung in der Leistung der einzelnen TN der GoV, GmV und KG Verän­ derungen ergeben:

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 

 241

100% 90%

Antworten [%]

80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% TN1 TN2 TN3 TN4 TN5 TN6 TN7 TN8 TN9 TN10 TN11 TN12 TN13 TN14 TN15 TN16 TN17 TN18 TN19 TN20 TN21 TN22 TN23 TN24 TN25

0%

Teilnehmer Inferenzen über konzeptuell kulturelles Wissen

Epistemische Einschätzungen

Diagramm 17: Inferenzen über passendes konzeptuell kulturelles Wissen und epistemische Einschätzungen.

Es zeigt sich, dass TN11 weiterhin als «Ausreißer» gelten kann. TN11 erreicht in Bezug auf die konzeptuell kulturellen Inferenzen den höchsten score, der damit als Maximalwert für alle TN gilt. TN12–TN20 (GmV) und auch TN21–TN25 (KG) verhalten sich im Verhältnis im Hinblick auf Inferenzprozesse über konzep­ tuell kulturelles Wissen zueinander relativ ähnlich mit nur kleineren Schwan­ kungen. Stärkere Abweichungen sind im Bereich der epistemischen Einschätzun­ gen zu beobachten, bei denen TN23 und TN24 nach oben «ausreißen». TN1–TN10 bleiben in ihrem Verhalten relativ homogen und weisen alle eine relativ niedrige Anzahl an Inferenzprozessen über relevantes konzeptuell­kulturelles Wissen auf. Qualitative Analyse Auch im Hinblick auf die Ergebnisse der quantitativen Auswertung der Lesesitua­ tion wird als Ergänzung zu den quantitativen Analysen in 4.3.2.5.2.1 eine qualita­ tive Aufarbeitung des Materials hinzugezogen, um die Aussagekraft der beobach­ teten Tendenzen zu stützen (vgl. Charters 2003). Dazu werden einzelne Beispiele aus den TAPs der TN herangezogen, um die Gedankenprozesse in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Inferenzziehung, konzeptuell­kulturellem Wissen und der Etablierung eines TWMs zu verdeutlichen. Ebenfalls miteinbezogen werden die epistemischen Einschätzungen der KG. Im Vergleich der TN der GoV mit den TN der GmV fällt bei den TAPs zum einen auf, dass die TN der GoV wesentlich häufiger nachschlagen und versuchen, über

242 

 4 Empirischer Teil

eine mot-à-mot­Übersetzung den Inhalt des Textes zu erschließen. Damit verhal­ ten sie sich ähnlich wie die Gruppe mit der niedrigeren Sprachkompetenz in der Studie zu Worterschließungsstrategien und Etablierung des TWMs. Sie können offensichtlich nur mit Mühe über die reinen Textdaten (Bottom-up­Prozesse) Referenzbezüge herstellen, wodurch es ihnen kaum gelingt, auf konzeptueller Ebene Kohärenz zu etablieren. Deutlich wird dieses Problem z. B. bei TN9: sie redet von der ETA die sagt mir schon was (..) / die gruppe die mit terrormaßnahmen versucht hat % die unabhängigkeit vom baskenland zu erreichen / aber die GAL sagt mir nichts/ aber die hat auch was mit verbrechen zu tun / crímenes perpetrados por/ es hat soziale schwierigkeiten gebracht fractura social und ein attentat von der once eme (…) / ich bin mir auch nicht sicher was das ist (.) / % wahrscheinlich eine weitere terrororganisation (TN9)

TN9 inferiert korrekt über den Begriff ETA die baskische Unabhängigkeitsbewe­ gung. GAL hingegen ist unbekannt, weshalb sich TN9 hier nur auf Inferenzen über die Textdaten stützen kann (crímenes perpetrados). Den Zusammenhang zwischen fractura social und 11-M kann TN9 ebenfalls nicht herstellen, da er nicht korrekt inferieren kann, wobei es sich um 11-M handelt. Hier beginnt die Störung des Organisationsablaufs bereits auf der Bottom-up­Ebene: atentado wird im Text unmittelbar mit 11-M genannt (atentado del 11-M). Möglicherweise ist aber auf der Ebene der mentalen Repräsentation das bekannte Konzept Terrororgani­ sation, das TN9 korrekt inferiert hat, so dominant, dass der Verstehensprozess weiterhin in dem evozierten Wissensrahmen bleibt und die Textdaten über­ lagert. Obwohl TN9 also über relevantes Vorwissen verfügt, ist es nicht ausrei­ chend, um den Inhalt sinnstiftend und korrekt zu erschließen. Die Vermutung, dass ein einmal evozierter Wissensrahmen möglicherweise im Hinblick auf die Inferenzprozesse dominant wird, wenn keine weiteren Wissensrahmen auf der Ebene des konzeptuell kulturellen Wissens abgerufen werden können, scheint sich auch bei TN7 zu bestätigen, zumindest im Hinblick auf den Wissensrahmen Terrororganisation: matanza de atocha die ich nicht kenne / % aber es wird eine terroristische attacke gewesen sein so wie ich das aus dem kontext herauslesen kann / ETA % ist auch wieder eine terro­ ristenorganisation die ich vorher nicht zuordnen konnte/ die sich aber jetzt auch aus dem kontext ergibt / (.) und dasselbe mit der GAL/ ist auch wieder eine terroristenorganisation die ich nicht kannte / (.) once eme und dasselbe mit once eme ist auch wieder eine terroris­ tische organisation (TN7)

TN7 gehört bei der Lesesituation zu den TN der GoV Gruppe, die, trotzdem sie keine Phase des Vorwissensaufbaus durchlaufen hat, eine relativ gute Leistung erbringt. Matanza de Atocha kann korrekt aus dem Kontext und unter Hinzu­ ziehung ihres Weltwissens inferiert werden: Aus dem Text ergibt sich ein Wis­

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 

 243

sensrahmen Terror, den TN7 über die Begriffe anónimos amenazantes, avisos o estallidos de bombas zum Kontext passend evoziert – hier greifen Bottom-up­ und Top-down­Prozesse perfekt ineinander und führen über die Herstellung von konzeptueller Kohärenz zur Konstruktion eines passenden mentalen Modells, in das TN7 dann die nachfolgenden Informationen zu integrieren versucht. Dies gelingt, wie erwähnt, bei Matanza de Atocha, das richtig als Terrorakt kategori­ siert wird. Im Hinblick auf GAL und 11-M scheitert die korrekte Inferenzziehung dann allerdings. Für die GAL kann die Inferenz noch als korrekt gewertet werden, da sich die Gruppe durchaus terroristischer Mittel bediente. Im Hinblick auf 11-M ist die Inferenz jedoch nicht korrekt. Möglicherweise geschieht dies jedoch aufgrund des bereits aktivierten Wissensrahmens Terror, mit dem TN7 keinen weiteren verknüpfen kann. Möglicherweise sind bei TN7 auch leichte Priming­Ef­ fekte durch den Assoziationstest erkennbar, da sie die Begriffe wiedererkennt und auch verbalisiert, dass sie sie jetzt teilweise einordnen kann, obwohl sie ihr vorher unbekannt waren. TN8 artikuliert deutlich, dass er Textverständnisprobleme hat, weil ihm die Begriffe nichts sagen und er ihnen keine Referenten zuordnen kann: es kommen auch sehr viele begriffe vor die mir nicht geläufig sind wie zum beispiel matanza de atocha (TN8)

Bei TN8 gewinnt man beim Hören der Verbalisierung den Eindruck, dass sich zunehmend Frust während des Lesevorgangs aufbaut, was sicherlich als Faktor für das Textverstehen berücksichtigt werden müsste, hinsichtlich der Motivation und Bereitschaft, einen Sinn herzustellen. TN8 scheint den Verstehensprozess gegen Ende des Textes nahezu aufzugeben und der Leseprozess wirkt nicht mehr konzentriert und motiviert: und dann was ich nicht verstehe ist was genau der kleine pequeño nicolás bedeutet / (…) es ist irgendein kuchen oder torte (TN8)

Insgesamt konnte kein TN der GoV korrekt auf den pequeño Nicolás referieren – obwohl der Hochstapler, der es bis ins Königshaus geschafft hatte, in Spanien tatsächlich einen hohen Berühmtheitsgrad erlangt hat und auch alle TN der KG sofort wussten, um wen es sich handelte. Er führte im Gegenteil in der GoV zu falschen Inferenzen, die dann eine weitere Herstellung konzeptueller Kohärenz störte bzw. verhinderte. Ein Teilnehmer (TN10) versuchte einen Bezug zum deut­ schen Nikolaus herzustellen, was aber aufgrund des Kontextes korrekterweise wieder verworfen wurde. TN7, die wirklich sehr motiviert und ernsthaft versuchte, sich die unbekannten Konzepte zu erschließen und dabei auch immer wieder auf den Assoziationstest rekurrierte, wurde durch das Buch Le petit Nicolas von

244 

 4 Empirischer Teil

Jean­Jacques Sempé und René Goscinny auf eine falsche Fährte gelockt – offen­ sichtlich war im Fall von Nicolás288 auch der Hinweis beim Assoziationstest auf den spanischen Kontext nicht hilfreich: el pequeno nicolás / das habe ich mich vorher schon gefragt was der macht in dieser liste/ aber da wird halt ein vergleich aufgestellt / dass in spanien zugeht wie im buch der kleine nicolás / das halt alle total verrückt sind / und wo nichts mehr wirklich einen sinn ergibt (TN7)

Die GmV hingegen zeigte bei der Lesesituation, dass sie sich der Textverständnis­ aufgabe weniger über die linguistische (Inferenzen über Textdaten) als über die konzeptuelle Analyse (Inferenzen über konzeptuelles kulturelles Wissen) näherte. Im Gegensatz zu den TN der GoV gelang es ihnen durchweg, über und in Bezug auf die Textdaten eine Referenzwelt über ihr konzeptuelles außersprachliches Wissen zu konstruieren, über dessen Fusion mit der Textwelt (Kohärenzkontinuität) ela­ borierte TWMs als mentale Repräsentationen entstanden. Deutlich zeigt sich ihr Wissensvorsprung beispielsweise bei der Kohärenzetablierung über die GAL: die gal ist die gruppe die gegen die eta angekämpft hat / die ist auch zu einer terrorgruppe geworden / das ist aber von der regierung lange hingenommen worden weil sie eben die eta bekämpfen sollten / das war eben im sinne der regierung (TN17)

TN17 gelingt es das Paradoxon um die GAL korrekt über sein Vorwissen zu inferie­ ren, wodurch er insgesamt eine sinnvolle Kohärenzkontinuität herstellen kann. Auch TN11 ordnet die GAL im Rahmen des paradoxen Verhaltens ein, das die Autorin Spanien bescheinigt: aja genau gal ist auch eine terrorgruppe / die wollten dann eigentlich terror mit terror bekämpfen / das ist komisch aber ja (TN11)

Nicht ganz korrekt ist die Zuordnung zur Terrorgruppe, die aber für die GAL auf­ grund ihrer Geschichte auch nicht ganz von der Hand zu weisen ist. TN11 bezieht sein Weltwissen insgesamt sehr häufig bei der Textprogession mit ein und entwi­ ckelt so ein sehr elaboriertes TWM:

288 TN7 spricht auch Französisch (L4). Dies lässt vermuten, dass TN7 den Wissensrahmen französisches Kinderbuch sofort abgerufen hat, weil er bei ihr fest mit dieser Wendung ver­ knüpft ist, was wiederum vermuten lässt, dass es sich auch bei den Wissenselementen auf der konzeptuellen Ebene um kompetitive Systeme handelt, die über Dominanz aktiviert und ge­ hemmt werden können, was wiederum zu Pavlenkos Modellierung des konzeptuellen Systems (vgl. Pavlenko 2009) und zur Integration der epistemischen Ebene sowie des diskursiven Wis­ sens in den hier postulierten Erklärungsansatz passt.

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 

 245

secesionismo catalanista ist gerade ein sehr gefragtes thema / katalonien will ja von spanien weg / also dass sie ein eigenes land sind/ da fällt mir noch der Puigdemont ein / der jetzt in das exil geflüchtet ist weil er ja wahlen angeboten hat/ da ist es ja sehr brutal zugegangen / da haben ja polizisten die ganzen wahlberechtigten niedergeschlagen (TN11)

Ein Teil der evozierten Ereignisse, die Flucht Puigdemonts und das Einschrei­ ten der Polizeikräfte bei den Wahlen, waren kein Teil des Vorwissensaufbaus. Dennoch wurden sie von etlichen TN der GmV inferiert, nicht aber von den TN der GoV, obwohl beide Gruppen im Assoziationstest richtige Assoziationen mit ihnen bildeten. Möglicherweise konnten die TN der GoV ihr vorhandenes Wissen nicht integrieren, da die Textprogression bereits durch das fehlende Vorwissen und dem dadurch nur defizitär erfolgenden Aufbau einer Referenzwelt so gestört war, dass die Konstruktion eines elaborierten TWMs nicht mehr möglich war. Ein interessantes Ergebnis lieferte die Lesesituation im Hinblick auf die KG. Die KG machte insgesamt weniger Inferenzen, die aktiv über die Integration von konzeptuell kulturellem Wissen in das TWM integriert wurden. Allen gelang es allerdings eine Referenzwelt zu konstruieren, über die das Textverständnis durch Bottom-up- und Top-down­Prozesse geleitet wurde. Dabei bedienten sie sich aber vornehmlich eines Wissensformats, das im Rahmen des Erklärungsansatzes als diskursives Wissen definiert wurde und dass sich durch die Integration von epis­ temologischen Einschätzungen im Textverstehensprozess zeigt. Dies betrifft die Inferenzen, die über diskursives Wissen entstanden, und die als Meinungsäu­ ßerungen zu den Aussagen der Autorin aufgefasst werden konnten – an diesen Stellen intergierten die TN der KG nahezu dialogisch mit dem Text. Hier zeigte sich, dass die Textsorte Glosse in ihrer persuasiven Funktion in der KG zu einer Art Dialog zwischen Rezipient und Text führte. Dies zeigte sich beispielsweise daran, dass sowohl TN21 und TN22 gleich zu Beginn der Leseaufgabe ihre Zustim­ mung ausdrückten: me agota la intensidad de este país / a mí también

(TN21)

a mí también me agota el país por eso debemos separarnos

(TN22)

Dabei zeigt sich im Beispiel von TN22 (Herkunft Katalonien), dass sie sofort ihre eigene Wertewelt, ihr Überzeugungswissen und ihre Erfahrungen inferiert. Deut­ lich wird dies auch an der Textstelle, in der Rosa Montero die spanische Regie­ rung kritisiert: y un inmovilismo españolista que a mí me parecen de opereta a mí también

(TN22)

TN23 hingegen zeigt sich zwar affirmativ, aber doch auch kritisch zu den im Text aufgestellten Behauptungen und der Haltung der Autorin, die sie als typisch für ihre Landsleute identifiziert:

246 

 4 Empirischer Teil

yo en cierto modo puedo estar de acuerdo con lo que dice/ pero en españa tenemos mucho manía para así decirlo/ de siempre ponernos en lo peor del mundo (TN23)

TN25 stellt ihrer Verbalisierung ebenfalls eine solche epistemologische Einschät­ zung voran, allerdings inferiert sie in Bezug auf die Autorin, die sie auch politisch verortet: en primer lugar el texto me hace pensar que la autora se trata de una persona culta intelec­ tual inconformista y de izquierda (TN25)

Evaluationen dieser Art zu den im Text gemachten Assertionen und der Autorin treten weder in der GoV noch in der GmV auf. Sie werden aber von allen TN der KG, allerdings in unterschiedlicher Intensität, während der Textprogression gemacht. Dieses Verhalten deutet darauf hin, dass die TN der KG den Text in seinem Wahr­ heitsgehalt aufgrund ihres diskursiven Wissens und der daraus abgeleiteten epistemologischen Einschätzungen anders wahrnehmen. TN24 sticht dabei in Bezug auf die Evaluierung des Textes besonders heraus, sie kommentiert nahezu jegliche Assertion und lässt ihre eigene Meinung sehr stark einfließen. Sie wird während der Leseaufgabe regelrecht emotional und verlässt die Textebene bis­ weilen vollständig: es algo de todavía me recuerdo [la Matanza de Atocha; J.W.] / por eso suponga que para alguien que si lo que viva tiene que ser horrible/ algo que no olvidas/ mangoneo/ es que esto es el peor lo del mangoneo / me pone de los nervios / otro de los motivos por los cuales he decido irme de españa / (..) todo funciona tan mal desde hace unos años en españa / es increíble / y luego hay gente que sí que se queda y me parece súper bien porque alguien se tiene que quedar / pero tal cual lo que hagas parece que no puedes salir / y ahora con el sistema del gobierno que tenemos / no parece que salgamos / no lo entiendo / no lo puedo entender / el tipo de cultura que tenemos en plan sí nos quejamos pero no cambiamos nada/ que a mi parecen de opereta / sí es todo teatro (TN24)

Sie verlässt die Textprogression bei mangoneo und tritt dann wieder bei opereta in die Textebene und das nächste textthematische Konzept ein. Dazwischen macht TN24 eine Art Metakommentar, in dem sie den Zustand Spaniens aus ihrer Sicht wieder­ gibt. Sie reagiert damit in adäquater Weise auf die assertiven Sprechakte, indem sie vorhandene Vorstellungen ihrer epistemischen Ebene in der Kognition aktiviert.289 Diese Funktion der Assertiva kann mit Rolf folgendermaßen definiert werden: Der Zweck des Handelns […] besteht im Fall der Assertiva: in der Beeinflussung der auf Seiten des Adressaten vorauszusetzenden epistemisch­doxastischen Repräsentation der sog. außersprachlichen Wirklichkeit. (Rolf 1993, 312)

289 Vgl. zu dieser Funktion assertiver Sprechakte Wüest (2011, 36).

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 

 247

Diese Ebene der „vorauszusetzenden epistemisch­doxastischen Repräsentation“ fehlt den TN der beiden Gruppen im Vergleich mit der KG offensichtlich – sie ten­ dierten dazu, die Assertionen der Autorin eher wie Informationen und damit auch den Text als Träger wahrer Propositionen (Informations­/ Sachtext) zu behandeln und zu evaluieren. Diese Ebene entzieht sich dem Zugriff der GoV und der GmV, was dazu führt, dass ihnen auch das Wissen über die Textsorte nicht dabei hilft, die intendierte perlokutionäre Handlung (Evaluierung, Reflexion und Meinungs­ äußerung) auszuführen, obwohl z. B. TN15 die Intention des Textes erkennt und ihn textsortenspezifisch richtig beschreibt: also der ganze text ist sehr subjektiv / also es ist die meinung von rosa montero290

(TN15)

Damit ergibt sich für die GoV und GmV von Beginn an eine leichte Verzerrung in der Rezeption und im Textverstehensprozess. Das Fehlen dieser Ebene versucht die GmV über ein höheres Ausmaß an Inferenzprozessen auszugleichen, die kon­ zeptuell kulturelles Wissen aktivieren und somit ebenfalls wissensbasiert sind. Auch die Ebene der individuellen Erinnerungen in Bezug auf die erwähnten Ereignisse ist den TN der GoV und GmV nicht zugänglich, die allein schon durch bestimmte Wörter in den TN der KG aktiviert wird: con las luces y los soponcios de la transición/ me gustan estas palabras porque no son pala­ bras que se oigan mucho aquí en austria/ me recuerdan mucho mi madre (TN24)

Auch Anspielungen im Text werden auf dieser epistemischen Ebene eingeord­ net – im folgenden Beispiel werden individuelle Konnotationen und diskursives Wissen während des Inferenzprozesses gemischt: qué ganas de ser suiza / esto me recuerda un anuncio muy famoso de navidad / él de hacerse extranjero / que fue muy importante este año / creo que es del 2013 (TN24)

In der qualitativen Analyse der Lesesituation tritt somit offen zu Tage, was eine große Herausforderung für Textverstehensprozesse in der Fremdsprache dar­ stellt, vor allem, wenn es sich nicht um reine Sachtexte handelt: Wie kann die epistemische Ebene, zumindest in Hinblick auf das geteilte diskursive Wissen (gesellschaftlich verfasstes Wissen) zugänglich gemacht werden? 4.3.2.6.3 Ergebnisse Recall-Aufgabe Bei der Recall­Aufgabe wurden die TN gebeten, eine schriftliche Zusammenfas­ sung des Lesetextes zu verfassen, wobei sie möglichst viele Themen, an die sie sich erinnerten, verarbeiten sollten. Dies wurde den TN durch die entsprechende 290 Allerdings verorten nur zwei der TN (TN14 und TN15) den Text im subjektiven Bereich.

248 

 4 Empirischer Teil

Formulierung der Aufgabe («Bitte erstellen Sie eine möglichst detaillierte Zusam­ menfassung des Textes Frikismo von Rosa Montero.») vermittelt. Die Wahl der Sprache wurde ihnen dabei freigestellt. Sowohl in der GoV als auch in der GmV entschied sich jeweils ein TN die Zusammenfassung auf Spanisch zu schreiben (TN3 und TN11). Die TN der KG verfassten die Zusammenfassungen alle in der L1 Spanisch. Die in der Zusammenfassung enthaltenen textthematischen Konzepte wurden dann jeweils wieder pro Teilnehmer in der Wertung gezählt und ebenfalls wieder über die ermittelten Mittelwerte für die jeweiligen Gruppen ins Verhältnis gesetzt. Die Analyse zeigt folgendes Ergebnis in Diagramm 18: 100% 90%

77,5

80%

70,0

70% 60% 50% 40%

40,8

30% 20% 10% 0%

Abruf textthematischer Konzepte GoV

GmV

KG

Diagramm 18: Mittelwerte über die erinnerten textthematischen Konzepte der Recall-Aufgabe in Bezug auf die einzelnen Gruppen.

Auch hier muss die Kontrolle über die Auswertung der einzelnen TN herange­ zogen werden (Diagramm 19), um das Verhalten der Gruppen in Bezug auf ihre jeweilige Homogenität präziser beurteilen zu können:

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 

 249

100% 90%

Antworten [%]

80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% TN1 TN2 TN3 TN4 TN5 TN6 TN7 TN8 TN9 TN10 TN11 TN12 TN13 TN14 TN15 TN16 TN17 TN18 TN19 TN20 TN21 TN22 TN23 TN24 TN25

0%

Teilnehmer Abruf textthematischer Konzepte Diagramm 19: Mittelwert über die erinnerten textthematischen Konzepte der Recall-Aufgabe in Bezug auf die einzelnen Teilnehmer.

Hier zeigt sich, dass sich das Verhalten in Bezug auf die erbrachte Leistung in der GmV im Vergleich auf TN11 tatsächlich homogenisiert hat. Die TN11­TN20 zeigen im Recall­Test eine sehr ähnliche, gute Leistung in Bezug auf die erinner­ ten textthematischen Konzepte und haben sich somit an das Verhalten von TN11 angeglichen. Nur TN18 und TN20 fallen etwas hinter die Leistung der Gruppe zurück. Die KG und die GoV zeigen hier ein deutlich heterogeneres Bild, behalten also ihr Leistungsverhalten über die Tests in relativ vergleichbarer Weise bei. TN2 und TN4 erreichen bei der Recall­Aufgabe vergleichbar gute Ergebnisse wie die TN der GmV und der KG, obwohl sie beim Assoziationstest und der Lesesitua­ tion eher bei den schlechteren Ergebniswerten lagen. Die restlichen TN der GoV weisen ohne TN2 und TN4 ein deutlich homogeneres Verhalten in Bezug auf die erinnerten textthematischen Konzepte auf. 4.3.2.6.4 Ergebnisse Wissenstest Der Wissenstest291 fand für alle Gruppen zeitversetzt in Bezug auf die Recall­Aufgabe statt und zwar maximal fünf bis sieben Tage danach. Der Wissenstest enthielt insge­ samt neun Fragen, die sich in Bezug auf ihren Schwierigkeitsgrad (über Textdaten ermittelbar – Vorwissen für Textsinnerschließung notwendig) wie folgt verteilten:

291 Der Wissenstest befindet sich im Anhang der vorliegenden Arbeit.

250  1. 2.

3. 4.

 4 Empirischer Teil

Ebene Textdaten: Detailinformation, leicht über Textdaten auffindbar: Frage 7, 8 und 9292 Ebene Textdaten und Vorwissen: Hinweise im Text, Ebene der lokalen Kohä­ renz, Inferenzelaboration gelingt leicht (nur geringfügige Aktivierung allge­ meinen außersprachlichen Wissens nötig): Frage 5 Ebene globale Kohärenz: Textdaten liefern Hinweise, Inferenzelaboration komplexer (Integration konzeptuell kulturellen Wissens nötig): Frage 3, 4, 6 Ebene Textsinn: konzeptuell kulturelles Wissen nötig, kein Hinweis im Text (Eigeninterpretation/Bereitstellung eines Textsinns vor dem Hintergrund einer gelingenden TWM­Etablierung): Frage 1 und 2, wobei Frage 2 eine deut­ lich höhere Aktivierung konzeptuell kulturellen Wissens erfordert und Frage 1 dagegen eine sehr allgemeine Beantwortung erlaubt

Die Auswertung ergab für den Wissenstest folgendes Ergebnis (vgl. Diagramm 20): 100% 90% 80%

Richtige Antworten

70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%

Frage 1

Frage 2

Frage 3

Frage 4

Frage 5

Frage 6

Frage 7

Frage 8

Frage 9

GoV

0.70

0.30

0.10

0.10

0.70

0.20

0.40

0.90

0.60

GmV

1.00

1.00

1.00

1.00

1.00

1.00

1.00

1.00

0.70

KG

1.00

1.00

0.80

0.80

0.80

1.00

1.00

1.00

0.40

Diagramm 20: Mittelwerte über die richtigen Ergebnisse Wissenstest/Ergebnisse über die Gruppen in % und Dezimalzahlen. 292 Frage 9 richtete sich gezielt auf eine Information aus dem Text, nämlich nach dem Platz Spani­ ens im Ranking der Kinderarmutsquote. Aufgrund der vergangenen Zeitspanne wurden hier auch Antworten gezählt, die den Wert ungefähr angaben, wie z. B. «Spanien liegt hier sehr weit vorne».

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 

 251

Die TN der GmV erreichten hier für alle Fragen den höchsten Mittelwert, d. h. auch wenn nicht alle Fragen richtig beantwortet wurden, war ihre Behaltensleis­ tung insgesamt dennoch immer am besten. Insgesamt erreichte die GmV auch im Wissenstest die besten Werte, gefolgt von der KG. Die GoV zeigte eine gute Behal­ tensleistung in Bezug auf die Fragen, die nur über Textdaten abrufbar waren und keine Integration von außersprachlichem konzeptuellen Wissen erforderten. Bei den Fragen, bei denen dies jedoch nötig war, konnte sie, wie vermutet, keine guten Ergebnisse erreichen. Da die Auswertung der Behaltensleistung aller TN in der Einzelanalyse sehr unübersichtlich ist, wurde entschieden, die Veränderung im Gruppenverhalten der GmV für diese Frage über die Standardabweichung darzustellen (siehe Dia­ gramm 21). Dabei wird gut ersichtlich, dass die Gruppe auch beim Wissenstest, ähnlich wie bereits bei der Recall­Aufgabe ein deutlich homogeneres Verhalten zeigt als im Assoziationstest. Dies lässt auf einen Effekt durch den Vorwissensauf­ bau schließen. GoV und KG verhalten sich weiterhin relativ heterogen in Bezug auf ihre Leistungen. 100%

Richtige Antworten

80% 60% 40% 20% 0% -20% GoV GmV KG

Frage 1 0.70 1.00 1.00

Frage 2 0.30 1.00 1.00

Frage 3 0.10 1.00 0.80

Frage 4 0.10 1.00 0.80

Frage 5 0.70 1.00 0.80

Frage 6 0.20 1.00 1.00

Frage 7 0.40 1.00 1.00

Frage 8 0.90 1.00 1.00

Frage 9 0.60 0.70 0.40

Diagramm 21: Standardabweichung Wissentest in % und Dezimal.293

Deutlich wird, dass sich die TN der GmV in ihrem Verhalten an den Spitzenreiter der Gruppe (TN11) angeglichen haben, obwohl die Ausgangssituation beim Asso­

293 Die Standardabweichung bei der GmV sowie der KG sind teilweise nicht sichtbar, da die Standardabweichung in diesen Fällen 0,0% betrug.

252 

 4 Empirischer Teil

ziationstest sehr heterogen war. Dieser Ausgleich fand weder in der GoV noch in der KG statt.

4.3.3 Diskussion Für die Studie zur Rolle des Vorwissens wurden unter Kapitel 4.3.2.4 leitende For­ schungsfragen formuliert, die im Folgenden anhand der Ergebnisse ausführlich interpretiert werden. Dabei muss erneut auf die Problematik der kleinen Stich­ probe hingewiesen werden: Für valide und reliable Aussagen ist die Anzahl an Probanden zu klein. Dennoch erlauben die Ergebnisse, auf Tendenzen im Verhal­ ten der TN zu schließen und daraus einen Möglichkeitsraum für weiterführende Studien abzuleiten, die im Rahmen eines größeren Projektes die Ergebnisse aus der hier erfolgten Tendenzableitung in valide und reliable Effektmessungen überführen könnten. Die Interpretationen, die anhand der vorliegenden Analyse gemacht werden können, gelten daher uneingeschränkt nur für diese Gruppe und ihre Transferierbarkeit ist nicht unmittelbar gegeben. Allerdings enthält die Analyse insgesamt wertvolle Hinweise, die durchaus in Überlegungen im Hin­ blick auf Lehr­/ Lernkontexte des Textverstehens in der Fremdsprache einfließen sollten. 4.3.3.1 Diskussion der Ergebnisse: Assoziationstest Als Leitfrage für den Assoziationstest wurde formuliert, ob die Kontrollgruppe (KG) mehr und differenziertere Assoziationen in Bezug auf die gewählten items als die Gruppen GoV und GmV aktiviere, da angenommen wurde, dass sie sowohl auf der Ebene des enzyklopädischen Wissens als auch auf der Ebene des episte­ misch­diskursiven Wissens über andere konzeptuelle Strukturen verfüge. Diese Frage kann mit «Ja» beantwortet werden. In der quantitativen Analyse zeigt sich für die KG eine deutlich höhere Anzahl von Assoziationen auf die erfragten items, die sehr gezielt aufgrund der textthematischen Konzepte mit Bezug auf histori­ sches und sozio­kulturelles Wissen ausgewählt wurden. Sie bestätigte auch die Vermutung, dass die TN der GoV und der GmV vor dem Vorwissensaufbau über ähnlich gelagerte Wissensbestände in Bezug auf die historischen und soziokultu­ rellen Ereignisse verfügten, auf die im Text Bezug genommen wird. Dabei wurde die Problematik der kleinen Gruppen deutlich: Die GmV verfügte mit TN11 über einen Spitzenreiter (unter Einbeziehung aller Tests), der die Ergebnisse des Asso­ ziationstests zusammen mit TN16 und TN18 nach oben verzerrte. Um dies aus­ zugleichen wurde daher entschieden, im weiteren Verlauf der Studie nicht die Gesamtleistung der GmV zu betrachten, sondern inwiefern sich ihr Verhalten in

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 

 253

Bezug auf ihren Spitzenreiter veränderte. Dabei wurde vermutet, dass sich die GmV über die Phase des Vorwissensaufbaus in ihrem Verhalten homogenisieren und sich an den Spitzenreiter angleichen würde, während die GoV und die KG weiterhin konstant heterogen in ihrem Verhalten bleiben würde, wobei davon ausgegangen wurde, dass die Leistung der KG hinsichtlich der Aktivierung von konzeptuell kulturellem Vorwissen besser wäre als die der GoV. Die qualitative Analyse ergab, dass die GoV und die GmV hier ein eher ähnliches Verhalten in Bezug auf Differenzierung und Präzision der Assoziati­ onen zeigte. Gleichfalls verbanden sie keinerlei individuelle Konnotationen, die auf Erfahrungswerten beruhen, mit den jeweiligen Begriffen. Sie rekurrierten während der Assoziationen auch nicht auf diskursives Wissen, d. h. sie gaben keine Assoziationen an, die auf gesellschaftliches Wissen oder Überzeugungs­ wissen zurückzuführen waren. Ihre Assoziationen konnten allesamt über Fak­ tenwissen zur Geschichte Spaniens nach 1975 erklärt werden. Hinsichtlich der items bereiteten die größten Probleme die GAL und der pequeño Nicolás, die einem Großteil unbekannt waren und damit ebenfalls kein Element ihrer Wis­ sensbestände – es konnten nur wenig bis keine Wissensrahmen über sie evoziert werden. Die KG dagegen wies einen altersbedingten Unterschied für die Dynamik auf, die sich in den assoziierten Wissensrahmen zeigte und die Annahmen über kollektive Gedächtnisse und die teilweise Abhängigkeit der Stabilität von Kollek­ tivsymbolen von zeitlich bedingten Faktoren stützt (Assmann 1988). Auch zeigte sich, dass die TN der KG im Gegensatz zu den TN der GoV und der GmV auf Kon­ notations­, Überzeugungs­ und diskursives Wissen zurückgriffen und ihre Asso­ ziationen daher bereits epistemisch präfiguriert waren. Ein weiteres Ergebnis betraf die Verankerung der Wissensbestände: Der Assoziationstest ergab, dass die GoV und die GmV nur wenige und auch eher unspezifische Wissensrahmen zu den einzelnen items abrufen konnten, während die TN der KG nahezu zu allen items Wissensbestände aktivieren konnten – TN21 und TN22 konnten kein Wissen in Bezug auf die GAL abrufen. In Bezug auf el pequeño Nicolás kann dieses fehlende Wissen vernachlässigt werden, da dieser letztlich nur anekdotische Relevanz besitzt und nicht in die Kategorie „Voraus­ setzbares landeskundliches Wissen über Spanien nach Franco“ gehört. Auch war dies das einzige item, das nicht im universitären Unterricht behandelt wurde. Alle anderen items aber waren den TN zumindest über den Besuch der Vorlesung Einführung in die spanische Kultur- und Landeswissenschaft bekannt, deren erfolg­ reicher Abschluss Voraussetzung für die Aufnahme in die Studie war. Auch wäre von Lehramtsstudierenden mit Unterrichtsfach Spanisch, die bereits weit fort­ geschritten sind, in Bezug auf landeswissenschaftliche Kenntnisse zu Spanien ab 1975 ein guter Kenntnisstand eigentlich erwartbar. Die Analyse zeigte aber, dass es den TN nicht gelang, zu allen items passende Wissensrahmen abzurufen,

254 

 4 Empirischer Teil

vor allem im Hinblick auf die items, die in zeitlicher Distanz zu ihrer Lebenswelt lagen – dies war, wie bereits erwähnt, allerdings auch teilweise der Fall für die TN der KG. Dies deutet darauf hin, dass in der konzeptuellen Ebene der TN der GoV und der GmV die für das Textverstehen des dieser Studie zugrundeliegenden Textes notwendigen relevanten Wissensrahmen zu Beginn nicht ausreichend ela­ boriert und verankert waren und daher auch in der Konsequenz keine Referenz­ welt aufgebaut werden konnte. Daraus ergab sich die Frage, ob die TN dies allein durch eine linguistische Analyse des Textes sowie ein Einbeziehen des Kontextes kompensieren konnten oder ob ein speziell auf die textthematischen Konzepte abgestimmter Vorwissensaufbau notwendig war, um ein ähnliches Textverste­ hen, wie es für die KG vermutet wurde, gewährleisten zu können. 4.3.3.2 Diskussion der Ergebnisse: Lesesituation Hinsichtlich der Lesesituation wurden folgende Forschungsfragen als Leitfragen angenommen: Zum einen sollte herausgefunden werden, ob die TN der GmV nach dem Vorwissensaufbau einen höheren Anteil an Inferenzprozessen über die Aktivierung von konzeptionell kulturellem Wissen aktivieren konnten als die GoV. Zum anderen wurde gefragt, ob sich die GmV gleichzeitig beim Text­ verstehen in Bezug auf die konzeptuell kulturell basierten Inferenzen der KG und ihrem Verhalten in Bezug auf das Textverstehen angleichen würde. Zuletzt wurde die Frage formuliert, ob sich die TN der GmV nach dem Vorwissensaufbau der Rezeptionsweise der KG in Bezug auf den Text annähern würden, d. h., ob sie auf die assertiven Illokutionen und die Textsorte Glosse entsprechend besser reagieren und eine über das TWM hinausweisende Sinninterpretation konstruie­ ren können. Dabei sollte sich das Interesse gleichermaßen darauf richten, ob die GmV die Propositionen auf ihren Wahrheitsgrad hin evaluiere und validiere, oder ob diese als Faktenwissen eingestuft und dementsprechend affirmativ verarbeitet werden würden (Ebene der epistemologischen Einschätzungen). Im Hinblick auf die Inferenzprozesse, die aktiv über die Integration von konzeptuell kulturellem Wissen gemacht wurden, zeigte sich, dass die GmV im Ergebnis sowohl besser als die KG als auch besser als die GoV abschnitt. Die Annahme einer besseren Verstehensleistung durch aktiven Vorwissensaufbau kann daher in der Tendenz bestätigt werden. Die TN der GmV glichen sich in dieser Testphase bereits an TN11 an, der aber weiterhin ein nach oben abwei­ chendes Verhalten zeigte – die Abweichung war allerdings nicht mehr ganz so stark. Ferner bestätigte sich die Annahme, dass die GmV stärker auf die Analyse der thematischen Konzepte während der Textprogression rekurrierte als auf eine linguistische Analyse. Dies deckt sich mit den Ergebnissen von Johnson 1981 und Droop/ Verhoeven 1998, die ein ähnliches Verhalten für ihre Probandengruppen

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 

 255

im Hinblick auf den Einfluss von kulturbezogenem Vorwissen auf die Inferenz­ prozesse während des Textverstehens ermittelten (vgl. Droop/Verhoeven 1998; Johnson 1981). Über den Rückgriff auf die Analyse und die damit verbundene tiefere Elaboration der Konzepte konnten die TN der GmV im Gegensatz zu den GoV auch eine wesentlich detailliertere und strukturiertere Referenzwelt in Relation zur Textwelt konstruieren und diese erfolgreich in ein TWM integrieren. Die TN der GoV blieben bei der Konstruktion des TWM auf der Ebene der Text­ welt stehen und konnten so den Textverstehensprozess nicht über alle Ebenen erfolgreich organisieren. Dieses Ergebnis ist allerdings mit Vorsicht zu behan­ deln, da über die Methode des Lauten Denkens nur eine reduzierte Darstellung der insgesamt ablaufenden kognitiven Prozesse gewonnen werden kann und daher nicht erschlossen werden kann, wieviel die TN tatsächlich verstanden bzw. nicht verstanden haben, worauf ebenso Kembo hinweist: «In conclusion, the testing of reading in a second language is complicated because there is no one test type that is able to get at exactly what a reader understands» (Kembo 2001, 93). In Bezug auf das Verhalten der GmV im Verhältnis zur KG kann das Ergebnis, dass die GmV einen höheren Mittelwert hinsichtlich der Inferenzprozesse über konzeptuell kulturelles Wissen erreichte, möglicherweise dadurch erklärt werden, dass die evozierten Konzepte in den Wissensrahmen der TN der KG bereits so fest verankert sind, dass deren Elaboration während der Textprogression automatisch und damit unbewusst abläuft, was dazu führt, dass sie nicht mehr verbalisiert werden (Konrad 2010, 479; Ericsson/Simon 1980, 223–227). Dies führt zu der Ver­ mutung, dass die TN der GmV zwar über passende Wissensrahmen verfügen, diese aber hinsichtlich der Qualität ihrer Speicherung (LZG) noch nicht über die­ selbe Tiefe verfügen wie die entsprechenden Wissensrahmen der TN der KG. Dies deutet darauf hin, dass hinsichtlich des Textverstehens in der Fremdsprache der Vorwissensaufbau eine wichtige Rolle für die gelingende Konstruktion des TWMs spielt, dass aber eine Wiederholung der Inhalte und Konzepte ebenfalls essentiell für eine gute Informationsverarbeitung und Verstehensleistung ist, die zu einem Lernzuwachs führen soll. Vorwissensaufbau und Wiederholung entpuppen sich somit, zumindest für bereits fortgeschrittene Lerner, bei denen die hierarchienie­ deren Prozesse bereits nahezu automatisch ablaufen, als zentrale Bedingungen für das Textverstehen in der Fremdsprache. Dies kann im Fremdsprachenunter­ richt beispielsweise über narrow reading erreicht werden. Das bedeutet, dass nicht mehr eine große Bandbreite an Themen im Fremdsprachenunterricht über Texte abgedeckt wird, sondern dass die Lerner mit weniger Texten, dafür in vertiefender Weise konfrontiert sind. Diese Form des Wechsels von einem „möglichst viel an Themen“ hin zu einer Spezialisierung wird für das Leseverhalten im FSU bereits verschiedentlich thematisiert und gefordert: «The assumption behind this [dass

256 

 4 Empirischer Teil

breite Themenspektren bevorzugt werden; J.W.] is that exposure to different topics, genres, and styles is beneficial. This may be all wrong. It may be that narrow input is much more efficient for second language acquisition. It may be much better if second language acquirers specialize early rather than late» (Krashen 2004, 17). Damit verbunden ist das Postulat, die Texte als Informationsträger und damit als potenzielle Lernquelle wieder stärker in den Fokus zu rücken: «Narrow readers gain more contextual knowledge as they read narrowly: The more one reads in one area, the more one learns about the area, and the easier one finds subse­ quent reading in the area (and the more one acquires of the language)» (Krashen 2004, 17). In den Lehrwerken wird versucht, dieser Forderung nachzukommen, indem die Bündelung der Inhalte nicht nur über die grammatischen Aspekte, sondern auch über die Bildung inhaltlich­thematischer Einheiten erfolgt. Dies ist sicher­ lich ein erster Schritt. „Narrow reading“ bedeutet aber nicht, einige wenige, adap­ tierte Texte zu einem Themenblock zu lesen, vielmehr setzt der positive Effekt erst dann ein, wenn z. B. mehrere Werke eines Autors294 gelesen werden.295 Auch für Fachtexte konnten positive Effekte auf die Lernleistung über den Einsatz mul­ tipler Texte ermittelt werden, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass auch ein Training im Hinblick auf Evaluations­ und Validierungsstrategien stattfinde (Maier/Richter 2016).296 Dies führt zur Frage, inwieweit der Vorwissensaufbau die Rezeption des Textes beeinflussen konnte. Im Vergleich mit der KG zeigt sich hier für die GmV, dass ein rein auf der Vermittlung von Faktenwissen beruhender Vor­ wissensaufbau keine Wirkung auf die Rezeption des Textes in seiner Funktion als Glosse hatte. Die TN der GmV behandelten den Text wie einen Sachtext, der wahre Propositionen enthält, denen sie auch, quasi ohne auf Evaluierungs­ und Validierungsstrategien zurückzugreifen, affirmativ begegneten, obwohl sie ver­ schiedentlich verbalisierten, dass es sich um einen subjektiven Text handelte, der die Meinung der Autorin widerspiegelte und daher als persuasiv eingeord­ net werden könne. Hier legten die Ergebnisse offen, dass die TN der GmV wie auch der GoV keinen Gebrauch von epistemologischen Einschätzungen während der Textprogression machten. Sie konnten nicht auf die Ebene des diskursiven Wissens zurückgreifen, die dagegen in der KG bei den Inferenzprozessen in

294 Als Beispiel für Englisch Lerner nennt Krashen die Harry Potter­Reihe. 295 Vgl.  hierzu bereits Lamme (1976); ebenfalls Cho/Krashen (1994; 1995); Cho/Ahn/Krashen (2005); Feitelson/Kita/Goldstein (1986). 296 Dieser Forderung liegt die Beobachtung zugrunde, dass Lerner bei der Konfrontation mit multiplen Texten, die ein Thema auch kontrovers beleuchten, dazu tendieren, die affirmative Argumentation zu übernehmen. Über ein Training in Validierungsstrategien soll dieser Effekt aufgefangen werden (vgl. Maier/Richter 2016).

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 

 257

hohem Maße aktiviert wurde. Dies impliziert möglicherweise, dass das Text­ sortenwissen allein nicht ausreicht, sondern dass im Hinblick auf Textverstehen in der Fremdsprache ein begleitendes Training von Evaluationsstrategien bei Leseaufgaben vonnöten ist, um die Lerner in die Lage zu versetzen, die Inhalte während der kognitiven Verarbeitung auch auf ihren Wahrheitsgehalt hin kon­ trollieren zu können. Daraus lässt sich für Lehr­/Lernkontexte schlussfolgern, dass ein idealer Kontext für Textverstehensaufgaben Vorwissensaufbau, Einsatz von narrow reading­Methoden sowie ein Training zu epistemischen Evaluatio­ nen von Propositionen beinhalten sollte, um den Wissensvorsprung, den ein vergleichbarer Native Reader im Hinblick auf diskursives Wissen hat, wenigstens ansatzweise kompensieren zu können. Auch hier ist jedoch wieder darauf hin­ zuweisen, dass die Studie aufgrund der Teilnehmeranzahl wie auch der Fakto­ ren, die berücksichtigt werden konnten, in ihrer Aussagenkraft stark limitiert ist. Untersucht werden müssten weiterhin ebenfalls z. B. Faktoren wie Motivation, Interessen und auch das Selbstbild der Rezipienten. Der Unterschied zwischen der GmV und der KG kann allerdings auch dahinge­ hend interpretiert werden, dass Evaluationen und Kontrolle von Propositionen im Hinblick auf deren Validierung während der Verarbeitung durch die Integration diskursiven Wissens geleistet werden, über das L1 Sprecher allein durch die Tat­ sache Zugriff zu haben scheinen, dass sie dieselbe Episteme und damit z. B. das­ selbe Inventar an Kollektivsymbolen, konsensuellen Überzeugungen etc. teilen. Diese Ebene scheint für Fremdsprachenlerner nur sehr schwer zugänglich zu sein, was das Verhalten der GmV erklärt, die Assertionen mit Fakten gleichzusetzen. Vor dem Hintergrund der access­Hypothese und der Modellierung des Text­ verstehens als Structure-Building (Gernsbacher 1990; 1991; Walter 2004; 2007) kann das Ergebnis auch dahingehend interpretiert werden, dass der gezielte Aufbau von Vorwissen einen durch die Dekodierprozesse auf der Ebene des Lese­ verstehens (hierarchieniedere Prozesse) blockierten Zugang zur Elaboration der inhaltlichen Informationen im KZG wohl zumindest teilweise vermeiden kann – diese Aussage kann nicht in Bezug auf den Zugang zur epistemischen Ebene und den diskursiven Wissensbeständen gelten. Das deutlich stärkere Rekurrieren auf außersprachliche Wissensbestände und die damit verbundene tiefere Elabora­ tion der konzeptuellen Ebene führten in der GmV dazu, dass problemlos eine konzeptuelle Kohärenz für die Textwelt erstellt und entsprechend eine Referenz­ welt konstruiert werden konnte, in die sich die Textdaten integrieren ließen. Auch hier ist die Aussagekraft der Studie allerdings sehr begrenzt, diese Vermu­ tung kann nur für die hier getestete GmV gemacht werden und daher nur als eine mögliche Tendenz in Bezug auf ein generelles Verhalten formuliert werden, die aber zu weiteren Studien für diesen Bereich ermutigt.

258 

 4 Empirischer Teil

4.3.3.3 Diskussion der Ergebnisse: Recall-Aufgabe Mit Blick auf die Recall-Aufgabe, die dazu diente, zu kontrollieren, ob die TN die textthematischen Konzepte nach kurzer Zeit erinnerten, wurde die Frage formu­ liert, ob sich der Vorteil der GmV über den Vorwissensaufbau auch hier zeigte und ob die Behaltensleistung der GmV dementsprechend bei dieser Aufgabe in Bezug auf die Behaltensleistung (textthematische Konzepte mit einem Bezug zu außer­ sprachlichen, konzeptuell kulturellen Wissensbeständen) besser als die der GoV wäre. Die Ergebnisse zeigen, dass die GmV deutlich mehr textthematische Kon­ zepte bei der Zusammenfassung des Textes abrufen und damit auch detailliertere Beschreibungen liefern konnte als die GoV und die KG. Dies lässt demnach auf einen Vorteil der GmV durch den Vorwissensaufbau schließen. Diese Annahme bekräftigt sich auch durch den internen Abgleich der TN in der GmV mit ihrem Spitzenreiter TN11. In der Auswertung der Mittelwerte der Recall-Aufgabe zeigt sich, dass sich fast alle TN relativ homogen verhalten und sich kein «Ausreißer» nach oben mehr ermitteln lässt. Obwohl TN18 und TN20 eher im unteren Bereich liegen und damit für eine Abweichung nach unten sorgen, zeigt sich insgesamt auf die Gruppe bezogen, dass der Vorwissensaufbau offensichtlich im Hinblick auf die Behaltensleistung der textthematischen Konzepte die Tendenz zu einer positiven Wirkung hat. Die KG zeigt bei der Recall­Aufgabe ein deutlich hetero­ generes Verhalten, hier schwanken die Mittelwerte im Verhältnis zueinander erheblich stärker. Die GoV kann mit den TN2 und TN4 zwei gute Leistungen im Vergleich zur GmV vorweisen, die anderen TN der GoV zeigen aber als Ganzes eine deutlich schlechtere Behaltensleistung. Daraus kann geschlossen werden, dass die Textdaten und der Kontext allein das fehlende Vorwissen nicht kompen­ sieren können. Das schlechtere Abschneiden der KG lässt sich vermutlich darüber erklären, dass ein Teil der TN (40%) bereits im Berufsleben steht und daher die Art der Aufgabenstellung nicht gewohnt ist. 4.3.3.4 Diskussion der Ergebnisse: Wissenstest Das Ergebnis des Wissenstests zeigte, dass die GmV über die Mittelwerte besser als die GoV und auch besser als die KG abschnitt. Das schlechtere Abschneiden der KG lässt sich möglicherweise ebenfalls wieder über die Tatsache erklären, dass 40% der TN der KG dieses Aufgabenformat aufgrund ihres Berufslebens nicht mehr gewohnt sind. Das außerordentlich gute Ergebnis der GmV kann eventuell darauf zurückgeführt werden, dass die Fragen zu einfach waren. Bei einer Wiederholung der Studie müsste der Wissenstest für die TN der GoV und die TN der GmV ver­ mutlich unterschiedlich gestaltet und der Schwierigkeitsgrad für die GmV leicht erhöht werden. So ist auch die Aussagekraft des Wissenstests begrenzt. Dennoch

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 

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lassen sich im Hinblick auf die unterschiedlichen Kategorien, die im Hinblick auf die verschiedenen Elaborationsprozesse, die für die Informationsverarbeitung jeweils notwendig waren, durchaus Tendenzen über das Verhältnis der Gruppen zueinander ableiten: Bei Fragen aus der Kategorie Textebene, die Detailinforma­ tionen betrafen, die im Text enthalten waren, war die Leistung der GoV ebenfalls relativ gut. Sie erreichte bei den Fragen 8 und 9 beinahe genauso gute Werte wie die GmV. Bei Frage 9 übertraf sie sogar die KG. Interessanterweise war dies auch die Frage, bei der die GmV am schlechtesten abschnitt: Sie betraf eine Detailinfor­ mation im Text, die tatsächlich eher unwichtig war. Dies deutet daraufhin, dass die TN der GoV möglicherweise über die intensive linguistische Analyse und auch aufgrund fehlender Referenzbezüge solche Detailinformationen intensiver im KZG verarbeiten, während die TN der GmV eher kursorisch über diese hinwegla­ sen, was wiederum drauf verweist, dass sie eher Gebrauch von ihren allgemeinen kognitiven Problemlösestrategien machen und Unwichtiges bei der Elaboration im KZG aussortieren. Auch bei den Fragen, die nur in geringem Maß eine Akti­ vierung außersprachlicher Wissensbestände verlangten und größtenteils über die Etablierung lokaler Kohärenz beantwortet werden konnten, war die Leistung der GoV durchaus zufriedenstellend (Frage 5). Gut war auch ihre Leistung bei Frage 1, die zwar globales Textverständnis erforderte, aber nur wenig spezifisch kulturelles Wissen. Frage 2, die hingegen ein sehr hohes Maß an spezifischem Wissen verlangte, wurde von den TN der GoV durchgehend schlecht beantwor­ tet. Ein Textsinn, der die Textinformationen dezidiert und auf reflektierte Weise in die Interpretation miteinbezieht, konnte von den TN der GoV nicht erschlos­ sen werden. Aber auch die Fragen 3, 4 und 6 zeigten für die GoV ein schlechtes Ergebnis – hier waren Teile der Antwort in den Textdaten enthalten, benötigten aber zusätzlich die Integration von konzeptuell kulturellem Weltwissen. Die GmV hingegen arbeitete durchweg mit einem sehr guten Ergebnis, das in der Tendenz auf einen Lernzuwachs schließen lässt. Auch hier sind die Ergebnisse allerdings dahingehend limitiert, dass nicht noch ein weiterer Messzeitpunkt stattgefunden hat, der erlaubt hätte, den Lernzuwachs nach einem längeren Zeitraum zu kont­ rollieren. Durch die doppelte Kontrolle über die Recall-Aufgabe und den Wissens­ test kann eine Tendenz aber durchaus angenommen werden. Zusammenfassend lassen die Ergebnisse des Wissenstests tendenziell darauf schließen, dass bei Textverstehensprozessen, die in einem nur wenig elaborierten mentalen Modell resultieren, das nur wenige Elemente der Referenzwelt integrie­ ren kann, vorwiegend eher unwichtige Details erinnert werden, da keine anderen Elemente ins Arbeitsgedächtnis übernommen werden können und folglich auch nicht weiter verarbeitet werden können. Kann die Referenzwelt hingegen, wie die Ergebnisse der GmV nahelegen, mit der Textwelt interagieren und ein elaborier­ tes und strukturiertes TWM konstruiert werden, das wiederum strukturierte und

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 4 Empirischer Teil

detailreiche Wissensrahmen enthält, können die Informationen über die Verar­ beitung im KZG ins LZG übertragen und ein Lernzuwachs erreicht werden. Dies weist auf eine positive Wirkung von vorhandenem Vorwissen sowohl auf die thematische Textprogression und auf eine gelingende Organisation der Verste­ hensprozesse hin, die in die Konstruktion eines TWMs münden, als auch auf eine Möglichkeit, Lernzuwachs daneben über Texte im Fremdsprachenunterricht zu generieren, was im Hinblick auf die Diskussionen zur interkulturellen Kompetenz als Partizipation (vgl. Kramsch 2006; Kramsch/Byram 2008) ein wünschenswer­ ter Effekt wäre.

4.3.4 Zwischenfazit Obwohl die geringe Anzahl der Probanden keine Rückschlüsse auf die Signifi­ kanz der Ergebnisse zulässt, können doch Tendenzen abgeleitet werden. Es zeigt sich, dass die Unterscheidung in verschiedene Wissensformate in Bezug auf das außersprachliche Wissen eine sinnvolle und wichtige Differenzierung ist, die im Rahmen eines Erklärungsansatzes für Probleme und Störungen des Textver­ stehensprozesses besonders auch für den Fremdsprachenerwerb herangezogen werden sollte, um die komplexen Herausforderungen des Textverstehensprozes­ ses in ihrem jeweiligen Anspruch leichter lokalisieren und Lehr­/ Lernkontexte gegebenenfalls dementsprechend modifizieren zu können.297 Im Hinblick auf die Rolle des Vorwissens ist eine solche Differenzierung gleichermaßen notwendig, und auch in Bezug auf die Tendenzen, die in der Studie erkennbar sind. Zum einen zeigte sich, dass ein Vorwissensaufbau, der die Fakten fokussiert und damit gänzlich auf der Ebene des enzyklopädischen Wissens/Weltwissens angesiedelt ist, insoweit eine positive Wirkung auf den Textverstehensprozess hat, als dass Bezüge im Text zu historischen und kulturell bedeutsamen Ereignissen korrekt inferiert und in ein TWM integriert werden können. Dies ließ sich für die GmV im Vergleich zur GoV deutlich beobachten: Während es allen TN der GmV gelang, eine adäquate Referenzwelt zu konstruieren und mit den Textdaten in Einklang

297 Zumeist unterbleibt eine solche Differenzierung, was dann die unterschiedlichen Model­ lierungen von Verstehensschwierigkeiten unpräzise und im Rahmen von Lehr­/Lernkontexten wenig greifbar macht. So benennen z. B. auch Nold und Rossa als einziges außersprachliches Wissensformat das Weltwissen, dass sie als das Wissen, das «bereichsspezifische Schemata und allgemeines Wissen wie beispielsweise die Kenntnis von Zusammenhängen und Situationen» (Nold/Rossa 2007, 199) umfasst, definieren. Damit wird die gesamte Ebene des epistemisch­dis­ kursiven Wissens aus dem Verstehensprozess herausgenommen.

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 

 261

zu bringen, so dass die Informationen im Arbeitsgedächtnis in einer Weise ver­ arbeitet werden konnten, die zu einem Lernfortschritt führte (Recall­/Wissens­ test), konnten die TN der GoV diese Referenzetablierung nur an sehr wenigen Textstellen (z. B. ETA) leisten und somit auch kein TWM als mentale Repräsen­ tation konstruieren. Der Textverstehensprozess konnte nicht vollständig organi­ siert werden, da die Textdaten nicht auf ein passendes konzeptuelles System in Bezug auf die außersprachlichen Wissensformate gemappt werden konnten – es ergaben sich Störungen beim Abbildungsprozess der einzelsprachlichen Zeichen im Hinblick auf korrespondierende enzyklopädische Elemente und Strukturen in den Wissensrahmen. Im Hinblick auf einen Lernfortschritt war das Ergebnis in der Konsequenz dieser Störungen in der Organisation des Verstehensprozesses auch nicht zufriedenstellend: Mit Blick auf die konzeptuell kulturellen Wissens­ bestände konnte kein Lernzuwachs für die GoV konstatiert werden. Die GmV glich ihr Verhalten hinsichtlich der Inferenzprozesse über die Aktivierung enzyklopä­ dischen Wissens jedoch an die KG an und übertraf sie dabei sogar. Die Bedeutung des Vorwissens für die Aktivierung passender Wissensrahmen auf der Ebene des enzyklopädischen Wissens (Fokus auf konzeptuell kulturellem Wissen) kann demnach als sehr hoch eingestuft werden: Über ihren Wissensvorsprung konnte die GmV die Konzepte in elaborierterer Weise verarbeiten und auch auf der Ebene der konzeptuellen Kohärenz sinnstiftend miteinander verknüpfen, ohne dass sie dabei unverhältnismäßig viel kognitive Energie auf die linguistische Analyse verwenden musste, was in Folge den Zugang zu ihren allgemeinen Problemlöse­ strategien eventuell blockiert hätte (vgl.  Walter 2004; 2007). Über die Möglich­ keit, Vorwissensdeixis über den Text zu aktivieren, könnte dieser Zugang offen gehalten und somit ein Textverstehensprozess ermöglicht worden sein, der einem L1­Textverstehen bereits sehr ähnlich ist, da dieses automatisch auf der Kohärenzebene über mapping-Prozesse zwischen Textdaten (Bottom-up) und außersprachlichem Wissen (Top-down) abläuft. Möglicherweise führt der Einsatz gezielten Vorwissensaufbaus dazu, dass die stark kontextabhängigen Konzepte in fremdsprachigen Texten (kultureller und sozio­historischer Hintergrund/dis­ kursives Wissen) zu kontextunabhängigen Konzepten werden, was angenommen werden kann, wenn diese in ausreichender Frequenz im Input erscheinen: «If a CD [kontextabhängiges Konzept; J.W.] property comes to be frequently processed with a word, the property may change status and become CI [kontextunabhängi­ ges Konzept; J.W.]» (Barsalou 1982, 83). Entscheidend ist dabei, dass die relevan­ ten Wissenselemente in der Struktur der entsprechenden Wissensrahmen enthal­ ten sind und so evoziert werden können. Dafür bedarf es aber einer vertieften Elaboration, sonst ist die Verknüpfung im neuronalen Netzwerk zu schwach aus­ geprägt und wird vermutlich in der Folge erst gar nicht aktiviert, was in der Aus­

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 4 Empirischer Teil

führung unpassender Inferenzprozesse mündet, die ein Missverstehen bedeuten (Barsalou 1982, 83–84). Ähnliche Ergebnisse ergaben die Fallstudie von Costa (2010), die ihre Pro­ bandin mit einem niedrigen bis mittleren Sprachniveau über einen längeren Zeitraum hinweg beobachtete und positive Effekte im Hinblick auf ein geziel­ tes Training zur Herstellung konzeptueller Kohärenz über das Verknüpfen von textthematischen Konzepten ermittelte (Ansatz des vernetzenden Lesens) (Costa 2010, 115). Ebenso stellte sie fest, dass ein solches Training den Umgang mit fremdem Vokabular in der Weise positiv beeinflusste, dass die Lernende keine Angst mehr vor Texten mit einem hohen Anteil an unbekannten Wörtern hatte, sondern diesbezüglich über Strategien verfügte, um dies zu kompensieren (vgl. Costa 2010). Auch im Hinblick auf den Lernfortschritt profitierten die TN der GmV vom Aufbau relevanter Wissensrahmen. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie stehen hier zudem in Einklang mit den Ergebnissen von Kintsch (1988), was durchaus, trotz des geringen Umfangs, auf eine gewisse Aussagekraft schlie­ ßen lässt. Die Vorentlastung von fremdsprachlichen Texten durch den Aufbau relevanten Vorwissens kann daher vermutlich bereits einen erheblichen Beitrag dazu leisten, dass die Lerner die Texte nicht nur besser verstehen, sondern die Konzepte auch in elaborierterer Form im LZG abspeichern, von wo aus sie dann in der Folge leichter abgerufen werden können, da die neuronale Verbindung ausgeprägter ist. Damit ist ein doppelter Effekt erreicht: Eine bessere Verstehens­ leistung einerseits sowie bereichspezifischer Wissenszuwachs (Stichwort kulturelle Partizipation) andererseits. Jedoch ist die vorliegende Studie auch in dieser Hinsicht nur begrenzt aus­ sagefähig: Das positive Ergebnis des Vorwissensaufbaus ist auf den Bereich des enzyklopädischen Wissens beschränkt. Für konzeptuell kulturelles Wissen, das als Wissensbereich im Fokus der Studie stand, kann ein guter Effekt für Verste­ hens­ und Lernleistung angenommen werden. Allerdings muss dieses Ergebnis auch in Relation zu anderen Studien gesehen werden, die nur einen geringen bis gar keinen Effekt für Textverstehensprozesse in der Fremdsprache in Bezug auf Vorwissen ermittelten (Bernhardt 1991; Hammadou 1991). In der vorliegenden Studie konnte gleichfalls für den Bereich des episte­ misch­diskursiven Wissens, über das die Validierung und Evaluierung der Pro­ positionen als eine Art Kontrolle auf deren Wahrheitsgehalt vorgenommen wird, kein Effekt des Vorwissens gefunden werden. Hier verhielten sich die GoV und die GmV ähnlich: Beide Gruppen behandeln die Assertionen der Autorin wie Fak­ tenwissen, d. h. sie begegneten ihnen mit einer hohen Affirmation, ohne entspre­ chende Validierungen über ihr epistemisch­diskursives Wissen vorzunehmen. Das bedeutet, in den Verstehensprozess wurden epistemologische Einschätzun­ gen über Überzeugungswissen nicht integriert. Diese Integration wird aber für

4.3 Störungen des Textverstehens: Die Rolle von Vorwissen und Vorwissensdeixis 

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Textverstehensprozesse in der L1 als wichtiges Merkmal und Voraussetzung für Validierungen angenommen: Theory and research on validation during comprehension implies that readers monitor the consistency of information with their prior beliefs during multiple text comprehension, pro­ vided that these beliefs are already activated or are triggered passively by concepts in the texts. In other words, readers continuously generate mostly implicit plausibility judgments that are based on general world knowledge but also on their prior and possibly partial beliefs. (Richter/Maier 2017, 150)

Für die KG konnte dagegen eine solche Integration von „prior and possibly partial beliefs“ und eine daraus resultierende Validierung der Propositionen in hohem Maße beobachtet werden. Ihre Inferenzprozesse liefen stark über die Aktivierung von epistemisch­diskursivem Wissen ab und führten so auch zu einer adäquaten Reaktion auf die Textsorte Glosse und die qualitative Einschätzung der Propositio­ nen, die als Assertionen erkannt wurden. Dies gelang der GmV nicht, obwohl die TN, wie bereits erwähnt, durchaus die Subjektivität und Persuasivität des Textes thematisierten. Sie waren aber nicht in der Lage, ihr Textsortenwissen in geeig­ neter Weise zu aktivieren, und wichen in diesem Punkt, genau wie die GoV, stark vom Verhalten der KG ab. Möglicherweise blieb ihnen hier der Zugang zu ihren allgemeinen kognitiven Strategien verwehrt, da sie über die Wissensbestände in ihrem konzeptuellen System keine passenden epistemologischen Einschätzun­ gen bilden konnten. Maier und Richter untersuchten dieses Phänomen für Lerner mit L1 Deutsch im Hinblick auf Sach­ und narrative Texte. Sie konnten positive Effekte hinsichtlich der Aktivierung von epistemisch­diskursivem Wissen über den Einsatz multipler und sich widersprechender Texte feststellen (Maier/Richter 2016; Richter/Maier 2017). Für den fremdsprachlichen Unterricht bedeutet dies, vermehrt Nachrichtentexte, Glossen, narrative Texte etc. in den Unterricht zu integrieren, die zwar dasselbe Thema behandeln, aber auf unterschiedliche und in durchaus kontroverser Weise. Dies bietet den Lernern die Möglichkeit, Aus­ sagen zu validieren, da sie deren Wahrheitsgehalt gezwungenermaßen prüfen müssen. Sicherlich wird auch hier die zeitliche Begrenzung die Möglichkeiten einschränken, aber der Vorzug authentischen Materials ist im Hinblick auf diese Wissensebene nicht von der Hand zu weisen. Es ist, abgesehen von einer exposure im Land der Zielsprache, die einzige Möglichkeit, epistemisch­diskursives Wissen wenigstens ansatzweise zu vermitteln und somit den Lernern tatsächlich eine Form von Partizipation und so eine Textrezeption zu ermöglichen, die sich der eines Native Readers annähert. Auch führt ein solcher Einsatz von Texten zu tieferen Elaborationen auf der konzeptuellen Ebene. Dies lässt sich mit den Implikationen für Lehr­/ Lernkontexte, wie sie bereits in Studie 1 und 2 sowie gleichfalls in Studie 3 formuliert wurden, in Einklang

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 4 Empirischer Teil

bringen: Hinsichtlich eines verbesserten Textverstehens ist ein Umdenken not­ wendig. Die Themenvielfalt sollte zugunsten eines geringeren, dafür aber inten­ siv bearbeiteten Themenspektrums aufgegeben werden (extensive und narrow reading). Außerdem sollten die Texte über den Aufbau relevanten Vorwissens entlastet werden. Auf diese Weise könnte den Lernern diese spezielle Wissens­ form, die eben sehr stark an die gemeinsame gesellschaftliche Erfahrungswelt von Diskursgemeinschaften gebunden und damit nur schwer vermittelbar ist, möglicherweise wenigstens in Teilen zugänglich gemacht werden.

5 Schlussbetrachtung: Sage mir, wie du liest… […] s’intégrer à une nouvelle culture c’est comme lire un livre plusieurs fois. La première lecture, généralement, c’est pour se familiariser avec les personnages. À la deuxième lecture, on s’intéresse d’avantage à l’histoire. Mais, après la troisième lecture, si on arrive à raconter cette histoire avec passion, c’est qu’elle est aussi devenue la nôtre et les personnages, des membres de notre propre famille. (Boukar Diouf, Discours à la Fête Nationale du Québec)

Die Ergebnisse der vorliegenden Studien geben deutliche Hinweise darauf, wo mög­ liche Problembereiche beim Textverstehen in der Fremdsprache für Lerner liegen können. Gleichzeitig liefern sie auch einen „Diagnosinstrument“ für den Einsatz von Texten und den Erwerb von Textkompetenz im Fremdsprachenunterricht, indem sie mögliche Blockaden ausfindig machen und deren Auswirkungen deutlich auf­ zeigen. Sie bieten Lehrkräften damit eine Hilfestellung für die Lektürearbeit im FSU: Je nachdem, welches Ziel eine Lehrkraft mit dem Einsatz von Texten verfolgt, sollte sie sich vorher darüber klar werden, wo mögliche Blockaden des Textverstehens liegen könnten – liegen die Probleme bereits in syntaktischen Strukturen an der Textoberfläche? Gibt es zahlreiche Mehrworteinheiten, die besondere Formen des Dekodierens erforden? Dann sollten diese entsprechend vorentlastet werden bzw. das Dekodieren von unterschiedlichen sprachlichen Mustern (mono-word­ vs. multi-word- units) der Zielsprache gezielt über den Einsatz authentischer Texte, Korpora etc. geübt werden, um in diesem Bereich Kompetenz aufzubauen. Die Schwierigkei­ ten, die Lerner bei der Verarbeitung nicht­kompositionell dekodierbarer Strukturen haben, wurden hier am Beispiel der Verbalperiphrasen gezeigt. Hier gilt es auch, formelhafte Strukturen besser in die Interaktionen im FSU zu integrieren. Liegen mögliche Blockaden eher im Bereich der lexikalischen und semanti­ schen Dimension sowie der Wissensebenen, müssen demgemäß geeignete kontex­ tuelle, soziokulturelle, historische und epistemisch­diskursive Wissensrahmen eta­ bliert werden, um ein möglichst erfolgreiches Textverstehen und die Konstruktion eines Text­Welt­Modells zu ermöglichen, die auch in Lernprozesse bei der Informa­ tionsverarbeitung münden. Diese unterschiedlichen Störungen bei der Organisa­ tion werden innerhalb des Diagnoserahmens behandelt und auch Wege aufgezeigt, welche Strategien im Fremdsprachenunterricht unterstützend wirken können. Für den Bereich der Abbildungsprozesse in der Organisation der Verstehens­ prozesse zeigte sich, dass auch für Lerner, die bereits über eine hohe Kompetenz in der Fremdsprache verfügen, noch große Herausforderungen im Hinblick auf komplexere, nicht­kompositionelle Ausdrücke bestehen bleiben, die bereits im https://doi.org/10.1515/9783110685442-005

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 5 Schlussbetrachtung: Sage mir, wie du liest…

Bereich des Leseverstehens die Etablierung von konzeptueller Kohärenz emp­ findlich stören können, da sie die Interaktion mit der Textverstehensebene blo­ ckieren. Die Lerner tendieren oft dazu, solche sprachlichen Strukturen über das Dekompositionalitätsprinzip zu verarbeiten, was dazu führt, dass die einzel­ sprachlichen Bedeutungsdimensionen nicht auf die passenden Konzepte auf der Wissensebene abgebildet werden können und somit den Verarbeitungsprozess ins Stocken bringen, da es unweigerlich zu Fehlschlüssen durch die falschen Ad­ ressatenzuweisungen kommt. Im Fall komplexer, nicht­kompositioneller Aus­ drücke beginnt das Problem bei der Verarbeitung der Bedeutungsdimension der syntagmatischen Relationen: Die syntaktisch­semantische Zusammengehörigkeit der einzelnen Teile wird nicht erkannt, wodurch es zu einer falschen Komposition der Bedeutungsdimensionen des sprachlichen Zeichens insgesamt kommt, was in der Folge dazu führt, dass nicht das intendierte Zeichen in seiner Komplexität ver­ arbeitet wird, sondern stattdessen «Ausweichzeichen» aktiviert werden, die über das Abrufen unpassender Konzepte zustande kommen. Die Untersuchung legte dabei den Schluss nahe, dass Lerner auf das Dekompositionalitätsprinzip zurück­ greifen, sobald sie mit weniger frequenten syntaktischen Fügungen oder auch idi­ omatischen Wendungen konfrontiert werden, weil sie nicht über das geeignete Speicherformat zu diesen verfügen. Im Produktionstest zeigte sich über die Ermitt­ lung des Variationskoeffizienten, dass die Lerner zwar sehr gut gebrauchspräfe­ rierte Strukturen produzieren können, aber nur wenig kreativ bei der Anwendung der Konstruktion insgesamt sind. Dies führte zu der Überlegung, dass die schema­ tischen Konstruktionen, wie sie als Speicherformat für Native Speaker angenom­ men wurden, auf der konzeptuellen Ebene der Lerner in einem anderen Format abgespeichert seien, nämlich als chunks. Für das Textverstehen impliziert diese Beobachtung, dass das Identifizieren solcher Strukturen verstärkt trainiert und auch auf Seiten des Inputs Wert daraufgelegt werden muss, dass die Lerner in diesem Bereich, z. B. über authentische Texte,298 mit einem breiten Spektrum an möglichen syntaktischen Fügungen konfrontiert werden, wobei auch hier wieder zu betonen ist, dass diese Konfrontationen häufig erfolgen müssen, um Lernef­ fekte zu erzielen. Aus den Beobachtungen, die sich aus dieser Studie ergaben, ließ sich in einem zweiten Schritt auch schlussfolgern, dass die Determinationsstrate­ gien, die Lerner verwenden, um unbekanntem Vokabular Bedeutung zuzuweisen, in engem Zusammenhang mit der Etablierung konzeptueller Kohärenz stehen, 298 Es sei an dieser Stelle betont, dass mit dem Begriff authentische Texte solche Texte gemeint sind, die der zielsprachlichen Quelle (Romane, Zeitung, Zeitschriften, Blogs etc.) in nicht adap­ tierter Form entnommen werden. Dies verkürzt natürlich die Diskussion um Authentizität im Unterricht, was hier in Kauf genommen wird, um eine operable Abgrenzung zu den Texten in Lehrwerken vornehmen zu können.

5 Schlussbetrachtung: Sage mir, wie du liest… 

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und dass es stark von der jeweilig eingesetzten Strategie abhängig ist, ob es zu einer elaborierten Verarbeitung der Textdaten auf der inhaltlich konzeptuellen Ebene kommt oder ob die rein einzelsprachliche konzeptuelle Ebene während der Elaborationsprozesse fokussiert wird. Dabei zeigte sich, dass Textverstehensprozesse in der Fremdsprache ver­ mutlich tatsächlich in engem Zusammenhang mit den Strategien stehen, die von Lernern für die Bedeutungszuweisungen herangezogen werden, und dass diese zudem vom jeweils erreichten Kompetenzniveau in der Zielsprache abhängig sind. Einen deutlichen Vorteil im Hinblick auf das Textverstehen hatten in der vorgestellten Studie die Lerner, die die Bedeutungen des unbekannten Vokabu­ lars vornehmlich über Raten und interlinguale Komprehension erschlossen. Als nachteilig erwies sich hingegen das Nachschlagen im bilingualen Wörterbuch. Zur Strategie des Ratens griffen dabei vor allem die Probanden, die bereits über eine hohe Kompetenz in der Zielsprache verfügten und die während des Text­ verstehens stärker auf eine Elaborierung der konzeptuellen Kohärenzetablierung fokussierten, wodurch es ihnen gelang, korrekte mapping­Prozesse auf der kon­ zeptuellen Ebene zwischen einzelsprachlichem und außersprachlichem Wissen herzustellen. Es ließ sich aber auch beobachten, wie empfindlich die Konstruk­ tion eines mentalen Modells auf Unterbrechungen des Aufmerksamkeitsfokus reagiert: Sobald die Lerner eine Bedeutung über Nachschlagen determinieren wollten, brachen die Inferenzprozesse auf der Ebene der Kohärenzbildung ab und es kam in der Folge meist zu einem thematischen Sprung, der die Etablierung eines zusammenhängenden TWMs behinderte. Die Ergebnisse der zweiten Studie lassen sich aber auch mit den Annahmen der Schwellenhypothese in Einklang bringen, da, zumindest im vorliegenden sample, die Höhe des Kompetenzniveaus eine positive Wirkung auf die Determinationsstrategien und somit indirekt auch auf die Etablierung konzeptueller Kohärenz ausübte. Dies lässt vermuten, dass der Zugang zu den allgemeinen kognitiven Problemlösestrategien, wie sie beim Textverstehen in der L1 automatisch zum Einsatz kommen, bei Fremdsprachen­ lernern mit niedrigerem und mittlerem Niveau in der Zielsprache blockiert ist, was sich z. B. mit den Ergebnissen aus Walter (2004; 2007) deckt. Ausgehend von diesen Beobachtungen war es daher von Interesse zu überprüfen, ob das Textver­ stehensverhalten von Lernern mit einer hohen Kompetenz demjenigen von Native Speakern ähnelt, wenn man die Voraussetzungen im Bereich des Vorwissens in dem Sinne manipuliert, dass gezielt relevante Wissensrahmen auf der konzep­ tuellen Ebene aufgebaut werden, was über einen Vorwissensaufbau durch Ins­ truktion auf Seiten der Lerner erreicht wurde. Gleichzeitig lässt sich in einer so ausgelegten Studie kontrollieren, in welchem Ausmaß die Rolle des Vorwissens für das Textverstehen von Bedeutung ist.

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 5 Schlussbetrachtung: Sage mir, wie du liest…

Dies wurde in der dritten und letzten Studie getestet. Es wurden drei Gruppen hinsichtlich ihrer Leistungen beim Textverstehen miteinander verglichen, und zwar eine Gruppe ohne Vorwissensaufbau, eine Gruppe mit gezieltem Vorwis­ sensaufbau und eine Gruppe von L1­Sprechern der Zielsprache Spanisch. Dabei wurde ersichtlich, dass die Rolle von relevantem Vorwissen einen positiven Effekt auf die Textverstehensprozesse hatte und die Konstruktion eines elaborier­ ten TWMs sowie Lerneffekte im Hinblick auf das im Text enthaltene Faktenwis­ sen deutlich begünstigte. Auch hier deckten sich die Beobachtungen mit den Ergebnissen in Kintsch (1988; 2004) und McNamara et al. (1996). Sie deuteten ebenfalls deutlich darauf hin, dass die mapping-Prozesse auf der konzeptuellen Ebene zwischen einzel­ und außersprachlichem Wissen für Lerner eine zentrale Schwierigkeit bilden, da sie im Hinblick auf die konzeptuelle, außersprachliche Wissensebene keine passenden Konzepte im mentalen Lexikon abgespeichert haben und daher in diesem Bereich oft auf L1­gebundene Konzepte zurückgrei­ fen oder auch erst gar keine mentale Repräsentation bzw. ein darauf beruhen­ des TWM konstruieren können. Der Textverstehensprozess bleibt dann auf der Ebene des Leseverstehens stecken und es kommt zu einer reinen Abbildung von Oberflächenstrukturen, die aber keine Verbindung zur konzeptuellen Kohärenz aufweisen (Leopold 2009; Rous 2016). Die Studie verwies aber auch deutlich auf die Grenzen des gezielten Vorwissensaufbaus: Im Bereich der epistemischen Ein­ schätzungen konnte weder die Gruppe ohne, noch die Gruppe mit Vorwissensauf­ bau ein Verhalten zeigen, das dem der L1­Sprecher ähnelte. Dies wurde darüber kontrolliert, dass ein persuasiver Text gewählt wurde, der aber nur von der L1­Gruppe auch als ein solcher erkannt wurde und die darin enthaltenen Asser­ tionen auch dementsprechend behandelt wurden, was zu einer hohen Anzahl an nachvollziehbaren epistemischen Einschätzungen in den TAPs führte. Damit wurde aber auch deutlich, dass die Ebene des epistemisch­diskursiven Wissens für die Lerner – zumindest in dieser Studie und für die untersuchte Gruppe –, trotz hohem Sprachniveau und Vorwissensaufbau, nicht zugänglich war. Im Hin­ blick auf die Forderung nach interkultureller Kompetenz und gesellschaftlicher Partizipation (Lantolf/Pavlenko 2000; Kramsch/Byram 2008) kann dieses Ergeb­ nis nur als unbefriedigend interpretiert werden. Im Hinblick auf den postulierten Erklärungsraum rechtfertigen die Ergeb­ nisse der drei Studien allerdings die zeichentheoretische Basis sowie die stärkere Ausdifferenzierung der Wissensformate, vor allem hinsichtlich des außersprach­ lichen Wissens. Durch die Beobachtungen im Hinblick auf die epistemischen Einschätzungen wird auch die Integration der philologisch­kulturwissenschaft­ lich unterlegten, konstruktivistischen Perspektive legitimiert, der im Modell zum Textverstehen über die Integration der epistemisch­diskursiven Ebene Rechnung getragen wird. Verstehensprozesse sind immer in Abhängigkeit von der jeweili­

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gen Sprecher­ und Wissensgesellschaft zu sehen und sind daher in hohem Maße präfiguriert. In diesem Zusammenhang wurde auf das Problem der «wahren» Texte und auch des «idealen Lesers» hingewiesen: Die Vorstellung, es gäbe einen solchen Rezipienten wie auch die Suggestion, Texte enthielten wahre Aussagen und könnten daher objektiv interpretiert werden, führt zu einer erheblichen Reduktion in Bezug auf die Komplexität der Textverstehensvorgänge. Dies wurde als Defizit in bestehenden Modellen der kognitiven Textlinguistik identifiziert und daher versucht, in einem erweiterten, eigenen Modellvorschlag über die Aus­ differenzierung der Wissensformate und die Integration der Diskursebene, auf der gesellschaftliche Normen und Regeln im Hinblick auf das «Sagbare» in einem kommunikativen Haushalt vereinbart und angewendet werden, dieses Defizit zumindest abzufedern und sichtbar zu machen. Es scheint durchaus für den Text­ verstehensprozess von Bedeutung zu sein, welche Evaluationen der Rezipient jeweils vornimmt, da diese in die Konstruktion des TWMs einfließen und somit auch die Erschließung eines Textsinns mitbeeinflussen, der eben gerade nicht vollständig von der kognitiven Ebene abgetrennt werden kann, wie es bisweilen vorgeschlagen wird (vgl.  Schwarz­Friesel 2006; Schwarz­Friesel/Consten 2014). Denn auch die hermeneutischen Prozesse bei der Etablierung von Textsinn sind in der Kognition bereits durch ihre Verbindung mit der epistemisch­diskursiven Ebene präfiguriert und unsere Interpretationen daher auch stets auf die Episteme bezogen, in der wir uns bewegen. Dadurch wird erneut deutlich, und darauf muss auch entschieden hingewiesen werden, dass Textverstehen immer als ein indivi­ dueller Prozess zu sehen ist, der zwar in Teilen auf gesellschaftlichem Konsens beruht, der aber nicht objektivierbar ist. Daher bietet auch das hier vorgeschla­ gene Modell nur einen reduzierten Blick auf diese Vorgänge, erlaubt aber die Ein­ beziehung der wissenssoziologischen Ebene. Die im Rahmen der vorliegenden Arbeit erfolgte Ausdifferenzierung der ver­ schiedenen außersprachlichen Wissensformate (enzyklopädisch, konnotativ, epi­ stemisch­diskursiv) scheint auch eine notwendige Erweiterung in der Modellie­ rung dieser Ebene im Rahmen des multilingualen mentalen Lexikons zu sein, die in den bestehenden Modellen (Kroll/Sundermann 2003; Pavlenko 2009) noch nicht ausreichend diskutiert wird. Denn über diese können Probleme bei mapping­Prozessen auf der konzeptuellen Ebene präziser beschrieben werden. Auf diese Weise wird für Lehr­/Lernformate im Bereich des fremdsprachlichen Text­ verstehens ein Erklärungsansatz bereitgestellt, in dem die Störungen der mapping­Prozesse leichter lokalisierbar sind, wodurch auch konkretere Maßnahmen zur Verbesserung ergriffen werden könnten. Didaktische Implikationen können aus der vorliegenden Arbeit nur äußerst vorsichtig und auch nur im Hinblick auf die untersuchten Gruppen abgeleitet werden. Hier sei noch einmal auf die Individualität jeden Textverstehensprozes­

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ses und auf die Tatsache, dass es keine objektive Interpretation eines Textes geben kann, hingewiesen. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass ein schwerwiegendes Problem im Bereich der mapping­Prozesse zwischen einzel­ und außersprachli­ chem Wissen liegt, dem durch gezielten Vorwissensaufbau und einem Training im Hinblick auf Elaborationen der texthematischen Konzepte auf der Kohären­ zebene begegnet werden könnte. Ebenso scheint die Ebene des epistemisch­dis­ kursiven Wissens für Lerner eine große Herausforderung darzustellen, was sich bei der hier getesteten Gruppe darin zeigte, dass der Zugang zu ihren allgemeinen kognitiven Problemlösestrategien wie Evaluieren und Validieren von Informatio­ nen weiterhin blockiert blieb. Hier könnten Empfehlungen wie narrow reading, multiple Texte, Verengung des Themenspektrums etc. zumindest für Lerner mit einem höheren Niveau angedacht werden. Generell muss im Zusammenhang mit dem Stellenwert des Lesens im FSU mit aller Klarheit gesagt werden, dass die Lesequantität insgesamt zu steigern ist, um Lese­ und Textverstehen zu fördern. Dies zeigen z. B. sehr klar die Studienergebnisse von Chang/Renandya (2021). Beide konnten in ihrer Studie zeigen, dass sich durch narrow reading ein höheres Lesetempo sowie ein schnellerer Zuwachs an Vokabular erreichen ließ. Für die sprachliche Ebene empfiehlt sich weiterhin die Integration distanz­ sprachlicher Texte, um die Lerner auch mit elaborierteren Codes zu konfrontieren und dadurch auch die Ausbildung sprachlicher Strukturen zu fördern, die einer höheren Stilebene zuzurechnen sind. Auf diese Weise ließe sich auch auf die For­ derung für den Fremdsprachenunterricht antworten, die Integration und Ausbil­ dung der sogenannten cognitive academic language proficiency (CALP) stärker zu fördern und damit die Lerner nicht nur auf Kommunikationsprozesse vorzube­ reiten, in denen die sogenannten basic interpersonal communicative skills (BICS) ausreichend seien (vgl. Cummins 2000; 2008). Insgesamt kann auch diese Arbeit nur einen kleinen Mosaikstein im kom­ plexen Bild des Textverstehensprozesses in der Fremdsprache liefern. Weitere Arbeiten müssten beispielsweise gezielt den Einfluss der Motivation auf Textver­ stehensprozesse in der Fremdsprache untersuchen, da diese als einer der wich­ tigsten Faktoren in Bezug auf Lernprozesse gilt (vgl. Fiorella/Mayer 2015). Auch müsste der Effekt von Auslandserfahrungen und ­aufenthalten v. a. hinsichtlich der epistemisch­diskursiven Wissensebene daraufhin analysiert werden, ob über solche Formen der exposure ein Zugang zu dieser Ebene ermöglicht werden kann. Ebenfalls sollte untersucht werden, inwieweit metakognitive Strategien, die geübte Leser anwenden, auch bei fremdsprachlichen Texten eingesetzt werden, um die access­Hypothese auch auf außersprachlichen Ebenen genauer zu über­ prüfen. Eine wichtige Grundvoraussetzung für weiterführende Studien scheint jedoch zu sein, dass der Fremdsprachenunterricht eine Entscheidung trifft, zu welchem

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Zweck Texte im Fremdsprachenerwerb in gesteuerten Kontexten eingesetzt wer­ den. Hier scheint noch Klärungsbedarf zu bestehen. Sollen Fremdsprachenlerner jedoch, gemäß der literacy­Konzeption, wie sie die PISA­Studie vorgeschlagen hat, zu einer echten Partizipation gelangen, so dürfte eine Rückbesinnung auf den Text als Möglichkeit der Alteritätserfahrung und damit zu einem Erkennen des Anderen unausweichlich sein.

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7 Anhang 7.1 Anhang zur Überprüfung der Stichhaltigkeit der Hypothesenbildung (Texte) Text Gruppe 1: Mateo (Rosa Montero) Para poder utilizar los servicios de la estación de tren de Sants, en Barcelona, hay que pagar cincuenta céntimos Para poder utilizar los servicios de la estación de tren de Sants, en Barcelona, hay que pagar cincuenta céntimos. Luego me han contado que al menos en Atocha (Madrid) también pasa lo mismo; pero era la primera vez que yo veía algo así y me quedé pasmada. Tal vez ustedes piensen que se trata de una nimiedad y que cincuenta céntimos no es nada, más allá de un fastidio; pero la facilidad con la que aceptamos lo inaceptable me desalienta aún más. Tenemos unas tragade­ ras prodigiosas; por ejemplo, recuerdo la pachorra con la que asumimos todos, yo la primera, los pinchos en los bancos contra los indigentes. En España hay 600.000 familias que no tienen ingresos y muchas más que ganan tan poco que no pueden ni pagar el alquiler; para ellos cincuenta céntimos son algo, sobre todo si se les exige a cambio de un derecho elemental. Me pregunto qué hará una madre apurada con varios niños meones al toparse con la puerta cerrada de los retretes; hablo de una de esas mujeres solas de economía precaria, formidables guerreras de la vida. Quizá ponga a los nenes a hacer pis en medio del vestíbulo. Poco a poco, nimiedad a nimiedad, vamos construyendo un mundo cada vez más desequilibrado e inhabitable: la indiferencia nos crece en la barriga como un cáncer mientras el mar deposita a nuestros pies mansas oleadas de muertos sin nombre. Por cierto, en Sants hay retretes gratis: están dentro, en la zona fina de los viajeros del AVE (es un clasismo de vejiga urinaria). Y es que ya se sabe que este mundo favorece a los ricos y estruja a los desposeídos: a quien tiene se le dará y a quien no tiene se le quitará. Un comportamiento de privilegio y rapiña tan habitual que hasta tiene un nombre en sociología: es el efecto Mateo. El País, 15.04.2015, 329 Wörter Quelle: https://elpais.com/elpais/2015/04/27/opinion/1430142878_934833.html

https://doi.org/10.1515/9783110685442-007

298 

 7 Anhang

Text Gruppe 2: Investigar no es un lujo Quimeras para incubar órganos humanos Conocí a Juan Carlos Izpisúa en el Hospital Clínic de Barcelona en un día que difí­ cilmente olvidaré. Estábamos, los dos como pacientes, con el doctor Campistol, entonces Jefe del Departamento de Nefrología; pero él, Izpisúa, con el portátil ya abierto no quería sino mostrarnos los resultados preliminares de sus expe­ rimentos sobre recuperación de órganos en ratones. Hablaba con tal serenidad y pasión de sus planes que no me sorprendió que en el último mes publicara tres artículos en las revistas más prestigiosas: Cell, Science y Nature. Una hazaña singular. Siendo un reputado Investigador del Instituto Salk en California, había acep­ tado simultanearlo con la dirección de un centro de Regeneración de Órganos en Barcelona. Lo tomó con el máximo interés. En un país como el nuestro en el que la investigación básica tiende a conside­ rarse un lujo: sin la investigación fundamental de Juan Carlos Izpisúa y su equipo nada se podría haber obtenido No haré la historia larga: a pesar de todos los intentos, los problemas buro­ cráticos, las pequeñas mezquindades y los recortes insensatos en los recursos de I+D frustraron el empeño. Hoy tenemos que lamentarlo. Pero no por ello dismi­ nuyó su voluntad de seguir ligado con España. Hoy, la revista Nature publica un artículo suyo que puede ser excepcional para el futuro del conocimiento y de la medicina. Izpisúa, con un grupo de inves­ tigadores casi global, ha producido un trabajo extraordinario que podrá salvar muchas vidas humanas. Me importa subrayar que, entre ellos, hay dos grupos españoles: el de José María Campistol y el de Pedro Guillén, innovadores en Inves­ tigación médica hospitalaria en el Hospital Clínic de Barcelona y en la Clínica Centro de Madrid y la Universidad Complutense de Madrid, respectivamente. Ayer, la revista ‘Nature’ publicaba un artículo suyo que puede ser excepcio­ nal para el futuro del conocimiento y de la medicina Pero algo debe quedar claro, en estos tiempos y en un país como el nuestro en el que la investigación básica tiende a considerarse un lujo: sin la investigación fundamental de Juan Carlos Izpisúa y su equipo nada se podría haber obtenido. A mi todo ello me produce una enorme alegría. Dentro de las grandes dificul­ tades por las que pasa nuestra I+D, la tenacidad e inteligencia de nuestros cientí­ ficos ­valgan los hoy mencionados como ejemplo­ es lo que hace posible que se continúe aumentando el acervo común del conocimiento para resolver problemas globales de nuestro tiempo. El resultado de esta investigación se encuentra en la frontera del conocimiento sobre la vida. Y de ahí también su belleza y la extraordinaria responsabilidad de

7.1 Anhang zur Überprüfung der Stichhaltigkeit der Hypothesenbildung (Texte) 

 299

quienes las llevan a cabo. El avance científico­ en todos los campos­ es imparable. Todo lo que se pueda conocer sobre la naturaleza acabará conociéndose. No me cabe la menor duda de que los firmantes de este descubrimiento son conscientes de la trascendencia de lo que han obtenido. Y que seguirán trabajando con esa misma responsabilidad para descifrar, para el bien de todos, los grandes miste­ rios que aún nos oculta la naturaleza. Javier Solana es presidente de ESADE Center for Global Economy and Geo­ politics. El País, 15.6.2015, 507 Wörter Quelle: https://elpais.com/elpais/2015/05/06/ciencia/1430910460_124179.html

Text Gruppe 3: Portugal se enreda en su ortografía La aplicación inminente de reglas aprobadas hace 25 años suscita polémica entre escritores y lingüistas de los países lusófonos ”Mi patria es la lengua portuguesa”, escribió Fernando Pessoa. Pues desde este mes, su patria ha perdido letras y guiones, mudado acentos y reducidas las may­ úsculas, razones suficientes para levantar la bandera de la inconstitucionalidad, pedir un referéndum y quemar en la hoguera intelectual al coautor del Novo Acordo Ortográfico, el académico Joao Malaca Casteleiro. Brasil, mientras, pror­ roga una y otra vez la adopción. El 13 de mayo, si nadie lo impide, morirá en Portugal la ortografía vigente desde 1945 y se aplicará la aprobada en 1990. Escribir actual en lugar de atual, puede ser decisivo para suspender una oposición. Ivo Miguel Barroso lleva cinco años movilizando a los portugueses para que se solicite una referéndum sobre la nueva ortografía. “El Acordo es un acto lesivo a nuestro patrimonio cultural. Como jurista, creo que el Estado no debe reglamentar la ortografía de un pueblo”, asevera. El portugués es lengua oficial en nueve países de Europa, América, África y Asia. La dispersión favorece las diferencias lingüísticas. “Éramos la única lengua con dos ortografías diferentes oficiales”, explica el académico Malaca Casteleiro, impulsor del Acordo junto al brasileño Antônio Houais, y blanco de las críticas. “El Acordo pone fin a cien años de guerra lingüística entre Brasil y Portugal”. La desafección idiomática entre los dos países se remonta a 1911, cuando Por­ tugal simplificó su gramática al margen de Brasil, que nunca la aplicó. Durante el siglo XX hubo cinco intentos fallidos de reunificación. Malaca se enorgullece del hito histórico. “El objetivo era unificar, en lo posible, las dos ortografías vigentes, la luso­afro­asiática y la brasileña”, explica en la Academia de las Ciencias de Lisboa.

300 

 7 Anhang

“Hemos seguido los principios de la simplificación y de primar la fonética sobre la etimología de la palabra. Y en casos de grafías muy arraigadas con una misma palabra (como facto en Portugal y fato en Brasil) optamos por la doble grafía”. Décadas de periodo transitorio, con la convivencia de dos grafías, han sumido a los medios en la confusión. “La situación actual es de un verdadero caos orto­ gráfico”, afirma Barroso. Cuando se firmó el acuerdo en 1990, los periódicos por­ tugueses se comprometieron a no aplicarlo. Hoy solo mantiene su promesa el diario Público. Las nuevas reglas van a facilitar la enseñanza de la lengua, según el escri­ tor angoleño José Eduardo Agualusa, que opina lo contrario que Miguel Sousa Tavares, que se ufana de haber vendido 50.000 libros en Brasil sin necesidad de cambiar su ortografía. “¿Cuál era la necesidad de unificar?”, se pregunta la profesora de portugués Suzanna Mora. “Nos entendemos perfectamente, no hay problema alguno. Se debería respetar el portugués de aquí y el de Brasil. El Acordo solo dificulta la enseñanza con su contexto arbitrario y sus muchas opciones facultativas”. Si la patria de la lengua se reduce a números, todo parece más prosaico. Los cambios afectan al 1,6% de las palabras portuguesas y al 0,5% de las brasileñas. Antes del Acordo, el 96% del léxico era igual en cualquier esquina lusófona, ahora llega al 98%. Guarismos mínimos para justificar las pasiones levantadas, principalmente en Portugal, que estrena la nuevas reglas mientras en Brasil, su presidenta, Dilma Rousseff, alarga el periodo de aplicación de 2012 a 2016. El diputado José Ribeiro discrepa de la posición favorable de su partido (CDS): “No estoy en contra; estoy a favor de la revisión del Acordo. Debería haber una mayor protección de la variante europea del portugués”. La claudicación de Europa frente a Brasil es una crítica común del lado por­ tugués. “No es verdad”, rechaza Malaca. “Nosotros hemos eliminado las conso­ nantes mudas c y p en algunas palabras, y ellos han suprimido la diéresis. Todos hemos cedido”. “Es más fácil quitar letras a exigir que las pongan otros, como se intentó que hiciera Brasil en 1945”, se justifica Malaca. Aún así, tampoco hay unanimidad en Brasil. El profesor Ernâni Pimentel quiere llevar la simplificación ortográfica más allá, hasta el punto de que la lluvia (chuva), acabe escribiéndose como xuva. La lengua la hacen los pueblos, recuerda el académico brasileño Carlos Heitor Cony, y no los Gobiernos; pero está claro que, la ortografía, es más de academias. “Nada hay peor para mi lengua que los 140 caracteres del Twitter”, reconoce el diputado Ribeiro, “pero sigue siendo mi lengua”. El País, 8.05.2015, 737 Wörter Quelle: http://cultura.elpais.com/cultura/2015/05/07/actualidad/1431024107_637253.html

7.2 Anhang zu Studie 1: Komplexe nicht-kompositionelle Störungen 

 301

7.2 Anhang zu Studie 1: Komplexe nicht-kompositionelle Störungen 7.2.1 Fragebogen Fragebogen „Daten zur Testperson“ Dieser Fragebogen dient zur Erhebung von Informationen über Ihre Sprachlern­ situation. Die Daten werden anonym behandelt und verschlüsselt zitiert, z. B. TP 11, mask., Sp=L3, C1. Vielen Dank für Ihre Mitwirkung! Name (um Doppeltestungen auszuschließen): Linkshändig ◻ Rechtshändig ◻ Alter:_______________ Geschlecht: ◻ Weiblich ◻ Männlich L1 (Muttersprache): _____________________________________ 1. Fremdsprachen in der Reihenfolge des Erlernens (auch tote Sprachen) L2 ____________________Lerndauer: _______erreichtes Niveau laut GERS:_____ L3 ____________________Lerndauer: _______erreichtes Niveau laut GERS:_____ L4 ____________________Lerndauer: _______erreichtes Niveau laut GERS:_____ L5 ____________________Lerndauer: _______erreichtes Niveau laut GERS:_____ L6 ____________________Lerndauer: _______erreichtes Niveau laut GERS:_____ 2. Selbsteinschätzung – geben Sie Ihrer Sprachkompetenz in den 4 Grundfertig­ keiten jeweils eine Note von 1­5 Sprache L2 L3 L4 L5 L6

Sprechen

Hörverstehen

Lesen

Schreiben

Anmerkung

302 

 7 Anhang

3. Wie oft beschäftigen Sie sich intensiv mit Spanisch als Lernsprache außerhalb des universitären Unterrichts? ◻ Täglich mindestens 2 Stunden ◻ einmal am Tag, aber höchstens 1 Stunde ◻ mehrmals pro Woche ◻ einmal pro Woche ◻ alle zwei Wochen ◻ einmal im Monat

4. Wurde bei Ihnen jemals eine Lese­Rechtschreibschwäche oder Legasthenie diagnostiziert. ◻ ja, nämlich___________________ ◻ nein Mit der Verwendung und Veröffentlichung meiner anonymisierten Daten erkläre ich mich einverstanden: ___________________ (Datum)

______________________________________________ (Unterschrift)

Geben Sie alle Möglichkeiten für die Lücken an, die Ihnen einfallen, damit eine korrekte Konstruktion entsteht: quedarse

volverse

……………………………….................... ……………………………….................... ……………………………….................... ……………………………….................... ……………………………….................... ……………………………….................... ……………………………….................... ……………………………….................... ……………………………….................... ……………………………….................... ……………………………….................... ………………………………....................

7.2 Anhang zu Studie 1: Komplexe nicht-kompositionelle Störungen 

hacerse

ponerse

……………………………….................... ……………………………….................... ……………………………….................... ……………………………….................... ……………………………….................... ……………………………….................... ……………………………….................... ……………………………….................... ……………………………….................... ……………………………….................... ……………………………….................... ………………………………...................

7.2.2 Grundtabellen – – – –

quedarse volverse hacerse ponerse

 303

304 

 7 Anhang

Tabelle 23: Grundtabelle quedarse NNS-Gruppe. Nr. der TP

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 Σ

Konzept ‚Lokativ‘

Konzeptblending ‚bleiben‘ + ‚werden‘

en casa

en la cama

en un lugar

Sonst.

1 1 0 1 1 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 0 1 1 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0

1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0

0 2 0 2 0 0 0 0 2 0 1 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0

13

2

3

10

Σ

boquiabierto

dormido

solo

3 4 0 3 1 2 0 0 3 0 1 0 1 0 0 0 0 0 1 1 1 1 0 1 1 0 1 0 1 0 1 0 1 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0

28

3

2

4

7.2 Anhang zu Studie 1: Komplexe nicht-kompositionelle Störungen 

Konzeptblending ‚bleiben‘ + ‚werden‘ sin palabras

Sonst.

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

2 0 2 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 1 0 2 0 0 0 0 0 0 2 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0

2

12

Konzept ‚werden‘

Σ

 305

Übrige ΣΣ

mudo

quieto

ciego

sordo

Sonst.

Σ

2 0 3 0 0 0 1 0 0 1 1 0 1 2 0 3 0 2 0 0 0 1 2 1 0 0 2 0 1 0 0 0 0 0 0

0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 1 1 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 1 1 0 1 1

0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0

0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0

1 0 0 1 1 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 2 0 0 1 0 0 0 0

1 0 3 1 1 0 1 0 0 3 3 0 0 1 3 0 1 0 0 3 0 0 0 1 0 3 2 5 0 0 2 1 0 1 1

0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 1 0 0 0 0 1 0 1 1 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0

6 4 6 4 2 2 2 0 4 5 5 0 3 3 3 3 1 3 1 5 2 2 2 4 1 3 5 5 2 1 3 1 1 1 1

23

8

8

7

6

8

37

8

96

306 

 7 Anhang

Tabelle 24: Grundtabelle quedarse NS-Gruppe. Nr. der TP

Konzept ‚Lokativ‘

Konzeptblending ‚bleiben‘ + ‚werden‘

en casa

en la cama

en un lugar

Sonst.

Σ

boquiabierto

dormido

solo

1 2 3 4 5 6 7 8

0 0 0 1 0 0 1 1

0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 1 0 0 1 1

0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 1 0 0 0

Σ

3

0

0

0

3

0

0

1

 307

7.2 Anhang zu Studie 1: Komplexe nicht-kompositionelle Störungen 

Konzeptblending ‚bleiben‘ + ‚werden‘

Konzept ‚werden‘

Übrige

sin palabras

Sonst.

Σ

mudo

quieto

ciego

sordo

Sonst.

Σ

ΣΣ

0 0 0 0 0 0 0 0

1 0 0 2 1 1 0 1

1 0 0 2 2 1 0 1

1 1 1 0 1 0 0 0

0 1 0 0 0 0 1 0

1 0 1 0 0 0 0 0

0 0 1 0 0 0 0 0

3 4 3 1 4 3 1 5

5 6 6 1 5 3 2 5

0 0 0 1 0 2 3 1

6 6 6 5 7 6 6 8

0

6

7

4

2

2

1

24

33

7

50

308 

 7 Anhang

Tabelle 25: Grundtabelle volverse NNS-Gruppe. Nr. der TP

Konzept ‚wieder/ zurück‘

Konzept ‚werden‘

a casa

para hacer algo

Sonst.

Σ

loco

antipático

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

1 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 1 1 1 1 0 0 0 1 1 0 1 1 1 1 1 1 1 1 0 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0

Σ

2

1

1

4

28

3

7.2 Anhang zu Studie 1: Komplexe nicht-kompositionelle Störungen 

Konzept ‚werden‘

Übrige

un tacaño

Sonst.

Σ

ΣΣ

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 1 0 0 1 0 1 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1

0 0 1 1 2 1 0 1 0 2 1 0 2 2 2 1 1 1 1 1 0 1 1 2 1 1 3 3 1 1 1 1 1 1 2

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

1 0 1 2 2 1 1 1 0 2 1 0 2 2 2 1 1 1 1 1 1 1 1 2 1 1 3 3 1 1 1 1 1 1 2

2

7

40

0

44

 309

310 

 7 Anhang

Tabelle 26: Grundtabelle volverse NS-Gruppe. Nr. der TP

Konzept ‚wieder/ zurück‘

Konzept ‚werden‘

a casa

para hacer algo

Sonst.

Σ

loco

antipático

1 2 3 4 5 6 7 8

0 0 0 1 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0

0 2 0 0 0 1 1 0

0 2 0 1 0 1 1 0

0 1 1 1 1 1 1 1

0 0 0 0 0 0 0 0

Σ

1

0

4

5

7

0

7.2 Anhang zu Studie 1: Komplexe nicht-kompositionelle Störungen 

Konzept ‚werden‘

Übrige

un tacaño

Sonst.

Σ

ΣΣ

0 0 0 0 0 0 0 0

6 3 5 2 5 3 1 4

6 4 6 3 6 4 2 5

0 0 0 0 0 0 1 1

6 6 6 4 6 5 4 6

0

29

36

2

43

 311

312 

 7 Anhang

Tabelle 27: Grundtabelle hacerse NNS-Gruppe. Nr. der TP

Konzept ‚vorgeben etw. zu tun‘

Konzept ‚werden‘

el tonto

Sonst.

ς

rico

famoso

abogado

médico/ profesor

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 1 1 1 0 1 1 0 1 0 0 0 1 1 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 1 0 0 0 1 1 0 0 1 1

0 0 1 1 0 0 0 1 0 1 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0

0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 1 1 1 1 0 1 0 1 0 0 0 0

ς

3

0

3

16

8

7

10

 313

7.2 Anhang zu Studie 1: Komplexe nicht-kompositionelle Störungen 

Konzept ‚werden‘

Konzept ‚zubereiten‘

Übrige

millionario

vegetariano

Sonst.

ς

Sonstige

ς

0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 2 0 0 0 2 2 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0

0 0 2 4 2 1 1 4 2 5 1 0 2 2 3 0 1 2 1 1 1 2 0 2 1 3 2 3 2 2 3 0 0 1 1

1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

1 0 2 4 2 1 2 4 2 5 1 0 2 2 3 1 1 2 1 1 1 2 1 5 1 3 2 3 2 2 3 0 0 1 1

4

2

10

57

3

3

1

64

ςς

314 

 7 Anhang

Tabelle 28: Grundtabelle hacerse NS-Gruppe. Nr. der TP Types

Konzept ‚vorgeben etw. zu tun‘ el tonto

Sonst.

1 2 3 4 5 6 7 8

1 1 0 0 1 1 0 1

1 1 0 0 0 1 1 1

Σ

5

5

Konzept ‚werden‘

Σ

rico

famoso

abogado

médico/ profesor

millionario

2 2 0 0 1 2 1 2

0 1 0 1 1 1 0 1

0 0 0 0 1 0 0 0

0 0 0 0 1 0 0 0

0 0 2 0 0 0 0 0

1 0 0 0 0 0 0 0

10

5

1

1

2

1

7.2 Anhang zu Studie 1: Komplexe nicht-kompositionelle Störungen 

Konzept ‚werden‘

Konzept ‚zubereiten‘

vegetariano

Sonst.

1 0 1 0 0 0 0 0

2 3 3 0 2 0 0 1

2

11

Σ

Übrige

Sonstige

Σ

ΣΣ

4 4 6 1 5 1 0 2

0 0 0 1 0 0 0 0

0 0 0 1 0 0 0 0

0 0 0 2 0 3 3 2

6 6 6 4 6 6 4 6

23

1

1

10

44

 315

316 

 7 Anhang

Tabelle 29: Grundtabelle ponerse NNS-Gruppe. Konzept ‚anziehen‘ Nr. der TP

Sonst.

Σ

Konzept ‚erklären‘ Sonst.

Σ

Konzept ‚einverstanden‘

Konzept ‚aufstehen‘

Sonst.

Sonst.

Σ

Σ

Konzept ‚werden‘ rojo

triste

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 2 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 2 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 1 1 1 1 1 0 1 1 1 0 1 0 1 0 0 1 1 1 0 0 0 1 0 1 1 1 0 1 0 1 0 1 1

0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 1 0 1 0 0 1 0 1 0 0 0 1 1 1 1 1 0 0 0 0 0

Σ

4

4

1

1

1

1

1

1

21

12

7.2 Anhang zu Studie 1: Komplexe nicht-kompositionelle Störungen 

Konzept ‚werden‘

Übrige

nervioso

enfermo

alegre

en forma

furioso/ féliz

Sonst.

0 1 1 0 0 0 0 1 1 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0

0 0 1 1 1 0 0 1 0 1 1 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0

0 1 1 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 2 1 0 1 0 2 2 2 0 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0

0 3 6 3 3 2 2 5 4 6 3 0 3 0 4 0 1 3 1 3 0 3 2 1 0 4 4 3 2 2 2 1 0 1 1

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0

0 3 6 4 3 2 2 5 4 6 3 0 3 1 4 2 1 3 1 3 1 3 2 3 1 4 4 3 2 2 2 1 1 1 1

10

8

5

4

4

14

78

2

87

Σ

ΣΣ

 317

318 

 7 Anhang

Tabelle 30: Grundtabelle ponerse NS-Gruppe. Konzept ‚anziehen‘ Nr. der TP

Sonst.

Σ

Konzept ‚erklären‘ Sonst.

Σ

Konzept ‚einverstanden‘

Konzept ‚aufstehen‘

Sonst.

Sonst.

Σ

Σ

Konzept ‚werden‘ rojo

triste

1 2 3 4 5 6 7 8

0 0 0 1 0 0 1 1

0 0 0 1 0 0 1 1

0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 1 0

0 0 0 0 0 0 1 0

0 0 0 0 0 1 0 1

0 0 0 0 0 1 0 1

1 1 1 0 1 0 0 1

0 0 0 1 1 0 0 0

Σ

3

3

0

0

1

1

2

2

5

2

7.2 Anhang zu Studie 1: Komplexe nicht-kompositionelle Störungen 

Konzept ‚werden‘

Übrige

nervioso

enfermo

alegre

en forma

furioso/ féliz

Sonst.

0 0 1 0 0 1 0 0

0 0 1 0 0 0 0 1

0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 1 0 0

1 0 1 0 0 0 0 0

4 6 2 1 4 2 2 1

6 7 6 2 6 4 2 3

0 0 0 0 0 1 2 0

6 7 6 3 6 6 6 5

2

2

0

1

2

22

36

3

45

Σ

ΣΣ

 319

320 

 7 Anhang

7.2.3 Tabellen über kumulierte Häufigkeiten Tabelle 31: Kumulierte Häufigkeiten über Konstruktionen NNS-Gruppe. NNS Anzahl korrekter Konstruktionen

quedarse

volverse

hacerse

ponerse

Σ

Σ kum

%

0

2

3

4

2

11

11

7,9

1

8

22

12

9

51

62

44,3

2

7

8

11

7

33

95

67,9

3

7

2

4

9

22

117

83,6

4

4

0

2

5

11

128

91,4

5

5

0

2

1

8

136

6

2

0

0

2

4

140

100

7

0

0

0

0

0

140

100

8

0

0

0

0

0

140

100

Σ

35

35

35

35

140

140

X

97,1

Tabelle 32: Kumulierte Häufigkeiten über Konstruktionen NS-Gruppe. NS quedarse

volverse

hacerse

ponerse

Σ

Σ kum

0

0

0

0

0

0

0

0

1

0

0

0

0

0

0

0

2

0

0

0

0

0

0

0

3

0

0

0

1

1

1

3,1

4

0

2

2

0

4

5

15,6

5

1

1

0

1

3

8

6

5

5

6

5

2

29

7

1

0

0

1

1

31

8

1

0

0

0

1

32

100

Σ

8

8

8

8

8

32

X

Anzahl korrekter Konstruktionen

%

 25 90,6 96,9

7.3 Anhang zu Studie 2 

 321

7.3 Anhang zu Studie 2: Worterschließungsstrategien im Zusammenhang mit konzeptioneller Kohärenzetablierung 7.3.1 Fragebogen Fragebogen zur Lernsituation Dieser Fragebogen dient zur Erhebung von Informationen über Ihre Sprachlern­ erfahrungen. Die Daten werden selbstverständlich anonym behandelt. Danke für Ihre Mitarbeit! Initialen des Namens (Vorname und Nachname): Matrikelnummer: Alter:

Geschlecht:

weiblich     männlich

Muttersprache (auch L1 genannt): Welches Sprachniveau haben Sie in Spanisch? Wurde bei Ihnen jemals eine LRS (Lese-Rechtschreib-Störung) festgestellt? Ja Nein Fremdsprachen in der Reihenfolge des Erlernens: L2 Lerndauer L3 Lerndauer L4 Lerndauer L5 Lerndauer L6 Lerndauer Bitte schätzen Sie die 4 Grundfertigkeiten in der jeweiligen Sprache ein (Noten von 1 bis 5) Sprache

Sprechen

Hörverstehen

Leseverstehen

Schreiben

Anmerkung

322 

 7 Anhang

Besondere Sprachlernerfahrung in Französisch. Bitte geben Sie die Anzahl und Dauer ihrer Auslandsaufenthalte an (z. B.: Sprachkurse, Austauschpro­ gramme, Aupair Aufenthalt …) Nein Ja Wie lange? Aus welchem Grund? Wie oft beschäftigen Sie sich mit dem Französischen außerhalb Ihrer universitären Verpflichtungen? eine Stunde täglich mehrmals in der Woche einmal in der Woche einmal alle zwei Wochen einmal im Monat weniger als einmal im Monat Was genau machen Sie? (Radio hören, Romane lesen/Nachrichten lesen, Filme schauen, Kontakt zu Muttersprachlern, etc.)

(adaptiert nach Ender 2007: 229) Einverständniserklärung Hiermit erkläre ich mich damit einverstanden, dass meine Daten zu Forschungs­ zwecken anonym verwendet und veröffentlicht werden dürfen. Ort, Datum

Unterschrift

7.3.2 Texte Gruppe A Sachtext: Figaro Étudiant, 16/12/2016 Une heure de service pour 1 m² de logement: à Genève, étudiants et retraités cohabitent L’université de Genève propose à ses étudiants depuis la rentrée une nouvelle façon de se loger: en échange d’une heure de service rendu par mois à une per­ sonne âgée, ils ont droit à 1 m2 de logement.

7.3 Anhang zu Studie 2 

 323

Pour une vingtaine d’heures à donner des cours d’informatique, tondre la pelouse ou à sortir le chien, les étudiants de l’université de Genève pourront occuper 20 m2 de l’appartement de retraités, formant ainsi des colocations un peu spéciales. Depuis la rentrée, une trentaine de jeunes ont été ainsi logés. Sabine Estier Thévenoz, du bureau des logements de l’Université de Genève, a lancé ce projet au début de l’année. «Près de 600 étudiants se sont retrouvés sans logement. Et selon l’office cantonal de la statistique, près de 13.300 personnes vivent seules dans un 4 ou 5 pièces. J’ai pensé qu’il y avait quelque chose à faire pour d’un côté aider les étudiants et de l’autre lutter contre l’isolement social. En mettant en corrélation deux problèmes, on arrive à une partie de la solution!» racontait­elle en début d’année à la Tribune de Genève. 130 colocations à la rentrée prochaine Le concept existe déjà en Allemagne depuis quelques années et connaît un vrai succès. En Suisse, RFI est allé hier à la rencontre d’une de ces collocations un peu particulière. Dans le reportage, Arlette, 90 ans, héberge Yvan, 22 ans, un Mad­ rilène à Genève depuis le mois de septembre. Pour 20 mètres carrés, Yvan doit fournir autant d’heures par mois de travail. «Ca rassure beaucoup mes enfants que je ne sois plus toute seule à la maison. Il s’occupe beaucoup, l’été, du jardin et de la piscine.» Du côté du jeune homme, c’est aussi une expérience réussie. «Avec Arlette, on mange, on regarde le tennis à la télé. C’est très intéressant, surtout à Genève où les logements sont très difficiles à trouver, et très chers.» Un point de situation est organisé au bout de quelques semaines pour vérifier que le système fonctionne bien et que le courant passe entre le logeur et l’étudiant logé. La seule restriction donnée quant aux petits boulots à effectuer concerne la santé: «Il n’est pas question de demander à l’étudiant de prodiguer des soins, il n’est pas qualifié pour cela.» conclut Sabine Estier Thévenoz. L’université compte proposer l’année prochaine une centaine de logements de ce type. Quelle: http://etudiant.lefigaro.fr/article/une­heure­de­service­pour­1m2­de­logement­a­ geneve­etudiants­et­retraites­cohabitent_b533f994­c36e­11e6­9da1­d53405673179/ (399 Wörter)

Gruppe A: Literarischer Text Marc Levy: Le voleur d’ombres (extrait) À la maison, maman m’annonça qu’un documentaire sur la déforestation de la forêt amazonienne passait le soir même à la télévision. Elle avait préparé un pla­ teau­repas que nous partagerions sur le canapé du salon. Elle m’installa devant le poste, m’apporta un crayon et un cahier, et s’assit à côté de moi. Le nombre

324 

 7 Anhang

d’animaux condamnés à l’exode et à l’extinction, parce que les hommes aiment l’argent au point d’en perdre la raison, c’est terrifiant ! Pendant que nous assistions, impuissants, à la condamnation à mort des paresseux du Brésil, animal dont je me sentais complice et proche, maman découpait le poulet. À la moitié de l’émission, je jetai un coup d’œil à la carcasse de la volaille et fis le vœu de devenir végétarien dès que ce serait possible. Le présentateur nous expliquait le principe de l’évapotranspiration, un truc assez simple. Sous les arbres, la terre transpire, un peu comme nous sous les poils. La sueur de la planète s’évapore et remonte pour former des nuages. Quand ils sont assez gros, il pleut, ce qui fournit l’eau nécessaire à ce que les arbres se reproduisent et soient en forme. Faut reconnaître que le système est assez bien pensé dans l’ensemble. Évidemment, si on continue de tondre la terre comme un œuf, il n’y aura plus de sueur et donc plus de nuages. Imaginez les conséquences d’un monde sans nuages, surtout pour moi ! La vie vous joue parfois de drôles de tours. J’avais inventé cet exposé sur le réchauffement climatique pour avoir un alibi, sans supposer combien ce sujet allait me toucher de près. Maman s’était endormie, j’ai augmenté un peu le son de la télé pour tester son sommeil, il était profond. Encore une de ses journées épuisantes. Ça me démora­ lisait de la voir dans cet état. Raison de plus pour ne pas la réveiller. J’ai baissé le volume et je suis monté en douce dans le grenier. La lune viendrait bientôt se mettre dans l’axe de la lucarne. Quelle: Levy, Marc (2010): Le voleur des ombres. Paris: Éditions Robert Laffont, 90–91. (330 Wörter)

Gruppe B Sachtext: L’express Sciences, 15/12/2015 La hausse du niveau des océans ralentit la rotation de la Terre La fonte des glaciers et de la banquise fait monter le niveau des océans, qui a une influence sur la rotation de la Terre. Ou comment le réchauffement climatique va rallonger les journées terrestres. Un petit peu. La fonte des glaciers et de la banquise fait monter le niveau des océans. Le message a été répété un nombre incalculable de fois lors de la COP 21 à Paris, afin de mettre en garde contre les conséquences dramatiques sur les zones côtières et les îles... Mais un autre effet est imputable à la montée des eaux: elle ralentit la rotation de la Terre et rallonge les journées.   L’impact se chiffre en millisecondes par siècle. Il semble imperceptible, certes. Mais il est suffisant pour fausser certains calculs astronomiques. L’hypo­ thèse, émise en 2002, a été vérifiée et amendée par une équipe de chercheurs qui publie ses résultats dans Science Advances. 

7.3 Anhang zu Studie 2 

 325

»Si vous faites fondre les calottes glaciaires ou les glaciers, ce qui se produit à proximité des pôles, et que toute cette masse se déplace des pôles vers l’équateur, ce mouvement est comparable à celui d’un surfeur qui utilise un bras pour ralen­ tir sa vitesse», décrit un des auteurs, Jerry Mitrovica, professeur de géophysique à l’University d’Harvard. Ce déplacement va «ralentir la rotation de la Terre» et, puisqu’il n’est «pas tout à fait symétrique ni également réparti», il peut aussi affecter son axe de rotation.  (…) La montée des eaux n’est pas la seule coupable »L’attraction gravitationnelle de la Lune contribue également» à ce léger freinage, note Mathieu Dumberry, professeur de physique à l’Université d’Alberta et coau­ teur de l’étude. «Mais la combinaison de ces effets ne suffit encore pas: le rôle du noyau terrestre doit être pris en compte. Or depuis 3000 ans, le coeur de la Terre a légèrement accéléré tandis que le manteau sur lequel nous nous trouvons a légèrement ralenti sa rotation.» Ces modifications influent sur le champ magné­ tique de la planète, mais aussi sur la durée de nos journées.   D’après les calculs présentés dans Science Advances, ces effets cumulés dev­ raient ajouter 1,7 millisecondes à chaque jour terrestre d’ici la fin du XXIe siècle. Une poussière pour l’homme mais une poussière mesurable qui s’ajoute aux mul­ tiples études scientifiques sur le changement climatique et ses ramifications, note le Washington Post. «Ces effets semblent minuscules mais ce sont eux qui recèlent les changements les plus importants du système terrestre», estime Jarry Mitrovica.   Quelle: http://www.lexpress.fr/actualite/sciences/la­hausse­du­niveau­des­oceans­ralentit­la­ rotation­de­la­terre_1745990.html (412 mots)

Gruppe B Literarischer Text Gustave Flaubert: Madame Bovary (extrait) Nous étions à l’étude, quand le proviseur entra, suivi d’un nouveau habillé en bourgeois et d’un garçon de classe qui portait un grand pupitre. Ceux qui dor­ maient se réveillèrent, et chacun se leva comme surpris dans son travail. Le pro­ viseur nous fit signe de nous rasseoir ; puis, se tournant vers le maître d’études : Monsieur Roger, lui dit­il à demi­voix, voici un élève que je vous recommande, il entre en cinquième. Si son travail et sa conduite sont méritoires, il passera dans les grands, où l’appelle son âge. Resté dans l’angle, derrière la porte, si bien qu’on l´apercevait à peine, le nouveau était un gars de la campagne, d’une quinzaine d’années environ, et plus

326 

 7 Anhang

haut de taille qu’un aucun de nous tous. Il avait les cheveux coupés droit sur le front, comme un chantre de village, l’air raisonnable et fort embarrassé. Quoiqu’il ne fût pas large des épaules, son habit­veste de drap à boutons noirs devait le gêner aux entournures et laissait voir, par fente des parements, des poignets rouges habitués à être nus. Ses jambes, en bas bleus, sortaient d’un pantalon jaunâtre très tiré par les bretelles. Il était chaussé de souliers forts, mal cirés, garnis de clous. On commença la récitation des leçons. Il les écouta de toutes ses oreilles, attentif comme au sermon, n’osant même croiser les cuisses, ni s’appuyer sur le coude, et, à deux heures, quand la cloche sonna, le maître d´études fut obligé de l’avertir, pour qu´il se mît avec nous dans les rangs. Nous avions l’habitude, en entrant en classe, de jeter nos casquettes par terre, afin d’avoir ensuite nos mains plus libres ; il fallait, dès le seuil de la porte, les lancer sous le banc, de façon à frapper contre la muraille en faisant beaucoup de poussière ; c’était là le genre. Quelle: Flaubert, Gustave (1983): Madame Bovary. Paris, Livres de poche, 5–6. (303 Wörter)

23

23

23

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TN8

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w

19

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w

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19

TNl

G

A

TN

Deutsch

Deutsch

Deutsch

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Deutsch

Deutsch

Deutsch

Deutsch

Deutsch

Deutsch

Deutsch

Deutsch

Deutsch

Deutsch

Ll

Englisch

Englisch

Englisch

Englisch

Englisch

Englisch

Englisch

Englisch

Englisch

Englisch

Englisch

Englisch

Englisch

Englisch

L2

Latein

Französisch

Französisch

Französisch

Französisch

Latein

Französisch

Französisch

Latein

Französisch

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8

8

14 Latein

Französisch

Französisch

14,5 Französisch

8

8

9

9

8

8

9

8

10

10

LD

Tabelle 33: Übersicht über alle Probanden Studie 2.

7.3.3 Übersicht über alle Probanden Studie 2

6

8,5

9

10

7

9

11

10

6

6

6

7

6

4

LD

Spanisch

Latein

Latein

Latein

Spanisch

Latein

Latein

Latein

Französisch

Spanisch

Italienisch

Französisch

Italienisch

L4

Spanisch

Spanisch

Spanisch

Latein

LS

9

1

1

4

9

Französisch

Russisch

Spanisch

Französisch

0,5 Port.

4

4

4

4

0,5

5

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2

LD

7

0,5

0,5

8

0,5

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5

1

4

LD

LD

Engl.-Frz.-Span.-Lat.

Engl.-Frz.-Lat.-Span.

Engl.-Frz.-Lat.

Engl.-Frz.-Span.-Lat.

Engl.-Frz.-Lat.-Ital.

Engl.-Frz.-Lat.

Engl.-Frz.-Ital.-Lat.

Sprachkompetenz absteigend (selbst eingeschätzt)

Span.-Frz.-Engl.-Lat.

Frz.-Engl.-Lat.

Engl.-Frz.-Lat.-Russ.

Engl.-Frz.-Span.-Lat.

Span.-Frz.-Engl.-Lat.

Frz.-Engl.-Lat.-Port.

Port. 0,5 Engl.-Frz. -Span.-Lat.Port.

L6

7.3 Anhang zu Studie 2   327

328 

 7 Anhang

7.4 Anhang zu Studie 3: Vorwissen und die Konstruktion eines Text-Welt-Modells 7.4.1 Fragebogen Fragebogen zur Lernsituation (adaptiert nach Ender 2007) Dieser Fragebogen dient zur Erhebung von Informationen über Ihre Sprachlern­ erfahrungen. Die Daten werden selbstverständlich anonym behandelt. Danke für Ihre Mitarbeit! Initialen des Namens (Vorname und Nachname): Matrikelnummer: Alter:

Geschlecht:

weiblich     männlich

Muttersprache (auch L1 genannt): Welches Sprachniveau haben Sie in Spanisch? Wurde bei Ihnen jemals eine LRS (Lese-Rechtschreib-Störung) festgestellt? Ja Nein Fremdsprachen in der Reihenfolge des Erlernens: L2 Lerndauer L3 Lerndauer L4 Lerndauer L5 Lerndauer L6 Lerndauer Besondere Sprachlernerfahrung in Spanisch (z. B.: Sprachkurse, Austausch­ programme …) Nein Ja Wie lange? Aus welchem Grund?

7.4 Anhang zu Studie 3: Vorwissen und die Konstruktion eines Text-Welt-Modells  

 329

Wie oft beschäftigen Sie sich mit dem Spanischen außerhalb Ihrer universitären Verpflichtungen? eine Stunde täglich mehrmals in der Woche einmal in der Woche einmal alle zwei Wochen einmal im Monat weniger als einmal im Monat Was genau machen Sie? (Radio hören, Romane lesen/Nachrichten lesen, Filme schauen, Kontakt zu Muttersprachlern, etc.)

(adaptiert nach Ender 2007: 229) Einverständniserklärung Hiermit erkläre ich mich damit einverstanden, dass meine Daten zu Forschungs­ zwecken anonym verwendet und veröffentlicht werden dürfen. Ort, Datum

Unterschrift

7.4.2 Lesetext Lesetext Frikismo (Rosa Montero, ✶1951) Me agota la intensidad de este país. España es una total anomalía. A lo largo de mi existencia he tenido que apechugar, como tantos de mis coetáneos, con una dictadura; con las luces y los soponcios de la Transición, que fueron de órdago (anónimos amenazantes, avisos o estallidos de bombas, matanza de Atocha...); con un golpe de Estado; con la feroz sangría y el terror que imponía ETA (llegó a asesinar a casi 100 personas al año); con la desolación de las torturas y los críme­ nes perpetrados por el GAL; con el paroxismo de fractura social que se derivó del atentado del 11­M; con el brutal, agónico empobrecimiento que ha traído la crisis; con el inaudito nivel de corrupción y mangoneo; con un secesionismo catalanista

330 

 7 Anhang

y un inmovilismo españolista que a mí me parecen de opereta… Qué ganas de ser suiza, por ejemplo, y hartarme de normalidad hasta aburrirme. Y ahora, como guinda del pastel, el pequeño Nicolás. Nos lo merecemos. Puesto que somos un país tan anómalo, una nación tan friki, lo suyo es que el frikismo estalle en esta apoteosis nicolasiana. Supongo que hubo quien metió la pata y lo apadrinó a modo de mascota; pero lo que más pavor da es que alguien (desde los políticos que lo trataron a los ciudadanos) se haya podido creer el delirante relato de este chico: estamos tan acostumbrados a que la realidad naci­ onal sea estrafalaria que ya nos tragamos cualquier cosa. Para más bochorno, ahora lo hemos convertido en el personaje de moda: los medios hablan hasta el hastío de él como si fuera un tema serio. No sé, a mí me parecen serias otras cosas, como, por ejemplo, que España sea el segundo país de los 28 de la UE con mayor tasa de pobreza infantil (un 30%, sólo nos supera Rumania). No sé si morirme de pena o de risa. Quelle: http://elpais.com/elpais/2014/11/24/opinion/1416837458_613860.html; 25.11.2014; 266 Wörter

7.4.3 Wissenstest (Deutsch – Spanisch) Deutscher Wissenstest 1. 2. 3.

Was versteht Rosa Montero unter Frikismo in Bezug auf Spanien? Warum gönnt sie den SpanierInnen den Skandal mit dem Pequeño Nicolás? Warum nennt sie die ETA und auch die Transición als Symbol für den Frikismo? 4. Wie nennt man die Organisation die für den baskischen Separatismus kämpfte? Durch welche Gruppe wurde diese bekämpft? 5. Warum wählt sie die Schweiz als Wunschexil? 6. Was waren die Schattenseiten der Transición? 7. Was war am 11. März? 8. Wie hat die Regierung auf Bestrebungen der Unabhängigkeitsbewegungen reagiert? 9. Welchen Platz in der EU nimmt Spanien in Bezug auf die Kinderarmut ein?

Spanischer Wissenstest 1. 2.

¿Qué quiere decir Rosa Montero con frikismo con respecto a España? ¿Por qué los españoles se merecen el escándalo con el pequeño Nicolás?

7.4 Anhang zu Studie 3: Vorwissen und die Konstruktion eines Text-Welt-Modells  

 331

3. ¿Por qué dice que ETA y también la Transición son símbolos del frikismo? 4. ¿Cómo se llama la organización que luchó por el separatismo vasco? ¿Qué grupo luchó en contra de este grupo? 5. ¿Por qué elige Suiza como su exilio deseado? 6. ¿Cuáles fueron las partes negativas de la Transición? 7.  ¿Qué pasó el 11 de marzo? 8. ¿Cómo reaccionó el gobierno a los movimientos independentistas? 9. ¿Qué lugar ocupa España en la UE en relación con la pobreza infantil?

A

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G

Deut.

Deut.

Deut.

Deut.

Deut.

Deut.

Deut.

Deut.

Deut.

Deut.

Deut.

Deut. Ungar.

Deut.

Deut.

Deut.

Deut.

Deut. Alb.

Deut.

Deut.

L1

Engl.

Engl.

Engl.

Engl.

Engl.

Engl.

Engl.

Engl.

Engl.

Engl.

Engl.

Engl.

Engl.

Engl.

Engl.

Engl.

Engl.

Engl.

Engl.

L2

Tabelle 34: Übersicht über alle Probanden Studie 3.

7.4.4 Übersicht über alle Probanden Studie 3

15

15

14

9

9

8

9

10

8

10

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13

10

9

9

9

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13

LD

10 11 9

Span. Span. Span.

7 9 7 8 8

Span. Span. Span. Span.

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6

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Ital.

Ital.

Frz.

Frz.

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Lat.

9

5

Span. Span.

8

Span.

Frz.

6 9

Span.

LD

Lat.

L3

8

Span.

Franz.

Ital.

2

2

9

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Span. Franz.

3

10

Span. Russ.

8 7

Frz.

8

7

7

LD

Span.

Frz.

Span.

Span.

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Arab.

Frz.

1

1

1 6

Span.

7

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Ital.

Span.

Kroat.

Ital.

L5

L6

LD

332   7 Anhang

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Engl. Engl. Engl. Engl. Engl. Engl.

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Span. Katal.

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5

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Franz.

Deut.

Deut.

Russ.

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1

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Lat.

Ital.

Deut.

Deut.

4

3

4

2

Span.

5 Ital.

1

7.4 Anhang zu Studie 3: Vorwissen und die Konstruktion eines Text-Welt-Modells    333

Stichwortverzeichnis access-Hypothese 6, 164, 207, 217, 257, 270 Aktivierungsmuster 22 Alteritätserfahrung 14, 118, 124, 271 Arbeitsgedächtnis 11, 26, 34, 85, 91, 207, 223, 259, 261 Assoziation 233, 237 Bedeutungsdimension XXI, 6, 36, 44, 47–48, 51, 55–56, 80, 87–88, 98, 99, 103–104, 109–111, 114, 127, 145, 151, 168, 170, 191, 208, 217, 221, 266 Bedeutungskonstitution 15, 28, 35–36, 95, 120 Bedeutungszuweisung 5–6, 15, 37, 42, 49, 51, 56, 68–70, 96, 99–100, 110, 117, 127, 133, 143, 145, 169–170, 173, 193, 205, 207, 210–213, 215 Bildungsbegriff 5, 124 Bottom-up-Prozess 12, 44, 242

Frames 32–35, 50, 81, 274–275, 278, 287, 296 Frame-Semantik 33, 35, 81, 275, 296 Fremdsprachenerwerb 52, 55–57, 71, 95–96, 100, 102–103, 113–114, 118, 124–125, 127–129, 150, 154, 169, 260, 271 Fremdsprachenunterricht 7–8, 16, 18, 71, 88–89, 94–95, 119, 122–124, 126, 128, 130, 132, 147, 172, 174, 209, 215, 221–222, 255, 260, 265, 270, 274, 277, 279, 281, 286, 291–292 Frequenz 18, 43, 99, 103, 118, 127, 149, 151, 156, 162, 168, 173, 261, 295

chunk 26, 128, 142, 150, 155–156, 160, 162, 164, 168 conceptual system 15–16, 23, 81, 102

gebrauchsbasierte Perspektive 127, 148, 296 Gebrauchspräferenz 154, 160, 295 Gedächtnis 26–27, 44, 53, 61, 220, 273 Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen (GER) XXI, 53, 119–122, 124, 134–135, 175 globale Kohärenz 10–11, 76, 250 Grammatik 43, 54, 90, 95, 126, 128–130, 158, 176, 219, 286, 292, 293

Dekodierungsprozess 16, 18, 44 Dekompositionalitätsprinzip 145, 201, 266 Deskriptoren 120–121, 216 Diskurs 28, 68, 117, 119, 295

Hermeneutik XIII, 64, 71, 279, 281 hierarchiehöhere Teilprozesse 9–11, 16, 147, 185 hierarchieniedrige Teilprozesse 2, 9–11

Elaboration 4, 7, 26, 51, 142, 215, 221, 255, 257, 259, 261, 282 embodied cognition 13, 15–16 epistemisch 5, 10, 22, 27, 39, 47, 50–51, 57, 60–61, 70, 75, 78, 86–87, 95, 98, 103, 113, 117, 125–126, 131, 133, 146, 208, 219, 223, 232, 238, 246–247, 252–253, 260, 262–263, 265, 268–270, 289 Erkenntnis 1, 24, 38, 41, 50, 61, 100, 128 Erstspracherwerb 52, 135 Evaluation 16, 25, 31 extralinguale Strategie 191, 195, 197, 205, 214 Eye-tracking 17, 20, 129

Inferenz XIX, XXI, 30, 37–38, 77–78, 82, 136, 142, 191–193, 205–206, 212, 230, 234, 241–243, 254–255, 261, 263, 267 Informationsverarbeitung 10, 13, 16, 19, 21, 26, 95, 143, 182–183, 185, 210, 255, 259, 265 Informationsverarbeitungsprozess 25 inhibition 109, 113–114, 117, 171, 211 inkrementell 2, 78 Input 14–15, 19, 23, 33, 36, 80, 83, 87, 91, 96, 116, 121, 128–130, 142, 191, 208, 261, 279, 284, 294 Instanziierung 30 Intake 121

https://doi.org/10.1515/9783110685442-008

336 

 Stichwortverzeichnis

Interaktion 1–2, 11–13, 29, 31–32, 36, 38, 45, 48, 59, 64, 74, 78, 82, 85, 92–93, 123, 145, 171, 174, 186, 197, 206, 211–214, 219, 229, 266 Interdependenzhypothese 89, 91 Interkomprehension 170, 172–173, 273, 282, 287, 296 Interkomprehensionsstrategien 96, 171 interlinguale Strategie 191–192, 195, 197, 201, 214 Interpretation 11–12, 21, 43, 59–60, 64, 66, 70, 88, 90, 108, 119, 211, 226–227, 259, 270 intralinguale Strategie 172, 191, 215 Kognition 4, 7, 13, 25–26, 28, 32, 39, 45, 50, 56–57, 62–63, 65, 70, 80, 85, 86, 102, 103, 123, 246, 269, 275–276, 293, 295 kognitionspsychologisch 14 kognitive Linguistik 102, 292, 296 kognitive Textlinguistik XIII, 29 kognitive Verarbeitung 11, 15, 17, 133, 141, 173 Kohärenz 2–4, 10–11, 17, 51, 73, 75–76, 78, 82, 85, 126, 134, 136, 138–140, 146, 174, 186, 195, 200, 212–213, 215, 220, 234, 242–243, 250, 257, 259, 261–262, 266–268, 290, 292 Kohärenzetablierung 3, 78, 84, 87, 131, 133, 136, 139–140, 142–143, 169, 194–195, 197, 212–213, 244, 267, 321 Kohärenzprozess 10, 76, 174 Kohäsion 11, 73, 75, 290, 291 kollektives Gedächtnis 61, 86, 131, 253 Kommunikation 12, 25, 27, 37, 42, 61, 63, 66, 68, 86, 94, 97, 100–101, 125, 280, 284, 286, 295 Kompetenz 2, 14, 18, 89, 91, 95, 110, 116, 121–122, 124, 126, 132, 135, 147, 169, 171, 176, 178, 210–211, 216, 218, 226, 260, 265, 267–268, 287, 290, 292, 296 Komplexität 1–2, 6–7, 10, 18, 25–26, 29, 51, 59, 98, 116, 120, 138, 149, 173, 219, 266, 269 Kompositionalitätsprinzip 127, 129 Konnektionismus 7, 13, 15–16, 36, 58, 83, 109–110

Konstruktion 2, 4, 6, 14, 42, 51, 59, 60, 68, 70, 76, 78, 82–83, 86–88, 92–93, 125, 131, 142, 145–146, 148–150, 152, 154–156, 160, 162, 164, 168–169, 191, 193–194, 200, 218, 223, 243, 245, 255, 259, 265–269, 281, 286, 302, 328 Konstruktionsgrammatik 23, 130, 148, 278, 280, 281, 284, 293 Konstruktivismus 2, 14, 23, 27, 35, 62–64, 67, 101, 132, 185, 219, 268 Kontextualisierung 35, 84, 91, 275 kontextuelles Wissen 191, 203, 205 Kontrolle 1, 16, 25, 60, 70, 106, 117, 231, 248, 257, 259, 262 Konzept 34, 52, 55, 79–80, 94, 96, 113, 116, 138, 146, 153, 155, 157–165, 168, 170, 203, 221, 233, 242, 246, 261, 291, 304–319 Konzeptualisierung 80, 106, 153 konzeptuelle Kontinuität 4, 30, 76–78, 85, 131 konzeptuelles Wissen 15, 23, 33, 48, 49, 51–52, 54–57, 59, 79, 83, 94, 98–99, 103–105, 108, 110–112, 114–115, 117, 131, 143, 220, 222, 295 Kulturwissenschaft 62, 64–65, 123, 273, 279, 284, 292, 295 L1-Erwerb 102, 169, 182 L2-Erwerb 90, 97, 102, 109, 127, 130, 134, 148, 168–169, 273 Langzeitgedächtnis 11, 16, 20, 26, 77–78, 84–85, 92, 104, 131, 182, 255, 260, 262 Lautes Denken 17, 143, 175, 181–182, 184, 196, 202, 230, 238, 255, 281, 284, 291 Lerneffekt 120, 231 Lernen 5, 14–15, 31, 66, 71, 78, 82, 120, 124, 127, 130, 149, 204, 278, 280–281, 286–287, 289–291 Leseerwerb 9–10, 134 Lesefähigkeit 9, 91, 97, 138–139 Leseprozess 16–17, 21, 85, 89, 91, 98, 125, 193, 243, 286 Leseverstehen XXI, 9–10, 14, 76, 90–92, 97–98, 118–121, 125, 143, 147, 216, 219, 287, 293

Stichwortverzeichnis 

Lexical Hypothesis 106 lexikalisches Wissen 54, 56, 87, 104, 108, 114, 126, 148, 160, 210–211 literacy 94, 271 lokale Kohärenz 2, 11, 126 mapping 6, 8, 28, 47, 51, 53–54, 56, 58, 88, 93–94, 104, 107–108, 110–111, 114–115, 119, 126, 131, 133–134, 142, 145–146, 151, 168, 170, 208, 210, 217–218, 220–221, 261, 267–270 Mehrsprachigkeit 90, 96, 97, 101, 103, 108, 273–274, 282, 287, 290, 293, 296 mentale Räume 29 mentale Repräsentation 3, 25, 27–29, 32, 36, 49, 51, 56, 76, 78–81, 83, 92, 102–103, 127, 150, 155–156, 160, 167, 169, 181, 195, 203, 205, 214–215, 219, 229, 242, 244, 261, 268, 281, 293 mentales Lexikon 22–23, 47, 97, 106, 108, 114, 170 Modell des Wortschatzerwerbs nach Jiang 114–117, 208–210, 283 Modified-Hierarchical-Model 111–112 modular 15, 47, 52, 57, 107–109 Native Speaker XXI–XXII, 55, 119, 129, 142, 149, 151–152, 155–167, 187–190, 224–226, 232, 266–267, 306, 310, 314, 318, 320 Netzwekstrukturen 18, 34, 51, 261 Netzwerkaktivierung 86, 220, 238 Neurolinguistik 15, 23 Non-Native Speaker XXI–XXII, 129, 151, 155–167, 304, 308, 312, 316, 320 online 54, 185, 201 Parsing 20–21 Partizipation 5, 9, 14, 61, 71, 86, 94, 118, 124–125, 130, 223, 260, 262–263, 268, 271, 280 Periphrase 128, 135, 137 Philologie XV, 62, 65, 67, 132, 283, 288 PISA 14, 94, 223, 271, 288 präverbale Botschaft 105

 337

processing 11, 15, 20, 85, 107, 110, 213, 276, 279 Proposition 79, 221 Psycholinguistik XIV, 20, 65, 101, 284 Referenzialisierung 54, 84 Referenzwelt 77, 85, 292 Revised-Hierarchical-Model 110–112 Rezeptionsprozess 59 Rezipient 2, 4, 6, 12, 18, 20–22, 25, 29–30, 32, 35, 39–40, 42, 61, 74, 76–78, 81–85, 87, 92–93, 119, 122–123, 130–132, 170, 218–219, 226, 229, 245, 257, 269 schematische Konstruktion 150, 154, 156–157, 159, 162, 164, 167, 266 Schwellenhypothese 89, 171, 207, 210, 267 scripts 11, 14, 28, 32, 33–34, 36, 81 Semantik 33, 35, 48, 50, 57, 67, 107, 122, 274, 275, 284, 289, 292, 293 semantische Repräsentation 15, 85, 102 semantisches Wissen 27, 53, 81, 108, 111, 116, 131 Sinnkonstruktion 59, 68, 119 Speicherformat 142, 150, 168, 266 sprachliche Muster 68–69 sprachliche Relativität 100–101, 222 sprachliches Zeichen 34, 74, 98 Sprachproduktionsmodell nach Levelt 104–108, 285 Sprachsystem 55, 57, 109, 114 Sprachverarbeitung XIII, 13, 15–17, 20–22, 26–27, 29, 36, 39, 51, 58, 80, 93, 104, 107, 110, 127, 182, 290 Sprachverstehen 12–13, 16, 20, 29, 35, 56, 171, 275 Sprechergemeinschaft 39, 86 substantive Konstruktion 150 Text XIII, 1–3, 7, 9–12, 14, 29, 31–32, 35–36, 38–39, 53, 60–61, 64, 67, 71–76, 78–79, 82–85, 87, 90, 92–93, 96–97, 119–122, 124–125, 129–131, 133–138, 140, 142, 143, 145, 150, 169–170, 172–174, 178–180, 187–189, 193, 199–200, 202, 204, 209–210, 213, 215–216, 218–222,

338 

 Stichwortverzeichnis

226–236, 238, 242, 245–247, 250, 252, 254–256, 259–260, 262–264, 265–266, 268–271, 273–274, 276–278, 280–281, 283–299, 322–323, 325 Textdaten 3, 12, 29, 82–83, 93, 123, 194, 200, 202, 204, 213, 220–221, 223, 229, 242, 244, 249–251, 257–260, 267 Textkompetenz 72, 125, 129, 265, 282, 289, 294 Textlinguistik 2, 6, 30, 35, 72, 75, 78–79, 269, 273–274, 278, 280–281, 291–293, 295 Textoberfläche 20, 73–74, 126, 128, 219, 265 Textreferent 85 Textsinn 92, 123, 135–136, 139, 140, 250, 259, 269, 292 Textverarbeitung XXI, 12, 22, 30, 35, 78, 82, 84, 121–122 Textverstehen XIII, XXI, 1, 2, 4, 6–7, 9–12, 14, 20–22, 26, 29, 30, 33, 36–37, 39, 48, 56, 58, 60, 64, 70–72, 76, 78–82, 84, 86–89, 92–94, 96, 98, 101, 104, 118–119, 121–123, 126, 129, 133, 135–136, 139–140, 145, 169, 171–172, 174, 185, 204, 207, 210, 213, 215–218, 220, 222, 232, 238, 240, 243, 254–255, 261, 265–267, 268, 270, 276, 280, 285–286, 290, 292–293 Text-Welt-Modell XIX, XXI, 2, 7, 11, 29, 78, 83–85, 88, 92–93, 131, 135, 142, 145–146, 170, 175, 180, 186, 193–198, 200, 205, 211, 215, 220, 232, 244–245, 250, 254–255, 259, 260, 265, 268 Textwissenschaft 65, 123, 288 Top-down-Prozess 12, 36, 82, 84, 213, 243, 245 Transfer 47, 55, 95, 108, 111, 115, 128, 170, 208, 216, 283, 285, 294

Validierung 47, 60, 257, 262–263 Verbalphrase XXI, 156–157, 159–160, 162–164 Vernetzung 171, 214 Verstehensbegriff 120, 122 Verstehensblockaden 71, 75, 126, 129, 131, 133, 137, 140, 276 Verstehensprozess 5, 12, 14, 17, 22, 27, 31, 37, 38, 40, 41, 55–56, 58, 61–62, 64–65, 68–69, 71, 79, 81–83, 85, 89, 91–92, 95, 117, 119–124, 133, 170–171, 173, 194, 202, 242–243, 260, 262 Vorwissen 2–3, 31–32, 35, 70, 78–79, 82–84, 91, 93–94, 119, 123, 133, 142, 217–218, 222–223, 229–230, 234–236, 242, 244–245, 249–250, 253, 255, 257–258, 260, 262, 268, 328 Weltwissen 3, 5, 12, 16, 33, 47, 51, 55, 74, 76, 85, 96, 104, 191, 193–194, 197, 200, 203–206, 215, 217, 220, 244, 259–260, 293 Wirklichkeit 9, 39, 50, 63, 66–67, 69, 246, 275, 286, 290, 292, 294 Wissensebene 58, 74, 95, 117, 131, 217, 263, 266, 268, 270 Wissenserwerb 14, 16, 25, 29, 31, 78, 84, 292 Wissensformat 30, 260 Wissensorganisation 28, 56, 83 Wissensverarbeitung 29, 93, 123 Worterschließungsstrategie XXI, 173–175, 194, 196–198, 202, 242, 321 Wortschatz 121, 147, 169, 172, 203, 207, 209, 287 Zeichentheorie 23, 39–40, 42, 44, 283 Zweitspracherwerb 102, 280