Frei werden von der Vergangenheit: Trauma-Selbsthilfe nach der EMDR-Methode 9783641113841, 3641113849

Die Vergangenheit hinter sich lassen Gleich, ob kleinere Brüche im Leben oder massive Traumatisierungen: Schmerzhafte Er

1,123 197 2MB

German Pages 416 [418] Year 2013

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Frei werden von der Vergangenheit: Trauma-Selbsthilfe nach der EMDR-Methode
 9783641113841, 3641113849

Table of contents :
Inhalt
1. Auf Automatik laufen Wie unbewusste Erinnerungen unser Leben steuern
2. Geist, Gehirn und worauf es ankommt Wie wir Erfahrungen verarbeiten
3. Ist es das Klima oder das Wetter? Chronische und vorübergehende Schwierigkeiten
4. Wer steuert hier wen? Die Erinnerungen aufdecken, die uns triggern
5. Die verborgene Landschaft Wie sich Probleme entwickeln
6. Ich würde ja, wenn ich könnte Umgang mit Ängsten und Unsicherheit
7. Die Beziehung zwischen Körper, Geist und Gehirn Die körperlichen Auswirkungen von Stress und Trauma
8. Was willst du von mir? Probleme in Beziehungen
9. Ein Teil des Ganzen Gewalt, Süchte, sexueller Missbrauch
10. Von gestresst zu mehr als gesund Wie Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden wachsen können
11. Nach Hause kommen Eingebunden in eine größere Gemeinschaft
Dank
Anhang A Glossar und Selbststeuerungsübungen
Anhang B Eine Therapeutin oder einen Therapeuten finden
Anhang C EMDR: Ergebnisse der Traumaforschung und weiterführende Literatur
Anhang D Ausgewählte Fachliteratur
Über die Autorin

Citation preview

FRANCINE SHAPIRO

Frei werden von der Vergangenheit Trauma-Selbsthilfe nach der EMDR-Methode Aus dem Amerikanischen von Karin Petersen, Berlin

Kösel

Titel der Originalausgabe: Getting Past Your Past. Take Control of Your Life with Self-Help Techniques from EMDR Therapy Published by Rodale, New York, NY

Für meinen geliebten Mann Bob Welch

Copyright © 2012 by Francine Shapiro, PhD Copyright © für die deutsche Ausgabe 2013 Kösel-Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlag: Monika Neuser, München Umschlagmotiv: fotolia© Zffoto ISBN 978-3-641-11384-1 Weitere Informationen zu diesem Buch und unserem gesamten lieferbaren Programm finden Sie unter www.koesel.de

Inhalt

1. Auf Automatik laufen Wie unbewusste Erinnerungen unser Leben steuern 2. Geist, Gehirn und worauf es ankommt Wie wir Erfahrungen verarbeiten 3. Ist es das Klima oder das Wetter? Chronische und vorübergehende Schwierigkeiten 4. Wer steuert hier wen? Die Erinnerungen aufdecken, die uns triggern 5. Die verborgene Landschaft Wie sich Probleme entwickeln 6. Ich würde ja, wenn ich könnte Umgang mit Ängsten und Unsicherheit 7. Die Beziehung zwischen Körper, Geist und Gehirn Die körperlichen Auswirkungen von Stress und Trauma 8. Was willst du von mir? Probleme in Beziehungen 9. Ein Teil des Ganzen Gewalt, Süchte, sexueller Missbrauch 10. Von gestresst zu mehr als gesund Wie Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden wachsen können

11. Nach Hause kommen Eingebunden in eine größere Gemeinschaft Dank Anhang A Glossar und Selbststeuerungsübungen Anhang B Eine Therapeutin oder einen Therapeuten finden Anhang C EMDR: Ergebnisse der Traumaforschung und weiterführende Literatur Anhang D Ausgewählte Fachliteratur Über die Autorin

1. Auf Automatik laufen Wie unbewusste Erinnerungen unser Leben steuern

Warum gerät eine schöne, intelligente Frau ständig an die falschen Männer und wirft sich, wenn diese sich von ihr trennen wollen, vor ihnen auf den Boden, umklammert ihre Knie und fleht sie an, sie nicht zu verlassen? Ben ist ein erfolgreicher Geschäftsmann. Warum ist er immer dann, wenn er eine Präsentation halten muss, starr vor Angst? Sophia probiert seit Jahren einen Therapeuten nach dem anderen aus, weil sie wissen will, warum sie sich fast ständig bedroht fühlt, Angst vor dem Verlassenwerden und eine Essstörung hat. Am merkwürdigsten ist, dass ihr immer wieder Bilder von der Farbe Rot und einer Kerze kommen. Das alles ergibt für sie keinen Sinn, passiert ihr aber schon, so lange sie denken kann. Interessanterweise gibt es für alle diese Probleme eine Erklärung, die mit der Funktionsweise unseres Gehirns zusammenhängt. In diesem Buch erforschen wir die Ursachen für derartige Schwierigkeiten wie auch die Schritte, die wir zu ihrer Überwindung tun können. Warum wir leiden Tatsache ist, dass es uns allen hin und wieder schlecht geht. Ständig erleben wir Situationen, die uns zu schaffen machen. Doch sollten wir auch dann noch leiden, wenn das entsprechende Erlebnis in der Vergangenheit liegt, dann deswegen, weil die Verdrahtung unseres Gehirns unseren Geist beeinflusst. Machen Sie einmal folgendes Experiment, um das selbst zu

überprüfen. Ich gebe Ihnen einen Satz vor, und Sie schauen, was Ihnen dazu als Erstes in den Sinn kommt: Rosen sind rot. Die Chancen stehen gut, dass Menschen, die in den Vereinigten Staaten aufgewachsen sind, dazu als Erstes einfällt: Veilchen sind blau. [Anm. des Verlags: Es handelt sich um einen beliebten Kinderreim, der lautet: »Roses are red, violets are blue, sugar is sweet, and so are you.« Dieser Reim ist in Amerika ebenso bekannt wie bei uns zum Beispiel »Hoppe, hoppe Reiter« oder »Heile, heile Segen«.] Diese Reaktion ist fast schon ein Reflex, ähnlich dem Kniescheibenreflex, und sie zeigt einen wichtigen Zusammenhang auf, denn mentale Reaktionen beruhen auf körperlichen Vorgängen. Ihr Gehirn ist so programmiert, dass es genauso reagiert wie Ihr restlicher Körper. Ganz gleich, wie alt Sie sind oder welches Geschlecht Sie haben, wenn jemand an einer bestimmten Stelle auf Ihr Knie schlägt, schnellt es vor. Ähnlich automatisch reagiert Ihr Geist, ganz gleich, welche Absicht Sie haben. Wann haben Sie diesen oder einen vergleichbaren Kinderreim zum letzten Mal gehört? Wenn Sie nicht mit kleinen Kindern zusammenleben, wahrscheinlich vor vielen, vielen Jahren. Trotzdem kommen Ihnen, nachdem Sie die erste Zeile eines bekannten Reims gehört haben, die nächsten Worte automatisch in den Sinn. Solche automatischen Reaktionen können wunderbar und nützlich sein. Sie zeigen, wie stark unser Geist uns beeinflusst – aber nicht immer erweist er uns gute Dienste. Schauen wir uns die beiden Sätze einmal näher an. Die Reaktion von Menschen in den USA auf Rosen sind rot ist keine überlegte Einschätzung der Bedeutung dieser Worte. Ihr Geist reagiert automatisch, als wäre diese Aussage wahr. Aber Rosen sind nicht immer rot. Es gibt auch gelbe, rosafarbene, violette, ja Rosen in fast allen Farben. Trotzdem scheint der

Satz, ohne dass wir ihn hinterfragen, auf den ersten Blick richtig zu sein. Und was ist mit dem zweiten? Veilchen sind blau. Stimmt das wirklich? Nein, tatsächlich sind Veilchen violett. Aber diese Zeile kommt Amerikanern in den Sinn, ganz gleich, ob sie stimmt oder nicht. Wahrscheinlich macht der Satz weder Sie noch die meisten Amerikaner traurig. Doch können derartige automatische Reaktionen – wie hier die Komplettierung des Kinderreims – eine ganze Reihe von Problemen verursachen, die uns unglücklich machen und Familien und Gemeinschaften zerstören. Die gleichen Prozesse von Geist beziehungsweise Gehirn, die es uns ermöglichen, einen Reim zu ergänzen oder Lieder mitzusingen, die wir seit 20 Jahren nicht gehört haben, können Depressionen, Liebeskummer und manchmal auch körperliche Schmerzen auslösen. Dieser Kinderreim hat uns aber noch mehr zu sagen. Auf die beiden ersten Verse Rosen sind rot, Veilchen sind blau folgen die Zeilen Zucker ist süß, und das bist auch du. Ein schönes Gefühl kommt hier zum Ausdruck, das sich ebenfalls fast automatisch einstellt. Doch wissen wir alle, dass Zucker zwar süß ist, Menschen aber sehr viel komplizierter sind. Jeder von uns ist eine Mischung aus süß, sauer und sämtlichen nur denkbaren Geschmacksrichtungen. An irgendeinem Punkt im Leben ist jede und jeder von uns ärgerlich, traurig, eifersüchtig, bitter, verletzt, unsicher, glücklich oder liebenswürdig. Und wenn wir das sind, verhalten wir uns auch entsprechend. Den einen Augenblick schätzen wir unseren Partner oder unsere Partnerin und könnten ihn oder sie ständig küssen. Und schon am nächsten Tag bringt uns derselbe Mensch dazu, dass wir vor Wut explodieren und ihn frustriert anschreien könnten. Wir können also festhalten, dass manches von dem, was wir als Heranwachsende gelernt haben, stimmt, anderes jedoch nicht. Als Kinder

können wir zwischen beidem oft nicht unterscheiden, und häufig ist das, was wir für wahr halten – wie unsere Überzeugung, minderwertig zu sein, weil man uns eingeschüchtert oder zurückgewiesen hat, oder für die Scheidung unserer Eltern verantwortlich zu sein –, einfach eine falsche Wahrnehmung. Trotzdem haben die mit diesen Erfahrungen verbundenen Überzeugungen Auswirkungen und kommen unser ganzes restliches Leben lang automatisch hoch, ohne unserer bewussten Kontrolle zu unterliegen. Jede Erfahrung, die wir in unserem Leben gemacht haben, wird zu einem Baustein für unsere innere Welt und steuert unsere Reaktionen auf sämtliche Ereignisse und Personen, die uns in unserem Leben widerfahren beziehungsweise begegnen. Wenn wir etwas »lernen«, wird diese Erfahrung in Netzwerken von Gehirnzellen, die wir »Neuronen« nennen, körperlich abgespeichert. Diese Netzwerke formen unseren unbewussten Geist ganz real, denn sie bestimmen, wie unser Gehirn die Welt interpretiert, und sie steuern, wie wir uns von Augenblick zu Augenblick fühlen. Unsere Erinnerungen umfassen Erfahrungen, die wir vor vielen Jahren gemacht haben, und unserem bewussten Verstand ist oft nicht klar, dass diese Erlebnisse immer noch Auswirkungen auf uns haben. Doch weil diese Erinnerungen im Gehirn körperlich gespeichert sind, kommen sie unkontrolliert hoch, wie zum Beispiel in Form der automatischen Reaktion auf den Satz Rosen sind rot, und färben auch unsere Sicht jeder neuen Situation, der wir begegnen. Sie können bewirken, dass wir uns unattraktiv finden, obwohl das nicht stimmt, oder uns deprimiert fühlen, wenn alle um uns herum fröhlich sind. Und sie können uns heftigen Liebeskummer bereiten, wenn ein Mensch uns verlässt – auch wenn uns bewusst ist, dass diese Person uns überhaupt nicht guttut und es ein großer Fehler wäre, die Beziehung fortzusetzen. Im Grunde genommen stellen viele der Gefühle

und Verhaltensweisen, die unsere Lebensfreude trüben, Symptome dar, die aus diesem Gedächtnissystem stammen, das unser Unbewusstes gestaltet. Greifen wir das anfängliche Beispiel noch einmal auf: Warum wählt eine schöne, intelligente Frau ständig die falschen Männer und wirft sich, wenn diese sich von ihr trennen wollen, vor ihnen auf den Boden, umklammert ihre Knie und fleht sie an, sie nicht zu verlassen? Es fällt Justine nicht weiter schwer, einen Freund zu finden. Ihr Problem ist, die Beziehung zu halten. Inzwischen 25 Jahre alt, wählt sie meistens Männer mit irgendeinem »Haken«, die emotional verschlossen sind. Schon bald, nachdem sie die Beziehung eingegangen ist, beginnt sie zu klammern, und schließlich trennt sich ihr Freund von ihr. Wenn das passiert, weint sie hysterisch, fällt auf die Knie, umklammert mit ihren Armen die Beine des Mannes und fleht ihn an, bei ihr zu bleiben. In der Therapie verfolgten wir die Ursache für dieses Verhalten zurück bis zu einem Ereignis, das an einem Sonntagabend passierte, als Justine sechs Jahre alt war. Damals lebte sie mit ihren Eltern in einem zweistöckigen Haus. An jenem Abend tobte ein schwerer Sturm, der ihr große Angst machte, und so begann sie oben in ihrem Schlafzimmer zu weinen und nach Mutter und Vater zu rufen. Ihre Eltern saßen jedoch in der Küche im Erdgeschoss. Der Sturm übertönte Justines Rufen, die Eltern hörten sie nicht. So kamen sie auch nicht, um sie zu beruhigen, und schließlich weinte das Kind sich in den Schlaf. Wie kann eine so alltägliche Situation verantwortlich für die Probleme dieser jungen Frau sein? Wir alle haben in unserer Kindheit heftige Stürme oder Gewitter erlebt, doch nur für einige von uns hatte das negative Folgen. Die genaueren Gründe dafür werden wir in späteren Kapiteln erforschen. Für jetzt reicht es zu wissen, dass wir, wenn wir negative Reaktionen und Verhaltensweisen aus der Gegenwart direkt bis zu früheren Erinnerungen zurückverfolgen können, diese als »unverarbeitet« definieren – das heißt,

sie sind im Gehirn so abgespeichert, dass sie immer noch mit den Emotionen, körperlichen Empfindungen und Überzeugungen verbunden sind, die wir vor vielen Jahren hatten. In jener stürmischen Nacht hatte Justine als Kind panische Angst und glaubte, in Gefahr zu sein. Ihre Eltern kamen nicht, als sie nach ihnen rief, was ihr das Gefühl vermittelte, im Stich gelassen zu werden in einem Moment, in dem sie die beiden wirklich brauchte. Diese Erinnerung, die in ihrem Gehirn zusammen mit der großen Angst der Sechsjährigen abgespeichert wurde, wird immer dann ausgelöst, wenn ein Partner sie verlässt. An diesem Punkt verhält sie sich nicht mehr wie eine erwachsene und kompetente 25-jährige Frau, sondern wie das verängstigte kleine Mädchen, das im Dunkeln allein gelassen wurde. Der Zusammenhang ist evident, da Sturm und Trennung beide mit dem Gefühl von Einsamkeit und Verlassenheit einhergehen. Aus diesem Grund erlebt Justine Trennungen unbewusst als »große Gefahr«. Wir alle erleben solche Zusammenhänge ständig. Sie sind meistens auch der Grund für all die typischen Eigenarten, die wir an uns und den Menschen in unserem Leben lieben oder hassen, und zeigen, wie unser Gehirn versucht, sich aus der Welt, in der wir leben, einen Reim zu machen. Das Aufspüren dieser Gedächtnisverbindungen ist allerdings nur der erste Schritt, um unser Denken, Verhalten und Fühlen zu verändern. Wir müssen nicht nur verstehen, woher etwas kommt, sondern auch wissen, was wir dagegen unternehmen können. In diesem Buch erforschen wir, wie wir herausfinden, welche Erinnerungen unseren persönlichen Problemen und unseren Beziehungsschwierigkeiten zugrunde liegen, was wir tun können, um diese selbst zu überwinden, und wie wir erkennen, wann wir uns dafür professionelle Unterstützung suchen sollten. Wir werden auch einen gründlichen Blick auf die Funktionsweise unseres Geistes werfen, das heißt auf die komplexen Verbindungen, die unser

Bewusstsein gestalten. Hierzu greife ich zurück auf Beispiele, die einige der über 70.000 Therapeutinnen und Therapeuten beigesteuert haben, die weltweit eine Therapieform anwenden, welche als EMDR bekannt ist (englisch: Eye Movement Desensitization and Reprocessing, deutsch: Desensibilisierung und Neuverarbeitung durch Augenbewegung). Diese Therapie hat im Laufe der letzten 20 Jahre Millionen von Personen geholfen, und viele von ihnen berichten in diesem Buch detailliert von ihren Erfahrungen, weil sie dazu beitragen möchten, den Prozess, wie Menschen sich verändern können, zu »entmystifizieren«. Die Forschung hat gezeigt, dass bereits durch eine einzige EMDR-Verarbeitungssitzung tiefgreifende Veränderungen erfolgen können. Die Klienten, die in diesem Buch von ihren Erfahrungen berichten, öffnen uns damit ein »Fenster zum Gehirn«, denn die Verbindungen, die sie herstellen konnten, geben uns Antworten auf die Frage, warum wir alle auf unsere ganz einzigartige Weise auf diese Welt reagieren. Die EMDR-Therapie fokussiert die unverarbeiteten Erinnerungen, welche die negativen Emotionen, Empfindungen und Überzeugungen enthalten. Durch Aktivierung des Informationsverarbeitungssystems des Gehirns (das ich in Kapitel 2 näher erläutere) können die alten Erinnerungen »verdaut« werden. Das heißt, wir lernen, was nützlich ist, verabschieden, was unnütz ist, und speichern die Erinnerungen dann so ab, dass sie uns nicht länger schaden. So hat Justines Therapeut zum Beispiel den Gewittersturm anvisiert und das von Justine damit verbundene Gefühl, allein und in Gefahr zu sein. Als Justine die Erinnerung an den Sturm erst einmal verarbeitet hatte, verschwand das kindliche Gefühl des Entsetzens und wurde ersetzt durch das Gefühl, in Sicherheit zu sein, und die Überzeugung, als Erwachsene selbst für sich sorgen zu können. Parallel dazu lösten sich auch ihre Beziehungsprobleme auf, da ihr neues Selbstgefühl dazu führte,

dass sie andere Partner wählte. Hätten Justines Eltern sie missbraucht oder vernachlässigt, hätte sie sich in der Therapie natürlich noch mit weiteren Erinnerungen auseinandersetzen müssen. Aber ganz gleich, wie viele schwierige Erinnerungen eine Klientin oder ein Klient haben mag, suchen wir bei dieser Form von Therapie grundsätzlich einen solchen Zugang zum »Unbewussten«, dass in den Verarbeitungssitzungen schnelle Einsichten, Verbindungen und Veränderungen möglich werden. Was ist der unbewusste Geist? Die meisten Menschen denken beim Unbewussten an die Psychoanalyse und Filme, welche die freudsche Sicht von psychischen Konflikten sowie symbolische Träume und Gesten behandeln. Aus psychoanalytischer Sicht ist für eine erfolgreiche Behandlung generell eine jahrelange Redetherapie und »Durcharbeitung« der Probleme erforderlich, um Einsichten zu gewinnen und die Kräfte, die im Verborgenen arbeiten, in den Griff zu bekommen. Eine solche Therapie kann sehr wertvoll sein, doch gilt es zu bedenken, dass Freud seine ersten Schriften zu Beginn des letzten Jahrhunderts veröffentlichte und sich seitdem vieles verändert hat. In den vergangenen Jahrzehnten gab es viele neue Vorstöße auf dem Gebiet der neurobiologischen Technologien, die unser Verständnis davon, wie diese »inneren Kräfte« tatsächlich beschaffen sind, grundlegend erweitert haben. Die Erforschung des Unbewussten, wie wir sie in diesem Buch verfolgen, basiert auf der Funktionsweise des Gehirns selbst. Wenn wir verstehen, wie unsere Erfahrungen das physische Fundament für unsere emotionalen und physischen Reaktionen bilden, wissen wir auch, warum wir bisweilen mental »festgefahren« sind und automatisch reagieren, und was wir dagegen unternehmen können. Nehmen wir zum Beispiel unseren zweiten Fall:

Ben ist ein erfolgreicher Geschäftsmann. Warum ist er immer dann, wenn er eine Präsentation halten muss, starr vor Angst? Er selbst beschreibt seine Situation mit folgenden Worten: »So lange ich denken kann, habe ich Angst, vor Menschen zu stehen und etwas darstellen oder vermitteln zu müssen. Meine Hände beginnen zu schwitzen, die Stimme rutscht mir weg, mein Herz rast, und ich denke Dinge wie: ›Ich bin ein Idiot. Ich kann das einfach nicht. Alle hassen mich.‹ Manchmal hatte ich so heftige Angst, als stünde mein Leben auf dem Spiel. Klingt lächerlich, aber genauso war es. In meiner Schulzeit gehörten öffentliche Auftritte und Vorträge einfach zum Stundenplan. Und in meinem Beruf ist es genauso. Irgendwie habe ich mich da immer durchgemogelt, aber angenehm war das nie. Tatsächlich habe ich vor und nach jedem dieser ›Auftritte‹ gelitten. Ich bin mit nahestehenden Menschen vorher immer alles ganz genau durchgegangen, was für die natürlich auch keine wirkliche Freude war. Aber was ich auch versuchte, wirklich besser wurde es nicht. Ich habe viele unterschiedliche Therapien ausprobiert. Manchmal schien es ein wenig besser zu gehen, doch dann kamen die Ängste mit voller Wucht zurück.« Ben begann eine EMDR-Therapie und konnte durch Anwendung der verschiedenen Verfahren, die wir in diesem Buch noch kennenlernen werden, die Ursache für seine Probleme herausfinden und seine Reaktionen ändern. Dabei entdeckte er Folgendes: »Es stellte sich heraus, dass meine Schwierigkeiten auf ein Ereignis zurückgingen, das passierte, als ich knapp vier Jahre alt war. Damals ging ich mit meinem Großvater auf dessen Farm in North Carolina spazieren. In meiner Erinnerung schaue ich nach oben wie ein ganz kleines Kind. Ich weiß nicht mehr, ob ich vor meinem Großvater munter drauflos plapperte, aber wenn ich den Berichten meiner Familie Glauben schenken kann, tat ich wahrscheinlich genau das. Auf der

Straße begegneten wir einem merkwürdigen alten Mann, der gebückt daherkam und uns ärgerlich ansah. Ich weiß noch, ihm wuchsen Haare in seinen großen Nasenlöchern und er sagte im langgezogenen Dialekt der Bergbewohner: ›Na, aber hallo, wenn mich ein junges Ding so vollplappern würde wie der da, würde ich ihn im Fluss ersäufen.‹ Ich versteckte mich hinter den Beinen meines Großvaters, lugte hoch in die Nasenlöcher des Mannes und verstummte. Ich wusste, dass ungewollte Katzenjunge tatsächlich ›im Fluss ersäuft‹ wurden. Es war also offensichtlich gefährlich, vor Fremden einfach drauflos zu plappern.« Dieser Augenblick des Entsetzens im Leben des Kindes legte das Fundament für sein späteres Problem. Die Erinnerung daran wurde in seinem Gehirn abgespeichert und bildete die Grundlage für sein späteres Versagen: »Meine erste Inhaltsangabe verfasste ich in der dritten Klasse und trug sie meiner geliebten Frau Kneenor vor, einer jungen, hübschen Lehrerin in ihrem ersten Berufsjahr. Ich mochte Frau Kneenor sehr und war stolz darauf, dass meine Inhaltsangabe drei Seiten lang war. Ich hatte mir große Mühe damit gegeben. Ich stotterte ein wenig, was insgesamt ein halbes Jahr anhielt, bevor es ebenso mysteriös verschwand, wie es angefangen hatte. Meine Eltern waren sehr einfühlsam damit umgegangen, und ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich deswegen schämte. In meinen Tagträumen hatte ich mir vorgestellt, wie Frau Kneenor mich vor der ganzen Klasse für meinen großartigen Vortrag lobte. Stattdessen blieb Frau Kneenor hinten in der Klasse stehen und konnte die ganze Zeit, während sie mir zuhörte, das Lachen nicht unterdrücken. Ich mühte mich ab mit meinem Vortrag und stotterte immer stärker, während ich dachte: ›Du bist ein Idiot.‹ Zwei Jahre später beschloss man im letzten Moment, mich in einem Schultheaterstück mitspielen zu lassen. Mitten im ersten Akt vergaß

ich meinen Text. Starr vor Entsetzen stand ich auf der Bühne und dachte: ›Alle hassen mich jetzt. Ich habe alles verdorben. Ich bin ein Idiot.‹« Beachten Sie, dass Ben 40 Jahre später, als er eine Präsentation halten musste, die gleichen Gedanken durch den Kopf gingen: »Ich bin ein Idiot. Ich kann das nicht. Alle hassen mich.« Vor der EMDR-Therapie hatte er keine Ahnung, warum er so fühlte und dachte. Er verfügte weder über ein visuelles Bild von der Farm seines Großvaters noch von der Inhaltsangabe, die er vor seiner Klasse hielt, oder der Theateraufführung in der Schule – die damit verbundenen Gefühle und Gedanken kamen ihm einfach. Das war seine automatische Reaktion auf einen äußeren Auslöser oder Trigger, so wie uns auf »Alle meine Entchen« automatisch der Satz »schwimmen auf dem See« einfällt. Nichts existiert in einem Vakuum. Reaktionen, die wir für irrational halten, sind oft genau das. Aber irrational heißt nicht, dass es keine Gründe für diese Reaktionen gibt, sondern dass sie aus einem Teil unseres Gehirns kommen, der nicht vom rationalen Verstand gesteuert wird. Die automatischen Reaktionen, die unsere Emotionen steuern, beruhen auf neuronalen Assoziationen in unseren Gedächtnisnetzwerken, die unabhängig von unseren höheren Verstandeskräften arbeiten. So können Sie sich selbst manchmal nur erstaunt dabei zuschauen, wie Sie Dinge tun, von denen Sie wissen, dass Sie sie später bereuen werden, sich zu Menschen hingezogen fühlen, die Ihnen nicht guttun, sich von jemandem verletzt fühlen, den Sie gar nicht schätzen, ohne besonderen Grund einen geliebten Menschen anschreien oder nicht imstande sind, eine depressive Verstimmung abzuschütteln, die durch scheinbare Belanglosigkeiten ausgelöst wurde. Das alles ist irrational, aber verständlich, und, noch wichtiger: Wir können etwas dagegen unternehmen. Zwar spielen auch unsere Gene dabei eine wichtige Rolle, doch die eigentliche Ursache für

unser Leiden liegt gewöhnlich darin, wie unsere Erinnerungen an frühere Ereignisse im Gehirn abgespeichert worden sind – und genau das können wir verändern. Glücklicherweise sind angemessen abgespeicherte Erinnerungen auch die Grundlage für Freude und geistige Gesundheit. Später werden wir uns noch gründlicher anschauen, wie unser Gehirn und unser Gedächtnis arbeiten. Wir sitzen alle im gleichen Boot Wir alle pendeln in unserem Leben zwischen Leid und Glück, Krankheit und Gesundheit. Manche von uns sind in Familien aufgewachsen, die zu unseren Schwierigkeiten beitrugen, andere wurden von ihrer Familie liebevoll unterstützt. Und so reichen auch unsere Lebenserfahrungen von den üblichen Demütigungen in der Kindheit, von Versagen, Ablehnung und Streit bis zu schweren Erlebnissen, die eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) auslösen können, wie Unfälle, körperlicher, sexueller oder emotionaler Missbrauch, Kriegserlebnisse oder Naturkatastrophen. Bei der Diagnose PTBS zeigen die Betroffenen darüber hinaus Symptome wie zwanghaft wiederkehrende Gedanken, Schlafstörungen, wie Albträume oder andere Wiederholungsträume, Ängste, Übererregtheit, sodass sie hypersensibel auf Gefahren reagieren und bei lauten Geräuschen aufspringen, oder eine Art »Betäubtheit«, bei der sie sich ganz verschließen und nicht mehr mit ihrer Umgebung in Kontakt sind. Außerdem halten sie sich von allem fern, was sie an das Erlebnis erinnern könnte, das sie traumatisiert hat, obwohl Gedanken daran trotzdem ständig hochkommen. Menschen mit einer PTBS haben negative Erfahrungen so im Gehirn gespeichert, dass es zu heftigen Störungen kommt. Denkt etwa ein Kriegsveteran mit einer PTBS an ein drei Jahre zurückliegendes Ereignis

im Irak oder in Afghanistan, spürt er es noch immer in seinem Körper, begleitet von den Gedanken und Bildern von damals. Ein Veteran aus Vietnam denkt vielleicht an Kriegserfahrungen, die mehr als 30 Jahre zurückliegen, und erlebt diese so, als ob sie heute passierten. Ein Marinesoldat, der viele Einsätze gefahren ist und viele Menschen hat sterben sehen, kann sich vom Tod eines bestimmten Soldaten verfolgt fühlen. Immer wenn er daran denkt, verspürt er die gleiche Hilflosigkeit, den gleichen Schmerz, den gleichen Kummer und die gleiche Wut wie damals und reagiert mit diesen Emotionen auf seine Umwelt. Ähnlich präsent ist die Vergangenheit bei Menschen, die vergewaltigt oder sexuell belästigt wurden und eine PTBS entwickelt haben – egal, ob das Ereignis ein Jahr oder 50 Jahre zurückliegt. Wenn sie an diese Vorfälle denken, kann es sich anfühlen, als ob sie genauso wieder passierten; möglicherweise sind die Betroffenen auch in der Gegenwart bestimmter Menschen oder an bestimmten Orten voller Befürchtungen und Ängste. Doch ganz gleich, wie lange etwas zurückliegt und wie lange die Symptome bereits existieren – solche Zustände müssen nicht anhalten. Die Forschung weist, was das betrifft, in eine eindeutige Richtung. Und auch wenn für die formale Diagnose einer PTBS ein schweres Trauma wie ein Raubüberfall oder andere Gewalttaten vorliegen müssen, haben jüngste Untersuchungen gezeigt, dass alltägliche Schwierigkeiten, wie Beziehungsprobleme oder Arbeitslosigkeit, ebenso viele und manchmal sogar noch mehr Symptome einer PTBS hervorrufen können. Das ist für uns alle von grundlegender Bedeutung, denn es zeigt, dass sich weder die auslösenden Ereignisse noch die Symptome klar separieren lassen. Ähnlich wie Menschen, die an einer PTBS leiden, haben wir alle uns schon einmal ängstlich, erschrocken, schreckhaft oder von anderen Menschen abgeschnitten gefühlt, konnten bestimmte Gedanken einfach

nicht abstellen, hatten Schuldgefühle oder aufwühlende Träume. Manchmal beruhen diese Reaktionen auf einer aktuellen Situation, die wir uns näher anschauen oder die wir aufklären müssen, um sie bewältigen zu können. Manchmal verschwinden die Symptome auch, sobald die Situation vorbei ist. Doch viele von uns haben diese Gefühle häufig und ohne ersichtlichen Grund. Das ist im Allgemeinen ein Anzeichen dafür, dass ihnen unverarbeitete Erinnerungen zugrunde liegen. Diese Erinnerungen können wir identifizieren und behandeln. Ganz gleich, durch welche hartnäckigen negativen Emotionen, Überzeugungen oder Verhaltensweisen Sie sich gestört fühlen, wichtig ist, sich klarzumachen, dass diese nicht die Ursache Ihres Leidens sind, sondern Symptome. Die Ursache sind wahrscheinlich die Erinnerungen, auf die sie zurückgehen. Unsere Erinnerungen bilden die Basis für negative Symptome wie auch für unsere mentale Gesundheit. Der entscheidende Unterschied besteht darin, wie sie im Gehirn abgespeichert werden. Bleiben die entsprechenden Erlebnisse unverarbeitet, treiben sie uns zu übertriebenen Reaktionen und Verhaltensweisen, mit denen wir uns selbst oder die Menschen in unserem Leben verletzen. Sind sie »verarbeitet«, können wir uns so verhalten, dass es uns selbst und den Menschen in unserem Leben nützt. Warum ich? Wer von den eigenen Eltern nie unterstützt oder von ihnen sogar missbraucht wurde, ahnt wahrscheinlich bereits, worauf die Schwierigkeiten in seinem Leben zurückgehen. Andere haben Geschichten von wirklich gestörten Familien und schrecklichen Kindheiten gelesen oder gehört und denken: »Das gilt nicht für mich. Ich hatte eine gute Kindheit und kann mir die Gefühle, die ich ständig habe, einfach nicht erklären.« Doch selbst in den liebevollsten Familien, die glauben, für uns das Beste zu

tun, können wir uns in einem Netz von Symptomen und Schmerz verfangen, ohne die Gründe dafür zu verstehen. Und manchmal kann die Suche nach Antworten in der Therapie uns in die Irre führen, weil der Therapeut nicht genau weiß, wie das menschliche Gedächtnis arbeitet. Lassen Sie uns, um das zu verdeutlichen, noch einmal einen Blick auf unser drittes Beispiel werfen: Warum fühlt sich Sophia fast ständig bedroht, hat Verlassenheitsängste und eine Essstörung? Am merkwürdigsten ist, dass ihr immer wieder Bilder von der Farbe Rot und einer Kerze kommen. Das alles ergibt für sie keinen Sinn, passiert ihr aber schon, so lange sie denken kann. Sophia probierte jahrelang einen Therapeuten nach dem anderen aus. Es gibt über 100 verschiedene Therapieformen, und jeder Therapeut bringt seine eigene Sicht der Dinge ein, was auch die jeweilige Behandlungsmethode beeinflusst. Manchmal ist es für Menschen schwer, die richtige Behandlung und damit die richtige Therapeutin zu finden. Erschwerend hinzukommen kann, dass manche stark aufwühlenden Erlebnisse in der Kindheit die Verarbeitungsfähigkeit des Gehirns überfordern und entweder überhaupt nicht gespeichert oder aber abgespalten werden, sodass die betreffende Person sie nicht erinnern kann. Das traf auch auf Sophia zu. Nach jahrelanger Therapie ohne nachhaltige Veränderung ihrer Symptome geriet Sophia an eine weitere Therapeutin, die ohne Erfolg mehrere Methoden ausprobierte. Da Sophia keine Ahnung hatte, worauf ihre Schwierigkeiten zurückgingen und warum sie unter Verlassenheitsängsten, Beziehungsschwierigkeiten, Essstörungen, Panik und anderen Ängsten litt, sagte ihre Therapeutin zu ihr: »Das klingt wirklich nach sexuellem Missbrauch.« Da in den Bildern, die Sophia wiederkehrend kamen, die Farbe Rot und eine Kerze auftauchten, vermutete die Therapeutin außerdem, es könne sich um einen rituellen Missbrauch

handeln, möglicherweise einen Satanskult. Sie können sich vielleicht vorstellen, wie diese Überlegungen Sophias Ängste noch verstärkten. Zwei Jahre lang erforschten sie ihre Lebensgeschichte, ohne entsprechende Erinnerungen finden zu können. Da es ihr immer noch schlecht ging, suchte Sophia schließlich eine weitere Therapeutin auf, die sie mit der EMDR-Methode bekannt machte. Weil Sophia sich nicht an Erlebnisse erinnerte, die sie mit den Gefühlen von Bedrohung und Furcht sowie ihren Verlassenheitsängsten und ihrer Essstörung bewusst in Verbindung bringen konnte, visierte die Therapeutin die Symptome an, die mit den ihnen zugrunde liegenden Erinnerungen wahrscheinlich am unmittelbarsten in Zusammenhang standen: dem Bild von der Farbe Rot und der Kerze. Nach gründlicher Vorbereitung tauchten in dieser Verarbeitungssitzung Bilder aus Sophias Kindheit auf. Sie sah sich selbst im Alter von etwa fünf Jahren. Es war ihr Geburtstag. Ihr Vater schenkte ihr eine Duftkerze für ihr Zimmer, und dann fuhren sie mit dem Wagen zu ihrem Geburtstagsessen. Während sie so dahinfahren und zusammen Geburtstagslieder singen, ignoriert ein Auto die rote Ampel und prallt gegen ihren Wagen. Ihr Vater stirbt bei diesem Unfall. Durch die Tatsache, dass Sophias Vater auf dem Weg zu ihrem Geburtstagsessen neben ihr im Wagen starb, werden ihre Symptome erklärlich. Ein Mensch, der so etwas erlebt, kann durchaus eine Essstörung und Verlassenheitsängste entwickeln und sich ständig bedroht fühlen. Aber manche Erinnerungen können auch irreführend sein, weil es sich hier einfach um Bilder handelt, die zu unseren Gefühlen passen. So können Kinder zum Beispiel aufgrund von Geschichten, die sie gehört haben, oder Bildern, die sie im Fernsehen gesehen haben, glauben, sie hätten selbst etwas Schlimmes erlebt. Denken Sie an all die Kinder, die Albträume bekommen, weil sie sich gruselige Filme angeschaut haben. Saß Sophia

wirklich im Wagen, als ihr Vater umkam? Sophia wusste, dass ihr Vater bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war, aber sie konnte sich nicht daran erinnern, dabei gewesen zu sein. Ohne Bestätigung konnte sie sich ihrer Sache nicht sicher sein. Also rief sie ihre Mutter an und fragte: »Mutti, stimmt das? Saß ich mit im Auto, als Vati starb?« Ihre Mutter sagte: »Nun ja, Liebes, das stimmt, aber wir dachten, du wolltest nicht darüber sprechen, weil du es bislang nie erwähnt hast.« Obwohl Sophia also eine sehr liebevolle Mutter hatte, die sie schützen wollte, und sich nicht bewusst an den Tod ihres Vaters erinnern konnte, litt sie jahrelang an scheinbar völlig irrationalen Symptomen. Jetzt ergaben sie einen Sinn. Und, was noch wichtiger ist, sie verschwanden, nachdem Sophia diese Erinnerung verarbeitet hatte. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass wir kein schweres Trauma wie den Tod des Vaters oder einen Autounfall erleben müssen, um jahrelang anhaltende Symptome zu entwickeln. Janice zum Beispiel begann eine Therapie, weil sie jahrelang so viele Antazida (Mittel gegen Sodbrennen) eingenommen hatte, dass diese Mittel zum Zeitpunkt des Therapiebeginns drohten, ihren Magen zu zersetzen. Sie wusste nicht mehr, warum sie mit der Einnahme dieser Tabletten überhaupt angefangen hatte, nur dass sie entsetzliche Angst hatte, magenkrank zu werden. Der Therapeut arbeitete mit den EMDR-Verfahren, die Sie noch kennenlernen werden, um herauszufinden, woher diese Gefühle kamen. Dabei erinnerte Janice sich, wie sich in der Grundschule das neben ihr sitzende Mädchen einmal übergeben hatte. In der Absicht, das Malheur zu verhindern, hatte das Mädchen sich die Hand vor den Mund gehalten, sodass das Erbrochene seitwärts hervorquoll und in Janices Haaren landete. Voller Panik rannte Janice aus dem Zimmer. Sie fühlte sich gedemütigt und beschmutzt. Diese Erinnerung war der Grund dafür, dass sie so viele Antazida einnahm.

Nachdem Janice sie verarbeitet hatte, verspürte sie kein Bedürfnis mehr nach diesen Tabletten. Wenn wir ein Symptom vor uns haben, so lautet die Botschaft, gibt es meistens auch ein Erlebnis, das es verursacht oder zu seiner Entstehung beigetragen hat. Ganz gleich, ob wir uns bewusst erinnern oder nicht, irgendetwas ist geschehen. Und wenn wir uns angewöhnt haben, gegen unser Unwohlsein starke Medikamente einzunehmen, verdecken diese das Problem meistens nur. Die Ursache dieser Schwierigkeiten liegt meistens nicht bei angeborenen neurologischen Defekten und ist auch nicht biochemisch. Natürlich spielt unsere genetische Beschaffenheit wichtige Rolle und kann ausschlaggebend dafür sein, dass wir bestimmte Erfahrungen stark reagieren. Manchmal erben

rein eine auf wir

Prädispositionen für gewisse Anfälligkeiten, etwa in Bezug auf Depressionen oder Ängste. Doch selbst in diesem Fall müssen bestimmte Lebenserfahrungen hinzukommen, um entsprechende Beschwerden auszulösen. Wenn wir in unserem Leben »auf Automatik schalten«, steht dahinter meistens eine Kombination von genetischen Prädispositionen und bestimmten Lebenserfahrungen. Die andere Botschaft lautet, dass selbst bei lang anhaltenden, heftigen Symptomen nicht unbedingt ein schweres Trauma vorliegen muss. Auch Dinge, die uns aus der Sicht eines Erwachsenen belanglos vorkommen, können die Ursache sein. Entscheidend ist, dass sich diese Vorfälle für das damalige Kind traumatisch anfühlten und die Erinnerung daran sich dem kindlichen Gehirn unauslöschlich eingeprägt hat. Vielleicht sind diese Erfahrungen lange her, und wir wissen nicht mehr, wie stark sie uns einmal in Aufruhr versetzt haben. Doch wir können die negativen Emotionen, Verhaltensweisen, Überzeugungen und Empfindungen, die zu anhaltenden Problemen führen, im Allgemeinen bis zu diesen unverarbeiteten

Erinnerungen zurückverfolgen. So bleibt die Vergangenheit Gegenwart. In diesem Buch lernen Sie mithilfe bestimmter Methoden, aus solchen Symptomen klug zu werden und die Ursache dafür herauszufinden. Außerdem zeigen wir Ihnen hier, wie Sie Ihre quälenden Gedanken, Gefühle und Reaktionen umwandeln können, sodass Ihr Leiden abnimmt und Ihr Selbstvertrauen und Ihr Wohlbefinden wachsen. Die Ziele dieses Buches Es gibt unzählige Probleme im Leben, für die wir eine Lösung suchen, sei es in Büchern oder durch eine Therapie. Manche Menschen benötigen einfach bestimmte Informationen, um eine neue Herausforderung in ihrem Leben zu bewältigen. Andere erkennen, dass sie blockiert sind. Sie fühlen sich getrieben, Dinge zu tun, die sie eigentlich nicht tun wollen, und fühlen sich umgekehrt daran gehindert, das zu tun, was ihnen guttäte. Dieses Buch möchte Ihnen helfen, Antworten zu finden auf das »Warum?« in Ihrem Leben und im Leben der Menschen, die Ihnen nahestehen. Vor allem aber geht es darum, Ihnen aufzuzeigen, dass Sie gegen quälende Zustände etwas unternehmen können. Wir alle kennen Augenblicke von Schmerz und Ungewissheit. Die Frage ist nicht, ob wir irgendwann in unserem Leben Leid erleben werden, sondern wie lange und auf welche Art und Weise wir leiden. Manche Menschen überwinden ihre Schmerzen ziemlich schnell, doch für andere gilt das nicht. Manche von uns sind überwiegend fröhlich, andere hingegen empfinden nur selten oder nie Freude. Dieses Buch will Ihnen helfen zu verstehen, warum Sie der Mensch sind, der Sie sind, und Ihnen zeigen, was Sie gegen Schmerzen und negative Reaktionen, die Ihrem Wohlbefinden entgegenstehen, tun können. Das heißt auch herauszufinden, was verhindert, dass Sie in Ihrem Leben glücklich sind, und wie Sie

entsprechende Blockaden auflösen können. Durch Anwendung der Techniken, die Ihnen hier vermittelt werden, können Sie selbst bestimmen, wie Sie gute Entscheidungen für Ihre Zukunft treffen. Wichtig ist mir auch, dass es in diesem Buch nicht darum geht, irgendjemandem »Vorwürfe« zu machen, selbst wenn wir feststellen, dass die eigentliche Ursache für viele psychische Probleme in Kindheitserfahrungen liegt. Jede und jeder von uns hat als Kind in einer Welt voller Erwachsener die Erfahrung gemacht, sich ohnmächtig zu fühlen, ignoriert zu werden oder weniger zu zählen als andere. In späteren Kapiteln untersuchen wir, warum manche Menschen psychische Symptome entwickeln und andere nicht. Wichtig ist, sich klarzumachen, dass all diese Dinge in einer Zeit passierten, als wir weder eine Wahl noch Macht hatten. Als Kinder haben wir nicht um das gebeten, was uns widerfahren ist. Und wie auch immer unsere Eltern sich uns gegenüber verhalten haben – sie sind, wer sie sind, weil sie ihre eigenen Lebenserfahrungen gemacht haben, was auch ihre Kindheit einschließt. Wenn wir überhaupt Menschen schuldig sprechen wollen, müssen wir meistens viele Generationen zurückgehen. Und doch kann selbst das negativste und hartnäckigste Muster durchbrochen werden. Wir haben als verantwortungsbewusste Erwachsene mit entsprechendem Wissen die Macht, unser Leben selbst in die Hand zu nehmen. Wenn wir wissen, welche Kräfte unser Leben steuern, verstehen wir auch besser, wie wir und die Menschen in unserem Leben »ticken«. Für uns alle gilt, dass unbewusste Abläufe und Erinnerungen unsere Gefühle und unser Verhalten bestimmen. Letzten Endes läuft das auf die Frage hinaus, wie wir damit umgehen. Martin zum Beispiel suchte mich auf, weil er mit seiner Arbeit sehr unzufrieden war und genau wusste, dass sie nicht zu ihm passte, sich aber nicht aufraffen konnte, auf Stellensuche zu gehen. Als wir sein

Thema erforschten, sagte er, er habe immer das Gefühl gehabt, sich nicht für das einsetzen zu können, was er haben wolle, und es auch nie zu bekommen. Mithilfe der EMDR-Verfahren konnten wir die Erinnerung, die ihn hier blockierte, ausfindig machen und verarbeiten. Martin sah sich, wie er als kleiner Junge oben auf dem Treppenabsatz mit dem Ball spielte. Als seine Mutter ihn dort entdeckte, ermahnte sie ihn, nicht die Stufen herunterzulaufen. Doch sein Ball rollte die Treppe hinunter, und in seiner Aufregung rannte er hinterher. Da riss ihn seine Mutter am Arm zurück und versohlte ihn: Sie bestrafte ihn dafür, dass er etwas, was er haben wollte, verfolgt hatte. Durch diesen simplen Vorfall prägten sich ihm die damit verbundenen negativen Gefühle und Überzeugungen für die nächsten 30 Jahre unauslöschlich ein. Wir sprechen hier freilich nicht über einen Fall von Kindesmissbrauch. Martins Mutter war meistens freundlich und liebevoll. In dieser Situation allerdings reagierte sie aus ihrer eigenen Angst heraus, Martin könne sich verletzen, wenn er ihr nicht gehorchte. Dieses Verhalten als Mutter war ihr durch die eigene Erziehung aufgedrängt worden. Es handelte sich bei dieser Situation also einfach um ein bestimmtes Ereignis in Martins Leben. Individuelle Erinnerungen können wir aber so abspeichern, dass die damit verbundenen negativen Emotionen, körperlichen Empfindungen und Überzeugungen unverändert erhalten bleiben, ganz gleich, was in unserem Leben später noch passiert. Da Erinnerungen die Grundlage für unsere persönlichen Charakterzüge bilden und unser Verhalten in dieser Welt steuern, stellt sich die Frage, wie wir die Erinnerungen, welche die Wurzel für unsere emotionalen wie körperlichen Schmerzen bilden, identifizieren können. In den weiteren Kapiteln dieses Buches wenden wir uns Themen zu wie mangelnde Selbstachtung,

Depressionen,

Ängste,

Süchte,

Schwierigkeiten

in

Beziehungen und mit Elternschaft, beruflichen Problemen, menschlichen Verlusten und körperlichen Beschwerden. Außerdem bekommen Sie praktische Werkzeuge für den Umgang mit diesen Themen an die Hand und lernen anhand bestimmter Richtlinien erkennen, ob Sie zusätzliche Hilfe benötigen. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass bestimmte Symptome und Schmerzen oft auf unverarbeitete Erinnerungen zurückgehen, während verarbeitete Erinnerungen die Grundlage für unsere geistige Gesundheit bilden. Wir schauen uns also auch Methoden an, mit denen OlympiaSportler und andere Berufsgruppen ihre angestrebten Ziele erreichen und die auch Ihnen helfen können, Ihr Selbstvertrauen zu stärken. Im Endeffekt gilt, dass, egal unter welchen Umständen wir aufgewachsen sind, wir keine Opfer und unsere Probleme kein Zeichen von Schwäche sind. Manche unserer strahlendsten Heldinnen und Helden, die ihr Leben für andere aufs Spiel gesetzt haben, leiden innerlich unter ebenso heftigen wie unnötigen Schuldgefühlen, weil sie bestimmte Menschen eben nicht retten oder bestimmte Schwierigkeiten eben nicht überwinden konnten. Sobald wir erkennen, dass wir in unserem Leben blockiert sind, stellt sich für uns alle die Frage: »Was unternehme ich dagegen?«

2. Geist, Gehirn und worauf es ankommt Wie wir Erfahrungen verarbeiten

Wir alle bewegen uns in unserer Welt mit Gehirnen und Körpern, die mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede aufweisen. Die meisten Menschen wollen für sich und ihre Familien wirklich ihr Bestes geben. Doch trotz dieser wohlwollenden Absichten hindert uns oft etwas daran. Die Ursachen dafür können wir leichter erkennen, wenn wir uns zunächst einmal klarmachen, auf welcher Basis die Techniken und Verfahren beruhen, denen wir uns im weiteren Verlauf dieses Buches zuwenden. Genetische Faktoren spielen hier sicherlich auch eine Rolle. Doch unsere Sicht der Welt und unser Austausch mit anderen Menschen beruhen überwiegend auf unseren individuellen Lebenserfahrungen. Diese sind in Erinnerungsnetzwerken abgespeichert, welche die Grundlage für unsere Wahrnehmungen, Einstellungen und unser Verhalten bilden. Und diese Netzwerke verknüpfen ähnliche Ereignisse miteinander. Wenn mich zum Beispiel jemand bittet, verschiedene Früchte zu nennen, fällt mir das nicht schwer. In meinem Geist sind sie in ein und demselben Erinnerungsnetzwerk miteinander verbunden: Äpfel, Orangen, Pfirsiche, Himbeeren … Wenn ich einen Apfel sehe, kann ich ihn unschwer als Frucht erkennen, weil ich bereits vorher Äpfel gesehen habe. Damit ich meine Erlebnisse in jedem beliebigen Augenblick sinnvoll einordnen kann, verknüpfen sie sich in meinem Erinnerungsnetzwerk mit früheren Erfahrungen. Hat ein Kind jedoch noch nie einen Apfel gesehen, kann es

möglicherweise damit nichts anfangen. Das hier ist rot und rund: Ist es ein Ball? Alles, was wir in der Außenwelt wahrnehmen, gelangt durch unsere Sinne (sehen, riechen, tasten, hören, schmecken) ins Arbeitsgedächtnis. Dieses stellt automatisch Verbindungen zu einem großen Spektrum an Erinnerungsnetzwerken im Gehirn her, damit wir das Wahrgenommene verstehen. Dieser Prozess läuft bei uns allen ständig ab. Selbst die Worte auf dieser Seite müssen sich mit Ihren Erinnerungsnetzwerken verbinden, damit Sie verstehen können, was Sie hier lesen. Jeder Mensch, den Sie sehen oder mit dem Sie sich austauschen, alle Erfahrungen, die Sie heute machen, sowie Ihre Wahrnehmungen davon verbinden sich mit Ihren Erinnerungsnetzwerken, um für Sie einen Sinn zu ergeben. Diese Erinnerungsnetzwerke enthalten sämtliche bereits gespeicherten Erfahrungen, und diese werden zur Basis für Ihr jetziges Fühlen, Denken und Verhalten. Das bedeutet, dass die Art und Weise, wie Sie auf Menschen reagieren und wie diese wiederum auf Sie reagieren, ebenso sehr auf früheren Erfahrungen beruht wie auf dem, was Sie oder Ihr Gegenüber im Augenblick tun oder sagen. Warum die Zeit nicht alle Wunden heilt Wenn wir uns schneiden, heilt die Wunde meistens von selbst, falls keine Komplikationen auftreten. Behandeln wir diese, heilt der Körper weiter. Aus diesem Grund sind wir bereit, uns für eine Operation aufschneiden zu lassen. Wir gehen davon aus, dass die Schnittwunden wieder heilen. Das Gehirn ist Teil des Körpers. Zusätzlich zu den Millionen von Erinnerungsnetzwerken, die ich gerade beschrieben habe, ist unser Gehirn mit einem Mechanismus – einem Informationsverarbeitungssystem – für

Heilung ausgestattet. Dieser Mechanismus sorgt dafür, dass jede Art von emotionaler Störung auf die Ebene mentaler Gesundheit befördert oder, wie ich es nenne, einer adaptiven oder situationsangemessenen Lösung zugeführt wird. So bezeichne ich eine Lösung, welche die nützlichen Informationen enthält, die uns ermöglichen, besser zu überleben. Das Informationsverarbeitungssystem hat die Aufgabe, nützliche Verbindungen herzustellen und den Rest loszulassen. Das funktioniert folgendermaßen: Stellen Sie sich vor, Sie hätten Streit mit einem Kollegen. Sie sind aufgebracht, wütend oder ängstlich und erleben sämtliche körperlichen Reaktionen, die mit diesen Emotionen verbunden sind. Vielleicht kommen Ihnen auch negative Gedanken über die Person und sich selbst, oder Sie stellen sich lebhaft vor, wie Sie sich rächen werden. Doch lassen Sie uns hoffen, dass Sie dieser Versuchung widerstehen, denn das könnte Sie nicht zuletzt Ihren Job kosten. Also gehen Sie aus dem Zimmer. Sie denken über das Erlebte nach. Sie sprechen darüber. Nachts träumen Sie vielleicht davon. Und am nächsten Tag fühlen Sie sich nicht mehr ganz so schlecht. Sie haben das Erlebnis grundsätzlich »verdaut« und wissen jetzt, wie Sie sich am besten verhalten. So verfährt das Informationsverarbeitungssystem des Gehirns mit einer störenden Erfahrung und macht Lernen möglich. Vieles davon passiert in der Phase des REM-Schlafs mit den für diese Schlafphase typischen schnellen Augenbewegungen. Wissenschaftler gehen davon aus, dass das Gehirn in dieser Schlafphase Wünsche, überlebenswichtige Informationen und das am Tag Gelernte verarbeitet, also im Wesentlichen alles, was für uns wichtig ist. Grundlegend gilt, dass unser Gehirn entsprechend verdrahtet ist. Bei einer ungestörten Informationsverarbeitung verbindet sich die Erinnerung an den Streit mit den nützlicheren Informationen, die bereits in Ihrem Gehirn abgespeichert sind. Dazu können frühere Erfahrungen mit

diesem Mitarbeiter oder anderen Kollegen gehören. Vielleicht können Sie sich inzwischen sagen: »Ach, so ist Michael nun einmal. Ich habe das mit ihm ja neulich auch gut klären können.« Wenn diese anderen Erinnerungen sich mit dem jüngsten Streit verbinden, verändert sich Ihr Erleben desselben. Sie lernen, was an diesem Streit nützlich für Sie ist, und alles, wofür das nicht gilt, lässt Ihr Gehirn los. Weil die negativen Gefühle und Selbstgespräche Ihnen nicht mehr weiterhelfen, sind sie verschwunden. Doch alles, was Sie aus dieser Situation lernen müssen, bleibt erhalten, und Ihr Gehirn speichert die Erinnerung an dieses jüngste Ereignis so ab, dass es Ihnen zukünftig gute Dienste erweisen kann. Ein Ergebnis dieser Verarbeitung ist, dass Sie besser wissen, was Sie zu tun haben. Sie können mit Ihrem Kollegen jetzt ruhiger sprechen als am Vortag, weil Sie nicht mehr so aufgebracht sind. So verfährt das adaptive Informationsverarbeitungssystem des Gehirns mit störenden Erlebnissen und macht Lernen möglich. Und genau das ist seine Aufgabe. Leider können störende Ereignisse wie ein schweres Trauma oder andere aufwühlende Erlebnisse das System überwältigen. In diesem Fall hindert der situationsbedingte, heftige emotionale und körperliche Aufruhr das Informationsverarbeitungssystem daran, die inneren Verbindungen herzustellen, die für eine Lösung erforderlich sind. Stattdessen wird die Situation genauso im Gehirn abgespeichert, wie Sie sie erlebt haben. Sämtliche Bilder, Emotionen, körperlichen Empfindungen und Gedanken werden im Gedächtnis in ihrer ursprünglichen, unverarbeiteten Form kodiert. Dann kommt beim Anblick des Kollegen, mit dem Sie sich gestritten haben, jedes Mal wieder der Ärger oder die Angst hoch, sodass Sie nicht ruhig mit ihm reden können. Vielleicht versuchen Sie, Ihre Gefühle in den Griff zu bekommen, um sich selbst vor weiteren

Schwierigkeiten zu bewahren, doch sobald Ihr Kollege auftaucht, sind Sie wieder auf hundertachtzig. Wenn Reaktionen wie diese in Ihrem Leben hartnäckig wiederkehren, dann oft deswegen, weil sie sich mit unverarbeiteten Erinnerungen aus der Vergangenheit verbinden. Diese unbewussten Verbindungen stellen sich automatisch her. So kann Ihre spontane Abneigung gegen eine Person, die Sie gerade kennenlernen, auf Erinnerungen an einen Menschen beruhen, dem sie ähnlich sieht und der Sie einmal verletzt hat. Nehmen wir zum Beispiel eine Frau, die vergewaltigt wurde. Jahre später liegt sie im Bett mit einem Mann, den sie als liebevollen Partner kennt. Doch bei ganz bestimmten Berührungen kommen automatisch bestimmte Emotionen und Körperempfindungen von damals hoch. Das Entsetzen und die Ohnmacht, die sie bei der Vergewaltigung erlebte, überfluten sie. War das Informationsverarbeitungssystem nach dem Übergriff gestört, verbinden sich Berührungen, die denen des Vergewaltigers gleichen, mit dem entsprechenden Erinnerungsnetzwerk und »triggern« die Emotionen und körperlichen Empfindungen, die mit der unverarbeitet abgespeicherten Erinnerung verbunden waren. Das gestörte Informationsverarbeitungssystem hat die Erinnerung isoliert abgespeichert, das heißt nicht in die generellen Erinnerungsnetzwerke integriert. Es kann sich nicht verändern, weil es nicht imstande ist, sich mit einem Wissen zu verbinden, das nützlicher und der jetzigen Situation angemessener ist. Deswegen heilt die Zeit nicht alle Wunden, und deswegen kommen bei Ihnen immer noch der alte Ärger, Groll, Schmerz, Traurigkeit oder andere Emotionen hoch, die zu Ereignissen gehören, die vor vielen Jahren stattfanden. Diese sind wie festgefroren in der Zeit, sodass die unverarbeiteten Erinnerungen zur Grundlage für emotionale und manchmal auch körperliche Probleme werden. Selbst wenn Sie in Ihrem

Leben kein schweres Trauma erlebt haben, die Forschung hat gezeigt, dass auch andere Lebenserfahrungen Störungen verursachen können. Und weil sich die Erinnerungsverbindungen automatisch und unbewusst herstellen, haben Sie wahrscheinlich überhaupt keine Ahnung, was Sie in Ihrem Leben tatsächlich steuert. Der Aktionsplan Im weiteren Verlauf dieses Buches erfahren Sie, worauf die negativen Reaktionen zurückgehen, die Sie oder ein geliebter Mensch in vielen Situationen zeigen, sodass diese für Sie erklärbar werden. Außerdem eignen Sie sich bestimmte Übungen und Techniken an, um die unverarbeiteten Erinnerungen ausfindig zu machen, die solche Reaktionen verursachen, und die störenden Emotionen, Gedanken und Empfindungen, sobald sie hochkommen, besser zu bewältigen. Diese Methoden beruhen auf dem neuesten Wissensstand über die Funktionsweise unseres Gehirns. Die gute Nachricht ist, dass Sie damit die Hindernisse für Ihr Wohlbefinden in Beziehungen, bei der Arbeit und im Leben generell überwinden und eine positive Richtung einschlagen können. Die meisten Methoden und Fallbeispiele in diesem Buch beziehen sich auf einen therapeutischen Ansatz namens EMDR. In diesem Kapitel mache ich Sie mit EMDR bekannt und erläutere die verschiedenen Erinnerungsverbindungen, die nachweisbar die Grundlage für menschliches Leiden bilden. Wir schauen uns auch an, wie wir diese Verbindungen so umwandeln können, dass sie zu einer Basis für Freude, Frieden und Wohlbefinden in unserem Leben werden. In den folgenden Kapiteln lernen Sie Techniken, die Tausende von Therapeutinnen und Therapeuten bereits weltweit anwenden. Sie sind für Menschen mit einer ganzen Reihe von

unterschiedlichen Problemen eine große Hilfe und damit möglicherweise auch für Sie. EMDR-Therapie Woher stammt die EMDR-Therapie? Wie hat sie sich entwickelt? Und warum ist sie so wirkungsvoll? EMDR steht für die Desensibilisierung und Neuverarbeitung durch Augenbewegungen und ist eine Abkürzung für die amerikanische Bezeichnung »Eye Movement Desensitization and Reprocessing«. Die Anfänge der Therapie gehen auf meine eigenen Entdeckungen in Bezug auf Augenbewegungen zurück. Eines Tages im Jahr 1987 ging ich in einem Park spazieren, als mir plötzlich auffiel, dass einige der quälenden Gedanken, die mich schon seit einer Weile immer wieder belastet hatten, verschwunden waren. Ich weiß nicht mehr genau, an was ich damals gedacht hatte, wohl aber, dass es sich um diese nagenden, bohrenden Gedanken rund um ein aktuelles Problem handelte, die wir nur mit einer bewussten Willensanstrengung verändern oder abstellen können. Als ich mir diese Gedanken damals im Park noch einmal vergegenwärtigte, hatten sie nicht mehr die gleiche »Ladung«. Sie störten mich einfach nicht mehr. Überrascht fragte ich mich, was da passiert war. Beim Weitergehen beobachtete ich mich also ganz aufmerksam. Dabei fiel mir auf, dass sich meine Augen, sobald sich diese Gedanken wieder einstellten, schnell hin und her bewegten. Daraufhin verschwanden sie aus meinem Bewusstsein. Und wenn ich sie mir wieder ins Gedächtnis rief, hatten sie ihre Macht verloren. Das faszinierte mich so sehr, dass ich diesen Ablauf mehrmals bewusst wiederholte. Ich vergegenwärtigte mir einen störenden Gedanken und machte diese Augenbewegungen. Und wieder geschah das Gleiche. Meine Gefühle hatten sich verändert.

Im Laufe der Jahre haben viele Menschen gefragt, warum mir aufgefallen war, dass sich meine Gedanken durch die Augenbewegungen veränderten. Ich nehme an, es handelt sich hier um eine dieser zufälligen Entdeckungen – die allerdings eine jahrelange Vorgeschichte hatte. Ich hatte mir nämlich seit einer zehn Jahre zurückliegenden Krebserkrankung angewöhnt, meinen eigenen Geist und Körper als »Forschungslabor« zu benutzen. Die Ärzte hatten damals gesagt: »Der Krebs ist weg, aber bei manchen Menschen kehrt er zurück. Wir wissen nicht warum und bei wem und können Ihnen nur viel Glück wünschen.« An diesem Punkt fiel mir auf, welche Ironie darin liegt, dass wir zwar Menschen zum Mond schicken, mit dem eigenen Geist und Körper jedoch oft überhaupt nicht umzugehen wissen. Das Gebiet der Psychoneuroimmunologie – das die Auswirkungen von Stress auf unser Immunsystem erforscht – war damals noch in den Anfängen und ging hauptsächlich auf die Arbeiten von Norman Cousins und einiger weniger anderer Forscherinnen und Forscher zurück. Also beschloss ich, mir sämtliche verfügbaren praktischen Informationen darüber zu verschaffen und diese einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Im Lauf der folgenden Jahre besuchte ich Dutzende von Workshops, studierte bei zahlreichen Lehrerinnen und Lehrern und begann ein Psychologiestudium, um in dem Fach meinen Doktor zu machen. Nun hatte die überraschende Veränderung meiner Gedanken meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ich glaubte, zufällig auf einen natürlichen Heilungsmechanismus des Gehirns gestoßen zu sein. Das passte zu dem, was ich in den zehn Jahren davor über die Zusammenhänge zwischen Geist und Körper herausgefunden hatte. Ich fragte mich, ob die von mir beobachtete Wirkung der Augenbewegungen vielleicht mit den Prozessen zusammenhing, die wir im REM-Schlaf beobachten können. Da die Augen sich in dieser Schlafphase spontan bewegen und wir uns nach dem

Aufwachen im Angesicht bestimmter Situationen in unserem Leben oft besser fühlen, hatten diese Augenbewegungen vielleicht im Wachzustand eine ähnliche Wirkung. Nach der Entdeckung, dass ich durch bewusste Anwendung dieser Augenbewegungen die mit bestimmten quälenden Gedanken verbundenen Gefühle verändern konnte, fragte ich mich, ob das auch bei anderen Menschen der Fall sein würde. Ich bat Menschen aus meinem Bekanntenkreis, die dazu bereit waren, an störende oder problematische Situationen in ihrem Leben zu denken. Natürlich fiel allen sofort etwas ein – sei es ein Streit mit Familienangehörigen, berufliche Schwierigkeiten oder persönliche falsche Entscheidungen. Ich bat sie, sich zunächst einmal auf die Erinnerung an das jeweilige Erlebnis zu konzentrieren. Dann wies ich sie an, mit ihrem Blick etwa 30 Sekunden lang meiner Hand zu folgen und leitete sie so zu den gleichen Augenbewegungen an, die ich damals im Park zum ersten Mal bewusst gemacht hatte. Ich nannte das ein »Set« von Augenbewegungen und fragte meine »Probanden« anschließend, wie sie sich fühlten. Die meisten Menschen fühlten sich besser, doch weiter veränderten sich ihre Gefühle nicht. Daher bat ich sie, sich auf einen anderen Aspekt der Erinnerung oder die damals gefallenen Worte zu konzentrieren. Oder ich veränderte Richtung oder Geschwindigkeit der Augenbewegungen. Nach jedem Set holte ich mir ein Feedback und arbeitete auf diese Weise mit etwa 70 Menschen nach Versuch und Irrtum, bis die Ergebnisse zuverlässig waren. Die Veränderungen zeigten sich rasch, und so konnte ich, wenn sie nach einem Set aufhörten, gleich weitere Alternativen ausprobieren, bis sich die positive Wirkung wieder einstellte. Am Ende meines Promotionsstudiums beschloss ich, für meine Doktorarbeit eine kontrollierte Studie über meine Methode durchzuführen.

Am wichtigsten war offensichtlich der Umgang mit früheren Erinnerungen. Ich fragte mich, welchen Menschen diese am meisten zusetzten. Das waren eindeutig Opfer von sexuellem Missbrauch und Kriegsveteranen. Das brachte mich dazu, mit Menschen zu arbeiten, bei denen eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden war. Damals, im Jahr 1987, war die Diagnose PTBS erst seit sieben Jahren offiziell anerkannt. Zu der Zeit gab es keine gründlichen Untersuchungen bezüglich der Wirkung verschiedener therapeutischer Ansätze bei dieser Störung, und ihre Behandlung galt als äußerst schwierig. Also beschloss ich, mein Verfahren mit Menschen auszuprobieren, die an dieser Störung litten. Die Ergebnisse meiner stichprobenartig durchgeführten, kontrollierten Studie veröffentlichte ich 1989 im Journal of Traumatic Stress. Ich stellte in diesem Artikel eine brandneue Therapieform vor, die mit Augenbewegungen arbeitete und ziemlich schnell positive Wirkungen bei traumatisierten Opfern erzielte. Sie können sich vielleicht vorstellen, welche Kontroverse daraufhin losbrach. Wie fast immer, wenn etwas der gängigen Meinung entgegenläuft, provozierte auch mein Artikel heftiges Erstaunen, Widerstände oder beides. Augenbewegungen sollten eine solche Wirkung haben? Eine Therapie bereits mit einer einzigen Sitzung solche Ergebnisse erzielen? Einer der »Urväter« der Verhaltenstherapie sprach bei einer wichtigen Konferenz von einem »Durchbruch«, während andere bezweifelten, dass ein so simples Vorgehen solche dramatischen Auswirkungen haben könnte. Manche Menschen wollten sich sofort in dieser Methode ausbilden lassen, weil nichts, was sie bislang bei Patienten mit der Diagnose PTBS ausprobiert hatten, nennenswerte Ergebnisse zeitigte. Andere beharrten darauf, dass es eine solche Ausbildung gar nicht geben dürfe.

Einer der beratenden Mitarbeiter des Journal of Traumatic Stress, in dem mein erster Artikel erschienen war, wandte sich an den Herausgeber mit der Vermutung, die Zeitschrift sei hinters Licht geführt worden. Da er jedoch Leiter eines PTBS-Programms am US-Ministerium für die Angelegenheiten von Kriegsveteranen war, nahm er an einem Ausbildungstraining für EMDR teil. Dort wandte er diese Methode auf eigene Erlebnisse an und konnte sich von der Wirkung selbst überzeugen. Er behandelte dann auch seine Patienten mit EMDR und sah, dass es funktionierte. Auf diese Weise hat die EMDR-Therapie seit 1990 zunehmend Anerkennung gefunden. Menschen, die eigene Erfahrungen mit ihr machen, werden meistens zu ihren Befürwortern. Wer hingegen aufgrund der früheren Kontroversen voreingenommen ist, bleibt meistens skeptisch. Inzwischen liegen jedoch über 20 wissenschaftlich kontrollierte Untersuchungen über EMDR vor, welche die positive Wirkung dieser Methode bei der Behandlung von traumatischen und anderen störenden Lebenserfahrungen beweisen. Eine ganze Reihe von weltweiten Organisationen, darunter die American Psychiatric Association und das US-Verteidigungsministerium, hat EMDR mittlerweile als wirkungsvolle Behandlungsmethode für Traumata anerkannt. Da ich anfangs glaubte, die primäre Wirkung der Augenbewegungen bestehe in einer Reduzierung der emotionalen Störungen der Klienten – was man in der Verhaltenstherapie als »Desensibilisierung« bezeichnet –, nannte ich die Therapie ursprünglich Eye Movement Desensitization (deutsch: Augenbewegungs-Desensibilisierung). Erst nach meiner ersten Veröffentlichung 1989 wurde mir klar, dass wir durch EMDR noch viel mehr erreichen können als Ängste abzubauen. Durch Abwandlungen der hier benutzten Verfahren erschlossen sich uns weitere Möglichkeiten für Einsichten und automatische Veränderungen in Bezug auf alle möglichen

Emotionen, Körperreaktionen und Verhaltensweisen. Das Bild, das wir uns von uns selbst, von anderen und der Welt machen, lässt sich verändern, was neue Möglichkeiten für die Zukunft bedeutet. Es zeigte sich auch, dass durch weitere Änderungen meiner Methode die anvisierten Erinnerungen vollständig verarbeitet werden können, indem sie mit anderen Erinnerungen verbunden, neu strukturiert und besser abgespeichert werden. Deshalb wechselte ich nach dieser Weiterentwicklung meines Verfahrens den Namen und fügte das Wort »reprocessing«, Neuverarbeitung, hinzu. Wie ich entdeckte, wurde diese Wirkung nicht nur durch die Augenbewegungen erzielt, sondern auch durch andere wechselseitige Bewegungen wie Taps (ein leichtes Klopfen abwechselnd mit beiden Händen) oder Töne, die im Wechsel für beide Ohren abgespielt werden. Manche Wissenschaftler glauben, dass all diese Methoden zu einer dauerhaften Neuausrichtung der Aufmerksamkeit führen (hin und her), die sie als »Orientierungsreaktion« bezeichnen. Diese sei mit denselben Gehirnfunktionen verbunden, die im REM-Schlaf aktiv sind. Andere gehen davon aus, dass die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf das Trauma bei gleichzeitiger äußerer Stimulation (Augenbewegungen, Taps oder Töne) das »Arbeitsgedächtnis« stört. Inzwischen gibt es so viele Untersuchungen dazu, dass ich beides für richtig halte. Stünde ich noch einmal ganz am Anfang, würde ich meine Methode einfach »Neuverarbeitungs-Therapie« nennen. Doch jetzt, wo sie bereits weltweit als EMDR bekannt ist, ist es für eine Namensänderung zu spät. Warum wirkt EMDR? Inzwischen haben Tausende von Therapeutinnen und Therapeuten weltweit Millionen von Menschen erfolgreich mit der EMDR-Therapie behandelt. Sie hat sich zu einer umfassenden Form der Psychotherapie mit acht Phasen und vielen verschiedenen Verfahren und Methoden entwickelt. Die

Therapeuten leiten ihre Klienten an, Zugang zu denjenigen früheren Erfahrungen zu finden, die den Boden für ihre augenblicklichen Probleme bereitet haben. Dann verarbeiten sie gemeinsam aktuelle Situationen, die problematisch sind, und integrieren das neue Lernen sowie entsprechende Fähigkeiten und Sichtweisen in die Erinnerungsnetzwerke, die für zukünftiges Gelingen notwendig sind. Der Klient oder die Klientin wendet sich dabei nicht nur den offensichtlichen Symptomen eines Problems zu, sondern erlebt meistens darüber hinaus eine ganze Reihe von positiven Veränderungen in sämtlichen Lebensbereichen. Das ist deswegen der Fall, weil die Erinnerungsnetzwerke, die zum Inhalt der EMDR-Therapie werden, weitreichende Verbindungen haben. Wenn wir Erinnerungen verändern, die unser Selbstbild prägen, verändert sich auch unsere Sicht von anderen Menschen. Deswegen erlebt der Klient auch in seinen Beziehungen, beruflichen Leistungen und sozialen Kompetenzen positive Veränderungen. In den letzten zehn Jahren haben die schnellen Behandlungserfolge von EMDR neurobiologischen Forschern ein »Fenster zum Gehirn« geöffnet. Als eine Folge davon wurde über ein Dutzend Studien mithilfe von bildgebenden Verfahren (wie Magnetresonanztomographie) durchgeführt, um zu zeigen, dass eine EMDR-Behandlung tatsächlich das Gehirn verändert. So hat die Forschung zum Beispiel nachgewiesen, dass das Gedächtniskontrollzentrum im Gehirn (der Hippocampus) bei Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung schrumpft. Eine Zeit lang glaubte man, dass dies eine organische und möglicherweise permanente Veränderung im Gehirn sei. Glücklicherweise haben Gehirnscans jetzt aber erwiesen, dass der Hippocampus wieder wachsen kann. Auch wenn wir noch weitere Untersuchungen brauchen, hat eine Studie jüngst gezeigt, dass der Hippocampus von Menschen mit einer PTBS bereits nach acht bis

zwölf Sitzungen EMDR-Erinnerungsverarbeitung um durchschnittlich sechs Prozent gewachsen war. Das war auch noch ein Jahr später so. Der erste PTBS-Patient, der in dieser Studie untersucht wurde, war Sohn einer Frau, die an einer bipolaren Störung litt. Er hatte in seiner Kindheit eine ganze Reihe von traumatischen Erfahrungen gemacht, und sein Hippocampus war stark geschrumpft. Nach acht EMDR-Sitzungen hatte sich sein Hippocampus um etwa elf Prozent vergrößert. Derartige Ergebnisse zeigen, dass noch weitere Untersuchungen erforderlich sind, nicht nur, um herauszufinden, wie eine EMDR-Behandlung wirkt, sondern auch, wie das erwachsene Gehirn in der Lage ist, sich zu verändern und zu wachsen. Diese »Neuroplastizität« haben Wissenschaftler lange Zeit nicht für möglich gehalten. Jetzt, wo wir wissen, dass das erwachsene Gehirn sich verändern kann, eröffnen sich weitere Möglichkeiten für die Behandlung vieler Störungen, die bislang als behandlungsresistent galten. Obwohl sich EMDR als wirkungsvoll erwiesen hat, ist bei der Frage, warum es wirkt, immer noch vieles offen, wie bei jedem psychotherapeutischen Ansatz und den meisten Medikamenten. Da wir es hier mit einem komplexen Prozess zu tun haben, sind viele Elemente beteiligt, und die Forschung geht weiter. Die therapeutische Behandlung mithilfe von Augenbewegungen fasziniert jedoch viele Gedächtnisforscher. So haben etwa zwei Dutzend weitere Untersuchungen erforscht, welche Veränderungen allein durch Augenbewegungen erfolgen. Wenn Menschen innerlich mit schwierigen Erinnerungen oder Zukunftsängsten beschäftigt sind, so haben diese Studien gezeigt, nimmt ihr emotionaler Schmerz durch Sets von Augenbewegungen ab, verlieren entsprechende innere Bilder an Lebhaftigkeit, verändern sich Gedanken und werden Erinnerungen präziser. Natürlich reichen die Augenbewegungen als solche nicht aus für permanente Veränderungen. Deswegen sind sie eingebettet in weitere

EMDR-Verfahren. In einer EMDR-Therapiesitzung bleibt der Klient wach und ist im vollständigen Besitz seiner Kräfte. Trotzdem geht eine vorherrschende Theorie davon aus, dass die Augenbewegungen, die hier Anwendung finden, die gleichen biologischen Verbindungen und positiven Prozesse auslösen, wie es im REM-Schlaf passiert. Im REM-Schlaf findet Lernen dadurch statt, dass sich Gedanken und Informationen verfestigen und mit anderen Erinnerungen verknüpfen. Wird ein Mensch, der tagsüber etwas Neues gelernt hat, in der darauffolgenden Nacht am REM-Schlaf gehindert, kann er entsprechende Fertigkeiten, so zeigt die Forschung, wieder verlieren. Im REM-Schlaf erlaubt das Gehirn die neuronalen Verknüpfungen, die für die entsprechenden Verbindungen erforderlich sind. Die Erinnerung wird verarbeitet und in eine angemessenere und nützlichere Form umgewandelt. Und so kann es passieren, dass Sie abends mit einem bestimmten Problem zu Bett gehen und sich morgens beim Aufwachen besser fühlen oder sogar eine Lösung gefunden haben. Im Wachzustand würden Sie entsprechende Einsichten bewusst wahrnehmen, doch stellen sich diese offensichtlich auch im Schlaf ein. Leider sind manche quälenden Erinnerungen aber sehr hartnäckig, wie Sie selbst wissen. Das kommt daher, dass der Grad der Beeinträchtigung durch manche Ereignisse so hoch ist, dass das Informationsverarbeitungssystem des Gehirns nicht richtig funktioniert und die Erinnerung nicht von selbst zu einer Lösung findet. Deutlich wird das zum Beispiel, wenn Sie aus einem Albtraum erwachen. Das Gehirn versucht durch einen Albtraum einfach, entsprechende Informationen zu verarbeiten. Die Bilder spiegeln die Emotionen wider, die reaktiviert werden. Eine Frau, die in ihrer Kindheit sexuell belästigt wurde, kann zum Beispiel Albträume von einem Monster haben, das sie verfolgt. Wenn wir uns solchen Erinnerungen in der EMDRSitzung zuwenden, ist es, als hebe sich ein Schleier, und der Grund für die

emotionale Störung wird offenbar. Das Monster ist das Monster, das sie in ihrem Elternhaus verfolgt hat. Wie Erinnerungen in der EMDR-Therapie verarbeitet werden Bei einer EMDR-Therapie passiert die erforderliche Arbeit in den Behandlungssitzungen. Wir bitten den Klienten nicht, seine Erinnerung genau zu beschreiben, und geben ihm auch keine »Hausaufgaben«. Der Therapeut stellt den Zugang zu der störenden Erinnerung her, aktiviert das Informationsverarbeitungssystem des Gehirns, leitet die verschiedenen Verfahren an und beobachtet die Wirkungen. Durch diese Form von Verarbeitung entstehen schnelle innere Verbindungen, was sich daran zeigt, dass sich Emotionen positiv verändern, dem Klienten neue Einsichten und Erinnerungen kommen und er bestimmte Themen in seinem Leben besser versteht. Die vorherrschende Theorie besagt, dass in den therapeutischen Sitzungen ein Zugang zur ursprünglichen Erinnerung hergestellt wird, Verbindungen verändert und dann in dieser modifizierten Form neu abgespeichert werden. Diesen neurobiologischen Prozess bezeichnen wir als »Rekonsolidierung«. Die einzelnen Phasen der EMDR-Therapie erläutere ich in späteren Kapiteln ausführlicher. Konzentrieren wir uns zunächst einmal darauf, wie Erinnerungen »neu verarbeitet« werden – das heißt, wie wir einen direkten Zugang zum Unbewussten finden, sodass ein Umlernen stattfinden kann. Untersuchungen mit traumatisierten Personen haben gezeigt, dass durch EMDR ohne die »Hausaufgaben«, die in anderen Therapien notwendig sind, Symptome verschwinden können. Da es nicht nötig ist, die störenden Erinnerungen detailliert zu beschreiben, müssen Menschen, die sich für ihre Taten oder Erlebnisse schämen, auch nicht darüber sprechen. In kürzester

Zeit können tief greifende Veränderungen stattfinden. Das Protokoll einer EMDR-Sitzung, das im Anschluss beginnt, zeigt uns das genauer. Bevor wir anfangen, möchte ich darauf hinweisen, dass Sie in diesem Buch viele EMDR-Techniken und -Verfahren kennenlernen werden, die störende Erinnerungen zu verstehen und zu bewältigen helfen. Bei der EMDR-Erinnerungsverarbeitung können jedoch Themen hochkommen, die emotional stark besetzt sind. Deswegen ist es äußerst wichtig, dass eine Behandlung nur durch entsprechend ausgebildete und zugelassene Therapeutinnen und Therapeuten erfolgt. Das stellt sicher, dass das Informationsverarbeitungssystem aktiv bleibt und der Klient gründlich vorbereitet wird, sodass er immer »mit einem Fuß in der Gegenwart bleibt«. Ausgebildete Therapeutinnen wissen, worauf sie die Aufmerksamkeit lenken müssen und was zu tun ist, wenn das Informationsverarbeitungssystem aufhört zu arbeiten oder etwas Unerwartetes passiert. Am folgenden Beispiel können wir sehen, dass das Ausgangsthema für Lynn zwar ein schweres Trauma war – nämlich ein Erdbeben, bei dem sie um ihr Leben und das ihres Kindes fürchtete –, in ihrem Unterbewussten jedoch noch viel mehr passierte. Lynn lebte in Kalifornien und suchte ein Forschungszentrum auf, um dort eine Therapie zu machen, weil sie nach einem Erdbeben eine schwere PTBS entwickelt hatte. Tatsächlich hatte sie vorher bereits zwei Erdbeben erlebt, doch diesmal waren die Symptome so quälend, dass sie ihr Leben nicht mehr auf die Reihe bekam. Eines der früheren Erdbeben passierte, als sie ein Seminar über Hypnose am College besuchte. Ihr Professor hatte sie gerade in Hypnose versetzt, als die Erde zu beben begann. Heftige Symptome zeigten sich jedoch erst, als sie Jahre später, während sie mit ihrem kleinen Sohn allein zu Hause war, ein weiteres Erdbeben erlebte. Im Folgenden beschreibe ich einen Teil der Sitzung und zitiere dann aus den

Aufzeichnungen die Stellen, die sich auf das jüngste Erdbeben konzentrieren, um Ihnen zu zeigen, wie das adaptive Informationsverarbeitungssystem des Gehirns aktiv wird. Zu Beginn dieser EMDR-Sitzung hatten der Therapeut und Lynn bereits geklärt, welche Ausgangsthemen sie anvisieren musste. Durch entsprechende Vorbereitungen war Lynn imstande, zuzulassen, dass sich Erinnerungsverbindungen automatisch einstellten. Dann leitete der Therapeut sie an, sich die entsprechende Erinnerung auf eine ganz bestimmte Weise zu vergegenwärtigen. Dazu gehörten auch für die Beobachtung ihrer Fortschritte erforderlichen Maßnahmen. Das Bild, das sie als schrecklichsten Moment ihrer Erinnerung auswählte, zeigte sie, wie sie sich mit ihrem Sohn in einem Türdurchgang zu schützen versuchte, während die Erde bebte und ihnen Dinge aus den Regalen um die Ohren flogen und krachend zu Boden schlugen. Neben anderen Aspekten dieses Erlebnisses erinnerte sie sich auch an ihren negativen Gedanken zu dem Beben (»Ich kann nichts tun«) und an die Emotionen, die hochkamen, wenn sie daran dachte. Ihre Angst war hoch – 8 auf einer Skala von 0 bis 10. Dann wies der Therapeut Lynn an, die Augen jeweils etwa 30 Sekunden lang schnell hin und her zu bewegen. Das nennen wir ein »Set von Augenbewegungen«. Bei jedem Set bat er Lynn: »Achten Sie einfach auf das, was Ihnen spontan in den Sinn kommt, und lassen Sie alles zu, was geschieht.« Obwohl sie zu diesem Zeitpunkt ganz bei Bewusstsein und wach war, stellten sich neue Verbindungen her. Gedanken, Emotionen, Empfindungen und andere Erinnerungen kamen ihr innerlich auf ähnliche Weise wie im REM-Schlaf. Am Ende jedes Sets wies der Therapeut Lynn an: »Lassen Sie das alles wieder los, und nehmen Sie einen tiefen Atemzug.« Anschließend fragte er sie erneut: »Was kam Ihnen in den Sinn?« Ausgehend von ihrer Antwort wies er sie an, ihre Aufmerksamkeit

beim nächsten Set von Augenbewegungen in die entsprechende Richtung zu lenken. Durch diese Anleitungen fand Lynn einen tieferen Zugang zu ihren gespeicherten, unverarbeiteten Erinnerungen und konnte sie so verarbeiten, dass sie zu einer Lösung gelangte. Bei den ersten Sets von Augenbewegungen nahm Lynn viele Dinge wahr, darunter auch Zusammenhänge, die ihre Überzeugung, machtlos zu sein, betrafen. Sie erinnerte sich zum Beispiel daran, einmal eine Kassette gehört zu haben, auf der von Menschen erzählt wurde, die dabei zugesehen hatten, wie andere »von Zügen zerquetscht« wurden. Nach weiteren Sets von Augenbewegungen kamen Gefühle von Traurigkeit und Melancholie hoch, die im Gegensatz zu den heftigen Ängsten zu stehen schienen, von denen Lynn zu Beginn der Sitzung berichtet hatte. Ängste können viele unterschiedliche Emotionen enthalten, die unter der Oberfläche rumoren. Nach weiteren Sets von Augenbewegungen landete Lynn noch tiefer in ihrer Vergangenheit. Lachend erinnerte sie sich, wie sie im Alter von sechs Jahren mit ihrem Bruder durch das Haus gerannt war. »Ich wollte so gern ein Junge sein«, sagte sie, »und er erzählte mir, wenn ich lange genug im Haus herumrennen würde, würde ich ein Junge werden. Ich war enttäuscht, weil das nicht passierte.« An diesem Punkt machen wir mit dem Protokoll der Sitzung weiter, damit Sie sehen können, wie in einer EMDR-Therapie die Verarbeitung durch das mit den Ausgangsthemen verbundene Erinnerungsnetzwerk erfolgt, ohne dass Lynn detailliert hätte beschreiben müssen, was sie erlebt hatte. Immer, wenn ich das Zeichen ❖ verwende, bedeutet das, dass der Therapeut Lynn an dieser Stelle zu einem Set von Augenbewegungen anleitet, wodurch sich entsprechende Assoziationen und Verbindungen herstellen. Vor jedem neuen Set bittet der Therapeut sie, sich auf einen Aspekt der Erinnerung zu konzentrieren und »einfach wahrzunehmen«. Nach jedem Set fragt er: »Was

kommt jetzt bei Ihnen hoch?« Dann erzählt Lynn ein wenig von dem, was ihr innerlich in den Sinn kam, sodass der Therapeut ihre Fortschritte überwachen und seine Anweisungen entsprechend modifizieren kann. Ich gebe hier nur Lynns Antworten wieder, damit Sie sehen, wie sie nach jedem Set innerlich von einer Erinnerung oder Erkenntnis zur nächsten gelangt. Das macht die den Erinnerungsnetzwerken im Gehirn innewohnenden Verbindungen deutlich. In Klammern kommentiere ich, was passiert, während Lynn fortfährt. Beachten Sie, wie jedes Set einen anderen Aspekt der unbewussten Erinnerungsverbindungen enthüllt. Während der Therapeut Lynn zu einem Set von Augenbewegungen anleitet, konzentriert sie sich auf die Erinnerung an die Situation mit ihrem Bruder, als er ihr sagte, wenn sie nur lange genug im Haus herumrennen würde, würde sie ein Junge werden. ❖ Lynn: Mir wird gerade klar, dass ich mich von meinem Bruder verraten gefühlt habe, weil er mich sexuell belästigt hat, und wie ich ihn eigentlich immer bewundert habe (weint). (Obwohl oberflächlich betrachtet die erste Erinnerung an den Bruder lustig zu sein schien, kommt darunter jetzt ein Gefühl von Verrat und Ohnmacht hoch. Nebenbei bemerkt, hatte sie ihrem Bruder schon in der ersten Situation vertraut, während er sie belogen hatte.) ❖ Lynn: Ja (weint). Mir war so wie: »Oh nein!«. Wie sehr – ja, wie sehr mir das eigentlich den Boden unter den Füßen weggerissen hat. (Hier sehen wir, wie überraschend und bedeutungsvoll die unbewussten Erinnerungsverbindungen des Gehirns sein können. Bei einem Erdbeben gerät der Boden tatsächlich ins Wanken, und dieses Erlebnis verbindet sich für Lynn mit einem wichtigen Ereignis in der Kindheit, das ihr Vertrauen

erschüttert hat. In beiden Fällen wackelt für sie der Boden, auf dem sie steht.) ❖ Lynn: Ich dachte gerade an meinen Vater, wie wir Karten spielen und uns dabei gegenübersitzen. ❖ Lynn: Ich dachte an meinen Vater, wie er mit mir – als ich etwa elf Jahre alt war – einen neuen Mantel kaufen ging und mich beim Zuknöpfen des Mantels in die Brustwarze gekniffen hat, und wie mich das total aus der Fassung brachte. (Ähnlich wie die erste Erinnerung an ihren Bruder beginnt auch diese mit ihrem Vater harmlos, um ihr dann das Gefühl zu geben, dass ihr Vater sie verraten hat. Auch sein Verhalten »erschüttert« ihre Realitätswahrnehmung.) ❖ Lynn: Ich sehe jetzt ganz deutlich vor mir, wie ich etwa in demselben Alter einmal krank war. Ich hatte wirklich heftige Schmerzen in der Seite. Niemand wusste, was los war, und man fuhr mich schnell ins Krankenhaus. Ich konnte mit dem Bein nicht auftreten, und niemand wusste, was mit mir los war. Dann kam man zu dem Schluss, das sei psychisch bedingt. Ich nehme an, anders konnte ich nicht ausdrücken, was mich quälte. (Lynn wusste, dass sie heftige Schmerzen hatte, aber niemand glaubte ihr, und die Erwachsenen kamen überein, dass Lynns Wahrnehmung nicht zu trauen war, was ihr erneut den Boden unter den Füßen wegriss.) Wie Sie sehen, zeigen sich die Assoziationen zu neuen Erinnerungen und Einsichten, anders als bei anderen Therapieformen, nach jedem Set von Augenbewegungen. Durch gezielte Ausrichtung der Aufmerksamkeit und Stimulation kann in Lynns Informationsverarbeitungssystem spontan alles hochkommen, was notwendig ist, um die Erinnerung zu einer

angemessenen Lösung zu bringen. Der Therapeut sorgt dafür, dass das Informationsverarbeitungssystem aktiv bleibt und leitet Lynn so an, dass ihr gesamtes Erinnerungsnetzwerk angesprochen wird. Nachdem Sie jetzt gesehen haben, wie sich in einer solchen Sitzungen spontan Assoziationen einstellen, mache ich mit der Beschreibung der Sitzung weiter und greife am Ende noch einmal auf das Protokoll zurück. Als Lynn sich bei einem weiteren Set von Augenbewegungen auf den Schmerz in ihrer Seite konzentrierte, wurde ihr klar, wie chaotisch und unsicher ihre Kindheitsfamilie gewesen war. Sie erinnerte sich daran, dass ihre Mutter und ihr Vater sich ständig stritten und mit Gegenständen bewarfen, wenn sie glaubten, dass Lynn schlief. Mit ihrer Schwester versteckte sie sich unterm Bett und versuchte dort einzuschlafen, doch die Angst hielt sie wach. Das Bild der verängstigten Kinder in ihrem Versteck unterm Bett hat Parallelen zu Lynns erstem Bild, wo sie mit ihrem Sohn in einem Durchgang vor dem Erdbeben Schutz suchte und ihr die Gegenstände aus dem Regal um die Ohren flogen. Das könnte auch erklären, warum Lynn nach diesem Erdbeben eine PTBS entwickelte, obwohl sie die beiden ersten Erdbeben relativ unbeschadet überstanden hatte. Das Bild, wie sie sich mit ihrem Sohn inmitten des Chaos Schutz suchend duckte, stellte eine direkte Verbindung zu ihrer verstörenden Kindheit dar. Als Lynn fortfuhr, ihre Erinnerungen zu verarbeiten, wurde ihr klar, dass sie ihren Vater immer vor der Mutter hatte schützen wollen, weil ihr deren Verhalten »völlig verrückt« vorgekommen war. Das brachte sie wieder zu dem jüngsten Erdbeben. Sie war aus der Dusche gesprungen, ins Zimmer ihres Sohnes gerannt, hatte ihn aus dem Bettchen geholt, war mit ihm nach unten gerannt und hatte versucht, ihn mit ihrem Körper zu schützen. Hier entpuppte sich eine interessante Parallele zwischen dem Beschützen ihres

Sohnes und dem Beschützen des eigenen Vaters. Lynn fiel zudem auf, dass sie auch ihren Sohn vor dessen Vater schützen musste, bei dem man eine bipolare Störung diagnostiziert hatte und der Lithium einnahm. Lynn fühlte sich immer zerrissen zwischen dem Wunsch, ihrem Sohn das Zusammensein mit seinem Vater zu erlauben, und dem Impuls, ihn vor diesem zu schützen. Dies wirft ein Licht auf die möglichen Zusammenhänge zwischen unserer Kindheit und späteren Beziehungen. Lynns Ursprungsfamilie war chaotisch und konnte ihr keine wirkliche Sicherheit bieten. Später heiratete sie einen Mann mit einer bipolaren Störung, die mit ständigen Stimmungsschwankungen verbunden ist. Auch in dieser Beziehung fühlte sie sich unsicher und übernahm wieder die Rolle der »Beschützerin«. Wir halten an diesem Punkt inne und wenden uns dem Ende der Sitzung zu, etwa zehn Minuten nach der letzten Szene. Lynn erkennt jetzt, dass sie nicht »ohnmächtig« war. Sie hatte alles Notwendige getan, um sich und ihren Sohn zu schützen, und das vermittelte ihr das Gefühl, die Dinge auch in Zukunft meistern zu können. Therapeut: Gut, wenn Sie jetzt an den ursprünglichen Vorfall denken, wo Sie mit Tim im Durchgang standen – wie ist das für Sie? ❖ Lynn: Nun, was mir dann kommt, ist … na ja, das war eben ein Erdbeben (lacht). Ja, das war wirklich ein ganz schönes Erdbeben. Denken Sie daran, dass bei Lynn eine PTBS diagnostiziert worden war. Als sie zu Beginn der Sitzung an das Erdbeben dachte, empfand sie die gleiche hochgradige Angst und Ohnmacht wie zum Zeitpunkt des ursprünglichen Ereignisses. Das gehört zu den Symptomen einer PTBS: Die Vergangenheit fühlt sich an wie Gegenwart. Durch Anwendung der EMDR-Verfahren, mit denen

wir

Zugang

zur

Erinnerung

bekommen

und

das

Informationsverarbeitungssystem stimulieren, konnten die angemessenen neuronalen Verbindungen hergestellt und verschiedene Assoziationen automatisch bewusst werden. Lynn erfuhr, dass sie effektiv handeln kann, und gewann das Gefühl zurück, die Kontrolle über ihr Leben zu haben. Alles, was nicht effektiv war (die negativen Emotionen, Gedanken und körperlichen Empfindungen), verschwand. Jetzt wurde die Erinnerung an das Erdbeben angemessen abgespeichert. Da Lynn fortan mit dem Erdbeben weder Angst noch Schrecken verband, hatte es seinen Platz in der Vergangenheit gefunden. Tatsächlich brachte der Gedanke daran sie jetzt zum Lachen: »Ja, das war ein ganz schönes Erdbeben!« Nicht bei allen posttraumatischen Belastungsstörungen erfolgt die Behandlung so schnell. Eine ganze Reihe von Faktoren kann die therapeutischen Fortschritte verlangsamen. Wichtig ist in jedem Fall, dass ein zugelassener Therapeut mit einer Ausbildung in EMDR die Therapie durchführt Die Untersuchungen über EMDR zeigen jedoch, dass nach einer gründlichen Erstanamnese und entsprechenden Vorbereitungen 84 bis 100 Prozent von Einzeltraumata in etwa drei 90-minütigen Sitzungen verarbeitet werden können. Je mehr Erinnerungen mitwirken, desto mehr Zeit braucht die Verarbeitung. Doch wir müssen uns auch nicht jeder Erinnerung zuwenden, da die weiteren Erinnerungen, die mit dem anvisierten Ausgangsthema verbunden sind, durch die Verarbeitung ebenfalls positiv beeinflusst werden. Lynns Sitzung ist ein gutes Beispiel dafür, wie diese Verarbeitung vor sich geht. Sie zeigt außerdem, wie die Erinnerungen beschaffen sind, die zu emotionalen Problemen beitragen. Die Traurigkeit zum Beispiel, die Lynn in ihrer Kindheit empfand, kann auch bei Depressionen eine Rolle spielen. Und natürlich können Kindheitserfahrungen die Wahl eines Lebenspartners und das Verhalten in Liebesbeziehungen direkt beeinflussen. Auch der

Schmerz, den Lynn in der Seite verspürte und der sie ins Krankenhaus brachte, ist ein typisches Beispiel für eine somatoforme Störung, bei der sich emotionaler Schmerz als körperlicher Schmerz äußert. Das passiert häufiger, als Sie vielleicht annehmen. Jenny zum Beispiel hatte immer begeistert geturnt und Tennis gespielt, bis sie damit aufhören musste, weil sie Schmerzen in der Schulter bekam. In der EMDR-Therapie wurde ihr klar, dass das Problem beim Tennisspiel mit ihrem Vater angefangen hatte. Weil er nicht gern verlor, musste sie sich mit ihrem Können zurückhalten, denn sonst hätte sie ihn geschlagen – und das ertrug er nicht. Nachdem sie diese Erinnerungen verarbeitet hatte, verschwanden auch die Schmerzen in ihrer Schulter. Wir schauen uns diese Themen und auch Methoden für ihre Bewältigung in späteren Kapiteln noch genauer an. Persönlichkeit und Verarbeitung Lynns unverarbeitete Erinnerungen verursachten nicht nur ihre PTBS, sondern beeinträchtigten ihre gesamte Persönlichkeit. Bei uns allen bilden unverarbeitete Erinnerungen generell die Grundlage für negative Reaktionen, Einstellungen und Verhaltensweisen. Verarbeitete Erinnerungen hingegen sind eine Grundlage für angemessene, positive Reaktionen, Einstellungen und Verhaltensweisen. Mit »Persönlichkeit« ist im therapeutischen Kontext unsere typische Art und Weise des Umgangs mit Menschen und Situationen gemeint. Neben genetischen Faktoren beruhen unsere typischen oder persönlichen Wesenszüge auf einer Gruppe von Erinnerungsnetzwerken, welche die Grundlage für unser Verhalten und unsere Gefühle bilden. Diese Erinnerungsnetzwerke entstehen unser ganzes Leben lang und spiegeln wider, wer wir waren, wo wir waren und was geschah, als das entsprechende Netzwerk entstand. Das ist auch der Grund dafür, dass wir bei der Arbeit oft ein anderer Mensch zu sein scheinen als zu Hause. Unsere typischen Reaktionen in diesen beiden Lebensbereichen

können unter anderem deswegen unterschiedlich sein, weil wir als Kinder ein chaotisches Zuhause hatten, in der Schule aber gute Leitungen erbrachten. Wenn Netzwerke kollidieren Da wir jetzt grundsätzlich wissen, wie ein individuelles Gehirn Zusammenhänge herstellt, wollen wir uns einmal anschauen, was passieren kann, wenn zwei Menschen aufeinandertreffen, die beide in Schwierigkeiten sind. Als Nicholas eine Therapie anfing, war er extrem gestresst und dachte an Selbstmord. Seine Frau hatte ihn gerade verlassen, und er wirkte wie ein gebrochener Mann. »Ich habe mich so bemüht, ihr ein guter Ehemann zu sein. Wie konnte sie mich verlassen?« Isabella kehrte zu ihm zurück, aber ihre Ehe war eindeutig in Gefahr. Nicholas hatte sich selbst fast ganz aufgegeben, um seiner Frau alles recht zu machen. Er war ein sensibler Mann, der richtig erfasste, dass seine Frau litt. Ihre seelischen Wunden gingen auf ihre Kindheit zurück, und er wollte ihr verzweifelt gern helfen. Er versuchte ihr in allem entgegenzukommen und bestand selten auf eigenen Wünschen. Leider half ihm das alles nicht. Während sie immer ärgerlicher und anspruchsvoller wurde, verhielt er sich immer passiver und nachgiebiger. Beide wurden von unbewussten Erinnerungen aus der Kindheit gesteuert und wiederholten Verhaltensmuster, mit denen sie sich gegenseitig das Leben noch schwerer machten. Isabella war das jüngste von sechs Kindern. Nach ihrer Geburt bekam die Mutter Depressionen und zog sich immer mehr zurück. Ihre Brüder und Schwestern schikanierten und misshandelten Isabella, und ihre Mutter unternahm nichts, um das zu verhindern. Die passive Haltung ihres Mannes erinnerte Isabella an die eigene Mutter. Sie hatte das Gefühl, nicht wichtig

zu sein, weil er sie nicht beschützte. Ihre Reaktion auf Nicholas bestand darin, dass sie ärgerlich und fordernd wurde. So hatte sie sich auch als Kind verhalten, damit ihre Mutter auf sie einging. Natürlich war das kein »rationales« Verhalten. Anders als ihre Mutter jedoch versuchte Nicholas, es Isabella recht zu machen. Doch wenn die Emotionen aus der Kindheit erst einmal hochkommen, färben sie unsere Sicht der Gegenwart. Um die Ursache für Nicholas’ Reaktionen herauszufinden, bat ich ihn, sich zu vergegenwärtigen, wann er und Isabella sich das letzte Mal gestritten hatten. Ich fragte ihn, welche Gedanken und Gefühle dabei hochkämen. »Ich fühlte mich ohnmächtig«, sagte er. Also half ich ihm mit einer Technik, die wir uns in einem späteren Kapitel noch näher anschauen werden, innerlich in seine Kindheit zurückzukehren. Er erinnerte sich an die Streitereien zwischen seinen Eltern, und wie hilflos und ohnmächtig er sich dabei gefühlt hatte. Bereits als kleines Kind erlebte er diese Streitigkeiten mit, die schließlich in der Ehe seiner Eltern ganz alltäglich wurden. Sein Vater mit seinen antiquierten Ansichten richtete seinen Ärger auf Nicholas wie auf dessen Mutter und kritisierte ständig an den beiden herum. Er prügelte Nicholas regelrecht mundtot. Um diese Schläge zu verhindern, ging Nicholas jeder Konfrontation mit seinem Vater aus dem Weg und versuchte, ihm alles recht zu machen. Seine Passivität angesichts Isabellas Ärger war eine automatische Reaktion. Unglücklicherweise erboste er sie damit noch mehr, was wiederum mit ihren Erinnerungsnetzwerken in Bezug auf eine Mutter zusammenhing, die sich nie für sie eingesetzt hatte. Bei beiden löste das Verhalten des anderen das Gefühl aus, in Gefahr zu sein. So sehr sie sich auch liebten, die Vergangenheit war Gegenwart und drohte ihre Ehe zu zerstören. Niemand von uns ist gegen solche Assoziationen immun. Unser Gehirn ist so verdrahtet, dass es sie ständig herstellt. Versuchen Sie einmal folgendes

Experiment. Suchen Sie sich einen ruhigen Ort und beschließen Sie, für die nächsten zehn Minuten nichts anderes zu tun, als sich beim natürlichen Einund Ausatmen auf Ihre Nasenlöcher zu konzentrieren. Überprüfen Sie, wie lange Ihnen das gelingt, bis Sie feststellen müssen, dass Ihr Geist sich wie von selbst anderen Dingen zugewendet hat. Es fällt uns allen schwer, die Aufmerksamkeit so lang aufrechtzuerhalten. Deswegen werden überall auf der Welt Meditationskurse angeboten, und Zen-Meister üben sich jahrelang darin, sich innerlich auf den Atem, Gesänge oder Mantras auszurichten. Das Gehirn verknüpft alles, was wir tun, denken und fühlen, mit bestimmten Assoziationen. Unsere Aufgabe besteht darin, zu überprüfen, ob unsere Gedanken, Emotionen oder körperlichen Reaktionen so destruktiv, negativ oder schädlich sind, dass wir etwas dagegen unternehmen müssen. Wer wir sind Wie Sie sehen, sind wir zwar alle bestimmt durch die Genetik, doch auch frühere Erlebnisse haben einen tief greifenden Einfluss auf unsere Persönlichkeit und steuern unser Verhalten in der Welt. Dass die Art und Weise unseres Heranwachsens Einfluss auf uns hat, steht ohne Zweifel fest. Die Erfahrungen, die wir damals machten, wurden in unseren Erinnerungsnetzwerken kodiert und bilden die Grundlage dafür, wie wir als Erwachsene die Welt wahrnehmen. Selbst die liebevollsten Familien entlassen ihre Kinder mit unverarbeiteten Erinnerungen ins Erwachsenenleben. Das ist unter anderem deswegen der Fall, weil wir als Kinder so verletzlich sind. Wir sind Winzlinge in einer Welt voller Riesen. Wir haben keinerlei Macht. Selbst in der besten aller Kindheiten können wir Erfahrungen machen, die wir mit sämtlichen damit verbundenen Emotionen, körperlichen Empfindungen und Überzeugungen unverarbeitet

abspeichern. Diese Erfahrungen bleiben belastend, ganz gleich, wie viel Zeit inzwischen vergangen sein mag. In der EMDR-Therapie wenden wir uns diesen Erinnerungen zu und verarbeiten sie, weil sie die Grundlage für unsere augenblicklichen Symptome bilden. Das ist der Grund dafür, warum in unserem heutigen Leben Dinge passieren, die mit unverarbeiteten Erinnerungsnetzwerken zusammenhängen. Bei den entsprechenden Anlässen kommen die Emotionen und Empfindungen aus unserer Kindheit wieder hoch und steuern unbewusst unsere Reaktionen, sodass wir nicht in der Lage sind, auf Menschen und Ereignisse angemessen einzugehen. Wir verfügen jedoch nicht über Bilder von diesen früheren Erlebnissen, die uns sagen: »Oh, ich verhalte mich so, weil Mami damals vergessen hat, mich aus dem Kindergarten abzuholen.« Wir haben einfach nur die Gefühle, die mit den entsprechenden Erlebnissen verbunden sind. Wenn wir diese unbewussten Erinnerungen identifizieren und verarbeiten, stellen sich die negativen Emotionen und Körperempfindungen nicht mehr ein. Dann können wir in der Gegenwart erwachsene Menschen sein und uns auch entsprechend verhalten. An dieser Stelle ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass nicht alle schwierigen Situation in unserem Leben auf frühen Kindheitserfahrungen beruhen. Wir können auch als Erwachsene schwierige Erlebnisse der unterschiedlichsten Art haben, die Symptome einer PTBS oder andere Störungen verursachen. Manchmal treten solche Erfahrungen auch gehäuft auf und reißen uns den Boden unter den Füßen weg. Oft aber sind es Kindheitserfahrungen, die uns besonders anfällig machen, wie es auch bei Lynn der Fall war. Ebenso können uns Ereignisse aus der Jugend großen Schaden zufügen. Meg zum Beispiel kam in die Therapie, weil sie sich extrem minderwertig und schüchtern fühlte und überhaupt kein

Selbstvertrauen hatte. Sie hatte ständig das Gefühl, alle Menschen um sie herum würden sie beobachten und verurteilen, selbst wenn sie nur im Supermarkt Schlange stand. Es stellte sich heraus, dass Megs Probleme auf ein Erlebnis in ihrer Jugend zurückgingen, auf das sie sich damals eigentlich gefreut hatte. Ihre Eltern hatten sich scheiden lassen, als sie zwei Jahre alt war, und mit 13 Jahren sollte sie ihren Vater wiedersehen. Sie fuhr Verwandte in Florida besuchen, und ihr Vater kam, um sie abzuholen und ein paar Tage mit ihr zu verbringen. Sie war sehr aufgeregt und glücklich, als er mit ihr ans Meer fuhr. Leider war sie nie zuvor am Meer gewesen und wusste nicht, dass sie sich vor der Sonne dort schützen musste. Deswegen holte sie sich einen heftigen Sonnenbrand. Als sie ihrem Vater am nächsten Tag in seinem Haus beim Putzen helfen sollte, hatte sie wegen des Sonnenbrands solche Schmerzen, dass sie passen musste. Daraufhin schaute der Vater sie verächtlich an und sagte: »Ich kann nicht glauben, dass du so dumm warst, dich nicht einzucremen.« Dieser Besuch war der letzte Kontakt mit ihrem Vater. Rückblickend fühlte sich diese Erinnerung für Meg an »wie ein Tritt in den Bauch«, obwohl inzwischen Jahre vergangen waren. Die damit verbundene Scham kam jedes Mal hoch, wenn ein Mensch sie anschaute – sie fühlte sich dann unsicher und minderwertig. Das Erlebnis mit ihrem Vater hatte ihr Selbstgefühl in den letzten 20 Jahren regelrecht vergiftet. Unser Gehirn stellt ständig Zusammenhänge her, ohne dass uns das bewusst ist. Selbst bei der Verarbeitung kommen nur einige dieser Zusammenhänge ins Bewusstsein. Wenn ich zum Beispiel einen Apfel sehe, verbindet sich sein Anblick mit Erinnerungsnetzwerken, die mit rot, rund, Frucht, schälen, Stiel, Kuchen und allen anderen Erfahrungen verbunden sind, die ich mit Äpfeln jemals gemacht habe. Ob ich ihn esse oder nicht, hängt mit dem Gefühl zusammen, das in mir bei seinem Anblick

hochkommt. Bin ich hungrig oder nicht? Wenn mir einmal von einem faulen Apfel schlecht geworden ist, rühre ich möglicherweise nie wieder Äpfel an. Die Frage ist: Werden wir von unseren Erinnerungen richtig geleitet oder treiben sie uns zu Dingen, die wir nicht tun sollten – und hindern uns zu tun, was wir tun sollten? Den Apfel essen oder nicht? Tabletten nehmen oder einen tiefen Atemzug? Für mich selbst eintreten oder nachgeben? Meinen Erfolg genießen oder Angst haben, etwas oder jemand könnte ihn mir verderben oder wieder nehmen? Mich für eine Beziehung entscheiden, die mir guttut, oder für eine, die mir schadet? Von »irrationalen« Reaktionen geprägt sein oder gesunde Entscheidungen für mein Leben treffen? In den nächsten Kapiteln werden wir sehen, dass es verschiedene Wege gibt, herauszufinden, welche unbewussten Erinnerungen uns steuern, und verschiedene Möglichkeiten, mit den damit verbundenen, störenden Reaktionen umzugehen. Zunächst einmal müssen wir überhaupt erkennen, dass manche unserer Reaktionen nicht unserer augenblicklichen Realität entsprechen, sondern auf Erinnerungen aus unserer Vergangenheit beruhen. Natürlich ist es in manchen Situationen richtig, mit Ärger, Sorge, Furcht oder Besorgnis zu reagieren – in anderen Situationen jedoch nicht. Manchmal sind wir verführt, unsere Reaktionen allein aus dem Grund richtig zu finden, weil wir sie nun einmal haben. Doch nur weil wir Angst haben, muss das nicht heißen, dass ein Tiger uns in unserem Wohnzimmer auflauert. »Rosen sind rot« – manchmal jedenfalls. Und Veilchen sind nicht blau – selbst wenn uns unser Kopf etwas anderes erzählt.

3. Ist es das Klima oder das Wetter? Chronische und vorübergehende Schwierigkeiten

Auch wenn Menschen auf völlig unterschiedliche Arten leiden, hat sich im Lauf der letzten 20 Jahre gezeigt, dass die meisten ein ähnliches Thema bewegt, wenn sie eine Therapie anfangen. Sie sagen: »Ich fühle mich so festgefahren.« Und sehr oft heißt es auch: »Ich weiß nicht, warum ich das immer wieder mache.« Oder: »Warum fühle ich mich nicht besser mit mir selbst?«, »Ich weiß, dass ich solche Gedanken nicht haben sollte, aber ich habe sie nun einmal.« Oder: »Ich sollte wirklich etwas unternehmen, um das zu verändern, aber irgendwie kann ich es nicht.« Mit anderen Worten: Menschen fühlen sich einerseits zu Verhaltensweisen getrieben, die ihnen nicht guttun, und andererseits gehindert, Dinge zu tun oder zu haben, die sie tun oder haben möchten. Manche Menschen, die Hilfe in Anspruch nehmen wollten, sagen auch: »Therapie hat bei mir nicht funktioniert.« Ihnen ist nicht klar, dass es Hunderte verschiedene therapeutische Ansätze gibt und es reine Glückssache sein kann, die richtige Therapie und die richtige Therapeutin zu finden. Doch wir können aus allen Formen von Therapie etwas lernen. Einige davon schauen wir uns in diesem Kapitel gründlicher an. Was habe ich davon? Im Laufe meines Berufslebens habe ich Hunderte Vorträge bei Konferenzen überall auf der Welt gehalten. Dabei hatte ich Gelegenheit, mich mit Tausenden von Menschen aus vielen verschiedenen Kulturen auszutauschen

und sowohl die Unterschiede als auch die Gemeinsamkeiten zwischen uns kennenzulernen. Am verblüffendsten war dabei für mich, dass für unser Gehirn, unseren Geist und unseren Körper, unabhängig von Geschlecht und Nationalität, die gleichen Grundsätze gelten. Um Ihnen verständlich zu machen, warum und in welcher Form die Grundgedanken dieses Buches auch auf Sie zutreffen, stellen wir gleich ein paar Experimente an, die ich meistens auch den Menschen vorschlage, die meine Vorträge besuchen. Sie wissen bereits, dass sich unverarbeitete Erinnerungen störend auswirken können, weil die damit verbundenen körperlichen Empfindungen und Emotionen, die im Gehirn gespeichert sind, immer wieder automatisch hochkommen. Dabei spielt der Körper eine wichtige Rolle, wie Sie bei folgendem Experiment selbst sehen werden: Nehmen Sie als Erstes einen tiefen Atemzug und lassen Sie den Atem langsam wieder gehen. Dann schließen Sie einen Moment lang die Augen und achten darauf, wie sich Ihr Körper anfühlt – und jetzt öffnen Sie die Augen wieder, um die nächsten Zeilen hier zu lesen. Ich hoffe, Ihnen war in keiner Weise unwohl und Ihr Körper hat sich neutral angefühlt. Nehmen Sie jetzt einen weiteren Atemzug und achten Sie darauf, wie Ihr Körper sich anfühlt, wenn Sie die Augen schließen und dabei das Wort »nein« wiederholen. Öffnen Sie die Augen, nachdem Sie das – laut oder leise, sollten Sie nicht allein sein – getan haben: Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nehmen Sie einfach Ihren Körper wahr. Hat sich zum Beispiel an Ihren Schultern, an Ihrem Brustkorb oder Bauch etwas geändert? Nehmen Sie jetzt einen weiteren Atemzug, schließen Sie Ihre Augen wieder und achten Sie darauf, was passiert, wenn Sie das Wort ändern und laut oder innerlich sagen: Ja. Ja. Ja. Ja. Ja. Ja. Ja. Ja. Haben Sie einen Unterschied bemerkt? Obwohl hier nur ein Wort gefallen ist, hat sich bei den meisten von Ihnen körperlich etwas geändert. Diese

beiden Worte sind mit vielen Dingen in Ihrem Leben verbunden, und Ihr Körper reagiert automatisch auf das, was in Ihrem Geist vor sich geht. Im nächsten Kapitel schauen wir uns gründlicher an, auf welche gespeicherten Erfahrungen die automatischen emotionalen und körperlichen Reaktionen zurückgehen, die Menschen sagen lassen, dass sie sich festgefahren fühlen. Vorher beschäftigen wir uns jedoch in diesem Kapitel noch weiter mit grundlegenden Themen und eignen uns Werkzeuge an, die uns helfen, mit möglichen Störungen umzugehen. Ich sollte an dieser Stelle auch erwähnen, dass manche von Ihnen bei diesem Experiment vielleicht körperlich überhaupt nicht reagiert haben. Vielleicht können Sie etwas lernen aus der folgenden Situation, die ich einmal bei einem meiner Workshops erlebte. Zu jedem offiziellen EMDRAusbildungstraining gehören praktische Übungen, damit die teilnehmenden Therapeutinnen und Therapeuten eigene Erfahrungen mit dieser Therapieform machen. Die Anwesenden werden in kleinere Gruppen unterteilt, in denen jeder die Gelegenheit bekommt, »Patient« und »Therapeut« zu sein. Der »Patient« teilt dem Therapeuten eine störende Erinnerung aus seinem Leben mit, um selbst eine authentische Lernerfahrung zu machen. Anwesend ist auch eine ausgebildete Fachkraft, welche die Rolle des Supervisors übernimmt. Bei einer dieser Übungen beobachtete ein Supervisor, wie der »Patient« in Tränen ausbrach, woraufhin sein »Therapeut« ausrief: »Nein, nein, Sie müssen hier nicht weinen!« Glücklicherweise war der Therapeut bereit, sich korrigieren zu lassen, sodass der »Patient« seine Erinnerung verarbeiten konnte, ohne seine Tränen unterdrücken zu müssen. Wie Sie sich vielleicht aus dem letzten Kapitel erinnern, ist es für die Herstellung spontaner innerer Zusammenhänge wichtig, »alles, was innerlich hochkommt, einfach

wahrzunehmen und geschehen zu lassen«. Anschließend war der Therapeut an der Reihe, als »Patient« ein Thema aus seinem eigenen Leben einzubringen. Er sagte, ihm fiele kein eigenes Anliegen ein, außer vielleicht, dass er sich aus irgendeinem Grund daran störe, in welchem Tonfall seine Tochter »Papi« zu ihm sage. Also fokussierten sie dieses Thema. Nachdem sie darüber ein wenig ausführlicher gesprochen hatten, erinnerte sich der »Patient« daran, wie er im Alter von sechs Jahren einmal mit seiner Mutter auf der Veranda des Hauses gesessen hatte. Damals erzählte sie ihm, sein Vater habe seine Stelle verloren und sei in eine andere Stadt gefahren, um dort Arbeit zu finden. Sie würden aus dem Haus ausziehen müssen, in dem er geboren worden war. Daraufhin bricht der Junge in Tränen aus, und seine Mutter klopft ihm auf die Schulter und sagt: »Na komm, sei mein kleiner Mann. Reg Mami nicht so auf!« Da zwingt er sich mit seinen sechs Jahren, die Tränen zu unterdrücken, um ein richtiger »Mann« zu sein. Mit dieser Erfahrung setzte sich damals in ihm das Gefühl fest, dass es nicht richtig ist, zu fühlen. Seither drängte er seine Emotionen weg und schnitt sich von sämtlichen störenden körperlichen Empfindungen ab. Obwohl inzwischen viele Jahre vergangen waren und er Therapeut geworden war, hatte ihn dieses Erlebnis noch immer fest im Griff und steuerte sein Verhalten gegenüber den eigenen Patienten. Das Fazit aus dieser Geschichte ist, wer auch immer wir sind und was auch immer wir tun, unsere physiologisch gespeicherten Erinnerungen bilden die Grundlage für unsere gegenwärtigen Wahrnehmungen. Unverarbeitete Erinnerungen können unsere Empfindungen und emotionalen Reaktionen nicht nur verstärken, sondern uns auch daran hindern, überhaupt zu fühlen. Wenn Sie zwischen »nein« und »ja« körperlich keinen Unterschied empfunden haben, sollten Sie sich einmal fragen: War das die falsche Übung für mich oder bin ich generell

nicht in Kontakt mit meinem Körper und meinen Emotionen? Falls Letzteres zutrifft, sind hier vielleicht unverarbeitete Erinnerungen im Spiel. Denn ganz gleich, ob Sie mit Ihren körperlichen Empfindungen oder Emotionen in Berührung sind oder nicht, die unbewussten Verbindungen Ihres Erinnerungssystems wirken sich immer noch störend auf Ihre heutigen Reaktionen aus. Im Grunde läuft der Computer noch immer, auch wenn der Monitor ausgeschaltet ist. Die Knackpunkte Bevor wir fortfahren, muss ich hier den Rahmen unserer Möglichkeiten ganz klar abstecken. Erstens können Sie Schmerzvolles aus Ihrem Leben nicht völlig verbannen. Dinge geschehen, Dinge ändern sich. Emotionen können kommen und gehen, so wie Hunger wächst und abnimmt, wir in unserem Leben Verluste und Gewinne erleben, gute und schlechte Nachrichten erhalten, die Venus am Himmel aufsteigt oder der Mond zuund abnimmt. Die Frage ist, wie hartnäckig die leidvollen Gefühle sind und wie lange sie anhalten. Ist die Traurigkeit, der Ärger, die Furcht, Besorgnis, Einsamkeit oder Schüchternheit vorübergehend und hat gute Gründe, oder bin ich in diesen Emotionen regelrecht zuhause? Sind sie das Wetter oder das Klima? Um das herauszufinden, müssen wir uns anschauen, wie oft und in welchen Situationen wir uns festgefahren fühlen. Nehmen wir zum Beispiel Nancy, die in die Therapie kam, weil sie unter Flugangst litt. Zum ersten Mal passierte ihr das, als sie bei einem heftigen Sturm in einem kleinen Flugzeug von einer karibischen Insel zur anderen flog. Seitdem sah sie bevorstehenden Flügen zunehmend ängstlicher entgegen. Schließlich beschloss sie, sich Hilfe zu holen, denn sie hatte eine Beförderung bekommen, und zu ihrer neuen Aufgabe gehörte auch, dass sie jeden Monat in mehrere Städte fliegen musste.

Nancys Problem ließe sich mit vielen verschiedenen psychotherapeutischen Ansätzen verstehen und behandeln. Eine psychodynamische Therapeutin zum Beispiel würde Nancy vorschlagen, ihre Angst vor dem Fliegen zu erforschen, um herauszufinden, welche Konflikte und weiteren Ängste ihr zugrunde liegen. Nancy würde beschreiben, was genau ihr beim Fliegen Angst macht und ihre Befürchtungen hinsichtlich Pilot, Copilot etc. schildern. Kennt sie solche Gefühle von früher, fallen ihr Menschen ein, die diese Gefühle schon einmal bei ihr ausgelöst haben? Leidet sie unter zu wenig Selbstvertrauen oder Versagensängsten? Könnte es sich bei ihrer Angst vor dem Fliegen um das generelle Gefühl handeln, in der Welt nicht geborgen zu sein, und hat sie das vielleicht schon seit ihrer Kindheit so empfunden? Ist ihre Angst Ausdruck dieser generellen Unsicherheit, ist Nancy vielleicht wütend auf ihre Eltern, weil diese ihr keine Sicherheit vermitteln konnten? Ganz gleich, welche eigentliche Ursache Nancys Angst hätte, die Behandlung würde, wie alle psychodynamischen Therapien, Nancys »Konflikte« zutage fördern, sich ihnen zuwenden und sie deuten. Zusammen mit der Therapeutin würde Nancy diese Konflikte verbal durcharbeiten, um herauszufinden, welche Bedeutung ihre Angst im Kontext der therapeutischen Beziehung hat. »Durcharbeiten« heißt, sie würde über ihre Erfahrungen sprechen und sie in der »Übertragung« (der Kindheitsgefühle auf die augenblickliche therapeutische Beziehung) mit der Therapeutin noch einmal durchleben. Dabei würde Nancy ihr augenblickliches Problem besser verstehen wie auch die Gefühle, die sie den Eltern und der Therapeutin entgegenbrachte, und außerdem würde ihr klar werden, wie ihr heutiges Erleben mit der Vergangenheit zusammenhängt. Die Erforschung dieser Themen würde in einer sicheren,

liebevollen therapeutischen Beziehung erfolgen und dadurch ein vertieftes Verständnis fördern. Im Verlauf der Zeit würde Nancy durch den wiederholten Austausch mit ihrer Therapeutin ihre Beziehung zu sich selbst, ihren Eltern und der Welt generell besser verstehen. Durch dieses tiefere Verständnis ihrer Probleme und die gewonnenen Einsichten über ihre eigenen Reaktionen fiele es ihr in verschiedenen Situationen leichter, loszulassen. Dieser therapeutische Ansatz geht von der Wichtigkeit früherer Erfahrungen aus, und sein Schwerpunkt liegt darauf, die Klientin mit den Emotionen und Sichtweisen aus ihrer Kindheit noch einmal in Berührung zu bringen. Ausschlaggebend für Veränderungen ist im Rahmen solch einer »Redekur« die augenblickliche Beziehung zur Therapeutin. Diese würde der Klientin nicht nur zu Einsichten und einem vertieften Verständnis verhelfen, sondern ihr vielleicht auch noch eine Form von Desensibilisierung vorschlagen, um ihre Angstreaktion überwinden zu können. Würde Nancy von einem kognitiven Verhaltenstherapeuten behandelt (CBT = cognitive behavior therapy) und damit nach der Methode, die für diese Art von Ängsten am häufigsten empfohlen wird, gehörte dazu ein ganzer Therapietag für »Verhaltensexperimente«. Sie würde sich der angstbesetzten Lebenssituation real aussetzen und mit ihrem Therapeuten zusammen einen 45-minütigen Flug unternehmen. Von der Praxis des Therapeuten aufbrechend, würden sie den Bus oder Zug zum Flughafen nehmen. Nancy würde ihrem Therapeuten alle ihre negativen Befürchtungen in Bezug auf sämtliche Aspekte dieser Kurzreise mitteilen, von der Fahrt zum Flughafen bis zum Warten auf den Einstieg, vom Boarding und dem ganzen Flug bis zur Landung. Nach der Ankunft würden sie gleich wieder einchecken und zurückfliegen. Die Aufgabe des Therapeuten bestünde darin, abzusehen, in welchen Situationen Nancy

negativ denken könnte, und sie anzuleiten, ihre Gedanken in diesen Situationen zu verändern und sich dann anzuschauen, wie sich das auf ihre Ängste auswirkt. Bei der Rückfahrt vom Flughafen würde er Nancy auffordern, ihm zusammenfassend zu berichten, was sie bei der Behandlung gelernt hat und wie sie, auf diese Erfahrungen aufbauend, in Zukunft auch ohne Beistand des Therapeuten weitere Flüge unternehmen könnte. Andere Formen von CBT wären verbunden mit vielen Sitzungen in der Praxis, in denen die Klientin Flüge in der Fantasie durchspielen und Hausaufgaben aufbekommen würde, die sie täglich machen müsste. Obwohl man auch bei dieser Therapie weiß, dass Ängste durch frühere Erlebnisse bedingt sein können, konzentriert man sich hier hauptsächlich auf die aktuellen Symptome. Die Methode zur Veränderung besteht in der direkten Beeinflussung des Verhaltens und der damit verbundenen Überzeugungen. Da Menschen mit Ängsten das gefürchtete Ereignis oder entsprechende Situationen meistens meiden wollen, geht es in der Therapie darum, sich dem Gefürchteten direkt zu stellen. Und da kognitive Verhaltenstherapeuten den Grund für diese Vermeidung in negativen, irrationalen Überzeugungen sehen, konzipieren sie »Verhaltensexperimente« oder Konfrontationen mit entsprechenden Dingen oder Situationen im realen Leben. Dabei erlebt die Klientin, dass die erwartete Katastrophe – in diesem Fall ein Flugzeugabsturz – ausbleibt. Sie kann die Erfahrung machen, dass ihre Angst unbegründet ist und in Zukunft entsprechend reagieren. Im Rahmen einer solchen Behandlung würde der Therapeut Nancy wahrscheinlich auffordern, weitere Flüge zu unternehmen und ihr Verhalten dabei mit den Techniken zu steuern, die sie in der Therapie gelernt hat, um einen Rückfall zu verhindern. Als Nancy mit ihren Ängsten eine EMDR-Therapeutin aufsuchte, sah deren Ansatz ganz anders aus. Der Fokus liegt auf den gespeicherten

Erinnerungen, die den Ängsten zugrunde liegen. Die Therapeutin findet heraus, welche früheren Erlebnisse zur Störung beitragen, welche aktuellen Umstände die Störung verursachen und was vonnöten ist, um in Zukunft frei davon zu sein. All diese Themen werden durch die Verarbeitung angesprochen. Statt jedoch ausführlich über die schwierigen Erlebnisse zu sprechen, geht die Behandlung direkt zur Verarbeitung der gespeicherten Erinnerungen über, sodass das Gehirn diese mit angemesseneren Gedanken und Gefühlen neu abspeichern kann. Bei dieser Form von Verarbeitung kommt es zu Einsichten wie auch zu einer »Desensibilisierung« von entsprechenden Ängsten und Befürchtungen. Bei dieser »angemessenen Informationsverarbeitung« findet die Therapeutin durch die Erforschung von Nancys Vorgeschichte heraus, was in deren Leben passierte, als ihre Symptome zum ersten Mal auftraten. Ein Flug bei Sturm in einem kleinen Flugzeug kann auf jeden Fall beängstigend sein. Doch viele Menschen erleben solche Situationen und entsprechende Gefühle, ohne daraufhin vor jedem weiteren Flug Ängste und Befürchtungen zu haben. Möglicherweise ist da noch mehr im Spiel. Auch war das nicht Nancys erster Flug. Sie war, bevor sie diese Ängste entwickelte, bereits öfter ohne Angst geflogen. Bei der Anamnese steckten Nancy und ihre Therapeutin ihr erstes, ihr schlimmstes und ihr letztes beunruhigendes Flugerlebnis ab. Dabei stellte sich heraus, dass Nancys Symptome zum ersten Mal bei einem Flug zu Anfang ihrer Collegezeit aufgetreten waren. Damals hatten sich ihre Eltern getrennt und schließlich scheiden lassen, ein Ereignis, das ihr in Bezug auf ihre Ängste beim Fliegen bislang überhaupt noch nicht in den Sinn gekommen war. Doch als sie sich auf den Flug konzentrierte, bei dem die Angst zum ersten Mal auftrat, kam die Trennung der Eltern automatisch hoch. Nancy erzählte, sie habe sich für die Entscheidung ihrer Eltern verantwortlich gefühlt und sei damals sehr

aufgewühlt gewesen. Wäre sie nicht aus dem Haus gegangen, um das College zu besuchen, so glaubte sie, wären ihre Eltern bestimmt zusammengeblieben. Die Sturmböen bei dem Flug in der Karibik verstärkten ihre Befürchtungen und ihre Besorgnis in Bezug auf ihre häusliche Situation und wurden schließlich zur Grundlage für ihre Flugangst. Aber das war nicht alles. Ihr Verantwortungsgefühl für das Verhalten ihrer Eltern bezog sich nicht nur auf deren Scheidung. Kinder und Heranwachsende fühlen sich häufig schuldig, wenn ihre Eltern Schwierigkeiten miteinander haben. Diese Überzeugung kann in ihrem Gehirn gespeichert werden und ihnen später im Leben Probleme bereiten. Aber Nancys Fall war noch komplexer. Wie sich herausstellte, war das übertriebene Verantwortungsgefühl für sie ein lebenslanges Thema. Da ihr Vater Alkoholiker war und ihre Mutter an Depressionen litt, war Nancy die Rolle zugefallen, sich um die beiden zu kümmern. Nachdem die Verarbeitung der Erinnerungen abgeschlossen war, hatte sie keine Angst mehr vor dem Fliegen und konnte die anstehenden geschäftlichen Flüge problemlos antreten. An diesem Punkt lag es bei ihr, ob sie jetzt, wo dank der Verarbeitung ihre Flugängste verschwunden waren, mit der Therapie aufhören wollte oder nicht. Sie hatte auch die Möglichkeit, sich den größeren Themen zuzuwenden, denn ihr war inzwischen

klar

geworden,

dass

ihre

Schuldgefühle

und

ihr

Verantwortungsbewusstsein in Bezug auf ihre Eltern – und in Bezug auf jeden Menschen, mit dem sie eine engere Beziehung einging – übertrieben waren. Diese Gefühle waren der Grund für viele der Schwierigkeiten, die sie in ihren Liebesbeziehungen erlebte. Ihre übertriebene »Fürsorglichkeit« und »Nachgiebigkeit«, die bislang einfach automatisch abgelaufen waren, ohne dass Nancy sie bewusst wahrgenommen hatte, waren ihren

Beziehungen nicht förderlich. Sie beschloss, ihre EMDR-Therapie fortzusetzen, um an den Situationen, in denen sie sich festgefahren fühlte, zu arbeiten, und konnte die entsprechenden Probleme im Laufe der folgenden acht Monate lösen. Das heißt, sie war jetzt imstande, einen Partner zu wählen, der ihr guttat, und genoss es, ihm in ihrer Beziehung »auf Augenhöhe« zu begegnen. Sie fühlte sich frei, Liebe und Zuwendung zu empfangen, statt immer nur zu geben. Da wir alle auf die Welt um uns herum automatisch reagieren, ist es wichtig, uns bewusst zu machen, ob unsere Reaktionen wirklich angemessen sind. Reagieren wir manchmal übertrieben und das nur in bestimmten Situationen oder auch unter anderen Umständen? So arbeitete ich zum Beispiel einmal mit einer Klientin, die schwanger war und entsetzliche Angst vor der Geburt ihres Kindes hatte. Eine Schwangerschaft kann von vielen Gefühlen begleitet sein, doch solche starken Ängste sind sicher nicht wünschenswert. Also verfolgten wir diese Gefühle zurück und fanden heraus, dass sie offensichtlich auf die Rolle zurückgingen, die sie als älteste von sieben Geschwistern eingenommen hatte. Ein Kind zu gebären, hieß für sie, zu werden wie ihre Mutter, die frühzeitig gealtert war. Nach der Verarbeitung dieser Erinnerungen verlief die Geburt ihres Kindes problemlos. Die EMDR-Therapie wirkte sich auch auf ihr Selbstbild aus, da sie erkannte, dass sie die meiste Zeit ihres Lebens übermäßig besorgt um ihr Äußeres gewesen war und sich zum Beispiel stundenlang zurechtgemacht hatte, bevor sie zu einer Party aus dem Haus ging. Wie auch immer unsere unangemessenen automatischen Emotionen, Überzeugungen und körperlichen Reaktionen aussehen mögen, meistens gehen sie zurück auf frühere, unverarbeitete Erinnerungen, die uns dazu treiben. Die Vergangenheit ist Gegenwart. Wir müssen uns fragen, ob diese Reaktionen angemessen sind. Falls nicht, treten sie nur in einem

Lebensbereich auf oder ziehen sie noch weitere Kreise? Oder, um die Frage noch einmal zu stellen: Ist es das Klima oder das Wetter? Im Gleichgewicht bleiben Da wir alle unverarbeitete Erinnerungen haben, die in entsprechenden Situationen ausgelöst werden können, sind wir auch alle manchmal besorgt, ängstlich, traurig, ärgerlich oder unsicher, ohne zu wissen, warum. Bevor wir uns diesen persönlichen Themen zuwenden, müssen wir wissen, wie wir dabei möglicherweise auftauchende Störungen überwinden können. Das gibt uns die Balance, die wir brauchen, um mit einem Fuß in der Gegenwart zu bleiben, während wir unsere Vergangenheit erforschen. Auch wenn wir diese negativen Gefühle alle schon einmal erlebt haben, können wir sie am besten erforschen, wenn wir keine Angst vor ihnen haben. Am ehesten gelingt uns das, wenn wir wissen, dass wir diese Gefühle auch wieder loswerden können, wenn wir es wollen. Aus diesem Grund lernen Sie zunächst einmal ein paar der Selbststeuerungstechniken, mit denen wir in der EMDR-Therapie auch unsere Klienten auf die Verarbeitung vorbereiten. Ein sicherer oder ruhiger Ort Bei der adaptiven Informationsverarbeitung verstärken wir Ihren Zugang zu positiven Erinnerungsnetzwerken. In diesen Netzwerken sind die angenehmen Erfahrungen gespeichert, die Sie in Ihrem Leben gemacht haben. Dazu gehören unter anderem Situationen, in denen Sie sich ruhig und entspannt gefühlt haben. Wenn Sie also zu irgendeinem Zeitpunkt beunruhigt sind und sich nicht länger so fühlen wollen, finden Sie dort sofort Zugang zu positiven Emotionen. Mithilfe dieser grundlegenden Techniken zur Veränderung von emotionalen Zuständen ändern wir zugleich die Ausrichtung unserer Aufmerksamkeit und damit auch unseren inneren Zustand. So können Sie zum Beispiel, wenn Sie ärgerlich werden,

bis zehn zählen und sich damit so weit beruhigen, dass Sie der entsprechenden Situation gewachsen sind. Das ändert nichts an der Ursache für Ihren Ärger oder inneren Aufruhr, verschafft Ihnen aber zwischen den auslösenden Umständen und Ihrer automatischen Reaktion darauf eine Atempause. Wir alle brauchen Methoden, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen, ganz gleich, aus welchem Grund wir in Aufregung geraten sind. Wir werden also als Erstes eine Technik erlernen, um uns an einen »sicheren Ort« zu begeben. Hierzu benutzen wir die Form von geleiteter Visualisierung, die auch in der Hypnose oder bei bestimmten Meditationstechniken Anwendung findet, nur dass Sie in diesem Fall vollkommen wach und bewusst bleiben. Sie lernen damit eine angenehme Methode für Ihre Selbststeuerung. Manchen Menschen – und das gilt vielleicht auch für Sie – gelingt das am besten, wenn sie die Anweisungen aufnehmen und ihnen mit geschlossenen Augen folgen. In Anhang A stelle ich Ihnen weitere Optionen vor. Wir beginnen mit einem positiven Bild. Dabei halten Sie Ausschau nach dem Bild von einer früheren positiven Erfahrung. Vielleicht lieben Sie Strandspaziergänge oder erinnern sich gern an bestimmte Plätze im Wald oder auf einem Berg. Dieses Erlebnis sollte uneingeschränkt positiv sein. Manchen Klienten fällt vielleicht dazu ein: »Nun, mein sicherer Platz war im Schrank. Dorthin habe ich mich immer mit meinem Teddy verzogen, wenn sich meine Eltern gestritten haben.« Oder: »Oh, am Strand ist es wirklich wunderbar, bis auf das eine Mal, als ich dort vergewaltigt wurde.« Beide Orte sind für diese Übung nicht geeignet. Manche Menschen fühlen sich zum Beispiel in Gegenwart einer religiösen Gestalt sicher und geborgen. Finden Sie heraus, welcher Ort Ihnen Sicherheit oder, wenn Ihnen das lieber ist, ein Gefühl von Ruhe vermittelt. Suchen Sie nach einer

Erinnerung, die mit positiven Emotionen verbunden ist, welche Sie sich vergegenwärtigen können, um beunruhigende Gefühle zu ersetzen. Bitte fahren Sie mit dieser Übung nicht fort, wenn Sie keinen Ort finden, der Ihnen uneingeschränkt Sicherheit oder Ruhe vermittelt. Hören Sie auch dann auf, wenn negative Emotionen hochkommen. Beides heißt, dass durch diese Übung unverarbeitete Erinnerungen freigesetzt werden, für deren Verarbeitung Sie therapeutische Hilfe brauchen. Wenn Sie eine Erinnerung gefunden haben, die Ihnen eindeutig Sicherheit und Ruhe vermittelt, können Sie mit der Übung beginnen. Lesen Sie diesen Absatz zunächst einmal zu Ende, um dann den ersten praktischen Schritt zu tun. Ich werde Sie gleich bitten, einfach die Augen zu schließen und etwa eine Minute lang Folgendes zu tun: Vergegenwärtigen Sie sich das Bild Ihrer Erinnerung und achten Sie auf die Farben oder andere Sinneserfahrungen, die damit verbunden sind. Nehmen Sie auch wahr, wie sich das anfühlt, und achten Sie besonders auf die Empfindungen, die dabei in Ihrem Körper hochkommen – Ihrem Brustkorb, Ihrem Magen, Ihren Schultern oder Ihrem Gesicht. Überprüfen Sie, ob Sie wirklich angenehme, gute, positive Gefühle haben, und öffnen Sie dann die Augen. Jetzt probieren Sie das. – Haben die Vergegenwärtigung dieses Bildes und die bewusste Wahrnehmung der damit verbundenen Farben und weiterer Einzelheiten diese angenehmen Gefühle ausgelöst? Wenn ja, dann finden Sie jetzt ein einziges Wort dafür – wie »friedlich« für das Gefühl oder »Wald« für die Umgebung. Das ist Ihre Bezeichnung für diese Erfahrung. Am Ende dieses Absatzes werde ich Sie bitten, die Augen wieder zu schließen, sich das Bild zu vergegenwärtigen, die angenehmen Gefühle wahrzunehmen und das Wort innerlich zu sagen. Dabei achten Sie einfach auf Ihre Gefühle, während Sie sich ganz auf die erinnerte Szene einlassen und innerlich das Wort sagen. Nach einem

Moment öffnen Sie dann die Augen. Jetzt schließen Sie die Augen und tun es. Wenn positive Gefühle hochkamen, wiederholen Sie diesen Ablauf, indem Sie Ihre Augen erneut schließen und sich das Bild und das dazugehörige Wort noch einmal vergegenwärtigen. Tun Sie das noch fünfmal, wobei jede Wiederholung etwa eine Minute dauern sollte. Auf diese Weise verstärken Sie die Verbindungen zwischen Bild, Wort und Gefühlen. Tun Sie das jetzt. Entspannt atmen Lassen Sie uns diese Übung jetzt noch einmal versuchen, doch dieses Mal achten Sie darauf, wie sich Ihr Atem verändert, wenn Sie sich Bild und Wort vergegenwärtigen. Wenn Sie spüren, dass die positiven Emotionen aufsteigen, legen Sie Ihre Hand auf den Bereich Ihres Bauchs oder Brustkorbs, wo Ihr Atem beginnt. So atmen Sie, wenn Sie sich sicher oder ruhig fühlen. Auch daraus können Sie eine nützliche Übung für sich ableiten, denn immer, wenn Sie gestresst sind, verändert sich Ihre Atmung. Sie atmen dann höher im Körper. Sobald Ihnen das auffällt, können Sie bewusst entspannter und tiefer atmen. Schließen Sie die Augen und tun Sie das jetzt. Die Wirkung überprüfen Wenn es Ihnen nun gelungen ist, auf angenehme Weise in Ihre Erinnerung ein- und dann wieder daraus aufzutauchen, und Sie dabei die positiven Emotionen fühlen und an das Wort denken konnten, wollen wir das Ganze noch einmal überprüfen. Lesen Sie sich die folgenden Abschnitte zunächst einmal durch und folgen Sie dann den Anweisungen. Nehmen Sie Ihren Körper wahr und vergegenwärtigen Sie sich das Bild und das Wort. Kommen dabei auch die angenehmen Gefühle hoch? Schließen Sie die

Augen, um das jetzt zu überprüfen, und öffnen Sie sie wieder, sobald Sie die Antwort gefunden haben. Probieren Sie das jetzt aus. Wenn die positiven Gefühle hochkamen, sobald Sie sich das Bild und das Wort vergegenwärtigten, folgt jetzt der letzte Schritt. Rufen Sie sich etwas ins Gedächtnis, was Sie in letzter Zeit leicht beunruhigt hat, und nehmen Sie wahr, wie Ihr Körper sich dabei verändert. Vergegenwärtigen Sie sich dann das positive Bild und Wort und schauen Sie, ob sich das gute Gefühl wieder einstellt. Tun Sie das jetzt. Wenn das geklappt hat, können Sie sich mithilfe dieser Technik selbst beruhigen, sowie Sie in Aufruhr geraten. Durch die Vergegenwärtigung von Bild und Wort bekommen Sie Zugang zu Ihrem sicheren oder ruhigen Ort, sodass Sie Probleme, die Sie aus dem Gleichgewicht zu bringen drohen, besser bewältigen können. Damit Ihnen diese Technik zuverlässig zur Verfügung steht, sollten Sie sie täglich im neutralen Zustand üben. Dann fällt es Ihnen in wirklich beunruhigenden Situationen leichter, zu einem inneren Gefühl von Sicherheit oder Ruhe überzugehen. Versuchen Sie das auch mit dem entspannten Atmen. Vergegenwärtigen Sie sich eine Situation, die Sie leicht beunruhigt, schließen Sie Ihre Augen und achten Sie auf Ihren Atem, um ihn dann bewusst so zu verändern, dass Sie – wie eingeübt – entspannter und tiefer in Bauch oder Brustkorb atmen. Die bilaterale Stimulation hinzunehmen Wenn Sie jetzt imstande sind, Ihren sicheren oder ruhigen Ort aufzusuchen, können Sie die so ausgelösten positiven Gefühle noch verstärken: durch eine bilaterale Stimulation in Form von abwechselnden Taps. Es ist jedoch wichtig, dass Sie dabei sorgfältig auf Ihre Empfindungen und Gedanken achten und, sollten diese sich negativ verändern, aufhören und bewusst wieder entspannt atmen. Hier erkläre ich Ihnen zwei verschiedene Stimulationen, die Sie zu diesem Zweck benutzen

können. Legen Sie Ihre Hände auf die Oberschenkel und klopfen Sie abwechselnd auf den einen und anderen. Wenn wir uns auf den sicheren oder ruhigen Ort konzentrieren, klopfen wir langsam etwa vier- bis sechsmal im Wechsel. Das sind etwa fünf Sekunden. Wir machen hier keine langen Sets und klopfen auch nicht besonders schnell wie bei der EMDR-Neuverarbeitung, bei der dadurch manchmal neue Erinnerungen und damit verbundene unangenehme Assoziationen hochkommen können. Eine andere Methode der Stimulation ist die »Schmetterlingsumarmung«. Sie wurde entwickelt, um in Mexiko mit Kindern, die durch einen Hurrikan traumatisiert wurden, in Gruppen zu arbeiten. Seitdem findet sie überall auf der Welt Anwendung, um die mit dem »sicheren Ort« verbundenen positiven Gefühle zu verstärken. Dazu kreuzen Sie Ihre Arme vor dem Oberkörper, sodass die rechte Hand auf der linken Schulter und die linke auf der rechten Schulter liegt, und klopfen mit den Händen langsam abwechselnd vier- bis sechsmal leicht auf beide Schultern. Vergegenwärtigen Sie sich zuerst wieder Ihren sicheren oder ruhigen Ort zusammen mit dem positiven Wort, das Sie damit verbinden, und lassen sich ganz auf dieses Gefühl von Ruhe oder Sicherheit ein. Wenn Sie das erreicht haben, klopfen Sie abwechselnd vier- bis sechsmal auf Ihre Oberschenkel oder in der Schmetterlingsumarmung auf beide Schultern, halten inne, nehmen einen tiefen Atemzug und überprüfen, wie sich das anfühlt. Probieren Sie jetzt ein Set aus, und öffnen Sie anschließend wieder die Augen. Wenn sich der positive Zustand verstärkt hat, schließen Sie wieder die Augen, lassen die angenehmen Gefühle zu und vergegenwärtigen sich Ihr Wort. Wenn Sie spüren, wie sich die positiven Gefühle einstellen, klopfen Sie wieder abwechselnd vier- bis sechsmal jede Seite. So können Sie die Kraft des positiven oder sicheren Ortes verstärken, wenn Sie mit dieser

Technik vorübergehenden Störungen Ihres Befindens entgegenwirken. Auch bei der Erforschung eigener unverarbeiteter Erinnerungen können Sie mithilfe dieser Technik innerlich im Gleichgewicht bleiben. Versuchen Sie es gleich noch einmal. Wenn die bilaterale Stimulation Ihnen hilft, wenden Sie sie am besten täglich an. Falls nicht, machen Sie einfach mit Bild und Wort ohne diese Stimulation weiter. Benutzen Sie auch das entspannte Atmen, um bei Störungen Ihres Befindens zu den positiven Gefühlen zurückzukehren. Üben Sie täglich im neutralen Zustand, Ihren »sicheren / ruhigen Ort« aufzusuchen, um die positiven Gefühle zu stärken, sodass Sie damit bei Bedarf schwierigen inneren Zuständen zuverlässig entgegenwirken können. Die Comic-Technik Ein weiteres nützliches Werkzeug, das bei negativen Selbstgesprächen helfen kann, ist die Comic-Technik. In manchen Situationen erzählen wir uns innerlich ständig, dass wir falsch liegen, einen großen Fehler begehen oder völlig daneben sind. Probieren Sie dann einmal folgendes Experiment. Denken Sie an eine Comic-Figur mit witziger Stimme wie Donald Duck, Bugs Bunny, Miss Piggy oder Homer Simpson. Schließen Sie die Augen, vergegenwärtigen Sie sich die kritische innere Stimme und nehmen Sie wahr, wie sich Ihr Körper unter deren Einfluss verändert. Dann verleihen Sie dieser inneren Stimme die Stimme der Comic-Figur und achten darauf, was passiert. Probieren Sie das gleich einmal aus. Bei den meisten Menschen verschwinden dadurch die störenden Gefühle, welche die innere Kritikerstimme begleiten. Comics sind meistens mit so angenehmen und witzigen Erinnerungsassoziationen verbunden, dass das Negative ihnen nicht standhält. Diese und weitere Techniken zeigen uns, dass wir viele unserer Reaktionen steuern können, wenn wir einfach

wahrnehmen, wie quälend sie sind – und uns dann Zeit nehmen, etwas dagegen zu unternehmen. Wie bereits gesagt, beseitigen diese Techniken nicht die Ursachen für Ihre Beunruhigung, aber sie helfen Ihnen, wieder ins Gleichgewicht zu kommen, sodass Sie anstehende Situationen besser bewältigen können. Bei chronischen störenden Reaktionen – negativen Emotionen, Gedanken, Empfindungen und Verhaltensweisen, die sich immer wieder einstellen – handelt es sich meistens um Persönlichkeitszüge, die wir am besten angehen, indem wir uns den tieferen Ursachen zuwenden. Das kann einige Zeit dauern, aber das Wissen, dass uns diese Techniken zur Verfügung stehen, kann auch hier hilfreich sein. Wir werden später noch weitere Techniken lernen. Eine häufige Quelle von Schmerz Bei meinen vielen Präsentationen weltweit war ich immer wieder erstaunt, wie viele Ähnlichkeiten es – ganz unabhängig von Land oder Kultur – zwischen uns gibt. So frage ich meine Zuhörer zum Beispiel fast immer: »Wie viele von Ihnen können sich daran erinnern, in der Grundschule einmal gedemütigt worden zu sein?« Ganz gleich, wo ich bin und wer vor mir sitzt, sofort heben mindestens 95 Prozent der Anwesenden die Hand. Versuchen Sie einmal mit einem Experiment herauszufinden, ob auch Sie entsprechende Erinnerungen haben – und ob Sie diese Erinnerungen verarbeitet haben oder nicht. Wenn sie nicht verarbeitet sind, können sie sich störend auswirken. Ist dies der Fall, können Sie die störenden Gefühle meistens mit einer der Techniken, die wir gerade gelernt haben, zum Verschwinden bringen. Sollten Sie jedoch bereits in Therapie sein, weil Sie an einer komplexen Störung leiden oder das Gefühl haben, das könnte der Fall sein, machen Sie diese Übung bitte nicht. Dann erforschen Sie Ihre

Erinnerungen am besten unter Anleitung einer Therapeutin und benutzen dieses Buch nur als generelle Informationsquelle dafür, wie wir als Menschen beschaffen sind und »ticken«. Wenn Sie das Experiment machen möchten, schließen Sie jetzt die Augen und spüren nach, wie sich Ihr Körper anfühlt – dann vergegenwärtigen Sie sich die Demütigung aus Ihrer Grundschulzeit und schauen, was dabei geschieht. Achten Sie besonders darauf, wie Ihr Körper sich fühlt und welche Gedanken Ihnen kommen. Nehmen Sie das beides einfach wahr. Dann stellen Sie sich vor, das Bild mit einem kräftigen Wasserstrahl oder einem großen, nassen Schwamm zu löschen, und öffnen die Augen. Das ist eine weitere Technik zur Veränderung negativer mentaler Bilder. Probieren Sie das gleich einmal aus. Sollten Sie durch diese Rückerinnerung in Unruhe geraten, nutzen Sie die Technik zum entspannten Atmen oder die Übung »Der sichere / ruhige Ort«, um die störenden Empfindungen loszulassen. Manche von Ihnen stellen möglicherweise fest, dass sie sich bei diesem Experiment körperlich zusammenziehen – sie spüren, wie ihnen heiß wird bei der Erinnerung an die damaligen Emotionen und Gedanken. In diesem Fall würden wir sagen, dass Ihre Erinnerung nicht angemessen verarbeitet ist, denn mit diesem Bild kamen bei Ihnen alte negative oder störende Gedanken, Emotionen, körperliche Empfindungen oder Überzeugungen hoch, die sich zusammen mit dem Erlebnis selbst in Ihrem Erinnerungssystem verankert haben. Auch wenn Sie diese Empfindungen wahrscheinlich in Bauch oder Brustkorb gespürt haben, ist der eigentliche Ursprung dafür Ihr Gehirn. Was Sie erleben, ist ein Ergebnis der neuronalen Übertragung von Ihrem Gehirn auf die Drüsen und Muskeln Ihres Körpers und von dort wieder zurück ans Gehirn. Die Erinnerung an die störende Erfahrung löst die körperlichen Empfindungen aus, die damit verbunden waren.

Schauen Sie sich jetzt die Erinnerung, der Sie sich gerade zugewendet haben, einmal genauer an. Wirkten daran ein Lehrer oder Berater, Freunde oder Klassenkameraden mit? Spielte sie sich im Klassenzimmer, auf dem Spielplatz oder in der Tanzstunde ab? Wie auch immer, nehmen Sie die verschiedenen Aspekte dieser Erinnerung einfach wahr und schauen Sie, ob ihre Ausläufer bis in Ihre Gegenwart reichen. Das heißt, haben Sie auch heute noch Schwierigkeiten mit Autoritäten oder einem bestimmten Menschentyp? Fällt es Ihnen schwer, öffentlich aufzutreten, zu lernen, bestimmte Leistungen zu erbringen oder sich in Gruppen zu bewegen? Schauen Sie, ob bestimmte Probleme in Ihrem Leben möglicherweise auf dieses frühere Ereignis zurückgehen. Welche Aspekte dieser unverarbeiteten Erinnerung könnten verantwortlich sein für die Hindernisse, vor denen Sie heute stehen? Vielleicht möchten Sie diese kurz aufschreiben, um später weiter daran zu arbeiten. Manche von Ihnen hatten bei dieser früheren Erfahrung vielleicht Gedanken wie: »Meine Güte, die hätte nie im Leben Lehrerin werden dürfen!« Vielleicht haben Sie auch geschmunzelt und gedacht: »Na, das war vielleicht ein Ding!« Mit anderen Worten, Sie nehmen dieses Erlebnis wie ein erwachsener Mensch auf und Ihr Körper zeigt beim Gedanken daran keine besonderen Reaktionen. In diesem Fall würden wir sagen, Sie haben die Erinnerung vollständig verarbeitet, denn sie ist nicht mehr verbunden mit den negativen Emotionen, körperlichen Reaktionen und Überzeugungen, die Sie damals hatten. Sie können sich zwar daran erinnern, dass Sie damals aufgebracht waren, empfinden aber heute nicht mehr so. Die verarbeitete Erinnerung ist in Ihre restlichen Erinnerungsnetzwerke integriert worden und Sie reagieren jetzt als Erwachsener angemessen auf ein Erlebnis, das passierte, als Sie Kind waren. In diesem Fall zeigen Sie heute auch keine störenden

Persönlichkeitszüge mehr, die auf diesen Vorfall zurückgehen, denn Sie haben alle nutzlosen Aspekte dieser Erinnerung – wie negative Emotionen, Empfindungen und Überzeugungen – losgelassen. Warum trifft das auf einige zu und auf andere nicht? Hauptsächlich ist es eine Frage des Zufalls. Vielleicht hat Sie in der Nacht vor diesem Erlebnis ein knatterndes Motorrad geweckt, und Sie waren am nächsten Tag so müde, dass diese Erfahrung einfach nur einen negativen Eindruck hinterließ. Vielleicht haben frühere Kindheitserlebnisse eine so positive Grundlage für Sie geschaffen, dass Sie dieses Erlebnis nicht weiter aus der Ruhe gebracht hat. Vielleicht kam damals eine Freundin zu Ihnen, legte ihren Arm um Sie und sagte: »Alles gut. Nicht weiter schlimm.« Es gibt einen Moment unmittelbar nach dem Erlebnis, ein Fenster der positiven Möglichkeiten, das angemessene Verbindungen und damit eine vollständige Verarbeitung begünstigt. Vielleicht ist es auch die Genetik. Wir sind einfach alle verschieden – bei manchen von uns ist die Atmung oder das Herz schwach und wir reagieren sensibler als andere auf stressige Situationen, sodass diese unser Verarbeitungssystem überfordern. Aber das ist nicht das Entscheidende. Wichtig ist, sich klarzumachen, dass hier niemanden Vorwürfe treffen. Ganz gleich, warum Sie die Erinnerung nicht verarbeiten konnten, auf jeden Fall ist das kein Stigma. Sie haben nicht darum gebeten, dass diese störende Erfahrung in Ihrem Gehirn negativ abgespeichert wurde, als Sie Kind waren. Und Sie haben auch nicht – ganz gleich, was geschah – um die negativen Nachwirkungen gebeten. Es kommt auch nicht darauf an, ob dieses Ereignis für Sie als Erwachsenen unter die Rubrik »schrecklich« fällt oder nicht. Wenn Sie an diese Demütigung in Ihrer Kindheit zurückdenken, wird Ihnen klar werden, dass solche Vorfälle ganz verbreitet sind. Jede und jeder von uns hat Entsprechendes erlebt, und bei vielen von uns hatte das

anhaltende, negative Auswirkungen. Der Grund dafür ist, dass diese Erfahrungen aus erwachsener Sicht zwar belanglos scheinen, für das Kind aber nicht. Für das Kind war das ein schreckliches Erlebnis. Eine Demütigung in der Grundschule entspricht auf der evolutionären Ebene einem Ausschluss aus der Herde, der sämtliche Überlebensängste aktiviert, denn solch ein Ausschluss bedeutet potenziell den Tod. Viele Kindheitserlebnisse sind mit dieser Überlebensangst verbunden – nicht geliebt werden, Tod. Nicht gewollt sein, Tod. Nicht akzeptiert werden, Tod. All diese Überlebensängste kommen automatisch hoch und können das Verarbeitungssystem überfordern. Viele negative Erfahrungen werden grundsätzlich so abgespeichert. Es kommt also nicht darauf an, ob Sie als Erwachsener dieses Erlebnis für traumatisch halten oder nicht. Wenn es in der Kindheit negative Auswirkungen hatte, kann es die Ursache für heutige Probleme sein. Die Schlange im Gras Wichtig ist, sich klarzumachen, dass unverarbeitete Erinnerungen zwar existieren und die Grundlage für zahlreiche negative Reaktionen und Wesenszüge bilden können, uns aber nicht grundlegend ausmachen. Verarbeitung heißt, dass die störenden Ereignisse sich in unseren Erinnerungsnetzwerken mit angemessenen / positiven Informationen verbinden können. Die Demütigung in der Grundschule verbindet sich also mit Erinnerungen an Freundinnen, die ebenfalls lächerlich gemacht oder ignoriert wurden, und dabei wird uns klar, dass wir selbst von diesen Menschen nicht schlecht denken. Oder diese Frau – sie hätte wirklich nicht Lehrerin werden dürfen, wenn wir an andere Lehrer denken, die wir hatten. Vielleicht finden wir die Mitschüler, die uns quälten, rückblickend auch grausam und wissen, dass wir auf keinen Fall sein wollen wie sie. Wir

haben einfach ein stabiles Selbstbewusstsein, weil wir auch viele gute Erfahrungen gemacht haben und viele gute Freunde hatten, sodass die Demütigung uns nicht grundsätzlich erschüttert hat. Doch wenn das störende Ereignis uns zu stark beunruhigt, ist es so abgespeichert, dass es sich nicht mit angemesseneren Informationen verbinden kann – obwohl diese in unserem Gehirn existieren. Denken wir zum Beispiel an Kriegsveteranen aus dem Vietnam-Krieg, die immer noch um Fassung ringen oder wütend sind, obwohl sie auch positive Erfahrungen in ihrem Leben gesammelt haben. Sie haben Selbsthilfebücher gelesen oder eine Gruppentherapie gemacht. All diese Dinge sind passiert und ebenfalls in ihrem Gehirn abgespeichert. In bestimmten Situationen kommen sie gut zurecht, in anderen jedoch nicht. Vielleicht sind sie, ausgehend von ihren positiven Erinnerungen, liebevolle Väter, rasten aber im nächsten Augenblick aus, weil irgendetwas ihre negativen Erinnerungen aktiviert hat. Die beiden Erinnerungsnetzwerke haben sich bei ihnen nicht miteinander verbinden können. Doch dafür ist es nie zu spät. Wir werden uns solche schwerwiegenden Erlebnisse und die damit verbundenen Symptome in Kapitel 6 noch gründlicher anschauen. Um zu verdeutlichen, was ich meine, möchte ich Ihnen hier nur ein Beispiel geben. Kürzlich drängte eine 80-jährige Frau ihren Arzt, mit mir Kontakt aufzunehmen. Sie hatte als Kind während des Zweiten Weltkriegs in Japan gelebt. Nun wollte sie eine Therapie anfangen, weil sie unter Depressionen und Ängsten litt. Ihr Mann war stark schwerhörig, und wenn er den Fernseher auf volle Lautstärke drehte und selbst laut redete, wurden schmerzliche Reaktionen bei ihr getriggert. Natürlich hatte sie viel Schweres erlebt. Ihre Mutter hatte die Familie verlassen, als sie drei Jahre alt war. Ihr Vater wurde eines Tages, als sie in der Schule war, in die japanische Armee beordert, und sie sah ihn nie wieder. Sie erlebte die

Bombardierungen und wurde vergewaltigt. Sie können sich vorstellen, wie viel Leid sie durchgemacht hatte. Nach ein paar Wochen Therapie begann sich ihr Leben durch die Behandlung grundlegend zu verändern, und sie sagte zu ihrem Arzt: »Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich frei.« Obwohl sie bereits 80 Jahre alt war, konnte ihr Gehirn die unverarbeiteten, seit 70 Jahren abgespeicherten Informationen angemessen verarbeiten und speichern. Das meine ich damit, wenn ich sage, es ist nie zu spät. Grundsätzlich können wir sagen, dass niemand gegen unbewusste, unverarbeitete Informationen immun ist. Vielleicht denken Sie, wenn Sie sich umschauen, dass andere viel besser zurechtkommen als Sie. Aber das kann ein oberflächlicher Eindruck sein. Manche Menschen sind trotz eines äußerst negativen Selbstbilds, das auf unverarbeitete Erlebnisse zurückgeht, sehr erfolgreich in der Welt, weil sie auch viele angemessene, positive Erfahrungen gemacht haben. Das gilt auch für Samuel, einen 60-jährigen Priester, der kurz vor der Berufung zum Präsidenten einer angesehenen Wohlfahrtsorganisation stand. Leider hatte er trotz seiner Kompetenzen immer mit einer geringen Selbstachtung, Scham und Ängsten zu kämpfen gehabt. Er wollte sich von diesen Gefühlen befreien, weil er wusste, dass sie ihm in seiner neuen Position hinderlich sein würden. Bei seiner EMDR-Erstanamnese wurde deutlich, dass viele seiner Kindheitserinnerungen wie auch entsprechende Situationen in seinem Erwachsenenleben mit quälenden Gefühlen und Überzeugungen einhergingen wie: »Ich bin dumm.« »Ich bin völlig unfähig.« »Ich bin nicht vertrauenswürdig.« »Ich bin es nicht wert.« In seinen EMDRVerarbeitungssitzungen waren mehrere Kindheitserinnerungen Thema, unter anderem, wie er bei einem Restaurantbesuch unbeholfen war, wie er verzweifelt auf einem Fußballplatz hockte und seine Schwierigkeiten im

Lateinunterricht. Schließlich kam auch die Schlüsselsituation hoch – eine deutliche Erinnerung daran, wie sein Vater wütete, einen vollen Teller an die Wand schmetterte, die Mutter bedrohte und völlig ausrastete. Samuel sah sich neben der Heizung hocken. Er konnte seiner Mutter nicht helfen und fühlte sich völlig unfähig. Dieses Ereignis bildete die Grundlage für spätere Probleme mit Gleichaltrigen. Die Symptome verschwanden, nachdem sich die Emotionen, körperlichen Empfindungen und Überzeugungen, die mit den Erinnerungen verbunden gewesen waren, durch die EMDR-Verarbeitung umwandelten. Samuel gelangte zu der Einsicht, ein wertvoller Mensch zu sein. Er konnte seine neue Position jetzt akzeptieren und seine Aufgaben wahrnehmen, ohne unter dem Gefühl von Unzulänglichkeit und den Ängsten zu leiden, die er vorher empfunden hatte. Jetzt definierten die positiven Erfahrungen, die er in seinem Leben gemacht hatte, wer er war, wie er durch sein Leben ging und sich verhielt. Manchmal jedoch können Menschen glauben, sich in ihrem Leben absolut auf der richtigen Spur zu befinden, und überhaupt keine Ahnung haben, dass unbewusste Erinnerungen sie steuern. Das geht so lange gut, bis diese hochkommen und ihnen zu schaffen machen. Paul zum Beispiel, ein europäischer Geschäftsmann, kam mit Anfang 40 in die Therapie. Er litt zum ersten Mal in seinem Leben unter Depressionen und Ängsten (er hatte Schwierigkeiten, sich zu entspannen, sich zu konzentrieren und zu schlafen), die ihn in seiner Leistungsfähigkeit und seiner Beziehung zu seiner Frau und seinen Kindern beeinträchtigten. Bis dahin hatte er immer das Gefühl gehabt, ein gutes Leben zu führen. Er war beruflich erfolgreich, verdiente viel Geld und seine Familie war gut versorgt. Grundsätzlich hatte er alles erreicht, was er sich vorgenommen hatte. Woher seine Depressionen und Ängste kamen, schien ihm klar. Kürzlich hatte er fast alle seine

Geldanlagen verloren, was auf einen wirtschaftlichen Abschwung wie auf den Betrug eines Kollegen zurückging. Joseph, ein Mann, dem er vertraut hatte, hatte die Kredite veruntreut, die sie gemeinsam aufgenommen hatten. Er war einfach verschwunden und ging nicht ans Telefon. Vor diesem Hintergrund schienen Pauls Depressionen durchaus erklärbar. Er hatte jahrelang gespart und investiert, um damit die Ausbildung seiner Kinder zu finanzieren und für die Rente des Paares vorzusorgen. Bis jetzt hatte er eine enge und gesunde Beziehung zu seiner Frau und seinen Kindern gehabt, und sie hatten einen großen Freundeskreis. Er war stolz darauf, dass er seine Familie so gut versorgte und sich um sie kümmerte. Doch beim Erstgespräch über seine Vorgeschichte zeigten sich einige wunde Punkte. Paul erzählte, er habe eine gute Kindheit gehabt, bis sein Vater, als er selbst etwa sieben Jahre alt war, alkoholabhängig wurde, seine Arbeit verlor und die Familie verarmte. Paul beharrte bei diesem Erstgespräch darauf, dass sein Kummer sich auf seine augenblickliche finanzielle Situation bezog und nicht auf diese Kindheitserlebnisse. Aus diesen, so glaubte er, hatte er lernen und sie dann hinter sich lassen können. Aber wenn wir ganz sicher gehen wollen, ist es ratsam, alle Möglichkeiten auszuloten. War es das Klima oder das Wetter? Paul und seine Therapeutin fanden mithilfe einer Technik, die auch Sie im nächsten Kapitel lernen werden, die »Schlüsselerinnerungen« heraus – die frühesten erinnerten Erlebnisse, die Probleme verursachen können. Eine von Pauls Schlüsselerinnerungen bezog sich auf ein Erlebnis, als er acht Jahre alt war – da hatte man ihn bei einem Familienausflug vergessen. Die damit verbundene negative Überzeugung lautete: »Ich bin nicht wichtig.« Als er diese Erinnerung verarbeitet hatte, kamen viele weitere Erlebnisse aus seinem Leben hoch, bei denen es darum ging, dass er die Anerkennung anderer Menschen, vor allem anderer Männer, suchte. Bei dieser

Verarbeitung wurde ihm klar, dass die Schwierigkeiten, die er als Heranwachsender und junger Erwachsener gehabt hatte – geringe Selbstachtung, unbefriedigende Beziehungen und Drogenmissbrauch –, direkt auf die Kindheitserfahrungen mit seinem alkoholabhängigen Vater zurückgingen. An dem Punkt erkannte er, dass diese frühen Erlebnisse ihm sein Leben lang Schwierigkeiten bereitet hatten, vor allem in der Beziehung zu dem Kollegen, der ihn betrogen hatte. Ihm wurde klar, dass er Josephs mangelnde Vertrauenswürdigkeit und schlechte Arbeitsmoral einfach ignoriert hatte. Er hatte sich immer gewünscht, den Freund und Berater zu finden, den er als Heranwachsender so schmerzlich vermisst hatte. Pauls Vater war fast immer abwesend, und wenn er nach Hause kam, war er betrunken. Er schikanierte seine Frau, und Paul konnte ihr nicht beistehen, weil er den Ärger und die körperliche Aggression seines Vaters fürchtete. Obwohl Paul ein guter Fußballspieler war, hatte sein Vater nie eines seiner Spiele besucht. Paul hatte immer das Gefühl gehabt, nicht gut genug zu sein, um die Anerkennung seines Vaters zu gewinnen. Sein Vater war grundsätzlich ärgerlich auf ihn oder ignorierte ihn. Das war also die Grundlage für die »Schlange«, die ihn biss, als er versuchte, einem jungen Kollegen die Unterstützung zu geben, die er selbst nie bekommen hatte. Diese Art von Dynamik ist ziemlich verbreitet. Wir alle kennen Reaktionen, die Forscher den »Halo-Effekt« nennen: Wir erleben bei einem anderen Menschen Eigenschaften, die uns sympathisch sind, und schreiben ihm infolgedessen automatisch alle möglichen weiteren Qualitäten zu, die er vielleicht überhaupt nicht besitzt. Wenn uns zum Beispiel bei einem Menschen sein Sinn für Humor gefällt, können wir glauben, dass er auch unsere politischen Ansichten teilt. Oder wir gehen davon aus, dass jemand unser soziales Engagement teilt, weil wir wissen, dass er einen helfenden Beruf ausübt. Hier zeigen sich unsere automatischen Assoziationen, und

wie mit der Zeile »Veilchen sind blau« können wir damit völlig falsch liegen. Manche Assoziationen sind harmlos. Andere gehen auf Erinnerungen zurück, die uns für bestimmte Dinge völlig blind machen können. Paul sah einen jungen Mann, der ihn an sich selbst als Jugendlichen erinnerte, und wollte ihm helfen. Die Ähnlichkeiten machten ihn blind für alle negativen Charaktereigenschaften von Joseph und ließen ihn glauben, dass dieser seine Hilfe verdiente. Leider war Joseph aufgrund bestimmter Kindheitserlebnisse ebenfalls gestört. Doch unverarbeitete Erinnerungen wirken sich auf uns ganz unterschiedlich aus, und anders als Paul war Joseph nicht vertrauenswürdig. Als Paul die Erinnerungen an seinen Vater und an Josephs Betrug verarbeitet hatte, war es plötzlich, als ob alles seinen richtigen Platz einnähme. Jetzt erinnerte er sich auch daran, wie oft er Josephs Verhalten entschuldigt oder einfach ignoriert hatte. Diese blinden Flecken, die auf unverarbeitete Erinnerungen zurückgehen, spielen auch mit, wenn zwei Menschen sich zueinander hingezogen fühlen, um dann feststellen zu müssen, dass die Beziehung ihnen überhaupt nicht guttut. In Kapitel 8 schauen wir uns das einmal gründlicher an. Pauls extreme Niedergeschlagenheit war vor dem Hintergrund seiner früheren Erfahrungen also erklärlich. Der Alkoholismus seines Vaters hatte dazu geführt, dass die Familie verarmte. Paul hatte das Gefühl, dass sein Vater »seine Integrität verlor« und »die Familie für ihn nicht an erster Stelle stand«. Deswegen bemühte er sich, alles anders zu machen und dafür zu sorgen, dass seine Familie finanzielle Sicherheit genoss und er ein guter Ehemann und Vater war. Seine finanziellen Verluste waren für ihn deswegen besonders verheerend, weil er befürchtete, seine Familie nicht mehr versorgen zu können – wie sein Vater.

Da er alles hatte anders machen wollen als sein angeschlagener Vater, war Paul zum vorbildlichen Bürger geworden, hatte Wohlstand erworben und sein Bestes gegeben, um für seine Familie da zu sein. Das alles waren wunderbare Eigenschaften. Aber die Ausläufer der unverarbeiteten Erinnerungen in seinem Leben reichten bis in die Gegenwart hinein, sodass er, ohne es mitzubekommen, einem Menschen vertraute, der ihn betrog. Und als seine Finanzen einbrachen, fühlte er sich wie am Boden zerstört. Nachdem er die Erinnerungen an seinen Vater und seine Gefühle, die eigene Familie verraten zu haben, verarbeitet hatte, lichteten sich Pauls Depressionen. Ihm wurde klar, dass es ihm, da er schon einmal Wohlstand erworben hatte, auch erneut gelingen würde. Doch jetzt konnte er dabei seine Scheuklappen ablegen. Wichtig ist, nicht zu vergessen, dass »die Schlange im Gras«, wenn wir sie klar erkannt und erledigt haben, später nicht mehr auftauchen wird, um zuzubeißen. Wenn wir erst einmal zu dem Schluss gelangen, dass wir Hilfe brauchen, weil wir niedergeschlagen sind, stehen uns natürlich viele Wege offen. Manche Menschen beschließen zum Beispiel, Medikamente einzunehmen. Es könnte jedoch ratsam sein, erst einmal eine therapeutische Behandlung auszuprobieren, um zu sehen, ob die Tabletten wirklich notwendig sind. Auch wenn Antidepressiva unter bestimmten Umständen durchaus hilfreich sein können, sind sie nicht immer die beste Wahl. Sie haben nicht nur oft Nebenwirkungen – auch können die Symptome, wie Untersuchungen zeigen, zurückkehren, wenn man mit der Einnahme aufhört. Eine im Journal of Clinical Psychiatry veröffentlichte Studie zeigt, dass EMDR bei Trauma-Symptomen und Depressionen wirkungsvoller ist als das geläufige Antidepressivum. Nach acht Wochen wurden beide Behandlungen unterbrochen mit dem Ergebnis, dass die Menschen, die Antidepressiva eingenommen hatten, Rückfälle erlitten, während es den

Menschen, die mit einer EMDR-Therapie behandelt worden waren, weiterhin besser ging. Antidepressiva verändern zwar den »Gehirnzustand«, doch nur so lange, wie die Medikamente eingenommen werden. Eine EMDR-Therapie hingegen beseitigt die Ursache für die Depressionen. Letzten Endes wollen wir das »Klima« ändern und nicht nur das »Wetter«. Im Autopiloten Wie Sie wahrscheinlich inzwischen selbst sehen können, zeigen die Beispiele in diesem Buch, wie unbewusste Erinnerungen unsere Reaktionen auf die Welt um uns herum steuern. Wie Samuel, Paul und Nancy ist niemand von uns dagegen immun, ganz gleich, wie religiös, wohlhabend oder intelligent wir sein mögen. Jede Assoziation, die wir herstellen – sei sie gut oder schlecht –, basiert auf unseren Erinnerungsnetzwerken. Der erste Schritt besteht für uns alle darin, unsere heutigen negativen Reaktionen zu erkennen. Dann können wir diese Reaktionen mithilfe der Selbststeuerungstechniken, die wir bereits gelernt haben oder noch lernen werden, positiv beeinflussen. Wir müssen uns also selbst beobachten, um zu wissen, wann wir aus dem Gleichgewicht geraten. Leider ist das nicht so einfach, weil wir meistens im Autopilot-Modus laufen. Das heißt, wir reagieren in unserem Leben oft einfach nur auf innere Gefühle, Gedanken oder Empfindungen und äußere Situationen. Vielleicht nehmen wir uns bestimmte Dinge vor, doch dann übernimmt diese innere Dynamik die Regie und bringt uns davon ab. Um das an sich selbst zu überprüfen, machen Sie am besten einmal folgendes Experiment: Beschließen Sie, dass Sie für den restlichen Tag ein bestimmtes Zimmer nur mit dem linken Fuß zuerst betreten oder verlassen. Notieren Sie sich dieses Vorhaben und legen Sie den Zettel auf Ihren Nachtschrank, damit Sie sich abends vor dem Schlafengehen an das Experiment erinnern. Schauen Sie

dann heute Abend, wie oft Sie Ihr Vorhaben tatsächlich in die Tat umgesetzt haben. Die meisten Menschen vergessen solche Vorhaben häufiger, als dass sie sich an sie erinnern. Der Grund dafür ist, dass die inneren Assoziationen unmittelbarer und zwingender sind als das Vorhaben, uns zu beobachten und die Dinge einmal anders zu machen. Dieses Buch möchte Ihnen helfen, die unverarbeiteten Erinnerungen zu erkennen, die Sie steuern, um bewusster wahrzunehmen, was sie wann bei Ihnen auslösen. Durch die Verwendung der Selbststeuerungstechniken können Sie überprüfen, wie weit Sie damit alleine kommen und wann Sie möglicherweise zusätzliche Hilfe benötigen. Nach weiteren vorbereitenden Übungen können Sie im nächsten Kapitel versuchen, selbst herauszufinden, welche Erinnerungen den störenden Reaktionen zugrunde liegen, die Sie bereits erkannt haben, und welche Erinnerungen darauf lauern, unter bestimmten Umständen »zuzubeißen«. In der Zwischenzeit sollten Sie die Selbststeuerungstechniken, die Sie bereits gelernt haben, täglich üben. Wenn Sie die Übung »Ein sicherer / ruhiger Ort« täglich machen, wird sie Ihnen geläufiger, sodass Sie, wenn Sie in Aufruhr geraten, schneller zu positiven Gefühlen zurückfinden. Sollten Sie feststellen, dass Sie innerlich in negative Gedanken abdriften, können Sie das bilaterale Klopfen der Oberschenkel oder die Schmetterlingsumarmung anwenden, um positive Gefühle und Körperempfindungen zu verstärken. Sie können bewusst entspannt atmen, um sich in stressigen Situationen zu beruhigen, mithilfe der Comic-Übung negativen Selbstgesprächen entgegenwirken und hartnäckige negative Bilder mit dem Wasserstrahl oder dem nassen Schwamm löschen. All diese Werkzeuge helfen Ihnen, sich immer wieder bewusst zu machen, dass Sie Ihre körperlichen und gedanklichen Reaktionen selbst steuern können. Und wenn Sie durch die Erforschung Ihrer eigenen unbewussten Abläufe

begreifen, warum bestimmte Dinge in Ihrem Leben passieren, kann das eine zusätzliche Hilfe sein.

4. Wer steuert hier wen? Die Erinnerungen aufdecken, die uns triggern

Die meisten Menschen kommen in die Therapie, um ein Rätsel zu lösen. In meinen über 20 Jahren als praktizierende Therapeutin kam noch nie jemand Hilfe suchend zu mir mit der Klage: »Mein Vater hat mich nicht geliebt.« Menschen suchen therapeutische Hilfe, weil es in ihrem Leben aktuell irgendwo hakt. Sie begreifen, dass ihr Verhalten, Fühlen oder Denken destruktiv ist, ohne damit aufhören zu können. Selbst Menschen mit einer unglücklichen Kindheit denken oft, die liege doch schon Jahre zurück und sollte nicht mehr so wichtig sein. Durch dieses »sollte« wird alles noch schlimmer, denn der Gedanke »Ich sollte anders handeln, fühlen oder denken« verstärkt bereits vorhandene Versagensängste und auch das damit meistens verbundene negative Selbstbild. Fest verpackt Problematisch ist auch, dass die meisten Menschen die Vergangenheit als reine »Lernerfahrung« betrachten. Sie denken: »Ich fühle mich zwar aufgrund bestimmter Erlebnisse so oder verhalte mich entsprechend, aber die sind doch viele Jahre her. Ich bin jetzt älter und reifer und weiß, dass mein Verhalten falsch ist. Aber warum kann ich es nicht ändern? Irgendetwas stimmt mit mir nicht.« Wir müssen uns klarmachen, dass hier vielleicht tatsächlich etwas falsch läuft, ohne dass wir verkehrt sind. Tatsache ist einfach, dass in unserem Gehirn bestimmte unverarbeitete Erinnerungen zusammen mit den damit

verbundenen Emotionen und körperlichen Reaktionen physiologisch abgespeichert sind. Weil diese Erinnerungen unverarbeitet blieben, kommen die negativen Gedanken und Gefühle durch entsprechende heutige Auslöser immer wieder hoch. Vielleicht haben Sie schon einmal beobachtet, wie ein ansonsten tüchtiger und kompetenter Freund im Gespräch mit seinem Vater oder seiner Mutter plötzlich wieder zum Kind wird. Vielleicht konnten Sie sogar sehen, wie sich sein Gesichtsausdruck und seine Körperhaltung veränderten, weil er sich im Gespräch mit seinen Eltern oder älteren Geschwistern ohnmächtig fühlte. Die Emotionen, Gedanken und körperlichen Empfindungen, die bei solchen Gelegenheiten hochkommen, steuern unser Verhalten, solange wir nichts dagegen unternehmen. »Ich bin nicht gut genug. Man wird mich angreifen. Ich schaffe das einfach nicht.« So sehen die negativen Überzeugungen aus, die sich ständig wieder einstellen können. In diesem Kapitel machen wir erste Schritte, um herauszufinden, welche Erinnerungen Sie zu solch ungewollten Reaktionen treiben. Ich möchte betonen, dass hier die Genetik und die augenblicklichen Situationen, die wir zu bewältigen haben, natürlich ebenfalls eine Rolle spielen. Die Art und Weise, wie unser Gehirn aufgrund seiner genetischen Last arbeitet, macht uns mehr oder weniger anfällig dafür, dass bestimmte Ereignisse Auswirkungen auf uns haben. Unsere Genetik kann uns auch für psychische Störungen prädispositionieren, die unter bestimmten Umständen akut werden. Doch selbst in diesem Falle werden die entsprechenden Symptome meistens durch bestimmte, vorausgehende Lebenserfahrungen ausgelöst, während andere Erfahrungen uns davor schützen. Wir können unsere Genetik nicht ändern, doch unsere Lebenserfahrungen können wir direkt beeinflussen.

Durch die Arbeit mit Millionen von Menschen haben wir in der EMDRTherapie herausgefunden, dass die primäre Ursache für störende, außer Kontrolle geratene Reaktionen die Erfahrungen sind, die das Gehirn als unverarbeitete Erinnerungen abgespeichert hat. Die Lebenserfahrungen hingegen, die wir auf natürlichem Wege oder mithilfe einer Therapie verarbeiten, können zu Lernerfahrungen werden, sodass die entsprechenden Emotionen, Überzeugungen und körperlichen Empfindungen nicht länger in unseren Erinnerungsnetzwerken verankert sind. Deswegen machen wir uns auf die Suche nach den noch immer »heißen« Erinnerungen, das heißt den negativen Erlebnissen, seien es einzelne Vorfälle wie ein schweres Trauma, das die Grundlage für eine PTBS bildet, oder generelle Erfahrungen in der Kindheit, wie dass man uns eingeschüchtert oder lächerlich gemacht hat, wir vom Fahrrad gefallen sind, unsere Eltern sich ständig stritten, eine Freundin uns verraten, ein Freund uns verlassen hat oder wir keine Einladung zu einer Party bekamen – die Liste ist endlos. Was auch immer geschehen sein mag, diese negativen Ereignisse können, wenn sie gespeichert wurden und weiterhin »brennen«, heute noch negative Folgen für uns haben. Wichtig ist auch, sich klarzumachen, dass uns auch Dinge, die nicht passiert sind, später Probleme bereiten können. Vielleicht haben Ihre Eltern Sie als Kind vernachlässigt oder waren in einer bestimmten Gefahrensituation wie einem Gewittersturm oder generell nicht für Sie da. Alle diese Erfahrungen können schwerwiegende Folgen haben und damit zu Krisenherden werden. Kinder weinen in schwierigen Situationen automatisch, weil ihr Gehirn so verdrahtet ist, dass sie sich Schutz suchend an andere wenden. Geht dann niemand auf sie ein, können sie diese Erfahrung im Gehirn abspeichern. Das erklärt auch, warum viele »BabyBoomer«, also Menschen, die zur Zeit des Geburtenaufschwungs nach dem

Zweiten Weltkrieg geboren wurden, manchmal eine Verzweiflung verspüren, die gar keinen Sinn zu ergeben scheint. Denken Sie daran, wie viele Babys man damals in der Dunkelheit hungrig hat weinen lassen, weil man davon ausging, dass Kleinkinder streng »nach Plan« gefüttert werden sollten. Bei der EMDR-Therapie beginnt die Einschätzung der Ausgangssituation, sobald die Person zur Tür hereinkommt. Für die Therapeutin sind die Probleme des Klienten grundsätzlich vergleichbar mit einer Kiste mit fest verschlossenem Deckel, in welcher er eingesperrt ist. Was tun? Sie können auf die Kiste einhämmern oder versuchen, sie aufzubrechen. Besser ist es jedoch zu schauen, welche Schrauben gelockert werden müssen, damit sich der Deckel hebt. Und genau das wollen wir uns in diesem Kapitel einmal anschauen: Welche speziellen Erinnerungen könnten Ihren Problemen zugrunde liegen? Geht es immer um die Kindheit? Bevor wir anfangen, möchte ich klarstellen, dass wir alle einzigartige Individuen sind und nicht alle unsere Probleme auf Kindheitserfahrungen zurückgehen. Auch wenn die Forschung zeigt, dass uns frühere Ereignisse für bestimmte spätere Probleme anfällig machen, gibt es auch in der Gegenwart schwierige Situationen, die uns in Aufruhr versetzen können. Ein Beispiel dafür ist Tony, einer der ersten Kriegsveteranen, mit denen ich gearbeitet habe. Seit Tony über zehn Jahre zuvor aus Vietnam zurückgekehrt war, hatte er sich stark isoliert. Er war in die Wälder gegangen, um dort zu leben. Da ich eine kostenlose therapeutische Beratung anbot, beschloss er, mich aufzusuchen, obwohl er dachte: »Was zum Teufel soll das schon bringen? Ich verspreche mir davon eigentlich nichts. Aber von mir aus.«

Tony suchte mich auf, weil er ständig Panikattacken hatte. Jedes Mal, wenn ein Flugzeug über ihn hinwegflog, ging er in Deckung. Solche heftigen Reaktionen finden wir bei vielen Patienten mit einer PTBS. Bei unserem Eingangsgespräch gewann ich den Eindruck, dass es hier vor allem um das Thema Kontrolle ging. Tony versuchte mit aller Macht, die Kontrolle zu behalten, und wenn sie ihm entglitt, bekam er Panik. Ich schlug ihm also vor, dieses Gefühl von Kontrollverlust zu erforschen, indem wir diejenige Erinnerung verarbeiteten, in der es sich für ihn am deutlichsten zeigte. Er sagte: »Na gut, meinetwegen, was soll’s?«, denn er war ja der Meinung, dass ihm nichts und niemand helfen konnte. Auch wollte er auf keinen Fall über seine Erlebnisse in Vietnam sprechen, war aber bereit, sich einer anderen Erinnerung zu stellen, bei der es darum ging, dass seine Frau ihn einmal hatte festnehmen lassen. Eines Abends hatte sie ihn betrunken gemacht, aus dem Wohnwagen geworfen und die Polizei gerufen. Tony wurde wegen Alkohol am Steuer festgenommen, da er mit dem Wagen wegfahren wollte. In dieser Situation zeigte sich sein Gefühl von Kontrollverlust ganz deutlich. Nach der Verarbeitung dieses Erlebnisses und einer weiteren Erinnerung, bei der es um sexuelles Versagen ging, sagte Tony, er könne sein Leben nicht in den Griff bekommen, weil »mir das wahrscheinlich ebenso wenig gelingt wie alles andere auch«. Aber er war jetzt bereit, über ein Erlebnis in Vietnam zu sprechen: Seiner Einheit ist das Blutplasma ausgegangen, und da er Arzt ist, schickt ihn der Kompaniechef los, bei einer anderen Einheit Nachschub zu holen. Er rennt über das Schlachtfeld, schnappt sich das Plasma und rennt zurück, als über ihm eine Rakete explodiert und er bewusstlos wird. Beim Aufwachen hat er keine Ahnung, wie lange er dort gelegen hat, und stellt fest, dass beide Arme ausgerenkt sind. Also bückt er sich, schnappt sich den Beutel mit dem Plasma mit den Zähnen und rennt

zurück zu seiner Einheit. Als er, dort angekommen, den Beutel fallen lässt, rast der Kompaniechef auf ihn zu und sagt: »Gratuliere. Sie haben gerade zwei Männer umgebracht« – weil er so lange fort gewesen war. Zusammen begannen wir, die Erinnerung an diesen Vorfall mit dem Kompaniechef und das Thema Autorität und auch damit verbundene Erlebnisse mit seinem Vater zu verarbeiten. Nach der erfolgreichen Verarbeitung äußerte Tony: »Jetzt fällt es mir leicht, die Kontrolle zu übernehmen.« Als ich ihn einen Monat später noch einmal sah, berichtete er, die Panikattacken seien verschwunden. Er sagte, er habe erst nach etwa drei Tagen gemerkt, dass er, wenn ein Flugzeug über ihn hinwegflog, statt in Deckung zu gehen, einfach nur dachte: »Was hat denn das hier zu suchen?« Diese Veränderungen nach der Verarbeitung treten meistens automatisch ein, sodass die Betroffenen sie anfangs oft gar nicht mitbekommen. Tonys Panikreaktion war durch diese nicht angemessen abgespeicherte, unverarbeitete Information ausgelöst worden. Durch die Verarbeitung hatten sich die Erinnerungen, statt »festgefahren« zu bleiben, in eine Lernerfahrung umgewandelt. Da sie jetzt in seinem Gehirn richtig abgespeichert waren, konnten sie die Grundlage für neue, gesunde Reaktionen bilden. Zwar gingen Tonys Autoritätsprobleme ursprünglich auf die Beziehung zu seinem Vater zurück, seine Panikattacken jedoch hingen direkt mit dem entsetzlichen Kriegserlebnis zusammen. Als Arzt hatte er an diesem Krieg teilgenommen, um Schmerzen und Leiden zu lindern. Selbst schmerzgeplagt und total erschöpft von der Anstrengung, die er unternommen hatte, nachdem er bewusstlos gewesen war und sich beide Arme ausgerenkt hatte, musste er sich anhören, er habe zwei seiner Mitsoldaten umgebracht, obwohl er alles in seiner Macht Stehende unternommen hatte, um zu helfen. Dieses Erlebnis hätte wahrscheinlich für

die meisten Menschen schwerwiegende Folgen gehabt. Die Frage aber ist: Wie lange dauern die Probleme schon an? Wenn sie mit der Zeit nicht von selbst verschwinden, müssen wir ihnen Aufmerksamkeit schenken. Die Schlüsselerinnerungen finden Wie bereits gesagt, gehen die meisten Symptome, negativen Persönlichkeitszüge, wiederkehrenden störenden Emotionen und Überzeugungen auf Erinnerungen zurück, die im Gehirn unverarbeitet gespeichert sind. Damit wir eine jetzige Erfahrung einordnen und verstehen können, müssen sich unsere Wahrnehmungen (was wir sehen, hören, fühlen) mit unseren bereits existierenden Erinnerungsnetzwerken verbinden. Wird eine unverarbeitete Erinnerung durch ähnliche Situationen wie die ursprüngliche wieder ausgelöst, ist unser Erleben gestört, weil die quälenden Emotionen, Überzeugungen und Empfindungen des früheren Ereignisses in dieser Erinnerung enthalten sind. Selbst wenn wir 30, 40, 50, 60 Jahre oder noch älter sind, ist es, als nähme uns unser damaliges, jüngeres Selbst an der Hand, um uns zu sagen, was wir tun sollen. In der EMDR-Therapie nennen wir die frühesten unverarbeiteten Erinnerungen, die den Boden für spätere Probleme bereiten, »Schlüsselerinnerungen«. Sie werden gleich erste Schritte unternehmen, um sich Problemen in Ihrem Leben und den ihnen zugrunde liegenden Erinnerungen zuzuwenden. Da schmerzliche Kindheitswahrnehmungen hochkommen können, wenn die unverarbeitete Schlüsselerinnerung ausgelöst wird, sollten Sie aber die Selbststeuerungsmethoden beherrschen, die Sie im letzten Kapitel gelernt haben. Bitte sorgen Sie dafür, dass Ihnen diese bei Bedarf zuverlässig zur Verfügung stehen. Wir bewerten im Folgenden die emotionale Belastung auf einer Skala von 0 bis 10, der sogenannten SUD-Skala, die in der klinischen Forschung und Praxis häufig

Anwendung findet (subjective unit of distress = subjektiver Belastungsgrad). Wenn ich Sie bitte, Ihren subjektiven Belastungsgrad zu überprüfen, stufen Sie diesen auf dieser Skala ein, das heißt: Ergründen Sie, wie stark ein emotionaler Zustand Sie belastet, angefangen mit 0 (gar nicht) bis 10 (extrem). Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um sich ein Thema zu vergegenwärtigen, dessen emotionaler Belastungsgrad bei 4 bis 5 liegt, und atmen Sie dann entspannt oder suchen Sie Ihren sicheren / ruhigen Ort auf. Wenn die negativen Gefühle auf diese Weise abklingen, können Sie mit den Übungen in diesem Kapitel fortfahren, da Sie dabei möglicherweise auftretende Störungen mithilfe dieser Techniken bewältigen können. Meistens reicht es, wenn Sie ein paar tiefe Atemzüge nehmen und, falls notwendig, an das positive Bild Ihres sicheren oder ruhigen Ortes denken, um innerlich wieder zur Ruhe zu kommen. Bitte berücksichtigen Sie jedoch auch die Warnungen, die ich bereits ausgesprochen habe. Sollten Sie aufgrund einer komplexen Störung bereits in Therapie sein oder das Gefühl haben, Ihr Fall könnte schwieriger sein, machen Sie die folgenden Übungen zur Rückverfolgung von Erinnerungen bitte nicht. In diesem Fall unternehmen Sie Ihre persönliche Forschungsreise am besten mit therapeutischer Hilfe und lesen dieses Buch nur, um sich generell zu informieren. Schmerz und Leid in unserem Leben gehen meist auf zehn bis 20 unverarbeitete Erinnerungen zurück. Diese Erinnerungen sind mit den Emotionen, Wahrnehmungen und körperlichen Empfindungen verbunden, die Sie auch zum Zeitpunkt des ursprünglichen Erlebnisses hatten. Auch wenn sich Ihnen die Bilder dieser Ereignisse im Augenblick nicht aufdrängen, wie es bei einer PTBS der Fall wäre, können Ihre wiederkehrenden negativen Selbstgespräche direkt durch die Sichtweisen

geprägt sein, die Sie damals hatten. Der Knoten im Bauch, der enge Brustkorb, die Gefühle von Angst, Scham oder Ohnmacht hängen zusammen mit bestimmten früheren Erlebnissen. Mithilfe der folgenden Übungen können Sie herausfinden, welche früheren Erfahrungen die Grundlage für Ihre heutigen Schwierigkeiten bilden. Wir erforschen in jedem Kapitel dieses Buches andere Lebensaspekte. Wenn Sie festhalten möchten, was Sie hier herausfinden, notieren Sie die Ergebnisse am besten schriftlich. Mit Erlebnissen aus der jüngsten Vergangenheit anfangen Wie jede Therapie beginnt auch eine EMDR-Therapie damit, dass der Klient beschreibt, was ihm im Augenblick zu schaffen macht. Sollte das Problem dadurch gelöst werden können, dass die betroffene Person nötige Informationen sammelt oder herausfindet, welche klärenden Schritte sie unternehmen muss, treten die belastenden Gefühle schnell wieder in den Hintergrund. In der Therapie wie im Leben können wir viele Situationen auf ganz natürlichem Wege klären, indem wir zum Beispiel bestimmte Bücher lesen oder Gespräche führen, um die richtigen Zusammenhänge herzustellen. Wir lernen generell, indem wir die notwendigen Verbindungen zwischen den Erinnerungsnetzwerken knüpfen. Wenn die Symptome auf diese Weise nicht verschwinden, müssen wir sie meistens direkt behandeln. Es ist wichtig, dass wir erkennen können, wann unverarbeitete Erinnerungen im Spiel sind, denn diese sind so abgespeichert, dass wir nicht umlernen können. Überlegen Sie einmal, was Ihnen in letzter Zeit wirklich zu schaffen gemacht hat. Konnten Sie diese Schwierigkeiten überwinden, indem Sie sich neue Informationen verschafft oder konkrete Schritte unternommen haben, von denen Sie wussten, dass sie Ihnen helfen würden? Oder handelt es sich bei dem störenden Erlebnis

um das jüngste Beispiel einer langen Reihe von Situationen, in denen Sie ähnlich reagiert haben? Die Gründe für solche Reaktionen können durchaus vernünftig klingen, wie: »Es macht mich eben total wütend, wenn jemand sich bei der Arbeit so dämlich anstellt. Schließlich sollten die Leute ihre Sache richtig machen. Das tue ich ja auch!« Doch was, wenn Sie in Ihrem Leben ständig in solche Situationen geraten? Wenn Sie sich Ihre Kolleginnen und Kollegen anschauen, werden Sie feststellen, dass diese Menschen nicht dermaßen in Wut geraten wie Sie. Warum also Sie? Bei einem meiner Klienten stellte sich heraus, dass seine Wutausbrüche auf die Erfahrungen zurückgingen, die er als Soldat im Vietnamkrieg gemacht hatte. Wenn jemand »sich dämlich anstellte«, bedeutete das unter diesen Umständen, Menschen in Todesgefahr zu bringen. Bei der EMDR-Verarbeitung wurde ihm klar: »In der jetzigen Situation stirbt niemand. Wir haben es hier lediglich mit einer Reihe von Computern zu tun. Und es passiert nichts, was wir nicht rückgängig machen könnten.« Bei einer anderen Klientin ging der heftige Ärger auf eine Demütigung zurück, die sie in der Schulzeit erlitten hatte, als eine Freundin, auf die sie sich verlassen hatte, die Hausarbeit verschlampte, die ihnen beiden aufgetragen worden war. Wenn Ihnen eine Situation einfällt, über die Sie erst kürzlich gestolpert sind und die heftige Gefühle in Ihnen ausgelöst hat, machen wir uns auf die Suche nach der Schlüsselerinnerung. Da Ihre augenblickliche Sicht der Dinge mit einem ganzen Netzwerk von Erinnerungen verbunden ist, können – sollte hier eine unverarbeitete Erfahrung im Spiel sein – die kodierten störenden Emotionen und körperlichen Empfindungen von früher wieder hochkommen und Ihre Wahrnehmung der heutigen Situation verzerren. In diesem Fall »triggert« die aktuelle Situation die alte Störung. Um die Ergebnisse Ihrer Forschungen systematisch festzuhalten, schreiben Sie oben

auf die erste Seite Ihres Notizbuches Schlüsselerinnerungen, teilen das Blatt darunter mit einer senkrechten Linie in zwei Hälften und schreiben über die erste Hälfte »Jüngste Ereignisse« und über die zweite »Erinnerungen«. Als Erstes finden Sie heraus, welche Situation Sie kürzlich aufgeregt hat oder immer noch aufregt. Vielleicht wissen Sie, dass Sie in dieser Situation überreagiert haben und spüren den inneren Aufruhr auch jetzt noch. Manchmal können wir glauben, unsere Gefühle seien völlig gerechtfertigt. Oder wir haben Angst, Probleme zu bekommen, weil wir etwas getan oder unterlassen haben. Auf der SUD-Skala, auf der 0 für neutral und 10 für extrem belastend steht, sollte die jüngste Aufregung mindestens bei 6 liegen. Schildern Sie auf der ersten Seite Ihres Notizbuchs unter der Überschrift »Jüngste Ereignisse« mit einem kurzen Satz, was geschah, damit Sie sich, wenn Sie später zurückschauen, schnell daran erinnern können. Affekt-Scan Während Sie sich auf das Ereignis konzentrieren, das Sie aufregte, folgen Sie nun den hier gegebenen Anweisungen. Denken Sie daran, entspannt zu atmen oder die Übung »Der sichere / ruhige Ort« zu machen, wenn Sie fertig sind. Gehen Sie das Ereignis Schritt für Schritt durch, bis Sie alle zehn Schritte absolviert haben. Diese Technik nennen wir »Affekt-Scan«, da Sie sich hier vor allem auf die Emotionen und die körperlichen Empfindungen konzentrieren, die Sie bei dem entsprechenden Ereignis verspürt haben. Sollte diese Übung bei Ihnen nichts bewirken, müssen Sie sich keine Gedanken machen. Sie lernen später noch weitere Techniken kennen, mit denen Sie zu diesen Erinnerungen Zugang bekommen. Lesen Sie, bevor Sie anfangen, die Schritte eins bis fünf erst einmal durch, und entscheiden Sie, ob Sie die Antworten aufschreiben wollen, um es sich

leichter zu machen. 1.

Wenn Sie an dieses Ereignis denken, was regt Sie daran am meisten auf?

2.

Welches Bild zeigt in Ihrer Erinnerung den schwierigsten Aspekt dieses

Vorfalls? Zum Beispiel die Blicke oder die Worte der beteiligten Person / en oder die Tatsache, dass sie einfach weggegangen ist / sind? Wenn Ihnen keine Bilder kommen oder Sie befürchten, dass es schwierig für Sie werden könnte, denken Sie einfach an das, was für Sie in dieser Situation am schlimmsten war. 3.

Wenn Sie sich das Bild / den Vorfall innerlich vergegenwärtigen, welche

Emotion kommt dann bei Ihnen hoch? 4.

Was fühlen Sie dabei im Körper?

5.

Welche negativen Gedanken sind damit verbunden?

6.

Vergegenwärtigen Sie sich jetzt das Bild und die negativen Gedanken

gleichzeitig und spüren Sie dabei die Empfindungen in Ihrem Körper. Während Sie sich auf Ihre Gefühle konzentrieren, wandern Sie jetzt innerlich zurück in Ihre Kindheit und nehmen einfach wahr, welche früheste 7.

Erinnerung an eine Situation Ihnen bewusst wird, in der Sie sich genauso gefühlt haben. 8.

Wie fühlt sich diese alte Erinnerung auf der SUD-Skala (0–10) jetzt an?

Wenn sich Ihre Körperempfindungen verstärken und der SUD-Wert bei 3 oder höher liegt, haben Sie diese Erinnerung wahrscheinlich nicht 9.

vollständig verarbeitet. Wenn das zutrifft, finden Sie jetzt ein paar Stichworte für diese Kindheitserinnerung (zum Beispiel: Man hat mich im Einkaufszentrum vergessen, im Ferienlager geschlagen, die Eltern haben

mich ignoriert oder im Keller alleingelassen, bin beim Klauen in der Klasse erwischt worden). 10.

Schreiben Sie diese Erinnerung in die zweite Spalte Ihres Notizbuchs

unter die Überschrift »Erinnerungen« zusammen mit dem SUD-Skala-Wert und Ihrem damaligen Lebensalter. Gefühle neutralisieren Machen Sie dann auf jeden Fall das entspannte Atmen oder die Übung »Ein sicherer / ruhiger Ort«, um Ihre Gefühle zu neutralisieren. Sollte das Bild aus der Kindheit Sie zu sehr beunruhigen, können Sie sich auch vorstellen, dass es obenauf in einem Farbeimer schwimmt und Sie es einfach unterrühren. So werden Sie dieses Bild innerlich auf ähnliche Weise wieder los wie negative innere Selbstgespräche durch die Comic-Übung. Damit verschaffen Sie sich eine Atempause und finden besser Zugang zu Ihrem sicheren / ruhigen Ort. Wenn Sie mithilfe dieser Übung eine frühere Erfahrung gefunden haben, die Sie noch immer quält, bildet diese wahrscheinlich die Grundlage für Ihre Reaktionen in der heutigen schwierigen Situation. Wenn Sie wissen, dass Ihre augenblicklichen Erfahrungen auf früheren Erlebnissen beruhen, verstehen Sie auch besser, was Sie steuert. Sie können dann leichter die Distanz herstellen, die Sie brauchen, um die negativen Gefühle, sobald sie hochkommen, zu bewältigen. Da Ihnen dann klar ist, dass diese Emotionen durch frühere Erlebnisse ausgelöst werden, können Sie mithilfe der bereits erlernten und weiterer Techniken, die Sie in späteren Kapiteln noch lernen werden, Ihre Gefühle neutralisieren. Im nächsten Abschnitt lernen Sie Ihre Reaktionen noch besser verstehen. So können Sie auch die Ursache für Ihre problematischen Reaktionen leichter herausfinden. Letzten Endes wollen wir in Bezug auf das, was wir

fühlen, mehr Wahlfreiheit entwickeln, um nicht von unbewussten Emotionen, die wir nicht unter Kontrolle haben, gesteuert zu werden. Negative Kognitionen Die nächsten Schritte des Prozesses möchte ich Ihnen anhand eines Beispiels erläutern: Jon fiel seine Arbeit schwer. Er hatte seine Ziele im Leben ziemlich heruntergeschraubt und litt unter ständigen Versagensängsten. Zu Hause wie im Büro hatte er häufig Gefühlsausbrüche und Wutanfälle, was sein Familienleben wie seine berufliche Laufbahn gefährdete. In der EMDR-Therapie arbeiten wir mit sogenannten »negativen Kognitionen«. Dabei handelt es sich um bestimmte negative Überzeugungen. Andere therapeutische Ansätze würden Jon durch Befragung und schriftliche Übungen mit seinen Überzeugungen konfrontieren oder ihm vorschlagen, eine andere Sicht zu entwickeln. In der EMDR-Therapie finden wir mithilfe der negativen Überzeugungen des Klienten Zugang zu den Erinnerungen, die er verarbeiten muss, und aktivieren diese. Die negativen Kognitionen sind der verbale Ausdruck der Emotionen und Gedanken, die eine unverarbeitete Erinnerung begleiten. Jons negative Kognition, wenn er an den jüngsten Vorfall bei der Arbeit dachte, lautete: »Ich bin ein Versager.« Jon und seine EMDR-Therapeutin fanden mithilfe der »Float-BackTechnik« (float back, etwa: zurückschweifen, Anm. d. Ü.), die wir in diesem Kapitel lernen werden, heraus, welche Erinnerung die eigentliche Ursache für sein Problem war. Diese Schlüsselerinnerung betraf seinen Vater, der ihn ohne offensichtlichen Grund schlug, als er vier Jahre alt war. Von da an verprügelte der Vater den Sohn immer wieder, bis Jon mit 16 Jahren sein Elternhaus verließ. Wie sich herausstellte, bestand der Auslöser

für diese Erinnerung darin, dass Menschen einen ähnlichen Tonfall oder Gesichtsausdruck hatten wie sein Vater in seiner Kindheit. Der Tonfall, den manche Menschen gelegentlich bei der Arbeit oder zu Hause anschlagen, stellte die Verbindung her zu dieser frühen Erinnerung und brachte die alten Gefühle von Unzulänglichkeit, Ärger und Schmerz hoch – worauf Jon reagierte, indem er um sich schlug. Nachdem er diese Erinnerung verarbeitet hatte, hörten seine Wutausbrüche auf. Der entsprechende Tonfall war für ihn kein Trigger mehr, und auch die Versagensängste verschwanden und wurden ersetzt durch die positive Überzeugung: »Ich kann erfolgreich sein.« Eigene Forschungen Um herauszufinden, welche negativen Kognitionen zu Ihren störenden Reaktionen beitragen, vergegenwärtigen Sie sich als Erstes das Ereignis, das Ihnen zu Beginn dieses Kapitels in den Sinn kam. Eine bestimmte negative Kognition gehört zu diesem Vorfall – und dem Kindheitsereignis, das die Grundlage für Ihre Schwierigkeiten bildet. Sie können sich selbst auf die Suche machen oder mit der Liste von negativen Kognitionen arbeiten, die Sie im nächsten Abschnitt finden. Eine negative Kognition ist keine Beschreibung der entsprechenden Vorfälle. Sollten Sie also immer wieder ausrasten, wenn Ihre Mitarbeiter Fehler machen, würden die entsprechenden Kognitionen nicht lauten: »Ich bin völlig überfordert« oder »Er ist unfähig«. Vielmehr würden hier Sätze zutreffen wie: »Ich bin ohnmächtig«, denn damit beschreiben Sie, wie Sie selbst sich in dieser Situation fühlen. Das Gleiche gilt, wenn wir uns Kindheitserlebnissen zuwenden. Der Satz »Mein Vater hat mich misshandelt« ist keine negative Kognition, sondern – wie in Jons Fall – eine Beschreibung. Das gilt auch für eine Aussage wie »Meine Mutter hat mich nicht geliebt«, die eine Tatsache benennt. Sollte

das wirklich stimmen, wie haben Sie sich dabei gefühlt? Vielleicht haben Sie gedacht: »Ich bin nicht wichtig« oder »Ich bin nicht liebenswert«. Beides sind negative Kognitionen. Wenn ein Vergewaltigungsopfer in Behandlung kommt und sagt: »Ich war in Gefahr«, stimmt das zwar und ist keine irrationale Erkenntnis. Doch solange dieses Erlebnis unverarbeitet ist, kann die betreffende Person, wenn sie es sich vergegenwärtigt, weiterhin das Gefühl haben: »Ich bin in Gefahr.« Das ist eine irrationale Überzeugung, denn hier und jetzt in der Praxis ihrer Therapeutin ist die Klientin in Sicherheit. Somit handelt es sich hier zwar um eine richtige Einschätzung der Vergangenheit, doch lautet die eigentliche Frage, wie die Betroffene sich jetzt fühlt. Nach einer erfolgreichen Behandlung sollte sie, wenn sie sich die Vergewaltigung vergegenwärtigt, nicht mehr das Gefühl haben: »Ich bin in Gefahr.« Diese irrationale negative Kognition bringt zum Ausdruck, was sie jetzt, in der Gegenwart, fühlt, und ist damit ein Symptom. Sie ist Ausdruck der gespeicherten Informationen. Wir machen uns also die negativen Kognitionen, die unseren augenblicklichen Gefühlszustand ausdrücken, zunutze, um herauszufinden, welche unverarbeiteten Erinnerungen ihm zugrunde liegen. Wenn Sie herausgefunden haben, welche negative Kognition zu dem jüngsten Ereignis passt, das Sie in Ihrem Notizbuch festgehalten haben, schreiben Sie diese einfach in dieselbe Spalte darunter. Diese negative Kognition sollte auch mit der Erinnerung in der zweiten Spalte übereinstimmen. Jon zum Beispiel würde das Erlebnis, das ihm mit vier Jahren widerfuhr, in seinem Notizbuch folgendermaßen festhalten: JÜNGSTE EREIGNISSE

ERINNERUNGEN

Larry auf der Arbeit angeschrien vier Jahre alt, Vater hat mich geschlagen Ich bin ein Versager.

(8 SUD)

Negative Kognitionen ermitteln Mit der nächsten Übung finden Sie heraus, an welchen Überzeugungen Sie möglicherweise festhalten. Auch wenn wir für unseren psychischen Schmerz viele Worte finden können, lässt dieser sich meistens in drei Kategorien einordnen: ❯ Verantwortlichkeit ❯ Fehlende ❯ Keine

(Ich bin verkehrt / habe etwas falsch gemacht)

Sicherheit

Kontrolle / Macht

In der Liste auf der kommenden Seite finden Sie viele Sätze, die negative Kognitionen verbalisieren und in diese drei Kategorien fallen. Unter »Verantwortlichkeit« zum Beispiel fallen Überzeugungen, die Menschen haben, wenn sie glauben, verkehrt zu sein: »Ich bin nicht liebenswert«, »Ich bin nicht gut genug« und so weiter. Auch wenn wir sehen können, dass diese negativen Kognitionen, realistisch betrachtet, nicht stimmen, verbalisieren sie die Gefühle, die Sie in bestimmten Situationen haben und von denen Sie in Ihrem Leben letzten Endes gesteuert werden. Denken Sie einmal zurück und vergegenwärtigen Sie sich das erste negative Erlebnis, an das Sie sich erinnern können. Da Sie damals ein Kind waren, haben Sie sich wahrscheinlich ohnmächtig, verkehrt oder unsicher gefühlt. Vielleicht hatten Sie auch alle diese Gefühle. Überprüfen Sie einmal, in welche Kategorie diese Erinnerung am besten passt: Haben Sie sich verkehrt gefühlt? Waren Sie verunsichert? Oder ohnmächtig? Die interessante Frage ist, ob Sie diese Gefühle auch in den jetzigen Situationen haben, in denen Sie überreagieren. In der Liste unten habe ich diese Gefühle verbal formuliert und den drei Kategorien zugeordnet. Wenn Sie Ihre Gefühle in Worte fassen, können Sie

sich selbst besser verstehen und herausfinden, durch welche Erinnerungen die negativen Gefühle aktiviert werden. Denken Sie beim Lesen der Liste daran, dass negative Kognitionen Gefühle beschreiben, die wir in unseren schlimmsten Augenblicken empfinden. Meistens haben sie ihren Ursprung in unserer Kindheit, in der wir keine Wahl hatten. Manchmal gehen sie darauf zurück, dass andere uns grausam oder lieblos behandelt haben. Sie können aber auch auf Missverständnissen beruhen. Wie bei dem kleinen Jungen, der plötzlich Angst hatte, sich die Schuhe anzuziehen. Die Therapeutin fand heraus, dass seine Eltern dem Kind nach dem Tod der Großmutter erzählt hatten, ihre Seele (englisch: »soul«) sei in den Himmel gewandert. Daraufhin befürchtete der Kleine, dass seine »Sohle« (englisch: »sole«, gleiche Aussprache wie »soul«) ihn ebenfalls in den Himmel befördern und er dort auf Nimmerwiedersehen verschwinden würde. NEGATIVE KOGNITIONEN

POSITIVE KOGNITIONEN

NEGATIVE KOGNITIONEN

POSITIVE KOGNITIONEN

Verantwortlichkeit: Ich bin verkehrt. Ich verdiene keine Liebe.

Ich verdiene Liebe. Ich werde geliebt.

Ich bin ein schlechter Mensch.

Ich bin ein guter (liebevoller) Mensch.

Ich bin schrecklich.

Ich bin gut, so wie ich bin.

Ich bin verkehrt (unzulänglich).

Ich bin etwas wert. Ich bin ein wertvoller Mensch.

Ich muss mich für mich selbst schämen.

Ich verdiene Achtung.

Ich bin nicht liebenswert / keiner kann mich lieben.

Ich bin liebenswert.

Ich bin nicht gut genug.

Ich verdiene Gutes (bin gut / in Ordnung).

Ich verdiene nur Schlechtes.

Ich verdiene Gutes.

Ich bin total gestört.

Ich bin gesund / kann gesund werden.

NEGATIVE KOGNITIONEN

POSITIVE KOGNITIONEN

Ich bin hässlich (mein Körper ist abstoßend).

Ich bin schön (attraktiv / liebenswert).

Ich verdiene kein …

Ich kann … haben./ Ich verdiene …

Ich bin dumm (nicht klug genug).

Ich bin intelligent (kann lernen).

Ich bin unbedeutend (unwichtig).

Ich zähle (bin wichtig).

Ich bin eine Enttäuschung.

Ich bin in Ordnung, so wie ich bin.

Ich verdiene zu sterben.

Ich verdiene zu leben.

Ich verdiene, dass es mir schlecht geht.

Ich verdiene es, glücklich zu sein.

Ich bin anders als andere (gehöre nicht dazu).

Ich bin in Ordnung, so wie ich bin.

Fehlende Sicherheit / Verletzlichkeit Ich kann niemandem trauen.

Ich kann wählen, wem ich vertraue.

Ich bin in Gefahr.

Es ist vorbei. Ich bin jetzt in Sicherheit.

Es ist nicht in Ordnung (sicher), diese Emotionen zu fühlen (zu zeigen).

Es ist jetzt für mich sicher, diese Emotionen zu fühlen (zu zeigen).

Keine Kontrolle / Macht Ich habe keine Kontrolle.

Ich habe jetzt die Kontrolle.

Ich bin ohnmächtig (hilflos).

Ich habe jetzt eine Wahl.

Ich bekomme nicht, was ich will.

Ich kann bekommen, was ich will.

Ich kann nicht für mich einstehen.

Ich kann meine Bedürfnisse äußern.

Ich kann das nicht herauslassen.

Ich kann beschließen, es herauszulassen.

Ich kann mir nicht trauen.

Ich kann mir vertrauen (lernen, mir zu vertrauen).

Ich bin ein Versager (werde versagen).

Ich kann erfolgreich sein.

Ich kann keinen Erfolg haben.

Ich kann erfolgreich sein.

Ich muss perfekt sein.

Ich kann ich selbst sein (Fehler machen).

Ich kann damit nicht umgehen.

Ich kann damit umgehen.

Ich kann niemandem trauen.

Ich kann entscheiden, wem ich vertraue.

Vergegenwärtigen Sie sich als Erstes drei Ereignisse, die für Sie in letzter Zeit – oder im vergangenen Jahr – schwierig waren und bei denen Sie überreagiert haben. Halten Sie diese in der Spalte »Jüngste Ereignisse« mit ein paar Worten fest und lassen Sie zwischen den einzelnen Einträgen einige Zeilen frei. Schauen Sie sich jetzt die Liste mit den negativen Kognitionen an. Wenn Sie sich den ersten Vorfall vergegenwärtigen, welche negative Kognition passt dazu am besten? Schreiben Sie diese unter das entsprechende Ereignis. Wenn Sie das Gefühl haben / der Überzeugung sind: »Das ist mein Fehler. Ich hätte es anders machen sollen«, stellen Sie sich als Nächstes die Frage: Was sagt das über mich aus? Das heißt, löst das bei Ihnen Gedanken aus wie: Ich sollte mich schämen / Ich bin dumm / Ich bin ein schlechter Mensch? Schreiben Sie die negative Kognition, die für Sie am stimmigsten ist, unter das jüngste Ereignis. Wenn Sie keine passende Kognition finden, lassen Sie einige Zeilen erst einmal einfach leer. Wie Sie sehen, enthält meine Liste auch positive Kognitionen, die den negativen entgegentreten. So würden Sie sich fühlen, wenn Sie als Kind oder bei den jüngsten Ereignissen genau die entgegengesetzte Botschaft vermittelt bekommen hätten. Statt das Gefühl zu haben: »Ich bin verkehrt«, würden Sie fühlen: »Mit mir ist alles in Ordnung.« Auch hier geht es nicht darum, anderen Menschen Vorwürfe zu machen. Die positiven Kognitionen zeigen Ihnen einfach zukünftige Möglichkeiten auf. Wenn wir unsere Gefühle in Form einer negativen Kognition formulieren, erfahren wir mehr über unsere unbewussten Dynamiken und die Erinnerungen, die uns steuern. Statt einfach »ein Gefühl« zu haben, können wir sehen, dass mit diesen Erlebnissen ganz bestimmte Gedanken und Überzeugungen verbunden sind. Wir müssen uns unsere negativen Kognitionen nicht vorwerfen. Diese Sätze sind einfach Symptome für die

gespeicherten Erinnerungen, die uns zu entsprechenden Reaktionen antreiben. Schauen Sie einmal, welche der anderen jüngsten Situationen, die Sie aufgeregt haben, mit den gleichen Emotionen und der gleichen negativen Kognition verbunden sind. Oder sind hier ganz andere Emotionen und negative Kognitionen im Spiel? Nachdem Sie herausgefunden haben, welche negative Kognition zu Ihrem ersten Vorfall passt, suchen Sie auch für die weiteren Vorfälle in der Spalte »Jüngste Ereignisse« passende Kognitionen. Notieren Sie das Erlebnis mit einem kurzen Satz und halten Sie darunter die negative Kognition fest, die am besten ausdrückt, wie Sie sich in dieser Situation gefühlt haben. Wenn Sie für eines der jüngsten Ereignisse keine negative Kognition finden können, lassen Sie die entsprechenden Zeilen erst einmal frei. Nehmen Sie sich jetzt einen Moment Zeit, um Ihre Ergebnisse noch einmal zu überprüfen. Sind alle Ereignisse mit derselben negativen Kognition verbunden? Oder mit verschiedenen Kognitionen, die aber in dieselbe Kategorie fallen (Verantwortlichkeit, Sicherheit oder Kontrolle)? Oder gehören Ihre Kognitionen in verschiedene Kategorien? Erinnerungen finden Wenn Sie gern herausfinden möchten, woher Ihre negativen Reaktionen stammen, können Sie ein weiteres Verfahren aus der EMDR-Therapie ausprobieren: die Float-Back-Technik. Sie ergänzt den Affekt-Scan und legt oft noch weitere Erinnerungen frei. Wenn Sie mithilfe der negativen Kognitionen Zugang zu Erinnerungen bekommen, verstehen Sie durch diese Technik noch besser, was Sie steuert. Diese Übung ist zwar leichter mit therapeutischer Unterstützung, doch wenn Sie inzwischen die Erfahrung gemacht haben, dass der sichere / ruhige Ort und das entspannte Atmen Ihnen zuverlässig helfen, den inneren Aufruhr wieder zu beruhigen, können

Sie damit auch selbst weiterforschen. In diesem Fall wählen Sie jetzt eines der jüngsten Ereignisse aus Ihrer Liste und gehen Schritt für Schritt nach den folgenden Anweisungen vor. Achten Sie darauf, eine Pause einzulegen, wenn Sie eine Erinnerung gefunden haben, und das entspannte Atmen zu praktizieren oder Ihren sicheren / ruhigen Ort aufzusuchen, um aufkommende beunruhigende Gefühle wieder zu neutralisieren. Dann notieren Sie die Schlüsselerinnerung in der Spalte »Erinnerungen«. Hier ein kurzes Beispiel dafür, wie das aussehen kann: Zu Sandras Arbeit als Fortbildungsleiterin gehörte auch, dass sie vor größerem Publikum sprach. Das machte ihr so große Angst, dass sie sich vorher immer mit ein paar Gläsern Wein Mut antrank. Ihre negative Kognition lautete: »Ich bin nicht gut genug.« Durch die Float-Back-Technik kam ihr eine Situation aus der vierten Klasse wieder in den Sinn. Ihre Lehrerin wollte damals dem Kollegen, der sie im nächsten Schuljahr unterrichten würde, ein paar Kinder aus der Klasse vorstellen. Sie befahl Sandra aufzustehen und sagte zu deren zukünftigem Lehrer: »Die hier hat es in sich.« JÜNGSTES EREIGNIS

ERINNERUNGEN

Präsentation vor Publikum 10 Jahre alt – Frau Alpert sagt: »Die hier hat es in sich.« Ich bin nicht gut genug.

(7 SUD)

Und denken Sie wieder daran, es gibt hier kein »Muss«. Erzwingen Sie nichts, wenn sich keine Erinnerung zeigen sollte. Wenn es mit einem jüngsten Ereignis nicht sofort klappt, versuchen Sie es einfach mit einem anderen. Manche Menschen brauchen bei diesem Prozess therapeutische Unterstützung. Anderen fallen viele Erinnerungen ein, die alle mit den gleichen Emotionen verbunden sind. Auch das ist kein Grund zur Beunruhigung. Schildern Sie mit wenigen treffenden Worten die früheste

Erinnerung, die Sie am meisten in Aufruhr versetzt. Und machen Sie anschließend auf jeden Fall das entspannte Atmen oder suchen Sie Ihren sicheren / ruhigen Ort auf, um die hochgekommenen Gefühle wieder zu neutralisieren. Die Float-Back-Technik Denken Sie an die negative Kognition und das jüngste Ereignis und vergegenwärtigen Sie sich beide gleichzeitig. Wo spüren Sie das in Ihrem Körper? 1.

Während Sie an das jüngste Ereignis und die negative Kognition denken, achten Sie auf die Gefühle in Ihrem Körper und kehren Sie innerlich in Ihre Kindheit zurück. Welche Situation fällt Ihnen ein, wo Sie sich schon einmal 2.

so gefühlt haben? Wenn Ihnen automatisch ein Erlebnis in den Sinn kommt, schreiben Sie es zusammen mit Ihrem damaligen Alter und dem SUD-Wert in die Spalte »Erinnerungen«. Erstellen Sie mithilfe der Schlüsselworte eine Liste der frühesten Erinnerungen und der Erinnerungen mit dem höchsten Wert auf der SUDSkala. 3.

Schreiben Sie diese in die Spalte »Erinnerungen« neben das jüngste Ereignis. 4.

Wenn Sie für keines dieser Erlebnisse eine passende negative Kognition finden, machen Sie den Affekt-Scan, den Sie zu Beginn dieses Kapitels bereits gelernt haben. Sollten Sie eine Schlüsselerinnerung gefunden haben, schauen Sie sich die Liste mit negativen Kognitionen an, um zu überprüfen, welche am besten dazu passt. Wenn Sie sich diese alte Erinnerung innerlich vergegenwärtigen, achten Sie darauf, wie Sie sich jetzt dabei fühlen. Manchmal fällt es uns leichter, uns eine alte Erinnerung anzuschauen als

unsere Reaktionen auf aktuelle Situationen, in denen wir uns festgefahren fühlen. Wie auch immer, wenn Sie wirklich eine Erinnerung finden, stellen Sie meistens fest, dass die negative Kognition auf diese wie auch auf die augenblickliche schwierige Situation zutrifft. Dann halten Sie diese Erinnerung in der entsprechenden Spalte fest. Nehmen Sie sich nun ein paar Minuten Zeit, um sich gründlich anzuschauen, was Sie herausgefunden haben. Verstehen Sie jetzt, wie Ihre frühen Erlebnisse in der Spalte »Erinnerungen« Sie zu Ihren heutigen Reaktionen treiben? Können Sie sehen, ob die Ausläufer dieser Erfahrungen auch noch auf andere Weise bis in Ihre Gegenwart reichen? Fällt Ihnen auf, dass Ihre heftigen Reaktionen bei der Arbeit wie zuhause auf die Gefühle zurückgehen, die Sie in der Kindheit hatten – oder sind diese mit unterschiedlichen Ereignissen verbunden? Und jetzt? In den nächsten Kapiteln zeige ich Ihnen noch weitere Übungen und erläutere weitere Themen, doch wenn Sie mithilfe der Übungen in diesem Kapitel Erinnerungen ausfindig machen konnten, ist das ein guter Ausgangspunkt. Falls nicht, gelingt Ihnen das vielleicht besser, wenn wir uns unsere Erinnerungsnetzwerke noch einmal gründlicher anschauen. Und denken Sie bitte wieder daran, dass manche Menschen aufgrund ganz besonderer Umstände in ihrer Kindheit mehr Hilfe brauchen. Das ist kein Vorwurf, sondern lediglich eine Information. Selbst wenn Ihnen keine Erinnerungen eingefallen sind, haben Sie doch die negativen Kognitionen formuliert, das heißt, Sie können allmählich erkennen, wann die damit verbundenen Gefühle heute bei Ihnen ausgelöst werden. Ob alleine oder mit therapeutischer Unterstützung, den meisten Menschen kommen zehn bis 20 Erinnerungen, die ihnen in ihrem jetzigen Leben

Probleme bereiten und meistens auch körperliche Reaktionen auslösen. Das heißt, wenn Sie die Augen schließen und sich diese Erlebnisse innerlich vergegenwärtigen, können Sie spüren, wie Ihr Körper reagiert, und / oder sich an Gedanken und Gefühle erinnern, die Sie zu der Zeit hatten. Diese Erinnerungen haben Sie nicht vollständig verarbeitet. Jede dieser Erinnerungen kann Ihr heutiges Wohlbefinden direkt beeinträchtigen. Einige haben Ihre Persönlichkeit mitgeformt. Und wieder andere machen Ihnen jedes Mal, wenn sie ausgelöst werden, neu zu schaffen. Auch wenn viele Erinnerungen körperliche Reaktionen hervorrufen können, sind ähnliche Erlebnisse meistens in ein und demselben Erinnerungsnetzwerk verankert. Schwere Traumata können in jedem Alter passieren und unverarbeitet bleiben. Diese und ähnliche Erinnerungen, die zu den frühesten oder störendsten gehören, liefern den Schlüssel für augenblickliche Schwierigkeiten. Werden diese grundlegenden Schlüsselerinnerungen verarbeitet, wirkt sich das automatisch auf viele andere aus, die im selben Netzwerk verankert sind. Sind diese Erinnerungen erst einmal angemessen gespeichert worden, tauchen die alten störenden Emotionen, Gedanken und körperlichen Empfindungen nicht länger auf. Stattdessen kommen automatisch positive Emotionen und Gedanken hoch wie: »Ich bin es wert«, »Ich kann Erfolg haben« und »Ich habe die Wahl«. Es gibt viele Möglichkeiten, Ihre heutigen negativen Reaktionen in den Griff zu bekommen. Eine besteht darin, sich selbst zu beobachten und auftretende Störungen mit Selbststeuerungstechniken zu bewältigen. Da Sie jetzt aus eigener Erfahrung wissen, dass einige Ihrer heutigen negativen Überzeugungen und Reaktionen auf früheste Erinnerungen zurückgehen, erkennen Sie allmählich auch die Verhaltensmuster, die Sie steuern. Das heißt, Sie werden wacher für Ihre Reaktionen und können sagen: »Das ist einfach eine alte Geschichte«, statt sich in die entsprechenden Emotionen

zu verwickeln. Wenn Sie spüren, dass Sie ärgerlich, ängstlich, traurig, unsicher und so weiter werden, können Sie das entspannte Atmen machen oder Ihren sicheren / ruhigen Ort aufsuchen. Sollten Sie sich bei negativen Selbstgesprächen ertappen, können Sie die Comic-Technik anwenden. Und wenn Sie ein störendes Bild nicht aus dem Kopf bekommen, machen Sie die Farbeimer-Übung und rühren es weg oder löschen es mit dem kräftigen Wasserstrahl oder dem nassen Schwamm. Mithilfe dieser und weiterer Techniken, die Sie in diesem Buch noch lernen werden, können Sie schwierige gedankliche / emotionale Zustände positiv beeinflussen. Wenn Sie sich sicher und ruhig fühlen, treffen Sie bessere Entscheidungen als im Zustand von Ärger oder Unsicherheit. TICES-Tagebuch Da eines der Ziele in der EMDR-Therapie darin besteht, Erinnerungen zu verarbeiten, die Ihnen heute Probleme bereiten, bitten wir unsere Klienten herauszufinden, welche Situationen ihre Störungen triggern oder auslösen. Hierzu ist es hilfreich, ein TICES-Tagebuch zu führen. Schlagen Sie in Ihrem Notizbuch eine neue Seite auf und unterteilen Sie diese mit senkrechten Linien in fünf Spalten. Über die erste Spalte schreiben Sie den Buchstaben T, über die zweite I und so weiter. Sie müssen in den einzelnen Spalten nur wenige Worte vermerken – Stichpunkte, die Ihre Reaktionen auf Situationen beschreiben, die Sie in Ihrem heutigen Leben als störend empfinden. T – steht für Trigger (Auslöser). Wie Sie inzwischen wissen, sind schwierige Situationen in Ihrem heutigen Leben mit Ihren Erinnerungsnetzwerken verknüpft, und Sie neigen hier zu Überreaktionen, weil die Situation eine frühere, unverarbeitete Erinnerung triggert. Was also ist damals passiert? Ging es um einen familiären Streit, einen Blick, eine

Geste oder Worte, mit denen ein Mensch Sie verletzt hat? Haben Sie sich ausgeschlossen oder als schwieriger Mitarbeiter gefühlt? Notieren Sie das einfach mit wenigen Stichworten, um sich schnell daran erinnern zu können. I – steht für Image (Bild). Wenn Sie jetzt an dieses Ereignis denken, welches Bild kommt Ihnen dann in den Sinn? Bei den meisten Menschen zeigt dieses Bild das, was für sie damals der schlimmste Teil des Ereignisses war. Es ist der Teil, der Sie vor Scham hat erröten lassen, Sie wütend oder traurig gemacht oder andere unangenehme Gefühle geweckt hat. C – steht für Cognition (Kognition). Wählen Sie aus der Liste die negative Kognition, die Ihren Gefühlen bei diesem Ereignis am besten entspricht. E – steht für Emotion. Welche Emotion(en) empfinden Sie, wenn Sie an den Vorfall denken? S – steht für Sensation (Körperempfindung) und SUD. Was empfinden Sie im Körper und wo? Und wie würden Sie diese körperliche Reaktion auf der SUD-Skala bewerten? Suchen Sie, nachdem Sie diese Reaktionen notiert haben, auf jeden Fall Ihren sicheren / ruhigen Ort auf oder machen Sie das entspannte Atmen, um die hochgekommenen Gefühle wieder zu neutralisieren. Denken Sie daran, nicht alle schmerzlichen Erinnerungen stammen aus der Kindheit. Schwere Traumata können in jedem Lebensalter passieren und entsprechende Auswirkungen haben. Derek zum Beispiel war ein Veteran aus dem Irakkrieg, der in die Therapie kam. Mithilfe des TICESTagebuchs konnten er und sein Therapeut herausfinden, welche Situationen

ihm zu schaffen machten und wo er überreagierte. Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg fiel ihm zum Beispiel auf, dass er jedes Mal, wenn sein Sohn Parker weinte, in Aufruhr geriet. Wenn er das Kind dann gerade im Arm hielt, musste er es seiner Frau übergeben. Seine negative Kognition lautete: »Ich komme damit nicht zurecht.« Und so sah das in seinem TICESTagebuch aus: T Parker weint

I Tränen laufen ihm über das Gesicht.

C Ich komme damit nicht zurecht.

E Traurigkeit / Scham

S Brustkorb / Magen 8 SUD

Nachdem Derek und sein Therapeut sich sein TICES-Tagebuch angeschaut hatten, arbeiteten sie mit der Float-Back-Technik weiter. Dabei zeigte sich, dass das Problem auf einen Vorfall im Einsatz zurückging. In einer verfahrenen Kampfsituation war eine Frau als Geisel genommen worden. Bei dem darauffolgenden Feuergefecht wurde diese Frau getötet, woraufhin ihr Sohn gerannt kam und nach seiner Mutter weinte. Der Vorfall hatte verständlicherweise die ganze Truppe in Aufregung versetzt, obwohl alle wussten, dass dieses Gefecht nicht hätte verhindert werden können. Bei Derek setzte sich der emotionale Aufruhr bei diesem Kriegserlebnis als unverarbeitete Erinnerung fort, die jedes Mal ausgelöst wurde, wenn sein eigener Sohn weinte. Nachdem er diese Erinnerung verarbeitet hatte, reagierte Derek nicht mehr so heftig auf Parkers Weinen und konnte das Zusammensein mit seinem Sohn ungestört genießen. Grundsätzlich können wir sagen, dass Überreaktionen – ganz gleich, ob bei beruflichen oder familiären Schwierigkeiten, bei Freunden oder Fremden auf der Straße – meistens auf unverarbeitete Erinnerungen

zurückgehen. Mithilfe des TICES-Tagebuchs können Sie zu entsprechenden Informationen auf verschiedene Weise Zugang bekommen. Sie können mithilfe Ihrer Antworten durch Anwendung der Float-BackTechnik und des Affekt-Scans herausfinden, welche Erinnerung Sie zu den Überreaktionen treibt. In diesem Fall schreiben Sie als Erstes das jüngste 1.

Ereignis und dann die negative Kognition und die Erinnerung (mit Lebensalter und SUD-Wert) in die entsprechenden Spalten Ihrer Liste mit Schlüsselerinnerungen. Wenn Sie die Erinnerung bereits wissen, versehen Sie diese mit einem Sternchen. Das hilft Ihnen, sich klarzumachen, welche Erinnerungen Ihr Leben besonders stark bestimmen. In späteren Kapiteln zeige ich Ihnen noch weitere Möglichkeiten, die Liste mit Schlüsselerinnerungen zu führen. Sie können genau verfolgen, wie oft Sie in verschiedenen Situationen negativ reagiert haben und schauen, ob diese Situationen alle um bestimmte Emotionen und negative Kognitionen kreisen. 2.

Sie können erkennen, dass Ihr Verhalten weder mysteriös noch zufällig ist. Es handelt sich hier um ganz spezifische Reaktionen auf bestimmte Situationen, welche die unverarbeiteten Erinnerungen triggern und in denen 3.

die damit verbundenen störenden Gedanken, Emotionen und körperlichen Empfindungen hochkommen. Vielleicht fühlen Sie sich ängstlich, traurig, ärgerlich, unsicher oder ohnmächtig – doch jetzt können Sie sich bewusst machen, warum Sie so reagieren. Sie sind mehr als diese Gefühle – Sie können Ihre Reaktionen beobachten und etwas dagegen unternehmen. Wenn Sie Ihr TICESTagebuch regelmäßig führen, können Sie täglich Rückschau halten und klären, welchen Themen Sie sich zuwenden müssen. Reagieren Sie gelegentlich negativ oder passiert das häufiger? Betrifft das nur eine

bestimmte Person in Ihrem Leben oder mehrere? Kommt das vor allem in Ihrer Familie, bei der Arbeit, mit bestimmten Freunden, Bekannten, Fremden vor oder wenn Sie allein sind? Durch Ihr TICES-Tagebuch wird Ihnen nicht nur deutlicher bewusst, wer Sie sind, sondern auch, welche Erfahrungen und Erinnerungen Sie steuern. Das hilft Ihnen, sich auf entsprechende Situationen gezielt vorzubereiten, indem Sie wachsam bleiben und bei Bedarf Ihre Selbststeuerungstechniken anwenden, um Ihre negativen Reaktionen in den Griff zu bekommen und Situationen besser bewältigen zu können. Im Verlauf dieses Buches werden Sie noch weitere solcher Techniken lernen. Wenn Sie mit diesen Methoden eigene Erfahrungen machen, finden Sie auch heraus, ob Ihnen therapeutische Unterstützung guttäte. Manche Erinnerungen sind nun einmal schwerer zu verkraften als andere. Manchmal reichen Selbstbeobachtung und der feste Entschluss zur Veränderung einfach nicht aus. In manchen Situationen können so intensive Emotionen hochkommen, dass Sie keine Distanz dazu halten können. Sollten Sie immer wieder die gleichen heftigen Reaktionen zeigen, wäre es für Sie wahrscheinlich eine Hilfe, wenn Sie entsprechende Erinnerungen unter der Anleitung eines ausgebildeten Therapeuten verarbeiteten. Richtlinien für die Suche nach einem geeigneten Therapeuten oder einer geeigneten Therapeutin finden Sie in Anhang B. Im Wesentlichen gehen Sie hier genauso vor wie bei körperlichen Beschwerden. Ihr Gehirn ist Teil Ihres Körpers. Wenn Sie sich einen Arm gebrochen haben, suchen Sie einen Arzt auf, der den Bruch schient, und alles Weitere erledigen Ihre natürlichen Selbstheilungskräfte. Doch ohne Gipsverband geht es nicht. Ähnliches gilt für Ihre Erinnerungen und das Informationsverarbeitungssystem Ihres Gehirns.

In den nächsten Kapiteln können Sie noch weitere Erinnerungen ausmachen, die Sie steuern. Außerdem wenden wir uns einigen Schwierigkeiten zu, mit denen Millionen Menschen weltweit zu kämpfen haben. Wenn bei diesen Schilderungen Ihre Alarmglocken klingeln, erfahren Sie noch mehr darüber, was Sie und die Menschen, mit denen Sie zusammenleben – und die Sie lieben, mögen oder auch nicht mögen – tatsächlich steuert.

5. Die verborgene Landschaft Wie sich Probleme entwickeln

In diesem Kapitel werfen wir einen gründlichen Blick auf einige der Themen, mit denen die meisten von uns sich auseinandersetzen müssen. Ich werde Ihnen authentische Beispiele geben, um zu zeigen, wie die Dynamiken und unbewussten Antriebe aussehen, die bewirken, dass Menschen ein negatives Selbstgefühl entwickeln. Wir gehen auch der Frage nach, warum viele Menschen in ihrem Leben offensichtlich keine Befriedigung und Erfüllung finden und sich nicht wirklich wohl fühlen. Dazu werfen wir am besten einen Blick auf unseren Lebensanfang. Die Liebe der Eltern sollte eigentlich für alle Lebewesen ein Sprungbrett ins Leben sein. Da wir von Natur aus auf den Erhalt unserer Spezies »gepolt« sind, sind Säuglinge zu pflegen und zu beschützen. Durch die liebevolle Fürsorge unserer Eltern erleben wir, wie es in der Welt zugeht und dass wir kostbare Wesen sind, die ihre Ziele im Leben erreichen können. Durch ihre tätige Liebe lernen wir selbst lieben. Nur dass es leider nicht immer so läuft. Hier eine Situation, die mehr Menschen betrifft, als Sie vielleicht annehmen: Lucille war mit ihrem ersten Kind schwanger. Obwohl selbst das jüngste von drei Geschwistern, war sie die Erste, die ein Baby bekam. Das war für die ganze Familie aufregend, und alle freuten sich auf das große Ereignis. Aber Lucille konnte kaum erwarten, es hinter sich zu bringen. Leider wurde ihr Mann versetzt, als sie gerade erfahren hatte, dass sie schwanger war, sodass sie umziehen musste und von Freunden und der Familie getrennt

wurde. Außerdem gestaltete sich die Schwangerschaft sehr schwierig. Ihr war ständig übel, und sie musste sich fast die ganzen neun Monate lang täglich mehrmals übergeben. Die Entbindung war auch nicht leichter. Sie hatte lange, schmerzhafte Wehen, und schließlich musste das Kind mit Kaiserschnitt zur Welt gebracht werden. Nachdem Lucille aus der Narkose aufgewacht war, wollte sie ihr Baby sehen. Doch die Krankenschwestern teilten ihr mit, sie müsse damit bis zum nächsten Morgen warten. Doch als sie ihr endlich den Säugling, eine kleine Tochter, in die Arme legten, schaute Lucille auf das Kind herab und dachte: »Hier stimmt etwas nicht. Ich empfinde überhaupt nichts.« Lucille wollte Amy lieben, konnte es aber nicht. Obwohl sie für ihre Tochter nur das Beste wollte, konnte sie keine Beziehung zu ihr aufbauen. Stattdessen fühlte sie sich körperlich entsetzlich und war deprimiert. Und außerdem quälten sie heftige Schuldgefühle, weil sie ihrer Tochter keine liebevollen Gefühle entgegenbringen konnte. Das war jedoch nicht Lucilles Fehler – und auch nicht Amys. Die unverarbeitete Schwangerschaft und die Erinnerungen an die Geburt waren in Lucilles Gehirn gespeichert, und die damit verbundenen negativen Emotionen und körperlichen Empfindungen wurden durch Amys Gegenwart ständig wieder ausgelöst. Lucille versuchte es mit der Einnahme von Antidepressiva und suchte eine Beratungsstelle auf. Doch das alles änderte nichts daran, dass sie für ihr Baby nichts empfand. Sie fütterte Amy zwar und hielt sie im Arm, gab ihr die Flasche, wenn sie schrie, und wickelte sie, wenn ihre Windel nass war, empfand aber überhaupt keine Liebe oder Zuneigung für sie. Lucille teilte Amy ihren Kummer dadurch mit, wie sie das Kind hielt und berührte. Ihre Tochter reagierte darauf, indem sie quengelig wurde und Koliken bekam, was die Situation noch verschärfte. Das war der Anfang einer ganzen Reihe von Problemen, die auf einem Mangel an echter Zuwendung

und Liebe beruhten. Weder Amy noch Lucille machte in dieser Situation etwas falsch. Amy würde wahrscheinlich mit dem Gefühl aufwachsen, nicht liebenswert zu sein, obwohl das nicht stimmte. Wäre die Situation eine andere gewesen, hätte sie Liebe erfahren. Leider war das Informationsverarbeitungssystem ihrer Mutter durch deren Erfahrungen mit Schwangerschaft und Geburt überlastet worden. Obwohl sie sich verzweifelt wünschte, Liebe für Amy zu empfinden, war Lucille dazu nicht imstande, weil unverarbeitete negative Erfahrungen sie daran hinderten. Lucille konnte ihre Probleme durch eine EMDR-Therapie lösen, in der sie ihre negativen Erinnerungen an die Schwangerschaft wie auch die augenblickliche Situation verarbeitete, die ihr zu schaffen machte. Auf diese Weise stellten sich die guten Gefühle ein, die sie von Anfang an empfunden hätte, wenn Schwangerschaft und Geburt anders verlaufen wären. Nach der EMDR-Therapie war Amy mit Lucilles eigenen Worten »keine Pflicht mehr, sondern die Liebe meines Lebens«. Das bewahrte Amy vor lebenslangem Kummer und Selbstzweifeln. Doch andere sind nicht in der glücklichen Lage, solche Veränderungen zu erleben. Und die ElternKind-Beziehung ist grundsätzlich einer der wichtigsten Bausteine für unsere spätere Persönlichkeit. Ich möchte noch einmal betonen, dass hier manchmal auch genetische Faktoren mitspielen und die Ursache für bestimmte Schwierigkeiten oder ein bestimmtes Verhalten sein oder uns dafür anfällig machen können. So sind manche Kinder zum Beispiel von Geburt an anfälliger für Stress als andere. Das kann für die Eltern eine große Herausforderung sein. Wie bereits gesagt, geht es hier nicht um Schuldzuweisungen, sondern darum zu verstehen, was uns als Menschen ausmacht und prägt. Wenn wir uns im Folgenden einmal gründlicher anschauen, welche Dynamiken die wichtige frühe Beziehung zwischen Eltern und Kindern beeinflussen, können Sie

überprüfen, ob einiges davon auch auf Sie und Ihre Ursprungsfamilie zutrifft. Die Bindung zwischen Eltern und Kind Menschen, die sich als Kinder von den eigenen Eltern nicht geliebt fühlten, können damit durchaus recht haben. Tausenden von Frauen geht es ähnlich wie Lucille, ohne dass sie wissen, was sie dagegen unternehmen können. Während ihre Freundinnen freudig Kinder zur Welt bringen und versorgen, ist ihnen das einfach nicht möglich, und sie fühlen sich unfähig und innerlich leer. Grund dafür sind meistens die mit körperlichen oder emotionalen Trennungen verbundenen, unverarbeiteten Erfahrungen in der Schwangerschaft, bei der Entbindung oder kurz nach der Geburt. Einige der am meisten verbreiteten Ursachen für diese Schwierigkeiten zähle ich im Folgenden einmal auf: Körperliche Trennung ❯ Die

Mutter wurde bei oder nach der Geburt oder in den darauffolgenden Monaten von ihrem Kind getrennt. ❯ Die Mutter hatte eine sehr schwierige Entbindung. ❯ Das

Kind war eine Frühgeburt oder bei der Geburt krank und / oder wurde auf die neonatale Intensivstation gebracht oder in den Brutkasten gelegt. ❯ Die Mutter wurde bei der Geburt betäubt. ❯ Die Mutter war nach der Geburt sehr krank. ❯ Das Kind wurde adoptiert. ❯ Andere einschneidende Trennungen. Emotionale Trennung ❯ Die

Mutter hatte während der Schwangerschaft emotionale Probleme. ❯ Die Mutter hatte nach der Geburt emotionale Probleme.

❯ Die

Mutter hatte in den ersten zwei Jahren nach der Geburt einen Todesfall in der Familie. ❯ Die Mutter hatte in den ersten zwei Jahren nach der Geburt eine Fehlgeburt. ❯ Es

gab ernsthafte Eheprobleme und / oder Mutter und Vater trennten sich vor oder kurz nach der Geburt. ❯ Die Mutter war bei der Geburt drogen- oder alkoholabhängig. ❯ Die Mutter ist kurz vor oder nach der Geburt umgezogen. ❯ Das Paar hatte große finanzielle Probleme. ❯ Die Schwangerschaft war ungewollt. ❯ Das Kind war ein Zwilling oder Drilling. ❯ Andere Ereignisse haben den Bindungsprozess gestört. Grundsätzlich können wir sagen, dass Menschen, die das Gefühl haben, dass ihre Mutter (oder ihr Vater) sie nicht liebten, damit durchaus recht haben können. Aber wie wir inzwischen bereits wissen, kann das Gründe haben, über die Menschen ohne therapeutische Intervention keine bewusste Kontrolle haben. Wenn Lucille keine Liebe für Amy empfand, reagierte sie damit automatisch emotional und körperlich auf die schmerzlichen Erfahrungen, die sie in der Schwangerschaft und bei der Geburt gemacht hatte. Stellen Sie sich vor, wie schwierig es gewesen sein muss, ausgerechnet zu Beginn der Schwangerschaft umziehen zu müssen, Heimweh zu haben, sich einsam zu fühlen und dann noch unter extremer Übelkeit zu leiden und sich ständig übergeben zu müssen. Dann die langen und schmerzhaften Wehen, der schwere operative Eingriff (Kaiserschnittgeburt) und Lucilles Erschöpfung und Depressionen nach der Geburt. Das war für ihr Verarbeitungssystem einfach zu viel, um es allein zu bewältigen. Tatsächlich hätte bereits einer

dieser Umstände reichen können, um die emotionale Bindung zwischen Mutter und Kind zu stören. Väter können aufgrund ihrer Erfahrungen in der eigenen Ursprungsfamilie und belastender Erlebnisse vor, während oder nach der Geburt ihres Kindes ähnliche Schwierigkeiten haben. Manche Kinder wachsen auch mit dem Gefühl auf, dass die Eltern zwar ihre Geschwister lieben, sie aber nicht. Das kann aufgrund der individuellen Umstände bei der Geburt tatsächlich der Fall sein. Und wenn ein Kind das Gefühl hat, »Mami und Papi haben mich nicht lieb«, zieht es daraus meistens auch den Schluss: »Mit mir muss etwas verkehrt sein.« Und obwohl das nicht stimmt, wird diese Botschaft im Erinnerungssystem des Kindes verankert. Auch wenn nicht alle Fälle so eindeutig sind wie der von Lucille, gibt es, wie wir noch sehen werden, viele Gründe dafür, dass Eltern keine Bindung und Beziehung zu ihrem Kind eingehen können, sodass dieses sich schließlich ungewollt und ungeliebt fühlt. Viele Faktoren können die postpartale (nach der Geburt auftretende) Stimmung und die Bindungsfähigkeit beeinträchtigen, darunter eine traumatische Geburt, ein schwieriger Partner oder problematische familiäre Beziehungen, ungelöste Kindheitstraumata, unverarbeitete Erlebnisse während der Schwangerschaft und körperliche Veränderungen im Hormonhaushalt der Mutter. Eine Kaiserschnittgeburt kann ebenfalls zu diesen Problemen beitragen. Aufgrund der wachsenden Anzahl an Kaiserschnittgeburten noch ein Hinweis für die Betroffenen: Auch wenn diese Operation in manchen Fällen notwendig sein mag, empfehle ich Ihnen, nach diesem Eingriff Ihre psychische Genesung ebenso im Auge zu behalten wie Ihre körperliche. Marion zum Beispiel hatte ebenfalls eine langwierige, schwierige Entbindung, die mit einem Kaiserschnitt endete. Anschließend lag sie im

Delirium und konnte sich an die Einzelheiten der Geburt nicht mehr richtig erinnern. Sie hatte auch vergessen, was kurz vorher im Vorraum des OPSaals passiert war. Sie wusste nur, dass sie unter starken Schmerzen und Übelkeit litt und sich schwach fühlte. In den Wochen und Monaten nach der Geburt hatte sie große Angst, die traumatische Geburt könne für ihren Sohn Donny Folgen haben. »Ich war wahnsinnig unsicher als junge Mutter, und er schrie nach jeder Mahlzeit und spuckte viel. Ich fragte mich ständig, ob ich mehr für ihn tun könnte. Gingen seine Probleme beim Füttern auf das Trauma seiner Geburt zurück?« Marions Ängste sind nicht ungewöhnlich. Mütter, die zu ihrem Baby keine Bindung herstellen können, empfinden oft Angst, Unsicherheit oder »gar nichts«, wenn sie das Kind zum ersten Mal im Arm halten. Auch Marion verspürte aufgrund ihrer unverarbeiteten Erinnerungen Distanz zu Donny und zweifelte ständig an sich. Sie hatte immer wieder das Gefühl, sich ihrem Sohn gegenüber nicht richtig zu verhalten. Sie konnte ihn nicht liebevoll im Arm halten. Sie hatte Angst, ihn zu verletzen, und Donny wurde immer schwieriger im Umgang. Nachdem Marion ihre Erinnerungen in EMDR-Sitzungen verarbeitet hatte, konnte sie sich entspannen und sich an ihrem Baby freuen. Sie konnte ihre Liebe spüren und zum Ausdruck bringen, und Donny reagierte darauf entsprechend. Die Ironie ist, dass Marion, solange ihre Erinnerungen unverarbeitet blieben, ständig Angst hatte, ihr Kind zu verletzen – dabei war das wirklich Verletzende für Donny ihre Unfähigkeit, Liebe für ihn zu empfinden. Wenn Kinder sich nicht geliebt fühlen, kann das verheerende Auswirkungen haben. Als Säuglinge und Kleinkinder können sie dann ständig unzufrieden, deprimiert, ängstlich und launisch sein. Wenn Eltern keine feste Bindung zu ihrem Kind entwickeln und sich nicht »einfühlen« – nicht sensibel und fürsorglich auf seine Bedürfnisse eingehen

–, kann das lebenslange Probleme nach sich ziehen, wozu auch körperliche und psychische Schwierigkeiten gehören. Häufig gelten solche Kinder in der Schule als »Störenfriede«, und auch noch später werden sie als solche empfunden. Oder sie zeigen andere negative Reaktionen auf das, was wir als »unsicheren Bindungsstil« bezeichnen. Dieser Begriff verdeutlicht, welche Charakterzüge Menschen mit entsprechenden Defiziten in der Kindheit entwickeln können, die nicht nur ihr Selbstgefühl, sondern auch ihre Beziehungen zu anderen Menschen beeinträchtigen. Solche Bindungsstile können tatsächlich von einer Generation an die nächste weitergegeben werden, da die Kommunikation zwischen Eltern und Kleinkind ganz konkrete Veränderungen im Gehirn bewirkt, die Selbstbild und den Umgang mit Emotionen prägen. Diese unterschiedlichen Bindungsstile können die Wesenszüge erklären, die Sie an sich selbst, Familienangehörigen oder Freunden vielleicht wiedererkennen. Unterschiedliche Wellenlängen Wir können sagen, dass Eltern, die sich in ihr Kind einfühlen können, mit ihm auf einer Wellenlänge sind. Dem liegt ein »sicherer Bindungsstil« zugrunde. In den ersten Lebensjahren hilft diese Beziehung dem kindlichen Gehirn, sich vollständig zu entwickeln, sodass das Kind die Fähigkeit erwirbt, in stressigen Zeiten Ruhe zu bewahren und befriedigende Beziehungen zu anderen einzugehen. Das Kind weint und wendet sich an die Eltern, die sich ihm liebevoll und fürsorglich zuwenden. Der Augenkontakt und weitere Formen des Austauschs zwischen Eltern und Kind sind wie ein Tanz, bei dem sich beide im selben Rhythmus bewegen. Dieses einfühlsame Zusammenspiel in der Kindheit, bei dem die emotionalen Bedürfnisse des Kindes erfüllt werden, bildet die Grundlage für ein stabiles Ichgefühl und befriedigende zukünftige Beziehungen.

Natürlich kann das Wohlbefinden und Glück eines Menschen, wie wir bereits gesehen haben, auf verschiedene Weise Schaden nehmen. Doch ein glückliches Familienleben dieser Art sorgt für einen guten Start ins Leben. Leider können sich manche Eltern nicht in ihre Kinder einfühlen. Psychologen schätzen, dass das auf etwa 35 Prozent der Eltern-KindBeziehungen zutrifft, und sprechen hier von einem »unsicheren Bindungsstil«. Manche Eltern haben zum Beispiel aufgrund einer eigenen problematischen

Kindheit

und

späterer

Erfahrungen

im

Leben

Schwierigkeiten mit Nähe und können weder ihre Liebe noch andere starke Emotionen zeigen. Wenn ihre Kinder weinen oder Zuwendung von ihnen fordern, verschließen diese Eltern sich automatisch und gehen auf Abstand. Joan zum Beispiel konnte sich erinnern, wie sie sich mit etwa zehn Jahren ein Video angeschaut hatte, das sie selbst heute, im Alter von 40 Jahren, noch aufwühlt. Damals saß ihre Mutter neben ihr, und Joan suchte ihre Nähe und wollte sie küssen. Doch die Mutter wich den Küssen ihrer Tochter aus. Auch umarmte ihre Mutter sie nie oder sagte Joan, dass sie sie lieb habe. Sie war der Meinung, diese ganze »Küsserei und Fühlerei« sei einfach nur »Schund«. Joan hörte ihre Mutter eines Tagen sagen, sie möge zwar Babys, aber keine Kinder, denn diese würden zu viele Anforderungen stellen. Joan gewöhnte sich also an, keinen Trost bei ihrer Mutter oder ihrem Vater zu suchen, denn der behandelte sie genauso. Sie glaubte, nicht liebenswert zu sein, und behielt ihre Gefühle für sich. Da sie nicht erwartete, dass andere ihre Bedürfnisse erfüllen würden, sah sie auch keinen Grund, sie zu äußern. Psychologen würden sagen, diese Eltern zeigten einen »unsicher-distanzierten Bindungsstil« und die Wahrscheinlichkeit sei groß, dass Joan sich ihren eigenen Kindern gegenüber genauso verhalten würde. So wird dieses Verhalten von einer

Generation an die nächste weitergegeben. Joans Eltern verhielten sich dem Kind gegenüber, wie sie selbst es als Kinder erlebt hatten. Sie versorgten ihre Tochter körperlich, ohne emotional auf sie einzugehen. Das war jedoch keine Bösartigkeit und auch nicht unbedingt mangelnde Liebe. Ihr Verhalten als Eltern war einfach eine automatische Reaktion und sah genauso aus wie das Verhalten, das sie bei den eigenen Eltern und Geschwistern beobachtet hatten. Das war für sie ganz selbstverständlich und so, wie es eben sein sollte. Ein anderer unsicherer Bindungsstil von Eltern ist der »ängstlichambivalente«. Diese Eltern leiden unter den eigenen schwierigen Lebenserfahrungen oft so stark, dass sie übertrieben ängstlich werden oder ständig ärgerlich sind. Hin und wieder gehen sie zwar auf ihre Kinder ein, aber wenn die eigenen Probleme im Vordergrund stehen, nehmen sie ihre Kinder überhaupt nicht wahr. Diese Kinder lernen, dass sie sehr beharrlich sein müssen, damit die Eltern ihre Bedürfnisse erfüllen, und können ängstlich, fordernd und übertrieben abhängig von den Eltern werden. Diese grundlegende Verunsicherung überträgt sich oft auf ihre späteren Beziehungen im Leben. Die letzte Kategorie ist die »desorganisierte Bindung«. Hier geben Eltern die eigenen Traumata und Missbrauchserfahrungen an ihre Kinder weiter, indem sie diesen durch ihr Verhalten wie Grimassen ziehen, Wutausbrüche, Grobheiten und Schläge oder Zurückhaltung und Ängstlichkeit Angst einjagen. Diese Kinder befinden sich in einer »Doublebind«-Situation. Der Mensch, bei dem sie Trost suchen, ist zugleich die Quelle ihrer Ängste. Im Grundschulalter reißen desorganisierte Kinder oft alles an sich und »bestrafen« ihre Eltern, indem sie herumbrüllen oder Wutausbrüche bekommen, wenn diese ihren Willen nicht erfüllen. Andere Kinder mit dem gleichen Hintergrund wirken wie erstarrt oder depressiv. Sie haben ihre

Ängste verinnerlicht und erwecken den Anschein, »perfekte Kinder« zu sein, die versuchen, es allen recht zu machen. Wie für die anderen unsicheren Bindungsstile gilt auch hier grundsätzlich, dass die »Sünden« der Eltern an die nächste Generation weitergegeben werden. Doch um es noch einmal zu sagen, dieses Verhalten muss kein Ausdruck von mangelnder Liebe sein. Eltern sagen oft, ihr einziger Wunsch sei, ihre Kinder auf den richtigen Weg zu bringen. Ihr Verhalten ist oft eine automatische Reaktion auf ihre Kindheit, welche die eigenen Kinder erneut auslösen. Jennas Vater Harry zum Beispiel war in einer Familie aufgewachsen, in der das Motto galt: »Wer sein Kind liebt, züchtigt es.« Harrys Vater, Jennas Großvater, hatte alle seine Kinder mit der Reitpeitsche geschlagen, um sie zu gehorsamen und verantwortungsbewussten Menschen zu erziehen. Und auch Harry reagierte auf den Ungehorsam seiner Kinder, indem er sie laut anbrüllte und mit einem Gürtel versohlte. Jenna hatte als Älteste am meisten unter ihm zu leiden gehabt und war mit dem Gefühl aufgewachsen, sich immer kontrollieren zu müssen, damit er sie nicht schlug. Ihre jüngere Schwester Clara hingegen versteckte sich unterm Bett, wenn Jenna geschlagen wurde. Sie wurde ein unsicherer und ängstlicher Mensch. Clara war so überzeugt, dass sie die Schläge ihres Vaters nicht ertragen würde, dass sie versuchte, sich unsichtbar zu machen und sich völlig zurückzog – sie war das stille Kind, das niemandem Schwierigkeiten bereitete. Später wurde sie chronisch depressiv. Für Jenna wie Clara war der Weg ins Leben geprägt durch einen traumatisierten Vater, der seine Kinder aufgrund seiner »desorganisierten Bindung« misshandelte. Nicht, dass er sie nicht liebte. Er war einfach geformt durch seine eigene Kindheit und seine unverarbeiteten Erinnerungen. Glücklicherweise können negative, unsichere Bindungsstile durch positive

Erfahrungen

mit

Lehrern,

Mentoren,

Gleichaltrigen

und

therapeutischer Unterstützung ausgeglichen werden. Auf jeden Fall ist es hilfreich zu erkennen, dass die Beziehungsschwierigkeiten, die Sie bei sich oder anderen beobachten, auf solche unverarbeiteten Erinnerungen aus der Kindheit zurückgehen können. Vielleicht sagen Sie: »Meine Eltern haben mich nie geschlagen, und auch ich schlage meine Kinder nicht.« Doch auch Worte können großen Schaden anrichten. Von Michael zum Beispiel sagte seine Therapeutin, er habe eine der schlimmsten Depressionen, die sie je erlebt habe. Michael hatte sehr geringe Selbstachtung und praktisch keinerlei Motivation. Seine Eltern hatten ihn nie geschlagen. Er konnte sich jedoch daran erinnern, dass sein Vater, nachdem Michael ihm gestellte Aufgaben erledigt und zum Beispiel den Hof gefegt hatte, oft voller Abscheu zu ihm sagte: »Mehr hast du nicht zustande gebracht?« Bei diesen Worten wäre Michael am liebsten im Erdboden versunken. Viele Menschen, die sich depressiv fühlen und sich anschauen, wie sie sich selbst durch ihr Verhalten oder bestimmte Charaktereigenschaften unglücklich machen, denken: »So bin ich, so lange ich denken kann, und meine Eltern waren genauso. Das muss Vererbung sein.« Doch das ist nicht die einzige Erklärung. Ihre Eltern haben von Anfang an Einfluss auf Sie ausgeübt – und sind selbst von den eigenen Eltern beeinflusst worden. Selbst wenn genetische Faktoren mitspielen, die Forschung zeigt deutlich, dass hier auch bestimmte Lebenserfahrungen mitwirken. Doch welche Gründe Eltern für ihr Verhalten auch haben mögen, mit Vorwürfen kommen wir nicht weiter. Hier geht es um Befreiung. Was auch immer in Ihrer Kindheit geschehen sein mag, es hat Sie zu dem Menschen gemacht, der Sie heute sind. Als Kind hatten Sie keine Kontrolle und keine Wahl, doch für den Erwachsenen gilt das nicht mehr. Wenn Sie Ihre wunden Punkte kennenlernen, können Sie diese mithilfe bestimmter Methoden angehen und versuchen herauszufinden, welche unverarbeiteten Erinnerungen ihnen

zugrunde liegen. Um Ihnen dabei zu helfen, lernen Sie nun noch einige weitere Selbststeuerungstechniken, sodass Sie im nächsten Schritt weitere Erinnerungen finden können, die Sie möglicherweise steuern. Ihr Sicherheitsnetz erweitern Wenn Sie innerlich einen sicheren oder ruhigen Ort aufsuchen können, steht Ihnen bereits eine sehr nützliche Technik zur Verfügung, um sich von auftretenden Störungen zu befreien. Wichtig ist, diese Übung täglich in einem neutralen Zustand zu machen, damit sie Ihnen bei Bedarf zuverlässig zur Verfügung steht. Wenn Sie diese Technik nur in schwierigen Situationen anwenden, wirkt sie möglicherweise nicht sofort. Machen Sie diese Übung also regelmäßig, wenn Sie gerade nicht von negativen Gedanken beherrscht werden, und verstärken Sie sie durch die Schmetterlingsumarmung oder die abwechselnden Taps auf beide Oberschenkel. Den Ort der Ruhe erweitern Eine zusätzliche Hilfsquelle können Sie sich erschließen, indem Sie Ihren Zugang zu positiven Erinnerungen verstärken. Halten Sie dazu als Erstes mit einem Satz in Ihrem Notizbuch eine positive Erfahrung fest, bei der Sie sich wohlgefühlt haben, Ihnen etwas gelungen ist oder Sie Freude empfunden haben – eine Erinnerung also, die intensive positive Gefühle in Ihnen auslöst. Welche Erinnerung eignet sich dafür am besten? Schließen Sie die Augen und erlauben Sie sich, nachzufühlen. Welches Wort beschreibt diese Erfahrung am besten? Als Nächstes vergegenwärtigen Sie sich das Bild und das Wort innerlich, wie bei der Übung »Der sichere / ruhige Ort«, und achten darauf, was Sie dabei im Körper spüren. Genießen Sie diese Erinnerung und kosten Sie sie aus. Dann lassen Sie sie wieder los und wiederholen diese Schritte ein paar Mal.

Überprüfen Sie, ob Sie die guten Gefühle mithilfe des Bildes oder des Wortes erneut abrufen können. Wenn Sie sich auf diese Weise eine gute, starke, positive Erinnerung vergegenwärtigen, erreichen Sie zweierlei. Erstens wird diese Erinnerung zu einer Ressource, auf die Sie zurückgreifen können, wenn Sie in Schwierigkeiten geraten oder sehr aufgewühlt sind. Zweitens können Sie damit überprüfen, welche Erinnerungen Sie gespeichert haben. Sollten Sie zu Depressionen neigen, kommt Ihnen vielleicht keine Erinnerung, die Ihnen ein Gefühl von purer Lebensfreude und Wohlbefinden vermittelt. Vielleicht fällt Ihnen nichts ein, oder das entsprechende Erlebnis war damals, als es stattfand, angenehm, hat jetzt aber für Sie eine traurige Färbung. Durch die Forschung wissen wir, dass unsere Suche nach Erinnerungen geprägt wird durch unseren augenblicklichen emotionalen Zustand. Wenn wir depressiv sind, können wir wahrscheinlich überhaupt keine Situation – heute oder früher – als reine Freude erleben. Sollten Sie sich schon eine ganze Weile depressiv fühlen und an nichts und niemandem Freude haben, ist vielleicht professionelle Hilfe angesagt. Hinweise dazu finden Sie in Anhang B. In diesem Fall rate ich auch davon ab, die Übungen unter der Überschrift »Eigene Forschungen« in diesem Kapitel zu machen. Vielleicht hilft Ihnen die nächste Übung, Ihre negativen Gefühle leichter zu nehmen, und Sie können durch die Beispiele besser verstehen, was Sie quält – doch wahrscheinlich ist es im Augenblick am besten, wenn Sie Ihre Erinnerungsnetzwerke nicht zu gründlich durchforsten. Vielleicht haben Sie gerade auch nur einen schlechten Tag und kommen zu einem anderen Zeitpunkt auf die Übungen zurück. Wenn diese Niedergeschlagenheit jedoch Ihr üblicher Zustand ist oder sich mit anderen extremen Stimmungen abwechselt, lesen Sie dieses Kapitel am besten primär, um zu verstehen, warum Sie und Millionen von anderen Menschen

sich so negativ fühlen. Auf dieser Basis können Sie dann entscheiden, was Sie gegen Ihren Zustand unternehmen wollen. Die Spiraltechnik Diese Technik geht auf die Methode der geleiteten Fantasiereisen zurück und ist bei beunruhigenden Emotionen wie Angst, Besorgnis oder Ärger hilfreich. Wenn Sie diese Technik zuhause in einer sicheren Umgebung üben, steht sie Ihnen jederzeit zur Verfügung. Lesen Sie sich die einzelnen Schritte so oft durch, dass Sie sie sich einprägen können. Dann schließen Sie die Augen und folgen den Anweisungen. Sollte Ihnen das Auswendiglernen schwerfallen, lesen Sie sich die Schritte selbst langsam vor und nehmen Ihre Stimme auf Band auf. Und denken Sie bitte wieder daran, dass nicht jede der hier vorgestellten Übungen für jeden Menschen geeignet ist. Aus diesem Grund lernen Sie in diesem Buch viele verschiedene Techniken kennen und können so herausfinden, welche bei Ihnen am besten wirkt. Wenden Sie sich innerlich einem Erlebnis zu, das mit einem Grad von Beunruhigung verbunden ist, der auf der SUD-Skala von 0 bis 10 etwa bei 3 liegt. 1.

Rufen Sie sich ein Bild vor Augen, das dieses Erlebnis für Sie

symbolisiert. Während Sie an dieses Bild denken, nehmen Sie wahr, wo Sie die Beunruhigung im Körper fühlen. 2.

Stellen Sie sich jetzt vor, dass dieses Gefühl »Energie« ist. Wenn es eine Energiespirale wäre, in welche Richtung würde sie sich bewegen – im 3.

Uhrzeigersinn oder gegen den Uhrzeigersinn?

Jetzt ändern Sie mithilfe Ihrer inneren Aufmerksamkeit behutsam die Richtung der Spirale in Ihrem Körper. Wenn sich die Energiespirale 4.

ursprünglich im Uhrzeigersinn bewegte, dreht sie sich jetzt gegen den Uhrzeigersinn oder umgekehrt. Achten Sie darauf, was mit Ihren Körperempfindungen passiert. Bei vielen Menschen klingen die negativen Gefühle allmählich ab, wenn sie die Richtung der Spirale ändern. Sollte das auch bei Ihnen der Fall sein, machen Sie weiter, bis Sie sich wirklich wohlfühlen. Wenn es mit der einen Richtung nicht klappt, versuchen Sie es mit der anderen und überprüfen, ob die störenden Gefühle abklingen. Wenn die Spiraltechnik bei Ihnen wirkt, üben Sie sie in einer sicheren Umgebung mit anderen schwierigen Situationen, bis Ihnen die einzelnen Schritte ganz geläufig sind. Diese Technik kann sehr nützlich sein, wenn Sie über ein beunruhigendes Thema oder eine beklemmende Erinnerung stolpern. Wenn sie nichts bewirkt, müssen Sie sich keine Gedanken machen. Sie können den sicheren / ruhigen Ort aufsuchen, das entspannte Atmen oder andere Übungen machen, die Sie in den Kapiteln 3 und 4 bereits gelernt haben. Noch einmal: Negative Kognitionen Im vorigen Kapitel haben Sie herausgefunden, welche negativen Kognitionen die Gefühle zum Ausdruck bringen, die aufsteigen, wenn Sie heute in Ihrem Leben in schwierige Situationen geraten. Die negativen Kognitionen fallen in drei Kategorien: Verantwortlichkeit, fehlende Sicherheit und keine Kontrolle / Macht. Während Sie sich ein Bild des entsprechenden Ereignisses vergegenwärtigt haben, haben Sie aus einer dieser drei Kategorien die negative Kognition ausgewählt, die mit Ihren Gefühlen zusammen hochkam: Ich bin nicht liebenswert. Ich bin nicht gut genug. Man wird mich verlassen. Ich bin in Gefahr. Ich bin ein Versager.

Und so weiter. Betrachten Sie diese Kognition als beispielhaft, da die von Ihnen ausgewählten Situationen diejenigen sind, die bei Ihnen in jüngster Zeit vorkamen. Jetzt wird es Zeit, uns einige der für Sie schwierigen Themen noch gründlicher anzuschauen. Als Erstes lassen Sie uns herausfinden, welche negativen Kognitionen aus der ersten der drei Kategorien – Verantwortlichkeit – Sie bislang noch gar nicht im Blickfeld hatten. Diese negativen Überzeugungen können jederzeit ausgelöst werden und Sie in sämtlichen Lebensbereichen beeinträchtigen. Gehen Sie also die Liste systematisch durch und finden Sie die negativen Kognitionen, die Ihnen möglicherweise noch gar nicht bewusst waren. Betrachten Sie diese Übung als Schatzsuche. Denn wenn Sie erst einmal wissen, wer oder was Sie steuert, können Sie entscheiden, was Sie dagegen unternehmen wollen. Die negativen Kognitionen sind nicht die Ursache für Ihre Probleme, sondern lediglich deren Symptome. Wie bereits gesagt, liegt die Ursache meistens bei den unverarbeiteten Erinnerungen, die uns steuern. Wir haben uns in diesem Kapitel bereits angeschaut, wie der Bindungsstil unserer Eltern uns als Menschen geprägt hat. Außerdem wissen Sie durch die Übung, die Sie an früherer Stelle in diesem Buch gemacht haben, dass Ihre Schwierigkeiten nicht immer auf die Eltern zurückgehen. Demütigungen, Einschüchterungen, Hänseleien und Beleidigungen durch Lehrer und andere Erwachsene können ebenso lang anhaltende schmerzliche Folgen für uns haben. Wenn Sie sich Ihre Kindheit anschauen, sehen Sie, dass selbst Kinder grausam sein können und manche Menschen keine Kinder unterrichten sollten. Wenn diese Erinnerungen unverarbeitet bleiben, steuern uns die alten Emotionen. Alle diese Erfahrungen mit Eltern, anderen Autoritätsfiguren oder Gleichaltrigen können uns Probleme bereiten, die wir mit den negativen Kognitionen aus allen drei Kategorien

verbalisieren können. Die erste Kategorie kann jedoch von besonderer Bedeutung sein und mehr Abstufungen haben als die anderen beiden zusammengenommen. Deswegen schauen wir uns die negativen Kognitionen in dieser Kategorie noch einmal gründlicher an und versuchen herauszufinden, ob die eine oder andere Ihnen heute noch zu schaffen macht. Verantwortlichkeit: Das ist alles mein Fehler Die Sätze in dieser Kategorie bringen zum Ausdruck, dass die betreffende Person das Gefühl hat, an ihren Problemen selbst schuld zu sein. Sie hat das grundlegende Gefühl, nicht richtig zu sein und denkt: »Ich bin verkehrt« oder »Ich habe etwas falsch gemacht«, was auch heißt, »Mit mir stimmt etwas nicht«. Auch wenn die entsprechenden Erfahrungen häufig auf die Kindheit zurückgehen, muss das nicht zwangsläufig heißen, dass die Eltern das Kind misshandelt haben oder unaufmerksam waren. Mit dem zwölfjährigen Ethan zum Beispiel suchten die Eltern eine Therapeutin auf, weil er extrem ängstlich war, Panikattacken hatte und nicht in die Schule gehen wollte. Er hatte äußerst wenig Selbstachtung und ging so vornüber gebeugt, als wolle er sich ducken, war schüchtern und befangen. Wie sich herausstellte, gingen seine Probleme vor allem darauf zurück, dass die Eltern ihn zu stark beschützten und jeden seiner Schritte überwachten. Der Grund dafür war, dass Ethan zu früh auf die Welt gekommen war. Er wog nach der Geburt nur anderthalb Kilo und musste monatelang im Krankenhaus bleiben und im Brutkasten liegen, weil er Probleme mit dem Herzen und der Atmung hatte. Aufgrund dieser beständigen, großen Sorge der Eltern um sein Wohlbefinden – sie bekamen sogar Angst, wenn er rannte – fühlte sich Ethan körperlich unterlegen und glaubte, für seine Familie eine Last zu sein. Das zeigte sich auch in der Schule, wo seine Mitschüler ihn wegen

seiner gebückten Haltung und seiner extremen Schüchternheit hänselten und demütigten. Diese negativen Erfahrungen mit Gleichaltrigen verstärkten seine Probleme noch, sodass er schließlich Angst hatte, in die Schule zu gehen. Die für Ethans geringe Selbstachtung ausschlaggebenden Erinnerungen betrafen also seine Eltern wie auch seine grausamen Mitschüler. Doch die eigentliche Grundlage für sein Problem waren die Liebe und Sorge seiner Eltern – und nicht ihre Gleichgültigkeit oder Böswilligkeit. Das Verhalten seiner Eltern beruhte auf eigenen unverarbeiteten Erinnerungen an die Monate, wo sie im Krankhaus und zuhause ständig Angst gehabt hatten, ihr zartes, frühgeborenes Baby könne sterben. Glücklicherweise machte Ethan bereits mit zwölf Jahren eine Therapie. Doch selbst wenn er mit 40 Jahren aufgrund von Beziehungsschwierigkeiten und genereller Unsicherheit in die Therapie gekommen wäre, hätten seine Probleme dieselbe Grundlage gehabt und in seiner Kindheit gewurzelt. Beispielhaft dafür ist Elaine, eine Krankenschwester, die mit Anfang 60 eine EMDR-Behandlung machte, um ihre Leseschwierigkeiten zu überwinden. Als wir uns diese Schwierigkeiten näher anschauten, wurde deutlich, dass sie ihr Leben lang an Depressionen und geringer Selbstachtung gelitten und nie verstanden hatte, warum sie ihre Probleme trotz einer jahrelangen Psychotherapie nicht hatte lösen können. Elaine war bewusst, dass die postpartale Depression ihrer Mutter Folgen für sie gehabt hatte. Als Krankenschwester, die Tausende von Frauen betreut hatte, wusste sie, dass Mütter mit einer postpartalen Depression einfach nicht imstande sind, die Bindung zu ihrem Kind einzugehen, die das Kleine braucht, um sich gut zu entwickeln. Ihr war auch bewusst, dass es nicht ihr Fehler war, dass sie bei ihrer Mutter keine Resonanz gefunden

hatte. Außerdem hatte sie als Sechsjährige sehr unter dem Verlust ihrer Großmutter gelitten, die Elaines primäre Bezugsperson gewesen war. Doch das Wissen um all diese Erfahrungen und deren Folgen für sie hatte ihr nicht geholfen, ihre jahrelangen schweren Depressionen zu lindern. Beim Erstgespräch über ihre Vorgeschichte kamen viele Kindheitserlebnisse zur Sprache, aus denen Elaine den generellen Schluss gezogen hatte, dass sie »nicht zählte«. Die EMDR-Verarbeitung begann mit einer Erinnerung an eine Lehrerin aus der sechsten Klasse, die den Mitschülern erzählt hatte, dass Elaine zu den 25 Prozent von Schülern gehörte, die es niemals aufs College schaffen würden. Das hatte verheerende Folgen, die für Elaine emotional selbst 40 Jahre später noch deutlich spürbar waren, obwohl sie inzwischen einen Universitätsabschluss gemacht hatte. Diese Erinnerung spiegelte ihre Leseschwierigkeiten deutlich wider wie auch ihre Überzeugung, anders als ihr kluger und begabter Bruder dumm zu sein und nicht zu »zählen«. Als sie dieses Erlebnis aus der sechsten Klasse verarbeitet hatte, zeigte sich, dass es in ihrem Erinnerungsnetzwerk mit dem Augenblick verbunden war, als sie vom Tod ihrer Großmutter erfahren hatte. Sie war damals mit ihrer Familie zum Haus der Großmutter gefahren. Da Oma nicht da war, setzte Elaine sich ins Wohnzimmer und las in ihrem Märchenbuch, während sie wartete. In diesem Augenblick kam ihre Tante, beugte sich von hinten über sie und zeigte auf das Wort »tot«, um ihr mitzuteilen, dass die Großmutter gestorben war. Diese Verbindung war für ihren Verarbeitungsprozess von entscheidender Bedeutung. Elaine wurde jetzt klar, dass sie die Nachricht vom Tod ihrer Großmutter unbewusst mit dem Lesen in ihrem Märchenbuch verbunden hatte, sodass dieser Augenblick den Beginn ihrer Leseschwierigkeiten bildete, weil sie von da an überhaupt keinen Spaß mehr am Lesen hatte. Nach mehreren Sitzungen konnte sie

diese Schlüsselerinnerung mit einem SUD-Wert von 0 vollständig verarbeiten und ihre neue, positive Überzeugung »Ich bin wichtig« fest verinnerlichen. Auch hier müssen wir uns wieder klarmachen, dass Elaines Tante nicht grausam war oder sie verletzen wollte. Und doch können viele Erfahrungen wie diese in unserem Gehirn als unverarbeitete Erinnerungen verankert sein. Sie prägen unsere Persönlichkeit so, dass wir uns zu Verhaltensweisen gedrängt fühlen, die uns nicht guttun. Auch wenn wir uns aufgrund bestimmter negativer Gefühle, die wir wegschieben wollen oder nicht verstehen, selbst ablehnen, sind diese einfach Teil der verborgenen Landschaft unserer Erinnerungsnetzwerke. Niemand von uns ist dagegen immun, da die meisten von uns Situationen erleben, die mit Scham verbunden sind, ganz gleich, wie alt, intelligent oder kompetent wir sind. Raphael zum Beispiel hatte sein Leben lang mit geringer Selbstachtung zu kämpfen gehabt. Seine Mutter hatte ihn allein großgezogen. Sie war geschieden und hatte einen Freund in der nächsten Stadt. Da der Vater nicht für die Kinder da war, arbeitete sie den ganzen Tag zuhause als Näherin, bereitete für ihre Kinder das Abendessen und nahm um 18 Uhr den Zug in die nächste Stadt, um die Nacht mit ihrem Freund zu verbringen. Morgens fuhr sie mit dem Zug zurück und war rechtzeitig daheim, um ihren Kindern Frühstück zu machen. Leider hatte Raphael als Kind oft heftige Ohrenschmerzen und lag dann nachts mit dem Gefühl wach, unwichtig zu sein. Raphael kam mit Anfang 50 in die Therapie. Wenn Sie ihn gefragt hätten, ob es richtig sei, kleine Kinder nachts allein zu lassen, hätte er mit einem klaren, lauten »Nein« geantwortet. Doch selbst, wenn wir es inzwischen besser wissen, die alten, unverarbeiteten Erinnerungen sind fest in bestimmten Netzwerken verankert und haben sich nicht mit Überzeugungen verbunden, die der Wirklichkeit angemessener sind. Aus diesem Grund

können zum Beispiel Kriegsveteranen voller Mitgefühl zuhören, wenn Mitsoldaten von ihren Kriegserfahrungen berichten, sich selbst aber als »Versager« beschimpfen, wenn sie sich im Krieg ähnlich wie diese verhalten haben. Auch Marcia, eine 60-jährige, erfolgreiche Immobilienmaklerin, war überzeugt davon, »nicht liebenswert« und »nicht klug« zu sein. Ihr Vater starb, als sie drei Jahre alt war, und nach seinem Tod misshandelte die Mutter die Tochter körperlich, verbal und emotional. Sie sagte dem Kind ständig: »Wenn du nicht wärst, hätte ich ein besseres Leben.« So bekam Marcia das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Als Erwachsene konnte sie klar sehen, dass ihre Mutter viele Probleme hatte und nach dem Tod des Vaters völlig aus der Bahn geriet. Kein Kind verdient eine solche Behandlung. Doch das zu wissen, ist etwas anderes, als es zu fühlen. Das Wissen darum, was richtig und angemessen ist, war in einem anderen Netzwerk verankert als dem, in dem Marcia ihre schmerzlichen Erfahrungen mit der Mutter abgespeichert hatte. Nachdem sie ihre Kindheitserinnerungen verarbeitet hatte, konnte Marcia ihre Stärke spüren und hatte mehr Selbstachtung. Ihre Vergangenheit hat sich nicht geändert, wohl aber die Art und Weise, wie entsprechende Erinnerungen in ihrem Gehirn abgespeichert sind. Eigene Forschungen Machen wir also einen nächsten Schritt, um herauszufinden, wie Ihre alten Themen aussehen. Wenn Sie ein Wort wie »Unsicherheit« benutzen, ist das für mich genauso unkonkret, wie wenn ich Sie bitte, sich die Farbe Grün vorzustellen. Ich habe keine Ahnung, an welches Grün Sie denken. Wenn Sie sich eingestehen, dass Sie »unsicher« sind, ist das also nur ein Teil der Geschichte. Diese Überzeugung kann auf ganz unterschiedlichen Gefühlen und Erinnerungen beruhen. Deswegen ist es hilfreich, genauer zu wissen,

was eigentlich passiert, wenn Sie sich in bestimmten Situationen Ihres Lebens unsicher fühlen. Auch wenn Sie im letzten Kapitel herausgefunden haben, welche negativen Kognitionen mit schwierigen Situationen in der jüngsten Vergangenheit verbunden sind, bilden diese Überzeugungen möglicherweise nur die Spitze des Eisbergs. Anhand der Liste mit negativen Kognitionen weiter unten lassen sich Ihre Probleme womöglich konkretisieren, weil die entsprechenden Worte direkt mit den unverarbeiteten Erinnerungen in Ihren Erinnerungsnetzwerken verbunden sein können. Da beim ursprünglichen Ereignis nicht nur Gedanken, sondern auch negative körperliche Empfindungen in Ihrem Gehirn gespeichert wurden, helfen diese negativen Kognitionen Ihnen, genauer herauszufinden, was Sie eigentlich steuert. Als Erstes wenden Sie sich den negativen Kognitionen der ersten Kategorie zu, um herauszufinden, welche Ihre wunden Punkte berühren. Sie gehen also die Liste der negativen Kognitionen in der nächsten Übung systematisch durch und halten dabei Ausschau nach den negativen Gefühlen, die für Sie damit möglicherweise verbunden sind. Schreiben Sie in Ihr Notizbuch oben auf eine neue Seite die Überschrift »Verantwortlichkeit«. Jetzt lesen Sie sich die folgenden Schritte bitte erst einmal ganz durch, um dann den Anweisungen zu folgen. Schauen Sie sich die Liste mit negativen Kognitionen auf der nächsten Seite an und lesen Sie die erste Überzeugung – langsam und bewusst. Achten Sie beim Lesen dieser Worte auf Ihre Körperempfindungen. 1.

Haben Sie beim Lesen der negativen Überzeugung unangenehme Empfindungen in Ihrem Körper bemerkt oder hat Ihr Atem sich dabei verändert (ist schneller, kürzer, flacher geworden)? Wenn ja, notieren Sie 2.

die Kognition in »Verantwortlichkeit«.

Ihrem

Notizbuch

unter

der

Überschrift

Nehmen Sie ein paar tiefe Atemzüge, um die negativen Gefühle loszulassen. Warten Sie mit dem Fortfahren so lange, bis Sie sich wieder 3.

neutral fühlen. Wenn Sie dafür zusätzliche Unterstützung brauchen, suchen Sie Ihren sicheren Ort auf oder führen das entspannte Atmen aus. 4.

Gehen Sie die Liste weiter durch, indem Sie sich jede Überzeugung

langsam und bewusst durchlesen und dabei auf mögliche körperliche Reaktionen achten. 5.

Notieren Sie jede Kognition, die körperliche oder emotionale Reaktionen

hervorruft, und nehmen Sie zwischendurch immer wieder ein paar tiefe Atemzüge. Lassen Sie die Vorstellung los, dass bei dieser Übung etwas Bestimmtes passieren sollte. Nehmen Sie einfach wahr, was geschieht. Wie bereits erwähnt, registrieren manche Menschen körperliche Veränderungen nicht. Sollte das auch auf Sie zutreffen und diese Übung bei Ihnen nichts bewirken, müssen Sie sich keine Gedanken machen. Wenden Sie sich jetzt der Liste zu. Verantwortlichkeit: Verkehrt sein Ich verdiene keine Liebe. Ich bin ein schlechter Mensch. Ich bin schrecklich. Ich bin wertlos (bringe nichts zustande). Ich sollte mich schämen. Ich bin nicht liebenswert. Ich bin nicht gut genug.

Ich verdiene nur Schlechtes. Ich bin total gestört. Ich bin hässlich (mein Körper ist hassenswert). Ich verdiene kein / e … Ich bin dumm (nicht klug genug). Ich zähle nicht (bin unwichtig). Ich bin eine Enttäuschung. Ich verdiene es zu sterben. Ich verdiene, dass es mir schlecht geht. Ich bin anders als andere (gehöre nirgendwo hin). Wenden Sie sich jetzt den folgenden Äußerungen zu, um zu überprüfen, ob diese auf Sie zutreffen. Falls ja, fragen Sie sich als Nächstes: »Was sagt das über mich aus?« Zum Beispiel: Ich sollte mich schämen./ Ich bin dumm./ Ich bin wertlos. Ich hätte etwas unternehmen sollen. Ich habe etwas falsch gemacht. Ich hätte es besser wissen sollen. Die innere Landschaft erforschen Welche negativen Kognitionen stoßen bei Ihnen auf Resonanz? Vielleicht haben Sie in dieser Kategorie mehrere negative Kognitionen für sich gefunden oder gar keine. Denken Sie daran, die hier in Worte gefassten Überzeugungen verbalisieren Emotionen und Sichtweisen, die in Ihren unverarbeiteten Erinnerungsnetzwerken gespeichert sind. Werfen Sie einen Blick auf einige der Erlebnisse, die Sie in den letzten Jahren am stärksten beunruhigt haben. Benennen diese Worte die Gefühle, die Sie dabei hatten? Können Sie erkennen, welche Situationen Ihre negativen Reaktionen auslösen?

Wenn ja, können Sie, bevor Sie sich diese Situationen gründlicher anschauen, vorbereitend die Selbststeuerungstechniken anwenden, die Sie bereits kennen. Sie können sich zum Beispiel den sicheren Ort oder die positive Erinnerung vergegenwärtigen, die Sie bereits früher in diesem Kapitel ausgemacht haben. Sollten schwierige Gefühle in Ihnen ausgelöst werden, können Sie diese durch die Visualisierungen oder das entspannte Atmen bewältigen. Wenn die negativen Gefühle auch dann noch anhalten, können Sie diese im Farbeimer unterrühren, die Comic-Übung machen oder die Spiraltechnik anwenden, um sie ganz loszulassen. Grundsätzlich werden Sie hier die Erfahrung machen, dass Ihre negativen Gefühle vorhersehbar sind, da Augenblicke in der Gegenwart mit Ihren Erinnerungsnetzwerken sowie entsprechenden Emotionen und Körperempfindungen zusammenspielen. Statt sich davon überwältigen zu lassen, können Sie sich mit den bereits erlernten Techniken Raum zum Atmen verschaffen und wieder herunterschalten. Schlüsselerinnerungen finden Wenn Sie möchten, können Sie jetzt herausfinden, auf welche weiteren Schlüsselerinnerungen diese negativen Gefühle zurückgehen. Die Kognitionen, die bei Ihnen auf Resonanz stoßen, entsprechen den Gefühlen, die in den schwierigen Situationen immer wieder bei Ihnen ausgelöst werden, wie Scham, Angst, Ärger, Traurigkeit oder Hilflosigkeit. Denken Sie daran, Sie sind in dieser Hinsicht nicht anders als die Menschen, die Sie in diesem Buch bislang kennengelernt haben. Unverarbeitete Erinnerungen sind kein Grund für Scham, sie betreffen uns alle. Wie und ob sie zum Tragen kommen, ist eine Frage des Zufalls, da hier genetische Veranlagung, Erziehung und zahlreiche andere Faktoren zusammenspielen, auf die wir keinerlei Einfluss haben. Es geht nicht um Schuldvorwürfe.

Vielleicht können Sie für jede der negativen Kognitionen, die Sie aufgeschrieben haben, mithilfe der Float-Back-Technik eine Erinnerung finden, indem Sie den unten beschriebenen Anweisungen Schritt für Schritt folgen. Manche von Ihnen brauchen dabei vielleicht therapeutische Unterstützung. Denken Sie an Elaine, die sich erst in einer EMDR-Sitzung daran erinnerte, dass sie vom Tod der Großmutter erfahren hatte, während sie ein Buch las. Unabhängig davon, ob sich bei Ihnen für jede negative Kognition eine Erinnerung einstellt oder nicht, schlage ich vor, dass Sie sich immer nur einigen Kognitionen auf einmal zuwenden. Verschaffen Sie sich immer wieder Atempausen und arbeiten Sie mit den Kognitionen über mehrere Tage verteilt. Achten Sie auch darauf, nach jedem Durchgang mit einer Kognition innezuhalten, entspannt zu atmen oder den sicheren / ruhigen Ort aufzusuchen, um Ihre Gefühle wieder zu neutralisieren. Wenn die Float-Back-Technik Ihnen im Augenblick nicht weiterhilft, hören Sie auf und kommen später darauf zurück. Erzwingen Sie nichts, sondern lassen Sie einfach geschehen, was geschieht. Lesen Sie die Schritte mehrmals durch, bis sie sich Ihnen eingeprägt haben, und folgen Sie dann mit der ersten negativen Kognition auf Ihrer persönlichen Liste diesen Schritten: Während Sie an die negative Kognition denken, überlegen Sie, wann Sie zuletzt so empfunden haben. Was ist da passiert? Vergegenwärtigen Sie sich die entsprechende Situation. Wenn Ihnen kein Ereignis in jüngster 1.

Vergangenheit einfällt, konzentrieren Sie sich einfach auf die Überzeugung. Wo spüren Sie diese im Körper? 2.

Während Sie an das Ereignis in jüngster Vergangenheit (wenn Sie eins

gefunden haben) und die negative Überzeugung denken – zum Beispiel »Ich bin anders als andere« –, nehmen Sie das entsprechende Gefühl wahr

und gehen innerlich zurück in Ihre Kindheit. Fällt Ihnen ein, wann und wo Sie sich früher schon einmal genauso fühlten? Vielleicht kommt Ihnen automatisch ein Bild. Schreiben Sie das Ereignis, die negative Kognition und die Erinnerung in die entsprechenden Spalten in Ihr Notizbuch. Wie intensiv fühlt sich diese Erinnerung (wenn Sie eine gefunden haben) auf der SUD-Skala von 0 bis 10 jetzt an? Halten Sie diesen Wert zusammen mit Ihrem damaligen Lebensalter in Ihrem Notizbuch fest. 3.

Wenn Ihnen keine Erinnerung kommt, vergegenwärtigen Sie sich die Überzeugung und die damit verbundenen Körperempfindungen und denken an Ihre Eltern. Fällt Ihnen eine frühere Situation ein? Wenn ja, schreiben Sie diese auf. Falls nicht, denken Sie nacheinander an Ihre Geschwister und weitere Familienmitglieder oder, falls auch dann nichts bei Ihnen hochkommt, an Lehrer, Gleichaltrige (Schule / Ferienlager / Nachbarschaft) und andere Menschen, die damals in Ihrem Leben wichtig waren. Vergegenwärtigen Sie sich Ihre negative Überzeugung und die entsprechende Person, und schauen Sie, ob sich eine Erinnerung einstellt. Notieren Sie das frühere Erlebnis, das mit Ihrer negativen Kognition in Zusammenhang steht, mit ein paar Stichworten. Achten Sie darauf, entspannt zu atmen und Ihren sicheren / ruhigen Ort aufzusuchen, um Ihre Gefühle wieder zu neutralisieren. Sie können auch tief in den Bauch atmen, um sich wieder zu beruhigen. Atmen Sie langsam und tief ein und zählen Sie dabei bis fünf. Spüren Sie, wie Ihr Bauch sich mit Luft füllt und weitet. Dann lassen Sie die Luft langsam wieder entweichen und zählen dabei ebenfalls bis fünf. Nehmen Sie bewusst wahr, wie sich Ihr Bauch beim Einund Ausatmen ausdehnt und wieder zusammenzieht. Atmen Sie so etwa ein Dutzend Mal, um wieder ruhiger zu werden. Selbstfürsorge

Wenn Sie persönliche negative Kognitionen und entsprechende Erinnerungen gefunden haben, sollten Sie die Gelegenheit nutzen, Mitgefühl mit dem Kind zu empfinden, das Sie damals waren. Mitgefühl ist nicht mit Selbstmitleid gleichzusetzen, sondern heißt, dass Sie für sich das Verständnis und die liebevollen Gefühle aufbringen, die Sie für jedes Kind empfinden würden, das Schmerzliches erlebt hat. Wie die Menschen, die in diesem Buch von sich erzählen, sind wir alle ein Produkt der Funktionsweise unseres Gehirns – und der Erinnerungen, die dort ohne unsere Zustimmung oder Kontrolle abgespeichert wurden. Schauen Sie, ob Sie auch für den Menschen, der Sie heute sind, Mitgefühl aufbringen können. In den nächsten Kapiteln stelle ich Ihnen weitere Übungen vor, die Ihnen helfen werden, noch besser zu verstehen, was Sie in Ihrem Leben steuert. Dazu gehört auch die Frage nach den Gründen, sollten Sie ständig unter Ängsten, Traurigkeit oder Ärger leiden. Auch wenn Sie solche Gefühle nur gelegentlich erleben, wird Ihnen klarer, durch welche Situationen sie ausgelöst werden. Dann können Sie Ihren sicheren / ruhigen Ort aufsuchen, um sich auf entsprechende Situationen vorzubereiten, oder diese Übungen anschließend machen, sollten bei entsprechenden Erlebnissen negative Emotionen und Empfindungen hochgekommen sein. Sie können schwierige Gefühlszustände auch mithilfe der Spiraltechnik und der anderen Methoden auflösen. In Anhang A finden Sie eine systematische Auflistung der in diesem Buch enthaltenen Übungen, sodass Sie schnell darauf zurückgreifen können. Im Folgenden werden Sie weitere Techniken für die Bewältigung automatischer Reaktionen erlernen. Wenn Sie Ihre Reaktionen beobachten und diese Werkzeuge anwenden, können Sie entscheidend zu einer Lösung schwieriger Situationen beitragen. Letzten Endes aber lautet die Frage:

Reicht das für den erhofften Erfolg aus? Falls nicht, können Sie überlegen, die Schlüsselerinnerungen, die Sie bereits herausgefunden haben, mit therapeutischer Unterstützung zu verarbeiten. Ein Ziel der EMDR-Therapie besteht darin, alte, tief verankerte Erinnerungen zu »verdauen«, damit die damit verbundenen körperlichen Empfindungen und Emotionen Sie nicht mehr zu Verhaltensweisen drängen, die Sie gern abstellen wollen. Am wichtigsten ist, dass Sie diese negativen Gefühle und Kognitionen dabei in positive umwandeln – das macht Sie frei, Ihr Leben selbstbestimmter zu leben und sich wohler zu fühlen. Wie Sie inzwischen vielleicht bereits selbst beobachtet haben, können diese Erinnerungen die Ursache für viele Probleme sein, die uns das Leben schwer machen und uns daran hindern, glücklich zu sein. Wenn Ihnen das erst einmal klar geworden ist, können Sie neu entscheiden, ob und wie Sie diese bislang verborgene Landschaft neu gestalten wollen.

6. Ich würde ja, wenn ich könnte Umgang mit Ängsten und Unsicherheit

So wie Liebe, Sorge und Ärger sind auch Ängste und Befürchtungen wichtige und nützliche Emotionen. Sie machen uns wachsam für potenzielle Schwierigkeiten oder Gefahren, denen wir uns zuwenden müssen. Sie sind Warnsignale, die unsere nächsten Schritte lenken – dass wir etwa erforschen, ob eine Gefahr real ist, und wenn ja, was wir tun müssen, um sie abzuwenden. Wir alle haben gelegentlich solche Gefühle. Sie sind eine natürliche Reaktion auf bestimmte Situationen und Menschen in unserem Leben und leisten uns gute Dienste, es sei denn, sie sind fehl am Platz. Leider sind manche Ängste und Befürchtungen der Realität tatsächlich nicht angemessen und verbinden sich mit Situationen, in denen sie nicht wirklich sinnvoll sind. Ja, ein Rottweiler, der zähnefletschend auf uns zustürzt, ist ein guter Grund, Angst zu bekommen und die Flucht zu ergreifen. Ein Pudel, der an der Leine freundlich an uns vorbeispaziert, hingegen nicht. Doch bei Menschen, die an einer Hundephobie leiden, kann bereits das Foto eines Hundes Angstreaktionen auslösen. Millionen von Menschen leiden an unangemessenen Ängsten, doch nicht alle suchen therapeutische Hilfe. Auch wenn diese Ängste unser Wohlbefinden stören, lösen sie oft den natürlichen Impuls aus, die beängstigenden Situationen zu vermeiden und unser Leben entsprechend einzurichten. Eine Untersuchung in den USA hat gezeigt, dass die Angst davor, öffentlich zu sprechen, an erster Stelle und damit sogar noch vor der Angst vor dem Tod steht, doch die meisten Menschen halten keine

öffentlichen Reden und denken über dieses Thema daher nicht weiter nach. Typischerweise kommen sie erst dann in Therapie, wenn sie in ihrem Beruf plötzlich Vorträge halten müssen – oder wenn die Angst sie in anderen Lebensbereichen behindert, die ihnen wichtig sind. Aber manche Menschen können Situationen, die Befürchtungen und Ängste in ihnen auslösen, einfach nicht ausweichen. In diesem Kapitel erforschen wir die verwickelten Zusammenhänge, die solchen Störungen zugrunde liegen können. Beginnen wir mit dem 14-jährigen James, der immer dann Angst bekam, wenn er schlafen gehen sollte. Er hatte Angst, dass sich im Schlaf jemand in sein Zimmer schleichen und ihn umbringen würde, während er dort allein im Bett lag. Diese Angst wurde so stark, dass er sich fragte, ob er mit dem Rücken zur Tür oder weg von der Tür schlafen sollte. Er beschloss, mit dem Rücken zur Tür zu schlafen, denn dann würde dieser Jemand ihn von hinten umbringen, ohne dass er mit ansehen müsste, wie diese Person sich anpirschen und er ihr hilflos ausgeliefert sein würde. Wie viele andere Menschen kannte auch James nicht die Ursache seiner Ängste, die er seit Jahren hatte und die immer stärker wurden. Um Zugang zu seinen Erinnerungsnetzwerken zu bekommen, fragte ihn seine Therapeutin, welche Gefühle er in der letzten Nacht gehabt hatte. Als James sich darauf konzentrierte, wie er in seinem Zimmer allein schlafen ging und ihn die Angst packte, begann die Verarbeitung. Dabei zeigte sich, dass seine Eltern vor sechs Jahren, als James acht Jahre alt gewesen war, eine Reise unternommen und ihn bei seiner Großmutter untergebracht hatten. Damals brachten die Zeitungen und das Fernsehen ständig Berichte über einen nächtlichen Stalker in Kalifornien, der reihenweise Menschen umbrachte. Man fragte sich besorgt, wo er das nächste Mal zuschlagen würde, und es herrschte eine allgemeine Atmosphäre von Bedrohung. In James’ Gehirn

hatte sich die Abwesenheit der Eltern mit diesen Morden verbunden. Nach der EMDR-Sitzung verloren sich das Gefühl von Gefahr und die Ängste, wenn er in seinem Zimmer allein schlafen gehen sollte. Seine Symptome verschwanden, als die Erinnerung verarbeitet war. Zum Glück suchten die Eltern mit James eine Therapeutin auf. Doch Millionen anderer Menschen leiden unnötig weiter und stecken voller Ängste hinsichtlich unterschiedlichster Dinge. Manchmal gelten diese Ängste ganz bestimmten Situationen, manchmal sind sie ständig da. Ganz gleich, welche Ursache sie haben, hilfreich ist, sich klarzumachen, dass sie meistens auf Erlebnisse zurückgehen, die in den Erinnerungsnetzwerken abgespeichert wurden – auch wenn Sie bislang nicht herausfinden konnten, welche Erlebnisse das sind. Schon wieder die Eltern? Intensive Befürchtungen und Ängste können auf Gefühle zurückgehen, die Menschen als Kinder in den unsicheren Bindungen entwickelt haben, welche wir im vorigen Kapitel behandelt haben. Heißt das, dass wir wieder einmal bei den Eltern gelandet sind? Ja. Diese Gefühle von Unsicherheit und fehlender Geborgenheit können darauf beruhen, dass wir uns als Kinder nicht geschätzt und beschützt gefühlt haben. Das hat uns das Gefühl vermittelt, nicht gut genug zu sein, sodass wir in ständiger Angst vor der Kritik anderer Menschen leben. Manchmal verstärken bestimmte Umstände diese Gefühle noch. Laura zum Beispiel musste ihre ersten acht Lebensmonate im Krankenhaus verbringen, weil ein Geburtsfehler mehrere chirurgische Eingriffe erforderlich machte. Auch wenn die Operationen gelangen, forderten diese acht Monate doch ihren Preis. Laura fühlte sich ihren Eltern nie wirklich nahe. Sie kam in Therapie, weil ihre Ängste sie hinderten, enge

Beziehungen zu anderen Menschen einzugehen. Sie fürchtete sogar die Umarmungen ihrer Freundinnen. Obwohl sie ein eigenes, gut gehendes Geschäft leitete, lauteten ihre negativen Überzeugungen: »Ich fühle mich nicht sicher, wenn ich Menschen nahekomme. Ich bin ihnen sowieso egal.« Sie musste vor allem zwei Kindheitserinnerungen verarbeiten. Bei der einen sah sie sich für einen Fotografen auf dem Schoß ihres Vaters sitzen. Sie hatte das Gefühl, dass ihr Vater nur »vorgab«, Zuneigung für sie zu empfinden. Die zweite ähnliche Erinnerung betraf ihre Mutter, die nur so tat, als ob sie ihre Tochter lieben würde. Nachdem Laura diese beiden Erinnerungen verarbeitet hatte, konnte sie sich aktuellen Situationen zuwenden, bei denen ihre Freundinnen entsprechende Gefühle auslösten. Nachdem sie auch diese verarbeitet hatte, konnte sie sich ohne Ängste von ihren Freundinnen umarmen lassen und spürte deutlich, dass sie jetzt die positive Überzeugung hatte: »Ich fühle mich sicher, wenn ich Nähe zulasse. Meine Freundinnen haben mich wirklich gern.« Ob ihre Eltern sie wirklich liebten oder nicht oder die erzwungene Trennung als Baby die Bindung zwischen ihnen erschwerte, macht im Grunde keinen Unterschied. Kinder nehmen die Schuld für das Fehlverhalten der Eltern auf sich. Sie übernehmen auch die Gefühle, die in der Familie vorherrschen. Wenn Eltern aufgrund welcher eigenen Schwierigkeiten auch immer überfordert sind, können sie auf die Bedürfnisse ihres Kindes einfach nicht richtig eingehen. Ava zum Beispiel hatte »gute« Eltern. Doch unglücklicherweise hatte die Mutter in Avas Kindheit mit Krebs zu kämpfen, und das führte dazu, dass Ava sich nie wirklich sicher fühlte. Mit 16 Jahren verlor sie dann ihre Mutter an die Krankheit. Wenn ein Kind so aufwächst, kann es ständig in Angst sein und ein negatives Selbstgefühl entwickeln. Doch oft nehmen Menschen diese

unterschwellige Anspannung in ihrem Leben gar nicht wahr, weil sie es nicht anders kennen. Meistens muss der emotionale Schmerz eskalieren, bevor ihnen klar wird, dass sie Hilfe brauchen. Ava begann eine Therapie, weil sie nach ihrer letzten Trennung erkannte, dass sie von Männern abhängig war und sich ständig auf Beziehungen einließ, die ihr nicht guttaten. Ihre negative Kognition lautete: »Es ist nicht sicher, allein zu sein.« Im Verlauf ihrer Therapie wurde deutlich, dass diese Überzeugung auf frühe Erinnerungen an ihre Mutter zurückging, die ständig krank und überfordert gewesen war. Diesen Erinnerungen wandte sie sich zuerst zu, um sich dann mit dem Tod der Mutter auseinanderzusetzen. Anschließend verarbeitete sie Erinnerungen an ihre destruktiven Beziehungen und ihre letzte Trennung. Dadurch verschwanden Avas Ängste. Sie konnte in ihrem Leben wieder nach vorn schauen und ihre Selbstachtung wuchs. Eine direkte Folge davon war, dass sie eine andere Partnerwahl traf, entschlossen, sich mit bestimmten Mängeln nicht mehr abzufinden, da sie die nötige Sicherheit jetzt in sich selbst fand. Das verunsichert mich einfach Gefühle von Unsicherheit können viele verschiedene Formen annehmen. Vielleicht haben wir Angst vor fremden Leuten oder fürchten neue Situationen. Manche Menschen glauben, mit bestimmten Situationen nicht zurechtzukommen oder befürchten, man könne entdecken, dass sie nicht wirklich kompetent sind, sondern nur so tun »als ob«. Andere haben Angst vor Prüfungen, weil sie sich für »dumm«, unfähig oder »Versager« halten. Ganz gleich, ob diese Gefühle auf Demütigungen in der Schule oder schwierige familiäre Umstände zurückgehen, in bestimmten Situationen reagieren wir immer mit körperlich spürbaren Ängsten oder vagen Befürchtungen, was sich auch auf unsere Sicht der Welt und die

Einschätzung unserer eigenen Fähigkeiten auswirkt. Mit der Zeit können diese Ängste zunehmen, da jede neue Erfahrung in unserem Gehirn kodiert wird und die entsprechenden Erinnerungsnetzwerke verstärkt. Während wir ständig erleben, dass wir die Prüfung tatsächlich vermasseln oder auf einer Party schüchtern herumstehen und man uns ignoriert, wächst unsere Überzeugung, dass wir unfähig sind und die Dinge einfach nicht auf die Reihe bekommen. Negative Kognitionen In diesem Abschnitt werfen wir einen gründlichen Blick auf die Themen, die mit der zweiten Kategorie von negativen Kognitionen, Fehlende Sicherheit / Verletzlichkeit, zusammenhängen. Die mit diesen Kognitionen verbundenen schwierigen Gefühle sind Ängste und Unsicherheiten. Selbst Menschen, die an einer PTBS oder Phobien leiden und oft negative Überzeugungen in allen drei Kategorien aufweisen, erkennen die Kognitionen in dieser Kategorie am schnellsten als die eigenen, weil die hier formulierten Befürchtungen und Ängste maßgeblich für ihre Diagnose sind. Meistens ist die Angstreaktion durch ganz bestimmte Erlebnisse bedingt, die unverarbeitet geblieben sind. Wenn diese Menschen also auf entsprechende Situationen stoßen oder nur an bestimmte Dinge denken, wie eine öffentliche Rede halten zu müssen oder eine Schlange zu sehen, kommen diese negativen Emotionen und körperlichen Empfindungen hoch. Die meisten Menschen mit einer PTBS oder einer Phobie kennen die tatsächliche Ursache für ihre Ängste, etwa eine Vergewaltigung oder ein Hundebiss. Andere leiden an diesen Ängsten schon so lange, dass sie nicht mehr wissen, woher sie stammen. Trotzdem können sie mit entsprechender Unterstützung Zugang zu den Erinnerungsnetzwerken bekommen, in denen diese Gefühle verankert sind, und diese verarbeiten.

Kein Weg führt daran vorbei Manchmal heißt es im Leben zu Recht: »Kein Weg führt daran vorbei.« Wo immer wir sind oder hingehen, die Angst bleibt in unseren Erinnerungsnetzwerken gespeichert und wartet nur auf entsprechende Auslöser, um sich zu zeigen. Manchmal sind die negativen Emotionen nur schwach ausgeprägt, manchmal handelt es sich um schwere Phobien, sodass die Betroffenen ihr Leben so einrichten, dass sie die Dinge meiden, die ihnen Angst machen. Menschen mit Phobien haben meistens auch Angst vor der Angst. Tatsächlich berichten manche Menschen, sie gingen den angstbesetzten Situationen oder Aktivitäten schon so lange aus dem Weg, dass sie gar nicht mehr wüssten, ob sie immer noch Angst davor haben. Stattdessen haben sie Angst davor, von der Angst, sowie diese sich zeigt, überwältigt zu werden. Wenn sie nie gelernt haben, ihren Ängsten angemessen zu begegnen, ist das tatsächlich eine realistische Einschätzung. Um hier Abhilfe zu schaffen, bringen manche Therapeuten ihren Klienten bestimmte Selbststeuerungsmethoden bei, von denen Sie einige bereits kennen. Vielleicht arbeiten sie auch mit der »Konfrontationstherapie« oder »Verhaltensexperimenten«, damit der Klient sich den angstbesetzten Themen oder Situationen stellt oder seine negativen Überzeugungen so lange überprüft, bis die Angst abnimmt. Zu diesem therapeutischen Behandlungsansatz für Phobien gibt es die meisten Untersuchungen. Auch wenn Erfolge und Rückfallraten hier je nach Art der behandelten Phobie schwanken, sind diese Therapien für die Behandlung derartiger Beschwerden ausgezeichnet geeignet. Zur EMDR-Therapie existieren in Bezug auf diese Störungen viel weniger Untersuchungen. Eine weltweit durchgeführte Studie über EMDR-Therapeuten berichtet jedoch von einer hohen Erfolgsrate bei der Behandlung von Angststörungen. Außerdem wissen wir aufgrund entsprechender Untersuchungen in den letzten 20

Jahren inzwischen sehr viel mehr über die Verbindungen der Erinnerungsnetzwerke im Gehirn. Grundsätzlich konzentriert sich die EMDR-Therapie auf die Verarbeitung der Erinnerungen, auf welche die Angst zurückgeht. Mit anderen Worten, wir wenden uns direkt der Quelle zu. Für die meisten Menschen ist die eigentliche Ursache ihrer Angst ganz offensichtlich. Sie ist mit einem Erlebnis verbunden, das für sie beängstigend war oder bei dem sie Schaden erlitten haben. Wenn ein Hund mich gebissen hat, habe ich fortan möglicherweise Angst vor Hunden. Die Angst in bestimmten Situationen kann auch auf anderen Erlebnissen beruhen, die zur gleichen Zeit passierten. Cheri zum Beispiel hatte seit gut zehn Jahren Angst vorm Autofahren. Wie sich herausstellte, fing ihre Phobie in ihrer Collegezeit an, als sie sich als Austauschstudentin in Europa aufhielt. Kurz nachdem sie dort eingetroffen war, luden neue Bekannte sie zu einer Party ein. Voller Vorfreude ging sie hin und hoffte, dort weitere Kontakte zu knüpfen. Kurz nach ihrem Eintreffen schenkte sie sich ein Glas von der angebotenen Bowle ein. Nach dem Trinken wurde ihr so schlecht, dass sie nach Hause ging und sich ins Bett legte. Die ganze Nacht lang wurde sie von Halluzinationen gequält, die sie nicht unter Kontrolle bekam. Jemand hatte LSD in die Bowle gegeben. Stellen Sie sich vor, allein in einem fremden Land zu sein, wo Sie niemanden kennen, und plötzlich werden Sie völlig unkontrolliert von Halluzinationen überflutet, ohne nahestehende Menschen zu Hilfe rufen zu können. Cheri war zutiefst erschrocken, schob dieses Erlebnis aber irgendwie beiseite. Ein paar Tage später fuhr sie mit dem Wagen zur Schule. Ein anderes Auto schlingerte auf sie zu. Obwohl es nicht zum Zusammenstoß kam, löste diese Situation das gleiche Gefühl von Kontrollverlust aus, das sie in jener Nacht in ihrer Wohnung gehabt hatte.

Ihre Angst übertrug sich auf das Autofahren. Das war der Grund für ihre Phobie. Außerdem zog sie aus diesem Party-Erlebnis den Schluss, dass es gefährlich war, fremden Menschen zu vertrauen – sie machte sich Vorwürfe, weil sie so »vertrauensselig« von der Bowle getrunken hatte. Ein weiteres Beispiel ist Michelle, die ebenfalls das College besuchte und Verdacht schöpfte, dass ihre beste Freundin und ihr Freund eine Affäre hatten. Als sie die beiden zur Rede stellte, bekam sie zur Antwort: »Nein. Natürlich nicht.« Also dachte sie: »Meine Güte, wie kann ich nur diese beiden wunderbaren Menschen verdächtigen?« Und doch hatte sie weiter ein Gefühl im Bauch, dass da »etwas nicht stimmte«. Kommt Ihnen das bekannt vor? Das machte ihr eine ganze Weile zu schaffen, bis sie eines Tages im Bus saß und aus dem Fenster schaute. Da sah sie die beiden an einer Straßenecke in inniger Umarmung. Als ihr klar wurde, dass die beiden sie angelogen hatten, wurde ihr schlecht. Sie schaffte es gerade noch bis zur nächsten Haltestelle, stürzte aus dem Bus und übergab sich auf der Straße. Dieses Erlebnis löste bei ihr eine heftige Phobie vor öffentlichen Verkehrsmitteln aus und gab ihr außerdem das Gefühl, niemandem vertrauen zu können. Menschen mit negativen Kognitionen in der Kategorie Fehlende Sicherheit / Verletzlichkeit haben also das Gefühl: »Ich werde verletzt, wenn ich …« Dabei kann es um körperliche oder emotionale Verletzungen gehen. Vielleicht befürchte ich einen Autounfall oder einen Flugzeugabsturz, einen Schlangen- oder Hundebiss oder unzählige andere Dinge. Ich könnte auch lächerlich oder heruntergemacht werden, oder jemand nutzt mich aus, wenn ich zu gutherzig bin. Catherine etwa kam in Behandlung, weil sie schon lange unter Depressionen und so heftigen Ängsten litt, dass sie nicht mehr arbeiten gehen konnte. Sie führte das auf ihren gewalttätigen Vater zurück, der zuhause vor allem ihre beiden Brüder

geschlagen hatte. Das ergab Sinn, doch beim gründlichen Erstgespräch über die Vorgeschichte kommen oft andere, bislang verborgene Erinnerungsverknüpfungen ans Licht. Bei der EMDR-Anamnese erwähnte Catherine auch, nie weinen zu können, aber sie wusste nicht warum und auch nicht, wann das angefangen hatte. Bei der Verarbeitung einer Erinnerung an das einschüchternde Verhalten des Vaters kam eine neue Erinnerung zutage. Catherine sagte dazu: »Als ich drei Jahre alt war, krümmte ich mich in der Kirche einmal vor Schmerzen und muss ohnmächtig geworden sein, denn als Nächstes wachte ich im Krankenhaus auf der Kinderstation auf. Es war Nacht, meine Mutter war schon gegangen, und ich weinte nach ihr. Die Krankenschwester sagte: ›Wenn du nicht aufhörst zu weinen, lasse ich deine Mutter nicht mehr zu dir.‹ Obwohl dieses Erlebnis viele Jahre zurückliegt, ist es die eigentliche Ursache dafür, dass ich meine Tränen immer zurückhalte und Angst habe zu weinen. Selbst als Kind habe ich nur heimlich geweint. Ich habe mich unterm Bett versteckt, um zu weinen – ist das nicht eigenartig?« Ängste können durch eigene körperliche oder emotionale Verletzungen bedingt sein, aber auch darauf zurückgehen, dass wir gehört oder miterlebt haben, wie andere verletzt wurden. Manche von uns haben als Kinder beängstigende Filme gesehen, was entsprechende Folgen hatte. Grundsätzlich können wir sagen, dass unsere Ängste und Unsicherheiten in diese unverarbeiteten Erinnerungen eingebettet sind, und manchmal werden Schwierigkeiten, die wir damals leicht hätten bewältigen können, so zu langfristigen Problemen. Billy zum Beispiel hatte extreme Angst vor Schlangen. Im Alter von sieben Jahren entdeckte er, dass ihm eine Ringelnatter das Bein hochkroch und geriet völlig außer sich. Als er voller Panik und hysterisch brüllend zuhause ankam, nannte ihn seine Mutter eine

»Zimperliese« und schimpfte ihn aus. In der Nacht lag er wach und glaubte zu spüren, wie Schlangen an den Bettpfosten hochkrochen. Billy verband mit diesem Ereignis nicht nur die negative Kognition: »Ich bin in Gefahr«, sondern zog daraus auch den Schluss: »Ich kann mich niemandem anvertrauen.« Schließlich hatte der Mensch, von dem er Hilfe erwartete, es ihm noch schwerer gemacht. Das gab ihm das Gefühl, keine Unterstützung zu verdienen. All diese Probleme verschwanden, nachdem er diese Erinnerung verarbeitet hatte. Das Gleiche galt für Georg, der mit Ende 30 so große Angst vor kleinen Tieren hatte, dass er mit seinen Freunden keine Ausflüge oder Picknicks unternehmen konnte. Wie sich herausstellte, war er im Alter von fünf oder sechs Jahren von einem kleinen Hund gebissen worden. Aber das Schlimmste war, dass sein Vater ihn auslachte und das Erlebnis herunterspielte, selbst noch beim Säubern und Verbinden der blutigen Wunde. Dass er Georgs emotionale Reaktionen lächerlich machte, statt ihn zu trösten, verfestigte nicht nur dessen Angst, sondern bildete auch den Boden für Schamgefühle und Selbstvorwürfe. Georgs Vater beging einen ziemlich verbreiteten Fehler. Erwachsene versuchen oft, ihre Freunde abzulenken oder aufzuheitern, wenn es diesen nicht gut geht. Doch wenn Kinder Angst haben und Zuwendung suchen, brauchen sie dringend einen Elternteil, der sich in ihre Bedürfnisse einfühlt. Es ist wichtig, dass Eltern die Ängste ihrer Kinder bestätigen und sie liebevoll beruhigen, sodass das Kind das Gefühl hat, jetzt in Sicherheit zu sein und dass es richtig war, sich an die Eltern zu wenden. Dann können beängstigende Erlebnisse die kindliche Resilienz stärken und dem Kind das Gefühl geben, eine Schwierigkeit erfolgreich bewältigt zu haben, sodass diese nicht dauerhaft zur Quelle für psychische Schmerzen wird.

Manchmal wird die Behandlung von Phobien dadurch erschwert, dass die Angst einem anderen Zweck dient. Wir sprechen hier von einem »sekundären Gewinn«, das heißt, für den Klienten hat die Angst auch Vorteile. Wenn er sich zum Beispiel vor Schlangen fürchtet, weil er immer wieder gehört hat, dass sie gefährlich sind, selbst gebissen wurde oder einen Freund hat, der gebissen wurde, kann durch die Verarbeitung der damit verbundenen Erinnerungen wahrscheinlich Abhilfe geschaffen werden. Ich hatte jedoch einmal eine Klientin, deren Mann sehr gern zelten ging. Sie fürchtete sich vor Schlangen und hatte damit einen Grund, ihren Mann bei seinen Ausflügen nicht begleiten zu müssen. Sie hasste das Zelten aus mehreren Gründen, glaubte aber, wie in anderen Situationen in ihrer Ehe auch, nicht Nein sagen zu dürfen. Diese Angst verschwand erst, als wir uns der Verarbeitung von Situationen zuwandten, in denen sie ihren eigenen Standpunkt hätte vertreten müssen. Deswegen ist es wichtig, dass Sie sich fragen: Bringt mir diese Angst irgendwelche Vorteile? Sollte das der Fall sein, ist es wichtig, das gründlicher zu erforschen. Ein Trauma im Trauma Menschen, die Dramatisches erlebt haben – sei es sexueller Missbrauch, einen Unfall, eine Naturkatastrophe oder Krieg –, können PTBS entwickeln. Dann erleben sie diese Erfahrung in Albträumen, zwanghaften Gedanken oder Flashbacks innerlich immer wieder, wobei sie sich fühlen, als ob das Ereignis tatsächlich wieder passierte. Das kann mit einer ganzen Reihe von Symptomen verbunden sein, und die ständigen Gefühle von Angst und Kontrollverlust wirken sich oft auch störend auf familiäre und freundschaftliche Beziehungen aus, weil der oder die Betroffene heftige Wutausbrüche hat oder depressiv und verschlossen sein kann.

Dieses Buch möchte dazu beitragen, dass wir besser verstehen, wie wir »ticken« und was wir unternehmen können, wenn wir ungewollt aus der Bahn geraten. Ein weiteres Ziel ist, mehr Verständnis und Mitgefühl für die Menschen in unserem Leben zu entwickeln. Dieses Anliegen beseelte auch den Mann, der Kriegskameraden helfen will, und die Frau, die andere Missbrauchsopfer unterstützen möchte, ihre Geschichten zu diesem Kapitel beizusteuern. Wie bereits erwähnt, ähneln wir Menschen einander mehr, als dass wir uns voneinander unterscheiden. Die Störungen, die bestimmte Erinnerungen in unserem Leben bewirken, mögen von Mensch zu Mensch unterschiedlich sein, doch keiner von uns ist immun gegen negative Gefühle, destruktive Gedanken und schmerzliche körperliche Reaktionen. Millionen von Menschen leiden aufgrund von Unfällen, Naturkatastrophen, terroristischen Angriffen und körperlichen Misshandlungen oder sexuellem Missbrauch an Traumata. Das kann jede und jeden von uns plötzlich und unerwartet treffen. Falls diese Probleme Sie persönlich oder Ihnen nahestehende Menschen nicht tangieren, können Sie sich aber vor Augen führen, dass wir Menschen alle miteinander verbunden und verletzliche Wesen sind. Fragen Sie sich beim Lesen der beiden folgenden Beispiele: Wie würde es mir ergehen, wenn ich solch eine Situation erlebt hätte? Krieg und Frieden Sanitäter wie Kriegsveteranen sind bereit, sich Gefahren auszusetzen, um andere Menschen zu schützen und zu retten. Obwohl sie alles geben, werden sie oft von Schuldgefühlen geplagt und fühlen sich ohnmächtig. Der Grund dafür ist, dass sie sich ständig und überall abverlangen, ihre Sache hundertprozentig gut zu machen, auch wenn sie die Lage gar nicht beeinflussen können und nicht in der Hand haben. Vielleicht leiden auch Sie unter diesem ständigen inneren Druck. Wenn Sie oder einer Ihrer Familienangehörigen oder Freunde Sanitäterin oder Kriegsveteran sind,

geht Sie dieses Thema wahrscheinlich besonders an. Wenn nicht, kann Ihnen das folgende Beispiel deutlich machen, was Sanitäter und Kriegsveteranen durchmachen und Ihr Mitgefühl für diese Menschen wecken. Und sollten Sie an einigen der hier erwähnten Symptomen leiden, erfahren Sie mehr über sich. Ein Trauma kann viele körperliche Störungen verursachen, und wenn es sich erst einmal verfestigt hat, löst es sich meistens nicht von selbst auf. Menschen, die eine PTBS entwickelt haben, weil sie ihrem Land als Soldat oder Kriegsberichterstatter dienen wollten, bekommen oft deswegen besondere Schwierigkeiten, weil sie glauben, versagt zu haben. Ihre Symptome gehen häufig nicht auf die Angst um die eigene Person zurück, sondern auf die Angst um die Menschen, die sie glauben verletzt zu haben oder die sie nicht retten konnten. Auch wenn Kriegserlebnisse bereits als solche häufig negative Auswirkungen auf alle Beteiligten haben, brechen unter bestimmten Umständen selbst die emotionalen Abwehrkräfte des stärksten Kriegers zusammen. Das folgende Beispiel vermittelt Ihnen eine Vorstellung vom Leiden eines Kriegsveteranen und zeigt Ihnen auch, wie unglaublich vielschichtig unsere Erinnerungsnetzwerke sein können. Hal Walters ist ein 37-jähriger, verheirateter Oberfeldwebel des US Marine Corps, der über elf Jahre aktiv im Dienst war und für seine Dienste ausgezeichnet wurde. Sein Stabsarzt überwies ihn für eine Behandlung, da er, nachdem er in den Ruhestand getreten war, eine PTBS und Symptome einer schweren Depression entwickelt hatte. Er berichtete, dass er eine Woche, nachdem er vor zwei Jahren von seinem zweiten und letzten Einsatz im Irak nach Hause zurückgekehrt war, immer mehr Probleme bekommen hatte. Täglich überfielen ihn Erinnerungen an Gefechtsereignisse, die durch eine ganze Reihe äußerer Stimuli ausgelöst wurden – zum Beispiel den Anblick von älteren Frauen, von Kindern sowie Menschenansammlungen.

Zu seinen Symptomen gehörten Schlafstörungen, Albträume, gelegentliche Weinanfälle, reizbare und depressive Stimmungen, Magenprobleme, chronische Erschöpfung, Konzentrationsund Gedächtnisschwierigkeiten, das Gefühl von sozialer Isolierung, häufige Kopfschmerzen und Phasen von emotionaler Betäubung, die abwechselten mit Wutausbrüchen oder scheinbar unbegründetem, heftigem Schluchzen, übertriebener Wachsamkeit (ständige Anspannung und auf der Hut sein), großer Schreckhaftigkeit (Aufspringen bei plötzlichen Geräuschen), Appetitverlust, Erschöpfung und tiefen Schuldgefühlen in Bezug auf zahlreiche verschiedene Vorfälle im Krieg. Tausende von Soldaten leiden an solchen Symptomen, und laut jüngsten Berichten sind Millionen weiterer Menschen davon betroffen. Hal musste eine ganze Reihe von Erinnerungen verarbeiten, aber eine war für ihn besonders bedeutsam. Während eines Einsatzes sah sich seine Einheit gezwungen, das Feuer zu eröffnen, als ein Wagen auf sie zurollte. Das zerstörte, qualmende, von Kugeln durchlöcherte Fahrzeug kam vor ihnen zum Stillstand. Einige der Insassen versuchten, die Türen von innen zu öffnen. Aus der hinteren Tür stürzte eine ältere irakische Frau, die tödlich verwundet war und heftig blutete. Sie schrie vor Qual und Schmerzen, während er und seine Männer zusahen, wie sie zuckend zusammenbrach. Wie er seiner Therapeutin erzählte, waren auch die anderen Fahrzeuginsassen stark verwundet, bereits tot oder starben einen stillen Tod. Die Vorschriften verboten den Soldaten jedoch, sich dem Wagen zu nähern, bevor Fachleute für die Entschärfung explosiver Geschosse ihn inspiziert hatten, um sicherzugehen, dass er keine Selbstmordbombe barg. Die ältere irakische Frau wand sich am Boden und stöhnte laut, stundenlang, wie es Hal schien, obwohl wahrscheinlich nur wenige Minuten vergingen, bevor sie an ihren Blutungen starb.

Bei der Schilderung dieses entsetzlichen Vorfalls änderten sich sein Gesichtsausdruck und sein emotionaler Zustand dramatisch. Er sank völlig in sich zusammen, schüttelte den Kopf, den er in seinen zitternden Händen hielt, und Tränen rollten ihm übers Gesicht. Dieses furchtbare Erlebnis durchlebte er täglich (und nächtlich) immer wieder. Obwohl er keine Selbstmordabsichten hegte, drängte sich ihm aufgrund seiner heftigen Scham- und Schuldgefühle die Frage auf, warum er überhaupt weiterleben solle. Wiederholt erwähnte er, das weibliche Opfer sei schon älter gewesen, also fragte ihn die Therapeutin, ob diese Frau ihn an eine andere Person aus seinem Leben erinnere. Nachdem er über diese Frage gründlich nachgedacht hatte, verneinte er sie zunächst, schwenkte dann aber um und sagte: »Wenn ich länger überlege, erinnert sie mich an meine Großmutter.« Auf weiteres Nachfragen hin erzählte er: »Meine Großmutter war aus Nigeria, lebte jedoch, so um mein achtes Lebensjahr herum, ein paar Jahre bei uns.« Er machte eine Pause und fuhr dann fort: »Aber sie und meine Mutter stritten sich ständig, ich meine, sie gingen richtig aufeinander los. Ich weiß noch, wie meine Großmutter mir eines Tages erzählte, sie könne nicht länger bei uns leben und wolle nach Afrika zurückkehren.« Hals Therapeutin fragte ihn, ob seine Großmutter tatsächlich in ihr Land zurückgekehrt sei. Er antwortete: »Ja, sie reiste schon am nächsten Tag ab. Ich weiß noch, dass sie geweint hat, als sie sich am Tag ihres Abflugs von mir verabschiedete, und ich habe sie nie wieder gesehen.« »Sie haben sie nie wieder gesehen?«, fragte die Therapeutin. »Nein. Sie hatte kein Telefon und keinen E-Mail-Anschluss und konnte auch nicht schreiben. Das letzte Mal hörte ich von meiner Großmutter zwei Jahre, nachdem sie uns verlassen hatte. Meine Mutter erzählte mir, man habe bei ihr Krebs festgestellt und sie liege im Sterben.« Hal sackte wieder in sich zusammen und schüttelte den Kopf. »Ich hätte verhindern sollen,

dass sie abreist. Dann würde sie vielleicht noch leben.« Auf die Frage, was er damit meine, sagte er: »Wenn man hier in den Vereinigten Staaten Krebs bei ihr festgestellt hätte, hätte man sie, anders als in Nigeria, behandeln und ihr Leben retten können.« Er erzählte weiter, wie schuldig er sich fühle, in den Streit von Mutter und Großmutter nicht eingegriffen und verhindert zu haben, dass es zum Bruch zwischen beiden kam. Auf die Frage, was seine Großmutter und die ältere irakische Frau gemeinsam haben könnten, erwiderte er: »Mir war das bislang nicht klar, aber diese Frau war etwa so alt wie meine Großmutter, und ich fühle mich für den Tod dieser beiden Frauen verantwortlich.« Die Therapeutin bat ihn, sich auf die Empfindungen in seinem Bauch zu konzentrieren und nachzuspüren, wann er diese Empfindungen und das Gefühl, verantwortlich oder schuldig zu sein, weil jemand zu Schaden kam, zum ersten Mal gehabt hatte. Ziemlich schnell fiel ihm ein Ausflug mit seinem jüngeren Bruder ein, als er selbst sechs und sein Bruder vier Jahre alt war. Während sie beide über die Steine am Ufer eines Teichs kletterten, stürzte sein Bruder und fiel auf den Kopf. Hals Hände begannen zu zittern, während er erzählte, dass er heftige Angst und Schuldgefühle gehabt habe, als sein Bruder laut weinte und ihm das Blut übers Gesicht lief. Hal rannte nach Hause, um den Vater zu holen, der ihn anschrie und später versohlte, weil er nicht besser auf seinen Bruder aufgepasst hatte. Jetzt konnte Hal dieses Erlebnis und die Erinnerung an seine Großmutter vollständig verarbeiten. Er konnte jetzt auch sehen, dass er mit seinen sechs Jahren richtig gehandelt hatte, als er loslief und Hilfe holte – und dass er als Achtjähriger überhaupt nicht hätte verhindern können, dass seine Großmutter die Familie verließ. An dem Punkt fokussierten seine Therapeutin und er das Erlebnis im Irak. Als sie nach der Verarbeitung seinen SUD-Wert überprüften, lag dieser bei

1. Auf die Frage hin, warum er nicht 0 sei, entgegnete Hal: »Eine unschuldige alte Frau starb, und das wird mich nie völlig kalt lassen. Doch auch wenn ich in ihren Tod verwickelt war, weiß ich jetzt, dass wir keine Wahl hatten. Wir sahen lediglich, wie ein Auto auf uns zuraste und auf unsere Warnungen nicht reagierte. Hätten wir das Feuer nicht eröffnet, wären vielleicht noch mehr Menschen zu Tode gekommen. Das ist eine dieser Tragödien, die eigentlich nicht sein dürften, aber zum Krieg gehören.« Wie bereits erwähnt, verankern wir bei der Verarbeitung das Nützliche und lassen den Rest los. Das nimmt Veteranen wie Hal nicht ihre Menschlichkeit oder die »Härte«, die sie manchmal brauchen, um durchzukommen. Aber sie können den Schmerz loslassen, den sie empfinden, weil sie schwierigen Situationen ausgeliefert waren und bestimmte Dinge tun mussten. An diesem Punkt sollten wir uns noch einmal klarmachen, dass wir alle als Kinder Erlebnisse hatten, die uns für spätere Probleme anfällig machen können. Dann müssen sich bestimmte Situationen nur noch zuspitzen, um uns ins Stolpern zu bringen. Im Krieg erleben Menschen diese Zuspitzung von Situationen gehäuft. Tatsächlich können Kriegserlebnisse Menschen einen solchen Schlag versetzen, dass sie sie nicht allein verkraften können. Konstellationen aus Müdigkeit, Erschöpfung, Verantwortung, Beziehungen zu Menschen, die starben, entsetzliche Bilder – die Liste ist lang. Wie auch immer die Hintergründe für solche Symptome aussehen mögen, die Forschung ist sich darin einig, dass eine PTBS nach drei Monaten »chronisch« ist. Bleiben die Symptome unbehandelt, können sie ein Leben lang anhalten. Manchmal zeigen Betroffene auch verzögerte Reaktionen, sodass die negativen Gefühle oder die gnadenlose Selbstkritik erst Jahre später aufkommen. Grundsätzlich können die Symptome jederzeit auftreten. Männer und Frauen, die für uns in den Krieg ziehen, können mit sichtbaren

oder unsichtbaren Wunden nach Hause zurückkehren. In jedem Fall verdienen sie unsere Hilfe, unser Verständnis und unseren Respekt. Wer von uns könnte solche Erfahrungen überstehen, ohne Schaden zu nehmen? Wenn ein Mensch an PTBS erkrankt, kann er sein Leben nicht mehr bewältigen. Manche Menschen nehmen zu Drogen oder Alkohol Zuflucht, um das innere Chaos auszuhalten, was alles nur noch schlimmer macht. Wir sollten Menschen, die Hilfe suchen, Achtung entgegenbringen, weil sie so mutig sind, sich den inneren Dämonen zu stellen. Ob zwanghafte Gedanken, Albträume oder Flashbacks, wenn auch Sie an Symptomen leiden, wie sie Hal Walters hatte, sollten Sie überlegen, was Sie dagegen unternehmen können. Sie können versuchen, weiterhin allein zurechtzukommen, oder sich Unterstützung holen wie Hal. Sie müssen über Ihre Erlebnisse nicht detailliert berichten, und bereits zwölf Sitzungen können Ihnen Erleichterung verschaffen. Nützliche Adressen finden Sie in Anhang B. Bitte holen Sie sich Hilfe. Geheimnisse bewahren Viele Opfer von sexuellem Missbrauch, ganz gleich, wie alt, ganz gleich, ob vergewaltigt oder sexuell belästigt, haben starke Schuld- und Schamgefühle, begleitet von Unsicherheit und Ohnmacht. Vielleicht hat man ihnen sogar eingeredet, dass sie selbst schuld seien, weil sie sich aufreizend gekleidet oder bestimmte Gegenden aufgesucht haben. Diese Vorwürfe sind völlig ungerechtfertigt. Niemand hat das Recht, einem anderen Menschen in irgendeiner Weise sexuelle Gewalt anzutun. Die Verantwortung liegt vollständig beim Täter, und das gilt auch für die sexuelle Belästigung von Kindern. Die negativen Gefühle, die Missbrauchsopfer verinnerlicht haben, sind Symptome und entsprechen nicht der Realität. Wie bereits erläutert, helfen uns die drei Kategorien Verantwortlichkeit, Fehlende Sicherheit und Keine

Kontrolle / Macht, unsere negativen Gefühle zu verbalisieren. Sie benennen auch verschiedene Stufen der Verarbeitung im Verlauf einer EMDRBehandlung. Wie andere Trauma-Opfer auch, lernen Überlebende eines sexuellen Missbrauchs zuerst, die Verantwortung dem Täter zuzuschreiben, wo sie hingehört. Wenn die schmerzliche Erinnerung in die entsprechenden Netzwerke integriert wurde, verlieren sie das Angstgefühl, und der Missbrauch findet seinen Platz in der Vergangenheit. Und schließlich spüren sie die eigene Kraft wieder und können neue Entscheidungen für ihr jetziges Leben fällen. Im Folgenden erzählt eine sexuell missbrauchte Frau ihre Geschichte, weil sie Menschen mit ähnlichen Erfahrungen helfen möchte, die Warnsignale und Auswirkungen solcher Übergriffe zu erkennen. Nancy wurde vom eigenen Vater missbraucht, von frühester Kindheit an bis zu ihrem zwölften Lebensjahr. »Ich war 36 Jahre alt, als ich im Klassenzimmer an der Grundschule meiner Kinder eine Elternversammlung zum Thema ›Unsere Kinder vor sexuellem Missbrauch schützen‹ besuchte. Als die Vortragende den typischen Missbrauchstäter beschrieb (der dem Kind entweder bekannt ist oder sich durch bestimmte Schritte, die harmlos anfangen und immer zudringlicher werden, das Vertrauen des Kindes erschleicht), brach ich plötzlich unkontrolliert in Tränen aus. Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu weinen, war aber auch nicht imstande, aufzustehen und zu gehen. Ich war einfach wie erstarrt. Auch wenn ich immer gewusst hatte, dass mein Vater nachts in mein Zimmer gekommen war, sich an mir gerieben hatte, mich zwischen den Beinen berührt und mich hatte versprechen lassen, diese Besuche geheim zu halten, war mir bis zu diesem Augenblick nicht klar geworden, dass er mich tatsächlich missbraucht hatte und ich damit nicht allein war.

Die Angst vor meinem Vater und seiner Macht über meinen Körper beherrschte mich in meiner Kindheit Tag und Nacht. Mein Körper gehörte offensichtlich nicht mir. Ich wagte nie, jemandem davon zu erzählen. Ich glaubte, mein Vater würde mich dann umbringen oder alles meiner Mutter erzählen, und dann würde sie uns verlassen. Ich wusste nicht, dass ich das Recht gehabt hätte, ihm zu sagen, er solle damit aufhören, und dass das, was mein Vater tat, nicht meine Schuld war. Manchmal hatte ich das Gefühl, er bestrafe mich für etwas Schlimmes, das ich getan hatte. Dann wieder redete er mir ein, ich wolle das alles ja selbst. Mir gefiel es durchaus, wenn er mir in anderer Form Aufmerksamkeit schenkte, und deswegen glaubte ich, es sei vielleicht wirklich mein Fehler. Während seiner Übergriffe hatte ich immer das Gefühl, in etwas verwickelt zu werden, das falsch und beschämend war, und zugleich hoffnungslos darin festzustecken. Als Erwachsene machte ich wegen meiner Depressionen und Ängste immer wieder einmal eine Therapie. Das half mir zwar, befreite mich jedoch nicht von meinen Symptomen. Ich wachte beim kleinsten Geräusch schreiend auf, war ständig auf der Hut vor realen und imaginären Gefahren und fühlte mich von meinem Vater, der starb, als ich ein Teenager war, weiterhin verfolgt. Ich hatte Angst, er könne wieder zum Leben erwachen und mich umbringen, weil ich anderen Menschen von dem Missbrauch erzählte. Ich hatte immer wieder schwere depressive Schübe und konnte in diesen Zeiten nicht arbeiten, sondern nur das Allernötigste erledigen. Aufgrund meiner geringen Selbstachtung hängte ich mich verzweifelt an Männer, die mich schlecht behandelten oder denen meine Bedürfnisse gleichgültig waren. Ich hatte kein Recht auf meinen Körper, und meine Intelligenz war nicht wichtig. Hauptsache, ich war attraktiv und reizvoll, damit ein Mann mich wollte.

Mitten in einer heftigen depressiven Phase empfahl mir eine Freundin vor mehreren Jahren EMDR. Immer wenn ich schmerzliche Erinnerungen anvisierte, ergriffen meine neue Therapeutin und ich einige Sicherheitsmaßnahmen, damit ich die hochkommenden Emotionen bewältigen konnte. Wenn es für mich nötig wurde, konnten wir aufhören, die Dinge zurechtrücken, eine Pause einlegen oder langsamer vorgehen. Das gab mir genügend Sicherheit, sodass ich viele Erinnerungen ziemlich schnell verarbeiten konnte – eine pro Sitzung. Meine Gefühle und Erinnerungen veränderten sich positiv. Zuerst war es meine Mutter, die mir zu Hilfe kam. Später fand ich Wege, mich selbst zu retten. Die neuen Bilder kamen automatisch hoch. Ich kann heute an die Übergriffe denken, ohne dass ich das Gefühl habe, sie wären gerade erst passiert. Ich weiß, dass das eine Zeit voller Angst war. Ich weiß, wie ich mich damals fühlte, aber ich empfinde diese Gefühle heute nicht mehr. Zu den ersten Erinnerungen, die ich verarbeitete, gehörte ein Erlebnis, bei dem ich fünf Jahre alt war und mit meinem Vater durch die Innenstadt von Chicago spazierte. Aus irgendeinem Grund wurde er ärgerlich auf mich und ließ mich einfach stehen. Ich fühlte mich verloren, hilflos, verängstigt. Ich wusste nicht, wo ich ihn finden sollte. Wir wohnten nicht in Chicago, und ich hatte keine Ahnung, wie ich nach Hause kommen sollte. An weitere Details dieses Vorfalls erinnerte ich mich nicht, aber wenn ich daran dachte, fühlte ich mich immer zurückgeworfen auf das fünfjährige Kind, das ich damals war, verlassen und allein. Wenn später in meinem Leben jemand zu spät zu unserer Verabredung kam oder sie vergaß, fühlte ich mich genauso verängstigt und alleingelassen wie damals. Das ist jetzt vorbei. Ich habe keine theoretischen Kenntnisse darüber, wie sich diese Form von Verarbeitung auf Menschen auswirkt. Doch für mich fühlt es sich so an, als ob sich das Trauma meiner Kindheit und das zerbrechliche Selbstgefühl,

das ich immer hatte, irgendwie umgewandelt haben. Was sich bislang wie gefährliche Gegenwart anfühlte, über die ich keine Kontrolle hatte, ist zu einer inneren Erinnerung geworden, die mir in der Außenwelt nicht mehr auflauert.« Wenn Sie oder jemand aus Ihrem Bekanntenkreis mit ähnlichen Erlebnissen zu kämpfen haben, bedenken Sie bitte, dass es Hilfe gibt. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass Ihre Scham und Ihre Selbstvorwürfe Symptome sind und nicht der Realität entsprechen. Erinnern Sie sich noch an das Beispiel mit dem Kindervers, das ich am Anfang dieses Buches gab? Wenn wir in Amerika die Worte »Rosen sind rot« hören, fällt uns als Nächstes unweigerlich die Zeile »Veilchen sind blau« ein, auch wenn das nicht stimmt. Schuld und Scham sind genau wie »Veilchen sind blau«. Nur weil Sie so fühlen, sind Selbstvorwürfe nicht dem angemessen, was geschehen ist. Vielleicht fällt es Ihnen schwer zu erzählen, was Sie erlebt haben. Doch da Sie Ihre Erlebnisse in der EMDR-Therapie innerlich verarbeiten, müssen Sie gar nicht detailliert davon berichten. Sie können in Ihrer eigenen Geschwindigkeit vorgehen. Die Selbststeuerungsmethoden in diesem Buch können Ihnen helfen, Ihr Leben besser zu bewältigen. Aber wie eine PTBS, die auf Kriegserlebnisse zurückgeht, können Sie auch andere Traumata, wenn sie sich erst einmal verfestigt haben, nur mit professioneller Unterstützung bewältigen. Das Leben hat noch viel mehr zu bieten, als einfach nur irgendwie mit den eigenen seelischen Schmerzen zurechtzukommen. Das alles ist nicht Ihr Fehler, und, wie Nancy sagte, Sie sind mit diesen Erlebnissen nicht allein. Warum kann ich nicht frei entscheiden? Wie wir gesehen haben, können traumatische Erlebnisse uns nicht nur furchtsam und ängstlich machen, sondern uns auch daran hindern, frei zu

entscheiden. Unser Leben wird dann in weitaus größerem Maße, als uns bewusst sein mag, durch diese früheren Ereignisse bestimmt. Sie können uns zu Dingen treiben, die uns sinnvoll scheinen, uns aber nicht guttun. Die 67-jährige Susan zum Beispiel begann eine EMDR-Therapie, weil sie sich völlig überfordert fühlte. Sie konnte einfach nicht »Nein« sagen. Sie war hoch motiviert, das zu verändern, und hatte bereits angefangen, bestimmte Stressfaktoren und Verpflichtungen in ihrem Leben auszuschalten. Die größere Herausforderung war jedoch ihr Verhalten ihrer Tochter, ihrer Enkelin und ihrem Ehemann gegenüber. »Sie brauchen mich doch«, sagte sie. Ob es um finanzielle Unterstützung, Krisenintervention oder erste Hilfe ging, sie war einfach für zu viele Leute das Mädchen für alles, sodass sie sich selbst aus den Augen verlor und sich völlig ausgelaugt fühlte. Im Gespräch mit ihrer Therapeutin wurde ihr klar, dass sie sich diesen Menschen gegenüber anders verhalten musste, während sie ihnen zugleich aber liebevoll verbunden blieb. Doch das war leichter gesagt als getan. Auf Nachfragen ihrer Therapeutin sagte Susan, sie könne sich an kein traumatisches Erlebnis erinnern, das größere Folgen für sie gehabt hatte. »Ja nun, da war dieses Erlebnis mit meinem älteren Cousin, aber das kann nicht weiter wichtig sein, denn wenn ich daran denke wie jetzt, ist das wirklich keine große Sache. Solche Dinge passieren, und das Leben geht weiter.« Sie war leicht irritiert, als die Therapeutin ihr empfahl, dieses Erlebnis zu verarbeiten. »Das kommt mir wie Zeitverschwendung vor.« Trotzdem beschloss sie, einen Versuch zu machen, um zu sehen, ob dabei etwas herauskam. Das Erlebnis bestand darin, dass ihr Cousin, damals im Teenageralter, sie vergewaltigt hatte, als sie selbst acht Jahre alt war. Sie war überrascht über die Gefühle, die bei der Verarbeitung hochkamen – Schmerz, Ärger, Wut und das Gefühl, alleingelassen worden zu sein. Ihre verblüffendste Erkenntnis war, dass das Gefühl, dass ihr Gewalt angetan

wurde, mit dem Wunsch einherging, es ihrem Cousin recht zu machen. Sie hatte nicht gewollt, dass ihr Cousin auf sie wütend wurde, und er hatte gedroht, nie wieder mit ihr zu spielen, wenn sie nicht mitmachte. Am Anfang ihrer nächsten Sitzung erklärte Susan, sie wisse gar nicht genau, warum, könne aber jetzt mit großer Sicherheit sagen, dass sie niemals wieder zulassen würde, dass jemand sie ausnutze. Sie hatte in der Woche zuvor deutlicher denn je gesehen, wie ihre Familie und andere Menschen in ihrem Leben ihre Freundlichkeit missbrauchten, und war darüber alles andere als glücklich. Nach weiterer Verarbeitung gestaltete sich ihre Beziehung zu ihren Familienangehörigen viel befriedigender. Es fiel ihr jetzt leichter, »nein« zu sagen, ohne zu befürchten, dass die anderen sie ablehnten, wenn sie für ihre eigenen Bedürfnisse eintrat. Viele von uns haben ähnliche Schwierigkeiten. Sollten Sie auch dazugehören, könnte es hilfreich sein, sich die Gründe dafür einmal genauer anzuschauen. Sind hier unverarbeitete Erinnerungen im Spiel? Das andere Extrem ist Benjamin, der davor zurückschreckte, anderen zu helfen, vor allem in Krisensituationen. Ihn quälte das Gefühl, anders zu sein als die meisten Menschen, nicht so mitfühlend oder fürsorglich. In stressigen Situationen verhielt er sich seiner Meinung nach nicht »normal«. Durch die Float-Back-Technik kam er in Kontakt mit einem Erlebnis, bei dem er Zeuge eines Autounfalls geworden war, in den auch Freunde von ihm verwickelt waren. Er und einige Kumpane hatten den Zusammenstoß gesehen und liefen zur Unfallstelle, um zu helfen. Benjamin wollte einer Freundin helfen, die im Wagen saß, doch als er die Tür öffnete, fiel sie heraus und schlug mit dem Kopf auf den Asphalt. Sie erlangte nie wieder das Bewusstsein und starb wenige Tage später. Er machte sich Vorwürfe wegen ihres Todes, da er glaubte, dafür verantwortlich zu sein, dass sie auf den Kopf gefallen war.

Während der EMDR-Verarbeitung sagte er Dinge wie: »Mensch, das ist doch albern« oder »Ich kann nicht glauben, dass ich hier mitmache«, um schließlich zu dem Schluss zu gelangen: »Ok, ich hab’s kapiert: Es war nicht mein Fehler!« Kurz darauf zog er in eine andere Stadt. Ein paar Monate später schrieb er seinem Therapeuten eine E-Mail. Auf dem Flughafen war eine Frau, die vor ihm ging, hingefallen. Er schrieb, er habe seinen Koffer abgestellt und sei als Erster zu ihr hingeeilt, um ihr zu helfen. Erst ein paar Tage später habe ihm gedämmert, dass er sich in dieser Krisensituation ganz normal verhalten hatte. Statt zu reagieren wie bislang, war er um diese Frau besorgt und hatte sich so um sie gekümmert, wie es seiner Meinung nach jeder Mensch tun würde. Ihm war jetzt klar, dass er das aktive Helfen mit dem Tod seiner Freundin verbunden hatte. Da er diese Erinnerung nun aber verarbeitet hatte, reagierte er automatisch hilfsbereit, statt von der alten Erinnerung beherrscht zu sein. Weil diese ihn nicht länger steuerte, war er frei, seinen eigenen Weg einzuschlagen. Eigene Forschungen Bestimmte Befürchtungen oder Ängste können auf Erlebnisse zurückgehen, die mit körperlichen oder psychischen Schmerzen verbunden waren. Beides kann dazu führen, dass wir Symptome einer PTBS entwickeln, sei es eine ausgeprägte Phobie, diffuse Ängste oder ein negatives Selbstbild. Bei der Liste von negativen Kognitionen, die wir im vorigen Kapitel erforscht haben, lag die Betonung auf dem Gefühl: »Mit mir ist etwas verkehrt.« In diesem Abschnitt setzen wir uns mit den anderen beiden Kategorien auseinander, bei denen es um Fehlende Sicherheit und Keine Kontrolle / Macht geht. Fehlende Sicherheit / Verletzlichkeit

Wir haben uns bereits einige Beispiele angeschaut, bei denen es um Ängste und Befürchtungen ging. Wenn Sie wissen, dass Sie eine Phobie oder eine PTBS haben, werden Sie leicht herausfinden, welche der negativen Kognitionen (s. u.) auf Sie zutreffen. Wenn das für Sie nicht gilt oder Sie herausfinden möchten, ob Sie in diesem Bereich weitere wunde Punkte haben, schlagen Sie in Ihrem Notizbuch eine neue Seite auf und notieren als Überschrift »Fehlende Sicherheit«. Denken Sie daran, das entspannte Atmen oder das Bauchatmen anzuwenden oder Ihren sicheren / ruhigen Ort aufzusuchen, sollte das erforderlich werden. Schreiben Sie dann in Ihr Notizbuch die ersten Worte, die Ihnen in den Sinn kommen, um den folgenden Satz zu vervollständigen: Es ist nicht sicher … Jetzt lesen Sie die folgende Liste langsam durch und achten dabei auf Ihre Körperempfindungen. Schreiben Sie die negativen Kognitionen, die bei Ihnen auf Resonanz stoßen, in Ihr Notizbuch. Wenn Sie damit fertig sind, können Sie mithilfe der Float-Back-Technik, die Sie in Kapitel 4 gelernt haben, herausfinden, welche heutigen Erlebnisse und welche früheren Erinnerungen mit diesen negativen Überzeugungen verbunden sind und diese in die Liste mit Ihren Schlüsselerinnerungen schreiben. Fehlende Sicherheit / Verletzlichkeit Ich kann niemandem trauen. Ich bin in Gefahr. Es ist für mich nicht sicher zu … (Bitte selbst ergänzen und / oder aus der folgenden Liste wählen.) Es ist nicht sicher, Fehler zu machen. Es ist nicht sicher zu fühlen. Es ist nicht sicher, meine Emotionen zu zeigen.

Es ist nicht sicher, wenn ich nicht ständig aufpasse. Es ist nicht sicher, für mich einzutreten. Es ist nicht sicher, verletzlich zu sein. Es ist nicht sicher, von anderen abhängig zu sein. Es ist nicht sicher, wenn ich nicht alles in der Hand habe. Es ist nicht sicher, wenn ich nicht bekomme, was ich will und brauche. Es ist nicht sicher, anderen Menschen nahezukommen. Es ist nicht sicher zu lieben. Diese Gefühle gehen meistens auf unverarbeitete Erinnerungen zurück, die eine verborgene Quelle für viele Ihrer heutigen Reaktionen sind. Max zum Beispiel war ärgerlich auf einen Mitarbeiter, der nie seine Zusagen einhielt. Als er sein jüngstes Erlebnis mit der negativen Kognition »Das ist nicht sicher für mich / ich kann nicht vertrauen« verarbeitete, kam eine frühere Erinnerung hoch. Damals sollte Max als kleiner Junge vom Arzt eine Spritze bekommen. Dieser sagte ihm, es würde nicht wehtun, aber das stimmte nicht. Der Arzt hatte ihn angelogen. Nachdem er diese Erinnerung verarbeitet hatte, verschwand Max’ Ärger auf den Mitarbeiter. Dieser war eben einfach ein Mensch, bei dem man wissen musste, dass er auf Worte nicht immer Taten folgen ließ. Max’ Verhalten wurde nicht länger durch seine Vergangenheit bestimmt. Dass ein solches, viele Jahre zurückliegendes Erlebnis wie die geschilderte Begegnung mit dem Arzt Jahrzehnte später zur Grundlage für Probleme mit einem Arbeitskollegen wurde, ist ein weiteres Beispiel für das vielschichtige und weitreichende Netz unserer Erinnerungsverbindungen. Sollten Sie sich mithilfe der FloatBack-Technik auf die Suche nach den Erinnerungen machen, die Ihren heutigen Problemen zugrunde liegen, lassen Sie Ihre Gedanken am besten dorthin schweifen, wo sie hinschweifen müssen. Lassen Sie einfach geschehen, was geschehen will.

Keine Kontrolle / Macht Bei dieser Kategorie geht es um die Fähigkeit, positive Entscheidungen zu fällen und die Kontrolle zu übernehmen. Wenn Sie eine negative Kognition aus der vorigen Kategorie erfolgreich gelöscht haben, können Sie das Gefühl haben, dass entsprechende Personen oder Situationen Ihnen nicht mehr zu schaffen machen. Die Kategorie Keine Kontrolle / Macht konzentriert sich auf negative Emotionen, die besagen: »Es liegt nicht in meiner Macht oder ich habe nicht die Kraft zu bewältigen, womit das Leben mich konfrontiert« oder »Ich habe keine Kontrolle über mich oder mein Leben«. Hier geht es grundlegend um unsere eigene Macht und damit um das, was Psychologen »Kontrollüberzeugung« nennen. Das heißt, die Quelle von Macht befindet sich in uns und nicht außerhalb von uns. Wie bei den anderen beiden Kategorien von negativen Kognitionen liegt auch hier die Ursache für negative Emotionen und Überzeugungen bei unverarbeiteten Erinnerungen an Erlebnisse, die einem Menschen das Gefühl gegeben haben, dass ihm »etwas fehlt« und er in irgendeiner Weise unzulänglich ist. Judy zum Beispiel, eine 50-jährige Frau, kam beruflich und in ihren Beziehungen nicht zurecht. Sie hatte ständig das Gefühl, im Schatten ihres Mannes zu stehen, und war in seiner Gegenwart befangen. Obwohl sie sehr kreativ war, kam sie mit dem Schreiben beruflich nicht voran. Ein Problem war, dass sie bei den Menschen, zu denen sie eine gute Beziehung brauchte, um ihre Drehbücher zu produzieren, nicht die richtigen Worte fand, schüchtern und ihrer Meinung nach zu »langsam« war. Ihre Therapeutin hatte den Eindruck, dass sie sich eigentlich ständig schämte. Beim Erstgespräch über ihre Vorgeschichte wurde der Grund dafür deutlich. Ihr Vater, der ein ziemlicher Draufgänger gewesen war, hatte seine Kinder immer zu Wettkämpfen antreten lassen, die von Spielen bis zu

verschiedenen Sportarten reichten. Und als jüngstes von vier Geschwistern hatte Judy dabei meistens schlecht abgeschnitten. Das andere Extrem war David, der sich ständig zu Hochleistungen antrieb. Seine negative Kognition lautete: »Ich muss perfekt sein«, und der damit verbundene Stress sowie die vielen Arbeitsstunden, die er sich abverlangte, forderten körperlich einen Preis. David konnte sein Problem zu einer Schlüsselerinnerung zurückverfolgen, bei der er etwa zehn Jahre alt war. Sein Vater arbeitete täglich zwölf Stunden und war, wenn er nach Hause kam, meistens fix und fertig. Da auch er aufgrund seiner eigenen Erziehung so ackerte und ständig erschöpft war, verlor er schnell die Nerven. Eines Tages übte David für die Schule Rechtschreibung, und sein Vater kam ins Zimmer, um ihn abzufragen. Obwohl David die Antworten wusste, war er nervös und machte ständig Fehler, und sein Vater wurde immer frustrierter. Nach einer weiteren falschen Antwort schließlich schlug sein Vater mit der Faust so heftig gegen die Wand, dass sie durchbrach. Obwohl der Vater später darüber lachte, war dies für David ein entscheidender Moment. Er sagte: »Dieser Fausthieb hätte auch mich treffen können!« Nach dieser Erfahrung konnte er sich einfach nicht mehr gestatten zu versagen, ganz gleich, was er sich abverlangen musste. Wenn er nicht »alles gab«, wurde er ängstlich und nervös. Ganz gleich, ob Ihr Thema Hilflosigkeit ist oder das Gefühl, immer die Kontrolle behalten zu müssen, die Gründe dafür können Sie herausfinden, wenn Sie Ihre Erinnerungsnetzwerke erforschen. Überprüfen Sie als Erstes, welche negativen Kognitionen dieser Kategorie bei Ihnen wunde Punkte treffen. Fragen Sie sich dann, welche negativen Gefühle und Körperempfindungen mit diesen Überzeugungen verbunden sind. Die Aussage »Ich bin machtlos« zum Beispiel löst bei einem Vergewaltigungsopfer mit unverarbeiteten Erinnerungen negative Gefühle

aus – kann aber bei einem Menschen, der mithilfe eines Zwölf-SchritteProgramms gerade erfolgreich seine Sucht überwunden hat, positive Emotionen hervorrufen. Lesen Sie sich die Liste unten langsam durch und achten Sie dabei auf Ihre körperlichen Reaktionen. Halten Sie Ihre negativen Kognitionen in Ihrem Notizbuch unter der Überschrift »Keine Kontrolle / Macht« fest. Anschließend können Sie mithilfe der Float-BackTechnik herausfinden, mit welchen jüngsten Ereignissen und welchen früheren Erinnerungen diese Kognitionen verbunden sind und diese in Ihre Liste mit Schlüsselerinnerungen aufnehmen. Keine Kontrolle / Macht Ich habe keine Kontrolle. Ich bin machtlos (hilflos). Ich kann nicht bekommen, was ich will. Ich kann nicht für mich eintreten. Ich kann das nicht herauslassen. Ich kann mir nicht trauen. Ich bin ein Versager (werde versagen). Ich kann keinen Erfolg haben. Ich muss perfekt sein. Ich kann damit nicht umgehen. Wählen, eine Wahl zu haben Wie bereits gesagt, können Ängste und Befürchtungen Warnsignale sein, die uns darauf hinweisen, dass wir herausfinden müssen, ob eine Situation tatsächlich gefährlich ist, und wenn ja, was wir dagegen unternehmen müssen. Doch manchmal gehen diese Gefühle auch auf alte Themen zurück. Wenn Sie Ihr TICES-Tagebuch geführt haben, haben Sie eine ganze Reihe von Beispielen für Situationen vor Augen, die Ihnen Schwierigkeiten

bereiten. Da Sie jetzt auch Ihre negativen Kognitionen kennen und wissen, auf welche Erinnerungen sie zurückgehen, wissen Sie auch genauer, was Sie in Ihrem Leben steuert. Zur Überwindung von Phobien, PTBS und anderen starken Ängsten ist meistens therapeutische Unterstützung erforderlich. Bei anderen Themen können Ihnen Selbststeuerungstechniken helfen, schwierige Situationen leichter zu bewältigen und positive Gefühle zu verstärken. Den sicheren / ruhigen Ort erweitern Anhand Ihrer Liste mit aktuellen schwierigen Situationen und negativen Kognitionen finden Sie auch heraus, welche negativen Gefühle bei Ihnen häufiger hochkommen, und können Ihre Selbststeuerungstechniken gezielt ergänzen. Schauen Sie sich Ihre Liste an und überprüfen Sie, wie oft bestimmte negative Gefühle und Gedanken bei Ihnen hochkommen. Sie können dann, wenn Sie in Aufruhr geraten, nicht nur Ihren sicheren oder ruhigen Ort aufsuchen, sondern auch andere positive Gefühle und Emotionen dagegenhalten. Wenn Sie oft denken, »Ich bin nicht gut genug«, versuchen Sie sich Situationen zu vergegenwärtigen, in denen Ihnen zweifelsohne etwas gut gelungen ist. Wenn Ihnen ein entsprechendes Erlebnis einfällt, können Sie sich Ihren sicheren / ruhigen Ort vergegenwärtigen und die hier erlebten positiven Gefühle um weitere positive Schlüsselworte und Bilder ergänzen, die Sie sich bei Bedarf bewusst ins Gedächtnis rufen. Sollten Sie sich häufig »nicht liebenswert« fühlen, halten Sie Ausschau nach Zeiten, in denen Sie sich sicher fühlten – das heißt geborgen und so akzeptiert, wie Sie sind. Nutzen Sie diese Übung, um Ihre positiven Gefühle verfügbar zu machen, sobald Ihre negative Überzeugung ausgelöst wird.

Sollte es Ihnen schwerfallen, sich an positive Situationen zu erinnern, ist auch das für Sie ein wertvoller Hinweis. Manchmal ist das deswegen der Fall, weil wir in depressiver Stimmung sind. Wie die Forschung zeigt, können wir in depressivem Zustand nur schwer an Positives denken, weil unser Gehirn in diesem Fall nur Erinnerungen produziert, die ebenfalls mit deprimierenden Emotionen verbunden sind. Sollte das bei Ihnen der Fall sein oder Sie mithilfe Ihres sicheren / ruhigen Ortes und der anderen Techniken Ihre negativen Gefühle nicht überwinden können, ist es wahrscheinlich ratsam, besonders schmerzliche Erinnerungen mit therapeutischer Unterstützung zu verarbeiten. Richtlinien für die Wahl einer Therapeutin oder eines Therapeuten finden Sie in Anhang B. Wir tragen keine Verantwortung für die negativen Erfahrungen, die wir als Kinder gemacht haben. Als Erwachsene jedoch sind wir verantwortlich dafür, wie wir mit diesen Erlebnissen umgehen wollen. Wenn Sie an sich etwas ändern möchten, stellt sich die Frage, ob Sie das allein können oder dabei Unterstützung brauchen. Ich frage mich manchmal, wie die Welt aussähe, wenn wir alle in Familien aufgewachsen wären, die lieben und mit Kindern richtig umgehen können. Zwei meiner Kollegen haben einen wunderschönen Sohn namens Adam. Mit etwa drei Jahren rutschte Adam am tiefen Ende des Swimmingpools aus, fiel hinein und ging unter. Sein Vater sprang sofort hinterher, fischte ihn heraus und reichte ihn der Mutter, die am Beckenrand stand. Das war für alle Beteiligte ein ziemlich dramatisches Erlebnis. Die Mutter benutzte jedoch in dieser Situation eine der Selbststeuerungstechniken, die Sie bereits gelernt haben, um ihre Angst zu zügeln und sich auf Adam konzentrieren zu können. Sie zeigte ihm nicht, wie viel Angst sie um ihn gehabt hatte, sondern umarmte ihren Sohn, sagte mehrmals zu ihm: »Es ist vorbei, du bist jetzt in Sicherheit« und wies ihn

dabei an, langsam und tief durchzuatmen. An jenem Tag sprachen sie immer wieder über das beängstigende Erlebnis, und jedes Mal tröstete sie ihn und bat ihn, tief und langsam zu atmen. Ein halbes Jahr später, als sie ihren Sohn aus der Badewanne hob, schaute er ihr direkt in die Augen, schlang die Arme um sie und sagte: »Ich bin jetzt in Sicherheit« und »Ich habe dich lieb, Mami«. Dann fragte er sie, ob sie noch wisse, wie sie ihn aus dem Becken gehoben und getröstet habe. »Natürlich«, sagte sie, »klar doch«, und wie glücklich es sie mache zu hören, dass er sich sicher fühle und wisse, dass sie ihn lieb habe. Als Adam sechs Jahre alt war, machten seine Eltern und ich einen Spaziergang und hielten auf einem Spielplatz. Adam verschwand in einem Tunnel und kletterte dann ein Netz hoch. Nach einer Weile bemerkten wir, dass es schon spät war, und baten ihn herunterzukommen. Er machte auch Anstalten, nach unten zu klettern, bewegte sich aber ganz langsam und hielt immer wieder an. Da wir nicht wussten, was los war, riefen wir wieder nach ihm, aber er kletterte weiter ganz langsam und legte immer wieder Pausen ein. Plötzlich sahen wir, was da oben geschah. Ein Mädchen von etwa vier Jahren, dessen Mutter nirgendwo zu sehen war, war ganz weit nach oben geklettert, hatte jetzt aber Angst vor dem Abstieg. Adam kletterte dem Mädchen langsam voran, damit es ihm folgen konnte. Er ließ es nicht allein. Als sie schließlich beide auf dem Boden standen, schaute er ihm in die Augen, streichelte seinen Arm und sagte: »Es ist vorbei, du bist jetzt in Sicherheit.« Dann kam die Mutter des Mädchens angelaufen, und er konnte mit uns weiterziehen. Ich frage mich, wie die Welt aussehen würde, wenn wir eine ganze Generation von Adams hätten, Kinder, die mit liebevollen und verantwortungsbewussten Eltern aufgewachsen wären. Wache kleine Jungen und Mädchen voller Selbstvertrauen, die anderen freundlich helfen

würden, statt sie wegen ihrer Schwächen zu hänseln und ihre Bedürfnisse zu ignorieren. Viele von uns hatten keine Kindheit wie Adam. Doch die gute Nachricht lautet, dass es nie zu spät ist, für uns selbst gute Eltern zu sein und uns die richtige Unterstützung zu geben oder zu holen. Die Schmetterlingsumarmung Auch wenn eine EMDR-Therapie nur durch eine ausgebildete und zugelassene Therapeutin durchgeführt werden kann, können Sie einzelne Aspekte dieses Ansatzes nutzen, um sich selbst Gutes zu tun. Gänzlich verarbeiten können Sie Ihre Erinnerungen nicht immer, weil dafür gegebenenfalls sämtliche therapeutischen Verfahren von EMDR erforderlich sind. Sie können aber die bilaterale Stimulation ausprobieren (Taps), die sich bei schwächeren Ängsten als nützlich erweisen kann. Die Forschung geht davon aus, dass die abwechselnden Taps eine Entspannungsreaktion auslösen. Manchmal können dadurch jedoch auch schwierige innere Themen hochkommen. Es ist also wichtig, sich dabei gut zu beobachten. Wie bereits erwähnt, entstand die Schmetterlingsumarmung in Mexiko für die Gruppentherapie mit EMDR. Vielleicht haben Sie mit dieser Form der bilateralen Stimulation schon einmal die positiven Gefühle verstärken können, die Ihnen Ihr sicherer / ruhiger Ort vermittelt. Wenn Ihnen das gelungen ist, können Sie diese Technik auch bei Stress oder Ängsten anwenden. Wie beim sicheren / ruhigen Ort ist es jedoch auch hier wichtig, dass Sie sich dabei genau beobachten, um keine negativen Erinnerungen auszulösen. Wie Sie bereits wissen, stellen Ihre Erinnerungsnetzwerke ein vielschichtiges Gewebe von Verbindungen dar. Sie müssen Ihre Reaktionen überwachen, um keine Erinnerungen auszulösen, die Sie möglicherweise überfordern. Sollte das passieren, wenden Sie bitte eine der Selbststeuerungstechniken an, um wieder »herunterzufahren«. Suchen Sie

in diesem Fall den einfachen oder erweiterten sicheren / ruhigen Ort auf, benutzen Sie die Spiraltechnik oder machen Sie die Farbeimer-Übung, die Comic-Übung oder eine der Atemübungen. Experimentieren Sie mit den Taps, indem Sie als Erstes die Körperhaltung für die Schmetterlingsumarmung einnehmen und die Arme so über dem Brustkorb kreuzen, dass die linke Hand auf der rechten Schulter und die rechte Hand auf der linken Schulter liegt. Vergegenwärtigen Sie sich jetzt eine Situation, die bei Ihnen Angst mit einem SUD-Wert von etwa 3 auslöst. Wissen Sie, woher diese Angst stammt? Ist sie ein Anzeichnen für Schwierigkeiten, gegen die Sie etwas unternehmen müssen? Falls ja, haben Sie bereits entschieden, was Sie dagegen tun wollen? Wenn Sie das ebenfalls bejahen, können Sie sich jetzt der Angst direkt zuwenden. Vergegenwärtigen Sie sich innerlich ein Bild der beängstigenden Situation und achten Sie auf Ihre Gefühle, während Sie sich langsam etwa sechsmal abwechselnd leicht auf beide Schultern klopfen. Das ist ein Set. Nehmen Sie dann einen tiefen Atemzug. Wenn Sie sich jetzt besser fühlen, machen Sie fünf weitere Sets. Sollten Sie sich aber schlechter fühlen oder sollten negative Bilder hochkommen, hören Sie auf und wenden Ihre anderen Selbststeuerungstechniken an. Wenn Sie feststellen, dass die Schmetterlingsumarmung Ihnen guttut, können Sie versuchen, sich abwechselnd ebenso langsam und oft leicht auf beide Oberschenkel zu klopfen. Sollte auch das funktionieren, steht Ihnen für schwierige Situationen eine weitere Selbsthilfetechnik zur Verfügung. Beide Formen der bilateralen Stimulation können Ihnen bei Stress und geringfügigen Ängsten (bis zu einem SUD-Wert von 4) helfen. Beobachten Sie aber immer sorgfältig, ob die störenden Gefühle abnehmen oder sich verstärken. Unsere Erinnerungsnetzwerke sind manchmal unberechenbar. Was in einem Bereich gut funktioniert, klappt in einem anderen überhaupt

nicht. Doch diese Selbststeuerungstechniken helfen Ihnen grundsätzlich, Ihr Leben besser zu bewältigen. Die ständige Frage lautet, ob das ausreicht, oder ob Sie Ihre Ansprüche auf Erfüllung und Freude im Leben zu stark heruntergeschraubt haben.

7. Die Beziehung zwischen Körper, Geist und Gehirn Die körperlichen Auswirkungen von Stress und Trauma

Körperliche Probleme treten in ganz unterschiedlicher Form auf. Es gibt ein Gedicht, das mit den Zeilen beginnt: »Oh Körper, mein Körper, mein Freund und Gefährte. Der größte Verräter, den ich je kannte.« Das fasst die Gefühle in Worte, die viele von uns in Bezug auf ihren Körper haben. Ich kann nicht ohne ihn, kann ihn aber auch nicht kontrollieren. Ich möchte das eine, doch mein Körper tut das andere. Ich will aus großer Höhe ins Wasser springen, doch meine Knie zittern. Ich besuche eine Party, um neue Menschen kennenzulernen, beginne aber zu stammeln, sobald jemand ein Gespräch mit mir anfängt. Ich wünsche mir ein glückliches Leben, leide aber an Schmerzen, für die kein Arzt eine Erklärung findet. In diesem Kapitel wenden wir uns einer ganzen Reihe von körperlichen Beschwerden zu, unter denen Menschen leiden, und die wir oft gut behandeln können, wenn wir herausfinden, wann sie angefangen haben und was damals passierte. Zunächst einmal schauen wir uns Beschwerden an, die wir vielleicht für rein körperlich halten, die tatsächlich aber auf unverarbeitete Erinnerungen zurückgehen. Am Ende dieses Kapitels werden Sie wieder eigene Forschungen anstellen und eine Selbststeuerungstechnik lernen, die viele Menschen für die Schmerzbewältigung hilfreich finden.

Wenn Psychologen den Begriff »psychosomatisch« benutzen, meinen sie damit, dass die »Psyche« (der Geist) auf das »Soma« (den Körper) Auswirkungen hat. Viele Menschen glauben dann, sie würden sich ihre Schmerzen nur »einbilden«, was tatsächlich so nicht stimmt. Das Kontrollzentrum des Körpers ist das Gehirn. Körper, Geist und Gehirn befinden sich in einem ständigen Austausch. Manchmal stören körperliche Reaktionen unseren inneren Frieden. Wenn wir krank oder übermüdet sind, fühlen wir uns häufig niedergeschlagen. Und ebenso stimmt, dass unser innerer Zustand körperliche Auswirkungen hat. Viele Untersuchungen belegen, dass mentaler Stress Folgen für das Herz, die Atmung und das Immunsystem haben kann. Wenn wir im Folgenden einige Aspekte der Körper-Geist-Beziehung erforschen, sollten Sie im Hinterkopf behalten, dass die Art und Weise, wie Erinnerungen im Gehirn abgespeichert sind, direkte Auswirkungen auf unseren körperlichen und psychischen Zustand haben kann. Selbst wenn die Beschwerden rein körperlich bedingt zu sein scheinen und auf bestimmte Krankheiten oder eine Amputation zurückgehen, sind die dadurch ausgelösten Gefühle oft durch unverarbeitete Erinnerungen beeinflusst. Und umgekehrt können sich Symptome, die auf unverarbeitete Erinnerungen zurückgehen, als körperliche Beschwerden maskieren. Hör auf, das bringt mich um! Beginnen wir mit Carl, der an Beschwerden litt, die Tausenden von Menschen zu schaffen machen. Hier schildert er selbst, wie er sich in den letzten 30 Jahren gefühlt hat: »Die Symptome begannen, als ich etwa 13, 14 Jahre alt war. Ich weiß nicht mehr genau, wann mir zum ersten Mal schlecht wurde oder was damals passiert ist, aber ich leide an diesen Beschwerden jetzt schon seit

langer, langer Zeit. Wenn sie zuschlagen, werde ich benommen und zitterig. Ich schwitze stark, und mir wird so schwindelig, dass ich mich nicht mehr auf den Beinen halten kann und zu nichts mehr fähig bin. Und schließlich muss ich mich übergeben. Ich habe in meinem Leben schon viele Ärzte aufgesucht, die alle ihre Theorien zu meinen Beschwerden hatten, aber keiner konnte mir wirklich helfen. Ich musste mich, damit es mir besser ging, einfach nur ein paar Stunden hinlegen. Aufgrund eigener Recherchen weiß ich, dass viele körperliche Beschwerden mit den Symptomen verbunden sind, unter denen ich leide. Doch nichts, was die Ärzte mir verschrieben, half mir weiter. Auch als ich älter wurde, das College besuchte und heiratete, machten mir diese Symptome weiter zu schaffen und beherrschten mein Leben. Mir wurde schlecht beim Sport, bei Prüfungen, wenn ich öffentliche Vorträge halten musste, mich mit Frauen verabredete, ausgefragt wurde, Partys besuchte und so weiter. Dieses ›Monster‹ hatte mein Leben in seiner Gewalt, und ich konnte ihm nichts entgegensetzen. Die Krankheit hat meine Ehe und die Beziehung zu meinen Kindern sehr belastet bis zu dem Punkt, wo eine Scheidung der einzige Ausweg zu sein schien. Während die Kinder heranwuchsen und ihren Hobbys nachgingen (Sport, Musik und so weiter), störten meine Beschwerden unser Verhältnis. Ein paar Jahre lang beriet ich das Baseballteam, in dem mein Sohn mitspielte, musste aber damit aufhören, weil ich den Stress nicht aushielt. Noch nicht einmal seine Spiele konnte ich mir anschauen, weil mir dabei fast jedes Mal schlecht wurde. Eines Tages musste ich mit anhören, wie mein Sohn zu meiner Frau sagte: ›Ich wünsche mir einen neuen Vater‹, weil ich zu oft krank sei. Das traf mich sehr und mir wurde klar, dass ich der Sache jetzt wirklich auf den Grund gehen musste.«

Nachdem er 30 Jahre lang an diesen Symptomen gelitten hatte, fand Carl heraus, dass er eine Panikstörung hatte. Als er die Erinnerungen verarbeitete, auf die seine körperlichen Reaktionen zurückgingen, verschwanden seine Symptome. Diese Erlebnisse betrafen den Wechsel an eine neue Schule und den ständigen Druck, sportlich glänzen zu müssen, um dazuzugehören. Wenn ein Mensch zum ersten Mal eine Panikattacke bekommt, kann das traumatisch sein, weil ihm dabei stark übel wird oder er das Gefühl hat, sterben zu müssen. Wie wir im vorigen Kapitel gesehen haben, können sich diese Angstgefühle in vielen Kindheitserinnerungen verankern und durch aktuelle stressige Situationen wieder ausgelöst werden. Erschwerend kommt hinzu, dass das Gehirn bei Angst den Körper aktiviert, um ihn darauf vorzubereiten, der Bedrohung zu begegnen. Doch die vorherrschenden Gefühle sind Angst und Ohnmacht. Der Betroffene hat dann das Gefühl, seine körperlichen Reaktionen überhaupt nicht mehr steuern zu können. Herzrasen, Schwindel, Atemnot – die scheinbar völlig unbegründet sind – lösen Entsetzen aus, und auch der Gedanke »Das bringt mich um« kann sich in den Erinnerungsnetzwerken festsetzen. Wohin sollen Sie fliehen, wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihr eigener Körper Sie umbringt? Die Angst, diese unkontrollierten körperlichen Reaktionen könnten wieder zuschlagen, steigert den Stress noch, was wiederum die Körperreaktionen verstärkt, sodass ein Teufelskreis entsteht. Die körperlichen Empfindungen sind ganz real. Wenn Sie sich übergeben müssen und ohnmächtig werden, ist es sinnlos zu sagen: »Das bildest du dir nur ein.« Also suchen Menschen wie Carl oft jahrelang einen Arzt nach dem anderen auf, um Hilfe zu finden. Doch die Antwort liegt in der Beziehung zwischen Körper, Geist und Gehirn, und die Heilung besteht darin, dass der Betroffene sich den unbewussten Erinnerungen zuwendet, die seinen Reaktionen zugrunde liegen.

Viele Kindheitserlebnisse, die sich für den Betroffenen völlig unkontrollierbar anfühlen, können chronische Angstreaktionen verursachen. Aus der Forschung über Panikstörungen wissen wir zum Beispiel, dass über die Hälfte der Menschen, die an einer solchen Störung leiden, als Kinder oder Jugendliche irgendwann von den Eltern getrennt wurde – durch Tod, Scheidung oder aus anderen Gründen. Das kann schlimme Auswirkungen auf Kinder haben, weil sie sich in diesem Fall oftmals von den Eltern alleingelassen fühlen. Das Kind fragt sich dann: »Was habe ich falsch gemacht?« und findet immer irgendeine Erklärung. Wenn die Menschen, die es lieben und beschützen sollten, von ihm fortgehen, ist es ganz natürlich, dass es Angst hat und sich alleingelassen fühlt. Alle diese Gefühle können sich in den Erinnerungsnetzwerken verankern, und in bestimmten stressigen Situationen im späteren Leben werden diese unverarbeiteten Erinnerungen in Form von unkontrollierbaren körperlichen Reaktionen wieder ausgelöst. Atemlos In den vorigen Kapiteln haben wir uns angeschaut, wie lieblose elterliche Bindungsstile zur Quelle vieler späterer Probleme werden können. Das kann nicht nur emotionale, sondern auch körperliche Beschwerden zur Folge haben, die schon früh im Leben auftreten. Bei asthmakranken Kindern gehen die Beschwerden manchmal auf eine gestörte Bindung zur Mutter zurück. Die kleine Gianna war erst sieben Monate alt, als man bei ihr Asthma feststellte. Täglich litt sie an Atemnot, brauchte oft einen Notfallinhalator und weckte ihre Mutter mindestens viermal in der Woche nachts auf, weil sie nicht atmen konnte. Obwohl sie zwei verschiedene Medikamente einnahm, musste die Mutter mit ihr gelegentlich in die Notaufnahme fahren. Die Ärzte stuften die Gesamtgesundheit des Kindes auf einer Skala von A bis F bei D ein.

Die Mutter, Juanita, glaubte, Gianna habe Asthma, weil auch einige weitere Familienangehörige daran litten. Drei Neffen, eine Nichte und zwei Tanten hatten schweres Asthma. In der Familie ihres Mannes hatten sieben Cousins Asthma. Wir haben jedoch herausgefunden, dass Asthma in der Kindheit oft auftritt, wenn die Mutter großen Stress hat. Juanitas Vorgeschichte passte in dieses Muster. Sie stammte aus einer streng religiösen Familie und war schwanger geworden, bevor sie geheiratet hatte. Sie war darüber sehr deprimiert und verheimlichte die Schwangerschaft vor ihrer Familie. Sie erzählte ihren Familienangehörigen, sie habe »Herzschmerzen«. Als sie ihre Schwangerschaft nicht mehr verbergen konnte, reagierten ihre Angehörigen so aufgebracht, dass sie nicht zur Hochzeit kamen. Es machte Juanita sehr zu schaffen, dass sie ihre Eltern so enttäuschen musste. Sie war ständig in Angst und depressiv. Es brach ihr das Herz, dass ihre Familie sich von ihr abwandte und sie nicht unterstützte. Sie hatte eine schwierige Geburt, und das Baby musste schließlich mit Kaiserschnitt zur Welt gebracht werden. Man nahm Gianna ihrer Mutter sofort weg, und als sie Stunden später mit dem Kind nach Hause zurückkehrte, konnte sie es nicht stillen. Juanita sagte, als sie ihr Baby zum ersten Mal in den Armen gehalten habe, habe sie einfach nur Angst gehabt und überhaupt keine Liebe empfunden. Sie war nicht imstande, eine emotionale oder körperliche Beziehung zu Gianna herzustellen. Aufgrund von Schwierigkeiten mit ihrer Krankenversicherung entließ man sie vorzeitig aus dem Krankenhaus, und ihr Mann musste früher wieder arbeiten gehen, als sie es sich gewünscht hatte. In den drei Verarbeitungssitzungen fokussierte sie mehrere Erinnerungen wie den Schock darüber, schwanger zu sein, die Reaktion ihrer Familie, ihre Traurigkeit und Angst während der Schwangerschaft und der schwierigen

Entbindung, den Schmerz über die Trennung von ihrer Tochter gleich nach der Geburt und die Angst, die sie empfand, als sie das Baby zum ersten Mal in den Armen hielt. Anschließend visualisierte sie ein neues, angstfreies Geburtserlebnis und erfuhr, wie es sich anfühlte, in der Schwangerschaft voll freudiger Erwartung zu sein. Bei dieser Visualisierung weinte sie vor Freude. Als Nächstes stellte sie sich vor, wie Gianna ohne Kaiserschnitt zur Welt kam und Mutter und Tochter nach der Geburt vereint blieben, und auch dabei kamen ihr die Tränen. Und schließlich stellte sie sich vor, dass sie so lange im Krankenhaus bleiben konnte, wie sie es brauchte und wollte. Das alles ging wunderbar. Am Ende der Sitzung bat die Therapeutin Juanita, sich den restlichen Tag auszuruhen. Als sie in der nächsten Woche wiederkam, verkündete sie, sie fühle sich zu ihrer eigenen Überraschung ganz glücklich. Und dieses neue Wohlbefinden und das Gefühl von Liebe wirkten sich offenbar auch auf ihre Tochter aus. Giannas Asthma war verschwunden – sie zeigte weder tagsüber noch nachts die üblichen Symptome, keuchte nicht mehr beim Spielen und brauchte keine Medikamente mehr. Alles schien jetzt gut zu sein für Juanita und ihr Kind. Und das war auch ein Jahr später noch so. Geist, Gehirn und Körper Letzten Endes kann eine ganze Reihe von emotionalen und körperlichen Beschwerden auf unverarbeitete Erinnerungen zurückgehen. Wie wir in Kapitel 5 gesehen haben, können sie den Bindungsprozess stören, weil elterliche Gefühle von Liebe und Zuwendung blockiert sind und die Eltern sich körperlich wie betäubt und innerlich leer fühlen. Das andere Extrem sind heftige körperliche Reaktionen, zum Beispiel bei einer Panikstörung oder den mit Kindheitsasthma verbundenen Symptomen. Mit diesen ganz realen Empfindungen reagiert der Körper auf das Gefühl von Bedrohung.

Sie sind zusammen mit den unverarbeiteten Erinnerungen im Gehirn gespeichert und können durch aktuelle Erlebnisse wieder ausgelöst werden. Auch wenn diese intensiven Gefühle und körperlichen Beschwerden auf unverarbeitete Erinnerungen zurückgehen, sind sie keine »Einbildung« – schließlich übermittelt das Gehirn dem restlichen Körper Signale. Als Teil des Körpers ist unser Gehirn die Quelle für alle unsere körperlichen Empfindungen. Eine Panikstörung, Kindheitsasthma und weitere Beschwerden können körperliche Reaktionen auf die körperliche Realität sein, dass Erinnerungen nicht richtig abgespeichert wurden. Das sollten wir auf jeden Fall im Auge behalten, wenn die ärztliche Behandlung nicht anschlägt. Möglicherweise sind die Beschwerden nicht rein körperlicher Natur, und wir müssen sie anders behandeln. Es nimmt nicht viel Zeit in Anspruch herauszufinden, ob die eigentliche Ursache für entsprechende Symptome unverarbeitete Erinnerungen sind. Die Last der Vergangenheit Eine Teilnehmerin an einer meiner kontrollierten Studien, die ich 1989 veröffentlichte, erzählte mir, durch die Behandlung sei das würgende Gefühl verschwunden, an dem sie nach einer oralen Vergewaltigung ständig gelitten hatte. Kurz darauf suchte mich eine weitere Klientin auf, weil sie Angst vor dem Autofahren hatte. Sie hatte mehrere Unfälle gehabt, die wir in den Sitzungen als Zielerinnerungen verarbeiteten. In einer dieser Sitzungen berichtete Beth von einem unangenehmen Ziehen im Rücken, das plötzlich wieder verschwand. Hinterher erzählte sie mir, sie gehe wegen dieser Beschwerden einmal im Monat zur Krankengymnastik. Sie hatte diese Schmerzen bislang nie mit dem Autounfall vor vielen Jahren, bei dem sie körperliche Verletzungen erlitt, in Zusammenhang gebracht. Nach dieser Sitzung traten diese Beschwerden nie wieder auf, und Beth brauchte auch

keine Krankengymnastik mehr. Eine andere Klientin mit ständig gebückter Haltung richtete sich spontan auf, nachdem wir ihre Erinnerungen an Demütigungen in der Kindheit verarbeitet hatten. Diese Erfahrungen zeigen deutlich, dass die körperlichen Symptome dieser Frauen keine »Einbildung« waren. Sie waren in ihren Gehirnen verankert und hatten deswegen ganz reale und spürbare körperliche Folgen. Phantome vertreiben Bei bestimmten, unregelmäßig auftretenden Schmerzen und Beschwerden lässt sich manchmal schwer abklären, wann und warum sie angefangen haben, doch vor das größte Rätsel stellen uns Phantomschmerzen. Allein in den USA haben schätzungsweise 1,6 Millionen Menschen durch Autounfälle, Kriege oder Krankheiten Gliedmaßen verloren – in anderen entwickelten Ländern ist der Prozentsatz vergleichbar. Durch Landminen verlieren Tausende von Menschen weltweit Körperglieder, meistens trifft es Zivilisten und darunter vor allem Kinder. Etwa 80 Prozent von ihnen spüren die fehlenden Gliedmaße weiterhin, und über die Hälfte der Betroffenen berichtet von chronischen und oft heftigen Schmerzen. Es ist traurig zu sehen, wie viele Menschen unnötig leiden und an sich zweifeln, weil sie Schmerzen in einer Extremität wie Arm oder Bein haben, die gar nicht mehr vorhanden ist. Viele bekommen zu hören, dass sie sich diese Beschwerden nur einbilden, da sie diesen Körperteil nicht mehr haben und Schmerzmittel nicht wirken. Eine Zeitlang vermutete man, dass Phantomschmerzen auf geschädigte Nerven zurückgehen, also legten Chirurgen Teile der Wirbelsäule still oder entfernten auch den restlichen Teil der Gliedmaße, um einen »gesunden« Nerv zu finden. Auch das funktionierte nicht. Heute weiß man mehr über Phantomschmerzen. Die Wissenschaft führt diese Beschwerden darauf zurück, dass sich das Gehirn nach der Amputation umstrukturiert. In der EMDR-Therapie haben wir

entdeckt, dass Phantomschmerzen zu den körperlichen Reaktionen gehören können, die bei der unverarbeiteten Erinnerung an die Verletzung mit abgespeichert werden. Da diese Beschwerden die Empfindungen enthalten, die der Betroffene zur Zeit des Unfalls oder der ursprünglichen Verletzung hatte, erlebt jeder Mensch Phantomschmerzen anders. Wenn einem Menschen der Fuß zerquetscht oder der Arm abgerissen wird, erlebt er die damit verbundenen Schmerzen sowie noch weitere Schmerzen, die bei der medizinischen Behandlung auftreten. Jim zum Beispiel war als Soldat im Einsatz, als er bei einem Motorradunfall ein Bein verlor. Er litt unter klassischen Phantomschmerzen. Als dieser durchtrainierte, stoische Soldat gebeten wurde, seine verschiedenen Beschwerden zu schildern und auf einer ZehnPunkte-Skala die Intensität einzuschätzen, ergab sich folgendes Bild: Neben einem »Jucken« (3) und einem eingeschlafenen Beinen« (5) hatte er:

ständigen

»Kribbeln

wie

bei

❯ Dumpfe

Schmerzen – 6 ❯ Täglich einschießende Schmerzen – 8 ❯ Schmerzen,

die vom (Phantom)Fuß bis in den Oberschenkel ausstrahlten

–8 ❯ Heftige

Krämpfe – 9 ❯ Mindestens einmal in der Woche qualvolle, schneidende Schmerzen – 10 Stellen Sie sich vor, was es heißt, mit solchen Schmerzen leben zu müssen, ohne dass eine erfolgreiche Behandlung in Sicht ist. Als Jim eine EMDRTherapie anfing, erhoffte er sich davon keine Linderung seiner Schmerzen, sondern der anderen Symptome, die nach dem Unfall auftraten. Dazu gehörten eine schwere PTBS mit zwanghaften Gedanken, übertriebene Wachsamkeit (Jim war ständig auf der Hut vor Gefahren), Schwierigkeiten beim

Autofahren,

Depressionen,

Ängste,

Reizbarkeit,

Schwäche,

Schuldgefühle, anhaltende depressiv-ängstlich-reizbare Stimmungen und Schlafstörungen. Er sah pessimistisch in die Zukunft und fühlte sich unwohl in Gesellschaft, weil er glaubte, man hielte ihn für einen »Krüppel«. Da Jim bereits aus der Armee entlassen worden und wieder zuhause war, hatte er auf nur vier Therapiesitzungen Anspruch, in denen er jedoch ziemlich weit kam. Unter anderem verarbeitete er eine Erinnerung, bei der er, nachdem ihm fast das Bein abgerissen worden war, auf dem Boden saß und versuchte, die heftige Blutung zu stillen. Trotz der kurzen Behandlungsdauer lösten sich seine PTBS und seine Depressionen auf. Außerdem verschwanden sämtliche Schmerzempfindungen, außer einem Kribbeln der Stufe 2 bis 3, das er, wie er sagte, leicht ausblenden konnte. Jim fasste sein Gefühl von neu gewonnener Kraft mit den Worten zusammen: »Stahl ist biegsam und dehnbar, bricht aber nicht.« Er berichtete auch von einem spontanen inneren Bild, auf dem er sich zuversichtlich mit einer neuen Prothese laufen sah und sich »stark und kraftvoll« fühlte. Wie bei Jim lassen sich Phantomschmerzen in manchen Fällen sehr gut behandeln. Wir verarbeiten die Erinnerung an den Unfall, aktuelle Trigger und die Zukunftsängste der oder des Betroffenen. So einfach ist es jedoch nicht immer. So weiß ich von einem ziemlich verwickelten Fall aus Deutschland. Ein betrunkener Fahrer stieß mit Algers Motorrad zusammen. Dabei wurde Alger praktisch das Bein weggerissen, und er erlitt zahlreiche innere Verletzungen. Er hatte solche Schmerzen, dass die Ärzte ihn nach der Amputation seines Beines in ein künstliches Koma versetzten. Obwohl er verschiedene Reha-Programme absolvierte, schlug keines davon an, und er litt in den nächsten acht Jahren an heftigen Phantomschmerzen, die auf der genannten Skala fast immer bei 10 lagen. Als er eine weitere Reha machte, stieß er auf einen Psychiater, der ihn mit EMDR behandelte.

Alger brauchte neun Sitzungen, bis seine Schmerzen verschwanden. Außer der Erinnerung an den Motorradunfall musste er auch die Schuldgefühle und die Trauer verarbeiten, die er empfand, weil seine Frau, als sie von seinem Unfall erfuhr, eine Fehlgeburt erlitt. Dazu kam die Begegnung mit einem Priester, der ihn im Krankenhaus besucht und zu ihm gesagt hatte: »Gott sieht alles und wacht über uns alle.« Er wusste noch, dass ihn dieser Satz geärgert hatte. Trotzdem quälten ihn von da an Schuldgefühle, weil er dachte: »Ich habe es nicht verdient, dass Gott auch über mich wacht.« Am Ende dieser Sitzung war Alger klar, dass er nichts getan hatte, um Strafe zu verdienen, und dass er sich darauf konzentrieren musste, sich ein neues Leben aufzubauen. Nach einer Reihe weiterer Sitzungen, in denen er den Unfall selbst verarbeitete, verschwanden seine Schmerzen vollständig, und das blieb auch so, wie sein Therapeut anderthalb Jahre und dann noch einmal fünf Jahre später bestätigen konnte. Wir können festhalten, dass Jims und Algers Schmerzen, obwohl sie bis zu acht Jahre lang in ihren Gehirnen gespeichert blieben, nach der Verarbeitung der entsprechenden Erinnerungen verschwanden. Das sind keine Einzelfälle, wie Forscher aus vier verschiedenen Ländern in ihren Artikeln über die erfolgreiche Behandlung von Phantomschmerzen mithilfe von EMDR bestätigen. Auch wenn manchmal schwere Nervenschäden oder andere organische Verletzungen vorliegen, ist der Schmerz in vielen Fällen Teil der abgespeicherten Erinnerungen. Aus diesem Grund empfinden Menschen Phantomschmerzen. Ein weiteres Beispiel dafür sind Frauen, denen man die Brust amputiert hat. Solange die Erinnerung an die Operation unverarbeitet bleibt, haben sie dort, wo der Eingriff vorgenommen wurde, Phantomschmerzen, die im Laufe der Zeit nicht von selbst abklingen. Auch Menschen mit Brandwunden oder anderen Verletzungen leiden nach deren körperlicher Verheilung häufig weiterhin

unter Schmerzen. Hier kann es sein, dass die mit dem Trauma verbundenen Schmerzempfindungen in den Erinnerungsnetzwerken immer noch präsent sind. Sollten Sie davon betroffen sein, kann es sich lohnen herauszufinden, ob eine Verarbeitung der entsprechenden Erinnerungen Ihre Schmerzen lindert. Von Kopf bis Fuß Zu anderen unerklärlichen körperlichen Schmerzen gehören Kopfschmerzen, die ebenfalls eine Folge von unverarbeiteten Erinnerungen sein können. So berichtete zum Beispiel eine der Frauen, die ich wegen sexuellen Missbrauchs behandelte, dass die Kopfschmerzen, an denen sie jahrelang

täglich

gelitten

hatte,

nach

der

EMDR-Verarbeitung

verschwanden. Solche Berichte sind ziemlich häufig. Eine attraktive und erfolgreiche Reiseleiterin zum Beispiel bekam alle paar Wochen so heftige Migräne, dass sie zwei Tage lang das Bett hüten musste. Sie war bei einem Neurologen in Behandlung gewesen, hatte einen Gehirnscan vornehmen lassen und sämtliche Migränemittel ausprobiert, die es auf dem Markt gab, doch nichts half ihr wirklich. Der Therapeutin fiel auf, dass ihre Klientin bei der Arbeit sehr perfektionistisch war und immer alles 150-prozentig erledigen musste. Es zeigte sich, dass diese Frau vor jedem Migräneanfall das starke Gefühl hatte, Fehler gemacht zu haben. Daraufhin fokussierte sie Erinnerungen, die sie in Überzeugungen bestärkten wie: »Ich bin eine Enttäuschung« oder »Ich bin nicht gut genug«, und die Migräne verschwand. Ein weiterer Klient bekam seit seinem achten Lebensjahr jeden Sonntagabend Kopfschmerzen. Wie sich herausstellte, hatten sich damals seine Eltern getrennt, sodass er fortan die Wochenenden mit seinem Vater verbringen musste und Sonntagabend zur Mutter zurückkehrte. Bei der Verarbeitung der Trennung seiner Eltern wurde klar, dass die Kopfschmerzen ein Ausdruck der Spannungen war, die er zwischen den

beiden wahrgenommen hatte. Sollten Sie oder ein Ihnen nahestehender Mensch also unter Kopfschmerzen leiden, können Sie durch die Verarbeitung entsprechender Erlebnisse schnell herausfinden, ob die Schmerzen durch akuten Stress bedingt sind oder auf entsprechende Erinnerungen zurückgehen. Selbst wenn Ihre Beschwerden eindeutig auf körperlichen Ursachen beruhen, kann es ratsam sein zu überprüfen, warum Sie ständig Schmerzen haben. Ein letztes Beispiel sollte genügen, um zu zeigen, dass sich abgespeicherte Schmerzen in ganz unterschiedlicher Form äußern können. Eine 45-jährige Sozialarbeiterin hatte ein Jahr, bevor sie mit einer Therapie begann, einen Unfall, bei dem ihr Auto frontal mit einem anderen Wagen zusammenstieß. Trisha hatte Flashbacks, Gefühle von Hilflosigkeit, Albträume und zwanghafte Gedanken wie auch quälende Rücken- und Beinschmerzen, die sie völlig lahmlegten. Sie brauchte beim Gehen einen Rollator und zog das rechte Bein nach. Die Tatsache, dass ihr Mann bei dem Unfall ebenfalls verletzt worden war, verstärkten ihre Schuldgefühle und die Überzeugung, den Unfall verursacht zu haben. Als sie in der Therapiesitzung den Unfall anvisierte, sah sie die Scheinwerfer des anderen Wagens auf sich zukommen, woraufhin ihr rechter Fuß vorschnellte, um zu bremsen. Der Fuß blieb während der ganzen Verarbeitung in dieser Position, und Trisha begriff, dass sie alles in ihrer Macht Stehende getan hatte, um den Unfall zu verhindern. Diese Erkenntnis heilte sie nicht nur von ihrem Schmerz, sondern auch von dem Gefühl der Hilflosigkeit. Am Ende der Sitzung stand sie auf und verließ die Praxis ohne Rollator. Das ist ein weiteres Beispiel für Phantomschmerzen. Trisha hatte tatsächlich nicht richtig laufen können, weil die Schmerzen sie daran hinderten. Obwohl die eigentliche Ursache für die Schmerzen vorbei war, blieben diese in der unverarbeiteten Erinnerung an den Unfall gespeichert.

Wie Schmerzen, die nach einer Operation nicht verschwinden, sind auch Trishas Schmerzen ein Beispiel dafür, wie gespeicherte Erinnerungen sich körperlich äußern können. Ich fühle überhaupt nichts Wie wir gesehen haben, können die Empfindungen bei Erlebnissen, die in unseren Erinnerungsnetzwerken gespeichert sind, Schmerzen erzeugen. Sie können aber auch dafür verantwortlich sein, dass wir gar nichts empfinden, auch Gefühle nicht, die wir gern hätten. Das ist in der Sexualtherapie ziemlich häufig der Fall. Menschen lieben ihren Partner. Sie wollen sich ihm nahe fühlen und intim mit ihm sein, fühlen aber sexuell überhaupt nichts. Aus irgendeinem Grund sind sie blockiert. Bill zum Beispiel wurde an einen EMDR-Therapeuten überwiesen, weil er an Impotenz litt. Seine sexuellen Probleme ließen sich zurückverfolgen bis zur Scheidung seiner Eltern, bei der er sechs Jahre alt war. Damals hatte ihm seine Mutter vorgeworfen, er könne den Vater nicht ersetzen. Wie wir wissen, fühlen kleine Kinder sich schuldig für die Fehler ihrer Eltern. Und jetzt, wo Bill ein erwachsener Mann war, hatten eine Erkrankung seiner Mutter und ihr Umzug in ein Pflegeheim seine Schuldgefühle erneut ausgelöst. Und auch das Gefühl, sie zu enttäuschen, weil er ihren Worten zufolge »kein richtiger Mann« war. Seine »Impotenz« war ein körperlicher Ausdruck des Gefühls, für die Mutter nicht richtig da sein zu können. Bei der Verarbeitung veränderten sich diese Gefühle. Statt zu denken, »Ich bin unfähig«, war er jetzt überzeugt, »Ich bin gut, so wie ich bin«, und seine sexuellen Gefühle und seine Lebenskraft kehrten zurück. Während Bills Schwierigkeiten durch aktuelle Ereignisse ausgelöst wurden, gehen manche sexuellen Probleme tiefer und können sehr hartnäckig sein. Sandi machte mit 34 Jahren eine Gruppentherapie für

Frauen, die keine sexuelle Erregung verspüren und keinen Orgasmus bekommen. Sie war sehr verliebt in ihren Freund, aber sie konnte einfach nicht mit ihm schlafen. Als eine Frau in ihrer Gruppe sie fragte, wann sie das letzte Mal sexuelle Gefühle gehabt habe, war sie sehr aufgebracht und rief: »Noch nie!« Die Therapeutin schlug ihr daraufhin vor, Einzelsitzungen in EMDR zu nehmen, und mithilfe der Float-Back-Technik kam die Erinnerung an Sandis erstes sexuelles Erlebnis hoch. Sie war 15, als ihr damaliger Freund sie nach Hause brachte und ihre Lippen sich vor der Haustür zu einem ersten unschuldigen Kuss fanden. Sie erinnerte sich, dass sie dabei zum ersten Mal sexuell erregt war. In diesem Augenblick riss ihr Vater mit einer heftigen Bewegung die Tür auf und beschimpfte sie als »Nutte«. Sie verschloss sich sofort und hatte in den nächsten 20 Jahren überhaupt keine sexuellen Gefühle mehr. Nach der Verarbeitung lebten diese Empfindungen wieder auf und sie kam jetzt auch zum Höhepunkt. Die bislang verschlossene Tür zu ihren sexuellen Gefühlen stand wieder offen. Tausende von Menschen leiden an Symptomen, die als Gesundheitsprobleme oder körperliche Schwierigkeiten daherkommen. Manchmal lassen sich diese unschwer auf eine bestimmte Erinnerung zurückführen, wie im Fall von Sandi, wo etwas geschah, das ihre Unfähigkeit begründete, sexuelle Empfindungen zu erleben. Andere Fälle sind komplizierter, weil hier viele Faktoren zusammenspielen. Manche Beschwerden haben offenbar körperliche Ursachen. Der Betroffene hatte schon früher einmal mit diesen Beschwerden zu kämpfen, doch dann verschwanden sie wieder. Und jetzt, Jahre später, tauchen sie erneut auf. Medikamente und andere Schmerzbehandlungen schlagen nicht an, und die Ärzte sind sich sicher, dass dies lediglich ein Rückfall ist. Auch wenn das einleuchtend scheint, stimmt es möglicherweise nicht. Die meisten

Menschen, die eine EMDR-Therapie beginnen, sind nicht auf der Suche nach einer Behandlung für körperliche Schmerzen. Sie suchen Hilfe, weil sie seelisch leiden. Wie wir jedoch bereits wissen, sind unsere Erinnerungsnetzwerke komplexe Gebilde, was weitreichende Folgen haben kann. Aaron war 50 Jahre alt, als er in die Therapie kam, um sich mit seinen Erlebnissen vor vielen Jahren – er war Student und protestierte gegen den Vietnamkrieg – auseinanderzusetzen. Er hatte damals versucht, zwischen Studenten und Polizei zu schlichten, wurde jedoch in dem Chaos total zusammengeknüppelt. Es folgten lange Klinikaufenthalte und schmerzhafte Injektionen. Seine Beine waren taub, doch nach einer guten Reha erholte er sich wieder. Jetzt, 30 Jahre später, kehrte die Taubheit in den Beinen zurück. Seit anderthalb Jahren konnte er nur noch mit Rollator gehen, weil er überhaupt kein Gefühl mehr in den Beinen hatte. Die Ärzte diagnostizierten eine Neuropathie. Sie führten seine Symptome auf damals entstandene Nervenschäden zurück. Doch nicht diese Beschwerden brachten ihn in therapeutische Behandlung, sondern die Tatsache, dass ihn seit dem Einzug der US-Truppen in den Irak Flashbacks von seinen Erlebnissen als Protestler gegen den Vietnamkrieg quälten. Bei der Verarbeitung seiner Erinnerungen an den Zusammenstoß mit den Polizisten kamen weitere Assoziationen hoch. Er vertraute seinem Therapeuten Gedanken an, über die er bislang mit niemandem geredet hatte, weil er befürchtete, man könne ihn für verrückt halten. Er denke manchmal, so erzählte er, er habe schon einmal gelebt und sei damals in einem Konzentrationslager gestorben. Eine andere Erklärung hatte er nicht für die Erinnerungen, die ihn in Form von Flashbacks und Albträumen mit lebhaften und grausamen Details seines Sterbens in diesem Lager seit Jahren quälten. Er war dabei völlig ohnmächtig, konnte sich nicht bewegen

und gegen den Horror, der ihn umgab, nichts unternehmen. Als Therapeut und Klient eine dieser Erinnerungen an das Lager fokussierten, schnappte Aaron nach wenigen Sets von Augenbewegungen regelrecht nach Luft und rief aus: »Oh mein Gott, das bin ja gar nicht ich – das sind die Erinnerungen meines Onkels!« Er hatte beim Hören die Geschichten seines Onkels so lebhaft miterlebt und alles, was diesem passiert war, so deutlich gefühlt, gerochen, gespürt und gehört, dass er geglaubt hatte, es handele sich hier um eigene Erlebnisse. Das ist ein perfektes Beispiel für eine sogenannte »sekundäre Traumatisierung«, bei der Menschen nur durch das Mitanhören oder Mitansehen grausamer Erlebnisse eine voll ausgeprägte PTBS entwickeln. Das kommt häufig auch bei kleinen Kindern vor, die sich brutale Filme im Fernsehen anschauen, und weil es ihnen dabei innerlich schlecht geht, fühlt es sich an, als passierte ihnen selbst, was sie da sehen. Aaron war erst vier Jahre alt gewesen, als sein Onkel Hershel in den USA eintraf. Er hatte das Konzentrationslager überlebt, und nach seiner Befreiung durch die Russen wollten Aarons Eltern ihn unterstützen und luden ihn ein, bei ihnen zu leben. Sie mussten in der kleinen Wohnung eng zusammenrücken, und Hershel schlief bei Aaron im Zimmer. Um seinen Neffen zu beschützen und zu verhindern, dass die Geschichte sich wiederholte, um dafür zu sorgen, dass er nicht vergaß, was Menschen sich antun können, erzählte sein Onkel von vielen entsetzlichen Erlebnissen aus seiner Zeit im Lager. Selbst unter diesen Erfahrungen leidend, berichtete er wieder und wieder von den täglichen Kämpfen, der Angst und den plötzlich Todesfällen. Aaron hatte diese Schilderungen als eigene Erlebnisse verinnerlicht. Als er diese Erinnerungen Jahre später verarbeitete, wurde ihm klar, wie sie mit seinen eigenen Lebenserfahrungen zusammenhingen. Er verstand seine Neuropathie jetzt als Symbol für seine Ohnmacht und das Gefühl, in dieser

Welt nichts bewirken zu können. Er hatte diese Überzeugungen von seinem Onkel übernommen und begriff allmählich, dass sie für sein Leben nicht ebenfalls prägend sein mussten. Er konnte auch sehen, dass die Hilflosigkeit, die er empfunden hatte, als er beim Protestieren gegen den Einmarsch in Vietnam zusammengeschlagen wurde, durch die Invasion des Irak neu ausgelöst wurde. Und mit den Erinnerungen an diese Schläge kehrte auch die Neuropathie zurück, an der er damals gelitten hatte. Darüber hinaus hingen alle diese Erfahrungen auch mit den Erzählungen des Onkels und dessen Ohnmacht im Konzentrationslager zusammen. Im Laufe eines Jahres fokussierte Aaron mithilfe seines Therapeuten die Erinnerungen an die Ära des Vietnamkriegs, die Erzählungen seines Onkels über dessen Erfahrungen im Konzentrationslager und die schwierige Beziehung zu seinen Eltern. Nachdem er die entsprechenden Erinnerungen verarbeitet hatte, brauchte er nur noch einen Stock zum Gehen, und bei seiner letzten Sitzung kam er ohne jede Gehhilfe aus. Befreit von den Erinnerungen, die ihn zum Krüppel gemacht hatten, konnte er auf das Leben wieder zugehen. Tatsächlich können wir viele Dinge im Leben verinnerlichen, die wir gar nicht selbst erlebt haben. Sollten Sie an rätselhaften körperlichen Beschwerden leiden, kann es durchaus sein, dass diese Schmerzen in den Erinnerungsnetzwerken Ihres Gehirns gespeichert und nicht rein körperlicher Natur sind. Die Phantomschmerzen oder die Taubheit sind absolut real. Sie können auf den in unseren Erinnerungsnetzwerken gespeicherten körperlichen Reaktionen beruhen, doch wir spüren zwischen diesen früheren Empfindungen und unseren aktuellen körperlichen Beschwerden keinen Unterschied. Wenn jemand mit einer Nadel in Ihre betäubte Hand piekt, spüren Sie das nicht, ganz gleich, ob hier tatsächlich eine Neuropathie mit geschädigten Nerven vorliegt oder die Empfindungslosigkeit auf unverarbeitete Erinnerungen

zurückgeht. Sollten auch Sie an mysteriösen körperlichen Beschwerden leiden, kann es sich lohnen, diese Spur einmal zu verfolgen. Der gesprungene Spiegel Im vorigen Abschnitt haben wir uns mit körperlichen Symptomen auseinandergesetzt, die auf unsere Erinnerungsnetzwerke zurückgehen. Es gibt jedoch noch eine ganze Reihe weiterer körperlicher Themen, die Menschen bewegen können, eine Therapie anzufangen. Die meisten von uns möchten hin und wieder etwas an sich verändern, doch für manche Menschen ist die eigene äußere Erscheinung höchst problematisch. Sie finden bestimmte Körperteile entstellt oder hässlich. Manchmal wird bei ihnen eine Schizophrenie oder eine Paranoia diagnostiziert, weil ihre Sicht eindeutig verzerrt ist. Außenstehende finden körperlich nichts an ihnen verkehrt, doch der Betroffene selbst hält hartnäckig daran fest. Die möglichen Folgen reichen von sozialer Isolierung bis zu unnötigen Operationen und Selbstmordversuchen. Stephanie zum Beispiel konnte zwei Jahre nicht zur Arbeit gehen, weil sie überzeugt war, dass ihre Mitarbeiter sie verachteten. Da sie stark schwitzte, glaubte sie, unangenehm zu riechen, obwohl sie zweimal täglich duschte, häufig die Unterwäsche wechselte und einen großen Verbrauch an Körperpuder und Deodorants hatte. Sie konnte die Gegenwart anderer Menschen nicht ertragen, weil sie sicher war, dass die anderen über sie redeten. Sie war in den letzten 15 Jahren wegen Selbstmordgedanken mehrmals in der Klinik gewesen und nahm drei verschiedene Medikamente. Als sie eines Tages an ihrem Arbeitsplatz ein Deospray vorfand, brachte das für sie das Fass zum Überlaufen. Sie glaubte, das Spray sei eine Anspielung auf ihren Körpergeruch und schämte sich so sehr, dass sie zuhause eine Überdosis Schlaftabletten nahm und wieder in die Klinik musste. In der

EMDR-Therapie fiel ihr ein, wann diese Probleme angefangen hatten. Damals war sie zwölf Jahre alt gewesen und hatte Lebensmittel in die Schule mitgebracht, da sie an diesem Freitag Kochunterricht hatte. Leider musste der Unterricht ausfallen. Als sie am Montag in die Schule kam, wollte sie eine Tasche aus ihrem Schließfach nehmen, von der sie dachte, sie beinhalte ihr Turnzeug. Doch als sie die Tasche öffnete, entstieg ihr der durchdringende Gestank von verwesendem Fisch, den sie nach dem ausgefallenen Kochunterricht über das Wochenende hier vergessen hatte. Ihre Mitschülerinnen hänselten sie und sagten, sie habe wohl vergessen, ihre Unterwäsche zu wechseln. Sie musste zur Direktorin, die ihr eine Strafpredigt über mangelnde Hygiene hielt. In Tränen aufgelöst rannte sie nach Hause und konnte eine Woche lang nicht in die Schule gehen. Ein paar Jahre später sagte ihr ein Arzt, sie habe Schweißdrüsen wie ein Mann. Stephanie hatte 30 Jahre an ihren inneren Überzeugungen gelitten, weil diese Erlebnisse unverarbeitet waren. Nach drei Verarbeitungssitzungen verschwanden ihre Symptome und traten, wie bei einer Folgeuntersuchung fünf Jahre später festgestellt wurde, auch nicht wieder auf. Für Stephanie – wie für viele von uns auch – war die Ursache für die Symptome nicht ein »schweres Trauma«, wie eine Naturkatastrophe oder ein Gewaltakt, sondern die Symptome gingen auf Demütigungen zurück, die manche von uns in diesem empfindsamen Alter erleben. Viele von uns sind in der Pubertät sehr verletzlich, und bestimmte Hänseleien in dieser Zeit können lebenslange Narben hinterlassen. Stephanie brauchte drei Sitzungen, doch erst in der letzten Sitzung erinnerte sie sich an das entscheidende Erlebnis. Anfangs hatten Stephanie und ihre Therapeutin sich jüngeren Situationen zugewandt, in denen sie geglaubt hatte, dass Menschen sich wegen ihres Körpergeruchs vor ihr ekelten. Doch unsere Erinnerungsnetzwerke sind alle miteinander verbunden. Wenn Sie sich

nicht erinnern können, welche früheren Situationen Ihre Schwierigkeiten möglicherweise verursacht haben, kann es sich lohnen, danach zu forschen. Vielleicht ist das der Schlüssel zur Befreiung von Ihren Symptomen. Ähnliche Erinnerungen können auch zur Grundlage von Essstörungen werden. Die Betroffenen finden sich meistens zu dick, obwohl alle anderen Menschen klar sehen können, dass sie immer mehr abnehmen. Wir wissen von vielen Menschen, die nichts essen können, weil sie in ihrer Pubertät lieblose Kommentare über ihre äußere Erscheinung von ihnen nahestehenden Menschen gehört haben. Manche schlucken auch die Gefühle herunter, die sie als Kinder in Situationen hatten, in denen es Schwierigkeiten mit dem Essen gab. Auch wenn eine EMDR-Therapie kein Heilmittel für alles ist, kann sie vielen dieser Menschen helfen, die Kontrolle über ihren Körper zurückzugewinnen, indem sie Erinnerungen an Erlebnisse verarbeiten, die ein gesundes Essverhalten blockieren. Menschen haben viele negative Überzeugungen oder Befürchtungen in Bezug auf das eigene Erscheinungsbild, die für andere gar nicht nachvollziehbar sind. Männer zum Beispiel kann es extrem verunsichern, wenn ihre Haare dünner werden. Manche von ihnen verbringen dann Stunden vor dem Spiegel, um kahle Stellen zu kaschieren. Andere sind zwanghaft mit ihrer Glatze beschäftigt. Das können Anzeichen dafür sein, dass das Selbstbild der Betroffenen auf unverarbeitete Erinnerungen zurückgeht. Manchmal sind die Erinnerungen an entsprechende Beleidigungen ganz deutlich. Oft gehen sie aber auch auf harmlose Bemerkungen von Freunden zurück. Marla zum Beispiel litt 24 Jahre, weil sie glaubte, hässlich behaart zu sein. Eine Tante hatte eine abfällige Bemerkung über Marlas Achselhaare gemacht, als diese ein Teenager war. Das machte ihr so zu schaffen, dass sie schließlich nicht mehr aus dem Haus gehen konnte, ohne sich vorher jedes sichtbare Haar am Körper

auszureißen. Zu diesem Zweck verbrachte sie täglich viele Stunden vor dem Spiegel. Nach drei Verarbeitungssitzungen löste sich diese Überzeugung auf. Sie konnte jetzt mit ihrer Tochter schwimmen gehen und dabei voller Freude zum ersten Mal in ihrem Leben einen Bikini tragen. Wie bereits gesagt, braucht es nicht lange, um herauszufinden, ob Ihre Schwierigkeiten auf unverarbeitete Erinnerungen zurückgehen. Ich weiß, dass mit mir etwas nicht stimmt, oder? Viele Menschen glauben, dass körperlich mit ihnen etwas nicht stimmt, und grübeln ständig darüber nach, was sie haben könnten. Wenn Freunde und Familienangehörige sie als Hypochonder abstempeln und ihnen diese Ängste ausreden wollen, rennen sie meistens gegen eine Wand. Manchmal können diese Befürchtungen in realen Krankheiten und Verlusten wurzeln. Menschen zum Beispiel, die tatsächlich einmal krebskrank waren oder eine nahestehende Person wegen Krebs verloren haben, können übertriebene Ängste vor jeder Krankheit entwickeln und jedes Husten als Anzeichen für Lungenkrebs deuten. Manchmal gehen diese Probleme auf Erlebnisse zurück, welche die Betroffenen bislang gar nicht problematisch fanden. Doch wie auch immer die Gründe aussehen mögen, es ist wichtig, sich diesen Ängsten und Befürchtungen zu stellen, denn sie machen uns nicht nur das Leben schwer, sondern die ständige Anspannung kann sich auch negativ auf unser körperliches Wohlbefinden auswirken. Mach, dass das weggeht Jamie kam in die Therapie, weil sie eine Krebserkrankung hinter sich hatte. Bereits zwei Jahre vor der Diagnose, so erzählte sie, habe sie den wachsenden, aber unbestätigten Verdacht gehegt, Brustkrebs zu haben. Die Ärzte hatten ihre Vermutung als »irrational« beiseitegeschoben und ihr Tabletten gegen ihre Ängste verschrieben. Trotz ihrer Selbstuntersuchung

und jährlichen Mammografien entdeckte man ihren Krebs erst in einem ziemlich fortgeschrittenen Stadium. Glücklicherweise war die Behandlung erfolgreich. Doch obwohl ihre Tumormarker jetzt normale Werte zeigten, blieb die große Erleichterung aus. Stattdessen verspürte sie eine ständig lauernde Panik, weil sie zu »wissen« glaubte, dass sie »sterben musste«. Als sie im Bus die Plakate einer Kampagne gegen Brustkrebs sah, auf denen stand: »Früherkennung kann Leben retten«, erreichten diese Ängste einen Höhepunkt, und Jamie fühlte sich hoffnungslos und frustriert. Selbst wenn der Krebs nie wieder zurückkehren würde, sagte sie, würde sie doch diese Angst nicht mehr verlieren. Sie wusste nicht, wie sie jetzt, wo sie überlebt hatte, leben sollte. Ihre Angst vor Krebs nahm ständig zu. Als sie mit ihrer Therapeutin zusammen den aktuellen Auslöser, nämlich die Plakate im Bus, fokussierte, fiel ihr mithilfe der Float-Back-Technik der Augenblick ein, wo sie ihre Diagnose erhalten hatte. Auch damals hatte sie diese Panik gepackt, sterben zu müssen. Das erleben Krebspatienten häufig. Der Schock der Diagnose wird oft noch verstärkt durch entsprechende Aussagen – oder das Schweigen – des Arztes. Nach ihrer ersten EMDRVerarbeitungssitzung sank Jamies SUD-Wert von 8 auf 1. Eine Woche später empfand Jamie beim Anblick der Plakate im Bus keine Panik mehr davor, sterben zu müssen. Bei der Überprüfung der Erinnerung lag der SUD-Wert bei 1, und Jamie verband damit keine Emotionen mehr, nahm aber ein unangenehmes Brennen in ihrem Brustkorb wahr. Als sie diese Empfindungen anvisierte, fielen ihr die brennenden Schmerzen in der amputierten Brust ein, die sie ebenfalls verarbeitete. Die damit zusammenhängenden Themen, die sie als Nächstes fokussierte, waren Fantasien über die Operation, bei der man ihr die Brust abgenommen hatte, und der Augenblick, als sie die entzündete Narbe zum ersten Mal im Spiegel gesehen hatte. Dabei nahm das Brennen wieder zu, floss durch

ihren Arm, Brustkorb, Nacken und Kopf und löste sich dann vollständig auf. Nach dieser Sitzung hatte sie nie wieder Phantomschmerzen. Ihre positive Kognition lautet: »Ich bin ganz schön zäh. So beängstigend das alles war, ich wusste, ich habe die Kraft, das zu bewältigen, und jetzt habe ich es geschafft.« All das fühlte sich vollkommen richtig an. Jamie liefen bei diesen Worten Tränen der Erleichterung über die Wangen, und sie rief aus: »Vor zehn Jahren hätte ich mir noch nicht einmal vorstellen können, jemals eine so gute Meinung von mir zu haben!« In der nächsten Sitzung erkannte Jamie, dass sie geglaubt hatte, an der Krebserkrankung selbst schuld zu sein. Sie erinnerte sich an viele Kindheitserlebnisse, die ihr unverändert im Gedächtnis geblieben und mit der negativen Überzeugung verbunden waren: »Das ist alles meine Schuld.« Auch dieses Thema konnte sie in nur zwei Sitzungen auf- und verarbeiten. Am Ende der Therapie war sie fest davon überzeugt: »Ich habe nichts falsch gemacht. Das alles ist eben passiert.« Sie hatte jetzt das lebhafte Gefühl: »Ich habe viel zu geben.« Auch sieben Jahre nach ihrer Diagnose zeigen die Untersuchungsergebnisse, dass sie keinen Krebs mehr hat. Wenn sie zur jährlichen Mammografie geht, hat sie keinerlei Ängste mehr. Jamie hat nicht nur die Panik vor einer Neuerkrankung überwunden, sondern hat inzwischen auch viel mehr Vertrauen in ihren Körper, ihre Intuition und ihre Kraft, dem Leben standhalten zu können, was immer es bringen mag. Diese Resultate sind in mehrfacher Hinsicht äußerst bemerkenswert. Zum einen können wir das Leben nicht genießen, wenn uns die Angst vor dem Tod ständig im Nacken sitzt. Menschen, die an Krebs erkrankt waren, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall hatten, haben die Wahl, sich dem Leben wieder zuzuwenden oder im ständigen Schatten des Todes zu leben. Geist und Körper sind nicht getrennt. Der ständige Gefühlsaufruhr vergällt uns

nicht nur die Gegenwart, sondern kann auch negative Folgen für unsere körperliche Gesundheit haben. Die Forschung zeigt deutlich, dass durch Depressionen und Trauma-Symptome bei Menschen, die einen Herzinfarkt erlitten haben, die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Krankheit zurückkehrt oder sie sterben. Zum Glück hat eine neue Untersuchung erwiesen, dass von einem Herzinfarkt betroffene Personen die damit verbundenen psychischen Belastungen in nur acht Sitzungen EMDR-Therapie verarbeiten können. Eine weitere Studie zeigt, dass Kinder, die nach einem Hurrikan über drei Jahre an einer PTBS litten, nach ihrer EMDR-Therapie seltener einen Arzt aufsuchen mussten als zuvor. Wenn Sie Ihre Depressionen oder Ängste mit den Selbststeuerungstechniken in diesem Buch nicht bewältigen können, sollten Sie in Erwägung ziehen, mögliche traumatische Erlebnisse mit therapeutischer Unterstützung zu verarbeiten. Und es geht hier eindeutig um Traumata. Wenn wir unserem Körper nicht mehr vertrauen können oder keinerlei Kontrolle mehr über ihn haben, ist es an der Zeit, etwas dagegen zu unternehmen. Ob richtig oder falsch Wenn wir auf unseren Körper fixiert sind und uns übertriebene Sorgen um ihn machen, ist das meistens deswegen der Fall, weil unverarbeitete Erinnerungen uns steuern. Doch manchmal können in unseren unverarbeiteten Erinnerungen statt Ängsten oder Schuldgefühlen auch Gefühle von Erleichterung verankert sein. Pam war 42 Jahre alt, als sie nach jahrelanger Krankheit und mehreren Unfällen in Therapie kam. Sie litt an chronischen Schmerzen und klagte, sie fühle sich überhaupt nicht lebendig. Im Alter von zehn Jahren war sie an einer partiellen Lähmung erkrankt. Die Ärzte konnten keine Ursache dafür finden und teilten Pams Eltern mit, sie hielten die Symptome für psychosomatisch. Auf dem Rückweg von diesem Arztbesuch versuchten

die Eltern, Pam diese Krankheit »auszureden«. Doch auch in der folgenden Nacht schrie das Kind vor Schmerzen. Wie sich herausstellte, hatten die Ärzte sich geirrt. Am nächsten Morgen brachten Pams Eltern das Kind ins Krankenhaus. Neue Untersuchungen machten eine Notoperation erforderlich. Als Pam aus der Narkose erwachte, erzählte ihr die Mutter, man habe ihr einen Krebstumor aus dem Gehirn operiert. Die Zehnjährige war glücklich zu hören, dass sie Krebs hatte, weil ihre Familie ihr jetzt endlich glaubte. Aufgrund dieser Erfahrung meinte sie: »Ich muss wirklich krank sein, damit ich akzeptiert werde.« Solche Erlebnisse können Menschen das Gefühl geben, dass sie nur dann Aufmerksamkeit oder Zuwendung von anderen bekommen, wenn sie krank sind. Für manche heißt krank sein auch, sich nicht mehr ständig um andere kümmern zu müssen oder endlich »nein« sagen zu können. Meistens sind unverarbeitete Erinnerungen die Ursache für solche Schwierigkeiten. Manchmal bringen uns Menschen in Schwierigkeiten, denen wir nur einmal begegnet sind, die wir nie wiedersehen werden und die überhaupt nicht wissen, was sie angerichtet haben. Vielleicht wären sie entsetzt, wenn sie erführen, in welches Dilemma sie uns gestürzt haben. Die 19-jährige Rita zum Beispiel hatte gerade mit dem College angefangen und wollte demnächst für ein Gastsemester nach Brasilien gehen. Ihre Mutter bestand darauf, dass sie vor dieser Reise eine EMDR-Therapie machte, weil Rita so viele Ängste und Befürchtungen hatte. Sie war eigentlich gesund, geriet aber außer sich, wenn sie auch nur eine Erkältung oder andere kleine Beschwerden bekam, und suchte dann ständig Trost bei der Mutter. Deswegen wollte die Mutter sichergehen, dass ihre Tochter wohlauf war, wenn sie das Land verließ. Durch die Float-Back-Technik kam zutage, dass Rita im Alter von acht Jahren in die Notaufnahme gekommen war, weil ein Hund sie gebissen hatte. Während die Ärzte die Wunde versorgten, sagten

sie im Scherz, Rita könne wohl an dem Biss sterben. Auch wenn sie sich heute klarmachen konnte, dass das ein Witz gewesen war, hatte sie dieses Erlebnis in ihren Erinnerungsnetzwerken fest abgespeichert und befürchtete seitdem, beim kleinsten Zipperlein zu sterben. Natürlich gibt es auch Fälle, wo eine eindeutige körperliche Krankheit vorliegt, gegen die eine EMDR-Therapie nichts ausrichten kann. Tausende von Kindern leiden zum Beispiel an einer Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und nehmen Medikamente. Wenn die Diagnose wirklich zutrifft, liegt ein klarer neurologischer Befund vor, und EMDR kann hier nicht weiterhelfen. Viele Symptome einer ADHS gleichen jedoch jenen, die Kinder nach einer verstörenden oder traumatischen Erfahrung entwickeln können. Bradleys Mutter dachte zum Beispiel, ihr Sohn leide an einer Kopfverletzung, weil er, bevor seine Symptome auftraten, auf dem Spielplatz hingefallen war und anschließend mit Bettnässen und Schlafwandeln anfing. Im Folgenden schildert sie weitere Veränderungen, die ihr an ihm auffielen: »Im Verlauf der nächsten Wochen verschlechterte sich sein Zustand. Bradley, normalerweise ein glücklicher, kontaktfreudiger und kluger Junge, war jetzt missmutig, ängstlich und geriet leicht in Wut. Er wollte nicht mehr allein im Zimmer sein und noch nicht einmal allein baden. Er hatte im Schulunterricht immer gut und konzentriert mitgearbeitet, jetzt aber war er schnell abgelenkt, zappelte auf seinem Stuhl herum und konnte sich nicht auf die einfachste Aufgabe konzentrieren. Er brach schnell in Tränen aus und wurde bedrängt von negativen Gedanken. Er erzählte mir ständig, er bekäme ›diese schlimmen Gedanken nicht aus dem Kopf‹. Auch log er jetzt gelegentlich, und seine Hände zitterten fast ständig. Mehrere Freundinnen fragten mich, was denn mit meinem Sohn los sei. Selbst seinem Schwimmlehrer fiel auf, dass Bradley im Unterricht und bei den

anschließenden Treffen überhaupt nicht mehr bei der Sache war. Im Wettschwimmen wurde er deutlich schlechter und wirkte befangen und unbeholfen – als hätte er das Schwimmen verlernt.« Wie sich schließlich herausstellte, war der sechsjährige Bradley traumatisiert worden, als er den Film Predator anschaute, der erst ab 16 Jahren freigegeben ist. Dass er kurz darauf stürzte, war lediglich ein Zufall. Als er die Erinnerungen an den Film verarbeitet hatte, verschwanden seine Symptome. Viele dieser Verhaltensweisen finden wir auch bei Kindern mit ADHS. Offensichtlich werden viele Kinder mit diesen Symptomen fehldiagnostiziert, das heißt, Zerstreutheit, Verhaltensauffälligkeiten, Reizbarkeit und eine kurze Aufmerksamkeitsspanne können auch eine Folge von unverarbeiteten Erinnerungen sein. Sollte ein Kind in Ihrer Umgebung an diesen Symptomen leiden, kann es ratsam sein, professionelle Hilfe zu suchen, um herauszufinden, ob sein Verhalten möglicherweise auf seelische Erschütterungen zurückgeht. Eine EMDR-Therapie kann bei Verletzungen, Vergiftungen oder genetisch bedingten Hirnschäden keine Abhilfe schaffen. Sollte tatsächlich ADHS vorliegen, kann das betroffene Kind jedoch mit dieser Methode die Erinnerungen an die Versagensängste, Hänseleien und Demütigungen verarbeiten, die mit dieser Krankheit oft einhergehen. Das kann die Symptome lindern, sodass das Kind weniger Medikamente braucht. EMDR-Forscher haben kürzlich auch von Menschen mit geistigen Behinderungen berichtet, darunter einige mit der Diagnose Autismus. Nach Verarbeitung ihrer Erinnerungen verschwanden bei diesen Personen nicht nur die traumatischen Symptome, sondern auch ihre Kontaktfähigkeit und ihre Lernfähigkeit verbesserten sich. Sie konnten schneller handeln, waren selbstständiger und eigneten sich neue Fähigkeiten an. Unter ihnen war auch ein 54-jähriger Mann, bei dem man mit drei Jahren Autismus

diagnostiziert hatte und der seit seinem fünften Lebensjahr in Heimen lebte, manchmal auch in Isolation wegen seiner körperlichen Gewalttätigkeit. Er sagte, seit der Therapie fühle er sich entspannter, habe nicht mehr so viele finstere Gedanken, sei freundlicher, unbeschwerter und nicht mehr so verbissen. Ein weiterer geistig behinderter Mann von 22 Jahren mit der Diagnose Autismus und Kinderlähmung lebte im betreuten Wohnen mit körperlich Behinderten zusammen. Er fasste die Veränderungen mit den Worten zusammen: »Ich habe meine Kraft zurückgewonnen.« Selbst wenn eine Krankheit auf angeborene neurologische Defekte zurückgeht, können die Symptome gelindert werden, wenn unverarbeitete Erinnerungen daran mitwirken. Wichtig ist auch, sich klarzumachen, dass wir täglich neue Dinge erfahren. Die Forschung zum Beispiel hat erst kürzlich darauf hingewiesen, dass bei Tausenden von Kindern möglicherweise ADHS fehldiagnostiziert wurde, weil diese Kinder verfrüht in die Schule gekommen und dann mit den älteren Mitschülern in ihrer Klasse verglichen worden waren. Aufgrund ihres Alters waren sie wahrscheinlich unaufmerksamer und konnten dem Unterricht nicht so gut folgen. Diese Kinder haben nicht nur unnötigerweise Medikamente eingenommen, sondern im Zusammenhang mit dieser Fehldiagnose wahrscheinlich auch viele Situationen erlebt, in denen sie sich als Versager fühlten, und die sie verarbeiten mussten. Bitte bedenken Sie, dass auch Sie als Erwachsener möglicherweise Schwierigkeiten haben, die ähnliche Gründe haben könnten. Ganz gleich, wie alt Sie sind, die eigentliche Ursache für Ihre Symptome können unverarbeitete Erinnerungen sein, oder diese können Ihre Schwierigkeiten verstärken. Mit manchen körperlichen Zuständen müssen wir einfach leben. Dann können wir uns aber zumindest mit den Gefühlen auseinandersetzen, die unsere Beschwerden bei uns auslösen. Viele Menschen mit körperlichen

Verletzungen fühlen sich entstellt und ziehen sich aus dem Leben zurück. Wenn sie verstehen wollen, was mit ihnen passiert ist, setzen sich oft Angst und Scham in ihnen fest. Aber, wie ein Opfer von Säureverätzungen aus Bangladesch nach der Verarbeitung seiner Erinnerungen sagte: »Die Scham gehört zum Täter, nicht zu mir.« Eine andere Frau aus Indien, die von der ersten Frau ihres Mannes durch Säure verätzt worden war und daraufhin blind wurde, hat seit der Verarbeitung ihrer Erinnerungen keine Angst mehr. Obwohl sie vorher Analphabetin war, hat sie inzwischen Blindenschrift gelernt und die Betreuung ihrer Kinder übernommen. Menschen können nicht nur über ihre Schmerzen hinauswachsen, sondern manchmal auch schmerzliche Erfahrungen für sich fruchtbar machen. Oft weckt das eigene Leiden den Wunsch, anderen zu helfen. Dafür sind Menschen nie zu jung. Die zehnjährige Maria zum Beispiel stand gerade unter der Dusche, als ein Erdbeben kam. Als die Duschkabine zerschmettert wurde, hinterließ das gesplitterte Glas viele Schnittwunden in ihrem Körper. Sie wurde mehrmals operiert, musste weitere schmerzhafte Behandlungen ertragen, und die Jungen in ihrer Klasse beschimpften sie als »Monster«. Ihre Eltern brachten sie in die EMDR-Therapie. In der letzten Sitzung öffnete sie ihre Augen weit und rief: »Jetzt weiß ich, warum mir das passiert ist. Weil Kinder, die sich geschnitten, verbrannt und verletzt haben, mir glauben werden, wenn ich ihnen sage, dass es Hoffnung für sie gibt.« Ganz gleich, mit welchen Behinderungen Menschen zu kämpfen haben, grundsätzlich ist es möglich, dass sie wieder in ihre eigene Kraft kommen. Ich muss oft an die Worte eines lieben Kollegen denken, der inzwischen gestorben ist. Ron Martinez war ein hervorragender Sportler und stolz auf seinen Körper. Eines Tages hechtete er in den Swimmingpool, verletzte sich die Halswirbelsäule und war, als man ihn aus dem Wasser zog, querschnittsgelähmt. Doch er gab nicht auf. Als Erster aus seiner Familie

besuchte er das College, wurde schließlich Therapeut und war für alle, die ihn kennenlernen durften, ein wandelndes Licht. Sein Motto lautete: »Wichtig ist nicht, was passiert, sondern wie wir damit umgehen.« Vielleicht sind wir nicht verantwortlich für unser Leid, aber wir können aktiv darauf Einfluss nehmen. Eigene Forschungen Wenn Sie an einer der in diesem Kapitel beschriebenen körperlichen Beschwerden leiden, können Sie mithilfe der Float-Back-Technik, die Sie im Kapitel »Wer steuert hier wen?« kennengelernt haben, herausfinden, ob ihr bestimmte Erinnerungen zugrunde liegen. Konzentrieren Sie sich auf die Gefühle, die Ihre Schmerzen bei Ihnen auslösen, und schauen Sie, ob von den negativen Kognitionen aus den drei Kategorien eine oder mehrere damit übereinstimmen. Falls nicht, achten Sie einfach auf die Gedanken, die Ihnen kommen, wenn Sie sich darauf konzentrieren, wann Ihnen Ihre Beschwerden das letzte Mal zugesetzt haben. Erlauben Sie sich dann, innerlich zurückzugehen, um nachzuschauen, ob Erinnerungen hochkommen. Wenn ja, halten Sie diese Erlebnisse in Ihrer Liste mit Schlüsselerinnerungen fest. Wie ich bereits sagte, kann eine EMDR-Therapie Sie nicht von Schmerzen heilen, die rein körperlich bedingt sind. Doch viele der Gefühle, die wir uns selbst entgegenbringen, wenn wir krank oder behindert sind, gehen auf die lieblosen Bemerkungen von anderen zurück oder darauf, dass wir selbst uns wünschen, ein anderer Mensch zu sein oder ein anderes Leben zu führen. Viele von uns waren in der Kindheit mit unvernünftigen Anforderungen von strengen Eltern oder Lehrern konfrontiert, die mit entsprechenden Kommentaren verbunden waren. Oft haben wir diese vergessen, obwohl sie in unseren Erinnerungsnetzwerken nach wie vor

präsent sind. Tatsächlich ist es manchmal zu begrüßen, wenn schmerzliche Symptome bei Kindern offensichtlich werden, denn dann können wir ihnen die benötigte Hilfe sofort zukommen lassen und sie müssen nicht jahrelang stumm leiden. Britney zum Beispiel ist eine intelligente, hübsche 11-Jährige. Ihre Mutter kam mit ihr in die Behandlung, weil sie sich die Wimpern ausriss. Angefangen hatte sie damit, als sie einen neuen Lehrer bekam, der sie vor ihren Mitschülern anschrie. Weitere Stressfaktoren waren, dass die Mutter ein Geschäft eröffnet hatte und dass Britney nicht mehr zu ihrer heiß geliebten Sportstunde gehen wollte, weil der Trainer dort sie ebenfalls anbrüllte. In der EMDR-Therapie visierten sie zuerst die Situation an, in der der Klassenlehrer das Mädchen zum ersten Mal angeschrien hatte. Nach dieser Sitzung riss sich Britney nur noch alle paar Wochen die Wimpern aus, hörte aber nicht ganz damit auf. Also beschlossen sie, die Situation mit dem jähzornigen Trainer zu fokussieren. Als die Therapeutin Britney bat zu beschreiben, was für sie das Schlimmste an dieser Situation gewesen sei, riss das Mädchen die Augen auf und sagte: »Als er losbrüllte, uns den Rücken zuwandte und dann laut flüsterte: ›Ich werde euch alle umbringen. Ich werde euch alle mit den Nägeln tot kratzen.‹« Manchmal sehen oder hören Kinder Dinge, auf die sie sofort heftig reagieren, indem sie sich etwa die Wimpern oder die Haare ausreißen oder ähnliche Symptome entwickeln wie Bradley, der sich beim Ansehen von Predator so gefürchtet hatte. Oder diese Erlebnisse bleiben in den Erinnerungsnetzwerken gespeichert und quälen die Betroffenen erst Jahre später. Durchforsten Sie, wenn Sie die Float-Back-Technik anwenden, sorgfältig Ihre Erinnerungen an Mitschüler, Lehrer, Trainer, Ärzte, Priester oder andere wichtige Personen in Ihrem Leben. Britneys Lehrer und ihr Trainer dachten vielleicht, dass sie einfach nur ihre Arbeit tun, ohne dass

ihnen bewusst war, welche Angst sie den Kindern für ein ganzes Leben eingeflößt haben. Vielleicht war ihnen das auch völlig egal. Doch es spielt keine Rolle, was sie dachten. Unsere Aufgabe ist es, den Schaden, den diese Menschen definitiv angerichtet haben, zu beheben. Die Lichtstrahltechnik Die folgende Visualisierung eignet sich für Menschen, die an körperlichen Schmerzen leiden. Manchmal bringt sie emotionale Schmerzen zumindest vorübergehend zum Verschwinden, sodass Sie sich mit Ihren Schmerzen anders fühlen und diese erträglicher werden. Wie bei allen anderen Selbststeuerungstechniken sollten Sie sich auch hier die Frage stellen, ob diese Übung Ihre Beschwerden ausreichend lindert oder ob Sie mehr Unterstützung brauchen. Sie können mithilfe dieser Methode auch generell schnell auftanken. Machen Sie diese Übung zuhause oder in Ihrem Büro in einer gemütlichen Umgebung. Lassen Sie sich anschließend Zeit, um sich noch ein wenig zurückzulehnen, bevor Sie sich wieder Ihren alltäglichen Aufgaben zuwenden. Lernen Sie die Übungsanleitung auswendig und folgen Sie dann den einzelnen Schritten – oder nehmen Sie die Anweisungen auf Band auf und lassen sich von der eigenen Stimme anleiten. Bei Beschwerden konzentrieren Sie sich auf die unangenehmen Körperempfindungen und beantworten die folgenden Fragen, indem Sie in die Leerstelle die unten aufgelisteten Worte einfügen: »Wenn diese Beschwerden eine / n _____ hätte, wie wäre diese / r beschaffen?« a) Form b) Größe c) Farbe d) Temperatur

e) Struktur f) Klang (hoch oder tief) Achten Sie einfach auf die Form und die anderen Eigenschaften Ihrer Körperempfindungen. Die nächste Frage lautet: »Was ist Ihre Lieblingsfarbe oder welche Farbe verbinden Sie mit Heilung?« Stellen Sie sich jetzt vor, dass ein Licht von dieser Farbe durch Ihren Oberkopf zu der Form in Ihrem Körper fließt. Stellen Sie sich vor, dieses Licht sei kosmischen Ursprungs und stehe Ihnen unbegrenzt zur Verfügung. Das Licht fließt ganz von selbst zu der Form in Ihrem Körper. Es steht in Resonanz damit und vibriert in dieser Form und um sie herum. Was passiert dabei mit der Form, Größe oder Farbe Ihrer Körperempfindungen? Wenn Sie feststellen, dass Ihre negativen Gefühle bei dieser Übung abnehmen, fahren Sie damit fort, bis Sie sich richtig wohl fühlen. Falls nicht, suchen Sie Ihren sicheren / ruhigen Ort auf, vergegenwärtigen sich positive Gefühle oder wenden die Spiraltechnik oder die Atemübungen an, um Ihre Gefühle zu neutralisieren. Viele Klientinnen und Klienten berichten von positiven Wirkungen der Lichtstrahltechnik. Eine neue Studie zeigt, dass sie auch bei Schlaflosigkeit helfen kann. In Indonesien wird der sichere Ort mit der Lichtstrahltechnik kombiniert, um Schlafstörungen zu beheben. Forscher berichten von der positiven Wirkung dieser Technik bei fünf Frauen, die HIV-infiziert waren. Sie alle litten an starken Ängsten, Schamgefühlen und Unsicherheit, weil diese Krankheit für sie entsetzlich und in ihrer Kultur mit einer entsprechenden Stigmatisierung verbunden war. Ihre Therapeuten brachten ihnen bei, den sicheren Ort aufzusuchen, um sich wohl und entspannt zu

fühlen. Dann richteten sie den inneren Lichtstrahl auf sämtliche negativen Körperempfindungen. Innerhalb weniger Tage konnten diese Frauen wieder gut schlafen. Seitdem wurden noch weitere 106 Personen mit dieser Technik behandelt, und 75 Prozent von ihnen berichteten, sie könnten wieder besser schlafen. Die Untersuchungsteilnehmer, auf die das nicht zutraf, waren nicht imstande, sich einen sicheren Ort vorzustellen. Darunter waren auch einige Insassen von Gefängnissen, in denen das Leben sehr unsicher ist. Obwohl wir noch weitere Untersuchungen brauchen, sind diese Ergebnisse vielversprechend genug, um Ihnen diese Übung ans Herz zu legen, wenn Sie ebenfalls an Schlafstörungen leiden. Sie hat keinerlei Nebenwirkungen, und wir alle brauchen manchmal Hilfe, um gut ein- und durchzuschlafen.

8. Was willst du von mir? Probleme in Beziehungen

Warum haben wir mit Familienangehörigen, Freunden oder Mitarbeitern oft solche Schwierigkeiten? »Blut ist dicker als Wasser, stimmt’s? Warum habe ich dann das Gefühl, ich könnte meinen Bruder erwürgen?« »Meine Frau lässt mich einfach nicht in Ruhe. Am liebsten würde ich sofort die Flucht ergreifen.« »Wir sind jetzt seit zehn Jahren verheiratet, und er tut immer noch Dinge, von denen er weiß, dass sie mich verrückt machen.« »Wie konnte er nur?« »Wie konnte sie es wagen?« »Warum haben sie das bloß getan?« Berechtigte Entrüstung, Ärger, Schmerz, Schuldgefühle, weil wir uns verletzt, falsch verstanden, missachtet und nicht geschätzt fühlen. Nimm mich wahr! Respektiere meine Wünsche, meine Bedürfnisse. Das alles scheint so vernünftig, ist aber ein ständiger Balanceakt von unterschiedlichen Sichtweisen, Verletzungen und manchmal auch abgrundtiefem Schmerz, der immer dann auftritt, wenn wir am wenigsten damit gerechnet haben. Wenn Sie all die emotionalen und körperlichen Probleme, die den vorigen Kapiteln angeschaut haben, mit der Anzahl von multiplizieren, denen Sie an einem typischen Tag begegnen, warum unsere Beziehungen Gefühle in uns wecken, die uns überfordern oder unverständlich sind. Verletzte Bedürfnisse

wir uns in Menschen wird klar, manchmal

Niemand von uns ist einfach. Als Produkte des Zusammenspiels unserer Gene und ganz persönlicher Erfahrungen sind wir alle vielschichtige Wesen. Manchmal erben wir eine Anfälligkeit für bestimmte Leiden. Doch die meisten unserer Probleme gehen nicht allein auf unsere Gene zurück. Unser Selbstgefühl und unsere Wünsche an das Leben werden vorwiegend von verarbeiteten wie unverarbeiteten Erinnerungen gesteuert, die unseren bewussten und unbewussten Reaktionen zugrunde liegen. Es fällt uns schwer genug, uns selbst zu verstehen, geschweige denn einen anderen Menschen. Oft brauchen wir dafür Hilfe. Es gibt etwa 15 verschiedene Ansätze von Familientherapie, die Menschen helfen, ihre Verhaltensmuster und Kommunikationsprobleme in Beziehungen zu verstehen. Die meisten Familien- und Paartherapeuten gehen davon aus, dass eine Chance besteht, Beziehungen gesund und erfüllend zu gestalten, wenn Menschen ihre Form von zwischenmenschlicher Kommunikation ändern können. Leider fühlen wir uns dabei oft so, als würden wir gegen den Strom schwimmen, da lange zurückliegende Kindheitserinnerungen uns weiterhin zu destruktivem Verhalten antreiben. Auch wenn wir uns gern ändern möchten, müssen wir oft feststellen, dass wir in Verhaltensmustern feststecken, die wir nicht steuern können. Doch wie wir bereits gesehen haben, tun wir schon einen wichtigen Schritt in Richtung Veränderung, wenn wir verstehen, woher unser Verhalten rührt und was wir überhaupt verändern müssen. Und was ist mit mir? Therapeuten sehen Beziehungen oft vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Bindungskategorien, die wir in Kapitel 5 ausführlich erläutert haben. Eltern mit einer unsicheren Bindung zeigen ihren Kindern gegenüber ganz bestimmte Verhaltensweisen. Wenn diese Kinder dann heranwachsen, verfallen sie häufig in ähnliche Beziehungsmuster und wiederholen das Verhalten ihrer Eltern. Alexandra zum Beispiel beschrieb

sich selbst als depressiv, als sie in Therapie kam. Sie war 37 Jahre alt, zweimal geschieden und lebte seit fünf Jahren in einer unglücklichen Beziehung mit Joe. Sie sagte über diese Partnerschaft: »Ich kann nicht mit ihm und nicht ohne ihn leben.« Sie hatten sich mehrmals getrennt, aber sie war immer wieder zu ihm zurückgekehrt. Am meisten bemängelte Alexandra an Joe, dass er sie ständig kritisierte oder ignorierte. Sie konnte ihre eigenen Bedürfnisse nicht vertreten, obwohl sie wusste, dass sie das eigentlich »sollte«. Sie gab schon vorher auf und dachte dann immer: »Was soll’s? Ich schaffe es sowieso nicht, das zu ändern.« In ihren schlimmsten Augenblicken glaubte Alexandra, sie habe nichts Besseres verdient, da sie in Beziehungen auch nie etwas anderes erlebt hatte. Irgendwie hatten sich ihre Partnerschaften immer wieder in die gleiche Richtung entwickelt. Auch wenn sie vielversprechend anfingen, hatte Alexandra am Ende das Gefühl, dass ihr Partner auf ihren Gefühlen herumtrampelte und sich daran nie etwas ändern würde. Alexandras Vorgeschichte macht verständlich, warum sie in Beziehungen so litt. Als jüngstes von vier Kindern hatte die Mutter sie oft kritisiert, und der Vater ignorierte sie ständig. Ihre Brüder schikanierten sie und sagten ihr dann auch noch, daran sei sie selbst schuld, obwohl Alexandra nichts tat, um sie zu provozieren. Als sie in der ersten Klasse einmal von der Schule nach Hause gekommen war, erzählte sie, sei niemand da gewesen, um ihr die Tür aufzumachen. Also ging sie zu den Nachbarn, um dort zu warten, bis ihre Eltern kamen, und als diese zurückkehrten, bestraften sie Alexandra dafür. Der einzige Mensch, der ihr Liebe entgegenbrachte, war offensichtlich ihr Großvater, der starb, als sie sechs Jahre alt war. Alexandra wusste noch, wie verzweifelt sie damals gewesen war, weil sie sicher war, jetzt niemanden mehr zu haben, der sie so liebte wie er. Scheinbar war sie einfach allen egal. Mit acht Jahren zum Beispiel wurde sie bei einem

Familienausflug zum Spielplatz einmal von einer Biene gestochen. Alle ignorierten diesen Vorfall, und sie wusste noch, wie sie versucht hatte, den Schmerz »herunterzuschlucken« und sich einzureden, dass »es gar nicht wehtut«. Von dem Zeitpunkt an behielt sie ihre Gefühle für sich, denn sie ging jetzt davon aus, dass ihre Bedürfnisse und Emotionen nicht zählten. Sie »verdiente« die Liebe und Aufmerksamkeit einfach nicht, die ihre Eltern den Brüdern entgegenbrachten. Alexandras Eltern hatten einen sogenannten »unsicher-distanzierten« Bindungsstil. Nähe und starke Emotionen waren ihnen unangenehm. Eltern mit diesem Bindungsstil schrecken zurück vor den Gefühlen und Bedürfnissen ihrer Kinder und gehen dazu auf Distanz. Dieser Mangel an positiven Gefühlen und Unterstützung führt bei den Kindern meistens dazu, dass sie die eigenen Gefühle und Wünsche nach Zuwendung unterdrücken. Oft haben sie wie Alexandra den Eindruck, die Aufmerksamkeit und Liebe der Eltern nicht zu verdienen. Alexandra konnte sich ihrem Partner nicht mitteilen, weil er sich ähnlich wie ihre Eltern verhielt. Wie als Kind hatte sie auch in der Beziehung zu ihm das Gefühl, einfach nicht wichtig zu sein. Als sie sich auf die letzte Situation konzentrierte, in der Joe sie ignoriert hatte, kam sie durch die Float-Back-Technik in Kontakt mit der Einsamkeit, die sie als Kind in ihrer Familie empfunden hatte. Bei der Verarbeitung kamen viele weitere Erlebnisse hoch, wo ihre Familie sie kritisiert, zurückgewiesen, ignoriert oder vernachlässigt hatte, wie sie es später auch in ihren Männerbeziehungen erlebte. Alexandra traf in Liebesdingen nicht nur eine schlechte Wahl, sondern war einfach nicht imstande, ihre Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und zu äußern. Aufgrund ihrer Kindheitserfahrungen wie auch dem Tod ihres Großvaters kamen diese Gefühle von eigener Wertlosigkeit sowie die damals empfundene Einsamkeit und Verzweiflung jedes Mal hoch, wenn Alexandra ihre

Beziehungen beenden wollte. Sie hatte sehr viel zu verarbeiten. Noch im selben Jahr jedoch, in dem sie die Therapie angefangen hatte, trennten Alexandra und Joe sich einvernehmlich. Jetzt konnte sie allein leben, ohne die Verzweiflung zu empfinden, die sie bislang ihr Leben lang begleitet hatte. Als sie sich dann wieder mit Männern verabredete, fiel Alexandra auf, dass sie sich anders verhielt. Früher hatte sie sich immer »selbst verloren«, weil sie sich völlig auf die Bedürfnisse und Wünsche des anderen konzentriert und versucht hatte, ihnen zu entsprechen, in der Hoffnung, dass ihr Partner sie dann liebte und akzeptierte. Jetzt konnte sie »sich selbst spüren«. Da sie nun um ihren eigenen Wert wusste, ging es ihr schlecht, sobald sie sich selbst aus den Augen verlor. Sie traf jetzt in Bezug auf Männer eine andere Wahl und ging auch ohne Bedauern wieder auf Abstand, wenn sie ihr nicht gaben, was sie brauchte. Ihr jetziger Partner ist sehr zugewandt und unterstützt sie auch bei den Schwierigkeiten mit ihren Eltern und Brüdern – von denen sie nun den Respekt einfordert, den sie als liebevolle und kompetente Erwachsene verdient. Auch wenn sie immer noch Hilfe braucht, um neue Kommunikationsformen zu lernen, schwimmt sie jetzt nicht mehr gegen den Strom. Ihre Kindheitserinnerungen lösen nicht mehr das Gefühl aus, »nicht zu zählen und allen egal zu sein«. Nützliche Kommunikationsfähigkeiten Einige der Fähigkeiten, die Alexandra lernte, können auch für Sie nützlich sein, wenn Sie nicht in Kontakt mit Ihren Gefühlen sind oder diese nicht mitteilen können. Bevor Alexandra Joe verließ, arbeiteten ihre Therapeutin und sie zum Beispiel mit verschiedenen Situationen, die bei ihr leichte Angst auslösten, damit sie lernte, Joe ihre Gefühle zu zeigen. Zunächst einmal brauchte sie Unterstützung, um mit ihren Emotionen überhaupt in Berührung zu kommen, also konzentrierte sie sich auf Situationen, in denen

Joe sie ignoriert hatte, und fragte sich: »Wenn ich jetzt (in diesem Augenblick) ein Gefühl haben würde, welches wäre es dann?« Oder: »Welche Gedanken hätte ich?« Oder: »Was würde ich aufgrund meiner Gefühle und Gedanken in dieser Situation sagen oder tun?« Sie erforschte zu diesem Zweck auch Situationen, in denen sie gern mit Joe geredet hätte, statt hinzunehmen, dass er sich im Fernsehen die Sportschau ansah. Oder in denen sie ihm mitteilen wollte, wie schlecht sie sich fühlte, wenn sie einen ganzen Abend zusammen im Wohnzimmer verbrachten, ohne dass er Kontakt zu ihr aufnahm. Mit Unterstützung ihrer Therapeutin erstellte sie eine Rangliste von möglichen Reaktionen, die von dem freundlichen Hinweis: »So empfinde ich das … und hätte gern, dass du …« bis zu der energischen Aufforderung reichten: »Wenn du dich weiter so verhältst, muss ich dich bitten, zu gehen.« Wenn Sie sich Ihrer Gefühle nicht sicher sind, können Sie sich einmal fragen, wie ein guter Freund oder ein Mensch, den Sie bewundern, sich an Ihrer Stelle fühlen würde. Wie würde dieser Mensch seine Gefühle und Wünsche dann Ihrer Meinung nach äußern? Sollten Sie aber zu heftigen Gefühlen neigen, die Sie zu überwältigen drohen, können Sie versuchen, Ihre emotionale Reaktion einmal zu beobachten. Ist diese Reaktion sinnvoll? Kommt sie mir zugute? Wichtig ist auch, dass Sie sich fragen: »Sind das Reaktionen meines kindlichen Selbst oder des Erwachsenen, der ich heute bin?« Manchmal gehen unsere Gefühle und das Bedürfnis, sie zu äußern, auf unverarbeitete Emotionen zurück. Diesem Thema wenden wir uns im Folgenden zu. Wem kann ich Schuld geben? Weil ihre Eltern sie ablehnten und ständig kritisierten, lernte Alexandra, das nicht akzeptable Verhalten anderer Menschen hinzunehmen, damit diese sich nicht von ihr abwandten und sie sich einsam und verlassen vorkam.

Georg lernte in einer ähnlichen Situation etwas ganz anderes. Er kam in die Therapie, weil er stark depressiv war und keine langfristigen Beziehungen eingehen konnte. Gerade hatte sich die letzte einer ganzen Reihe von Freundinnen von ihm getrennt, weil sie sich von ihm ständig kritisiert fühlte. Wenn sie verabredet waren und sie sich etwas verspätete, fuhr er sie an, sie sei rücksichtslos. Kochte sie für ihn, war es fast die Regel, dass es ihm nicht schmeckte, und sei es, dass ihm das Essen zu heiß war. Statt ihr Komplimente zu machen oder sich zu bedanken, weil sie ihm etwas abgenommen hatte, beschwerte er sich ständig über Dinge, die ihm an ihr nicht gefielen. Er wünschte sich Nähe und Intimität, verhielt sich aber in entsprechenden Situationen immer nur ablehnend. Auch Georg konnte seine Probleme zurückverfolgen zu dem Verhalten, das seine Eltern nicht nur ihm gegenüber, sondern auch miteinander gezeigt hatten. Georgs Eltern hatten es schwer gehabt im Leben. Sie kamen als Flüchtlinge eines totalitären Regimes in die USA. Aufgrund eigener traumatischer Erlebnisse hatten sie viele Ängste und fühlten sich schnell überfordert, was zu einem unsicher-ambivalenten Bindungsstil führte. Sie waren mit den eigenen leidvollen Erfahrungen so beschäftigt, dass sie oft nicht mitbekamen, was ihre Kinder brauchten. Kinder solcher Eltern haben oft sehr viel Wut in sich, bekommen Wutausbrüche und fordern lautstark, dass die Eltern sich ihnen zuwenden. Deswegen ist es nicht erstaunlich, dass Georg auch keine enge Beziehung zu seinen Geschwistern hatte, da sie als Kinder ständig um die Aufmerksamkeit der Eltern konkurriert und sich häufig gestritten hatten. Dazu kam, dass Georgs Vater auch der Mutter gegenüber äußerst kritisch war und zuhause ziemlich schnell »ausrastete«. Georgs jetziges Verhalten war ein perfektes Abbild des Verhaltens seiner Eltern. So wie seinem Vater nie gut genug gewesen war, was sein Sohn oder

dessen Mutter tat, war auch Georg mit seinen Partnerinnen ständig unzufrieden und ließ diese das auch wissen. Wir alle haben natürlich unsere Wünsche und persönlichen Vorlieben. Trotzdem lohnt es sich, sich einmal zu fragen, ob diese vernünftig und realistisch oder »automatische« Reaktionen sind. Wie »hitzköpfig« reagieren wir auf bestimmte Dinge? Überprüfen wir, wie unsere Worte auf andere Menschen wirken? Verhalten wir uns wie Erwachsene oder kindisch? Ein Verhalten wie das von Georg, der an seinen Partnerinnen ständig etwas auszusetzen hatte, lässt sich oft auf Kindheitserlebnisse zurückführen, die in Beziehungen wieder aufleben können. Als er zurückschaute, fielen ihm viele Beispiele für den Zorn und das kritische Verhalten des Vaters und die strengen Urteile der Mutter ein. Auch seiner Mutter war nichts gut genug gewesen. Er beschrieb sie als eine Frau, die andere manipulierte und ständig Forderungen stellte, während sein Vater eher autoritär war. Er zögerte nicht, seine Frau oder seine Kinder zu demütigen, wenn er sie für unfähig hielt. Georg konnte sich gut daran erinnern, dass sein Vater ihn ständig angebrüllt hatte, weil er angeblich etwas falsch machte und als Vierjähriger zum Beispiel sein Spielzeug nicht wegräumte oder zu laut war. Mit der Zeit bekam Georg das Gefühl, dass mit ihm etwas nicht stimmte und er ständig auf der Hut sein musste. Seine negativen Überzeugungen dazu lauteten: »Ich bin nicht gut genug«, »Ich bin in Gefahr« und »Ich kann anderen Menschen nicht trauen«. Wenn er glaubte, dass seine Freundin nicht richtig auf ihn einging, wurden diese alten Gefühle wieder wach und er reagierte genauso ärgerlich und überkritisch, wie er es an seinem Vater und seiner Mutter beobachtet hatte. Das ist nicht unbedingt das, was Frauen in einer guten Beziehung suchen. Wenn Frauen sich auf ein solches Verhalten überhaupt einlassen, haben sie oft ähnliche Kindheitserfahrungen gemacht wie Alexandra, deren

Bedürfnisse als Kind ignoriert wurden. In einer erfüllten Beziehung gehen beide Partner in gesunder und erwachsener Form aufeinander ein und verhalten sich nicht, wie sie es in ihrer leidvollen Kindheit gelernt haben. Alexandra und Georg konnten ihre destruktiven Verhaltensmuster durch Verarbeitung überwinden. Dabei war für Georg entscheidend, dass er seinen alten Ärger auf die Eltern loslassen konnte, als er begriff, dass sie Grenzen hatten, die auf ihre eigene schmerzliche Vergangenheit zurückgingen. Als sich dieser heftige Ärger, den er seit seiner Kindheit mit sich herumtrug, auflöste und Georg auch das Gefühl verlor, dass mit ihm etwas nicht stimmte, konnte er in seinen eigenen Beziehungen schließlich als Erwachsener präsent sein, statt sich wie ein verletztes Kind zu verhalten. Die Leere ausfüllen Anisha ist eine 21-jährige Frau aus Indien, die nach ihrer erfolgreichen Therapie den Wunsch verspürte, hier ihre Geschichte beizutragen. Ihr Beispiel zeigt, was es heißt, wenn ein Mensch »blind vor Liebe« ist und sich an die falsche Person klammert, damit Bedürfnisse erfüllt werden, die auf anderen Wegen erfüllt werden sollten. Anisha war als Kind sehr vertrauensvoll und wollte es anderen möglichst immer recht machen. Als sie 17 Jahre alt war, schien ihre bislang heile Welt jedoch völlig aus den Fugen zu geraten. Sie selbst sagt dazu: »Bei einem belanglosen Streit rastete mein Onkel völlig aus und ließ seine Wut an mir aus, indem er unbarmherzig auf mich einprügelte. Mein Vater war dabei anwesend, kam mir aber nicht zu Hilfe. Ich war nach diesem Vorfall am Boden zerstört und verlor alle Sicherheit, die ich in meiner Familie bislang gefunden hatte. Nichts machte mir mehr Freude, und die Beziehung zu meiner Familie und weiteren Angehörigen verschlechterte sich.«

Diese Situation trieb Anisha in die Arme von Gorakh, einem jungen Mann, den sie einige Jahre zuvor kennengelernt hatte. Es war keine gleichberechtigte Partnerschaft, denn sie vergötterte ihn. »Ich sagte mir, die Gefühle für meine Familie seien jetzt Vergangenheit, und versuchte, nach vorn zu schauen. Ich hatte ja Gorakh und damit eine Chance auf ein neues Glück. Ich war überzeugt, dass ich nur ihn so lieben konnte und dass er der Mensch war, an den ich all meine Hoffnungen und Wünsche heften konnte. Ich liebte ihn so, wie er war, oder bildete mir das zumindest ein. Ich stürzte mich mit Haut und Haar in diese Beziehung. Viel zu spät erkannte ich, wie Gorakh es genoss, dass ich zu ihm aufschaute und mein Leben ganz in seine Dienste stellte. Ich tat alles für ihn, badete seinen Hund und erfüllte alle seine Wünsche. Ich gab mein Bestes, um es ihm recht zu machen. Leider schien das nicht zu reichen, und als der Alltag immer mehr in unsere Beziehung einkehrte, begann Gorakh, mich wie ein Stück Dreck zu behandeln. Aber das änderte nichts an meiner Liebe für ihn. Wie sehr er mich auch vernachlässigen und herumkommandieren mochte, er war und blieb die Liebe meines Lebens. Wenn es ihm gerade gefiel, hatte er mich ganz gern in seiner Nähe. Ich war der einzige Mensch, der ihn wirklich liebte, ganz gleich, was geschah. Dann wurde ich schwanger, und Gorakh ging auf Distanz. Er wollte jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben. Von da an war ich für ihn nur noch eine Last, die er am liebsten abgeworfen hätte. Ich erinnere mich noch an den Augenblick, als der Arzt nach der Ultraschalluntersuchung meine Schwangerschaft bestätigte. Meine Mutter reagierte schockiert und verletzt, mein Vater mit Kälte und Enttäuschung. Mich selbst quälten heftige Schuldgefühle, weil ich die Schwangerschaft abbrechen musste. Ich weiß noch, wie ich eines Morgens aufwachte, die Handgelenke fast bis auf den Knochen aufgeschlitzt, das Kopfkissen voller Blut und Tränen. Ein ständiger Schmerz tobte in meiner Brust und meiner

Lunge, sodass ich nicht durchatmen konnte. In mir war nur eine große Leere. Ich hatte alles verloren. Nichts machte für mich mehr Sinn.« Ganz gleich, wie tief der Schmerz geht und wie verzweifelt die Lage sein mag, auch hier wieder lautet die Botschaft, dass unverarbeitete Erinnerungen das Verhalten steuern. Anisha fühlt sich heute völlig anders. Sie selbst sagt dazu: »Im Verlauf der acht Monate, in denen ich eine Therapie machte, hatte ich das Gefühl, mich allmählich wieder in ein richtiges und vernünftiges menschliches Wesen zu verwandeln. Heute fühle ich mich wie ein neuer Mensch. Und dafür bin ich unendlich dankbar. Wenn Sie sich in einer schwierigen Beziehung festgefahren fühlen, weil Sie sich verzweifelt an einen Menschen klammern, der Sie nicht schätzt oder Sie ausnutzt, können Sie beschließen, neue Wege zu gehen. Wir alle haben Beziehungen verdient, die uns Freude schenken und uns in unserem Selbstwert bestätigen. Sollten Sie das in Ihren Beziehungen nicht so erleben, können Sie einmal überlegen, warum Sie festgefahren sind. Wenn Sie lernen, Ihr Beziehungsverhalten zu ändern und Ihre unverarbeiteten Erinnerungen umzuwandeln, können auch Sie sich wandeln.« Ein zerstörerischer Tanz Wenn wir von Gewalt in Familien hören, rätseln viele von uns, wie so etwas passieren kann. »Wie konnte er das nur tun?« »Warum hat sie das zugelassen?« Die Antwort lautet, dass sich hier Erinnerungen an entsprechend extreme Erlebnisse im Gehirn verankert haben und unsere Gedanken, unsere Emotionen und unser Verhalten steuern. Es gibt in Paarbeziehungen viele destruktive Verhaltensmuster, die von ständigen Streitereien bis zu körperlicher Gewalt reichen können. Manche Konflikte kann das Paar selbst lösen. Doch manchmal verselbstständigt sich das verletzende Verhalten und ist durch keinerlei Absprachen zu stoppen. Für

die meisten betroffenen Paare ist eine Paartherapie nicht die beste Wahl oder überhaupt eine gute Wahl. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass »verbale Gewalt« in Form von einschüchtern, drohen, lächerlich machen und demütigen auch verheerende emotionale Auswirkungen haben kann. Unter anderem hat man festgestellt, dass sie wesentlich zu postpartalen Depressionen beiträgt. Gewalt, ob verbal oder körperlich, ist ein individuelles Thema. Zunächst einmal brauchen beide Beteiligte eine Einzeltherapie. Sollten die Partnerschaftsschwierigkeiten dann immer noch bestehen, können die beiden Betroffenen eine qualifizierte Therapeutin aufsuchen. In Anhang B finden Sie entsprechende Hinweise. Menschen mit destruktivem Beziehungsverhalten machen beim ersten Kennenlernen oder vor ersten Intimitäten einen durchaus sympathischen Eindruck. Tatsächlich ist das typisch für ihr Auftreten am Anfang einer Partnerschaft. Die Probleme fangen meistens erst dann an, wenn die Betroffenen eine verbindliche Beziehung eingehen oder zusammenziehen. Menschen jedoch, die andere kontrollieren wollen, beginnen damit meistens schon bei den ersten Begegnungen. Doch wie bei Anisha scheint der Glanz einer neuen Liebe oft blind zu machen für das dominante Verhalten. Wirklich problematisch wird das meistens erst, wenn die Beteiligten sich tiefer aufeinander einlassen und die alten Themen häufiger hochkommen. Das Verhalten in der jetzigen »familiären« Situation wird meistens durch unverarbeitete Schmerzen aus der eigenen Vergangenheit ausgelöst. Menschen reagieren aufgrund der eigenen traumatischen Vorgeschichte oder des familiären Umfelds, in dem sie aufwuchsen, auf emotionalen Schmerz ganz unterschiedlich. Dazu gehören auch die Formen von Interaktion, die sie in ihren Familien beobachtet haben. So kann zum Beispiel das Gefühl »Ich bin nicht gut genug / zähle nicht« den Betroffenen so ärgerlich machen, dass er entweder um sich schlägt oder sich total

zurücknimmt und zusammenbricht, weil er »allen egal ist«. Manchmal eskaliert das Ganze zu ständiger verbaler oder körperlicher Gewalt. Die Person, die das Opfer dieser Misshandlungen ist, reagiert zwar auf die augenblickliche bedrohliche und schmerzliche Situation, hält aber oft an der zerstörerischen Beziehung fest, weil sie bereits in früheren Beziehungen Traumatisches erlebt hat. Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Manche Menschen beenden destruktive Beziehungen nicht, weil sie finanzielle Schwierigkeiten haben oder sich gesellschaftlichen Konventionen fügen. Doch wir wollen hier die psychische Dynamik erforschen, die für solche Beziehungen typisch ist. Diese kommt häufiger vor, als Sie vielleicht denken, und auch Sie selbst oder bestimmte Menschen in Ihrer Umgebung können davon betroffen sein. Im nächsten Abschnitt schauen wir uns schwierige Paarbeziehungen an, die von verbaler Gewalt geprägt sind. Die wichtigste Frage hier lautet: Wie lange warten beide, bevor einer oder beide darauf insistieren, dass sich etwas ändern muss? Fehlgeleiteter Ärger Jan fing eine Behandlung an, weil die Therapeutin seiner Frau ihn gebeten hatte, zu einer Paarsitzung mitzukommen. Nachdem sie ihm ein paar Fragen gestellt hatte, wies sie ihn auf Zusammenhänge zwischen seinem jetzigen Verhalten und seiner Vergangenheit hin. Sie empfahl ihm eine EMDR-Therapie, weil sein aggressives und dominierendes Verhalten sowie seine traumatische Vergangenheit ihr Sorge bereiteten. Er und Mary waren jetzt seit drei Jahren zusammen. Er hatte sie zwar nie körperlich angegriffen, aber persönliche Dinge von ihr zerstört, und sie stritten sich immer häufiger und heftiger. Das sind warnende Anzeichen dafür, dass die Aggressionen eskalieren können. Mary hatte ihm vor Kurzem eine Grenze gesetzt: Entweder er macht eine Einzeltherapie und ändert sich, oder er

muss aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen. Sie setzte sich in ihrer eigenen EMDR-Therapie schon seit einer Weile mit ihren Kindheitsthemen auseinander und sah sich jetzt imstande, die Beziehung gegebenenfalls zu beenden. Da sie finanziell unabhängig war, hatte sie genau das vor, falls er sich nicht änderte. Jan hatte es schon einmal mit einer Therapie probiert, ohne dass für ihn etwas dabei herausgekommen war. Das ist nicht erstaunlich, da die Gefühle aus der Kindheit, die gesunde, erwachsene Paarbeziehungen verhindern, auch therapeutische Bemühungen boykottieren können. Glücklicherweise geriet Jan diesmal an einen sehr fähigen Therapeuten, der auf die Behandlung dieser Themen spezialisiert war. Trotzdem weigerte er sich in den ersten Sitzungen, seinen Blick nach innen zu richten. Stattdessen zählte er Marys vermeintliche »Fehler« auf, die alle ziemlich hergeholt waren, und ging auf die Fragen des Therapeuten nach seiner eigenen Vorgeschichte nicht weiter ein. Außerdem vergaß er anfangs mehrere Sitzungen oder kam zu spät. In den stattfindenden Sitzungen erzählte er, er habe seit Längerem Probleme mit Alkohol und Marihuana sowie depressive Symptome. Mit 21 Jahren habe er sich schon einmal umbringen wollen, als eine Beziehung von heute auf morgen zerbrach. Im Grunde war er einfach ein Mensch mit vielen seelischen Schmerzen, der jetzt Mary emotionalen Kummer bereitete. Seine augenblickliche innere Verfassung und die Tatsache, dass er mit seinem Verhalten Mary vertrieb, machten ihm zusätzlich zu schaffen. Also setzte sich sein Therapeut mit beiden zusammen, um einen verbindlichen Plan aufzustellen, der verhindern sollte, dass sein Verhalten in körperliche Gewalt eskalierte. Mary brauchte einen solchen Plan, um sich zu schützen, wenn Jan aggressiv wurde. Und Jan brauchte einen Plan, damit er sein destruktives Verhalten um seinet- und um ihretwillen rechtzeitig stoppen

konnte. Seine Aggressivität verstärkte eigene Versagensgefühle, was ihn noch aggressiver machte, wenn er diesen Teufelskreis nicht durchbrach. Der Therapeut bat Jan, genau darauf zu achten, wann er ärgerlich wurde und dann »zu stoppen und das Zimmer zu verlassen«, statt auf Mary loszugehen. Er ermutigte ihn auch, das Thema Ärger in die Sitzungen einzubringen, damit er lernte, mit diesem Gefühl konstruktiver umzugehen. Anfangs weigerte Jan sich, doch nach einem längeren Gespräch gab er schließlich zu, dass er auf seine Art einfach nicht weiterkam. Mary gab sich einverstanden, die Wohnung vorübergehend zu verlassen, wenn Jan so aufgebracht war, dass er selbst nicht weggehen konnte. Jan hatte Mary bislang nie am Weggehen gehindert und war einverstanden damit, dass einer von beiden die Wohnung verließ, sollte das notwendig werden. Damit hatten sie zunächst einmal einen Plan, an den sich beide halten konnten. Weil Mary entschieden war (und von beiden Therapeuten darin bestätigt wurde), ihn sofort vor die Tür zu setzen, wenn er sich nicht an diesen Plan hielt – und sich langfristig nicht änderte –, war Jan sehr motiviert, sich an ihre Vereinbarungen zu halten. Er war zwar nicht gerade erfreut darüber, eine Therapie machen zu müssen, doch die Rettung ihrer Beziehung lag ihm so sehr am Herzen, dass er bereit war, neue Wege auszuprobieren. In der nächsten Sitzung war Jan willens, seinem Therapeuten detailliert zu berichten, was ihn an Mary alles ärgerte. Vor allem wurmte ihn, dass sie sich, bevor sie sich begegnet waren, anders verhalten und ein anderes Leben geführt hatte. Jetzt traten seine Unsicherheit, seine Versagensängste, seine Scham und das tiefe Gefühl von Unzulänglichkeit und Ohnmacht, die sich hinter seinem Ärger verbargen, offen zutage. Jan kämpfte damit, sich selbst zu verstehen und sich mit diesen Gefühlen auseinanderzusetzen. Er glaubte nicht, dass er sich vollkommen falsch verhielt. Er ging zwar oft wütend auf

Mary los, gestand ihr aber meistens schon kurz darauf, welche Angst er hatte, sie zu verlieren, weil ihre Beziehung die beste war, die er je gehabt hatte. Schließlich war er einverstanden, es mit EMDR zu versuchen. In der nächsten Sitzung beklagte Jan sich über den letzten Streit mit Mary. Seinem Therapeuten fiel auf, dass er dabei die Hände auf den Brustkorb legte. Ausgehend von seinen Empfindungen bei diesem Streit gelang es Jan mithilfe der Float-Back-Technik, eine erste Schlüsselerinnerung zu finden. Dabei ging es um einen wütenden Streit zwischen Jans Eltern, als er zehn Jahre alt gewesen war. Dieser Streit war nur einer von vielen häuslichen Konflikten, die nie zu einer Lösung fanden. Zum ersten Mal konnte er die Zusammenhänge zwischen seiner Vergangenheit und seiner Gegenwart sehen und fühlen. Seine negative Kognition lautete: »Ich bin ohnmächtig.« Als positive Kognition wählte er: »Ich kann mich jetzt entscheiden.« Vieles in seinem Leben ergab nun allmählich Sinn. Er brauchte mehrere Sitzungen, um diese eine Erinnerung zu verarbeiten, doch bei jeder Überprüfung konnten Jan und sein Therapeut sehen, dass sich die Arbeit auszahlte. Seine Einsichten nahmen ebenso schnell zu wie sein Mitgefühl für sich und auch für Mary. Als er die Kämpfe verarbeitete, die er als Kind miterlebt hatte, nahm auch der Druck ab, Streit mit Mary zu provozieren. Zum ersten Mal konnte er offen darüber sprechen, wie ohnmächtig er sich gefühlt hatte, als er zusehen musste, dass die beiden Menschen, die er am meisten liebte, sich zerstörten. Aufgrund dieser frühen Erlebnisse hatte er Beziehungen immer nur als Schauplatz endloser Verletzungen und Streitereien sehen können, durch die sich gar nichts löste. Und er musste noch eine weitere schmerzliche Realität verdauen, nämlich dass sein heutiges Verhalten dem seines gewalttätigen Vaters sehr ähnlich war, vor allem seine Eifersucht auf Marys Vergangenheit.

Nach Verarbeitung der ersten Zielerinnerung wandte Jan sich weiteren Situationen zu, in denen er sich ohnmächtig gefühlt hatte. Er hörte auf, Alkohol zu trinken und Drogen zu nehmen, meldete sich im Fitnessstudio an und führte mit Mary, die mit ihrer EMDR-Therapeutin weiter an eigenen Themen arbeitete, einen kontinuierlichen, offenen Dialog. Jan und sein Therapeut hatten weiterhin ein Auge auf seinen Ärger und entsprechende Reaktionen, aber er stand jetzt nicht mehr so stark unter Druck wie früher. Er erzählte seinem Therapeuten, er sei zwar auch jetzt manchmal wütend und frustriert, doch innerlich habe sich bei ihm wirklich etwas geändert. Er zeigte es ihm, indem er seine Hände auf den Brustkorb legte wie bei der ersten Anwendung der Float-Back-Technik, und sagte: »Ich habe dieses Gefühl jetzt nicht mehr, das ich hatte, solange ich denken kann. Es ist weg.« Nachdem sie ihre Verarbeitung von Erinnerungen in der EMDR-Therapie abgeschlossen hatten, wurden Jan und Mary an eine Paartherapeutin überwiesen, um zu lernen, eine konstruktive Beziehung zu führen, da keiner der beiden als Kind Vorbilder dafür gehabt hatte, wie Beziehungspartner mit Konflikten umgehen und sich trotzdem weiterhin verbunden fühlen können. Ihre Eltern waren dazu einfach nicht imstande gewesen. Sie hingegen konnten das jetzt lernen und an die Kinder weitergeben, die sie für die Zukunft planten. Weit entfernt von dem Gefühl »Ich bin ohnmächtig«, verhielt sich Jan jetzt wie ein Mann, der wusste, dass er sein Leben und das der Familie, die er gründen wollte, positiv gestalten konnte. In der ersten Sitzung hatte Jans Therapeut ihn gebeten, die Gründe dafür aufzuschreiben, warum er eine Therapie machen wollte. Damals hatte Jan geschrieben: »Ich möchte die Vergangenheit überwinden.« Als sein Therapeut nachfragte, stellte sich heraus, dass Jan damit Marys Vergangenheit meinte. Er war damals nicht davon ausgegangen, dass er an seiner eigenen Vergangenheit arbeiten musste. Er dachte, er müsse nur

einen Weg finden, mit ihrer Vergangenheit klarzukommen. Glücklicherweise gelang ihm das, obwohl nicht ganz auf die Art und Weise, wie er sich das vorgestellt hatte. Nützliche Beziehungsfähigkeiten Einige der Fähigkeiten, die Jan und Mary in ihrer Therapie lernten, sind für jede Beziehung nützlich. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass der Austausch zwischen zwei Partnern ein kontinuierlicher Prozess ist. In der Beziehung zwischen Jan und Mary wurde es regelrecht gefährlich, wenn sein Ärger und die Streitigkeiten zwischen ihnen eskalierten. Wir alle kennen Situationen in unseren Beziehungen, die alte Themen und den damit verbundenen Ärger in uns hochbringen. Manchmal versuchen wir, unsere eigenen Probleme unserem Partner zuzuschieben. Am Ende dieses Kapitels liste ich noch weitere nützliche Fähigkeiten auf, aber zunächst folgen hier ein paar praktische Anregungen zur Lösung von Beziehungsschwierigkeiten, in denen Ärger eine Rolle spielt. Machen Sie einen Plan. Treffen Sie feste Absprachen mit Ihrem Partner, die Ihr Verhalten regeln, damit der Ärger zwischen Ihnen nicht eskaliert und Sie verhindern, dass Sie sich verletzen und Ihre Kinder zu Zeugen heftiger Kämpfe werden. Elterliche Streitigkeiten können verheerende Auswirkungen auf Kinder haben und ihr Gefühl von Sicherheit erschüttern. Zu diesem Plan kann auch eine »Auszeit« gehören, das heißt, Sie sagen Ihrem Partner, wann Sie eine »Auszeit« brauchen, damit die heftigen Gefühle sich legen können, und Sie beide beschließen, wann Sie Ihre Auseinandersetzung weiterführen wollen. Sollte dieser Plan keine Hilfe sein, können Sie eine Therapie in Erwägung ziehen oder eine Familienberatungsstelle aufsuchen, um sich professionellen Rat zu holen. Absprachen funktionieren nur, wenn beide sich daran halten. Manche Paare sind dazu ohne professionelle Intervention durch einen qualifizierten

Therapeuten, der auf familiäre Gewaltprävention spezialisiert ist, nicht imstande. Achten Sie auf den Verlauf Ihrer Auseinandersetzung – und verwickeln Sie sich nicht zu stark in Inhalte. Versuchen Sie herauszufinden, nach welchem Muster Ihre Auseinandersetzungen ablaufen, das heißt, wann Sie typischerweise streiten, wo Sie streiten, über welche Themen Sie streiten und wie Sie einen Streit lösen oder auch nicht. Sprechen Sie über diese Themen, wenn Sie nicht ärgerlich bzw. neutral gestimmt sind. Versuchen Sie, gemeinsam Lösungen zu finden, und kommen Sie überein, eine Auszeit zu nehmen oder sich neutrale Unterstützung zu holen, wenn Sie nicht weiterkommen. Versuchen Sie beide zusammen auf das Problem zu schauen, als Team. Lernen Sie Ihre Trigger kennen. Das sind Themen oder Situationen, die starke Emotionen oder destruktive Reaktionen bei Ihnen auslösen. Klären Sie Ihren Partner über diese auf und finden Sie gemeinsam einen Weg, sich mitzuteilen, wenn Ihre wunden Punkte berührt werden, um einen Schritt zurücktreten zu können und das Gespräch erst dann wieder aufzunehmen, wenn Sie sich beruhigt haben. Lernen Sie auch die Trigger Ihres Partners kennen, dann können Sie verständnisvoller und mitfühlender mit diesen Schwachstellen umgehen. Erforschen Sie durch Rollenspiele, welches Verhalten Sie sich von Ihrem Partner / Ihrer Partnerin in entsprechenden Situationen wünschen. Schieb mich, zieh mich Während die meisten von uns viele Wunden aus der Kindheit mit sich tragen, war diese Zeit für manche ein einziger Alptraum. Linda gehörte zu diesen Menschen, was auf ihr Lebensgefühl und ihre Beziehungen entsprechende Auswirkungen hatte. Bereits als Baby ließ die Mutter sie bei einer Verwandten, um ihre Tanzkarriere zu verfolgen. Zwei Jahre später

stand sie vor der Tür und wollte Linda zurück, was damit endete, dass sie das schreiende Kleinkind aus den Armen der Menschen riss, die für Linda die einzigen wirklichen Eltern waren, die sie je hatte. Linda wurde ihre ganze Kindheit hindurch von der alkoholkranken Mutter verbal und körperlich misshandelt und bekam dadurch das Gefühl, ein schrecklicher Mensch zu sein. Außerdem wurde sie in einem sehr frühen Alter von ihrem Stiefvater sexuell belästigt und später, als sie zehn Jahre alt war, auch noch von einer Cousine. Als sie das ihrer Mutter erzählte, gab diese ihr das Gefühl, selbst schuld zu sein. In ihrer Teenagerzeit gingen die Einschüchterungen und Demütigungen zuhause und in der Schule weiter, und auch das Erwachsenenleben brachte keine Erleichterung. Nach siebenjähriger Ehe fand sie heraus, dass der Mann, den sie bislang für ihren Seelengefährten gehalten hatte, eine Affäre mit einer Verwandten hatte. Später entdeckte sie, dass ihr 15-jähriger Cousin ihren dreijährigen Sohn und ihre kleine Tochter sexuell belästigte. Mit 43 Jahren begann sie eine Therapie. Sie hatte ein geringes Selbstwertgefühl, Depressionen, Ängste und schwere Eheprobleme. Ihr Mann Leonard war nicht mehr bereit, das Chaos zu ertragen, das sie durch ihre krankhafte Eifersucht, Gefühlsausbrüche und heftige Wutattacken, die sich gegen ihn richteten, erzeugte. Schließlich drohte er mit der Scheidung, wenn sie sich nicht änderte. Sie war zuvor schon einmal zwei Jahre in Therapie gewesen und hatte einige Einsichten über ihre Vergangenheit gewonnen, doch das hatte nichts an ihrem destruktiven Verhalten geändert. Leonard hatte die Verantwortung für sein Verhalten übernommen. Er stand hinter ihrer Ehe und zeigte das auch auf jede nur erdenkliche Weise. Vom Kopf her wusste Linda das, doch ihre frühen traumatischen Erfahrungen trieben sie weiterhin zu heftigen Gefühlsausbrüchen.

Wenn Menschen so stark misshandelt worden sind wie Linda, können alle ihre Beziehungen darunter leiden. Viele von uns können bestimmte Verwandte, Bekannte oder Mitarbeiter einfach nicht verstehen. Warum führen sie sich ständig auf wie Kinder? Die misslungenen Beziehungen aller Art – zu Ehepartnern, Freunden, Stiefeltern, Schwiegereltern oder Kollegen – sind oft geprägt durch heftige Emotionen, die in den Erinnerungsnetzwerken gespeichert sind. Manchmal nett, dann wieder unsensibel oder voller Wut, rasten diese Menschen oft an Punkten aus, die für uns nur schwer nachvollziehbar sind. Dazu kommt, dass sie als Kinder nie gelernt haben, sich selbst zu beruhigen, und es ihnen schwerfällt, Mitgefühl für andere zu empfinden, weil die eigenen Eltern ihnen ebenfalls kein Mitgefühl entgegenbrachten. Es ist verständlich, dass das Leben vor diesem Hintergrund zu einer endlosen Reihe von zwischenmenschlichen Dramen wird. Ängste, Depressionen und Selbstmordversuche gehören ebenfalls oft zu diesem Bild, denn tief im Inneren dieser Menschen lösen die unverarbeiteten Erinnerungsnetzwerke ständige Ängste aus wie auch das Gefühl, überhaupt nicht zu zählen. Nach der Verarbeitung ihrer traumatischen Erfahrungen, wozu auch die Untreue ihres Mannes gehörte, sind Linda und Leonard jetzt glücklich verheiratet und möchten über ihre Erfahrungen hier berichten, in der Hoffnung, anderen Menschen damit helfen zu können. Es folgt ihre Botschaft, die anderen Paaren die eigene Situation besser verständlich machen kann. Vielleicht können sich durch ihr Beispiel auch für Menschen, die immer wieder hilflos miterleben müssen, wie eine bestimmte Person in ihrem Leben ständig die Beherrschung verliert, neue Wege auftun. Linda sagt dazu: »Unsere Ehe war einfach total gestört. Ich reagierte extrem empfindlich auf alles, was nach Verlassenwerden aussah, zum Beispiel wenn mein Mann

mich ignorierte oder wegging, während ich sprach. Ich rastete aus, wenn er nur aus dem Zimmer ging. Das war völlig daneben, selbst ich verstand es nicht! Wir waren einfach nicht imstande, miteinander zu kommunizieren. Keiner hörte dem anderen wirklich zu. Ich weinte viel, manchmal über scheinbar wichtige Dinge, manchmal ohne jeden Grund. Es war, als ginge es in meinem Leben nicht ohne Dramen, was sicher auf meine Kindheit und das Zusammenleben mit einer alkoholkranken Mutter zurückging. Ich hatte völlig unrealistische Erwartungen und sabotierte auch schöne Situationen, die wir zusammen erlebten. Wenn wir lange nicht gestritten hatten, fand ich Anlässe, um einen Streit anzuzetteln. Ich brauchte diesen ›Kick‹, ob gut oder schlecht. Ich geriet schnell in Wut und hatte sehr wenig Geduld. Das brachte Leonard auf hundertachtzig. Mich frustrierte es, wenn ich vergeblich versuchte, ihm etwas klarzumachen, und er machte dicht, sowie ich ärgerlich wurde. Ich hatte das Gefühl, dass er mich nicht schätzte, und er fühlte sich von mir nicht respektiert. Ich war nicht gern allein und löcherte ihn ständig, wo er denn hingehe oder gewesen sei. Natürlich machte ihn das wütend, und dann blaffte er mich an. Es war für mich absolut verblüffend herauszufinden, wer ich wirklich bin. Das verdanke ich der EMDR-Therapie. Ich bin jetzt gern allein, freue mich sogar auf das Alleinsein. Ich habe keine Angst mehr und fühle mich nicht mehr unsicher. Ich habe ein neues Selbstgefühl. Ich weiß jetzt, was ich will, und setze mich dafür ein. Außerdem habe ich mehr Vertrauen. Wir streiten uns immer seltener und haben gelernt, Kompromisse zu schließen, ohne das Gefühl zu haben, uns aufzugeben. Ich habe gelernt, anders zu lieben. Die Beziehung gibt mir jetzt mehr als früher. Ich bitte um das, was ich will, statt zu erwarten, dass er das doch wissen müsste. Mein Rat an andere Paare lautet, sich wirklich zu überlegen, was Ihnen Ihre Beziehung wert ist und wie viel Sie bereits investiert haben. Sie sollten

es mit der Trennung nicht so eilig haben. Wenn Sie sich wirklich lieben, dann erledigen Sie einfach die anstehende Arbeit. Es ist leicht, einfach wegzugehen, aber was haben Sie dann gelernt? Wie wollen Sie vermeiden, mit dem nächsten Partner die gleichen Fehler zu machen? Es gibt gute Gründe dafür, dass Menschen, die sich scheiden lassen, mehrfach heiraten. Möglicherweise spielen Themen aus der Vergangenheit eine Rolle und blockieren Sie in Ihrer Fähigkeit, einen anderen Menschen zu lieben, ihm zu vertrauen und sich und ihn zu respektieren.« Heftige Streitigkeiten sind kein Grund für das Scheitern einer Ehe. Im Folgenden teilt Leonard mit, wie sich aus seiner Sicht durch die richtige Unterstützung das Blatt wenden kann: »Vor der Therapie war ich abwechselnd geschmeichelt und begeistert oder verwirrt und ärgerlich. Einerseits war Linda eine kluge, großzügige und fantasievolle Frau. Andrerseits war sie total launisch und hatte solche Stimmungsschwankungen, dass ich nur noch das Weite suchte. Ich konnte mir überhaupt nicht erklären, wie ein Mensch so verschiedene Persönlichkeiten haben kann. Wir haben gelernt, dass es viel wirkungsvollere Wege für die Lösung von Ehekonflikten gibt als emotionale Dramen. Sie können das leere, aufgebrachte Hickhack ohne Weiteres durch umsichtige, ergebnisorientierte Lösungswege ersetzen, um Differenzen zu klären, wie sie in jeder langfristigen, liebevollen und verbindlichen Beziehung auftreten. Der große Unterschied zwischen der Zeit vor und der Zeit nach der EMDR-Therapie betraf das Thema Vertrauen. Nach der Therapie hatte unsere Beziehung eine wirklich feste, unerschütterliche Grundlage. Als diese neue Dynamik erst einmal gegriffen hatte, folgten viele Jahre, in denen zwischen uns ein Vertrauen wuchs, wie wir es beide vorher nie für möglich gehalten hätten.

Auf dieser neuen Grundlage konnten wir unserer Ehe eine neue, durch viele Jahre erprobte Stabilität geben.« Wie Sie sehen können, kommunizieren Linda und Leonard ganz unterschiedlich. Linda hatte sich oft geringschätzig behandelt gefühlt und geglaubt, Leonard lehne ihre Emotionalität ab. Leonard war es umgekehrt genauso gegangen, denn er fühlte sich von Linda wegen seiner logischen Herangehensweise an Probleme abgelehnt. Wie bei vielen Paaren stabilisierte sich ihre Beziehung, als sie erst einmal gelernt hatten, miteinander zu kommunizieren, ohne sich gegenseitig »die Knöpfe zu drücken«. Wie Leonard sagte: »Wir haben die Erfahrung gemacht, dass eine gute Ehe Leidenschaft, Emotionen und Vernunft braucht, doch alles zu seiner Zeit und am richtigen Ort.« Für die meisten Paare wird das Beziehungsleben leichter, wenn unverarbeitete Erinnerungen nicht mehr im Weg stehen. Was wird da ausgelöst? Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass bestimmte jetzige Situationen manchmal völlig überraschende Reaktionen triggern, die damit scheinbar in keinerlei Zusammenhang stehen. Ein Beispiel dafür ist Ava, die einfach keine gesunde und stabile Beziehung eingehen und halten konnte. Sie wuchs mit einer alleinerziehenden, drogenabhängigen Mutter auf. Außerdem hatte einer der längeren Freunde der Mutter Ava im Teenageralter sadistisch gequält und sexuell belästigt. Ava pflegte zwar gute Freundschaften zu Frauen, doch ihre bisherigen Beziehungen zu Männern waren geprägt von sexuellem, körperlichem und emotionalem Missbrauch. Im Augenblick war sie mit Oscar zusammen, und die Beziehung war eine einzige Achterbahnfahrt. Auch wenn Oscar sie nicht körperlich oder sexuell misshandelte, hatte er selbst eine lange Geschichte mit verbalem Missbrauch und hatte Ava schon mehrmals ohne jede Ankündigung

verlassen. Als Paar hatten sie mit heftigen Auseinandersetzungen zu kämpfen, die oft damit endeten, dass Ava sich vor lauter Frustration Haare ausriss. Nach der Verarbeitung einer ganzen Reihe von frühen Erinnerungen, darunter auch Erlebnisse mit dem sadistischen Freund der Mutter, brachte sie sich selbst freundlichere Gefühle entgegen, doch das änderte nichts an ihrem Beziehungsmuster. Nach einer gründlichen Einschätzung der Situation bat die Therapeutin Oscar, für eine gemeinsame Sitzung mit in die Therapie zu kommen. Oscar beschrieb Ava als ruhige, hilfsbereite, selbstständige und liebenswerte Frau, die jedoch auch eifersüchtig war, voller Wut steckte und ständig versuchte, ihn zu kontrollieren. Ava beschrieb Oscar als »guten Mann«, dem sie sich verbunden fühlte, aber es machte ihr Angst, dass er die Tendenz hatte, einfach »abzuhauen«, wenn es zwischen ihnen »wirklich schwierig wurde«. Sie sagte auch, sie könne sich »einfach nicht beherrschen«, wenn sie sich über Oscar ärgerte, während er dann »das Weite suchte«, weil er befürchtete, die Situation könne sich so zuspitzen, dass er gewalttätig würde, wie er es als Kind bei den eigenen Eltern oft erlebt hatte. Auch stieß ihn ihre »geradezu paranoide Eifersucht und Wut« ab, wenn es um seine Freundschaften mit anderen Frauen ging. Der Therapeut bat Ava um Erlaubnis, sie in Oscars Gegenwart zur FloatBack-Technik anzuleiten, ausgehend von ihrem erst kürzlich bei einem Streit erlebten Gefühl, sich nicht »beherrschen« zu können. Dabei kam die Erinnerung an eine frühere Situation hoch, als Ava neun Jahre alt war und ihre Mutter anschrie, sie solle zuhause bleiben und sie abends nicht allein lassen. Um ihre Mutter, die völlig von ihrer damaligen Beziehung absorbiert war, zum Bleiben zu bewegen, hatte Ava mit den Fäusten so heftig gegen die Wand gehämmert, dass ihre Hände bluteten. Das grundlegende Thema war also ihr Gefühl, »Ich bin nicht wichtig«, und die

Angst, allein gelassen zu werden. Nach der Sitzung verstanden Oscar und Ava besser, welchen Schmerz ihre Streitereien bei ihr triggerten. Außerdem hatte Ava ihre nächste wichtige EMDR-Zielerinnerung gefunden, deren Verarbeitung die Dynamik zwischen ihnen veränderte. Ava konnte jetzt ihre Bedürfnisse und Wünsche mitteilen, ohne Angst zu bekommen oder ein Drama zu inszenieren. Ein weiterer Beziehungstipp Haben Sie keine Scheu, sich Hilfe zu suchen. Im Fernsehen sehen wir häufig Filme über die Freuden und Leiden der Suche nach der großen Liebe. Viel seltener geht es um die schwierigen Phasen, in denen Menschen in einer langfristigen Partnerschaft immer wieder einen gemeinsamen Weg finden müssen. Wenn Sie als Kind nicht gelernt haben, gesunde Beziehungen einzugehen, müssen Sie vielleicht das eine oder andere Buch zu diesem Thema lesen, Seminare besuchen oder sich an eine Therapeutin oder einen Therapeuten wenden. Beziehungsfähigkeiten sind nicht angeboren. Eigentlich sollten wir sie von den eigenen Eltern lernen, doch diese können uns nichts beibringen, was sie selbst nicht gelernt haben. Doch um unserer Kinder und der anderen Menschen in unserem Leben willen, die wir lieben, müssen wir uns entsprechende Fähigkeiten aneignen. Letzten Endes sind für eine gesunde erwachsene Beziehung zwei emotional gesunde Erwachsene erforderlich. Haben oder nicht haben Oft hören wir Menschen sagen, dass sie schon lange einen Partner suchen, aber einfach niemanden finden, der an einer festen Beziehung interessiert ist. Andere sagen, die Ehe sei für manche Menschen vielleicht das Richtige, doch sie selbst »glauben einfach nicht daran«. Auf Fragen hin erzählen sie vielleicht von der unglücklichen Ehe ihrer Eltern und der Befürchtung,

selbst in eine ähnliche Falle zu geraten. Andere haben die schmerzliche Scheidung der Eltern miterlebt und wollen das auf keinen Fall noch einmal durchmachen. Sie glauben, dass die Vergangenheit sich zwangsläufig wiederholt. Das mag zwar durchaus passieren, wenn wir uns mit unserer Vergangenheit nicht auseinandersetzen, muss aber nicht zwangsläufig so sein. Wir können aus den Fehlern unserer Eltern lernen, und wir können die emotionalen Wunden heilen, die wir als Kinder erlitten haben. Selbst wenn wir bereits erlebt haben, dass eine frühere Beziehung gescheitert ist, können wir aus den eigenen Fehlern lernen und das nächste Mal eine bessere Wahl treffen. Frei zu entscheiden Wie wir gesehen haben, gibt es für Beziehungsprobleme handfeste Gründe. Dazu gehören frühe Kindheitsängste, die sich in unseren Erinnerungsnetzwerken verankert haben, ob sie uns bewusst sind oder nicht. Wir können uns auch in destruktive Verhaltensmuster verwickeln, die uns in die Arme des falschen Partners oder der falschen Partnerin treiben. Viele dieser Muster gehen auf die Beziehung zu unseren Eltern sowie deren unpassende Konfliktlösungsstrategien zurück, die wir als Kinder zwangsläufig übernehmen. Als Erwachsene werden wir dann gesteuert von der emotionalen Bürde, die wir von unseren Eltern übernommen haben. Der Grund dafür ist, dass wir als Kinder in eine Dynamik verwickelt waren, welche die Familientherapie als »Triade« bezeichnet, das heißt, wir haben in der Beziehung zu unseren Eltern versucht, ihnen durch unser Verhalten ihre Schwierigkeiten zu erleichtern. Wenn die Ehe kriselt, konzentrieren manche Eltern sich auf das »besondere Kind«, um sich zu entlasten. Ob dieses Kind nun aufgrund seiner Talente oder seiner Bedürfnisse »besonders« ist, ist unerheblich – es wird zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. In anderen Fällen sucht sich einer der Partner bei

Ehekonflikten unter den Kindern sein »besonderes Kind« aus. Genau das war bei Sonia der Fall. Sonia stammte aus einer italienischen Arbeiterfamilie. Ursprünglich kam sie in die Therapie, weil sie an Depressionen und Gefühlen von Hoffnungslosigkeit litt und keinen Sinn in ihrem Leben sah. Anders als ihre Schwestern, die beide Ehemänner und Kinder hatten, war sie nie verheiratet gewesen. Mit ihren 34 Jahren betrachtete sie sich als das schwarze Schaf in ihrer Familie, in der man sehr viel Wert auf Kinder legte. Sie war einsam, hatte kaum Kontakte und lernte offensichtlich nie Männer kennen, von denen sie Zuwendung und Unterstützung erfuhr. Ihr »Pech in der Liebe« ging auf eine Kindheitstriade zurück, die so aussah, dass der Vater sie zu seinem »Lieblingskind« erklärt hatte, um eigene Bedürfnisse nach emotionaler Nähe zu erfüllen. Seine eigene Kindheit – so hieß es in der Familie – war von Gewalt geprägt gewesen. Das sollte erklären, warum er ständig schlechte Laune hatte und auch entschuldigen, dass er Sonia und ihre Geschwister ohrfeigte, verfluchte oder anbrüllte, wenn sie »sich schlecht benahmen«. Als sein Liebling war Sonia die einzige in der Familie, die ihn konfrontierte oder tröstete. Aus diesem Grund grollte die Mutter ihr und zeigte ihr oft die kalte Schulter. Statt sich emotionale Zuwendung von seiner Frau zu holen, benutzte der Vater Sonia oft, um sich bei ihr über seine Frau zu beklagen. Sonia, die schnell spürte, dass sie dadurch vom Vater besondere Zuwendung bekam, teilte schließlich seine negative Meinung über ihre »unmögliche« Mutter. Das fiel ihr – distanziert und eifersüchtig, wie die Mutter sich ihr gegenüber oft verhielt – nicht weiter schwer. Diese Triade zwischen Sonia und ihren beiden Eltern bildete die Grundlage dafür, dass sie später an Männer geriet, die ihre keine emotionale Zuwendung geben und auch keine Nähe und Intimität zulassen konnten. Sie

war auch der Grund dafür, dass sie Männern, die gebunden waren, gerne glaubte, wenn diese an ihrer Frau oder Freundin zwar viel Kritik übten, sich jedoch – wie sie sagten – verpflichtet fühlten, bei ihr zu bleiben. Außerdem hatte sie durch diese frühe Konstellation mit dem Vater gelernt, männliche Wutausbrüche zu akzeptieren und damit zu entschuldigen, dass der Mann eine »schwere Vergangenheit« hatte. Schon früh hatte Sonia vor allem Kontakte zu Jungen, die mit ihr spielten, ohne sie wirklich zu schätzen oder als feste Freundin in Betracht zu ziehen. Ihre Beziehungsgeschichte war voller schmerzlicher Triaden mit Männern, die sie emotional ausnutzten und vorgaben, sie zwar »zu brauchen«, aber nicht imstande waren, zuverlässig für sie da zu sein. Die Verarbeitung ihrer schmerzlichen Erinnerungen sowie der darin verschlüsselten Überzeugungen, »Ich bin ein schlechter Mensch«, »Ich bin nicht liebenswert« und »Ich verdiene keine Liebe«, war für Sonia auf vielen Ebenen befreiend. Heute erkennt sie warnende Anzeichen und wendet sich Männern zu, die frei sind, sich für sie zu entscheiden. Sie hat kein Interesse mehr daran, »die andere Frau« zu sein. Ständig dichtmachen Die meisten von uns sehnen sich nach wirklicher Nähe zu dem Menschen, den sie lieben. Wir möchten uns ihm mitteilen können, ohne verletzt zu werden, möchten gehalten und getröstet werden, wenn wir es brauchen, zusammen lachen und herumspielen und uns unserer Leidenschaft hingeben, ohne Angst haben zu müssen, dass unser Partner uns verurteilt. Leider erleben wenige Menschen diese Form von Nähe, und bei anderen nimmt sie im Lauf der Zeit ab. Das ist meistens deswegen der Fall, weil bestimmte Erlebnisse unser Vertrauen erschüttert haben. Da wir uns emotional nicht sicher fühlen und die Reaktionen unseres Partners fürchten, behalten wir unseren Schmerz für uns.

Wie wir gesehen haben, tragen viele von uns alte Ängste mit sich herum, die verhindern, dass wir einem geliebten Menschen wirklich nahekommen. Emily zum Beispiel war mit dem Mann verheiratet, den sie aufrichtig liebte. Doch aus Gründen, die sie selbst nicht verstand, hatte sie Angst, dass er »verschwinden« würde, wenn sie sich ihm wirklich hingeben, aufrichtig mitteilen und präsent sein würde. Sie nahm wahr, dass sie sich sehr oft schämte, traurig war oder Angst hatte. Mit diesen Gefühlen gingen Überzeugungen einher wie »Ich zähle nicht«, »Ich bin unwichtig« und »Ich kann niemandem vertrauen«. Wie sich herausstellte, wurzelten diese Gefühle in zwei Kindheitserlebnissen: Beim ersten hatte ihre Mutter einmal vergessen, sie von der Schule abzuholen, als Emily sechs Jahre alt war. Das zweite passierte, als sie acht Jahre alt war und mit ihrer Familie einen Erlebnispark besuchte. Als sie dort einen Wutanfall bekam, sperrten die Eltern sie ins Auto und ließen sie dort allein. Offensichtlich kamen Emilys Eltern in beiden Fällen später zu ihr zurück. Aber der Schaden war bereits angerichtet, weil sich der Schmerz und die Angst, die Emily in diesen Situationen empfunden hatte, bereits in ihren Erinnerungsnetzwerken verankert und den Boden für ihre späteren Beziehungsschwierigkeiten bereitet hatten. Emily ist kein Einzelfall. Wenn wir uns näher anschauen, in welchen Lebensbereichen wir frustriert sind oder uns blockiert fühlen, müssen wir uns fragen: Was hindert uns daran, mit unserem Partner oder unserer Partnerin ein Team zu bilden, um gemeinsam Lösungen für schwierige Themen zu finden? Haben wir vergeblich versucht, uns dem anderen mitzuteilen? Oder haben wir gar keinen Versuch in diese Richtung unternommen? Die Unfähigkeit, unsere Wünsche zu äußern, beruht oft auf Ängsten davor, unseren Ärger zu zeigen, auf Ablehnung zu stoßen oder selbst Ärger zu provozieren. Manchmal liegt dieser Unfähigkeit auch die

Angst zugrunde, »nein« zu sagen. Ist diese Angst berechtigt? Haben Sie in Ihrer jetzigen Beziehung bereits versucht, sich aufrichtig mitzuteilen, und Ihr Partner hat Sie ärgerlich abgewiegelt? Wenn Sie sich in dieser Hinsicht blockiert fühlen, können Sie versuchen, mithilfe der Float-Back-Technik herauszufinden, welche Schlüsselerinnerung hier im Spiel ist, und diese mit der Spiral- oder Lichtstrahltechnik oder anderen Techniken positiv verändern. Sollten Sie feststellen, dass alte Themen Sie hier steuern, können Sie auch Ihren sicheren Ort aufsuchen, um Mut zu sammeln, Ihre Anliegen zu äußern. Lassen Sie Ihren Partner wissen, dass Ihnen das schwerfällt und warum. Erklären Sie ihm, warum Sie an diesen Schwierigkeiten gern mit ihm im Team zusammenarbeiten würden. Sie können natürlich auch überlegen, sich professionelle Unterstützung zu holen. Leider glauben viele Menschen, die Partnerin oder der Partner müsste »wissen«, wie sie fühlen, und darauf eingehen können. Es wäre schön, wenn wir alle Gedanken lesen könnten, aber so funktioniert es einfach nicht. Wenn wir Angst haben, unsere Bedürfnisse mitzuteilen, sind in unseren unverarbeiteten Erinnerungsnetzwerken zusammen mit entsprechenden Erlebnissen meistens auch Gefühle wie »Ich bin unwichtig« oder »Ich bin nicht gut genug« abgespeichert. Heute liegt es bei Ihnen, etwas dagegen zu unternehmen. Wo bist du? Wie wir bereits gesehen haben, wählen manche Menschen Beziehungspartner, mit denen wirkliche Nähe von Anfang an nicht möglich ist. Andere stoßen im Verlauf ihrer Beziehung an entsprechende Grenzen. Wir machen dicht, was unseren Partner oft verwirrt, ärgerlich macht und verletzt. Was ist passiert? Warum hat sich die Beziehung so verändert? Wo ist der Mensch geblieben, den ich einmal geheiratet habe? Selbstzweifel

schleichen sich in die Beziehung ein. Manchmal gehen die Schwierigkeiten auf körperliche Probleme zurück, die Befürchtungen auslösen, für den anderen eine Last zu sein, manchmal auch auf finanzielle Krisen, sodass der bisherige Alleinverdiener sich als Versager empfindet. Mit Beginn der Rente oder dem Auszug der Kinder verschiebt sich oft das Machtgefüge. Manchmal löst ein Unfall oder ein anderes traumatisches Erlebnis Schamund Schuldgefühle aus. In solchen Zeiten muss sich ein Paar zusammensetzen. Aber manchmal ist die Situation so verfahren, dass die beiden allein nicht weiterkommen. Wie bei Adam und Lea. Was als wahre Liebesgeschichte begann, endete schließlich fast, weil sich zwischen beiden so viele Hindernisse aufgetürmt hatten, dass keiner von ihnen sie mehr aus dem Weg räumen konnte. Sie erklärten sich nach Abschluss ihrer Behandlung einverstanden mit einem Nachgespräch, um anderen Menschen in ähnlicher Lage mit ihrem Beispiel helfen zu können. Adam und Lea waren seit über 15 Jahren verheiratet, als sie in die Therapie kamen. In ihrer Verlobungszeit und zu Beginn ihrer Ehe hatten sie viel herumgealbert und gelacht und eine tiefe emotionale wie auch sexuelle Bindung zueinander entwickelt. Doch die letzten zehn Jahre, seit seiner Rückkehr von der »Operation Wüstensturm« im Irak, war Adam ein emotionales Wrack gewesen. Dazu Lea: »Wir entfernten uns immer mehr voneinander. Ich meine, ich gab mir wirklich große Mühe, so zu tun, als sei alles in Ordnung, weil ich einfach nicht verstand, was da passierte. Warum waren wir unglücklich miteinander? Warum entstand keine Nähe mehr zwischen uns? Was war das Problem? Ich fand einfach keine Antwort auf diese Fragen. Ich bekam immer mehr das Gefühl, dass der Orgasmus für Adam eine Droge war, um zu betäuben, was ihn offensichtlich bedrückte, und um sich als menschliches Wesen zu fühlen. Aber für mich waren das keine wirklichen

Begegnungen mehr, bei denen wir uns gegenseitig unsere Liebe zeigten. Doch obwohl ich so empfand, machte ich halbherzig mit. Ich wollte gern glauben, dass wir immer noch eine Ehe führten und auch eine sexuelle Beziehung hatten. Doch eigentlich fühlte ich mich von Adam alleingelassen und war deswegen wütend auf ihn.« Adam hatte im Krieg als Arzt gearbeitet und war davon ausgegangen, dass er nie ein Gewehr würde in die Hand nehmen müssen. Doch bei einem Überfall aus dem Hinterhalt sah er sich gezwungen, einen Mann zu töten, und empfand deswegen große Schuld und Scham. Diese Gefühle bedrückten ihn so stark, dass er mit Lea nicht darüber reden konnte; er hatte Angst, dass sie sich dann ganz von ihm abwenden würde. Lea bestand schließlich auf einer Behandlung, weil Adam ganz offensichtlich nicht mehr der Mensch war, den sie einmal geheiratet hatte. Er hatte ihr gegenüber emotional völlig dichtgemacht, und das untergrub das Vertrauen, das es zwischen ihnen einmal gegeben hatte. Er war total beschäftigt mit dem eigenen Kummer und geriet beim Thema Tod schnell außer sich. Als Lea zum Beispiel am Tag nach dem Tod ihres Vaters weinend zusammenbrach, herrschte Adam sie an, sie solle aufhören zu weinen und es sei jetzt »genug damit«. Doch Adam hatte ebenfalls Angst, sie zu verlieren. Da er sich als schlechter Mensch fühlte, passte er sich Lea immer mehr an. Er tat alles, um es ihr recht zu machen, und arbeitete zum Beispiel mehr denn je. Wenn sie sich über etwas beklagte, konnte er sich nicht verteidigen, denn, wie er selbst sagte, er hielt sich wegen dieses Vorfalls im Krieg »für einen schrecklichen Menschen. Und das lief völlig unbewusst ab, ich meine, ich hatte einfach das Gefühl, dass ich es nicht verdiente, glücklich zu sein. Ich verdiene nichts Gutes im Leben. Ich muss Abbitte leisten.« Wir sind jedoch komplexe Wesen. Auch Adam grollte Lea, weil er sich ständig von ihr

kritisiert fühlte, und reagierte in vielen Situationen gereizt. Diese emotionale Distanz und Missstimmung trieb sie immer weiter auseinander. Wie sie sagte: »Die Leere zwischen uns nahm immer mehr zu.« Glücklicherweise führen die beiden nach einer Paartherapie und einer EMDR-Therapie jetzt wieder eine Ehe, in der sie sich auf Augenhöhe begegnen. Ihr Rat gilt nicht nur für Beziehungen von Kriegsveteranen, sondern für alle Paare, die feststellen, dass sie festgefahren sind und immer weiter auseinandertreiben. Wenn Sie viel Scham oder Schuld empfinden, sollten Sie nicht zulassen, dass diese Gefühle Sie von den Menschen, die Sie lieben, trennen. Ihre jetzige Sicht der Dinge beruht dann wahrscheinlich auf unverarbeiteten Erinnerungen, die bewirken, dass Sie sich festgefahren fühlen. Dazu noch einmal Adam: »Vor der Behandlung hatte ich mir immer gesagt: ›Du bist ein schrecklicher Mensch. Du solltest dich schämen für das, was du getan hast, und dich bemühen, das wieder gutzumachen.‹ Jetzt sage ich mir: ›Ich bin da in eine wirklich schreckliche Situation hineingeraten. Aber ich habe getan, wozu ich angewiesen wurde und womit ich mich vorher auch einverstanden erklärt hatte.‹ Wissen Sie, das war eine Entscheidung auf Leben oder Tod, und Sie akzeptieren die Konsequenzen, die damit verbunden sein können. Es ist immer noch eine Tragödie, dass diese Person sterben musste, und das macht mir auch immer noch zu schaffen. Aber ich halte mich jetzt nicht mehr für einen schlechten Menschen, weil ich tat, was ich tun musste. Holen Sie sich sobald wie möglich Hilfe, je früher, desto besser, um sich nicht noch mehr aufzuladen, was alles noch schlimmer macht. Lea und ich haben zehn sehr schwierige Jahre durchgemacht, bevor wir an diesen Punkt gelangten. Es muss eine Menge Heilung zwischen uns geschehen.« Auch für Lea sehen die Dinge jetzt anders aus. Wie sie sagt, kann der äußere Schein auch trügen. Aber wenn Sie von Ihrem Partner und damit

dem Menschen, den Sie lieben und von dem Sie Unterstützung brauchen, abgeschnitten sind, ist der Schmerz darüber sehr real: »Adam funktionierte perfekt. Er verdiente Geld, war ein guter Vater, bezahlte unsere Rechnungen und tat, was man von ihm erwarten konnte. Er prügelte sich nicht, betrank sich nicht und wurde nicht kriminell. Wie konnte ich da wissen, dass er in seiner Selbstachtung tödlich getroffen war? Und der Veteran mit seinen Kriegserlebnissen ist nicht der einzige, der eine EMDR-Therapie braucht. Auch bei mir kamen durch die Situation, die durch Adams Erlebnis zwischen uns entstand, einige heftige emotionale Themen hoch, an denen ich arbeiten musste. Ich würde also beiden Partnern empfehlen, eine solche Therapie zu machen.« Das Resultat ist all diese Mühen wert. Nach zehn Jahren heimlicher Schmerzen und Leas Gefühl, dass Adam ihre Bedürfnisse beim Sex ignorierte und sie benutzte, fühlen die beiden sich wieder wirklich miteinander verbunden: »Jetzt habe ich das Gefühl, dass unsere Liebe tatsächlich weitergeht. Gefühlsmäßig ist das ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht. Ich meine, es ist jetzt so anders zwischen uns als früher, weil ich das Gefühl habe, dass Adam mich wieder liebt und schätzt. Und das ist einfach wunderbar.« Wenn sich Ihre Beziehung aus irgendwelchen Gründen verschlechtert, sollten Sie bereit sein, darüber zu sprechen. Sollten Sie sich blockiert fühlen, können Sie versuchen, das mithilfe der Selbststeuerungstechniken zu ändern. Wenn das nicht klappt, holen Sie sich am besten professionelle Unterstützung. Warten Sie nicht Monate und Jahre darauf, dass die Dinge sich von selbst ändern. Damit laden Sie sich, wie Adam sagte, nur noch mehr auf. Du bist verkehrt, ich bin sauer

Wir alle erleben bei der Arbeit, mit Freunden oder Familienangehörigen manchmal Situationen, in denen wir sicher sind, dass der andere sich völlig daneben benimmt. Vielleicht haben wir damit vollkommen recht, doch wie können wir uns in diesem Fall richtig verhalten? Wenn wir ausrasten, weil die Situation an eigene unverarbeitete Erinnerungen rührt, ist niemandem gedient. Der damit verbundene Stress kann uns auf die Dauer gesundheitlich schaden. Elena zum Beispiel stammte aus einer großen Familie, die fest zusammenhielt und sich regelmäßig traf, doch ihr Cousin Patrick hielt oft nicht, was er versprach. Wenn sie verabredet waren, kam er häufig viel zu spät. Wenn er zusagte, einen Anruf zu machen oder andere Dinge zu erledigen, passierte das selten ohne wiederholtes Drängen. Elena stellte fest, dass dieses Verhalten ihres Cousins sie jedes Mal sehr wütend machte. Sie sagte ihm immer wieder, wie wichtig sie es finde, dass Menschen ihr Wort halten. Wenn er etwas versprach, solle er sich daran halten und es auch tatsächlich tun. Und wenn ihm das nicht möglich war, solle er sie bitte informieren. Ihr schien das völlig einleuchtend zu sein, doch ihre Appelle änderten nichts. Patrick versprach weiterhin, was er nicht hielt. Es heißt, wir können uns zwar unsere Freunde, nicht aber unsere Familie aussuchen. Elena erlebte ein solches Verhalten selten bei anderen Menschen, denn wir wählen ja meistens Freunde, mit denen wir uns wohlfühlen. Wenn Bekannte sich wie Patrick verhalten würden, würde Elena nicht zögern, die Beziehung zu beenden. Aber von Patrick konnte sie sich nicht einfach trennen. Wegen familiärer Verpflichtungen musste sie einfach manchmal Umgang mit ihm pflegen. An diesem Punkt wurde es für sie wichtig, sich einmal gründlicher anzuschauen, warum er sie immer wieder auf hundertachtzig brachte.

Die meisten von uns würden Patricks Verhalten bei einem erwachsenen Menschen nicht akzeptieren, doch rechtfertigte das Elenas heftige emotionale Reaktionen? Mit anderen Worten, wie stark störte Patricks Verhalten sie und konnte sie daran etwas ändern? Wir alle haben schon einmal erlebt, dass Menschen, denen wir vertrauen, uns unfreundlich behandeln und dann sagen, wir sollten das »nicht persönlich nehmen«. Wenn wir überreagieren und Dinge »persönlich nehmen«, heißt das meistens, dass die Situation unverarbeitete Erinnerungen in uns anspricht. Diese Erkenntnis ist ein guter Ausgangspunkt, um zu untersuchen, warum wir bei bestimmten Anlässen emotional so heftig reagieren. Elena konzentrierte sich auf die letzte Situation, in der Patrick ein Versprechen nicht gehalten hatte. Das löste bei ihr Ärger und Vorwürfe aus wie: »Ich halte immer, was ich ihm verspreche. Wenn ich daran denke, was ich schon alles für ihn getan habe!« Dann fragte sie sich: »Wie fühle ich mich dabei?« Die Antwort lautete: »Ich habe das Gefühl, ich bin ihm nicht so wichtig, dass er sich für mich Mühe gibt.« Während sie sich das Bild der letzten frustrierenden Situation mit Patrick sowie den Gedanken, »Ich bin ihm nicht wichtig«, vergegenwärtigte, wanderte Elena mithilfe der FloatBack-Technik innerlich zurück zu der frühesten Erinnerung, die ähnliche Gefühle in ihr geweckt hatte. Dabei sah sie sich als Jugendliche, die sich mit ihren Freundinnen am Bahnhof verabredet hatte, um einen Tagesausflug in die Stadt zu machen. Elena wartete über die verabredete Zeit hinaus, doch vergebens. Sie glaubte, ihre Freundinnen in einem durchfahrenden Zug zu sehen, doch an ihrer Station stieg niemand aus. Enttäuscht und verletzt machte sie sich auf den Heimweg. Kurz darauf riefen ihre Freundinnen an, um ihr zu sagen, dass sie sich beim Kämmen und Schminken verspätet hatten. Da sie dachten, Elena würde nicht so lange auf sie warten, waren sie ohne sie in die Stadt gefahren. Jetzt riefen sie an, um

zu fragen, ob sie sich noch mit ihnen treffen wollte. Sie ging hin, obwohl sie das Gefühl hatte, ihren Freundinnen nicht wirklich wichtig zu sein. Und genau dieses Gefühl löste auch Patricks Verhalten in ihr aus. Als ihr das klar wurde, konnte sie auch sehen, dass ihr Cousin sich den anderen Familienmitgliedern gegenüber genauso verhielt. Er kam ständig zu spät und vergaß getroffene Vereinbarungen. Auch wenn Elena mit Patricks Verhalten nach wie vor nicht glücklich war, musste sie jetzt nicht mehr bei ihrer berechtigten Entrüstung stehenbleiben. Sie konnte diese Gefühle besser bewältigen, indem sie, sobald sie hochkamen, das entspannte Atmen machte oder die Spiraltechnik anwendete. Ihren Cousin konnte sie nicht ändern, sondern nur versuchen, möglichst wenig von ihm zu verlangen. Wir können uns unsere Familie nicht aussuchen und sie meistens auch nicht ändern. Aber wir können erkennen, in welchen Situationen wir immer wieder heftig reagieren, und Wege finden, anders damit umzugehen, statt uns durch Gedanken wie: »Wie konnte er!« oder »Was fällt ihr nur ein?« innerlich hochzuschaukeln. Manchmal hilft es, wenn wir diese Erlebnisse als Gelegenheit für unser persönliches Wachstum betrachten. Elena wurde klar, dass die Erinnerung an das Versetztwerden durch ihre Freundinnen damals auf dem Bahnhof ihr heutiges Verhalten gegenüber Freunden und Kolleginnen beeinflusst hatte. Sie hatte sich von Personen verabschiedet, auch wenn diese nur einmal nicht Wort gehalten hatten. Vielleicht war es an der Zeit, anderen Menschen in ihrem Leben mehr Spielraum zu geben. Sie hatte die Situation mit Patrick auch zum Anlass genommen, ihre alte Therapeutin anzurufen, um diese Erinnerung zu verarbeiten, und auch andere, die möglicherweise damit zusammenhingen. Damit ist sie ein gutes Beispiel dafür, wie wir alle uns verhalten können, wenn bestimmte Dinge uns ständig ärgern. Ob es Familienangehörige, Freunde oder Kollegen

betrifft, wichtig ist, dass wir uns fragen: Reagiere ich wie der erwachsene Mensch, der ich inzwischen bin, oder wie das Kind, das ich einmal war? Wichtig ist in jedem Fall, dass wir den Stress in unserem Leben abbauen. Wenn ein anderer Mensch Sie mit seinem Verhalten ständig auf die Palme bringt, ohne Ihnen wirklich zu schaden, kann es sein, dass Sie Probleme mit Macht und Kontrolle haben. Vielleicht regen Sie sich vor allem deswegen so auf, weil diese Person sich anders verhält, als Sie es gern hätten, und Sie daran nichts ändern können. Auch wenn es manchmal schwierig ist, müssen wir uns immer wieder klarmachen, dass andere Menschen das Recht haben, selbst zu entscheiden, wie sie sich verhalten wollen. Und Sie können das für sich entscheiden. Versuchen Sie einmal, den sicheren / ruhigen Ort aufzusuchen, sich die Person vorzustellen, deren Verhalten Sie stört, und dabei zu denken: »Ich verzeihe dir, dass du dich so verhalten hast.« Wiederholen Sie das ein paar Mal. Vielleicht können Sie dann an diesen Menschen denken, ohne sich aufzuregen. Auch wenn Ihnen sein Verhalten nicht gefällt, mit Ihrem ständigen Groll schaden Sie sich selbst mehr als dieser Person. Abschließende Ratschläge für Beziehungen Finden Sie die Ursache heraus. Manchmal reagieren wir auf das Verhalten eines Familienangehörigen mit einer Mischung aus Bestürzung und Empörung. Wir verstehen einfach nicht, warum dieser Mensch offensichtlich mit allen gut auskommt und sich nur uns gegenüber grob und verletzend verhält. Machen Sie sich klar, dass das deswegen der Fall sein kann, weil im Umgang mit Arbeit, Freunden und Familie bei jedem von uns andere Erinnerungsnetzwerke mitspielen. Je nach Art der Beziehung und Situation können ganz unterschiedliche unverarbeitete Erinnerungen angesprochen werden. Wenn Sie und Ihr Partner Probleme haben, können

Sie beide zunächst einmal Ihren sicheren / ruhigen Ort aufsuchen, um dann herauszufinden, welche konkreten Umstände diese heftigen Gefühle auslösen. Lassen Sie sich verbindlich darauf ein, gemeinsam an Ihren Schwierigkeiten zu arbeiten, denn Ihre Beziehung braucht Sie beide. Ziehen Sie auch in Betracht, mithilfe der Float-Back-Technik herauszufinden, welche Erinnerungen Sie steuern. Seien Sie großzügig. Großzügigkeit Ihrem Partner gegenüber heißt, ihm bei kleineren Nachlässigkeiten Aufmerksamkeit, Zeit, Unterstützung und ein paar freundliche, verzeihende Worte zu schenken. Und sich innerlich zu fragen, wie wir den Menschen, die wir lieben, unser Bestes geben können. Doch um dazu imstande zu sein, müssen wir auch auf uns selbst achten. Denken Sie daran, die Selbsthilfetechniken, die Sie bereits gelernt haben, täglich anzuwenden, um sich selbst Zuwendung zu geben und Stress abzubauen. Versuchen Sie, offen zu bleiben. Wenn sich bestimmte Konflikte ständig wiederholen, neigen wir manchmal dazu, uns unserem Partner gegenüber zu »verschließen« oder »ganz dichtzumachen«. Wir verschanzen uns, um weitere Verletzungen zu vermeiden. Es ist ganz natürlich, dass Sie sich schützen wollen, wenn Sie verletzt worden sind. Problematisch kann das deswegen werden, weil Sie sich dadurch möglicherweise so stark isolieren, dass keine Veränderungen mehr möglich sind. Wenn Sie Ihren Partner mit diesem Verhalten bestrafen wollen, bestrafen Sie damit vielleicht auch sich selbst, weil Sie sich betäubt, verschlossen und deprimiert fühlen. Achten Sie darauf, sich von Ihren Gefühlen nicht abzuschneiden. Denken Sie daran, Sie haben die Wahl. Die Techniken, die Sie hier bereits gelernt haben, können Ihnen helfen, sich zu »öffnen«, anstatt sich zu »verschließen« – und das heißt, sich anstehenden Situationen entspannt, friedlich und aufgeschlossen zuzuwenden.

Kommunizieren Sie. Achten Sie darauf, dass Sie bei Konflikten bereit sind, mit Ihrem Partner über Ihre Verhaltensmuster offen zu sprechen und Wege zu finden, diese zu verändern. Sagen Sie zum Beispiel: »Ich liebe dich, und wenn X passiert, fühle ich Y«, statt: »Du bist schuld, dass ich mich so … fühle.« Wir sind für unsere Reaktionen selbst verantwortlich. Teilen Sie sich so mit, wie Sie es sich auch von Ihrem Partner wünschen würden. Keine Vorwürfe, einfach mitteilen, was wichtig ist, um gemeinsam darüber nachzudenken und hinzuspüren. Denken Sie daran, sich professionelle Unterstützung zu holen, wenn Sie alleine nicht weiterkommen. Durch diese Hilfe bei der Einschätzung Ihrer Situation können Sie bessere Entscheidungen treffen. Manchmal brauchen wir einen fachlich versierten, neutralen Dritten, der unsere Situation mit unvoreingenommenem Blick erfasst. Eigene Forschungen Machen Sie sich ein paar Notizen über die drei schwierigsten Beziehungen oder Liebesbeziehungen seit Ihren Jugendjahren. In welche Kategorie fallen Ihre damit verbundenen Überzeugungen? Sind das die gleichen, die Sie bereits herausgefunden haben, oder völlig andere? Machen Sie sich mithilfe der Float-Back-Technik bewusst, welche Kindheitserinnerungen hinter Ihren Schwierigkeiten stecken. Fügen Sie diese Ihrer Liste mit Schlüsselerinnerungen hinzu. Überlegen Sie, ob die hier gelernten kommunikativen Fähigkeiten und Selbststeuerungstechniken Ihnen bei Ihren augenblicklichen Beziehungsschwierigkeiten wirklich helfen. Falls nicht, könnten Ihre jetzigen Probleme aktuelle Beispiele für langfristige Schwierigkeiten in Ihrem Leben sein. In diesem Fall empfehle ich Ihnen, sich für die

Verarbeitung

der

entsprechenden

Erinnerungen

therapeutische

Unterstützung zu holen. Denken Sie daran, Sie haben die Wahl.

9. Ein Teil des Ganzen Gewalt, Süchte, sexueller Missbrauch

Ich erwähnte im ersten Kapitel, dass dieses Buch dazu beitragen möchte, dass wir uns selbst und die Menschen in unserem Leben besser verstehen. Ich sagte auch, dass es nicht darum geht, Vorwürfe zu machen. Aber manchmal ist genau das, offen gestanden, ziemlich schwer. Bisweilen sagt uns unser Sinn für Gerechtigkeit ganz laut und deutlich: »Das ist einfach nicht richtig!« Manchen Menschen fehlt offenbar jedes Verständnis, und vor allem begreifen sie nicht, dass sie andere immer wieder verletzen. Dann wieder wissen Menschen genau, dass sie mit ihrem Verhalten gegen gesellschaftliche Normen verstoßen, was sie aber nicht davon abhält, ohne jedes Mitgefühl oder ohne jede Empathie zu handeln. Andere quält und beschämt das eigene Fehlverhalten, doch behaupten sie, nicht anders zu können. Und wieder andere halten ihr Verhalten für völlig gerechtfertigt. Kein Tag vergeht, ohne dass die Zeitungen von Tragödien berichten, die zu verhindern gewesen wären. Wir lesen, wie Menschen, die sich offensichtlich für ihr Handeln überhaupt nicht verantwortlich fühlen, das Leben anderer Menschen zerstören. Sie richten überall, wo sie auftauchen, nichts als Unheil an. Tatsache aber ist, dass wir selbst in diesen Fällen unsere vorschnellen Urteile durch Verständnis relativieren müssen. Denn ohne das Warum zu verstehen, können wir nicht zu Veränderungen beitragen. Ja, diese Menschen sollten sich besser im Griff haben. Ja, sie tun oft schreckliche Dinge. Und ja, die meisten von ihnen könnten, wenn sie wirklich wollten, umlernen. Also werfen wir ihnen das umso heftiger vor:

Wenn sie umlernen können, dann sollten sie das auch tun – doch sie tun es einfach nicht! Wir müssen uns klarmachen, dass sie ihr destruktives Verhalten genau deswegen nicht unter Kontrolle bekommen, weil das Teil des Problems ist, in dem sie feststecken. Leider haben sich diese Menschen oft nicht nur selbst aufgegeben, sondern auch wir als Gesellschaft geben sie auf. Vielleicht denken wir, dass sie nun einmal dauerhaft gestört sind oder sich nicht ändern wollen. Doch solche Sichtweisen dringen nicht bis zur Wurzel des Problems vor und sind auch nicht hilfreich für mögliche Lösungen. Diese Menschen handeln aus ähnlichen Gründen wie wir; viele ihrer Reaktionen sind automatische Reflexe und gehen auf unbewusste Antriebe zurück. Das soll ihr Verhalten nicht entschuldigen, und doch sind auch Individuen, die Leid verursachen, Teil der Menschheit. Wir mögen ihr destruktives Verhalten ablehnen, doch wenn wir nicht lernen, die Täter zu verstehen und erfolgreich zu behandeln, zieht das weitere Opfer nach sich. Aus diesem Grund wenden wir uns in diesem Kapitel Menschen zu, die Kinder belästigen, die häusliche Gewalt ausüben, die andere Menschen vergewaltigen und die drogenabhängig sind. Vielleicht haben auch Sie oder eine Ihnen nahestehende Person unter einem solchen Menschen zu leiden. Letzten Endes leiden wir als Gesellschaft alle darunter, und sei es aus dem Grund, dass auch wir selbst von solchen Menschen verletzt werden können. Wie fängt das alles an? Es gibt viele Gründe dafür, dass ein Mensch das wird, was wir als »antisozial« bezeichnen. Manche meinen, sie könnten die Anzeichen dafür schon früh erkennen, zum Beispiel bei Kindern, die sich in der Schule ständig daneben benehmen und die wir offenbar nicht erreichen. Doch stimmt das wirklich?

Eines dieser »schwarzen Schafe« zeigte sich Gary, der kurz nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 seine neue Stelle als Schulpsychologe an einer Grundschule in der Provinz antrat. Er brachte einen ganzen Sack voller therapeutischer Spiele und Materialien für kunsttherapeutische Zwecke mit, um Kindern zu helfen, ihre Probleme und Gefühle auszudrücken. In Schulen muss man für Aktivitäten außerhalb der Unterrichtsstunden meistens erst einmal einen Platz finden. Garys »Praxis« war eine große Kammer, in der die Schule Schulbücher und einen Medienwagen aufbewahrte, der noch aus der Zeit stammte, als man mit Projektoren gearbeitet hatte. Also räumte Gary den Wagen leer und stellte seine Spielsachen und andere Materialien hinein. Damals kannte er die EMDR-Therapie noch nicht, wohl aber einige therapeutische Spiele, mit denen er seit Jahren gute Erfahrungen machte. Zu Garys ersten Begegnungen an jenem Tag gehörte Zach, ein Sechsjähriger, dem man den Übertritt vom Kindergarten in die Schule nicht erlaubt hatte. Er, sein Bruder und seine Schwester lebten bei der Großmutter. Beide Eltern saßen im Gefängnis, weil man sie beim Handel mit Methamphetaminen, starken Aufputschmitteln, erwischt hatte. Das war eine wichtige Information, schien aber Zachs Verhalten nicht hinreichend zu erklären. Der Grund dafür, dass er den Kindergarten wiederholen musste, ohne wirkliche Fortschritte zu machen, bestand darin, dass er auf dem Spielplatz fast täglich andere Kinder angriff. Solche Übergriffe beruhen auf einer »Verhaltensstörung«, wie Fachleute das bezeichnen, und können beim Erwachsenen später zu antisozialem, gewalttätigem Verhalten führen. Solche Kinder bleiben in der Schule meistens ständig zurück, oder man schleift sie irgendwie mit, auch wenn sie nicht wirklich lernen. Häufig bekommen sie die falschen Medikamente oder werden übermedikamentiert, damit sie sich anpassen. Oft brechen sie die Schule vorzeitig ab. Ohne eine

Ausbildung und innerlich voller Wut ist ihr Weg im Leben meistens vorgezeichnet. Am Schluss ihrer ersten therapeutischen Spielsitzung geriet Zach in Wut und fegte sämtliche Spielsachen vom Wagen. Gary sagte: »Du hast bestimmt gute Gründe für solche heftigen Gefühle.« Doch Zach ignorierte ihn einfach. Tatsächlich verlief noch eine Reihe weiterer Sitzungen so, dass der Junge nach den ordentlich aufgereihten Spielsachen griff und sie im Zimmer herumwarf. Schließlich schien Zach sich zu beruhigen und eine Beziehung zu Gary aufzubauen. Sie arbeiteten zusammen nach der spieltherapeutischen Methode. Doch auch nach 20 Sitzungen hatte sich Zachs Verhalten im Kindergarten nicht groß verändert. Gary begegnete ihm oft, wenn er wieder einmal auf dem Weg ins Büro des Direktors war, um sich dort eine Strafe abzuholen: Mit gesenktem Kopf stand er vor diesem frustrierten erwachsenen Mann und sah ganz klein und verloren aus, während er darauf wartete, die Stockschläge in Empfang zu nehmen. Damals waren Körperstrafen in jenem Teil der USA noch ziemlich verbreitet. Obwohl Gary mit dem Direktor sprach, konnte er ihn nicht daran hindern zu tun, was dieser für richtig hielt. Er erklärte dem Direktor auch, dass diese Bestrafungen zu Zachs destruktivem Verhalten beitragen würden, doch es half alles nichts. Obwohl er sein Bestes versuchte, konnte er dieses Kind nicht zur Vernunft bringen. Ein paar Monate später verließ Gary den Bundesstaat, um eine Ausbildung in EMDR zu machen. Während des Trainings hatte er Gelegenheit, mit Menschen zu sprechen, die ebenfalls mit Kindern arbeiteten. Das Gute bei Kindern sei, so erzählten sie, dass diese auf die Behandlung oft sehr schnell ansprächen. Als Gary Zach zwei Wochen später wiedersah, konnte er ihm die Übung »Der sichere Ort« beibringen.

Und in der nächsten Sitzung änderte sich alles. Fünf Minuten vor Ende der Sitzung fegte Zach wieder sämtliche Spielsachen vom Wagen, sodass sie durch das ganze Zimmer flogen. Da hockte Gary sich auf den Boden vor ihn hin und sagte zu ihm inmitten all der verstreuten Spielsachen: »Schau mal, was du gerade fühlst und wo du das in deinem Körper spürst.« Mithilfe der bilateralen Taps leitete er Zach an, seine Gefühle zu verarbeiten. Dieser begann fast übergangslos zu weinen und herzzerreißend zu schluchzen. Zu Garys Erstaunen kam Zach in den wenigen Minuten dort auf dem Fußboden mit seinen Gefühlen besser in Kontakt als in all ihren bisherigen Therapiestunden. Sie machten noch eine Runde weiter mit der Verarbeitung, was noch mehr Schluchzen und Weinen auslöste. Dann sagte Zach: »Ich fühle mich schrecklich, wenn ich die Spielsachen im Zimmer herumschmeiße.« Dann fragte er: »Kannst du ein Geheimnis behalten?« Gary sagte: »Ja«, ohne zu wissen, was er zu hören bekommen würde. Er war auf alles gefasst. Zach sagte schluchzend: »Meine Eltern sind im Gefängnis, und sie kommen erst raus, wenn ich schon ganz alt bin.« Als sie mit der Verarbeitung fortfuhren, war Zach mit seinen Emotionen in Kontakt, konnte sie spüren und zum Ausdruck bringen. Dann konzentrierte er sich auf die Erinnerungen an seine Eltern, auf die seine heftigen Gefühle zurückgingen. Bei der Verarbeitung konnte Gary sehen, wie Zach emotionale Zusammenhänge herstellte und Einsichten gewann, die er jetzt ohne Schwierigkeiten in Worte fassen konnte. Das war in Bezug auf die Ursache seiner Probleme eine große Veränderung. Viele junge Menschen sind von bestimmten Emotionen einfach überfordert. Es kommt zu einer Überlastung des Informationszentrums des Gehirns und die starken Emotionen werden in einem abgespaltenen Teil des Gedächtnisses gespeichert. Doch bestimmte Dinge in der Gegenwart können diese Emotionen wieder auslösen. Aus Zachs Sicht verließ ihn Gary

und damit die Person, zu der er eine Beziehung entwickelt hatte, am Ende einer jeden ihrer gemeinsamen Therapiesitzungen und verhielt sich damit genauso wie seine Eltern. Der Schmerz, die Angst und der Ärger trieben ihn dazu, scheinbar völlig unkontrolliert auszurasten und Spielsachen im Zimmer herumzuwerfen oder andere Kinder auf dem Spielplatz körperlich anzugreifen. Anschließend flauen diese Gefühle wieder ab, und das Kind kann sie weder spüren noch äußern. So wachsen diese Kinder zu Erwachsenen heran, die den Schmerz, den Ärger und die Angst in sich verschlossen halten und doch jederzeit explodieren können. In der folgenden Woche sprach Gary mit Zachs Lehrerin und fand heraus, dass er in der Gruppe keine Schwierigkeiten gemacht hatte und gut zurechtkam. Zach war so lange schwierig gewesen, dass seine Lehrerin und die anderen Erwachsenen in seinem Leben einige Zeit brauchten, um zu akzeptieren, dass es ihm tatsächlich besser ging. Gary arbeitete weiter mit ihm mit EMDR. Eines Tages fand er heraus, dass Zachs Großmutter seinen älteren Bruder endgültig an eine staatliche Einrichtung übergeben hatte, weil sie nicht wollte, dass er auf seine Geschwister einen schlechten Einfluss ausübte. Da dachte er: Jetzt kann ich wieder ganz von vorn anfangen. Aber das stimmte nicht. Als sie an dem Nachmittag zusammenarbeiteten, sagte Zach: »Mein Bruder hat sich einfach völlig daneben benommen. Und da, wo er jetzt ist, kann man ihm helfen.« Am Ende des Vorschuljahres kam Zach in die erste Klasse, und Gary wurde in einen anderen Bezirk versetzt. Er erkundigte sich aber hin und wieder bei seiner Nachfolgerin nach Zach und erfuhr, dass mit ihm alles gut ging. Wir wissen nicht, was aus seinem Bruder geworden ist, und können nur hoffen, dass er ebenfalls so kompetente Hilfe fand wie Zach, sodass er seinen Schmerz verarbeiten konnte.

Grundsätzlich können wir sagen, dass viele destruktive Verhaltensweisen, ob von Kindern oder Erwachsenen, auf unverarbeitete Erinnerungen zurückgehen, welche die Betroffenen steuern. Die körperliche Bestrafung änderte nichts an Zachs Verhalten. Sie ließ den Ärger, den Schmerz und die Angst, die in seinen Erinnerungsnetzwerken gespeichert waren, lediglich erneut aufflammen. Dass er den Übergang vom Kindergarten in die erste Klasse nicht schaffte und von den anderen Kindern deswegen gehänselt wurde, verstärkte den Schmerz noch, der ihn dazu trieb, auszuagieren. Das heißt nicht, dass Kinder keine Regeln und Disziplin brauchen. Eine Gesellschaft braucht bestimmte Normen, auf deren Einhaltung sie bestehen muss, um die Sicherheit aller zu gewähren. Doch wenn Eltern ihren Kindern keine Grundlage für eine gesunde emotionale Entwicklung geben, können diese die eigenen Emotionen nicht spüren und sich auch nicht allein beruhigen, wenn heftige Gefühle hochkommen. Das führt zu einer ganzen Reihe von Problemen, die wir uns in diesem Kapitel einmal genauer anschauen werden. Ich komme einfach nicht davon los Weil sie Drogen nahmen, konnten Zachs Eltern den Jungen nicht gut erziehen und ihm keine Vorbilder sein. Eine Sucht ist nicht nur als solche destruktiv, sondern trägt auch zu weiteren negativen Verhaltensweisen bei, denen wir uns in diesem Kapitel zuwenden. Drogen- und Alkoholsucht gelten inzwischen weltweit als großes Gesundheitsproblem. Man geht davon aus, dass auch unbehandelte Traumata das Risiko von Suchtmittelmissbrauch erhöhen können. Selbst wenn manche Menschen eine genetische Prädisposition für Suchterkrankungen mitbringen, muss im Leben der Betroffenen meistens einiges passieren, bevor das Suchtverhalten

greift. Diese Prädisposition kann die Genesung erschweren – aber unsere Gene sind nicht unser Schicksal. Während manche Menschen nicht in Kontakt mit ihren Emotionen sind, werden andere davon geradezu überwältigt. Wenn der Schmerz unerträglich wird, suchen sie durch äußere Mittel Erleichterung. Vielleicht haben diese Menschen erlebt, dass auch ihre Eltern sich mit Drogen betäubt haben, oder haben bei ersten Experimenten mit Drogen oder Alkohol im Freundeskreis die Entdeckung gemacht, dass sie sich damit einfach besser fühlten. Aus welchen Gründen auch immer, Menschen, die süchtig sind, entgleitet oft die Kontrolle und sie fühlen sich ohnmächtig, mit dem Suchtverhalten aufzuhören, wie sehr sie sich das auch wünschen oder wie viele andere sie verletzen mögen. Tausende setzen sich betrunken ans Steuer, um einfach nur von A nach B zu kommen, und verursachen dann Unfälle, bei denen Menschen getötet oder zum Krüppel werden. Ganz gleich, ob hier eine Sucht vorliegt oder es sich um einen einmaligen »Ausrutscher« handelt, klar ist, sie hätten sich in diesem Zustand nicht ans Steuer setzen dürfen. Aber sie tun es, und oft müssen andere dafür büßen. Leider geben die Betroffenen meistens erst dann zu, dass sie Hilfe brauchen, wenn sie einen absoluten Tiefpunkt erreicht haben. Es ist nie zu spät Süchte sind ein Teufelskreis. Erste Symptome dafür können innere Verzweiflung oder das Gefühl von eigener Wertlosigkeit sein, und wenn die Sucht erst einmal zuschlägt, liefert sie, während sie ihren destruktiven Verlauf nimmt, immer mehr Gründe für den Selbsthass. Für Süchtige ist es besonders wichtig, Methoden für die Bewältigung der eigenen emotionalen Schmerzen zu lernen. Ebenso wichtig ist es jedoch, dass sie die frühen Erinnerungen verarbeiten, die der Störung an erster Stelle zugrunde liegen. Es gibt Untersuchungen über ein staatliches Anti-Drogenprogramm in

Washington, bei dem man eine EMDR-Therapie mit einer vorbereitenden gruppentherapeutischen Behandlung kombinierte. Dieses Programm mit dem Titel »Sicherheit suchen« verband die Aufklärung über Süchte mit der Vermittlung verschiedener Methoden für den Umgang mit Traumata und Suchtmittelmissbrauch wie auch Selbststeuerungstechniken für die Selbstberuhigung. Erste Untersuchungsergebnisse zeigen, dass diese Behandlung bei 91,3 Prozent der Teilnehmenden, die sich mit einer EMDRTherapie einverstanden erklärten, erfolgreich war, im Gegensatz zu 62 Prozent bei den Teilnehmenden, denen man diese Behandlung ebenfalls anbot, die diese Methode aber ablehnten. Weitere Untersuchungen sind hier notwendig, aber die Ergebnisse mit den Menschen, die an dem kombinierten Behandlungsprogramm teilnahmen, sprechen für sich. Der erfolgreiche Abschluss dieser staatlichen Behandlungsprogramme ist der beste Garant dafür, dass Menschen aus dem Teufelskreis von Drogenmissbrauch und Inhaftierung aussteigen können. Die Ergebnisse zeigen auch, dass Menschen sich positiv verändern können, ganz gleich, wie lang und heftig ihre Vorgeschichte mit der Suchterkrankung war. Tom ist nach seinen positiven Erfahrungen mit diesem staatlichen AntiDrogenprogramm zum Fürsprecher für die EMDR-Traumatherapie geworden. Er hat für dieses Buch einen Bericht über seine eigene lange Reise »In die Hölle und zurück« beigesteuert in der Hoffnung, anderen in ähnlicher Lage damit helfen zu können: »Ich habe mit zwölf Jahren angefangen, Alkohol zu nehmen, mit 14 rauchte ich das erste Mal Haschisch und ging dann zu immer härteren Drogen über. Alkohol zu trinken und Drogen zu nehmen war für mich naheliegend, da ich miterlebt hatte, wie auch meine Eltern ihre Sorgen regelmäßig mit Alkohol herunterspülten. Sie waren ›tolle‹ Eltern; nur dass

sie eben Alkoholiker waren. Und natürlich tranken auch meine Freunde und nahmen Drogen, wie deren Eltern eben auch. Ich habe 28 Jahre gegen meine Alkohol- und Drogensucht angekämpft. Ich war viermal in Behandlung und nahm unter anderem in Haft 70 Tage lang an einem Behandlungsprogramm für Suchtmittelmissbrauch teil, das war mein erster Versuch mit einem staatlichen Anti-Drogenprogramm. Das nutzte aber nichts, es folgten drei weitere Straftaten und Verurteilungen und weitere Gefängnisaufenthalte sowie die Abstempelung zum vorbestraften Verbrecher. Das alles war mir total zuwider.« Tom glaubte eigentlich, ein gutes Leben vor sich zu haben. Er konnte in das Familiengeschäft einsteigen, einen Abschleppdienst und Automobilhandel, und seine Eltern unterstützten ihn liebevoll. Doch als er Mitte 30 war, musste er miterleben, wie sein Vater zwei Jahre gegen eine Krebserkrankung ankämpfte; in der Zeit fing er an, immer stärker zu trinken und Drogen zu nehmen. Dann starb sein Vater. »Im darauffolgenden Jahr hatte ich sehr zu kämpfen und wusste einfach nicht, wie es für mich weitergehen sollte. Aber dann schien Land in Sicht, da ich eine Stelle in einem Fuhrgeschäft bekam, das mich als LKW-Fahrer einstellte. Mein Bruder Steve, der mein Mitfahrer sein würde, und ich freuten uns auf diese neue Arbeit. Etwa ein Jahr lang lief alles gut. Wir erledigten unsere Aufträge und kamen bei unseren Fahrten durch sämtliche Staaten dieses Landes. Und dann passierte es, als wir in Texas eine Fuhre aufnahmen und uns auf den Weg nach Hause machten, um mit unseren Familien Weihnachten zu feiern. Steve und ich machten Halt in einer kleinen Stadt namens Hays in Kansas, um für unsere Familien Weihnachtsgeschenke einzukaufen. Hinterher gingen wir in die örtliche Kneipe, um auf Weihnachten anzustoßen. Als die Bar schloss, machten wir uns auf den Weg zurück zu

unserem Lastwagen. Dabei fingen wir an, uns darüber zu streiten, ob wir unsere Fahrt fortsetzen oder bis zum nächsten Morgen warten sollten. Steve wollte fahren, ich wollte bleiben. Schließlich gab ich nach, aber als ich unseren tonnenschweren LKW aus der Parklücke steuerte, flammte unser Streit noch heftiger wieder auf. Wir schrien uns aus Leibeskräften an. Ich fuhr auf die Auffahrt zur Autobahn und während ich beschleunigte, herrschte ich die ganze Zeit meinen Bruder an, er solle das Maul halten! Wir machten immer weiter, brüllten uns an und verfluchten uns gegenseitig. Keiner von uns war imstande aufzuhören. Plötzlich schrie mein Bruder aus vollem Hals: ›Am besten, ich steige auf der Stelle aus!‹ Und ich brüllte aus vollem Hals zurück: ›Dann tu’s doch!‹ Das sollten die letzten Worte sein, die ich jemals zu ihm sagte. Ich schaltete in den nächsten Gang und beschleunigte auf 100 Stundenkilometer – und mein Bruder lehnte sich ruhig zurück, öffnete seinen Anschnallgurt, stieß die Tür auf und verschwand. Einen Sattelzug mit 18 Rädern zu stoppen, braucht fast 400 Meter. Ich rannte die Straße zurück und fand meinen Bruder schließlich. Er lag mit dem Gesicht in einer Pfütze, die Knochen staken überall aus seinem blutüberströmten Körper. Er starb in meinen Armen. Natürlich versuchte ich, so mit dem tragischen Tod meines Bruders zurechtzukommen, wie ich immer versucht hatte, mit Dingen zurechtzukommen: indem ich trank und Drogen nahm. Ich war in großen Schwierigkeiten und wusste das auch. Dank der Liebe und Unterstützung meiner Mutter machte ich schließlich meinen ersten stationären Entzug. Leider wandte ich mich wenige Monate nach der Genesung wieder dem zu, was mir gegen Schwierigkeiten im Leben am besten zu helfen schien – Drogen. Auch wenn ich davon offensichtlich nie genug nehmen konnte, um den Schmerz zu betäuben, den sie mir nehmen sollten.«

Im Lauf der nächsten Jahre verlor Tom immer wieder seinen Job, wurde geschieden und musste Abschied nehmen von seiner Mutter, die an einem alkoholbedingten Leberschaden starb. Er gab sein ganzes Geld für Drogen aus. Dann wurde er wegen Drogenbesitz und Fahren mit abgelaufenem Führerschein inhaftiert. »Im Verlauf des nächsten Jahres wurde ich noch 13-mal festgenommen und verwarnt. Ich wurde inhaftiert, gegen Kaution freigelassen, erschien nicht zu meinen Verhandlungen, zog mir einen weiteren Haftbefehl zu, versteckte mich und rannte vor den Bullen davon. Sie kamen zu mir nach Hause, traten die Haustür ein, hielten meine Familie mit Waffen in Schach und durchsuchten das Haus nach mir. Meine größte Angst war nicht, wieder ins Gefängnis zu kommen, sondern die Tatsache, dass ich, sobald ich in Haft war, nicht mehr an das Dope herankam. Ich wurde vom staatlichen Anti-Drogenprogramm ausgeschlossen, wegen drei weiterer Straftaten verurteilt und brummte meine Zeit ab.« Sobald Tom entlassen wurde, ging er wieder auf Droge und wurde daraufhin erneut festgenommen und inhaftiert. Als er wieder einmal auf Bewährung entlassen wurde und eine Neuinhaftierung drohte, sollte er wieder Drogen nehmen, ergriff er die Gelegenheit, am staatlichen Forschungsprogramm

mit

EMDR-Traumatherapie

teilzunehmen.

Im

Verlauf der nächsten fünf Monate arbeitete er an den »Kernthemen« seiner Sucht. Tom möchte andere Menschen wissen lassen, wodurch seine Genesung schließlich möglich wurde. Weil er sich wünscht, dass Menschen in einer ähnlichen Lage ebenfalls eine EMDR-Behandlung ausprobieren, gewährt er hier einen Einblick in sein jetziges Leben: »In den sechs Jahren seit meiner Genesung habe ich mein Leben völlig umgekrempelt. Ich zahlte über 10.000 Dollar Gerichtskosten ab, bekam meinen Führerschein zurück, bewahrte unser Haus vor der

Zwangsvollstreckung, bezahlte meine Anwaltsschulden und erfüllte alle Auflagen, die mit meiner Bewährung verbunden waren. Seit anderthalb Jahren besitze und leite ich erfolgreich mein eigenes Geschäft und bezahle alle meine Rechnungen. Ich bin jetzt ein verantwortungsbewusstes und zuverlässiges Mitglied unserer Gesellschaft, und das Beste ist, dass ich eine Familie habe, die aus meiner Verlobten besteht, die jetzt seit anderthalb Jahren trocken ist, meiner 17-jährigen Tochter, die wieder zu uns gezogen ist, und meiner 8-jährigen Tochter, die viel Leben ins Haus bringt. Ich freue mich nun auf jeden neuen Tag.« Viele Menschen glauben, Süchtigen mangele es einfach an »Disziplin«. Sie können nicht verstehen, wie das Leben eines Menschen dermaßen außer Kontrolle geraten kann. Ich hoffe, Toms Geschichte trägt zur Klärung entsprechender Fragen bei. Wenn Menschen Alkohol trinken oder Drogen nehmen, um ihre Gefühle zu betäuben, können die Suchtmittel ein Eigenleben entfalten. Doch wenn der Süchtige die schmerzlichen Erinnerungen, die ihn antreiben, verarbeitet, kann sich das Blatt für ihn wenden. Lassen Sie nicht zu, dass die Scham über Ihre Vergangenheit Ihre Zukunft ruiniert. Suchen Sie sich die Hilfe, die Sie brauchen, um verantwortungsbewusst eine neue Richtung einzuschlagen. Die Geschichte von Tom, der fast drei Jahrzehnte gegen seine Dämonen angekämpft hatte, zeigt, dass es nie zu spät ist, um eine Entscheidung zu treffen und die Veränderungen vorzunehmen, die für ein gesundes Leben erforderlich sind. Die Quelle suchen Toms EMDR-Behandlung umfasste die Verarbeitung erstens der früheren Erinnerungen, die seiner Sucht zugrunde lagen, zweitens der aktuellen Situationen, die den Wunsch, Drogen zu nehmen, auslösten, und drittens die Erarbeitung neuer Wege, mit schwierigen Erlebnissen umzugehen. Um

einen Rückfall zu verhindern, ist es wichtig, die Erinnerungen zu verarbeiten, die den Schmerz verursachen. In Toms Fall waren das schwere Traumata wie der Tod seines Bruders und das überwältigende Gefühl, dafür verantwortlich zu sein. Bei anderen Süchtigen kann die wichtigste Erinnerung, selbst wenn sie schreckliche Erfahrungen im Leben gemacht haben, etwas völlig Unerwartetes betreffen. Karen zum Beispiel hatte, so lange sie denken konnte, an Panikattacken gelitten und nahm deswegen verschiedene Drogen; außerdem war sie sexsüchtig. Obwohl sie zehn Jahre eine Therapie gemacht hatte, hörten die Panikattacken nicht auf, und sie konnte trotz aller Bemühungen auch ihre Süchte nicht aufgeben. Als sie schließlich auf einen EMDR-Therapeuten stieß, wandten sie sich gemeinsam den Angstgefühlen in ihrem Körper zu. Dabei wanderte Karen innerlich zurück zu einem Erlebnis, bei dem sie vier Jahre alt gewesen war. Ihre Eltern hatten sie damals mit ihrer zweijährigen Schwester im Park abgesetzt und gesagt, sie solle auf die Kleine aufpassen. Die Zeit bis zu ihrer Rückkehr schien sich endlos hinzuziehen, und als sie dann endlich kamen, hatte Karen einen schweren Panikanfall, bei dem sie sich übergeben musste und vor Angst schluchzte. Doch statt sie zu trösten, schrie ihr Vater sie zuerst an und lachte sie dann aus, weil sie sich angeblich wie eine »Heulsuse« aufführte. Die Angst, die Scham und die mangelnde Kontrolle, die in dieser Erinnerung kodiert waren, bereiteten den Boden für ihre Süchte. Mit fünf Jahren nahm sie ihren ersten Schluck Bier, und von da an ging es stetig bergab. Wie so oft in solchen Fällen gingen Karens Eltern nicht einfühlsam auf die Bedürfnisse des Kindes ein. Sie unterstützten es nicht und vermittelten ihm weder Selbstvertrauen noch zeigten sie ihm positive und konstruktive Wege auf, Kummer zu bewältigen. Tom hingegen hatte nach seiner eigenen Beschreibung »liebevolle« und »großartige« Eltern, die ihn unterstützten. Aber er lernte durch ihr »Vorbild« auch,

schwierige Emotionen und Probleme in Alkohol »zu ertränken«. Ganz gleich jedoch, welche Gründe eine Sucht hat, der Weg zur Genesung ist klar: Wir müssen uns dem emotionalen Schmerz zuwenden, zu einer neuen Sicht der Vergangenheit gelangen, uns mit der Gegenwart auseinandersetzen und Pläne für die Zukunft machen. Wenn wir uns nicht den Samen der Sucht zuwenden, entfalten diese meistens eine ziemliche Kraft und treiben böse Blüten. Nicht wissen, wohin Eine der Therapeutinnen, die inzwischen für die EMDR-Humanitarian Assistance Programs (etwa: EMDR-Projekte für menschliche Unterstützung, Anm. d. Ü.) arbeitet, leitete einmal ein soziales Projekt für Obdachlose. Dort wurde Menschen neben anderen Formen von Unterstützung wie warmer Winterkleidung, ärztlicher Hilfe oder Lebensmitteln auf deren Wunsch hin auch eine Suchtbehandlung angeboten. An irgendeinem Punkt fragten alle ihre Klienten sie, ob sie wirklich ein besseres Leben erwarten könnten, wenn sie nüchtern wurden, und sie bejahte diese Frage. Sie wusste, dass ihre Klienten dann leichter eine Wohnung und auch Arbeit finden würden und vielleicht auch wieder mit den Menschen zusammenkamen, die sie liebten. Sie wusste aber auch, dass das Leben ohne die »tröstenden« Drogen zur Betäubung innerer Schmerzen zunächst einmal hart – sehr hart – sein würde, da alle diese Menschen seit Jahren an schweren Traumata litten. Besondere Sorgen machten ihr die Männer und Frauen, die aufgrund ihrer Sucht die eigenen Kinder verloren hatten, sowie die Menschen, die als Jugendliche auf der Straße und in den eigenen Familien sexuellen Missbrauch erlitten hatten oder körperlich misshandelt worden waren. Seitdem sind Jahre vergangen, heute wissen wir mehr über Sucht als Krankheit und die Zusammenhänge zwischen früheren Traumata und

späterem destruktivem Verhalten. Diese Frau arbeitet jetzt als EMDRTherapeutin in eigener Praxis, und zu ihr kommen auch weiterhin Menschen, die an schwerem Suchtmittelmissbrauch leiden. Sie sagt dazu: »Gestern kam eine meiner Klientinnen, die auf dem Weg der Besserung gewesen war, leicht benebelt und aufgewühlt durch einen gerade erlittenen Verlust in meine Praxis. Irgendwann schaute sie mir direkt ins Gesicht und fragte mich geradewegs: ›Werde ich mich jemals liebenswert fühlen? Werde ich mich jemals für einen Partner entscheiden, der mich liebt und dem ich wirklich wichtig bin?‹ Ich dachte an die vielen Stationen, die sie mithilfe von EMDR schon bewältigt hatte: Sie hatte ihren süchtigen Mann verlassen, hatte selbst längere Zeit keinen Alkohol getrunken, eine Vergewaltigung, sexuellen Missbrauch und Vernachlässigung, mit dem fünften Lebensjahr beginnend und sich bis in ihr Erwachsenenleben fortsetzend, überlebt und verarbeitet … So sagte ich voller Zuversicht: ›Ja, das werden Sie.‹ Keine Spur mehr von dem inneren Zögern, das ich verspürt hatte, als ich noch mit den Obdachlosen gearbeitet hatte. Ich wusste, sie würde ihr erwünschtes Ziel auf jeden Fall erreichen, aber sie konnte nicht sehen, was ich klar vor Augen hatte: dass sie die Hälfte des Weges schon zurückgelegt hatte. Denn als sie nach jemandem suchte, der sie von der Therapie abholte und nach Hause fuhr, bot sich eine zuverlässige, liebevolle Freundin – ein Mensch, der sie liebte – bereitwillig an, sie nach Hause zu bringen. Trotz ihrer Schwierigkeiten wurde ihr Leben besser, und ich wusste, dass ich ihr helfen konnte.« – Ja, es gibt Hilfe. Doch um sie zu bekommen, brauchen Sie einen Hoffnungsschimmer, den Beispiele wie diese Ihnen vielleicht vermitteln können. Lernen, Kontakte zu knüpfen

Nicht alle Menschen greifen zu Drogen, um negative Emotionen zu bewältigen. Manche beschäftigen sich zu diesem Zweck exzessiv mit Pornografie, sind süchtig nach Sex, Spielen, Essen oder anderen Erlebnissen, die sie vorübergehend ablenken, beruhigen oder befriedigen. Dabei gibt es so viele andere gesunde Wege, um für unser Wohlergehen zu sorgen. Eine Sucht schafft immer nur vorübergehend Abhilfe, denn sie dringt nicht zu den Wurzeln des Problems vor. Ist das »High« erst einmal vorbei, stellen sich die negativen Gefühle wieder ein. Anfällig für Suchterkrankungen sind alle, die sich in ihrer Ursprungsfamilie einsam und isoliert gefühlt haben oder glaubten, nicht zu zählen, oder die nie gelernt haben, starke negative Emotionen zu bewältigen. Eine wirkungsvolle Suchtbehandlung wendet sich nicht nur der Quelle der psychischen Schmerzen zu, sondern vermittelt dem Betroffenen auch Methoden, hochkommende schwierige Emotionen zu bewältigen und mit anderen Menschen konstruktive und erfüllende Kontakte einzugehen. Menschen, die als Kinder traumatisiert wurden, sind bedeutend anfälliger für Suchterkrankungen als die restliche Bevölkerung. Aufgrund ihrer seelischen Schmerzen und des Gefühls, »anders« zu sein, fühlen sie sich mit Gleichaltrigen nicht wohl und eignen sich die sozialen Fähigkeiten nicht an, die sie für gesunde Beziehungen brauchen. Ohne Therapie sind sie oft nicht imstande, die Kontakte zu knüpfen, die sie für ihre Genesung brauchen. Ihnen kann zum Beispiel das Gemeinschaftsgefühl, die herzliche Aufnahme, die Offenheit und Aufrichtigkeit in einem Zwölf-SchritteProgramm sehr helfen. Doch manche Menschen brauchen zusätzlich eine EMDR-Therapie, um die Erfordernisse eines solchen Programms überhaupt zu erfüllen, denn das Zusammensein mit einer Gruppe von Menschen oder die Erwartung, sich in diesem Kreis zu öffnen, kann Scham und Verunsicherung bei ihnen auslösen. Wie Sie inzwischen selbst wissen,

gehen diese Gefühle auf schmerzliche frühere Lebenserfahrungen zurück, die verarbeitet werden müssen. Ganz gleich, wie lange ein Mensch sich schon vergeblich um Genesung bemüht hat, können wir versichern, dass es sich auf jeden Fall lohnt, es mit der richtigen Hilfe noch einmal zu versuchen. Es gibt einen Weg, wie Sie an Tom sehen können. Sich eine Maske zulegen Einer der ersten Klienten, mit denen ich arbeitete, kam wegen Kontaktschwierigkeiten in die Therapie. Amin erzählte, dass ihn in Gegenwart anderer Menschen »eine so heftige Angst packt, dass nichts mehr geht und ich nur noch weglaufen und mich verstecken will«. Als ich ihn bat, seine Gefühle in Worte zu fassen, sagte er: »Ich habe das Gefühl, ich bin einfach anders – als ob ich nicht dazugehöre.« Er sagte, er brauche Hilfe, »weil diese Angst mein Leben so beherrscht, dass ich versuche, sie mit Alkohol und Drogen zu betäuben, bis ich sie nicht mehr spüre. Doch jetzt, wo ich von der Sucht loskommen will, wird der Schmerz noch heftiger.« Amin hatte sich von klein auf die Frage gestellt: »Was stimmt mit mir nicht?« Er erzählt: »Ich habe einen jüngeren Bruder. Er war der Lieblingssohn meiner Eltern. Er konnte einfach alles besser, und meine Eltern akzeptierten ihn viel mehr als mich. Er war auch einfach mit viel mehr Gaben gesegnet als ich. Mein damaliger Stiefvater – meinen richtigen Vater kannte ich nicht – mochte ihn lieber. Mein Bruder konnte sich wirklich alles erlauben. Das machte mir so zu schaffen, dass ich auf meine unbeholfene Weise alles Mögliche anstellte, um ebenfalls Zuwendung zu bekommen. Als wollte ich zu meinem Stiefvater sagen: ›He, schau her. Mich gibt es auch noch, weißt du? Ich mache auch gute Sachen. Und manches kann ich sogar besser.‹ Ich hasste meinen Bruder. Er hatte auch

mehr Freundinnen als ich, und das setzte mir so zu, dass ich total schüchtern wurde und dachte, wer will denn mit mir überhaupt noch reden? Damit habe ich ihm viel Macht gegeben, nehme ich an.« Auf die Frage, in welchen weiteren Situationen diese Ängste noch hochkamen, sagte Amin: »Bei unseren Bandenkriegen. In der Jugendstrafanstalt. Im Gefängnis.« Als ich nachhakte, erklärte er: »Meine Angst – das Gefühl mir selbst gegenüber – war, anders zu sein. Dass andere mich nicht mochten. Sie nahmen mich einfach nicht wahr. Deswegen glaubte ich, anders zu sein als die meisten und nirgendwo dazuzugehören. Aus diesem Grund stellte ich mich ständig selbst infrage. Das führte dann zu weiteren Missverständnissen. Der Hass zwischen meinen Brüdern, meinen Schwestern und mir zog immer weitere Missverständnisse nach sich. Die Folge war ein endloses Hickhack zwischen uns.« Als ich ihn nach der Jugendstrafanstalt fragte, erklärte er: »Das geht auf meine Teenagerzeit in Texas zurück. Diese Revierkämpfe, bei denen der Norden gegen den Süden antritt, gibt es dort auch heute noch. Ich und mein anderer Bruder waren als Jugendliche in diese Kämpfe verwickelt, bei denen eine Gang die andere von ihrem Gebiet vertreibt. Und da kam dann die Jugendstrafanstalt ins Spiel.« Ich fragte ihn: »Was hat denn die Angst, anders zu sein, mit diesen Bandenkriegen zu tun?« Amin erklärte: »Ich stellte fest, dass ich in der Gang akzeptiert wurde. Und da kam dann auch der Alkohol ins Spiel. Der machte mich wagemutig, und ich dachte, jetzt bekäme ich meine Gefühle endlich in den Griff. Merkwürdigerweise kaufte ich mir selbst das ab. Ich war der starke Kerl. Trampte durch die Gegend. Trank. Fluchte. Rauchte. Machte mich über andere lustig und verletzte Menschen. Ich fühlte mich da akzeptiert. Ich meine, das war damals der einzige Weg, mit meinem Leben überhaupt irgendwie zurechtzukommen. Eine Art Überlebensstrategie.

Sonst wäre mir sicher noch häufiger der Gedanke gekommen, der mir hin und wieder kam, nämlich mir etwas anzutun.« Amin ist ziemlich typisch für die Menschen, die aufgrund unterschwelliger Gefühle von Wut und Schmerz gewalttätig werden. Auch wenn wir Menschen, die scheinbar ohne jedes Mitgefühl und ohne Zögern andere verletzen, für Psychopathen halten, die keiner Behandlung zugänglich sind, weisen jüngste Forschungen darauf hin, dass das nicht immer stimmt. In unseren übervölkerten Gefängnissen sitzen viele Menschen, die sich von Kindheit an einsam und isoliert gefühlt haben. Wir alle brauchen eine Identität, und Banden übernehmen hier oft die Rolle der »Ersatzfamilie«. Aber ob die Betroffenen einer Bande beitreten oder nicht – die mangelnde Unterstützung durch die Eltern, die sie wegstießen, allein ließen, demütigten oder verprügelten, hat ihnen das Gefühl vermittelt, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, und das treibt sie dazu, andere Menschen zu verletzen. Amin verhielt sich in der Hinsicht nicht anders als Zach. Wenn Sie sich in Ihrer eigenen Familie alleingelassen, wertlos oder anders als die anderen fühlen, wie sollen Sie sich dann mit der ganzen Gesellschaft identifizieren können? Und wenn Sie sich nicht mit der Gesellschaft identifizieren können, warum sollten Sie sich dann an deren Regeln halten? Dann machen Sie am besten Ihre eigenen Gesetze, sodass Sie das Sagen haben und andere verletzen können. Das kann beängstigende Formen annehmen. Doch am Anfang steht meistens immer ein verletzliches, wütendes und verwirrtes Kind. Durch die Verarbeitung ihrer Erinnerungen konnten Zach und Amin ihren Schmerz und das Gefühl von Isolation überwinden. Am besten fangen wir mit dieser Verarbeitung früh an, zum Beispiel in Zachs Alter – zum Wohle des Kindes und der Gesellschaft. Amin und Tom zeigen uns, dass selbst eine Haftstrafe kein Hindernis dafür sein muss, neue Wege einzuschlagen.

Haus der Schmerzen So wie es Straßenbanden gelingt, andere mit ihrem »Leg dich bloß nicht mit uns an« einzuschüchtern und Macht und Kontrolle auszuüben, gilt das oft auch für die Ausübenden von häuslicher Gewalt. Wie wir gesehen haben, beteiligen sich bei vielen Paaren beide an dem zerstörerischen Tanz von Eifersucht, ständiger Kritik, Manipulation und Frustration. Doch körperliche Gewalt in Familien ist meistens eine Einbahnstraße. Auch wenn einige Frauen in Familien gewalttätig werden, ist der Täter in 85 Prozent aller Fälle der Mann. Und häusliche Gewalt kommt häufiger vor, als Sie vielleicht denken. Tatsächlich gehört sie zu den am häufigsten angegebenen Gründen dafür, dass Frauen obdachlos werden. Meistens besteht das gewalttätige Verhalten des Mannes darin, dass er seiner Partnerin Angst einzujagen versucht, sie körperlich angreift oder ihr persönliches Eigentum beschädigt. Hier geht es nicht um einmalige Ausraster, bedingt durch Drogen oder Alkohol. Der Täter hat oft das Gefühl, sein Verhalten sei völlig »gerechtfertigt«. Er übt Macht und Kontrolle über seine Partnerin aus, damit sie sich ihm unterwirft. Sie hat die Aufgabe, es ihm recht zu machen und ihn zu trösten. Diese Gewalt baut sich oft in drei Phasen auf. Zunächst wächst die Spannung, dann explodiert der Mann vor Wut, und schließlich versichert er seiner Partnerin, dass er sie liebt, und versucht, durch »Balzverhalten« alles wieder gut zu machen. Dieser Ablauf wiederholt sich ständig. Laut Berichten ist häusliche Gewalt weltweit eine der häufigsten Ursachen für Körperverletzungen und den Tod von Frauen zwischen 19 und 44 Jahren. Meistens suchen die Frauen Hilfe, weil sie dieses Leben einfach nicht mehr ertragen. Sehr häufig berichten sie von Depressionen, Ängsten oder der Sorge um die Kinder. Bei Marie kam der Wendepunkt, als Jacques ihren gemeinsamen achtjährigen Sohn an dessen Geburtstag körperlich angriff

und sie beide mit einem Messer bedrohte. Das hatte er nie zuvor getan. Vorher war er nur ihr gegenüber gewalttätig geworden und hatte auch nie eine Waffe benutzt. An dem Punkt beschloss sie, ihn zu verlassen. Das war für sie eine sehr schwere Entscheidung, die ihn, wie sie wusste, zu noch mehr Gewalttätigkeit reizen konnte. Deswegen verließ sie das Haus, als er bei der Arbeit war. Später erzählte Jacques seinem Therapeuten, er habe, als er feststellte, dass sie gegangen war, »überall nach ihr gesucht«. Als dieser fragte, warum, entgegnete er: »Um sie umzubringen und anschließend mich selbst zu erschießen. Aber dann dachte ich an meine Kinder und tat nichts dergleichen. Nach etwa drei Tagen hatte ich mich beruhigt.« Jacques hatte grundsätzlich das Gefühl, ohne Marie nicht leben zu können. Deswegen machte ihm ihre Selbstständigkeit sehr viel Angst. Er nahm zum Beispiel alle Telefone mit zur Arbeit, weil er nicht verstand, warum sie überhaupt mit anderen Menschen außer ihm reden musste. Jacques dazu: »Wenn sie mich liebt, wie ich sie liebe, muss sie nicht mit anderen reden. Und wenn sie es doch tut, will sie vor mir etwas verbergen.« Dieses Verhalten ist typisch für häusliche Gewalttäter. Sie versuchen, die Partnerin zu isolieren, indem sie ihre Freundschaften, ihr Freizeitverhalten und andere Aspekte ihres täglichen Lebens kontrollieren. Marie akzeptierte Jacques’ Verhalten, weil sie sehr wenig Selbstachtung hatte. Sie stammte aus einer Familie, in der die Frauen die Männer zu umsorgen hatten. Ihre Aufgabe bestand darin, für ihren Mann zu kochen, Kleidung für ihn zu kaufen – sie entschied auch, was er täglich zur Arbeit anzog – und immer für ihn da zu sein. So wie sie versucht hatte, die Liebe der Eltern zu gewinnen, indem sie für sie »tat und machte«, konnte sie sich – wie sie ihrer Therapeutin erzählte – auch keine Beziehung vorstellen, in der sie ihren Partner nicht umsorgen musste. Beide wiederholten Verhaltensmuster, die sie in ihrer Ursprungsfamilie gelernt hatten: Männer

tun zuhause nichts, sondern hier sind die Frauen zuständig. Männer kommen in häuslichen Belangen nicht allein klar, und Frauen sind dafür da, ihren Ehemann zu versorgen. Da sie mit ihren Gefühlen nicht in Kontakt waren oder nicht gelernt hatten, sie auszudrücken, explodierte Jacques oft, und Marie duckte sich und wurde häufig verletzt. Sie fühlte sich in vielerlei Hinsicht so, als müsse sie auf Eiern laufen. Sie war ständig auf der Hut und in Angst und Anspannung. Sie litt an dem, was manche Therapeuten als »Gehirnstarre« bezeichnen. Ähnlich wie bei wilden Tieren, die bei Gefahr in eine »Schreckstarre« verfallen oder blindlings fliehen, arbeitete ihr logischer, rationaler Verstand nicht richtig. Und wenn die Flucht nicht möglich ist, »kollabieren« diese Tiere. Also nahm Marie es einfach hin, wenn Jacques gewalttätig wurde. Sie befand sich auch in einem Zustand, den Therapeuten als »erlernte Hilflosigkeit« bezeichnen. Sie konnte ja an ihrer Situation doch nichts ändern. Schließlich hatte man ihr beigebracht, dass Männer Frauen gegenüber das Sagen haben und sich durchsetzen müssen. Sie glaubte, er würde sie nie »ernsthaft« verletzen. Wie viele Opfer von häuslicher Gewalt konnte Marie erst aktiv werden, als Jacques diese Grenze überschritt. Erst als er den gemeinsamen Sohn körperlich attackierte und ein Messer ergriff, konnte Marie sein Verhalten nicht länger tolerieren und verließ ihn. Nachdem sie von zuhause geflohen war, lebte Marie mit ihren beiden Kindern in einem Frauenhaus. Sie und Jacques wohnten schon ein halbes Jahr getrennt, als sie im Radio den Vortrag eines Therapeuten über häusliche Gewalt hörte. Sie rief ihn an, um einen Termin für Jacques auszumachen, und beschrieb ihren Mann mit den Worten: »Er ist etwas nervös, und ihm reißt schnell der Geduldsfaden.« Er hatte für sein gewalttätiges Verhalten noch keine Verantwortung übernommen und würde

den Therapeuten wahrscheinlich nur aufsuchen, um ihr einen Gefallen zu tun. Der Therapeut sagte, Jacques müsse sich selbst an ihn wenden und einen Termin für sich ausmachen. Als Jacques diesen Therapeuten schließlich aufsuchte, sagte er im Erstgespräch, er wolle verstehen, was ihm passiert sei und was er tun könne, damit seine Frau zu ihm zurückkehrte. Hielt er sich für gewalttätig? »Nein, eigentlich nicht. Ich bin nur sehr eifersüchtig, und ich verliere schnell die Geduld. Ich habe doch alles für sie getan. Ich habe unser Haus gebaut. Ich habe ihr Geld gegeben.« Es war deutlich, dass er überhaupt nicht verstand, was in ihm vorging, aber er konnte immerhin zugeben, dass er Marie verletzt hatte. Wie lange ging das schon so? »19 Jahre«, erwiderte er. Dann gab Jacques zu, dass er für Marie seit ihrem Weggehen mehr Respekt empfand: »Sie hat mir gezeigt, dass sie wirklich imstande ist zu gehen. Vorher hat sie immer nur davon geredet. Ich bin stolz auf sie.« Dass Jacques Marie, nachdem sie ihn verlassen hatte, eigentlich finden wollte, um sie beide umzubringen, ist nicht unüblich. Sie fehlte ihm, weil ihn keiner mehr versorgte und ihm Sicherheit gab. Nach ihrem Weggehen fühlte er sich vollkommen ohnmächtig. Sein Leben schien ihm zu entgleiten, und er musste allein eine Lösung für diese Situation finden. Seit einem Jahr machen beide jetzt eine Therapie und leben in getrennten Wohnungen. Die Behandlung umfasst EMDR, eine Paar- und Familientherapie wie auch Gruppensitzungen. Sie haben sich mehrere Ziele gesetzt, unter anderem wollen sie mehr Selbstachtung bekommen und lernen, gesunde Bindungen einzugehen und so zu kommunizieren, wie es in einer Beziehung zwischen Erwachsenen erforderlich ist. Jacques muss seine frühen Erinnerungen an Gewalt in der eigenen Ursprungsfamilie verarbeiten und lernen, mit starken Emotionen umzugehen. Marie muss lernen, auch ohne ihn ein erfülltes Leben zu führen und für sich selbst zu

sorgen. Ihr ist klar geworden, dass sie in ihrer Ursprungsfamilie »immer an letzter Stelle kam«. Einige der Zielerinnerungen, die jeder von ihnen in der EMDR-Therapie verarbeitet hat, sind sehr aufschlussreich für die unbewussten Erinnerungsprozesse, die ihr Verhalten steuerten. Die erste wichtige Zielerinnerung für Jacques war sein letzter gewalttätiger Ausbruch, bei dem er seinen Sohn und seine Frau mit dem Messer bedroht hatte. Durch die Verarbeitung dieses Erlebnisses gewann er die wichtige Einsicht, dass er nie wirklich gelernt hatte, Vater zu sein. Die einzige Person, die für ihn zählte, war seine Frau. Die Kinder standen immer zwischen ihnen. Dann fokussierte er eine andere wichtige Erinnerung, bei der er acht Jahre alt gewesen war. Er war im Kreise seiner Familie und wollte seiner Mutter helfen, das Essen aufzutragen. Da brüllte sein Vater ihn an: »Setz dich hin, nur Schwule helfen im Haushalt.« Er erinnerte sich noch, dass er bei dieser Bemerkung völlig erstarrt war und nicht gewusst hatte, wie er sich jetzt verhalten sollte. Weitere wichtige Erinnerungen zeigten, dass Jacques große Angst hatte, dass seine Mutter ihn nicht liebte, und dass er deswegen ständig versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Ihm wurde klar: »Wenn ich mir ihrer Liebe sicherer gewesen wäre, wäre ich nicht so abhängig von der Liebe meiner Frau gewesen.« Er musste also in seiner Therapie auch lernen, allein zu leben und sich selbst liebevoll zu versorgen, um nicht so abhängig von seiner Frau zu sein. Dazu gehörte auch, dass er allein ins Kino ging, während seine Frau sich mit ihren Freundinnen traf. Maries erste Zielerinnerung war die Situation, in der Jacques sie zum ersten Mal körperlich angegriffen hatte. Sie war damals schwanger gewesen mit ihrem ersten Kind und wusste noch, dass er sie »auf den Bauch geschlagen hatte, obwohl er wusste, dass da das Baby drin war«. Hier

wurde ihr zum ersten Mal ganz klar, dass ihr Mann »krankhaft eifersüchtig war« und sie nichts dagegen tun konnte. Sie musste lernen, sich zu schützen. Eine weitere wichtige Zielerinnerung schilderte sie selbst mit folgenden Worten: »Bevor wir ausgingen, befahl er mir immer, mich nah an die Lampe zu stellen, um prüfen zu können, ob mein Kleid zu durchsichtig war.« Ihr wurde bewusst, wie sehr sie sich von ihm hatte kontrollieren lassen. Nach der Verarbeitung dieser Erinnerung wandte sie sich Situationen zu, in denen ihre Eltern sich gegenseitig kontrolliert hatten. Ihr Vater hatte ihrer Mutter das Geld zugeteilt wie auch bestimmt, wann sie das Auto nehmen und was sie sich im Fernsehen anschauen durfte. Und ihre Mutter hatte entschieden, was er anzog, was er aß und war auch für alle Fragen zuständig, welche die Kinder und emotionale Themen betrafen. Marie wurde dadurch zutiefst klar, dass sie das Bedürfnis, andere zu kontrollieren und selbst kontrolliert zu werden, loslassen musste. Sie musste ihre Freiheit selbst finden und erleben. Natürlich waren ihren Kindern die Auswirkungen der häuslichen Gewalt nicht erspart geblieben. Ihre Tochter brauchte eine EMDR-Therapie, weil sie in der Schule straffälliges Verhalten zeigte. Und ihr Sohn hatte begonnen, sich der Schwester gegenüber so zu verhalten wie sein Vater – er wurde gewalttätig. Mehrere familientherapeutische Sitzungen halfen ihm, dieses Verhalten einzustellen und neue Kommunikationsmuster zu entwickeln. Beide Eltern mussten ihren Erziehungsstil ändern. Marie musste vor allem lernen, selbst einzugreifen, wenn ihre Kinder aneinander gerieten, statt darauf zu warten, dass Jacques etwas unternahm. Häusliche Gewalt verstehen heißt, sich klarzumachen, dass hier eine komplexe Situation vorliegt, die mit der Familiengeschichte, ungelösten Traumata und weiteren sozialen Faktoren zusammenhängen kann. Oft gehen die Gefühle von Ohnmacht und Hilflosigkeit auf frühe Traumata

zurück. Zu Beginn der Behandlung hatten Marie und Jacques die gleichen negativen Kognitionen: »Ich zähle nicht« und »Ich bin dumm«. Beide hatten Angst, ohne den anderen zu leben. Beide hatten aufgrund von psychischer und körperlicher (bei ihm) Gewalt in den Ursprungsfamilien die gleichen unsicheren Bindungen. Am Ende der Behandlung beschrieben beide, dass sie sich insgesamt viel freier fühlten, als sei eine Last von ihnen abgefallen, sodass sie aufleben und wieder durchatmen konnten. Sie zogen wieder zusammen und leben jetzt seit vielen Jahren friedlich miteinander. Andere Paare sind vielleicht nicht imstande, sich auf den anstrengenden Prozess einzulassen, der für die Heilung erforderlich ist. Für die erfolgreiche Genesung einer Familie ist entscheidend, dass der Täter in die Behandlung vollständig einbezogen wird. Das Opfer muss oft Erinnerungen an Missbrauchserlebnisse verarbeiten. Wichtig ist auch, die Situation der Kinder sorgfältig einzuschätzen, weil Kinder sich oft schuldig fühlen für das Versagen der Eltern. Ohne therapeutische Behandlung übernehmen sie aufgrund dieser Schuldgefühle und ihrer inneren Verunsicherung oft die destruktiven Verhaltensmuster der Eltern. Im Folgenden kommt ein junges Mädchen zu Wort, das sich immer zusammen mit ihrem Bruder unter der Bettdecke versteckte, wenn der Vater ihre Mutter so heftig verprügelte, dass sie schluchzte und schrie. Zu Beginn ihrer EMDR-Therapie sagte Bonnie: »Es fühlt sich an, als ob sich die Welt um mich herum zusammenzieht und ein schwarzes Loch mich verschlingt. Wegen Vati ist alles um mich herum dunkel geworden.« Bei der Verarbeitung ihrer schlimmsten Erinnerung, bei der sie sich fühlte, »als ob es mir das Herz zerreißen würde«, brachte ihr jedes Set von Augenbewegungen neue Erkenntnisse: ❖ »Ich hatte wirklich Schuldgefühle und dachte, das ist alles mein Fehler, weil ich frech war und ihn verärgert hatte, und deswegen ist es passiert.« ❖ »Ich dachte, vielleicht habe ich,

ohne es selbst mitzubekommen, etwas Schlimmes getan und meinen Vater damit wütend gemacht. Aber wenn ich richtig darüber nachdenke, glaube ich nicht, dass es mein Fehler war. Wenn ich etwas falsch gemacht hätte, hätte er doch mich geschlagen und nicht Mutti.« ❖ »Ich glaube nicht, dass Mutti etwas falsch gemacht hat. Ich denke, Vati war einfach betrunken.« Nach weiterer Verarbeitung ist Bonnie jetzt frei von ihren Schmerzen, aber sie kann ihrem Vater nicht vergeben. Ob die Familie wieder zusammenkommt, hängt von vielen Faktoren ab. Der wichtigste ist, dass ihr Vater seine Einstellung und sein Verhalten grundlegend ändert. Sexueller Missbrauch Nichts löst bei Menschen so viel Bestürzung aus wie sexueller Missbrauch von Kindern. Auch wenn einige Frauen ihre Kinder missbrauchen, sind die Täter meistens Männer. Täglich lesen wir in der Zeitung davon, dass Lehrer, Sporttrainer oder Erzieher Kinder sexuell belästigen. Tatsächlich sind davon laut Forschung etwa 20 Prozent der Mädchen und zehn Prozent der Jungen weltweit betroffen. Beunruhigend ist auch, dass die am meisten verbreiteten Behandlungsmethoden für die Täter enttäuschende Resultate zeigen. In den USA fordern viele Bundesstaaten, die Täter lebenslang zu überwachen und sie zu diesem Zweck mit Armbandsendern auszustatten. All das vermittelt uns das Gefühl, dass diese Menschen zu krank sind, um geheilt werden zu können. Problematisch ist auch, dass man die am häufigsten angewendeten Behandlungsprogramme im Laufe der letzten 20 Jahre nicht wesentlich verändert hat. Sie bestehen vor allem aus einem gruppentherapeutischen Ansatz, der den Tätern helfen soll, die eigenen Motive zu klären und sich selbst zu überwachen – so sollen die Täter Situationen meiden können, die sexuelle Gelüste in ihnen wecken könnten, und diese dann mithilfe weiterer Selbststeuerungstechniken überwinden.

Ein wesentlicher Grund dafür, dass diese Programme nicht anschlagen, mag darin bestehen, dass die Behandlung nur auf das Verhalten des Täters abstellt, ohne die Ursachen dafür einzubeziehen. Auch wenn Gruppentherapie und Selbststeuerung nützlich sein können, sind Missbrauchstäter oft nicht imstande, sich darauf einzulassen. Die Gruppentherapie soll diesen Menschen helfen, die Verantwortung für ihr Verhalten zu übernehmen und ihre Beweggründe zu klären. Doch ein Symptom bei Missbrauchstätern ist die »Verleugnung«. Sie sehen oft einfach nicht ein, dass sie sich tatsächlich falsch verhalten und andere Menschen verletzt haben. Trotz aller Bemühungen der behandelnden Therapeuten, diese Verleugnung zu durchbrechen, finden die Täter oft einen Weg, im Rahmen der Therapie das Richtige zu sagen und trotzdem an ihren falschen Überzeugungen festhalten können. Der Grund dafür ist, dass sie aufgrund ihrer eigenen Missbrauchsgeschichte oft nicht in Kontakt mit ihren Gefühlen stehen. Man weiß inzwischen, dass viele Missbrauchstäter selbst Opfer von Kindesmissbrauch waren. Das heißt keinesfalls, dass jeder Mensch, der sexuell belästigt wurde, andere belästigen muss, bedeutet aber, dass unter bestimmten Bedingungen die Vorgeschichte des Täters mit Missbrauch ganz offensichtlich zu seinem Verhalten beiträgt. Wie Sie in diesem Buch bereits erfahren haben, verankert sich eine traumatische Erfahrung zusammen mit den sie begleitenden Emotionen, Gedanken und Gefühlen im Gehirn. Kinder, die Opfer von Missbrauch wurden, entwickeln oft viele falsche Sichtweisen, die von dem Erlebnis selbst wegführen. Das Kind kann zum Beispiel denken: So ist das Leben. Das muss ich tun, um Liebe und Aufmerksamkeit zu bekommen. Das ist eine gute Möglichkeit zu bekommen, was ich will. Ich habe es zwar gehasst, aber es hat mich auch stärker gemacht. Grundsätzlich kann ein ganzes Spektrum an Reaktionen zu den Emotionen und unausgesprochenen

Überzeugungen beitragen, die den Betreffenden später dazu treiben, selbst sexuell übergriffig zu werden. So wie Bonnie sich zum Vorwurf machte, dass ihr Vater ihre Mutter schlug, geben auch viele Kinder, die sexuell belästigt werden, sich selbst Schuld an den Übergriffen. Dazu kommt, dass die Täter – anders als Vergewaltiger, deren Tat meistens ein plötzliches Aufwallen von Gewalt, Wut und Machtwillen ist – ihre Opfer oft »vorbereiten«. Auch wenn manche den Kindern Angst und Schrecken einjagen, damit diese sich ihren Drohungen fügen, gehen viele raffinierter vor. Bevor sie das Kind belästigen, schmeicheln sie sich bei ihm ein. Wenn Kinder sich aufgrund der eigenen Familienkonstellation unwichtig oder ungewollt fühlen, ist es für sie neu und angenehm, wenn ein Mensch ihnen so viel Aufmerksamkeit schenkt, sodass sie sich schließlich in alles fügen, was der Täter von ihnen verlangt. Wenn das Kind auf die körperliche Stimulation reagiert, wie es ein gesunder Körper tut, kann der Täter ihm leicht einreden, dass es doch selbst gern hat und will, was zwischen ihnen passiert, und das Kind glaubt ihm das. Das erschüttert das Vertrauen des Kindes, sodass es schließlich völlig verwirrt ist und nicht mehr weiß, was in der Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern richtig und was falsch ist. Diese Kinder speichern zusammen mit der Missbrauchserinnerung nicht nur Scham und Schuldgefühle im Gehirn ab, sondern »erinnern« sich häufig auch, dass sie »das alles ja selbst wollten« und es ihr Fehler ist. Statt den Ärger gegen den Täter zu richten und ihm die Verantwortung zuzuweisen, richtet das Opfer diese Gefühle gegen sich selbst und denkt: »Das ist mein Fehler – ich bin selbst schuld!« Sollten diese Menschen später als Erwachsene selbst Kinder belästigen, verhalten sie sich vor diesem Hintergrund nur folgerichtig, wenn sie ihrem Opfer die Schuld an den Übergriffen geben. »Das ist ihr Fehler. Sie hat es selbst gewollt!« Oder:

»Sie hat ja mit mir geflirtet und wollte das. Sie mochte das.« Bei vielen dieser Menschen werden die körperlichen Empfindungen, die sich zusammen mit der eigenen Missbrauchserfahrung im Gehirn verankert haben, durch den Anblick von Kindern wieder ausgelöst. Ihr Opfer hat oft das gleiche Alter wie sie selbst zur Zeit ihrer eigenen Belästigung. Dazu kommt, dass viele Missbrauchstäter aus Familien kommen, in denen sie ignoriert und misshandelt wurden. Sie haben nie gelernt, mit ihren Emotionen umzugehen und sind überhaupt nicht mehr in Kontakt mit ihren Gefühlen. Hier setzt die EMDR-Therapie an. Das Journal of Forensic Psychiatry and Psychology hat eine Untersuchung über Kinderschänder veröffentlicht, die an einem Programm mit traditionellem Ansatz teilnahmen, also Gruppentherapie und Erlernen von Selbststeuerungstechniken. Zehn Täter, die als Kind selbst sexuell belästigt worden waren, bekamen zusätzlich zehn Sitzungen in EMDR, in denen sie ihre Erinnerungen an den eigenen Missbrauch verarbeiteten. Die Ergebnisse wurden verglichen mit denen der Täter, die nicht an einer EMDR-Therapie teilnahmen. Bei neun von zehn Tätern zeigte sich die positive Wirkung der EMDR-Behandlung ganz deutlich. Zum ersten Mal übernahmen diese Männer die volle Verantwortung für ihre Tat. Statt ihren Opfern die Schuld zu geben, begriffen sie, was sie angerichtet hatten. Und, am wichtigsten, die Forscher setzten ein Instrument ein, das »PenisPlethysmograph« heißt und am Blutfluss im Penis die sexuelle Erregung messen kann. Forscher und Therapeuten sehen in dieser Erregung in der entsprechenden Situation das primäre Anzeichen für einen möglichen Rückfall. Dieser Test zeigte, dass die sexuelle Erregung im Kontakt mit Kindern bei neun von zehn Tätern deutlich abgenommen hatte. Die Täter erklärten dies damit, dass sie Kinder jetzt als »Menschen« sähen und nicht mehr als »Sexualobjekte«. Als die Messungen ein Jahr später erneut

durchgeführt wurden, zeigten sie die gleichen Resultate. Weitere Untersuchungen sind geplant, doch inzwischen sind bereits viele Täter erfolgreich mit der EMDR-Therapie behandelt worden. Es ist wichtig, die Ursachen für ein Problem zu verstehen, bevor wir uns auf die Suche nach Lösungen machen. Die Täter, die mit EMDR behandelt wurden, konnten zum ersten Mal Kontakt mit den Gefühlen aufnehmen, die sie bei ihrem eigenen sexuellen Missbrauch empfanden. Das hat sie verändert, und sie möchten jetzt andere ermutigen, ebenfalls eine Behandlung zu machen. Wir beginnen mit Kevin, der seine Stieftochter belästigte. Er war als Junge von einer Gruppe älterer Jungen anal vergewaltigt worden. Damals war er überzeugt davon, dass er den Übergriff selbst provoziert hatte. Bei der Verarbeitung kam er in Kontakt mit seinen Gefühlen bei diesem Ereignis. Er wusste noch, dass er während seiner Vergewaltigung draußen vor dem Schuppen jemanden vorbeigehen sah, und konnte die Einsamkeit und den Schmerz spüren, die er damals empfunden hatte. Ihm wurde auch klar, dass ihm die Aufmerksamkeit der älteren Jungen geschmeichelt und diese das ausgenutzt hatten. Aber er erkannte auch zum ersten Mal, dass seine Stieftochter sich zwar ebenfalls Zuwendung wünschte, doch nicht in sexueller Form. Hier erzählt er, was sich für ihn durch die EMDR-Verarbeitung verändert hat: »Ich gab mir immer noch die Schuld an dem Ereignis damals, und gleichermaßen gab ich nun meinem Opfer die Schuld, als sei das Mädchen für das, was zwischen uns passierte, allein verantwortlich. Bis jetzt hatte ich, was meinen eigenen Missbrauch betraf, immer gedacht: ›Du bist kein Opfer, du hast dir das selbst eingebrockt. Du hast das von den Jungs gewollt.‹ Aber ich hatte rein gar nichts getan. Überhaupt nichts. Ich war nicht schuld daran. Diese Einsicht in Bezug auf meinen eigenen Missbrauch

hat mir geholfen zu sehen, dass das nicht mein Fehler war. Ebenso wenig, wie es der Fehler meines Opfers war. Es ist ganz schön schwer, genau hinzuschauen. Aber je genauer man schaut, desto klarer wird einem, was man getan hat und was wirklich Sache ist. Und dann fragt man sich: ›Warum um alles in der Welt habe ich das getan?‹ Oder: ›Wie um alles in der Welt konnten sie mir das antun?‹ Und: ›Wie konnte ich das nur mit ihr machen?‹ Und das tut weh. Ein ziemlich heftiger Realitäts-Check ist das. Ich hatte bis dahin überhaupt keine Ahnung von Gefühlen, meinen eigenen Gefühlen. Um ihre Gefühle zu verstehen, musste ich erst einmal meine richtig verstehen. Und als ich die verstand, konnte ich auch ihre verstehen. Ich konnte jetzt auch spüren, was einem anderen Menschen wehtut. Das ist wie bei dem Film, den ich neulich sah, Angeklagt. Der Film hat mich angekotzt, wirklich angekotzt, denn da machen sie die Frau zur Täterin. Aber, verdammt noch mal, sie war doch das Opfer. Und dennoch stempeln sie die Frau zur Kriminellen ab. Vor der Behandlung hätte ich gesagt: ›Warum muss sie auch in diese Bar gehen und sich dann noch so aufmotzen? Sie hat bekommen, was sie verdient. Sie hätte da gar nicht reingehen dürfen.‹ Aber auch wenn sie eine Prostituierte war und Sex mit vier verschiedenen Männern hatte – wenn ich sie angemacht hätte und sie hätte gesagt: ›Nein, ich will nicht‹, wäre es falsch gewesen, ihr Sex aufzudrängen, denn sie wollte das ja nicht. Aber so habe ich das vorher nie gesehen.« Louis ist ein weiterer Sexualstraftäter, der wegen Missbrauch seiner Stieftochter und mehrerer eingestandener Vergewaltigungen ins Gefängnis kam. Ein Onkel, der 20 Jahre älter als Louis war, hatte ihn seit seinem zehnten Lebensjahr sexuell belästigt. Er wiederum belästigte andere Jungen in seinem Alter, die er von der Schule kannte. Mit 17 Jahren verließ Louis sein Elternhaus, um zur Armee zu gehen, und wurde nach Übersee versetzt.

Dort hatte er häufig Sex mit Prostituierten, Frauen, die er in Bars kennenlernte, und Männern, die ihn bezahlten. Nach seiner Rückkehr in die USA beging er vier Vergewaltigungen. Er lernte Frauen auf Partys kennen, nahm sie mit in seine Wohnung und zwang sie dort zum Sex. Später heiratete Louis und wurde Vater der beiden kleinen Kinder, die seine Frau mit in die Ehe brachte. Als seine Stieftochter in die Pubertät kam, also in dem Alter, als er selbst belästigt worden war, spielte Louis mit ihr häufig Pferd. Dabei wurde er sexuell erregt und war gespalten zwischen Scham über seine Reaktion und Ärger auf sie, weil sie sich »so verführerisch verhielt«. Schließlich begann Louis, sie sexuell zu berühren, was Monate so weiterging und schließlich eskalierte. Gleichzeitig wurde er seiner Frau und den Kindern gegenüber verbal immer aggressiver. Seine Frau bestand schließlich darauf, dass sie alle gemeinsam eine Beratung aufsuchten. Im Verlauf dieser Therapie enthüllte seine Stieftochter den sexuellen Missbrauch. Louis wurde festgenommen, verurteilt und inhaftiert. Er unterzog sich einer Behandlung und wurde auf Bewährung freigelassen. Doch obwohl er eine ambulante Therapie für sexuelle Straftäter machte und »motiviert« zu sein schien, zeigte er wenig Fortschritte. Er glaubte immer noch, dass er übergriffig geworden war, weil die Frauen sich »so aufreizend verhielten«. Dann begann er ein EMDR-Behandlungsprogramm. Bei der EMDR-Verarbeitung kam Louis in Kontakt mit der Wut und der Scham, die er bei seinem eigenen Missbrauch empfunden hatte. Da er glaubte, niemandem wirklich wichtig zu sein, waren ihm auch die anderen egal. Ihm wurde auch klar, dass seine verzerrte Sicht von »aufreizendem Verhalten« auf seinen eigenen Missbrauch zurückging und völlig falsch war. Tatsache war, dass sein Onkel ihn manipuliert und ausgenutzt hatte. Das machte es ihm möglich, die Verantwortung für sein Verhalten gegenüber seiner Stieftochter zu übernehmen und zu bereuen, was er ihr

angetan hatte. Den Mitgliedern seiner Therapiegruppe fiel auf, dass er jetzt viel mehr Mitgefühl und Anteilnahme zeigte. Doch über seine Vergewaltigungstaten hatte er noch keine Klarheit gewonnen. Die Verarbeitung weiterer Zielerinnerungen machte ihn auf seine Wut auf seine Mutter aufmerksam. Sie hatte nicht nur weggeschaut, wenn sein betrunkener Vater ihn körperlich misshandelte, sondern ihn auch extrem gedemütigt. Als Teenager (zu der Zeit, als er sexuell belästigt wurde) hatte er häufig das Bett genässt, und das war in seiner Familie ein Anlass für Scham und Streit. Seine Mutter, die das wütend auf ihn machte, rieb ihm mit dem Urin getränkten Laken das Gesicht und den Körper ab und schickte ihn so, nach Urin riechend, in die Schule, damit er aufhörte, ins Bett zu machen. Als Louis seine Wut auf die Mutter und Frauen generell erst einmal verarbeiten konnte, übernahm er auch für die Vergewaltigungen die volle Verantwortung. Louis musste sich seinem belästigenden Verhalten und seinen Vergewaltigungen in der Therapie getrennt zuwenden, da sie mit unterschiedlichen Erinnerungssets verknüpft waren. Das macht deutlich, dass in solchen Fällen alle Pfade überprüft werden müssen, die zu verschiedenen Formen von sexuellem Missbrauch führen können. Auch wenn Louis’ Opfer primär Erwachsene waren, verwirrten ihn anfangs am stärksten seine körperlichen Reaktionen in Bezug auf die eigene Stieftochter. Im Folgenden beschreibt Louis seine therapeutischen Erfahrungen: »Als ich aus dem Gefängnis kam, wollte ich verstehen, warum ich meine Stieftochter belästigt hatte und warum ich mich als Erwachsener überhaupt zu einem Kind hingezogen fühlte. Warum bekam ich bei einem Kind eine Erektion? Mir wurde klar, dass ich durch meinen eigenen Missbrauch damals als Kind in meiner emotionalen Entwicklung stehen geblieben war. Ich hatte

auch keine liebevolle Beziehung zu meinen Eltern. Wir waren acht Kinder in der Familie. Jeder hatte genug damit zu tun, dass der Laden überhaupt lief. Ich hatte keine besondere Beziehung zu meiner Mutter oder meinem Vater. Ich konnte also nicht zu ihnen gehen und ihnen erzählen, dass mein Onkel mich belästigte. In meiner EMDR-Therapie wechselte ich von dem Kind mit diesen Erfahrungen zu dem Erwachsenen, der ich heute bin, und konnte mir das Ganze aus dessen Blickwinkel anschauen. Da erst habe ich verstanden, wie ich mit dem ganzen Ärger, der Scham und den Schuldgefühlen dieses Kindes in mir andere belästigen und Frauen bei Verabredungen vergewaltigen konnte. Mein ganzes bisheriges Erwachsenenleben lang war ich ein unreifer Erwachsener mit den Emotionen eines Kindes gewesen, von denen ich mich steuern ließ, und dabei kam nichts Gutes heraus. Ich tat vielen Menschen weh, kam ins Gefängnis, zerstörte Leben.« Warum es wichtig ist Grundsätzlich lässt sich sagen, dass unverarbeitete Erinnerungen Menschen dazu treiben, mit den Emotionen, Überzeugungen und körperlichen Empfindungen, die zum Zeitpunkt ihrer früheren traumatischen Erfahrungen präsent waren, auf ihre heutige Welt zu reagieren. Manchmal bereitet das nur ihnen Schwierigkeiten, wie dass sie zum Beispiel Gefahren wittern, wo keine sind, und an Phobien, Depressionen oder Panikattacken leiden. Manchmal aber verletzen sie andere. Der Antrieb ist bei einigen der eigene Schmerz, die eigene Wut, der eigene Hass oder die eigene Verzweiflung; ihnen ist egal, wen sie verletzen. Andere begreifen noch nicht einmal, dass sie falsch handeln. Das ist keine Entschuldigung, aber eine Erklärung. Als Mitglieder unserer Gesellschaft sind wir alle Teile eines Ganzen. Die »Schlimmsten« unter uns können den »Verletzlichsten« unter

uns Schmerz zufügen. Wir müssen zu all diesen Themen noch viele weitere Untersuchungen und Erhebungen durchführen. Doch die bisherigen Ergebnisse entsprechender Studien weisen schon jetzt darauf hin, dass wir wahrscheinlich keinen Menschen als »unheilbar« aufgeben müssen. Und das ist für uns alle eine gute Nachricht. Ich sage nicht, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt alle Betroffenen erfolgreich behandeln können. Wir müssen noch sehr viel lernen. So weisen einige Untersuchungen darauf hin, dass auch traumatische Gehirnverletzungen zu kriminellem Verhalten beitragen können. Doch das zerstörerische und verbrecherische Verhalten von Millionen von Menschen beruht auf psychischen Problemen, die behandelbar sind. Die Gründe dafür mögen in der Kindheit liegen oder auf ein Trauma zurückgehen, das sie als Erwachsene ereilt und im Innersten erschüttert hat. Sam ist dafür ein gutes Beispiel. Er war Häftling und wurde zum Gefängnispsychologen geschickt, weil er jedes Mal, wenn er im Fernsehen einen Flugzeugabsturz sah, eine Panikattacke bekam. Sam war früher Polizist gewesen – ein guter. Er hatte, wie er selbst sagte, »Menschen gedient«. Seine Aufgabe hatte darin bestanden, »um jeden Preis für ihre Sicherheit zu sorgen«. Jeden Tag tat er mehr als er musste, kam früher zum Dienst und blieb länger. Dann wurde er Zeuge eines verheerenden Flugzeugabsturzes in seiner Stadt, bei dem zwölf Häuserblöcke zerstört wurden. Wie er dem Gefängnispsychologen erzählte, hatte er bei seiner Arbeit auch vorher schon Tausende von tragischen Unfallsituationen miterlebt und viele, viele Verletzte und Tote gesehen. Aber diese Tragödie machte ihn völlig fertig. So fertig, dass er schließlich seinen Dienst quittierte und im Laufe der nächsten zehn Jahre immer tiefer sank, bis er schließlich Verbrechen beging, die ihn ins Staatsgefängnis brachten. Er sagte, am meisten verfolgte ihn »das Gelände, auf dem früher eine Wohngegend war

und das nach dem Unglück dem Erdboden gleichgemacht war«. Dinge standen dort herum, die »da nicht hingehörten«: ein Stuhl, ein Tisch, auf dem noch ein Glas Wasser stand, und ein menschlicher Torso. Eine Puppe, ein Arm mit beringter Hand, ein Kinderbuch. Solche Dinge eben. Seine Zielerinnerung für die EMDR-Verarbeitung war also »das dem Erdboden gleichgemachte Gelände«. Beim ersten Set von Augenbewegungen veränderte sich dieses Bild für Sam spontan. Das Gelände sah zwar immer noch trostlos aus, war aber »gesäubert« worden und die Trümmer waren verschwunden. Beim nächsten Set nahm Sam verblüfft wahr, wie dort grünes Gras und Bäume wuchsen. Der Therapeut sagte: »Bleiben Sie dabei.« Beim folgenden Set sah Sam, dass dort ein Park angelegt worden war. Das hatte er völlig vergessen. Dann konnte er sich ohne heftige Gefühle an den Unfall erinnern, wobei er sich hauptsächlich auf das Gefühl von Ohnmacht konzentrierte, das es in ihm ausgelöst hatte. Jetzt jedoch war das Gelände wieder begrünt und bebaut für zukünftige Bewohner, die dort ein neues Zuhause finden konnten. Sam bekam nun keine Panikattacken mehr, wenn er im Fernsehen einen Flugzeugabsturz sah. Er wurde wieder zu dem engagierten, »anständigen« Menschen, der er einmal gewesen war. Für ihn gilt dasselbe wie für die anderen Menschen in diesem Kapitel: Ganz gleich, wie groß oder klein ihre Vergehen sein mögen, es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass auch sie Mitglieder unserer Gesellschaft sind. Wie es in einem kürzlich in der medizinischen Fachzeitschrift Lancet erschienenen Artikel heißt: »Psychische Krankheiten, die das Risiko erhöhen, Verbrechen und wiederholte Straftaten zu begehen, sind bei Inhaftierten weit verbreitet.« Wenn wir die psychischen Probleme behandeln, die so viele dieser Menschen zu ihrem Verhalten treiben, schützt und stärkt uns das alle. Damit

helfen wir den Tätern, sich mit uns zusammen wieder als Menschen fühlen zu können. Und wir verhindern, dass es noch mehr Opfer gibt. Sam sagt, die Erinnerung daran, dass aus einem zerstörten Gelände ein begrüntes und bewohnbares Stück Land hervorgehen kann, sei eine treffende Metapher für sein eigenes Leben. Und ich denke, es ist für uns alle eine gute Metapher. Ob das dem Erdboden gleichgemachte Gelände für unsere Kindheit oder unser Erwachsenenleben steht – wir können es neu begrünen und wieder aufbauen. Wir müssen uns nur um die Hilfe bemühen, die wir brauchen, um diesen Wandel zu vollziehen. Und versuchen, diese Hilfe denen zuteilwerden zu lassen, die zu unwissend sind, um sich darum selbst bemühen zu können.

10. Von gestresst zu mehr als gesund Wie Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden wachsen können

Ob in unserer Familie, bei der Arbeit oder in anderen Lebensbereichen – Erlebnisse, die wir nicht erforscht oder verarbeitet haben, können uns zu Verhaltensweisen treiben, die Schmerz und Leid verursachen. Die direkte Auseinandersetzung mit diesen Themen hingegen kann so befreiend sein, dass wir unser Leben besser genießen können. Manche von uns haben mit langfristigen Problemen zu kämpfen, während andere mit neuen, schwierigen Situationen konfrontiert sind, die sie einfach nicht verstehen. Manche Schwierigkeiten treten nur in einem Lebensbereich auf, während andere unser ganzes Leben durchdringen und uns unser Dasein vergällen. Was auch immer für Sie zutreffen mag, Sie können von den Selbststeuerungstechniken in diesem Buch profitieren und lernen zu verstehen, warum Sie bestimmte Gefühle haben und auf die Welt so reagieren, dass Sie sich selbst und anderen damit schaden. In diesem Kapitel setzen wir unsere Erforschung der verborgenen Landschaft des Unbewussten fort und lernen weitere Methoden, um mit dem Stress in unserem Leben umzugehen. Ich werde Ihnen auch einige Techniken vorstellen, mit denen Schauspieler, Führungskräfte und Sportler ihre Leistungen steigern. Es geht im Leben nicht nur darum, Leid zu überwinden, sondern unsere Potenziale auszuschöpfen und uns für Freude und Wohlbefinden zu öffnen.

Total gestresst Wir haben keine Kontrolle über unsere Gene, unsere Kindheit und oft auch nicht über jetzige Situationen in unserem Leben. Doch selbst wenn genetische Prädispositionen eine Rolle spielen, in den meisten Fällen entstehen Probleme oder verstärken sich aufgrund des Zusammenspiels dieser Prädispositionen mit augenblicklichen Lebenserfahrungen. Die Forschung hat gezeigt, dass Stress sich tatsächlich negativ auf unsere Gene auswirken und sie so stark schädigen kann, dass sich unsere Lebenszeit verkürzt. Stress hat auch direkte negative Folgen für unser Gehirn. Das Beste, was wir also tun können, ist, den Stress in unserem Leben abzubauen. Häufig liegt die primäre Ursache für Stress bei unverarbeiteten Erinnerungen, die uns steuern. Die gute Nachricht lautet jedoch: Es muss nicht Jahre dauern, bevor wir Probleme erkennen und überwinden können. Wir können lernen, unseren Körper und unser Denken besser zu kontrollieren. Dadurch wird es uns möglich, die Welt anders zu sehen. Das kann uns auch helfen, Verhaltensweisen zu ändern, die uns in Situationen bringen, welche uns stressen oder unseren Stress verstärken. Lassen Sie uns im Folgenden einen Blick auf den Stress in zwei Lebensbereichen werfen, mit denen wir alle zu tun haben. Der erste ist das Familienleben, der zweite unser Arbeitsplatz. Anschließend erläutere ich weitere Methoden für die Selbststeuerung, darunter einige, die Sportler und Führungskräfte empfehlen. Die folgenden Geschichten sind Beispiele dafür, wie wir uns die Welt, in der wir leben, selbst erschaffen. Warum hast du mich verlassen? In einem früheren Kapitel habe ich erwähnt, dass manche Menschen, die an Panikstörungen leiden, als Kind eine Zeitlang von ihren Eltern getrennt wurden, wie die Forschung herausgefunden hat. Aber die Symptome sind nicht immer so eindeutig. Viele Menschen mit Panikattacken haben keine

solche Vorgeschichte. Und viele Menschen, die solche Trennungen erlebten, haben keine Panikstörung entwickelt. Stattdessen können sie unter anderen Symptomen leiden, die ihr Leben vergiften. Franks Leben ist ein Beispiel dafür, wie diese unverarbeiteten Erinnerungen aus der Kindheit den Boden für eine ganze Reihe von Problemen bereiten können. In Franks Fall führte das dazu, dass er schlechte Entscheidungen traf, als erwachsener Mann mit Beziehungen kein Glück hatte und unter einer ganzen Reihe von weiteren Symptomen litt. Achten Sie beim Lesen der Beschreibung seiner vielen Symptome einmal darauf, ob etwas davon auch auf Sie zutrifft. Mit seinen 55 Jahren musste Frank etwas gegen den erdrückenden Stress unternehmen, der ihm in seinem Leben zu schaffen machte. Als er mit der Therapie anfing, klagte er über häufige Kopfschmerzen, Vergesslichkeit, Wutausbrüche, Reizbarkeit, Traurigkeit und Gefühle von Unsicherheit. Er war stark übergewichtig und litt an Diabetes, Bluthochdruck und chronischen Rückenschmerzen. »Ich bin ein ziemlicher Kontrollfreak«, gestand Frank seinem Therapeuten. »Ich muss immer alles unter Kontrolle haben.« Er traute anderen Menschen nicht besonders, was auch für seine augenblickliche Frau Arlene und seine Kinder galt. Er fürchtete sich davor, zu versagen, vor allem in seinen persönlichen Beziehungen. Außerdem hatte er Angst vor Nähe und sehr wenig Selbstachtung. Angetrieben von seiner inneren Dynamik, versuchte Frank, es allen recht zu machen. Er glaubte, wenn er die Menschen um sich herum glücklich machte, würden sie ihn nicht verlassen. Tatsächlich passierte jedoch genau das. Seine beiden Ex-Frauen und seine Kinder waren alle ihrer Wege gegangen. Er hatte dreimal geheiratet und wünschte sich verzweifelt, dass seine jetzige Ehe klappte. Er hatte Angst, dass Arlene sich von ihm scheiden lassen würde, wenn sie

herausfand, wer er wirklich war. Deswegen versuchte er, seine Emotionen und Gedanken weitgehend für sich zu behalten. Leider kommen unsere Emotionen, wenn wir sie beiseiteschieben wollen, oft an anderer Stelle heraus. Frank berichtete, dass er Arlene gegenüber immer wieder vor Wut explodierte, genauso, wie es ihm mit seinen anderen beiden Frauen ergangen war. Wenn ein potenzieller Konflikt schwelte, baute sich die Spannung auf, und meistens war er es, der dann »herausplatzte«, was verletzte Gefühle und weiteren Ärger nach sich zog. Anschließend gingen Frank und Arlene auf Distanz zueinander. Tage später versöhnten sie sich wieder, ohne das ursprüngliche Problem gelöst zu haben. Frank sagte dazu: »Ich bin nicht imstande, über die Schwierigkeiten zwischen uns zu reden. Ich schlage einfach wütend um mich, wenn ich die Verletzungen nicht mehr ertragen kann. Dann denke ich nur noch daran, mich zu schützen.« Als Frank nach seinen negativen Kognitionen forschte, stieß er auf Gedanken wie »Ich zähle nicht«, »Ich bin nicht liebenswert«, »Ich bin unbedeutend«. Um die Quelle für seine Ängste und Unsicherheiten herauszufinden, wandte er die Float-Back-Technik an, und dabei kam eine Schlüsselerinnerung aus seiner frühen Kindheit hoch. Als Frank fünf Jahre alt war, gab seine Mutter ihn ohne jede Vorwarnung oder Erklärung bei seinen Großeltern ab. Er hatte keine Ahnung, warum und wie lange er dort bleiben sollte. Das Bild, das ihm kam, zeigte seine Mutter, die von ihm wegging, während er mit seiner Großmutter auf der Veranda stand. Sie drehte sich nicht um, um ihm »Auf Wiedersehen« zu sagen, und schenkte ihm auch beim Wegfahren keinen Blick. Er sah sie fünf Monate nicht wieder. Seine negative Kognition lautete: »Ich zähle nicht« und war verbunden mit Ärger, Scham und einem Gefühl von großer Ohnmacht »im Bauch«.

Bevor er zu seinen Großeltern kam, hatten Franks Eltern sich scheiden lassen und sein Vater war ausgezogen. Mit ansehen zu müssen, wie seine Mutter wegging, war für Frank unerträglich. Als er die Erinnerung an diese Szene verarbeitete, sah er plötzlich zum ersten Mal den Kummer und die Angst im Gesicht seiner Mutter, als sie die Wagentür schloss und davonfuhr. Verständnis und Erleichterung erfüllten ihn, als er erkannte, dass seine Mutter ihn an jenem Tag nicht freiwillig alleingelassen hatte. Sie hatte so handeln müssen. Nach dieser Sitzung hatte Frank spürbar mehr Vertrauen zu anderen Menschen und zu sich selbst und konnte sich und andere viel besser akzeptieren. Er fühlte sich viel wohler in seiner Haut und hatte nicht mehr das ständige Bedürfnis, den Menschen, die er liebte, alles recht zu machen. Im Zuge der weiteren Verarbeitung verschwanden auch seine häufigen Kopfschmerzen, seine Vergesslichkeit, seine Wutausbrüche, seine Gereiztheit, Traurigkeit und Unsicherheitsgefühle. Jetzt konnte er sich darauf konzentrieren, die Pfunde loszuwerden, die er zugelegt hatte, als er sich durch das Essen zu trösten versuchte. Das könnte auch dazu beitragen, seinen Diabetes, den hohen Blutdruck und die chronischen Rückenschmerzen unter Kontrolle zu bekommen. Franks Mutter hatte ihn in guten Händen gelassen. Seine Großeltern liebten ihn. Sie blieb ein paar Monate weg und kehrte dann zurück. Möglicherweise war er bei ihrem Weggehen auch so aufgewühlt gewesen, dass er vergaß, ob sie ihm gesagt hatte, warum sie wegfuhr oder wann sie zurückkommen würde. Vielleicht konnte er sich daran ebenso wenig erinnern wie an ihren Gesichtsausdruck. Doch was tatsächlich geschah, ist nicht so wichtig wie die Auswirkungen, die solche frühen Erlebnisse auf uns haben. Mit seinen fünf Jahren regte Frank sich über diese Situation so auf, dass sie als unverarbeitete Erinnerung in seinem Gehirn gespeichert wurde. Sie war verknüpft mit den Emotionen und körperlichen

Empfindungen, die er hatte, als seine Mutter ihn verließ. Er gab sich selbst die Schuld an ihrem Fortgang, wie Kinder es meistens tun. Er glaubte, es sei sein Fehler. Er versuchte, seine Angst davor, erneut verlassen zu werden, zu bewältigen, indem er seinen Großeltern alles recht machen wollte, damit sie ihn nicht ebenfalls alleinließen. Dass sie nicht fortgingen, bestärkte ihn in seiner Überzeugung, es Menschen recht machen zu müssen, damit sie bleiben. Als seine Mutter zurückkam, setzte er dieses Verhaltensmuster fort. Und weil sie nicht wieder wegging, war er innerlich davon überzeugt, dass er auf dem richtigen Weg war. Damit war der Boden für sein späteres Beziehungsverhalten bereitet. Wir können festhalten, dass die alten Emotionen, die Frank mit seinen negativen Kognitionen verbalisierte, von Kindheit an in seinen unverarbeiteten Erinnerungen gespeichert waren. Sie steuerten ihn in den nächsten 50 Jahren und trugen zu seinen beiden Scheidungen bei. Durch seine Unsicherheit und seinen Ärger trieb er alle in die Flucht. Dann wurden auch diese misslungenen Beziehungen in seinen Erinnerungsnetzwerken abgespeichert und verstärkten sein negatives Selbstbild als nicht liebenswerter, unbedeutender Mensch, der niemandem wirklich am Herzen lag. Viele seiner Symptome hatte er seit Jahren. Erst die ständig zunehmenden Kopfschmerzen und die verzweifelte Angst, auch seine jetzige Frau zu verlieren, brachten ihn schließlich in die Therapie. Für uns alle stellt sich hier die Frage: Wie schlecht muss es uns gehen, bevor wir etwas dagegen unternehmen? Wenn wir erst einmal erkennen, dass die Probleme in uns selbst wurzeln, verstehen wir auch unser Verhalten. Das ist der erste Schritt, um etwas daran zu verändern. Ich mache mich selbst verrückt Verarbeitung findet nicht nur in der therapeutischen Praxis statt. Viele alltägliche Erlebnisse verändern unsere Gefühle und bringen uns zu

bestimmten Einsichten. Ted musste zwar bestimmte Erinnerungen mit therapeutischer Unterstützung verarbeiten, doch weitere Zusammenhänge erschlossen sich ihm beim Lesen eines Buches. Er schrieb mir, zu dem Zeitpunkt, als er beschlossen habe, eine Therapie anzufangen, sei er »nur noch ein wandelnder Computer gewesen mit fast überhaupt keinem Gefühl mehr im Körper. Ich arbeitete täglich bis zu 18 Stunden. Ich hatte drei hoch bezahlte Jobs und verdiente 11.000 Dollar im Monat. Ich knirschte mit den Zähnen und hatte deswegen solche Schmerzen, dass ich zuerst meinen Zahnarzt, dann eine Klinik für Kieferorthopädie und schließlich einen Psychologen aufsuchte.« Ted hatte eine schreckliche Kindheit mit einem extrem gewalttätigen Vater erlebt. Mithilfe seines Therapeuten fokussierte er eine zentrale Schlüsselerinnerung: »Ich fand es erstaunlich, dass ich nach jedem Set besser erkennen konnte, dass ich keine Schuld an diesen Vorfällen trug. Ich war nur ein Kind und völlig unschuldig. Mein Therapeut hatte schon oft versucht, mir diesen Gedanken nahezubringen, aber er drang damit einfach nicht zu mir durch. Durch EMDR funkte es bei mir, und ich war sehr erleichtert darüber, dass das alles jetzt endlich vorbei war.« Ted musste in seinen EMDR-Sitzungen noch vieles verarbeiten. Doch ein Thema änderte sich für ihn einfach dadurch, dass er begriff, wie er selbst zu seinen Schwierigkeiten beitrug. Beim Lesen eines meiner früheren Bücher wurde ihm klar, dass er sich bei der Arbeit einer Kollegin gegenüber, die er für unfähig hielt, genauso aufführte wie die Person namens »Jonas« in einem der von mir geschilderten Fallbeispiele. Dieser Mensch hatte seine Erfahrungen gern für mein Buch zur Verfügung gestellt, um anderen zu helfen. Jetzt möchte Ted das Gleiche tun. »Ein weiteres Problem klärte sich, als ich die Geschichte von Jonas las. Als Bezirksleiter habe ich mit meinen Mitarbeitern immer wieder Schwierigkeiten, und was Jonas hier im Buch

berichtete, traf für mich den Nagel auf den Kopf. Ich konnte mich ganz in ihn hineinversetzen, und er benutzte sogar die gleichen Worte, die ich benutzt hätte – die Hilflosigkeit und das Gefühl, dass mir die Kontrolle entglitt. Während ich langsam las, kamen mir Bilder von meiner Assistentin Peggy, die mir mit ihrer Langsamkeit auf die Nerven ging, und ich spürte wieder meine Hilflosigkeit, weil ich sie einfach nicht bewegen konnte, schneller zu machen. Und dann wendete sich das Blatt. Während ich las und an Peggy dachte, wurde die Szene innerlich für mich so lebendig, als erlebte ich sie tatsächlich. Hier war Peggy und erledigte ihre Arbeit, und hier war ich und drängte sie, gleichzeitig noch mehrere andere Dinge zu tun. Kein Wunder, dass die arme Frau mir so langsam vorkam. Ich hatte ihr fünf verschiedene wichtige Aufgaben an vier verschiedenen Orten aufgetragen – und das alles gleichzeitig. Ich scheuchte sie im Kreis herum und in mehrere Richtungen gleichzeitig. Als ich begriff, was ich der Frau da antat, brach ich unwillkürlich in lautes Gelächter aus, so absurd war diese Szene. Mein Stress ging auf mein eigenes Fehlverhalten als Führungskraft zurück. Ich bürdete ihr zu viel auf einmal auf. Der Fehler lag bei mir, und ich konnte das jetzt korrigieren. Vielleicht kann ich an meinem Schreibtisch vier, fünf Dinge gleichzeitig erledigen, doch ich kann von keinem Menschen verlangen, dass er an vier, fünf Orten gleichzeitig ist und Entsprechendes leistet. Ich fühle mich jetzt nicht mehr hilflos und habe auch nicht mehr das Gefühl, dass mir die Kontrolle entgleitet. Ich bin verantwortlich für diese Situation. Peggy arbeitet jetzt sehr viel besser, weil ich ihr nicht mehr ständig im Nacken sitze und sie vierteilen will, damit sie mehrere Dinge gleichzeitig erledigen kann. Ich kann jetzt sehen, auf welches frühere Erlebnis mein Verhalten in dieser Situation zurückging.

Auch mein Vater hatte von mir ständig Unmögliches verlangt. Ich hatte mich ihm gegenüber genauso ohnmächtig gefühlt wie nun Peggy gegenüber. Das Problem ist jetzt gelöst.« Wie Ted stehen auch viele von uns unter Druck, weil wir unrealistische Erwartungen und Ansprüche an uns und andere haben. Oft ist uns nicht klar, dass diese hohen Ansprüche und die entsprechende Sicht der Dinge nicht von der »Vernunft« diktiert sind, sondern von unverarbeiteten Erinnerungen, die unser Verhalten steuern. Wie stark tragen wir durch eigene Schwierigkeiten mit dem Thema Kontrolle zum Stress in unserem Leben bei? Was tun wir, wenn wir auf der Autobahn hinter einem langsamen Lastwagen herschleichen müssen? Fluchen und schimpfen wir auf den Fahrer, oder können wir loslassen und vergnügt unseren Gedanken nachhängen oder Radio hören? Wie sinnvoll ist diese Frustration, die wir einfach nicht loslassen können? Ja, Menschen sollten wissen, wie man Auto fährt und entweder eine angemessene Geschwindigkeit einhalten oder die Überholspur freigeben. Aber was, wenn der langsame Lastwagenfahrer innerlich mit dem Tod eines geliebten Menschen beschäftigt ist? Was, wenn er schon älter ist und nicht mitbekommen hat, dass er geistig abbaut? Und was, wenn dieser Mensch einfach egoistisch ist und denkt, die ganze Welt drehe sich nur um ihn? Wir haben keine Ahnung, wie seine Beweggründe aussehen. Doch mit unserer Genervtheit erweisen wir uns selbst eindeutig keinen guten Dienst. Können wir uns einen Moment Zeit nehmen, um zu spüren, wie wir uns fühlen? Können wir dann eine Selbststeuerungsübung machen, um unsere negativen Gefühle loszulassen? Falls nicht, lohnt es sich vielleicht, wenn wir zuhause angekommen sind, mithilfe der FloatBack-Technik herauszufinden, warum das so ist. Lass mich in Ruhe

Teds Erlebnis macht deutlich, warum ich in diesem Buch so viele Beispiele gebe. Ich hoffe, dass Sie sich selbst oder nahestehende Menschen darin entdecken und besser verstehen, wie wir alle »ticken«. Ted sagte, er wolle die Therapie fortsetzen, um »die EMDR-Verarbeitung als wichtigstes Instrument zur Bewältigung der Vergangenheit einzusetzen«. Sie können jedoch auch mithilfe der EMDR-Verfahren, die Sie in diesem Buch ausprobiert haben, begreifen lernen, welche Dynamik Ihren eigenen schwierigen Themen zugrunde liegt, und manchmal reicht das schon. Nehmen wir zum Beispiel Joleen. Sie liebte ihren Mann sehr. Warum aber hatte sie ihn dann in der letzten Woche immer angeschnauzt, wenn er ihr eine Frage stellte? Joleen und Alan waren seit fast 30 Jahren zusammen. Beide hatten das Gefühl, ihren Seelenpartner gefunden zu haben und machten aus ihrer gegenseitigen Zuneigung keinen Hehl. Doch obwohl Joleen sich in Alans Armen immer sicher und geborgen fühlte, bemerkte sie, dass irgendetwas nicht stimmte. Ohne offensichtlichen Grund blaffte sie Alan ungeduldig an, sobald er sie etwas fragte. Sie hatte das Gefühl, dass er ihr zu viele Dinge überließ und fühlte sich zunehmend überfordert. Ihr fiel auf, dass sie in solchen Situationen dachte: »Immer muss ich alles machen!« Das ergab keinen Sinn, denn Alan beteiligte sich am Haushalt und allen anderen Aufgaben, die im Leben eines verheirateten Paares anfallen, genauso wie sie. Doch wie sehr sie sich auch bemühte, nach ihren Ausrastern ruhig zu atmen und sich oft bei ihm entschuldigte, passierte es ihr immer wieder, dass sie ihn anblaffte. Zu Beginn des Buches habe ich Ihnen den Kinderreim »Rosen sind rot, Veilchen sind blau« vorgestellt. Joleen war gerade in einer »Rosen sind rot«-Phase. Rosen sind rot – manchmal. Da sie bei der Arbeit einige wichtige Termine einhalten musste, schob Joleen ihre Gefühle zuhause beiseite in der Hoffnung, dass sie sich von selbst legen würden. Vielleicht

waren Alans Fragen ihr im Augenblick einfach zu viel und ihre Gefühle waren gerechtfertigt. Vielleicht. Doch dann fiel ihr auf, dass zusammen mit ihrer Ungeduld das verzweifelte Gefühl hochkam, ihre Ehe stünde vor dem Aus. Sie hatte eindeutig das Gefühl, »es ist vorbei«, was Unsinn war. Als ihr klar wurde, dass »Veilchen nie blau sind«, wurde sie schließlich aktiv. Ausgehend von den Worten: »Ich kann das nicht ausstehen. Immer ich«, wandte sie die Float-Back-Technik an, indem sie sich auf das Gefühl der Überforderung konzentrierte und innerlich zurückwanderte. Dabei kam eine Situation hoch, bei der sie innerlich »Aber natürlich!« dachte und sich die Hand vor den Kopf schlug. Sie war direkt bei der Zeit vor einem Jahr gelandet, als ihre Mutter in ein Pflegeheim kommen sollte und sie ihre Sachen zusammenpackte. Ihre Mutter lag damals im Krankenhaus, und Joleen unterbrach eine Geschäftsreise, um an ihre Seite zu eilen und sich um ihre Angelegenheiten zu kümmern. Bevor die Mutter aus dem Krankenhaus entlassen wurde, mussten ihre Sachen im Pflegeheim sein. Joleens Bruder wohnte zwar in der Nähe, wurde aber krank und konnte nicht helfen. Also musste sie das allein erledigen. Sie brauchte dafür eine ganze schreckliche Woche, in der sie immer wieder gegen ihre Erschöpfung ankämpfte, um alles rechtzeitig fertig zu haben. Schließlich war alles getan, aber als sie dann zu Alan zurückflog, war sie emotional und körperlich völlig erschöpft. Das war jetzt genau ein Jahr her. Ihre Mutter verließ das Krankenhaus nicht mehr und starb einige Wochen später. Kein Wunder, dass Joleen das Gefühl hatte, »Immer muss ich alles machen« und »Es ist vorbei«. Sie erlebte eine »Jahrestagreaktion«, welche die negativen Gefühle hochbringen kann, die mit einem schmerzlichen Erlebnis verbunden sind – und manchmal passiert das tatsächlich Jahr für Jahr.

Als Joleen klar wurde, worauf ihr Kummer zurückging, kam ihr Leben wieder in Ordnung. Bei der Verarbeitung stellten sich die Zusammenhänge sofort her. Die negativen Gefühle verschwanden, und Joleen schnauzte Alan nicht mehr an. Das Leben verlief wieder in normalen Bahnen. Manchmal braucht es gar nicht mehr. Eigene Forschungen Joleen hatte bereits täglich ihre Selbststeuerungsmethoden geübt, sodass sie sich meistens entspannt und glücklich fühlte. Deswegen fiel ihr gleich auf, dass etwas nicht stimmte, und sie konnte sofort gegensteuern. Das bringt uns zurück zu der Frage, was auch Sie täglich tun könnten. Tägliche Selbstfürsorge Wir alle müssen uns um unsere psychische Gesundheit ebenso kümmern wie um unsere körperliche Gesundheit. Viele Untersuchungen haben gezeigt, dass uns tägliche Bewegung (wie an fünf Tagen in der Woche eine halbe Stunde walken) oder bestimmte Nahrungsmittel, die Omega-3Fettsäuren enthalten (wie Süßwasserfisch und Walnüsse), guttun. Beides kommt auch unserer psychischen Gesundheit zugute und kann, wie die Forschung bewiesen hat, zur Linderung von Depressionen beitragen. Tatsächlich hat – so legen es einige Untersuchungen nahe – eine halbe Stunde körperliche Bewegung an drei bis fünf Tagen pro Woche über drei Monate die gleiche Wirkung wie die üblichen Antidepressiva. Regelmäßige Bewegung und ausreichend Omega-3-Fettsäuren können Ihr Leben erleichtern, und ebenso tragen ausgewogene Ernährung und genügend Schlaf zu Ihrer körperlichen und psychischen Gesundheit bei. Auch die Selbststeuerungsübungen, die Sie bereits gelernt haben, sollten Sie möglichst täglich machen. So bleiben Sie in Kontakt mit Ihren emotionalen Reaktionen und können negative emotionale Zustände

schneller erkennen und beurteilen, ob Sie etwas dagegen unternehmen müssen. Mithilfe des sicheren / ruhigen Ortes, der Spiraltechnik, dem Farbeimer, der Comic-Übung, dem Wasserstrahl, der Schmetterlingsumarmung

(oder

abwechselnden

Taps

auf

beide

Oberschenkel), dem Lichtstrom und den Atemübungen können Sie sich von Störungen befreien, sowie diese auftreten. Aber es ist wichtig, diese Methoden täglich zu üben, damit sie Ihnen bei Bedarf zuverlässig zur Verfügung stehen. In Anhang A finden Sie die Vorlage für einen Persönlichen Stundenplan, den Sie sich kopieren und als Checkliste benutzen können, um zu überprüfen, ob Sie wirklich dranbleiben. Wichtig ist auch, sich täglich in Selbstwahrnehmung zu üben, um zu überprüfen, ob sich an Ihrer emotionalen Verfassung grundlegend etwas verändert hat. Am besten führen Sie zu diesem Zweck Ihr TICES-Tagebuch weiter. Es ist durchaus möglich, dass persönliche Qualitäten, die Ihnen in einer bestimmten Lebensphase gute Dienste geleistet haben, in späteren Jahren problematisch werden. Was Sie mit 20, 30 oder 40 Jahren mit links erledigen konnten, verlangt mit 60 oder 70 Jahren von Ihnen vielleicht zu viel Kraftaufwand. Es ist wichtig, unsere körperlichen Grenzen zu erkennen, ohne uns als Versager zu fühlen. Falls Sie von unverarbeiteten Erinnerungen gesteuert wurden, können die unbewussten Prozesse, die Ihnen früher zum Erfolg verholfen haben, jetzt für Sie hinderlich sein. Sie tun sich selbst keinen Gefallen, wenn Sie sich von Erinnerungen, die mit kognitiven Überzeugungen wie »Es ist nie genug« oder »Ich muss das um jeden Preis schaffen« verbunden sind, über Ihre körperlichen Grenzen treiben lassen. Wenn Sie genau hinschauen, stellen Sie vielleicht fest, dass die unverarbeitete Überzeugung, »um jeden Preis Erfolg haben zu müssen«, Ihnen im Leben schon immer zu viel abverlangt hat. Warum diese innere Hetzjagd zum Erfolg? Warum nicht die dahinter stehenden Ängste

verarbeiten und ruhig und entspannt Erfolge erzielen? Dann wieder regen uns neue Situationen so auf, dass wir uns selbst nicht verstehen. Deswegen gehört zu einer EMDR-Therapie immer auch eine »Phase der Überprüfung«, um zu sehen, wie ein Mensch mit den neu verarbeiteten Erinnerungen in entsprechenden Situationen zurechtkommt. Heather zum Beispiel hatte von Kindheit an negative Überzeugungen, wie »Ich zähle nicht« und »Ich schaffe es nicht«. Ihre Arbeit erledigte sie zufriedenstellend, konnte aber mit Konflikten nicht umgehen und sich auch nicht für sich selbst einsetzen. Mit Unterstützung ihrer Therapeutin verarbeitete sie die mit ihren Überzeugungen verbundenen negativen Erinnerungen und konnte jetzt innerlich spüren: »Ich bin gut«, »Ich habe eine Wahl«. Dadurch veränderte sich auch ihr Verhalten bei der Arbeit. Sie konnte jetzt mehr leisten und sich auch besser durchsetzen. Das fiel ihren Kolleginnen und Kollegen natürlich auf, und Heather bekam viele positive Rückmeldungen. Eine Weile fühlte sich das gut an. Doch dann sollte sie befördert werden und stellte fest, dass sie das total aufregte. Warum? Das neue positive Feedback für ihre Arbeit löste eine weitere unbewusste Erinnerung aus, verbunden mit Angst und der Überzeugung: »Wenn ich zu erfolgreich bin, wird man mich allein lassen.« Diese Befürchtungen waren bislang nie hochgekommen, weil Heather zuvor nie so ausgezeichnete Leistungen erbracht hatte. Sie gingen auf ein Erlebnis in der Schule zurück. Damals hatten sich einige ihrer Mitschülerinnen über sie lustig gemacht, als sie für eine Buchbesprechung die beste Note bekam. Als sie diese Erinnerung verarbeitet hatte, konnte sie ihren jetzigen Erfolg genießen. Übrigens hängen viele Frauen der negativen Überzeugung an, »Männer mögen keine wirklich klugen Frauen«. Diese Sicht geht meistens auf entsprechende Warnungen in der Kindheit zurück und ist in vielen Kulturen verbreitet.

Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass Stress viele Formen annehmen und viele überraschende Gründe haben kann. Wir alle sind anfällig für Stress, viele feste Termine und Schlafmangel reichen oft schon aus. Manchmal geraten wir in eine Krise und fühlen uns plötzlich völlig überfordert. Unsere Aufgabe ist es, Tag für Tag bewusst darauf zu achten, wie wir durch unser Leben gehen, und uns an unsere Hilfsquellen anzuschließen, damit uns negative emotionale Zustände nicht völlig absorbieren oder wir uns selbst fertig machen, weil uns alles »sinnlos« erscheint. Tatsächlich haben auch Krisen einen Sinn. Dabei geht es einfach um Ursache und Wirkung. Manchmal ballen sich die Ereignisse in unserem Leben so zusammen, dass wir davon überfordert sind. In solchen Zeiten müssen wir bewusst beschließen, unsere Zeit und unsere Kraft anders einzuteilen. Wenn uns das nicht möglich ist, sollten wir einen gründlichen Blick nach innen werfen. Was hält uns davon ab, uns selbst auf unserer Prioritätenliste den ersten Platz einzuräumen? Ist es ein altes Muster? Falls ja, müssen Sie etwas verändern. Wenn Sie die Gründe für Ihre Blockierung herausfinden wollen, sollten Sie berücksichtigen, dass unsere Wahrnehmung der äußeren Welt mit unseren Erinnerungsnetzwerken verbunden und von diesen geprägt ist. Die hier gespeicherten Erinnerungen sind ausschlaggebend dafür, wie wir uns von Augenblick zu Augenblick fühlen. Ob nun unser Bild von anderen Menschen in unserem Leben oder unser Selbstbild betroffen ist, es kann gut sein, dass unsere Wahrnehmungen von unverarbeiteten Erinnerungen gesteuert werden. Eine Zeitachse entwickeln Wenn Sie Ihr TICES-Tagebuch weitergeführt und die Float-Back-Technik in Kombination mit der Liste von negativen Kognitionen regelmäßig angewendet haben, haben Sie jetzt die augenblicklichen Ereignisse vor sich, die negative Emotionen bei Ihnen auslösen, wie auch die Erinnerungen, die

damit verbunden sind. Wenn Sie möchten, können Sie diese Erinnerungen jetzt einer Zeitachse zuordnen, um Ihre Entwicklung besser zu verstehen. Schlagen Sie in Ihrem Notizbuch eine neue Seite auf und ordnen Sie Ihre Erinnerungen nach den Lebensaltern, in denen sie stattfanden. Tragen Sie zuerst das Alter ein, dann die Erinnerung, die negative Kognition und den SUD-Wert. Lassen Sie zwischen jedem Eintrag ein paar Zeilen frei, um hier weitere Schlüsselerinnerungen hinzuzufügen, die im Lauf der Zeit, während Sie neue schwierige Erfahrungen machen oder andere Lebensbereiche erforschen, bei Ihnen noch hochkommen können. Haben Sie eine Erinnerung erst einmal auf der Zeitachse festgehalten, vermerken Sie mit einem Sternchen dahinter jede neue Erfahrung, bei der Ihnen diese Erinnerung Schwierigkeiten macht. Das zeigt Ihnen deutlich, welches Ihre wirklich wunden Punkte sind, die Sie häufig steuern. Nehmen Sie sich jetzt einen Moment Zeit, um Ihre Erinnerungen chronologisch zu ordnen. Notieren Sie dann auf der Zeitachse weitere Ihrer schwierigsten Kindheitserinnerungen. Können Sie sich an besonders schmerzliche Situationen erinnern, in denen Ihre Eltern Streit hatten oder Sie ignoriert, gedemütigt oder zurückwiesen haben? Machen Sie sich diese Erlebnisse bewusst. Wenn diese Erinnerungen mit körperlichen Empfindungen verbunden sind, deren SUD-Wert höher als 4 ist, vermerken Sie die Zahl ebenfalls auf der Zeitachse. Denken Sie daran, eine Ihrer Selbststeuerungsübungen zu machen, um die negativen Emotionen nach jeder Bewusstmachung wieder loszulassen. Jetzt können Sie sich Ihre Zeitachse anschauen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wann Sie verschiedene negative Reaktionen, Gefühle und Überzeugungen entwickelt haben. Die Zeitachse kann Ihnen auch zeigen, welche Menschen in Ihrem Leben zu diesen Problemen beigetragen haben. Vielleicht wollen Sie sich überlegen, ob bestimmte Personen, mit denen Sie

im Augenblick Schwierigkeiten haben, diesen Menschen ähnlich sind. So können Sie erkennen, wann die alten Gefühle heute ausgelöst werden, und etwas dagegen unternehmen. Wenn Sie täglich Ihre Selbststeuerungstechniken üben, um sich zu beobachten und besser kontrollieren zu können, sorgen Sie bewusst für Ihr psychisches Wohlbefinden. Das hat nicht nur für Sie selbst, sondern auch für die Menschen in Ihrem Leben spürbar positive Folgen. Mit den vier Elementen Stress abbauen Wir alle haben im Verlauf eines Tages hin und wieder Stress. Wenn wir lernen, unsere Reaktionen zu steuern, statt uns von unseren Überreaktionen steuern zu lassen, machen wir uns das Leben leichter. Wir müssen uns beobachten, um zu spüren, ob der Stress überhand zu nehmen droht, und um rechtzeitig gegensteuern zu können. Viele von uns haben bei der Arbeit das Gefühl, sich auf einem Kampfschauplatz zu befinden. Deswegen stelle ich Ihnen hier eine Reihe von Selbststeuerungsmethoden vor, die ursprünglich für Menschen entwickelt wurden, die von terroristischen Angriffen bedroht sind. Weil Menschen unter diesen Umständen oft permanent in Angst und Schrecken leben, lautet die Empfehlung, diese Übungen täglich zu machen. Meiner Meinung nach sind diese Methoden für alle Menschen wichtig und nützlich, die täglich viel Stress erleben. Auch wenn wir wissen, dass es wichtig ist, auf uns selbst zu achten und diese Techniken anzuwenden, sobald wir aus dem Gleichgewicht geraten, vergessen wir das manchmal, wenn der Stress uns einfach überrennt. Wenn Sie dazu neigen, sich bei den vielen täglichen Anforderungen an Sie zu verzetteln, können Sie ein farbiges Armband tragen, an Ihrem Handy oder PC einen Sticker befestigen oder ein Bild auf Ihren Schreibtisch stellen, um sich daran zu erinnern, rechtzeitig innezuhalten. Jedes Mal, wenn Ihr Blick

auf diese Erinnerungshilfe fällt, können Sie überprüfen, wie Sie sich gerade fühlen und Ihren Zustand auf der SUD-Skala einstufen. Sollte Ihr SUDWert hoch sein, können Sie mit den vier unten beschriebenen Schritten dafür sorgen, dass er wieder sinkt. Die Übung »Die vier Elemente: ErdeLuft-Wasser-Feuer« hilft Ihnen, Ihren Körper von Kopf bis Fuß bewusst wahrzunehmen. Erde: Erdung, sicher in der Gegenwart / Realität verankert Nehmen Sie sich ein, zwei Minuten Zeit, um »auf den Boden zu kommen« und im Hier und Jetzt zu sein. Stellen Sie beide Füße auf den Boden und spüren Sie, wie der Stuhl Sie trägt. Schauen Sie sich um und nehmen Sie drei Dinge wahr, die Sie bislang nicht wahrgenommen haben. Was sehen Sie? Was hören Sie? Luft: Atmen, um sich zu zentrieren Jetzt können Sie Ihre Lieblingsatemübung machen. Oder Sie atmen durch die Nase ein, während Sie bis vier zählen, halten den Atem zwei Sekunden und atmen dann auf vier wieder aus. Atmen Sie so etwa zwölfmal langsam und tief durch. Wasser: Ruhig und beherrscht übergehen zur Entspannungsreaktion Überprüfen Sie, ob Sie Speichel im Mund haben. Verstärken Sie den Speichelfluss, indem Sie Ihre Zunge im Mund bewegen und sich den Geschmack einer Zitrone (oder von Schokolade) vorstellen. Wenn Sie Angst haben oder gestresst sind, trocknet Ihr Mund aus, da bei der Stressbewältigung das Verdauungssystem abschaltet, wenn der Körper sich auf Angriff oder Flucht einstellt. Durch vermehrten Speichelfluss regen Sie die Verdauung wieder an und lösen auf diese Weise auch die damit verbundene Entspannungsreaktion aus. Diese Theorie könnte auch erklären, warum wir Menschen, die schwierige Erfahrungen gemacht haben, oft

Wasser, Tee oder Kaugummi anbieten. Wenn es Ihnen schwer fällt, Speichel zu produzieren, können Sie zuerst einmal einen Schluck Wasser trinken. Feuer: Beleuchten Sie den Pfad zu Ihrer Imagination Vergegenwärtigen Sie sich Ihren sicheren Ort oder andere positive Ressourcen. Wo spüren Sie diese im Körper? Wenn Sie dann alle Elemente miteinander verbinden, können Sie sich noch einmal klarmachen, dass Sie auch weiterhin die Sicherheit Ihrer Füße auf dem Boden spüren, dass Sie sich zentriert fühlen, während Sie ein- und ausatmen, dass Sie ruhig und beherrscht sind, während Sie mehr Speichel produzieren, und dass Sie sich vom Feuer den Weg zu Ihrer Imagination beleuchten lassen, um sich einen Ort vorzustellen, an dem Sie sich sicher fühlen oder sich an eine Situation erinnern, in der Sie sich gut in ihrer Haut gefühlt haben. Denken Sie daran, Sie kennen jetzt eine ganze Reihe von Techniken, um bei Stress gegenzusteuern. Viele von uns sind von den zu Hause und bei der Arbeit täglich anfallenden Aufgaben so stark absorbiert, dass wir gar nicht wahrnehmen, wie das an unseren Kräften zehrt. Wir denken: »Ach, ich mache später eine Pause.« Doch Stress hat auf unser Immunsystem, unser Herz und andere Körperorgane unmittelbare Auswirkungen, die sich summieren. Deswegen sollten Sie sich von Zeit zu Zeit klarmachen, dass das Leben eine lange Wanderung und kein Kurzstreckenlauf ist. Und als solche kann es sogar Spaß machen. Vom Versagen zur Freiheit Unverarbeitete Erinnerungen können verhindern, dass wir Erfolg im Leben haben. Auch wenn viele davon auf die Kindheit zurückgehen, können die Erlebnisse, die uns später Probleme bereiten, auf den ersten Blick ganz

unterschiedlich scheinen. Darlene zum Beispiel begann eine Behandlung, weil sie unerträgliche Angst vor ihrem Chef hatte. Immer, wenn sie in sein Blickfeld geriet (sei es positiv oder negativ), wurde sie automatisch rot, bekam feuchte Hände und Herzrasen. Diese Reaktionen behinderten sie in ihrer Leistungsfähigkeit dermaßen, dass ihr Arbeitsplatz gefährdet war. Sie erlebte ihren Chef zudem oft als »einschüchternd«. Manchmal schrie er seine Angestellten an und stellte sie vor allen bloß. Er übernahm keinerlei Verantwortung für sein Verhalten. Am meisten störte Darlene, dass sie ihre »körperlichen Reaktionen überhaupt nicht beeinflussen konnte«, obwohl sie vom Kopf her wusste, dass er ein »Idiot« war. Die Quelle für ihre Probleme offenbarte sich bei Anwendung der FloatBack-Technik. Es stellte sich heraus, dass Darlenes Mutter sie ständig ausgefragt hatte. Ununterbrochen wollte sie von Darlene wissen, was im Verlauf ihres Tages alles passiert war. Sie wollte auch wissen, was andere Menschen gesagt und getan hatten und was Darlene dachte und fühlte. Darlene empfand diese ständige Fragerei als zudringlich, ärgerlich und völlig übertrieben. Sie fühlte sich jedoch außerstande, ihrer Mutter Einhalt zu gebieten, denn diese machte selbst dann weiter, wenn Darlene sie bat, aufzuhören. Bei der Verarbeitung schluchzte Darlene und berichtete, das Schlimmste sei, dass sie sich durch diese ständige Fragerei gedemütigt fühle. Im Zusammensein mit anderen Menschen »erinnerte« ihre Mutter sie auch oft an Dinge, die Darlene gesagt hatte, und »verwendete sie dann gegen mich«. Das war für Darlene äußerst beschämend und peinlich. An dem Punkt rief sie aus: »Meine Güte! Kein Wunder, dass ich solche Angst bekomme, wenn Menschen auf mich aufmerksam werden! Ich habe nie verstanden, warum mich das selbst dann aufregt, wenn sie mich wohlwollend wahrnehmen. Aber mir ist jetzt klar, dass ich dabei ständig mit dem Schlimmsten

rechnete. Wann würden sie Dinge über mich sagen, die mir peinlich wären? Ich kann gar nicht glauben, dass das der Grund dafür ist!« Während Darlenes Ängste auf die Zudringlichkeit ihrer Mutter zurückgingen, hatte Ryan genau das Gegenteil erlebt. Seine Eltern ignorierten ihn als Kind weitgehend, und er begann eine EMDR-Therapie, weil er sich, sobald berufliche Entscheidungen anstanden, immer wie gelähmt fühlte. Er hatte entsetzliche Angst davor, dass seine Chefin seine Arbeit beurteilte, und befürchtete ständig, dass sie daran etwas auszusetzen fand. Ryan ist auch ein Beispiel dafür, dass das Aufwachsen in einer Atmosphäre von Reichtum und Luxus keine Garantie für psychische Gesundheit ist. Seine Eltern waren sehr wohlhabend, Ryan wurde von Hausangestellten großgezogen. Das löste bei ihm das Gefühl aus, dass seine Eltern ihn alleinließen. Er war es nicht wert, dass sie ihm ihre Aufmerksamkeit schenkten. Wenn er gelegentlich Zeit mit seinem Vater verbrachte, spielten sie immer Spiele, bei denen er nie gewinnen durfte. Weil es ihm nicht gelang, die liebevolle Aufmerksamkeit seiner Eltern zu gewinnen, hatte er schließlich das Gefühl, sich nicht holen zu können, was er haben wollte. Als Erwachsener lauteten die negativen Kognitionen, die seinen emotionalen Zustand verbalisierten: »Ich bin zu nichts gut. Ich kann in meinem Beruf nichts erreichen.« Bei der Verarbeitung beschrieb er ein körperliches Empfinden, als krampfe sich sein Magen zusammen, bis er sich »steinhart« anfühlte. Nach weiteren Verarbeitungen schmolz dieser Stein zu einer weichen, warmen Präsenz und wurde für ihn zu einem »sicheren Boden«. Für Ryan war das »die Kraft und der Ausdruck der Seele«. Seine positive Kognition lautete: »Ich kann aus mir selbst heraus etwas leisten. Ich schaffe das.« Letzten Endes bilden solche frühen, grundlegenden Erfahrungen in der Kindheit den Boden für die Hindernisse, vor denen Sie heute stehen. Mit

entsprechender Unterstützung können Sie diese jedoch umwandeln, sodass sie zu einer Quelle für neues, gesundes Verhalten werden. Versagensängste können in einer ganzen Reihe von Erlebnissen begründet sein, die von Demütigungen bei Sportwettkämpfen bis zu der Erfahrung reichen, es den Eltern nie recht machen zu können. Sie können aber auch völlig überraschende Gründe haben. Sean zum Beispiel war ein Geschäftsmann mit der negativen Kognition »Ich bin nicht gut genug«, die mit einem besessenen Perfektionismus einherging. Er hatte große Ängste, wenn er »sich beweisen« musste, sei es bei einer Verkaufspräsentation oder beim Golfspielen. Er wusste, dass diese Gefühle irrational waren. Doch trotz dieses Wissens und seiner guten Fähigkeiten hielten diese heftigen Ängste an und standen seinem Erfolg im Weg. Indem er sich auf die Ängste bei der letzten schwierigen Arbeitssituation und die negative Kognition »Ich bin nicht gut genug« konzentrierte, wandte Sean unter Anleitung seines Therapeuten die Float-Back-Technik an. Dabei erinnerte er sich an eine Aufführung mit seiner Theatergruppe in der Schule und das Lampenfieber vorher sowie die große Erleichterung, als sein Auftritt endlich vorbei war. Ferner fiel ihm ein, dass seine Zuschauer ihm damals stehend applaudiert hatten. Offensichtlich hatte Seans Gehirn die unverarbeitete Erinnerung an seine Darbietung ohne die Information abgespeichert, dass er seine Sache ausgezeichnet gemacht hatte. Aufgrund der Verarbeitung begriff Sean, dass er zukünftigen Herausforderungen gewachsen war. Wenn er jetzt daran denkt, etwas darstellen zu müssen, empfindet er freudige Aufregung statt Besorgnis und Angst. Selbstfürsorge Wenn Sie Angst vor einer Präsentation haben, können Sie Ihre Versagensängste vielleicht selbst in freudige Aufregung umwandeln. Viele Menschen denken, sie müssten vor solchen Herausforderungen Angst

empfinden, weil sie die körperlichen Reaktionen auf Herausforderungen falsch interpretieren. Unser Gehirn bereitet uns auf eine Herausforderung vor, indem es ein gewisses Maß an Erregung produziert. Die Leistungsforschung hat festgestellt, dass es für verschiedene Aufgaben optimale Erregungslevel gibt. Unsere Sicht dieser Erregung sowie unser Umgang damit können ausschlaggebend sein für unseren Erfolg oder unser Versagen. Tatsächlich sprechen einige Sportpsychologen hier inzwischen lieber von »Intensität« statt von Aufregung, Ängstlichkeit oder Nervosität, um diesem Zustand die negative Bedeutung zu nehmen, die Menschen damit oft verbinden. Denken Sie daran, es gibt viele Wege, diese angemessene Intensität vor größeren Schritten zu spüren. So können Sie es zum Beispiel aufregend finden, zu einer wichtigen Sache positiv beitragen zu können. Versuchen Sie, sich auf die positiven Aspekte der Aufgabe zu konzentrieren, die auf Sie zukommt. Sie können die Intensität Ihrer Erregung auch mithilfe Ihrer Atemübungen regulieren. Oder Sie können die Angst in freudige Aufregung umwandeln, indem Sie die Mundwinkel zu einem Lächeln heben oder Ihre Körperhaltung verändern. Stellen Sie sich vor, Superman oder Superfrau würde Ihre Präsentation halten. Schlüpfen Sie in dieses Bild hinein und treten Sie in seine / ihre Fußstapfen. Da Menschen bei Niederlagen die Schultern hängen lassen und in sich zusammensacken, kann Ihre Angst verschwinden, wenn Sie die Schultern bewusst zurücknehmen, sich aufrichten, das Kinn heben und lächeln. Werfen Sie auch einen Blick auf Ihre Liste mit jüngsten Schlüsselerinnerungen, frühen Erinnerungen und negativen Kognitionen. Machen Sie sich bewusst, welche negativen Kognitionen bei Ihnen ausgelöst werden, wenn es um berufliche Leistungen geht – vielleicht »Ich bin ein Versager«, »Ich bin nicht gut genug«, »Ich schaffe das nicht« oder

»Ich darf keinen Fehler machen«? Werfen Sie einen weiteren Blick auf die Liste mit allgemeinen negativen Kognitionen, um herauszufinden, welche dieser Überzeugungen Ihre Gefühle bei der Arbeit am zutreffendsten wiedergibt, und wenden Sie dann die bereits erlernten Selbststeuerungsmethoden an, um die damit verbundenen Gefühle zu verändern. Ergänzen und vertiefen Sie die Bilder zum Thema »sicherer / ruhiger Ort«, um diesen Kognitionen gezielt positive emotionale Zustände entgegenhalten zu können. Konzentrieren Sie sich auf Ihre Selbstfürsorge. Sollten Sie ständig denken, »Ich bin nicht gut genug«, können Sie sich täglich Erinnerungen bewusst machen, bei denen Sie Ihren eigenen Wert deutlich gespürt haben. Sollten Sie häufig befürchten, »Ich schaffe das nicht«, vergegenwärtigen Sie sich innerlich Situationen, in denen Ihnen etwas gelungen ist. Kosten Sie diese positiven Erinnerungen aus, spüren Sie die Gefühle, die Sie dabei hatten, und erlauben Sie sich, diese zu genießen. Und konzentrieren Sie sich dabei wieder auf Ihren Körper. Achten Sie darauf, wie Sie bei diesen positiven Erinnerungen atmen, stehen und den Kopf halten. Versuchen Sie, genauso zu atmen und sich aufzurichten, wenn die schwierigen Gefühle wieder hochkommen. Durch das tägliche Üben bekommen Sie bei Bedarf schneller Zugang zu positiven Emotionen, Überzeugungen und Körperempfindungen. Lernen, richtig gut zu sein Die meisten Menschen würden ihre Sache liebend gern immer richtig gut machen. Doch es ist ein großer Unterschied, ob wir unsere Tätigkeiten zuversichtlich und innerlich ruhig angehen oder dabei wie getrieben sind. Spencer zum Beispiel, ein Mann in den mittleren Jahren, hatte zwei Söhne und arbeitete als Krankengymnast. Er begann auf Anraten seiner Freundin

eine EMDR-Therapie, um seine Arbeitssucht zu behandeln. Er wusste, dass er häufig Wutausbrüche bekam, weil er sich ständig finanzielle und berufliche Sorgen machte. Ihm war auch klar, dass das der Grund für das Scheitern seiner Ehe gewesen war, und er wollte nicht, dass seine augenblickliche Beziehung ebenfalls in die Brüche ging. In seiner negativen Kognition, »Ich muss perfekt sein«, konnte er unschwer die Botschaft seines Vaters und seines Großvaters erkennen, die immer zu ihm gesagt hatten: »Arbeite hart und erbringe tadellose Leistungen.« Bei der Verarbeitung kam auch eine Erinnerung hoch, die zeigte, wie er als Schüler der sechsten Klasse mit seiner Mutter Mathematikhausaufgaben machte und einen Wutausbruch bekam, weil er die Aufgaben nicht verstand. Nachdem er diese Erinnerung in nur einer Sitzung verarbeitet hatte, kam ihm spontan die positive Überzeugung: »Ich kann nur versuchen, mein Bestes zu geben, und der Rest ergibt sich von selbst.« Zentrierung Dass der Rest sich von selbst ergibt, beinhaltet auch zu wissen, dass wir keine übertriebenen Ängste und Befürchtungen brauchen, um uns zu Höchstleistungen anzuspornen. Wir können einfach Freude an unserer Aufgabe haben. Und Entspannung ist dabei bei Weitem hilfreicher als Stress. Zusätzlich zu Ihren Übungen zum Aufsuchen Ihres sicheren / ruhigen Ortes und zur Veränderung Ihres Atmens können Sie sich mithilfe des Atems auch so zentrieren, wie es viele Sportler, Schauspieler und Führungskräfte tun. Es gibt viele Möglichkeiten, sich zu »zentrieren«. Eine der besten besteht darin, sich auf den Atem auszurichten. Lesen Sie sich den folgenden Absatz erst einmal durch und versuchen Sie es dann selbst:

Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit nach innen und konzentrieren Sie sich auf Ihren Atem. Atmen Sie ganz langsam durch die Nase ein. Achten Sie darauf, wie die kühle Luft Ihre Nasenflügel streift und dann in den hinteren Hals strömt. Stellen Sie sich vor, Ihre Luftröhre wäre eine gläserne Sonde, die in Ihren Magen führt. Nehmen Sie wahr, wie sich Ihr Bauch ausdehnt, während Sie langsam einatmen. Atmen Sie aus und nehmen Sie wahr, wie der erwärmte Atem die gläserne Sonde beschlägt. Entspannen Sie Ihre Kiefermuskeln, während Sie durch den Mund ausatmen, und achten Sie darauf, wie die warme Atemluft, während sie Zunge und Gaumen streift, allmählich trocken wird. Wiederholen Sie das ein paar Mal und lassen Sie zu, dass die positiven Empfindungen zunehmen. Erfolg innerlich einüben Die Forschung hat gezeigt, dass das mentale Einüben einer Aufgabe vor der tatsächlichen Durchführung äußerst nützlich sein kann. So haben zum Beispiel Basketballspieler durch die Visualisierung erfolgreicher Würfe vor dem Spiel verglichen mit Spielern, die nur das übliche Training absolviert haben, ihre Leistungen erwiesenermaßen verbessern können. Selbst Olympiasportler arbeiten mit inneren Vorstellungsbildern, um an ihren Leistungen zu feilen. Eine Untersuchung in einem Trainingszentrum für US-Olympiasportler hat ergeben, dass sich 90 Prozent von ihnen mit mentalen Bildern auf die Wettkämpfe vorbereiten. Und 94 Prozent ihrer Trainer arbeiten damit. Personaltrainer arbeiten bei der Aus- oder Fortbildung ihrer Klienten in einem breiten Spektrum an Tätigkeitsfeldern ebenfalls mit der Imagination. Und auch Sie können Ihre beruflichen oder sportlichen Leistungen steigern, indem Sie gezielt mit inneren Vorstellungsbildern arbeiten.

Untersuchungen zeigen, dass bei Menschen, die gebeten werden, sich an frühere Tätigkeiten zu erinnern beziehungsweise sich künftige Tätigkeiten vorzustellen, jedes Mal dieselben Gehirnareale aktiviert werden. Wie wir gesehen haben, können unverarbeitete, frühere Erinnerungen Ihre Sicht der Gegenwart ebenso prägen wie Ihre Vorstellungen von zukünftigem Handeln. Aus diesem Grund besteht eine vollständige EMDR-Behandlung aus drei Schritten: der Verarbeitung von früheren Erinnerungen, die den Boden für aktuelle Probleme bereiten, der Verarbeitung augenblicklicher Auslöser und der Verankerung neuer Erinnerungen an gelungenes Verhalten, das der Klient sich für seine Zukunft vorstellt. Bei der Verarbeitung werden störende Erinnerungen in Lernerfahrungen umgewandelt, welche die Grundlage für die psychische Gesundheit des Klienten bilden. Nach der Verarbeitung stellen Menschen fest, dass sie auf die Welt automatisch anders und positiver reagieren. Doch machen wir außerdem noch den dritten Schritt, den wir »Zukunftsprojektion« nennen und bei dem der Klient zusätzliche Fähigkeiten für sein zukünftiges Wohlbefinden einübt und positive Verhaltensmuster noch fester im Erinnerungssystem verankert. Meistens erfolgen die drei Schritte in der Reihenfolge Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, weil unverarbeitete Erinnerungen die Verankerung neuer, positiver Erinnerungen stören können. Sportler zum Beispiel müssen vielleicht Erinnerungen an frühere Verletzungen und Niederlagen verarbeiten, um ihr mangelndes Selbstvertrauen, ihre sinkende Motivation oder ihr Lampenfieber zu bewältigen. Ich habe hier einige Übungen für Zukunftsprojektionen aufgenommen, die Sie zuhause selbst machen können. Wenn Sie in dem entsprechenden Bereich nicht durch unverarbeitete Erinnerungen blockiert sind, können Sie sich mithilfe dieser Übungen auf Herausforderungen wie schwierige Begegnungen oder

Bewerbungsgespräche vorbereiten sowie Ihre beruflichen oder sportlichen Leistungen generell steigern. Sollten Sie bei einer anstehenden Aufgabe Unterstützung brauchen, stellen Sie sich bei dieser Übung vor, wie Sie diese freudig und erfolgreich erledigen. Selbst wenn Ihnen das schwerfallen sollte, vermittelt Ihnen die Vorstellung wichtige Informationen. Wenn Sie sich blockiert fühlen, öffnen Sie die Augen und machen eine Ihrer Atemübungen, um Ihre Gefühle zu neutralisieren. Forschen Sie dann nach, ob hier negative Kognitionen im Weg stehen. Sollte das der Fall sein, können Sie den Affektscan oder die Float-Back-Technik anwenden, um herauszufinden, welche unverarbeiteten Erinnerungen Sie hier steuern und diese Ihrer Liste mit Schlüsselerinnerungen hinzufügen. Sollten Sie auf entsprechende Erlebnisse stoßen, überlegen Sie, welche positiven Erinnerungen an Gefühle von Sicherheit und Ruhe Sie ihnen entgegenhalten können. Sollte das nicht funktionieren, empfiehlt es sich, diese Erinnerungen mithilfe einer Therapeutin oder eines Therapeuten zu verarbeiten, die eine EMDRAusbildung haben. Entscheiden Sie als Erstes, mit welcher anstehenden Situation Sie arbeiten wollen. Nehmen Sie eine realistische Einschätzung vor. Haben Sie alle Informationen, die Sie brauchen, um diese Situation zu meistern? Haben Sie sich, sollte es um eine Prüfung gehen, gründlich vorbereitet? Haben Sie, wenn Sie eine Präsentation halten wollen, alle nötigen Unterlagen zusammen? Als Schauspielerin oder Schauspieler sollten Sie sich fragen, ob Sie Ihren Text gut beherrschen. Sollten Sie diese Fragen verneinen, besteht der nächste Schritt darin, sich zu fragen, warum das so ist. Wenn Sie sich zukünftige Erfolge vorstellen, ohne sich auf entsprechende Situationen gründlich vorbereitet zu haben, ist das ein ganz reales Problem. Haben Sie die Vorbereitungen vor sich hergeschoben, sollten Sie versuchen, mithilfe

der Float-Back-Technik oder dem Affekt-Scan herauszufinden, ob hier unverarbeitete Erinnerungen im Spiel sind. Vielleicht haben diese keine Macht mehr über Sie, wenn sie Ihnen bewusst werden. Sollten Sie bestimmte Ängste verspüren, können Sie versuchen, diese mit einer Ihrer Selbststeuerungstechniken zu bewältigen. In jedem Fall ist es wichtig, dass Sie sich gründlich vorbereiten, bevor Sie Ihre Aufgabe tatsächlich in Angriff nehmen. Sie können sich auch mithilfe von Zukunftsprojektionen vorstellen, wie Sie Ihre Vorbereitungen erfolgreich abschließen. Sorgen Sie zunächst einmal dafür, dass Sie für die Dauer dieser Übung nicht gestört werden, und konzentrieren Sie sich dann auf die folgenden Schritte. Zukunftsprojektionen 1.

Entspannen Sie sich und nehmen Sie ein paar tiefe, langsame Atemzüge.

Wenn Sie feststellen, dass Sie innerlich abschweifen, nehmen Sie einen weiteren tiefen Atemzug und kommen mit Ihrer Aufmerksamkeit zu dieser Übung zurück. Richten Sie sich innerlich auf die Situation aus, die Sie bewältigen möchten. 2.

Entscheiden Sie, wie Sie in dieser Situation sehen, fühlen, glauben und sich verhalten möchten. 3.

4.

Suchen Sie Ihren sicheren / inneren Ort auf, um sich die Gefühle zu

vergegenwärtigen, die Sie auch in der anstehenden Situation gern hätten und zu denen Sie Zugang bekommen, indem Sie sich frühere Situationen vorstellen, in denen Ihnen etwas gut gelungen ist. Vergegenwärtigen Sie sich dann die positive Kognition: »Ich schaffe das.« Konzentrieren Sie sich auf positive Gefühle wie Stärke, Klarheit, Zuversicht oder Ruhe. 5.

Konzentrieren Sie sich innerlich auf ein Bild, das zeigt, wie Sie die anstehende Situation gut bewältigen. Spüren Sie die damit verbundenen positiven Emotionen und körperlichen Empfindungen. Sie können diese Gefühle verstärken, indem Sie die Körperhaltung einnehmen, in der Sie sich erfolgreich und zuversichtlich fühlen. 6.

Drehen Sie innerlich einen kleinen Film, der Ihnen zeigt, wie Sie die Situation von Anfang bis Ende gut bewältigen. Achten Sie darauf, dass Ihr Film einen Anfang, eine Mitte und ein Ende hat. Nehmen Sie genau wahr, 7.

was Sie sehen, denken, fühlen und in Ihrem Körper spüren. Lassen Sie den Film mindestens dreimal ablaufen und genießen Sie die positiven Emotionen und Empfindungen. Stellen Sie sich vor, dass Sie auf die eine oder andere Schwierigkeit stoßen, wie zum Beispiel eine technische Panne, sollten Sie eine Präsentation planen, und stellen Sie sich vor, wie Sie diese Schwierigkeit zuversichtlich und ruhig lösen. Spielen Sie auch diesen inneren Film bis zum erfolgreichen Ende durch. 8.

Achten Sie darauf, dass Sie sich zum Abschluss dieser Sitzungen innerlich noch einmal dem positiven Bild von Ihrem Erfolg zuwenden. Sollten vor der tatsächlichen Durchführung Ihrer Aufgabe neue Herausforderungen auftauchen, können Sie einen weiteren Film drehen, in dem Sie auch diese gut bewältigen. Denken Sie daran, Ihre Selbststeuerungstechniken anzuwenden, falls Sie in der tatsächlichen Situation in Schwierigkeiten geraten, denn das kann immer passieren. Wichtig für alle erfolgreichen Führungskräfte, Sportler und Schauspieler ist, dass sie wissen, wie sie mit Störungen umgehen können. Vom bloßen Überleben zum Aufblühen

Für manche hat Therapie einen negativen Beiklang, so als wäre sie ein Zeichen von Schwäche. Ich persönlich betrachte sie als Zeichen von Mut. Millionen von Menschen sind verletzt worden und machen weiter, indem sie – einen Fuß vor den anderen setzend – an ungeliebten Beziehungen und Arbeitsverhältnissen festhalten. Oft haben sie dafür die besten Gründe und sagen sich: Ich will niemanden verletzen; ich habe eine Verantwortung; ich kann Menschen nicht hängen lassen. Wer aber den Mut hat, sich seinen Ängsten zu stellen, dem gibt eine Therapie eine neue Chance im Leben. Einem Leben, in dem er ebenso viel zählt wie sein Nächster, in dem »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« heißt, dass er auch sich selbst lieben darf. Aber Sie müssen bereit sein, den Versuch zu wagen. Befürchtungen, der Versuch könnte scheitern, beruhen auf den Erinnerungsnetzwerken, die bei Ihnen Ängste auslösen, um die Sie nicht gebeten haben und die Ihnen gegen Ihren Willen eingepflanzt wurden. Aber Sie haben die Chance, diese Gefühle loszulassen. Ich möchte hier auch betonen, dass Ihr eigenes Gehirn die Heilungsarbeit leistet. Wenn das Informationsverarbeitungssystem des Gehirns abstürzt, holen Sie sich einfach Unterstützung, um es neu zu starten. Jeanne zum Beispiel kam in die Therapie, weil sie befördert werden sollte und davor plötzlich Angst bekam. Sie würde als Supervisorin 250 Menschen betreuen und regelmäßig Vorträge halten müssen. Bei der Besprechung ihrer Vorgeschichte sagte sie zu ihrer Therapeutin: »Eigentlich steckt da wirklich nichts Schlimmes dahinter.« Also brachte die Therapeutin ihr zunächst einmal bei, ihren sicheren Ort aufzusuchen. In der nächsten Sitzung fokussierten sie Jeannes Ängste und ihr Gefühl, »nicht zu zählen«. Dann versuchten sie, eine Schlüsselerinnerung zu finden, aber Jeanne beharrte darauf, dass sie dieses Gefühl »schon immer hatte«. Also konzentrierten sie sich auf die erste Präsentation, die sie nach ihrer Beförderung würde halten

müssen. Die negative Kognition lautete »Ich zähle nicht« und war verbunden mit Angst und Scham. Mit einem SUD-Wert von 9 waren diese Gefühle ziemlich heftig und gingen einher mit körperlichen Empfindungen von Enge in Hals und Brustkorb. Während ihre Therapeutin die Verarbeitung anleitete, konnte Jeanne innerlich die richtigen Zusammenhänge herstellen. Sie sah sich mit drei Jahren auf dem Schoß ihrer Mutter sitzen und munter vor sich hinplappern. Dann kam ihr Stiefvater ins Zimmer, setzte das Kind auf den Fußboden und unterhielt sich mit seiner Frau. Jeanne hatte recht. Sie hatte das Gefühl »Ich zähle nicht« tatsächlich schon seit vielen Jahren. Anschließend kam eine weitere Erinnerung hoch, bei der sie sieben Jahre alt war. Jeanne musste damals nach dem Umzug in eine andere Stadt eine neue Schule besuchen, und die Kinder auf dem Schulhof riefen ihr hinterher, sie sei dick und hässlich. Als die Informationen aus den Netzwerken griffen, in denen Erinnerungen richtig abgespeichert werden, wurde Jeanne klar, dass ihr Stiefvater einfach nicht gewusst hatte, wie man mit Kindern umging, und die Kinder sich einfach wie typische Kinder verhalten hatten, als sie auf der Neuen herumhackten. Jetzt konnte sie sich als Siebenjährige visualisieren und erkennen, welch kostbares Wesen sie war. Sie spürte auch die Liebe ihrer Eltern und nahm sich selbst völlig neu wahr. Nach dieser Verarbeitung wandten Jeanne und ihre Therapeutin sich der anstehenden Präsentation zu, und bei der Zukunftsprojektion fühlte sich der Satz »Ich bin wichtig« für Jeanne vollkommen richtig an. Sie machten für die folgende Woche einen neuen Termin aus, doch Jeanne rief an und sagte ab. Sie erzählte: »Die Präsentation lief wunderbar! Ich hatte überhaupt keine Schwierigkeiten. Das war total erstaunlich. Vielen Dank! Ich brauche keine weitere Sitzung, aber wenn ich in Zukunft Ihre Unterstützung benötige, rufe ich wieder an.«

Grundsätzlich gilt, dass Therapeuten auch als Coach dienen können. Durch angemessene therapeutische Anleitung kann Ihr eigenes System wieder anspringen. Sobald das passiert, können Sie sich verabschieden und allein weitermachen. Wenn unverarbeitete Erinnerungen Ihre Leistungsfähigkeit blockieren, sollten Sie überlegen, sich therapeutische Unterstützung zu holen. Wie lange Sie diesen Beistand brauchen, hängt davon ab, welche Vorbereitungen für die Verarbeitung notwendig sind, wie viele Erinnerungen Sie verarbeiten und was Sie »neu lernen« müssen. Wenn Sie Ihre Möglichkeiten gern mit therapeutischer Unterstützung ausloten wollen, finden Sie in Anhang B Hinweise und Richtlinien für die Suche nach einer Therapeutin oder einem Therapeuten. Denken Sie daran, dass es beim Thema Erfolg nicht nur um Stressabbau geht, sondern auch darum, in allen Lebensbereichen für Ihr Wohlergehen zu sorgen. Negative unverarbeitete Erinnerungen können ihre Wirkung bis in die Gegenwart ausüben und Sie an der vollen Entfaltung Ihrer Potenziale hindern. Wenn Sie herausfinden, in welchen Bereichen Sie festgefahren sind und die hier gelernten Techniken anwenden, können Sie Ihr Leben in die von Ihnen gewünschte Richtung lenken. Wir alle wissen, dass wir unsere Kräfte viel besser einsetzen können, wenn unser Leben im Gleichgewicht ist und wir relativ frei von Ängsten und Depressionen sind. Die Werkzeuge anzuwenden, die Sie in diesem Kapitel kennengelernt haben, ist in diesem Sinne nur folgerichtig. Bei der Arbeit mit Spitzensportlern zeigt sich, dass Talent und Können nur eine Voraussetzung für kontinuierlich gute Leistungen sind. Auf die Werkzeuge der Zentrierung und der Arbeit mit inneren Vorstellungen, die Sie sich gerade angeeignet haben, greifen Berufssportler am häufigsten zurück, um motiviert zu bleiben und Stress und Ängste zu bewältigen. Doch die Wirkung dieser Methoden beschränkt sich nicht nur auf diesen einen

Lebensbereich. Kyle zum Beispiel, ein staatlich geförderter Spitzensportler, kam in die Therapie, weil es ihm an Zuversicht und Motivation fehlte. Er verarbeitete Erinnerungen an verletzende und hinderliche Situationen, in denen es um konkurrierende Gegenspieler, entmutigende Kommentare seiner Eltern und den Ausdruck von Enttäuschung im Gesicht seines Trainers ging. Zu den Methoden, die ihm halfen, sich auf die Wettkämpfe zu konzentrieren, gehörten auch die, die Sie hier gelernt haben, einschließlich einer Zukunftsprojektion. Nach Schulabschluss erhielt Kyle ein Stipendium an einer berühmten Universität, die der Vereinigung nationaler Spitzensportler angehörte, in deren Team er mitspielte. Dazu sagte er: »Diese ganzen Werkzeuge helfen mir nicht nur bei meinem Sport … Zum ersten Mal in meinem Leben bekomme ich auch in anderen Fächern klasse Noten!« Vorher hatte er eine stark leistungsorientierte, konfessionsgebundene Schule besucht und dort mit Lernschwierigkeiten zu kämpfen gehabt. Sie sind nie zu jung oder zu alt, um Ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen.

11. Nach Hause kommen Eingebunden in eine größere Gemeinschaft

»Ich fuhr einen verschneiten Hügel hinauf, als mir der Gang raussprang. Das Auto hinter mir wich seitwärts aus und fuhr an mir vorbei, da mein Wagen sofort stehen blieb. Auf meiner Höhe angekommen, verzog der Fahrer finster das Gesicht und drohte mir mit der Faust. Als er mich überholte, sah ich an seinem Wagen einen Aufkleber, auf dem stand: ›Stelle dir eine friedliche Welt vor.‹ Wo fängt diese friedliche Welt denn an? Oder fuhr er den Wagen seiner Frau?« Dieses Erlebnis schilderte mir eine Kollegin vor etwa einem Jahr in einer E-Mail. Es bringt ziemlich gut auf den Punkt, wo wir als Menschen stehen. Auch wenn wir eine positive Richtung anstreben, spielen unsere Emotionen oft nicht mit. Was immer wir im Einzelnen mit »oben / unten« oder »hell / dunkel« verbinden mögen, in uns allen ist beides. Oft ist es uns einfach nicht möglich, der Mensch zu sein, der wir gern wären, und auch die Welt verhält sich nicht so, wie wir es gern hätten. Letzten Endes bestimmt unser tagtägliches Verhalten, ob wir in unserem Leben glücklich oder gestresst sind. Hier spielen unsere Selbstwahrnehmung und unsere Bereitschaft, die Verantwortung für unsere psychische und körperliche Gesundheit zu übernehmen, eine große Rolle. Wir haben in diesem Buch gelernt, uns selbst und andere besser zu verstehen, und wissen jetzt, was wir gegen innere Blockaden unternehmen können. In diesem Kapitel schauen wir uns an, welchen kulturellen und gesellschaftlichen Einflüssen wir ausgesetzt sind. Außerdem wenden wir

uns einigen wichtigen Herausforderungen zu, denen jede und jeder von uns sich irgendwann im Leben einmal stellen muss. Diese Erfahrungen bieten eine weitere Gelegenheit für unsere Selbsterforschung und können uns Erklärungen für Probleme liefern, mit denen Sie und andere Menschen in Ihrem Leben zu kämpfen haben. Ich mache Ihnen hier auch weitere praktische Vorschläge für Ihre Selbstfürsorge, die Ihnen neue Möglichkeiten eröffnen, für Ihr persönliches Wohlbefinden zu sorgen. Die Entscheidungen, die wir für unser Leben treffen, haben nicht nur für uns selbst, sondern auch für die Menschen um uns herum wichtige Folgen. Letzten Endes sind wir alle als Einzelne wichtiger, als wir denken mögen. Der rote Faden der Menschlichkeit Im ersten Kapitel dieses Buches sagte ich, dass es bei unserer Suche nach Antworten nicht darum geht, anderen Vorwürfe zu machen, sondern uns als Menschen besser zu verstehen. Wir können uns die Verhaltensmuster, die wir als Kinder entwickelt und die sich in uns verfestigt haben, nicht zum Vorwurf machen. Und auch unsere Eltern, die dazu beigetragen haben, dass wir der Mensch geworden sind, der wir heute sind, wurden durch eigene Lebenserfahrungen geprägt. Obwohl Menschen verantwortlich für ihr Handeln sind, müssen wir oft Generationen zurückgehen, um die Wurzeln für unser Verhalten wirklich zu verstehen. Wir können auch bestimmte Sichtweisen »geerbt« haben, die verhindern, dass wir uns als Teil der Menschheit fühlen. Wenn wir für uns und unser Leben gute Entscheidungen treffen wollen, müssen wir auch unsere dunklen Ecken ausleuchten, um uns bewusst zu machen, was sich unserem Blick bislang möglicherweise entzogen hat. Familiäre Störungen

Wir alle können unsere persönliche, familiäre oder sogar gesellschaftliche Vergangenheit auf die eine oder andere Weise überwinden. Wir können schmerzliche Themen hinter uns lassen und uns ganz dem Leben zuwenden, ohne dass diese alten Erinnerungen uns herunterziehen. Das galt auch für Helene, deren Leben geprägt war durch zwei ineinandergreifende Erfahrungsstränge. Jahre, in denen sie Hindernisse mühelos überwand, waren durchsetzt mit Phasen von Selbstzerstörung. Dank einem Stipendium für das College konnte sie ihren Abschluss in Soziologie machen; zu der Zeit zeigte sie erste Anzeichen von Drogensucht. Sie fand eine Stelle als Beraterin für mehrfach behinderte Kinder, mit denen sie tagsüber arbeitete, und nachts stand sie hinter einem Tresen und handelte mit Drogen. Mit 27 Jahren unterzog sie sich freiwillig einem stationären Entzug. Zwei Freundinnen von ihr waren eines gewalttätigen Todes gestorben, die eine durch Selbstmord und die andere durch Mord, der mit ihrem Drogenhandel zusammenhing. Helene begriff damals, dass auch sie gefährdet war. Es war lediglich eine Frage der Zeit, bevor sie durch ihren Umgang mit Drogen ihre Arbeit, ihre Wohnung und ihre Freiheit oder ihr Leben verlieren würde. Nach ihrer Entlassung aus der Reha gelang es ihr, nüchtern zu bleiben, aber sie litt unter Anfällen von Depressionen und Angst. Es folgten Jahre, die geprägt waren durch eine Fehldiagnose, eine falsche Behandlung und viel Hoffnungslosigkeit. Schließlich diagnostizierte Helene bei sich selbst eine PTBS und beschloss nach einigen Recherchen, eine EMDR-Therapie zu machen. Jetzt wurde ihr allmählich klar, wo die Ursachen für ihre Sucht lagen. Die Eltern hatten Helene als Kind oft bei Verwandten abgegeben, die alkoholabhängig waren. Ihre Tante Jean hatte sie und ihre Geschwister körperlich misshandelt und sexuell missbraucht. Alle wussten, dass Jean die Familie »terrorisierte«, doch niemand unternahm etwas dagegen. Eine schwere Wolke von Verleugnung und Schweigen hüllte die ganze Familie

ein. Obwohl das für sie sehr schwer war, setzte sich Helene in ihrer Therapie mit den aus diesen Erfahrungen herrührenden Schmerzen auseinander und konnte im Lauf von drei Jahren diese schwierigen Themen verarbeiten. Fünf Jahre später begab sie sich erneut in therapeutische Behandlung, diesmal jedoch mit einem anderen Ziel. Helene war zwar inzwischen eine tüchtige und patente Frau, doch eine Sache bereitete ihr nach wie vor Probleme. Seit ihrer Therapie fühlte sie sich ihrer Familie entfremdet, da sie jetzt die einzige unter ihnen war, die weder Alkohol trank noch Drogen nahm. War ihre ganze Familie dazu verdammt, sich selbst zu zerstören? Sie musste mit ansehen, wie die jüngeren Geschwister den gleichen Weg einschlugen, den sie gegangen war. Was konnte sie dagegen tun? Sie wollte auch verstehen, warum einige ihrer Familienangehörigen sich so grausam verhalten konnten. Helene machte sich auf die Suche nach den Hintergründen und berichtete ihrer Therapeutin davon. Dann konzentrierte sie sich unter Anleitung ihrer Therapeutin auf die Gefühle, die dabei hochkamen. Sie fühlte sich zerrissen: Einerseits sah sie sich nicht imstande, das familiäre Elend zu beenden, und andrerseits hatte sie Schuldgefühle, weil sie selbst dieses Leiden überwunden hatte und es ihr besser ging als dem Rest ihrer Familie. Sie wollte die Geschichte ihrer Familie sowie die Rolle, die sie heute in dieser Familie spielte, verstehen, um Frieden damit schließen zu können und ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Als Erstes wandte sie sich ihrer Tante mütterlicherseits zu, Jean, der Frau, die Helene am meisten Schaden zugefügt und bei der sie in ihrer Kindheit häufig gewohnt hatte. Als sie Jeans Vergangenheit erforschte, entdeckte sie, dass diese Frau zur falschen Zeit in das falsche soziale Umfeld hineingeboren worden war. Sie war hochintelligent, hatte offenkundig männlich-lesbische Züge und stieß damit nur auf Widerstände, weil die

Menschen in ihrer Umgebung sie anders haben wollten. Alle Türen zu den Berufen und dem Lebensstil, die ihr zugesagt hätten, waren für sie verschlossen. Sie litt unter dem ständigen Druck der Familie und ihres sozialen Umfelds, jemand sein zu müssen, der sie nicht sein wollte und konnte. Sie fühlte sich unterschätzt und ignoriert und kochte insgeheim ständig vor Wut. Wenn Menschen mit einer Lüge leben müssen, fordert das mit Sicherheit einen Preis. Doch wenn sich seelischer Schmerz in Gewalttätigkeit verwandelt, sind meistens noch weitere Faktoren im Spiel. Für Jean bestanden diese darin, dass auch ihre Eltern sie als Kind missbraucht und vernachlässigt hatten. Ihr Vater, der sechs Tage die Woche täglich 14 Stunden arbeitete, war überhaupt nicht für sie da. Ihre Mutter, Helenes Großmutter mütterlicherseits, war eine deutsche Emigrantin, die hart arbeitete, um ihren Platz in einer Gesellschaft zu finden, die ihr feindlich begegnete. Sie war eigentlich eine sehr willensstarke, ambitionierte Frau, die sich jedoch durch ihr soziales Umfeld gezwungen sah, anstatt ihrer eigenen die Ziele ihres Mannes zu verfolgen. Sie trank, um den Schmerz darüber zu betäuben, und wenn das nicht reichte, vergriff sie sich an ihren Kindern. Das alles geschah zu einer Zeit, in der man weibliche Alkoholiker so stark stigmatisierte, dass es praktisch keine Behandlungsangebote für sie gab. Helenes Tante Jean musste miterleben, wie ihre Mutter langsam an Alkoholismus starb, umgeben von Familienangehörigen, die durch Heimlichtuerei und Scham wie gelähmt waren. Jean wurde also von einer Frau großgezogen, die langsam zugrunde ging in einem sozialen Umfeld, in dem Frauen nichts galten und ignoriert wurden, zu einer Zeit, in der man individuelle Unterschiede zwischen Menschen nicht tolerierte, und an einem Ort, wo sie keine Hilfe und Unterstützung fand.

Auch in der Familie ihres Vaters stieß Helene auf Alkoholismus und Hilflosigkeit. Sie erfuhr, dass ihre Großmutter väterlicherseits amerikanische Ureinwohnerin war. Da sie als solche Diskriminierung und Rassismus erlebte, hatte sie verzweifelt versucht, ihre Herkunft zu verbergen. Dieses »Familiengeheimnis« wurde so strikt gewahrt, dass Helene nie Einzelheiten darüber in Erfahrung bringen konnte. Durch diese Forschungen konnte Helene besser verstehen, welcher »Saft« ihren Familienstammbaum seit Generationen durchlief, nämlich ein Gift namens Scham. Sie musste direkt in die hässliche Fratze der Unterdrückung schauen: Rassismus, Homophobie und Diskriminierung von Frauen. Ihre Geschichte und die Geschichte ihrer Familie ergaben jetzt einen Sinn, und das half ihr, ihren Weg weiterzugehen. Am Ende dieser Therapierunde wurde ihr klar, welche Möglichkeiten sie hatte. Sie konnte für die Kinder ihrer Geschwister ein gutes Beispiel sein, indem sie selbst gesund und unversehrt blieb, und ihnen ihren Rat oder eine Rückzugsmöglichkeit anbieten, falls sie das brauchen sollten. Darüber hinaus konnte sie sich in ihrem Beruf für unterdrückte Bevölkerungsgruppen einsetzen. Sie selbst sagt dazu: »Ich verdanke es allein den Umständen meiner Geburt, meiner Hautfarbe und anderen Privilegien, dass ich eine Chance bekam, meine Vergangenheit zu verarbeiten und zu überwinden. Ich sah, in welche destruktive Richtung mich mein Schmerz drängte. Ich brach das Gesetz, verletzte mich und andere Menschen und wusste, dass ich innerlich imstande gewesen wäre, noch viel mehr Schaden anzurichten. Schmerzen, die unbehandelt bleiben, ziehen weitere Schmerzen nach sich. Ich bin mit meiner Vergangenheit auch heute nicht durchweg einverstanden, aber ich konnte sie hinter mir lassen. Ich glaube, ich verstehe jetzt auch besser, wie meine Tante Jean gelitten hat, aber ganz werde ich ihr Verhalten nie verstehen, denn das ist und bleibt ihre Geschichte. Ich verzeihe meiner

Tante und den anderen Familienmitgliedern, denn das hilft mir, mich von ihnen zu lösen, aber das heißt nicht, dass ich Menschen, die andere missbrauchen, in mein Leben lasse. Wir alle können entscheiden, wie wir mit unserem Schmerz umgehen wollen, und meine Familienangehörigen hätten besser damit umgehen können. Ich sehe mein Trauma jetzt als eine Folge von generationenaltem Hass, Schmerz und Missverständnissen, und diese Zusammenhänge gehen über mich und meine Familie weit hinaus. Ich bin dankbar für meine Heilungschance, doch es ist für mich nicht in Ordnung, dass andere diese Möglichkeit nicht haben. Es ist nicht in Ordnung, dass diese Art von Schmerz in der ganzen Welt praktisch ständig weitergetragen wird, und deswegen möchte ich meinen kleinen Teil dazu beitragen, genau das zu verhindern.« Ich frage mich, wie viele von uns beim Rückblick auf die eigene Familiengeschichte auf Menschen stoßen, die missbraucht, vertrieben oder unterdrückt wurden, die Kriege erlebt haben oder anderer Gewalt ausgesetzt waren, über die sie keine Kontrolle hatten. Es hilft uns, wenn wir verstehen, dass das keine abstrakten Vorstellungen sind. Diese Erfahrungen haben unsere Vorfahren geprägt und damit auch uns zu dem Menschen gemacht, der wir heute sind. Bis heute werden viele Menschen wegen ihres Geschlechts, ihrer Nationalität, Religion oder sexuellen Orientierung gesellschaftlich ausgegrenzt oder Opfer von Gewalt. Hier stellt sich die Frage, was wir selbst tun können, um unsere eigenen destruktiven Verhaltensmuster zu überwinden. Nicht nur zu unserem persönlichen Wohl, sondern auch zum Wohl zukünftiger Generationen. Anders sein Wer von uns in der Schule die Erfahrung gemacht hat, eingeschüchtert oder ausgeschlossen zu werden, weil er anders war – zu klein, zu groß, zu dick, Brillenträger, behindert, Klassenerste oder Klassenletzter –, versteht, wie

isoliert und allein Menschen sich fühlen können. Die Beleidigungen und Demütigungen können unser Vertrauen ins Leben erschüttern und uns endloses Leid bescheren. Stellen Sie sich vor, wie viel schlimmer das alles ist, wenn Erwachsene sich aufgrund ihrer Machtposition berechtigt fühlen, Eigenschaften, die uns, wenn wir es zulassen, noch immer von unseren Mitmenschen trennen – sei es Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder soziale Herkunft –, negativ zu kommentieren. Obwohl die Technologie uns stärker miteinander verbunden hat, jagen die täglichen Nachrichten und die endlosen Kriege auf dieser Welt uns immer noch Angst vor »den anderen« ein. Auch diese Angst gehört zu den Themen, für die wir in uns selbst Lösungen finden können, ob wir zu den Tätern oder den Opfern gehören. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass wir, wenn wir helfen wollen, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen, damit bei uns selbst anfangen müssen. Kate hatte man dringend nahegelegt, eine Therapie zu machen. Sie selbst wollte keine Therapie, schon gar nicht bei der kleinen blonden Frau, die da zur Tür hereinkam. Wie glaubte die denn, ihr helfen zu können? Sie war seit 20 Jahren Abteilungsleiterin und für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet worden. Sie war die erste Afroamerikanerin, die auf diesen Posten befördert worden war. Aber jetzt verlangte das Leitungsbüro ihres multinationalen Konzerns, dass jede und jeder in ihrer Position eine Prüfung ablegen musste, bei der sie schon zweimal durchgefallen war. Die Firma hatte ihr diese Therapeutin zugewiesen, und sie konnte sich nicht verweigern. Ihre Versagensängste machten ihr zu schaffen, und wenn sie die Hilfe dieser Frau ablehnte, würde sie ihren Chef verärgern. Kate musterte Terry grollend, wusste aber keinen Ausweg. Sie musste ihr einfach sagen, dass sie sich hier im selben Zimmer mit ihr wie eingesperrt fühlte und ihr das überhaupt nicht gefiel.

Terry sagte, sie könne das gut verstehen und mitempfinden. Da die Zeit knapp sei, fuhr sie fort, würden sie sich hier nur auf das konzentrieren, was Kate am Bestehen der Prüfung hinderte. Nach einer kurzen Vorbereitung durch die Übung »Der sichere Ort« bat Terry Kate, sich darauf zu konzentrieren, wie es sich für sie anfühlte, »hier im Zimmer eingesperrt zu sein«. Nachdem sie übereingekommen waren, dass Kate ihre Aufmerksamkeit auf die negative Kognition »Ich fühle mich eingesperrt« und die damit einhergehenden Gefühle richten würde, begannen sie mit der Verarbeitung. Das Thema veränderte sich schnell, und Kates nächste negative Überzeugung lautete: »Ich vertraue dir nicht!« Terry sagte: »Nehmen Sie das einfach wahr«, und beim nächsten Set von Augenbewegungen sprudelten die Erinnerungen nur so hervor. Bilder und Szenen kamen hoch, in denen Kate all die Vorurteile erlebte, denen sie in ihrem Leben begegnet war. Sie reisten noch weiter zurück, und Kate machte dabei keinen Hehl aus ihrem Ärger. Sie war erstaunt, wie viele Beleidigungen sie hatte erdulden und wie viele Hindernisse sie hatte nehmen müssen, um ihre jetzige Position zu erreichen. Sie erinnerte sich an eine Lehrerin, die ähnlich ausgesehen hatte wie Terry, und die sie ständig fertiggemacht hatte. Sie sagte zu Terry: »Sie sind genauso. Ich hasse Sie.« Jetzt ergab ihre Reaktion auf Terry einen Sinn. Terry sagte nur: »Nehmen Sie das einfach wahr.« Kate wusste noch, dass diese Lehrerin sie »dumm« genannt und gesagt hatte, »sie werde es nie zu etwas bringen« – außer vielleicht zur Putzfrau. Die Verarbeitung dauerte schließlich fünf Stunden. Am Ende lag Kates SUD-Wert bei 0, und die positive Kognition »Ich habe eine Wahl« fühlte sich für sie vollkommen richtig an. Ihr wurde klar, dass sie die Prüfung am folgenden Wochenende ablegen konnte, obwohl sie sich noch nicht richtig darauf vorbereitet hatte. Sie machte sie und wusste schon vor Mitteilung der

Ergebnisse, dass sie nicht bestanden hatte. Doch jetzt erlebte sie das anders. Sie hatte keine Angst mehr und machte sich zuversichtlich daran, sich auf den nächsten Prüfungstermin vorzubereiten, an dem sie auch bestand. Sie zögerte nicht, anderen Kolleginnen und Kollegen aus der Firma Terrys Unterstützung zu empfehlen. Kate hatte jetzt das Gefühl, dass sie beide sich auf Augenhöhe begegneten und zusammen anderen helfen konnten. Eigene Forschungen Wenn Schmerz und Ärger auf Vorurteile zurückgehen, hat das immer zwei Seiten. Wenn wir andere abwerten oder an den Rand drängen, gehen uns als Gesellschaft die positiven Beiträge dieser Menschen verloren. Hier stellt sich die grundsätzliche Frage, ob Sie lieber Teil der Lösung oder Teil des Problems sein möchten. Das heißt, Sie müssen herausfinden, was Sie schmerzt oder ob Sie anderen Schmerz zufügen. Überprüfen Sie einmal, ob Sie Groll, Angst, Scham und Schmerz mit sich herumtragen, und versuchen Sie mithilfe der Float-Back-Technik herauszufinden, woher diese Gefühle kommen. Benutzen Sie die Selbststeuerungstechniken, die Sie hier gelernt haben, um zu sehen, ob Sie Ihre Gefühle damit positiv beeinflussen können. Wenn Sie sich mit Ihrem inneren Schmerz bislang nie auseinandergesetzt haben, kann er Sie dazu treiben, grausam, überkritisch und verletzend mit sich selbst und vielleicht auch mit anderen umzugehen. Menschen, die in sich ruhen, sind nicht von Angst beherrscht. Sie verurteilen nicht ganze Gruppen von Menschen in Bausch und Bogen, nur weil einer davon ihnen Schmerz zugefügt hat oder andere sie dazu angestiftet haben. Denken Sie daran, wir alle neigen zum sogenannten »Horn-Effekt«. Das heißt, wir gehen oft davon aus, dass ein Mensch, an dem uns eine bestimmte Eigenschaft nicht gefällt, viele weitere negative Züge hat. Aber auch das Umgekehrte passiert, der »Halo-Effekt«, der so aussieht, dass wir

einer Person, an der wir etwas mögen, automatisch viele weitere gute Eigenschaften zuschreiben. Vorurteile können blind machen, wie das Sprichwort so schön sagt, sodass wir manchmal an anderen überhaupt nichts Gutes mehr sehen. Um unsere Mitmenschen klar beurteilen zu können, müssen wir uns unsere eigenen Fehler anschauen und etwas dagegen unternehmen. Die meisten von uns kennen das Gebot »Liebe deinen Nächsten«. Wir können uns jedoch als Familie oder Einzelperson in unserer Gemeinde zunehmend isolieren. Vielleicht wäre es ein guter erster Schritt, andere Menschen kennenzulernen. Das kann uns helfen, uns als Teil der menschlichen Familie zu begreifen, einer Familie, deren Mitglieder von ganz unterschiedlicher Gestalt und Hautfarbe sind und ganz unterschiedliche Meinungen und Lebensstile vertreten. Achten Sie einmal darauf, ob Sie bei sich Ängste vor anderen Menschen entdecken oder ständig abfällig über andere sprechen, und stellen Sie sich dann freundlich einige Fragen: Woher haben Sie das? Bringt es Sie wirklich weiter? Wie können Sie das abbauen? Geht Ihr Misstrauen auf Berichte von anderen zurück oder hat man Sie persönlich verletzt? Wenn es Ihnen nicht hilft, die Ursache für Ihr ablehnendes Verhalten herauszufinden, fragen Sie sich, ob es Sie weiterbringt, so zu bleiben. Sollten Sie diese Frage mit Nein beantworten, können Sie überlegen, entsprechende Erinnerungen zu verarbeiten. Letzten Endes haben wir alle die Wahl. Wir sind Kate alle ähnlich und singen möglicherweise nicht unser eigenes Lied, sondern das von anderen übernommene. Weil ihr selbst so viele Vorurteile entgegengebracht worden waren, verhielt sie sich einem Menschen von einer anderen Rasse gegenüber genauso ablehnend, wie sie es erlebt hatte. Durch die Verarbeitung ihrer Erinnerungen konnte sie ihren Ärger und Groll auf

andere loslassen und ihr eigenes System von diesen Giften reinigen. Das machte sie frei für einen größeren Schritt nach vorn, als es ihr bisher möglich gewesen war. Der große Gleichmacher Ganz gleich, wie viel Trennendes es zwischen uns geben mag, die Gemeinsamkeiten überwiegen. Zwei Herausforderungen müssen wir alle in unserem Leben bewältigen: Krankheit und Tod. Jede und jeder von uns wird früher oder später geliebte Menschen verlieren. Wie wir damit umgehen, hängt zum Teil auch von unseren Erinnerungsnetzwerken ab. Bei manchen von uns nimmt die Trauer um einen geliebten Menschen mit der Zeit nicht ab, sondern verläuft komplizierter und intensiver, weil sie mit unverarbeiteten Erinnerungen verbunden ist. Die Welt ist grau Jane war 50 und hatte ein halbes Jahr, bevor sie in die Therapie kam, ihren Ehemann Mike verloren. Sie kam zwar ihren Aufgaben nach, das heißt, sie arbeitete und kümmerte sich um die geschäftlichen Belange ihres Mannes, hatte aber innerlich das Gefühl, dass sich ihre Trauer mit der Zeit nicht legte. Sie war deprimiert, und aus ihrem Leben schien alle Farbe entwichen zu sein. Alle erzählten ihr, es würde bald leichter werden, doch das bekam sie seit Monaten zu hören, ohne dass sich an ihrem Zustand etwas änderte. Sie hatte bislang auch nicht weinen können, und es fühlte sich an, als ob die Traurigkeit sich in ihr anstaute. Ihre negative Überzeugung lautete: »Ich bin ohnmächtig und einfach nicht imstande, weiterzukommen.« In der EMDR-Therapie setzte sie sich mit Mikes Tod auseinander. Im Verlauf der Verarbeitung erinnerte sich Jane spontan an ihre Mutter, die sie als kleines Kind an Krebs verloren hatte. Sie wusste noch, dass die Mutter vor ihrem Tod zu ihr gesagt hatte: »Du musst jetzt stark sein.« Sie beide

hatten gewusst, dass die Mutter sterben würde. Diese Erinnerung war ein wirkliches »Aha-Erlebnis« für Jane. Ihr wurde klar, dass sie sich den Rat der Mutter sehr zu Herzen genommen hatte. Sie war damals noch ein Kind – erst neun Jahre alt – gewesen, aber sie hatte das Gefühl gehabt, jetzt für den Vater da sein zu müssen. Selbst nach dem Tod der Mutter erlaubte sie sich nicht zu trauern. Sie hatte Gefühle wie Traurigkeit und Einsamkeit immer als Zeichen von Schwäche weggeschoben. Durch die Verarbeitung dieser Erinnerungen konnte Jane die Gefühle ausleben, die sich in ihr angestaut hatten. Ihr wurde klar, dass die Mutter mit ihren Abschiedsworten nicht gemeint hatte, Jane dürfe nicht trauern. Sie wollte einfach, dass es der Tochter gut ging. Jetzt bekam Jane die Erlaubnis, die Emotionen und die Traurigkeit zu spüren, die sich in ihr angesammelt hatten. Zu ihrer Therapeutin sagte sie: »Jetzt kann ich trauern und weitermachen.« Sie begriff, dass diese Gefühle normal und vollkommen richtig waren. Sie weinte viel um Mike und schließlich auch um ihre Mutter. Weil sie das erleichterte und befreite, konnte sich ihre Trauer behutsam weiterentfalten, sodass ihr schließlich Erinnerungen an die Mutter und den Ehemann kamen.

auch

tröstliche

Viele trauernde Menschen haben das Gefühl, festzustecken in der Traurigkeit und den damit verbundenen schrecklichen Bildern, die ihnen das Herz schwermachen. Vor allem nach dem plötzlichen Tod eines Menschen können die Angehörigen von Schuldgefühlen verfolgt werden, wenn sie daran denken, was sie alles »hätten« sagen oder tun »sollen«, aber versäumten, als sie dazu noch Gelegenheit hatten. Diese Gefühle werden oft verstärkt durch Bilder vom Leiden des geliebten Menschen. Die Erinnerungen an ihn bleiben häufig unverarbeitet, was dazu führen kann, dass die Trauer jahrelang anhält. Anderen kommen, selbst wenn sie keine Schuldgefühle haben, immer nur negative Erinnerungen an den

Verstorbenen, die ihre Trauer verstärken. Glücklicherweise können Sie durch die EMDR-Verarbeitung nicht nur zwanghafte negative Assoziationen löschen, sondern auch positive Erinnerungen aktivieren. So hatte ich zum Beispiel einmal zwei junge Brüder in Behandlung, die mit dem eigenen Vater nur negative Erinnerungen verbanden. Er war Alkoholiker gewesen, und wenn sie an ihn dachten, kamen Bilder hoch, die ihn in einem verschlissenen Bademantel inmitten von Bierdosen zeigten. Durch die Verarbeitung dieser Erinnerungen verblassten eben diese, und wenn die beiden jetzt an ihren Vater dachten, kamen Erinnerungen hoch, die sie alle zusammen beim Fischen und Zelten zeigten. Eine Untersuchung zur EMDR-Therapie im Vergleich mit anderen Behandlungsansätzen zeigte deutlich, dass bei den mit dieser Methode behandelten Klienten zusammen mit dem Gefühl von Erleichterung viel mehr positive Erinnerungen an den geliebten Menschen verbunden waren. Manche Menschen halten übrigens an ihrer Trauer fest, weil sie befürchten, sie würden den Toten nicht mehr ehren, wenn sie aufhören zu trauern, oder die Verbindung zu ihm ganz verlieren. Das stimmt einfach nicht. Wir fühlen uns nach bewältigter Trauer dem verstorbenen geliebten Menschen auch weiterhin emotional verbunden, nur ohne den Schmerz. So wie es sich jeder Mensch, der Sie liebt, auch für Sie wünschen würde. Die Welt ist schwarz Während bei manchen Hinterbliebenen die Trauer nicht enden will und ihr Leben vergiften kann, ist der Verlust eines geliebten Menschen bei anderen mit Wut und Rachegefühlen verbunden. Das ist vor allem dann der Fall, wenn dieser Mensch einer Gewalttat zum Opfer fiel – in manchen Ländern ist das auch die Ursache für jahrhundertelange Kriege. Der Schmerz geht von einer Generation an die nächste über und erzeugt immer neue Gewalt. Wenn wir sehen, in wie vielen Teilen der Welt Aufruhr herrscht, können wir

den Wunsch verspüren, die Therapeutinnen und Therapeuten zu unterstützen, die vor Ort menschliche Hilfe leisten, um zu einer Lösung beizutragen. So hat ein Therapeut in Pakistan viele Überlebende von Terroranschlägen wie auch Soldaten und Piloten behandelt, die sich alle am »Krieg gegen den Terror« beteiligten. Hier berichtet er von seiner Behandlung von zwei Kindern eines hohen Regierungsbeamten: »Ihr Vater starb bei der Explosion einer Selbstmordbombe den Märtyrertod. Sein Sohn und seine Tochter waren traumatisiert durch dieses Ereignis wie auch durch die Bilder von den Körperteilen und dem Blut des Vaters und seines Fahrers, die über den ganzen Platz verstreut waren. Der Sohn wollte sein Medizinstudium abbrechen und sich einer militanten Gruppe anschließen, um den Tod des Vaters zu rächen. Die Tochter weigerte sich, das Haus zu verlassen und verstummte. Nach vier Wochen Trauerarbeit und EMDR-Therapie waren beide wieder hergestellt und setzten ihre Ausbildung fort. Die Tochter hat letztes Jahr geheiratet und erwartet jetzt ein Kind. Der Sohn hat sein Studium inzwischen abgeschlossen und arbeitet als Assistenzarzt in der Chirurgie. Er möchte plastischer Chirurg werden. Beide halfen der Familie, eine hochmoderne Klinik für die Zweitversorgung aufzubauen, die im Geburtsort ihres Vaters stehen soll. Sie ist der Versorgung der Familien von Überlebenden und Opfern des Kriegs gegen den Terror gewidmet. EMDR hat ihnen nicht nur geholfen, ihre Schmerzen, ihre Qualen und ihre Trauer zu lindern, sondern in ihrem persönlichen Leben eine positive Richtung einzuschlagen. Sie konnten durch diese Behandlung ihre Rachegefühle überwinden und die neu gewonnenen Kräfte in eine sinnvolle, menschliche Aufgabe stecken.« Dass durch Bewältigung von Schmerz der Wunsch entsteht, anderen zu helfen, ist oft eine natürliche Folge des Heilungsprozesses. Das zeigt,

welche Potenziale in uns allen stecken. Unser Informationsverarbeitungssystem ist so angelegt, dass wir lernen, was nützlich ist, und den Rest loslassen. Wenn wir den Schmerz loslassen, kann sich uns eine glückliche und produktive Zukunft eröffnen. Und was könnte produktiver sein, als die Welt für alle, die darin leben, zu einem besseren Ort zu machen? Eigene Forschungen Fragen Sie sich einmal, ob auch Sie sich in Bezug auf einen verstorbenen Menschen festgefahren fühlen. Manche von uns konnten nicht trauern oder mit dem Tod Frieden schließen, weil sie aufgrund bestimmter Erinnerungen selbst nach Jahren noch Gefühle von Groll gegen den Verstorbenen hegen. Michelle zum Beispiel kam in die Therapie, weil sie an Ängsten litt. Als sie die letzte Situation verarbeitete, in der sie sich »festgefahren und hilflos« gefühlt hatte, kam eine Erinnerung an ihren Vater hoch, der sie über einen Fluss mit starker Strömung hielt. Da sie Angst vor Wasser hatte, wollte er sie auf diese Weise »abhärten«. Doch das klappte nicht. In ihrem Erinnerungsnetzwerk hatte sich die Angst verankert, dass er sie fallen lassen würde, wenn sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. Die Verarbeitung nahm ihr nicht nur das Gefühl, »festgefahren und hilflos« zu sein, sondern führte auch automatisch zu einer heilsamen Versöhnung zwischen Michelle und ihrem verstorbenen Vater. Es ist nie zu spät, Frieden zu schließen. Sie können versuchen, mithilfe der Float-Back-Technik herauszufinden, ob Sie einem Verstorbenen gegenüber noch Ärger und Groll empfinden. Woran müssen Sie wirklich festhalten und was können Sie loslassen? Nicht nur ich

Durch die Beispiele in diesem Buch, die uns zeigen, wie sich unverarbeitete Erinnerungen auf unseren Körper, unseren Geist und unsere Emotionen auswirken können, haben wir auch erkannt, dass uns oft Ängste und Ohnmachtsgefühle lähmen. Diese Hindernisse für unsere Selbstentfaltung können uns auch in dem Lebensbereich blockieren, den wir als »spirituelle Entwicklung« bezeichnen. Hier geht es um ein Verständnis und eine Verbundenheit, die über unsere persönlichen Grenzen als Sterbliche auf diesem Planeten hinausreichen. In vielen spirituellen Traditionen und Religionen äußern sich diese Qualitäten als allumfassende Liebe für und Sorge um alle Lebewesen. Manchmal stellt sich dieses Gefühl von einer umfassenden spirituellen Verbundenheit nach der Verarbeitung schmerzlicher Erlebnisse ganz von selbst ein. So war eine Frau, die vor vielen Jahren von ihrem Vater vergewaltigt worden war, seitdem überzeugt, als Mensch nicht zu zählen. In der Verarbeitungssitzung mit ihrer Therapeutin veränderte sich das. Nach einem Set von Augenbewegungen sagte sie: »Ich habe gerade über Liebe nachgedacht. Tatsächlich habe ich gedacht: ›Gott liebt mich!‹« Sie hatte bei diesen Worten ein schönes Lächeln im Gesicht und fuhr dann mit der Verarbeitung fort. Sie konnte »Gottes Liebe« erst spüren, als sie sich nicht mehr selbst ablehnte. Das war eine spontane Veränderung. In anderen Fällen müssen wir uns den Hindernissen für das Erleben dieses umfassenden inneren Friedens ganz gezielt zuwenden. Abgeschnitten von Spiritualität Manche Menschen, die sich nach spiritueller Verbundenheit sehnen, können blockiert sein durch unverarbeitete Erinnerungen, die zu depressiven Gefühlen führen. Craig zum Beispiel, ein Mann in den mittleren Jahren, kam in die Therapie und klagte über Erschöpfung, Ärger, schlechten Schlaf, Distanz zu seiner Frau und den Stress, den ihm der Konflikt mit einem

früheren Geschäftspartner bereitete. Am ausführlichsten sprach er jedoch von seiner Enttäuschung über eine spirituelle Reise nach über 30 Jahren Meditationspraxis. Diesen Ärger und seine Desillusionierung hinsichtlich der Meditation wählte er als erste Zielerinnerung. Warum erlebte er nicht die innere Ruhe und den inneren Frieden, von denen so viele seiner meditierenden Freunde berichteten? Stattdessen kam bei ihm ständig das Gefühl hoch: »Diese Welt ist unsicher. Warum mich dafür einsetzen?« Als sein Therapeut ihn zur Float-Back-Technik anleitete, kam spontan die Schlüsselerinnerung hoch. Damals war Craig drei Jahre alt, und eine Kuh der Nachbarn hatte ihn umgerannt. Er lachte laut und schüttelte den Kopf, während er dieses Erlebnis erzählte: »Das ist so eine dämliche Geschichte, aber sie macht mir immer noch zu schaffen. Die Kuh schob mich mit dem Maul um und begann mir den Bauch zu lecken, aber ich dachte, sie wolle mich fressen. Ich rief nach meiner Mutter. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie kam, obwohl es wahrscheinlich nur fünf Minuten waren. Am meisten jedoch hat mich als Dreijährigen aufgeregt, dass sie lachte, als sie mich hochhob.« Dieser »Mangel an Einfühlsamkeit« war in ihm seit über 40 Jahren in Form von Unsicherheit und Vertrauensverlust verankert. Zunächst hatte Craig die positive Kognition »Ich kann damit umgehen«, doch durch die Verarbeitung verwandelte sich diese in: »Dies ist ein Baustein für meine persönliche Stärke.« Das war in vieler Hinsicht eine wichtige emotionale Erkenntnis. Wie auch bei anderen Erinnerungen, die uns blockieren, ermöglichte die Informationsverarbeitung eine Lernerfahrung, die zur Grundlage für Craigs psychische Gesundheit werden konnte. In der nächsten Sitzung berichtete Craig, dass er besser schlafe, sich neu auf Spiritualität konzentriere und auch häufiger meditiere. Er erzählte auch, dass sein Ärger abgenommen habe und er und seine Frau wieder

miteinander sprachen. Dann verarbeitete er eine weitere Erinnerung, die mit einer negativen Überzeugung zusammenhing, die da lautete: »Die Welt ist unsicher. Ich komme damit nicht klar.« Craig war als Teenager das Auto gestohlen und sein Kumpel war dabei zusammengeschlagen worden. Er konnte sich nicht verzeihen, dass er gegen die Diebe nicht gekämpft hatte. Dieses Mal lautete die positive Kognition: »Ich bin stark.« Bei der nächsten Sitzung erzählte Craig, dass seine Kraft zurückgekehrt sei und er wieder gut schlafe. Beim Meditieren kam er jetzt in Berührung mit Gefühlen von innerer Sicherheit, Frieden und Ruhe. Erfreut stellte er fest, dass er sich jetzt auch stark genug fühlte, den Konflikt mit seinem früheren Geschäftspartner anzugehen und zu lösen. Letzten Endes gibt es keine Trennung zwischen Körper, Geist, Emotionen und Seele. Wenn unverarbeitete Erinnerungen Sie in einem Bereich blockieren, sind dadurch wahrscheinlich auch die anderen in Mitleidenschaft gezogen. Die sieben Todsünden Wenn ein Anliegen von Religion darin besteht, dass wir uns mit unserer inneren Welt und den Menschen in unserem Leben sinnvoll verbunden fühlen, können ihre Grundsätze uns auch helfen herauszufinden, wo wir blockiert sind. Wonach streben wir und wo glauben wir zu versagen? Simon, ein Pfarrer, wollte mithilfe der EMDR-Therapie an seiner spirituellen Entwicklung arbeiten. Nachdem er über diesen therapeutischen Ansatz und die damit verbundene Selbsterforschung gelesen hatte, gelangte er zu der Überzeugung, dass »jede der sieben Todsünden ein Trauma für unsere Seele ist«, das auf frühere Erlebnisse in unserem Leben zurückgeht. Er hatte das Gefühl, dass die Sünden, mit denen er zu kämpfen hatte, ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben als Ehemann, Vater und Pfarrer behinderten. Und er glaubte, dass es wichtig sei, diese seine inneren Sünden zu heilen.

Simon fand, dass er seine häuslichen Aufgaben und auch wichtige Pflichten in der Kirche nicht sorgfältig genug wahrnahm. An dieser Nachlässigkeit wollte er arbeiten. Seine negative Überzeugung lautete: »Ich sage das eine und tue das andere. Ich kann mir selbst nicht vertrauen.« Durch die Float-Back-Technik kam ein Schlüsselerlebnis hoch, bei dem er drei Jahre alt war und auf dem Fußboden ein Schläfchen hielt. Seine Mutter wollte ihn necken und sagte: »Zeit aufzustehen.« Doch als er sich aufrichten wollte, hielt sie ihn lachend am Boden fest. Nachdem er diese Erinnerung verarbeitet hatte, berichtete Simon, sich seines Verhaltens jetzt stärker bewusst zu sein und realistischere Erwartungen an sich selbst zu haben. Er konnte zuhause und in der Kirche größere Aufgaben besser bewältigen und reagierte nicht mehr so emotional. Wut war ein weiteres zentrales Thema von Simon. Er berichtete, dass er, wenn er ärgerlich wurde, zuhause immer laut schimpfte und auf Wände oder Türen eintrommelte. Das jagte seiner Frau und seiner Tochter Angst ein, und er schämte sich deswegen. Bei der Schlüsselerinnerung sah er innerlich vor sich, wie seine Mutter, außer sich vor Wut, etwas nach der Küchenuhr warf. Nach seinem Gefühl hatte ihm dieses Erlebnis die Erlaubnis gegeben, ebenfalls zu explodieren, wenn er ärgerlich wurde. Der damit verbundene Gedanke lautete: »Wenn ich vor Wut explodiere, habe ich Macht und Kontrolle.« Die positive Kognition, die er anstrebte, war: »Ich bin liebevoll. Ich bin ein Friedensstifter.« Als diese Schlüsselerinnerung verarbeitet war, weinte Simon und sagte: »Ich möchte den Mut haben, aufrichtig, verletzlich und so demütig zu sein wie Jesus bei der Kreuzigung.« Simon berichtete, er verhielte sich jetzt sich selbst wie auch seiner Familie gegenüber flexibler, mitfühlender und liebevoller. Durch seine Heilung sei er ein besserer Mensch und Pfarrer geworden. Sollte es Ihnen schwerfallen, Ihren spirituellen oder religiösen

Überzeugungen entsprechend zu leben, stehen Ihnen möglicherweise unverarbeitete Erinnerungen im Weg. Dagegen können Sie etwas unternehmen. Die letzte Schwelle Auch wenn viele von uns in ihrem Leben Trost im Glauben finden, besteht die größte Herausforderung für uns alle darin, uns dem Tod zu stellen. Wie wir diese letzte Mut- und Kraftprobe bestehen, hängt oft davon ab, wie groß unsere Angst ist. Zwei Jahre nach der Diagnose sagten die Ärzte Donna, dass sie nichts mehr für sie tun könnten und sie sich auf ihr Ableben gefasst machen müsse. Der Krebs hatte sich im ganzen Körper ausgebreitet, trotzdem wünschte sie sich immer noch, gesund zu werden. Jetzt wendete sie sich nach innen, um sich auf das Kommende vorzubereiten. Sie sagte zu ihrer Therapeutin, sie wolle gern weitere innere Blockaden lösen, damit »meine Seele frei ist, weiterzugehen«. Auch wenn sie im Lauf der Jahre schon viel innere Arbeit geleistet hatte, wollte sie herausfinden, ob noch etwas »offen geblieben« war. Donna und ihre Therapeutin suchten zunächst einmal nach einem sicheren Ort für sie, zu dem sie immer Zuflucht nehmen konnte, wenn der Schmerz – ob körperlich oder emotional – sie zu überwältigen drohte. Da sie Katholikin war, visualisierte sie sich neben Jesus und Maria, die den Arm um sie legte. Zuerst musste sie dabei so heftig weinen, dass sie zitterte. Als ihre Therapeutin ihr abwechselnd leicht auf beide Oberschenkel klopfte, nahm sie ein paar langsame, tiefe Atemzüge und sagte: »Das ist so tröstlich. Ich spüre, wie sich mein Körper völlig entspannt. Solch tiefen Trost habe ich bislang nie erfahren.« Sie ließ sich behutsam in den Sessel sinken und selbst ihre Füße entspannten sich. Die ständige Anspannung in ihrem Gesicht ließ sichtbar nach.

Die Therapeutin fragte sie dann, was »offen geblieben« sei, und ob sie wisse, was sie noch belaste. Donna schaute hoch und sagte: »Mein Vater. Ich habe Angst, ihm zu begegnen, wenn ich gestorben bin.« Sie begannen diese Angst zu verarbeiten, und Donna fügte hinzu: »Ich habe Angst, dass er ärgerlich auf mich ist. Ich spüre diese Angst in meinem Herzen als Schwere und Schmerz.« Als sie ihre Gedanken über und Erinnerungen an diese Angst vor seiner Missbilligung verarbeitet hatte, sagte sie schließlich: »Er ist immer bei mir gewesen, und er ist stolz auf mich. Ich kann sein lächelndes Gesicht sehen, und mein Herz fühlt sich an, als ob es sich öffnet.« Eine weitere Frage galt ihrer Krankheit und ihrer Verantwortung dafür. Sie fragte sich: »Habe ich mir die Krankheit selbst zuzuschreiben? Ist das mein Fehler? Gibt irgendjemand mir Schuld daran?« Dabei empfand sie Ärger auf den Krebs und auf ihren Körper, weil er nicht imstande war, zu heilen. Sie fragte sich, ob sie wirklich entschlossen genug gegen die Krankheit angekämpft hatte. Nach der Verarbeitung dieser Themen spürte sie, dass sie sich auf einer tiefen Ebene verzieh, und sagte: »Ich habe alles getan, was ich konnte, alles, was ich zu der Zeit kannte und wusste.« Mit einem Seufzer der Erleichterung fügte sie hinzu: »Meine Familie hat sich ebenso hilflos gefühlt wie ich. Niemand macht mir Vorwürfe.« Im Verlauf der nächsten Tage wurde Donna zunehmend müde und brauchte immer längere Ruhepausen. Täglich besuchte die Therapeutin sie, um die gemeinsame Arbeit fortzusetzen. Ihre Familie berichtete, ihre starke Erregtheit habe sich gelegt und sie werde zunehmend friedlicher und brauche weniger Medikamente. Ihre Schmerzen waren erträglicher geworden, und wenn sie nicht gerade schlief, war sie wacher als sonst. Donna stellte sich auch vor, wie sie ihren eigenen Tod erleben würde und visualisierte »die Himmelspforte«. Ihre Therapeutin fragte sie: »Wie

würden Sie Ihren Tod gern erleben? Wer nimmt Sie in Empfang?« Donna lächelte und sagte: »Ich fühle mich ganz leicht und bewege mich völlig mühelos. Und ja, er ist da, mein Vater, und auch meine Mutter und viele andere, die ich liebe. Ich lächele und sie auch. Da ist weder Traurigkeit noch Schmerz. Alles leuchtet, und ich fühle, dass ich ein gutes Leben gelebt habe und jetzt weitergehen kann.« Nach einer kurzen Stille fuhr sie fort: »Dieser Schritt ist viel leichter als der, den ich als Kind machen musste, als ich in dieses Land kam und meine Heimat und alles Vertraute hinter mir lassen musste. Damals hatte ich Angst. Jetzt aber nicht.« Sie strahlte bei dieser Verarbeitung. Es war, als käme ihr Lächeln von ganz tief innen. In diesem Augenblick war der zerstörte Körper ihr überhaupt nicht bewusst. Als ihre Therapeutin sie fragte, was sie körperlich empfinde, entgegnete sie: »Ich fühle mich ganz leicht. Ich fühle mich frei! Das ist ganz erstaunlich!« Als Donna ihre letzten Atemzüge tat, hatte sie ein sanftes Lächeln im Gesicht. Ihre Therapeutin sagte: »Das Licht des Lebens hat immer durch sie geleuchtet, und jetzt hat es sie befreit.« Eigene Forschungen Für Millionen von Menschen hat der Glaube einen wichtigen Stellenwert im Leben und sie finden Trost im Gebet. Andere glauben zwar an eine höhere Macht, fühlen sich aber davon abgeschnitten und unfähig zu beten. Millionen suchen inneren Frieden durch Meditation, und viele von ihnen fühlen sich hier ebenfalls blockiert. In der EMDR-Therapie können wir uns diesen Hindernissen zuwenden, die oft auf unverarbeitete Erinnerungen an traurige, schmerzliche oder enttäuschende Erlebnisse zurückgehen. Haben wir diese Barrieren erst einmal beiseitegeräumt, sind wir frei zu erforschen, durch welche Praktiken wir unsere spirituelle Verbundenheit am besten vertiefen können. Dann können wir uns ins Gebet versenken und

meditieren, jedes für sich oder in Kombination, um unser tägliches Leben zu bereichern. Natürlich braucht ein Mensch, der sich ins Gebet versenken will, einen Glauben oder spirituelle Überzeugungen. Auch wenn wir Meditation in westlichen Ländern am häufigsten mit dem Buddhismus verbinden, gibt es viele weitere Formen von spiritueller Praxis aus den unterschiedlichsten spirituellen Traditionen. In jüngster Zeit hat man bestimmte meditative Praktiken aus ihrem religiösen Kontext gelöst und in vielen Untersuchungen erforscht. Diese Forschung zeigt, dass das Praktizieren von »bewusst ausgerichteter Aufmerksamkeit« Stress reduziert und das Immunsystem stärkt und damit Ihre tägliche Selbstfürsorge wunderbar ergänzen kann. Bei diesen Meditationen geht es primär um »Achtsamkeit«, das heißt, wir sind einfach aufmerksam, ohne an bestimmten Inhalten festzuhalten oder Dinge zu bewerten. In der EMDR-Therapie lautet die Anweisung zur Achtsamkeit bei der Verarbeitung: »Nehmen Sie das einfach wahr.« Statt etwas Bestimmtes erreichen zu wollen, beobachten wir das, was ist. Wenn der Therapeut den Klienten durch die Erinnerungsnetzwerke leitet, damit dieser wichtige Erlebnisse verarbeiten kann, findet der Klient mithilfe der Anweisung »einfach wahrnehmen« heraus, in welche Richtung seine Gedanken wandern und wo er innerlich so festgefahren ist, dass er auf der Stelle tritt. Manchmal reicht dieses »einfach wahrnehmen«, um den Zugriff von Erinnerungen zu lockern. Menschen, die regelmäßig meditieren, sind oft emotional gefestigter und auch im Alltag achtsamer, sodass sie für sich und die Menschen in ihrem Leben bessere Entscheidungen treffen können. Weitere Tipps für angeleitete Visualisierungen und Meditationen finden Sie in Anhang A. Ein möglicher Einstieg ist, still zu sitzen und darauf zu achten, wie sich Ihr Bauch beim Atmen hebt und senkt. Nehmen Sie diese

Bewegungen einfach wahr. Wenn Sie feststellen, dass Sie innerlich durch andere Dinge abgelenkt werden, bringen Sie Ihre Aufmerksamkeit behutsam zurück zum Atem. Schauen Sie, ob Ihnen das für einige Minuten gelingt. Dann meditieren Sie täglich etwas länger, bis Sie 20 bis 30 Minuten gut sitzen können. Wenn Sie diese Meditation mit Ihrem religiösen Glauben verbinden möchten, können Sie das Atmen mit entsprechenden Aussagen begleiten wie: »Gott ist gut«, »Gott ist groß« oder »Gott ist eins«. Sie können auch einzelne Worte denken wie »Frieden« oder »Liebe«. Wiederholen Sie Ihren Satz oder Ihr Wort bei jedem Ein- und Ausatmen. Sehr hilfreich sind auch Meditationen, bei denen Sie sich auf das Gefühl von Dankbarkeit ausrichten. Sitzen Sie still und denken Sie an die Dinge in Ihrem Leben, für die Sie dankbar sind. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihr Herz und wiederholen Sie innerlich den Satz: »Danke für alles, was Du mir gegeben hast«, während Sie ein- und ausatmen. Dieses »Du« kann Gott, der Große Geist, das Leben selbst oder Ihr eigener guter Wesenskern sein. Diese Meditationen können Geist und Körper beruhigen, was langfristig auf beide positive Auswirkungen hat. Auch kann das Meditieren Sie daran erinnern, dass Sie mehr sind als das, was Sie in Ihrem Leben augenblicklich als störend empfinden. Wenn Sie sich früher schon einmal spirituell verbunden gefühlt haben, jetzt aber blockiert sind, können auch hier unverarbeitete Erinnerungen im Spiel sein. Manchmal sind das scheinbar geringfügige Erlebnisse wie bei Craig, dessen Schlüsselerinnerung darin bestand, dass ihn im Alter von drei Jahren eine Kuh abgeleckt hatte. Bei anderen kann ein schweres Trauma ihre bisherige Sicht der Welt erschüttern. Menschen, die plötzlich eine geliebte Person verlieren, fühlen sich in ihrer unverarbeiteten Trauer manchmal

allein

und

isoliert.

Die

Verarbeitung

entsprechender

Erinnerungen kann sie jedoch vom Schmerz befreien, sodass sie neue Hoffnung schöpfen und sich mit dem Leben wieder verbunden fühlen. Selbst Eltern, die bei dem terroristischen Angriff am 11. September 2001, bei den Kriegen im Nahen Osten oder bei Naturkatastrophen wie Erdbeben, Hurrikans und Tsunamis ein Kind verloren haben, bestätigen, dass sie ihren inneren Frieden wiedererlangt haben und sich versöhnt fühlen. In unserem Schmerz wie in unserem Heilungspotenzial sind wir alle gleich. Wenn Sie sich blockiert fühlen, ohne zu wissen warum, konzentrieren Sie sich am besten auf Ihre körperlichen Empfindungen beim Beten oder Meditieren. Versuchen Sie dann mithilfe der Float-Back-Technik, die Ursache für die inneren Blockaden herauszufinden. Wenn die bewusste Wahrnehmung entsprechender Erinnerungen nicht ausreicht, um sich von diesen Hindernissen zu befreien, sollten Sie überlegen, diese Erlebnisse mit therapeutischer Unterstützung zu verarbeiten. Das Ergebnis kann für Sie überraschend sein. In therapeutischen Kreisen sprechen wir manchmal von einem »posttraumatischen Wachstum«. Traumatisierte Menschen berichten nach der Behandlung oft, dass ihre Genesung über die Heilung der alten Schmerzen weit hinausgehe. Sie haben jetzt positive Antworten auf Fragen wie: Was habe ich gelernt? In welcher Hinsicht bin ich jetzt stärker? Wofür bin ich dankbar? Wem kann ich mit meinem jetzigen Wissen helfen? Falls Sie sich blockiert fühlen, ist jetzt vielleicht Zeit für Ihre Heilung. Das Leben willkommen heißen Wie wir in diesem Buch immer wieder gesehen haben, gibt es Gründe für Reaktionen, die wir vielleicht bislang »verrückt« oder unbeherrscht fanden. Unsere unbewussten Erinnerungsverbindungen bilden die Grundlage für unsere Probleme wie auch für unsere Fähigkeit, im Leben Heilung und Zufriedenheit zu finden. Ich hoffe, die Beispiele und Übungen in diesem

Buch haben Ihnen klargemacht, dass Sie mit Ihrem Schmerz und Ihrem Wunsch nach Lebensfreude und Wohlbefinden nicht alleine sind. Wenn Sie sich weiterhin regelmäßig selbst erforschen, begreifen Sie immer besser, was Sie innerlich steuert. Durch tägliches Üben und Anwenden der Selbststeuerungstechniken können Sie Ihr Verhalten zunehmend bewusst lenken. Sie wissen jetzt, wenn Sie sich irgendwo blockiert fühlen, dass es Möglichkeiten gibt, diese Hindernisse zu überwinden und ein Leben voll von neuen Möglichkeiten und Potenzialen Sie erwartet. Wichtig ist auch, dass Sie dann selbst entscheiden können, welche Richtung Sie in Ihrem Leben einschlagen wollen. Dieses Buch möchte Ihnen auch helfen, sich selbst und den Menschen in Ihrem Leben mehr Mitgefühl entgegenzubringen. Ich hoffe, Sie empfinden dieses Mitgefühl für sich als Kind, das in ganz bestimmte Umstände hineingeboren wurde, wie auch für sich als Erwachsenen, der jetzt verantwortlich und imstande ist, notwendige Veränderungen vorzunehmen. Und ich hoffe, dass Sie für andere Menschen und deren Kämpfe ebenfalls Verständnis aufbringen. Natürlich entscheiden diese selbst über ihr Leben, doch vielleicht können Sie mit Ihren eigenen gesunden Entscheidungen für andere zum »Leitstern« werden, ähnlich wie Helene. Unser aller Verhalten hat einen Welleneffekt und kann weitreichende Auswirkungen haben. Im Verlauf der letzten 20 Jahre sind mehr als 70.000 Therapeutinnen und Therapeuten weltweit in der EMDR-Therapie ausgebildet worden. In dieser Zeit sind Menschen von überall auf der Welt durch die EMDR-Institute zusammengeführt worden, um sich über ihre Erfahrungen und ihr Lernen auszutauschen. Was mir dabei immer wieder das Herz erwärmt, ist die Tatsache, dass so viele der hier berichteten Schicksale ein gutes Ende genommen haben. Das zeugt von der Resilienz des menschlichen Geistes und damit unserer Fähigkeit, Schmerz und Widrigkeiten zu überwinden.

Immer wieder zeigt sich hier, dass Menschen noch unter den widrigsten Umständen imstande sind, ihre Liebe zum Ausdruck zu bringen. Das macht deutlich, dass wir selbst die schwierigsten Situationen im Leben bewältigen können. Ob wir in Luxusappartements oder Lehmhütten wohnen, wir alle haben mehr Gemeinsames als Trennendes. Vielleicht glauben wir, unsere Religion oder unsere Gesellschaft sei anderen überlegen. Doch grundsätzlich gilt, dass unser aller Gehirn, Geist und Körper einem gemeinsamen Rhythmus folgen. Was einen Menschen schmerzt, schmerzt uns alle. Deswegen empfinde ich es als eine Ehre, die Erfahrungsberichte in diesem Buch an Sie weitergeben zu dürfen. Wenn wir von »zuhause« sprechen, meinen wir schließlich den Ort auf diesem Planeten, an dem wir geboren wurden und der uns mitgeprägt hat. Selbst wenn wir diese Heimat inzwischen verlassen haben, tragen wir die Prägung durch unsere Familie und unseren Geburtsort weiter in uns. Das Schöne ist, wir können, wo immer wir sind, sehen, dass Körper, Gehirn und Unbewusstes bei uns allen auf die gleiche Weise funktionieren. Wenn wir uns am Körper verletzen, heilt die Wunde wieder, es sei denn, es liegt eine Störung vor. Und in der EMDR-Therapie erleben wir immer wieder, dass das Informationsverarbeitungssystem des Gehirns so angelegt ist, dass auch unsere Psyche Heilung finden kann. Wir können unseren Schmerz in nützliche Kräfte umwandeln. Wir können den Weg einschlagen, den wir gehen möchten. Und alle Wege dieser Welt laufen aufeinander zu. Hüter meines Bruders Vor einigen Jahren verwüstete Hurrikan Paulina eine kleine Stadt in Mexiko. Ein Team von Therapeuten des EMDR-Humanitarian Assistance Program (HAP) reiste hin, um den Menschen in Not dort zu helfen. Wie Sie bereits wissen, ist die Schmetterlingsumarmung ursprünglich entwickelt

worden, um die EMDR-Therapie mit ganzen Gruppen von traumatisierten Kindern durchführen zu können. Mit diesem weltweit verbreiteten Gruppenprogramm sind Kinder und Erwachsene nach Naturkatastrophen und menschlicher Gewalt, darunter auch den Konflikten zwischen Israelis und Palästinensern, erfolgreich behandelt worden. Jetzt sollte es einer weiteren Gruppe von Kindern helfen, die Schlimmes durchgemacht hatten. Die Kinder bildeten einen Kreis, und die Therapeutin bat sie, die Schmetterlingsumarmung zu machen, während sie ihre Erinnerungen an Sturm, Regen und die Wasserfluten verarbeiteten, die so viele Todesopfer gefordert hatten. Zwei Brüder, 16 und 18 Jahre alt, beteiligten sich nicht an der Übung, schauten jedoch ganz genau zu. Nachdem die Übung abgeschlossen war, kam der jüngere Bruder, Carlos, auf die Therapeutin zu, um ihr seine Geschichte zu erzählen und zu fragen, ob sein Bruder Hector die Schmetterlingsumarmung auch ohne Arme machen könne. Carlos berichtete, bei dem Hurrikan hätten die Wassermassen des Flusses alle seine Familienangehörigen in einer Nacht mit sich fortgerissen. Zuerst habe das brüllend dahinschießende Wasser das Haus zerstört und ihre Eltern weggespült. Der ältere Bruder, Hector, habe mit aller Kraft versucht, seine drei Geschwister zu retten, indem er sie fest an sich drückte. Doch er konnte nur Carlos retten, während ihm das Wasser die beiden jüngeren Kinder entriss. Aufgrund dieser Anstrengung litt Hector unter heftigen Schmerzen in beiden Armen, als die beiden Brüder zusammengekauert auf Hilfe warteten, die schließlich nach zwei Tagen eintraf. In Hectors Armen hatte sich Wundbrand ausgebreitet, sie mussten amputiert werden. Die Therapeutin bat Carlos, sie zu seinem Bruder zu bringen, um ihm die Schmetterlingsumarmung zu zeigen. Sie fragte Carlos, ob sein Bruder ihm nicht einen enormen Liebesdienst erwiesen habe, indem er ihn rettete. Er

antwortete sofort mit einem entschiedenen »Ja!«. Dann bat sie ihn, sich hinter seinen Bruder zu stellen, der im Rollstuhl saß. Sie wies Carlos an, sich vorzubeugen, sodass er Wange an Wange mit Hector stand, während er diesen von hinten umarmte, und seine Arme über Hectors Brust zu kreuzen. Beide Jungen atmeten tief, während Carlos, seine Arme überkreuz auf Hectors Brust, die Schmetterlingsumarmung für seinen Bruder machte. So verarbeiteten die beiden Jungen mit der Therapeutin ihre traumatischen Erinnerungen. Sie selbst sagte dazu: »Worte reichen nicht aus, um zu beschreiben, wie sich der Ausdruck auf ihren Gesichtern von großer Verzweiflung zu tiefer Liebe wandelte. Nie in meinem Leben habe ich etwas Schöneres gesehen.« Anderen helfen Auch die Bereitschaft, anderen zu helfen, sie zu trösten und uns ihnen liebevoll zuzuwenden, teilen wir alle. Als ein Erdrutsch ein ganzes Dorf wegspülte, hinterließ es unter den Kindern 50 Waisen. Das EMDR-HAPTherapeutenteam kam zu Hilfe und ging nach den Anweisungen für Gruppen vor. Diesmal brachten sie den Kindern jedoch nicht die Schmetterlingsumarmung bei, sondern die bilaterale Stimulation in Form von abwechselnden Taps auf beide Oberschenkel. Als sie am nächsten Tag wiederkamen, um mit den Kindern weiterzuarbeiten, wartete die Gruppe schon auf sie. Die Kinder klopften sich gegenseitig auf die Oberschenkel. Es ist so offensichtlich, dass wir, die wir mehr Macht und mehr Zugang zu Ressourcen haben als diese Kinder, uns auch leichter an andere wenden und uns ihnen zuwenden können. Wir können ihnen helfen und selbst um Hilfe bitten. Wir alle haben ganz unterschiedliche Nöte und Sorgen. Was verbinden Sie zum Beispiel mit dem Begriff »zuhause«? Bei sich selbst anzukommen oder mit Ihrer Familie, Ihren Nachbarn, Ihrem Land oder der globalen Gemeinschaft verbunden zu sein? Das alles braucht unsere

Aufmerksamkeit, und wirkliche Veränderung muss immer bei denen beginnen, die genug wissen, um sich aktiv dafür einzusetzen. Ein Erlebnis, das mich tief berührte, passierte während eines Ausbildungsseminars vor etwa zehn Jahren. Eine Woche zuvor waren Therapeutinnen und Therapeuten aus allen Himmelsrichtungen in der kleinen Stadt an der Küste eingetroffen. Am Abend vor ihrer Abreise fühlten sich alle wunderbar und waren so begeistert von der schönen Umgebung, dass sie noch einmal zum Strand hinuntergingen. Es war schon Nacht, doch die Sterne leuchteten, und sie wollten in der Bucht schwimmen, wie schon oft zuvor. Sie wussten nicht, dass die Gezeiten inzwischen gewechselt hatten und starke Strömung herrschte. Lachend gingen einige von ihnen ins Wasser und schwammen los, als die Strömung sie mitriss und wegtrug. Manchen gelang es, sich wieder an den Strand zu retten. Hilflos standen sie dort mit denen zusammen, die nicht ins Wasser gegangen waren, und mussten mit ansehen, wie die Menschen, mit denen sie gerade erst Freundschaft geschlossen hatten, aufs Meer hinausgetrieben wurden. Sie fühlten sich absolut ohnmächtig, und die von der Flut erfassten Schwimmer fühlten sich völlig alleingelassen und glaubten, ertrinken zu müssen. Wir wissen nicht mehr, wer es war, doch eine Person am Strand sagte schließlich: »Lasst uns eine Kette bilden und uns an den Händen fassen.« Hand in Hand gingen sie ganz langsam ins Meer und hielten sich gegenseitig. So erreichten sie schließlich alle Schwimmer und konnten sie an Land ziehen. Genau das versuchen viele Menschen weltweit durch humanitäre Projekte: Sie tun sich mit denen zusammen, die bereit sind, sich an den Händen zu fassen und jede und jeden einzeln in Sicherheit zu bringen, sodass niemand allein in der Dunkelheit untergeht. Wenn Sie gern mithelfen würden, überlegen Sie doch bitte einmal, welcher Initiative Sie sich

anschließen könnten, um deren Arbeit zu unterstützen. Es gibt so viel zu tun! Und wir können es mit Freude und Dankbarkeit tun für das, was wir selbst in unserem Leben bekommen haben. Wie ein kleines Mädchen nach der Verarbeitung ihres Traumas sagte: »Möchtest du nicht auch die ganze Welt umarmen?«

Dank

Dieses Buch ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Reise, die durch die liebevolle Unterstützung meines Mannes Bob Welch und meiner lieben Freundin und Kollegin Robbie Dunton viel erfreulicher wurde. Was die Entstehung dieses Buches betrifft, möchte ich an erster Stelle Susan Golant für die großartige Unterstützung bei vielen der Arbeitsschritte danken, die für die Fertigstellung eines Buches wie diesem erforderlich sind. Mein Dank gilt auch meiner Lektorin bei Rodale, Shannon Welch, für ihre klugen Ratschläge und die sorgfältige Betreuung des Buches während des Herstellungsprozesses durch ihre kompetenten Kolleginnen Marie Crousillat und Amy King. Und ich danke meiner Agentin Suzanne Gluck für ihre Anleitung und Unterstützung, die für mich von unschätzbarem Wert waren. Dank sagen möchte ich auch Del Potter für seine prompte Hilfe und seinen technischen Beistand bei Computerproblemen. Dieses Buch bezieht auch die Beiträge eines großen Kreises von Forscherinnen und Forschern, Therapeutinnen und Therapeuten ein, denen ich an dieser Stelle meine Anerkennung aussprechen möchte. Sie gilt besonders Robert Stickgold für seine gründlich durchdachten Publikationen über die Zusammenhänge zwischen EMDR, Gedächtnis und REM-Schlaf und seine wertvollen Vorschläge für die neurobiologischen Beschreibungen in diesem Buch. Danken möchte ich auch Daniel Siegel für seine nützlichen Hinweise und seine Pionierarbeit auf dem Gebiet der zwischenmenschlichen Neurobiologie. Ebenfalls dankbar bin ich Hope Payson, Deany Laliotis, Jennifer Lendl, Susan Brown, Tony Madrid und Ronald Ricci, die detaillierte Fallgeschichten beigesteuert haben und die Beschreibungen und Empfehlungen durch ihr Spezialwissen bereichern konnten. Mein Dank geht auch an Ad de Jongh, Steven Silver, Deb Wesselman, Lenore Walker und Julie Stowasser, die zu bestimmten Kapiteln ihr Fachwissen und entsprechende Vorschläge beigesteuert haben. Ebenso anerkennen möchte ich die wertvollen klinischen Beiträge von Deany Laliotis und Patti Levin, die sie bei ihrer Lektüre von unterschiedlichen Fassungen des gesamten Manuskripts beigesteuert haben. Dankbar bin ich auch Charlie Hitt, Robin Robbin, Jane Schuler-Repp, John Lindermann, Brian Tippen und Christina Peterson, welche die Kapitel aus der Sicht von »Laien« lasen, um dafür zu sorgen, dass dieses Buch »benutzerfreundlich« ist. Darüber hinaus möchte ich folgenden Innovatorinnen und Innovatoren für ihre eigenständigen fachlichen Beiträge danken: Synthia Browning für die Float-Back-Technik, Elan Shapiro für die Übung mit den fünf Elementen sowie Lucy Artigas und Ignacio Jarero für die Entwicklung der Schmetterlingsumarmung. Mein besonderer persönlicher Dank geht an Stephen und Ondrea Levine, die mir vor über 30 Jahren die Lichtstrahltechnik beibrachten. Es ist mir eine Ehre, seit 25 Jahren einer Gruppe von Therapeuten und Forschern anzugehören, die ihr Leben der Linderung von menschlichem Leid widmen. Einige von ihnen habe ich gebeten, unser Wissen über die Mechanismen des Informationsverarbeitungssystems des Gehirns und die

»Beschaffenheit des Geistes« für dieses Buch allgemeinverständlich zu formulieren. Sie und ihre Klienten sind darauf begeistert eingegangen und haben mir von überall her Beispiele geschickt. Beim Lesen dieser Geschichten war ich nicht nur immer wieder hocherfreut darüber, wie universal unser menschlicher Zustand ist, sondern auch, wie der menschliche Geist selbst die größten Widrigkeiten nehmen und überwinden kann. Mein herzlicher Dank geht an dieser Stelle an alle Menschen, die ihre Geschichten hier beigetragen haben. Ob sie in dieses Buch Aufnahme fanden, hing lediglich vom Schreibprozess ab, bei dem manchmal ein Thema das andere ganz selbstverständlich nach sich zieht. Doch alle diese Beispiele waren für mich eine wunderbare Inspiration und haben mich immer wieder berührt und in unserer gemeinsamen Arbeit bestärkt. Dafür bin ich unendlich dankbar. Ihre Namen finden Sie auf der nächsten Seite. Bitte verzeihen Sie mir, sollte ich jemanden vergessen haben, und lassen Sie mich das auf jeden Fall wissen. (Der Verlag dankt Dr. Arne Hofmann vom EMDR-Institut Deutschland für die Unterstützung und Durchsicht der deutschen Übersetzung.)

George Abbot Robbi Adler-Tapia Lucina Artigas Diaz Katie Atherton Uri Bergmann Susan Brown Cheryl Clayton Susan Curry Kathy Davis Yulia Direzkia Mark Dworkin Nancy Errebo Isabel Fernandez Ellie Fields Carol Forgash Karen Forte Sandra Foster Wendy Freitag Irene Geissel Denise Gelinas Sara Gilman Ana Gomez Barb Hensley Seema Hingorany Arne Hofmann E. D. Hurley Mike Jameson Ignacio Jarero Ad de Jongh Ann Kafoury Roy Kiessling Dawne Kimbrall Frankie Klaff James Knipe Nancy Knudsen Cynthia Kong Deborah Korn Reni Kusumawardhani Deany Laliotis

Ellen Latenstein Roxann Lee Jennifer Lendl Patti Levin Marilyn Luber Tony Madrid Jeff Magnavita Stephen Marcus Jery Marlowe Nacy Margulies Priscilla Marquis Helga Matthess Therese McGoldrick Christine McIlwain Sushma Mehrotra Liesbeth Mevissen Edith Taber Moore Joanne Morris-Smith Katy Murray Udi Oren Elaine Ortmann Barbara Parrett Hope Payson Byron Perkins A. J. Popky Ann Potter Jari Preston Gerald Puk Gary Quinn Mowadat Rana Ron Ricci Maurie Richie Gisela Roth Curt Rouanzoin Lynda Ruf Mark Russell Gary Scarborough Zona Scheiner Jens Schneider

Karen Schurmans Carolyn Settle Elan Shapiro Valerie Sheehan Jocelyn Shiromoto Michel Silvestre Greg Smith Ute Sodemann Roger Solomon John Spector Shinto Sukirna Khadja Tahir Rosalie Thomas Laura Tofani Linda Vanderlaan Deb Wesselman Kathleen Wheeler Marshall Wilensky Christine Wilson Bennet Wolper Janet Wright Carol York Mona Zaghrout Al Zbik

Anhang A Glossar und Selbststeuerungsübungen

Affekt-Scan – Verfahren, um mithilfe einer aktuellen Situation und der damit verbundenen Körperempfindungen eine Schlüsselerinnerung herauszufinden. (Kapitel 4) Bauchatmung – Um bei störenden inneren Zuständen Abhilfe zu schaffen, atmen Sie langsam und tief ein, während Sie spüren, wie Ihr Bauch sich ausdehnt. Dann atmen Sie langsam aus und spüren dabei, wie sich Ihr Bauch wieder zusammenzieht. (Kapitel 5) Comic-Übung – Hilfreich bei negativen inneren Selbstgesprächen, indem Sie der inneren Kritik eine komische Stimme geben. (Kapitel 3) Der sichere / ruhige Ort – Hilft Ihnen, sich ein großes Spektrum an positiven Emotionen anhand verschiedener innerer Bilder oder Schlüsselworte zu vergegenwärtigen. Zum Beispiel das Gefühl von Ruhe, wenn Sie sich vorstellen, auf dem Gipfel eines Berges zu stehen oder am Meer zu sein. (Kapitel 3, Kapitel 5, Kapitel 6) Die Atmung verändern – Ermöglicht Ihnen, schwierige innere Zustände zu verändern, indem Sie zu einem Atemmuster übergehen, das mit positiven Zuständen verbunden ist. (Kapitel 3) Die vier Elemente – Vier Schritte für die Stressreduzierung (Erde, Luft, Wasser, Feuer), um chronischem Stress entgegenzuwirken und zur regelmäßigen Selbstbeobachtung. (Kapitel 10) Farbeimer-Übung – Hilft Ihnen beim Umgang mit unangenehmen inneren Bildern, indem Sie diese »einfach unterrühren«. (Kapitel 4) Float-Back-Technik – Anhand einer aktuellen Situation sowie der entsprechenden negativen Kognition und Körperempfindungen können Sie mit dieser Technik eine Schlüsselerinnerung herausfinden. (Kapitel 4) Körperhaltungen verändern – Verändern Sie Ihre Körperhaltung oder Ihren Gesichtsausdruck, um von Ängstlichkeit zu freudiger Aufregung oder anderen positiven emotionalen Zuständen überzugehen. (Kapitel 10) Lichtstrahltechnik – Hilft Ihnen bei der Bewältigung schwieriger Emotionen, indem Sie sich auf die körperlichen Empfindungen konzentrieren und »Licht dorthin schicken«. Kombiniert mit der Übung »Der sichere / ruhige Ort« kann diese Übung auch bei Schlafstörungen Abhilfe schaffen. (Kapitel 7) Liste mit Schlüsselerinnerungen – Eine Liste von aktuellen Störungen und der weiter zurückliegenden Erinnerungen, welche die Grundlage für Ihre heutigen Reaktionen bilden, verzeichnet mit Alter, SUD-Wert und negativen Kognitionen. (Kapitel 4) Meditation – Achtsamkeitspraxis, um die Fokussierung, die Konzentration und positive emotionale Zustände zu stärken. (Kapitel 11)

Negative Kognitionen – Negative Überzeugungen, die störende Emotionen und Gedanken, welche mit einer unverarbeiteten Erinnerung einhergehen, in Worte fassen. (Kapitel 4) Nützliche Hinweise für Beziehungen – Für die Verbesserung der Kommunikation in Beziehungen einschließlich einer Übung, um zu verzeihen. (Kapitel 8) Schlüsselerinnerung – Die frühesten erinnerten Erlebnisse, die zu heutigen Symptomen und Problemen beitragen können. (Kapitel 4) Schmetterlingsumarmung – Bilaterale Stimulation mit abwechselnden Taps auf beide Schultern, mit der Sie die Übung »Der sichere / ruhige Ort« verstärken und Stress abbauen können. (Kapitel 3, Kapitel 6) Spiraltechnik – Hilft Ihnen beim Umgang mit unangenehmen Gefühlen, indem Sie »die Richtung« der körperlichen Empfindungen »wechseln«. (Kapitel 5, S. 132) SUD-Skala (Skala des subjektiven Belastungsgrads) – Findet Anwendung, um die Intensität von Schmerz zu verfolgen, der mit einer aktuellen Situation oder frühen Erinnerung verbunden ist. Von 0 (keine Störung) – bis 10 (höchste Schmerzintensität). (Kapitel 4) TICES-Tagebuch – Ein Bericht für die tägliche Selbstwahrnehmung. Listet den Trigger (Auslöser), das Bild, die negative Kognition, Emotionen, körperliche Empfindungen und den subjektiven Schmerz- oder SUD-Level auf. (Kapitel 4) Wasserstrahl- oder Löschstrahl-Technik – Für die Beseitigung störender innerer Bilder, indem wir sie wegspülen. (Kapitel 3) Zeitachse – Eine Liste von Schlüsselerinnerungen, negativen Kognitionen, SUD-Levels nach Lebensaltern verzeichnet, in denen die Erinnerungen angesiedelt sind, um Ihre eigene Geschichte besser zu verstehen. (Kapitel 10) Zentrierung – Mithilfe einer tiefen und langsamen Atmung entspannen Sie sich auf eine Art und Weise, wie auch viele Spitzensportler, Schauspieler und Führungskräfte es gelernt haben. (Kapitel 10) Zukunftsprojektion – Mithilfe innerer Bilder Fähigkeiten entwickeln und Hochleistungen erbringen. (Kapitel 10)

Angeleitete Visualisierungen und Meditationen Die folgenden CDs in englischer Sprache sind erhältlich über die Webseite des EMDR-Humanitarian Assistance Programs www.emdrhap.org / store / gv Letting Go of Stress von Emmett Miller: Vier angeleitete Entspannungsübungen einschließlich einer mit »Der sichere Ort« vergleichbaren Übung Lightstream Technique von Francine Shapiro: Angeleitete Visualisierung Soft Belly Meditation von Stephen Levine: Angeleitete Meditation

Empfehlenswerte CDs mit deutschsprachigen Anleitungen Dem inneren Kind begegnen: Hör-CD mit ressourcenorientierten Übungen und Imagination als heilsame Kraft: Hör-CD mit Übungen zur Aktivierung der Selbstheilungskräfte mit einer »Der sichere Ort«-Übung von Luise Reddemann

Persönlicher Stundenplan

TAG / DATUM Meditiert / Entspannungs-CD gehört (20 Minuten) Körperübungen / Sport gemacht (30 Minuten) Den sicheren / ruhigen Ort verstärkt, erweitert (10 Minuten) TICES-Tagebuch Benutzte Techniken, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen (+/ ja, -/ nein, 0 / nicht nötig) Positive Kontakte hergestellt (Familie / Freunde) Spaß und Entspannung (wie viel Zeit) Habe bewusst gegessen Habe gut geschlafen Fühle ich mich wohl? Einschätzung der letzten 24 Stunden (-10 bis +10) Sie können sich mit diesem persönlichen Stundenplan helfen, in der Spur zu bleiben. Bei den täglichen Einschätzungen sollten Sie sich fragen: Wodurch könnte es besser werden? Was brauche ich mehr oder weniger, damit mein Leben erfüllter ist? Benötige ich mehr Zeit zum Entspannen? Müssen mir die Selbststeuerungstechniken geläufiger werden? Fühle ich mich insgesamt wohl? Oder brauche ich professionelle Unterstützung? Auch wenn persönliche Probleme und emotionaler Kummer manchmal unüberwindbar scheinen, haben Sie immer eine Wahl. Denken Sie daran, Ihre Selbststeuerungsübungen zu machen und Ihr TICES-Tagebuch zu führen, um Ihre Liste mit Schlüsselerinnerungen und Ihre Zeitachse zu erstellen. Dann können Sie besser sehen, wie Sie in Ihrem Alltag reagieren. Sie wissen dann auch genauer, um welche positiven Emotionen und Gefühle Sie die inneren Bilder und Schlüsselworte für Ihren inneren

sicheren / ruhigen Ort ergänzen müssen. Sollten Sie beschließen, sich nach einer Therapeutin oder einem Therapeuten für eine EMDR-Therapie umzusehen, helfen diese Übungen Ihnen meistens auch, das Vorgespräch und die Vorbereitungen auf die Behandlung schneller zu absolvieren. Eine persönliche Therapie ist eine Partnerschaft mit einer Therapeutin oder einem Therapeuten mit Verantwortungsbewusstsein. Oder, wie eine Klientin es formulierte: »Meine Therapeutin ist das Geländer der Stufen, die ich erklimme.«

Anhang B Eine Therapeutin oder einen Therapeuten finden

EMDR ist eine Form von Psychotherapie, die aufgrund ihrer guten Erfolge bei der Behandlung von Traumata oder der Folgen von anderen schwierigen Ereignissen im Leben weltweit anerkannt ist. Die acht Phasen von EMDR sollen sicherstellen, dass die Emotionen, Gedanken und körperlichen Reaktionen der Klienten sich in eine gesunde Richtung entwickeln (siehe www.emdria.org / 8phases). Für jede Phase gibt es zahlreiche Verfahren und für verschiedene Probleme spezielle Vorgehensweisen. Die Fälle, von denen Sie in diesem Buch gelesen haben, haben gut ausgebildete Therapeutinnen und Therapeuten beigesteuert, die die Verarbeitungsmethoden anwenden, welche von der Forschung überprüft und anerkannt wurden. Es ist wichtig, dass die Therapeutin oder der Therapeut, für die Sie sich entscheiden, nach den gleichen Richtlinien arbeitet. Wichtig ist darauf zu achten, dass Ihre Therapeutin oder Ihr Therapeut eine Ausbildung gemacht hat, die vom Berufsverband für EMDR anerkannt wird. (Hierzulande ist dieser das von Dr. Arne Hofmann geleitete EMDR-Institut Deutschland, www.emdr-institut.de, siehe unten.) Die auf der nächsten Seite verzeichneten Organisationen führen Listen mit Therapeutinnen und Therapeuten, mit deren Hilfe Sie auch in Ihrer Region therapeutische Hilfe finden können. Es ist wichtig, deren Glaubwürdigkeit zu überprüfen, da manche Therapeutinnen oder Therapeuten unwissentlich an Ausbildungen teilgenommen haben, die dem offiziellen EMDR-Standard nicht entsprechen. So wird in den USA zum Beispiel ein Training angeboten, das nur ein Drittel der Zeit dauert, die für anerkannte Ausbildungen angesetzt wird. Eine EMDR-Therapie sollte nur von einer zugelassenen (oder supervisierten) Therapeutin durchgeführt werden, die in dieser Form von Therapie ausgebildet wurde. Nehmen Sie sich Zeit für ein gründliches Gespräch mit möglichen Therapeuten. Überzeugen Sie sich davon, dass sie ein gründliches Training in EMDR (das Basis-Training dauert mindestens sechs ganze Tage mit zusätzlicher Supervision) gemacht haben und auf dem neuesten Entwicklungsstand sind. Wie bei jeder Therapie ist eine entsprechende Ausbildung zwar obligatorisch, doch ist es wichtig, auch auf andere Faktoren zu achten. Wählen Sie eine Therapeutin oder einen Therapeuten, die eine gute Erfolgsrate mit EMDR vorweisen können. Achten Sie auch darauf, dass die Therapeutin mit der Behandlung Ihres speziellen Problems vertraut ist. Außerdem ist es wichtig, dass Sie diesem Menschen vertrauen können und mit ihm harmonieren. Führen Sie so viele Vorgespräche, wie Sie brauchen, um jemanden zu finden, der das nötige Wissen besitzt und der sich für Sie richtig anfühlt. Jeder Behandlungserfolg ist ein Ergebnis der Interaktion zwischen Therapeutin, Klientin und Therapie.

Fragen Sie: ❯ Haben Sie eine Ausbildung gemacht, die vom EMDR-Institut Deutschland anerkannt wird? ❯ Sind Sie informiert über die neuesten Verfahren und Entwicklungen? ❯ Gehen Sie auch nach den acht Phasen vor, die in offiziell zugelassenen Ausbildungen vermittelt werden und von der Forschung anerkannt sind? ❯ Wie viele Menschen mit meinem speziellen Problem oder meiner Störung haben Sie bereits behandelt? ❯ Wie hoch ist Ihre Erfolgsrate bei der Behandlung von anderen Klienten mit diesem Problem?

EMDR-Therapie und -Ausbildungen EMDRIA Deutschland e.V.

EMDR International Association Deutschland (EMDRIA Deutschland) ist der international anerkannte, gemeinnützige Fachverband für EMDR in Deutschland. Das Ziel von EMDRIADeutschland ist es, Qualitätsstandards in Praxis, Forschung und Ausbildung von EMDR festzulegen, aufrechtzuerhalten und zu verbreiten. Die Organisation widmet sich der Förderung laufender Ausbildungs-, Forschungs- und Entwicklungsprogramme auf dem Gebiet der EMDR-Therapie sowie der Unterstützung der EMDR-Therapeuten und -Therapeutinnen in Beruf und Ausbildung. Die Mitglieder sind Fachärzte und Fachärztinnen, psychologische PsychotherapeutInnen oder approbierte Kinder- und JugendtherapeutInnen, die eine anerkannte formelle Ausbildung in der EMDR-Methode erfahren, die sie in Forschung oder Therapie anwenden. Die Organisation bietet ihren Mitgliedern die Möglichkeit, sich durch jährliche Kongresse und Fachveröffentlichungen im EMDRIA-Rundbrief über neue Anwendungen und Forschungsergebnisse im Bereich der EMDR-Methode zu informieren. EMDRIA stellt eine im Internet abrufbare Liste von zertifizierten EMDR-TherapeutInnen zur Verfügung. Die anerkannten EMDR-TherapeutInnen können Sie an der Bezeichnung »EMDRTherapeut / in (EMDRIA)« erkennen. Diese können bei richtiger Indikation im Rahmen der Einbettung in ein Richtlinienverfahren mit den meisten Krankenkassen abrechnen. EMDRIA Deutschland e.V. Bergiusstr. 26, 22765 Hamburg Tel. 040 / 69 66 99 37 [email protected] www.EMDRIA.de Schwesterorganisationen

EMDR Schweiz Geschäftsstelle c / o Anita Enkelmann Bettenstr. 76, CH-8400 Winterthur [email protected] www.emdr-schweiz.org EMDR Netzwerk Österreich [email protected] www.emdr-netzwerk.at EMDR-Europe

In Europa bilden zurzeit 22 nationale EMDR-Organisationen die europäische Dachorganisation EMDR-Europe. EMDRIA Deutschland ist die anerkannte deutsche Organisation. Diese legt speziell die Standards im Bereich der EMDR-Trainer und Ausbildungen fest und akkreditiert Ausbilder und Ausbildungsprogramme. Eine Liste der qualifizierten Ausbilder und Ausbilderinnen (Trainer) ist nach Ländern geordnet auf der Website abrufbar. EMDR-Europa fördert Forschung und internationalen Austausch u. a. durch jährliche wissenschaftliche Fachtagungen und Forschungsmittel. www.emdr-europe.org Transnationale Schwesterorganisationen EMDRIA (USA) www.emdria.org EMDR Asien www.emdr-asia.org sowie die lateinamerikanische EMDR Organisation www.emdriberoamerica.org Das EMDR Institut Deutschland, Schweiz und Austria

Das von Dr. Francine Shapiro, der Begründerin der EMDR-Methode, geleitete EMDR Institute ist auch Anbieter einer von den internationalen EMDRIA-Organisationen anerkannten EMDRAusbildung. Das EMDR-Institut von Dr. Shapiro arbeitet weltweit mit qualifizierten Kooperationspartnern zusammen. Das erste von Dr. Shapiro im deutschsprachigen Raum anerkannte Partnerinstitut ist das EMDR-Institut Deutschland unter der Leitung von Dr. Arne Hofmann und Dipl.-Psych. Ute Hofmann. Das EMDR-Institut Deutschland und andere mittlerweile anerkannte Institute bieten eine zertifizierte EMDR-Ausbildung für ärztliche und psychologische PsychotherapeutInnen sowie approbierte Kinder- und JugendtherapeutInnen an. Geleitet werden die Ausbildungskurse von zertifizierten TrainerInnen, die in Praxis und Wissenschaft an hervorragender Stelle stehen. Die Ausbildungskandidaten werden in der Selbsterfahrung und praktischen Ausbildung zudem von erfahrenen AusbilderInnen unterstützt und durch Supervision begleitet. Für Informationen zu anerkannten Ausbildungen und Teilnahmebedingungen wenden Sie sich bitte an: EMDR Institut Deutschland Dolmanstraße 86b, 51427 Bergisch Gladbach Tel. 02204 / 25866 [email protected] www.emdr.de EMDR-Institut Schweiz Steigstr. 26, CH-8200 Schaffhausen Tel. +41 52 624 97 82 [email protected] www.iip.ch und www.emdr-institut-schweiz.ch EMDR-Institut Austria Brandströmstraße 7 / 7, A-3500 Krems Tel. und Fax 02732 / 71779 [email protected] [email protected] www.emdr-institut.at sowie an das EMDR-Institut in den USA EMDR Institute, Inc. PO Box 750, Watsonville, CA 95077 www.emdr.com

EMDR-Humanitarian Assistance Programs (HAP) HAP, eine gemeinnützige, nicht profitorientierte Organisation, ist ein globales Netzwerk von Therapeutinnen und Therapeuten, die überall dorthin reisen, wo emotionales Leiden gelindert und den psychischen Folgen von Trauma und Gewalt vorgebeugt werden muss. Die Organisation erhielt 2011 von der International Society for Traumatic Stress Studies (Internationale Gesellschaft für Untersuchungen über traumatischen Stress) den Sarah Haley Memorial Award für therapeutisch ausgezeichnete Leistungen. Das Ziel von HAP ist, den Kreislauf des Leidens, das menschliches Leben und Familien zerstört, zu durchbrechen. Bei HAP liegt das Hauptgewicht auf der Ausbildung und professionellen Unterstützung von lokalen Therapeutinnen und Therapeuten, um sicherzustellen, dass der Heilungsprozess weitergeht. Dieses Modell hat mehrere Vorteile. Indem wir lokale Therapeutinnen und Therapeuten in EMDR ausbilden, vermitteln wir ihnen eine effiziente und effektive Methode zur Behandlung der emotionalen Auswirkungen von Traumata. Die Fachleute, die bereits Teil einer Gemeinschaft sind, werden nicht durch von außen kommende Fachkräfte ersetzt. Vielmehr vermitteln wir ihnen eine wichtige Hilfsquelle, an die sie sich immer dann und dort anschließen können, wo sie es für richtig halten. Weil die Reaktionen auf traumatische Ereignisse manchmal verzögert auftreten und Menschen Probleme oft alleine zu lösen versuchen, bevor sie professionelle Unterstützung suchen, sorgt die Ausbildung lokaler Fachleute dafür, dass Menschen, wenn sie Hilfe suchen, auch jemanden finden. Auf diese Weise reicht die effektive psychologische Behandlung von Traumata weit über die jeweiligen traumatischen Ereignisse hinaus. HAP bietet Therapeuten und Therapeutinnen, die für öffentliche und nicht profitorientierte Einrichtungen arbeiten, in deren eigenen Gemeinden kostengünstige Ausbildungen in EMDR an. Einrichtungen, die dieses Training sponsern möchten, sollten direkt mit HAP Kontakt aufnehmen. Zusätzlich zu diesen Ausbildungen organisiert und koordiniert das HAP’s Trauma Recovery Network (Netzwerk für die Genesung von Traumata) therapeutische Hilfe für die Behandlung von Opfern und Erste Hilfe nach Krisen wie dem Bombenattentat in Oklahoma City und den terroristischen Angriffen am 11. September 2001. Seit dem Bombenattentat in Oklahoma City 1995 hat ein wachsendes Netzwerk von EMDR-HAP freiwilligen Helfern auf Notrufe aus allen Teilen der Welt reagiert, sei es nach Hurrikan Katrina, der schweren Flutkatastrophe in North Dakota, Erdbeben in der Türkei, Indien, China und Haiti, Hurrikans oder Überschwemmungen in ganz Lateinamerika oder Vulkanausbrüchen und Tsunamis in Asien. Wir haben ganzen Gemeinden geholfen, die durch Krieg und Terror traumatisiert waren, sei es in Palästina und Israel, Kroatien und Bosnien, Nordirland und Kenia, und auch Menschen, die in Äthiopien durch Epidemien geschwächt waren. Wir sind eingesprungen, wenn Bedarf war an psychischer Betreuung in Innenstädten von Bedford-Stuyvesant bis Oakland und für unterversorgte Bevölkerungsgruppen in ländlichen Gebieten und Stadtrandgebieten, in Reservaten der amerikanischen Ureinwohner, Ungarn, Polen, China, Südafrika, der Ukraine, Mexiko, Nicaragua oder El Salvador. Wir haben behandelt, ausgebildet und Samen für die Heilung gesät nach

Flugzeugabstürzen, Amokläufen an Schulen wie in Columbine High und Dunblane, Schottland, und den terroristischen Angriffen vom 11. September auf New York und Washington. Die freiwilligen Helferinnen und Helfer von EMDR-HAP spenden mindestens eine Woche therapeutische Behandlung oder Ausbildung pro Jahr, um Menschen in Not, die sich eine Therapie nicht leisten können, beizustehen. Wir sind jedoch auf Spenden angewiesen, um unsere Fachleute dorthin zu befördern, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Auch wenn einzelne Ausbildungen in Asien, auf dem Balkan und in Afrika von Organisationen wie International Relief Teams und Catholic Relief Services mitgefördert wurden, kommen die meisten Spenden ausschließlich von privaten Spenderinnen und Spendern. Wenn Sie noch mehr über HAP und unsere Leistungen erfahren möchten, besuchen Sie bitte unsere Webseite www.emdrhap.org Steuerlich absetzbare Spenden bitte an: EMDR-HAP 2911 Dixwell Avenue, Suite 201 Hamden, CT 06518, USA Phone: (203) 288–4450 / Fax: (203)288–4060

Anhang C EMDR: Ergebnisse der Traumaforschung und weiterführende Literatur

Eine erweiterte und kommentierte Liste mit zusätzlichen Untersuchungen finden Sie unter www.emdr.com / gpyp Auswahl aus den internationalen Behandlungsrichtlinien, die EMDR-Therapie als wirkungsvolle Methode der Traumabehandlung ausweisen American Psychiatric Association (2004). Practice guideline for the treatment of patients with acute stress disorder and posttraumatic stress disorder. Arlington, VA: American Psychiatric Association Practice Guidelines. Bleich, A., Kotler, M., Kutz, I. und Shalev, A. (2002). A position paper of the (Israeli) National Council for Mental Health: Guidelines for the assessment and professional intervention with terror victims in the hospital and the community. Jerusalem, Israel. California Evidence-Based Clearinghouse for Child Welfare (2010): Trauma Treatment for Children. http:// www.cebc4cw.org CREST (2003). The management of post traumatic stress disorder in adults. A publication of the Clinical Resource Efficiency Support Team of the Northern Ireland Department of Health, Social Services and Public Safety, Belfast. Department of Veterans Affairs & Department of Defense (2010). VA / DoD clinical practice guideline for the management of post-traumatic stress. Washington, DC: Veterans Health Administration, Department of Veterans Affairs and Health Affairs, Department of Defense. Office of Quality and Performance publications. Dutch National Steering Committee Guidelines Mental Health Care (2003). Multidisciplinary guideline for anxiety disorders. Quality Institute Health Care CBO / Trimbos Institute, Utrecht, Netherlands. Foa, E.B., Keane, T.M., Friedman, M.J. und Cohen, J.A. (2009). Effective treatments for PTSD: Practice guidelines of the International Society for Traumatic Stress Studies. New York: Guilford Press. INSERM (2004). Psychotherapy: An evaluation of three approaches. French National Institute of Health and Medical Research, Paris, France. National Collaborating Centre for Mental Health (2005). Posttraumatic stress disorder (PTSD): The management of adults and children in primary and secondary care. London: National

Institute for Clinical Excellence. Zur Einschätzung in Deutschland siehe Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie nach § 11 PsychThG – Gutachten zur wissenschaftlichen Anerkennung der EMDR-Methode (Eye-Movement-Desensitization and Reprocessing) zur Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung. In: Deutsches Ärzteblatt. 103(37)/ 2006. A2417 / B-2098 / C-2022, online unter http:// www.aerzteblatt.de / archiv / 52694 Randomisierte Studien über EMDR und Traumata Abbasnejad, M., Mahani, K.N., und Zamyad, A. (2007). Efficacy of »eye movement desensitization and reprocessing« in reducing anxiety and unpleasant feelings due to earthquake experience. Psychological Research, 9, 104–117. Ahmad, A., Larsson, B., und Sundelin-Wahlstein, V. (2007). EMDR treatment for children with PTSD; Results of a randomized controlled trial. Nord J Psychiatry 61, 349–54. Arabia, E., Manca, M.L., und Solomon, R.M. (2011). EMDR for survivors of life-threateningevents: Results of a pilot study. Journal of EMDR Practice and Research, 5, 2–13. Carlson, J., Chemtob, C.M., Rusnak, K., Hedlund, N.L., und Muraoka, M.Y. (1998). Eye movement desensitization and reprocessing (EMDR): Treatment for combat-related post-traumatic stress disorder. Journal of Traumatic Stress, 11, 3–24. Chemtob, C.M., Nakashima, J., und Carlson, J.G. (2002). Brief treatment for elementary school children with disaster-related PTSD: A field study. Journal of Clinical Psychology, 58, 99– 112. Cvetek, R. (2008). EMDR treatment of distressful experiences that fail to meet the criteria for PTSD. Journal of EMDR Practice and Research, 2, 2–14. de Roos, C., u. a. (2011). A randomised comparison of cognitive behavioural therapy (CTB) and eye movement desensitization and reprocessing (EMDR) in disaster exposed children. European Journal of Psychotraumatology, 2: 5694-doi: 10.3402 / ejpt.v2i0, 5694. Edmond, T., Rubin, A., und Wambach, K. (1999). The effectiveness of EMDR with adult female survivors of childhood sexual abuse. Social Work Research, 23, 103–16. Edmond, T., Sloan, L., und McCarty, D. (2004). Sexual abuse survivors’ perception of the effectiveness of EMDR and eclectic therapy: A mixed method study. Research on Social Work Practice, 14, 259–72. Hogberg, G., u. a. (2007). On treatment with eye movement desensitization and reprocessing of chronic post-traumatic stress disorder in public transportation workers: A randomized controlled study. Nordic Journal of Psychiatry, 61, 54–61. Ironson, G.I., Freund, B., Strauss, J.L., und Williams, J. (2002). Comparison of two treatments for traumatic stress: A community-based study of EMDR and prolonged exposure.

Journal of Clinical Psychology, 58, 113–28. Jaberghaderi, N., Greenwald, R., Rubin A., Dolatabadim, S., und Zand, S.O, (2004). A comparison of CBT and EMDR for sexually abused Iranian girls. Clinical Psychology and Psychotherapy, 11, 358–68. Karatzias, A., Power, K., McGoldricc, T., Brown, K., Buchanan, R., Sharp, D. und Swanson, V. (2006). Predicting treatment outcome on three measures for post-traumatic stress disorder. Euro Arch Psychiatry Clin Neuroscience, 20, 1–7. Kemp, M., Drummond, P., und McDermott, B. (2010). A wait-list controlled pilot study of eye movement desensitization and reprocessing (EMDR) for children with post-traumatic stress disorder (PTSD) symptoms from motor vehicle accidents. Clinical Child Psychology and Psychiatry, 15, 5–25. Lee, C., Gavriel, H., Drummond P., Richards, J., und Greenwald, R. (2002). Treatment of post-traumatic stress disorder: A comparison of stress inoculation training with prolonged exposure and eye movement desensitization and reprocessing. Journal of Clinical Psychology, 58, 1071–89. Marcus, S., Marquis, P., und Sakai, C. (1997). Controlled study of treatment of PTSD using EMDR in an HMO setting. Psychotherapy, 34, 307–15. Marcus, S., Marquis, P., und Sakai, C. (2004). Three- and 6-months follow-up of EMDR treatment of PTSD in an HMO setting. International Journal of Stress Management, 11, 195–208. Power, K.G., McGoldrick, T., Brown, K. u. a. (2002). A controlled comparison of eye movement desensitization and reprocessing versus exposure plus cognitive restructuring versus waiting list in the treatment of post-traumatic stress disorder. Journal of Clinical Psychology and Psychotherapy, 9, 299–318. Rothbaum, B. (1997). A controlled study of eye movement desensitization and reprocessing in the treatment of post-traumatic stress disordered sexual assault victims. Bulletin of the Minninger Clinic, 61, 317–34. Rothbaum, B.O., Astin, M.C. und Marsteller, F. (2005). Prolonged exposure versus eye movement desensitization (EMDR) for PTSD rape victims. Journal of Traumatic Stress, 18, 607– 16. Scheck, M., Schaeffer, J.A., und Gillette, C. (1998). Brief psychological intervention with traumatized young women. The efficacy of eye movement desensitization and reprocessing. Journal of Traumatic Stress, 11, 25–44. Shapiro, F. (1989). Efficacy of the eye movement desensitization procedure in the treatment of traumatic memories. Journal of Traumatic Stress, 2, 199–223. Soberman, G.B., Greenwald, R., und Rule, D.L. (2002). A controlled study of eye movement desensitization and reprocessing (EMDR) for boys with conduct problems. Journal of Aggression, Maltreatment, and Trauma, 6, 217–236. Taylor, S., u. a. (2003). Comparative efficacy, speed, and adverse effects of three PTSD treatments: Exposure therapy, EMDR, and relaxation training. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 71, 330–38.

Van der Kolk, B., Spinazzola, J., Blaustein, M., Hopper, J., Hopper E., Korn, D., und Simpson, W. (2007). A randomized clinical trial of EMDR, fluoxetine and pill placebo in the treatment of PTSD: Treatment effects and long-term maintenance. Journal of Clinical Psychiatry, 68, 37–46. Vaughan, K., Armstrong, M.F., Gold, R., O‹Connor, N., Jenneke, W., und Tarrier, N. (1994). A trial of eye movement desensitization compared to image habituation training and applied muscle relaxation in post-traumatic stress disorder. Journal of Behavior Therapy and Experimental Psychiatry, 25, 283–91. Wanders, F., Serra, M. und de Jongh, A. (2008). EMDR versus CBT for children with selfesteem and behavioral problems: A randomized controlled trial. Journal of EMDR Practice and Research, 2, 180–89. Wilson, S., Becker, L.A., und Tinker, R.H. (1995). Eye movement desensitization and reprocessing (EMDR): Treatment for psychologically traumatized individuals. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 63, 928–37. Wilson, S., Becker, L.A., und Tinker, R.H. (1997). Fifteen-month follow-up of eye movement desensitization and reprocessing (EMDR) treatment of post-traumatic stress disorder and psychological trauma. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 65, 1047–56. Wirkungsweise EMDR beinhaltet viele Verfahren und Elemente, die zur Wirkung der Behandlung beitragen. Während die dabei zur Anwendung kommenden Methoden bereits gründlich validiert wurden (siehe oben), sind in Bezug auf deren genaue Wirkungsweise noch einige Fragen offen. Da EMDR jedoch auch ohne zusätzliche Hausaufgaben oder die langfristige Ausrichtung von aufdeckenden Therapien therapeutische Wirkungen erzielt, richtet sich die Aufmerksamkeit auf die neurobiologischen Abläufe, die dadurch möglicherweise in Gang gesetzt werden. Auch wenn die Augenbewegungen (und andere duale Stimulationen der Aufmerksamkeit) nur ein Verfahrenselement darstellen, sind diese zum Gegenstand umfassender Forschungen geworden. Im Folgenden finden Sie eine Aufzählung von randomisierten, kontrollierten Untersuchungen zur Einschätzung der Wirkungsweise der Augenbewegungen als einer Komponente von EMDR. Eine kommentierte Liste finden Sie unter www.emdr.com / gyp Elofsson, U.O.E., von Scheele, B., Theorell, T., und Sondergaard, H.P. (2008). Physiological correlates of eye movement desensitization and reprocessing. Journal of Anxiety Disorders, 22, 622–34. Kapoula, Z., Yang, Q., Bonnet, A., Bourtoire, P., und Sandrett, H. (2010). EMDR effects on pursuit eye movements, PloS ONE 5(5): e10762.doi:10.1371 / journal.pone 0010762. Lee, C.W., Taylor, G., und Drummond, P.D. (2006). The active ingredient in EMDR: Is it traditional exposure or dual focus of attention? Clinical Psychology and Psychotherapy, 13, 97– 107.

Lilley, S.A., Andrade, J., Graham Turpin, G., Sabin-Farrell, R., und Holmes, E.A. (2009). Visuospatial working memory interference with recollections of trauma. British Journal of Clinical Psychology, 48, 309–21. MacClulloch, M.J., und Feldman, Pl. (1996). Eye movement desensitization treatment utilizes the positive visceral element of the investigatory reflex to inhibit the memories of post-traumatic stress disorder: A theoretical analysis. British Journal of Psychiatry, 169, 571–79. Propper, R., Pierce, J.P., Geisler, M.W., Christman, S.D., Bellorado, N. (2007). Effect of bilateral eye movements on frontal interhemispheric gamma EED coherence: Implications for EMDR therapy. Journal of Nervous and Mental Disease, 195, 785–88. Rogers, S., und Silver, S.M. (2002). Is EMDR an exposure therapy? A review of trauma protocols. Journal of Clinical Psychology, 58, 42–59. Rogers, S., Silver, S.M., Goss, J., Obenchain, J., Willis, A., und Whitney, R., (1999). A single session, controlled group study of flooding and eye movement desensitization and reprocessing in treating posttraumatic stress disorder among Vietnam veterans: Preliminary data. Journal of Anxiety Disorders, 13, 119–30. Sack, M., Hofmann, A., Wizelman, L., und Lempa, W. (2008). Psychophysiological changes during EMDR and treatment outcome. Journal of EMDR Practice and Research, 2, 239–46. Sack, M., Lempa, W., Steinmetz, A., Lamprecht F., und Hofmann, A. (2008). Alterations in autonomic tone during trauma exposure using eye movement desensitization and reprocessing (EMDR) – results of a preliminary investigation. Journal of Anxiety Disorders, 22, 1264–71. Wilson, D., Silver, S.M., Covi, W., und Foster, S. (1996). Eye movement desensitization and reprocessing: Effectiveness and autonomic correlates. Journal of Behaviour Therapy and Experimental Psychiatry, 27, 219–29. Randomisierte Untersuchungen von Hypothesen in Bezug auf Augenbewegungen Anrade, J., Kavanagh, D., und Baddeley, A. (1997). Eye-movements and visual imagery: A working memory approach to the treatment of post-traumatic stress disorder. British Journal of Clinical Psychology, 36, 209–23. Barrowcliff, A.L., Gray, N.S., Freeman, T.C.A., und MacCulloch, M.J. (2004). Eyemovements reduce the vividness, emotional valence and electrodermal arousal associated with negative autobiographical memories. Journal of Forensic Psychiatry and Psychology, 15, 325–45. Barrowcliff, A.L., Gray, N.S., Freeman, T.C.A., und MacCulloch, M.J. (2003). Horizontal rhythmical eye-movements consistently diminish the arousal provoked by auditory stimuli. British Journal of Clinical Psychology, 42, 289–302. Christman, S.D., Garvey, K.J., Propper, R.E., und Phaneuf, K.A. (2003). Bilateral eye movements enhance the retrieval of episodic memories. Neurophysiology 17, 221–29. Engelhard, I.M., van den Hout, M.A., Janssen, W.C., und van der Beek, J. (2010). Eye movements reduce vividness and emotionality of »flashforwards«. Behaviour Research and

Therapy, 48, 442–47. Engelhard, I.M., u. a. (2011). Reducing vividness and emotional intensity of recurrent »flashforwards« by taxing working memory: An analogue study. Journal of Anxiety Disorders, 25, 599–603. Gunter, R.W., und Bodner, G.E. (2008). How eye movements affect unpleasant memories: Support for a working memory account. Behaviour Research and Therapy, 46, 913–31. Hornsveld, H.K., Landwehr, F., Stein, W., Stomp, M., Smeets, S., und van den Hout, M.A. (2010). Emotionality of loss-related memories is reduced after recall plus eye movements but not after recall plus music or recall only. Journal of EMDC Practice and Research, 4, 106–12. Kavanagh, D.J., Freese, S., Andrade, J., und May, J. (2001). Effects of visuspatial tasks on desensitization to emotive memories. British Journal of Clinical Psychology, 40, 267–80. Kuiken, D., Bears, M., Miall, D., und Smith, L. (2001–2002). Eye movement desensitization reprocessing facilitates attentional orienting. Imagination, Cognition and Personality, 21, (1), 3–20. Kuiken, D., Chudleigh, M., und Racher, D. (2010). Bilateral eye movements, attentional flexibility and metaphor comprehension: The substrate of REM dreaming? Dreaming, 20, 227–47. Lee, C.W., und Drummond, P.D. (2008). Effects of eye movement versus therapist instructions on the processing of distressing memories. Journal of Anxiety Disorders, 22, 801–8. Maxfield, L., Melnyk, W.T., und Hayman, C.A.G. (2008). A working memory explanation for the effects of eye movements in EMDR. Journal of EMDR Practice and Research 2, 247–61. Parker, A., Buckley, S., und Dagnall, N. (2009). Reduced misinformation effects following saccadic bilateral eye movements. Brain and Cognition, 69, 89–97. Parker, A., und Dagnall, N. (2007). Effects of bilateral eye movement on gist based false recognition in the DRM paradigm. Brain and Cognition, 63, 221–5. Parker, A., Relph, S., und Dagnall, N. (2008). Effects of bilateral eye movement on retrieval of item, associative and contextual information. Neuropsychology, 22, 136–45. Samara, Z., Bernet, M., Elzinga, B.M., Slagter, H.A., und Nieuwenhuis, S., (2001). Do horizontal saccadic eye movements increase interhemispheric coherence? Investigation of a hypothesized neural mechanism underlying EMDR. Frontiers in Psychiatry doi: 10.3389 / fpsyt.2011.00004. Schubert, S.J., Lee, C.W., und Drummond, P.D. (2011). The efficacy and psychophysiological correlates of dual-attention tasks in eye movement desensitization and reprocessing (EMDR). Journal of Anxiety Disorders, 25, 1–11. Sharpley, D.F., Montgomery, I.M., und Scalzo, L.A. (1996). Comparative efficacy of EMDR and alternative procedures in reducing the vividness of mental images. Scandinavian Journal of Behaviour Therapy, 25, 37–42. Van denHout, M., Muris, P., Salemink E., und Kindt, M. (2001). Autobiographical memories become less vivid and emotional after eye movements. British Journal of Clinical Psychology, 40, 121–30.

Weitere psychophysische und neurobiologische Evaluierungen von Behandlungen mit EMDR Bossini, L., Fagiolini, A., und Castrogiovanni, P. (2007). Neuroanatomical changes after EMDR in posttraumatic stress disorder. Journal of Neuropsychiatry and Clinical Neuroscience, 19, 457–58. Kowal, J.A. (2005). QEEG analysis of treating PTSD and bulimia nervosa using EMDR. Journal of Neurotherapy 9 (Part 4), 114–15. Lamprecht, F., Kohnke, C., Lempa, W., Sack, M., Matzke, M., und Munte, T. (2004). Event-related potentials and EMDR treatment of post-traumatic stress disorder. Neuroscience Research, 49, 267–72. Lansing, K., Amen, D.G., Hanks, C., und Rudy, L. (2005). High resolution brain SPECT imaging and EMDR in police officers with PTSD. Journal of Neuropsychiatry and Clinical Neurosciences, 17, 526–32. Levin, P., Lazrove, S., und van der Kolk, A. (1999). What psychological testing and neuroimaging tell us about the treatment of posttraumatic stress by eye movement desensitization and reprocessing (EMDR). Journal of Anxiety Disorders, 13, 159–72. Oh, D. H., und Choi, J. (2004). Changes in the regional cerebral perfusion after eye movement desensitization and reprocessing: A SPECT study of two cases. Journal of EMDR Practice and Research, 1, 24–30. Ohtani, T., Matsuo, K., Kasai, K., Kato, T., und Kato, N. (2009). Hemodynamic responses of eye movement desensitization and reprocessing in posttraumatic stress disorder. Neuroscience Research, 65, 375–83. Pagani, M., u. a. (2007). Effects of EMDR psychotherapy on 99mTc-HMPAO distribution in occupation-related post-traumatic stress disorder. Nuclear Medicine Communications, 28, 757–65. Propper, R., Pierce, J.P., Geisler, M.W., Christman, S.D., und Bellorado, N. (2007). Effect of bilateral eye movements on frontal interhemispheric gamma EEG coherence: Implications for EMDR therapy. Journal of Nervous and Mental Disease, 195, 785–88. Richardson, R., Williams, S.R., Hepenstall, S., Gregory, L., McKie, S., und Corrigan, F. (2009). A single-case fMIR study EMDR treatment of a patient with posttraumatic stress disorder. Journal of EMDR Practice and Research, 3, 10–23. Sack, M., Lempa, W., und Lemprecht, W. (2007). Assessment of psychophysiological stress reactions during a traumatic reminder in patients treated with EMDR. Journal of EMDR Practice and Research, 1, 15–23. Sack, M., Nickel, L., Lempa, W., und Lamprecht, F. (2003). Psychophysiological regulation in patients suffering from PTSD: Changes after EMDR treatment. Journal of Psychotraumatology and Psychological Medicine, 1, 47–57 (deutsch).

Anhang D Ausgewählte Fachliteratur

In dieser Liste finden Sie eine Auswahl der für dieses Buch verwendeten Fachliteratur und weiterführender Literatur. Da die Themen sich überschneiden, gibt es für einige Kapitel eine kombinierte Liste. Für das gesamte Buch relevante Ergebnisstudien finden Sie in Anhang C. Die gesamte für dieses Buch zitierte Fachliteratur, die Hunderte von weiteren Titeln umfasst, finden Sie unter www.emdr.com / gpyp

Kapitel 1 und 2 Trauma und EMDR (Eine erweiterte Liste von kontrollierten Studien finden Sie in Anhang C.) American Psychiatric Association (2004). Practice guideline for the treatment of patients with acute stress disorder and posttraumatic stress disorder. Arlington, VA: American Psychiatric Association Practice Guidelines. Bisson, J., und Andrew, M. (2007). Psychological treatment of post-traumatic stress disorder (PTSD). Cochrane Database of Systematic Reviews 2007, Issue 3. Art. No.: CD003388. DOI:10.1002 / 14651858.CD003388.pub 3. Bossini, L., Fagiolini, A., und Castrogiovanni, P. (2007). Neuroanatomical changes after EMDR in posttraumatic stress disorder. Journal of Neuropsychiatry and Clinical Neuroscience, 19, 457–58. Department of Veterans Affairs und Department of Defense (2010). VA / DoD clinical practice guideline for the management of post-traumatic stress. Washington, DC: Veterans Health Administration, Department of Veterans Affairs and Health Affairs, Department of Defense. Office of Quality and Performance publication. Lansing, K., Amen, D.G., Hanks, C., und Rudy, L. (2005). High resolution brain SPECT imaging and EMDR in police officers with PTSD. Journal of Neuropsychiatry and Clinical Neurosciences, 17, 526–32. Levin, P., Lazrove, S., und van der Kolk, B.A. (1999). What psychological testing and neuroimaging tell us about the treatment of posttraumatic stress disorder (PTSD) by eye movement desensitization and reprocessing (EMDR). Journal of Anxiety Disorders, 13, 159–72. Marcus, S., Marquis, P., und Sakai, C. (1997). Controlled study of treatment of PTSD using EMDR in an HMO setting. Psychotherapy 34, 37–15.

National Collaborating Centre for Mental Health (2005). Post traumatic stress disorder (PTSD): The management of adults and children in primary and secondary care. London: National Institute for Clinical Excellence. Ohtani, T., Matsuo, K., Kasai, K., Kato, T. und Kato, N. (2009). Hemodynamic responses of eye movement desensitization and reprocessing in posttraumatic stress disorder. Neuroscience Research, 65, 375–83. Rodenburg, R., Benjamin, A., de Roos, C., Meijer, A.M., und Stams G.J. (2009). Effects of EMDR in children. A meta-analysis. Clinical Psychology Review, 29, 599–606. Rothbaum, B. (1997). A controlled study of eye movement desensitization and reprocessing in the treatment of post-traumatic stress disordered sexual assault victims. Bulletin of the Menninger Clinic, 61, 317–34. Shapiro, F. (1989). Efficacy of the eye movement desensitization procedure in the treatment of traumatic memories. Journal of Traumatic Stress, 2, 199–223. Shapiro, F. (2012). EMDR – Grundlagen und Praxis. Paderborn: Junfermann. Wilson, S., Becker, L.A., und Tinker, R.H. (1997). Fifteen-month follow-up of eye movement desensitization and reprocessing (EMDR) treatment of post-traumatic stress disorder and psychological trauma. Journal of Consulting and Clinical Psychology 65, 1047–56. Belastende Erlebnisse, posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und andere Symptome Arseneault, L., Cannon, M., Fisher, H.L., Polansczyk, G., Moffitt, T.E., und Caspi, A. (2011). Childhood trauma and children’s emerging psychotic symptoms: A genetically sensitive longitudinal cohort study. Am J Psychiatry, 158, 65–72. Bodkin, J.A., Pope, H.G., Detke, M.J., und Hudson, J. I. (2007). Is PTSD caused by traumatic stress? Journal of Anxiety Disorders, 21, 176–82. Boyce, W.T., Essex, M.J., Alkon, A., Goldsmith, H.H., Kraemer, H.C. und Kupfer, D.J. (2006). Early father involvement moderates biobehavioral susceptibility to mental health problems in middle childhood. Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry, 45, 1510–20. Champagne, F.A. (2010). Early adversity and developmental outcomes: Interaction between genetics, epigenetics, and social experiences across the life span. Perspectives on Psychological Science, 5, 564–74. Felitti, V.J., Anda, R.F., Nordenberg, D., Williamson, D.F., Spitz, A. M., Edwards V., u. a. (1998). Relationship of childhood abuse and household dysfunction to many of the leading causes of death in adults: The adverse childhood experiences (ACE) study. American Journal of Preventive Medicine, 14, 245–58. Mol, S.S.L., Arntz, A., Metsemakers, J.F.M., Dinant, G., Vilters-Van Montfort, P. A. P., und Knottnerus, A. (2005). Symptoms of post-traumatic stress disorder after non-traumatic events: Evidence from an open population study. British Journal of Psychiatry, 185, 494–99.

Obradovic, J., Bush, N.R., Stamperdahl, J., Adler, N.E., und Boyce, W.T. (2010). Biological sensitivity to context: The interactive effects of stress reactivity and family adversity on socioemotional behaviour and school readiness. Child Development, 1, 270–89. Teicher, M. H., Samson, J. A., Sheu, Y-S., Polcari, A., und McGreenery C.E. (2010). Hurtful words: Association of exposure to peer verbal abuse with elevated psychiatric symptom scores and corpus callosum abnormalities. Am J Psychiatry, 167, 1464–71. Gedächtnis, Informationsverarbeitung, Augenbewegungen und REM-Schlaf (Eine weitere Liste von Untersuchungen über Augenbewegungen finden Sie in Anhang C.) Duvari, S., und Nader, K. (2004). Characterization of fear memory reconsolidation. Journal of Neuroscience, 24, 9269–75. Foa, E.B., Huppert, J.D., und Cahill, S.P. (2006). Emotional processing theory: An Update. In: B.O. Rothbaum (Hrsg.). Pathological Anxiety: Emotional processing in etiology and treatment. New York: Guilford. Le Doux, J. (2006). Das Netz der Persönlichkeit. München: dtv. Llinas, R.R., und Ribary, U. (2001). Consciousness and the brain: The thalamo-cortical dialogue in health and disease. Annals of the New York Academy of Science, 929, 166–75. Schubert, S. J., Lee, C. W., und Drummond, P.D. (2011). The efficacy and psychophysiological correlates of dual-attention tasks in the eye movement desensitization and reprocessing (EMDR). Journal of Anxiety Disorders, 25, 1–11. Shapiro, F. (2007). EMDR, adaptive information processing, and case conceptualization. Journal of EMDR Practice and Research, 1, 68–87. Singer, W. (2001). Consciousness and the binding problem. Annals of the New York Academy of Sciences, 929, 123–46. Stickgold, R. (2008). EMDR: A putative neurobiological mechanism of action. Journal of Clinical Psychology, 58, 61–75. Stickgold, R. (2008). Sleep-dependent memory processing and EMDR action. Journal of EMDR Practice and Research, 2, 289–99. Suzuki, A., u. a. (2004). Memory reconsolidation and extinction have distinct temporal and biochemical signatures. Journal of Neuroscience, 24, 4787–95. Tronson, N. C., und Taylor, J.R. (2007). Molecular mechanisms of memory reconsolidation. Nature, 8, 262–75. Van der Kolk, B.A. (2002). Trauma und Gedächtnis. In: B.A. van der Kolk, A.D. McFarlane und L. Weisaeth (Hrsg.). Traumatic Stress. Grundlagen und Behandlungsansätze. Paderborn: Junfermann. Walker, M.P., und Stickgold, R. (2010). Overnight alchemy: Sleep-dependent memory evolution. Nature Reviews Neuroscience, 11, 218–219. Transkripte von EMDR-Sitzungen

Popky, A.J., und Levin, C. (1994). (Transkript einer EMDR-Behandlungssitzung) MRI EMDR Research Center, Palo Alto, CA. Das vollständige Sitzungsprotokoll finden Sie in: Shapiro, F. (2002). Paradigms, processing and personality development in Shapiro, F. (Hrsg.). EMDR as an integrative psychotherapy approach: Experts of diverse orientation explore the paradigm prism. Washington, Washington D.C.: American Psychological Association Press.

Kapitel 3 und 4 Verschiedene Therapieansätze Barlow, D. H. (Hrsg.). Clinical handbook of psychological disorders. Fourth edition: A step-by-step treatment manual. New York: Guilford Press. Cloitre, M., Cohen, L.R., und Koenen, K.C. (2006). Treating survivors of childhood abuse: Psychotherapy for the interrupted life. New York: Guilford Press. Craske, M., Herman, D., und Vansteenwegen, D. (Hrsg.) (2006). Fear and learning: From basic processes to clinical implications. Washington, D.C.: APA Press. Foa, E.B., Huppert, J.D., und Cahill, S.P. (2006). Emotional processing theory: An update. In: B.O. Rothbaum (Hrsg.). Pathological anxiety. Emotional processing in etiology and treatment. New York: Guilford. Frederickson, J. (1999). Psychodynamic psychotherapy: Learning to listen from multiple perspectives. New York: Routledge. McWilliams, N. (1999). Assessing pathogenic beliefs. In: Psychoanalytic case formulations. New York: Guilford Press 180–99. Shapiro, F. (Hrsg.) (2002). EMDR as an integrative psychotherapy approach: Experts of diverse orientations explore the paradigm prism. Washington, D.C.: American Psychological Association Press. Shapiro, F. (2012). EMDR – Grundlagen und Praxis. Paderborn: Junfermann. Solomon, M.F., Neborsky, R.J., McCullough, L., Alpert, M., Shapiro, F., und Malan, D. (2001). Short-term therapy for long-term-change. New York: Norton. Weiner, I., und Craighead, W.E. (Hrsg.). The Corsini encyclopedia of psychology (4th edition). Hoboken, NJ: Wiley. Wolpe, J. (1977). Praxis der Verhaltenstherapie. Bern: Huber. Genetik, Lebenserfahrung und psychische Probleme Arseneault, L., Cannon, M., Fisher, H.L., Polanczyk, G., Moffitt, T.E., und Caspi, A. (2011). Childhood trauma and children’s emerging psychotic symptoms: A genetically sensitive longitudinal cohort study. Am J Psychiatry, 168, 65–72.

Brown, G.W. (1998). Genetic and population perspectives on life events and depression. Soc Psychiatry Epidemiol, 33, 363–72. Boyce, W.T., Essex, M.J., Alkon, A., Goldsmith, H.H., Kraemer, H.C., und Kupfer, D.J. (2006). Early father involvement moderates biobehavioral susceptibility to mental health problems in middle childhood. Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry, 45, 1510– 20. Caspi, A., Sudgen, K., Moffitt, T.E., Taylor, A., Craig, I.W., Harrington, H., u. a. (2003). Influence of life stress on depression. Moderation by a polymorphism in the 5-htt gene. Science, 18, 386–89. Champagne, F.A. (2010). Early adversity and developmental outcomes: Interaction between genetics, epigenetics, and social experiences across the life span. Perspectives on Psychological Science, 5, 564–74. Ellis, B. J., Essex, M.J., und Boyce, W.T. (2005). Biological sensitivity to context: An evolutionarydevelopmental theory of the origins and functions of stress reactivity. Developmental and Psychopathology, 17, 271–301. Felitti, V.J., Anda, R.F., Nordenberg, D., Williamson, D.F., Spitz, A. M., Edwards V., u. a. (1998). Relationship of childhood abuse and household dysfunction to many of the leading causes of death in adults: The adverse childhood experiences (ACE) study. American Journal of Preventive Medicine, 14, 245–58. Foa, E.B., Huppert, J.D., und Cahill, S.P. (2006). Emotional processing theory: An update. In: Rothbaum, B.O. (Hrsg.). Pathological anxiety: Emotional processing in etiology and treatment. New York: Guilford. Kendler, K.S. (1998). Major depression and the environment: A psychiatric genetic perspective. Pharmacopsychiatry 31, 5–19. Kendler, K.S., Hettema, J.M., u. a. (2003). Life event dimensions of loss, humiliation entrapment, and danger in the prediction of onsets of major depression and generalized anxiety. Arch Gen Psychiatry, 60, 789–96. Luk, J.W., Wang, J., und Simon-Morton, B.G. (2010). Bullying victimization and substance use among U.S. adolescents: Mediation by depression. Preventions Science,11, 355–59. Meaney, M.J. (2001). Maternal care, gene expression, and the transmission of individual differences in stress reactivity across generations. Annual Review of Neuroscience, 24, 1161–92. Obradovic, K., Bush, N.R., Stamperdahl, J., Adler, N.E., und Boyce, W.T. (2010). Biological sensitivity to context: The interactive effects of stress reactivity and family adversity on socioemotional behaviour and school readiness. Child Development, 81, 270–89. Pine, D. S., Cohen, P., Johnson, J.G., und Brook, J.S. (2002). Adolescent life events as predictors of adult depression. J Affect Disord., 68, 49–57. Siegel, Daniel (2010). Wie wir werden, die wir sind. Neurobiologische Grundlagen subjektiven Erlebens. Die Entwicklung des Menschen in Beziehungen. Paderborn: Junfermann. Van der Kolk, B.A. (2002). Trauma und Gedächtnis. In: B.A. van der Kolk, A.D. McFarlane und L. Weisaeth (Hrsg.). Traumatic Stress. Grundlagen und Behandlungsansätze. Paderborn: Junfermann.

Schmetterlingsumarmung und EMDR-Gruppentherapie Fernandez, I., Gallinari, E., und Lorenzetti, A. (2004). A school-based EMDR intervention for children who witnessed the Pirelli building airplane crash in Milan, Italy. Journal of Brief Therapy, 2, 129–136. Jarero, I., Artigas, L., und Hartung J. (2006). EMDR integrative group treatment protocol: A postdisaster trauma intervention for children and adults. Traumatology, 12, 121–29. Zaghrout-Hodali, M., Alissa, F., und Dodgson, P.W. (2008). Building resilience and dismantling fear: EMDR group protocol with children in an area of ongoing trauma. Journal of EMDR Practice and Research, 2, 106–113. EMDR-Therapie im Vergleich mit Antidepressiva Van der Kolk, B., Spinazzola, J., Blaustein, M., Hopper, J., Hopper, E., Korn, D., und Simpson, W. (2007). A randomized clinical trial of EMDR, fluoextine and pill placebo in the treatment of PTSD: Treatment effects and long-term maintenance. Journal of Clinical Psychiatry, 68, 37–46. EMDR-Therapie für Kriegsveteranen Carlson, J., Chemtob, C.M., Rusnak, K., Hedlung, N. L. und Muraoka, M.Y. (1998). Eye movement desensitization and reprocessing (EMDR): Treatment for combat-related post-traumatic stress disorder. Journal of Traumatic Stress, 11, 3–24. Silver, S.M., und Rogers, S. (2002). Light in the heart of darkness: EMDR and the treatment of war and terrorism survivors. New York: Norton. Silver, S. M., Rogers, S. und Russell, M.C. (2008). Eye movement desensitization and reprocessing (EMDR) in the treatment of war veterans. Journal of Clinical Psychology: In Session, 64, 947–57.

Kapitel 5 und 6 Bindung, Elternverhalten, Trauma und Vernachlässigung Ainsworth, M.D.S. (1982). Attachment: Retrospect and prospect. In C.M. Parkes und J. StevensonHinde (Hrsg.): The place of attachment in human behavior (S. 3–29). New York: Tavistock Publications. Bowlby, J. (1989). The role of attachment in personality development and psychopathology. In S.I. Greenspan und G.H. Pollack (Hrsg.): The course of life: Vol. 1. (119–136). Madison: International Universities Press. Dozier, M., Stovall, K.C., und Albus, K.E. (1999). Attachment and psychopathology in adulthood. In J. Cassidy und P.R. Shaver (Hrsg.): Handbook of attachment: Theory, research, and clinical applications (497–519). New York: Guilford Press.

Kennell, J.H., und Klaus, M.H. (1998). Bonding: Recent observations that alter perinatal care. Pediatric Review, 19, 4–12. Klaus, M.H., Jerauld, R., Kreger, N., MacAlpine, W., Steffa, M., und Kennell, J.H. (1972). Maternal attachment: Importance of the first post-partum days. New England Journal of Medicine, 286, 460– 463. Lyons-Ruth, K., Alpern, L., und Repacholi, L., (1993). Disorganized infant attachment classification and maternal psychosocial problems as predictors of hostile-aggressive behaviour in the preschool classroom. Child Development, 64, 572–85. Madrid, A., (2007). Repairing maternal-infant bonding failures. In F. Shapiro, F. Kaslow, und L. Maxfield (Hrsg.): Handbook of EMDR and family therapy processes (S. 131). New York: Wiley. Main, M., und Hesse, E. (1990). Parents unresolved traumatic experiences are related to infant disorganized attachment status: Is frightened and / or frightening parental behavior the linking mechanism? In M. Greenberg, D. Cichetti, und M. Cummings (Hrsg.): Attachment in the preschool years (S. 161–82). Chicago: University of Chicago Press. Pietromonaco, P.R., Greenwood, D., und Barrett, L.F. (2004). Conflict in adult close relationships: An attachment perspective. In W. S. Rholes und J.A. Simpson (Hrsg.): Adult attachment: Theory, research, and clinical implications (S. 267–99). New York: Guilford Press. Porges, S.W. (2003). Social engagement and attachment: A phylogenetic perspective. Ann NY Acad Sci, 1008, 31–47. Schore, A., (1994). Affect regulation and the origins of the self: The neurobiology of emotional development. Hillsdale, NY: Lawrence Erlbaum Associates. Shapiro, F. (2007). EMDR and case conceptualization from an adaptive information processing perspective. In F. Shapiro, F. Kaslow, und L. Maxfield (Hrsg.): Handbook of EMDR and family therapy processes. New York: Wiley. Shapiro, F., und Laliotis, D. (2011). EMDR and the adaptive information processing model: Integrative treatment and case conceptualization. Clinical Social Work Journal, 39, 91–200. Shapiro, F., und Maxfield, L. (2002). EMDR: Information processing in the treatment of trauma. In Session: Journal of Clinical Psychology, Special Issue: Treatment of PTSD, 58, 933–46. Siegel, Daniel (2010): Wie wir werden, die wir sind. Neurobiologische Grundlagen subjektiven Erlebens. Die Entwicklung des Menschen in Beziehungen. Paderborn: Junfermann. Siegel, D.J., und Hartzell, M. (2004): Gemeinsam leben, gemeinsam wachsen: Wie wir uns selbst besser verstehen und unsere Kinder einfühlsamer ins Leben begleiten können. Freiamt im Schwarzwald: Arbor. Van Ijzendoorn, M.H. (1992). Intergenerational transmission of parenting: A review of studies in nonclinical populations. Developmental Review, 12, 76–99. Waters, E., Merrick, S.K., Treboux, D., Crowell, J., und Albersheim, L. (2000). Attachment security in infancy and early adulthood: A twenty-year longitudinal study. Child Development, 71, 684–89. Wesselmann, D. (2007). Treating attachment issues through EMDR and a family systems approach. In F. Shapiro, F. Kaslow, und L. Maxfield (Hrsg.): Handbook of EMDR and family therapy

processes (S. 131), New York: Wiley. Gedächtnis, Wahrnehmung und Trauma Bower, G.H. (1981). Mood and memory. American Psychologist, 36, 129–48. Heller, W., Etienne, H.A., und Miller, G.A. (1995). Patterns of perceptual asymmetry in depression and anxiety: Implications for neuropsychological models of emotion. Journal of Abnormal Psychology, 104, 327–33. Herman, J. (2010). Die Narben der Gewalt. Traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden. Paderborn: Junfermann. Van der Kolk, B.A., McFarlane, A., und Weisaeth, L. (2002), Traumatic Stress. Grundlagen und Behandlungsansätze. Paderborn: Junfermann. Die Behandlung von Phobien Craske, M., Herman, D., und Vansteenwegen, D. (Hrgs.) (2006). Fear and learning: From basic processes to clinical implications. Washington, D.C: APA Press. Davey, G.C. L. (1997). Phobias: A Handbook of theory, research and treatment. New York: John Wiley and Sons. De Jongh, A., und ten Broeke, E. (2007). Treatment of specific phobias with EMDR: Conceptualization and strategies for the selection of appropriate memories. Journal of EMDR Practice and Research, 1, 46–56. Shapiro, F. (2012). EMDR – Grundlagen und Praxis. Paderborn: Junfermann. Zimmar, G., Hersen, M., und Sledge, W. (Hrsg.) (2002). Encyclopedia of psychotherapy. New York: Academic Press. Erhöhte Reaktivität auf die Umgebung Essex, M.J., Klein, M. H., Cho, E., und Kalin, N.H. (2002). Maternal stress beginning in infancy may sensitize children to later stress exposure: Effects on cortisol and behavior. Biol Psychiatry, 52, 776–84. Meaney, M.J. (2001). Maternal care, gene expression, and the transmission of individual differences in stress reactivity across generations. Annual Review of Neuroscience, 24, 1161–92. Obradovic, J., Bush, N.R., Stamperdahl, J., Adler, N.E., und Boyce, W.T. (2010). Biological sensitivity to context: The interactive effects of stress reactivity and family adversity on socioemotional behaviour and school readiness. Child Development, 1, 270–89. Genetik, Lebenserfahrungen und psychische Probleme Siehe Kapitel 3 und 4. EMDR-Trauma-Behandlung

(Eine umfassendere Liste von Literatur über Trauma-Forschung finden Sie in Anhang C.) Carlson, J., Chemtob, C.M., Rusnak, K., Hedlung, N. L. und Muraoka, M.Y. (1998). Eye movement desensitization and reprocessing (EMDR): Treatment for combat-related post-traumatic stress disorder. Journal of Traumatic Stress, 11, 3–24. Edmond, T., Rubin, A., und Wambach, K. (1999). The effectiveness of EMDR with adult female survivors of childhood sexual abuse. Social Work Research, 23, 103–116. Edmond, T., Sloan, L., und McCarty, D. (2004). Sexual abuse survivors perceptions of the effectiveness of EMDR and eclectic therapy: A mixed-methods study. Research on Social Work Practice, 14, 269–72. Rothbaum, B. (1997). A controlled study of eye movement desensitization and reprocessing in the treatment of post-traumatic stress disordered sexual assault victims. Bulletin of the Menninger Clinic, 61, 317–34. Russell, M.C., Silver, S.M., Rogers, S., und Darnell J. (2007). Responding to an identified need: A joint Department of Defense-Department of Veterans Affairs training program in eye movement desensitization and reprocessing (EMDR) for clinicians providing trauma services. International Journal of Stress Management, 14, 61–71. Russell, M.C. (2008). War-related medically unexplained symptoms. Prevalence and treatment: Utilizing EMDR within the armed services. Journal of EMDR Practice and Research, 2, 212–26. Silver, S.M., und Rogers, S. (2002). Light in the heart of darkness: EMDR and the treatment of war and terrorism survivors. New York: Norton. Silver, S. M., Rogers, S. und Russell, M.C. (2008). Eye movement desensitization and reprocessing (EMDR) in the treatment of war veterans. Journal of Clinical Psychology: In Session, 64, 947–57. Shapiro, F. (2012). EMDR – Grundlagen und Praxis. Paderborn: Junfermann. Shapiro, F., und Maxfield, L. (2002). EMDR: Information processing in the treatment of trauma. In Session: Journal of Clinical Psychology, Special Issue: Treatment of PTSD, 58, 933–46. Solomon, R., und Shapiro, F. (2012). EMDR and adaptive information processing: The development of resilience and coherence. In K. Gow und M. Celinski (Hrsg.). Individual Trauma: Recovering from deep wounds and exploring the potential for renewal. New York: Nova Science Publishers. Wesson, M., und Gould, M. (2009). Intervening early with EMDR on military operations: A case study. Journal of EMDR Practice and Research, 3, 91–97.

Kapitel 7 Die körperlichen Auswirkungen von Stress und Trauma Altemus, M., Dhabhar, F.S., und Yang, R. (2006). Immune functions in PTSD. Ann. N.Y. Acad.Sci. 1071, 167–83.

Arabia, E., Manca, M. L., und Solomon, R.M. (2001). EMDR for survivors of life threatening cardiac events: Results of a pilot study. Journal of EMDR Research and Practice, 5, 2–13. Boynton-Jarrett, R., Rich-Edwards, J.W., Jun, H-J., Hibert, E.N., und Wright, R.J. (2010). Abuse in childhood and risk of uterine leiomyoma: The role of emotional support in biologic resilience. Epidemiology, 9, DOI: 10.1097 / EDE.Ob013e3181ffb172. Chemtob, C.M., Nakashima, J., und Carlson, J.G. (2002). Brief-treatment for elementary school children with disaster-related PTSD: A field study. Journal of Clinical Psychology, 58, 99–112. Cummings, N.A., und van den Bos, N. (1981). The twenty year Kaiser Permanente experience with psychotherapy and medical utilization: Implications of national health policy and national health insurance. Health Policy Quarterly, 2, 159–75. Dew, M.A., Kormos, R.L., Roth, L.H., Murali, S., DiMartini, A., und Griffith, B.P. (1999). Early post-transplant medical compliance and mental health predict physical morbidity and mortality one to three years after heart transplantation. Journal of Heart und Lung Transplantation, 18, 549–62. Grossharth-Maticek, R., und Eysenck, H.J. (1995). Self-regulation and mortality from cancer, coronary heart disease and other causes: A perspective study. Personality and Individual Differences, 19, 781–95. Gupta, M., und Gupta, A. (2002). Use of eye movement desensitization and reprocessing (EMDR) in the treatment of dermatologic disorders. Journal of Cutaneous Medicine and Surgery, 6, 415–21. Kelley, S. D. M., und Selim, B. (2007). Eye movement desensitization and reprocessing in the psychological treatment of trauma-based psychogenic non-epileptic seizures. Clinical Psychology and Psychotherapy, 14, 135. Kusumowardhani, R. (2010). Safe place and light stream stabilization techniques during patients newly diagnosed with HIV. Presentation at the EMDR-Asia Association Conference, Bali, Indonesia, July 2010. Roelofs, K., und Spinhoven, P. (2007): Trauma and medically unexplained symptoms. Clinical Psychology Review, 27, 798–820. Servan-Schreiber, D. (2006). Die neue Medizin der Emotionen – Stress, Angst, Depressionen: Gesund werden ohne Medikamente. München: Goldmann. Shapiro, F. (1989). Efficacy of the eye movement desensitization procedure in the treatment of traumatic memories. Journal of Traumatic Stress, 2, 199–223. Shapiro, F. (2012). EMDR – Grundlagen und Praxis. Paderborn: Junfermann. Shemesh, E., Yehuda, R., Milo, O., Dinur, I., Rudnick, A., Vered, Z., u. a. (2004). Post-traumatic stress, nonadherence, and adverse outcome in survivors of a myocardial infarction. Psychosomatic Medicine, 66, 521–26. Thombs, B. D., de Jonge, P., Coyne, J.C., Hooley, M.A., Frasure-Smith, N., Mitchell, A. J. u. a. (2008). Depression, screening and patient outcomes in cardiovascular care: A systematic review. JAMA, 300, 2161–71. van der Kolk, A.D. McFarlane und L. Weisaeth (Hrsg.): Traumatic Stress. Grundlagen und Behandlungsansätze. Paderborn: Junfermann.

Panikstörungen Craske, M.G., Roy-Byrne, P., Stein, M.B., Donald-Sherbourne, C., Bystritsky, A., Katon, W., u. a. (2002). Treating panic disorder in primary care: A collaborative care intervention. General Hospital Psychiatry, 24, 148–55. De Beurs, E., Balkom, A.J. M., Van Dijck, R., und Lange, A. (1999). Long-term outcome of pharmacological and psychological treatment for panic disorder with agoraphobia: A two year naturalistic follow-up. Acta Psychiatrica Scandinavia, 99, 59–57. Fernandez, I., und Faretta, E. (2007). EMDR in the treatment of panic disorder with agoraphobia. Clinical Case Studies, 6, 44–63. Freske, U., und Goldstein, A. (1997). Eye movement desensitization and reprocessing treatment for panic disorder: A controlled outcome and partial dismantling study. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 36, 1026–35. McNally, R. J., und Lukach, B.M. (1992). Are panic attacks traumatic stressors? American Journal of Psychiatry, 149, 824–26. Oppenheimer, K., und Frey, J. (1993). Family transitions and developmental processes in panic disordered patients. Family Process, 23, 341–52. Raskin, M., Peeke, H.V.S., Dikman, W., und Pinker, H. (1982). Panic and generalized anxiety disorders: Developmental antecedents and precipitants. Archives of General Psychiatry, 39, 687–89. Asthma bei Kindern Klaus, M.H., und Kennell, J.H. (1976). Maternal-infant bonding. New York: Mosby. Madrid, A. (2007). Repairing maternal-infant bonding failures. In F. Shapiro, F. Kaslow, und L. Maxfield (Hrsg.): Handbook of EMDR and family therapy processes (S. 131–45). New York: Wiley. Madrid, A., und Pennington, D. (2000). Maternal-infant bonding and asthma. Journal of Prenatal and Perinatal Psychology and Health, 14, 279.89. Suglia, S.F., Enlow, M.B., Kullowatz, A., und Wright, R.J. (2009). Maternal intimate partner violence and increased asthma incidence in children: Buffering effects of supportive caregiving. Arch Pediatr Adoesc Med, 163, 244–50. Wright, R.J. (2007). Prenatal maternal stress and early caregiving experiences: Implications for childhood asthma risk. Paediatr Perinat Epidemiol, 21 (suppl3), 8–14. Wright, R.J., Cohen, S., Carey, V., Weiss, S., und Gold, D. (2002). Parental stress as a predictor of wheezing in infancy: A prospective birth-cohort study. Am J Respir Crit Care Med., 165, 358–65. Phantomschmerzen und andere Schmerzen De Roos, C. u. a. (2010). Treatment of chronic phantom limb pain (PLP) using a trauma-focused psychological approach. Pain Research and Management, 15, 65–71. Flor, H. (2002). Phantom pain: Characteristics, causes and treatment. Lancet Neurol, 1, 182–89.

Grant, M., und Threlfo, C. (2002). EMDR in the treatment of chronic pain. J Clin Psychol, 58, 1505– 20. Halbert, J., Crotty, M., und Cameron, I.D. (2002). Evidence for optimal management of acute and chronic phantom pain: A systematic review, Clin J Pain, 18, 84–92. Melzack, R. (1992). Phantom limbs, Sci Am, 226, 210–26. Ramachandran, V.S., und Hirstein, W. (1998). The perception of phantom limbs. Brain, 121, 1603. Ray, A.L. und Zbik, A. (2001). Cognitive behavioral therapies and beyond. In C.D. Tollison, J.R. Satterwhaite, und J.W. Tollison (Hrsg.): Practical pain management, 3rd edition (189–208). Philadelphia: Lippincott. Rome H., und Rome, J. (2000). Limbically augmented pain syndrome (LAPS): Kindling, cortolimbic sensitization and convergence of affective and sensory symptoms. In chronic pain disorders. Pain Med, 1, 7–23. Schneider, J., Hofmann, A., Rost, C., und Shapiro, F. (2008). EMDR in the treatment of chronic phantom limb pain. Pain Medicine, 9, 76–82. Sherman, R.A. (1997). Phantom pain. New York: Plenum Press. Körperwahrnehmung Brown, K.W., McGoldrick, T., und Buchanan, R. (1997). Body dysmorphic disorder: Seven cases treated with eye movement desensitization and reprocessing. Behavioural and Cognitive Psychotherapy, 25, 203–7. Buhlmann, U., Cook, L. M., Fama, J.M., und Wilhelm, S. (2007). Perceived teasing experiences in body dysmorphic disorder. Body Image, 4, 381–31. Lochner, C., und Stein, D.J. (2003). Olfactory reference syndrome: Diagnostic criteria and differential diagnosis. Journal of Postgraduate Medicine, 49, 328–31. McGoldrick, T., Begum, M., und Brown, K.W. (2008). EMDR and olfactory reference syndrome: A case series. Journal of EMDR Practice and Research, 2, 63–68. Osman, S., Copper, M., Hackmann, A., und Veale, D. (2004). Spontaneaously occurring images and early memories in people with body dysmorphic disorder. Memory, 12, 428–36. Phillips, K.A. (1991). Body dysmorphic disorder: The distress of imagined ugliness. American Journal of Psychiatry, 148, 1138–49. Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätstörung (ADHS) und geistige Behinderungen Barol, B. I., und Seubert, A. (2010): Stepping stones: EMDR treatment of individuals with intellectual and developmental disabilities and challenging behavior. Journal of EMDR Practice and Research, 4, 156–69. Evans, W.N., Morrill, M.S., und Parente, S.T. (2010). Measuring inappropriate medical diagnosis and treatment in survey data: The case of ADHD among school-age children. Journal of Health Economics 29, 657–73.

Faraone, S.V., und Mick, E. (2010). Molecular genetics of attention deficit hyperactivity disorder. Psychiatric Clinics of North America, 33, 159–80. Mayes, S. D., Calhoun, S. L., und Crowell, E.W. (2000): Learning disabilities and ADHD: Overlapping spectrum disorders. Journal of Learning Disabilities, 33, 417–24. Mevissen, K., Lievegoed, R., und De Jongh, A. (2010). EMDR treatment in people with mild ID und PTSD: 4 cases. Psychiatric Quarterly, DOI: 10.1007 / s11126–010–9147-x. Visser, S.N., Lesesne, C.A. und Perou, R. (2007). National estimates and factors associated with medication treatment for childhood attention-deficit / hyperactivity disorder. Pediatrics, 199 (Supplement 1), S. 99-109. Zuvekas, S.H., Vitiello, B., und Norquist, G.S. (2006)- Recent trends in stimulant medication use among U.S. children. American Journal of Psychiatry, 163, 579–85.

Kapitel 8 Überblick über Familientherapien Bowen, M. (1978). Family Therapy in Clinical Practice. New York: Aronson. Kaslow, F. (2007). Family systems theories and therapeutic applications: A contextual overview. In F. Shapiro, F. Kaslow, und L. Maxfield (Hrsg.): Handbook of EMDR and family therapy processes (S. 35–75). New York: Wiley. Bindung und Erwachsenenbeziehungen Banse, R. (2004). Adult attachment and marital satisfaction: Evidence for dyadic configuration effects. Journal of Social and Personal Relationships. 21, 273–82. Davila, J. (2003). Attachment processes in couple therapy. In S. Johnson und V. Whiffen (2003): Attachment processes in couples and family therapy. New York: Guilford Press Johnson, S. und Whiffen, V. (2003). Attachment processes in couples and family therapy. New York: Guilford Press. Die Behandlung von familiären Störungen Adler-Tapia, R., Settle, C., und Shapiro, F. (2012). Eye movement desensitization and reprocessing (EMDR) with children who have experienced sexual abuse and trauma. In P. Goodyear-Brown (Hrsg.): The handbook of child sexual abuse: Identification, assessment and treatment. (229–250). Hoboken, NJ: Wiley. Bardin, A. (2004). EMDR within a family system. Journal of Family Psychology, 15, 47–61. Brown, N. und Shapiro, F. (2006). EMDR in the treatment of borderline personality disorder. Clinical Case Studies, 5, 403–20.

Errebo, N., und Sommers-Flanagan, R. (2007). EMDR and emotionally focused couple therapy for war veteran couples. In F. Shapiro, F. Kaslow, und L. Maxfield (Hrsg.): Handbook of EMDR and family therapy processes (S. 202–22). New York: Wiley. Knudsen, N. (2007). Integrating EMDR and Bowen theory in treating chronic relationship dysfunction. In F. Shapiro, F. Kaslow, und L. Maxfield (Hrsg.): Handbook of EMDR and family therapy processes (S. 169–186). New York: Wiley. Shapiro, F. (2012). EMDR – Grundlagen und Praxis. Paderborn: Junfermann. Stowasser, J. (2007). EMDR and family therapy in the treatment of domestic violence. In F. Shapiro, F. Kaslow, und L. Maxfield (Hrsg.): Handbook of EMDR and family therapy processes (S. 243–61). New York: Wiley. Tofanie, L.R. (2007). Complex separation, individuation processes, and anxiety disorders in young adulthood. In F. Shapiro, F. Kaslow, und L. Maxfield (Hrsg.): Handbook of EMDR and family therapy processes (S. 265–68). New York: Wiley. Wesselmann, D. (2007). Treating attachment issues through EMDR and a family systems approach. In F. Shapiro, F. Kaslow, und L. Maxfield (Hrsg.): Handbook of EMDR and family therapy processes (S. 113–130). New York: Wiley. Missbrauch in Familien Burke, J.G., Lee, L.C., und O‹Campo, P. (2008). An exploration of maternal intimate partner violence experiences and infant general health and temperament. Maternal Child Health Journal, 12, 172–79. Essex, M.J., Klein, M. H., Cho, E., und Kalin, N.H. (2002). Maternal stress beginning in infancy may sensitize children to later stress exposure: Effects on cortisol and behavior. Biol Psychiatry, 52, 776–84. Herman, J. (2010). Die Narben der Gewalt. Traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden. Paderborn: Junfermann. Ludermir, A.B., Lewis, G., Valongueiro, S.V., de Araujo, T.V.B., und Araya, R. (2010). Violence against women by their intimate partner during pregnancy and postnatal depression: A prospective cohort study. Lancet, 376, 903–10. Published online September 6, 2010 DOI: 10.1016 / S0140– 6736(10)60887–2. Suglia, S.F., Enlow, M.B., Kullowatz, A., und Wright, R.J. (2009). Maternal intimate partner violence and increased asthma incidence in children: Buffering effects of supportive caregiving. Arch Pediatr Adoesc Med, 163, 244–50. Walker, L. (1979). The battered woman. New York: Harper & Row. Die Auswirkungen von Kriegstraumata Errebo, N.E. (1995). Object relations family therapy and PTSD: Family therapy with four generations of a Vietnam veteran’s family. In D.K. Rhoades, M.R. Leaveck und J.C. Hudson

(Hrsg.): The legacy of Vietnam veterans and their families: Survivors of war – Catalysts for changes. Papers from the 1994 National Symposium (420–27). Washington D.C.: Agent Orange Class Assistance Program. Riggs, D.S., Byrne, C., Weathers, F., und Litz B. (1998). The quality of intimate relationships of male Vietnam Veterans: Problems associated with posttraumatic stress disorder. Journal of Traumatic Stress, 11, 87–101.

Kapitel 9 Lebenslange Gewalt Babinski, L.M., Hartsough, C.S., und Lampert, N.M. (1999). Childhood conduct problems, hyperactivity-impulsivity, and inattention as predictors of adult criminal activity. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 40, 347–55. Schaeffer, C. M., Petras, H., Ialongo, N., Poduska, J., und Kellam, S. (2003). Modeling growth in boys‹ aggressive behavior across elementary school: Links to later criminal involvement conduct disorder, and antisocial personality disorder. Developmental Psychology, 39, 1020–35. Suchtmittelmissbrauch Brown, S. H., Gilman, S.G., Goodman, E.G., Adler-Tapia, R., und Freng, S. (in Vorbereitung). Integrated trauma treatment: Combining EMDR and seeking safety. Brown, S., Stowasser, J.E., und Shapiro, F. (2011). Eye movement desensitization and reprocessing (EMDR): Mental health-substance use. In D.B. Cooper (Hrsg.): Intervention in mental healthsubstance use. (165–93). Oxford: Radcliffe Publishing. Kessler, R.C., Sonnega, A., Bromet, E., u. a. (1995). Posttraumatic stress disorders in the National Comorbidity Survey. Archives of General Psychiatry, 52, 1048–60. Najavits, L.M. (2002). Seeking safety. A manual for PTSD and substance use treatment. New York: Guilford. Najavits, L.M., Weiss, R.D., und Shaw, S.R. (1999). A clinical profile of women with PTSD and substance dependence. Psychology of Addictive Behaviors, 13, 98–104. Ouimette, P., und Brown, P. (Hrsg.) (2003). Trauma and substance abuse: Causes, consequences and treatment of comorbid disorders. Washington: American Psychological Association. Ries, R.K., Miller, S.C., Fiellin, D.S. und Saitz, R. (2009). Principles of addiction medicine (4th edition), Philadelphia, PA: Lippincott. Schneider Institute for Health Policy, Brandeis University for the Robert Wood Johnson Foundation (2001). Substance abuse. The nation’s number one health problem. Princeton, NJ. Shapiro, F., Vogelmann-Sine, S., und Sine, L. (1994). EMDR: Treating substance abuse and trauma. Journal of Psychoactive Drugs, 26, 379–91.

Zweben, J., und Yeary, J. (2006). EMDR in the treatment of addiction. Journal of Chemical Dependency Treatment, 8, 115–27. Häusliche Gewalt Burke, J.G., Lee, L.C., und O‹Campo, P. (2008). An exploration of maternal intimate partner violence experiences and infant general health and temperament. Maternal Child Health Journal, 12, 172–79. Campbell, J. C. u. a. (2003). Risk factors for femicide in abusive relationships: Results from a multisite case control study. American Journal of Public Health, 93, 1089–97. Committee on the Judiciary United States Senate, 102nd Congress (1992). Violence against women: A majority staff report. Dutton, D. G. (1998). The abusive personality: Violence and control in intimate relationships. New York: Guilford Press. LaViolette, A.D., und Barnett, O.W. (2000). It can happen to anyone: Why battered women stay. Thousand Oaks, CA: Sage. Ludermir, A.B., Lewis, G., Alves, S.V., de Araujo, T.V.B., und Araya, R. (2010). Violence against women by their intimate partner during pregnancy and postnatal depression: A prospective cohort study. Lancet, 376, 903–10, Published online September 6, 2010, DOI: 10.1016 / S0140– 6736(10)60887–2. Porges, S.W. (2007). The polyvagal perspective. Biological Psychology, 74, 116–43. Rennison, C.M., und Welchans, S. (2000). Bureau of Justice special report: Intimate partner violence. Washington, DC: U.S. Department of Justice, Office of Justice Programs. Retrieved July 2, 2004, from http:// www.ojp.usdoj.gov / bjs / pub / pdf / ipv.pdf. Roberts, A.L., McLaughlin, K.A., Kerith, J., Conron, K.J., und Koenen, K.C. (2011). Adulthood stressors, history of childhood adversity, and risk of perpetration of intimate partner violence, Am J Prev Med, 40, 128–138. Seligmann, M.E.P. (1979). Erlernte Hilflosigkeit. München: Urban und Schwarzenberg. Stowasser, J. (2007). EMDR and family therapy in the treatment of domestic violence. In F. Shapiro, F. Kaslow, und L. Maxfield (Hrsg.): Handbook of EMDR and family therapy processes (243–61). New York: Wiley. Umhau, J.C., George, D.T., Reed, S., Petrulis, S.G., Rawlings, R., und Porges, S.W. (2002). Atypical autonomic regulation in perpetrators of violent domestic abuse. Psychophysiology 39, 117–23. Walker, L. (1979). The battered woman. New York: Harper & Row. Kindesmissbrauch Adler-Tapia, R., Settle, C., und Shapiro, F. (2012). Eye movement desensitization and reprocessing (EMDR) psychotherapy with children who have experienced sexual abuse and trauma. In P.

Goodyear-Brown (Hrsg.): The handbook of child sexual abuse: Identification, assessment and treatment. (229–50) Hoboken, NJ: Wiley. Finkelhor, D. (1994). Current information on the scope and nature of child sexual abuse. Future Child, 4, 31–53. Hanson, R.K., Gordon, A., Harris, A.J.R., Marques, J.K., Murphy, W., Quinsey, V.L., und Seto, M.C. (2002). First report of the Collaborative Outcome Data Project on the effectiveness of psychological treatment for sexual offenders. Sexual Abuse: A Journal of Research and Treatment, 14, 169–94. Jeperson, A.F., Lalumiere, M. L., und Seto, M.C. (2009). Sexual Abuse history among adult sex offenders and non-sex offenders: A meta-analysis. Child Abuse and Neglect, 33, 179–92. Marques, J.K., Wiederanders, M., Day, D.M., Nelson, C., und van Ommeren, A. (2005). Effects of a relapse prevention program on sexual recidivism: Final results from California sex offender treatment and evaluation project (SOTEP). Sexual Abuse: A Journal of Research and Treatment, 17, 79–107. MacGrath, R.J., Cumming, G., Burchard, B., Zeoli, S., und Ellerby, L. (2009). Current practices and trends in sexual abuse management. The safer society 2002 national survey. Brandon, VT: Safer Society Foundation. Pereda, N., Guilera, G., Forns, M., und Gomez-Benito, J. (2009). The prevalence of child sexual abuse in community and student samples: A meta-analysis. Clin Psychol Rev. 29, 328–38. Published online: March 5, 2009. Ricci, R.J. (2006). Trauma resolution using eye movement desensitization and reprocessing with an incestuous sex offender. Clinical Case Studies, 5, 248–65. Ricci, R.J., Clayton, C.A., und Shapiro F. (2006). Some effects of EMDR on previously abused child molesters: Theoretical reviews and preliminary findings. The Journal of Forensic Psychiatry and Psychology, 17, 538–62. Van der Kolk, B.A. (1989). The compulsion to repeat the trauma: Re-enactment, revictimization, and masochism. Psychiatric Clinics of North America, 12, 389–411. Walker, J.L., Carey, P.D., Mohr, N., Stein, D.J. und Seedat, S. (2004). Gender differences in the prevalence of childhood sexual abuse and in the development of pediatric PTSD. Archives of Women’s Mental Health, 7, 111–21. Trauma, Gefängnis und Psychopathie Caldwell, M., Skeem, J., Salekin, R., und Van Ryoboek, G. (2006). Treatment response of adolescent offenders with psychopathy features: A two-year follow-up. Criminal Justice and Behavior, 33, 571–96. Chakhassi, F., de Ruiter, C., und Bernstein, D. (2010). Change during forensic treatment in psychopathic versus nonpsychopatic offenders. Journal of Forensic Psychiatry and Psychology, 21, 660–82.

Department of Policy and Legal Affairs. National Alliance on Mental Illness (n.d.). A guide to mental illness and the criminal justice system: A systems guide for families and consumers. Arlington, VA: National Alliance on Mental Illness. Dyer, C. (2010). Re-offending rates are lower among offenders treated in secure hospitals than among mentally ill people held in prison. British Medical Journal, 341:c6447doi:10.1136 / bmj.c6447. Fazel, S., und Baillargeon, J. (2010). The health of prisoners. Lancet, 377, 956–65. Heide, K.M., und Solomon, E.P. (2006). Biology childhood trauma and murder: Rethinking justice. International Journal of Law and Psychiatry, 29, 220–33. James, D.J., und Glaze, L.E. (2006). Mental health problems of prison and jail inmates. Bureau of Justice Statistics Special Report, U.S. Department of Justice, Washington, C.D., NCJ 213600. Kinsler, P.J., und Saxman, A. (2007). Traumatized offenders: Don‹t look now, but your jail’s also your mental health center. J Trauma Dissociation, 8, 81–95. Leon-Carrion, J., und Ramos, F. (2003). Blows to the head during development can predispose to violent criminal behaviour: Rehabilitation of consequences of head injury is a measure for crime prevention. Brain Injury, 15, 207–16. National GAINS Center for People with Co-Occurring Disorders in the Justice System (2001). The prevalence of co-occurring mental health and substance use disorders in jails: Fact sheet series. Delmar, NY: The National GAINS Center. Skeem, J.L., Monahan, J., und Mulvey, E.P. (2002). Psychopathy treatment involvement and subsequent violence among civil psychiatric patients. Law and Human Behavior, 26, 577–603. Solomon, E.P., und Heide, K.M. (2005). The biology of trauma: Implications for treatment. Journal of Interpersonal Violence, 20, 51–60. Van der Kolk, B.A. (1989). The compulsion to repeat the trauma: Re-enactment, revictimization, and masochism. Psychiatric Clinics of North America, 12, 389–411.

Kapitel 10 und 11 Die Folgen von Stress Alfonso, J., Frasch, A.C., und Flugge, G. (2005). Chronic stress, depression and antidepressants: Effects on gene transcription in the hippocampus. Rev Neurosci, 16, 4356. Champagne, F.A. (2010). Early adversity and developmental outcomes: Interaction between genetics, epigenetics, and social experiences across the life span. Perspectives on Psychological Science, 5, 564–74. Epel, E.S., Blackburn, E.H., Lin, J., Dhabhar, F.S., u. a. (2004). Accelerated telomere shortening in response to life stress. PNAS, 101, 17312–15. McEwen, B.S. (2007). Physiology and neurobiology of stress and adaptation: Central role of the brain. Physiol Rev, 87, 873–904.

Ortega, F.B., Lee, D., Sui, X., Kubzansky, L.D., Ruiz, J.R., u. a. (2010). Psychological well-being, cardiorespiratory fitness, and long-term survival. Am J Prev Med, 39, 440–48. Sapolsky, R.M. (2004). Organismal stress and telomeric aging: An unexpected connection. PNAS, 101, 1723–24. Simon, N.M., Smollera, J.W., NcNamara, K.L., Master, R.S., u. a. (2006). Telomere shortening and mood disorders: Preliminary support for a chronic stress model of accelerated aging. Biological Psychiatry, 60, 432–35. Die positiven Auswirkungen von Stressreduktion, Meditation und Veränderungen des Lebensstils Amen, D. (2010). Das glückliche Gehirn. Ängste, Aggressionen überwinden. So nehmen Sie Einfluss auf die Gesundheit Ihres Gehirns. München: Goldmann. Bossini, L., Fagiolini, A., und Castrogiovanni, P. (2007). Neuroanatomical changes after EMDR in posttraumatic stress disorder. Journal of Neuropsychiatry and Clinical Neuroscience, 19, 457–58. Brown, K.W., Ryan, R.M., und Creswell, J.D. (2007). Mindfulness: Theoretical foundations and evidence for its salutary effects. Psychological Inquiry, 18, 211–37. Davidson, R.J., Kabat-Zinn, J., Schumacher, J., Rosenkranz, M., Muller, D., Santorelli, S.F., u. a. (2003). Alterations in brain and immune function produced by mindfulness meditation. Psychosomatic Medicine, 65, 564–70. Doidge, N. (2008). Neustart im Kopf. Wie unser Gehirn sich selbst repariert. Frankfurt / New York: Campus. Dunn, A.L., u. a. (2005). Exercise treatment for depression: Efficacy and dose response. American Journal of Preventive Medicine, 28, 1–8. Dusek, J.A., Out, H.H., Wohlhueter, A.L., Bhasin, M., Zerbini, L.F., u. a. (2008). Genomic counterstress changes induced by the relaxation response. PloS ONE 3(7): e2576.doi:10.1371 / journal.pone.0002576. Jazayeri, S., u. a. (2008). Comparison of therapeutic effects of omega-3 fatty acid eicosapentaenoic acid and fluoxetine, separately and in combination, in major depressive disorder. Australian and New Zealand Journal of Psychiatry, 42, 192–198. Kabat-Zinn, J. (2011). Zur Besinnung kommen. Die Weisheit der Sinne und der Sinn der Achtsamkeit in einer aus den Fugen geratenen Welt. Freiamt im Schwarzwald: Arbor. Levine, S. (1994). Schritte zum Erwachen. Meditation der Achtsamkeit. Bielefeld: Kamphausen. McEwen, B.S. (2007). Physiology and neurobiology of stress and adaptation. Central role of the brain. Physiol Rev, 87,873–904. Siegel, D. (2012). Mindsight – Die neue Wissenschaft der persönlichen Transformation. München: Goldmann. Siegel, D. (2007). Das achtsame Gehirn. Freiamt im Schwarzwald: Arbor.

Servan-Schreiber, D. (2006). Die neue Medizin der Emotionen – Stress, Angst, Depressionen: Gesund werden ohne Medikamente. München: Goldmann. Ängste, die Arbeit mit inneren Bildern und Leistungssteigerung Burton, D. (1988). Do anxious swimmers swim slower? Reexamining the elusive anxietyperformance relationship. Journal of Sports and Exercise Psychology, 10, 45–61. Barker, R.T., und Barker, S.B. (2007). The use of EMDR in reducing presentation anxiety. Journal of EMDR Practice and Research, 1, 100–108. Foster, S., und Lendl, J. (1995). Eye movement desensitization and reprocessing: Initial applications for enhancing performance in athletes. Journal of Applied Sport Psychology, 7 (Supplement), 63. Foster, S., und Lendl, J. (2007). Eye movement desensitization and reprocessing: Four case studies of a new tool for executive coaching and restoring employee performance after setbacks. In R.R. Kilburg und R.C. Diedrich (Hrsg.): The Wisdom of Coaching. Washington, D.C.: American Psychological Association Press. Gould, D., und Tuffey, S. (1996). Zones of optimal functioning research: A review and critique. Anxiety, Stress und Coping, 9, 53–56. Hall, C. (2001). Imagery in sport and exercise. In R., Singer, H. Hausenblas, und C. Janelle (Hrsg.): Handbook of sport psychology (529–49). New York: Wiley. Murphy, S.M., Jowdy, D.P., und Durtschi, S.K. (1990). Imagery Perspective Survey: U.S. Olympic Training Center. Unpublished manuscript. U.S. Olympic Training Center. Orlick, T., und Partington, J. (1988). Mental links to excellence. The Sport Psychologist, 2, 105–30. Post, P.G., Wrisberg, C.A., und Mullins, S. (2010). A field test of the influence of pre-game imagery on basketball free throw shooting. Journal of Imagery, Research in Sport and Physical Activity, 5, zu finden unter: http:// www.bepress.com / jirspa / vol5 / iss1 / art2 DOI:10.2202 / 1932–0191.1042. Szpunar, K.K., Watson, J.M., und McDermott, K.B. (2007). Neural substrates of envisioning the future. PNAS, 104, 642–47. Wilson, G., Taylor, J., Gundersen, F., und Brahm, T. (2005). Intensity. In J. Taylor und Gl. Wilson (Hrsg.): Applying sports psychology: Four perspectives (33–49). Champaign, KL: Human Kinetics. Methoden für Stressreduktion und Leistungssteigerung Hay, K.F., und Brown, Jr., C.H. (2004). You‹re on! Consulting for peak performance. Washington, D.C.: American Psychological Association. Lendl, J. und Foster, S. (2003). EMDR: Performance enhancement for the workplace: A practitioner’s guide. Hamden, CT: EMDR-HAP. Levine, S. (1994). Schritte zum Erwachen. Meditation der Achtsamkeit. Bielefeld: Kamphausen. Lohr, B. A., und Scogin, F. (1998). Effects of self administered visuo-motor behavioral rehearsal on sports performance of collegiate athletes. Journal of Sport Behavior, 21, 206–18.

May, R. (2010). Sport performance interventions. In I. Weiner und W.E. Craighead (Hrsg.), The Corsini encyclopedia of psychology (4th edition). Vol. 4 (629–32), Hoboken, NJ: Wiley. Orlick, T. (2007). In pursuit of excellence. Champaign, KL: Human Kinetics. Shapiro, E. (2009). Four elements exercise for stress management. In M. Luber (Hrsg.): EMDR scripted protocols. New York: Springer. Shapiro, F. (2012): EMDR – Grundlagen und Praxis. Paderborn: Junfermann. Shapiro, F. (2006). EMDR and new notes on adaptive information processing. Camden, CT: EMDR Humanitarian Assistance Programs. Globale Reichweite von EMDR Abbasnejad, M., Mahani, K.N., und Zamyad, A. (2007). Efficacy of »eye movement desensitization and reprocessing« in reducing anxiety and unpleasant feelings due to earthquake experience. Psychological Research, 9, 104–17. Aduriz, M.D., Bluthgen, C., und Knopfler, C. (2009). Helping child flood victims using group EMDR intervention in Argentina: Treatment outcome and gender differences. International Journal of Stress Management, 16, 138–53. Brown, L. (2008). Cultural competence in trauma therapy: Beyond the flashback. Washington, DC: American Psychological Association. EMDR Humanitarian Assistance Programs (2010). Accomplishments and efforts world-wide. http:// www.emdrhap.org. Fernandez, I., Gallinari, E., und Lorenzetti, A. (2004). A school-based EMDR intervention for children who witnessed the Pirelli building airplane crash in Milan, Italy. Journal of Brief Therapy, 2, 129–36. Jarero, I., Artigas, L., Montero, M., und Lena, L. (2008). The EMDR integrative group treatment protocol: Application with child victims of a mass disaster. Journal of EMDR Practice and Research, 2, 97–105. Konuk, E., Knipe, J., Eke, I., Yusek, H., Yurtsever, A., und Ostep, S. (2006). The effects of EMDR therapy on post-traumatic stress disorder in survivors of the 1999 Marmara, Turkey, earthquake. International Journal of Stress Management, 13, 291–308. Shapiro, F., und Solomon, R. (1995). Eye movement desensitization and reprocessing: Neurocognitive information processing. In G. Everley (Hrsg.): Innovations in Disaster and Trauma Psychology, Vol. 1 (216–237). Elliot City, MD: Chevron Publishing. Silver, S.M., Rogers, S., Knipe, J., und Colelli, G. (2005). EMDR therapy following the 9 / 11 terrorist attacks: A community-based intervention project in New York City. International Journal of Stress Management, 12, 29–42. Solomon, R. M., und Rando, T.A. (2007). Utilization of EMDR in the treatment of grief and mourning. Journal of EMDR Practice and Research, 1, 109–17.

Sprang, G. (2001). The use of eye movement desensitization and reprocessing (EMDR) in the treatment of traumatic stress and complicated mourning: Psychological and behavioural outcomes. Research on Social Work Practice, 11, 300–320. Wadaa, N.N., Zaharim, N.M., und Alqashan, H.F. (2010). The use of EMDR in treatment of traumatized Iraqi children. Digest of Middle East Studies, 19, 26–36. Zaghrout-Hodali, M., Alissa, F., und Dodgson, P.W. (2008). Building resilience and dismantling fear: EMDR group protocol with children in the area of ongoing trauma. Journal of EMDR Practice and Research, 2, 106–13.

Über die Autorin

Dr. Francine Shapiro ist klinische Psychologin und Mitglied des Mental Research Institute in Palo Alto, Kalifornien. Sie entdeckte 1987 den entlastenden Effekt von Augenbewegungen und entwickelte die Eye-Movement Desensitization and Reprocessing-Methode (EMDR), die seit 1997 als effektives Behandlungsverfahren bei Psychotraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) von der American Psychological Association anerkannt ist. Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie hat EMDR 2006 in Deutschland als Methode zur Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung anerkannt. Dr. Shapiro ist heute Leiterin des von ihr gegründeten EMDR-Institutes in Pacific Grove, das weltweit Psychotherapeuten in der Behandlung traumatisierter Menschen ausbildet. Sie hat eine Vielzahl von wissenschaftlichen Studien initiiert, vielfach über EMDR publiziert und ist gefragte Sprecherin auf psychologischen Kongressen. Mit ihrem Humanitarian Assistance Program (HAP) hat sie ein gemeinnütziges Programm ins Leben gerufen, das Fortbildungen in Ländern und Regionen unterstützt, die sonst keinen Zugang zu derartigen Behandlungen haben. Francine Shapiro ist Trägerin des Internationalen Sigmund-Freud-Preises für Psychotherapie der Stadt Wien, des Preises für hervorragende Leistungen im Bereich der Trauma-Psychologie der American Psychological Association Trauma Psychology Division sowie des Preises für besondere wissenschaftliche Leistungen in der Psychologie der California Psychological Association.