Frauenbewegungen des 19. Jahrhunderts 9783170396388, 9783170396395

Im "langen 19. Jahrhundert" gab es nicht nur zahlreiche religiöse Neuaufbrüche von Frauen, sondern auch Bewegu

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Frauenbewegungen des 19. Jahrhunderts
 9783170396388, 9783170396395

Table of contents :
Deckblatt
Titelseite
Impressum
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Die Bibel als Bezugsgröße für schreibende Frauen im 19. Jh.
2. Bildung als Grundlage neuer Bibelexegese
3. Das Streben nach Gleichheit und Beseitigung sozialer Benachteiligung
4. Die Wiederentdeckung von Bibelinterpretinnen in der Forschung des 20. Jh.
5. Bibelinterpretinnen und ihre Bedeutung in Frauenbewegungen des langen 19. Jh.
Der Partikularismus der Frauenrechte im 19. Jahrhundert: Rechtslagen und Rechtskämpfe der Frauenbewegungen in der westlichen Welt
1. Einleitung
2. Auftakt zu Frauenrechten als Menschenrechten um 1789
3. Zur Rechtslage der Frauen im 19. Jahrhundert
4. Aufbruch und Rechtskämpfe der Frauenbewegungen seit 1848
5. Unterschiedliche Rechtsentwicklungen und die Strategien der Frauenbewegungen im Ausblick auf das 20. Jh.
6. Zum Schluss
Christus als Frauenbefreier? Feministische Bibelauslegungen im Norwegen des 19. Jahrhunderts
1. Einleitung
2. Kurzbiographien
3. The Subjection of Women
4. Die Frau, nach Gottes Bild geschaffen
5. Antiklerikale Ansichten
6. Christus – der Befreier der Frauen
7. Feministisch-theologische Exegese
8. Die Bibel als normative Quelle für das kulturelle Leben
Sie hatte den Mut, das Schweigen zu brechen Bríet Bjarnhéðinsdóttir – eine Pionierin der Suffragettenbewegung in Island
1. Biographie
2. Schriftstellerin, Sozialkritikerin und Aktivistin
3. Bríet und die Bibel
4. Resümee
Geheimgesellschaften, Modernismus und Frauenbewegungen in Italien (1789–1920) Die Bibel als Grundlage für soziale Veränderungen
1. Die Zerrissenheit der katholischen Kirche
2. Die Bibelfrage und die Frauen
3. Die Frauen in der Geheimgesellschaft der Amicizia cristiana: Leopoldina Naudet und das Apostolat des Buchs
4. Antonietta Giacomelli und der Modernismus
5. Elisa Salerno und die Entstehung des christlichen Feminismus
Grace Aguilar – Anwältin jüdischer Frauen
1. Einleitung
2. Aguilars Exegese vor dem Hintergrund ihres englisch-christlichen Kontexts
3. Aguilars Exegese im patriarchalischen jüdischen Kontext
4. Aguilars Exegese vor dem Hintergrund der Bibelinterpretation im England des 19. Jahrhunderts
5. Schluss
Pandita Ramabai Eine frühe postkoloniale feministische Exegetin und Sozialreformerin Indiens
1. Pandita Ramabais Leben
2. Engagement unter veränderten Vorzeichen
3. Schlussfolgerungen
Bibel-Lektüren von Frauen im Missionskontext Helen Barrett Montgomery im Vergleich mit Pandita Ramabai
1. Biographische Einflüsse auf Helen B. Montgomerys Werk4
2. Montgomerys Bibel
3. Montgomery und Pandita Ramabai im Vergleich
Globale Aktivitäten und Bibelauslegung durch Frauen im viktorianischen Zeitalter Katharine Bushnells God’s Word to Women1
1. Das Leben der Katharine Bushnell
2. Ein neues Evangelium für Frauen
3. Bedeutung von Bushnells Wirken
Maria Stewarts Bibelauslegung im Kontext der afroamerikanischen Frauenbewegung
1. Maria Stewarts Leben und Werdegang
2. Öffentliche Stimmen: Afroamerikanische Rednerinnen und Schriftstellerinnen
3. Eine verfolgte Prophetin und der Zorn Gottes
4. Äthiopien wird seine Hände ausstrecken
5. Vergrabene Talente, häusliche Dienststellen und die Töchter Afrikas
6. Resumee: O ihr Töchter Afrikas, wacht auf! Wacht auf! Erhebt euch!
„Ein Zyklon an Absurditäten“: Frances Willards Ablehnung fundamentalistischer Bibelauslegung
1. Frances Willard (1839–1898)
2. Willards Bibelinterpretation
3. Evolutionäre Offenbarung
Josephine Butler: Stimme der Verstoßenen
1. Einleitung
2. Jesus, der Befreier: Hier ist einer, der größer ist als Paulus
3. Einflüsse auf Butlers Bibellektüre
4. Das Rederecht der Frauen
5. Verstoßen
6. Der Einfluss Oxfords und George Butlers
7. Eine Stimme, die in der Wüste ruft: „Wir rebellieren“
8. Mrs. Butlers Bibel
9. Resümee: Butlers Bedeutung als Bibelexegetin
Die Bergpredigt und der natürliche Lebenstrieb von Frauen und Männern: Die eigenwillige Auslegung der acht Seligpreisungen der liberalen Frühfeministin und Pädagogin Josephine Stadlin (1806–1875)
1. Stadlins Positionierung im Kontext politischer und konfessioneller Konfrontationen
2. Die Bergpredigt als Grundriss der menschlichen Entwicklung
3. Die acht Seligpreisungen als pädagogisches Programm
4. Stadlins Argumentation im Kontext des Reformkatholizismus und des Frühfeminismus
Frauen erkunden biblische Länder Reisebeschreibungen, Ethnologie, Topografie, Botanik und Kodikologie
1. „Sinai Sisters“
2. Der sozialgeschichtliche Kontext des langen 19. Jh.
3. Der Orient und orientalische Frauen in Reiseberichten von Frauen
4. Das Land erforschen: Bevölkerung und Blumen
5. Elizabeth Anne Finn, geb. McCaul (1825–1921)
6. Fazit
Bibliographie
Stellenregister
Hebräische Bibel
Neues Testament
Autor*innen

Citation preview

Die Bibel und die Frauen Eine exegetisch-kulturgeschichtliche Enzyklopädie Herausgegeben von Irmtraud Fischer Mercedes Navarro Puerto Adriana Valerio Mary Ann Beavis 19. Jahrhundert Band 8.1

Irmtraud Fischer, Angela Berlis, Christiana de Groot (Hrsg.)

Frauenbewegungen des 19. Jahrhunderts

Verlag W. Kohlhammer

Die Herausgabe des Werkes wird unterstützt durch den Fonds für Ökumenische und Historische Theologie der Fontes-Stiftung in Bern den Eugène und Louis Michaud-Fonds des Instituts für Christkatholische Theologie der Theologischen Fakultät der Universität Bern

Calvin Center for Christian Scholarschip, Grand Rapids

Universität Graz

Verein zur Förderung der Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät Graz

1. Auflage 2021 Alle Rechte vorbehalten © W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Print: ISBN 978-3-17-039638-8 E-Book-Format: pdf: ISBN 978-3-17-039639-5 Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Vorwort Dieser Band, dessen Forschungskolloquium 2012 an der Universität Bern stattfand, hat eine etwas längere Vorgeschichte. Für sein Zustandekommen wurde erstmals auch ein Call for papers genutzt, durch den wertvolle Bei­ träge vorgestellt wurden, von denen aber doch einige nicht dem Fokus dieser Reihe entsprachen. So wurden nach dem bewährten System der eingeladenen Autor*innen wichtige Themenfelder ergänzt. Durch vielfältige Verpflich­ tungen und Umstände verzögerte sich das Erscheinen, sodass schließlich die Bandeditorinnen, die überaus reiches Material gesammelt hatten, die He­ rausgabe abgeben mussten. Aus den vorliegenden Rohbeiträgen sind jene in diesem Band gesammelt, deren zentrale Thematik das Bibelverständnis von Frauen behandelt. Ein einleitender, rechtshistorischer Beitrag beinah mo­ nographischen Ausmaßes legt den zum Verständnis notwendigen sozialge­ schichtlichen Hintergrund jener Lebensumstände dar, in denen Frauen dieser Epoche von der Aufklärung bis nach dem Ersten Weltkrieg und dem Erhalt des Frauenwahlrechts lebten. Die weiteren Beiträge, auf die in diesem Band immer wieder hingewiesen wird, werden in etwa zeitgleich unter dem Titel Die Bibel war für sie ein politisches Buch: Bibelinterpretationen der Frauenemanzipationsbewegungen im langen 19. Jahrhundert in der Reihe Frauenforschung in Europa (Band 29) im LIT Verlag in Münster erscheinen. Den Autorinnen und Autoren dieses Bandes bin ich zu großem Dank ver­ pflichtet. Sie waren in kürzester Zeit während des Covid-19-Shut-downs be­ reit, nach vielen Jahren ihre Artikel nach meinen Vorschlägen zu bearbeiten und teils auch zu kürzen oder zu teilen. Ohne finanzielle Unterstützung wäre auch dieser Band nicht möglich ge­ worden. Dem Verein zur Förderung der Theologie an der Katholisch-Theolo­ gischen Fakultät und dem Vizerektorat für Personal und Gleichstellung der Karl-Franzens-Universität Graz danke ich für großzügige Unterstützung bei der Finanzierung der Übersetzungen, dem Vizerektorat für Forschung und Nachwuchsförderung der Karl-Franzens-Universität und der Universität Bern danke ich für die Unterstützung des Forschungskolloquiums. Für die Überset­ zungsvorlagen danke ich wie immer der in dieser Reihe jahrelang bewährten Altphilologin Dr. Gabriele Stein; für die Betreuung durch den Kohlhammer Verlag sei der Dank stellvertretend Florian Specker ausgesprochen. Ohne die Knochenarbeit der bibliographischen Vereinheitlichung und der Translation von fremdsprachiger Literatur, die auch auf Deutsch erschienen ist, sowie des mühsamen Korrekturlesens hätte dieser Band trotz der Behin­ derungen durch die weltweit sich ausbreitende Pandemie nicht binnen eines

6 Vorwort halben Jahres druckfertig gemacht werden können. Dafür danke ich sehr herzlich meiner Assistentin MMag. Dr. Edith Petschnigg sowie den beiden Studienassistentinnen Nicole Navratil MA und Helene Prvinsek. Wie immer lag die Erstellung der Druckvorlage in den zuverlässigen Händen von Dr. Pa­ trick Marko, der nicht nur durch seine professionelle Formatierung, sondern auch durch die Verwaltung der Finanzen und Abrechnungen aller Kongresse des doch recht komplexen Projekts „Die Bibel und die Frauen“ beständig zum Fortschreiten der Reihe beiträgt. Graz – Udine, Juli 2020

Irmtraud Fischer

Inhaltsverzeichnis Vorwort 5 Angela Berlis Einleitung 9 Ute Gerhard Der Partikularismus der Frauenrechte im 19. Jahrhundert Rechtslagen und Rechtskämpfe der Frauenbewegungen in der westlichen Welt

29

Aud V. Tønnessen Christus als Frauenbefreier? Feministische Bibelauslegungen im Norwegen des 19. Jahrhunderts

107

Arnfríður Guðmundsdóttir Sie hatte den Mut, das Schweigen zu brechen Bríet Bjarnhéðinsdóttir – eine Pionierin der Suffragettenbewegung in Island

122

Adriana Valerio Geheimgesellschaften, Modernismus und Frauenbewegungen in Italien (1789–1920) Die Bibel als Grundlage für soziale Veränderungen

131

Christiana de Groot Grace Aguilar – Anwältin jüdischer Frauen

150

Royce M. Victor Pandita Ramabai: Eine frühe postkoloniale feministische Exegetin und Sozialreformerin Indiens

170

Christine Lienemann-Perrin Bibel-Lektüren von Frauen im Missionskontext Helen Barrett Montgomery im Vergleich mit Pandita Ramabai

187

8 Inhaltsverzeichnis Kristin Kobes Du Mez Globale Aktivitäten und Bibelauslegung durch Frauen im viktorianischen Zeitalter Katharine Bushnells God’s Word to Women 209 Joy A. Schroeder Maria Stewarts Bibelauslegung im Kontext der afroamerikanischen Frauenbewegung

228

Claudia Setzer „Ein Zyklon an Absurditäten“ Frances Willards Ablehnung fundamentalistischer Bibelauslegung

249

Amanda Russell-Jones Josephine Butler: Stimme der Verstoßenen

263

Elisabeth Joris Die Bergpredigt und der natürliche Lebenstrieb von Frauen und Männern Die eigenwillige Auslegung der acht Seligpreisungen der liberalen Frühfeministin und Pädagogin Josephine Stadlin (1806–1875)

293

Izaak J. de Hulster Frauen erkunden biblische Länder Reisebeschreibungen, Ethnologie, Topografie, Botanik und Kodikologie

315

Bibliographie 339 Stellenregister 375 Autor*innen 379

Einleitung Angela Berlis Universität Bern

Die Reihe „Die Bibel und die Frauen“ widmet der Epoche des sogenann­ ten langen 19. Jh., das von der Französischen Revolution bis zum Ende des Ersten Weltkriegs reicht, gleich zwei Bände. Dies verdankt sich der im Ver­ gleich zu vorhergehenden Jahrhunderten wesentlich besseren Quellenlage, wodurch verschiedene Aspekte der Interpretation der Bibel durch Frauen ins Licht gerückt werden können. Während sich der Band 8.2 den religiösen Frauenbewegungen dieser Epoche widmet,1 befasst sich der hier vorliegen­ de Band 8.1 mit den politisch motivierten Frauenbewegungen im 19. Jh. Sie sind allerdings kein völlig neues Phänomen, sondern Teil von weiter in die Geschichte zurückreichenden, umfassenderen Emanzipationsbestrebungen.2 Infolge der Revolutionen um 1848 verlangte auch der Bauern- und sodann der sich neu formierende Arbeiterstand politische Mitsprache. In diesem Zeitraum entstehen ab den 1840er Jahren die modernen Frauenbewegun­ gen im Kontext allgemeiner Freiheitsbewegungen, die die Menschenrechte für alle einfordern. Diese manifestieren sich regional unterschiedlich und in verschiedenen Tempi: in den Vereinigten Staaten von Amerika vor allem in der Sklav*innenbefreiungsbewegung, in Indien im Hinterfragen des strikten Kastensystems, in Großbritannien in der Arbeiter*innenbewegung und welt­ weit im Kampf gegen feudale Systeme. In diesem Band werden moderne Frauenbewegungen, die im langen 19. Jh. in verschiedenen Ländern entstehen, anhand ausgewählter Protagonistinnen und deren Art und Weise der Bezugnahme und Berufung auf die Bibel dar­ gestellt, mit denen sie sich für die gesellschaftlichen und religiösen Rechte von Frauen engagieren. „Rechte von Frauen und Rechte für Frauen“ kann im 19. Jh. zunächst ganz Unterschiedliches bedeuten. Die gesamte Rechtslage im damaligen Europa und seinen Kolonien gleicht einem Flickenteppich. Die 1 Michaela Sohn-Kronthaler und Ruth Albrecht, Hg., Fromme Lektüre und kritische Exegese im langen 19. Jahrhundert (BuF 8.2; Stuttgart: Kohlhammer, 2014). 2 Der gängige Begriff „Erste Frauenbewegung“ ist irreführend, da er den Anschein er­ weckt, dass sich Frauen in diesem Zeitraum erstmals zusammenschlossen, um gegen Diskriminierung aufzustehen. Wo nötig, wird deshalb hier von „modernen“ Frauen­ bewegungen gesprochen. Die Reihe „Die Bibel und die Frauen“ ist als Ganze dazu angelegt, aufzuzeigen, dass patriarchale Gesellschaftsordnung und androzentrische Weltsicht zu keiner Zeit unwidersprochen war, es also zu allen Zeiten Frauenbewe­ gungen gab.

10

Angela Berlis

Rechtswirklichkeiten von Frauen sind von Land zu Land verschieden.3 Das Engagement für Frauenrechte nimmt denn auch in unterschiedlichen Länder­ kontexten andere Formen und Richtungen an. Frauenrechtsdiskurse handeln von Fragen persönlicher Freiheit, (gesetzlicher Verankerung der) Teilhabe am öffentlichen Leben, Gleichberechtigung und Eigenständigkeit. Oft sind sich die Frauen untereinander nicht völlig darüber einig, welche Rechte sie be­ anspruchen wollen. Der Band zeigt die vielfältige Weise, wie Frauen mit der Bibel in der Hand als Advokatinnen für Frauen und ihre Rechte auftreten. Die hier erforschten Frauen verbinden im Grunde drei zentrale Anliegen: Sie setzen sich ein –– für den Zugang zu Bildung, der am Anfang des 19. Jh. bei der Verbes­ serung der Mädchenbildung einsetzt und bis etwa 1920 zur allgemeinen Zulassung von Frauen zum Universitätsstudium führt; –– für die Beseitigung sozialer Benachteiligung – von farbigen Menschen als Sklavinnen und Sklaven, von Frauen und anderen Gruppen, und –– die rechtliche Gleichstellung der Frauen mit den Männern, die im Laufe des langen 19. Jh. immer stärker mit der Forderung des aktiven und pas­ siven Wahlrechts verbunden wird.4

1.

Die Bibel als Bezugsgröße für schreibende Frauen im 19. Jh.

Schreibende Frauen beurteilen das Buch der Bücher in allen Jahrhunderten im Hinblick darauf, was es für Frauen zu sagen hat, unterschiedlich. Das ist auch im 19. Jh. nicht anders. Für die Frauenrechtlerin und Suffragette Eliza­ beth Cady Stanton (1815–1902) ist die Bibel vor allem ein patriarchalisches Buch, das in ihren Augen wenig Positives für Frauen enthält. Die von ihr 1895/98 herausgegebene The Woman’s Bible5 ist denn auch vor allem als kri­ 3

Dies arbeitet in eindrücklicher Weise Ute Gerhard in ihrem Beitrag in diesem Band heraus. Vgl. auch Ute Gerhard, Hg., Frauen in der Geschichte des Rechts: Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart (München: Beck, 1997). 4 Die Debatte über die Frauenordination wird in diesem Band nicht eigens behandelt, da sie bis weit ins 20. und 21. Jh. hineinreicht; gleichwohl traten einzelne der hier behandelten Protagonistinnen (wie etwa Frances Willard) dafür ein. 5 Elizabeth Cady Stanton, Stantons Frauenbibel (hg. u. eingel. v. Ursula I. Meyer; Aachen: Ein-Fach-Verlag, 2007); Originalausgabe: Elizabeth Cady Stanton, The Woman’s Bible: A Classic Feminist Perspective (Mineola: Dover Publications, 2002 [1895–1898]). S. dazu: Carolyn De Swarte Gifford, „Politicizing the Sacred Texts: Elizabeth Cady Stanton and The Woman’s Bible“, in Searching the Scriptures 1: A Feminist Introduction (hg. v. Elisabeth Schüssler Fiorenza; New York: Crossroad Publishing, 1993), 52–63.

Einleitung

11

tische Auseinandersetzung mit der Bibel und ihren verheerenden kulturellen Folgen für Frauen zu verstehen.6 Während Cady Stanton sogar in ihren eige­ nen Reihen harsche Kritik einstecken muss,7 verbergen andere Frauen ihre provokativen hermeneutischen Ansichten zwischen den Zeilen der von ihnen verfassten Sonnette, Hymnen oder erbaulichen Texte.8 Wieder andere, wie etwa die Schwestern Angelina Grimké Weld (1805–1879) und Sarah Moore Grimké (1792–1873), berufen sich auf die Bibel, um ihr Recht einzuklagen, als Frauen in der Öffentlichkeit zu reden.9 Und noch einmal andere betrachten einzelne Frauen oder Figuren aus der Bibel für sich selbst als befreiend10 – so findet etwa Debora, „Mutter in Israel“, im 19. Jh. gleichermaßen große Reso­ nanz bei Suffragetten und Predigerinnen, bei jüdischen und bei christlichen Frauen.11 Die vielfache Bezugnahme auf die Bibel mag heute manche Leserin und manchen Leser erstaunen,12 insbesondere wenn sie außerhalb religiöser Frau­ enbewegungen oder bei sich selbst als „säkular“ verstehenden Vorkämpfe­ rinnen für die Rechte von Frauen geschieht – so etwa bei Louise Otto-Peters 6

Vgl. zu ihr u. a. Elisabeth Griffith, Hg., In Her Own Right: The Life of Elizabeth Cady Stanton (New York: Oxford University Press, 1984); Angela Berlis, „Elisabeth Cady Stanton e la Woman’s Bible: Un’esegesi femminista nel XIX secolo“, in Donne e Bibbia: Storia ed esegesi (hg. v. Adriana Valerio; La Bibbia nella storia 21; Bologna: Edizione Dehoniane, 2006), 117–137. 7 Ihre Leistung wurde erst anlässlich des 100. Jubiläums des Erscheinens ihrer Arbeit gebührend gewürdigt. 8 Vgl. Natasha Duquette, Veiled Intent: Dissenting Women’s Aesthetic Approach to Biblical Interpretation (Eugene: Pickwick Publications, 2016). Das Buch bezieht v. a. Poetinnen und Schriftstellerinnen des 18. Jh. ein, greift aber auch ins 19. Jh. hinein. 9 S. dazu Michel Grandjean, „Sarah Grimkés Bibel: Eine Waffe im Kampf gegen die Sklaverei der Schwarzen und die Unterwerfung der Frauen“, in Die Bibel war für sie ein politisches Buch: Bibelinterpretationen der Frauenemanzipationsbewegungen im langen 19. Jahrhundert (hg. v. Irmtraud Fischer et al.; Frauenforschung in Euro­ pa 29; Münster: LIT, 2020 [im Druck]). 10 Dies mussten nicht unbedingt nur weibliche Figuren sein. Für viele war Jesus Chris­ tus der schlechthinnige Befreier. Es gab aber auch negative Identifikationsfiguren: Siehe dazu Per Faxneld, Satanic Feminism: Lucifer as the Liberator of Woman in Nineteenth-Century Culture (Oxford: Oxford University Press, 2017). 11 Z. B. Jonathan M. Hess, Deborah and Her Sisters: How One Nineteenth-Century Melodrama and a Host of Celebrated Actresses Put Judaism on the World Stage (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2018). Zur Rezeption von Debora vgl. auch: Joy A. Schroeder, Deborah’s Daughters: Gender Politics and Biblical Interpretation (Oxford: Oxford University Press, 2014); über die Rezeption Deboras im 19. Jh. siehe bes. ebd., 138–189. 12 In heutigen literaturgeschichtlichen Darstellungen fehlen jedoch Aspekte wie „Reli­ gion“ oder „Bibelrezeption“ weitgehend. Vgl. etwa Dale M. Bauer, Hg., The Cambridge History of American Women’s Literature (Cambridge: Cambridge University Press, 2012). In diesem Sammelband führt lediglich ein Beitrag (von Sandra M. Gustafson) im Titel das Thema „Religion“.

12

Angela Berlis

(1819–1895), der Gründerin des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins,13 oder bei Christabel Pankhurst (1880–1958), einer britischen Suffragette, die politischen Aktivismus zu religiösem Engagement erweitert.14 Solche Bezug­ nahmen sind Hinweise darauf, dass die Bibel in den noch weitgehend christ­ lich geprägten Gesellschaften des 19. Jh. als kulturelle Ressource und als Se­ diment allgemeiner Bildung allgegenwärtig und wirkmächtig ist.15 Schreibende Frauen berufen sich auf die Bibel, nutzen sie für ihren Kampf um gleiche Rechte und eignen sie sich immer wieder neu an – in abgrenzen­ der ebenso wie in „produktiver“ Weise.16 Frauen handeln im Sinne biblischer Ansprüche oder schrieben über die Bibel. Dadurch werden sie zu Bibelinter­ pretinnen im Kontext ihrer Zeit. Sie reklamieren das Recht und die Autorität, die Bibel zu interpretieren, für sich, predigen und verkündigen die Bibel, mal als charismatische Prophetinnen, mal als Ordensfrauen, mal als Amtsträge­ rinnen, mal als Autorinnen von Büchern für Erwachsene, für Frauen oder für Kinder, mal als Verfasserinnen von Pamphleten oder von Gebeten17 – die Bandbreite ihres Schaffens ist groß.

13 Vgl. zu ihr etwa Carol Diethe, Towards Emancipation: German Women Writers of the Nineteenth Century (New York: Berghahn, 1998), 138–152. Religion spielt hier keine Rolle. Meine eigenen Forschungen ergeben hingegen, dass Religion und die Kenntnis biblischer Paradigmata für das Verständnis von Otto-Peters’ Engagement von Bedeutung sind. 14 Jacqueline R. deVries, „Transforming the Pulpit: Preaching and Prophecy in the British Womenʼs Suffrage Movement“, in Women Preachers and Prophets Through Two Millennia of Christianity (hg. v. Beverly Mayne Kienzle und Pamela J. Walker; Berkeley: University of California Press, 1998), 318–333. 15 Dies galt für alle Gesellschafts- und Kulturbereiche. Vgl. etwa Beatrix MüllerKampel, „Eva in blauseidenen Hosen, der entzweigerissene Absalom und Holofer­ nes’ abgeschlagener Kopf: Das Alte Testament im Puppentheater des 19. Jahrhun­ derts“, in Bibel- und Antikenrezeption: Eine interdisziplinäre Annäherung (hg. v. Irmtraud Fischer; exuz 23; Münster: LIT, 2014), 359–377. 16 Siehe dazu etwa: Michael Penzold, Begründungen weiblichen Schreibens im 19. Jahrhundert: Produktive Aneignungen des biblischen Buches Rut bei Bettine von Arnim und Thomasine Gyllembourg (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2010). 17 Vgl. etwa Beverly Mayne Kienzle und Pamela J. Walker, Hg., Women Preachers and Prophets Through Two Millennia of Christianity (Berkeley: University of California Press, 1998). Der Band enthält Beiträge aus allen Epochen der Christen­ tumsgeschichte. Für das 19. Jh. finden sich Beiträge über Maria W. Stewart und Baby Suggs von Judylyn S. Ryan; über Catharine Booth von Pamela J. Walker und über Mother Leaf Anderson und die Black Spiritual Churches of New Orleans von Yvonne Chireau, sowie ein Beitrag über die britische Suffragettenbewegung von Jacqueline R. deVries.

Einleitung

2.

13

Bildung als Grundlage neuer Bibelexegese

Im 18. und 19. Jh. nahm die Zahl der Veröffentlichungen von Frauen über die Bibel im Vergleich zu früheren Jahrhunderten zu. Denn aufgrund der Entwicklung des Pressewesens seit dem 18. Jh. gab es mehr Möglichkeiten zu publizieren. Zugleich blieben die vorhandenen Bildungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen und damit auch der Zugang zur Bibel in den Origi­ nalsprachen weiterhin beschränkt. Das grundlegende Problem hatten Frau­ en schon viel früher erkannt. So schrieb etwa Mary Astell (1666–1731), dass Frauen, sofern ihnen die Sprachkenntnisse fehlten, nur das wüssten, was Männer in ihre Übersetzungen aufnehmen. Fehlende Bildungschancen füh­ ren dazu, dass Frauen das Recht auf Interpretation vorenthalten wird.18 Infolge der zunehmenden Professionalisierung der Theologie und insbe­ sondere der historisch-kritischen Exegese im 19. Jh. wird zunächst sichtbar, dass Frauen nicht zu den professionellen Schriftauslegern gezählt werden – selbst dann nicht, wenn sie zuhause in Privatunterricht alte Sprachen lernen und sich mit den wissenschaftlichen Methoden ihrer Zeit auseinandersetzen, und möglicherweise ihren Vätern oder Brüdern beim Abfassen exegetischer Werke zur Seite stehen. So wird etwa Elizabeth Wordsworth (1840–1932), Tochter und Schwester eines anglikanischen Bischofs, die sich im Selbststu­ dium Griechisch beibringt, „research assistant“ ihres Vaters für einen Bibel­ kommentar und verfasst später selbst Werke über den Dekalog und über die Psalmen. Sie leitet 1879–1909 das 1879 neu eröffnete Frauencollege Lady Margaret Hall in Oxford und wird zu einer der einflussreichsten Pionierin­ nen der höheren Frauenbildung.19 Frauen sind in dieser Epoche Privatgelehrte, aber keine anerkannten Exegetinnen – und dies, obwohl sie sich in ihren Ver­ öffentlichungen durchaus mit der Entwicklung der Bibelwissenschaft ausein­ andersetzen und auf der Höhe ihrer Zeit schreiben.20 Dennoch erkämpfen sie sich öffentliche Räume, in denen sie über die Bibel sprechen und schreiben. 18 Vgl. dazu das Kapitel „Eintausend Jahre feministische Bibelkritik“ in Gerda Ler­ ner, Die Entstehung des feministischen Bewusstseins: Vom Mittelalter bis zur ersten Frauenbewegung (Frankfurt: Campus, 1995), 170–201; 353–357; 192. 19 Wordsworth war gegen das politische Stimmrecht von Frauen. Vgl. Rebecca G. S. Idestrom, „Elizabeth Wordsworth: Nineteenth-Century Oxford Principal and Bible Interpreter“, in Recovering Nineteenth-Century Women Interpreters of the Bible (hg. v. Christiana de Groot und Marion Ann Taylor; SBLSymS 38; Leiden: Brill, 2007), 181–199. Zu einem anderen Beispiel aus der Kirche von England, in der die Praxis der Bibellektüre in der Familie des langjährigen britischen Premierministers Gladstone thematisiert wird, vgl. David Bebbington, „The Spiritual Home of W. E. Gladstone: Anne Gladstone’s Bible“, SCH(L) 50 (2014): 343–353. 20 Vgl. Marion Ann Taylor, „Frauen und die historisch-kritische Exegese im England des 19. Jahrhunderts“, in Fromme Lektüre und kritische Exegese im langen 19. Jahrhundert (hg. v. Michaela Sohn-Kronthaler und Ruth Albrecht; BuF 8.2; Stuttgart: Kohlhammer, 2014), 32–58.

14

Angela Berlis

Viele von ihnen geraten später in Vergessenheit; manchmal fiel auch nur die Tatsache dem Vergessen anheim, dass sich auch diese politisch aktiven Frau­ en auf biblische Argumente und Geschichten stützen.21 Literarisch und gesellschaftspolitisch aktive Frauen wurden immer wieder mit den gleichen Bibelstellen konfrontiert, die die Unterordnung und Inferio­ rität des weiblichen Geschlechts belegen und untermauern sollten: Dies sind vor allem die beiden Schöpfungserzählungen von Gen 1,26–31 und Gen 2,7– 3,24 in ihren einseitigen Interpretationen, insbesondere in der misogynen paulinischen Deutung von 1 Kor 11 mit ihrer Konstruktion der Geschlech­ ter­hierarchie und einer daraus abgeleiteten Anthropologie.22 Um dagegen an­ zukommen, braucht es Bibelinterpretationen, die einer vermeintlich biblisch begründeten Frauenunterdrückung als Alternativen entgegengestellt werden können. Die Frage der Übersetzung des Bibeltextes bzw. der Lektüre in einer Originalsprache ist dabei ein zentrales Anliegen. Eine korrekte Übersetzung, so die Erwartung, wird die Befreiung von Frauen befördern.23 Mit ihrer 1876 erschienen Übersetzung „wiederholt“ etwa Julia Smith (1792–1878) die Ar­ beit des Erasmus von Rotterdam; wie er übersetzt auch sie die Bibel fünfmal: zweimal aus dem Griechischen, zweimal aus dem Hebräischen und einmal aus der lateinischen Vulgata.24 Ihr Anliegen ist ein authentischerer Text, ihr Ziel die Neudeutung von Fehlinterpretationen.25 Eine Auswahl ihrer Überset­ zung wird später in der Woman’s Bible benutzt. 21 Im zweibändigen Standardwerk von Elke Kleinau und Claudia Opitz, Hg., Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung (2 Bde; Frankfurt: Campus, 1996) fehlen im Sachregister zu Bd. 2: Vom Vormärz bis zur Gegenwart, anders als in Bd. 1: Vom Mittelalter bis zur Aufklärung, die Stichworte „Bibel“, „Religion“ oder „Religiosi­ tät“. Die Veröffentlichung fällt in eine Zeit, bevor das Thema Religion und damit zusammenhängende Aspekte für die Zeit nach dem 18. Jh. wieder Eingang in die historische Bildungsforschung fanden. 22 So etwa bereits Mary Wollstonecraft in ihrer Schrift A Vindication of the Rights of Woman: With Strictures on Political and Moral Subjects (London: Johnson; 1792). Obwohl dies ein säkulares Traktat für die gleichen Rechte der Frauen darstellte, musste Wollstonecraft sich dennoch auch mit der Paradieserzählung und deren Aus­ legung, die Frau sei für den Mann geschaffen worden, auseinandersetzen. Vgl. Holly Morse, „The First Woman Question: Eve and the Women’s Movement“, in The Bible and Feminism: Remapping the Field (hg. v. Yvonne Sherwood, unter Mitarb. v. Anna Fisk; Oxford: Oxford University Press, 2017), 61–80; 69–74. Vgl. zur allgemeinen Problematik auch Bd. 5.1 der Reihe „Die Bibel und die Frauen“: Kari Elisabeth Bør­ resen und Emanuela Prinzivalli, Hg., Christliche Autoren der Antike (BuF 5.1; Stuttgart: Kohlhammer, 2015). 23 Heute wird dies als Bewusstmachung des Gender Bias bezeichnet. 24 Julia E. Smith, The Holy Bible Containing the Old and New Testaments: Translated Literally from the Original Tongues (Hartford: American Publishing Company, 1876). 25 Vgl. Lerner, Entstehung, 192f. Siehe zu ihr: Marla J. Selvidge, Notorious Voices: Feminist Biblical Interpretation, 1500–1920 (New York: Continuum, 1996), 213– 226.

Einleitung

3.

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Das Streben nach Gleichheit und Beseitigung sozialer Benachteiligung

Der Zusammenhang zwischen Bibelinterpretation und gesellschaftlichem Handeln wird im viktorianischen Amerika exemplarisch sichtbar: Die Bibel ist hier „Dreh- und Angelpunkt des privaten und öffentlichen Diskurses“.26 Die Anliegen der Antisklavereibewegung (Abolitionist Movement), die seit den 1770er Jahren in den USA an öffentlicher Bedeutung gewinnen, sind klar mit dem Kampf für die Unabhängigkeit verbunden und ab 1820 mit der welt­ weit erstarkten Temperance Bewegung, die ein Alkoholverbot erstrebt, sowie auch mit der Suffragettenbewegung verbunden. Alle argumentieren mit Tex­ ten aus der Bibel; so spielt etwa das Adam-und-Eva-Motiv eine wichtige Rolle in der Antisklavereibewegung. Frauen tragen diese Bewegungen gegen soziale Benachteiligung maßgeb­ lich mit, sie müssen sich dazu ihre öffentliche Rolle allerdings erstreiten. Als amerikanische Frauen 1840 zur World Anti-Slavery Convention nach London reisen, werden sie bei diesem Kongress auf einer Frauengalerie untergebracht und dürfen nicht öffentlich das Wort ergreifen. Gemeinsam mit der Quäke­ rin Lucretia Mott (1793–1880) entwickelt Elizabeth Cady Stanton aufgrund dieses Schlüsselerlebnisses das Konzept für die erste Frauenrechtskonferenz in Seneca Falls im Jahr 1848, die mit der Deklaration der Women’s Rights Convention endet. Diese enge Verbindung zwischen dem Engagement in der Antisklavereibewegung und der Hinwendung zur Frauenrechtlerin 27 besteht in europäischen Ländern in dieser Weise nicht.28 Früher als in Europa orga­ nisiert sich damit die amerikanische Frauenbewegung in den USA, geht mit ihren Anliegen an die Öffentlichkeit und wendet sich gegen das männlich be­ setzte Feld der Theologie. Die amerikanische Frauenbewegung ist damit für viele Frauen, auch in Europa und in anderen Kontinenten, eine große Inspi­ ration. Dort äußern sich Frauen in der Öffentlichkeit gegen Sklaverei und die Unterordnung der Frauen und erhalten Gehör. Einzelne Frauen spielen sogar eine öffentliche Rolle, wie sie in Europa noch undenkbar ist. So kandidiert die Journalistin, Zeitungsverlegerin und Frauenrechtlerin Victoria Claflin

26 Annette Kreutziger-Herr, „Sola Scriptura: Genesisinterpretation, christliche Anthropologie und Feminismus im viktorianischen Amerika“, in Glaube und Geschlecht: Fromme Frauen – Spirituelle Erfahrungen – Religiöse Traditionen (hg. v. Ruth Albrecht, Annette Bühler-Dietrich und Florentine Strzelczyk; Literatur, Kultur, Geschlecht. Große Reihe 43; Köln: Böhlau, 2008), 101–121; 102. 27 Vgl. dazu exemplarisch Claudine Raynaud, „Sojourner Truth: Foi chrétienne, aboli­ tionnisme, féminisme“, ETR 94/2 (2019): 231–252. 28 Dies trifft etwa für Norwegen zu: vgl. Jone Salomonsen, „Sharing the Theological Hopes of First Wave (Suffrage) Feminists“, JEGTF 24 (2016): 179–188; 181.

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Woodhull Martin (1838–1927) 1870 sogar für das Amt des amerikanischen Präsidenten!29 Zugleich bleibt gesellschaftlich und mental ein bestimmtes Frauenbild vorherrschend, das stark religiös geprägt ist; die Auseinandersetzung über die den Frauen zugeschriebenen Geschlechtseigenschaften – Frömmigkeit, Reinheit, Häuslichkeit und Unterwürfigkeit (piety, purity, domesticity, and submissiveness) – werden im Kontext der Auslegung der Bibel geführt. Die Autorität der Bibel als solche wird dabei nicht in Frage gestellt, wohl aber die menschlichen (Fehl-)Interpretationen und historischen Wandlungen. Der Kampf gegen soziale Benachteiligung und für die Gleichheit von Mann und Frau sind miteinander verwoben, auch wenn bezüglich der Art, wie das Geschlechterverhältnis zu ordnen ist, nicht alle Autorinnen gleicher Ansicht sind. Der Kampf für die Rechte von Frauen steht freilich in einer längeren Tradition;30 erinnert sei hier an die „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ von 1791 der Olympe de Gouges (1748–1793) während der Französischen Revolution. In den Vereinigten Staaten, die die erste moderne Republik darstellen, die sich als Demokratie konstituierte, legt die Verfassung nach der Unabhängigkeitserklärung 1776 grundlegende Rechte fest, die aller­ dings von Frauen im 19. Jh. reklamiert werden müssen. So fordert etwa Sarah Grimké weibliche Bürgerrechte ein. 1869 erscheint das Buch The Subjection of Women31 des britischen Philosophen John Stuart Mill (1806–1873), das in verschiedenen europäischen Ländern, u. a. in Norwegen, zu hitzigen Diskus­ sionen führt. Die religiöse Landschaft als Hintergrund der Entwicklungen ist von ent­ scheidender Bedeutung. Sie ist in den USA bereits im 19. Jh. weitaus viel­ fältiger als in Europa – die freie Ausübung der eigenen Religion war ja eine grundlegende Motivation für die Auswanderung nach Amerika und wurde von Anfang an in die amerikanische Verfassung eingeschrieben. Bibelinter­ pretinnen gehörten unterschiedlichen sog. Mainline-Kirchen oder anderen Kirchen und religiösen Gemeinschaften an,32 aber auch spezifischen religi­ 29 Siehe dazu Antje Schrupp, Das Aufsehen erregende Leben der Victoria Woodhull (Königstein/Taunus: Helmer, 2002). Eine verkürzte Neubearbeitung erschien an­ gesichts der Kandidatur Hillary Clintons unter dem Titel: Dies., Vote for Victoria! Das wilde Leben von Amerikas erster Präsidentschaftskandidatin Victoria Woodhull (1838–1927) (Sulzbach/Taunus: Helmer, 2016). 30 Vgl. dazu den ausführlichen Beitrag von Ute Gerhard in diesem Band. 31 John Stuart Mill, The Subjection of Women (London: Longmans, Green, Reader & Dyer, 1869). 32 Die Beziehung zwischen der religiösen Zugehörigkeit und dem Engagement für die Rechte sozial Benachteiligter (in diesem Fall der Kampf gegen die Sklaverei) wird noch nicht lange ernsthaft wahrgenommen. Die Antisklavereibewegung wurde dies­ seits und jenseits des Atlantiks v. a. von sog. „dissenters“ getragen. Vgl. Elizabeth J. Clapp und Julie Roy Jeffery, Hg., Women, Dissent, & Anti-Slavery in Britain and America, 1790–1865 (Oxford: Oxford University Press, 2011). Engagement ge­

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ösen Richtungen innerhalb ihrer institutionellen Religion (Christentum und Judentum).33 Frauen spielen in englischen und amerikanischen Nonconformist Churches oder in dissentierenden Gruppierungen bei der emanzipatorischen Auslegung der Bibel im 19. Jh. eine wichtige Rolle,34 ähnlich wie auch in den in den USA aufkommenden Black Churches. Da es sich allerdings oft um Gruppen handelt, die nicht zur gesellschaftlichen Elite der WASPs (White Anglo-Saxon American Protestant) in den USA gehören, werden diese Frauen doppelt marginalisiert, was wiederum für die Akzeptanz und Rezeption ihrer Äußerungen Folgen hat.35

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Die Wiederentdeckung von Bibelinterpretinnen in der Forschung des 20. Jh.

Die (Wieder-)Entdeckung von Frauen, die im 19. Jh. mit der Bibel arbeiteten, geschah durch Exegetinnen und Historikerinnen des 20. Jh.36 Dabei richtete

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gen Sklaverei bedeutete dabei jedoch nicht automatisch auch Engagement für die Rechte von Frauen, wie etwa Lucretia Mott und Victoria Woodhull bei der erwähnten World Anti-Slavery Convention in London schmerzlich erfahren mussten. Vgl. Carol Faulkner, Lucretia Mott’s Heresy: Abolition and Women’s Rights in NineteenthCentury America (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2011). Etwa in der aufkommenden Pfingstbewegung: Vgl. Margaret English de Almi­ nana, „Florence Crawford and Egalitarian Precedents in Early Pentecostalism“, in Women in Pentecostal and Charismatic Ministry: Informing a Dialogue on Gender, Church, and Ministry (hg. v. ders. und Lois E. Olena; Global Pentecostal and Char­ ismatic Studies 21; Leiden: Brill, 2016), 103–139. Florence Louise Crawford (1871– 1936) kannte über die Temperenzbewegung die in diesem Band behandelten Frances Willard und Katherine Bushnell gut. Vgl. etwa Timothy Larsen, „The Bible and Varieties of Nineteenth-Century Dissent: Elizabeth Fry, Mary Carpenter, and Catherine Booth“, in Dissent and the Bible in Britain, c. 1650–1950 (hg. v. Scott Mandelbrote und Michael Ledger-Lomas; Ox­ ford: Oxford University Press, 2013), 153–175. Fry war Quäkerin, Carpenter Unita­ rierin, Booth die „Mutter der Heilsarmee“. S. auch: Linda Wilson, „‚Constrained by Zeal‘: Women in Mid-Nineteenth Century Nonconformist Churches“, JRH 23 (1999): 185–202. Siehe auch den Beitrag von Claudia Setzer über Frances Willard in diesem Band. Für das europäische Festland mit seiner viel überschaubareren religiösen Landschaft besteht weiterer Forschungsbedarf in Hinblick auf die Verbindung von Dissidenz und Bibelauslegung, aber auch bezüglich Bibelinterpretinnen aus staatlich anerkannten Landeskirchen. Eine Liste von Bibelinterpretinnen, die im langen 19. Jahrhundert lebten und wirk­ ten, findet sich in: Marion Ann Taylor und Agnes Choi, Hg., Handbook of Women Biblical Interpreters: A Historical and Biographical Guide (Grand Rapids: Baker, 2012), 559–561. Die meisten der Genannten stammen aus dem englischen Sprach­ raum.

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sich die Forschung zunächst v. a. auf die Vereinigten Staaten von Amerika. Dies erstaunt aus mehreren Gründen nicht, war doch die im ausgehenden 19. Jh. erschienene The Woman’s Bible eine Wegmarke der weiblichen Ausle­ gungsgeschichte der Bibel. Zudem bot die religiöse Landschaft in den USA, die bereits im 19. Jh. weitaus vielfältiger war als jene in Europa, vielfältige Forschungsmöglichkeiten. Überdies begannen US-amerikanische Forsche­ rinnen in der zweiten Hälfte des 20. Jh. früher als Akademikerinnen in ande­ ren Ländern mit der Aufarbeitung ihrer eigenen, facettenreichen Geschichte.37 Prägend für die historisch arbeitende Genderzunft wurde die gebürti­ ge Wienerin Gerda Lerner, geb. Kronstein, die seit 1943 die amerikanische Staatsbürgerschaft besaß, mit ihrem weiten, dia- und synchronischen Ho­ rizont: 1963 holte sie die Grimké-Schwestern aus der Vergessenheit in die Überlieferung zurück, 1993 veröffentlichte sie ein Buch über die Entstehung des feministischen Bewusstseins, in dem sie „Eintausend Jahre Feministische Bibelkritik“ aufarbeitet.38 Damit machten Lerner und andere mit ihr deutlich, dass die Genealogie „feministischer“39 Bibellektüre viel weiter zurückgeht als in die Neuzeit. In neuerer Zeit ist allerdings die Wahrnehmung gewach­ sen, dass auch die historische Bibelinterpretation von Frauen in der Regel der westlichen Matrix der Bibelauslegung gefolgt ist.

37 Vgl. für den deutschen Sprachraum Luise Schottroff, Silvia Schroer und MarieTheres Wacker, Feministische Exegese: Forschungserträge zur Bibel aus der Perspektive von Frauen (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1995). Das Buch enthält auch einen historischen Überblick. 38 Gerda Lerner, The Grimké Sisters from South Carolina: Rebels against Slavery (Boston: Houghton Mifflin, 1967); Dies., Entstehung, 170–201; 353–357: Das Ka­ pitel „Eintausend Jahre feministische Bibelkritik“ macht auch den damaligen Wis­ sensstand über die Bibelinterpretation von Frauen sichtbar, der sich seitdem enorm erweitert hat. Zu Lerners Biographie siehe: Gerda Lerner, Fireweed: A Political Autobiography (Philadelphia: Temple University Press, 2002); dt.: Feuerkraut: Eine politische Autobiografie (Wien: Czernin, 2009); und das Kapitel, „Gerda Lerner: Frauenhistorikerin, Geschichtsphilosophin, Autorin“, in Marit Rullmann und Wer­ ner Schlegel, Denken, um zu leben: Philosophinnen vorgestellt (Wiesbaden: marix, 2018), 249–254. 39 Zum Begriff „feministisch“ folge ich hier Jorunn Økland: „All (including pre-En­ lightenment) readings that aim to overturn gender hierarchies where the male is pos­ ited above the female will here be counted as ‚feminist‘.“ Jorunn Økland, „Feminist readings of the Bible“, in The New Cambridge History of the Bible 4: From 1750 to the Present (hg. v. John Riches; Cambridge: Cambridge University Press, 2015), 261–272; 262. Økland beruft sich dabei auf das Verständnis von Marla J. Selvidge in ihrem Buch Notorious Voices.

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Während der englische Sprachraum40 für das lange 19. Jh. sowohl im Hinblick auf Personen41 als auch auf Textausgaben (etwa Auslegungen zu be­ stimmten Büchern und Textstellen des Alten Testaments42) inzwischen recht gut erforscht ist, gilt dies für andere Teile der Welt viel weniger. Doch dies ist in Veränderung; angeregt durch Konferenzen und Panels bei der Society of Biblical Literature oder durch Veröffentlichungen in Fachzeitschriften wie der in Bern erscheinenden Online-Zeitschrift lectio difficilior sowie von Le­ xika und Monographien in jüngerer Zeit und nicht zuletzt durch diese in vier Kultur- und Sprachräumen erarbeitete Reihe Die Bibel und die Frauen, wird Grundlagenforschung an den Quellen betrieben. So stellte der 2014 erschie­ nene Band 8.2 dieser Reihe, der sich ebenfalls dem langen 19. Jh. widmet, weitere regionale Großräume (Süd- und Osteuropa und deutschsprachiger Raum) vor und förderte überraschende Ergebnisse zutage, wie etwa die Ent­ deckung, dass eine italienische Nonne bereits Mitte des 19. Jh. die gesamte Bibel kommentiert hat.43 Die Verbindungen der Frauenbewegungen der einzelnen Länder unterei­ nander verdienen weitere Aufmerksamkeit, insbesondere da sich alle Frau­ enbewegungen in den USA, England, Frankreich und Deutschland ab den 1840er Jahren formierten. Allerdings fehlt hier noch ein Gesamtüberblick,44 der die Interpretation der Bibel als Argumentationsgrundlage in fundamen­ taler Weise einbezieht. Für einzelne Länder liegen bereits Arbeiten vor: über einzelne Frauenrechtlerinnen, wie etwa Elisabeth Malo (1855–1930)45 in 40 Vgl. Christiana de Groot und Marion Ann Taylor, Hg., Recovering NineteenthCentury Women Interpreters of the Bible (SBLSymS 38; Leiden: Brill, 2007). Dieses Buch befasst sich mit damals noch wenig behandelten weiblichen Bibelinterpretin­ nen aus England und den USA. 41 Vgl. etwa Kristin Kobes Du Mez, A New Gospel for Women: Katherine Bushnell and the Challenge of Christian Feminism (Oxford: Oxford University Press, 2015). 42 Vgl. Marion Ann Taylor und Heather E. Weir, Hg., Let Her Speak for Herself: Nineteenth-Century Women Writing on Women in Genesis (Waco: Baylor University Press, 2006); Dies., Women in the Story of Jesus: The Gospels Through the Eyes of Nineteenth-Century Female Biblical Interpreters (Grand Rapids: Eerdmans, 2016). 43 Adriana Valerio, „Biblische Inspirationen im Transformationsprozess der religiösen Frauengemeinschaften Italiens im 19. Jahrhundert“, in Fromme Lektüre und kritische Exegese im langen 19. Jahrhundert (hg. v. Michaela Sohn-Kronthaler und Ruth Albrecht; BuF 8.2; Stuttgart: Kohlhammer, 2014), 140–156. 44 Vgl. allgemein: Ute Gerhard, Frauenbewegung und Feminismus: Eine Geschichte seit 1789 (München: Beck, 32018); Kristina Schulz, Hg., The Womenʼs Liberation Movement: Impacts and Outcomes (New York: Berghahn, 2017); Rita Huber-Sperl, Hg., unter Mitarb. von Kerstin Wolff, Organisiert und engagiert: Vereinskultur bürgerlicher Frauen im 19. Jahrhundert in Westeuropa und den USA (Königstein/Tau­ nus: Helmer, 2002). 45 Vgl. Christiane Markert-Wizisla, Elisabeth Malo: Anfänge feministischer Theologie im Wilhelminischen Deutschland (Pfaffenweiler: Centaurus, 1997). Malo for­ derte eine „zweite Reformation“, die v. a. Frauen zugutekommen sollte. Ihr Werk ist stark von biblischen Bezugsnahmen getragen.

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Deutschland oder Helene von Mülinen (1850–1924) in der Schweiz,46 aber auch über Frauen in Südafrika,47 und auf dem Gebiet von Lettland48 und Skan­ dinavien49 oder zu frauenrechtsbewussten Poetinnen in Armenien50 und in den USA.51 Weitere Forschung ist hier notwendig und teilweise bereits in Ar­ beit, ebenso zu einzelnen Frauenorganisationen und ihrer Kritik der mit der Bibel begründeten ontologischen und sozialen Unterordnung von Frauen in Gesellschaft und Kirchen.52 46 Vgl. Doris Brodbeck, Hunger nach Gerechtigkeit: Helene von Mülinen (1850– 1924) – eine Wegbereiterin der Frauenemanzipation (Zürich: Chronos, 2000); vgl. auch ihren Beitrag: Dies., „Eine Schweizer Vorkämpferin für Frauenrechte: Bibelre­ zeption bei Helene von Mülinen“, in Fromme Lektüre und kritische Exegese im langen 19. Jahrhundert (hg. v. Michaela Sohn-Kronthaler und Ruth Albrecht; BuF 8.2; Stuttgart: Kohlhammer, 2014), 233–243. 47 Vgl. Lize Kriel, „African Women, Conversion and Evangelism in 19th Century Southern Africa: A View from the ‚Far North‘“, in Polyzentrische Strukturen in der Geschichte des Weltchristentums (hg. v. Klaus Koschorke und Adrian Hermann; StAECG 25; Wiesbaden: Harrassowitz, 2014), 257–267. 48 Dace Balode, „Die Bibel auf der Seite der Unterdrückten: Bibelinterpretationen von Frauen auf dem Territorium Lettlands in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, in Die Bibel war für sie ein politisches Buch: Bibelinterpretationen der Frauenemanzipationsbewegungen im langen 19. Jahrhundert (hg. v. Irmtraud Fischer et al.; Frau­ enforschung in Europa 29; Münster: LIT, 2020 [im Druck]). 49 Päivi Salmesvuori, „Drei Frauen und drei Herangehensweisen an die Bibel im Kontext der Reformbewegungen in Finnland“, in Die Bibel war für sie ein politisches Buch: Bibelinterpretationen der Frauenemanzipationsbewegungen im langen 19. Jahrhundert (hg. v. Irmtraud Fischer et al.; Frauenforschung in Europa 29; Müns­ ter: LIT, 2020 [im Druck]); Hanna Stenström, „‚The Hand Maid of the Lord, Not of the Lords‘: Fredrika Bremer Reads the Bible in the Service of Women’s Emancipa­ tion“, in Die Bibel war für sie ein politisches Buch: Bibelinterpretationen der Frauenemanzipationsbewegungen im langen 19. Jahrhundert (hg. v. Irmtraud Fischer et al.; Frauenforschung in Europa 29; Münster: LIT, 2020 [im Druck]). 50 Mariam Kartashyan, „Die Bedeutung biblischer Motive im literarischen Schaffen armenischer Frauen“, in Die Bibel war für sie ein politisches Buch: Bibelinterpretationen der Frauenemanzipationsbewegungen im langen 19. Jahrhundert (hg. v. Irm­ traud Fischer et al.; Frauenforschung in Europa 29; Münster: LIT, 2020 [im Druck]). 51 Caroline Blyth, „Fromme Subversion: Die (eigenwillige) Verwendung der Paulus­ briefe in Emily Dickinsons Dichtung und Korrespondenz“, in Die Bibel war für sie ein politisches Buch: Bibelinterpretationen der Frauenemanzipationsbewegungen im langen 19. Jahrhundert (hg. v. Irmtraud Fischer et al.; Frauenforschung in Euro­ pa 29; Münster: LIT, 2020 [im Druck]). 52 Hier kommen als erstes sofort protestantische Frauenverbände in den Blick; dass jedoch auch Katholikinnen viel zur Interpretation der Bibel beigetragen haben, wird etwa in Band 7.2 dieser Reihe deutlich: Maria Laura Giordano und Adriana Va­ lerio, Hg., Das katholische Europa im 16.–18. Jahrhundert (BuF 7.2; Stuttgart: Kohlhammer, 2019). Ähnliches gilt für anglikanische orthodoxe Frauen. Zu einer römisch-katholischen Gelehrten, die sich v. a. bildungspolitisch eingesetzt hat, vgl. Marie-Theres Wacker, „Dr. phil. Barbara Klara Renz (1863–1955): Eine katholische Interpretin der Bibel zwischen Ethnologie, Religionsphilosophie und dem Streit für

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Bibelinterpretinnen und ihre Bedeutung in Frauenbewegungen des langen 19. Jh.

Der hier vorliegende Band enthält Beiträge zu Frauen in den USA, in Skan­ dinavien, Italien, England, der Schweiz und Indien.53 Wer ihre Geschichten liest, stellt schnell fest, dass und wie Frauen und Frauenbewegungen im lan­ gen 19. Jh. miteinander vernetzt waren. Eindrücklich sind die vielen Querver­ bindungen, die in den Einzelbeiträgen zwischen einzelnen Protagonistinnen sichtbar gemacht werden, etwa zwischen Katharine Bushnell (1855–1946), Josephine Butler und Frances Willard, aber auch zwischen Bushnell und Pan­ dita Ramabai in Indien. Über diese Verbindungen, die in vielen Fällen zu Freundschaften werden, entstehen transnationale Netzwerke für die Aufhe­ bung der Sklaverei, für Temperenz und für die Rechte von Frauen.54 Hier findet auch der transnationale und überkonfessionelle Austausch über die be­ freiende Botschaft der Bibel statt. Voraussetzungen der Vernetzung waren die Mobilität von (wohlhaben­ den) Frauen durch Reisen, ähnliche Bildungswege, aber auch der Transfer von Ideen bzw. Gedankengut über Bücher und Presseerzeugnisse, wodurch Frauen, die oft dem Bürgertum entstammten, über große Distanzen hinweg miteinander in Beziehung treten und kommunizieren konnten. Vernetzung bedeutete gegenseitige Einflussnahme, und zwar in beide Richtungen. Die­ se transnationale Vernetzungsgeschichte ist, wie bereits dargelegt, zum Teil verwoben mit der internationalen Antisklavereibewegung,55 aber auch mit der Kolonial- oder Imperialgeschichte.56 Letzteres gilt auch dann, wenn das be­

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das Bildungsrecht von Frauen“, lectio difficilior 2 (2013), online: http://www.lectio. unibe.ch/13_2/wacker_marie_theres_dr_phil_barbara_klara_renz.html [zuletzt ab­ gerufen am 28.7.2020]. Zeitgleich zu dieser Publikation erscheint ein weiterer Band zum Thema, in dem es Beiträge über Finnland, Norwegen, Lettland, Armenien und den USA gibt. Vgl. Irmtraud Fischer et al., Hg., Die Bibel war für sie ein politisches Buch: Bibelinterpretationen der Frauenemanzipationsbewegungen im langen 19. Jahrhundert (Frau­ enforschung in Europa 29; Münster: LIT, 2020 [im Druck]). Vgl. dazu Britta Waldschmidt-Nelson und Anja Schüler, Hg., Forging Bonds Across Borders: Transatlantic Collaborations for Womenʼs Rights and Social Justice in the Long Nineteenth Century (Washington: German Historical Institute, 2017). Der Sammelband behandelt u. a. die Women’s Christian Temperance Union (WCTU) und manche damit verbundenen Frauen (Frances Willard, Pandita Ramabai, Josephi­ ne Butler, Katharine Bushnell) sowie Frederike Bremer. Eine ausführliche Themati­ sierung der Bibel fehlt. Vgl. z. B. Maartje Janse, „‚Holland as a Little England?‘ British Anti-Slavery Mis­ sionaries and Continental Abolitionist Movements in the Mid Nineteenth Century“, PaP 229/1 (2015), 123–160. Beispiele sind etwa Pandita Ramabai und Helen Barrett Montgomery. Vgl. dazu ins­ bes. die Beiträge von Christine Lienemann-Perrin und Royce M. Victor in diesem

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treffende Land keine Kolonien hatte, da der Einfluss kolonialen Denkens und kolonialer Ökonomie sich auch dort zeigte.57 Die hier veröffentlichten Beiträge werden im Folgenden kurz vorgestellt; der grundlegende Beitrag von Gerhard bildet den ersten Teil des Bandes, die anderen Einzelbeiträge formen den zweiten Teil. Der fast monographische Artikel der Politikwissenschaftlerin und Rechts­ philosophin Ute Gerhard, in der deutschsprachigen Forschung eine Ikone der Frauenforschung, über den Partikularismus der Frauenrechte im 19. Jh. nimmt die rechtliche Situation von Frauen, die sich lokal sehr unterschiedlich ausprägen konnte, als Ausgangspunkt und beschreibt in den Rechtsfamilien die Entwicklung hin zu mehr Frauenrechten mitsamt den unvermeidlich wie­ derkehrenden Rückschlägen. Erstmalig korreliert sie die Rechtsentwicklung mit den nationalen und regionalen Frauenbewegungen und erhellt auf diese Weise Zusammenhänge, die den Lebenskontext der Vorkämpferinnen der Frauenrechtsbewegung bilden. Diese sehr ausführliche rechtsgeschichtliche Einführung in einen Band, der auf Bibelrezeption fokussiert, macht viele Ar­ gumentationen und Aktionen der im zweiten Teil exemplarisch dargestellten Einzelkämpferinnen und ihrer Frauenbewegungen erst verständlich. Die freischaffende Historikerin Elisabeth Joris aus Zürich beschäftigt sich mit der Schweizer Pädagogin und liberalen Katholikin Josephine Stadlin (1806–1875) und deren eigenwilliger Auslegung der acht Seligpreisungen im Rahmen liberaler Erziehungskonzepte eines Rechts auf gleiche (Aus-)Bildung für Frauen und Männer. Stadlin, die sich der Emanzipation des weiblichen Geschlechts verschrieben hatte, stand reformkatholischen und frühfeministi­ schen Gedanken über die Gleichheit der Geschlechter nahe, wie sie bereits im (dissidenten) Deutschkatholizismus und in der Hamburger Hochschule für das weibliche Geschlecht vertreten wurden, nach dem Scheitern der Revolution von 1848 jedoch wieder von der politischen Bühne verschwanden. Für Stad­ lin waren die Seligpreisungen ein „Grundriss menschlicher Erziehung“,58 ein pädagogisches Programm zur Entwicklung eigenständigen und empathischen Handelns, die sie vor allem Mädchen und Frauen als gesellschaftlich begrün­ deten Bildungsauftrag ans Herz legte. Trotz ihrer transnationalen Vernetzung blieb die Breitenwirkung Stadlins auf den deutschen Sprachraum beschränkt. Adriana Valerio von der Università degli Studi Federico II in Neapel skiz­ ziert, wie zwischen der Mitte des 19. Jh. bis zur Auseinandersetzung um den Modernismus die Auslegung der Bibel unterschiedlichen Gruppierungen als Band. 57 Vgl. Patricia Purtschert und Harald Fischer-Tiné, Hg., Colonial Switzerland: Rethinking Colonialism From the Margins (Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2015). Der Sammelband bezieht sich zwar weitgehend auf die Schweiz und auf das 20. Jh., ist aber grundlegend für die Fragestellung. 58 Josephine Stadlin, Die Erziehung im Lichte der Bergpredigt (Aarau: Sauerländer, 1856), Einleitung, 1.

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Grundlage und Begründung für soziale Veränderungen diente. Der Beitrag arbeitet – ähnlich wie schon der von Elisabeth Joris – heraus, wie antago­ nistische Kräfte innerhalb einer einzelnen Konfession wirken und welche Bedeutungen dabei Texten aus der Bibel zugeschrieben wurden. Die Heilige Schrift wurde als Bollwerk, als Grundlage kirchlicher Erneuerung, als soziale Grundlage eines überkonfessionell gelebten Glaubens oder als Inspirations­ quelle für die Berufung auf die Rechte von Frauen gesehen. Anhand mehrerer Frauen und ihren Biographien wird aufgezeigt, wie Katholikinnen dieser un­ terschiedlichen Richtungen innerhalb des italienischen römischen Katholizis­ mus die Bibel für ihr jeweiliges Anliegen nutzten. Sie verband, dass sie sich alle der Bedeutung für die Gestaltung christlicher Identität äußerst bewusst waren. Mit der kirchenamtlich approbierten Übersetzung des Bibeltextes von Antonio Martini wurde die vorurteilsbehaftete Sicht „der Frau“, wie sie in offiziellen kirchlichen Stellungnahmen vertreten wurde, an die Gläubigen vermittelt. Die italienische Frauenbewegung, allen voran die erste römischkatholische Feministin Italiens, Elisa Salerno (1873–1957), kritisierte solche Fehlinterpretationen als Mittel der Ausgrenzung von Frauen und bereitete da­ mit den Weg zur Öffnung der bürgerlichen Rechte für Frauen. Die folgenden zwei Beiträge beschäftigen sich mit dem skandinavischen Kontext: Norwegen und dem damals zu Dänemark gehörenden Island.59 Aud V. Tønnessen von der Theologischen Fakultät der Universität Oslo stellt zwei Pionierinnen der norwegischen Frauenrechtsbewegung und die Art und Wei­ se, wie sie die Bibel argumentativ gegen biblische Argumente für die Unter­ ordnung der Frauen und für ihre „feministische“ Argumentation einsetzten, ins Zentrum ihrer Überlegungen. Die Pastorentochter und Schriftstellerin Camilla Collett (1813–1895) und die Physikprofessorentochter und Künstlerin Aasta Hansteen (1824–1908) erhielten ihre Inspiration für neue Lesarten der Bibel weniger aus ihrem kirchlichen (evangelischen) Kontext, als vielmehr aus der zeitgenössischen Dichtung und Philosophie. In den 1870er Jahren setzten sie sich mit John Stuart Mills Buch über die Unterwerfung der Frauen60 (engl. 1869) auseinander, das eine breite Diskussion hervorrief. Hansteen, die neun Jahre in den USA lebte, kannte die amerikanische progressive Frauenbewe­ gung und ließ sich für ihr Spätwerk von der Woman’s Bible inspirieren. Ihr Anliegen war die innere Befreiung der Frauen und ihre Anerkennung als den Männern sozial gleichgestellte Menschen. Die Argumente für eine veränderte soziale und kulturelle Akzeptanz der Frauen – heute würden wir von Ge­ schlechtergerechtigkeit sprechen – fanden sie in der Neuauslegung biblischer 59 Zu weiteren Beiträge im skandinavischen Kontext siehe: Salmesvuori, „Drei Frauen und drei Herangehensweisen“; Stenström, „The Hand Maid of the Lord“. 60 Mill, The Subjection; dt. Übersetzung: John Stuart Mill und Helen Taylor un­ ter Rückgriff auf Gedanken von Harriet Taylor, „Die Unterwerfung der Frauen“, in John Stuart Mill: Ausgewählte Werke (hg. v. Ulrike Ackermann und Hans Jörg Schmidt; 5 Bde; Hamburg: Murmann, 2012 [urspr. 1869]), 1:439–560.

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Texte. Christus sahen sie dabei als den wahren Befreier der Frauen an. Der Beitrag ist zudem erhellend im Hinblick auf die Wechselwirkung einzelner Protagonistinnen untereinander. Arnfríður Guðmundsdóttir von der Universität Island in Reykjavík zeigt anhand des Lebens und Wirkens von Bríet Bjarnhéðinsdóttir (1856–1940) die Anfänge der isländischen Frauenrechtsbewegung auf. Für Bríet Bjarnhéðins­ dóttir ist die Bibel nicht per se ein die Frauen unterdrückendes Buch, son­ dern erst durch die traditionelle Interpretation zu einem solchen geworden, indem Männer biblische Worte dazu benützten, um den eigenen Ehefrauen und Töchtern ihren Willen aufzuzwingen. Den Frauen wurde aber gerade durch solche Fehlinterpretationen biblischer Texte und einer fehlgeleiteten Interpretationsgeschichte eine eigenständige Persönlichkeitsentwicklung vor­ enthalten. Bríet Bjarnhéðinsdóttir äußert dabei sogar den Verdacht, dass sich die Christianisierung der nordischen Länder für die Stellung der Frauen nach­ teilig ausgewirkt habe und verweist – wie in der Zeit des erwachenden Na­ tionalismus auch in anderen Kontexten häufiger zu finden – auf die stärkere Position des weiblichen Geschlechts in den traditionellen nordischen Sagen. Christiana de Groot von der Calvin University, Grand Rapids, untersucht die Exegese im Buch Women of Israel (1845) der jüdischen Britin Grace Aguilar, die trotz ihres frühen Todes im Alter von 31 Jahren ein sehr um­ fangreiches und in ihrer Zeit breit rezipiertes Gesamtwerk hinterließ.61 De Groot stellt die drei sich überlappenden Kontexte von Aguilars Auslegung dar: ihre Zugehörigkeit zur jüdischen Minderheit in der christlich geprägten englischen Mehrheitskultur, ihren Status als Frau in einer patriarchalischen jüdischen Gemeinschaft und ihre Interpretation der Hebräischen Bibel im Austausch mit anderen jüdischen und christlichen Frauen und Männern ihrer Zeit. Aguilars Auslegung lässt sich vor dem Hintergrund der Bemühungen um die jüdische Emanzipation im England des 19. Jh. gut verstehen; sie betont die Vereinbarkeit von jüdischer und englischer Identität und plädiert für das Beibehalten der jüdischen Tradition, ohne sich zu assimilieren. Innerhalb ih­ rer jüdischen Gemeinschaft engagiert sie sich für die religiöse Erziehung von Mädchen und Frauen, ohne die gesellschaftlich gängige Vorstellung der ge­ trennten Geschlechtersphären aufzugeben. Aguilars Exegese der Pentateuch61 Grace Aguilar, The Women of Israel, or, Characters and Sketches From the Holy Scriptures, Illustrative of the Past History, Present Duties, and Future Destiny of Hebrew Females, as Based on the Word of God (London: Groombridge, 1845). Ein­ zelne ihrer Werke wurden übersetzt, das hier behandelte Werk ins Französische (Les Femmes d’Israel, Paris: Cerf, 1900). Von Aguilars anderen Büchern gibt es Überset­ zungen, etwa in deutscher Sprache die Bücher Mädchenfreundschaft (Leipzig: Voigt & Günther, 1857, mehrere Auflagen) und Lohn einer Mutter: Eine Erzählung für Mütter und Töchter (Leipzig: Voigt & Günther, 1859, mehrere Auflagen); in spani­ scher Sprache: Influencias de la educación doméstica: Primera parte (Madrid: [s. n.], 1860). Übersetzungen ins Italienische sind uns nicht bekannt.

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Gesetze ist präkritisch und bewusst geschlechtsspezifisch, d. h. sie schreibt als Frau und für Frauen über Texte, die sie angehen. Die Vorkämpferin für Frauenbildung, Anwältin der Rechte von Frauen und Bibelübersetzerin Ramabai (1858–1922), genannt „Pandita“ (eine gebil­ dete Frau), engagierte sich in Indien gegen das Kastensystem und für eine Verbesserung der Stellung von Witwen. Der inzwischen zum Bischof der Di­ özese Malabar, der Kirche von Südindien, ernannte Theologe Royce M. Victor stellt ihr Leben und ihre Bibelhermeneutik vor. Mit dem Christentum durch das Lukasevangelium in Berührung gekommen, ließ sie sich 1883 taufen und unternahm Reisen nach England und in die USA, was zu ihrer internationalen Vernetzung mit führenden Vertreterinnen der Frauenbewegung führte. Nach dem Erlernen des Griechischen und des Hebräischen übersetzte sie die Bibel ins Marathi. Die emeritierte Professorin für Ökumene, Mission und interkul­ turelle Gegenwartsfragen an der Theologischen Fakultät der Universität Ba­ sel, Christine Lienemann-Perrin, widmet sich dem Vergleich zwischen Pan­ dita Ramabais und Helen Barrett Montgomerys (1861–1934) Bibellektüren und stellt diese in den Kontext der ökumenischen Frauenmissionsbewegung. Montgomerys gendersensitive Wahrnehmung der Bibel führt sie zu eigenwil­ ligen Übersetzungen: 1 Tim 2,15 versteht sie dahingehend, dass die Frauen nicht durch die Geburt ihrer eigenen Kinder, sondern aufgrund der Geburt Jesu erlöst werden. Die Baptistin Helen Montgomery, die den Weltgebetstag der Frauen maßgeblich mitinitiierte, und Pandita Ramabai, die ein konfes­ sionsfreies Christentum vertrat, können zwar der gleichen missionarischen Interpretationsgemeinschaft ihrer Zeit zugerechnet werden und beeinflussen sich gegenseitig in ihrem Denken, sie gehören aber aufgrund der kolonialen Situation zwei antagonistischen Seiten an. Gemeinsam ist beiden etwa ihre Zugehörigkeit zur Bildungselite und ihre Eloquenz sowie ihr Verständnis der Bibel als befreiendes Buch für Frauen, aber auch die Unterstützung durch Vater und Ehemann. Unterschiede werden sichtbar in ihrer Analyse der Mis­ sion im Kontext des Kolonialismus und in der bei Ramabai sehr kritischen, bei Montgomery unkritischen Wahrnehmung der kolonialen und imperialen Weltordnung. Sie haben vieles vorgedacht, was heute im Hinblick auf gen­ dersensitive Bibelübersetzung, kasten- und klassenkritische Auslegung und postkoloniale Bibelhermeneutik üblich geworden ist. Mehrere Beiträge stellen amerikanische Bibelinterpretinnen vor. Joy A. Schroeder vom Trinity Lutheran Seminary an der Capital University in Columbus, Ohio, zeigt die intersektionelle Verknüpfung unterschiedlicher Diskriminierungskriterien in ihrem Beitrag über Maria Stewarts Bibelauslegung im Kontext der afroamerikanischen Frauenbewegung auf. Nicht nur, dass Frauen an sich diskriminiert waren, sondern dass schwarze Frauen, die sogenannten „Töchter Afrikas“, die durch die christlichen Gesellschaften der beiden Amerikas in die Sklaverei gezwungen und ihrer Freiheit beraubt wur­ den, in doppelter Weise betroffen waren, war Maria Stewart (1803–1879) voll

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bewusst. Als Tochter eines frei geborenen afroamerikanischen Ehepaares aus den Nordstaaten mit eigenen Erfahrungen als Hausangestellte wusste sie, wo­ gegen sie kämpfte. Sie setzte sich massiv gegen Sklaverei und intensiv für die Bildung insbesondere der jungen Frauen ein und war lange als Lehrerin in unterschiedlichen Schulen tätig. Ihre Bibelkenntnis erlaubte es ihr, die aus der Schrift abgeleiteten Verbote für Frauen mit dem Verweis auf biblische Frauengestalten zu konterkarieren und wie eine Prophetin mit Scheltreden gegen den vorherrschenden Rassismus aufzutreten, der schwarze Frauen auf dem Niveau von Hausangestellten festhalten wollte. Joy Schroeder gelingt es, das Milieu, in dem Stewart und weitere Mitstreiterinnen gegen die Benachtei­ ligung von afroamerikanischen Frauen kämpften, lebendig werden zu lassen und die Notwendigkeit und enorme Bedeutung von Bildung für einen sozia­ len Aufstieg darzustellen. Kristin Kobes Du Mez von der Calvin University, Grand Rapids, zeigt das Engagement von Frauen in bedeutenden, weltweiten Bewegungen des 19. Jh. auf (Abstinenz-, Sittlichkeitsbewegung), die so zu Vorkämpferinnen eines weiblichen christlichen Internationalismus wurden, der wiederum auch die Art und Weise prägte, wie sie selbst die Bibel lasen und für soziale Verände­ rungen eintraten. Im Mittelpunkt ihrer Überlegungen steht die Missionarin, Ärztin und Sozialreformerin Katharine Bushnell (1855–1946), die sich, wie DuMez in diesem Band aufzeigt, in der Abstinenzbewegung, „im Kern eine Frauenbewegung“, und in der Sittlichkeitsbewegung im spätviktorianischen Amerika engagierte. Bushnells Theologie radikalisierte sich im Laufe ihrer Arbeit immer weiter, Grundlage dafür war ihre Neuinterpretation der ersten Kapitel des Buches Genesis, insbesondere der Rolle Evas beim sog. „Sünden­ fall“. Claudia Setzer vom Manhattan College setzt sich mit Frances Willards Ablehnung fundamentalistischer Bibelauslegung auseinander. Die Methodis­ tin Frances Willard (1839–1898) war Vorsitzende der Women’s Christian Temperance Union (WCTU), ihr Publikum waren konservative Methodist*innen und Evangelikale des Westens und Mittleren Westens. Sie war eine der Frau­ en, die das Engagement für Abstinenz, Abschaffung der Sklaverei und die Frauenfrage miteinander verband. Bei ihrem kühnen Eintreten für das Wahl­ recht und für die Ordination der Frauen berief sie sich auf die Bibel; sie war vertraut mit der historisch-kritischen Methode und wandte Text-, Überliefe­ rungs- und Quellenkritik aktiv an. Kritisch verfolgte sie verfälschende Bi­ belübersetzungen ihrer Zeit. Ihre Auslegung war – anders als die Woman’s Bible – bemerkenswert frei von Antijudaismus. Amanda Russell-Jones vom Regent College, Vancouver, schreibt über die britische Feministin Josephine Butler (1828–1906), die als Stimme der Verstoßenen die wohl einflussreichste Frau ihrer Zeit war. Sie sprach vor Politikern und organisierte Kampagnen zur Durchsetzung ihrer Anliegen, etwa gegen sexuelle Doppelmoral, die Frauen leicht zu „Verstoßenen“ („outcasts“) wer­

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den ließen, und kämpfte gegen die Contagious Diseases Acts (Gesetze zur Bekämpfung ansteckender Krankheiten). Butler las die Hl. Schrift aus der Perspektive der Opfer und wurde so zur Stimme der Verstoßenen. Josephine Butler war zutiefst von einer christozentrischen Hermeneutik geprägt und sah Jesus als Befreier, wobei sie immer wieder auf die des Ehebruchs angeklagte Frau in Joh 8 verwies und mit Exegeten ihrer Zeit über die Auslegung der Schrift diskutierte. In einem Interview aus dem Jahr 1894 spricht sie über den „Sex-Bias“62 der Bibelausleger. Der entscheidende Beitrag Butlers, die ein universales Sittengesetz vertrat, war die Öffnung des Horizonts der Frau­ enfrage von der Ungleichheit der Rechte und der Bildungschancen hin zur Unterdrückung der Frau im Gefüge ökonomischer, politischer und sexueller Macht. Der diesen Band beschließende Beitrag von Izaak J. de Hulster von der Universität Helsinki und der Georg-August-Universität Göttingen ist den Frauen gewidmet, die zwischen 1840 und 1900 die biblischen Länder erkun­ den und dies in Reisebeschreibungen, aber auch wissenschaftlichen Beiträgen vermitteln. Die feministische Theologin Janet Soskice hat vor einigen Jahren ein spannendes Buch über die „Sisters of Sinai“ verfasst, ein Zwillingspaar aus Schottland, das einen wesentlichen Beitrag zur Erforschung biblischer Manuskripte in Ägypten leistete. Mehr Frauen als bis heute bekannt, wovon hier nur Agnes und Margaret Smith genannt seien, haben, inspiriert von der Bibel und biblischen Traditionen, zur Erschließung der „Länder der Bibel“ im Nahen Osten und in Ägypten beigetragen. Die hier vorgestellten Frauen ver­ fassten wissenschaftliche Artikel in der Handschriftenkunde, in der Landes­ kunde und Botanik, in Archäologie und Ethnologie. Einige der Frauen bieten mit ihren Beschreibungen und Fotografien auch einen interessanten Einblick in das Leben der lokalen Bevölkerung. Der Beitrag setzt sich zudem mit der Fotografie als im 19. Jh. neuem Medium der Wahrnehmung und Interpretati­ on, auch biblischer Geschichten, auseinander. Die meisten der in diesem Band behandelten Frauen sehen die Bibel trotz ihrer kritischen Analyse weiterhin als normative Quelle an und sprechen ihr große Autorität zu. Manchen Bibelinterpretinnen geht es in erster Linie um eine angemessene Übersetzung biblischer Texte, andere betonen eher die (Neu-)Interpretation; in beiden Fällen geht es darum, aufgrund der Bibel­ lektüre und -interpretation zu vorurteilsfreien Beurteilungen von Frauen zu kommen, die letzten Endes zum gleichen Status und Wert und damit zu einer neuen, nichthierarchischen Verhältnisbestimmung der Geschlechter führen. Was das Engagement für die Emanzipation der Frauen angeht, so setzten die einzelnen Frauen unterschiedliche Akzente, manche betonten die öffent­ liche Rolle von Frauen, andere legten eher Wert auf ihre innere Befreiung und Freiheit. Mit ihrem literarischen Werk aber konstruierten sich die Frauen 62 Vgl. dazu Taylor und Weir, Women in the Story of Jesus, 209–211.

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selbst als öffentliche Personen mit einem öffentlich-politischen Anliegen: Dies aber war nichts weniger als die Dekonstruktion traditioneller Bibelauslegun­ gen und ein Plädoyer für alternative Deutungen, die den gesellschaftlichen und rechtlichen Status von Frauen ins rechte Lot bringen würden. Die trans­ nationale Vernetzung der Frauen und Frauenbewegungen im 19. Jh. bestärk­ ten sie im Streit gegen dominante gesellschaftliche (insbesondere rechtliche) Rahmenbedingungen und Wahrnehmungsmuster. Ein wichtiges Ergebnis dieses Bandes ist daher die Erkenntnis, dass Frauen im 19. Jh. transnational weitaus vernetzter waren als bisher wahrgenommen. Diese Vernetzungsge­ schichte zurückzugewinnen und zurückzuschreiben in die Geschichte der Bibelinterpretation – nicht nur von Frauen – ist ein gesellschaftlich relevantes Unterfangen und Anliegen nicht nur dieses Bandes in der Reihe Die Bibel und die Frauen.

Der Partikularismus der Frauenrechte im 19. Jahrhundert: Rechtslagen und Rechtskämpfe der Frauenbewegungen in der westlichen Welt Ute Gerhard Goethe-Universität Frankfurt a. M.

1.

Einleitung

Die Rechtslage der Frauen im 19. Jh. zeichnet ein sehr buntes Bild. Die Un­ übersichtlichkeit der Rechtsquellen vor der Rechtsvereinheitlichung durch nationale Gesetzbücher war im 19. Jh. nicht nur ein Problem mangelnder Rechtskenntnis, sondern steht für ein Defizit an Rechtsstaatlichkeit, das von allen Zeitgenossen, nicht nur von Frauen, als Rechtsunklarheit und Rechtsun­ sicherheit beklagt wurde. Es genügt daher nicht, sich zur Information über die zivilrechtliche Stellung der Frau auf einzelne Gesetzbücher, insbesondere die drei großen Kodifikationen, das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794, den Französischen Code civil von 1804 oder das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811 zu beziehen. Denn ihre regionale Geltung wird zusätzlich gebrochen durch den Partikularismus einzelstaatlicher Ge­ walten und die Zersplitterung des Rechts durch Einzelgesetze, örtliche Sta­ tuten, kantonale Eigenständigkeiten sowie durch Gewohnheitsrechte überla­ gert, die sich auf das von Juristen aus der Rezeption des römischen Rechts entwickelte Gemeine Recht oder ius commune stützen. So ist zu bedenken, dass allein auf dem Gebiet des ehemaligen Heiligen Römischen Reiches Deut­ scher Nation nach dem Wiener Kongress 1815 im von Österreich und Preu­ ßen als Großmächten geführten Deutschen Bund insgesamt 39 Kleinstaaten, Fürstentümer oder Freie Städte um die Rechtshoheit buhlten. Aber auch in der Habsburger-Monarchie z. B. galt das österreichische Allgemeine Gesetzbuch von 1811 nur in den Kernländern, während in den nach 1815 neu erworbe­ nen Territorien wie Tirol oder Lombardo-Venetien, erst recht in den nach den polnischen Teilungen erworbenen Gebieten andere Gesetze und Regelungen galten. Nicht minder partikular war die Privatrechtslage in der Schweiz, in der im ganzen 19. Jh. bis zur Verabschiedung des Schweizer Zivilgesetzbuchs im Jahr 1907 die Zivilgesetzgebung in kantonaler Kompetenz blieb. Ein Bei­ spiel für die hingegen staatliche Grenzen überschreitende Rechtsquelle ist der französische Code civil, dessen über Frankreich hinausgehende Geltung etwa in Belgien, den Niederlanden, Teilen Deutschlands, in Spanien und Italien

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oder Polen sich bis weit in das 19. Jh. hinein der Geographie Napoleonischer Eroberungen verdankte. Er blieb dort auch nach dem Ende der französischen Herrschaft – oft nur leicht abgewandelt – in Kraft. In der Übergangs- oder Schwellenzeit von ständischem und lokalem Recht zu grundsätzlich allgemein geltenden Gesetzen der sich erst herausbildenden Nationalstaaten gleicht die Landkarte der Frauenrechte in Europa daher ei­ nem bunten Flickenteppich, dessen Muster einander überlagern, oft auch mit­ einander verwoben sind und deren Gültigkeit, wie unter Juristen üblich, oft genug strittig war. Rechtspraktisch bedeutete es, dass bei einem Rechtsstreit – z. B. wenn eine Frau durch Heirat dem Wohnsitz ihres Mannes, oft nur in eine andere Stadt folgte – es nicht nur um die Frage gehen konnte, was rechtens ist, vielmehr oft genug zunächst geklärt werden musste, welches Recht galt und zur Anwendung kommen konnte. Um dennoch einen Überblick über diesen das 19. Jh. prägenden Rechtspar­ tikularismus zu geben, sollen die unterschiedlichen Rechtsquellen nach soge­ nannten Rechtskreisen oder Rechtsfamilien geordnet werden,1 die sich aus der politischen Geschichte der jeweiligen Staaten ergeben und durch eine eigene Rechtssystematik bzw. Rechtskultur unterscheiden bzw. miteinander verbun­ den sind. Die drei genannten naturrechtlichen Kodifikationen, das Preußische Allgemeine Landrecht (ALR), der französische Code civil (Cc) sowie das ös­ terreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) bilden dabei zu­ sammen mit dem Gemeinen Recht und dem englischen und amerikanischen Common Law am Übergang vom 18. zum 19. Jh. den Ausgangspunkt für die Darstellung der verschiedenen Rechtskreise. Nicht unerwähnt bleiben soll das Kanonische Recht, also das katholische, sowie das sich mit der Reformation abspaltende protestantische Eherecht, das in der Praxis von entscheidender Bedeutung war, solange die Kirchen die Jurisdiktion im persönlichen Ehe­ recht, d. h. für Eheschließung, Bestand und Auflösung der Ehe hatten. Ergänzt durch einen Exkurs zum Russischen Recht sowie das sich später profilierende Skandinavische Recht ist hiermit der Rahmen abgesteckt, in dem die privat­ rechtliche Stellung der Frau im Folgenden entfaltet und dargestellt wird. Die Grundlage bildet die Entwicklung eines bürgerlichen Privatrechts, das über Europa hinaus zunächst in den USA, aber auch in anderen Teilen der Welt in unterschiedlicher Ausprägung zur Geltung kommt. Dabei ist zu berück­ sichtigen, dass die Kolonialmächte im 19. Jh. mit der Unterwerfung außer­ europäischer Völker und Territorien und deren wirtschaftlicher Ausbeutung ihre imperiale Herrschaft auch auf ihre Privatrechtssysteme und jeweiligen Gesetzbücher stützten. Auf diese Weise eroberte der französische Code civil nachhaltig die französischen Kolonien z. B. in Nord- und Westafrika sowie 1

Vgl. hierzu Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter Berücksichtigung der deutschen Entwicklung (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 21967), 496–513, der die europäischen Rechtsfamilien und ihren interkontinentalen Einfluss unter der Nachwirkung kolonialer Gebietseroberungen im Einzelnen beschreibt.

Der Partikularismus der Frauenrechte im 19. Jahrhundert

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im Vorderen Orient und vermittelt über die spanischen Kolonien auch große Teile Südamerikas. Das englische Common Law prägt bis heute die ehemali­ gen Kolonien und Protektorate des Britischen Empires in Ost- bis Südafrika, Indien und Australien sowie in Nordamerika. Inwieweit hier Überformungen durch lokale Rechte und Gewohnheiten bzw. Veränderungen zum Zuge ka­ men, kann hier nicht erörtert werden. Wegen der Fülle des Stoffes muss sich der folgende Beitrag auf die westliche Welt – in jener Zeit des aufkommenden Imperialismus auf die als „civilisierte Länder“2 oder „Kulturländer“3 bezeich­ neten Regionen beschränken. Dies liegt nicht nur aus Platzgründen oder etwa eurozentrischer Engstirnigkeit nahe, sondern weil sich in der internationalen vergleichenden Privatrechtsgeschichte insbesondere in Bezug auf die Frauen­ rechte m. W. noch große Forschungslücken auftun. Den Auftakt zur Forderung nach Menschenrechten auch für Frauen bil­ deten die Interventionen von Olympe de Gouges (1791) und Mary Wollstone­ craft (1792), die bereits die Widersprüchlichkeit bürgerlichen Rechts öffent­ lich machten und damit die neuzeitlichen Diskurse um Gleichheit und/oder Differenz eröffneten. Doch die Frauenbewegungen mobilisierten sich euro­ paweit und in den USA im Kampf ums Recht erst um die Jahrhundertmitte. Von da an entwickelten sich internationale Verbindungen, die Austausch und Vergleich ermöglichten. Da es zum Stimmrecht der Frauen schon verschie­ dene Übersichten und international vergleichende Arbeiten gibt,4 liegt der Schwerpunkt meiner Ausführungen auf den wichtigsten Errungenschaften im Privat- oder Zivilrecht, das die existentiellen Lebenslagen der Frauen (in der Ehe, in der Beziehung zu ihren Kindern, bei Scheidung oder bei nichtehe­ licher Geburt) über das Familienrecht regelt. Mit der Entwicklung der Natio­ nalstaaten nun zeigt sich, dass das Familienrecht sehr viel stärker historisch, kulturell und konfessionell geprägt ist als andere Bereiche des Privatrechts und verdient daher im bürgerlichen Zeitalter für die Rechtsstellung der Frau besondere Aufmerksamkeit. Die international agierende Stimmrechtsbewe­ gung kann nur insofern nicht außer Acht bleiben, als private und öffentliche Rechte sich wechselseitig bedingen und das Wahlrecht für die einen als Fun­ dament, für die anderen als „Krone“ und als Endziel aller Bestrebungen um Frauenrechte galt.5 „Erst wenn Frauen in den Parlamenten sitzen“, wenn sie 2 3 4

5

Moisej Jakovlevic Ostrogorskij, Die Frau im öffentlichen Recht: Eine vergleichende Untersuchung der Geschichte und Gesetzgebung der civilisierten Länder (Leip­ zig: Wigand, 1897). Vgl. Helene Lange und Gertrud Bäumer, Hg., Handbuch der Frauenbewegung 1: Die Geschichte der Frauenbewegung in den Kulturländern (Berlin: Moeser, 1901). U. a. Ellen Carol DuBois, Woman Suffrage and Women’s Rights (New York: New York University Press, 1998); Caroline Daley und Melanie Nolan, Hg., Suffrage and Beyond: International Feminist Perspectives (Auckland: Auckland University Press, 1994). Zur Debatte über die Bedeutung des Stimmrechts für die Rechtsgleichheit der Frau vgl. Ute Gerhard, Gleichheit ohne Angleichung: Frauen im Recht (München: Beck,

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Ute Gerhard

nicht mehr outlaws sind, sondern selbst an der Gesetzgebung teilhaben, so die Vision der Stimmrechtlerinnen und der Suffragetten,6 werde Gerechtigkeit auch im Geschlechterverhältnis möglich werden.

2.

Auftakt zu Frauenrechten als Menschenrechten um 1789

Die Französische Revolution stellt in der Geschichte moderner Rechtsstaat­ lichkeit und des Gleichheitsgedankens eine entscheidende Wende dar. Die Pa­ role der Gleichheit wird von da an zu einem gesellschaftlichen Ordnungs- und Rechtsbegriff, aus dem konkrete Forderungen und ein politisches Programm sozialer Gerechtigkeit abgeleitet werden. Die Revolution bildet auch den Auf­ takt zum modernen Feminismus, paradigmatisch formuliert in zwei grundle­ genden Manifestationen: in der Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin von Olympe de Gouges aus dem Jahr 17917 sowie in der Schrift Eine Verteidigung der Rechte der Frau von Mary Wollstonecraft aus dem Jahr 1792.8 Beide Schriften beschreiben den Spannungsbogen, der mit der Forderung nach Frauenrechten in die an männlichen Rechtsbegriffen und Tatbestands­ voraussetzungen orientierte bürgerliche Welt kam. Mit dem Rekurs auf diese beiden sich wechselseitig ergänzenden Grundlagentexte wird klar, warum die Frauenemanzipation in der Moderne in einem grundlegenden Widerspruch befangen bleibt, wenn sie nicht ein Doppeltes einfordert und bedenkt: Die Rechtsgleichheit der Frauen beinhaltet und erfordert die Berücksichtigung der Geschlechterdifferenz. De Gouges und Wollstonecraft haben diesen Wider­ spruch von Anbeginn offengelegt, die eine mit der Betonung der Gleichheit, die andere mit dem Insistieren auf der Differenz, und doch haben beide das gleiche gemeint: Selbstverständlich Menschenrechte auch für die Frauen. De Gouges’ Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin (Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne) ist außergewöhnlich in ihrer Klar­ 1990), 111f. So die Debatte auf dem Internationalen Frauen-Friedenskongress in Den Haag, die die Forderung nach dem gleichen Stimmrecht mit ihrem Einsatz für die Beendigung des Krieges verband, vgl. Aletta Jacobs, „Begrüßungsrede“, in Bericht: Internationaler Frauenkongress in Haag vom 21. April bis 1. Mai 1915 (hg. v. Internationalen Frauenkomitee für dauernden Frieden; Amsterdam: Selbstverlag, 1915), 9–13; 12. 7 In französischer und deutscher Fassung vgl. Karl Heinz Burmeister, Olympe de Gouges: Die Rechte der Frau 1791 (Bern: Stämpfli, 1999). 8 Mary Wollstonecraft, A Vindication of the Rights of Woman: With Strictures on Political and Moral Subjects (London: Johnson, 1792). Im Folgenden zitiert nach Dies., Verteidigung der Rechte der Frauen (2 Bde; Zürich: Ala-Verlag, 1975/1976 [urspr. 1792]). 6

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heit und Radikalität, formuliert als Paraphrase auf die sogenannte Allgemeine Menschenrechtserklärung.9 Die anscheinend geringfügigen Umformulierun­ gen benennen die wunden Punkte im Geschlechterverhältnis und die spezifi­ schen Unrechtserfahrungen von Frauen sehr konkret. Ausformuliert werden die Menschenrechte ausdrücklich als Rechte von Frau und Mann und „beson­ ders“ das Recht auf Widerstand (Art. 2). Beachtenswert ist, dass das angebo­ rene und unveräußerliche Recht auf „Freiheit“ nicht nur in der Abgrenzung zu den gleichen Rechten anderer – „alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet“, so die ‚allgemeine‘ Menschenrechtserklärung Art. 4 –, son­ dern in einem Atemzug mit „Gerechtigkeit“ gefordert wird, um angesichts der „fortdauernden Tyrannei, die der Mann ihr [der Frau] entgegensetzt“, zurückzuerlangen, „was ihnen [den Frauen] zusteht“. Schließlich – und das scheint nicht recht in einen Verfassungstext zu passen – fordert de Gouges mit dem Recht auf Meinungs- und Gedankenfreiheit (Art. 11) als eines „der kostbarsten Rechte der Frau“ ihr Recht, den Vater ihres Kindes (gerade auch des nichtehelichen) zu benennen und zur Verantwortung zu ziehen.10 Im Sinne des Gleichheitsprinzips lehnt sie jedoch alle Sonderrechte, soge­ nannte Rechtswohltaten ab, die in den Rechtsordnungen des Ancien Régime Frauen aufgrund verminderter Zurechnungsfähigkeit (imbecillitas sexus) gewährt wurden. Stattdessen fordert de Gouges, dass die geltenden Gesetze gegenüber der Frau gleichermaßen „mit großer Strenge“ angewandt werden (Art. 9). Sie untermauert ihre Forderung nach Menschenrechten und damit nach einer neuen gerechten Ordnung auch in den Geschlechterverhältnissen mit dem Entwurf eines neuen „Gesellschaftsvertrages“.11 Er wird als Muster für einen Ehevertrag „zwischen Mann und Frau“ formuliert, in dem die not­ wendige Gleichstellung der Ehegatten in den ehelichen Beziehungen durch Regelungen im Hinblick auf die gemeinsamen Kinder (auch die unehelichen) sowie zum gemeinsamen Vermögen und im Hinblick auf die Erbrechte aus­ gestaltet wird. Dieses Verständnis des Ehevertrages als Gesellschaftsvertrag durchbricht und überschreitet die in Zukunft in der bürgerlichen Gesellschaft systematische Trennung zwischen Öffentlichem und Privatem Recht. Sie ist ebenso weitsichtig wie klug, da – wie sich in allen künftigen bürgerlichen und damit als modern verstandenen Gesetzbüchern zeigen wird – die Unter­ ordnung und Bevormundung der Frau durch das Familienrecht als Teil des Privatrechts organisiert wird. Dagegen wird die nicht verheiratete Frau bis auf wesentliche Rechte im öffentlichen Bereich (z. B. das Stimmrecht) grundsätz­ lich gleichgestellt werden. 9

Vgl. zur Interpretation Gerhard, Gleichheit ohne Angleichung, 49–72, und die Ge­ genüberstellung der beiden Menschenrechtserklärungen ebd., 263–269. 10 Über die Bedeutung dieser Forderung vgl. weiter unten die Ausführungen zum Code civil. 11 Zit. bei Burmeister, Olympe de Gouges, 149ff. bzw. 168ff.

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Es ist bezeichnend, dass die erste Menschenrechtserklärung für Frauen, die Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne (1791) der Olympe de Gouges, unmittelbar nach der Hinrichtung der Verfasserin unter der Guillotine 1793 vergessen und von der Geschichtsschreibung, auch den His­ torikern der Französischen Revolution,12 unterschlagen wurde. Ihre frauen­ rechtlerischen Anliegen verschwanden hinter dem Bemühen, sie lächerlich zu machen. Hingegen entfaltete Mary Wollstonecrafts Verteidigungsschrift A Vindication of the Rights of Woman über nun mehr als zwei Jahrhunderte eine breite Wirkung. Dieses feministische Manifest gilt als Gründungstext und gehört seither zumindest im englischsprachigen Raum zum festen Ka­ non weiblicher Emanzipationstheorien. Das Buch wurde sogleich zu einem Bestseller und seither in viele Sprachen übersetzt.13 Wie ist diese Wirkung zu erklären, obwohl Wollstonecrafts Schrift heute schwer zu lesen ist, langatmig und sprunghaft mit vielen Bezügen auf Autoren ihrer Zeit – erst recht, wenn die Übersetzungen, etwa ins Deutsche, ihre Radikalität verharmlosen und durch belehrende Kommentare verfälschen?14 Im Gegensatz zu de Gouges war Wollstonecrafts leitendes Rechtsprin­ zip nicht ‚Gleichheit‘, sondern das Recht der Frauen auf Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Sie schien die weibliche Bestimmung, ihre „von Natur aus größte Pflicht“ zur „Pflege der Kinder in ihrem frühesten Alter“ nicht antas­ ten zu wollen, betonte dabei aber: Um eine gute Mutter zu sein, muss eine Frau gesunden Verstand haben […]. Die Frauen werden nie die ihrem Geschlecht eigentümlichen Pflichten erfüllen, solange sie nicht aufgeklärte Bürger sind, so lange sie nicht frei sind, ihren Un­ terhalt selbständig zu verdienen, unabhängig von dem Mann, wie es ein Mann von einem anderen ist.15

Das heißt, Wollstonecraft beharrte darauf, dass die andere Lebensweise der Frauen anerkannt, berücksichtigt und lebbar wird. Diese Position der Diffe­ 12 Jules Michelet, Die Frauen der Revolution (hg. u. übers. v. Gisela Etzel; München: Langen, 1913 [urspr. 1854]), 68–70; hingegen Olivier Blanc, Olympe de Gouges (Pa­ ris: Syros, 1981) [deutsche Ausgabe: Wien: Promedia, 1989]. 13 Janet Todd, Mary Wollstonecraft: An Annotated Bibliography (New York: Garland, 1976), verzeichnet bereits 727 Titel zu ihrer Rezeption. Vgl. auch Ulrike Weckel, „Gleichheit auf dem Prüfstand: Zur zeitgenössischen Rezeption der Streitschriften von Theodor Gottlieb von Hippel und Mary Wollstonecraft in Deutschland“, in Tugend, Vernunft und Gefühl: Geschlechterdiskurse der Aufklärung und weibliche Lebenswelten (hg. v. Claudia Opitz, Ulrike Weckel und Elke Kleinau; Münster: Wax­ mann, 2000), 209–247. 14 Elisabeth Gibbels, Mary Wollstonecraft zwischen Feminismus und Opportunismus: Die diskursiven Strategien in deutschen Übersetzungen von „A Vindication of the Rights of Woman“ (Tübingen: Narr, 2004), 80–97 et passim. 15 Wollstonecraft, Verteidigung, 2:96.112.

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renz, die an dem Frau-Sein, einer wesensmäßigen oder auch nur erlernten, erfahrenen Differenz der Geschlechter anknüpft, wird uns in der Geschichte der Frauenbewegung immer wieder begegnen. Sie erschien den Gegnern der Frauenemanzipation offenbar weniger männerfeindlich und anschlussfähiger als das Rechtsprinzip der Gleichheit und dessen Vertreterinnen. In beiden hier vorgestellten Interventionen wird deutlich, dass die Diskur­ se um Menschenrechte und um Feminismus von Anbeginn zusammengehö­ ren. Beide waren und bleiben internationale Diskurse. Es wird sich zeigen, dass sie in den philosophischen und politischen Debatten der nächsten 200 Jahre immer wieder aufflammen und bestimmend werden, weil ihre Anliegen nicht erledigt sind. Denn „die Menschenrechte haben (k)ein Geschlecht“.16 Damit ist ein Grundton im Geschlechterkonflikt angeschlagen. Zugleich wird ein Dilemma oder ein Widerspruch offenbar, der den neuzeitlichen Feminis­ mus bis heute begleitet: Es ist die Schwierigkeit, für die Gleichheit mit dem Mann zu streiten und doch nicht Mann sein zu wollen, oder anders gesagt, das Dilemma, die Zwänge und Zumutungen traditioneller Weiblichkeit und Geschlechterrollen abzulehnen, jedoch Frausein und Mütterlichkeit, also weibliche Erfahrungen und Orientierungen durchaus zum Ausgangspunkt für eine emanzipatorische Politik und gleiche Staatsbürgerrechte zu machen. In Rechtsbegriffen ausgedrückt ist es das scheinbare Paradox, auf dem Recht auf Gleichheit und gleichzeitig auf der Berücksichtigung und Anerkennung von Differenzen zu bestehen. Weil dieses Paradox in Wollstonecrafts selbst­ bewussten Forderungen nach Gleichheit auch angesichts weiblicher Differenz am deutlichsten zum Ausdruck kommt, sprechen Feministinnen heute vom „Wollstonecraft-Dilemma“.17 Doch in der Frage, wie viel Gleichheit und wie viel Differenz zu mehr Geschlechtergerechtigkeit führen, schieden sich fortan immer wieder die Geister.

16 Hedwig Dohm, Der Frauen Natur und Recht: Zur Frauenfrage zwei Abhandlungen über Eigenschaften und Stimmrecht der Frauen (Berlin: Wedekind & Schwieger, 1876); vgl. auch Ute Gerhard et al., Hg., Differenz und Gleichheit: Menschenrechte haben (k)ein Geschlecht (Frankfurt a. M.: Helmer, 1990). 17 Carole Pateman, „Gleichheit, Differenz, Unterordnung: Die Mutterschaftspolitik und die Frauen in ihrer Rolle als Staatsbürgerinnen“, Feministische Studien 10/1 (1992): 54–69; 58; vgl. auch Joan W. Scott, Only Paradoxes to Offer: French Feminists and the Rights of Man (London: Harvard University Press, 21998).

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3.

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Zur Rechtslage der Frauen im 19. Jahrhundert18

Allgemeine Aussagen über die Frau als Rechtssubjekt, d. h. die Anerkennung ihrer Fähigkeit, selbständig Trägerin von Rechten und Pflichten zu sein, sucht man in den Privatrechtsbüchern und auch in der Kommentarliteratur verge­ bens. Stattdessen findet sich eine Vielzahl unterschiedlicher und weitschwei­ figer Begründungen dafür, warum die Frau – prinzipiell gleich – in verschie­ denen Hinsichten und Zuständen, insbesondere als verheiratete Frau, nicht als Gleiche zu behandeln sei. Dabei beschäftigen sich die Kommentare, Reform­ überlegungen und selbst die Entscheidungen der höchsten Gerichte (soweit sie ausgewertet sind19) am ausführlichsten mit den Eigentumsverhältnissen zwischen den Ehegatten, weshalb das eheliche Güterrecht der meistbehan­ delte Gegenstand der Rechtsgeschichte ist. Eheschließung und Ehescheidung dagegen – seit dem Mittelalter in der Zuständigkeit und unter der Gerichtsbar­ keit der Kirche – sind erst im 19. Jh. mit der Bürde einer langen Tradition, ins­ besondere des kanonischen Rechts, zunehmend Gegenstand des staatlichen, zivilen Rechts geworden. „Dass die Frauen Menschen seien“ – diese aufklärerische Erkenntnis des François Poullain de la Barre in seiner berühmten Schrift De l’égalité des deux sexes von 1673,20 war durch die Querelle des Femmes21 angeregt und seit dem 15. Jh. als Gelehrtenstreit verhandelt worden.22 Dieses Faktum ließ sich seit dem Ende des 18. Jh. und den Erschütterungen, die die Französi­ sche Revolution ausgelöst hatte, eigentlich nicht mehr leugnen. Dabei war die Rechtsstellung auch der Frauen in der Ständegesellschaft der Frühen Neuzeit, 18 Die im folgenden Abschnitt 3 behandelten materiellen Rechtslagen entsprechen weit­ gehend der Veröffentlichung: Ute Gerhard, „Frauenrechte im Europa des 19. Jahr­ hunderts – Die Bedeutung des Privatrechts für die Rechtsungleichheit der Frauen“, in dies., Für eine andere Gerechtigkeit: Dimensionen feministischer Rechtskritik (Frankfurt a. M.: Campus, 2018), 133–189, dort auch Verweise zu weiterführender Literatur. Zusätzlich behandelt werden hier die Rechtslage von Frauen in Italien, Spa­ nien und der Schweiz. 19 Vgl. Christiana Damm, Die Stellung der Ehefrau und Mutter nach Urteilen des Reichsgerichts von 1879 bis 1914: Eine Untersuchung zum Spannungsverhältnis zwischen dem Ideal der Gleichberechtigung und der von Recht und Ideologie legitimierten sozialen Wirklichkeit (Diss., Universität Marburg, 1983). 20 Vgl. Lieselotte Steinbrügge, Das moralische Geschlecht: Theorien und literarische Entwürfe über die Natur der Frau in der französischen Aufklärung (Weinheim: Beltz, 1987), 19. 21 Siehe dazu Christine de Pizan, Das Buch von der Stadt der Frauen (übers., mit e. Kommentar u. e. Einl. vers. v. Margarete Zimmermann; Berlin: Orlanda, 1986 [urspr. 1405]). 22 Vgl. zu diesem Diskurs Elisabeth Gössmann, Hg., Ob die Weiber Menschen seyn, oder nicht? (APTGF 4; München: Iudicium, 1988).

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in einer „Rechtsordnung der Ungleichheit“,23 mehr durch ihre Standeszuge­ hörigkeit, etwa durch Privilegierungen adliger Frauen und ihrer besonderen Herrschafts- oder Erbrechte, als durch das Geschlecht bestimmt worden.24 Gleichzeitig aber galten Ausschlussregeln für alle Frauen, der ledigen wie der verheirateten, die ihre Unterordnung und Rechtlosigkeit über die Jahr­ hunderte zur selbstverständlichen Gewohnheit werden ließen. So wurde in römisch-rechtlicher Tradition, überliefert im Corpus iuris civilis,25 und ge­ wohnheitsrechtlich in den meisten südeuropäischen Regionen, z. B. auch im französischen droit écrit des Ancien Régime, die Rechts- und Geschäftsfä­ higkeit der Frau durch das Rechtsinstitut des Senatus consultum Velleianum eingeschränkt. Es besagte, dass Frauen im Geschäftsverkehr oder vor Ge­ richt keine Verpflichtungen im Interesse Dritter übernehmen konnten. Der typische Fall war die Übernahme einer Bürgschaft, die Interzession, oder die Gewährung eines Darlehens. Ebenso wenig hatte ihre Aussage als Zeugin im Strafprozess einen Wert. Die Vorschrift galt dem Schutz der Frau vor Ver­ mögensnachteilen, galt als „Rechtswohltat“, weil eine Frau nachträglich die Übernahme der Verpflichtung in Form einer Einrede ablehnen konnte. Doch die Begründungen waren alles andere als wohlmeinend. Frauen galten als schutzwürdig wegen ihrer Verstandesschwäche, Leichtfertigkeit und Unzu­ verlässigkeit (imbecillitas, fragilitas und infirmitas sexus). Die gemeinrecht­ liche Praxis und viele Partikularrechte übernahmen diese römisch-rechtliche Form der Bevormundung in unterschiedlicher Ausgestaltung bis ins 19. Jh.26 Daneben gab es seit dem Spätmittelalter in deutschrechtlicher Tradition (d. h. in Mitteleuropa von der Schweiz bis hinauf nach Skandinavien) das Rechtsinstitut der sogenannten Geschlechtsvormundschaft (munt oder cura

23 Gerhard Dilcher, „Die Ordnung der Ungleichheit: Haus, Stand und Geschlecht“, in Frauen in der Geschichte des Rechts: Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart (hg. v. Ute Gerhard; München: Beck, 1997), 55–72. 24 Vgl. Heide Wunder, „Er ist die Sonnʼ, sie ist der Mond“: Frauen in der Frühen Neuzeit (München: Beck, 1992), 243–251; Dies., „Herrschaft und öffentliches Handeln von Frauen in der Gesellschaft der frühen Neuzeit“, in Frauen in der Geschichte des Rechts: Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart (hg. v. Ute Gerhard; München: Beck, 1997), 27–54. 25 So wird die Zusammenfassung des römischen Rechts durch den oströmischen Kaiser Justinian genannt, publiziert 533/534 n. Chr., die durch die Rezeption die Grundlage des Gemeinen mitteleuropäischen Rechts bildete, vgl. Arne Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe: Persönliche Stellung von Frau und Mann im Recht der ehelichen Lebensgemeinschaft 1700–1914 (Rechtsgeschichte und Geschlechterfor­ schung 1; Köln: Böhlau, 2003), 50f. 26 Susanne Weber-Will, „Geschlechtsvormundschaft und weibliche Rechtswohltaten im Privatrecht des preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794“, in Frauen in der Geschichte des Rechts: Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart (hg. v. Ute Ger­ hard; München: Beck, 1997), 452–459; 456.

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sexus),27 die prinzipiell jeder erwachsenen Frau, der ledigen wie der verheira­ teten, vorschrieb, sich bei allen Rechtshandlungen, insbesondere vor Gericht, durch einen männlichen Beistand vertreten zu lassen. Das bedeutete: Die Frau war keine Rechtsperson; ohne Beistand oder „Fürsprecher“ war sie geschäftsund prozessunfähig. Auch hier gab es unterschiedliche Beschränkungen der Handlungs- und Rechtsfähigkeit der Frau. Ausgenommen waren seit jeher in der Regel die Kauf- und Gewerbefrauen, in Handel und Gewerbe auch die Witwen.28 Interessanterweise musste der Geschlechtsvormund oder Beistand bei einer verheirateten Frau nicht unbedingt der Ehemann sein, weil es offen­ sichtlich auch darum gehen konnte, Rechte der Frau gegenüber dem Ehemann zu vertreten, weshalb die Frau ihren Vormund durchaus selbst wählen konnte. Beachtenswert bleibt, dass die Aufhebung der Geschlechtsvormundschaft in einzelnen Staaten und freien Städten ausdrücklich erst im Laufe des 19. Jh. erfolgte. Gelegentlich wurde sie auch wieder eingeführt, z. B. in einzelnen präunitarischen Gesetzbüchern in Italien.29 Insbesondere überdauerte die cura sexus neben der cura maritalis (eheherrliche Gewalt) bis weit ins 19. Jh. hinein in den freien Hansestädten im Norden Deutschlands (weil der Über­ seehandel angeblich die ungehinderte Verfügung des Kaufmannes über das Frauenvermögen erforderte), in den meisten Schweizer Kantonen, in sämtli­ chen nordischen Ländern (die jedoch am Ende des 19. Jh. eine Führungsrolle in der Gleichberechtigung der Frauen übernehmen werden, s. u.) sowie – mit Ausnahme des Großherzogtums Warschau bzw. Kongresspolens – in ganz Osteuropa.30 Die „geradezu verwirrende Unschärfe“31 dieser Rechtslagen zeigt sich nicht zuletzt darin, dass es dazwischen und daneben Kleinstaaten, einzelne Städte oder ganze Regionen gab, in denen ledige Frauen schon früh die Be­ 27 Ausführlich hierzu Ernst Holthöfer, „Die Geschlechtsvormundschaft: Ein Über­ blick von der Antike bis ins 19. Jahrhundert“, in Frauen in der Geschichte des Rechts: Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart (hg. v. Ute Gerhard; München: Beck, 1997), 390–451; bes. 392 u. 408. Vgl. auch David Warren Sabean, „Allian­ zen und Listen: Die Geschlechtsvormundschaft im 18. und 19. Jahrhundert“, in ebd., 460–479. 28 Dilcher, „Die Ordnung der Ungleichheit“, 67–69; Susanne Schötz, Handelsfrauen in Leipzig: Zur Geschichte von Arbeit und Geschlecht in der Neuzeit (Köln: Böhlau, 2004), 55–72. 29 In weiten Teilen Südeuropas lebte die Unmündigkeit der unverheirateten Frau nach dem Ende der Napoleonischen Herrschaft wieder auf, z. B. in den präunitarischen Gesetzbüchern in Italien (im Königreich Siziliens, in Parma und Piemont oder in der Toskana, nicht hingegen in der Lombardei oder Venedig, wo österreichisches Recht fortgalt). Die Emanzipation aus väterlicher Gewalt wurde für Töchter bis zu ihrem 40. Lebensjahr ausgedehnt. Filippo Ranieri, „Italien“, in Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte: Das 19. Jahrhundert (hg. v. Helmut Coing; 8 Bde; München: Beck, 1982), III/1:177–396; 344. 30 Im Einzelnen hierzu Holthöfer, „Geschlechtsvormundschaft“, 414–450. 31 Ebd., 426.

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vormundung abstreifen konnten bzw. aufgrund des spätrömischen Frauensta­ tuts weitgehend rechts- und geschäftsfähig waren. Das gilt für Gebiete des Gemeinen Rechts in Deutschland, in den Niederlanden, Italien oder Frank­ reich, insbesondere auch im englischen Common Law, das die englischen Siedler auch in den USA zur Geltung brachten. Die Begründungen für alle Formen der Rechtsbeschränkung veränder­ ten sich in den Jahrhunderten. Diente die Geschlechtsvormundschaft in der Schwellenzeit seit dem 18. Jh. vorgeblich dem Schutz der Frau vor Übervor­ teilung und der Sicherung ihrer Rechte und wurde mit der „Unerfahrenheit“ und mangelnden Einsicht der Frauen in die schwierigen Verhältnisse des Rechtsverkehrs „mit der ihnen eigentümlichen Nachgiebigkeit und Weichheit des Charakters“ begründet,32 so gerieten solche Argumente mit der Franzö­ sischen Revolution und der Deklaration von Menschenrechten (denkbar und gefordert nun auch von Frauen; siehe O. de Gouges), zunehmend unter Be­ gründungszwang. Alle neuzeitlichen Gesetzbücher stellten daher die unver­ heiratete Frau ‚grundsätzlich‘ gleich, wobei dies nicht einmal ausdrücklich erwähnt wurde. Vielmehr ist es nur zu erschließen aus dem Widerspruch zwischen dem Postulat der „Gleichheit der Geschlechter“ (ALR I, § 24) oder durch die Verkündung „gleicher bürgerlicher Rechte“ von „Tout Français“ (Art. 8 Cc) bzw. „Jeder Mensch“ (§ 16 österreichisches ABGB) in den „All­ gemeinen“ oder einleitenden Teilen der Gesetzbücher. Die Unmündigkeit der Ehefrau ergab sich erst aus der besonderen Behandlung, ja, Diskriminierung und Unterwerfung der verheirateten Frau unter die Entscheidungsmacht bzw. Autorität des Ehemannes (cura maritalis, auch Ehevogtei genannt) im Fa­ milienrecht. Das Privatrecht und insbesondere das Familienrecht wird damit zu der bestimmenden und primären Rechtsquelle, aus der die Geschlechter­ ordnung in der modernen, von liberalen Prinzipien geleiteten bürgerlichen Gesellschaft abzulesen ist. Obwohl die die Industriegesellschaft tragende Privatrechtsordnung mit der Garantie von Freiheit und Eigentum33 von der Fiktion der Gleichheit zwischen allen Beteiligten ausging, entstand nur oder gerade für Ehefrauen im Familienrecht ein Sonderrecht34 und damit bis weit ins 20. Jh. hinein eine „Enklave ungleichen Rechts“ für verheiratete Frauen.35 Die folgende Übersicht über die Rechtslage von Frauen im 19. Jh. gliedert sich in die verschiedenen Rechtskreise. Behandelt wird das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 (3.1), das österreichische Allgemeine Bürgerliche 32 Wilhelm Theodor Kraut, Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des deutschen Rechts (3 Bde; Göttingen: Dietrich, 1835–1859), 2:320. 33 Franz Wieacker, Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung (Frankfurt a. M.: Athenäum Fischer, 1974). 34 Vgl. Ute Gerhard, Verhältnisse und Verhinderungen: Frauenarbeit, Familie und Rechte der Frauen im 19. Jahrhundert (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1978), 154–189. 35 Dieter Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft (Frankfurt a. M.: Suhr­ kamp, 1987), 33f.

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Gesetzbuch von 1811 (3.2), der französische Code civil von 1804 (3.3) mit Beispielen für seine Geltung in Italien (3.3.1) und Spanien (3.3.2), das Gemeine Recht und das Kirchenrecht (3.4), das englische und das amerikanische Common Law (3.5.1 und 3.5.2), das Russische Recht (3.6) sowie das Skandinavische Recht als eigene Rechtssphäre (3.7) und schließlich die Schweiz (3.8). Angesichts der Fülle der Rechtsmaterien muss sich der Vergleich auf bestimmte Rechtsfragen beschränken, die existentiell für ein Frauenleben waren und sind. Merkpunkte sind daher die Entscheidungsmacht in den ehelichen Beziehungen unter Berücksichtigung der Eigentumsverhältnisse, das Scheidungsrecht, die Beziehung der Eltern zu ihren Kindern sowie die Rechtsfolgen nichtehelicher Geburt.

3.1

Das ‚Preußische Allgemeine Landrecht‘ (ALR) von 1794

Der Rekurs allein auf das preußische Allgemeine Landrecht stellvertre­ tend für deutsches Recht ergibt sich daraus, dass es vor 1871 kein geeintes Deutschland und auch bis 1900 kein einheitliches deutsches Zivilgesetzbuch gab. Die für das 19. Jh. typische und verwirrende Zersplitterung des Rechts, der sogenannte Rechtspartikularismus, erklärt sich nach dem Ende des Hei­ ligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1806 aus der Teilung der Gewal­ ten im Deutschen Bund nach 1815. Die Rechtsvereinheitlichung konnte erst in einem mühsamen Kodifikationsprozess seit der Reichsgründung 1871 mit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) 1900 abgeschlos­ sen werden. Bis dahin galt auf dem Gebiet des Deutschen Reiches, wie eine Rechts- und Gerichtskarte von 1896 zeigt, nicht einmal für die Mehrheit der Bevölkerung das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten (ALR) von 1794.36 Obwohl das Gesetzbuch selbst in einigen preußischen Provinzen zunächst nur subsidiär galt, hat es dennoch mit der Erweiterung und zuneh­ menden politischen Bedeutung Preußens im Laufe des Jahrhunderts in allen Reformdebatten und in der Rechtswissenschaft eine immer größere Wirksam­ keit entfaltet und schließlich auch dem für ganz Deutschland verabschiedeten

36 Nach Helmut Coing, „Einleitung zum BGB“, in Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (hg. v. Julius v. Staudinger et al.; Berlin: Sellier und de Gruyter, 131995), 3–133, Rdnr. 24, galt für 42,6 % das ALR, für 29,2 % das sogenannte Gemeine Recht, ein aus der Rezeption des römischen Rechts entstandenes Gewohnheitsrecht, für 16,6 % der Cc, und 10,9 % das Sächsische Gesetzbuch. Vgl. Ute Gerhard, „Die Rechtsstellung der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts“, in Bürgertum im 19. Jahrhundert (hg. v. Jürgen Kocka; 3 Bde; München: Deutscher Taschenbuch-Verlag, 1988), 1:439–468.

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Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) von 1900 als Orientierung gedient.37 Deshalb soll es hier als Beispiel für den deutschrechtlichen Rechtskreis dienen, zu dem im Weiteren auch das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) von 1811 (s. u.) zählt. Erst nach der Weiterentwicklung des BGB im 1907/11 verabschiedeten Schweizerischen Zivilgesetzbuch (SchwZGB) lässt sich im 20. Jh. ein stärkerer Einfluss der deutschrechtlichen Tradition auch in der Welt feststellen (z. B. in der Türkei 1926, ferner in Brasilien 1916, Mexiko 1929 oder Peru 1936).38 Das ALR war auf Initiative Friedrichs II. von Preußen nach langen Vor­ arbeiten in einer Übergangszeit beendet worden und zielte auf die „Privat­ glückseeligkeit eines jeden Einwohners im Staate“ (so das Publikationspatent vom 20. März 1791 zur zurückgezogenen Erstausgabe des ALR). Es nahm in seiner Mischung aus aufklärerischem Absolutismus, obrigkeitlicher Gän­ gelung und paternalistischem Wohlwollen eine Zwischenstellung zwischen ständischem und bürgerlichem Recht ein.39 Auf der Grundlage des geltenden Gemeinen Rechts entstanden, das mit der Rezeption des römischen Rechts bis dahin in lateinischer Sprache verhandelt wurde, war das ALR eine erste deutschsprachige Kodifikation. Es sollte volkstümlich sein und möglichst alle aufkommenden Rechtsfragen beantworten und enthielt deshalb mit insgesamt 19.000 Paragraphen neben dem Privatrecht ein allgemeines Staatsrecht sowie öffentlich-rechtliche, polizeiliche und strafrechtliche Bestimmungen. Gera­ de diese noch nicht vollzogene Trennung zwischen öffentlichem Recht und privatrechtlicher Sphäre zeigt den Kompromisscharakter des Gesetzbuches „zwischen Gegenwart und Zukunft, zwischen Ständestaat und bürgerlicher Gesellschaft“ an.40 Wegen seiner Ausführlichkeit und Umständlichkeit ist es von der Rechtswissenschaft anfangs boykottiert und viel gescholten worden.41 Insbesondere spöttelte die Jurisprudenz über die Detailfreudigkeit, wenn es etwa bei den Rechten und Pflichten der Eltern heißt: „Eine gesunde Mutter ist ihr Kind zu säugen verpflichtet“ (§ 67 I.2. ALR). Es ist gleichwohl in Bezug auf die Rechte der Frauen bemerkenswert frauenfreundlich gewesen. Zwar war auch hier trotz ausdrücklicher Gleich­ berechtigung beider Geschlechter im Allgemeinen Teil des Personenrechts (§ 24 I.1. ALR) der Mann „das Haupt der ehelichen Gemeinschaft“, er be­ stimmte Wohnsitz, Namen und Stand und war Verwalter und Nutznießer des 37 Hans Hattenhauer, Hg., Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794: Textausgabe mit einer Einführung von Hans Hattenhauer (Frankfurt a. M.: Metzner, 1970), 39. 38 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 347.484. 39 Vgl. Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution: Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848 (Stuttgart: Klett, 1975), 23f. 40 Hattenhauer, Allgemeines Landrecht, 37. 41 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 322–335; 334.

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gemeinsamen Vermögens (§§ 184f. II.1. ALR). Doch die Ehefrau war partiell geschäftsfähig, sie besaß in Bezug auf die alltäglichen Geschäfte des Haus­ halts die sogenannte Schlüsselgewalt und war selbständige Rechtsperson, wenn der Mann verhindert war. Jedoch durfte sie ohne seine Einwilligung weder ein selbständiges Gewerbe treiben, noch sich in einem Arbeitsvertrag verpflichten. Denn der Mann war Verwalter und Nutznießer des gemeinsa­ men und ihres Vermögens, es sei denn – und dies war beachtenswert – die Frau hatte sich im Ehevertrag ihr Vermögen als Eigentum, auch des durch ei­ genen Erwerb gewonnenen, vorbehalten (§§ 205, 208 II.1. ALR). Dieses soge­ nannte Vorbehalts- oder Sondergut der Frau war für männliche Zeitgenossen von Anbeginn ein Stein des Anstoßes. Auch im Scheidungsrecht war das ALR vergleichsweise liberal, da neben den üblichen Scheidungsgründen (Ehebruch, böswilliges Verlassen, Versa­ gung der ehelichen Pflicht etc.) auch die Scheidung wegen einseitiger „un­ überwindlicher Abneigung“ möglich war (§§ 668ff. II.1. ALR). Der schuldlos geschiedenen Ehefrau wurde zudem gegen den Mann ein Anspruch auf Ab­ findung, ersatzweise auf standesgemäßen Unterhalt zugebilligt. Denn die Ehe galt als zivilrechtlicher und damit auch kündbarer Vertrag und richtete sich gegen die kirchliche Jurisdiktion und die kanonische Auffassung von der Ehe als Sakrament. Wohlwollend paternalistisch (nicht zuletzt aus bevölkerungspolitischen Gründen) waren insbesondere die großzügigen Ansprüche, die das ALR den unehelichen Müttern und ihren Kindern nicht nur gegenüber den Vätern ge­ währte, sondern, wenn der nicht eheliche Vater nicht zahlen konnte, auch ge­ genüber den Eltern des Erzeugers, also den Großeltern. Diese Regelungen galten als „lax und frivol“, denn sie waren angeblich Anreiz für die Leicht­ sinnigkeit und Sittenlosigkeit des weiblichen Geschlechts. Sie gaben zeitge­ nössischen Kommentatoren Anlass zu der Befürchtung, das Landrecht werde das „preußische Land bald zu einem wahren Paradies der Weiber machen.“42 1854, nach dem Scheitern der 1848er-Revolution, in einer Zeit der Re­ aktion und Befestigung eines „sekundären bürgerlichen Patriarchalismus“,43 entwickelte die Jurisprudenz in Ablösung des Sakramentscharakters der Ehe nach der katholischen Ehelehre das Konzept der Ehe als Institution. Danach war die Ehe nicht nur ein privatrechtlicher Vertrag, wofür die neuzeitliche Naturrechtslehre und Aufklärung gestritten hatten, sondern als fundamenta­ les Gemeinschaftsverhältnis eine „objektiv sittliche Ordnung“, die nicht der 42 Johann Georg Schlosser, Briefe über die Gesetzgebung überhaupt, und den Entwurf des preußischen Gesetzbuchs insbesondere (Glashütten: Auvermann, 1970; ur­ sprüngl. 2 Bde; Frankfurt a. M.: Fleischer, 1789–1790), 279; vgl. hierzu Gerhard, Verhältnisse und Verhinderungen, 85f. 43 René König, „Familie und Autorität: Der deutsche Vater im Jahre 1955“, in ders., Materialien zur Soziologie der Familie (Köln: Kiepenheuer & Witsch, 21974), 214– 230; 217–219.

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„Willkür“, d. h. dem freien Willen der Ehepartner unterlag.44 Dass diese sitt­ liche Ordnung als Reaktion auf die Freiheits- und Gleichheitsversprechen der Französischen Revolution zugleich der Befestigung einer geschlechtshierar­ chischen Geschlechterordnung diente, war nicht nur ein Nebeneffekt, sondern überaus funktional. Der preußische Gesetzgebungsminister von Savigny hat damit zur Begründung der Ehe als Institution gemeinsam mit konservativprotestantischen Kreisen gegen den Protest einer sich liberalisierenden Öf­ fentlichkeit eine reaktionäre Wende im Familienrecht eingeleitet. Denn er setzte eine Scheidungsreform durch, die nicht nur die Scheidungsgründe einschränkte, sondern auch die Eigentumsrechte von Ehefrauen erheblich beschnitt. Fast zeitgleich wurden auch die verhältnismäßig weitreichenden Ansprüche lediger Mütter und ihrer Kinder durch Beschluss des preußischen Herrenhauses mit Hilfe der sogenannten exceptio plurium concubentium (der Einrede, die Frau habe mit mehreren Männern verkehrt)45 beschnitten. Diese Regelungen fanden Eingang in die Ausgestaltung der familienrechtlichen Be­ stimmungen des ersten für ganz Deutschland geltenden Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), das 1900 in Kraft trat. Ja, die institutionelle Ehelehre bildete die Grundlage für den besonderen Schutz, der Ehe und Familie in Art. 6 des Grundgesetzes von 1949 gewährt und bis in die jüngste Vergangenheit gegen das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 GG auch in der Ehe ins Feld geführt wurde.

3.2

Das österreichische ‚Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch‘ (ABGB) von 1811

Auch das österreichische ABGB, unter Kaiserin Maria Theresia und Joseph II. vorbereitet und erst von ihren Nachfolgern schon im Gegenwind der Franzö­ sischen Revolution beendet, war ein Produkt des aufgeklärten Absolutismus. Es war bemüht, die Vielfalt der Rechtsquellen in den habsburgischen Län­ dern – ein Völkerverband, der über Ungarn bis nach Galizien und Norditali­ en (Lombardei und Venetien) reichte – zu vereinheitlichen und mit der Idee

44 Carl Friedrich von Savigny, „Darstellung der in den Preußischen Gesetzen über Ehe­ scheidung unternommenen Reform“, in ders., Vermischte Schriften (5 Bde; Aalen: Scientia, 1968 [urspr. 1850]), 5:222–414; 321f.; vgl. Gerhard, Verhältnisse und Verhinderungen, 167–179, auch zum Folgenden, sowie Dirk Blasius, Ehescheidung in Deutschland 1794–1945: Scheidung und Scheidungsrecht in historischer Perspektive (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1987), 39–80. 45 Es ist typisch, dass man in der juristischen Literatur in geschlechtlichen Fragen nach wie vor die lateinischen Begriffe benutzte.

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gleicher Menschenrechte „die ‚übel hergebrachten‘ Gewohnheiten der ständi­ schen Feudalgesellschaft zu überwinden.“46 Im Vergleich zu den anderen großen Zivilrechtskodifikationen räumte die österreichische Kodifikation der Frau das größte Maß an Selbständigkeit ein. So war nach dem ABGB nicht nur die ledige, sondern auch die verheiratete Frau grundsätzlich geschäfts- und prozessfähig. Doch auch hier war der Ehe­ mann das „Haupt der Familie“, ja, ihm stand sogar „vorzüglich das Recht zu, das Hauswesen zu leiten“. Damit war er gleichzeitig verpflichtet, für „den anständigen Unterhalt zu sorgen“ (§ 91 ABGB). Die Frau war verpflichtet, dem Manne „in der Haushaltung (…) nach Kräften beizustehen (und) die von ihm getroffenen Maßregeln selbst zu befolgen (…)“ (§ 92 ABGB). Nach dem Wortlaut des Gesetzes ging es hierbei nicht so sehr um Herrschaftsrechte als vielmehr um aufklärerisches Vernunftrecht, das „für beide Teile gleiche Ver­ bindlichkeit zur ehelichen Pflicht, Treue und anständigen Begegnung“ vorsah (§ 90 ABGB).47 Ein wesentlicher Fortschritt für die Ehefrau war deshalb – im Anschluss an die gemeinrechtliche Tradition – die Festlegung des gesetzli­ chen Güterstandes der Gütertrennung (§ 1237 ABGB). Das bedeutete, beide Ehegatten blieben Eigentümer ihres Vermögens, sowohl des eingebrachten als auch des während der Ehe erworbenen Gutes. Anders als in anderen Gesetzen jener Zeit konnte die Frau auch über ihr Vermögen verfügen, wenn nichts anderes vereinbart war. Trotzdem, auch hier wurde unter dem Programmsatz bürgerlicher Gleichheit (vgl. §§ 16–18 ABGB) in den führenden Kommenta­ ren, allen voran im Kommentar des die Gesetzgebung leitenden Verfassers Franz von Zeiller, grundsätzlich die rechtliche Unterordnung der Ehefrau mit der „natürlichen Überlegenheit des Mannes“ begründet.48 Trotz selbständiger Eigentumsrechte der Ehefrau galt im alltäglichen Rechtsverkehr des 19. Jh. zunehmend und selbstverständlich die rechtliche Vermutung (praesumtio Muciana), dass die Frau dem Manne aufgrund stillschweigender Vereinba­ rung die Verwaltung ihres Vermögens übertragen habe (§§ 1237f. ABGB). 46 Ursula Flosmann, „Die beschränkte Grundrechtssubjektivität der Frau: Ein Beitrag zum österreichischen Gleichheitsdiskurs“, in Frauen in der Geschichte des Rechts: Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart (hg. v. Ute Gerhard; München: Beck, 1997), 293–324; 295; vgl. die dennoch unterschiedliche Entwicklung und Praxis des Familienrechts in Österreich und Ungarn, insbesondere nach dem sogenannten Ausgleich der Doppelmonarchie nach 1867 bei Jana Osterkamp, „Familie, Macht, Differenz: Familienrecht(e) in der Habsburgermonarchie als Herausforderung des Empire“, L’Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 31/1 (2020): 17–34. 47 Vgl. auch Diemut Majer, Frauen – Revolution – Recht: Die grossen Europäischen Revolutionen in Frankreich, Deutschland und Österreich 1789 bis 1918 und die Rechtsstellung der Frauen unter Einbezug von England, Russland, der USA und der Schweiz (Europäische Rechts- und Regionalgeschichte 5; Zürich: Dike-Verlag, 2008), 273–289. 48 Vgl. Flosmann, „Grundrechtssubjektivität“, 302.

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Ursula Floßmann spricht in diesem Zusammenhang von einem „wohlwol­ lenden Erziehungspatriarchalismus“, dem es gelungen sei, „die patriarcha­ le Herrschaft in ein Gewand männlicher Schutz- und Sorgfaltspflichten zu hüllen.“49 Aus Rücksicht auf das Eherecht der römisch-katholischen Kirche war die Eheschließung im ABGB jedoch nach wie vor Aufgabe der römisch-katholi­ schen Priester bzw. der protestantischen Pfarrer oder der Rabbiner. Deshalb blieb die Ehescheidung für Katholik*innen grundsätzlich ausgeschlossen (§ 111 ABGB), war aber für „nicht katholische Christen“ und die „Juden­ schaft“ durch die ordentlichen Gerichte möglich (§§ 115, 123–136 ABGB). Die Voraussetzungen für eine Scheidung waren für beide Ehegatten gleich. Für ein Land mit über 90 % römisch-katholischer Bevölkerung aber regierte die Kirche damit weiterhin im materiellen Eherecht; sie entschied über beste­ hende Ehehindernisse und war durch priesterliche Schlichtungsverfahren in das mit Ausnahmen versehene Scheidungsverbot involviert. Doch in genau geregelten, seltenen Fällen konnten auch römische Katholik*innen eine nach­ trägliche Erklärung der Ungültigkeit der Ehe (etwa wegen des Unvermögens zur ehelichen Pflicht, § 100 ABGB) oder die Trennung (im Österreichischen „Scheidung“) von Tisch und Bett (§§ 103f. ABGB) mit Hilfe der „Landrechte des Bezirkes“, d. h. der ordentlichen Gerichte, durchsetzen. Seit 1855 wurde für Mischehen und Konfessionslose eine Not-Zivilehe eingeführt. Als Nachwirkung des Kanonischen Rechts, das die Verlöbnisse und so­ genannten „heimlichen“ (ohne Zustimmung der Vormünder geschlossene) Ehen als quasi-Ehen berücksichtigte, und auch in deutlicher Abkehr von der Disziplinierung und den entehrenden Strafen für „fleischliche Verbrechen“ (sogenannte Fornikationsstrafen) durch die Polizeiordnungen des Ancien Régime50 waren die Vorschriften für nichteheliche Kinder und Mütter zu­ dem auffallend fürsorglich (§§ 161–171 ABGB). Hatte der Vorentwurf, das Josephinische Gesetzbuch von 1786, schon eheliche und nichteheliche Kin­ der weitgehend gleichgestellt, so hob das ABGB diese Gleichstellung zwar wieder auf (§ 155 ABGB), doch es versuchte, wenigstens den Makel der un­ ehelichen Geburt zu vermeiden, und betonte: „Die uneheliche Geburt kann einem Kinde an seiner bürgerlichen Achtung und seinem Fortkommen kei­ nen Abbruch tun“ (§ 162 ABGB). So hatte das uneheliche Kind das Recht, von „seinen Eltern eine ihrem Vermögen angemessene Verpflegung, Erzie­ hung und Versorgung“ zu verlangen, wozu „vorzüglich der Vater verbunden“ war (§§ 166f. ABGB). Es blieb jedoch von weiteren Rechten im Hinblick auf Namen und Stand gegenüber dem Vater ausgeschlossen (§ 165 ABGB). Die 49 Ursula Flosmann, Frauenrechtsgeschichte: Ein Leitfaden für den Rechtsunterricht (Linz: Trauner, 22006), 99. 50 Beate Harms-Ziegler, „Außereheliche Mutterschaft in Preußen im 18. und 19. Jahr­ hundert“, in Frauen in der Geschichte des Rechts: Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart (hg. v. Ute Gerhard; München: Beck, 1997), 325–344; 371.

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Möglichkeiten zu nachträglicher Legitimierung der Kinder waren recht groß­ zügig (§§ 160f. ABGB). Zur Entkriminalisierung und Unterstützung lediger Mütter sollte vor allem die Eröffnung von Findelhäusern beitragen (ein erstes in Wien 1784), in denen Frauen diskret gebären und in denen sie ihre Kin­ der unterbringen konnten. Bis zum 15. Lebensjahr übernahm das Findelhaus die Vormundschaft sowie die Unterhaltspflicht (i. d. R. durch die Vergabe auf Pflegestellen). Als Gegenleistung waren die Mütter für die Zeit ihrer Unter­ bringung zur Gegenleistung durch Ammendienste verpflichtet.51 Erst im Lau­ fe des 19. Jh. wurden die informellen Lebensformen der unteren Schichten, die gemeinrechtlich im Erb- und Güterrecht quasi wie eine Ehe ausgestaltet waren, oder die sogenannten Konkubinate des Adels (oder sogenannte Ehen zur linken Hand) zu Nicht-Ehen erklärt und als solche im Zuge der Durch­ setzung einer weltlichen Ehemoral (der Sittlichkeit der Ehe) nicht zuletzt mit Hilfe der beiden christlichen Kirchen skandalisiert und diskriminiert.

3.3

Der Rechtskreis des französischen Code civil (Cc)

3.3.1 Frankreich Der von Napoleon 1804 auf dem Höhepunkt seiner Macht in Kraft gesetzte Code civil (Cc) gilt allgemein als „Meisterleistung liberaler Gesetzgebungs­ kunst“ und „Dokument nationaler Größe“.52 Dieses erste bürgerliche Zivilge­ setzbuch bot mit seinen Grundprinzipien, der Abschaffung der Standespri­ vilegien und der Ausschaltung kirchlicher Kompetenzen im Zivilrecht, mit der Garantie von Freiheit und Eigentum den angemessenen Rechtsrahmen, in dem sich die bürgerliche Markt- und Eigentümergesellschaft entfalten konn­ te. Für Napoleon selbst war es zudem ein „Propagandainstrument“ für seine imperialen Eroberungen, das – so schrieb er selbst 1808 – „mehr für die Aus­ dehnung und Befestigung seines Systems in Europa bedeutete als die größten Siege seiner Waffen.“53 Tatsächlich hat der Cc – wie schon erwähnt – nicht nur mit den Napoleonischen Eroberungen einen Siegeszug angetreten, son­ dern auch danach den Rechtssystemen in vielen, insbesondere in den roma­ nischen Ländern Europas und darüber hinaus seinen Stempel aufgedrückt, indem er entweder beibehalten wurde oder nachfolgenden Gesetzbüchern als 51 Im Einzelnen Verena Pawlowsky, „Die Mütter der Wiener Findelkinder: Zur recht­ lichen Situation ledig gebärender Frauen im 18. und 19. Jahrhundert“, in Frauen in der Geschichte des Rechts: Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart (hg. v. Ute Gerhard; München: Beck, 1997), 367–381. 52 Ernst Holthöfer, „Frankreich“, in Handbuch Privatrechtsgeschichte, III/1:863– 1068; 884. 53 Elisabeth Fehrenbach, Der Kampf um die Einführung des Code Napoléon in den Rheinbundstaaten (Wiesbaden: Steiner, 1973), 9.

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Vorbild und Vorlage gedient hat. Der Rechtskreis des Cc umfasst somit auch über die napoleonische Ära hinaus die linksrheinischen Provinzen Deutsch­ lands sowie das Königreich Westfalen und Großherzogtum Baden, die Nie­ derlande, später auch Belgien, Luxemburg, Italien, Spanien und Portugal,54 die französische Schweiz, einige südamerikanische Länder wie Brasilien und Peru oder Teile der ehemaligen französischen Siedlungsgebiete in Nordame­ rika (Louisiana, die kanadischen Provinzen Quebec und Montreal) sowie im Nahen Osten Länder mit französischem Kultureinfluss (Ägypten, Syrien und Libanon).55 Einflüsse sind zweifellos auch in den ehemals französischen Ko­ lonien in Afrika und in Südostasien nachzuverfolgen. Diese Erfolgsgeschichte des Cc aber hat eine frauenpolitische Kehrseite: die unwürdige Stellung der Frauen im Ehe- und Familienrecht. Wenn immer wieder die Systematik der französischen Kodifikation, die klare Diktion und Eleganz der Formulierungen gerühmt werden, wird als Beleg der Romancier Stendhal zitiert, der jeden Morgen vor seiner schriftstellerischen Arbeit den Code civil gelesen haben soll, „pour prendre le ton“.56 Als Beispiel diente ihm just jener Paragraph, der die völlige Rechtlosigkeit der Ehefrau auf den Begriff bringt, Art. 213 Cc. Er lautete bis 1938: „Der Mann ist seiner Frau Schutz, die Frau ihrem Manne Gehorsam schuldig.“57 Im Einzelnen folgte daraus: Die Ehefrau stand in jeder Beziehung unter der Gewalt des Ehemannes, sie war keine selbstständige Rechtsperson. Sie bedurfte für jede Rechtshandlung und in jedem Einzelfall der Genehmigung („autorisation“) des Ehemannes, zur Führung sowohl ihrer Haushaltsgeschäfte als auch eines selbständigen Han­ delsgewerbes. Sie war weder geschäfts- noch prozessfähig (Art. 214ff. Cc). Sie konnte Eigentum besitzen, aber nicht darüber verfügen oder Eigentum erwerben, auch nicht über den Verdienst aus eigener Erwerbstätigkeit. Selbst bei vor der Ehe vereinbarter Gütertrennung konnte die Ehefrau über die ihr gehörenden Grundstücke nicht ohne Genehmigung des Mannes verfügen. Denn die ehemännliche Gewalt erstreckte sich sowohl über die Person als über das Vermögen der Frau, es war nicht möglich, dieses durch Vertrag zu ändern (Art. 1388 Cc). Besonders hartherzig war die alleinige und uneinge­ schränkte väterliche Gewalt (Art. 373f. Cc), ihr nicht zu gehorchen, war ein Sakrileg.58 Das bedeutete, der Vater besaß Zuchtmittel und konnte ein Kind sogar einsperren lassen (Art. 375–377 Cc).

54 Zu Italien und Spanien siehe unten. 55 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 346.501. 56 Murad Ferid, Das Französische Zivilrecht (2 Bde; Frankfurt a. M.: Metzner, 1971), Bd. 1, Rdnr. 1 A 50, Anm. 76. 57 „Le mari doit protection à sa femme, la femme obéissance à son mari.“ 58 Philippe Sagnac, La législation civile de la Révolution française (1789–1804): Essai d’histoire sociale (Reprint; Genève: Mégariotis, 1979 [urspr. Paris: Hachette; 1898]), 363.

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Ungleich waren auch die Voraussetzungen für eine Ehescheidung, sie war nur bis 1816 möglich, danach bis 1884 verboten. Der Ehebruch des Mannes war nur Scheidungsgrund, wenn er in der ehelichen Wohnung begangen wur­ de (Art. 229–233 Cc). Dagegen konnte sich der betrogene Ehemann in jedem Fall scheiden lassen und die untreue Ehefrau sogar straflos töten, falls er sie in flagranti erwischte (Art. 324 in Verbindung mit 336–339 Code pénal). Im Vergleich zu anderen Rechtskreisen war die Frauenfeindlichkeit und Rechtlosigkeit der nichtehelichen Mütter und ihrer Kinder im französischen Zivilrecht beispiellos. Und es fällt auf, dass selbst in den Gebieten, die nach den napoleonischen Eroberungen dem französischen Recht unterlagen (und dieses in vielen deutschsprachigen Gebieten wie in den Herzogtümern Ba­ den und in den linksrheinischen Gebieten bis 1900 beibehielten), sowohl im Hinblick auf die ungleichen Scheidungsgründe für Mann und Frau als auch im Nichtehelichenrecht vom Cc abwichen und ausdrücklich Milderungen er­ laubten, weil ihnen „eine so enge Einschränkung des Rechts der Frau“ zu hart erschien.59 Im Zentrum der Ungerechtigkeit stand das Verbot für die nicht verheiratete Mutter und ihr Kind, den Vater des außerhalb der Ehe geborenen Kindes für Unterhalt oder eine Entschädigung in Anspruch zu nehmen und gerichtlich zu verfolgen. Tatsächlich war die Regelung „Die Nachforschung, wer Vater eines Kindes sei, ist untersagt“ (Art. 340 Cc),60 dem droit écrit wie dem Gewohnheitsrecht des Ancien Régime unbekannt und von den revo­ lutionären Gesetzgebern erst erfunden worden (Dekret v. 2.11.1792). Denn nachdem mit der Einführung der Scheidungsfreiheit im revolutionären Um­ schwung die nichtehelichen Kinder im Erbrecht gleichgestellt worden waren (1792), war ‚man‘ nachträglich doch besorgt, dass „die ehrbarsten Familien“ der Gefahr von „skandalösen Erpressungen“ und „ungeheuerlichen Ansprü­ chen/Ausplünderungen (spoliations monstrueuses)“ ausgesetzt würden.61 So wurde „die Ehre der Frauen der Freiheit der Väter“ geopfert.62 Die Regelung wurde auf ausdrückliches Geheiß von Napoleon in Art. 340 Cc übernommen und bedeutete: Das uneheliche Kind hatte keinerlei Rechtsansprüche gegen­ 59 Johann N. Fr. Brauer, Erläuterungen über den Code Napoléon und die Großherzoglich Badische bürgerliche Gesezgebung (6 Bde; Karlsruhe: Müller, 1809), 1:199–223; 200; zur Ehescheidung und den Unterhaltsrechten der nichtehelichen Mutter und Kinder: 245–249. 60 „La recherche de la paternité est interdite.“ 61 Paul Viollet, Histoire du droit civile français: accompagnée de notions de droit canonique et d’indications bibliographiques (Aalen: Scientia, 1966 [urspr. Paris: La­ rose & Tenin, 1905]), 511. 62 Nadine Lefaucheur, „Unwed Mothers and Family Law in nineteenth-century France: The issues of paternity suits and anonymous delivery“, in Family Law in Early Women’s Rights Debates: Western Europe and the United States in the Nineteenth and early Twentieth Centuries (hg. v. Stephan Meder und Christoph-Eric Mecke; Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung 14; Köln: Böhlau, 2013), 84–104; 88 (im Orig.: „preservation of fathers’ liberty versus mothers’ honour“).

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über dem Vater, es sei denn, er hatte das nicht im Ehebruch gezeugte Kind ausdrücklich anerkannt bzw. unterhalten (reconnaissance ou possession d’état). Die Mutter hatte keine Rechte, erhielt auch keine staatliche Unterstüt­ zung. Um Abtreibung und Kindstötung zu verhindern, wurde lediglich das System zur Ermöglichung einer anonymen Geburt (accouchement secret), der Findelhäuser und Babyklappen (tours), ausgebaut, noch bis zur Mitte des Jahrhunderts gerichtlich bestätigt und unter bevölkerungspolitischen und nach 1870 patriotischen Gesichtspunkten toleriert. Nach langen Kämpfen der Frauenbewegung wurde der Art. 340 CC 1912 novelliert (nur in fünf Fällen wurde die Vaterschaftsklage erlaubt), aber noch nicht abgeschafft. Erst 1972 wurde das Verbot der Vaterschaftsklage aufgehoben und erst durch Gesetze aus den Jahren 2003 und 2005 wurden uneheliche Kinder in jeder Hinsicht gleichgestellt.63 Zusammengefasst bedeutete dies: Die Unterwerfung der Französin unter männliche Herrschaft (la puissance maritale et paternelle) bestimmte die weiblichen Lebensbedingungen in vier existentiellen Hinsichten: Durch die Rechtlosigkeit der Ehefrau, die absolute Gewalt des Vaters bei der Erziehung der Kinder, das Verbot der Ehescheidung und die einseitige Disziplinierung und Entrechtung der unehelichen Mutter und ihrer Kinder. Deshalb kam schon Marianne Weber in ihrer umfassenden Rechtsgeschichte Ehefrau und Mutter zu dem Schluss: Von allen [zu seiner Zeit] geltenden Gesetzen [hat] der Cc die Züge des mittelal­ terlichen Patriarchalismus am reinsten und längsten bewahrt.64

Schon hier ist zu erwähnen, dass die besonders frauenfeindlichen Bestim­ mungen des Code civil mit der uneingeschränkten Autorität des Ehemannes bis 1938 in Kraft blieben. Auch erwarben die Französinnen das politische Stimmrecht erst 1944 und dies, obwohl sie bereits in der Französischen Re­ volution die politische Partizipation und die Menschenrechte auch der Frauen formuliert und eingeklagt hatten.

3.3.2 Italien Als Beispiel für weitere zum französischen Rechtskreis gehörende Länder soll hier die Entwicklung des italienischen Rechts bis zur Kodifikation des 1865 verabschiedeten Codice civile skizziert werden. Vor der nationalen Ei­ nigung 1861 setzte sich Italien aus mehreren Einzelstaaten zusammen, die mit den Eroberungen Napoleons 1796 in weiten Teilen unter die Herrschaft 63 Ebd., 102. 64 Marianne Weber, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung: Eine Einführung (Tübingen: Mohr, 1907), 318.

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des französischen Rechts fielen. Ausgenommen waren die Habsburgischen Besitzungen, die bis 1861 dem österreichischen Recht unterlagen.65 Zunächst hatten die revolutionären Veränderungen des französischen droit intermédiaire gegen das in Italien festverwurzelte ius commune und kanonische Ehe­ recht nicht viel ausrichten können, doch 1806 verfügte Napoleon stattdessen die Einführung des französischen Code civil. Das neue Rechtsinstitut der Ehescheidung scheint jedoch nach 1806 in der Praxis nicht angekommen zu sein,66 zumal das restaurative Frankreich bereits 1816 (bis 1884) das Verbot der Ehescheidung wieder einführte. Nach 1814, nach dem Zusammenbruch des napoleonischen Staates, kehrten die meisten italienischen Einzelstaaten wieder zum ius commune und zum Kanonischen Recht zurück (z. B. in Pi­ emont, im Großherzogtum Toskana und im Kirchenstaat), während andere Einzelgesetze erließen, die ebenfalls vom katholischen Eherecht bestimmt waren. Bezeichnend ist auch, dass die Unmündigkeit der ledigen Frauen in den meisten präunitarischen Gesetzbüchern wiederauflebte und die Emanzi­ pation der Töchter aus väterlicher Gewalt erst mit ihrem 40. Lebensjahr mög­ lich wurde. Dagegen wurden im Eherecht durchaus einige Neuerungen des französischen Cc übernommen, wie die Stärkung der Stellung des Eheman­ nes im römisch-rechtlichen Dotalrecht. D. h. trotz gesetzlicher Gütertrennung wurde davon ausgegangen, dass auch die dos, die Mitgift der Frau, Eigentum des Ehemannes war.67 Diese patriarchale Ausrichtung bestimmte auch den 1865 verabschiedeten Codice civile, der insbesondere die Frauen enttäuschte, die sich aktiv an der Einheits- und Freiheitsbewegung, dem Risorgimento, beteiligt hatten.68 Die Stellung des Mannes als Familienoberhaupt (capo della famiglia) wurde bestätigt (Art. 131 ital. Cc), die Frau unterlag damit auch hier in allen Rechtsgeschäften und vor Gericht der autorizzazione maritale (Art. 134 Cc). Jedoch wurde eine Gehorsamspflicht wie im französischen Code nicht ausdrücklich formuliert. Aber die elterliche Gewalt war grund­ 65 Dazu gehörten seit 1815 insbesondere Venetien und die Lombardei, während alle anderen vor der Vereinigung verabschiedeten Kodifikationen sich am französischen Gesetzbuch orientierten, vgl. Ranieri, „Italien“, 212f.; ferner Gabriele Boukrif, „Der Schritt über den Rubikon“: Eine vergleichende Untersuchung zur deutschen und italienischen Frauenstimmrechtsbewegung (1861–1919) (Geschlecht – Kultur – Gesellschaft 13; Münster: LIT, 2006). 66 Ranieri, „Italien“, 328f. 67 Das widersprach dem ursprünglichen Konzept des römischen Dotalrechts, wonach die Mitgift (dos) als Beitrag der Frau zu den Lasten der Ehe zwar Eigentum des Mannes wurde, jedoch von seinem Vermögen getrennt blieb, weil damit ein obli­ gatorischer Anspruch auf Rückgabe nach Beendigung der Ehe verbunden war. Vgl. Angiolina Arru, „Die nicht bezahlte Mitgift: Ambivalenzen und Vorteile des Dotal­ systems im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert“, L’Homme. Europäische Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft 22/1 (2011): 55–69. 68 Vgl. hierzu kritisch Anna Maria Mozzoni, La donna in faccia al progetto del nuovo Codice civile italiano (Milano: Tipografia Sociale, 1865).

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sätzlich eine väterliche, ebenso war die Nachforschung der Vaterschaft bei nicht in der Ehe geborenen Kindern untersagt (Art. 189 Cc). Lediglich in der Erbfolge konnte die Gleichstellung der Geschlechter erreicht werden.69 Die größten Schwierigkeiten bereiteten den Reformern des Codice civile die Ein­ führung der Zivilehe und die Ermöglichung der Ehescheidung. Die Zivilehe, die vor der kirchlichen Trauung obligatorisch sein sollte (Art. 93f.), wurde von der Bevölkerung weitgehend ignoriert, weshalb bis zum Beginn des 20. Jh. große Rechtsunsicherheit darüber herrschte, wie die nur kirchlich geschlosse­ nen Ehen und insbesondere deren (nach weltlichem Recht nichteheliche) Kin­ der zu behandeln seien. Mit der 1929 mit dem Papst vereinbarten sogenann­ ten Konkordatsehe, die, nach kanonischem Recht geschlossen, zivilrechtlich anerkannt wurde, gab es somit in Italien drei Formen der Eheschließung: die kanonische, die vom Vertreter (Pfarrer oder Rabbi) einer anderen Religions­ gemeinschaft geschlossene Ehe und die fakultative Zivilehe nach dem italie­ nischen Cc. Erst 1970 wurde die Ehescheidung – bis dahin nur als Trennung von Tisch und Bett (separazione personale) (Art. 150f.) – eingeführt und erst damit ein letzter Schritt zur Säkularisierung des Eherechts getan.70

3.3.3 Spanien Auch Spanien ist 1808 nach Napoleons Eroberungsfeldzug durch die Etab­ lierung des französischen Code civil mit dem Recht des Siegers konfrontiert worden. Allerdings geschah dies zu einem Zeitpunkt, als das spanische An­ cien Régime am Boden lag, die Niederlage den Bourbonen-König zur Ab­ dankung zwang und eine liberale Kodifikationsbewegung ohnehin das über­ kommene und überholte Rechtssystem in einer Kompilation der tradierten Rechte (Novísima Recopilación) zu ordnen und zu reformieren versuchte.71 Der französische Code bot sich als ein modernes bürgerliches Gesetzbuch mit der Garantie von Eigentum und dem Versprechen persönlicher Freiheit daher als Modell für gesellschaftliche Reformen geradezu an, zumal damit auch die Abschaffung von Privilegien, der Aufbau von Verwaltung, Justiz und Mili­ tärwesen verbunden waren – Propagandainstrumente, die Napoleon zur Neu­ ordnung Europas unter Führung Frankreichs zu nutzen wusste. Tatsächlich hatte der französische Cc für aufgeklärte spanische Juristen auch schon vor der Okkupation als Orientierungshilfe gedient. Nach dem Ende napoleoni­ scher Herrschaft wurde zwar die amtliche Übernahme des französischen Ge­ setzbuchs verworfen, dennoch hat der Cc zum Teil in wörtlicher Übersetzung die Gesetzgebung Spaniens und nicht zuletzt die Rechtsprechung maßgeblich 69 Ranieri, „Italien“, 348–355. 70 Ebd., 340f. 71 Johannes-Michael Scholz, „Kodifikation und Gesetzgebung des Allgemeinen Pri­ vatrechts: Spanien“, in Handbuch Privatrechtsgeschichte, III/1:397–686; 427f., auch zum Folgenden.

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geprägt. In einem kurzen Zwischenspiel der Ersten Republik zwischen 1868 und 1875 wurde die Zivilehe eingeführt, jedoch danach sofort wieder abge­ schafft. Nach einem mühsamen und immer wieder unterbrochenen Kodifika­ tionsprozess konnte 1888/89 endlich der Código Civil als „Imitation des Code civil français“72 verabschiedet werden. In der Ordnung der Paragraphen um die Institute Familie und Eigentum zentriert, wurde er schon von der zeitge­ nössischen Kritik als Produkt der Restauration gekennzeichnet. Anders als in Frankreich, wo seit der Revolution die Zivilehe eingeführt war, wurde die Ehe in Spanien mit zivilrechtlicher Wirkung weiter nach dem Kanonischen Recht geschlossen und galt (mit einer kurzen Unterbrechung in der Zweiten Republik zwischen 1931–1936/3973) bis 1978/1981 als unauflöslich.74 D. h. die katholische Kirche bestimmte bis dahin das Verfahren der Eheschließung, der Trennung und die restriktiven Nichtigkeits- und Trennungsgründe (separación unter der Überschrift del divorcio). Kennzeichnend war wiederum die Ungleichbehandlung von Mann und Frau bei Ehebruch und die Tatsache, dass trotz Gütertrennung und Errungenschaftsgemeinschaft (dem gemeinsa­ men Eigentum des während der Ehe Erworbenen) der Frau jede Verfügung über ihr Eigentum abgesprochen wurde (Art. 49ff. Span. Cc). Vielsagend ist eine Besonderheit: Ohne Genehmigung des Mannes durfte eine Ehefrau nicht publizieren, also nicht wissenschaftlich arbeiten oder literarisch und künstle­ risch tätig sein.75 Bemerkenswert ist ferner, dass der spanische Código Civil als Blaupause für die zivilrechtlichen Gesetzbücher in mehreren Ländern La­ teinamerikas gedient hat.

72 Ebd., 562. Vgl. auch Mary Nash, „The Rise of Women’s Movement in Nineteenth Century Spain“, in Women’s Emancipation Movements in the 19th Century: A European Perspective (hg. v. Sylvia Paletschek und Bianka Pietrow-Ennker; Stanford: Stanford University Press, 2004), 243–262; 251–253. 73 Eine Anordnung und das Gesetz von 1932 machten erstmals die Zivilehe zur Pflicht und ignorierten die kirchliche Trauung. 74 Dies galt auch für Nicht-Katholik*innen, denen seit 1907 nach dem Beweis, nicht katholisch getauft zu sein, die zivilrechtliche Eheschließung erlaubt war. Wie zen­ tral das Prinzip der Unauflöslichkeit im spanischen Eherecht war, wird darin of­ fenbar, dass die Auflösbarkeit nach dem Ende des Franco-Regimes ausdrücklich in Art. 32 Abs. 2 der Spanischen Verfassung von 1978 geschrieben und im Reform­ gesetz 39/1981 ausgeführt wurde, vgl. Konrad Brenninger, Scheidung und Scheidungsunterhalt im spanischen Recht (Diss., Universität Regensburg, 2005), online: http://epub.uni-regensburg.de/10301/1/Dissertation_KonradBrenninger.pdf [zuletzt abgerufen am 23.6.2020]. 75 Scholz, „Spanien“, 607.

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Gemeines und Kanonisches Recht

Das sogenannte Gemeine Recht war aus der mehrfachen Rezeption des rö­ mischen Rechts in Kontinentaleuropa hervorgegangen. Vom Spätmittelalter bis zum Ende des 18. Jh. waren die europäischen Länder in wesentlichen Grundzügen durch dieses Gewohnheitsrecht oder ius commune verbunden, auf das immer dort zurückgegriffen wurde, wo es nicht durch Einzelgesetze oder später durch Kodifikationen außer Kraft gesetzt worden war. Das deut­ sche Gemeine Recht beruhte auf einer Vermischung bzw. Überlagerung ver­ schiedener Rechtsquellen: dem römischen Recht bzw. dessen Rezeption und Interpretation durch die Juristen, dem Kanonischen oder Kirchen-Recht, lo­ kalen Gewohnheitsrechten sowie naturrechtlichen Einflüssen.76 Im Ehe- und Familienrecht bestimmte das Kanonische Recht – und seit der Reformation die protestantischen Eherechtslehren – die persönlichen Ehebeziehungen und zwar die Eheschließung und das Scheidungsrecht, während das Ehegüterrecht weiterhin den rezipierten römisch-rechtlichen Regeln des Gemeinen Rechts folgte. Verallgemeinernde Aussagen sind daher schwierig, weshalb im Fol­ genden nur einige für das Eherecht bzw. für familiäre Beziehungen charak­ teristische Grundzüge dargestellt werden. Denn seine regionale Geltung und inhaltliche Ausgestaltung ist unübersichtlich, weil sich die Rechtspraktiken und Rechtsgewohnheiten, die territorialen Einzelgesetze oder lokalen Statu­ ten unter verschiedenen kulturellen und konfessionellen Einflüssen regional unterschiedlich entwickelten. Eine tragende Rolle für das ius commune, das Gemeine Recht, spielte dabei die Jurisprudenz, die im sogenannten usus modernus pandectarum (zeitgemäßer Gebrauch der Pandekten, der römischen Rechtsquellen) die Praxis und das nur auf Latein vermittelte Wissen über Recht entscheidend bestimmte. Ihre wichtigste Rechtsquelle war das Corpus iuris civilis, die vom oströmischen Kaiser Justinian im 6. Jh. n. Chr. veran­ lasste Zusammenstellung römischen Rechts, deren Bearbeitung durch die Rechtsschulen in Bologna seit dem 11. Jh. einen wissenschaftlichen, Länder­ grenzen überschreitenden Diskurs und damit die europäischen Rechtswissen­ schaften begründet hatte.77 Nach spätrömischem Recht, das die Manus-Ehe früherer Zeit mit der ab­ soluten Gewalt des pater familias weit hinter sich gelassen hatte, hatte die Eheschließung in klassischer Zeit keinen Einfluss auf Rechtsfähigkeit und 76 Vgl. ausführlich Duncker, Gleichheit und Ungleichheit, 115–122; 47–50 et passim. Zur Kanonistik vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 71–80. 77 Elisabeth Koch, „Die Frau im Recht der Frühen Neuzeit: Juristische Lehren und Begründungen“, in Frauen in der Geschichte des Rechts: Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart (hg. v. Ute Gerhard; München: Beck, 1997), 73–93; 73–76. Vgl. auch Dies., Maior dignitas est in sexu virili: Das weibliche Geschlecht im Normensystem des 16. Jahrhunderts (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 57; Frankfurt a. M.: Klostermann, 1991).

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Vermögensverhältnisse der Frau. Als „faktisches Verhältnis des sozialen Lebens“ waren daran wohl bestimmte Rechtswirkungen geknüpft, doch das Eingehen in die Ehe und die Ehetrennung waren kaum verrechtlicht.78 In der Rezeption hat die katholische Kirche seit dem Mittelalter mit zunehmendem Einfluss im Bereich der persönlichen Ehebeziehungen dafür gesorgt, dass die Herrschaftsrechte des Mannes und die Unterordnung der Frau als „göttliches Recht“ (ius divinum) befestigt wurden, zumal die eheherrliche Gewalt auch der deutschrechtlichen Tradition der Geschlechtsvormundschaft (munt) und damit Sitte und Gewohnheiten angeblich besser entsprach.79 Im ehelichen Güterrecht des Gemeinen Rechts sind jedoch in einigen Gebieten80 in der Form des sogenannten Dotalrechts (dos – Mitgift) oder der Errungenschafts­ gemeinschaft Eigentumsrechte der Ehefrauen bis zur Kodifikation des BGB erhalten geblieben. Überhaupt verblieb das Güterrecht im Gegensatz zu den persönlichen Ehebeziehungen weitgehend in der Zuständigkeit der weltlichen Gerichte. Allerdings ist selbst die praktische Auswirkung des Prinzips der Gütertrennung auf die Stellung der Frau in der Frühen Neuzeit nicht geklärt, da in der Literatur immer wieder auf eine herrschende Lehre verwiesen wird, die die Dispositionsfreiheit der Ehefrau über ihr eigenes Vermögen ohne Zu­ stimmung des Mannes bestritt.81 Das Kanonische Recht dominierte in den persönlichen Ehebeziehungen, seitdem die katholische Kirche seit dem 12. Jh. nicht nur die Regelungskompe­ tenz, sondern auch die Gerichtsbarkeit in Ehesachen zunehmend an sich gezo­ gen hatte. Die wichtigste Rechtsquelle hierfür war das Corpus iuris canonici (CIC), in dem ab 1140 (als erstes das Decretum Gratiani) die älteren kirchli­ chen Rechtssammlungen und Gesetze aufgenommen wurden. Ihre Grundlage bildeten theologische und rechtliche Abhandlungen von Kirchenvätern, Päps­ ten und Konzilien sowie beispielhafte Rechtsfälle und Lehrmeinungen, zu deren Begründung immer wieder bestimmte Bibelstellen herangezogen wur­ den, die seitdem als Beleg einer von Gott vorgegebenen Geschlechterordnung galten (Gen 2,21–23; Eph 5,22–24.33 oder 1 Kor  11,3).82 Die förmliche Ver­ einigung der verschiedenen Rechtsbücher zum CIC erfolgte erst 1580 durch Papst Gregor XIII. Dies war die Zeit nach dem Tridentinischen Konzil, die 78 Im Einzelnen Duncker, Gleichheit und Ungleichheit, 52; vgl. auch Stephan Meder, Familienrecht: Von der Antike bis zur Gegenwart (UTB 3901; Köln: Böhlau, 2013), 46–66. 79 Holthöfer, „Geschlechtsvormundschaft“, 415; Motive zum BGB, 1888, 4:143f., zit. n. Meder, Familienrecht, 42. 80 Dies galt für knapp 30 % der Bevölkerung des Deutschen Reiches; vgl. Coing, „Ein­ leitung zum BGB“, Rdnr. 24 (s. o. Anm. 35). 81 Koch, Die Frau im Recht, 81. 82 Ida Raming, „Stellung und Wertung der Frau im kanonischen Recht“, in Frauen in der Geschichte des Rechts: Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart (hg. v. Ute Gerhard; München: Beck, 1997), 698–712; 699f., auch zum Folgenden; vgl. auch Duncker, Gleichheit und Ungleichheit, 60–90.

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den Abschluss eines sich über Jahrhunderte hinziehenden Rechtsfindungsund Gestaltungsprozesses des katholischen Kirchenrechts bildete. Denn in den Beschlüssen des Konzils von Trient (1545–1563) wurden – nicht zuletzt als machtvolle Antwort auf die Infragestellungen durch die Reformation – die Regelungen zum Eherecht verbindlich festgelegt, die bis weit ins 19. Jh. und nicht wesentlich verändert über das 1. Vatikanische Konzil von 1869/70 hinaus bis ins 20. Jh. rechtsgültig waren. Dazu gehörten insbesondere die Form der Eheschließung (vor dem Pfarrer und zwei Zeugen) und der Sakra­ mentscharakter der Ehe, womit ein Scheidungsverbot verbunden war, sowie die Gestaltung und Kontrolle der Ehehindernisse. Die Aufsicht über die Vo­ raussetzungen eines Eheschlusses (Ehehindernisse und Verbote wegen Blut­ verwandtschaft oder weiterer Verwandtschaftsgrade, wegen Bigamie oder Impotenz etc.) und die Möglichkeit zur Erteilung von Dispensen verschaffte der Kirche über Jahrhunderte eine nicht zu unterschätzende Machtposition, ganz abgesehen von einträglichen Gebühren, die arme Leute vom Heiraten abhielten.83 Der Einfluss der römisch-katholischen Kirche auf das persönliche Ehe­ recht hat einerseits zur Aufwertung der Ehe beigetragen, die sich auf die Sak­ ralisierung der Ehe als Gottesrecht gründete und ihre Strukturprinzipien fest­ legte: Die Begründung der Ehe allein auf den Konsens beider Geschlechter, also keine Ehe gegen den Willen der Frau. Das heißt, das väterliche Ehebe­ willigungsrecht wurde eingeschränkt, ebenso wie die Einwilligung des Gutsoder Feudalherrn in die Heirat von Magd und Knecht. Das bedeutete ferner: Gleiche eheliche Pflichten, also auch Treuepflicht des Ehemannes, Verbot der Polygamie, keine Heirat in den biblisch verbotenen Verwandtschaftsgraden, keine beliebige Verstoßung der Frau, schließlich die prinzipielle Unauflöslich­ keit der Ehe.84 Ausdrücklich wurde auch der Zweck der Ehe zur Erzeugung und Erziehung von Nachkommenschaft statuiert. Der Kultivierung der ehe­ lichen Beziehungen stand andererseits die Disziplinierung der Frau unter die Herrschaft des Mannes gegenüber, die die Zurücksetzung und Degradierung nicht nur in der Ehe, sondern auch in allen kirchlichen Ämtern und Funkti­ onen mit den immer gleichen Bibelstellen, insbesondere aber auch mit dem

83 Zu Eheverboten und Heiratsschranken vgl. Gerhard, Verhältnisse und Verhinderungen, 113–139; beispielhaft Margareth Lanzinger, Verwaltete Verwandtschaft: Eheverbote, kirchliche und staatliche Dispenspraxis im 18. und 19. Jahrhundert (Wien, Köln und Weimar: Böhlau, 2015). 84 Paul Mikat, „Ehe“, in Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (hg. v. Adal­ bert Erler und Ekkehard Kaufmann; 5 Bde; Berlin: Schmidt, 1971), 1:809–833; 818; vgl. auch zum Folgenden Dieter Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts (Schriften zum deutschen und europäischen Zivil-, Handels- und Prozeßrecht 45; Bielefeld: Giese­ king, 1967).

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Sündenfall der Eva (Gen 3,16) begründete – als Strafe dafür wurde ihr das imperium mariti wie ein Joch aufgebürdet.85 Die Betonung des gleichberechtigten Ehekonsenses als Kern der Ehe­ schließung hatte gleichwohl langanhaltende Folgen. Zwar hat die katholische Kirche jahrhundertelang für die kirchliche Trauung als Form des Eheschlus­ ses gekämpft und diese auf dem Tridentinischen Konzil 1563 zum ersten Mal verbindlich vorgeschrieben. Dennoch ist zu beachten, dass dieser Konzilsbe­ schluss nur in den Territorien in Kraft trat, in denen er ausdrücklich verkün­ det worden war.86 D. h. es gab weite Gebiete (nicht nur die protestantischen), in denen die kirchliche Trauung nicht rechtserheblich für den Eheschluss war. Dort wurden die formlosen Ehen, die sich auf ein Eheversprechen oder ein Verlöbnis gründeten, weiterhin als gültige Ehen anerkannt, soweit nicht ein Ehehindernis entgegenstand. In der Praxis des Kanonischen Rechts galt dies auch für die sogenannten heimlichen (oder clandestinen) Ehen.87 Gestützt wurde diese Liberalität durch eine gemeinrechtliche Praxis, wonach das „Be­ schreiten des Ehebettes“, die copula carnalis, als Faktum der Ehegründung anerkannt wurde und einschließlich aller Rechtsfolgen in Bezug auf die ehe­ lichen Güterrechte, Erb- und Standesrechte konstitutiv war. Im Sachsenspiegel, einem der ältesten und bedeutendsten Rechtsbücher des Mittelalters (um 1230) hatte Eike von Repkow diese im Volk verwurzelte Rechtsansicht so formuliert: „Die Frau ist des Mannes Genossin und tritt in sein Recht, ‚svenne se in sin bedde gat‘.“88 Die katholische Kirche hat dieser Rechtsauffassung in­ sofern Rechnung getragen, als sie bei der ausnahmsweisen Genehmigung von Scheidungen (Annullierungen) über das Argument der Nichtigkeit der Ehe auf die Frage nach dem Vollzug der Ehe abstellte. Zudem hatte das Kanonische Recht durch vom römischen Recht übernommene Formen der nachträgli­ chen Legitimation sowie Vaterschaftsvermutungen zumindest gegenüber den Brautkindern Milde walten zu lassen, ja selbst den im Ehebruch oder Inzest oder gegen ein Sakrileg (Eheverbot) gezeugten Kindern eine Alimentationsund Fürsorgepflicht gegenüber den Eltern zugesprochen. Die Demarkationslinie zwischen Ehe und Nicht-Ehe bzw. Verlöbnis ist darum aus der Rückschau schwer zu ziehen und bleibt auch rechts- und so­ 85 Stephan Buchholz, „IX. Sub viri potestate eris et ipse dominabitur tibi (Gen 3,16): Das Imperium mariti in der Rechtsliteratur des 17. und 18. Jahrhunderts“, ZSRG.K 80/1 (1994): 355–404; 363; vgl. zum Ganzen Raming, Stellung und Wertung der Frau, 698–712; Duncker, Gleichheit und Ungleichheit, 407–417. 86 Ausführlich Beate Harms-Ziegler, Illegitimität und Ehe: Illegitimität als Reflex des Ehediskurses in Preußen im 18. und 19. Jahrhundert (SRG 51; Berlin: Duncker & Humblot, 1991), 65–74. 87 Das waren die ohne Zustimmung der Eltern geschlossenen, aber nach christlichem Rechtsverständnis auf den Konsens beider Ehepartner gegründeten Ehen. 88 Zitiert nach Carl Friedrich von Gerber, System des Deutschen Privatrechts (Jena: Mauke, 1863), 574.

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zialhistorisch ein strittiger Punkt.89 Jedenfalls wurde die scharfe Trennung zwischen Legitimität und Illegimität, zwischen Ehe und Konkubinat erst im 19. Jh. im Zuge der Vereinheitlichung und Verstaatlichung bürgerlichen Rechts rechtswirksam. Die Formalisierung des Eheschlusses und das Erfordernis der Mitwirkung eines Priesters für die Gültigkeit des Eheschlusses seit dem Konzil von Tri­ ent war nicht zuletzt eine Antwort auf die Reformation und die Entwicklung des protestantischen Eherechts gewesen. Denn Martin Luther hatte in der schrittweisen Loslösung von der römisch-katholischen Kirche mit der Ver­ brennung des Corpus iuris canonici insbesondere auch deren Rechtshoheit in Ehesachen aufgekündigt.90 Neben dem priesterlichen Zölibat und der kirchli­ chen Kontrolle der Eheschließung durch weitreichende Eheverbote galt seine Kritik dem Sakramentscharakter der Ehe. Seiner Auffassung nach war die Ehe ein äußerlich weltlich Ding […] wie Kleider und Speise, Haus und Hof, weltlicher Obrigkeit unterworfen. [Darum] gebührt uns Geistlichen und Kirchendienern nicht darin zu ordnen oder zu regieren.91

Gleichzeitig sprach Luther von der Ehe als „Gottes Werk“92 sowie „gehei­ ligtem“ und „edelstem Stand“.93 D. h. er unterschied zwischen geistlichem, den Glaubenssachen, und weltlichem Regiment. Juristisch galt die Ehe in der Folge als „causa mixta“,94 die als christliche des kirchlichen Segens bedurfte, Theologen jedoch nur als Seelsorger, nicht als „Rechtsprecher“ interessieren sollte.95 Einerseits profitierte die Ehefrau und Hausfrau von der geistlichen Aufwertung der Lebensform Ehe, ihrer Gleichheit im Glauben und dem all­ gemeinen Priestertum der Gläubigen. Auch die Beibehaltung einer strikten Aufgabenteilung im Haus diente dazu, weibliche Sorgetätigkeiten aufzuwer­ ten. In seiner frühen Schrift „Vom ehelichen Leben“ heißt es:

89 Harms-Ziegler, Illegitimität und Ehe, 74. 90 Heinz Schilling, Martin Luther: Rebell in einer Zeit des Umbruchs (München: Beck, 2014), 201. 91 Martin Luther, Kritische Gesamtausgabe, Weimarer Ausgabe (im Folgenden WA), (hg. v. Ulrich Köpf; unveränd. Nachdr. d. Ausg. von 1910; Weimar: Böhlau, 2005) „Von Ehesachen (1530)“, WA 30. III, 205–248; 205. 92 Martin Luther, „Vom ehelichen Leben (1522)“, WA 10. II, 275–304; 294. 93 Martin Luther, „Deudsch Catechismus (Der Große Katechismus) 1529“, WA 30. I, 123–238; 162. 94 Hartwich Dieterich, Das protestantische Eherecht in Deutschland bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts (JusEcc 10; München: Claudius, 1970), 77. 95 Luther, „Von Ehesachen“, 246f.

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Ute Gerhard Wenn ein Mann herginge und wüsche die Windeln oder sonst am Kinde ein ver­ achtet Werk […]. Alle diese geringen, unlustigen, verachteten Werke […] [sind] mit göttlichem Wohlgefallen wie mit dem köstlichsten Gold und Edelsteinen geschmückt.96

Andererseits blieb in weltlichen Dingen die Ungleichheit, die patriarchale Eheordnung im Miteinander von Hausvater und Hausmutter unbestritten.97 Diese war jedoch als weltliches Recht veränderbar, wie sich zeigen sollte. Dabei diente die zur Haushaltsführung notwendige Schlüsselgewalt der Auf­ rechterhaltung dieser Ordnung. Jedoch blieb die Witwe im Handwerksbetrieb oder Handelsgeschäft geschäftsfähig. Im neuen Verhältnis von Ehe und Fa­ milie hatten Kinder auch gegenüber der Mutter eine Gehorsamspflicht; nach dem Tod des Vaters konnte die Mutter sogar die Vormundschaft für ihre Kin­ der übernehmen. Eine strittige Neuerung blieb die Zulassung der Eheschei­ dung und zwar auf der Basis gleicher Rechte von Mann und Frau, doch unter enger Auslegung der Scheidungsgründe. Denn prinzipiell galt auch in den protestantischen Ehelehren das lebenslange Ehegelübde. Jedoch wurden Ehe­ bruch, ‚bösliches Verlassen‘ und Unglauben eines Partners oder Hinwendung zu einer anderen Religion als Scheidungsgründe anerkannt. Den schuldlos Geschiedenen war die Wiederheirat erlaubt, während den Schuldigen Ehe­ bruchsstrafen erwarteten. Diese und andere Unzuchtsstrafen wurden durch Kirchenordnungen und Polizeivorschriften kontrolliert. Denn nun übernah­ men weltliche Obrigkeiten, die territorialen Hofkanzleien, auf den unteren Ebenen sogenannte Konsistorien (gebildet aus Theologen und Juristen) die Ehegerichtsbarkeit, die das neue Ehe- und Scheidungsrecht erst entwickeln und gestalten mussten.98 Die rechtsgeschichtliche Literatur betont aber bereits zum Ende des 16. Jh. eine „bemerkenswerte Kontinuität“ zwischen protestantischer und katholi­ scher Rechtslehre.99 Denn im Zeitalter der Orthodoxie und Glaubenskriege näherten sich die protestantischen Ehelehren mit der Auffassung vom „Wesen der Ehe“ dem Sakramentscharakter im katholischen Recht wieder an, indem 96 Luther, „Vom ehelichen Leben“, 295–296; Vgl. dazu Gerta Scharffenorth, „‚Im Geiste Freunde werden‘: Mann und Frau im Glauben Martin Luthers“, in Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit (hg. v. Heide Wunder und Christina Vanja; Stw 913; Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1991), 97–108. 97 Luise Schorn-Schütte, „Wirkungen der Reformation auf die Rechtsstellung der Frau im Protestantismus“, in Frauen in der Geschichte des Rechts: Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart (hg. v. Ute Gerhard; München: Beck, 1997), 94–104; 96. 98 Vgl. Ralf Frassek, Eherecht und Ehegerichtsbarkeit in der Reformationszeit: Der Aufbau neuer Rechtsstrukturen im sächsischen Raum unter besonderer Berücksichtigung der Wirkungsgeschichte des Wittenberger Konsistoriums (JusEcc 78; Tübin­ gen: Mohr Siebeck, 2005). 99 Schorn-Schütte, Wirkungen der Reformation, 97–101; vgl. auch Dieterich, Das protestantische Eherecht, 112–117.

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Kirchenordnungen und die sogenannte Kirchenzucht das Regime über die Geschlechterordnung und die sexuellen Beziehungen übernahmen. Zwar war die kirchliche Trauung im protestantischen Eherecht nicht konstitutiv, jedoch als Segnung der Ehe traditionell und formal geboten. Zudem stärkte das wie­ der eingefügte Erfordernis der Einwilligung der Eltern den Öffentlichkeits­ charakter der Ehe, womit ‚heimliche Ehen‘ zurückgedrängt und mehr Kin­ der und Mütter als illegitim ausgegrenzt wurden. Die Auseinandersetzungen nicht nur zwischen den Konfessionen, sondern zunehmend zwischen kirchli­ cher und weltlicher Macht verdeutlichen, in welcher Weise die Diskurse über die Form der Eheschließung bzw. Nichtehelichkeit und Sexualmoral seit der Frühen Neuzeit ein mächtiges Dispositiv bildeten, das über Zeiten und Räume hinweg die Herrschaftsstruktur der Ehe und die Rechtsstellung von Frauen und ihren Kindern bestimmte.100

3.5

Das englische und amerikanische Common Law

Im englischen Common Law stand die Rechtsstellung der Frauen im 19. Jh. im besonders krassen Widerspruch zu den frühen rechtsstaatlichen Instituti­ onen Englands und seiner parlamentarischen, wenn auch durch Zensus ein­ geschränkten Verfassung. Im Unterschied zur unverheirateten Frau, die in England schon im mittelalterlichen Recht eine eigenständige Rechtsperson war, verlor eine Ehefrau mit der Eheschließung ihre Rechtsfähigkeit. Heiraten bedeutete für sie den „bürgerlichen Tod“ – gemäß der immer wieder zitierten Formulierung von William Blackstone, der in seinen Commentaries on the Laws of England (1765–1769) erläutert hatte: „By marriage the husband and the wife are one person in law.“101 Dadurch, dass Mann und Frau per Gesetz eine Person wurden, hatte der englische Ehemann ein Recht auf die Person, auf ihren Erwerb und ihr Eigentum, selbst auf die persönlichen Gegenstände, die sie in die Ehe einbrachte. Denn weiter hieß es: The very being or legal existence of the woman is suspended during marriage, or at least is incorporated and consolidated into that of her husband; under whose

100 Vgl. Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit: Der Wille zum Wissen 1 (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1983). 101 William Blackstone, Commentaries on the Laws of England (4 Bde; Oxford: Clar­ endon Press, 1765), 1:442; vgl. auch Ursula Vogel, „Zwischen Privileg und Gewalt: Die Geschlechterdifferenz im englischen Common Law“, in Differenz und Gleichheit: Menschenrechte haben (k)ein Geschlecht (hg. v. Ute Gerhard et al.; Frankfurt a. M.: Helmer, 1990), 217–223; 219; ausführlich Norma Basch, In the Eyes of the Law: Women, Marriage, and Property in Nineteenth Century New York (Ithaca: Cor­ nell University Press, 1982), 42–55.

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Ute Gerhard wing, protection and cover she performs everything; […] and her condition dur­ ing her marriages is called her coverture.102

Coverture bedeutete also die Annullierung der Frau als Rechtsperson. Sie konnte wirksam kein Rechtsgeschäft vornehmen, kein Testament bestellen oder Vormund ihrer Kinder sein. Auch die elterliche Gewalt lag allein beim Vater. Die Eheschließung blieb bis 1857 unter der Oberhoheit der Kirche von England (Ausnahmen gab es nur für Juden und Quäker), und auch Eheschei­ dungen waren nur für ganz wenige auf individuellen Antrag und mit hohen Kosten durch einen Akt des englischen Parlaments möglich.103 Nun gab es in England und ebenso in seinen abtrünnigen Kolonien wie in den USA, die 1776 ihre Unabhängigkeit erklärt hatten, keine einheitliche Kodifikation und also auch kein Familienrecht, sondern seit dem späten Mit­ telalter Sammlungen von Rechtsfällen und Gerichtsentscheidungen, die durch die Rechtsprechung der königlichen Gerichte ausgelegt und von Fall zu Fall weiterentwickelt wurden (case law). Im Gegensatz zu den auf dem Konti­ nent verabschiedeten naturrechtlichen Kodifikationen wurde die Bewahrung dieser auf Richterrecht sich gründenden Tradition gerade auch im Ehe- und Familienrecht sowohl im Vereinigten Königreich als auch in den USA für Frauen im 19. Jh. zunehmend unerträglich. Auch im Geschäftsverkehr einer sich mehr und mehr auf die Verfügbarkeit von Eigentum gründenden bür­ gerlichen Gesellschaft erwies sich dieser „rechtspolitische Immobilismus“104 als hinderlich. Seit dem Ende des 18. Jh. entwickelten die Gerichte daher Grundsätze der Billigkeit (equity jurisdiction), die in Einzelfällen Härten des Common Law milderten und zunächst besonderen Kanzleigerichten (chanceries) oblagen, später auch in den allgemeinen Gerichten zur Anwendung kamen.105 So entwickelte sich aus dem Bedürfnis der Väter und Familien, das Eigentum ihrer Töchter nach ihrer Eheschließung zu sichern, ein dua­ les System der Rechtsanwendung,106 in dem es im Equity-Verfahren möglich wurde, durch voreheliche vertragliche Absprachen wie die Bestellung eines Rechtsbeistands (trust) oder durch Ehevertrag (equity to a settlement) be­ stimmte Eigentumsrechte der verheirateten Frau gegen die Verschwendung 102 Blackstone, Commentaries, 1:442; Basch, In the Eyes, 48f. 103 Rebecca Probert, „Family Law Reform and the Women’s Movement in England and Wales, 1830–1914“, in Family Law in Early Women’s Rights Debates: Western Europe and the United States in the Nineteenth and Early Twentieth Centuries (hg. v. Stephan Meder und Christoph-Eric Mecke; Rechtsgeschichte und Geschlechter­ forschung 14; Köln: Böhlau, 2013), 170–193, 174f.; anders offenbar in Schottland, wo calvinistischer Einfluss die Ehe als zivilen Vertrag behandelte, der durch Scheidung zu lösen war, vgl. William R. Cornish, „England“, in Handbuch Privatrechtsgeschichte, III/2:2217–2279; 2264f., auch zum Folgenden. 104 Majer, Frauen – Revolution – Recht, 334. 105 Vgl. Basch, In the Eyes, 70. 106 Cornish, „England“, 2265.

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durch den Ehemann zu schützen. Abgesehen davon, dass diese Arrangements nicht unbedingt der Unabhängigkeit oder Eigenständigkeit der verheirateten Frau dienten, sondern vorwiegend das Familienvermögen in der Erbfolge bewahren sollten, blieb diese Rechtsprechung eine Ausnahmeregelung, ein Klassenrecht, das erst gerichtlich erstritten werden musste, ohne die Proble­ me des Common Law, insbesondere die rechtliche Entmündigung der Ehefrau grundsätzlich zu lösen. Im Vergleich zwischen englischem und US-amerika­ nischem Recht kam die Equity-Rechtsprechung in Großbritannien zunächst vornehmlich der Oberschicht zugute, während sie in den USA zunehmend von einer sich verbreiternden Mittelschicht, von Farmern und Geschäftsleuten in Anspruch genommen wurde.107

3.5.1 Das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Irland Infolge der unterschiedlichen politischen Ausgangslage und Gesellschafts­ struktur im englischen Mutterland und in den aus freiheitlichen Motiven von ihm abgespaltenen USA entwickelten sich Rechtspraxis und Rechtsreform im 19. Jh. durchaus unterschiedlich und ungleichzeitig. Die Zahl einzelner Gesetze zur Reform im Bereich des Familienrechts war in Großbritannien in der ersten Hälfte des 19. Jh. ausgesprochen gering, nur sehr allmählich und widerstrebend wurden Konzessionen an den sozialen Wandel gemacht.108 Ein wichtiger Schritt zur Veränderung der politischen Machtverhältnisse war die Wahlrechtsreform (Reform Act) von 1832, in der der Kreis der männli­ chen Wahlberechtigten um städtische Hausbesitzer mit einem bestimmten Einkommen erweitert wurde. Allerdings wurde hierbei zum ersten Mal aus­ drücklich auch das Adjektiv „männlich“ in den Gesetzestext eingefügt, im­ merhin schien diese Klarstellung notwendig geworden zu sein. 1836 wurden die ersten staatlichen Register über Geburten, Todesfälle und Eheschließun­ gen eingeführt, womit die Ziviltrauung außerhalb der Kirche möglich wurde. Da nach den Regeln des Common Law der Vater die alleinige elterliche Gewalt hatte, war der 1839 nach großem Aufheben durch die Einzelkämpferin Caro­ line Norton durchgesetzte Custody of Infants Act ein erster winziger Schritt zu begrenzten Rechten der Mutter. Danach konnte diese nach einer Trennung der Eheleute vor den Equity-Gerichten (Courts of Chancery) das Sorgerecht (custody) für ihre Kinder im Alter bis zu 7 Jahren und ein Besuchsrecht für Kinder unter 16 Jahren erstreiten, aber nur, wenn sie nicht des Ehebruchs 107 Lawrence M. Friedman, „A Moving Target: Class, Gender, and Family Law in the Nineteenth-Century United States“, in Private Law and Social Inequality in the Industrial Age: Comparing Legal Cultures in Britain, France, Germany and the United States (hg. v. Willibald Steinmetz; Oxford: Oxford University Press, 2000), 155–177. 108 Vgl. auch zum Folgenden Cornish, „England“, 2264f.; Christine Bolt, The Women’s Movements in the United States and Britain from the 1790s to the 1920s (New York: Harvester Wheatsheaf, 1993), 95–104.

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schuldig war. Der Divorce and Matrimonial Causes Act von 1857 schließlich ermöglichte die Ehescheidung durch ein ordentliches Gerichtsverfahren – nicht nur durch einen „privaten“ Akt des Parlaments, der für normale Leute nicht bezahlbar und durchsetzbar war. Jedoch war auch nach diesem Gesetz von 1857 nur ein in London eingerichteter Gerichtshof (Court for Divorces and Matrimonial Causes) zuständig. Zudem blieb es bei den für Mann und Frau höchst unterschiedlichen Scheidungsgründen. Während eine Frau eine Scheidung nur verlangen konnte, wenn der Ehebruch des Mannes gleichzeitig als Inzest, als besondere Grausamkeit wie Vergewaltigung oder als Sodomie bzw. Bigamie zu qualifizieren war, konnte ein Mann die Ehescheidung allein nach einem Ehebruch der Frau durchsetzen. Erst 1923 wurden die Gründe für eine Ehescheidung für beide Geschlechter gleich geregelt. Das Gesetz von 1857 gewährte jedoch zum ersten Mal auch Unterhaltsansprüche für die unschuldig geschiedene Ehefrau. Die wichtigste Auswirkung des Gesetzes war daher, dass Frauen nach der Scheidung auch Eigentum erwerben, insbe­ sondere über ihren eigenen Verdienst verfügen konnten. Zwar wurde diese Folge unter den Zeitgenossen sofort als „Revolution in der Familie“ kritisiert, weil sie das Ideal und die Moral der Institution Ehe als lebenslange Einheit in Frage stellte und die Witwe wie eine feme sole109 behandelte. Doch wenn wir die vergleichsweise geringe Zahl der Ehescheidungen im Vereinigten König­ reich bis zum Ende des 19. Jh. berücksichtigen, waren solche Befürchtungen übertrieben.110 Die Bedeutung der wenigen Reformgesetze liegt eher darin, dass sie das Ergebnis oft langwieriger öffentlicher Debatten waren und eine Rechtswirklichkeit enthüllten, in der die gravierenden Unrechtserfahrungen von Frauen seit der Mitte des Jahrhunderts durch eine Frauenbewegung zur Sprache gebracht wurden. Die Stellung der nichtehelichen Kinder (bastards/nonmarital children) und ihrer Mütter war im Common Law seit Jahrhunderten problematisch. Ge­ genüber dem Vater war das uneheliche Kind ein „filius nullius“, vor allem hatte es kein Erbrecht. Das Sorgerecht lag allein bei der Mutter, sie konnte auch nachträglich keine Legitimierung des Kindes weder durch die Anerken­ nung von Seiten des Vaters noch durch Eheschließung mit ihm erlangen.111 Die Mehrheit der unverheirateten Mütter und ihrer Kinder, die keinen Ernäh­ rer und kein Auskommen hatten, unterlag der Armengesetzgebung, die, um die Kosten von den zuständigen Gemeinden abzuwenden, den Vater belangen oder auch Mutter und Vater bestrafen konnten. Die Armenfürsorge konnte die nichteheliche Mutter auch zum Arbeitszwang in workhouses verpflich­ 109 Feme sole meint die alleinstehende Frau im Unterschied zur feme covert, der verhei­ rateten Frau. Beides sind aus dem normannischen Französisch überlieferte, spätmit­ telalterliche Rechtsbegriffe des Common Law. 110 Vgl. Probert, „Family Law Reform“, 175; Cornish, „England“, 2267. 111 Cornish, „England“, 2270, erst 1926 wurde die Gesetzgebung in dieser Hinsicht geändert.

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ten. Durch das Poor Law von 1834 wurde der so bestraften Mutter jedoch ausdrücklich verboten, den Vater für den Unterhalt ihres Kindes in Anspruch zu nehmen, eine Entlastung der Väter, die – wie oben am Beispiel des Code civil und der Reform des ALR von 1854 gezeigt – dem allgemeinen Trend der von einem bürgerlichen Patriarchalismus beherrschten Rechtsordnungen des 19. Jh. entsprach. Nachdem man jedoch festgestellt hatte, wie nutzlos diese Maßregelung war, konnte der Vater seit dem Poor Law Amendment Act von 1844 nach einer Vorladung vor Gericht zur Zahlung eines geringfügigen Kin­ desunterhalts verpflichtet werden.112

3.5.2 Das amerikanische Common Law Die Rechtsstellung der US-Amerikanerin war keineswegs besser als die der Engländerin, vielmehr betont Norma Basch,113 wie lang und nachhaltig der Einfluss Blackstones nicht nur auf die amerikanische Jurisprudenz war,114 sondern dass bis weit in das 19. Jh. hinein die Rechtlosigkeit der Ehefrau nach dem Common Law die öffentliche Meinung und den Diskurs über Geschlech­ terrollen und die Funktion der Ehe beherrschte. Denn auch die freie Bürge­ rin der USA verlor, sobald sie heiratete, alle bürgerlichen Rechte, sie konnte weder Rechtsgeschäfte tätigen, noch Eigentum besitzen oder vererben. Auch konnte sie ohne oder gegen ihren Mann keinen Prozess zur Verteidigung ihrer Rechte führen. Sie war – so urteilte eines der höchsten Gerichte kurz nach der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung – vorrangig zur Loyalität gegen­ über ihrem Mann, nicht gegenüber dem Staat verpflichtet.115 Und dies, obwohl oder gerade weil der neue bürgerliche Kult der Häuslichkeit (cult of domesticity) und des wahren Frauentums (of true womanhood) mit der Durchsetzung der liberalen Marktwirtschaft die Ideologie getrennter Geschlechterrollen trug und befestigte. Bei aller Sentimentalität und Idealisierung der ehelichen Gemeinschaft (marital unity) als soziale, die gesellschaftlichen Verhältnis­ se stabilisierende Institution hatte die Ehe im amerikanischen Common Law vornehmlich eine ökonomische Funktion, nämlich die Rechtmäßigkeit der Erbfolge zu gewährleisten. Dem entsprach, dass vor allem eigentumsrechtli­ che Fragen Gegenstand von Gerichtsentscheidungen und ersten gesetzlichen Reformschritten wurden. Außerdem waren hier auf breiterer Basis als in Eng­ 112 Ebd., 2269. 113 Basch, In the Eyes, 24.44.230–233; vgl. auch Mary R. Beard, Woman as Force in History. A Study in Traditions and Realities (New York: Macmillan, 1946), 117–155. 114 Vgl. z. B. James Kent, Commentaries on American Law (4 Bde; Boston: Little Brown, 111867), zit. n. Basch, In the Eyes, 61. Dabei wurden Blackstones Commentaries nur unwesentlich den amerikanischen kommerziellen Bedürfnissen angepasst. Sie bildeten die Grundlage jeder Juristenausbildung. 115 Linda Kerber, No Constitutional Right to be Ladies: Women and the Obligations of Citizenship (New York: Hill and Wang, 1998), XXXIX.

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land die aus Billigkeitsgründen möglichen Equity-Verfahren zur Bestellung eines Rechtsbeistandes/Treuhänders (trust) bzw. das Vermögen der Ehefrau sichernde Eheverträge üblich. Seit den 1830er Jahren, in denen Frauen auf gleiche Bildungschancen drängten und z. B. in der Textilindustrie oder als Lehrerinnen in den Bildungsanstalten für Mädchen gebraucht wurden, tauch­ te die Frauenfrage im Zuge zunehmenden Wohlstands, aber auch aufgrund wirtschaftlicher Instabilität oder im Zusammenhang mit ihrem Engagement in der Anti-Sklavereibewegung in den Reformdebatten auf.116 Für die weitere Entwicklung ist zu beachten, dass die Gesetzgebung im Familienrecht den Einzelstaaten oblag, weshalb sich in diesen Fragen kei­ ne einheitliche Rechtslage, sondern auch hier ein Patchwork ungleichzeitiger Reformschritte ergab: 1839 wurde das erste Married Women’s Property Law in Mississippi verabschiedet. 1848 war der öffentliche Druck so groß, dass am 8. April 1848 nach langwierigen Debatten ein Married Women Property Statute im Staat New York verabschiedet wurde. Dieses Statut gilt als Mei­ lenstein in der Geschichte der Frauenrechte in den USA und verdankt sein Zustandekommen nicht zuletzt der Agitation von Frauenrechtlerinnen, die in der amerikanischen Frauenbewegung sehr bald eine bedeutende Rolle spielen sollten: allen voran Ernestine Rose und Elizabeth Cady Stanton. Und es ist kein Zufall, dass nur wenige Wochen nach der Verabschiedung dieses Geset­ zes, am 19. Juli 1848 in Seneca Falls, einem unscheinbaren Ort im Bundes­ staat New York, 200 Frauen und – immerhin – 40 Männer zusammenkamen, um schon am nächsten Tag die Declaration of Sentiments zu unterzeichnen, von der die Frauenrechtsbewegung in den USA ihren Ausgang nahm (s. o.).117 Um 1850 gab es ähnliche Statuten über die Eigentumsrechte verheirateter Frauen in insgesamt 17 Staaten.118 Das New Yorker Statut sah vor, dass mit der Eheschließung zwischen den Eheleuten Gütertrennung herrschte, das be­ deutete, dass eine Ehefrau von nun an Eigentümerin ihrer persönlichen Habe und ihres Grundbesitzes war. Doch es wurde versäumt, der Frau auch das Verfügungsrecht, also Geschäftsfähigkeit im Rechtsverkehr zu übertragen. 116 Vgl. Angelina Emily Grimké, „Appeal to the Christian Women of the South“, The Anti-Slavery Examiner 1/2 (1836): 16–26; Sarah Moore Grimké, Letters on the Equality of the Sexes and the Condition of Women: Addressed to Mary S. Parker, President of the Boston Female Anti-Slavery Society (Boston: Knapp, 1838), online: http://archive.org/stream/lettersonequalit00grimrich/lettersonequalit00grimrich_ djvu.txt [zuletzt abgerufen am 24.6.2020], beide zit. in Alice S. Rossi, Hg., The Feminist Papers: From Adams to de Beauvoir (Boston: Northeastern University Press, 1973), 282–322. 117 Vgl. zur Geschichte der amerikanischen Frauenbewegung Eleanor Flexner, Century of Struggle: The Woman’s Rights Movement in the United States (Cambridge: Harvard University Press, 1959); deutsche Ausgabe: Hundert Jahre Kampf: Die Geschichte der Frauenrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten (Frankfurt a. M.: Syndikat, 1978). 118 Friedman, „A Moving Target“, 165.

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Hierbei war sie erneut auf das Einverständnis eines Rechtsbeistandes (trust) angewiesen. Zudem galt das Gesetz zunächst nur für Eheleute, die nach 1848 geheiratet hatten. Erst durch mehrere und mühsame Novellierungen erlangten Ehefrauen bis zum Ende des Jahrhunderts in Bezug auf ihre Eigentumsrechte den Status der unverheirateten Frau, einer feme sole. Besondere Bedeutung hatte der Earnings Act von 1860 im Staat New York für alle Arbeiterinnen und zunehmend berufstätigen Frauen, für den sich die neu organisierte Frau­ enbewegung besonders eingesetzt hatte. Damit erlangten Ehefrauen endlich Eigentum und Verfügungsmacht über den eigenen Verdienst („in trade, busi­ ness, labor, or services“).119 Mit dem Ausbruch des Bürgerkrieges (1861–1865) allerdings war diese Entwicklung zu mehr Rechten teilweise wieder rückläufig, weil andere Pri­ oritäten und Konflikte auch innerhalb der Frauenbewegung Vorrang hatten. So wurde das mit dem Earnings Act eingeführte gemeinsame Sorgerecht der Eltern schon 1862 wieder zugunsten des Vaters zurückgenommen und der Mutter lediglich ein Vetorecht in Einzelfragen eingeräumt.120 Insgesamt ver­ mitteln die im Wege eines Rechtsstreits in einzelnen Staaten nur stückwei­ se bis zu einem bestimmten Alter durchgesetzten Sorgerechte von Müttern (nach einer Trennung oder Scheidung) ein sehr unübersichtliches Bild.121 Für nichteheliche Kinder und ihre Mütter blieben in den USA die gleichen dis­ kriminierenden Regeln des Common Law in Kraft wie in Großbritannien: Das nichteheliche Kind war keine Rechtsperson. Nicht nur zum Vater bestand keine rechtliche Beziehung („filius nullius“), es gab keine Verpflichtung des Vaters, das von ihm gezeugte Kind oder die Mutter finanziell zu unterstüt­ zen. Auch der Mutter wurde erst 1883 durch gerichtliche Entscheidung ein Sorgerecht über das Kind zugesprochen. Das Kind konnte nicht erben, war von bestimmten Berufen und gesellschaftlichen Positionen ausgeschlossen und hatte grundsätzlich keine Rechtsansprüche auf staatliche Unterstützung. Erst im Laufe des 19. und teilweise erst am Beginn des 20. Jh. wurden durch einzelstaatliche Gesetze Verbesserungen eingeführt wie die Möglichkeit zur Legitimation durch die nachträgliche Eheschließung der Eltern oder ein ge­ setzliches Erbrecht zumindest gegenüber der Mutter. 1925 wurde im Bun­ desstaat New York in allen gesetzlichen Bestimmungen der Begriff bastard oder illegitimate child durch die Bezeichnung children born out of wedlock

119 Vgl. Basch, In the Eyes, 164f. 120 Ebd., 207. 121 Vgl. Marion Röwekamp, „Equal Rights for Mothers: Custody Law Reform and Equal Rights Movement in the USA, 1848–1930“, in Family Law in Early Women’s Rights Debates: Western Europe and the United States in the Nineteenth and Early Twentieth Centuries (hg. v. Stephan Meder und Christoph-Eric Mecke; Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung 14; Köln: Böhlau, 2013), 200–217.

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ersetzt.122 Die Scham und Schande, die uneheliche Geburt für Mutter und Kind bis in die 1960er und 1970er Jahre überall in der westlichen Welt be­ deuteten, dienten der Disziplinierung aller Frauen in die Ehe, die oft durch religiöse Moralvorstellungen unterstützt wurden. Und doch gab es offenbar in den USA, wo man sich auch durch Migration in einen anderen Staat der Stigmatisierung entziehen konnte, oberhalb der Armutsgrenze pragmatische Lösungen für die Inanspruchnahme der Väter durch Gerichtsurteil oder auch private Vereinbarungen. Besonders komplex und strittig waren dagegen die Regelungen im Schei­ dungsrecht der USA.123 Hatten die Einzelstaaten auch nach der Unabhängig­ keit selbstverständlich die rigiden Beschränkungen der Ehescheidung aus dem Common Law beibehalten – so insbesondere die Südstaaten, in denen Ehepartner eine Scheidung nur durch eine Entscheidung des Parlaments (legislative divorce) durchsetzen konnten (z. B. in South Carolina bis ins 20. Jh. hinein), – so konnte sie in den Nordstaaten schon seit dem Ende des 18. Jh. mehr und mehr durch ein Zivilgericht erstritten werden ( judiciary divorce). Die Scheidungsgründe waren unterschiedlich ausgestaltet, jedoch reichte für beide Partner in der Regel Ehebruch, Verlassen und verschiedene Formen der Grausamkeit. Gesetzlich war die Reform eingefroren. Friedman weist jedoch darauf hin, dass in keinem anderen Rechtsgebiet ein so starker Bruch zwi­ schen den gesetzlichen Vorschriften (law in the books) und der Rechtspra­ xis der unteren Gerichte (law in action) an der Tagesordnung war wie im Scheidungsprozess. Wie die zum Ende des 19. Jh. dramatisch ansteigenden Scheidungsziffern zeigen, war es üblich geworden, jenseits aller moralischen Einwände durch „heimliche Absprachen“ (collusive agreements) im Vorfeld des Zivilprozesses eine einvernehmliche Scheidung unter den wenigen vorge­ gebenen Gründen zu erreichen. Dabei wurden auch hier über 70 % der Schei­ dungsbegehren von Frauen eingereicht. Insgesamt bleibt für die Entwicklung im 19. Jh. unter dem Common Law festzustellen, dass die Jurisprudenz und die Rechtspraxis zwar die Notwen­ digkeit zur Reform insbesondere der Eigentumsrechte, die so fundamental für das liberale Selbstverständnis der Amerikaner waren, einsahen, aber jeg­ liche Veränderung der Vormachtstellung des Mannes in der Ehe vermeiden wollten.124 Auch in den USA wurden die Rechtserrungenschaften von Frauen, 122 Jonas Johannsen, „Rechtslage und Reformforderungen zum Recht der nichtehe­ lichen Kinder in den US-Bundesstaaten (1830–1914)“, in Reformforderungen zum Familienrecht international 1: Westeuropa und die USA (1830–1914) (hg. v. Stephan Meder und Christoph-Eric Mecke; Köln: Böhlau, 2015), 615–642; 616f. Vgl. auch Jeanne Hamilton-Beck, „Reform debates of early women’s rights movements in the USA regarding paternity proceedings in selected states (1830–1914)“, in ebd., 591–614. 123 Auch zum Folgenden Friedman, „A Moving Target“, 166f. 124 Basch, In the Eyes, 56.

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die bis 1860 erkämpft worden waren, in der Kommentarliteratur und in der Rechtsprechung so traditionell und konservativ ausgelegt wie nur möglich.125 Dabei war Billigkeit (equity) das leitende Konzept, nicht jedoch Gleichheit oder Gleichberechtigung (equality).

3.6

Das russische Familienrecht

Im Kreis der europäischen Rechtsfamilien sollte ein Blick auf den Stand der Frauenrechte im Russland des 19. Jh. nicht fehlen. Einerseits war das zaristi­ sche Russland als absolutistische Monarchie, in der alles Recht vom Zaren ge­ setzt und lediglich von einem Staatsrat bestätigt wurde, in gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht gegenüber Westeuropa durch einen Modernisierungsrückstand gekennzeichnet. Andererseits hatten die Frauen der Adeligen und der Beamtenschicht, die Töchter der sogenannten Intelligen­ zija, seit der Mitte des 19. Jh. (nach dem Dekabristenaufstand 1825, spätestens aber seit dem Krimkrieg 1853–56) an einer Emanzipationsbewegung teil, die Frauen zur Teilhabe an Bildung, Künsten und Wissenschaft ebenso wie zu gemeinnützigem Engagement und radikaler sozialer Reform drängte.126 In der Geschichte der Frauenbewegung bekannt sind die russischen Studentin­ nen, die seit 1864 als eine radikale, extravagante Schar die Universität Zürich beunruhigten, nachdem ihnen die Universität von St. Petersburg den Zutritt verweigert hatte. Zugleich ist zu berücksichtigen, dass der radikale Bruch mit der Verfassung und auch dem Privatrecht des 19. Jh. durch die Russische Re­ volution 1917, also die „Diskontinuität zwischen russischer und sowjetischer Rechtsentwicklung“, eine rechtsgeschichtliche Betrachtung erschwert bzw. anscheinend obsolet werden lässt.127 Wenn gleichwohl heute in der Rückschau angenommen wird, dass der Rechtsstatus der Russin (einschließlich ihrer Ei­ gentumsrechte) nach der Aufhebung der Leibeigenschaft 1861 im Vergleich zum westlichen Europa „ziemlich vernünftig“ (rather sound) gewesen sei,128 so ist dies im Einzelnen doch zu differenzieren. 125 Ebd., 200f. 126 Natalia Pushkareva, „Feminism in Russia: Two Centuries of History“, in Women’s Movements in Post-Communist Countries in the 19th and 20th Centuries (hg. v. Edith Saurer, Margret Lanzinger und Elisabeth Frysak; L’Homme: Schriften 13; Köln: Böhlau 2006), 365–382. Vgl. auch Linda Edmondson, „Feminism and Equality in an Authoritarian State: The Politics of Women’s Liberation in the Late Imperial Russia“, in Women’s Emancipation Movements in the 19th Century: A European Perspective (hg. v. Sylvia Palatschek und Bianca Pietrow-Ennker; Stanford: Stanford University Press, 2004), 221–239. 127 Norbert Reich, „Russland“, in Handbuch Privatrechtsgeschichte, III/2:2281–2328; 2282. 128 Pushkareva, „Feminism in Russia“, 370.

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Die Grundlage des Privat- und des Handelsrechts bildete eine Gesetzes­ sammlung, der Svod, eine mehr oder weniger systematische Kompilation al­ ler in Russland geltenden Gesetze und Rechtsgewohnheiten, die zunächst die Grundlage einer Kodifikation bilden sollte, 1833 von Zar Alexander I. jedoch kurzerhand mit knapper Mehrheit im Staatsrat als Gesetz erlassen wurde. Das Familienrecht, das 1. Buch im 10. Band, ist ungewöhnlich für seine Zeit, „zum Teil“, wie Marianne Weber betont, ein ganz eigenartiges Gemisch patriarchalischer und individualistischer An­ schauungen […]. Die gegenseitigen Pflichten der Gatten tragen weniger den Charakter von Rechtsregeln als vielmehr den einer Ehestandspredigt.129

Nun wird man dies auch anderen Familienrechtssystemen in Europa nachsa­ gen können; ungewöhnlich aber ist zweifellos das System der vollen Güter­ trennung bei Eheleuten – „eine tradierte Einrichtung des russischen Rechts.“130 Das bedeutete, dass Frauen mit der Eheschließung ihr Eigentum oder Vermö­ gen behielten und auch alles, was sie während der Ehe erwarben, ihr Eigen­ tum wurde, über das sie ohne Zustimmung ihres Ehemannes verfügen konn­ ten. Gleichzeitig waren verheiratete wie unverheiratete Frauen ab 21 Jahren voll geschäftsfähig, wobei es eine eigenartige Abstufung zwischen dem 14., dem 17. bis zum 21. Lebensjahr für den Erwerb der vollen Geschäftsfähigkeit gab. Unpatriarchalisch war auch die Regelung einer „elterlichen“, also nicht „väterlichen“ Gewalt. Die Mutter hatte dieselben Unterhalts- und Erziehungs­ pflichten wie der Vater – aber hatte sie damit die gleiche Autorität? Dem steht entgegen, dass die Frau verpflichtet ist [war], ihrem Mann als dem Familienoberhaupt zu gehor­ chen, in Liebe zu ihm, in Achtung und unbegrenzter Folgsamkeit zu verharren, ihm als Hauswirtin jede Gefälligkeit und Anhänglichkeit zu erweisen.131

Marianne Weber kommentiert dies mit der Bemerkung: „Also Liebe, Ach­ tung und Hilfsbereitschaft sollen beide füreinander fühlen. ‚Gehorsam‘ und ‚unbegrenzte Folgsamkeit‘ möchte der Gesetzgeber den Frauen einpflanzen.“132 Eheschließung und Ehescheidung aber blieben Aufgabe und in der Zu­ ständigkeit der orthodoxen Kirche, die wie die katholische Kirche die Ehe als Sakrament behandelte. Als Scheidungsgründe, und zwar für beide Ehegatten in gleicher Weise, galten Ehebruch, Impotenz, Verlust der Standesrechte, die Verschickung nach Sibirien und Verschollenheit. Zuständig waren kirchliche 129 Weber, Ehefrau und Mutter, 346.348. 130 Reich, „Russland“, 2288. 131 Zit. n. Weber, Ehefrau und Mutter, 348. 132 Ebd.

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Gerichtshöfe. Erst mit der russischen Revolution 1917 wurde die zivilrecht­ liche Eheschließung vor dem Standesamt eingeführt. Daneben aber gab es, zumindest für die radikale russische Intelligenz, da ein Austritt aus der Kir­ che nicht möglich war, zunehmend Formen nicht legalen Zusammenlebens, sogenannte freie Ehen als ein „rein sittlich und konventionell, nicht gesetzlich garantiertes Verhältnis“, in dem für Kinder testamentarisch gesorgt wurde.133 Denn im Erbrecht waren sowohl Töchter als auch Ehegatten gegenüber den Seitenverwandten grundsätzlich übermäßig benachteiligt.134 Das Gleiche gilt für nichteheliche, „ungesetzliche“ Kinder. Wie überall in jener Zeit waren sie rechtlos und deklassiert. Ihr Status war Gegenstand strafrechtlicher Regelungen. Nach § 994 des Strafgesetzbuches war der Vater zwar verpflichtet, „wenn ein solches lasterhaftes Leben die Geburt eines Kin­ des zur Folge hat, […] entsprechend seinem Vermögen dem Kinde und seiner Mutter einen anständigen Unterhalt zu gewähren.“135 Die Mutter konnte den Vater aber erst nach einer gemeinsamen Kirchenbuße zur Zahlung von Ali­ menten verklagen. Nach heftigen Reformdiskussionen wurde zum Ende des 19. Jh. 1891 zumindest erreicht, dass nun die Zivilgerichte zuständig waren, um den Vater in Anspruch zu nehmen. Außerdem wurde es möglich, die Kin­ der durch nachfolgende Eheschließung zu legitimieren. Die teilweise frauenfreundlichen Regelungen des Svod geben gleichwohl nicht die Rechtswirklichkeit im Russland des 19. Jh. wieder, weil sie nur für minimalen Teil, eine dünne städtische Oberschicht aus Beamten und Kauf­ leuten sowie Gutsbesitzern zur Wirkung kamen. Für die große Masse der ländlichen Bevölkerung, die Bauern, galt selbst noch nach der Aufhebung der Leibeigenschaft im Jahr 1861 unter Zar Alexander II. das örtliche Gewohn­ heitsrecht der Dorf-, oder Landgemeinden. Zudem waren für ihre Rechts­ angelegenheiten quasi ständische Sondergerichte (volost) zuständig. Die Ältesten der Dorfgemeinde, des Mir,136 hatten die absolute Oberhoheit über die Verteilung und Bewirtschaftung des Bodens sowie über die den Bauern auferlegten Arbeitslasten und Abgaben; ebenso nahmen sie Einfluss auf die Verheiratung, Erziehung und die Familienverhältnisse überhaupt. Auch nach der Bauernbefreiung waren die Loskaufrechte nicht als individuelle Rechte gestaltet. Der einzelne Bauer konnte kein Eigentum erwerben, sondern blieb durch Steuerzahlungen und Beschränkungen der Freizügigkeit (z. B. durch Verweigerung von Pässen) an die Scholle gebunden. Unter dieser nach wie vor ungebrochenen Form patrimonialer Herrschaft war für Frauenrechte kein Raum. Misshandlungen und Gewalt an Frauen und Kindern waren so populär 133 Ebd., 352. 134 Reich, „Russland“, 2289. 135 Ebd., 2301. 136 Weber, Ehefrau und Mutter, 356, bezieht sich hierzu in einer Fußnote auf die Studien ihres Mannes, vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriss der verstehenden Soziologie (Tübingen: Mohr, 1976), 736.742.

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wie das die Volksseele kennzeichnende Sprichwort: „Liebe deine Frau wie deine Seele und klopfe sie wie deinen Pelz.“137 Erst die Oktober-Revolution 1917 brachte die Anerkennung der Gleichstellung aller Russinnen im Recht.138

3.7

Das skandinavische Recht

Im Rechtsvergleich und in der Rechtsgeschichte werden die Nordischen Län­ der als eigener Rechtskreis behandelt,139 der sich durch pragmatische Interpre­ tationen und konkret-praktische Reformen auszeichnet. Auch in Skandinavi­ en ist die Geschlechtsvormundschaft über ledige und verheiratete Frauen erst in der Mitte des 19. Jh. aufgehoben worden – für unverheiratete Frauen in Dä­ nemark 1857,140 in Norwegen und Schweden 1863, gefolgt von Finnland 1864.141 Im Rechtsvergleich verhältnismäßig früh wurden aber auch den Ehefrauen Eigentumsrechte und ein gleiches Erbrecht eingeräumt, in Schweden bereits in Bezug auf ein Sondergut 1845 bzw. durch Ehevertrag oder aus eigenem Erwerb 1874,142 in Norwegen 1888143 und in Dänemark 1899.144 Seit dem Ende des 19. Jh. kam es in den Nordischen Ländern zu einer gesetzgeberischen Zusammenarbeit, bei der zunächst das Handels- und Vertragsrecht verein­ heitlicht wurde, während das Familienrecht wegen der kulturellen Eigenhei­ ten der Rechtsordnung auf diesem Gebiet bezeichnenderweise auf größere Schwierigkeiten stieß.145 Offensichtlich aber hat der beschleunigte Übergang von einer agrarischen Gesellschaft zur modernen Industriegesellschaft am Beginn des 20. Jh. ohne den Umweg über eine bürgerlich-patriarchalische Geschlechterordnung den Frauen Skandinaviens einige Unbill erspart.146 137 Zit. n. Weber, Ehefrau und Mutter, 360. 138 Zur weiteren Entwicklung vgl. Linda Edmondson, „Die Lösung der Frauenfra­ ge: Emanzipation, Mütterlichkeit und Staatsbürgerschaft in der frühen Sowjetge­ sellschaft“, in Feminismus und Demokratie: Europäische Frauenbewegungen der 1920er Jahre (hg. v. Ute Gerhard; Frankfurter Feministische Texte/Sozialwissen­ schaften 1; Königstein i. Taunus: Helmer, 2001), 16–37. 139 Ditlev Tamm, „Einführung: Skandinavien als selbständiger Rechtskreis“, in Handbuch Privatrechtsgeschichte, III/4:3–18. 140 Inger Dübeck, „Dänemark“, in Handbuch Privatrechtsgeschichte, III/4:21–174; 37. 141 Holthöfer, „Geschlechtsvormundschaft“, 446. 142 Nils Regner und Johan Hirschfeldt, „Schweden“, in Handbuch Privatrechtsgeschichte, III/4:235–373; 247f. 143 Gudmund Sandvik, „Norwegen“, in Handbuch Privatrechtsgeschichte, III/4, 375– 425; 392. 144 Dübeck, „Dänemark“, 37. 145 Tamm, „Einführung“, 11. 146 Christina Carlsson Wetterberg, „Gender Equality and the Welfare State: Debates on Marriage Law Reform in Sweden at the Beginning of the 20th Century“, in Family Law in Early Women’s Rights Debates: Western Europe and the United States in the Nineteenth and early Twentieth Centuries (hg. v. Stephan Meder und Christoph-

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Die grundsätzliche Gleichstellung der Frauen im Ehe- und Familienrecht (in Schweden 1920, Dänemark 1925, Norwegen 1927 und Finnland 1929) und die frühe, fast gleichzeitige Gewährung des politischen Wahlrechts (Finnland 1906, Norwegen 1913, Dänemark 1915 und Schweden 1921) wurde in Skandi­ navien durch das pragmatische Zusammenspiel verschiedener Gruppen mög­ lich: einer Gruppe radikaler liberaler männlicher Politiker und Juristen, die die zum Ende des 19. Jh. erstarkte Frauenbewegung unterstützte, sowie Ver­ treterinnen der Frauenbewegung sowohl aus dem sozialdemokratischen als auch aus dem bürgerlichen Spektrum, die sich vor allem aus dem FredrikaBremer-Verein rekrutierten. Bereits 1898 hatte sich die nationale Vertretung der schwedischen Frauenvereine dem International Council of Women (ICW) angeschlossen, 1904 hatten ihre radikalen Vertreterinnen die internationale Stimmrechtsbewegung (IWSA) in Berlin mitbegründet. Aus der Nordischen Zusammenarbeit in der Gesetzgebung erwuchs die Besonderheit, dass Frauen hier schon früh (1915) an den nationalen bzw. skandinavischen Rechtskom­ missionen, die die Reform vorbereiteten, als ordentliche Mitglieder beteiligt waren. So kam es, dass beispielsweise in Schweden 1917, in Norwegen 1915, Gesetze zur Besserstellung der nichtehelichen Kinder erlassen wurden. Auch über Eheschließung und Ehescheidung wurden gemeinsame Vereinbarungen getroffen. Denn in den nordischen Ländern war das nichteheliche Zusam­ menleben mit Kindern durchaus üblich (man sprach vom Konzept der Stockholm marriages).147 Deshalb ging es einerseits um die Liberalisierung der Ehescheidung, aber auch um die Klärung der Regeln für die Eheschließung durch formellen Akt entweder in der Kirche oder (sehr viel üblicher) vor dem Standesamt. Die Entscheidungsrechte des Ehemannes wurden in den Famili­ engesetzbüchern, die in den 1920er Jahren verabschiedet worden waren, weit­ gehend durch die Gleichstellung der Ehegatten insbesondere auch in ökono­ mischer Hinsicht aufgehoben (durch eine Gütergemeinschaft und die Teilung zu gleichen Teilen nach Auflösung der Ehe, durch eine Sonderverfügungs­ gewalt auch der Frau oder durch vertraglich geregelte Gütertrennung etc.).148 Mit der Einführung der Gewerbefreiheit in Schweden 1864 war das Recht der Frauen auf Erwerb und damit auf eigenständige Existenzsicherung zumin­ dest für alleinstehende Frauen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern früh etabliert worden. Auf geschlechtsspezifische Arbeitsschutzregeln wurde dabei verzichtet. Von hier aus und auf der Basis von im übrigen Europa nicht gelungenen Allianzen zwischen der Arbeiter- und Frauenbewegung führte der besondere Entwicklungspfad zu den skandinavischen Wohlfahrtsstaaten, die seit den 1960er Jahren mit entschiedener und radikaler GleichstellungsEric Mecke; Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung 14; Köln: Böhlau, 2013), 255–280; 257f., vgl. auch zum Folgenden. 147 Ebd., 266. 148 Vgl. Dübeck, „Dänemark“, 44; Regner und Hirschfeldt, „Schweden“, 247f.; Sandvik, „Norwegen“, 392.

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und Sozialpolitik ihren Vorsprung im Hinblick auf mehr Geschlechtergerech­ tigkeit ausgebaut haben.

3.8

Die Schweiz – ein Sonderfall?

Die Schweiz ist im Blick auf Frauenrechte ein Musterbeispiel für das Paradox, dass auch Formen direkter Demokratie (seit 1830 in verschiedenen Kanto­ nen und seit 1874 in der Bundesverfassung) und die im übrigen Europa be­ wunderte republikanische Tradition keine Garanten für die Anerkennung der Rechtsgleichheit der Frauen sind. Vielmehr stellt sich die Frage, ob die als volks- und bürgernah verbürgte Herrschaft der Männer in den Gemeinden und Kantonen nicht eher zu einer Verzögerung von Frauenrechten geführt hat. Jedenfalls wurde den Schweizerinnen später als den Frauen in allen an­ deren europäischen Staaten, erst 1981, durch Einfügung des Art. 4 Abs. 2 in die Schweizer Verfassung die Gleichstellung auch in Familie, Ausbildung und Arbeit gewährt.149 Das ausführende Bundesgesetz über die Gleichstellung von Mann und Frau trat sogar erst im März 1995 in Kraft.150 Die Bundesverfassung von 1848, die das Wahlrecht für Männer einführ­ te, schuf zwar die politischen und wirtschaftlichen Strukturen der heutigen Schweiz, doch das Privatrecht blieb bis 1898 in der Kompetenz der Kanto­ ne. Erst 1907 wurde das Schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB) verabschiedet und trat 1912 in Kraft, das von da an das Eherecht für die Schweizerische Eidgenossenschaft einheitlich regelte. Ein weiterer Hinderungsgrund für eine verbesserte Rechtsstellung der Frauen war im ganzen 19. Jh. zweifellos die Unübersichtlichkeit und Zersplit­ terung der Rechtsverhältnisse, da sich die einzelnen Kantone nach der Neu­ ordnung der Gebiete durch den Wiener Kongress 1815 an drei verschiedenen Rechtssystemen bzw. Rechtskreisen orientierten: in den deutschsprachigen Gebieten am österreichischen ABGB und an deutschrechtlichen Traditionen wie dem Civilgesetzbuch für den Kanton Bern oder dem Zürcher Privatrechtlichen Gesetzbuch von 1853/55; gleichzeitig galt in den welschen Kantonen

149 Das Stimmrecht wurde ihnen ebenfalls sehr spät, erst 1971 zugestanden, als nach dem Beitritt der Schweiz zum Europarat 1962 und der damit anstehenden Diskussion um die Unterzeichnung der Europäischen Konvention für Menschenrechte eine wei­ tere Verzögerung der Einführung des Frauenstimmrechts dem Ansehen der Schweiz im Ausland zu schaden drohte; vgl. Beatrix Mesmer, Staatsbürgerinnen ohne Stimmrecht: Die Politik der schweizerischen Frauenverbände 1914–1917 (Zürich: Chronos, 2007), 315f.; vgl. auch Sibylle Hardmeier, Frühe Frauenstimmrechtsbewegung in der Schweiz (1890–1930): Argumente, Strategien, Netzwerke und Gegenbewegung (Zürich: Chronos, 1997). 150 Majer, Frauen – Revolution – Recht, 305–317.

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weiterhin der französische Cc.151 Obwohl diese Gesetzbücher (mit Ausnahme des Gesetzbuchs für den Kanton Bern) die Geschlechtsvormundschaft über ledige Frauen nicht mehr kannten, kam dieses mittelalterliche Rechtsinsti­ tut, in sprachlicher Abschwächung „Geschlechtsbeistand“ genannt, gewohn­ heitsrechtlich noch in mehreren kantonalen Gesetzbüchern vor (z. B. Waadt 1820, Bern 1826, Luzern 1832 oder Wallis 1853 und Graubünden 1862).152 Erst 1881 wurde das Erfordernis, für alle rechtsgeschäftlichen und gerichtlichen Handlungen der unverheirateten Frau einen „Beistand“ zu bestellen, durch Bundesgesetz auch in den letzten Kantonen aufgehoben. In den Kantonen unter französischem Recht hingegen war die unverheiratete Frau bekanntlich rechts- und geschäftsfähig. Hier war wiederum die Ehefrau der viel strenge­ ren ehemännlichen Autorität unterworfen, denn sie konnte ohne seine Einwil­ ligung weder über ihr Eigentum verfügen noch irgendwelche Rechtsgeschäfte tätigen. Dieses Nebeneinander unterschiedlicher Rechtslagen auf engstem Raum musste zu Problemen führen. So wollten zum Beispiel ledige Frauen aus dem Jura, die vorher unter dem französischen Recht gestanden hatten und durch Gebietsänderung seit 1815 zu Bern gehörten, „die lästigen Beschränkungen“ einer Geschlechtsbeistandschaft nicht dulden. Nachdem der Große Rat des Kantons für sie, also nur für den jurassischen Kantonsteil, die Wiederher­ stellung des französischen Rechts 1839 genehmigt hatte, schürte diese Un­ gleichbehandlung den Protest der Frauen im Alt-Berner Teil. Mit Hilfe einer Petition erreichten sie den Erlass eines sogenannten Emanzipationsgesetzes (1847), das alle unverheirateten Bernerinnen und auch die Witwen von der Geschlechtsbeistandschaft befreite. Nebenbei enthielt es auch Lockerungen im Hinblick auf die Eigentumsrechte der Ehefrauen, die jedoch ein Jahr spä­ ter schon wieder durch ein Erläuterungsgesetz größtenteils zurückgenommen wurden.153 Ähnliche Friktionen und Widersprüche sind aus den seit 1832 ge­ trennten Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft überliefert.154 Grundsätzlich aber standen Ehefrauen in allen Kantonen – je nachdem unter deutschem, österreichischem oder französischem Recht – mehr oder minder unter eheherrlicher Entscheidungsgewalt. Auch das schweizerische ZGB von 1907 bewahrte wie das deutsche BGB von 1900 die im Grundsatz patriarchalische Familienverfassung: Der Mann blieb nach wie vor das Haupt 151 Vgl. auch zum Folgenden Regula Gerber Jenni, „Rechtshistorische Aspekte des ber­ nischen Emanzipationsgesetzes von 1847“, in Frauen in der Geschichte des Rechts: Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart (hg. v. Ute Gerhard; München: Beck, 1997), 480–493. 152 Holthöfer, „Geschlechtsvormundschaft“, 443. 153 Gerber Jenni, „Rechtshistorische Aspekte“, 486–490. 154 Vgl. Annemarie Ryter, „Die Geschlechtsvormundschaft in der Schweiz: Das Beipiel der Kantone Basel-Landschaft und Basel-Stadt“, in Frauen in der Geschichte des Rechts: Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart (hg. v. Ute Gerhard; München: Beck, 1997), 494–506.

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der Familie (Art. 160 ZGB); Wohnsitzbestimmung, Vermögensverwaltung und die Vertretung der Ehegatten nach außen waren wie bisher Sache des Mannes (Art. 161f. ZGB). Gesetzlicher Güterstand war die Güterverbindung, in der das von der Frau eingebrachte Gut und das während der Ehe Erworbene Eigentum beider Eheleute war, jedoch vom Mann verwaltet wurde (Art. 178, 195, 200 ZGB). Neu war, dass die Ehefrau mit Einwilligung des Ehemannes befugt war, einen Beruf oder ein Gewerbe auszuüben, ein Recht, das sie bei Verweigerung zur Not auch mit Hilfe richterlicher Entscheidung erstreiten konnte (Art. 167 ZGB).155 All diese männlichen Privilegien wurden noch am Beginn des 20. Jh. in einer modernen Kodifikation fixiert – gegen die Inte­ ressen der Schweizer Frauenbewegung, die seit dem Ende des 19. Jh. in der Zivilgesellschaft breit verankert und einflussreich organisiert war.156

3.9

Zwischenergebnis des Rechtsvergleichs

Bei aller Verschiedenheit der Rechtsquellen und der politischen Rahmenbe­ dingungen ist der Rechtsvergleich im Hinblick auf die Frauenrechte im 19. Jh. ernüchternd. Trotz der Verkündung von allgemeinen Menschenrechten und der denkbaren Gleichheit der Geschlechter hat sich in allen Zivilrechten die „Autorität des Ehemannes“ bzw. „die Herrschaft des Mannes im Hause“ als Leitnorm in Theorie und Praxis des Familienrechts durchgesetzt. Dabei war die Geschlechterordnung am Beginn des 19. Jh. in der traditionellen Form des Ancien Régime brüchig geworden. Das schuf Unsicherheiten und schien Spielräume zu eröffnen. Doch gleichgültig, auf welchen Diskurs wir uns ein­ lassen, auf die liberalen, republikanischen oder konservativen Gesellschafts­ theorien und ihre juristischen Interpreten, das „Vokabular“ und die politische Praxis der Bevormundung, der Diskriminierung der Frauen im Privaten und ihr Ausschluss aus dem Bereich des Politischen, sind einander sehr ähnlich, wenn auch mit unterschiedlicher Rigidität bei der Durchsetzung männlicher Vorrechte und Herrschaft.157 Für alle galt die Familie als fundamentales Ge­ meinschaftsverhältnis und Grundpfeiler des Staates, die den Ausschluss der 155 Majer, Frauen – Revolution – Recht, 315; vgl. auch Susan Emmenegger, Feministische Kritik des Vertragsrechts: Eine Untersuchung zum schweizerischen Schuldvertrags- und Eherecht (AJSUF 177; Fribourg: Universitätsverlag Freiburg, Schweiz, 1999), 204f. 156 Beatrix Mesmer, Ausgeklammert – eingeklammert: Frauen und Frauenorganisationen in der Schweiz des 19. Jahrhunderts (Basel: Helbing und Lichtenhahn, 1988); Dies., „Schweiz: Staatsbürgerinnen ohne Stimmrecht“, in Feminismus und Demokratie: Europäische Frauenbewegungen der 1920er Jahre (hg. v. Ute Gerhard; Frankfurter Feministische Texte/Sozialwissenschaften 1; Köngstein i. Taunus: Hel­ mer, 2001), 104–115. 157 Joan B. Landes, „The Performance of Citzenship: Democracy, Gender, and Dif­ ference in the French Revolution“, in Democracy and Difference: Contesting the

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Frauen aus der politischen Sphäre und ihre Zuständigkeit für Kinder und Fa­ milie rechtfertigen sollten. Im Übergang vom 18. zum 19. Jh. entwickelte sich somit ein neuer Dis­ kurs, der interessegebunden und gesellschaftlich funktional eng mit dem Erstarken des Bürgertums und der bürgerlichen Familie als Keimzelle des Staates verknüpft war. Dabei überkreuzten und verstärkten sich durchaus unterschiedliche Interessen. Da waren zum einen die Kirchen, die die Ehe als Sakrament oder zumindest als gottgewollte Ordnung gegen einen gefähr­ lichen, weil individualistischen Säkularisierungstrend verteidigten und ihre Dispositive der Macht in der Disziplinierung und Kontrolle aller nichteheli­ chen Lebensformen und der Sexualität entfalteten. Zum anderen gab es zwei­ fellos unter denen, die in der neuen bürgerlichen Gesellschaft etwas werden wollten, ein Motiv, das die geschlechtshierarchische Form der Arbeitsteilung als ‚natürlich‘ und unveränderlich erscheinen ließ. Marianne Weber, die hier noch als Kronzeugin des 19. Jh. zu zitieren ist, sprach von „kaum verhülltem Geschlechtsegoismus“ bzw. dem „stark sich auswirkende[n] Bequemlich­ keitsbedürfnis des Mannes […], was das Arbeiten im ‚Hauswesen‘ betrifft“.158 Über Ländergrenzen und Rechtskreise hinweg aber hatten die politische Philosophie und die Rechtswissenschaften seit der Aufklärung einen we­ sentlichen Anteil daran, die Vormachtstellung des Mannes in der Ehe neu zu begründen, um mit der Ehe als Institution ein geschlechtshierarchisches Ordnungsprogramm und einen neuen ‚bürgerlichen Patriarchalismus‘ im Zi­ vilrecht abzusichern.159 Die Familiensoziologie spricht daher vom Erstarken eines spezifisch bürgerlichen Patriarchalismus, eines „Patriarchalismus im Gegenstoß“,160 der sich spätestens seit der Mitte des 19. Jh. in Recht und bür­ gerlicher Gesellschaft etabliert hat. In der für die Rechtsentwicklung allgemein bezeichnenden Entwick­ lung vom Status zum Vertrag entpuppte sich das Familienrecht daher mehr und mehr als „Sonderrecht für Frauen“,161 womit die Juristen die Ehe bis ins 20. Jh. hinein unverblümt als „Gewaltverhältnis“162 definieren konnten. Ganz gleich, ob die Ehe im englischen Common Law als nur „eine Person“ fin­ giert wurde und der Ehemann dann als diese Person galt (Blackstone); ob der französische Code civil die Ehe ausdrücklich als den Bereich „männlicher Herrschaft“ (Art. 1388 Cc) bezeichnete; oder ob in Deutschland die „gerade Boundaries of the Political (hg. v. Seyla Benhabib; Princeton: Princeton University Press, 1996), 295–313; 296, spricht von „overlapping vocabularies“. 158 Weber, Ehefrau und Mutter, 414.426. 159 Die Rolle der politischen Philosophie und Jurisprudenz steht im Zentrum feministi­ scher Rechtskritik, vgl. Gerhard, Für eine andere Gerechtigkeit, 185f. mit weiteren Verweisen, sowie Dies., Gleichheit ohne Angleichung. 160 König, „Familie und Autorität“, 219. 161 Vgl. Gerhard, Verhältnisse und Verhinderungen, 187. 162 Rudolf Sohm, Institutionen: Geschichte und System des Römischen Privatrechts (Leipzig: Duncker & Humblot, 1911), 613.

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bei unserem Volk würdige Auffassung der Ehe“ bemüht wurde, um gleich­ zeitig zu behaupten: so wird „die gleiche Stellung der Ehegatten in wesent­ lichen Beziehungen anerkannt, dem Manne aber ein vorwaltender Einfluss eingeräumt“.163 Deshalb musste nach den Erkenntnissen der Aufklärung und erst recht der Verkündung von Menschenrechten juristisch ein großer Auf­ wand getrieben werden, um die Ungleichheit speziell der Ehefrauen im Recht zu begründen. Der französische Cc hatte in konsequenter Umsetzung der bürgerlichen Geschlechterphilosophie den Weg in ein ‚modernes‘ Privatrecht besonders frauenfeindlich vorgezeichnet, dem andere im Laufe des 19. Jh. nur zu bereitwillig folgten. Und doch interessiert, warum die Geschichte der Frauenrechte angesichts dieses grundsätzlich patriarchalischen Eheverständnisses in den verschiede­ nen Rechtskreisen und Rechtskulturen unterschiedlich verlaufen ist und ob die Frauenbewegungen mit ihrem Aufbruch in der Mitte des Jahrhunderts etwas ausrichten konnten. Die verschiedenen Pfade der Rechtsentwicklung jedenfalls haben, wie die vergleichende Geschlechter- und Familienforschung feststellt, bis heute ihre Spuren in den nationalen Stilen der Gleichstellungsund Sozialpolitik hinterlassen.164

4.

Aufbruch und Rechtskämpfe der Frauenbewegungen seit 1848

Bis zur Mitte des 19. Jh. waren es eher Einzelne gewesen, die die Rechte der Frauen öffentlich einklagten.165 Die 1848er Revolution bezeichnet hingegen einen Wendepunkt in der Geschichte der sozialen und politischen Bewegun­ gen von Frauen. Fast gleichzeitig hatten im Frühjahr 1848 in Frankreich, im teilweise besetzten Italien oder in Ungarn gegen die Habsburger-Monarchie sowie in allen Staaten des Deutschen Bundes nicht zuletzt in der Schweiz die Völker gegen feudalen Despotismus und gegen die politische Reaktion ihre Stimme erhoben. Sie waren für nationale Einigung, demokratische Verfas­ sungen und soziale Gerechtigkeit eingetreten. Ob in Paris, Berlin und Wien, 163 Georg Beseler, System des gemeinen deutschen Privatrechts (Berlin: Weidmann, 1873 [urspr. 1847]), 480f. 164 Göran Therborn, European Modernity and Beyond: The Trajectory of European Societies, 1945–2000 (London: Sage, 1995). Vgl. auch Ute Gerhard, Trudie Knijn und Anja Weckwert, Hg., Working Mothers in Europe: A Comparison of Policies and Practices (Cheltenham: Elgar, 2005). 165 Z. B. Anna Doyle Wheeler (zus. m. William Thompson) in England 1825; Angelina Grimké 1837 in den USA oder Flora Tristan 1843 in Frankreich, vgl. Susan Groag Bell und Karen Offen, Hg., Women, the Family and Freedom: The Debate in Documents 1: 1750–1880 (Stanford: Stanford University Press, 1983).

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in Mailand, Venedig, in Lemberg oder Prag, überall hatten Frauen an diesem „Aufbruch zur Freiheit“166 teil, nicht nur als Zuschauerinnen auf den Tribü­ nen der neu berufenen Parlamente oder in ihrer herkömmlichen Rolle mit „Charpie-Zupfen, Verwundete pflegen, Kleidernähen und Kochen für das Heer“,167 sondern als Mitstreiterinnen auf den ‚Barrikaden der Revolution‘, in Versammlungen und Vereinen oder als Schreiberinnen in der endlich von der Zensur befreiten Presse. Wieder waren es die Französinnen, die sich am wei­ testen vorwagten. Arbeiterinnen und Ehefrauen unter den Frühsozialist*innen hatten schon nach der Juli-Revolution 1830 in Frankreich ihre Unrechtserfah­ rungen mit grundlegender Gesellschaftskritik verbunden und 1832 in Zeit­ schriften wie La femme libre – Apostolat des femmes gegen die Versklavung des weiblichen Geschlechts protestiert.168 In der 1848er Revolution nahmen sie den Kampf um die Rechtsgleichheit der Frauen wieder auf, darunter Jeanne Deroin, Eugénie Niboyet und Pauline Roland.169 Wie überall in Europas Groß­ städten und Zentren der Revolution gründeten sie Zeitschriften, kämpften lei­ denschaftlich für das Recht auf Arbeit als Basis für die Lösung der „sozialen Frage“. Sie organisierten Frauenclubs und demokratische Frauenvereine und nahmen in Volksversammlungen und in der Presse an den Verfassungsdebat­ ten teil. Insbesondere aber forderten sie – nachdem 1848 als Zugeständnis an die Revolution z. B. in Frankreich „alle“ Franzosen das Wahlrecht erhalten hatten – neben dem Stimmrecht auch der Frauen immer wieder und überall die Reform des Familienrechts. Denn die „beengenden Fesseln“, die „mannig­ faltigen hemmenden Familienverhältnisse der Gegenwart“, waren – so Louise Otto in der von ihr gegründeten Frauen-Zeitung – schuld daran, dass Frauen „nur bei verschlossenen Türen“ von der Freiheit „flüstern“ konnten.170 „Die ehelichen Verhältnisse tragen das ‚Sklavenbrandmal‘“, heißt es in Louise Dittmars kritischer Schrift Das Wesen der Ehe, die in Auszügen auch in der

166 Lothar Gall, Hg., „1848 Aufbruch zur Freiheit“: Katalog zur Ausstellung des Deutschen Historischen Museums und der Schirn-Kunsthalle Frankfurt zum 150jährigen Jubiläum der Revolution 1848/49 v. 18. Mai bis 18. September 1998 (Berlin: Nicolai, 1998). 167 Louise Otto, „Die Frauen-Zeitung, 1849/1850“, in „Dem Reich der Freiheit werbʼ ich Bürgerinnen“: Die Frauen-Zeitung von Louise Otto (hg. v. Ute Gerhard, Elisa­ beth Hannover-Drück und Romina Schmitter; Frankfurt a. M.: Syndikat, 1979 [urspr. 1849/50]), Nr. 14 (1849), 113. 168 Claudia von Alemann, Dominique Jallamion und Bettina Schäfer, Das nächste Jahrhundert wird uns gehören: Frauen und Utopie 1830 bis 1840 (Frankfurt a. M.: Fischer, 1981); Helga Grubitzsch und Loretta Lagpacan, Freiheit für die Frauen – Freiheit für das Volk! Sozialistische Frauen in Frankreich 1830–1848 (Frankfurt a. M.: Syndikat, 1980); Claire Goldberg Moses, French Feminism in the Nineteenth Century (Albany: State University of New York Press, 1984), 61–87. 169 Moses, French Feminism, 127–149; vgl. auch Scott, Only Paradoxes, 57–89. 170 Otto, Die Frauen-Zeitung (1849/1850), Nr. 2 (1850), 204f.

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Frauen-Zeitung abgedruckt ist.171 Die Geschlechtergeschichte der 1848er Re­ volution erzählt von vielfältigen persönlichen Befreiungsversuchen, die jeder politischen Mobilisierung und Beteiligung vorausgingen.172 Auch die religiöse Oppositionsbewegung des Deutschkatholizismus und der freireligiösen Gemeinden hatte bereits im Vormärz eine Protestbewegung auf den Weg gebracht, die aus der Kritik an den Massenwallfahrten anlässlich der Ausstellung des „heiligen Rocks“ in Trier173 entstanden war und gegen die Reliquienverehrung, gegen religiöse Dogmen sowie gegen die autoritäre Hierarchie der katholischen Kirche opponierte. Den Protest hatte im Oktober 1844 ein offener Brief des katholischen Kaplans Johannes Ronge ausgelöst, der seine Religions- und Kirchenkritik in einem konfessions- und schich­ tenübergreifenden Appell mit sozialen und demokratischen Forderungen verband. Bereits zu Beginn der 1840er Jahre hatte sich auch der Verein der Protestantischen Freunde, von den Gegner*innen spöttisch „Lichtfreunde“174 genannt, als Protestbewegung gegen die herrschende Orthodoxie und die enge Verbindung der evangelischen Kirche mit dem absolutistischen preu­ ßischen Staat gewandt.175 Sie kamen bald mit den Deutschkatholik*innen in Kontakt und traten wie diese für ein „wahres Christentum“ und für eine demokratische Selbstverwaltung ihrer Gemeinden ein. Da das Christentum und christliche Werte für den größten Teil der Menschen in jener Zeit nicht nur eine Konfession, sondern auch eine Lebenspraxis war, verbanden sich in dieser „ersten Massenbewegung des Vormärz“176 ganz selbstverständlich religiöse mit sozialen und politischen Zielen, weshalb die Bürgerversamm­ lungen und die freisinnigen Vereine vom Staat sehr bald behindert und nach 1850 auch verfolgt und verboten wurden. In den „freien“ oder freireligiösen Gemeinden waren nicht nur viele Frauen aus allen Schichten der Bevölkerung aktiv, sie machten hier auch zum ersten Mal die Erfahrung gleichberechtigter 171 Louise Dittmar, Das Wesen der Ehe. Nebst einigen Aufsätzen über die soziale Reform der Frauen (Leipzig: Wigand, 1849) in Auszügen abgedr. in Frauenemanzipation im deutschen Vormärz: Texte und Dokumente (hg. v. Renate Möhrmann; Stuttgart: Reclam, 1978), 55–58.62–64.94–103.208–219; bespr. in Otto, Die FrauenZeitung (1849/1850), Nr. 5 (1849), 49f. 172 Vgl. Bonnie S. Anderson, Joyous greetings: The First International Womenʼs Movement, 1830–1860 (Oxford: Oxford University Press, 2001); Ute Gerhard, Unerhört: Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung (Reinbek: Rowohlt, 1990), 42–70. 173 Das Kleidungsstück hat angeblich Jesus am Kreuz getragen, vgl. auch zum Folgen­ den Sylvia Paletschek, Frauen und Dissens: Frauen im Deutschkatholizismus und in den freien Gemeinden 1841–1852 (KSG 89; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1990); Catherine M. Prelinger, „Religious Dissent: Womenʼs Rights, and the Ham­ burger Hochschule fuer das weibliche Geschlecht in Mid-Nineteenth-Century Ger­ many“, CH 45/1 (1976): 42–55. 174 Christian Uhlig, „Lichtfreunde“, TRE 21 (1991): 119–121. 175 Vgl. den Abdruck der „Grundzüge zur […] Gründung einer freien religiösen Ge­ meinde“, in Otto, Die Frauen-Zeitung (1849/1850), Nr. 12 (1850), 239–243. 176 Paletschek, Frauen und Dissens, 11.

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Teilhabe, denn Frauenemanzipation, für die sich Ronge ausdrücklich einsetz­ te, war Teil der religiösen Reform. Ebenso kam der Kindergartenerziehung eine nachhaltige Bedeutung zu, die von den Mitgliedern der freisinnigen und demokratischen Frauenvereine als Teil einer notwendigen politischen Reform nach den Ideen Friedrich Fröbels eingerichtet und verbreitet wurden. Die pä­ dagogische Konzeption der Erziehung zu freien, denkenden und selbsttätigen Menschen kam den Staatsgewalten verdächtig vor. Das Verbot der Kindergär­ ten 1851 in Preußen und anderswo verhinderte jedoch nicht, dass die Idee der Fröbel’schen Kindergärten in die Welt getragen wurde.177 Welche Rolle Netzwerke in der Geschichte sozialer Bewegungen spielen, mag ein Detail veranschaulichen: Johannes Ronges „Offenes Sendschrei­ ben“ erschien 1844 in den von Robert Blum herausgegebenen Sächsischen Vaterlandsblättern,178 der gleichen liberal-demokratischen Zeitschrift, in der Louise Otto 1843 in einer Leserzuschrift ihre erste Stellungnahme zur not­ wendigen „Theilnahme der weiblichen Welt am Staatsleben“ veröffentlicht und eine Debatte entfacht hatte.179 Die 1849 von ihr herausgegebene FrauenZeitung unter dem Motto „Dem Reich’ der Freiheit werb’ ich Bürgerinnen“, die zur Plattform für Frauenfragen wie auch der religiösen Oppositionsbewe­ gung in Deutschland wurde, gab den Anstoß zur Gründung demokratischer Frauenvereine und einer ersten Frauenbewegung in Deutschland. In meh­ reren Artikeln wurde hier der christliche Glaube als ‚Religion der Freiheit‘ ernstgenommen und der Gedanke der Gleichheit vor Gott als Ermutigung zu selbständigem Denken und zum Kampf gegen „die dreifache Tyrannei des Dogmas, der Konvention und der Familie“ verstanden.180 Gleiches gilt für den Einfluss der Quäker, die den Frauen eine Stimme in kirchlichen Angelegen­ heiten und in der Öffentlichkeit einräumten und aus deren Engagement in der Anti-Sklaverei-Bewegung der Funke für die amerikanische Frauenbewegung übersprang.181 Aber auch die Auseinandersetzung mit dem Was die Pastoren denken182 oder die von Elizabeth Cady Stanton veranlasste kritische Kom­ mentierung der Bibel, The Woman’s Bible (1895), von der sich ihre religiös konservativen Kolleginnen auf dem Wahlrechtskongress 1896 jedoch aus­ drücklich distanzierten, sind Zeugnisse einer christlich motivierten Opposi­ 177 Ebd., 214–218. 178 Ebd., 22/23 und 44f. 179 Louise Otto, „Die Theilnahme der weiblichen Welt am Staatsleben“, Sächsische Vaterlandsblätter 3/134 (1843): 633f. 180 Malwida von Meysenburg, Memoiren einer Idealistin (3 Bde; Leipzig: Schuster & Loeffler, 1875), 1:172. 181 Flexner, Century of Struggle, 44; vgl. auch Angelina Grimké, An Appeal to the Christian Women of the South (S. l.: American Anti-slavery Society; 1836), zit. n. Rossi, Hg., The Feminist Papers, 296–304. 182 Hedwig Dohm, Was die Pastoren denken: „Zur Frauenfrage, von Philipp von Nathusius und Herrn Professor der Theologie Jacobi in Königsberg“ (Berlin: Schling­ mann, 1872).

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tion.183 Stanton selbst betrachtete dieses Werk als Krönung ihres Schaffens. Glaubensfragen und Kirchenkritik, die sich immer wieder auf die Instanz bi­ blischer Autorität bzw. eine eigenständige Auslegung der Bibel bezogen, sind darum nicht wegzudenken aus der Geschichte des Kampfes um die Gleichbe­ rechtigung der Frauen im 19. Jh. Doch erst im Abschwung der revolutionären Erhebungen wurde den Frau­ en klar, dass überall da, wo vom ‚Volk‘ oder den Rechten der Staatsbürger die Rede war, Frauen gar nicht mitgemeint waren. Das heißt, als sie ihr Netzwerk von Vereinen knüpften und sich in den ersten Frauen-Zeitschriften und in der allgemeinen Presse über den Ausschluss der Frauen aus dem Staatsleben em­ pörten, hatten sie im Grunde „europaweit den Kampf um die politische (Neu)Definition von Freiheit, Gleichheit und Staatsbürgertum bereits verloren.“184 Dennoch wurden im Vormärz und in der Revolution neue Öffentlichkeiten und damit eine „politische Gelegenheitsstruktur“185 geschaffen, mit der die Frauenbewegungen als politische und soziale Bewegungen in Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien und anderswo ihren Ausgang nahmen.186 Und obwohl diese ersten Aufbrüche zur Emanzipation der Frauen in Europa scheiterten, ja, die reaktionären Staatsgewalten in ihren ‚oktroyierten‘ Ver­ fassungen nun auch Frauen ausdrücklich von politischer Betätigung und den Bürgerrechten ausschlossen (durch das nachhaltige Verbot der Frauenclubs bzw. politischer Frauenvereine und ihrer Presse in Frankreich und im Deut­ schen Bund), stehen die Ereignisse um 1848 für den Anbruch einer neuen 183 Elisabeth Cady Stanton, Stantons Frauenbibel (hg. u. eingel. v. Ursula I. Meyer; Aachen: Ein-Fach-Verlag, 2007 [Zuerst The Woman’s Bible 1: Comments on Genesis, Exodus, Leviticus, Numbers and Deuteronomy {New York: European Publishing Company, 1895}]); vgl. Rossi, Hg., The Feminist Papers, 401–406; vgl. auch Ute Gerhard, Petra Pommerenke und Ulla Wischermann, Hg., Klassikerinnen feministischer Theorie: Grundlagentexte 1 (1789–1919) (Frankfurter Feministische Tex­ te/Sozialwissenschaften 10; Königstein i. Taunus: Helmer, 2008), 152–166. 184 Gabriella Hauch, „Frauen-Räume in der Männer-Revolution 1848“, in Europa 1848: Revolution und Reform (hg. v. Dieter Dowe, Heinz-Gerhard Haupt und Dieter Lange­ wiesche; RPGG 48; Bonn: Dietz, 1998), 841–900; 845. 185 Herbert Kitschelt, „Politische Gelegenheitsstrukturen in Theorien sozialer Bewe­ gungen heute“, in Neue soziale Bewegungen: Impulse, Bilanzen und Perspektiven (hg. v. Ansgar Klein, Hans-Josef Legrand und Thomas Leif; Opladen: Westdeutscher Verlag, 1999), 144–163. 186 Hier und im Folgenden ist die Literatur zur historischen Frauenbewegung inzwischen so umfangreich, dass ich nur beispielhaft einige Überblickswerke nenne: Flexner, Century of Struggle; Karen Offen, European Feminisms 1700–1950: A Political History (Stanford: Stanford University Press, 2000); Laurence Klejman und Florence Rochefort, L’égalité en marche: Le féminisme sous la Troisième République (Edi­ tions des femmes-Antoinette Fouque; Paris: Presses de la Fondation nationale des sciences politiques, 1989); Sylvia Paletschek und Bianka Pietrow-Ennker, Hg., Womenʼs Emancipation Movements: A European Perspective (Stanford: Stanford University Press, 2004); Ute Gerhard, Frauenbewegung und Feminismus: Eine Geschichte seit 1789 (München: Beck, 42020).

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Zeit. Denn trotz des unmittelbaren Scheiterns der Revolutionen in Europa war die Eigenschaft ‚Geschlecht‘ (ebenso wie ,Rasse‘ in der Antisklaverei-Bewe­ gung) nun zu einem Politikum geworden, hatten sich von da an die politische Sprache, die Denkmöglichkeiten und die Erwartungen an eine neue politische Ordnung verändert. Was die Vorkämpferinnen der Frauenbewegung einmal gesagt, gefordert, erkannt und beklagt hatten – der Diskurs um Frauenrechte und die Frau als gleichberechtigte Bürgerin oder Rechtsperson im Familien­ recht – war nun in der Welt, wurde Teil einer Geschichte des Feminismus, die in anderen Zusammenhängen, zu anderen Zeiten neuen Sinn und Wirksam­ keit entfalten konnte. Anders war dies in den USA, wo die Geschichte der Frauenbewegung ebenfalls 1848 mit einem Gründungsakt begann, jedoch mit einer anderen Dynamik schnell erste Erfolge zeigte. Die Initiatorinnen für die Zusammen­ kunft in Seneca Falls im Bundestaat New York hatten sich im Engagement gegen die Sklaverei kennengelernt und darüber verständigt, wie notwendig die Abschaffung der „Sklaverei auch der Frauen“ in ihrem eigenen Land, den USA, mit Blick auf das Common Law und fehlende staatsbürgerliche Rechte war. Die dort am 14. Juli 1848 verabschiedete Declaration of Sentiments war eine pointierte Zusammenfassung der Unrechtserfahrungen und Rechtsan­ sprüche der amerikanischen Frauen. Der Text ist – ähnlich wie die Frauen­ rechtserklärung von Olympe de Gouges im Rekurs auf die Menschenrechts­ erklärung – als Paraphrase auf die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 formuliert, d. h. der Sprachstil und die jeweiligen Forderungen ent­ sprechen sich. Wenn es da im Original von 1776 hieß: „Wir halten diese Wahrheiten für keines Beweises bedürftig, dass alle Menschen gleich geschaffen sind“. So lautete der Satz nun: „[…] dass Mann und Frau gleich geschaffen sind“.

Und wenn in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung der englische König der Adressat der Forderung nach Selbstbestimmung war, dessen Machtmissbrauch und Anmaßungen gerügt wurden, so ist der Angriffspunkt in der Declaration of Sentiments der „absolute Despotismus des Mannes“, an den die Anklage und die Einforderung unveräußerlicher Rechte der „Natur und ihres Schöpfers“ gerichtet werden.187 Der Widerhall und das öffentliche Aufsehen, das die Veranstaltung er­ regte, waren beträchtlich. Die Presse berichtete landesweit. Das Signal zum Aufbruch hatte deswegen nachhaltigen Erfolg, weil die Amerikanerinnen, 187 „Declaration of Sentiments“ (1848), in Women, the Family and Freedom: The Debate in Documents 1: 1750–1880 (hg. v. Susan Groag Bell und Karen M. Offen; 2 Bde; Stanford: Stanford University Press, 1983), 1:252–255; vgl. Rossi, Hg., Feminist Papers, 413–421.

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gestützt auf ein Netzwerk von Sozialreformern, von nun an bis zum Aus­ bruch des amerikanischen Bürgerkriegs 1861 jährlich unter großer Beach­ tung der Öffentlichkeit Frauenrechtskonferenzen abhielten und damit einen immer größeren Kreis von Anhängerinnen einwerben und ihre Organisa­ tionen ausbauen konnten. Ein wesentlicher Unterschied zur europäischen Situation bestand darin, dass die amerikanischen Frauenrechtlerinnen bei ihrer Propaganda, bei Versammlungen und Kampagnen von einer nicht un­ erheblichen Zahl prominenter Männer unterstützt wurden – im Gegensatz zu dem politischen Maulkorb, den die Vereins- und Pressegesetze für alle Frauenbestrebungen nach der 1848er Revolution in den meisten Teilen Euro­ pas bedeuteten. Denn nach diesen Vereinsgesetzen (in Frankreich in Geltung bis 1901, in Deutschland und Österreich bis 1908 bzw. 1918) war „Frauens­ personen“ wie Minderjährigen nicht nur untersagt, Mitglied in politischen Vereinen zu werden, ihnen war nicht einmal die Teilnahme an Sitzungen und Versammlungen gestattet, die politische Gegenstände behandelten. Was als politisch galt, bestimmte die Polizeibehörde, die diese Versammlungen schließen und mit Geldbußen belegen konnte. Nach einer Entscheidung des deutschen Reichsgerichts aus dem Jahr 1887 galten „alle Angelegenheiten“ als politisch, „welche Verfassung, Verwaltung, die Gesetzgebung des Staates, die staatsbürgerlichen Rechte und die internationalen Beziehungen des Staa­ tes in sich begreifen.“188 Das bedeutete: Was immer Frauen zur Verbesserung ihrer rechtlichen oder sozialen Situation auf dem Weg über die Gesetzgebung erstrebten, konnte als Politikum ausgelegt werden und hat die Organisationen der Frauenbewegung in diesen Ländern mindestens über zwei Generationen behindert. Gewiss, auch die amerikanische Frauenbewegung wurde begleitet von einem reaktionären Antifeminismus, der insbesondere nach 1860, nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges, wieder vieles rückgängig machte und die Einheit der Bewegung im Streit über das Wahlrecht behindern sollte. Jedoch war der Widerstand nicht mit diesem politischen Maulkorb vergleichbar. Bemerkenswert bleiben die internationalen Verbindungslinien und Spuren eines neuen feministischen Bewusstseins, die nach 1848 über nationale Gren­ zen und den Atlantik hinweg in beiden Richtungen geknüpft wurden. Nur einige Blitzlichter sollen dies veranschaulichen:189 –– Harriet Taylor (1807–1858), die gerade den Nationalökonomen und Phi­ losophen John Stuart Mill geheiratet hatte, veröffentlichte 1851 in der 188 Entscheidung des Reichsgerichts vom 10.11.1887, RGSt 1888, Bd. 16, 383–386; vgl. hierzu Ute Gerhard, „Grenzziehungen und Überschreitungen: Die Rechte der Frau­ en auf dem Weg in die politische Öffentlichkeit“, in dies., Frauen in der Geschichte des Rechts: Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart (München: Beck, 1997), 509–546; 529f. 189 Zum Folgenden vgl. Anderson, Joyous Greetings, die die transnationalen Netz­ werke und persönlichen sowie politischen Verbindungen der Kerngruppe der ersten Frauenrechtlerinnen erforscht hat.

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englischen Westminster Review einen ausführlichen Bericht über die erste amerikanische Frauenrechtskonferenz (National Women’s Rights Convention) in Worcester (Mass.) im Jahr 1850, auf der sowohl privat­ rechtliche Gleichheit als auch das Frauenstimmrecht gefordert wurden. Harriet Taylors Essay Enfranchisement of Women190 verschaffte diesen Forderungen auch in Europa Publizität und avancierte zur meistverkauf­ ten Schrift der amerikanischen Frauenbewegung. Taylors Beitrag sollte die Grundlage bilden für das von Mill aus der Kooperation mit Harriet entstandene Standardwerk des Feminismus Die Unterwerfung der Frauen (1869),191 das in viele Sprachen übersetzt zum Weltbestseller und zur „wahren Bibel“ der anglo-amerikanischen Feministinnen wurde.192 –– Die Französin Jeanne Deroin (1805–1895), die auf der Seite der Sozialist*innen wegen ihrer Agitation für die Rechte der Frauen auf Ar­ beit und für das Frauenstimmrecht nach dem Scheitern der Revolution bestraft wurde, verfasste zusammen mit ihrer Genossin Pauline Roland noch im Gefängnis eine Grußadresse an die amerikanische Frauenrechts­ konferenz 1850 in Worcester und veröffentlichte 1852 auf Französisch eine Zusammenfassung von Harriet Taylors Essay in dem zweisprachigen Almanach des femmes.193 Auch Louise Otto publizierte in der Fortsetzung ihrer Frauen-Zeitung außerhalb Sachsens, wo das sächsische Pressever­ bot nicht galt, mehrere Artikel zu „Johanna“ Deroin.194 –– Wie viele andere Aktivistinnen der 1848er Revolution war auch Mathilde Franziska Anneke (1817–1884), die ebenfalls 1848 in Köln eine Frauenzeitschrift herausgegeben hatte, in die USA emigriert und gab von 1852 bis 1854 in Milwaukee eine Deutsche Frauen-Zeitung heraus. Hierin übersetzte sie viele Texte amerikanischer und englischer Feministinnen ins Deutsche, aber sorgte auch für die Übersetzung deutscher Klassiker 190 Reprint in: Ann P. Robson und John M. Robson, Hg., Sexual Equality: Writings by John Stuart Mill, Harriet Taylor Mill, and Helen Taylor (Toronto: University of Toronto Press, 1994), 178–203. Auf Deutsch ohne bibliographische Angaben Harriet Taylor, „Über Frauenemanzipation“, in John Stuart Mill, Harriett Taylor Mill und Helen Taylor, Die Frau ist frei geboren: Texte zur Frauenemanzipation (hg. v. Han­ nelore Schröder; Frankfurt a. M.: Syndikat, 1976), 73–108. 191 John Stuart Mill und Helen Taylor unter Rückgriff auf Gedanken von Harriet Tay­ lor, „Die Unterwerfung der Frauen“, in John Stuart Mill, Ausgewählte Werke (hg. v. Ulrike Ackermann und Hans Jörg Schmidt; 5 Bde; Hamburg: Murmann, 2012 [urspr. 1869]), 1:439–560; vgl. Essays on Sex Equality by John Stuart Mill and Harriet Taylor Mill (hg. v. Alice S. Rossi; Chicago: University of Chicago Press, 1970). 192 Mary R. Beard, Woman as Force in History: A Study in Traditions and Realities (New York: Octagon Books, 1976), 112. 193 Anderson, Joyous Greetings, 9; zu Deroin vgl. Scott, Only Paradoxes, 57–89. 194 Anderson, Joyous Greetings, 9; vgl. Frauen-Zeitung: Ein Organ für die höheren weiblichen Interessen (hg. v. Louise Otto-Peters; Gera: Illgen, 1849–1852) 3/33 (1851): 227/228. In einer späteren Nummer 3/49 (1851): 358 wird aus „Deroin“ der Name „Dorvin“.

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ins Englische, z. B. Auszüge aus Theodor G. Hippels Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber von 1792.195 Sie hielt auf der 3. amerikani­ schen Frauenrechtskonferenz 1853 in New York eine viel beachtete Rede, die von der Frauenrechtlerin Ernestine Rose übersetzt und vorgetragen wurde.196 –– Ernestine Rose (1810–1892) wiederum, eine polnische Jüdin, die über Sta­ tionen in Berlin, Paris und London in den 1830er Jahren in die USA aus­ gewandert war, hatte schon bald nach ihrer Ankunft in New York 1836/37 eine Kampagne für die Eigentumsrechte von Frauen angezettelt, die noch mehrmals scheitern, jedoch den New York Property Act von 1848 vorbe­ reiten sollte. Befreundet mit der Französin Jenny d’Héricourt und Anhän­ gerin von Robert Owen, profilierte sie sich bald als kluge und unbeirrbare Weggefährtin von Elizabeth Cady Stanton und als exzellente Rednerin.197 –– Die schwedische Schriftstellerin Fredrika Bremer (1801–1865)198 bereis­ te zwischen 1848 und 1851 die USA und veröffentlichte 1857 ihren be­ rühmten Roman Hertha oder Geschichte einer Seele – Skizze aus dem wirklichen Leben,199 der die Frauenfrage in Schweden auf die politische Tagesordnung setzte. Bremer wurde zur Namensgeberin für die erste fe­ ministische Frauenorganisation (Fredrika Bremer Förbundet) in Schwe­ den.200 Diese persönlichen und politischen Kontakte zwischen Gleichgesinnten um die Jahrhundertmitte sind Beleg dafür, dass schon der frühe Feminismus eine transnationale Bewegung war. Für die Aktivistinnen, die in ihren nationalen Kontexten oftmals noch eine radikale Minderheit darstellten, waren dieses internationale Frauennetzwerk sowie die über alle Grenzen hinweg geführten Diskurse, insbesondere in Zeiten des Umbruchs, eine wichtige Stütze und Er­ 195 Martin Henkel und Rolf Taubert, Das Weib im Conflict mit den socialen Verhältnissen: Mathilde Franziska Anneke und die erste deutsche Frauenzeitung (Bochum: Edition Égalité, 1976), 131; Theodor Gottlieb von Hippel, Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber (Neudruck; Frankfurt a. M.: Syndikat, [urspr. 1792] 1977). 196 Anderson, Joyous Greetings, 10; Bonnie S. Anderson, The Rabbi’s Atheist Daughter: Ernestine Rose, International Feminist Pioneer (Oxford: Oxford University Press, 2017). 197 Anderson, The Rabbi’s Atheist Daughter. 198 Siehe dazu ausführlicher Hanna Stenström, „‚The Hand Maid of the Lord, Not of the Lords‘: Fredrika Bremer Reads the Bible in the Service of Women’s Emancipation“, in Die Bibel war für sie ein politisches Buch: Bibelinterpretationen der Frauenemanzipationbewegungen im langen 19. Jahrhundert (hg. v. Irmtraud Fischer et al.; Frau­ enforschung in Europa 29; Münster: LIT 2020 [im Druck]). 199 Fredrika Bremer, Hertha oder Geschichte einer Seele: Skizze aus dem wirklichen Leben (2 Bde; aus dem Schwed. übers. v. von Gottlob Fink; Stuttgart: Franckh, 1857). 200 Vgl. hierzu Ulla Manns, „Gender and Feminism in Sweden: The Fredrika Bremer Association“, in Womenʼs Emancipation Movements: A European Perspective (hg. v. Sylvia Paletschek und Bianka Pietrow-Ennker; Stanford: Stanford University Press, 2004), 152–164.

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mutigung. Sie tauschten Erfahrungen und Informationen aus, lasen dieselben Bücher und sorgten für die Verbreitung ihrer Ideen und gemeinsamen Anlie­ gen. Und doch entwickelten sich die Chancen und Errungenschaften je nach politischen Gelegenheiten und gesellschaftlichen Bedingungen höchst unter­ schiedlich, wie die Daten zu staatsbürgerlicher und zivilrechtlicher Gleichheit zeigen.

5.

Unterschiedliche Rechtsentwicklungen und die Strategien der Frauenbewegungen im Ausblick auf das 20. Jh.

Die im dritten Teil entfalteten Probleme des Privat- bzw. Familienrechts, d. h. die komplexe Vielfalt der unterschiedlichen Rechtslagen, soll im Folgenden aus der Perspektive der Frauenbewegungen und im Blick auf ihre Rechts­ kämpfe und Forderungen behandelt werden. Dabei geht es nicht darum, die Geschichte der Frauenbewegungen in einzelnen Ländern zu referieren und ihren vielfältigen Beitrag zu sozialem, kulturellem und politischem Wandel zu berücksichtigen. Vielmehr konzentriert sich der Beitrag auf die Reform­ forderungen zur privatrechtlichen Stellung der Frau und zwar am Beispiel der Frauenbewegungen aus vier Rechtskreisen, dem französischen, dem englischamerikanischem, dem deutschen und dem skandinavischen Rechtskreis. Die Auswahl ist der notwendigen Beschränkung auf einen lesbaren Umfang ge­ schuldet und bleibt eine Aufgabe weiterer vergleichender Studien.201 Deutlich wird, dass der vereinigte Widerstand gegen die gleichberechtigte Stellung der Frau von Wissenschaft, Staat und Gesellschaft durchaus unterschiedliche po­ litische Strategien erforderte. Die politischen Rahmenbedingungen erklären auch die Ungleichzeitigkeit mancher Errungenschaft. Dabei spielten immer wieder einzelne Vorkämpferinnen eine wichtige Rolle, die neben dem Mut zur Befreiung aus individueller Bevormundung und ehelicher Gewalt Mit­ streiterinnen gewannen und es verstanden, für ihre Anliegen zu mobilisieren und politische Öffentlichkeiten herzustellen. Die Frauenbewegungen in den europäischen Ländern organisierten sich nach einer Zeit des Stillstandes und der Reaktion auf das Scheitern der 1848er Revolution seit dem Ende der 1860er Jahre neu: in einem weiten Spektrum von emanzipatorischen Bildungs- und Erwerbsvereinen, von philanthro­ pischen oder auch konservativ nationalen, ‚vaterländischen‘ Frauenverei­ 201 Vgl. auch die Veröffentlichungsreihe Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung (hg. v. Stephan Meder und Arne Duncker; 12 Bde; Köln: Böhlau; seit 2003), darunter Bd. 12: Die Rechtsstellung der Frau um 1900: Eine kommentierte Quellensammlung (hg. v. Stephan Meder, Arne Duncker und Andrea Czelk; 2010).

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nen. Sie waren uneins in der Frage, ob es opportun sei, sich zunächst durch Bildung und soziale Hilfstätigkeiten zu bewähren, oder ob ein radikaleres Vorgehen notwendig sei, um auch für politische Gleichberechtigung, insbe­ sondere ein allgemeines und gleiches Wahlrecht zu kämpfen. Zumindest die Stimmrechtler*innen gingen davon aus, dass das Wahlrecht als Inbegriff von Rechten überhaupt erst die Voraussetzung für die Mitwirkung und Verände­ rung der Gesetzgebung schaffe. Je nach historischem Kontext haben Frauen im Kampf ums Recht daher unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt, jedoch immer beides gefordert, sowohl gleiche Rechte und gleiche Freiheiten als auch die Berücksichtigung und Anerkennung einer wie auch immer gelebten und begründeten Geschlechterdifferenz. Die im ‚neuen‘ Feminismus lebhaft geführte Debatte um Gleichheit und/oder Differenz hat schließlich ergeben, dass hierbei „falsche Gegensätze“202 konstruiert wurden. Denn in der Gegen­ überstellung von Gleichheit oder Differenz schwingt ein Missverständnis des Rechtsprinzips der Gleichheit mit. Niemals ging es den Frauen um ‚Gleich­ sein‘ oder Angleichung an den Mann, sondern um ein für alle Menschen mög­ liches Maß von Freiheit und Gleichheit, macht doch das Rechtsprinzip der Gleichheit nur Sinn angesichts der Tatsache, dass die Menschen verschieden sind. Dabei kann es sich nur um Gleichheit in bestimmten, für die Lebens­ chancen relevanten Hinsichten handeln, niemals um Angleichung oder Iden­ tität.203 Gleichheit ist zudem ein dynamisches und relationales Konzept, das sich immer erst eingedenk der Rechte und Freiheit auch der anderen realisiert. In ihren historischen Kämpfen haben die Frauenbewegungen daher in unter­ schiedlicher Weise um diese Gleichheit in der Differenz auch unter Frauen gerungen und damit neue Standards für Gerechtigkeit eingeklagt.

5.1

Die französische Frauenbewegung

Eine frühe Feministin, Saint-Simonistin und scharfe Kritikerin des misogynen französischen Zivilrechts war Jenny P. d’Héricourt, die bereits in den 1850er Jahren als Autodidaktin die ‚Meisterdenker‘ ihrer Zeit, Jules Michelet, Pierre J. Proudhon und Auguste Comte zu einem öffentlichen Disput herausforderte.204 Sie warf ihnen u. a. in einer linksliberalen philosophischen Zeitschrift vor, die 202 Vgl. Nancy Fraser, „Falsche Gegensätze“, in Der Streit um Differenz: Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart (hg. v. Seyla Benhabib et al.; Frankfurt a. M.: Fischer, 1993), 59–79; Dies., „Pragmatismus, Feminismus und die linguistische Wen­ de“, in ebd., 145–160. 203 Vgl. Gerhard, Gleichheit ohne Angleichung, 13–19. 204 Caroline Arni und Claudia Honegger, „Jenny P. dʼHéricourt (1809–1875): Weibli­ che Modernität und die Prinzipien von 1789“, in Frauen in der Soziologie: Neun Porträts (hg. v. Claudia Honegger und Theresa Wobbe; München: Beck, 1998), 60–98; Gerhard, Für eine andere Gerechtigkeit, 253–259, mit weiteren Nachweisen.

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Frauen in ihrer Gesellschafts- und Geschlechtertheorie zu „annullieren“ und forderte die rechtliche Gleichstellung der Frau als Einlösung der Prinzipien der Französischen Revolution und als gesellschaftliche Notwendigkeit. In ih­ rem Hauptwerk La femme affranchie begründete d’Héricourt in detaillierter Rechtskritik an den widersinnigen und diskriminierenden Bestimmungen des Code civil ihre feministische Rechtstheorie, die, gerade weil die „Individuen“ verschieden sind, auf Sozialität und Solidarität angewiesen seien.205 Wie im übrigen Europa nahm die Frauenbewegung in Frankreich erst ge­ gen Ende der 1860er Jahre einen neuen Aufschwung, zusammen mit dem Erstarken der republikanischen Opposition im Zweiten Kaiserreich und nach 1871 in enger Bindung an die Dritte Republik.206 Immer wieder, wenn auch mit vielen Abbrüchen und Abspaltungen, stand der Kampf ums Recht, die Mobilisierung gegen die unwürdige Stellung der Frau im Familienrecht des Code civil im Zentrum vielfältiger Vereinigungen und der Frauenpresse. Das belegen allein die Namen der Vereine sowie die Titel ihrer Frauenzeitschrif­ ten. Das galt beispielsweise für die von Léon Richer und Maria Deraismes 1869 gegründete Zeitschrift Le Droit des femmes und den 1870 nachfolgenden Verein Association pour le droit des femmes, für die von Hubertine Auclert 1876 gegründete, radikalere Vereinigung Droit des femmes ebenso wie für den ersten internationalen Congrès français et international du droit des femmes von 1878.207 Unermüdlich wurden detaillierte Vorschläge für die Reform der einzelnen Unrechts-Artikel des Code erarbeitet, die die inferiore Stellung der Frau im Zivilrecht betrafen, einschließlich der Forderung nach dem Recht auf Arbeit, gleichem Lohn, dem Recht auf Scheidung sowie der Ermöglichung der Vaterschaftsklage – doch sehr lange ohne Erfolg.208 „Das feministische Projekt“, so erklärt Florence Rochefort die Entwick­ lung der Frauenbewegung nach 1871, „einst revolutionär, wurde reformistisch in der Zielsetzung und im Ton.“ Das Dilemma der französischen Bewegung bestand darin, dass sie ihr Schicksal mit dem der Republik verknüpft hat­ te. „Die Republikaner an der Macht aber waren (…) Gegner des feministi­ 205 Jenny P. dʼHéricourt, La Femme affranchie (2 Bde; Brüssel: Lacroix, 1860). In der englischen Veröffentlichung: A Womanʼs Philosophy of Woman, Or, Woman Affranchised (New York: Carleton, 1864) fehlt die detaillierte Kritik am Code civil. 206 Für Frankreich auch im Folgenden Klejman und Rochefort, L’égalité en marche; Florence Rochefort, „The French Feminist Movement, 1868–1914“, in Womenʼs Emancipation Movements: A European Perspective (hg. v. Sylvia Paletschek und Bianka Pietrow-Ennker; Stanford: Stanford University Press, 2004), 77–101; Moses, French Feminism; Scott, Only Paradoxes. 207 Klejman und Rochefort, L’égalité en marche, 45–85; vgl. auch Patrick Kay Bidel­ man, Pariahs Stand Up! The Founding of the Liberal Feminist Movement in France, 1858–1889 (Westport: Greenwood, 1982), 73–105. 208 Rochefort, „The French Feminist Movement“, 82; zur Vaterschaftsklage vgl. Le­ faucheur, „Unwed Mothers“, 95f.

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schen Projekts.“209 „Es ist nicht die Republik, es sind die Republikaner, die gegen uns sind“, versicherte auch Maria Deraismes.210 Die Sozialisten, die in Anlehnung an den Proudhon’schen Antifeminismus Frauen grundsätzlich des Klerikalismus und Konservatismus verdächtigten, waren ebenfalls kei­ ne zuverlässigen Verbündeten. Um die Republik nicht zu gefährden, vertrat die Mehrheit der bürgerlichen Frauenbewegung daher seit den 1870er Jahren eine Politik der „kleinen Schritte“ (politique de la brèche) – eine Zurückhal­ tung, die auch die Mehrheit in der deutschen Frauenbewegung zu dieser Zeit leitete. Im Gegensatz dazu vertrat Hubertine Auclert eine radikalere Politik (stratégie de l’assault), da für sie die Republik nur unter gleichberechtigter Beteiligung der Frauen demokratisch war. Sie gab darum dem Frauenwahl­ recht die absolute Priorität vor allen anderen Rechtsforderungen, gründete entsprechende Vereine und Zeitschriften (z. B. La Citoyenne von 1882–1891), kämpfte in wechselnden Koalitionen mit Feministinnen und Sozialist*innen, reichte eine Vielzahl von Petitionen ein und praktizierte Methoden des zivilen Ungehorsams, die später auch für die englischen Suffragetten typisch waren: Sie organisierte Demonstrationen, einen Steuerboykott oder die Störung von Heiratszeremonien, bei denen nach französischer Sitte (so wie Napoleon einst verlangt hatte) der berüchtigte Gehorsamsparagraph Art. 213 des Code civil verlesen wurde. Sie wurde deshalb mehrfach verhaftet und vor Gericht ge­ stellt, aber auch von ihren früheren Weggefährtinnen ausgegrenzt und geriet zunehmend in eine Außenseiterposition.211 Zwar hatten die Französinnen zum Ende des 19. Jh. einige Verbesserungen ihrer Rechtsstellung erlangt; so z. B. die Einrichtung staatlicher höherer Mäd­ chenschulen und Kollegien (1880), das Recht, ein Konto bei den Sparkassen anzulegen (1881), die Aufhebung des Verbots der Ehescheidung (1884) oder ein Zeugnisrecht vor Gericht (1897). Aufgrund der im europäischen Vergleich frühen Öffnung der Universitäten für Frauen (1863) folgte die Zulassung zum Anwaltsberuf (1900), zur gleichen Zeit waren bereits viele Ärztinnen nieder­ gelassen. Doch die zu Beginn des 20. Jh. in viele Richtungen zersplitterte Be­ wegung konnte sich erst 1901 auf die Gründung eines nationalen Frauenrates (Conseil national des femmes françaises) verständigen und wurde Mitglied im Internationalen Frauenrat (International Council of Women, ICW) sowie 1909 im Weltbund für Frauenstimmrecht (International Woman Suffrage Alliance, IWSA). Immerhin mehrten sich seit der Jahrhundertwende anlässlich der Hundert-Jahr-Feiern des Code civil auch in der Jurisprudenz die Stim­ men, die dringend eine Revision des unzeitgemäßen und autoritären Famili­ 209 Rochefort, „The French Feminist Movement“, 83f. (Übersetzung U. G.). 210 Ebd., 87. 211 Vgl. Steven C. Hause, Hubertine Auclert: The French Suffragette (New Haven: Yale University Press, 1987), der der französischen Suffragette mit seiner politischen Bio­ grafie ein Denkmal gesetzt hat.

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enrechts forderten.212 Führende Feministinnen verschiedener Couleur, neben Hubertine Auclert Jeanne Oddo-Deflou und Caroline Kauffmann, versuchten die Staatsbankette und Feierlichkeiten zu diesem Anlass im Oktober 1904 zu stören und organisierten einen Protestmarsch durch Paris unter dem Ruf „Nieder mit dem Code“, mit dem Plan, auf der Place Vendôme ein Exemplar des Code civil zu verbrennen. Das gelang nicht, da die Polizei einschritt, auch die Presse berichtete nur mäßig, und wieder einmal waren sich die Aktivis­ tinnen nicht einig, wie weiter vorzugehen sei. Schließlich galt der viel geprie­ sene Cc in der französischen Öffentlichkeit als sakrosankt, als Garant eines gesellschaftlichen Gleichgewichts („de l’équilibre social“), das offensichtlich eine hierarchische Geschlechterordnung voraussetzte. Gegen den Code vor­ zugehen war daher nicht nur reformistisch, sondern ziemlich revolutionär. Ob dieser militante Schritt in die Öffentlichkeit der Sache der Frauen gedient hat, bleibt auch unter Historiker*innen strittig.213 Es folgten Manifestationen und viele Petitionen. Ein Gesetz von 1907 er­ laubte der Französin zum ersten Mal die freie Verfügung über ihr Erwerbs­ einkommen. Seit 1912 wurde auch die Vaterschaftsklage zugelassen, jedoch nur in fünf Fällen: bei Entführung, Vergewaltigung, Verführung durch un­ zweideutigen schriftlichen Beweis, im Falle sozialer Vaterschaft (possession d’état) oder bei Konsens mit dem Vater.214 1938 fiel endlich durch Gesetz der Volksfrontregierung der Gehorsamsparagraph des Art. 213 Cc. Damit wurde der Ehefrau unbeschränkte Geschäftsfähigkeit zugestanden, wobei die Ver­ waltung der gesetzlich vorgeschriebenen Gütergemeinschaft bis 1965 beim Ehemann blieb. Dieselbe Volksfrontregierung unter Léon Blum, der zum ers­ ten Mal drei Frauen als Staatssekretärinnen in sein Kabinett berufen hatte, – darunter die Präsidentin eines Stimmrechtsvereins, der Union française pour le suffrage des femmes (UFSF) – versäumte es aber, vor dem Zweiten Welt­ krieg das Frauenwahlrecht durchzusetzen.215 Dies blieb Charles de Gaulle vorbehalten durch Beschluss seiner Provisorischen Regierung am 21. April 1944. Anzumerken ist, dass andere Länder unter dem Recht des Code civil sich mit der Abschaffung der incapacité der Ehefrau sogar noch länger Zeit gelassen haben; so z. B. die Niederlande bis 1956, Belgien bis 1958, Portugal bis 1966 und Luxemburg bis 1972.216 Lediglich Italien scherte aus dieser Ver­ 212 Vgl. La Société d’Etudes Législatives, Hg., Le Code civil 1804–1904: Livre du Centenaire (2 Bde; Frankfurt a. M.: Sauer & Auvermann, 1969 [urspr. Paris: E. Duchemin, 1904]). 213 Klejman und Rochefort, L’égalité en marche, 256–258; Hause, Auclert, 183–187. 214 Lefaucheur, „Unwed Mothers“, 98. 215 Klejman und Rochefort, L’égalité en marche, 295–301; Christine Bard, „Femi­ nistinnen in Frankreich: Frauenstimmrecht und Frieden, 1914–1940“, in Feminismus und Demokratie: Europäische Frauenbewegungen der 1920er Jahre (hg. v. Ute Ger­ hard; Frankfurter Feministische Texte/Sozialwissenschaften 1; Königstein i. Taunus: Helmer, 2001), 84–103. 216 Siehe Holthöfer, „Geschlechtsvormundschaft“, 448f.

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spätung des französisch beeinflussten Rechts aus, indem es den Ehefrauen bereits durch eine Novelle vom 17.7.1919 die volle Geschäftsfähigkeit attes­ tierte – ein später Erfolg der Bemühungen Anna Maria Mozzonis und ihrer Weggefährt*innen.217

5.2

Die US-amerikanische Frauenbewegung

Wie schon erwähnt, hatte sich die amerikanische Frauenbewegung nach 1848 zunächst schnell ausgeweitet und Erfolge errungen, bot doch die Erklärung von Seneca Falls in der Anknüpfung an die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten eine überzeugende intellektuelle und politische Grund­ lage für die weitere Agitation und den Kampf um Frauenrechte gerade auch im Ehe- und Familienrecht.218 Im Vordergrund standen die Eigentumsrech­ te und deren Ausgestaltung nun auch in anderen Einzelstaaten. Doch selbst in der als fortschrittlich geltenden Gesetzgebung im Staat New York hatten die Frauen vorerst kein Verfügungsrecht über ihr Eigentum, also keine volle Geschäftsfähigkeit erlangt. Allerdings war die Mehrheit der Feministinnen zögerlich in Bezug auf andere familienrechtliche Forderungen wie etwa das gleiche Recht auf Scheidung oder die Erziehungs- und Sorgerechte von Müt­ tern (child custody),219 denn diese Forderungen standen im Verdacht, die In­ stitution der Ehe anzugreifen, wenn nicht gar zu zerstören. Von Anfang an war die amerikanische Frauenbewegung eng mit der Be­ freiungsbewegung der Schwarzen verbunden gewesen, ja, selbst aus der Anti­ sklaverei-Bewegung hervorgegangen. Deshalb hatten die Frauenrechtlerinnen mit dem Ausbruch des amerikanischen Bürgerkriegs (1861–1865) ihre Anlie­ gen zunächst zurückgestellt. Doch als sich nach dessen Ende abzeichnete, dass im 14. und 15. Zusatz (Amendment) zur amerikanischen Bundesverfas­ sung 1868 und 1870 nur den schwarzen männlichen Bürgern das Stimmrecht gewährt, allen Frauen jedoch weiterhin die Teilhabe an der Gesetzgebung verweigert würde, war die Frustration groß. Insbesondere Elizabeth Cady Stanton, die in all den Jahren seit 1848 so unermüdlich in den Einzelstaaten vor Senatoren, Vertretern der Legislative und Judikative für die Rechte der Frauen geworben und auch männliche Unterstützer gefunden hatte, war tief enttäuscht. Ihr und ihren Mitkämpferinnen wurde klar, dass der Widerstand und die männliche Monopolstellung in den mit Juristen besetzten Positio­ nen nur durch Beteiligung der Frauen an der Gesetzgebung, mit dem Frauen­ stimmrecht zu überwinden waren. 1869 kam es zum Bruch mit der American 217 Ranieri, „Italien“, 346. 218 Bolt, The Women’s Movements, 79–91, vgl. auch zum Folgenden. 219 Zur zunehmenden Anerkennung der Vormundschafts- und Sorgerechte von Müt­ tern durch Gesetz oder Einzelfallentscheidungen vgl. Röwekamp, „Equal Rights for Mothers“, 203–217.222–237.

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Equal Rights Association, in der gemeinsam mit Männern für die Rechte der Schwarzen und der Frauen gekämpft worden war, damit aber auch zur Spal­ tung der US-amerikanischen Frauenrechtsbewegung in zwei Organisationen: der National Woman Suffrage Association (NWSA) unter der Führung von Elizabeth Cady Stanton und Susan B. Anthony sowie der American Woman Suffrage Association (AWSA), geleitet von Lucy Stone und ihrem Ehemann Henry Blackwell. Beide Vereinigungen gingen davon aus, dass das Stimm­ recht der maßgebliche Hebel sei, um die gesellschaftliche Stellung der Frau zu verbessern. Doch während die NWSA mit spektakulären Aktionen und kom­ promisslos Druck auf den Kongress ausüben wollte und offen blieb für andere Rechtsprobleme wie die Scheidungsfrage oder für Verbindungen zu den Or­ ganisationen der Arbeiterinnen, zog die AWSA die traditionellen Petitions­ kampagnen in den einzelnen Bundesstaaten vor, um auf diese Weise Schritt für Schritt zum Ziel zu kommen. Diese Meinungsverschiedenheiten zwischen Gemäßigten und Radikalen über Vorgehen und politische Allianzen in der Stimmrechtsfrage kennzeichnen auch die europäischen Frauenbewegungen jener Zeit: die französische (stratégie de la brèche oder de l’assault), die eng­ lische (zwischen suffragiste oder suffragette) ebenso die deutsche, in der es um 1900 zur Abspaltung des „linken Flügels“, der sogenannten „Radikalen“, von der „gemäßigten“ Mehrheit in der bürgerlichen Richtung der Frauenbe­ wegung kam. Eleanor Flexner nannte die „Spaltung der Wahlrechts-Front ein Unglück“ und kennzeichnete sie mit der Gegenüberstellung von „Respekta­ bilität“ versus „Radikalismus“.220 Die Mehrheiten unter den Frauen gehörten eher zu den Gemäßigten, die nach wie vor ihre besondere Stärke auf die „Kul­ tur der Weiblichkeit“ oder auf „wahres Frauentum“ (cult of true womanhood) und damit der Betonung der Geschlechterdifferenz gründeten.221 Auch die amerikanische Öffentlichkeit stand dem radikaleren Vorgehen zunehmend skeptisch gegenüber. Die erstaunlich frühen Erfolge der Stimmrechtsbewe­ gung in einigen Staaten (in Wyoming 1869 und Utah 1870) werden daher dem großen Einfluss der Mäßigkeitsbewegung (temperance movement)222 in diesen Staaten zugesprochen. Doch nachdem die Wahlrechtsbewegung gegen Ende der 1880er Jahre zunehmend in der „Sphäre gesellschaftlicher Wohlanständigkeit“223 angekommen war, gelang 1890 die Vereinigung bei­ der Wahlrechtsbewegungen. Mit der Initiative zur Gründung des Interna220 Flexner, Hundert Jahre Kampf, 190–201. 221 Bolt, The Women’s Movements, 44–47; vgl. Nancy F. Cott, The Bonds of Womanhood: „Women’s Sphere“ in New England, 1780–1835 (New Haven: Yale University Press, 1977). 222 Vgl. Olive Banks, Faces of Feminism: A Study of Feminism as a Social Movement (Oxford: Basil Blackwell, 1986), 17–19; ausführlich Ross Evans Paulson, Women’s Suffrage and Prohibition: A Comparative Study of Equality and Social Control (Glenview: Scott Foresman, 1973). 223 Flexner, Hundert Jahre Kampf, 262.

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tional Council of Women (ICW) 1888 in Washington D.C. übernahmen die US-Amerikanerinnen bald die Führung auf internationaler Ebene, indem sie die Frauenbewegungen anderer Länder zur Bildung von nationalen Dachorga­ nisationen zur Vereinigung aller gemeinnützigen Frauenvereine unabhängig von religiöser und politischer Zugehörigkeit veranlassten. Bis 1914 konnte die US-amerikanische Frauenbewegung auf verschiede­ nen Gebieten durchaus Fortschritte aufweisen. Neben der Zulassung zu den medizinischen und insbesondere den juristischen Berufen (erste Zulassung einer Anwältin 1869 in Iowa) – ein sehr wichtiger Schritt in Bezug auf alle Rechtsfragen – gewannen verheiratete Amerikanerinnen zunehmend durch Gesetze (statutes) verschiedener Einzelstaaten (mit Ausnahme in Florida oder Kentucky) ein Verfügungsrecht über ihr Eigentum, sowohl über ihren eige­ nen Verdienst als auch über separates Vermögen; damit herrschte gesetzlich Gütertrennung. Außerdem hatte eine Witwe Anspruch auf ein Drittel des männlichen Vermögens (dower). Damit waren Ehefrauen geschäfts- und auch prozessfähig und zumindest ökonomisch selbstständig. Hingegen blieb es in den meisten Staaten bei der Bevorzugung väterlicher vor elterlicher Gewalt. Auch das Scheidungsrecht war noch restriktiv mit für beide Partner gleichen, aber begrenzten Scheidungsgründen. Abgesehen von dem Stimmrecht in wenigen Einzelstaaten,224 gab es auch partielle Wahlrechte (limited suffrage) auf kommunaler Ebene oder in der Schul- und Steuerverwaltung.225 Das all­ gemeine Wahlrecht auf Bundesebene haben die US-Amerikanerinnen durch den 19. Zusatz zur Verfassung 1920 erworben. Bald wurde klar, dass damit noch nicht alle Hürden gegen die Diskriminierung von Frauen im Privatrecht und auf dem Arbeitsmarkt genommen waren. Doch der bereits 1923 von Al­ ice Paul mit der National Woman’s Party begonnene und bis 1982 wiederholte Versuch, mit einem Equal Rights Amendment die Gleichberechtigung der Frau in allen Bereichen auch im Privatrecht in der amerikanischen Verfassung zu verankern, ist immer wieder gescheitert und inzwischen in eine allgemeine Antidiskriminierungsgesetzgebung überführt worden, die die verschiedenen Dimensionen sozialer Ungleichheit oder „Achsen der Differenz“,226 insbeson­ dere auch die Benachteiligung wegen Rasse umfasst.

224 Vgl. Daley und Nolan, Suffrage and Beyond, 349. 225 International Council of Women, Women’s Position in the Laws of the Nations (Karlsruhe: Braun, 1912), 10. 226 Vgl. Gudrun-Axeli Knapp und Angelika Wetterer, Hg., Achsen der Differenz: Gesellschaftstheorie und feministische Kritik II (Forum Frauenforschung 16; Münster: Westfälisches Dampfboot, 2003).

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Die englische Frauenbewegung

Auch in der Historiographie zur englischen Frauenbewegung ist man sich nicht einig darüber, wie groß der Anteil der Bewegung an den überaus lang­ samen Fortschritten zur Verbesserung der Rechtslage von Frauen tatsächlich war.227 Der die englische Gesetzgebung kennzeichnende Gradualismus,228 der sich von radikaler Reform durch eine kontinuierliche und nur schrittweise Entwicklung demokratisch parlamentarischer Institutionen in England ab­ grenzt, wurde nicht zuletzt dadurch verstärkt, dass das Common Law mit seinen Fall-Entscheidungen, die jeweils aufgrund individueller Unrechtser­ fahrungen und Interventionen zustande kommen, nicht so offensichtlich kol­ lektive Angriffsflächen bot. Hinzu kommt, dass es keine systematische oder zusammenfassende Kodifikation etwa zum Familienrecht gab und dass Ge­ setzesentwürfe bis zum Ende des 19. Jh. oft durch einzelne Mitglieder des Parlaments und nicht durch die Regierung eingebracht wurden. Diese Ent­ würfe wurden von einzelnen Petenten oder Lobbygruppen initiiert und getra­ gen, jedoch war nicht sicher, ob sie in diesem Verfahren (Private Memberʼs Bill) die notwendige Mehrheit erreichen konnten. Das schloss nicht aus, dass besonders krasse und als ungerecht empfundene Gerichtsurteile für die Rechtsfortbildung durchaus eine Rolle spielten. In diesem Kontext wird im­ mer wieder der Rechtsstreit der Schriftstellerin Caroline Norton angeführt, deren Ehemann ihr nach einer Trennung aufgrund der allein väterlichen Ge­ walt jeglichen Kontakt zu ihren Kindern und erst recht die Personensorge für diese untersagt hatte. Sie verstand es jedoch, in ihren Schriften, offenen Briefen und Pamphleten die Öffentlichkeit über die skandalöse Rechtlosigkeit der Ehefrau und Mutter zu informieren und zu mobilisieren. Der erste Infant Custody Act von 1839, der Müttern das Sorgerecht für Kinder zumindest bis zum 7. Lebensjahr zusprach, sowie die Verbesserung der Mutterrechte im Falle der seit 1857 möglichen Scheidung werden u. a. auf ihren Einfluss zu­ rückgeführt.229 Die britische Frauenbewegung organisierte sich ebenfalls in den 1850er bis 1860er Jahren und zwar in der Form von Komitees und Frauenclubs. Sie war anders als die amerikanische weniger aus der Auseinandersetzung mit 227 Vgl. Probert, „Family Law Reform“, 170–193; 178; Bolt, The Women’s Movements, 95; vgl. auch zum Folgenden Jane Rendall, „Recovering Lost Political Cultures: British Feminisms, 1860–1890“, in Womens’s Emancipation Movements in the 19th Century: A European Perspective (hg. v. Sylvia Paletschek und Bianka PietrowEnnker; Stanford: Stanford University Press, 2004), 33–52; Olive Banks, Faces of Feminism, 28–47. 228 Bryan S. Turner, „Outline of a Theory of Citizenship“, in Dimensions of Radical Democracy: Pluralism, Citizenship, Community (hg. v. Chantal Mouffe; London: Verso, 1992), 33–62; 53. 229 Bolt, The Women’s Movements, 103; Probert, „Family Law Reform“, 179–183.

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der Rassenfrage entstanden als durch Klassenschranken bestimmt. Es wa­ ren Frauen der Mittelklasse, die vorwiegend in London ihre Netzwerke um einzelne Kampagnen knüpften. Im Zentrum eines solchen Netzwerks stand lange der Kreis um Barbara Leigh Smith und Bessie Rayner Parkes, die als „the Ladies of the Langham Place“ neben vielfältigen Aktivitäten zur Ver­ besserung der Frauenbildung und Erwerbsmöglichkeiten zunächst Petitionen für die Reform des ehelichen Güterrechts (married women’s property) auf den Weg brachten. Sie führten Kampagnen an mehreren Fronten, und doch waren sie nicht in Vereinen organisiert, sie hatten keine Führerin. Ihre Mittel der Propaganda waren das gesprochene und geschriebene Wort, öffentliche Auftritte galten als „unladylike“.230 Bessie Rayner Parkes, Dichterin und Essayistin, die 1856 ein kritisches Buch zur Mädchenerziehung veröffentlicht hatte, gründete 1858 zusammen mit Barbara Bodichon die Zeitschrift English Woman’s Journal, die schnell ein Forum für Frauenfragen wurde. Barbara Leigh Smith hatte 1857 ein Pam­ phlet unter dem Titel Women and Work veröffentlicht, das die unwürdige Rechtsstellung der Frau thematisierte und von der Vereinigung für Rechts­ reform (Law Amendment Society) aufgegriffen wurde. Überhaupt war es ty­ pisch für die englische Frauenbewegung, dass sie von Anbeginn prominente männliche Unterstützer fand. Seit Mitte der 1860er Jahre engagierte sich der Langham-Kreis, dem sich als Lobbyistin für Frauenbildung und Frauenstudi­ um inzwischen Emily Davies zugesellt hatte, für das Frauenstimmrecht. Sie überredeten John Stuart Mill,231 der nach dem Tod seiner Frau Harriet Taylor Mill von 1865 bis 1868 Abgeordneter der liberalen Partei (der Whigs) im eng­ lischen Parlament war, anlässlich der Wahlrechtsreform von 1867 einen An­ trag einzubringen, der Frauen das Wahlrecht nach den gleichen Kriterien wie Männern gewähren sollte. Dabei ist zu bedenken, dass in Großbritannien bis 1918 ein Zensuswahlrecht galt, d. h. vor der Reform von 1867 waren nur etwa 20 % der männlichen Steuerzahler wahlberechtigt, und auch nach mehreren Erweiterungen hatten bis 1918 lediglich 60 % der erwachsenen Männer ein Stimmrecht für das Parlament.232 Der Antrag scheiterte, doch hatte überra­ schenderweise ein Drittel der Abgeordneten dem Antrag zugestimmt. 230 Bolt, The Women’s Movements, 85, auch zum Folgenden; vgl. Banks, Faces of Feminism, 28–47. 231 Seinen Welt-Bestseller The Subjection of Women (London: Longmans, Green, Read­ er & Dyer, 1869) hatte Mill zu dieser Zeit noch nicht veröffentlicht, nach eigenem Bekunden hat er das Buch zusammen mit Harriet Taylor verfasst, vgl. hierzu Ulrike Ackermann, „Einleitung“, in John Stuart Mill, Ausgewählte Werke (hg. v. ders. und Hans Jörg Schmidt; 5 Bde; Hamburg: Murmann, 2012), 1:23–38. 232 Jane Rendall, „Citizenship, Culture and Civilisation: The Languages of British Suf­ fragists, 1866–1874“, in Suffrage and Beyond: International Feminist Perspectives (hg. v. Caroline Daley und Melanie Nolan; New York: New York University Press, 1994), 127–150; 129.

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Nach wiederholten Niederlagen der Wahlrechtsinitiativen in den Jahren 1868 und 1869 aber nahm die Frauenbewegung in England Fahrt auf.233 Mit vielfältigen landesweiten Kampagnen, starken Gruppierungen (z. B. in Man­ chester um Lydia Becker und der 1867 von ihr gegründeten National Society for Women’s Suffrage und der Zeitschrift Women’s Suffrage Journal) gelang es 1870, einen Married Women’s Property Act zu verabschieden. Danach soll­ ten zumindest der eigene Erwerb und bestimmte Güter wie Erbschaften oder Ersparnisse Eigentum auch der verheirateten Frau bleiben. Erst die weitere Reform durch das Gesetz von 1882 aber sicherte rechtlich das Prinzip der Gütertrennung. Auch wenn beide Gesetze zunächst vorrangig der Sicherung des Familienbesitzes dienten,234 da die Ehefrau, nach wie vor unter ehelicher coverture, kein Verfügungsrecht über ihr Eigentum besaß, so waren sie doch ein bedeutender Schritt. Die Gerichte waren noch Jahrzehnte danach damit beschäftigt, in der Eigentumsfrage zwischen Eheleuten zu vermitteln und vertragliche Vereinbarungen auszuloten. Ohne die Ehefrau persönlich gleich­ zustellen, führte die theoretische Eigentumsfähigkeit im Sinne der Theorie des Besitzindividualismus in der zunehmend industriekapitalistischen Ge­ sellschaft zumindest für die besitzenden Frauen zu günstigeren Ausgangsbe­ dingungen, da nach liberaler Theorie individuelle Freiheit an die Fähigkeit, über Eigentum zu verfügen, gebunden war.235 Interessant sind einige Details: 1869 war den Frauen in England und Wales ein Gemeindewahlrecht zugestanden worden, zunächst nur den Unverheira­ teten, im Laufe der nächsten Jahre waren jedoch schrittweise alle Frauen zu verschiedenen Ämtern (in der Armen- oder Schulverwaltung) auf kommuna­ ler Ebene zugelassen worden.236 Schließlich ist der Kampf gegen die staatlich reglementierte Prostitution zu erwähnen, der von Josephine Butler, unter­ stützt von prominenten Frauen wie Florence Nightingale und Harriet Marti­ neau, aus Anlass der Gesetze zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten (Contagious Diseases Acts) 1869 initiiert und weltweit organisiert wurde. Bereits 1875 führten ihre Kampagnen gegen die ‚weiße Sklaverei‘ und Frau­ enhandel zur Gründung einer Internationalen Abolitionistischen Föderation, in der sich in vielen europäischen Ländern und in Übersee Zweigvereine bil­ deten. Als Sittlichkeitsbewegung (moral reform movement) traten ihre Vertre­ terinnen in „zivilisierender Mission“ für eine Sexualmoral ein, die oft auf der Grenze zwischen Recht und Zwang oder Freiheit und Disziplinierung agier­ 233 Bolt, The Women’s Movements, 126–143; Banks, Faces of Feminism, 120f. 234 Cornish, „England“, 2217–2279. 235 Crawford B. Macpherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus: Von Hobbes bis Locke (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1973 [urspr. 1962]). Vgl. auch Ursula Vogel, „Gleichheit und Herrschaft in der ehelichen Vertragsgemeinschaft – Wider­ sprüche der Aufklärung“, in Frauen in der Geschichte des Rechts: Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart (hg. v. Ute Gerhard; München: Beck, 1997), 265–292; 291. 236 Rendall, „Recovering“, 34.

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te.237 Auffällig ist hingegen, dass die andere, die eher dunkle Seite des Ehe­ rechts, nämlich Nichtehelichkeit bzw. die Rechte der nichtehelichen Kinder (bastards), abgesehen von Unterhaltsfragen in der Bewegungsöffentlichkeit des Viktorianischen Feminismus238 kaum diskutiert wurden.239 Voller Ungeduld über die nur stückweisen und widerwilligen Konzessi­ onen an den sozialen Wandel im Privatrecht haben die britischen Feminis­ tinnen – wie auch die US-Amerikanerinnen – zum Ende des Jahrhunderts den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten auf den Kampf ums Stimmrecht gelegt. Dazu schlossen sich 1897 die verschiedenen, zunehmend auch parteipoliti­ schen Gruppierungen, neben liberalen nun auch der Arbeiterbewegung na­ hestehende Stimmrechtsvereine zur National Union of Women’s Suffrage Societies (NUWSS) zusammen, in der so prominente Vertreterinnen der Frauenbewegung wie Emily Davies, Frances Power Cobbe, Josephine Butler und Millicent Garret Fawcett (ab 1907 langjährige Präsidentin) zusammen­ wirkten. Doch seit 1903 erwuchs den Moderaten, den später zur Abgrenzung so genannten Suffragistinnen, mit der von Emmeline Pankhurst und ihrer Tochter Christabel gegründeten Women’s Social and Political Union (WSPU) eine in der Sache und Taktik radikale Konkurrenz: die Suffragetten.240 De­ ren phantasievolle Propaganda, die zunächst friedlichen Aktionen und Mas­ senproteste in bis dahin nicht gekannter Zahl sowie die vielfältigen Formen zivilen Ungehorsams (z. B. die Weigerung Steuern zu zahlen oder ein Boy­ kott der Volkszählungen) eskalierten erst angesichts der Unerbittlichkeit des englischen Parlaments und der Unverhältnismäßigkeit der Polizeieinsätze und Verhaftungen zu Gewalt und militantem Widerstand. Den Rechtsbruch und ihre zunehmende Militanz begründeten die Suffragetten mit der Tatsache, dass Frauen, solange sie kein Stimmrecht haben, außerhalb der ihnen nur von Männern auferlegten Rechtsordnung stünden („they were ‚outlaws‘“).241 237 Zu den Moralisierungskampagnen vgl. Mary P. Ryan, „Mief und Stärke: Ein frühes Lehrstück über die Ambivalenzen weiblicher Moralisierungskampagnen“, in Listen der Ohnmacht: Zur Sozialgeschichte weiblicher Widerstandsformen (hg. v. Claudia Honegger und Bettina Heintz; Frankfurt a. M.: Europäische Verlagsanstalt, 1981), 393–415. 238 Barbara Caine, Victorian Feminists (Oxford: Oxford University Press, 1992). 239 Vgl. Nora Bertram, „Reformforderungen englischer Frauen zum Bastard Law im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert“, in Reformforderungen zum Familienrecht 1: Westeuropa und die USA (1830–1914) (hg. v. Stephan Meder und Christoph-Eric ­Mecke; Köln: Böhlau, 2015), 461–480. 240 Vgl. hierzu Daley und Nolan, Hg., Suffrage and Beyond; Maroula Joannou und June Purvis, Hg., The Women’s Suffrage Movement: New Feminist Perspectives (Manchester: Manchester University Press, 1998); Käthe Schirmacher, Die Suffragettes (Berlin: Frauen-Clit Verlag, 1976 [zuerst Weimar: A. Duncker, 1912]). 241 Claire Eustance, „Meanings of Militancy: the Ideas and Practice of Political Re­ sistance in the Women’s Freedom League, 1907–14“, in The Women’s Suffrage Movement: New Feminist Perspectives (hg. v. Maroula Joannou und June Purvis; Manchester: Manchester University Press, 1998), 51–64; 52; Ute Gerhard, „Im

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Auf diese Weise – mit radikaler Konsequenz und persönlichem Mut – haben die Suffragetten schließlich das Frauenwahlrecht weltweit auf die politische Agenda gebracht. Die Presse, insbesondere die vor 1914 in der Blütezeit der historischen Frauenbewegungen expandierende Frauenpresse, berichtete über die Taktik und Kampfesweise der Suffragetten als Spektakel oder Skandal oder mit anteilnehmender Empörung. Ob sie angemessen oder kontraproduk­ tiv war, darüber schieden sich von da an die Geister. Auch für diejenigen, die sonst wenig von der Geschichte um die Rechtskämpfe der Frauen wissen, ist die Bezeichnung „Suffragette“ weltweit zum Inbegriff Aufsehen erregender und aufmüpfiger Frauenrechtelei geworden. Das 1918 in Großbritannien eingeführte ‚allgemeine‘ Wahlrecht für Män­ ner kam zunächst nur für die über 30-jährigen Hausfrauen und für Univer­ sitätsabsolventinnen in Betracht, erst ab 1928 kamen alle mündigen Frauen in seinen Genuss. Die Gleichberechtigung der Frau in der Ehe wurde erst in mehreren Gesetzgebungsschritten im 20. Jh. erreicht (etwa über die soge­ nannte Marriage Bill von 1937, die die Eheleute wenigstens im Hinblick auf die Scheidungsgründe gleichstellte), bis zu den grundlegenden Reformen seit dem Ende der 1960er Jahre.242

5.4

Die Frauenbewegung in Deutschland

Die Zielsetzungen der seit 1865 im Allgemeinen Deutschen Frauenverein (ADF) organisierten, vorwiegend bürgerlichen Frauen konzentrierten sich wegen des politischen Vereinsverbots zunächst auf Mädchen- und Frauenbil­ dung und „das Recht der Frauen auf Erwerb“243 sowie auf den Ausbau sozialer Hilfstätigkeiten hin zu professioneller Sozialarbeit. Doch als drei Jahre nach der Reichsgründung von 1871 die Kodifikationsarbeiten zu einem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) für ganz Deutschland begannen – angesichts der Zer­ splitterung der Rechtsverhältnisse mit allein etwa 100 verschiedenen Formen des ehelichen Güterrechts eine nationale Mammutaufgabe244 –, wurde den Schnittpunkt von Recht und Gewalt – zeitgenössische Diskurse über die Taktik der Suffragetten“, in Faltenwürfe der Geschichte: entdecken, entziffern, erzählen (hg. v. Sandra Maß und Xenia von Tippelskirch; Frankfurt a. M.: Campus, 2014), 416–430. 242 Zur weiteren Entwicklung vgl. im Einzelnen Kathleen Kiernan, Hilary Land und Jane Lewis, Lone Motherhood in Twentieth-Century Britain: From Footnote to Front Page (Oxford: Oxford University Press, 1998), 60–123; Jane Lewis, The End of Marriage? Individualism and Intimate Relations (Cheltenham: Elgar, 2001), 113–119. 243 Vgl. Louise Otto, Das Recht der Frauen auf Erwerb: Blicke auf das Frauenleben der Gegenwart (Hamburg: Hoffmann & Campe, 1866). Auch zum Folgenden Ger­ hard, Unerhört. 244 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 468–483; das gleiche gilt nach der Einigung Italiens für die Kodifikation des italienischen Codice civile von 1865, vgl. Boukrif, Der Schritt über den Rubikon, 26–30.

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im ADF vereinigten Aktivistinnen klar, dass sie ihre wiederholt verhandel­ ten Unrechtserfahrungen dokumentieren und öffentlich zur Sprache bringen mussten. Am meisten empörte sie die Rechtlosigkeit der Mütter, die sowohl in Erziehungsfragen als auch im Fall der Scheidung entrechtet waren. „Das Gesetz kennt keine Mutterrechte; von Männern für Männer gemacht, kennt es nur den Vater“, lautete das Fazit eines Berichts auf dem ‚Frauentag‘, der Generalversammlung des ADF 1876 in Frankfurt am Main, der den entschei­ denden Anstoß zur Mobilisierung in der Frauenrechtsfrage gab.245 Um eine Petition an den Reichstag vorzubereiten, rief Louise Otto-Peters ihre Mit­ schwestern auf, ihre Erfahrungen „mit den gesetzlichen Folgen, […] die ihr Schritt in die Ehe nach sich zieht,“ oder mit den Gesetzen ihres jeweiligen Wohnortes unter Zuhilfenahme von Juristen mitzuteilen, „da gerade in den Beziehungen auf die Stellung der Frauen im Ehe- und Vormundschaftsrecht fast in jedem deutschen Staate andere Gesetze herrschen.“ Die hier zitier­ te, 1876 herausgegebene Denkschrift Einige deutsche Gesetz-Paragraphen ist daher eine noch unsystematische Sammlung der Unrechtstatbestände im Eherecht, zu der Louise Otto im Vorwort schrieb: „Das Material weiblichen Martyriums reichte aus, um Bände damit zu füllen.“246 Doch erst in den 1890er Jahren, als die zweite und dritte Lesung des Ent­ wurfs zum BGB bevorstand und sich mit der Liberalisierung der politischen Verhältnisse viele neue Initiativen auf dem linken wie bürgerlichen Spektrum der Zivilgesellschaft gebildet hatten, nahm die Frauenbewegung in allen ihren Richtungen den Kampf um Frauenrechte wieder auf. Der ADF beauftragte die Schweizer Juristin Emilie Kempin mit der Überarbeitung der 1876 herausge­ gebenen Schrift, die nun als Grundlage für weitere Massenpetitionen diente, „um den Gesetzgebern des Deutschen Reiches die Wünsche und Bedürfnisse der Frauen eindringlich zu Gehör zu bringen.“247 1894 hatten sich die libe­ ralen und gemeinnützigen Frauenvereine auf Anregung des Internationalen Frauenbundes (ICW) zum nationalen Bund deutscher Frauenvereine (BDF) zusammengeschlossen, dabei waren die Sozialistinnen jedoch mit Rücksicht auf das noch bis 1908 gültige Vereinsgesetz und das Verbot politischer Betä­ tigung nicht zum Beitritt aufgefordert worden. Für die unter der Führung von Clara Zetkin erstarkende proletarische Frauenbewegung war dies ein Anlass, 245 Charlotte Pape, „Die Rechte der Mutter über ihre Kinder“, Neue Bahnen 11/2 (1876): 9–12, 9f., vgl. hierzu Susanne Schötz, „‚Einige Deutsche Gesetzes-Paragraphen‘: Louise Otto-Peters und das Engagement des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins für Frauenrechte“, in Menschenrechte sind auch Frauenrechte (hg. v. Ilse Nagel­ schmidt et al.; Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2002), 53–78. 246 Louise Otto-Peters, Einige deutsche Gesetz-Paragraphen über die Stellung der Frau (Leipzig: Allgemeiner Deutscher Frauenverein, 1876), 4. 247 Emilie Kempin, Die Stellung der Frau nach den zur Zeit gültigen Gesetzes-Bestimmungen sowie nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (hg. im Auftrag des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins; Leipzig: Schaefer, 1892), Einleitung, l.

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von da an eine Politik der „reinlichen Scheidung“ zu betreiben und „Seite an Seite mit den Genossen“ gegen die Frauen der herrschenden Klasse zu kämp­ fen.248 Allerdings drängte Zetkin die sozialdemokratischen Parteigenossen im Reichstag auch, „rückhaltlos für die volle Gleichstellung der Geschlechter einzutreten.“249 Hier hatte August Bebel mit seinem einflussreichen Werk Die Frau und der Sozialismus (1879)250 bereits das Terrain vorbereitet und war als Parteiführer und beredter Reichstagsabgeordneter wiederholt für die Gleich­ stellung der Frauen eingetreten. 1891 auf dem Erfurter Parteitag hatte die SPD das Frauenwahlrecht in das Parteiprogramm aufgenommen – ein Grund mehr, warum es den konservativen und liberalen Parteien und auch ihren weiblichen Sympathisanten suspekt, zumindest inopportun vorkam, dafür einzutreten. So hat sich die Austragung des Klassenkonflikts zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung für die Frauensache als nicht zielführend er­ wiesen. Umso bemerkenswerter ist, dass sich Sozialistinnen und Bürgerliche im Kampf um die zivilen Rechte der Frau und gegen das BGB ausnahmsweise einig waren. So kam es zu Massenkundgebungen, Protestversammlungen, Unterschriftensammlungen und Petitionen sowie einer Flut von Propagandaund Informationsschriften, auch von männlichen Befürwortern, wie es vorher undenkbar schien. Als treibende Kraft der Agitation erwiesen sich insbesondere die von Mit­ gliedern des ADF eingerichteten Rechtsschutzstellen.251 Die erste wurde 1894 unter der Ägide von Marie Stritt von den Rechtsschutzverein in Dresden ge­ gründet, dem bald viele andere folgten (bis 1918 über 100 Vereine). Es war ein Klassen übergreifendes Projekt von Frauen für Frauen, in denen zumeist bürgerliche Frauen zunächst in ihren Privatwohnungen unentgeltlich Rechts­ auskunft und Rechtsbeistand anboten und zugleich in der Konfrontation mit den Rechtsproblemen von Frauen aller Schichten und Stände Solidarität üben konnten. Da zu jener Zeit Frauen in Deutschland noch nicht studieren durften (die offizielle Zulassung an den deutschen Universitäten erfolgte erst zwi­ schen 1900 und 1908), waren die Frauenrechtlerinnen also juristische Laien, die ihre Rechtskenntnisse im Selbststudium erwarben und in schwierigen Fällen solidarische Rechtsanwälte hinzuzogen. In detaillierter Rechtskritik gerade auch am Familien- und Zivilrechtrecht erwarben die Beteiligten nicht 248 Clara Zetkin, „Reinliche Scheidung“, Die Gleichheit 4/8 (1894): 63; 4/13 (1894): 102f.; vgl. auch Gerhard, Unerhört, 178–195. 249 Clara Zetkin, „Nur mit der proletarischen Frau wird der Sozialismus siegen!“, in dies., Ausgewählte Reden und Schriften (3 Bde; Berlin: Dietz, 1957), 1:95–111; 102. 250 August Bebel, Die Frau und der Sozialismus (Zürich: Volksbuchhandlung, 1879). Mit seinen 50 Auflagen allein bis 1910 war das Buch eines der wichtigsten Agitati­ onsschriften der Sozialdemokratie, es wurde bis 1913 in 20 Sprachen übersetzt. 251 Beatrix Geisel, Klasse, Geschlecht und Recht: Vergleichende sozialhistorische Untersuchung der Rechtsberatungspraxis von Frauen- und Arbeiterbewegung (1894– 1933) (Schriften zur Gleichstellung der Frau 16; Baden-Baden: Nomos, 1997).

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nur ein Expertenwissen, sondern entwickelten auch ein neues Unrechtsbe­ wusstsein. Die bis dahin vorwiegend theoretisch und abstrakt behandelte Rechtsfrage wur­ de ihnen zum ersten Mal in bestimmten konkreten Forderungen nahegerückt und wurde zu einer Frage von eminenter aktueller Bedeutung,252

resümierte Marie Stritt. Die damalige Vorsitzende des BDF (bis 1910) bildete eine Brücke zu dem sich in Rechtsfragen zunehmend stärker profilierenden ‚linken Flügel‘ der bürgerlichen Frauenbewegung, den sogenannten Radika­ len.253 Zu ihnen gehörten Minna Cauer, Anita Augspurg, Lida Gustava Hey­ mann und auch Helene Stöcker, die sich seit dem Ende des 19. Jh. internatio­ nal sowohl im Kampf gegen die staatlich reglementierte Prostitution und für eine „neue Ethik“ in den sexuellen Beziehungen der Geschlechter als auch für politische Rechte und das Frauenstimmrecht engagierten.254 Augspurg, die als erste deutsche Juristin in Zürich studiert hatte, und Heymann gründeten 1902 den ersten deutschen Stimmrechtsverein und waren wesentlich an der Gründung der International Woman Suffrage Alliance (IWSA, ab 1926 IAW) 1904 in Berlin beteiligt. In diesem Weltbund für Frauenstimmrecht drängten die radikalen Demokratinnen auf internationaler Ebene auf eine entschiede­ nere Rechtspolitik als der International Council of Women (ICW), der 1888 in den USA gegründet, sich in seiner Satzung aber zu politischer Neutralität und Nichteinmischung verpflichtet hatte.255 Tatsächlich hatte der abschätzig als „Frauenlandsturm“ bezeichnete Frau­ enprotest gegen die familienrechtlichen Bestimmungen des BGB bis auf geringfügige Verbesserungen keinen Erfolg. Das Entscheidungsrecht des Ehemannes „in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden An­ gelegenheiten“ (§ 1354 BGB) blieb erhalten. Zwar hieß die väterliche Gewalt jetzt elterliche Gewalt, dennoch behielt der Vater in allen strittigen Fragen ein Letztentscheidungsrecht (§§ 1626f. BGB). Den Arbeitsvertrag einer Ehefrau konnte der Ehemann kündigen, jedoch konnte die Frau bei missbräuchlicher Ausübung dieses Rechts ein Gericht zu ihren Gunsten anrufen (§ 1358 BGB). 252 Marie Stritt, Das bürgerliche Gesetzbuch und die Frauenfrage: Vortrag, gehalten auf der Generalversammlung des Bundes deutscher Frauenvereine in Hamburg im Oktober 1898 (Frankenberg/Sachsen: Reisel, 1898), 4. 253 Vgl. grundlegend Anne-Laure Briatte, Bevormundete Staatsbürgerinnen: Die „radikale“ Frauenbewegung im Deutschen Kaiserreich (Geschichte und Geschlechter 72; Frankfurt a. M.: Campus, 2020). 254 Vgl. Gerhard, Unerhört, 216–225; Susanne Kinnebrock, Anita Augspurg (1857– 1943): Feministin und Pazifistin zwischen Journalismus und Politik: eine kommunikationshistorische Biographie (Frauen in Geschichte und Gesellschaft 39; Herbolz­ heim: Centaurus, 2005). 255 Vgl. Leila J. Rupp, Worlds of Women: The Making of an International Women’s Movement (Lawrenceville: Princeton University Press, 1998), 15–18.

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Immerhin waren der Lohn und das durch einen selbständigen Betrieb Erwor­ bene jetzt das der Frau vorbehaltene Eigentum (§ 1367 BGB) – das hatte die stärker gewordene SPD durchsetzen können. Das Verwaltungs- und Nutz­ nießungsrecht des Ehemannes am gemeinschaftlichen Vermögen blieb erhal­ ten, aber auch die Möglichkeit der Frau, einen Teil ihres Vermögens durch Ehevertrag ihrer eigenen Verfügung vorzubehalten (§§ 1363ff. BGB). Als „schreiende Ungerechtigkeit“ aber geißelte die Frauenbewegung die prekäre Rechtsstellung der unehelichen Mutter und ihrer Kinder. Hier übernahm der Gesetzgeber die Verschärfungen des ALR um 1850 und näherte sich damit dem französischen Code civil an, anstatt anderen wohlwollenderen Rechts­ traditionen im Gemeinen oder Sächsischen Recht zu folgen. Die Mutter hat­ te für das Kind zu sorgen, jedoch keine elterliche Gewalt, dazu bedurfte es eines von Amts wegen bestellten Vormundes. Jedenfalls war der Vater zum Unterhalt des Kindes verpflichtet (§§ 1705ff. BGB), er konnte sich jedoch mit der Einrede des Mehrverkehrs seinen Verpflichtungen entziehen. Weil sich die Unterhaltsansprüche gegen die nicht verheirateten Väter erfahrungsge­ mäß bis heute schwer durchsetzen lassen, forderte die Frauenbewegung einen allgemeinen staatlichen Mutterschutz bzw. eine umfassende Mutterschafts­ versicherung. Im Scheidungsrecht unter für beide Seiten gleichen Vorausset­ zungen war der schuldige Teil zum standesgemäßen Unterhalt verpflichtet (§§ 1564ff. BGB). Alles in allem war das knapp 100 Jahre nach dem französischen Code in Kraft getretene deutsche BGB nur eine leicht modernisierte Fassung patriar­ chal bürgerlichen Rechts. Das allgemeine und gleiche Wahlrecht haben die deutschen Frauen 1918, nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg und dem Ende des Kaiserreichs – „als Eingeständnis des Zusammenbruchs der bishe­ rigen männlichen Politik“,256 wie die Feministinnen meinten – erhalten. Doch es nützte wenig, solange sie privat an die Vorherrschaft der Männer gebunden blieben. Es bedurfte großer Anstrengungen, um all die Bestimmungen, die die Frauen damals schon als „unwürdig, unzeitgemäß und kulturhemmend“ kritisiert hatten,257 nach 1949, nach der Verankerung der Gleichberechtigung in Art. 3 Abs. II des Bonner Grundgesetzes, in mehreren mühsamen Reform­ schritten (1957–1977) zu berichtigen.

5.5

Die schwedische Frauenbewegung

Die schwedische Frauenbewegung organisierte sich mit der Gründung des Fredrika-Bremer-Vereins (Fredrika Bremer Förbundet, FBF) 1884 und knüpfte damit an die 1848er Revolution bzw. die Erfahrungen der literari­ 256 Helene Stöcker, „Die Frauen und die Parteien“, Die Frau im Staat 1 (1919): 5–7; 6. 257 BDF-Aufruf, Die Frauenbewegung 12 (1896): 114f.

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schen Berichterstatterin Fredrika Bremer an, die Teilnehmerin der ‚Erklärung von Seneca Falls‘ gewesen war.258 Wie nachhaltig diese Traditionslinie war, zeigt sich darin, dass der Name ihrer Romanfigur Hertha (oder Geschichte einer Seele, 1856) ab 1914 auch zum Titel der Vereinszeitschrift des FBF wurde. Eine der Initiatorinnen des Vereins war Sophie Adlersparre, die schon 1859 eine Zeitschrift für das Heim (Tidskrift för hemmet) gegründet hatte, in der nicht nur praktische Frauenprobleme, wie der Titel vermuten lässt, sondern – auch in den in Folge von ihr herausgegebenen Zeitschriften (Dagny seit 1886; Hertha, 1914–1999!) – eine Vielfalt von Themen zu Erziehung und Bildung, Selbsthilfe und Frauenarbeit sowie zu detaillierten Fragen des Privatrechts verhandelt wurde. Wie in England und den USA war das eheliche Güterrecht eine der ersten Forderungen, weshalb 1873 eine Vereinigung für das Güterrecht ihre Arbeit aufnahm, die in den 1880er Jahren im FBF aufging.259 Doch daneben wurden kontinuierlich aktuelle Rechtsprobleme angesprochen und Rechtsforderungen formuliert zu Mündigkeits- und Heiratsalter, zum Schei­ dungsrecht und den Erziehungs- und Sorgerechten beider Eltern sowie zur Stärkung der Rechte lediger Mütter. Die in diesen Zeitschriften zum Aus­ druck kommende Position Adlersparres war insofern bemerkenswert, als hier bereits unter dem Motto einer „wahren Emanzipation“ die traditionellen Ge­ schlechterrollen in Frage gestellt, Fragen der Sexualmoral wie auch männ­ licher Herrschaft diskutiert und grundsätzlich Gleichberechtigung mit dem Mann gefordert wurde.260 Aus diesem Grund hatte Ellen Key,261 die 1874 als Autorin der Zeitschrift für das Heim begonnen hatte, zur Jahrhundertwende auf Vortragsreisen durch Europa und in ihrem Buch Missbrauchte Frauenkraft (1898) die schwedische Frauenbewegung scharf angegriffen.262 Key hielt die Wesensverschiedenheit zwischen Mann und Frau sowie die geschlechtsspezi­ fische Arbeitsteilung für unverzichtbar und gründete ihre Reformpädagogik auf die Unvereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf (sog. Maternalismus).263 Typisch für die schwedische Frauenbewegung und zweifellos ihr Erfolgs­ rezept aber war – dies bestätigen alle Expertinnen264 – ein pragmatischer An­ 258 Auch zum Folgenden Manns, „Gender and Feminism“, 152–164; Agnès Toulas, „Or­ ganisation und Handlungsformen der frühen Frauenrechtsbewegung in Schweden“, in Reformforderungen zum Familienrecht 1: Westeuropa und die USA (1830–1914) (hg. v. Stephan Meder und Christoph-Eric Mecke; Köln: Böhlau, 2015), 643–668. 259 1874 hatten Ehefrauen in Schweden das Verfügungsrecht über das ihnen durch Ehe­ vertrag und eigenen Erwerb vorbehaltene Vermögen erhalten. 260 Manns, „Gender and Feminism“, 154. 261 Sie ist die Bestsellerautorin des in viele Sprachen übersetzten Buches Ellen Key, Das Jahrhundert des Kindes (Berlin: Fischer, 1902). 262 Ellen Key, Missbrauchte Frauenkraft: Ein Essay (München: Langen 1898). 263 Manns, „Gender and Feminism“, 160; vgl. Gerhard et al., Klassikerinnen, 1:245– 262. 264 Manns, „Gender and Feminism“, 158; vgl. Christina Carlsson Wetterberg, „Equal or Different? That’s not the Question: Women’s Political Strategies in a Historical

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103

satz. Das hieß zum einen: Die Kooperation mit Männern wurde als unent­ behrlich angesehen, denn die Mitgliedschaft von führenden Persönlichkeiten sogar im Vorstand des FBF hatte zweifellos Vorteile.265 Die Vertreterinnen der Frauenbewegung wurden auf diese Weise früh in juristisches Fachwissen und die Kommissionen zur Gesetzes- und Sozialreform um die Jahrhundert­ wende eingebunden. Zum anderen scheuten es die liberalen und gemeinnützi­ gen Frauenvereine wie der FBF nicht, mit den sozialdemokratischen Frauen, die sich ebenfalls seit den 1890er Jahren zu sogenannten Komitees der sozial­ demokratischen Partei formiert hatten, zusammenzuarbeiten, wenn es strate­ gisch sinnvoll war. So geschah es bei der Gründung des ersten schwedischen Frauenstimmrechtsvereins (Landsföreningen för kvinnans politiska rösträtt, LKPR) im Jahr 1904, in dem sich eine Gruppe von Feministinnen aller Rich­ tungen zusammenfand. Das bedeutete nicht, dass es keine Schwierigkeiten und große Widerstände gab, insbesondere auf der Seite der Konservativen. Die Auseinandersetzungen führten sogar dazu, dass sich nun auch der FBF ideologisch Theorien zur Geschlechterdifferenz annäherte. Entscheidend bleibt, dass es den Frauen in Skandinavien fast gleichzeitig gelang, sowohl im Privaten als auch als Staatsbürgerin gleiche Rechte und Anerkennung zu erlangen. Zu Hilfe kam ihnen dabei die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Gesetzgebung in den nordischen Ländern, die vom Austausch der jeweiligen Frauenbewegungen begleitet wurde.266 Nach Finnland 1906, Norwegen 1913, Dänemark 1915 erhielten die Schwedinnen 1920 das allgemeine und gleiche Wahlrecht, nachdem bereits 1915 ein Ehegesetz in Kraft getreten war, das Gleichberechtigung in der Ehe einführte und beiden Ehepartnern gleiche Rechte in der Ausübung elterli­ cher Gewalt bzw. Sorge übertrug. Zudem wurde die Scheidung liberalisiert und das Schuldprinzip durch ein Zerrüttungsprinzip ersetzt. 1917 wurde die Verbesserung der Rechtsstellung nicht verheirateter Mütter und ihrer Kinder Gesetz, ohne jedoch eine völlige Gleichstellung der nichtehelichen Kinder zu erreichen. 1920 wurden die vermögensrechtlichen Wirkungen der Ehe festge­ legt, die als ausgleichspflichtige Gütergemeinschaft zu Beginn und Ende der Ehe mit Gütertrennung während der Ehe zu kennzeichnen ist.267 Perspective“, in Is There a Nordic Feminism? Nordic Feminist Thought on Culture and Society (hg. v. Drude von der Fehr, Anna G. Jónasdóttir und Bente Rosenbeck; London: UCL Press, 1998), 21–43. 265 Manns, „Gender and Feminism“, 154 und Anm. 9. 266 Zu Unterschieden und Gemeinsamkeiten der nordischen Frauenbewegungen vgl. Ida Blom, „Modernity and the Norwegian Women’s Movement from 1880–1914: Chang­ es and Continuities“, in Women’s Emancipation Movements: A European Perspective (hg. v. Sylvia Paletschek und Bianka Pietrow-Ennker; Stanford: Stanford University Press, 2004), 125–151. 267 Wetterberg, „Gender Equality“, 260–270; vgl. Kari Melby et al., „The Nordic Model of Marriage“, Womenʼs History Review 15/4 (2006): 651–661.

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Mehr als eine Frauengeneration früher als alle anderen europäischen und überseeischen Staaten haben die Nordischen Länder damit Frauen neben dem Stimmrecht die gleichen Rechte im Ehe- und Familienrecht gewährt – das galt zunächst auch für Frauen im nachrevolutionären Sowjetrussland, die im Zuge der Revolution 1917 das Wahlrecht und in mehreren Familiengesetzen zwischen 1918, 1920 und 1926 ein gleichberechtigtes und liberalisiertes Fa­ milien- und Scheidungsrecht erhielten. Doch diese Errungenschaften gingen, aufgerieben zwischen materieller Not und bolschewistischer Diktatur, spä­ testens mit dem Familiengesetzbuch von 1936 verloren.268 Die Vorreiterrolle Schwedens als Modell für einen frauenfreundlichen Wohlfahrtsstaat setzte notwendig demokratische und freiheitliche Bedingungen voraus.

6.

Zum Schluss

Der schon erwähnte International Council of Women (ICW) war 1888 in Washington D.C. mit dem Ziel gegründet worden, als Dachorganisation aller gemeinnützigen nationalen Frauenorganisationen in der Welt „die Einigkeit und das gegenseitige Verständnis zwischen allen Frauenverbänden der ver­ schiedenen Länder“ zu fördern und „für das allgemeine Wohl der Gemein­ schaft zu arbeiten“ – so die Satzung.269 Der Internationale Frauenbund hat 1912 eine beachtenswerte Dokumentation in drei Sprachen veröffentlicht, die im Kontext der Diskurse um Frauenrechte interessant ist. Sie enthält unter einem dreisprachigen Titel eine Zusammenstellung der am Beginn des 20. Jh. gültigen Bestimmungen zur „Stellung der Frau im Recht der Kulturstaaten“.270 Eigentlich widersprach das 1909 auf dem Weltkongress in Toronto in Auftrag gegebene Projekt der bis dahin vertretenen Politik der Neutralität des ICW, sich nicht in die Angelegenheiten anderer Staaten, also in Recht und Politik, einzumischen. Hinzu kam, dass sich der eher konservativ ausgerichtete ICW in der Stimmrechtsfrage so zurückhaltend verhalten hatte, dass die Frauen­ rechtlerinnen 1904 im Zusammenhang mit dem Weltkongress des ICW in Berlin eine andere internationale Organisation, den Weltbund für Frauenstimmrecht (International Women’s Suffrage Association, IWSA) ins Leben riefen, um entschiedener für die Rechte der Frauen einzutreten. Gleichviel, die 1909 veranlasste Dokumentation enthält von den 21 bis 1911 dem ICW an­ geschlossenen Nationalverbänden271 Berichte aus 17 Ländern, darunter fünf Einzelberichte der britischen Dominien in Australien und Neuseeland. An­ 268 Vgl. Wendy Goldman, Women, the State and Revolution: Soviet Family Policy and Social Life, 1917–1936 (Cambridge: Cambridge University Press, 1993). 269 Zit. n. International Council of Women, Women’s Position, 181. 270 Ebd. 271 So Rupp, Worlds of Women, 15–26; 16.

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hand eines vorgegebenen Fragenkatalogs zu den wichtigsten Rechtsproble­ men im Privatrecht, insbesondere dem Familienrecht, sowie zu öffentlichen Rechten in Kommune und Staat erstellt, sind die Berichte unterschiedlich in­ formativ oder brauchbar, da in den meisten Fällen lediglich die Rechtsnormen aufgezählt und aufgeschrieben wurden, ohne sie zu systematisieren oder zu kommentieren. Das fällt besonders auf bei Länderberichten aus dem Bereich des Common Law, das durch Einzelfallentscheidungen und unterschiedliche Gesetze in den Einzelstaaten, wie z. B. in den USA, geregelt wird.272 Die Rechtslage ist leichter zu überblicken, wenn das Zivilrecht kodifiziert ist wie im Falle Österreichs, für das Maria Spitzer eine Ausarbeitung des Bundes Österreichischer Frauenverbände vorlegte. Einen Überblick bietet auch der Beitrag zu Deutschland von Camilla Jellinek, die sich nach den erfolglosen Kämpfen gegen das seit 1900 geltende BGB auf die ausstehenden Forderun­ gen der deutschen Frauenbewegung insbesondere zum Familienrecht stützen konnte. Der französische Berichterstatter, einer der wenigen männlichen Au­ toren, bestätigte noch einmal, dass der Rechtskreis des französischen Code civil gegenüber den Frauenrechten bis ins 20. Jh. hinein den längsten und här­ testen Widerstand geleistet hat.273 Man erfährt einige Details über Länder, die in Überblicken meistens zu kurz kommen, z. B. über Bulgarien, Griechen­ land oder Ungarn. Insgesamt erweist sich auch hier das Privatrecht für NichtJurist*innen als schwierige Materie mit vielen Tücken und Einzelheiten. Ei­ nig waren sich die Akteurinnen, dass das Wahlrecht der Frauen ein Schlüssel zur Verbesserung der Rechtsstellung der Frauen wäre. Und doch lehrt uns inzwischen die Erfahrung, dass die unzureichende Vertretung von Frauen in den Parlamenten noch kein Garant dafür ist, dass Frauen in Familie, Gesell­ schaft und Staat gleiche Rechte haben. Unverzichtbar für die Veränderung der Verhältnisse und des Rechts sind daher immer wieder neue soziale Bewe­ gungen, politische Bündnisse, die Herstellung von Öffentlichkeiten und viel­ fältige Überzeugungskraft, nicht zuletzt aber auch die Kenntnis des Rechts sowie die Arbeit und Kritik an juristischen Detailfragen. Denn Rechte, auch die der Frauen, sind kein ‚Haben‘ oder Besitz, sondern müssen stets aufs Neue erworben, ausgehandelt und verteidigt werden.274 Der Auslöser für den Kampf der Frauenbewegungen um gleiche Rechte im ‚langen‘ 19. Jh. war die über die eigene Unrechtserfahrung hinausgehende Erkenntnis, dass Diskriminierung, Unterordnung und Enteignung nicht nur persönliches Missgeschick oder individuelles Schicksal sind, sondern dass die traditionelle Geschlechterordnung nicht mehr zumutbar, nicht ‚in Ord­ nung‘ war, weil sie sich mit den neuzeitlichen Prinzipien der Freiheit und Gleichheit der Menschen nicht mehr vereinbaren ließ. Die Verständigung 272 International Council of Women, Women’s Position, 9–18. 273 Ebd., 19–35.98.136–146. 274 Iris Marion Young, Justice and the Politics of Difference (Princeton: Princeton Uni­ versity Press, 1990), 25.

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über diese individuellen und doch ähnlichen Erfahrungen in persönlichen und transnationalen Netzwerken ermöglichte es, die Bevormundung und Gewalt im Geschlechterverhältnis als Un-Recht zu brandmarken und ihre Klagen und Forderungen in die Sprache des Rechts zu übersetzen. Recht hatte deshalb für sie eine doppelte Bedeutung: Einerseits erlebten Frauen es als ein Zwangs­ recht, als Machtmittel zur Durchsetzung vor allem männlicher Privilegien und Herrschaftsinteressen. Deren Erfüllungsgehilfen waren Recht und Po­ litik, insbesondere die Rechtswissenschaften und die Rechtsphilosophie, die die Verfassung der bürgerlichen Familie auf die Ungleichheit der Geschlech­ ter als Grundpfeiler der bürgerlichen Gesellschaft gründeten. Sie wiesen dem Konzept der Polarisierung der Geschlechterrollen eine gleichermaßen staatstragende wie die Geschlechteridentitäten formierende Rolle zu. „Die Frauen sind die Repräsentanten der Liebe, wie die Männer des Rechts im all­ gemeinsten Sinne“,275 lautete die Kurzformel, die in den Konversationslexika des 19. Jh. unter dem Stichwort „Geschlechterverhältnisse“ nachzulesen war. Andererseits lernten zunächst einzelne, dann viele in den immer wieder neuen ‚Wellen‘ der Frauenbewegungen Recht auch als Befreiungsinstrument kennen, das als Hebel zur Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse ein­ zusetzen ist. Vorgezeichnet wurde dies von Olympe de Gouges, die in ihrer Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin die Menschenrechte als Frau­ enrechte in Anspruch genommen und in ihrer Vision von einer ‚anderen‘ Gerechtigkeit in Art. 2 ausdrücklich ein „besonderes Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung“ betont hatte. Dieser Lernprozess wird in einem Aufruf von Anita Augspurg aus dem Jahr 1895 im Kontext der Rechtskämpfe gegen das Bürgerliche Gesetzbuch angesprochen. Darin appelliert sie zugleich an die Solidarität derer, die damals wie heute meinen, es auch ohne gleiche Rech­ te schaffen zu können: Die Frauenfrage ist zwar zum großen Teil Nahrungsfrage, aber vielleicht noch in höherem Maße Kulturfrage, […] in allererster Linie aber ist sie Rechtsfrage […]. Was immer eine einzelne Frau erreicht und erringt in Kunst, in Wissen­ schaft, in Industrie, an allgemeinem Ansehen und Einfluss; es ist etwas Privates, Persönliches, Momentanes, Isoliertes – es haftet ihm immer der Charakter des Ausnahmsweisen und als solchem Geduldeten an, aber es ist nicht berechtigt und kann daher nicht zur Regel werden, kann nicht Einfluss gewinnen auf die Allgemeinheit.276

275 Conversations-Lexicon oder encyclopaedisches Handwörterbuch für gebildete Stände (7 Bde; Stuttgart: A. F. Macklot, 1818–1819), 2:783; sehr ähnlich der Brockhaus von 1864, Artikel „Frauen“, in Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände: Conversations-Lexikon (Leipzig: F. A. Brockhaus, 1865), 6:553. 276 Anita Augspurg, „Gebt acht, solange noch Zeit ist!“, Die Frauenbewegung 1/1 (1895): 4.

Christus als Frauenbefreier? Feministische Bibelauslegungen im Norwegen des 19. Jahrhunderts Aud V. Tønnessen Universität Oslo

1.

Einleitung

Camilla Collett (1813–1895) und Aasta Hansteen (1824–1908) gelten als Pio­ nierinnen der norwegischen Suffragettenbewegung. Sie waren Berühmthei­ ten zu ihrer Zeit und eine Inspiration für spätere Generationen von Femi­ nistinnen.1 Die 1884 gegründete Norwegische Vereinigung für Frauenrechte ernannte sie zu ihren Ehrenmitgliedern. In einer Epoche, in der man von den Frauen erwartete, dass sie ein zurückgezogenes Leben als Mütter, Töchter, Ehefrauen und Schwestern führten, sprachen sie sich lautstark gegen eben­ dieses Modell aus. Sie wiesen darauf hin, dass die Belange der Frauen nicht beachtet wurden, dass es ihnen nicht freistand, für sich selbst zu sprechen, und dass man ihnen nicht denselben Respekt entgegenbrachte wie den Män­ nern. Untermauert wurden ihre Thesen mit Hinweisen auf die Bibel. Aasta Hansteen gilt heute als „frühe feministische Laientheologin“.2 Über Camilla Collett könnte man ohne Weiteres dasselbe sagen. Da beide in einem präsäkularen Kontext agierten, stellte die Bibel für Ge­ setze und Regelungen, die die Rollen und Rechte von Männern und Frauen betrafen, noch eine kulturelle Bezugsgröße dar. So beriefen sich Politiker im Parlament auf die Bibel, wenn sie gegen eine Stärkung der Frauenrechte ar­ 1

Es ist ein Anachronismus, die Begriffe „Feministin“ und „Feminismus“, die erst spä­ ter gebräuchlich wurden, auf Collett und Hansteen anzuwenden. Im 19. Jh. sprach man von der Emanzipation und der Sache der Frauen, wenn man die Arbeit der Suf­ fragetten und die Kampagne beschreiben wollte, die darauf abzielte, dass Frauen vor dem Gesetz auch noch nach der Heirat als Individuen mit eigenen Rechten anerkannt wurden. Es scheint mir jedoch sinnvoll, die Arbeit von Camilla Collett, Aasta Han­ steen und ihren Zeitgenossinnen als Teil der feministischen Geschichte zu betrach­ ten. 2 Jone Salomonsen, The First Aasta Hansteen Lecture on Gender and Religion, on­ line: https://www.tf.uio.no/forskning/nettverk/sikot/arrangementer/2011/the-firstannual-aasta-hansteen-lecture-in-gender-and-religion%2C-part-i [zuletzt abgerufen am 24.3.2020].

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gumentierten.3 Theologen und Kleriker, die sich an der öffentlichen Debatte beteiligten, vertraten die Auffassung, die Unterordnung der Frauen unter die Männer sei im Sinne der Heiligen Schrift. Wollten Frauen in solchen De­ batten das Wort ergreifen, dann mussten sie die traditionellen, aus der Bi­ bel abgeleiteten Geschlechterkonzeptionen, die „die Frau“ auf ewig als das unterlegene Geschlecht zu definieren schienen, ins Wanken bringen. Genau das taten Aasta Hansteen und Camilla Collett, indem sie zu den betreffenden Bibelstellen alternative Auslegungen vorschlugen. Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, wie die beiden Frauen die Bibel eingesetzt haben, um ihre feministische Argumentation zu untermau­ ern. Welche Verse waren wichtig? Wovon waren ihre Auslegungen inspiriert? Während der herrschende Diskurs die Bibel gebrauchte, um gegen die Eman­ zipation der Frauen und für ihre Unterordnung unter die Männer zu argumen­ tieren, legten Hansteen und Collett eine kritische Alternative vor und nahmen die viel später von der feministischen Theologie erhobene Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit vorweg. Im Folgenden soll der Frage nachgegan­ gen werden, welches Frauenideal sie vertraten und für welche Art der Eman­ zipation sie sich einsetzten.

2.

Kurzbiographien

Frauen des 19. Jahrhunderts bewunderte man für ihre Schönheit, ihre Demut und ihren stillschweigenden Gehorsam, doch Collett und Hansteen schrieben und sprachen auf eine Weise, die diese Konventionen in Frage stellte. Camilla Collett war zu ihren Lebzeiten eine berühmte Schriftstellerin und entstammte einer begabten Familie. Ihr Vater, Nicolai Wergeland, war einer der Gründerväter der norwegischen Verfassung (1814), ein aufgeklärter und politisch interessierter Mann, der seiner Tochter eine höhere Bildung bei der Brüdergemeine in Dänemark ermöglichte. Er war Pastor der evangelischlutherischen Kirche Norwegens. Ihr Bruder, der studierte Theologe Henrik Wergeland, ist als einer der bedeutendsten norwegischen Dichter bekannt. Er war ein glühender Verfechter der Demokratie, der nationalen Befreiung und religiös-humanistischer Toleranzideale. Camilla Collett legte dasselbe unab­ hängige Denken an den Tag, das ihren Vater und ihren Bruder kennzeichnete. Collett heiratete, bekam vier Söhne, verlor ihren Mann jedoch schon früh. Ab 1876 erhielt sie als erste Frau ein staatliches Gehalt für ihre schriftstellerische Arbeit. 3

Bente Nilsen Lein, Kirken i felttog mot kvinnefrigjøring: Kirkens holdning til den borgerlige kvinnebevegelsen i 1880-årene (Oslo: Universitetsforlaget, 1981), 93ff.

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Im Hinblick auf ihren persönlichen Schreibstil wurde auf die für die Brü­ dergemeinde typische Betonung der Selbstreflexion verwiesen.4 Von den Herrnhutern hatte Collett gelernt, dass Männer und Frauen im Geist gleich waren, und sie lernte, über ihr spirituelles Leben zu schreiben. Der persönli­ che Blickwinkel ist für alle ihre Schriften charakteristisch. Ihr berühmtestes Buch ist der von 1854 bis 1855 entstandene Roman Amtmandens døttre (Die Töchter des Amtmannes).5 Darin thematisierte sie die Situation junger Frauen aus dem Bürgertum, denen die Gesellschaft keinerlei Möglichkeit gab, ihre Bedürfnisse auszudrücken, und die vielfach Manipulationsversuchen seitens ihrer Familien und ihres Umfelds ausgesetzt waren. Der Roman ist als Ten­ denzroman beschrieben worden, der darauf abzielt, die öffentliche Meinung zu bestimmten sozialen, politischen und religiösen Themen zu beeinflussen. Collett wollte nicht nur eine Geschichte erzählen, sondern stattete diese Ge­ schichte implizit mit Argumenten für die innere und emotionale Emanzipa­ tion der Frauen aus.6 In ihren zahlreichen Essays sprach sie die Situation der Frauen direkter an als im Roman. Ihr Stil war elegant, aber oft bissig, nicht ohne Humor, häufig mit einer ironischen Stoßrichtung gegen die männliche Dominanz – und galt daher als provokativ. Aasta Hansteen war zwölf Jahre jünger als Collett. Ihr Vater war der ers­ te Physikprofessor an der neugegründeten Universität von Christiania (dem heutigen Oslo). Sie zählte zu den ersten Frauen in Norwegen, die eine pro­ fessionelle künstlerische Ausbildung erhielten, und war 1855 mit ihrem Werk auf der Weltausstellung vertreten. Schon in jungen Jahren beteiligte sie sich an der öffentlichen Debatte und verlangte für sich selbst ein Maß an Freiheit, das die sozialen und kulturellen Konventionen herausforderte. Sie war nie verheiratet. Sie bestand darauf, allein und ohne männliche Begleitung durch die Straßen zu gehen, weshalb sie regelmäßig von einem Mob aus jungen Männern belästigt wurde. Trotz ständiger und harscher Kritiken reiste sie in den 1870ern durch Norwegen und Dänemark und hielt öffentliche Vorlesun­ gen über die Situation der Frauen, die sie mit kritischen Lesarten der Bibel, theologischen Spekulationen und antiklerikalen Äußerungen anreicherte. Sie schrieb ausgiebiger als Collett über theologische Themen und ist heute für ihr 1878 erschienenes Büchlein Kvinden, skabt i Guds Billede (Die Frau, nach Gottes Bild geschaffen)7 bekannt. Die Ablehnung und Verunglimpfung ihrer Schriften und Vorlesungen brachten Hansteen beinahe dazu, das Land 4 Kristin Ørjasæter, Selviakttakelsens poetikk: En lesning av Camilla Wergelands dagbok fra 1830-årene (Oslo: Unipub Forl., 2002), 120–123. 5 Camilla Collett, Amtmandens døttre: En Fortælling (Christiania: J. Dahl, 1855). 6 Torill Steinfeld, „Amtmandens Døttre: Tendensromanen som ble klassiker“, in Bokspor: Norske bøker gjennom 350 år (hg. v. Per Strømholm; Oslo: Universitetsfor­ laget, 1993), 67–79. 7 Aasta Hansteen, Kvinden, skabt i Guds Billede: En Fremstilling (Christiania: Lar­ sen, 1878).

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für immer zu verlassen. 1880 ging sie in die Vereinigten Staaten, wo sie un­ verzüglich Kontakt zur progressiven Frauenbewegung aufnahm und unter an­ derem mit Elizabeth Cady Stanton, der treibenden Kraft hinter The Woman’s Bible, zusammentraf. Nach neun Jahren des Exils kehrte sie nach Hause zu­ rück, um dort weiter für die Emanzipation zu kämpfen, und schloss sich der 1884 gegründeten Norwegischen Vereinigung für Frauenrechte an. In den volkstümlichen christlichen Bewegungen wurden die herrschen­ den Traditionen einschließlich des konservativen Frauenbildes oft herausge­ fordert. Es ist allgemein bekannt, dass sich Frauen, die predigen und eine eigenständigere religiöse Rolle spielen wollten, in vielen Laienbewegungen größere Möglichkeiten boten als in den etablierten Kirchen.8 Camilla Collett und Aasta Hansteen erhielten jedoch weder in der Kirche noch in der christ­ lichen Laienbewegung nennenswerte Unterstützung für ihre emanzipatori­ schen Ansichten. Stattdessen lieferten Philosophie und Dichtung Inspiratio­ nen für neue Lesarten der Bibel.

3.

The Subjection of Women

Von allergrößter Bedeutung war das Buch The Subjection of Women (Die Hörigkeit der Frau)9 des britischen Philosophen John Stuart Mill, das 1869 im Original und noch im selben Jahr in dänischer Übersetzung erschien. In Norwegen stieß das Buch auf ein gemischtes Echo und löste eine rege Debatte aus. Hans L. Martensen wandte sich in seinem Buch über Sozialethik aus­ drücklich gegen Mill und bestand darauf, dass aufgrund der biblischen Texte von Gen 1–3 in der ntl. Auslegung von 1 Kor 11 und Eph 5 die Gleichstel­ lung zwischen Mann und Frau der weiblichen Natur schaden würde.10 Camil­ la Collett und Aasta Hansteen waren genau entgegengesetzter Ansicht. Wie Elizabeth Cady Stanton betrachteten sie Mill als den ersten männlichen Au­ tor, der wahrheitsgemäß über die Herabwürdigung der Frau geschrieben ha­ be.11 Camilla Collett empfahl sein Buch, nannte es „exzellent“ und bedauerte,

8 Hugh McLeod, Religion and the People of Western Europe, 1789–1970 (Oxford: Ox­ ford University Press, 1997). 9 John Stuart Mill, „The subjection of women“, in ders., On Liberty and Other Essays (hg., eingel. u. mit Anm. vers. v. John Gray; Oxford: Oxford University Press 2008), 471–582. 10 Hans L. Martensen, Den sociale Ethik (Kjøbenhavn: Gyldendalske Boghandels Forlag, 1894), 61. 11 Susan Moller Okin, „Editor’s Introduction“, in John Stuart Mill: The subjection of women (hg. v. Susan Moller Okin; Indianapolis: Hackett, 1988), IV–XIV; V.

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dass es nur von sehr wenigen Frauen gelesen wurde.12 Gestützt auf Prinzipien der Evolution vertrat Mill die Auffassung, dass die Emanzipation der Frauen und ihre Gleichstellung gegenüber den Männern der gesamten Menschheit zugutekommen würde. Diese Ansicht, welche ich begründen will, ist die, dass das Prinzip, nach welchem die jetzt existierenden sozialen Beziehungen zwischen den beiden Geschlech­ tern geregelt werden – die gesetzliche Unterordnung des einen Geschlechtes unter das andere –, an und für sich ein Unrecht und gegenwärtig eines der we­ sentlichsten Hindernisse für eine höhere Vervollkommnung der Menschheit sei und dass es deshalb geboten erscheine, an die Stelle dieses Prinzips das der vollkommenen Gleichheit zu setzen, welches von der einen Seite keine Macht und kein Vorrecht zulässt und von der andern keine Unfähigkeit voraussetzt.13

Wenn Frauen Bildung und Wahlrecht erhielten, würden nach Mill nicht nur sie, sondern auch die Männer profitieren. Er warf dem geltenden Eherecht vor, Frauen zu Sklavinnen zu machen, und sprach sich für einen geschäftsmäßi­ gen Vertrag zwischen Gleichgestellten aus. 1870 erschien in einer norwegischen Zeitung ein Artikel einer anonymen Verfasserin. Darin wurde Mill mit Verweis auf Gen 2 beschuldigt, Ideen und Ideale zu verbreiten, die christlichen Lehren widersprächen.14 Die Frau sei dazu geschaffen, dem Mann zu helfen, und der Mann sei dazu geschaffen, über die Frau zu herrschen, so die anonyme Autorin. Deshalb könnten sie ei­nander nicht gleichgestellt sein. Gemäß der Schrift sollten Frauen ein ver­ borgenes und ruhiges Leben führen. Wenn sie Aufmerksamkeit auf sich zö­ gen und zu öffentlichen Personen würden, sei dies ein Verstoß gegen ihre gottgegebene Natur, der ihre Bestrafung zur Folge haben werde. Das war die Stimme der traditionellen Orthodoxie. Der Hinweis auf den Schaden, der der weiblichen Natur durch die Emanzipation zugefügt werde, war klassisch. Dieser Zeitungsbeitrag veranlasste Aasta Hansteen zu ihrem ersten Arti­ kel über die Situation der Frauen. Auch sie veröffentlichte ihren Text anonym und entzog sich so dem gesellschaftlichen Druck, der den Frauen oft allen Mut nahm, sich an einer öffentlichen Debatte über ein so heikles und strittiges Thema wie den Status und die Rolle der Frau in der Gesellschaft zu beteili­ gen. In mehreren Artikeln versuchte Hansteen die wichtigsten Argumente, die gegen Mill vorgebracht wurden, mit einer neuen Lesart der Genesistexte 12 Camilla Collett, „Om kvinden og hendes stilling“, in dies., Sidste Blade, 2den og 3dje Række. Samlede Verker. Mindeudgave (Kjøbenhavn: Gyldendal, 1872), 207– 243; 208. 13 Mill, „The subjection of women“, 471. Deutscher Wortlaut: https://www.projektgutenberg.org/mill/hoerig/hoerig.html (übers. von Jenny Hirsch; Berlin: Berggold, 1869) [zuletzt abgerufen am 24.3.2020]. 14 (Anonyme Verfasserin), „Protest mot Stuart Mill“, in Morgenbladet (18.6.1870).

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zu entkräften.15 Es ist bemerkenswert, dass Hansteen ihre Sichtweise auch auf Gen 1 stützte, während man sich traditionell nur auf Gen 2 bezog. Hansteen konzentrierte sich insbesondere auf Gen 1,26f. Hansteen hatte John Stuart Mills Buch gelesen und war davon zutiefst be­ wegt und inspiriert worden. Für sie war Mill ein echter Frauenbefreier, einer, der authentisch über das Verhältnis zwischen Mann und Frau sprach. Ihrer Überzeugung nach war es nicht Mill, der gegen biblische Grundsätze argu­ mentierte, sondern die anonyme Verfasserin, die ihre Betrachtungsweise auf eine falsche Bibelauslegung stützte. Sie war im Irrtum und hatte das, was die Bibel über Mann und Frau sagte, schlichtweg missverstanden. Gott habe die Menschheit als „Mann und Weib“ geschaffen, betonte Han­ steen in ihren Artikeln und stellte heraus, dass die Gleichheit von Mann und Frau damit schon per definitionem im Menschsein angelegt ist. Im Sinne des ursprünglichen Schöpfungsplans sollten Mann und Frau gemeinsam die Menschheit bilden und seien gemeinsam nach dem Bild Gottes geschaffen worden (Gen 1,27). Das Gotteswort unterstelle alle Geschöpfe der Herrschaft des Menschen und sei mithin ein Gebot, das sich an Mann und Frau gleicher­ maßen richte. Viel zu lange habe der Mann dies aufgrund falscher Voraus­ setzungen als seine alleinige Aufgabe begriffen und letztlich an seine eigene Göttlichkeit geglaubt, so Hansteen. Nicht die Schöpfungsordnung, sondern Sünde und Sündenstrafe seien die Ursache der bestehenden Ungleichheit. Der ursprüngliche Plan habe vorgesehen, dass Mann und Frau einander gleich waren und gleiche, gottgegebene Aufgaben zu erfüllen hatten. Es sei nun an der Zeit, zu dieser Ordnung zurückzukehren, erklärte Hansteen. In deutlich von den Ansichten der Aufklärung beeinflusster Manier betonte sie, dass die Zeit gekommen und die Strafe abgeleistet sei. Mann und Frau seien bereit, in eine neue Phase einzutreten, in der sie einander als gleich und gleichermaßen frei anerkannten. Ihre Artikel übten scharfe Kritik an den Männern, die die Frauen allzu lan­ ge unterdrückt und in einer untergeordneten Position gehalten hätten. Auch wandte sie sich gegen die theologischen Ansichten der anonymen Verfasse­ rin, die nur bestätigten, dass die Theologie die romantische Vorstellung von der Häuslichkeit und öffentlichen Unsichtbarkeit der Frau übernommen habe. Nicht ohne Ironie machte Hansteen deutlich, dass die anonyme Verfasserin mit der Veröffentlichung ihrer Ansichten über John Stuart Mill im Grunde ja gegen ihr eigenes Ideal verstoßen habe. Und sie stellte die rhetorische Frage, ob Florence Nightingale sich als Frau geziemender und eher im Einklang mit Gottes Wort verhalten hätte, wenn sie ihr Zuhause nicht verlassen und lieber ihren Wohlstand genossen hätte, als auf die Krim zu reisen und sich der ver­ wundeten Soldaten anzunehmen. 15 (Aasta Hansteen), „Kvindernes Mening om ‚Kvindernes Underkuelse‘“, in Dagbladet (13.07., 06.08. und 12.8.1870).

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Aasta Hansteen entwickelte ihre gesamte Argumentation in der Frage der Frauenemanzipation auf logische Weise. Die Unterordnung sei kein Bestand­ teil der Schöpfung gewesen, sondern mit dem Sündenfall, das heißt als Strafe in die Welt gekommen. Mit der Aufklärung aber habe diese Zeit der Strafe ein Ende gefunden. Die moderne Emanzipation der Frauen sei ein Zeichen dafür, dass sich die Situation normalisiere, das heißt, zu dem Zustand zurückkehre, der bei der Schöpfung geherrscht habe, als Mann und Frau einander gleich­ gestellt waren. Hansteen deutete die Emanzipation der Frauen also im Licht der Schöpfung als Ausdruck dessen, was Gott ursprünglich für die Mensch­ heit geplant hatte: Die Frau war genau wie der Mann nach dem Bild Gottes geschaffen. Eine weitere Ausarbeitung erfuhren die Positionen, die sie in ihren Arti­ keln vertrat, als Hansteen begann, sich intensiver an den Diskussionen über Frauen und die Bibel zu beteiligen. Schon bald schrieb sie unter ihrem voll­ ständigen Namen und beschränkte sich auch nicht mehr auf das Schreiben allein, sondern reiste durch Norwegen und Dänemark, um über das Thema öffentliche Vorlesungen zu halten. Meistens wurde sie dafür verlacht und ver­ spottet.16 Sie besaß eine Präsenz, die viele unattraktiv fanden: Nicht nur, dass sie, gemessen am Schönheitsideal ihrer Zeit, relativ klein war und ‚männ­ lich‘ aussah – sie hatte außerdem eine oft aggressive Art, ihr Publikum anzu­ sprechen. Und als wäre dies noch nicht genug, war ihre Botschaft obendrein durchaus provokativ. Allein schon mit ihrer Persönlichkeit, ihrem Auftreten und ihrer Redeweise stellte sie das Ideal von der häuslichen, demütigen und gehorsamen Frau in Frage. Sie erschütterte die normativen Grundlagen einer Politik, die auf der Unterordnung der Frauen aufruhte.

4.

Die Frau, nach Gottes Bild geschaffen

1878 veröffentlichte Hansteen das Buch Kvinden skabt i Guds billede (Die Frau, nach Gottes Bild geschaffen).17 Gegenüber den in der anfänglichen De­ batte von 1870 vorgetragenen Argumenten stellte dieses Buch eine Weiter­ entwicklung dar: Die Frau sei ebenso wie der Mann nach dem Bild Gottes geschaffen und ihm daher gleich. Anhand einer Analogie zur Dreifaltigkeit – die Inspiration hierzu stammt in großen Teilen von dem dänischen Dichter Frederik Paludan-Müller (1809–1876) – sagte sie nicht mehr und nicht we­ niger, als dass Mann und Frau gleichberechtigt an ihrer Beziehung zu Gott teilhaben: 16 Lein, Kirken i felttog mot kvinnefrigjøring, 102. 17 Aasta Hansteen, Kvinden skabt i Guds billede (2. verb. Aufl.; Christiania: Steenske Bogtrykkeri og Forlag, 1903).

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Aud V. Tønnessen Wenn Gott sagt, dass ein Mensch (Mann und Weib) in ‚unserem‘ Bilde geschaf­ fen ist, muss er damit meinen, dass diese beiden als Personen, die ein Menschen­ wesen bilden, die drei Personen darstellen, die gemeinsam den christlichen Gott, das heißt den Dreieinen Gott bilden.18

Ihre Theologie von der Heiligen Dreifaltigkeit beruhte auf einer distributi­ ven Vorstellung: Die Dreifaltigkeit besteht aus drei Personen, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, und da die Frau ebenso wie der Mann nach dem Bild Gottes geschaffen ist, muss das Menschsein durch sie auf die glei­ che Weise und in demselben Maße repräsentiert sein wie durch den Mann. Daraus entwickelte Hansteen sodann eine nach Geschlecht sortierte Unter­ scheidung und Aufteilung der drei Personen der Dreifaltigkeit. Gott beschrieb sie als den Vater und Mann Jehova (so wurde bis weit ins 19. Jh. hinein der Gottesname vokalisiert). Er war das Urbild des Mannes, derjenige, der Schöp­ ferkraft besitzt und machtvolle Taten vollbringt. Dementsprechend wurde der Heilige Geist als das Urbild der Frau dargestellt, die die Wahrheit mit Liebe und Gefühl offenbart und so gewährleistet, dass sie die Herzen der Menschen erreicht. Christus schließlich ist bei Hansteen – um das Geschlechterverhält­ nis ausgewogen zu halten – gleichzeitig und im selben Maße Mann und Frau. Christus war die Mitte: Er stand für das wahre Menschsein und söhnte den Mann und die Frau miteinander aus. Es läge an den männlichen Klerikern und Theologen, dass diese Sicht der Dreieinigkeit erst kürzlich entschlüsselt worden sei. Hansteen vertrat eine epis­temologische Position, die den Positionen späterer Feministinnen wie Sandra Harding nahekommt. Harding zufolge liefert eine feministische Epistemologie einen vollständigeren und objektiveren Wissensbegriff, weil sie ein umfassenderes Bild der Wirklichkeit zugrunde legt.19 Frauen können kritische Fragen stellen, die nicht nur im Hinblick auf ihr eigenes Leben, son­ dern auch im Hinblick auf das Leben der Männer und auf die Beziehungen zwischen den Geschlechtern neues Wissen zutage fördern. Aus einer weniger privilegierten Position heraus präsentieren und repräsentieren sie die Wirk­ lichkeit auf andere Weise und vermitteln Einsichten in andere Lebensaspek­ te.20 Han­steens vorweggenommene feministische Epistemologie entsprach ihrer Kritik an der Macht der Männer in der Kirche: Wenn der männliche Denker nicht begreift, dass Menschen aus zwei Personen bestehen, die eine Einheit bilden, sondern den Menschen als eine einzige Per­ sönlichkeit betrachtet, und wenn er außerdem die Vorstellung aufrechterhalten 18 Ebd., 7. 19 Sandra Harding, „Rethinking Standpoint Epistemology: What is ‚Strong Objectiv­ ity‘?“, in Feminist Epistemologies (hg. v. Linda Alcoff und Elizabeth Potter; New York: Routledge, 1993), 49–82. 20 Harding, „Rethinking Standpoint Epistemology“, 54.

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will, dass ein Mensch im Bild Gottes geschaffen ist, dann kann er sich, wenn er vom Bild auf den Ursprung oder das Urbild schließt, Gott gar nicht anders vorstellen denn als eine einzige, göttliche Person.21

Und weiter: Für weibliches Erkennen ist die Lehre von der Heiligen Dreifaltigkeit weit ein­ facher, da die Frau sich einen Menschen unter allen bestehenden Umständen immer als zweifaltig vorstellt, denn es ist ihr unmöglich, die männliche Existenz zu verkennen oder zu übersehen, weil der Mann bis vor kurzem als Repräsen­ tant der Menschheit und mithin, soweit dies physisch überhaupt möglich ist, als Mann und Frau zugleich fungiert hat.22

Hansteen entwickelte eine theologische Position, die Argumente für die Frau­ enemanzipation lieferte und die antifeministische Gesinnung von Klerus und Kirche kritisch thematisierte. Auf diese Weise praktizierte sie ein Jahrhundert vor der Welle der feministischen Lesarten in den 1970er Jahren eine feminis­ tisch-theologische Exegese. Zu Hansteens Lebzeiten wurde die historisch-kri­ tische Methode der Bibelexegese eingeführt, die die Theologie für liberalere Überlegungen öffnete. Dass die biblischen Texte nun als historische Texte gelesen werden konnten, bereitete kritischen Lesarten den Boden. Hansteens Auslegungen stützten sich auf eine Hermeneutik der theologischen Anthro­ pologie, namentlich auf die Annahme, dass die Menschheit gleichermaßen aus Mann und Frau besteht und dass der Dreieinige Gott ebenso weiblich wie männlich ist. Gleichzeitig wandte sie sich aber nicht gegen ein auf ontologi­ schen Unterschieden zwischen Mann und Frau basierendes Geschlechterver­ ständnis. Vielmehr ruhte ihr Modell von der Heiligen Dreifaltigkeit auf Vo­ raussetzungen, die von Gender-Essentialismus und Polarität geprägt waren. Diese theologische Anthropologie, die sie zunächst mit Inspirationsquellen aus Dichtung und Philosophie kombiniert hatte, ergänzte sie zunehmend mit historisch-kritischen Perspektiven.

5.

Antiklerikale Ansichten

1897 veröffentlichte Aasta Hansteen ein neues Buch mit dem Titel Kristi Kirke i det nittende aarhundrede (Die Kirche Christi im 19. Jahrhundert). Das Buch war von The Woman’s Bible inspiriert.23 Neun Jahre lang, von 1880 bis 21 Hansteen, Kvinden skabt i Guds billede, 60. 22 Ebd., 61. 23 Aasta Hansteen, Kristi Kirke i det nittende Aarhundrede (Christiania: Sabro’s For­ lag, 1897), 45.

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1889, hatte Hansteen in den Vereinigten Staaten gelebt. Die dortige Frauenbe­ wegung war für sie eine große Inspiration.24 Sie war beeindruckt davon, wie amerikanische Frauen sich an öffentlichen Debatten beteiligten. Im Gegensatz zu ihrer eigenen Erfahrung mussten Frauen, die sich öffentlich äußerten, kei­ ne Pöbeleien erdulden, sondern wurden respektvoll angehört, wenn sie über Themen wie die Sklaverei oder die Unterordnung der Frauen sprachen. Sie nahm an Suffragetten-Versammlungen und anderen Frauenkonferenzen teil und hörte Vorträge von amerikanischen Vorreiterinnen wie Elizabeth Cady Stanton, Susan B. Anthony, Lucy Stone, Julia Ward Howe und Mary Liver­ more. Livermore hielt Hansteen für eine besonders begabte Rednerin, und die USA waren ihrer Meinung nach „für Frauen der beste Platz auf Erden“.25 Während ihrer Zeit in den USA erfuhr sie von Elizabeth Cady Stantons Projekt einer feministischen Interpretation biblischer Texte über Frauen. Dies passte zu Hansteens Ambitionen, wie sie in Die Frau, nach Gottes Bild geschaffen zum Ausdruck gekommen waren. Außerdem sympathisierte sie mit Cady Stantons antiklerikalen Sichtweisen. Besonders ausgeprägt ist der An­ tiklerikalismus in Aasta Hansteens Buch über die Kirche Christi. Sie teilte Stantons Ehrgeiz, die Frauen von den konservativen Bibelauslegungen zu be­ freien, die ihnen von den machthabenden Männern aufgezwungen worden waren. Hansteen warf Klerikern und Theologen Falschauslegungen biblischer Texte vor. Sie behauptete, ihr Gender-Bias mache sie blind für die Wahrheit, ihre hegemonische Männlichkeit hindere sie daran, die eigentliche Bedeutung der Bibel zu verstehen. Deshalb müssten sich Frauen aktiv an der Interpretati­ on biblischer Texte beteiligen. Nur so könnten sie sich emanzipieren. Hansteen zufolge hatte der Klerus seine Herrschaft über die Frauen auf eine willkürliche Auswahl von Bibelversen und auf eine fragwürdige Exegese gestützt. Als Beispiel nannte sie Eph 5,22f., wo der Paulus zugeschriebene Brief die Frauen ermahne, ihren Männern untertan zu sein, und wies darauf hin, dass der Apostel über die eheliche Situation und Beziehung geschrieben habe, der Klerus die Gültigkeit dieser Stelle aber auf alle Männer und Frau­ en ausdehne und die Frauen ermahne, sich sämtlichen Männern und jeder Art von Männern zu unterwerfen. Diese Lehre, so erklärte sie in Anlehnung an die dänische Schriftstellerin Pauline Worm, sei absolut sinnfrei: Als ob irgendeine Frau sämtlichen Männern – auch den Idioten unter ihnen – Gehor­ sam und Unterordnung schuldig wäre!26 Da sich ihre Vorwürfe der männlichen Vorherrschaft und der Frauenunter­ drückung in erster Linie auf die protestantische Religion bezogen, finden sich in ihren Schriften keine eindeutigen Spuren von Antijudaismus. Hansteen 24 Janet E. Rasmussen, „Aasta Hansteen og Amerika“, in Furier er også kvinner: ­Aasta Hansteen 1824–1908 (hg. v. Bente Nilsen Lein et al.; Oslo: Universitetsforlaget, 1984), 123–153; 140. 25 Rasmussen, „Aasta Hansteen og Amerika“, 144. 26 Hansteen, Kristi Kirke, 41.

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kritisierte weniger die Texte selbst als deren Interpretationen. Sie kam zu dem Ergebnis, dass Männer die Bibel lasen, um ihre Macht und Herrschaft über die Frauen zu legitimieren. Also war die gesellschaftliche Position der Frauen von verzerrten und falschen Auslegungen bestimmt. Ein Beispiel war der oft zitierte Paulusvers in 1 Kor 14,34, der die Frauen zum Schweigen auffordert. In Kombination mit 1 Tim 2,12, wo Paulus schreibt, dass keine Frau lehren oder über den Mann herrschen solle, war 1 Kor 14,34 ein gängiger Beleg, wenn es darum ging, Frauen das kirchliche Dienstamt zu verweigern. Aasta Hansteen ging es nicht um die spezifische Frage des Frauenamts; vielmehr wandte sie sich gegen Interpretationen, die diesen Vers als pauschales Re­ deverbot für Frauen in der Kirche deuteten. Paulus habe nicht gemeint, dass Frauen keinerlei geistliche und öffentliche Autorität ausüben sollten, sondern er habe sich auf konkrete Situationen bezogen, in denen Frauen sich einge­ mischt und die Ordnung gestört hätten.27 Schließlich, so erklärte sie weiter, habe Paulus ausdrücklich erwartet, dass Frauen in der Kirche predigten, denn in 1 Kor  11,4f. heiße es: „Jeder Mann, der betet oder weissagt, indem er et­ was auf dem Haupte hat, entehrt sein Haupt. Jedes Weib aber, das betet oder weissagt mit unbedecktem Haupte, entehrt ihr Haupt“. Diese Verse seien ein Beweis dafür, dass Paulus Männer und Frauen als gleich und mit demselben kirchlichen Gebets- und Weissagungsauftrag ausgestattet dargestellt habe.28 Hansteen entwickelte aus ihren feministischen Auslegungen keine politi­ schen Programme für das Frauenwahlrecht oder die Frauenordination. Darin war sie ihrer zeitgenössischen Mitfeministin Camilla Collett sehr ähnlich. Bei­ de hatten ein gemeinsames Anliegen, nämlich die innere Befreiung der Frau­ en: dass Frauen die Freiheit haben sollten, ihre Emotionen auszudrücken und als vollwertige und den Männern sozial gleichgestellte Menschen anerkannt zu werden. Die Neuauslegung biblischer Texte lieferte ihnen Argumente, die ihre Forderung nach einer veränderten sozialen und kulturellen Akzeptanz der Frauen stützten. Und beide hielten an der essentiellen Unterschiedlichkeit von Mann und Frau fest. Nicht die Unterschiede zwischen den Geschlech­ tern waren das Problem, sondern deren kulturelle und soziale Bewertung und der mangelnde Respekt vor den Frauen. Um zu beweisen, dass die Kultur im Irrtum war, griffen sie auf die Bibel zurück. In Hansteens Theologie wurde Christus zum Repräsentanten des Männlichen wie des Weiblichen gleicher­ maßen. Und Camilla Collett begriff Christus als den eigentlichen und wahren Befreier der Frauen.

27 Ebd., 31. 28 Ebd., 32.

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Christus – der Befreier der Frauen

Colletts Schreibstil mag eleganter gewesen sein als der von Hansteen, aber ihre Kritik und bissige Ironie riefen ebenfalls heftige Reaktionen hervor. Nach der Veröffentlichung von Fra de stummes leir (Aus dem Lager der Stummen) 1877,29 einer Aufsatzsammlung, die die herkömmlichen biblischen und kultu­ rellen Deutungen scharf kritisierte, wurde sie schon bald zur Zielscheibe zor­ niger Verteidiger der traditionellen Ordnung. Gleichzeitig feierte die liberale Elite sie als diejenige, die den Feminismus in Norwegen einführte.30 Doch selbst bei den Angehörigen dieser liberalen und radikalen intellektuellen Elite war die Unterstützung nicht ungeteilt. Georg Brandes zum Beispiel, der 1869 John Stuart Mills Buch The Subjection of Women übersetzt hatte, schrieb, es sei verständlich, dass Schriftsteller wie der Schwede August Strindberg Hass auf die Frauen empfänden – sie seien einfach zu lange den hasserfüllten und kriegerischen Schreien aus dem „Lager der Stummen“ ausgesetzt gewesen. Strindberg sei nicht mehr als eine männliche Version von Frau Collett, so Brandes.31 Woran konnte es liegen, dass ihre Aufsätze derartige Reaktionen auslösten? Ganz offensichtlich waren es nicht nur die Theologen, die mit dem Feminismus ihre Probleme hatten. Schon 1872 hatte Collett einen Essay mit dem Titel „Om kvinden og hennes stilling“ („Über Frauen und ihre Stellung“), eine kritische Rezension des beliebten religiösen Buchs La Femme von Adolphe Monod, einem protestan­ tischen Pastor aus Frankreich, veröffentlicht. Darin legte sie zum ersten Mal eine alternative feministische Deutung der traditionellen Theologie vor. Sie distanzierte sich entschieden von dem Buch und insbesondere von Monods Aussage, dass die Frau in der Schöpfung einen geringeren Status habe als der Mann. Monod zufolge war „der Mann Teil der großen Schöpfung“, während ihre Erschaffung „zweitrangig“ gewesen sei.32 Monod stützte diese Aussage durch Verweise auf Gen 2 und Paulus. Um Monod zu widerlegen, griff auch Collett auf die Bibel zurück und ent­ warf eine unabhängige Interpretation davon, wie die Geschlechterbeziehung zu verstehen sei. Sie wollte Monod und andere Männer korrigieren, die genau­ so dachten wie er. In 1 Kor fand sie eine Grundlage für ihre These, dass Mann und Frau vor Gottes Angesicht gleich seien. Wenn Paulus in 1 Kor 6 schreibe, dass der Mensch Gott in Leib und Geist fürchten solle, wende er sich damit an

29 Camilla Collett, Fra de stummes leir (Christiania: Malling, 1877). 30 Ellisiv Steen, Den lange strid: Camilla Collett og hennes senere forfatterskap (Oslo: Gyldendal, 1954), 241. 31 Ebd., 343. 32 Adolphe Monod, Kvindens Opgave og Liv i Evangeliets Lys: Tvende foredrag (Chris­ tiania: Forlagt af Boghandlerforeningen, 1861), 13.

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Männer und Frauen gleichermaßen, so Collett.33 Paulus habe ein allgemeines Gesetz aufgestellt, dem beide gehorchen müssten. Dieses allgemeine Gesetz habe man jahrhundertelang falsch verstanden. Der Mann sei in den Genuss immer größerer Freiheiten gekommen – einschließlich der Freiheit, sich der Religion zu entledigen –, während der Frau immer schwerere moralische und geistliche Lasten aufgebürdet worden seien, als sei die Zahl der Forderungen, die an sie gestellt werden könnten, unbegrenzt. Paradoxerweise, so Collett, sei es jedoch der laut Monod zuerst und für ein unabhängiges Leben in Gott geschaffene Mann, dem man seinen Mangel an religiöser Hingabe nachsehe, während die erst an zweiter Stelle und für den Mann erschaffene Frau verur­ teilt werde, wenn sie kein in sittlicher und religiöser Hinsicht tadelloses Leben führte. Dies sei eine Verzerrung der ursprünglichen Ordnung, der Beziehung zwischen Gott und der Menschheit und der Beziehung zwischen Mann und Frau. Unter Verweis auf 2 Kor 3,6 befand sie die traditionelle Lesart der Bi­ bel in der Frage der Stellung der Frau als allzu sehr auf den Buchstaben, der tötet, und weniger auf den lebendig machenden Geist bedacht. Das Ergebnis sei eine moralische Kluft zwischen Mann und Frau, die mit zweierlei Maß gemessen würden. In einem 1877 veröffentlichten Essay entwickelte Collett ihre gegen Mo­ nod gerichteten Argumente weiter.34 Hier versuchte sie eine Neuinterpretati­ on der umstrittenen Verse in Eph 5, wo Paulus den Mann als das Haupt des Weibes bezeichnet und die Frauen auffordert, ihren Männern unterwürfig zu sein. Er habe damit, so Collett, nicht jeden beliebigen Mann, sondern nur den Mann gemeint, der das Evangelium angenommen hatte. Ein solcher Mann wisse nämlich, dass er demselben göttlichen Gesetz untersteht wie die Frau und dass die Ermahnungen zur Gottesfurcht ihm ebenso gelten wie ihr. Allzu viele Männer aber wüssten dies nicht und missbrauchten ihre Macht über die Frauen, beraubten sie ihrer Rechte und unterdrückten sie. In Wirklichkeit hät­ ten die Männer sich vom allgemeinen Gesetz des Evangeliums losgesagt und dabei den Frauen dennoch weiterhin religiöse und moralische Forderungen auferlegt, die sie aber nicht auf sich selbst bezogen. Diese Forderungen seien belastend und entbehrten der Erlöserliebe Christi, der die Bürde des Gesetzes leichter gemacht und Mann und Frau in eine gleiche Beziehung zu Gott ge­ setzt habe. Christus sei der wahre Befreier der Frauen: Ja, er, Christus, der Eine und Gerechte, war ein wahrer Befreier der Frau. Er hat die Kluft zwischen Mann und Frau aufgefüllt und eine Beziehung von Gleichen wiederhergestellt: die einzig wahre Beziehung, von der wir ausgehen oder, rich­ tiger, zu der wir zurückkehren müssen.35 33 Collett, „Om kvinden“, 219. 34 Camilla Collett, „L’Homme-Femme (Af Alexandre Dumas)“, in dies., Fra de stummes leir (Christiania: Malling, 1877), 199–232. 35 Ebd., 201f.

120

7.

Aud V. Tønnessen

Feministisch-theologische Exegese

Die Unterordnung der Frauen, die für konservative Christen so wesentlich war, basierte laut Collett auf einer falschen Auslegung der Bibel und des Evangeliums. Die Bibel musste neu interpretiert werden. Nur so konnten Frauen dieselbe Freiheit erlangen, wie die Männer sie besaßen. Frauen muss­ ten auf dieselben Quellen zurückgreifen und ihre Emanzipation auf derselben Grundlage verfechten, auf der die normgebende Kultur an der hierarchischen Beziehung zwischen den Geschlechtern festhielt. Hansteen und Collett waren gegenüber dem herrschenden Konservatismus der Bibelinterpretationen von derselben Hermeneutik des Verdachts geleitet. Beide stimmten darin überein, dass die Bibel benutzt werden konnte, um das Anliegen der Frauenemanzipation und einer neuen Beziehung der Gleichheit zwischen Mann und Frau zu vertreten. Ferner bedauerte Collett, dass Männer im Kampf für die Emanzipation der Frauen keine große Hilfe waren. Deshalb sei es wichtig, dass Frauen sich innerlich emanzipierten. Diese innere Eman­ zipation war ihr eigentliches Anliegen. Die Frau solle ihren Wert und ihre Möglichkeiten erkennen und ihre Gleichheit gegenüber dem Mann respektie­ ren. Deshalb müsse sie sich von allen Fehldeutungen ihrer Situation befrei­ en, die sie in eine untergeordnete Lage brächten. Damit meinte Collett keine strukturelle, keine politische Veränderung der Gesellschaft, sondern zuerst und vor allem eine innere Befreiung. Ihre theologische und ethische Botschaft mündete in die eine zentrale Aussage ein, dass Christus die Frau dazu befreit habe, das zu sein, was sie seit der Schöpfung ist: dem Mann ebenbürtig. Und weil „kein Mann hier in Skandinavien“ ernsthaft etwas Derartiges behaup­ ten würde, liege die Sache der Frauen in den Händen der Frauen.36 Doch die Emanzipation der Frauen werde in ihrem Ergebnis für beide Geschlechter das Beste sein und ihre Beziehung so wiederherstellen, wie sie von allem Schöp­ fungsanfang her gedacht gewesen sei: als eine Beziehung unter Gleichen.

8.

Die Bibel als normative Quelle für das kulturelle Leben

Grundlegend für Hansteens und Colletts Bemühungen um die Neuauslegung biblischer Texte war, dass sie die Bibel als Richtschnur des kulturellen Lebens anerkannten. Wenn den Frauen der gleiche Wert und Status zugesprochen werden sollte wie den Männern, dann mussten die Fundamente, die das hie­ rarchische Verhältnis zwischen Mann und Frau so lange aufrechterhalten und 36 Collett, „Om kvinden“, 209.

Feministische Bibelauslegungen im Norwegen des 19. Jahrhunderts

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legitimiert hatten, verändert werden. Hierzu bedurfte es neuer Interpretatio­ nen der biblischen Texte. Gen 1f. und der Epheserbrief waren nicht nur Teile eines theologischen Diskurses, sondern spielten auch in politischen Debatten eine zentrale Rolle.37 Die Unterordnung der Frau unter den Mann wurde im Parlament als natürliche, bei der Erschaffung des Menschen von Gott gewoll­ te Gegebenheit postuliert. Als der überlegene Part war der Mann aktiv und re­ degewandt und mithin für das öffentliche Leben bestimmt, während die Frau schweigsam, sanftmütig und häuslich war. Deshalb, so glaubte man, würde es der weiblichen Natur schaden, wenn die Frau zur Wahl gehen dürfte, wenn eine verheiratete Frau ein Recht auf gesondertes Privateigentum hätte oder wenn Mädchen und Jungen gar in denselben Klassenzimmern unterrichtet würden.38 Solange die herrschende Theologie an der Trennung zwischen dem öffentlichen Mann und der privaten Frau festhielt, stießen die Forderungen der Suffragetten auf Ablehnung: Es galt gemeinhin nicht als sinnvoll, der Frau, die doch zweitrangig und vom Mann abhängig war, unabhängige Rechte zuzugestehen. Wenn Frauen rechtliche und wirtschaftliche Verfügungsgewalt über ihr Leben erhielten, würde dies die gesellschaftliche Ordnung destabili­ sieren. Mithin waren theologische Neudeutungen wie die von Hansteen und Collett notwendig, um etwas an den Voraussetzungen zu ändern, die der ge­ sellschaftlichen Situation der Frauen zugrunde lagen. Dadurch, dass sie das Schweigen brachen und sich selbst als öffentliche Personen konstruierten, legten sie die Grundlagen für die eher politisch aus­ gerichtete Arbeit der Suffragettenbewegung in Norwegen. Sie destabilisier­ ten die Geschlechtertheologie der Kirche und des politischen Establishments. Sie demonstrierten, in welchem Ausmaß traditionelle Bibelauslegungen dazu beitrugen, die Frauen als dem Mann ‚auf ewig‘ und ‚von Natur aus‘ unterge­ ordnet zu konstruieren. Durch alternative Interpretationen bereiteten sie den Boden für neue Vorstellungen vom Verhältnis zwischen Mann und Frau und längerfristig auch für eine dementsprechende Politik. Im präsäkularen Kon­ text einer Aasta Hansteen und einer Camilla Collett führte der Weg in die politische Arena über die theologische Exegese.

37 Siehe zum zeitgenössischen Diskurs u. a. Gisle Johnson, Forelæsninger over den christelige Ethik (Kristiania: Dybwad, 1898); Martensen, Den sociale Ethik; Mo­ nod, Kvindens Opgave. Vgl. weiters Hallgeir Elstad, Nyere norsk kirstendomshistorie (Bergen: Fagboksforlaget, 2005); Inger Hammar, Emancipation och religion: Den svenska kvinnorörlsens pionjärer i debatt om kvinnans kallelse ca 1860–1900 (Stockholm: Carlssons, 1999); Lein, Kirken i felttog mot kvinnefrigjøring; Inge Løn­ ning, „‚Kinder, Kirche und Küche‘: Luthersk teologi og ordningsteologi“, in Sedelighet og samliv (hg. v. Kjetil Hafstad, Gro Hagemann und Trygve Wyller; Oslo: Norges Forskningsråd, 1997), 84–97. 38 Lein, Kirken i felttog mot kvinnefrigjøring, 136.

Sie hatte den Mut, das Schweigen zu brechen Bríet Bjarnhéðinsdóttir – eine Pionierin der Suffragettenbewegung in Island Arnfríður Guðmundsdóttir Universität Island, Reykjavík

Acht Jahre bevor 1895 der erste Band der Woman’s Bible erschien,1 fand auf einer vergleichsweise kleinen Insel mitten im Atlantik vor vollem Haus der erste von einer Frau gehaltene öffentliche Vortrag statt. Vortragsthema waren die mangelnden Rechte und die mangelnde Bildung der Frauen.2 Damals ge­ hörte Island zum Königreich Dänemark; die Bevölkerung der Insel war arm und bestand aus rund 70.000 Einwohner*innen. Die Rednerin, eine 31-jährige Frau namens Bríet Bjarnhéðinsdóttir, sollte zu einer bedeutenden Vorkämp­ ferin der isländischen Suffragettenbewegung und zu einer leidenschaftlichen Verfechterin der Frauenrechte werden.3 Wie ihre Schwestern zu beiden Seiten des Atlantiks erkannte Bríet, dass es nicht zuletzt auf die Bibel zurückgeführt werden musste, wenn den Frau­ en die völlige Gleichstellung mit den Männern bislang verwehrt geblieben war. In ihrem öffentlichen Vortrag von 1887 lenkte sie das Augenmerk ins­ besondere auf die Auslegung der Geschichte von der Erschaffung der Frau in Gen 2,21f., auf die frauenfeindlichen Gesetze und Erzählungen des Alten Tes­ taments und auf einige Stellen aus dem paulinischen Korpus, wo der Apos­tel lehrt, dass die Frauen sich den Männern zu unterwerfen hätten. Sie zeigte, 1 Elizabeth Cady Stanton, The Woman’s Bible 1: Comments on Genesis, Exodus, Leviticus, Numbers and Deuteronomy (New York: European Publishing Company, 1895). 2 Bríet Bjarnhéðinsdóttir, „Fyrirlestur um hagi og rettindi kvenna [Vortrag über Stellung und Rechte der Frau]“ (Reykjavík: Sigurður Kristjánsson, 1888); Nachdr. in John Stuart Mill, Kúgun kvenna [The Subjection of Women] (übers. v. Sigurður Jó­ nasson u. eingel. v. Auður Styrkársdóttir; Reykjaví k: Hið íslenzka bókmenntafélag, 1997), 329–367. Die deutsche Ausgabe des Werks von 1869 erschien unter dem Titel: John Stuart Mill, Die Hörigkeit der Frau (übers. von Jenny Hirsch; Berlin: Berg­ gold, 1869). In der deutschsprachigen Neuausgabe ausgewählter Werke von John Stuart Mill wurde der Titel 2012 stattdessen mit Die Unterwerfung der Frauen wort­ wörtlich übersetzt, was in der deutschsprachigen wissenschaftlichen Literatur seit­ dem übernommen wurde. 3 Arnfríður Guðmundsdóttir, „Bjarnhjedinsdottir, Briet (1856–1940)“, in Handbook of Women Biblical Interpreters (hg. v. Marion Taylor und Agnes Choi; Grand Rapids: Baker Books, 2012), 76–78.

Bríet Bjarnhéðinsdóttir – eine Pionierin der Suffragettenbewegung

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wie der Bericht von der Erschaffung der Frau aus der Rippe des Mannes als Argument für die untergeordnete Stellung der Frau benutzt worden war: Gott habe die Frau aus der Rippe des Mannes geschaffen und mithin gewollt, dass die Frau sich dem Mann unterordnet. Bríet schlussfolgerte, dass diejenigen, die Gott für diese Unterordnung verantwortlich machten, die Bibel lediglich benutzt hätten, um „menschliche Güte und Gerechtigkeitssinn auf den Abfall zu werfen“.4

1.

Biographie

Bríet Bjarnhéðinsdóttir wurde 1856 im Norden Islands in eine arme Fami­ lie hineingeboren. Sie war das älteste von vier Kindern. Ihre Eltern waren Bauern. Bríet, ihre Schwester und ihre Brüder mussten von klein auf bei den täglich anfallenden Arbeiten helfen. Als Bríet noch ein Teenager war, wurde ihre Mutter krank und konnte nicht mehr für die Familie sorgen, sodass Bríet als die älteste Tochter die Pflichten ihrer Mutter übernehmen musste. Später sollte sie über die unterschiedlichen Erwartungen nachdenken, die, wie sie es als Kind zuhause selbst erfahren hatte, an Mädchen und Jungen gestellt wurden. Von den Mädchen erwartete man in der Regel, dass sie täglich län­ ger arbeiteten, weil es ihre Pflicht war, im Haushalt zu helfen, nachdem die Arbeit draußen erledigt war. Daher mussten Mädchen mehr arbeiten, hatten weniger Freizeit und somit geringere Bildungschancen. Zwar lernten sowohl die Jungen als auch die Mädchen zuhause lesen, doch den Jungen brachte man häufiger zusätzlich Schreiben und Rechnen bei – selbst dann, wenn die Mädchen motivierter waren, diese Fertigkeiten zu beherrschen. Mit 24 Jahren erhielt Bríet die Gelegenheit, eine der neu eingerichteten „Frauenschulen“ zu besuchen. Obwohl sie nur das zweite Jahr eines Zwei-Jahres-Programms ab­ solvierte, schloss sie als Klassenbeste ab. Trotz ihrer begrenzten Schulbildung konnte sie sich als junge Erwachsene ihren Lebensunterhalt damit verdienen, dass sie Kinder zuhause das Lesen und Schreiben lehrte. Ihre Erfahrung, dass man ihr nur die Hälfte dessen zahlte, was ein Mann an ihrer Stelle bekommen hätte, machte ihr deutlich bewusst, dass die Ungleichheit der Geschlechter ein Problem war, das öffentlich angesprochen werden musste. Später konn­ te Bríet Privatstunden in Englisch und Dänisch nehmen und sich dank ihrer Sprachkenntnisse an internationalen Frauenbewegungen beteiligen. 1888 hei­ ratete Bríet Valdimar Ásmundsson (1852–1902), den Herausgeber einer der größten Zeitungen im damaligen Island. Als er mit 50 Jahren starb, war Bríet alleinerziehende Mutter zweier kleiner Kinder und die alleinige Ernährerin der Familie. 4

Bjarnhéðinsdóttir, „Fyrirlestur um hagi og rettindi kvenna“, 334.

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Arnfríður Guðmundsdóttir

Wie die meisten Isländer*innen gehörten Bríet und ihre Familie der evan­ gelisch-lutherischen Kirche an und lasen, wie es im ländlichen Island damals üblich war, an den Abenden pietistische Literatur. Ein Teil des Programms an der Frauenschule bestand in der Teilnahme an täglichen Andachten mit Le­ sungen und Gebeten. Bríets Kenntnisse über den christlichen Glauben und die Bibel basierten ohne Zweifel auf diesen Lesungen sowie auf dem Katechis­ mus (höchstwahrscheinlich dem Kleinen Katechismus von Martin Luther), den sie während der Konfirmationsvorbereitung auswendig lernen musste.5

2.

Schriftstellerin, Sozialkritikerin und Aktivistin

Bríet leistete nicht nur damit Pionierarbeit, dass sie als erste Frau in Island einen öffentlichen Vortrag hielt: Sie war auch die Erste, die in einer isländi­ schen Zeitung einen Artikel publizierte. Ihr Artikel erschien im Sommer 1885 in einer Zeitung, die von einem Unterstützer der Frauenrechte herausgegeben wurde.6 Der Herausgeber war Valdimar, der später, nachdem Bríet ihre eige­ ne Zeitung für Frauenthemen gegründet hatte, ihr Ehemann und Mitarbeiter werden sollte. In ihrem unter Pseudonym veröffentlichten Artikel wirkt sie wie eine ener­ gische und fundierte Gesellschaftskritikerin. Bríet war die erste Frau, die das Verhalten gegenüber Frauen und deren gesellschaftliche Situation – insbe­ sondere den Mangel an Bildung – öffentlich anprangerte. Ihrer Überzeugung nach war es gerade der Mangel an Bildung, der den Hauptgrund für die Un­ terdrückung der Frau darstellte, weil er die Frauen daran hinderte, dieselben Verantwortungen und Rechte wahrzunehmen wie die Männer. Sie glaubte, dass Frauen und Männer gleich geschaffen sind, obwohl „die Geschichte mit der Rippe“ schon früh und mit Erfolg dazu benutzt worden war, die patriar­ chale Gesellschaftsstruktur zu stützen und den Männern ihre Privilegien zu sichern.7 In ihrem ersten öffentlichen Vortrag, den sie zweieinhalb Jahre spä­ ter, am 30. Dezember 1887, hielt, knüpfte Bríet da an, wo sie in ihrem Artikel aufgehört hatte, und konzentrierte sich auf die Ursachen der Unterdrückung der Frauen in Vergangenheit und Gegenwart. Bríet setzte sich mit ihren Schriften, öffentlichen Reden und ihrem poli­ tischen Engagement für die Rechte und Bildung der Frauen ein. Nur wenige 5 Arnfríður Guðmundsdóttir, „Bríet og Biblían: Um biblíutúlkun í upphafi íslen­ skrar kvennabaráttu“, in Kvennabarátta og kristin trú: Greinasafn (hg. v. ders. u. Kristín Ástgeirsdóttir; Reykjavík: JPV, 2009), 165–204; 175–178. 6 Auður Styrkársdóttir, „Forspjall“, in Kúgun kvenna (hg. von Árnason), 9–65; 50. 7 Sigríður Dúna Kristmundsdóttir, Doing and Becoming: Women’s Movement and Women’s Personhood in Iceland, 1870–1990 (Reykjavík: The University of Iceland Press, 1997), 63–79.

Bríet Bjarnhéðinsdóttir – eine Pionierin der Suffragettenbewegung

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Monate nach dem Auftritt erschien ihr Vortrag in Buchform und wurde zu einem wichtigen Impuls für die isländische Frauenbewegung des ausgehen­ den 19. Jahrhunderts. 1895 gründete Bríet das Women’s Magazine, das sie bis 1919 herausgab und zu einem großen Teil mit ihren eigenen Beiträgen bestückte. Nachdem sie 1906 in Kopenhagen an einem Kongress der International Women’s Suffrage Alliance teilgenommen hatte, initiierte sie 1907 die Gründung der Isländischen Frauenrechtsvereinigung, deren Vorsitz sie 20 Jahre lang führte. 1907 erhielten die isländischen Frauen das allgemeine passive und aktive Wahlrecht auf kommunaler Ebene. Gemeinsam mit drei weiteren Frauen wurde Bríet in den Stadtrat von Reykjavik gewählt, nachdem sie auf einer überparteilichen Frauenliste, die von allen damaligen Frauenor­ ganisationen in Reykjavik unterstützt wurde, als Kandidatin angetreten war. Sie war von 1908 bis 1911 und dann wieder von 1913 bis 1919 als Ratsmitglied politisch tätig.8

3.

Bríet und die Bibel

Wir können uns heute kaum vorstellen, was es in der damaligen Zeit bedeutet haben mag, die Allgemeinheit zum ersten öffentlichen Vortrag der isländi­ schen Geschichte, der je von einer Frau gehalten worden war, in den größten Vortragssaal von Reykjavik einzuladen. Soweit wir wissen, war es Bríets ei­ gene Entscheidung, diesen Schritt zu wagen, auch wenn ihre Freunde unter den prominenten Gemeindemitgliedern sie womöglich dazu ermutigt hatten. Dass sie Eintritt zahlen mussten, hielt die Zuhörer*innen nicht davon ab, zu kommen. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Zu Beginn ihres Vortrags gibt Bríet demütig zu, dass sie, was das Reden in der Öffentlichkeit angeht, nicht die besten Qualifikationen mitbringe. Den­ noch habe sie sich entschlossen – da die „gebildeteren“ Frauen keinerlei An­ stalten gemacht hätten, die Situation der isländischen Frauen anzusprechen –, „das Schweigen zu brechen“, und hoffe, dass besser qualifizierte Frauen es ihr gleichtun würden.9 Es sei ihre Aufgabe, die Öffentlichkeit auf den schwer­ wiegenden Umstand hinzuweisen, dass es den Frauen an Chancen mangele, ihre Talente und ihr Potential angemessen zu nutzen. Bríet legt die Ursachen der Unterdrückung von Frauen offen und beginnt – angefangen bei der Bibel selbst – mit den „Geschichten“ aus der Vergangenheit:

8 Auður Styrkársdóttir, From Feminism to Class Politics: The Rise and Decline of Women’s Politics in Reykjavik, 1908–1922 (Umeå: Umeå Universitet, 1998; zugleich Diss., Umeå Universitet, 1998), 109–149. 9 Bjarnhéðinsdóttir, „Fyrirlestur um hagi og rettindi kvenna“, 331.

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Wenn wir zurückblicken, können wir uns nur auf die Geschichten stützen, allen voran die biblische Geschichte, mit der die meisten von uns vertraut sind. Die Erzählung von der Erschaffung Adams und Evas ist lange Zeit von vielen als sichere Gewähr dafür betrachtet worden, dass Gott von Anfang an die Absicht gehabt habe, der Frau in der Gesellschaft den zweiten Platz hinter dem Mann zuzuweisen. Sonst hätte sich Gott nicht so wenig Mühe mit ihr gegeben und sie nicht bloß aus einer Rippe vom Körper des Mannes geschaffen, denn es dürfte Gott wohl kaum an Material oder an Möglichkeiten gefehlt haben, sie anders zu erschaffen. Also nimmt man dies als Beweis dafür, dass Gott nie gewollt habe, dass die Frau im Vergleich zum Mann mehr sei als die Rippe im Vergleich zum ganzen Körper.10

Den ersten Schöpfungstext (Gen 1,1–2,4a) erwähnt Bríet interessanterweise nicht: Offenbar ist ihr nicht bewusst, dass es zwei Schöpfungserzählungen gibt und dass nur eine von beiden die Rippe erwähnt. Sie weist auf andere atl. Texte hin, die die zweitrangige Stellung der Frau gegenüber dem Mann widerspiegeln. So führt sie die Regeln über die kultische Reinheit der Frauen in Lev 12 an, wonach Frauen, wenn sie einen Jungen geboren haben, sieben Tage lang, wenn sie ein Mädchen geboren haben, dagegen 14 Tage lang, das heißt für die doppelte Zeitspanne, als unrein gelten. Dass Frauen nicht erben konnten, sei ein weiteres Beispiel für die ungerechte Behandlung der Frau­ en im Alten Orient. Bríet verweist auf die Geschichte der Töchter Zelofhads (Num 27,1–8), denen ihr Erbe zunächst aufgrund ihres Geschlechts verwei­ gert wurde: Es steht außer Frage, dass Frauen bei den Juden vor den Tagen des Mose nicht dieselben Erbrechte hatten wie Männer. Erst nachdem die Töchter Zelofhads sich darüber beschwert hatten, dass man ihnen ihr Erbe vorenthielt, gebot Mose, dass Töchter das Recht haben sollten, zu erben, wenn es keine Söhne gab. In diesem Fall mussten sie jedoch jemanden aus ihrem eigenen Stamm heiraten, um sicherzustellen, dass die Besitztümer nicht an jemanden gingen, der von au­ ßerhalb kam.

Sodann verweist Bríet auf weitere Texte aus dem AT, in denen Frauen auf­ grund ihres Geschlechts benachteiligt werden: Es gibt viele Beispiele aus dem Buch der Richter, die zeigen, dass Väter und Ehe­ männer unbegrenzte Gewalt über ihre Töchter, Frauen und Konkubinen hatten und sie missbrauchen und sogar töten konnten, ohne irgendwelche Konsequen­ zen tragen zu müssen. Sie waren ihr Eigentum, und sie konnten selbst entschei­ den, ob sie sie gut oder schlecht behandelten.11

10 Ebd., 333. 11 Ebd., 334.

Bríet Bjarnhéðinsdóttir – eine Pionierin der Suffragettenbewegung

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Anschließend wendet Bríet sich dem paulinischen Korpus zu, das in ihren Augen eine logische Fortsetzung des AT darstellt. Paulus, so deutet sie an, habe sich treu an die Schöpfungsgeschichte halten wollen, als er erklärte, dass Frauen unterwürfig, duldsam und ihren Männern gehorsam sein müssten. Bríet verweist auf 1 Kor, wo Paulus schreibt, dass die Frauen in der Kirche und bei öffentlichen Versammlungen ihr Haupt bedecken sollen, während er die Männer anweist, barhäuptig zu gehen, weil sie der Abglanz Gottes sei­ en, da nicht der Mann von der Frau, sondern die Frau vom Mann stamme (1 Kor 11,3–7). Im selben Zusammenhang erwähnt sie auch die paulinische Anweisung, dass die Frauen bei den Versammlungen zu schweigen hätten und stattdessen zuhause ihre Männer fragen sollten, weil es sich für die Frau nicht zieme, in der Öffentlichkeit zu reden (1 Kor 14,34f.). Dass Paulus’ Bot­ schaft für die Frauen gravierende Folgen gehabt hat, steht für Bríet außer Frage: Diese Lehre des Apostels Paulus war bis zu einem gewissen Grad die Ursache für die Grausamkeit und Unterdrückung, die Frauen nach der Einführung des Christentums vonseiten ihrer Väter, Ehemänner und anderer Männer erleiden mussten, die über sie herrschten […].12

Bríet ist sich jedoch nicht sicher, ob man Paulus die Schuld an alledem ge­ ben solle, weil diejenigen, die seine Worte zum Vorwand genommen hätten, um ihre Macht zu missbrauchen, seine Aussagen falsch interpretiert hätten. Die Exegeten, erklärt sie, hätten die an Ehemänner und Ehefrauen gerichte­ ten Anweisungen aus Eph 5,21–33 benutzt, um den Vorrang des Mannes zu rechtfertigen, statt sich auf die Bedeutung des Vergleichs zu konzentrieren, den Paulus zwischen dem Verhältnis des Mannes zu seiner Frau und dem Verhältnis Christi zu seiner Kirche zieht. Sie argwöhnt, dass sie diesen Ver­ gleich entweder einfach vergessen oder als unbequeme Beschränkung ihrer Herrschaftsgewalt empfunden hätten. Belege für ihren Verdacht findet Bríet im Mittelalter, als man die Töchter oft ihrer Freiheit und ihrer Menschen­ rechte beraubt und gegen ihren Willen entweder verheiratet oder ins Kloster geschickt habe: Setzten sie sich zur Wehr, verwiesen die Männer, die sich zu ihren Besitzern aufwarfen, auf das Wort Gottes, um ihre Handlungsweise zu rechtfertigen. Genauer betrachtet vertritt Bríet die Auffassung, dass die Rechte der Frau­ en in den nordischen Ländern, gemessen an ihrer früheren Situation, durch das Christentum geschwächt worden seien. Sie verweist auf die alten Sagen, um ihre Behauptung zu belegen.13 Nachdem das Christentum zur herrschen­ den Religion geworden sei, so Bríets Argumentation, habe sich die Lage der 12 Ebd., 335. 13 Ebd., 338.

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Frauen verschlechtert, weil die Männer erkannt hätten, wie leicht es war, die Unterdrückung der Frauen mithilfe der Heiligen Schrift zu rechtfertigen: Als sie [die Männer] die Bibel kennenlernten und sahen, wie die Texte ausgelegt wurden, gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, wie unglaublich vor­ teilhaft diese Erklärungen waren. War es denn nicht richtig und passend, dass die lebenden Töchter Evas für den Ungehorsam und die Neugier ihrer Vorfah­ rin leiden mussten, um derentwillen die Männer so viel arbeiten und Schweiß vergießen mussten? Und war es denn nicht angemessen, dass die Männer, die wahren Söhne Adams, den Frauen die Schuld an allem Übel gaben, an Sünde, Drangsal und Tod?14

Deshalb, so Bríet, seien die Männer davon ausgegangen, dass sie ihre gott­ gegebene Gewalt über die Frauen gebrauchen sollten, um ihrem Zorn freien Lauf zu lassen und ihre Macht zu demonstrieren. Der Fairness halber müsse man jedoch darauf hinweisen, dass das Christentum der indirekte Grund für die Unterdrückung der Frauen ist, weil nicht das Christentum selbst, son­ dern seine falsche Deutung und Anwendung vonseiten der Männer zu dieser Unterdrückung geführt habe. Bríet vertritt die Auffassung, dass es in den nordischen Ländern vor der Ankunft des Christentums keine Gesetze oder Regelungen gegeben habe, die die übergeordnete Stellung der Männer un­ termauerten. Dies habe sich geändert, als das Christentum zur Hauptreligion wurde und man die Nachrangigkeit der Frau durch Gesetzbücher und religiö­ se Bräuche dauerhaft festschrieb. Obwohl gewalttätiges Verhalten und Miss­ brauch den Grundlagen der christlichen Botschaft widersprächen und deshalb nach dem Aufstieg des Christentums gesetzlich verboten wurden, sei die all­ tägliche Realität der Frauen über Jahrhunderte hinweg von psychischer Unter­ drückung und Demütigung gekennzeichnet gewesen. Und der Grund hierfür sei, dass grausame und herrschsüchtige Männer die Bibel oder die Kirchen­ väter zitierten konnten, um Verhaltensweisen, die offenkundig rücksichtslos und schlichtweg falsch waren, zu entschuldigen oder sogar zu rechtfertigen. Bríet ist sich der Tatsache bewusst, dass diese Beschreibung des Mittelal­ ters in manchen Ohren seltsam klingen muss, weil gemeinhin angenommen wird, dass das Christentum die Situation der Frauen in jeder nur denkbaren Hinsicht verbessert habe. Mit den Grausamkeiten der Sklaverei, so erklärt sie, verhalte es sich ähnlich: Auch dort hätten hartherzige Menschen ihr Recht, Unschuldige zu misshandeln und zu schlagen, durch den Hinweis auf die An­ weisung des Apostels Paulus gerechtfertigt, wonach die Sklav*innen ihren irdischen Herren zu gehorchen hätten (Eph 6,5f.; Kol 3,22; 1 Tim 6,1f.). Sie fragt:

14 Ebd., 338f.

Bríet Bjarnhéðinsdóttir – eine Pionierin der Suffragettenbewegung

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War es denn vielleicht die Absicht des Paulus oder im Einklang mit dem Geist des christlichen Glaubens, dass ein so großer Teil der Menschheit, nämlich alle schwarzen Menschen, dafür geschaffen sein sollten, aller menschlichen Rechte beraubt zu werden? Oder waren sie dazu bestimmt, die härteste und unbarm­ herzigste Behandlung zu erleiden, die unmoralische Tyrannen sich ausdenken konnten, um ihrem Zorn Luft zu machen? Wenn sie das taten, zogen sie ihren Vorteil daraus, dass Sklaven oder schwarze Menschen weder einen Ort hatten, wohin sie sich wenden konnten, noch durch das Gesetz vor ihren Herren ge­ schützt wurden.15

Bríets Antwort ist unmissverständlich. Sie glaubt nicht, dass dies in der Ab­ sicht der Apostel lag, sondern ist davon überzeugt, dass diese ihre Lehre an die Sitten und Praktiken derer anpassen mussten, vor denen sie predigten, um den Erfolg ihrer Mission nicht zu gefährden. Wenn sie im Rahmen ebendieser Mission auf einer Veränderung der sozialen Strukturen und Praktiken – etwa der Abschaffung der Sklaverei oder der Gleichberechtigung von Mann und Frau – bestanden hätten, dann wäre ihre Mission, nämlich die Verbreitung des Evangeliums, aller Wahrscheinlichkeit nach gescheitert.16

4.

Resümee

In ihrem Kampf um die Gleichstellung der Geschlechter setzte sich Bríet nicht nur mit problematischen Bibeltexten, sondern auch mit der Interpretationsge­ schichte dieser Texte auseinander. Ihr Ansatz ähnelte der Herangehensweise der Woman’s Bible, die acht Jahre nach Bríets Vortrag über die Freiheit und die Bildung der Frauen aus dem Jahr 1887 erstmalig erschien. Allerdings war Bríet durchaus mit dem vertraut, was zu beiden Seiten des Atlantiks über die Geschlechtergleichheit und die Unterdrückung der Frau geschrieben wurde. In ihrem Vortrag zitiert sie einen anderen öffentlichen Vortrag – ebenfalls über die Freiheit und die Bildung der Frauen –, der 1885 in Reykjavik gehalten und im selben Jahr veröffentlicht worden war. Der Redner war ein junger An­ walt namens Páll Briem gewesen, der in Kopenhagen studiert hatte. Páll war mit der History of Woman Suffrage von Elizabeth Cady Stanton, Susan B. An­ thony und Mathilda Gage17 sowie mit John Stuart Mills Die Unterwerfung der Frau vertraut.18 Obwohl Bríet höchstwahrscheinlich aus den Arbeiten anderer 15 Ebd., 341. 16 Ebd., 341f. 17 Elizabeth Cady Stanton, Susan B. Anthony u. Matilda Joslyn Gage, Hg., History of Woman Suffrage (6 Bde; 1–2: New York: Fowler & Wells; 3–4: Rochester: S. B. Anthony; 5–6: Nat. American Woman Suffrage Assoc., 1881–1922). 18 John Stuart Mill, The Subjection of Women (London: Longmans, Green, Reader & Dyer, 1869); vgl. Bjarnhéðinsdóttir, „Fyrirlestur um hagi og rettindi kvenna“, 344.

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Arnfríður Guðmundsdóttir

Bibelexeget*innen schöpfte, war die treibende Kraft hinter ihrem lebenslan­ gen Einsatz für die Geschlechtergleichheit zweifellos ihre eigene Erfahrung mit der ungleichen Bildungs- und Arbeitssituation von Mann und Frau. Da­ her wird Bríet mit Recht zu den Pionierinnen gerechnet, die gegen Ende des 19. Jh. weltweit zu einer kritischen Auslegung biblischer Texte beitrugen und so die Voraussetzungen dafür schufen, dass sich in der zweiten Hälfte des 20. Jh. eine lebendige feministische Wissenschaft etablieren konnte.

Geheimgesellschaften, Modernismus und Frauenbewegungen in Italien (1789–1920) Die Bibel als Grundlage für soziale Veränderungen Adriana Valerio Università degli Studi Federico II, Neapel

1.

Die Zerrissenheit der katholischen Kirche

Die historische Periode, die von der Französischen Revolution bis zu den An­ fängen des Faschismus in Italien reicht (1919), ist in gesellschaftlicher wie religiöser Hinsicht von einer tiefen Zerrissenheit gekennzeichnet. In den drei Unabhängigkeitskriegen (1848–1870),1 die zur Einheit Italiens (1861), zur Er­ oberung Roms und zum Ende des Kirchenstaats (1870) führten, prallten die Bestrebungen einer Elite der italienischen Bevölkerung, die sich als souverä­ ne Nation konstituieren wollte, und der katholischen Hierarchie aufeinander, die sich durch die Revolutionen und die Moderne in ihrer eigenen Ordnung in Frage gestellt sah. Mit der Enzyklika Quanta cura (1864) und dem ange­ hängten Syllabus der Irrtümer der Moderne distanzierte sich die katholische Kirche von Neuerungen wie Gedankenfreiheit und Autonomie der Völker, die die Philosophie der Aufklärung gefordert hatte. Überdies erklärte sich Pius IX. nach der Eroberung Roms zum „Gefangenen“ und untersagte den Katho­ liken zum Zeichen des Protests gegen die verlorengegangene Unabhängigkeit des Heiligen Stuhls jedwede Beteiligung am politischen Leben Italiens (Non expedit).2 Dadurch trat der Riss zwischen Kirche und Gesellschaft nur noch umso deutlicher zutage. Schließlich hatte das I. Vatikanische Konzil mit den beiden Konstitutionen Dei Filius (Dogmatische Konstitution über den Glau­ ben) und Pastor Aeternus (Dogmatische Konstitution über den Primat des Papstes und seine Unfehlbarkeit im Falle der feierlichen Definition eines Dog­ mas) eine noch tiefere Kluft unter den Katholik*innen selbst entstehen lassen, die die Ideale des Risorgimento nicht selten als Chance auf eine kulturelle und religiöse Renaissance wahrnahmen. 1

2

Der Erste Weltkrieg (1914 bzw. in Italien 1915–1918) gilt als der vierte Unabhängig­ keitskrieg, der den Prozess der italienischen Einigung mit der Annexion von Triest und Trient zum Abschluss brachte. Gilles Pécout, Il lungo Risorgimento: La nascita dell’Italia contemporanea (1770–1922) (Mailand: Mondadori, 2011). 1919 wurde diese Verfügung wieder außer Kraft gesetzt.

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Im Hinblick auf die aufkommende Frauenfrage verwahrten sich Pius IX., Leo XIII. und Pius X. gegen jedwede nennenswerte Veränderung der Situa­ tion der Frau. In den revolutionären Bewegungen, die sie als Frucht des Pro­ testantismus betrachteten, glaubten die Päpste den Grund für eine Zerstörung der traditionellen sozialen, moralischen und religiösen Werte zu erkennen. Deshalb hielten sie es für notwendig, das traditionelle – patriarchalische und hierarchische – Familienmodell unerschütterlich zu verteidigen und damit ei­ nem sozialen und politischen Konservatismus das Wort zu reden. Die Frauen hatten ihren Sendungsauftrag ausschließlich innerhalb der Familie zu erfül­ len, für diese zu sorgen und ihr ein gutes Beispiel zu geben. Die traditionelle Auslegung einiger extrapolierter Bibelstellen aus Gen 1–3 und aus einigen Briefen des paulinischen Corpus (Eph 5, 1 Kor, 1 Tim) half, diese Positionen zu untermauern. 1852, unter dem Pontifikat Pius’ IX., erschien in der Jesuitenzeitschrift „La Civiltà Cattolica“, einem treuen Sprachrohr der Weisungen des Heiligen Stuhls, ein Artikel, der die Aufgaben der katholischen Frau anhand einer un­ missverständlichen Auswahl von Bibelstellen veranschaulichte.3 Demnach sei die Frau dem Mann „ähnlich“ und als sein Trost und seine Hilfe erschaf­ fen worden (Gen 1f.); da sie aus ihm gebildet wurde (Gen 2,21–23), sei sie ihm unterworfen (Gen 3,16; 1 Kor 11,9); sie schulde ihm Gehorsam, wie Sara dem Abraham gehorcht und ihn ihren Herrn genannt hatte (1 Petr 3,6). Das Tätig­ keitsfeld der Frau sei einzig die Familie (Eph 5,21–24). 1854 erschienen weitere Artikel4 mit ausführlicheren Erläuterungen zur Unterschiedlichkeit der Geschlechter, die als Rechtfertigung dienten, die Frau von jedweder aktiven Beteiligung am gesellschaftlichen und religiösen Le­ ben auszuschließen. Allein dem Mann stand demnach der Titel eines Staats­ bürgers und der Gebrauch der Staatsbürgerschaft zu.5 Doch auch die freien Künste und das Studium der Wissenschaften waren den Frauen verwehrt: Das Wissen sei nicht für alle da; für die Frau sei es gefährlich und obendrein unschicklich, weil ihrer „Bescheidenheit“ abträglich. Leo XIII. setzte sich mehrfach mit der Frauenfrage auseinander. Wieder­ holt bekräftigte er das Modell einer hierarchisierten Gesellschaft, deren Un­ gleichheiten Ausdruck einer gottgewollten Ordnung und als solche zu akzep­ tieren seien, da alles andere gegen das Naturrecht verstoße. In den Enzykliken Quod apostolici muneris (1878, Nr. 7), Arcanum (1880, Nr. 7), Diuturnum (1881, Nr. 6) und Rerum novarum (1891, Nr. 6) greift der Papst die altbekann­ ten Stellen aus Eph 5.6 und 1 Kor auf, um die Heiligkeit der Autorität sowie die daraus abzuleitende Unterordnung der Frau zu bekräftigen. Die egalitären 3 4 5

„La donna nel Cristianesimo“, CivCatt 10 (1852): 381–397 (ohne Autorenangabe). „Dell’educazione dell’uomo e della donna“, CivCatt 6 (1854): 491–505.977–991.1237– 1252.1369–1388. „Allein dem Mann gebührt durch allgemeine Verfügung der Vorsehung der Name eines Staatsbürgers und der Gebrauch der Staatsbürgerschaft“, ebd., 502.

Geheimgesellschaften, Modernismus und Frauenbewegungen in Italien 133 Theorien betrachtet Leo XIII. als „Monstrositäten“, die nicht berücksichtigen, dass die „Ungleichheit der Menschen auf Erden eine notwendige, unvermeid­ liche Ungleichheit ist.“6 Obwohl er die Entstehung einer katholischen Frauen­ bewegung gutheißt, will Leo XIII. dieser eine reine Hilfsfunktion zubilligen, um „den Mutterinstinkt zu vervollkommnen“, wohingegen er ein Engagement für die gesellschaftliche und politische Emanzipation der Frau ausschließt. Unter Pius X. fand, was die Einschätzung der Frau und ihrer Sendung be­ traf, keinerlei Veränderung statt. Zwar befürwortete der Papst die Gründung der ersten Frauenvereinigung, der „Union der katholischen Frauen“ (1909), doch tat er dies in der Absicht, die Beschränkung der Frau auf den häusli­ chen Bereich zu verteidigen und sich der zunehmenden Säkularisierung ent­ gegenzustemmen. Zudem führte der theologische Kurs, den Pius X. mit der Verurteilung des Modernismus einschlug, die katholische Welt in eine Phase der Dunkelheit, die sich etwa 50 Jahre lang wie ein todbringender Schatten über das Leben der Kirche legte und jedes Aufkeimen spiritueller und intel­ lektueller Lebenskraft in Forschung und Dialog erstickte. Dies war im Hin­ blick auf die Bibelwissenschaft besonders schmerzlich und hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die von den Frauenbewegungen angesprochenen Probleme und ihre Forderungen nach einer anderen Herangehensweise an die Heilige Schrift, die eher geeignet war, der „neuen Frau“, deren Identität sich in Ge­ sellschaft und Kirche auszuprägen begann, Perspektiven der Befreiung zu eröffnen.

2.

Die Bibelfrage und die Frauen

Im Italien des 19. Jh. las man die Bibel üblicherweise in der Übersetzung des Pfr. Antonio Martini (1720–1809), einem sehr erfolgreichen, mehr als 40 Mal nachgedruckten Werk, das über zwei Jahrhunderte lang die amtliche Über­ setzung der katholischen Kirche blieb.7 Pfr. Martini hatte 1757 im Auftrag Benedikts XIV. damit begonnen, die Bibel in der Fassung der Vulgata SixtoClementina ins Italienische zu übersetzen, und diese Übersetzung 1771 un­ ter Pius VI. zum Abschluss gebracht. Zuerst erschienen sechs Bände Neues 6

Zitiert nach Adriana Valerio, „Pazienza, vigilanza, ritiratezza: La questione femmi­ nile nei documenti ufficiali della Chiesa (1848–1914)“, Nuova DWF 16 (1981): 60–79; 68, Anm. 26. 7 Antonio Martini, Del vecchio testamento secondo la Volgata e con annotazioni, illustrato da mons. illustriss. e reverendiss. Antonio Martini, Arcivescovo di Firenze (26 Bde; Venedig: Giuseppe Rossi qu. Bortolo, 1781–1786); Ders., Del Nuovo Testamento tradotto in lingua volgare e con annotazioni, illustrato da monsig. illustriss. e reverendiss. Antonio Martini, Arcivescovo di Firenze (10 Bde; Venedig: Giuseppe Rossi qu. Bortolo, 1786).

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Testament (1769–1771), dann, mit der Hilfe des Rabbiners Daniel Terni, der Martini bei der Übersetzung aus dem Hebräischen unterstützte, sukzessive 17 Bände Altes Testament (1776–1781). Martini entschied sich für eine zwei­ sprachige Ausgabe und stellte dem Vulgatatext in der linken Spalte die ita­ lienische Übersetzung in der rechten Spalte gegenüber. Unten auf der Seite bot er kurze und klare Kommentare zu unverständlichen und schwierigen Stellen. Wohlgemerkt übernahmen die im Text enthaltenen Kommentare die Geschlechtervorurteile der katholischen Exegese und hoben, wo immer der biblische Text dazu Gelegenheit gab, die Schwäche der Frau und ihre naturge­ gebene Unterlegenheit gegenüber dem Mann hervor. Das Verhältnis zwischen Bibel und Wissenschaft war noch dasselbe wie zu Galileis Zeiten und wurde nun im Italien des 19. Jh. wieder neu thema­ tisiert, als man im deutsch- und französischsprachigen Raum begann, die historisch-kritische Methode auf die heiligen Texte anzuwenden. Die italie­ nischen katholischen Gelehrten reagierten im Großen und Ganzen ablehnend auf eine Methode, die die Fundamente der Offenbarung aus den Angeln zu heben schien.8 Die Debatte entzündete sich am Problem der Inspiration der Bibel und mithin der Unfehlbarkeit der Schriften (Prinzip der Irrtumslosig­ keit). War der heilige Text Zeile für Zeile Wort Gottes, oder musste man zwi­ schen geoffenbarter Glaubenswahrheit und historischer Hülle unterscheiden? Schon die auf dem I. Vatikanischen Konzil erarbeitete Konstitution Dei Filius (1870) hatte gemäß tridentinischer Lehre festgelegt, was göttliche In­ spiration der Schrift bedeutet, und betont, dass die Bibel unter dem Einfluss des Heiligen Geistes niedergeschrieben wurde und mithin Gott ihr Urheber ist. Dieser Standpunkt wurde von Leo XIII. in der Enzyklika Providentissimus Deus (1893) wieder aufgegriffen und bekräftigt: Die Bibel sei in allem, was sie aussagt, frei von Irrtümern. Die Positionen des Lehramts erstickten damit jede Möglichkeit einer freien Forschung im Keim. Diese Rückständigkeit der Bibelwissenschaft im italienischen Kontext – der von den Debatten jenseits der Alpen abgeschnitten und von der starken Präsenz der kirchlichen Zensur geprägt war – verschärfte sich, als Pius X. sämtlichen wissenschaftlichen Öffnungsbestrebungen, die sich mit den Ver­ tretern der sogenannten modernistischen Bewegung Bahn brachen, eine Ab­ sage erteilte. Mehrfach verurteilte er im Lauf seines Pontifikats Initiativen, die sich für eine Weiterentwicklung der Bibelstudien einsetzten. Das Dekret Lamentabili und die Enzyklika Pascendi (2. Juli und 8. September 1907) so­ wie die verschiedenen Maßnahmen der Bibelkommission (in den Jahren 1906 und 1907) zur Verteidigung der Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift schlos­ sen jedwede Diskussion aus, die das heikle Verhältnis zwischen Gotteswort und Menschenwort in der Bibel thematisierte. Auch die Frauenbewegungen, 8 Rinaldo Fabris, „Lo sviluppo e l’applicazione del metodo storico-critico nell’esegesi biblica (secoli XVII–XIX)“, in La Bibbia nell’epoca moderna e contemporanea (hg. v. dems.; Bologna: Dehoniane, 1992), 103–145; 135f.

Geheimgesellschaften, Modernismus und Frauenbewegungen in Italien 135 die ihre Inspiration und ihre Ideale nicht zuletzt aus einer anderen Lesart der heiligen Texte gewannen, wurden durch diese Verurteilungen ausgebremst. Es kann also festgehalten werden, dass sich die Katholikinnen im Italien des 19. Jh. auf die unterschiedlichsten Lager verteilen. Sie engagieren sich in Geheimgesellschaften, bringen die Einigung Italiens voran, spielen eine Hauptrolle bei der Entstehung der ersten Frauenbewegungen oder tragen zu Veränderungen bei, die sich in den Jahren des Modernismus anbahnen. In all diesen Bereichen nimmt die Bibel nach und nach neue Räume ein und erhält neue Bedeutungen: Bald dient sie als Bollwerk gegen die Stürme des Laizismus und der Moderne (Geheimgesellschaften und religiöse Vereinigun­ gen), bald als Forschungsgrundlage für einen ökumenischen Glauben (Dora Melegari) sowie eine liturgische und kirchliche Erneuerung (Antonietta Gia­ comelli), bald als Quelle der Inspiration, um die Rechte der Frauen geltend zu machen (Elisa Salerno). Angesichts des Umfangs und der Komplexität dieser noch wenig erforsch­ ten Frage stellen wir im Folgenden beispielhaft einige ausgewählte Frauen vor, die sich dem heiligen Text auf neuen Wegen genähert und damit für die „neue Frau“ einen schmerzlichen Prozess der Identitätsfindung und Bewusst­ werdung eingeleitet haben, die in einem stetigen Crescendo letztlich das her­ vorbringen sollte, was man im 20. Jh. die „bürgerlichen Rechte“ nennen wird.

3.

Die Frauen in der Geheimgesellschaft der Amicizia cristiana: Leopoldina Naudet und das Apostolat des Buchs

3.1

Die Amicizia cristiana

Die Amicizia cristiana, eine 1780 von Nikolaus von Diessbach (1732–1798) in Turin gegründete Geheimgesellschaft, verfolgte den Zweck, eine intellek­ tuelle katholische Elite mithilfe von Texten zu bilden, die möglichst weit in Umlauf gebracht werden sollten, um ‚falsche Lehren‘ zu bekämpfen.9 Von Diessbach, 1732 als Sohn einer calvinistischen Familie in Bern ge­ boren, konvertierte 1755 zum Katholizismus. Nach einer kurzen Ehe von nur drei Jahren – seine Frau starb im Kindbett – beschloss er 1759, in den Jesuitenorden einzutreten. 1764 wurde er in Fribourg zum Priester geweiht, konnte die vier Gelübde jedoch nicht mehr ablegen, weil die Gesellschaft Jesu überraschend verboten wurde. Daraufhin entstand die Idee, einen Bund ins 9 Candido Bona, La testimonianza delle „amicizie Cristiane“ (Rom: Lanteriana, 1980).

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Leben zu rufen, der die Katholik*innen im gemeinsamen Kampf gegen den Unglauben ihrer Zeit vereinen würde: Der Buchdruck schien ihm das best­ geeignete Mittel, um zum Gegenangriff gegen die feindliche Propaganda zu blasen, die durch das Buch die ‚falschen‘ Vorstellungen der aufklärerischen Philosophie verbreitete. Also schlug er vor, einen Zusammenschluss aus allen Freund*innen der katholischen Religion zu gründen, um durch die Verbrei­ tung der richtigen Bücher den ‚wahren‘ Glauben zu verteidigen.10 Bei diesem Apostolat spielten Frauen eine entscheidende Rolle, denn da […] sind die Frauen nicht nur nicht von der Amitié Chrétienne ausgeschlossen, sondern es ist sogar in mehrfacher Hinsicht sehr nützlich, dass sie daran teil­ nehmen.11

Schon dieses Zitat aus den Statuten der Gesellschaft, die unter dem Titel Les Loix de l’Amitié Chrétienne bekannt geworden sind, zeigt, dass von Diessbach den Frauen, denen eine nicht unwesentliche Stellung zugedacht war, erhebli­ che strukturelle Bedeutung beimaß. Die Gesellschaft bestand nämlich, so eli­ tär sie auch war, aus Gruppen (Zellen), deren jede sich aus zwölf Freund*innen zusammensetzte, die zur Hälfte Männer (Priester und Laien) und zur Hälfte Frauen waren. Auch wenn nicht vorgesehen war, dass Letztere leitende Posten wie den des ersten und des zweiten Bibliothekars, des Promotors, des Missio­ nars oder des Sekretärs besetzten, war ihnen das Amt der Instrukteurin vor­ behalten, die für die Ausbildung der Aspirantinnen zuständig war. Die Frau­ en waren bei den gemeinschaftlichen Praktiken von den Männern getrennt, hatten aber Stimmrecht und übernahmen beratende und helfende Tätigkeiten. Sie durften ihr Apostolat ausüben und in ihrem Bekanntenkreis einen oder zwei Erkunder oder Erkunderinnen auswählen, die damit betraut waren, als Externe bei der Verteilung der für geeignet erachteten Bücher zu helfen. Vor allem mussten ausnahmslos alle – Mitglieder wie Mitarbeiter, Männer wie Frauen – gebildet und von ‚wahrem Eifer‘ beseelt sein. Die Amicizia stützte sich also auf ein dichtes Netz aus Beziehungen, in dem die Frauen eine besonders wichtige Rolle einnahmen. Dem heiligen Text kommt in diesem Apostolat des Buchs besondere Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang sei an die Gründung der Bibelgesellschaft 1817 in Turin – als Gegenentwurf zu der gleichnamigen protestantischen Einrichtung – erinnert,

10 Nicolas Joseph Albert de Diessbach, Le Chrétien catholique inviolablement attaché à la religion par la considération de quelques unes des preuves qui en établissent la certitude (Turin: Fontana, 1771). 11 Les Loix de l’Amitié Chrétienne; dieses Dokument ist abgedruckt in: Carlo Bona, Le „Amicizie“: Società segrete e rinascita religiosa (1770–1830) (Turin: Deputazione Subalpina di Storia Patria, 1962), Anhang, 476–488.

Geheimgesellschaften, Modernismus und Frauenbewegungen in Italien 137 die sich zu einem öffentlichen Zweig der Amicizia entwickeln sollte und aus­ schließlich von Laien betrieben wurde.12 Diese Aufmerksamkeit für die Heilige Schrift war in den Freundeskreisen nichts Ungewöhnliches. So wissen wir, dass die Marchesa Massimino, Frau des Freundes und Mitarbeiters Giuseppe Massimino di Ceva, sich bei einer Zusammenkunft in Turin am 29. Januar 1811 dafür aussprach, das Leben des Tobias drucken zu lassen, um Eheleuten eine Orientierung an die Hand zu geben.13 Man war sich also der Notwendigkeit bewusst, die Bibel einem im­ mer breiteren katholischen Publikum zugänglich zu machen. Es bedurfte der Bildung, um die katholische Lehre zu verteidigen, doch es war nicht weniger wichtig, das Interesse an der Bibel neu zu wecken, die es in Umlauf zu brin­ gen und bekannt zu machen galt.

3.2

Leopoldina Naudet

Unter den Frauen im Umkreis der Amicizia Cristiana ragt die Gestalt der Leo­ poldina Naudet hervor (1773–1834). 1773 als Tochter eines französischen Va­ ters (Giuseppe) und einer deutsch-slowakischen Mutter (Susanna von Arnth) in Florenz geboren, hatte Leopoldina Naudet Zugang zu drei unterschiedli­ chen Sprach- und Kulturräumen und erwarb eine nicht alltägliche, europäisch geprägte Bildung.14 1789 treffen wir sie in Florenz als Erzieherin der Kinder von Großherzog Leopold; 1790 begegnet sie uns in Wien im Gefolge von Ma­ ria Ludovica, der Frau Leopolds, der mittlerweile Kaiser geworden ist; 1792 12 Bona, Le „Amicizie“, 315, Anm. 66. Diese Gesellschaft nannte sich zunächst La Società Ecclesiastico-Biblica und wurde erst später zur Amicizia Cattolica. 13 Relatio in Archivo Postulationis O. M. V. asservato S. II, 225a.b. Die Korrespondenz von Bruno Lanteri enthält zahlreiche Informationen über die Präsenz der Frauen im Netzwerk der Amicizia, vgl. Carteggio del Venerabile Padre Pio Bruno Lanteri (1759–1830) fondatore della Congregazione degli Oblati di Maria Vergine (hg. v. P. Paolo Calliari; 5 Bde; Turin: Lanteriana, 1975–1976). 14 Zu weiterführender Literatur siehe: Rino Cona, Leopoldina Naudet (1773–1834): La tua volontà come in cielo anche in terra (2 Bde; Verona: Gabrielli, 2016); Adriana Valerio, „Da donna a donne: La serva di Dio Leopoldina Naudet e l’educazione femminile agli inizi dell’Ottocento“, in Santi, culti, simboli nell’età della secolarizzazione (1815–1915) (hg. v. Emma Fattorini; Sacro santo 11; Turin: Rosenberg & Sellier, 1997), 515–528; Cristina Simonelli, Leopoldina Naudet: Sette stanze e un’ouverture (Verona: Gabrielli, 2009). Besonders wertvoll ist die Dokumentation in der Positio: Beatificationis et canonizationis servae Dei Leopoldinae Naudet, Veronae (1773–1834), Positio super virtutibus (hg. v. Yvon Beaudoin; 2 Bde; Romae: Congregatio de causis sanctorum, 1994); wesentlich ist außerdem die Kenntnis ihrer Schriften, vgl. Leopoldina Naudet, Le conferenze spirituali (hg. v. Adriana Valerio; Verona: Gabrielli, 2014); Dies., L’epistolario (hg. v. Adriana Valerio; 4 Bde; Verona: Gabrielli, 2016–2018).

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schließlich hält sie sich in Böhmen auf, wo sie als Ehrendame der Erzherzogin Maria Anna, Äbtissin der Prager Kanonissinnen, fungiert. Die Beziehung zwischen von Diessbach und Leopoldina beginnt 1790 in Wien, wo er als Beichtvater des kaiserlichen Hofs ihr geistlicher Beglei­ ter wird. 1790 hatte von Diessbach während seines Wien-Aufenthalts Kai­ ser Leo­pold II. seine Gedanken vorgelegt und ihn darum ersucht, das ‚ge­ sunde‘ katholische Druckereiwesen in seinem Kampf gegen die ‚irreligiöse‘ Literatur zu unterstützen und dafür von einem umfangreichen Bestand an Übersetzungen und Populärdarstellungen sowie Strukturen zur Verbreitung klar katholisch und antirevolutionär geprägter Bücher Gebrauch zu machen.15 Denselben Vorschlag unterbreitete er 1798 auch der Erzherzogin Maria Anna in Prag, die jedoch nie Sympathien für das Projekt hegte, das stattdessen Le­ opoldinas Unterstützung fand. Vieles weist darauf hin, dass Leopoldina dem Umfeld der Amicizia ange­ hörte.16 Neben dem Bücheraustausch, den sie erwiesenermaßen mit angese­ henen Persönlichkeiten in Verona pflegte, wo sie sich seit 1808 aufhielt, um eine Ordensgemeinschaft (die Schwestern der Heiligen Familie) zu gründen, fällt vor allem auf, dass ihre Bibliothek über 50 Bände mit biblischen Tex­ ten enthielt. Die Bibliothek, die Leopoldina hinterlassen hat, besteht aus über 1700 Büchern, von denen viele, die zum privaten Gebrauch bestimmt waren, von ihr mit handschriftlichen Anmerkungen versehen sind und unter denen die Heilige Schrift einen besonderen Platz einnimmt. Die Bibliothek enthält die 37-bändige Bibelübersetzung von Antonio Mar­ tini, nacherzählte und kommentierte biblische Geschichten (Agostino Calmet, Jean Baptiste Duchesne, Pellegrino Farini, Antonio Cesari), einige LebenJesu-Darstellungen auf der Grundlage einer Konkordanz der vier Evangeli­ en (Jean Compans, Arnaldo Duquesne, Carlo Massini, Federico di Stolberg), paränetische Schriftauslegungen nach damaligem Zeitgeschmack (Andrea Micheli, Nicolas Fontaine, Domenico Rossetti) sowie liturgische Kommenta­ re (Alessandro Calamato, Nicola de Tourneux). Das Interesse an volkstümli­ chen, didaktischen und apologetischen Aspekten der Schrift lässt sich an den Werken des Dominikaners Remigio Fiorentino (1521–1581), des jüdischen Konvertiten Paolo Medici (1671–1738) und des Jesuiten Ferdinando Zucconi (1647–1732) im Bibliotheksbestand aufzeigen. Ebenfalls in der Bibliothek enthalten und von unbestreitbarem Wert sind die berühmten Evangelicae Historiae Imagines (Antwerpen 1593), ein Werk, das auf eine Idee des Jesuiten Jerónimo Nadal zurückgeht. Der von Nadal verfasste Text basiert auf den Geistlichen Übungen des Ignatius von Loyola und ist zu pädagogischen Zwecken mit akkuraten und kostbaren Holzschnit­ 15 Bona, Le „Amicizie“; Giuseppe Giarrizzo, Massoneria e Illuminismo nell’Europa del Settecento (Venedig: Marsilio, 1994). 16 Adriana Valerio, „Leopoldina Naudet, l’Amicizia Cristiana e la Bibbia: l’influenza dei gesuiti nell’apostolato del libro“, AHSJ 167 (2015): 79–109.

Geheimgesellschaften, Modernismus und Frauenbewegungen in Italien 139 ten illustriert, die Szenen aus dem Evangelium darstellen. Die Originalität des Werks besteht darin, dass die Holzschnitte mit Buchstaben versehen und den Buchstaben Fußnoten auf derselben Seite zugeordnet sind, in denen jede Ein­ zelheit der dargestellten Szene minutiös und detailliert erklärt wird.17 Dass die Imagines in Naudets Bibliothek enthalten sind, ist ein weiterer Beleg für das Interesse an der Heiligen Schrift und für eine Herangehensweise im Sinne der gegenreformatorischen Pädagogik. Die Bücher in Leopoldina Naudets Bibliothek weisen – wie gar nicht an­ ders zu erwarten – weniger auf einen Hang zur damals unter dem Einfluss der Aufklärung aufkommenden exegetischen Analyse als vielmehr auf ein praktisches Interesse an der geistlichen Ausbildung der Gläubigen hin. Die Frauen zu evangelisieren und ihnen insbesondere eine gründliche Bildung zu ermöglichen, erscheint in der nachrevolutionären Gesellschaft, wo sich Frauen treffen, miteinander diskutieren, nachdenken und sich menschlich wie spirituell weiterentwickeln können, als eine zwingende kulturelle und gesell­ schaftliche Notwendigkeit. Den von Leopoldina Naudet eingeführten kulturellen Neuerungen liegt das Bewusstsein zugrunde, dass Unwissenheit auch bei Frauen den Keim der Verderbnis in sich trägt und dass das Studium für sie ein dringend erforder­ liches Mittel des menschlichen und geistlichen Wachstums ist. Aus diesem Grund engagiert sie sich für die kulturelle Förderung der gesamten weibli­ chen Jugend. Ihr eindeutig jesuitisch geprägter Lehrplan untergliedert sich in mehrere Bereiche und sieht – allerdings untrennbar mit dem Katechismus­ studium verbunden und funktional auf die Lehre der Kirche bezogen – auch die Vermittlung von Bibelkenntnissen vor. Leopoldina begreift von Grund auf, wie wichtig Bücher und Bildung für die Erneuerung der katholischen Gemeinschaft sind, und nicht weniger deutlich ist sie sich der Notwendigkeit bewusst, durch die Verbreitung volkstümlicher und didaktischer Schriften ein klares Verständnis der Heiligen Schrift zu vermitteln. Besagte Schrif­ 17 In dem anderen Werk von Jerónimo Nadal, Adnotationes et meditationes in Euangelia quae in sacrosancto missae sacrificio toto anno leguntur: cum euangeliorum concordantia historiae integritati sufficienti. Accessit & index historiam ipsam euangelicam in ordinem temporis vitae Christi distribuens (Antwerpen: Martin Nuyts, 1595), wird der didaktische Aufbau noch deutlicher: Ausgangspunkt ist jeweils ein Bild, das die neutestamentliche Episode darstellt; die Auslegung wird von Anmer­ kungen begleitet, die den Kommentaren der Kirchenväter entnommen sind und als Überleitung zur Meditatio dienen. Zu jeder Bildtafel gehört also ein Kommentar, der so angelegt ist, dass er bei der Betrachtung oder der Predigtvorbereitung zu Hilfe genommen werden kann. Dieser Text, der vielleicht aus Leopoldinas Besitz stammt, befindet sich heute in der Bibliothek der Stigmatiner in Verona und gehört vermutlich zu den Texten, die Naudet – in diesem Fall mit Don Gaspare Bertoni – gegen andere eintauschte. Zu Nadal vgl. auch die Arbeit von Genoveffa Palumbo, Le porte della storia: L’età moderna attraverso antiporte e frontespizi figurati (Rom: Viella, 2012), 49–62.

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ten zeigen überdies, dass das Fehlen einer direkten Beziehung zur Bibel in Italien durch ein breites verlegerisches Angebot kompensiert wurde, das den Katholik*innen mithilfe von Nacherzählungen, Kommentaren und Anmer­ kungen beträchtliche Möglichkeiten bot, sich dem heiligen Text zu nähern und ihn zu verstehen. Unkenntnis der Heiligen Schrift durfte nicht länger toleriert werden; eine gewisse – wenn auch durch Lehre und Liturgie gefilter­ te – Bibelfestigkeit war unabdingbar.

4.

Antonietta Giacomelli und der Modernismus

Noch kaum erforscht ist die Präsenz der Frauen im Rahmen jener umfangrei­ chen und komplexen Bewegung, die unter dem Namen Modernismus bekannt geworden ist – doch schon unter den wenigen bisherigen Ergebnissen der Ar­ chivrecherchen finden sich Zeugnisse von Frauen mit einem reflektierten und produktiven Glauben, die neue Akzente des kulturellen Wachstums zu setzen wussten und damit bemerkenswerte Impulse zu einem Bruch mit der Vergan­ genheit gaben. In kulturellen Zirkeln und Salons, die mit großem religiösem Idealismus von Frauen geleitet und frequentiert wurden, wurde Gedankengut transportiert, das auf Reform und Erneuerung ausgerichtet war. Denken wir nur an die Frauen im Umkreis von Ernesto Buonaiuti und seiner Gemein­ schaft, die er Koinonia nannte und die sich versammelte, um gemeinsam das Evangelium zu lesen. In dieser Strömung des Modernismus lässt sich auch der Lebensweg der Antonietta Giacomelli verorten.

4.1

Die liturgische Reform

Am 15. August 1857 als Tochter des Risorgimento-Patrioten Angelo und der Maria Rosmini, Nichte des Philosophen Antonio Rosmini, in Treviso gebo­ ren, übersiedelte sie 1893 mit ihrer Familie nach Rom, wo sie die protestan­ tische italienisch-schweizerische Schriftstellerin Dora Melegari (1849–1924) kennenlernte.18 Gemeinsam gründeten sie die Unione per il bene, eine für 18 Dora Melegari zählte zu den leidenschaftlichsten Verfechterinnen der Sache der „neuen Frau“: einer Frau, die offen für den Dialog und imstande war, eine tolerante und ökumenische Spiritualität zu artikulieren. Melegaris Roman Âmes dormantes (Paris: Fischbacher, 1903), der später unter dem Titel Il Sonno delle anime (Mailand: Fratelli Treves, 1903) ins Italienische übersetzt wurde, war Ausdruck eines katholi­ schen Glaubensbekenntnisses, das es sich aber nicht nehmen ließ, auch den Primat des Gewissens und die „freie Auslegung“ protestantischer Prägung sowie einen ein­ fachen und aufrichtigen Glauben à la Tolstoi als Werte in Betracht zu ziehen. Roberta Fossati, „Dal salotto al cenacolo: intellettualità femminile e modernismo“, in Salotti

Geheimgesellschaften, Modernismus und Frauenbewegungen in Italien 141 Frauen und Männer geöffnete Vereinigung zur Förderung kultureller und phi­ lanthropischer Begegnungen: Hier konnten die Mitglieder, Laien und Kleri­ ker, durch die Betrachtung des Evangeliums und die Praxis der Nächstenliebe einen tätigen Glauben entdecken, der sie auch mit Vertreter*innen anderer Konfessionen verband.19 Die Vereinigung war überkonfessionell, offen für Dialog und Gedankenaustausch und von der Überzeugung getragen, dass ein religiöses Erwachen notwendig war, das auf dem Evangelium basierte und in einen praktischen Glauben einmündete: einen Glauben, der von allen geteilt wurde, weil er auf das Gute abzielte, das getan werden musste.20 Die Cenacoli der Union breiteten sich in mehreren italienischen Städten (Rom, Turin, Mailand, Venedig) aus, wo Gruppen entstanden, die sowohl von einem ausgeprägt ethisch-philanthropischen Engagement als auch von nachdrücklichen Forderungen nach einem „Glaubenserwachen“ geprägt wa­ ren, das in einer im Umbruch befindlichen Gesellschaft unter anderem eine Neudefinition der Rollen der „neuen Frau“ erforderte: einer Frau, die nicht mehr in Passivität und Ignoranz verharren, sondern zur Protagonistin einer bewussten Religiosität werden sollte. In einer Zeit, die für den Katholizismus besonders dramatisch war, weil die modernistische Bewegung von den Hie­ rarchen als Bedrohung des Glaubens und der Institutionen wahrgenommen wurde, wurde die Union aufgrund dieser ausgeprägt ökumenischen Ausrich­ tung von diversen Kirchenvertretern kritisiert. Ungeachtet der Kritik setz­ te Giacomelli ihr Werk auch nach 1902 fort, als sie dauerhaft nach Treviso zurückkehrte und ihren Salon für „aufgeklärte“ Intellektuelle wie Antonio Fogazzaro, Giovanni Semeria, Tommaso Gallarati-Scotti, Paul Sabatier und Romolo Murri und für Bischöfe wie Geremia Bonomelli und Giovanni Bat­ tista Scalabrini öffnete. In diesem Umfeld versuchte Antonietta zwischen 1904 und 1907 mit dem von ihr verfassten Essay „La Messa“ (1904)21 und mit ihrem Werk Adveniat Regnum Tuum22 einem „liturgischen Erwachen“ den Boden zu bereiten. Sie e ruolo femminile in Italia tra fine Seicento e primo Novecento (hg. v. Maria Luisa Betri und Elena Brambilla; Venedig: Marsilio, 2004), 455–473. 19 Roberta Fossati, „Tra Marta e Maria: riformismo religioso e donne nuove nell’Italia tra Otto e Novecento“, in Donne sante, sante donne: Esperienza religiosa e storia di genere (hg. v. d. Società italiana delle storiche; Turin: Rosenberg & Sellier, 1996), 285–308; Dies., Élites femminili e nuovi modelli religiosi nell’Italia tra Otto e Novecento (Studi e testi 4; Urbino: Quattroventi, 1997). 20 Cettina Militello, „Figure femminili del modernismo: Un tentativo di rilettura teo­ logica“, in La crisi modernista nella cultura moderna (hg. v. Giacomo Losito; Roma: Treccani, 2012), 279–315. 21 Antonietta Giacomelli, La Messa: Istruzioni, testo liturgico e preghiere (Rom: Pia Società San Girolamo per la diffusione dei Santi Evangeli, 1904). 22 Es handelt sich um eine meditative Trilogie: Antonietta Giacomelli, Adveniat regnum tuum 1: Letture e preghiere cristiane; 2: Rituale del cristiano; 3: L’anno cristiano (Rom: Pia Società San Girolamo per la diffusione dei Santi Evangeli, 1904–1907).

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strebte eine aktive Teilnahme der Gläubigen am Messritus an, der mutter­ sprachlich auf Italienisch gefeiert werden und eine größere Beteiligung der Laien am Leben der Kirche und eine gelebte Ökumene als Zeichen des uni­ versalen Heils bewirken sollte. Es ist von historischer Bedeutung, dass noch vor dem Aufkommen der eigentlichen Liturgischen Bewegung in der römisch-katholischen Kirche eine Frau, Antonietta Giacomelli, Reformen vorschlägt, die die bewusste Beteili­ gung aller Gläubigen an der Liturgie in der Muttersprache ins Zentrum stellen und die darauf abzielen, in der täglichen Liturgie die Bedeutung der Bibelle­ sung zu betonen, um das liturgische Verständnis zu fördern und die Symbolik der rituellen Gesten nachvollziehbar zu machen. Nach der Promulgation der Enzyklika Pascendi durch Pius X. (7. Septem­ ber 1907) wurde Giacomellis Position zunehmend problematisch. Hinzu kam, dass sich Antonietta in enger Verbindung mit ihren religiösen Forderungen auch aktiv an jenen sozialen und politischen Bewegungen beteiligte, die im Zusammenhang mit der Situation der Frau auch eher heikle Fragen themati­ sierten und bei den kirchlichen Hierarchien Bestürzung auslösten.23 Im April 1908 nahm Giacomelli in Rom am ersten Frauenkongress teil, und im Jahr darauf hielt sie auf dem nationalen Treffen, das die Frauenunion in Mailand veranstaltete, einen Vortrag mit dem Titel „Die Frau in der Fami­ lie“. Am 13. August 1911 begann sich die Indexkongregation mit Giacomellis Werk Adveniat Regnum Tuum zu befassen, und am 22. Januar 1912 erklärte das Tribunal, dass die Bände sich nicht im Einklang mit der christlichen Leh­ re befänden und zu verurteilen seien. Das entsprechende Dekret wurde zwei Tage später von Pius X. approbiert.24 Giacomelli wurde als femina quaedam bezeichnet, die, so der Vorwurf, mit ihren „Büchlein“ (libercula) „eine Re­ form des angeblich veralteten und abergläubischen Gottesdiensts nach dem Vorbild der alten Liturgie“ angestrebt habe.25 Außerdem nahm die Kongre­ gation Anstoß an den Grundzügen der von Giacomelli angestrebten Reform, die unter anderem auf „verzerrten Übersetzungen und Interpretationen von Bibeltexten“ fuße, und verurteilte sie als „modernistisch“.26 Trotz des harten Urteils beugte sich Antonietta der Entscheidung des Hei­ ligen Offiziums nicht, sondern trug sich mit dem Gedanken, zur katholischen Kirche auf Distanz zu gehen und eine „katholisch-apostolische evangelische 23 Adriana Valerio, Donne e Chiesa: Una storia di genere (Rom: Carocci, 2016), 200– 203. 24 Ilario Tolomio, Dimenticare l’antimodernismo, filosofia e cultura censoria nell’età di Pio X (Padua: Cleup, 2007), 144. 25 Vgl. Giuseppe Sovernigo, Il Movimento Cattolico a Treviso nel primo decennio del novecento (1900–1910) (Diss., Università degli studi di Padova, 1969/1970), Doku­ ment Nr. 1. 26 Tolomio, Dimenticare l’antimodernismo, 151f.

Geheimgesellschaften, Modernismus und Frauenbewegungen in Italien 143 Kirche“ zu gründen, für die sie sogar ein programmatisches Manifest aufsetz­ te, dessen Ausgangspunkt die Liturgiereform war.27 Auch wenn Giacomelli diesen Plan auf Drängen von Freund*innen schließlich aufgab, verhielt sie sich keineswegs still, sondern reagierte auf die Verurteilung mit der Veröffentlichung der Schrift Per la riscossa cristiana,28 eines persönlichen Manifests gegen die Unzulänglichkeiten der katholischen Institution. Wieder dauerte es nicht lange, bis die Mühlen der Zensur zu mah­ len begannen: Am 13. November 1913 wurde das Buch unter dem Vorwurf des Modernismus auf den Index gesetzt. Dass sie eine Frau war, spielte bei Antoniettas Verurteilung keine unerhebliche Rolle: Sie wurde beständig als „Theologin“, „Amazone“, „femina quaedam“, „arme Schwärmerin“ und „arme Närrin“ verunglimpft.29 Antonietta, die immer darauf gehofft hatte, dass sich die Kirche von in­ nen heraus erneuern würde, unterwarf sich 1916 unerwartet und zog ihre Bücher zurück. Adveniat wurde nach einer entsprechenden Überarbeitung erst 1942 wiederveröffentlicht. Während des Faschismus zog sie sich in ein Schwesternpensionat zurück, wo sie ein Leben in Armut führte. Sie starb am 10. Dezember 1949. Die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils als Rehabilitation ihrer Anliegen hat sie bedauerlicherweise nicht mehr erlebt.

4.2

Das Erwachen der Geister

Antonietta Giacomelli war davon überzeugt, dass die religiöse Bildung der Frauen aus der Heiligen Schrift und der Patristik schöpfen müsste und dass dies ihr kulturelles Fortkommen begünstigen und sie letztlich in die Lage ver­ setzen würde, jedweden Klerikalismus von sich zu weisen und eine tiefgrei­ 27 „Wenn unsere Priester gemeinsam mit uns die alte Versammlung erneuerten, dann würde die Feier der Eucharistie wieder zu einem brüderlichen Mahl; die Predigten wären keine eitle Rhetorik, sondern ein Kommentar zum Evangelium und mithin ein Ersatz für den Katechismus. Wir würden aus dem Kreis der Ältesten einen Bischof wählen, der die neuen Priester weihen würde, welche nicht an Seminaren, sondern im Umfeld von Priestern heranwüchsen, die Seelsorger sind. Unsere Kirche müsste neben der Reform der Gebräuche und sozialen Grundsätze in ihrem eigenen Schoß alle Reformen des Gottesdiensts durchführen, die der christliche Geist von der Amts­ kirche verlangt hat“, übersetzt zitiert nach Camillo Brezzi, „Antonietta Giacomelli“, in Dizionario storico del Movimento cattolico in Italia, 1860–1980, 2: I protagonisti (hg. v. Francesco Traniello; Turin: Marietti, 1982), 233–239; 236. 28 Antonietta Giacomelli, Per la riscossa cristiana (Mailand: Libreria Editrice Mila­ nese, 1913). 29 Zu all diesen Verunglimpfungen siehe: Gloria Cappello, „Antonietta Giacomelli e il modernismo a Treviso“, Dialegesthai. Rivista telematica di filosofia 13 (2011), online: https://mondodomani.org/dialegesthai/gca01.htm [zuletzt abgerufen am 21.7.2020].

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fende soziale und christliche Reform auf den Weg zu bringen. Für die Würde der Frau einzutreten hieß auch, ihren intellektuellen Spielraum zu erweitern.30 Antonietta wollte den Gläubigen ein wirkungsvolles didaktisches Bil­ dungs- und Kommunikationsmittel an die Hand geben. Deshalb bietet Adveniat einen Durchgang durch den liturgischen Kalender (Advent, Weihnachten, Vorfastenzeit, Fastenzeit, Ostern, Pfingsten, die Sonntage nach Pfingsten), der die verschiedenen Zeiten des Kirchenjahrs präzise beschreibt und erklärt, damit die Gläubigen sie in der rechten Gesinnung erleben konnten. Die Texte enthalten Erläuterungen zur historischen und theologischen Bedeutung der liturgischen Zeit, Informationen über die damit verbundenen Bräuche und die verwendeten Symbole, Übersetzungen und Erklärungen der Bibelpassa­ gen mit historischen Anmerkungen, Betrachtungen zu den geistlichen Inhal­ ten sowie oft von Giacomelli selbst verfasste Gebetsvorschläge, die helfen sollen, sich den betreffenden liturgischen Moment in seiner Bedeutung zu vergegenwärtigen. Von besonderem Interesse sind die Vergleiche zwischen den verschiedenen Riten, dem griechischen, dem lateinischen und ambrosia­ nischen, die Veränderungen aufzeigen, die sich mit der Zeit (von der Urkirche zur mittelalterlichen und zur Kirche des beginnenden 20. Jh.) ergeben haben, sowie die Aufmerksamkeit für den biblischen Text, der zunächst in seiner historischen und sodann in seiner spirituellen Bedeutung vorgestellt wird. Alle diese Elemente machen das Adveniat zu einem Handbuch von hohem geistlichem Niveau, das „die kalten und teilnahmslosen Seelen“ einlädt, sich für Gott zu öffnen.31 Als Giacomellis Schriften 1912 auf den Index gesetzt, sie selbst exkom­ muniziert und für vitanda erklärt wurde – man verweigerte ihr den Empfang der Kommunion und den Kontakt mit anderen Gläubigen –, bewertete sie selbst ihre Verurteilung als tragischen Irrtum derer, die „dieses Erwachen der Geister und der Gewissen“ missverstanden hatten, diese große Bewegung der christlichen Befreiung, die sich in der katholischen Kirche herausgebildet hat und die die Gegner herabsetzen wollten, indem sie diese Modernisten nannten.32

30 Anna Scattigno, „Antonietta Giacomelli“, in Italiane 1: Dall’unità d’Italia alla prima guerra mondiale (1861–1914) (hg. v. Eugenia Roccella und Lucetta Scaraffia; Rom: Dipartimento per l’informazione e l’editoria, 2004), 97–100. 31 Alle Bände wurden von der Druckerei der „Pia Società S. Girolamo per la diffusione dei ss. Vangeli“ herausgegeben, die, zu dem Zweck gegründet, die Texte der Bibel in italienischer Übersetzung zu verbreiten, außerdem Werke publizierte, die der Erzie­ hung der Gläubigen dienen sollten. 32 Giacomelli, Per la riscossa cristiana, I.

Geheimgesellschaften, Modernismus und Frauenbewegungen in Italien 145 Nicht weniger bedeutsam war der Text Per la riscossa cristiana, den sie selbst als „Kampfbuch“ bezeichnete.33 Das Werk will die Gewissen „jener lauen Seelen“ aufrütteln, jener „schlummernden Seelen, die das Evangelium nie gelesen haben“,34 um sie auf eine tiefgreifende Erneuerung der Kirche vorzu­ bereiten: eine Erneuerung, die dem Laienstand innerhalb der Kirche größere Verantwortung zubilligt, die kirchliche Macht in Dienst und Nächstenliebe verwandelt, den Gläubigen Gedanken- und Redefreiheit zugesteht und der historisch-kritischen Herangehensweise der Theologie und der Bibelwissen­ schaft keine Steine in den Weg legt.35 Das Buch ist eine Textsammlung: Den Anfang jedes Kapitels bilden Ab­ schnitte aus der Heiligen Schrift (dem AT und NT), darauf folgen Zitate aus der patristischen Literatur oder anderer Autoren der christlichen Tradition. Sodann werden Stellen aus Werken zeitgenössischer Autoren unterschied­ lichster Provenienz angezeigt, die zu einem großen Teil mit der modernis­ tischen Strömung in Verbindung stehen: Paul Sabatier, Giovanni Semeria, Giulio Salvadori, George Tyrrell, Antonio Fogazzaro, Tommaso Gallarati Scotti. Besonders wirkungsvoll ist Antonietta Giacomelli dort, wo sie – insbe­ sondere im Hinblick auf die Auslegung der Bibel und die Konstruktion der Dogmen – die Bedeutung der Vernunft und der Wissenschaft geltend macht. Unter anderem kommt sie auf diese Weise zu dem Schluss, dass eine korrekte Neuinterpretation des Evangeliums zur Ablehnung der Mittlerschafts- und Sühnopfertheologie führt.36 Sie macht sich Tyrrells Überlegungen zu eigen, der die Auffassung vertritt, dass Gläubige sich von der Textkritik nicht beunruhigen lassen müssen: Die Liebe zur Wahrheit sei die Wurzel des intellektuellen Fortschritts, der gegen Aberglauben und Irrtümer kämpfen muss. Man müsse sich darüber im Klaren sein, dass das Evangelium in der Sprache und in den Begriffen galiläischer Fischer und nicht in der Sprache und in den Begriffen der modernen Kultur geschrieben wurde.37 Giacomelli erkennt die intellektuellen Ansprüche und die Unabhängigkeit der Wissenschaften an. Wenn die historische Forschung erlaubt würde, könne dies helfen, die Schrift von vergänglichen Ausdrucks­ formen zu befreien, und sie durch verständlichere Begriffe und Wendungen zu ersetzen.38 Mose, Ijob, Susanna, Maria von Magdala, die Samariterin und die Jünger*innen erfüllen die Seiten von Per la riscossa cristiana mit Leben und 33 Ebd., XXXI. 34 Ebd., IV. 35 Giacomelli erkennt in der aufkommenden Religionsproblematik ein „Zeichen der Zeit“, ebd., 18. 36 Siehe Giacomelli, Per la riscossa cristiana, 92; sowie 302. 37 Vgl. ebd., 114–116. 38 Vgl. ebd., 311.

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dienen als Musterbeispiele für die durchzuführende Kirchenreform. Ange­ strebt wird eine arme und machtlose Kirche, in der „der letzte der reumütigen Zöllner ebenso groß ist wie der Erbe des obersten Pontifex“,39 in der die Au­ torität wieder eine Funktion der Demut und der Liebe übernimmt40 und in der entgegen allem Despotismus eine zutiefst demokratische Gesinnung,41 Liebe, Brüderlichkeit und die freie Eintracht der Geister herrscht.42 Im Licht einer neuen Herangehensweise an den heiligen Text veränderte sich auch das Gottesbild: Gott ist für sie weniger das höchst abstrakte Wesen oder der reine Begriff vieler antiker Denker als vielmehr der lebendige Gott der Propheten, der Vater Jesu, in dem wir leben, in dem wir uns bewegen und in dem wir sind (vgl. Apg 17,28).43 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Giacomelli die christliche Iden­ tität einerseits durch ein auf das Gemeinwohl ausgerichtetes Engagement in der Welt und andererseits durch die zentrale Bedeutung der Bibel und der Liturgie neu definiert, denen sie durch geschichtlich verankerte Interpretati­ onsformen und Aktualisierungen neues Leben einhaucht.

5.

Elisa Salerno und die Entstehung des christlichen Feminismus

Elisa Salerno (1873–1957), Journalistin,44 Schriftstellerin45 und Feministin,46 steht den Sorgen und Anliegen der Frauenbewegungen des beginnenden 39 40 41 42 43 44

Vgl. ebd., 126. Vgl. ebd., 243. Siehe ebd., 272; sowie 228f. Vgl. ebd., 397–400. Ebd., 64. 1909 gründet sie die Zeitung La Donna e il Lavoro, die sich mit den Problemen der Arbeiterinnen befasst und von der Diözese Vicenza zensiert wurde, weil Elisa Saler­ no darin Kritik an den kirchlichen Positionen bezüglich der Frauen geäußert hatte; viele Priester verweigerten ihr deshalb die Eucharistie. 1919 wurde die Zeitschrift in Problemi femminili umbenannt, um die Beiträge auf sämtliche die Frauen betreffen­ den Fragen auszuweiten. 1925 wurde auch diese Zeitschrift zensiert und ihre Lektüre verboten. 45 Vgl. dazu ihre Bücher: Elisa Salerno, Un piccolo mondo cattolico: ossia episodi e critiche pro-democrazia e femminismo [Rocca S. Casciano: Cappelli Editore, 1908] (hg. v. Stefania Fiocchi; Venedig: EIDOS, 1996); Dies., Risorta? Commenti illustrativi dell’Allocuzione di Sua Santità Benedetto XV alle Donne Cattoliche (Vicenza: Arti Grafiche Vicentine G. Rossi e C., 1920); Dies., Pro muliere: programma di studio e azione (Vicenza: Arti Grafiche Vicentine G. Rossi e C., 1921). 46 Siehe weiterführende Literatur bei: Michela Vaccari, Lavoratrice del pensiero: Elisa Salerno, una teologa ante litteram (Cantalupa: Effatà, 2010); Elisa Vicentini, Una chiesa per le donne: Elisa Salerno e il femminismo cristiano (Napoli: D’Auria, 1995).

Geheimgesellschaften, Modernismus und Frauenbewegungen in Italien 147 20. Jh. nahe, die neben ihrem politischen Engagement auch eine religiöse Mo­ tivation kennzeichnete.47 Sie kann als die erste katholische Feministin Italiens betrachtet werden, weil sie ein intensives soziales Leben mit einem nicht we­ niger emsigen theologischen Nachdenken verbindet und sich sowohl mit dem Gedankengut Thomas von Aquins als auch mit den Fehlinterpretationen der Heiligen Schrift, also mit jenen beiden Größen auseinandersetzt, die zu ih­ rer Zeit als Hauptursache für die untergeordnete Stellung der Frau betrachtet wurden. Mit diesem zweifachen Engagement leistet die Schriftstellerin aus Vicenza einen italienischen Beitrag zur Frauenfrage, indem sie die exege­ tischen und philosophischen Voraussetzungen, die die Diskriminierung der Frauen in der Gesellschaft und in der katholischen Kirche rechtfertigten, als falsch entlarvt. Auf der Suche nach einem antidogmatischen und für die sozialen Fragen aufgeschlossenen Glauben hatte Elisa ein theologisches Nachdenken begon­ nen, das einerseits die „antifeministischen Irrlehren“ im Denken Thomas von Aquins zu entkräften suchte und andererseits mutig eine „feministische“ Neu­ deutung der Heiligen Schrift in Angriff nahm, um das tatsächliche Frauenbild der Bibel wiederherzustellen, das durch die falsche und böswillige Auslegung der Kirchenmänner entstellt worden war. In ihrem Werk Per la riabilitazione della donna (1917) analysiert Saler­ no das Denken des Aquinaten im Hinblick auf die Frau, um es im Licht der Vernunft und der Bibel selbst zu widerlegen. So nimmt sie im Gegensatz zu Thomas das Buch Genesis als Ausgangspunkt, um die Gleichheit der Natur und Würde Adams und Evas zu postulieren, und verweist in diesem Zusam­ menhang etwa auf die Kunst, mit der Gott die Frau, „das Meisterwerk seiner Hände“, gebildet habe. Daher sei die „ihm ebenbürtige Hilfe“ nicht im mate­ riellen, sondern im spirituellen Sinne zu verstehen: Es sei Aufgabe der Frau, den Mann bei der Gottsuche zu unterstützen.48 Aus diesem Grund muss für Elisa Salerno auch die Autorität des Mannes über seine Frau, die anhand eini­ ger Stellen aus den Paulusbriefen begründet wird (Eph 5,22; 1 Tim  2,11–15), neu bewertet und auf das Maß des Gehorsams zurechtgestutzt werden, den beide, Mann und Frau, Gott schuldig sind: „In den Dingen, die den Gesetzen Gottes widersprechen, darf sie ihrem Mann ungehorsam sein“, und der Glau­ be an Gott ist befreiend für die Frau, wie das Evangelium zeigt.49 Als Salerno ihr Buch an Papst Benedikt XV. schickt, formuliert sie in ihrem Begleitschrei­ ben eine ausdrückliche Bitte: „Zieht, wir bitten Euch, die antifeministischen Theorien der Summen aus dem Verkehr!“50 47 Adriana Valerio, „Donne e Teologia nei primi trent’anni del ‘900“, RdT 42 (2001): 103–114. 48 Elisa Salerno, Per la riabilitazione della donna (al Sommo Pontefice Benedetto XV) [An Papst Benedikt XV.] (Vicenza: Fratelli Pastorio, 1917), 46. 49 Ebd., 58. 50 Ebd., 86.

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Die ethischen Aspekte von Elisa Salernos Denken schlagen sich in einem leidenschaftlichen sozialen und politischen Engagement nieder, das auf die Schaffung einer starken Solidarität unter den Frauen zur Verteidigung der Arbeiterinnenrechte und auf den Schutz ihrer Menschenwürde drängt. Die Kritik an einer dualen und hierarchischen Anthropologie und die Ablehnung der sogenannten Doppelmoral sind die theoretischen Grundlagen einer in der Geschichte engagierten Religiosität: einer Religion der Praxis, die Glauben und Alltag zu verknüpfen weiß. Das Fundament des christlichen Feminismus ist die Persönlichkeit der Frau, die aufrichtige Anerkennung ihrer persönlichen Integrität. Diesen Grundsatz im Hinblick auf die Frau zu verneinen hieße, das Evangelium nur zur Hälfte zu akzeptieren.51

Salerno hatte in der Schrift, genauer gesagt, in ihrer Fehlinterpretation, die Grundlagen jener Ausgrenzung der Frauen erkannt, die die Menschheitsge­ schichte so negativ geprägt hatte. In einem Brief an die Präsidentin der Union der katholischen Frauen Italiens, Marchesa Maddalena Patrizi, vom 9. Sep­ tember 1919 protestierte sie gegen die Lektürevorschläge der Marchesa, die den katholischen Frauen unter anderem die Martini-Bibel empfohlen hatte: Ich sehe außerdem, dass die Heilige Schrift mit den Kommentaren von Martini empfohlen wird, in welchen die irrigen und für unser Geschlecht beleidigenden Interpretationen zu beklagen sind, die in mehreren Teilen des heiligen Texts vor­ genommen wurden und die die Herabsetzung und Unterdrückung der Frau und nicht ihre Aufwertung begünstigen.52

Tatsächlich enthielt Martinis Werk Kommentare, die die Frau herabwürdig­ ten, und Elisa Salerno sollte es in den darauffolgenden Jahren nicht versäu­ men, die antifeministische Auslegung des berühmten Bibelgelehrten zu de­ montieren.53 51 Elisa Salerno, „Il femminismo cristiano“, La donna e il lavoro (7.12.1917). 52 Brief von Elisa Salerno an Maddalena Gondi Patrizi (Vicenza, 9.9.1929), publiziert in Centro Documentazione e Studi „Presenza Donna“, Una penna inquieta: Lettere scelte di Elisa Salerno (Padova: Messaggero, 2002), 87. 53 Diese Beobachtungen wird sie in ihren Schriften ausführlich erörtern, die heute im Dokumentations- und Forschungszentrum „Presenza Donna“ in Vicenza aufbewahrt werden und von denen ein Großteil dort auch als Nachdruck vorliegt: Elisa Salerno, Per la riabilitazione della donna (al Sommo Pontefice Benedetto XV) [Vicenza: Fra­ telli Pastorio; 1917] (Vicenza: CTO, 2006); Dies., Commenti critici alle note bibliche antifemministe dei primi 24 libri sacri cioè dalla genesi ai 4 sapienziali inclusive [2 Bde; Vicenza: G. Rossi, 1926] (Vicenza: CTO, 2011); Dies., La donna in san Paolo apostolo [Vicenza: Arti grafiche delle Venezie, 1952] (Vicenza: CTO, 2009); Dies., Porrò inimicizia fra te e la donna [Vicenza: Arti grafiche delle Venezie, 1954] (Vi­

Geheimgesellschaften, Modernismus und Frauenbewegungen in Italien 149 Eine Kirche, die sich auf die Bibelauslegung der Männer stützt, war in ihren Augen antifeministisch und häretisch. Mithin galt es, sich wieder auf die Bibel zu besinnen und ihre Neuheit wiederzuentdecken, die in der star­ ken Präsenz von Frauen in der Heilsgeschichte und in der Botschaft Jesu be­ stand, der die Frauen aus ihrer Randposition befreit und ihnen echte Würde zurückgegeben hatte. Auf diese Weise versuchte Salerno die beiden Begrif­ fe Feminismus und Katholizismus zusammenzubringen, die die damaligen kirchlichen Hierarchien für unvereinbar hielten, weil sie fürchteten, dass die Forderungen der Frauenrechtlerinnen sowohl das Lehrgebäude als auch das soziale und politische Gefüge untergraben würden. Elisa Salerno starb ausgegrenzt und arm, hielt jedoch immer mit aller Ent­ schiedenheit daran fest, dass sie sowohl Katholikin als auch Feministin war: „Ich werde der katholischen Religion in allem treu sein – mit Ausnahme des Antifeminismus“.54

cenza: CTO, 2004). Sie wird sich noch bei weiteren Gelegenheiten zu solchen The­ men äußern: Zwischen 1939 und 1953 schickte sie dem damaligen Papst Pius XII. nicht weniger als 34 Briefe. 54 Elisa Salerno an Bischof Ferdinando Ridolfi, Brief vom 5. April 1925, zit. in Vacca­ ri, Lavoratrice del pensiero, 27.

Grace Aguilar – Anwältin jüdischer Frauen Christiana de Groot Calvin University, Grand Rapids

1.

Einleitung

Welche Bedeutung Grace Aguilar (1816–1847) für ihre Zeitgenoss*Innen hat­ te, lässt sich unschwer an den Todesanzeigen und Nachrufen ermessen, die nach ihrem Ableben veröffentlicht wurden. In Großbritannien, Frankreich, den Vereinigten Staaten und Jamaika erschienen Nachrufe jüdischer und christlicher Autor*Innen.1 Galchinsky zitiert in seiner Auswahl unter ande­ rem Abraham Benisch, der ihren Tod in der Jewish Chronicle als nationalen Verlust beklagte und darauf hinwies, dass ihre Arbeiten im Ausland mehr geschätzt worden seien als in ihrer Heimat England.2 Isaac Leeser aus Phila­ delphia schrieb wortgewandt im Occident: Nie hat die moderne Zeit eine einzelne jüdische Frau gekannt, die für die Dar­ stellung und Zierde ihres Glaubens so viel getan hätte wie Grace Aguilar.3

Christ*Innen wie Jüd*Innen widmeten ihr bewegende Zeugnisse. Anna Ma­ ria Hall, eine christliche Schriftstellerin, beschreibt in ihrem Bericht anläss­ lich ihres Besuchs an Aguilars Grab ihrer beider Freundschaft, Aguilars be­ merkenswerte Fähigkeiten und die Hingabe, mit der sie ihren Glauben und ihre Gemeinschaft geliebt habe.4 Die Gruppe, die Aguilars Tod vielleicht am tiefsten betrauerte, waren die jüdischen Frauen in England und den USA. Vor ihrer Abreise zu einem Deutschlandaufenthalt, von dem sie sich eine Besserung ihres Gesundheits­ zustands erhoffte, hatten ihr „einige der ‚Frauen Israels‘ aus Großbritannien“ eine Würdigung zuteilwerden lassen. In einer Sprache, die an die DeboraErzählung gemahnte, schrieben sie:

1 Michael Galchinsky, Hg., Grace Aguilar: Selected Writings (Peterborough: Broad­ view Literary Press, 2003), 355. 2 Ebd., 356f. 3 Ebd., 357. 4 Ebd., 360.

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Bis du dich erhobst, ist es in modernen Zeiten nie geschehen, dass eine Frau in Israel öffentlich für Israels Glauben eintrat (vgl. Ri 5,7).5

Sie priesen sie, weil sie sie gelehrt habe, „unsere eigene Würde zu kennen und zu schätzen […]. Du hast unsere gesellschaftliche und geistige Gleichheit mit unseren Glaubensbrüdern eingefordert.“6 Wie diese zahlreichen Zeugnisse belegen, war Aguilar bei ihrem frühen Tod mit nur 31 Jahren bei Frauen und Männern, jüdischen und christlichen Menschen, Engländer*Innen, Europäer*Innen und Amerikaner*Innen hoch­ geehrt. Nur 50 Jahre später jedoch war ihr Werk praktisch vergessen – um schließlich in den vergangenen zwei Jahrzehnten wiederentdeckt zu werden.7 Es gehört zu den Hauptaufgaben der feministischen Wissenschaft, diese vergessenen Stimmen der Vergangenheit wieder bekannt zu machen, damit sowohl Frauen als auch Männer ihre eigene Geschichte besser verstehen kön­ nen. In Aguilars Fall gibt uns ihr umfangreiches Schrifttum die Chance, die Geschichte Englands im 19. Jh. insbesondere im Hinblick auf die jüdische Ge­ meinschaft und die spezifische Situation der Frauen zu rekonstruieren. Ferner gibt die Beschäftigung mit ihren Schriften über die Frauengesetzgebung des Pentateuchs Aufschluss über die Auslegungsgeschichte der Hebräischen Bi­ bel. Wir wissen jetzt, dass diese androzentrisch und auf die christliche Exege­ se fokussiert war. Die Missachtung der Beiträge von Frauen und insbesondere von jüdischen Frauen zu korrigieren, ist ein Akt der Gerechtigkeit und wird unser Bild von der Hebräischen Bibel und ihrer Rezeption bereichern. Aguilars literarische Produktion war, wie bereits angedeutet, sowohl auf­ grund ihres riesigen Umfangs als auch aufgrund der Vielfalt der Gattungen, in denen sie sich hervortat, bemerkenswert. Rebecca Gratz schreibt hierzu in ihrem Briefwechsel mit Miriam Gratz Cohen im Februar 1847: „Miss Aguilar steht an der Spitze des derzeitigen jüdischen Literaturschaffens.“8 Zu ihren Lebzeiten veröffentlichte sie poetische, fiktive, theologische, historische und bibelwissenschaftliche Texte. Ihre Arbeiten waren in mehreren Bereichen bahnbrechend. So ist The History of the Jews in England (1847) die erste Geschichte der Juden in England überhaupt, die von einem Mitglied des Ju­ 5 Ebd., 355. 6 Ebd. 7 Vgl. hierzu Michael Galchinskys Diskussion der fünf Methoden, die anglo-jüdische Geschichte verschwinden zu lassen. Er nennt das Geschlecht als ersten Grund und erklärt, dass Frauen im jüdischen Kontext vom Tora-Studium ‚ausgenommen‘ waren. Man schätzte sie für ihre Arbeit im häuslichen Bereich und nicht für intellektuelle Leistungen. Daher hatte Aguilar zunächst Schwierigkeiten, einen jüdischen Verleger zu finden, und wurde wie andere jüdische Schriftstellerinnen letztlich von der andro­ zentrischen Geschichtsschreibung der jüdischen Gemeinschaft übergangen. Vgl. Mi­ chael Galchinsky, The Origin of the Modern Jewish Woman Writer (Detroit: Wayne State University Press, 1996), 17–22. 8 Galchinsky, Grace Aguilar, 362.

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dentums verfasst wurde.9 Nach ihrem Tod veröffentlichte ihre Mutter weitere bereits fertiggestellte Manuskripte, bei denen es sich hauptsächlich um fiktive Texte handelte. Das Werk, mit dem sich der vorliegende Beitrag beschäftigt und das als ihre größte Leistung gilt, The Women of Israel (1845), ist eine dreibändige frauenzentrierte Geschichte Israels, die mit Eva beginnt und sich über den Talmud bis in die Zeit der Diaspora fortsetzt.10 Der vorliegende Beitrag wird sich mit den vier Abschnitten von The Women of Israel befassen, in denen Aguilar die auf Frauen bezogenen Gesetze im Pentateuch interpretiert. Diese Abschnitte befinden sich in den Kapiteln zwei bis fünf der Zweiten Periode. Aguilar gliedert ihre Untersuchung der Gesetze anhand der verschiedenen Rollen, die von Frauen übernommen werden, das heißt, sie beginnt mit Gesetzen, die Mütter betreffen, und wendet sich sodann den Gesetzen für Ehefrauen, Witwen, Töchter und Mägde und schließlich ‚allerlei anderen Gesetzen‘ zu. Um uns Klarheit über ihre Lesarten zu ver­ schaffen, werden wir ihre Interpretation vor dem Hintergrund ihrer verschie­ denen Tätigkeitskontexte untersuchen. Wir werden berücksichtigen, dass sie als Jüdin einer minderheitlichen Subkultur in einer christlichen Nation an­ gehörte; dass sie als jüdische Frau in einer patriarchalischen jüdischen Ge­ meinschaft schrieb; und dass sie die Hebräische Bibel im Austausch mit an­ deren Frauen und Männern interpretierte, die ebenfalls gewillt waren, ihren Zeitgenoss*Innen die Bedeutung dieses alten Texts zu erschließen. Wenn wir die Fragen und Herausforderungen verstehen, die durch diese einander über­ schneidenden Kontexte aufgeworfen werden, werden wir besser verstehen, worin Aguilars besonderer Beitrag zur Interpretationsgeschichte bestand.

2.

Aguilars Exegese vor dem Hintergrund ihres englisch-christlichen Kontexts

Aguilar verfasste The Women of Israel zu einer Zeit, als in England die poli­ tische Benachteiligung der Juden nach und nach abgebaut wurde. Zwischen

9 Ebd., 14. 10 Auf www.archive.org/details/thewomenofisrael100aquiuoft [zuletzt abgerufen am 1.4.2020] ist der vollständige Text online zugänglich. Teile davon wurden schon frü­ her in Anthologien veröffentlicht. Der Abschnitt „The Exodus – Laws for the Moth­ ers of Israel“ ist in The Longman Anthology of Women’s Literature (hg. v. Mary K. DeShazer, New York: Longman, 2001) abgedruckt. In jüngerer Zeit wurden die Ein­ leitung und die Kapitel über Sara, Mirjam und Debora in einer Sammlung ausge­ wählter Aguilar-Werke herausgegeben, siehe Galchinsky, Grace Aguilar, 247–301.

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1830 und 1871 erlangten sie vollumfängliche politische und bürgerliche Rech­ te.11 Mit der Verabschiedung des Catholic Relief Act von 1828 entwickelte sich England von einem anglikanischen zu einem christlichen und schließlich zu einem säkularen Staat, in dem der Amtseid keine Verweise auf den christli­ chen Glauben mehr enthielt, Juden Universitätsabschlüsse erwerben durften (University Test Act, 1871), jüdische Fabriken die Erlaubnis erhielten, sonn­ tags zu produzieren (Factory Act, 1871), und wo man es den Juden zugestand, bei Wahlen ihre Stimme abzugeben, ehe der Sabbat begann (Ballot Act, 1871). Dieser Übergang verlief nicht reibungslos, und in seinem Verlauf argu­ mentierten viele englische Christ*Innen gegen jede einzelne dieser Verän­ derungen und behaupteten, die englische und die christliche Identität seien nicht voneinander zu trennen. Jüdische Menschen seien in der Bevölkerung ein Fremdkörper und müssten dies auch bleiben. Andere Christ*Innen, die öffentliche Toleranz befürworteten, stellten die englische, protestantische Toleranz der spanischen, römisch-katholischen Judenverfolgung gegenüber. Gleichwohl hegte die eine wie die andere Gruppe den Wunsch, die Juden zum Christentum zu bekehren. Die Konversionen in den katholischen Län­ dern wurden von protestantischen Christ*Innen als rein nominell kritisiert. Ihr Eintreten für Toleranz ging Hand in Hand mit dem Ziel einer ‚echten‘ Bekehrung. Sie glaubten, dass jüdische Menschen, wenn man sie gut behan­ delte, die Überlegenheit der Religion ihrer christlichen Nachbarn erkennen und konvertieren würden. Besonders ausgeprägt war dieses Bestreben, Juden und Jüdinnen zu bekehren, in der evangelikalen, bibelzentrierten christlichen Subkultur.12 1809 wurde die Londoner Gesellschaft für die Förderung des Christentums unter den Juden gegründet, die vielfältige Strategien und Ar­ gumente ersann, um – mit Blick auf deren Seelenheil und Anpassung an die englische Gesellschaft – auf die Konversion von jüdischen Menschen hinzu­ arbeiten. Jüdische Frauen waren dabei aus zwei Gründen besonders im Fokus: weil das Christentum als eine Religion des Herzens galt, die stärker emotional geprägt und damit als besser für Frauen geeignet gehalten wurde und weil das Judentum nach allgemeinem Dafürhalten für legalistisch angesehen wurde und es einen fernen Gott anbete, dessen Gesetze die Frauen erniedrigen wür­ den.13 Aguilar setzte sich bei der Abfassung von The Women of Israel mit vielen dieser Vorwürfe auseinander. Den Angriffen der Christ*Innen begegnete sie mit deren eigenen Waffen. Im Gespräch mit Protestant*Innen, die in Fragen der Schrift die höchste Autorität beanspruchten, greift Aguilar zum Mittel 11 David Feldman, Englishmen and Jews: Social Relations and Political Culture, 1840–1914 (New Haven: Yale University Press, 1994), 1–13. 12 Feldman, Englishmen and Jews, 64. 13 Michael Ragussis, The Figures of Conversion: „The Jewish Question“ and English National Identity (Durham: Duke University Press, 1995), 146.

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der Exegese. Ihr Werk, das von Jüd*Innen und Christ*Innen gleichermaßen gelesen wurde, macht geltend, dass Gott jüdische Frauen besonders liebt, die Gesetze dazu da seien, dem Wohlergehen der Frauen zu dienen und man sie spirituell verstehen müsse. In der Einleitung zu The Women of Israel erläutert Aguilar ihr Vorha­ ben. Den Vorwurf, „das Gesetz des Mose habe die hebräische Frau zutiefst entwürdigt und auf eine Stufe mit Sklaven und Heiden gestellt und ihr jede mentale und geistliche Freude versagt“, erklärt sie für gänzlich unbegrün­ det.14 „Das Wort Gottes“, so schreibt sie, „beweist seine Unrichtigkeit sofort; denn es ist unmöglich, das mosaische Gesetz ohne die wahrhaftige und an­ rührende Überzeugung zu lesen, dass die hebräische Frau sogar noch mehr als der Mann Gegenstand der zärtlichen und tröstlichen Fürsorge des Ewigen war.“15 Aguilar kommt häufig auf dieses Thema zurück. So ist das erste Ge­ setz, das sie auslegt, das Gebot, wonach Kinder ihrem Vater und ihrer Mutter gehorchen sollen (Ex 20,12), das in Ex 21,15–17, Lev 19,3 und Dtn 5,16 wie­ derholt und weiter ausgeführt wird.16 Sie weist darauf hin, dass ausdrück­ lich beide Elternteile erwähnt werden, womit beide ihren Kindern gegenüber Stellvertreter Gottes seien, und fragt: „Wie kann angesichts solcher Gesetze […] irgendjemand glauben oder gar behaupten, dass das Judentum die Frauen herabwürdige?“17 Im Kontext der Inzestgesetze diskutiert Aguilar die Kehrseite der Dif­ famation des Judentums, nämlich das Lob des Christentums. Sie weist die Behauptung zurück, es sei nur Jesus und der Lehre der Apostel zu verdanken, dass die Frauen den ihnen gebührenden Platz eingenommen hätten. Vielmehr, so schreibt sie, seien in der zivilisierten Welt schon Jahrhunderte vor den An­ fängen des Christentums Gesetze gegen den Inzest aufgestellt und angewandt worden.18 Nicht das Christentum sei dem Judentum überlegen, so Aguilar, sondern die Heiden schuldeten den Juden Dank, weil die jüdischen Gesetze die Voraussetzungen für andere Gesetze geschaffen hätten, die die Frauen in Ehren hielten.19 In ihrem Kommentar zum Kriegsrecht, das festlegt, dass ein Mann ein Jahr lang zuhause bleiben soll, um seine Frau zu ‚erfreuen‘ (Dtn 24,5), ver­ wahrt sich Aguilar gegen den Vorwurf, hinter dem mosaischen Gesetz stehe ein distanzierter und gefühlloser Gott. Sie weist darauf hin, dass das Anliegen dieses Gesetzes nicht auf den Nutzen des Mannes, sondern auf den der Frau zielt, und entwirft ein ergreifendes Bild der je unterschiedlichen Bedeutung, die die Ehe für beide besitzt. Der Mann habe bei der Hochzeit weder seine Fa­ 14 15 16 17 18 19

Aguilar, The Women of Israel, 8f. Ebd., 9. Ebd., 139. Ebd., 140. Ebd., 145. Ebd., 159.

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milie noch seine Freunde zurücklassen müssen; die Frau hingegen habe „das Heim ihrer Jugend, die liebevollen Eltern zurückgelassen […]. Sie hat ihren Beschäftigungen den Rücken gekehrt […]. Sie hat um der Liebe eines Einzi­ gen willen allem anderen den Rücken gekehrt.“20 In dieser Lebensphase sei die Frau besonders verletzlich und brauche die Anwesenheit ihres Mannes, und daher beweise Gottes Gesetz seine besondere und fürsorgliche Liebe zu der jungen Braut. Aguilar ruft ihre jüdischen Mitgläubigen zur Frömmigkeit auf: „Müssen denn wir, die direkten Nachkommen derer, denen eine solche Offenbarung der Liebe Gottes geschenkt worden ist, nicht in der Tiefe unse­ res Herzens spüren, dass Gott wahrhaftig der Gott der Liebe ist, als der Er sich dem Mose kundgetan hat?“21 Immer wieder bringt Aguilar die Vorurteile zur Sprache, die die vorherr­ schende christliche Kultur dem Judentum und insbesondere dem mosaischen Gesetz gegenüber hegte, und zeigt auf, dass Christentum und Judentum über­ einstimmende Vorstellungen von Gottes Wesensart und von dem hätten, was er sich für Frau und Mann wünscht. Der Ansicht, dass Jesus ein helles Licht in die Dunkelheit des Judentums gebracht habe, stellt Aguilar die Auffassung gegenüber, dass der christliche Glaube an einen liebenden Gott auf jüdischen Fundamenten beruhe. Aguilar bittet daher die jungen Jüdinnen inständig, nicht zu konvertieren.22 Bei dem Versuch, jüdischen Frauen Respekt vor ihrer eigenen Religion einzuflößen, wandte Aguilar zwei unterschiedliche Strategien an. Wie wir gesehen haben, verwies sie einerseits auf die hervorragenden Qualitäten des Judentums, das sie in einer Weise beschrieb, die mit dem protestantischen Christentum kompatibel war. Dazu gehörte, dass sie die Autorität in der Schrift verortete, sich mehr auf den Glauben als auf die Werke konzentrierte und das Individuum stärker betonte als die Gemeinschaft oder die Nation. Da England die anglikanische Kirche privilegierte, rückte Aguilars Darstel­ lung das Judentum in eine gewisse Nähe zu dieser vorherrschenden Form des Christentums. Ihre zweite Strategie bestand darin, sich vom Katholizismus zu distanzieren. Mit dieser Taktik reagierte sie auf die zu ihrer Zeit sehr belieb­ te Gleichsetzung von Judentum und Papsttum, wie sie namentlich der Pam­ phletist und Professor für hebräische und rabbinische Literatur am Londoner King’s College, Alexander McCaul, vertrat. Er war ein hochrangiger Evange­ list der Londoner Gesellschaft für die Förderung des Christentums unter den Juden und behauptete, das Judentum hätte das Alte Testament ebenso ver­ zerrt wie der Papst die christlichen Lehren. Für ihn war das ‚protestantische Christentum‘ der Gegenentwurf zum ‚jüdischen Papismus‘.23 20 21 22 23

Ebd., 149. Ebd., 149f. Ebd., 155. Feldman, Englishmen and Jews, 54–56.

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Aguilar reagiert auf diese Vorwürfe nicht mit einer Verteidigung der rab­ binischen Schriftauslegung, sondern greift nach protestantischer Art auf die schriftliche Tora zurück, um für das Judentum einzutreten.24 Dem Vorwurf des Legalismus – wonach das Judentum weniger auf das Prinzip als auf die Einzelheiten des Gesetzes achte – begegnet Aguilar mit dem Argument, dass in der gegenwärtigen Zeit der Geist des Gesetzes maßgeblich sei. So weist sie bezüglich des Kriegsrechts darauf hin, dass dieses Gesetz, das für den israelitischen Staat gegolten habe, nun nicht länger eingehalten werden kön­ ne: „[D]as kann es nicht, denn wir sind nicht in unserem eigenen Land.“25 Ist es also nicht mehr gültig? Aguilar schreibt, es müsse nach wie vor in Ehren gehalten werden, aber, so fährt sie fort, „es ist der Geist der Anordnung, der uns – zumal uns Frauen – so unmittelbar betrifft.“26 Daraus folgert sie: „Der Form nach kann das Gesetz, genau wie der menschliche Körper, zeitweise sterben, aber der Geist der Anordnungen ist unsterblich wie die Seele des Leibes.“27 Auch in der Diskussion jener Gesetze, die zur Wohltätigkeit gegenüber Witwen und Waisen aufrufen, weist Aguilar erneut darauf hin und beschreibt sodann das Wesen dieses Geistes, der Gottes Geist und damit unveränderlich ist: Gott ist unveränderlich – ein Geist der Wahrheit, der nicht den Schatten eines Wandels kennt; und deshalb wissen und fühlen wir, dass sein Umgang mit sei­ nem Volk auch jetzt von derselben Liebe angetrieben wird, aus der diese schö­ nen Gesetze hervorgegangen sind.28

Aguilar grenzt nicht nur die jüdische Gesetzesauslegung gegen den ‚Papis­ mus‘ ab, sondern macht die Unterschiede zwischen dem Judentum und dem Katholizismus auch an anderen Merkmalen fest. So polemisiert sie im Ab­ schnitt über Gelübde gegen Ordensfrauen in einer Weise, die Protestant*Innen wohlvertraut ist: Wir haben (bei den Nichtjuden, nicht bei unseresgleichen) […] oft von etwas reden hören, was eine Heilige genannt wird. Eine, die erklärtermaßen der Le­ bensweise der Religiosen hingegeben ist; die Stunde um Stunde in ihrem stillen 24 Allerdings kannte sie rabbinische Quellen, die sie andernorts auch verwendete; May­ er I. Grubers mit Anmerkungen versehene Ausgabe von The Women of Israel by Grace Aguilar (Judaism in Context 15; Piscataway: Gorgias Press, 2013), xxv–xxvi weist darauf hin, dass sie sich auf rabbinische Quellen bezieht, ohne sie ausdrücklich zu zitieren. 25 Aguilar, The Women of Israel, 150. 26 Ebd., 150. 27 Ebd., 152. 28 Ebd., 163.

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Kämmerlein verbringt, wo sie mit frommen Büchern, Kommentaren, soweit wir wissen, aber nicht dem Wort des Lebens selbst Umgang hat; oder mit from­ men Freundinnen, die eigentümlich gekleidet sind und sich noch eigentümlicher verhalten; eine, die die Armen besucht und dabei häufiger Traktate als Speise mitbringt; die jedes unschuldige Vergnügen als profan und als Versuchungen des Satans missbilligt.29

In ihrer Diskussion des Gesetzes über die Priesterehe weist Aguilar erneut darauf hin, dass Gott es den Frauen erlaube, an der Heiligkeit seiner erwähl­ ten Diener teilzuhaben: Die Töchter der Priester dürften von den geheiligten Speisen essen (Lev 22,13), und Gott verlange von den Priestern nicht, ihm ihre menschlichen Gefühle zu opfern, sondern erlaube es ihnen, zu heiraten. Deshalb gebe es im Judentum keine solchen Missstände wie „in der monas­ tischen Abgeschiedenheit der römischen Kirche.“30 Aguilar führt zahlrei­ che Argumente ins Feld, um die jüdischen Frauen von der Vortrefflichkeit der jüdischen Religion und von ihrem hohen Ansehen innerhalb derselben zu überzeugen, weil sie hofft, sie auf diese Weise gegen die Versuchung der Konversion zu wappnen.31 Aguilars Auslegung des mosaischen Gesetzes lässt sich im Kontext des jüdischen Emanzipationskampfes im England des 19. Jh. verstehen. In der Frage, ob die Juden eine Nation und die Gesetze im Pentateuch nationale Ge­ setze seien, trifft Aguilar zwei Aussagen: Erstens weist sie darauf hin, dass der ursprüngliche historische Kontext der Tora sehr anders gewesen sei als der gegenwärtige und die Zeit widerspie­ gele, als Israel noch eine Nation war. So seien Gesetze zum Schutz der Wit­ wen und Waisen beispielsweise an die Nation gerichtet.32 Gegenwärtig jedoch müssten diese Gesetze auf individueller Ebene angewandt werden. Aguilar tadelt ihre jüdischen Glaubensgenossen, die diese Gesetze für irrelevant hal­ ten, weil das jüdische Volk nicht in seinem eigenen Land lebe. In ihren Augen sind diese Gesetze aber von unschätzbarem Wert, weil sie Tugenden vermit­ teln, die die Frauen schützen. Sodann stellt sie England als protestantische Nation, die die Bibel stu­ diere und gesittet, kultiviert und tolerant sei, den katholischen Nationen wie Spanien gegenüber, die die Bibel nicht läsen, die nicht kultiviert und wo die Frauen daher nicht sicher wären. Sie schreibt: „Das ist die Absicherung der protestantischen Frauen, und das verdanken sie dem Geist jenes Gesetzes, das Gott selbst UNS gegeben hat.“33

29 30 31 32 33

Ebd., 152. Ebd., 158. Ebd., 176. Ebd., 151. Ebd., 157.

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Ein anderer Abschnitt, der Aguilars Identität als Angehörige einer Min­ derheit spiegelt, befasst sich mit der wirtschaftlichen Diskriminierung der jüdischen Gemeinschaft.34 Dass Juden keinen Handel und kein Gewerbe trie­ ben, sei unter anderem durch ihre Heiligung des Sabbats bedingt. Christli­ che Unternehmen und Arbeitgeber nähmen keine Rücksicht auf die religiö­ sen Praktiken jüdischer Glaubensangehöriger, und damit würden ihnen viele Chancen vorenthalten. In dem Abschnitt über die Gesetze für Mägde spricht Aguilar diese Ungerechtigkeit an und schlägt eine praktische Lösung vor: Wir meinen lediglich diejenigen Klassen, wo es höhere und niedere Bedienstete gibt – dass man dort vielleicht an einem Tag der Woche davon absehen könnte, von Ersteren knechtliche Arbeit oder anderes zu verlangen, das gegen irgendei­ ne der Formen verstößt, die den Sabbattag heiligen.35

Auf vielfältige Weise konstruiert Aguilar eine Vereinbarkeit der englischen mit der jüdischen Identität: Es sei nicht notwendig, die eine um der ande­ ren willen aufzugeben. Daher ermutigt sie die jüdische Gemeinschaft dazu, jüdisch zu bleiben und sich gegen Konversion und Anpassung zur Wehr zu setzen, und erklärt gleichzeitig, dass der Geist des Judentums mit dem des protestantischen Christentums harmoniere und daher keinerlei Gefahr für Englands nationale Interessen darstelle. So kann Aguilar ihre Gemeinschaft ermutigen, sich in der englischen Gesellschaft zu akkulturieren, aber nicht zu assimilieren. Sie erwartet, dass die Juden und Jüdinnen ihre besondere Tradition, ihre Speisevorschriften, die Heiligung des Sabbats und ihre Fami­ lienrituale weiterhin pflegen. Für Aguilar bestand zwischen ihrer jüdischen Identität und ihrer vollumfänglichen Beteiligung am bürgerlichen Leben kei­ nerlei Widerspruch.36

34 Zatlin beschreibt einige der bis zu deren Emanzipation für Juden geltenden Auflagen. So war es ihnen bis 1831 verboten, Einzelhandel zu betreiben; Berufsstände, die eine Ausbildung verlangten, nahmen keine jüdischen Lehrlinge an, und oft blieb jüdi­ schen Menschen keine andere Arbeit als die des Hausierers. Linda G. Zatlin, The Nineteenth-Century Anglo-Jewish Novel (TEAS 295; Boston: Twayne, 1981), 15–18. 35 Aguilar, The Women of Israel, 177. 36 Paula Hyman, Gender and Assimilation in Modern Jewish History: The Roles and Presentation of Women (Seattle: University of Washington Press, 1995), 17.

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3.

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Aguilars Exegese im patriarchalischen jüdischen Kontext

Der zweite Kontext, in dem Aguilars Auslegung gelesen werden muss, ist der ihrer eigenen jüdischen Gemeinschaft. Aguilar und andere jüdische Frauen sehnten sich auch nach Veränderungen innerhalb ihrer eigenen Subkultur.37 Einige dieser Veränderungen waren bereits eingetreten: So wurde in eini­ gen Synagogen inzwischen auf Englisch gepredigt, und 1840 war die erste Reformsynagoge gegründet worden.38 Die Ungleichheiten, denen die Frauen traditionell ausgesetzt waren, waren von diesen Reformen jedoch unberührt geblieben. Aguilar nahm vor allem die Tatsache in den Blick, dass Mädchen und Frauen von religiöser Unterweisung und dem Studium der heiligen Tex­ te ausgeschlossen waren. Als Argument gegen diese vorherrschende Praxis macht Aguilar geltend, dass religiöse Feste der Hebräischen Bibel zufolge auch von Frauen mitgefeiert werden sollen (Dtn 16,11.14), woraus sie schließt, dass diejenigen im Irrtum sein müssten, die die Frauen kleinhielten und be­ haupteten, Religion sei für sie zu tiefgründig.39 Wenn sich die Jungfrauen Israels von allen religiösen Bräuchen fernhalten und sich auf Haushaltspflichten und alberne Beschäftigungen hätten beschränken sollen, weil es ihnen etwa gestattet gewesen wäre, jeden Gedanken an ihre un­ sterbliche Seele und an die Ewigkeit beiseitezuschieben und sich stattdessen um ihre Väter, Ehemänner oder Brüder zu kümmern, dann sollten wir ihre Gruppe auch nicht erwähnt finden.40

Wenn es Gottes Wille sei, dass Frauen und Männer Ihn mit ganzem Herzen und ganzer Seele und mit aller Macht liebten, dann müsse ihnen diese hinge­ bungsvolle Gottesliebe im Gegenteil beigebracht werden; mithin sei die reli­ giöse Unterweisung für Mädchen ebenso wichtig wie für Jungen.41 Wenn die religiöse Unterweisung der Töchter weiterhin vernachlässigt werde, so Aguilars Warnung, dann würden sie der Versuchung zur Konversi­ on eher erliegen. Würden die Mädchen hingegen in ihrer religiösen Tradition

37 Galchinsky, The Origin of the Modern Jewish Woman Writer, 15–17, schildert die große literarische Produktivität englischer Jüdinnen im 19. Jh., die sich mit ihrem Schreiben sowohl für die Emanzipation als auch für die innere Reform des Juden­ tums einsetzten, und listet zahlreiche jüdische Schriftstellerinnen samt ihren Veröf­ fentlichungen auf. 38 Zatlin, Nineteenth-Century Anglo-Jewish Novel, 24f. 39 Aguilar, The Women of Israel, 167. 40 Ebd., 166. 41 Ebd., 167.

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ermutigt und unterrichtet, dann liefen sie weniger leicht Gefahr, in die Irre zu gehen.42 Dieses leidenschaftliche Plädoyer für die religiöse Erziehung bedeutet aber nicht, dass Aguilar sich auch in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht für die volle Gleichberechtigung der Frauen eingesetzt hätte. Bei ihr geht das Engagement für die religiöse Erziehung vielmehr Hand in Hand mit der For­ derung nach getrennten Sphären für Frauen und Männer. Männer waren ihres Erachtens dazu berufen, im öffentlichen Raum ihre Pflicht zu tun, während sich die Berufung der Frauen im privaten Bereich erfülle. Diese Aufteilung der Rollen und Sphären basiert nach Aguilars Überzeugung auf den Geset­ zen der Tora. So weist sie im Zuge ihrer Diskussion über Lev 27 darauf hin, dass nach dem Vorbild Abrahams, der Isaaks Entwöhnung mit einem gro­ ßen Festmahl beging (Gen 21,8), die Geburt eines Jungen gefeiert, die eines Mädchens aber nicht gefeiert werde. Diese Vernachlässigung der Mädchen sei kein Zeichen geringerer Wertschätzung, sondern durch ihre je unterschiedli­ che Berufung bedingt. Für mein Empfinden ist die unterschiedliche Aufnahme männlicher und weib­ licher Kinder eine ausgezeichnete Veranschaulichung und Vorwegnahme ihrer jeweiligen Wege. Die Welt und der Mann müssen die Bühne und der Mitspieler des Jungen sein; er muss ausziehen mit gottesfürchtigem Herzen und unbeug­ samem Geist, um den Versuchungen des Vergnügens, des Ehrgeizes und einer ganzen Heerschar anderer Leidenschaften zu begegnen, die seinen eher öffent­ lichen Weg zwangsläufig bestürmen werden. Für das Mädchen hingegen ist das Heim ihre Bühne und ihr Gott ihre einzige Bleibe. Warum sollten Festlichkeit und eitle Lustbarkeit bei der Geburt eines Mädchens herrschen, dessen reinstes Vergnügen in seinem Herzen und von jedem anderen (sogenannten) Vergnügen der Welt unterschieden sein und das den Weg der stillen, unaufdringlichen Zu­ rückgezogenheit und Nützlichkeit beschreiten muss?43

Das Gesetz, so Aguilar, unterscheide zwischen der geistlichen und sittlichen Gleichheit von Männern und Frauen und der Verschiedenheit der Rollen, die zu erfüllen sie berufen seien: Zwar erhebt und vergeistigt das Gesetz Gottes die Frau zu gleicher Teilhabe an der Unsterblichkeit und der Verantwortung vor Ihm, doch erlaubt es ihr in keiner Weise und ermutigt sie auch nicht, sich unziemlich in den Vordergrund zu drän­ gen oder über den Mann zu erheben. Ihr schwächerer Körperbau, ihr weniger kraftvoller Geist, ihre leichter erregbaren Emotionen – all das verweist auf die Notwendigkeit einer eher zurückgezogenen und abhängigen Position.44 42 Ebd., 174. 43 Ebd., 183. 44 Ebd., 182.

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Aguilar sieht einen gewissen Zusammenhang zwischen den unterschiedli­ chen Fähigkeiten von Frauen und Männern und der unterschiedlichen Bedeu­ tung, die ihrem jeweiligen Beitrag zukomme. So seien die unterschiedlichen Beträge, die Männer und Frauen bei der Einlösung eines Gelübdes zu zahlen hätten (Lev 27,1–7), durch die unterschiedliche Menge an Arbeit bedingt, die sie zum Tempel beitragen könnten.45 Die hierarchische Beziehung zwischen Männern und Frauen wird auch als Erklärung dafür herangezogen, dass die von Frauen abgelegten Gelübde die Billigung der Männer, die Gelübde der Männer aber nicht die Billigung der Frauen bräuchten (Num 30,1–16). Der Mann brauchte keine solche Einschränkung seiner „außerordentlichen Ge­ lübde“; erstens, weil er unabhängiger war als die Frau; sodann ließ er sich nicht von seinen Gefühlen leiten, weshalb es nicht wahrscheinlich war, dass er, zumal in seiner heiligsten und teuersten Pflicht, der Versuchung fehlgeleiteter Begeis­ terung erliegen würde. Die Frau lässt sich in der Regel von ihren Gefühlen lei­ ten: Sie ist ein impulsives Geschöpf und, wenn sie nicht sanft, aber bestimmt zurückgehalten wird, stets in Gefahr, den sichereren und weniger aufregenden Pfad täglicher Pflicht zu verlassen.46

Mit diesem Bekenntnis zur Ideologie der getrennten Sphären stand Aguilar zu ihrer Zeit nicht alleine da; vielmehr prägte diese Denkweise im England des 19. Jh. die Idealvorstellung einer mittelständischen Familie. Ihre Ansich­ ten decken sich mit einer Flut von Erzeugnissen christlicher und jüdischer Schriftsteller*Innen, die Frauen auf ihre Rolle als ‚häusliche Engel‘ vorberei­ teten.47 In der Einleitung zu The Women of Israel erwähnt Aguilar die Schrif­ ten von Sandford, Ellis und Hamilton, die allesamt über die Rollen der Frauen schrieben.48 Galchinsky vermutet, dass Aguilars The Women of Israel von Sarah Stickney Ellis’ 1839 veröffentlichtem Buch The Women of England in­ spiriert war.49 Übereinstimmung herrscht hinsichtlich der Inhalte des Glaubens und der Rolle, die nach Ansicht beider Autorinnen für Frauen der Mittelschicht ange­ messen ist. Beide betrachten die häusliche Sphäre als den eigentlichen Lebens­ raum der Frau und sehen deren Berufung darin, anderen aufopferungsvoll zu dienen.50 Wie Aguilar glaubt Ellis nicht, dass Frauen direkt am öffentlichen Leben beteiligt sein sollten; vielmehr wirke die Frau durch ihren Einfluss auf 45 Ebd. 46 Ebd., 153. 47 Hyman, Gender and Assimilation in Modern Jewish History, 24–27. 48 Aguilar, The Women of Israel, 2. Grubers mit Anmerkungen versehene Ausgabe umfasst auch eine Kurzbiographie und eine Publikationsliste zu jeder dieser Frauen, 4–7. 49 Galchinsky, Grace Aguilar, 12. 50 Ellis, The Women of England, 45.

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den Mann auf die größere Gesellschaft ein. Laut Ellis’ Beschreibung besteht die Rolle der Frau darin, das „Gewissen des Mannes“ zu sein.51 Beide sind der Auffassung, dass Frauen und insbesondere Mütter bei der Formung und Unterweisung der Kinder zuhause eine entscheidende Rolle zu spielen haben. Sowohl Ellis als auch Aguilar haben zur ‚Feminisierung‘ von Religion im 19. Jh. ihren Beitrag geleistet. Nach der industriellen Revolution, die für die Angehörigen der Mittelschicht eine klare Trennung zwischen der häuslichen Sphäre und der Arbeitswelt mit sich brachte, wurde die Religion der privaten Sphäre und den Angelegenheiten des Herzens zugeordnet und fiel damit „in die Zuständigkeit der Frau“. Dass Aguilar die religiöse Erziehung zuhause verortete, war vielleicht auch durch ihren krypto-jüdischen Hintergrund be­ dingt: Ihre Eltern hatten vor der Inquisition nach England fliehen müssen. Seit in Spanien und Portugal öffentliche, männliche Räume wie Schulen und Synagogen geschlossen worden waren, war das Zuhause zum wichtigsten Ort jüdischer Glaubensausübung geworden. Außerdem waren in der sephar­ dischen Kultur ohnehin meist die Frauen für die Weitergabe der Tradition verantwortlich. Auch nachdem die Gemeinschaft sich in England niederge­ lassen hatte, hielt man daran fest, dass Töchter und Söhne von ihren Eltern unterrichtet wurden.52 Aguilars Familie folgte diesem Muster. Beide Eltern trugen ihren Werdegang von Anfang bis Ende mit. Ihr Vater, der aus gesund­ heitlichen Gründen zuhause bleiben musste, unterrichtete seine Tochter in jüdischer Geschichte und vielleicht auch in Hebräisch und fungierte oftmals als ihr Sekretär, während ihre Mutter ihre religiöse Erziehung übernahm.53 Mithin hatte Aguilar in ihrem eigenen Zuhause und in ihrer sephardischen Subkultur das Modell eines häuslich zentrierten Judentums vor Augen, in dem der Religionsunterricht in erster Linie Sache der Mutter war.54 Im größeren englischen Kontext war Aguilar durchaus eine Befürworterin von Toleranz und Emanzipation, wandte sich aber gleichzeitig gegen die stra­ tegische Toleranz von Christ*Innen, die auf eine umfassende Assimilation der jüdischen Bevölkerung hinarbeiteten. Galchinsky fasst ihre diesbezügli­ chen Auffassungen treffend zusammen: Aguilar schlug einen Handel vor: Wenn das ‚tolerante‘ Christentum bereit war, seine philosemitische Überzeugungsarbeit aufzugeben, dann würden die Juden

51 Ebd., 53. 52 Galchinsky, Grace Aguilar, 18; Galchinsky, The Origin of the Modern Jewish Woman Writer, 145. 53 Galchinsky, Grace Aguilar, 18f. 54 Man denke an ihren 1843 veröffentlichten Roman The Perez Family (vgl. Galchin­ sky, The Origin of the Modern Jewish Woman Writer, 87–180), der das Idealbild einer in England ansässigen sephardischen Familie entwirft. Die Mutter Rachel erklärt dort, was der Sabbat bedeutet und wie man an diesem Tag gekleidet sein soll (110f.).

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sich mit den Manifestationen ihrer Andersartigkeit auf die häusliche Sphäre be­ schränken.55

4.

Aguilars Exegese vor dem Hintergrund der Bibelinterpretation im England des 19. Jahrhunderts

Der dritte Kontext von Aguilars Arbeit ist die Bibelauslegung des 19. Jh. Aguilar verwendete keine Fußnoten und macht auch sonst keinerlei Anga­ ben dazu, aus wessen Arbeit sie schöpft, sodass wir nur indirekt auf ihre Gesprächspartner*Innen schließen können. Aguilar liest die Hebräische Bibel präkritisch. Sie geht davon aus, dass die ‚Gesetze Mosis‘ zwischen dem Auszug aus Ägypten und Israels Einzug ins Gelobte Land gegeben worden sind.56 An keiner Stelle in ihren Kommen­ taren äußert Aguilar die Vermutung, dass einige Gesetze eine frühere und andere eine spätere Periode in der Geschichte Israels widerspiegeln. Auch wenn in Ex und Dtn unterschiedliche Fassungen vorkommen, wird dies nicht diskutiert, wenngleich sie zuweilen darauf hinweist, dass dasselbe Gesetz in beiden Büchern enthalten ist. Ein Beispiel hierfür sind die Gesetze über die Schuldknechtschaft in Ex 21 und Dtn 15.57 Sie kommentiert das Thema der Schuldsklaverei so, wie es in den Gesetzen zur Sprache gebracht wird, ohne die beträchtlichen Unterschiede zwischen beiden Versionen auch nur zu er­ wähnen oder auf deren literarischen Kontext zu achten. An keiner Stelle weist sie darauf hin, dass die in Dtn überlieferten Gesetze der Frau tendenziell eine höhere Stellung zuerkennen als in Ex. Aguilar schreibt zu einer Zeit, als ein nicht unbeträchtlicher Teil der verfügbaren Forschungsliteratur bereits davon ausgeht, dass dem Pentateuch mehrere Quellenschriften zugrunde liegen. Sie lässt aber nicht erkennen, ob ihr diese Literatur bekannt gewesen ist. Auch die archäologischen Entdeckungen, die viele Gläubige dazu veranlassten, die Datierung der biblischen Ereignisse zu hinterfragen, spielen in Aguilars Schriften keine Rolle.58 Aguilar befasst sich aber mehrfach mit der androzentrischen Sprache der Gesetze und mit der Frage, ob Frauen mit angesprochen sind oder nicht. In der ausführlichsten Diskussion stellt sie die These auf, dass das hebräische Wort, das mit Sohn übersetzt wird – an dieser Stelle schreibt sie das hebräische Wort 55 56 57 58

Galchinsky, The Origin of the Modern Jewish Woman Writer, 145. Aguilar, The Women of Israel, 139. Ebd., 178. Eine Diskussion der Fortschritte in den Bibelwissenschaften, die viele Bibelexege­ tinnen beeinflusst haben, bietet der einleitende Beitrag von Christiana de Groot und Marion Ann Taylor in Recovering Nineteenth-Century Women Interpreters of the Bible (hg. v. dens.; SBLSymS 38; Atlanta: SBL, 2007), 1–17.

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aus –, eigentlich Kind bedeute, weil es hierfür kein anderes hebräisches Wort gebe. Als Beleg führt sie Dtn 7,4 an und weist darauf hin, dass das Wort vor Sohn in dem Vers „denn sie würden deinen Sohn von Mir abwenden“ sowohl den Sohn als auch die Tochter einschließt.59 In ihrer Diskussion über Gesetze, die sich auf Ehefrauen beziehen, zitiert Aguilar Dtn 31,11f.: „Wenn ganz Israel kommt, um […] vor dem Angesicht des Herrn, deines Gottes, zu erscheinen […]. Versammle das Volk – die Männer und Frauen, Kinder und Greise […].“60 Aguilar überträgt die Aussage, dass bei „Israel“ auch die Frau­ en gemeint sind – auf sämtliche Gesetze des Pentateuchs. Zusätzlich weist sie darauf hin, dass Mann und Frau in der Ehe vereint und ein Fleisch werden. Auf der Grundlage dieser beiden Aussagen schlussfolgert sie, dass „sie genau wie ihr Mann – eins mit ihm – Empfängerin, Befolgerin und Verkünderin jedes Gesetzes war, in dem nicht gesondert nach individuellen Pflichten un­ terschieden wurde.“61 Mithilfe dieser Argumentation hat Aguilar die Frauen in jene Texte hineingelesen, die sie verschweigen. Das ist dieselbe Strategie, die auch heutige Feministinnen wie Schüssler Fiorenza anwenden, um die Frauengeschichte des frühen Christentums zu rekonstruieren.62 Aguilar arbeitet bei ihrer Exegese der Pentateuch-Gesetze mit der damals autorisierten Übersetzung, der King James Version of the Bible, weil zu ihrer Zeit keine jüdische Übersetzung in der Volkssprache verfügbar war. Ihre Zi­ tierweise der kommentierten Stellen ist überraschend unbekümmert; mögli­ cherweise geht sie davon aus, dass ihre Leser*Innen die Bibel so gut kennen, dass Zitate im Grunde unnötig sind. Ihre Hebräischkenntnisse stellt sie nur selten unter Beweis, und wenn, dann nur, um die Bedeutung eines bestimm­ ten Wortes zu kommentieren. So erklärt sie zum Beispiel das Wort ‚gehasst‘ im Gesetz über die Erbregelung in einer polygynen Familie (Dtn 21,15–17) wie folgt:

59 Aguilar, The Women of Israel, 170. 60 Ebd., 148, Kursivsetzung original. 61 Ebd. 62 „Androzentrische Sprache bezieht Frauen in der Regel mit ein, ist also inklusiv, erwähnt sie aber nicht explizit. Inklusive androzentrische Sprache funktioniert in biblischen Texten genauso wie im heutigen Sprachgebrauch: Sie erwähnt Frauen nur dann, wenn das Verhalten von Frauen als problematisch erscheint oder wenn von ganz außerordentlichen Ausnahmefrauen die Rede ist.“ Elisabeth Schüssler Fiorenza, Zu ihrem Gedächtnis …: Eine feministisch-theologische Rekonstruktion der christlichen Ursprünge (München: Kaiser, 1988), 76. Dass die Diskussion über gendergerechtes Übersetzen noch nicht abgeschlossen ist, zeigt der Beitrag von Da­ vid E. S. Stein, „Unavoidable Gender Ambiguities: A Primer for Readers of English Translations from Biblical Hebrew“, online: https://www.sbl-site.org/publications/ article.aspx?ArticleId=831 [zuletzt abgerufen am 1.4.2020].

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Das hebräische Wort, das hier mit gehasst übersetzt wird, bedeutet wie in Leas Fall kein so starkes Gefühl, sondern lediglich, dass die eine weniger geliebt wird als die andere.63

Aguilar beruft sich bei ihrer Exegese nicht ausdrücklich auf die Ressourcen ihrer jüdischen Tradition, wenngleich Gruber gezeigt hat, dass sie auf einige rabbinische Quellen anspielt, ohne sie zu zitieren.64 Aguilar las auch christli­ che Literatur und Quellen,65 besuchte Kirchen und setzte sich dafür ein, dass christliche und jüdische Gläubige miteinander beteten.66 Eines ihrer Gedichte trägt den Titel „Eine Vision von Jerusalem zu den Klängen einer schönen Orgel in einem der nichtjüdischen Heiligtümer“.67 Aus ihren Schriften spricht die Überzeugung, dass Christen und Juden als Freunde und in gegenseitigem Respekt zusammenleben können, weil ihre unterschiedlichen Religionen im Einklang miteinander sind. Die Bücher, denen Aguilars The Women of Israel am meisten ähnelt, stam­ men von christlichen Frauen. Auch wenn wir nicht sicher wissen, ob sie die­ se Bücher gelesen hat, ist das ihrige kein Werk sui generis. Seit kurzem hat man wiederentdeckt, dass christliche und jüdische Frauen in der ersten Hälfte des 19. Jh. Kommentare, Katechismen, Hymnen, Gedichte und Predigten mit Schriftauslegungen für ein Laienpublikum verfasst haben.68 So verfasste die englische Quäkerin Lucy Barton 1831 ihre Bible Letters for Children.69 Esther Hewlett Copley, eine britische Anglikanerin und später Baptistin, veröffent­ lichte neben vielen anderen Schriften 1829 eine Scripture History for Youth und 1836 eine Scripture Biography.70 1805 publizierte Sarah Trimmer, eine Anglikanerin, die hauptsächlich in London lebte, einen Kommentar zur ge­ samten Bibel, Altem wie Neuem Testament und Apokryphen, mit dem Titel A Help to the Unlearned in the Study of the Holy Scriptures: being an attempt to explain the Bible in a familiar way.71 Mary Cornwallis, die Frau eines angli­ 63 64 65 66 67 68

Aguilar, The Women of Israel, 146. Gruber, The Women of Israel by Grace Aguilar, xxv.xxix. Galchinsky, The Origin of the Modern Jewish Woman Writer, 145. Ebd., 144. Galchinsky, Grace Aguilar, 196f. Marion Ann Taylor und Heather E. Weir haben eine kommentierte Anthologie mit Auszügen aus den Schriften von 50 christlichen und jüdischen Autorinnen ediert, die das Buch Genesis in den unterschiedlichsten Textgattungen interpretieren: Let Her Speak for Herself: Nineteenth-Century Women Writing on Women in Genesis (Waco: Baylor University Press, 2006). Der einleitende Beitrag (1–19) beschreibt die Vielfalt der verwendeten Gattungen, analysiert den sozialen Kontext, der zu dieser Blüte des weiblichen Schrifttums beigetragen hat, und beschreibt die Auslegungsstrategien, die in besagten Texten zum Einsatz gekommen sind. 69 Ebd., 29–32. 70 Ebd., 32–35. 71 Ebd., 109–112. Vgl. auch Weirs Arbeit über Trimmers Exegese, „Helping the Un­ learned: Sarah Trimmer’s Commentary on the Bible“, in Recovering Nineteenth-

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kanischen Priesters, veröffentlichte 1817 das vierbändige Werk Observations, Critical, Explanatory, and Practical on the canonical Scriptures.72 Diejenige Autorin, der Aguilars Werk The Women of Israel vielleicht am nächsten kam, weil auch sie sich mit den Frauen der Bibel befasste, ist Frances Elizabeth King, deren 1813 in London veröffentlichtes Buch Female Scripture Characters: Exemplifying Female Virtues große Beliebtheit erlangte. Was King zu diesem Werk angeregt hatte, war die Tatsache, dass Thomas Robinsons Buch Scripture Characters, or a practical improvement of the principal histories in the Old and New Testament die Frauen gänzlich beiseitegelassen hatte.73 Aguilars The Women of Israel könnte durchaus in Reaktion auf Kings Female Scripture Characters entstanden sein. Bedenkt man ihre Absicht, jüdische Frauen von der Konversion zum Christentum abzuhalten, wäre es durchaus zweckdienlich gewesen, Kings Band über die Frauen im Alten und Neuen Testament ein Buch über Frauen in der Hebräischen Bibel gegenüberzustel­ len. Man brauchte einen Band, in dem Jüdinnen – statt sich aus neutestament­ licher Perspektive mit den Frauen der Hebräischen Bibel vertraut zu machen – das hohe Ansehen, das Frauen in der Hebräischen Bibel genossen, als etwas Eigenständiges kennenlernen konnten. King und Aguilar stimmen in vielerlei Hinsicht überein. Beide lasen die Schrift als Gottes Wort und gottgegebene Grundlage der Überzeugungen und Lebenspraxis der Gläubigen, und beide interpretierten die Frauen der Bibel, um Frauen über ihre Rolle und Stellung zu belehren. Kings Exegese der He­ bräischen Bibel ist unverkennbar christlich und deutet weibliche Charaktere oft aus ntl. Sicht. Dennoch ist King auch mit jüdischen Quellen vertraut und zitiert in ihrem Essay über Sara Josephus’ Urteil über Saras Schönheit.74 Es gibt zwischen Aguilar und King aber auch einige grundlegende Unterschiede, die vor allem in ihren gegensätzlichen Glaubensüberzeugungen und in den Zielen bestehen, mit denen sie sich an die christliche bzw. die jüdische Reli­ gionsgemeinschaft wenden. Ihre unterschiedlichen religiösen Traditionen be­ einflussen auch die Auswahl der in ihren Büchern behandelten Frauen. King beschäftigt sich nur mit Frauen aus erzählenden Texten aus AT und NT sowie den Apokryphen.75 Dass sie die Gesetzestexte nicht berücksichtigt, spiegelt eine typisch protestantische Geringschätzung des atl. Gesetzes. Aufgrund

Century (hg. v. de Groot und Taylor), 19–30. 72 Taylor und Weir, Let Her Speak for Herself, 334–338. Vgl. auch Taylors Beitrag „Mary Cornwallis: Voice of a Mother“, in Recovering Nineteenth-Century (hg. v. de Groot und Taylor), 31–44. 73 Taylor und Weir, Let Her Speak for Herself, 112–118. 74 King, Female Scripture Characters, 23. 75 Ebd., v–xii.

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dieser Unterlassung ist Aguilar die Erste, die sich im 19. Jh. mit der Frage befasst, wie Frauen in der Tora behandelt werden.76 Aguilars Lesart der Schrift ist wie bei anderen Exegetinnen des 19. Jh. bewusst geschlechtsspezifisch. Sie schreibt ausdrücklich als Frau und spricht diejenigen Belange der Texte an, die Frauen betreffen. Ihre Lesart ist subjek­ tiv, und sie erhebt – ein typisches Merkmal der prämodernen Exegese – auch gar nicht den Anspruch, objektiv zu sein. In ihrem Kommentar zu den Ge­ setzen über Sklavinnen (Ex 21,7–11) interpretiert sie V. 7 „soll sie nicht wie andere Sklaven entlassen werden“. Der Vers ist parallel zum Anfang des vo­ rangehenden Gesetzes über die Knechte (Ex 21,2) aufgebaut, in dem es heißt: „Wenn du einen hebräischen Sklaven kaufst, soll er sechs Jahre Sklave blei­ ben, im siebten Jahr soll er ohne Entgelt als freier Mann entlassen werden.“ Der parallele Aufbau und die folgenden Verse weisen darauf hin, dass Frauen nicht nach sechs Jahren freigelassen werden sollen, weil sie als Konkubine für den Herrn oder seinen Sohn Teil der Familie ihres Herrn werden. Aguilar liest diesen Vers jedoch ganz anders. „Schon die Worte ‚soll sie nicht wie andere Sklaven entlassen werden‘ offenbaren die liebende Sorge für ihren Schutz, dass sie nämlich nicht all der härteren Feldarbeit ausgesetzt werden sollen.“77 Hier ist ihre Lesart nicht nur subjektiv, sondern verzerrt. Bei der Interpretation anderer schwieriger Stellen verwendet Aguilar, wie schon gesehen, verschiedene im 19. Jh. übliche exegetische Strategien. So ist ihr bewusst, dass die Gesetze den Kontext ihrer Zeit spiegeln und in diesem Licht sowohl verständlich als auch notwendig waren. Über das Gesetz vom widerspenstigen Sohn (Dtn 21,18) schreibt sie beispielsweise: „In der dama­ ligen Zeit müssen sie notwendig gewesen sein, sonst wären sie nicht erlassen worden.“78 Gleich anschließend denkt sie darüber nach, weshalb die Gesetze Praktiken verlangten, die für moderne Leser*Innen ein Ärgernis seien, und schlussfolgert, dass Gott in seiner Barmherzigkeit das Gesetz an die Sünd­ haftigkeit des Menschen anpasse. Über das Gesetz, das die Polygynie erlaubt, schreibt sie zum Beispiel: 76 In der 2. Hälfte des 19. Jh., nach Aguilars Tod, hat die Anzahl der Publikationen über biblische Frauen dramatisch zugenommen (vgl. Taylor und Weir, Let Her Speak for Herself ). Infolge einer falschen Gewichtung von Aguilars Beitrag ist diese literari­ sche Goldmine noch immer nicht gründlich erforscht. So wird Aguilars The Women of Israel in dem erst kürzlich erschienenen Band The Torah: A Women’s Commentary als eine der bedeutendsten Vorläuferschriften benannt und ihr Erscheinen auf 1845 datiert, „50 Jahre vor Elizabeth Cady Stantons gefeierter Woman’s Bible, ein Kom­ mentar, der gemeinhin als die erste feministische Bibelinterpretation bewertet wird“, wie Tamara Cohn Eskenazi, The Torah. A Women’s Commentary (New York: URJ Press, 2008), xxxviii, schreibt. Bei aller Bedeutung ist Aguilars Werk eines von vie­ len, das biblische Frauen in den Blickpunkt rückt und auf der Grundlage biblischer Lehren zu Reformen aufruft. 77 Aguilar, The Women of Israel, 178. 78 Ebd., 141.

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In Israel war die Polygamie zu der Zeit, als das Gesetz erlassen wurde, aus dem einfachen Grund erlaubt, weil die Barmherzigkeit des Ewigen nicht mit der Sitte aus unvordenklichen Zeiten in Widerstreit geraten wollte, die, wie Seine Weis­ heit von örtlichen Bräuchen und lange geduldeten Gewohnheiten wusste, nur mit Gewalt würde abgeschafft werden können.79

Dieses Entgegenkommen ist jedoch nicht das Ende der Geschichte. Ziel des Gesetzes, so Aguilar, sei die Verbesserung der menschlichen Rasse. So habe Gott etwa bei der Ehe ursprünglich eine liebevolle und gleichberechtigte mo­ nogame Beziehung im Sinn gehabt, und das Gesetz werde die Juden, wenn sie treu seien, zu dieser „heiligeren Bindung“ hinführen.80

5.

Schluss

Aguilar schreibt als Frau und für Frauen über Gesetze, die Frauen betreffen. Weniger klar ist, ob ihre Lesart feministisch zu nennen ist. Lerners klassische Definition des feministischen Bewusstseins beinhaltet fünf Kriterien: die Wahrnehmung, dass Frauen einer untergeordneten Gruppe angehören, dass sie als Gruppe Unrecht erlitten haben, dass ihre Position der Unterordnung nicht naturgegeben, sondern gesellschaftlich determiniert ist, dass sie sich mit anderen Frauen zusammentun müssen, um diesem Unrecht abzuhelfen, und dass sie eine alternative Gesellschaftsordnung entwerfen müssen, in der Frau­ en und Männer autonom und selbstbestimmt leben können.81 Legt man diesen Maßstab an, erhält Aguilar drei von fünf möglichen Punkten. Sie war der Ansicht, dass Frauen als Gruppe Unrecht erlitten. In dem Abschnitt über die mosaischen Gesetze ging sie auf die Notwendigkeit der religiösen Erziehung von Mädchen ein und vertrat den Standpunkt, dass deren Benachteiligung eine Ungerechtigkeit sei, die die Männer den Frauen auferlegt hätten. In ihren Schriften rief sie zu Reformen auf, damit Frauen dieselben Bildungschancen erhielten wie Männer, und sagte voraus, dass die jüdische Gemeinschaft flo­ rieren werde, wenn man Frauen die Möglichkeit eröffnete, sich am religiösen Leben zu beteiligen. Der besondere Tätigkeitskontext von Frauen und die einander überschnei­ denden Identitäten werden in Lerners Checkliste nicht angesprochen. Man könnte Aguilar für ihre konventionellen Vorstellungen und für ihre Ansicht 79 Ebd., 145f. 80 Ebd., 147. 81 Gerda Lerner, The Creation of Feminist Consciousness: From the Middle Ages to Eighteen-Seventy (Oxford: Oxford University Press, 1993), 14 (dt. Übers.: Die Entstehung des feministischen Bewußtseins: Vom Mittelalter bis zur ersten Frauenbewegung [München: dtv, 1998]).

Grace Aguilar – Anwältin jüdischer Frauen

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kritisieren, dass Männer vom Denken, Frauen hingegen vom Fühlen geprägt seien. Sie geht von unterschiedlichen, durch das Geschlecht bedingten Fä­ higkeiten aus und kommt daher nicht zu dem Schluss, dass die bestehende Hierarchie zwischen Mann und Frau sozial konstruiert ist, sondern sieht sie vielmehr positiv und als die natürliche Folge der Tatsache, dass Gott Mann und Frau für unterschiedliche Zwecke geschaffen habe. Aguilar übt keine Kritik an der Hierarchie insgesamt, sondern nur an der eingeschränkten re­ ligiösen Erziehung der Mädchen. Gleichwohl kann man Aguilar schwerlich vorwerfen, dass es ihr in diesem Bereich an feministischem Bewusstsein ge­ fehlt habe, denn sie befasste sich nicht nur mit Gender-, sondern auch mit religiösen und ethnischen Fragen. Ihre Vision von einer besseren Zukunft beinhaltete Autonomie, Unabhängigkeit und Emanzipation für jüdische Mit­ menschen. Dass die jüdische Gemeinschaft in den 50 Jahren zwischen 1830 und 1889 wirtschaftliche und politische Gleichstellung erreichte, ist ein Beleg dafür, dass Aguilar und viele andere sich nicht umsonst bemüht haben. Im Sinne einer politischen Zweckrichtung kann man Aguilars Position als in Teilen feministisch oder protofeministisch bezeichnen; allerdings gibt es in ihrem Buch The Women of Israel keine Stelle, an der sie ihre Position als Stra­ tegie reflektiert. Vielleicht wäre es daher zutreffender zu sagen, dass Aguilar in dem patriarchalischen christlichen Kontext, in dem sie lebte, sowohl als Jüdin als auch als Frau und damit im doppelten Sinne als untergeordnet defi­ niert war und dass sie heroisch und wirkungsvoll für die Juden und Jüdinnen in der englischen Gesellschaft und für die Frauen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft eingetreten ist.

Pandita Ramabai Eine frühe postkoloniale feministische Exegetin und Sozialreformerin Indiens Royce M. Victor Bischof der Diözese Malabar, Church of South India

In Indien kam es in der zweiten Hälfte des 19. Jh. verstärkt zu sozialen Protes­ ten, die Würde, Gleichheit, Gerechtigkeit und Achtung für alle Menschen ein­ forderten. Massenbewegungen und Einzelpersonen kämpften unermüdlich gegen die Erniedrigungsmechanismen innerhalb der Gesellschaft, die von der Religion gutgeheißen oder sogar gefordert wurden. Obwohl die schriftli­ chen Aufzeichnungen unter den Anführern dieser Bewegungen keine Frauen erwähnen, steht außer Frage, dass eine große Zahl von ihnen aktiv an diesen Kämpfen beteiligt war. Ihre Nichterwähnung kann als eine weitere Strategie bewertet werden, sie unsichtbar zu machen.

1.

Pandita Ramabais Leben

Eine dieser Persönlichkeiten war Pandita Ramabai, die sich ihr Leben lang dafür einsetzte, die Situation der Armen und Unterdrückten und insbeson­ dere der Frauen zu verbessern. Sie war eine Aktivistin und Sozialreformerin und obendrein eine der ersten Inderinnen, die eine biblische Hermeneutik entwickelten. Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit dem Leben und Werk dieser großen Frau, die einen bedeutenden Beitrag zur Emanzipation der Frauen in der indischen Gesellschaft geleistet hat.

1.1

Frühe Wanderjahre

Ramabai wurde am 23. April 1858 als sechstes Kind von Anant Shastri Dong­ re und seiner Frau Lakshmibai in Mangalore im südindischen Bundesstaat Karnataka geboren.1 Drei ihrer Geschwister starben noch als Kinder. Die 1

Detailinformationen zu ihrer Kindheit und ihren Eltern finden sich in Ramabais Schriften, die 1883 erstmalig veröffentlicht und später wieder aufgelegt wurden: The Letters and Correspondence of Pandita Ramabai (hg. v. Amritlal B. Shah; Bom­

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überlebenden Geschwister waren ihre ältere Schwester Krishnabai (geb. 1848) und ihr Bruder Srinivasa (geb. 1850). Ihr Vater, ein Priester und Sans­k ritGelehrter, besaß die Weitsicht, nicht nur seinem Sohn, sondern auch seiner Frau und seinen Töchtern Bildung zu vermitteln. Obwohl ihm Letzteres er­ hebliche Anfeindungen vonseiten seiner Gemeinschaft eintrug, weil Bildung für Frauen und Angehörige der niederen Kasten streng verboten war, bestand Dongre darauf, die Frauen in seiner Familie zu unterrichten. Ramabai kam in Ganga Moola, einem entlegenen Ort in den Bergen, zur Welt und begann ihren Bildungsweg im Alter von acht Jahren und mit der Unterstützung beider Elternteile. Eine gebildete Mutter wie Lakshmibai zu haben, war für sie ein extremer Glücksfall, und in ihrem 1887 erschienenen Buch The High Caste Hindu Woman zollt sie dem Beitrag, den ihre Mutter zu ihrem Werdegang ge­ leistet hat, dankbare Anerkennung.2 Sie lernte Sanskrit (Sprache, Wortschatz und Grammatik) und kannte mehrere auf Sanskrit abgefasste Texte und heili­ ge Schriften auswendig. Ramabais Familie verdiente sich ihren Lebensunterhalt als Puranikas: Sanskrit-Experten, die das ganze Land bereisten und die Puranas, eine der wichtigsten Sammlungen heiliger Schriften des Hinduismus, vortrugen und auslegten. Dank dieser Tätigkeit konnte Ramabais Familie ein ehrbares Le­ ben führen und musste nicht betteln. Die Aufgabe des Puranika besteht übli­ cherweise darin, den auf Sanskrit verfassten Text zu erklären. 1874, als Ramabai 17 Jahre alt war, wurden sie und ihre Familie von einer schweren Hungersnot getroffen, die das Land heimsuchte. In rascher Folge verlor sie beide Eltern und ihre Schwester. Ihr Vater und ihre Mutter starben 1874, ihre Schwester 1875. Zurück blieben Ramabai und ihr Bruder Srinivasa. Drei Jahre lang zogen die beiden Geschwister im Land umher, und „besuchten wie zuvor heilige Stätten, badeten in Flüssen und beteten zu den Göttern und Göttinnen, um [ihr] Erwünschtes zu erlangen“.3 1878 kamen Ramabai und ihr Bruder schließlich nach Kalkutta (Kolkata), einem Zentrum intellektuel­ ler und religiöser Aktivität. In Kalkutta erregte Ramabai mit ihrer Bildung bay: Maharashtra State Board for Literature and Culture, 1977), 15–18. Hingewiesen sei auch auf die hervorragende Biographie von Meera Kosambi, Pandita Ramabai’s Feminist and Christian Conversions: Focus on Stree Dharma-Neeti (RCWS Gender Series. Gender & History/Social Change 2; Bombay: Research Centre for Women’s Studies, 1995). Vgl. ferner Robert Eric Frykenberg, „Pandita Ramabai Saraswati: A Biographical Introduction“, in Pandita Ramabai’s America: Conditions of Life in the United States (hg. v. Robert Eric Frykenberg; Grand Rapids: Eerdmans, 2003), 1–54; und Nirmala Charles, Pandita Ramabai and Modern Indian Renaissance (Lucknow: Lucknow Publishing House, 2004), 15–32. 2 Sie widmet das Buch sogar dem süßen Angedenken (ihrer) geliebten Mutter siehe Pandita Ramabai, The High Caste Hindu Woman (Philadelphia: Rodgers, 1887). 3 Pandita Ramabai, „A Testimony of our Inexhaustible Treasure“, in Pandita Ramabai Through Her Own Words: Selected Works (hg. v. Meera Kosambi; New Delhi: Ox­ ford University Press, 2000), 295–324; 300.

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erhebliches Aufsehen. Sie kam mit mehreren Gelehrten und mit sozialen und religiösen Reformern wie Keshab Chandra Sen, Kalicharan Bannerji und J. C. Bose in Kontakt, die höchst erstaunt über ihre Sanskrit-Kenntnisse waren, weil eine solche akademische Fertigkeit selten und bei einer Frau geradezu unerhört war. Sie wurde gleichsam über Nacht zu einer Sensation. Ihre große Bildung trug ihr öffentliche Anerkennung und Ehrungen ein. Nachdem eine Gruppe von Gelehrten sie einer öffentlichen Prüfung unterzogen hatte, verlie­ hen sie ihr den Titel „Saraswati“ (Göttin der Gelehrsamkeit) und nannten sie „Pandita (eine gebildete Frau)“.4 Doch der Tod blieb Ramabais ständiger Begleiter: 1880 starb unerwartet ihr Bruder und ließ sie alleine zurück. Im selben Jahr heiratete sie Bipin Beha­ ri Medhavi, einen Anwalt und Freund ihres Bruders. Es war eine Heirat über die Kastengrenzen hinweg, da Ramabai aus einer Brahmanenfamilie stamm­ te, während ihr Mann der Kaste der Shudras angehörte. Durch ihre Heirat forderten sie die Normen der vom Kastensystem beherrschten Gesellschaft heraus. Ihr Glück währte jedoch nicht lange: 1882 verstarb ihr Mann nach nur 19 Monaten Ehe. Zuvor aber, 1881, hatte Ramabai eine Tochter zur Welt gebracht, die sie Manorama Bai nannte.5 Wieder hatte sie einen Verlust zu be­ klagen, doch jetzt hatte sie ein kleines Mädchen, mit dem sie ihr Leben teilte.

1.2

Aufstieg einer Sozialreformerin

In Kalkutta lernte Ramabai die hinduistische Reformbewegung Brahmo Samaj kennen, die Rajah Ram Mohan Roy 50 Jahre zuvor gegründet hatte. Ra­ mabai sympathisierte mit den Lehren und Praktiken des Brahmo Samaj, was vermutlich damit zusammenhängt, dass die Bewegung sich nachdrücklich für Frauen einsetzte und das Kastensystem verurteilte. Sie schloss sich dem Brahmo Samaj an und verschrieb ihr Leben der Sache der indischen Frau­ en, deren Situation sie verbessern wollte. Sie begann, überall in Nordindien Vorträge über Frauenfragen zu halten. 1882 verlagerte sie das Zentrum ihrer Tätigkeit nach Pune, einer Stadt im westindischen Bundesstaat Maharashtra. In Pune löste Ramabai gemischte Reaktionen aus. Die Reformer und fort­ schrittlich Gesinnten bereiteten ihr einen herzlichen Empfang und baten sie, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Ihre Gegner jedoch betrachteten sie als eine Frau, die gegen das traditionelle Kastensystem und die Religion verstoßen hatte und in ihre Stadt gekommen war, um ihre „unheiligen“ Vorstellungen zu verbreiten und die Menschen zu beeinflussen.6 Im damaligen Indien galten 4 Padmini Sengupta, Pandita Ramabai Saraswati – Her Life and Work (London: Asia Publishing House, 1970), 72–75. Vgl. auch Frykenberg, „Pandita Ramabai Saraswa­ ti“, 8. 5 Ebd., 297. 6 Vgl. Charles, Pandita Ramabai, 38.

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Witwen als unheilbringend und als Sünderinnen, unabhängig von Kaste und Klasse. Ramabai, die selbst verwitwet war, beschloss, sich den unterdrücke­ rischen Praktiken ihrer Religion nicht zu unterwerfen. Obwohl sie auf hefti­ gen Widerstand traf, setzte sie sich weiterhin und ernsthafter als viele andere Sozialreformer mit Themen auseinander, die Frauen betrafen. Insbesondere konzentrierte sie sich auf die Lebensbedingungen von Witwen und mittel­ losen Frauen. 1882 gründete sie Arya Mahila Samaj, ein Forum, das Frauen zusammenbringen sollte, um die Verbrechen anzuprangern, die im Namen von Religion und Tradition an ihnen begangen wurden. Wichtigstes Ziel des Samaj war die Emanzipation der Frauen, die von Bräuchen wie der Kinder­ heirat – die für sie de facto Sklaverei bedeutete – befreit werden sollten. In Bombay (Mumbai) und mehreren anderen westindischen Städten entstanden Niederlassungen des Arya Mahila Samaj. Ramabai sprach vor der Hunter Commission on Education, die die briti­ sche Regierung 1882 eingesetzt hatte, um die Bildungssituation in Indien zu untersuchen und Vorschläge für künftige Planungen zu erarbeiten. Sie wies die Kommission auf die Notwendigkeit hin, allgemeine sowie medizinische Bildung für Frauen zugänglich zu machen. Ihre Forderungen, Frauen als Leh­ rerinnen und Ärztinnen einzusetzen, damit sie Mädchen unterrichteten und medizinisch behandelten, begründete sie damit, dass es Frauen schwerfalle, sich vor männlichen Lehrern oder Ärzten frei über ihre Probleme zu äußern.7 Mit der Tatsache, dass sie sich an die Kommission wandte, forderte Ramabai nicht nur das bestehende religiöse und gesellschaftliche System heraus, son­ dern sorgte überdies dafür, dass die Schreie der am stärksten marginalisierten und totgeschwiegenen Teile der indischen Bevölkerung weithin hörbar wur­ den. Damit wurde sie zur Stimme von Millionen ungehörter Frauen im Land. Ihre Arbeit mit dem Arya Mahila Samaj half ihr, die Probleme von Wit­ wen besser zu verstehen. Sie war imstande, die Auswirkungen der Reformen einzuschätzen, die die männliche Elite in Maharashtra durchführte, um die Lebenssituation der Frauen zu verbessern. Ihrer Meinung nach waren diese Reformen nicht umfassend und entschlossen genug, um einen strukturellen Wandel des patriarchalen Systems herbeizuführen und so echte Veränderun­ gen zu bewirken.8 Folgerichtig distanzierte sie sich davon und suchte nach al­ ternativen Reformmaßnahmen, die Frauen den nötigen Handlungsspielraum eröffnen konnten, um sich gegen ihre strukturelle Ausbeutung zur Wehr zu setzen.9 Sie wollte ein alternatives Befreiungsmodell für Frauen in Indien entwickeln. Vor diesem Hintergrund ihrer Erfahrungen mit dem Hinduismus 7

Sengupta, Pandita Ramabai Saraswati, 94f. Siehe auch Kosambi, Pandita Ramabai, 8. 8 Amartya Sen, Ökonomie für den Menschen (München: dtv, 32005), 230–246. 9 Udaya Kumar Irvathur und N. K. Rajalakshmi, „Pandita Ramabai Saraswathi: Making of A Social Entrepreneur“, Vortrag auf dem Nationalen Seminar zum Thema Pandita Ramabai: A Search for Spirituality, Emancipation of Women and Coopera-

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und mit überkommenen indischen Traditionen werden ihre Affinität und spä­ tere Konversion zum Christentum leichter nachvollziehbar.

1.3

Begegnung mit dem Christentum

Ramabais erste Begegnung mit der Bibel fand statt, als sie noch mit ihrem Ehemann in Assam lebte. Das erste biblische Buch, das sie las, war eine ben­ galische Übersetzung des Lukasevangeliums. Später machte sie die Bekannt­ schaft von Mr. Allen, einem baptistischen Missionar, der ihr die Botschaft der Bibel erklärte. Als sie nach und nach die Bibel lesen und den christli­ chen Glauben verstehen lernte, verlor sie Stück für Stück ihren hinduistischen Glauben und entfernte sich zunehmend von ihm. Sie selbst erklärt: Da ich allen Glauben in meine frühere Religion verloren hatte und mein Herz nach etwas Besserem hungerte, versuchte ich begierig, über die christliche Reli­ gion in Erfahrung zu bringen, soviel ich nur konnte, und erklärte meine Absicht, Christin zu werden, falls diese neue Religion mich vollkommen zufriedenstell­ te.10

Zu diesem Zeitpunkt jedoch hinderte sie der energische Widerstand ihres Mannes daran, zum Christentum zu konvertieren. Als Ramabai nach dem Tod ihres Mannes nach Pune zog und ihren Dienst unter den armen und mit­ tellosen Frauen begann, lernte sie das englische Bildungssystem kennen und setzte sich für dessen Übernahme ein, um die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verbessern. Sie nahm Englischunterricht bei Miss Hurford, einer christli­ chen Missionarin,11 und wurde durch sie auch besser mit den christlichen Leh­ ren vertraut.12 Es fiel ihr nicht leicht, ihren Glauben aufzugeben und zu einem anderen Glauben zu konvertieren, und lange Zeit begegnete sie dem christli­ chen Glauben mit Skepsis.13 In dieser Phase beschloss Ramabai, ihre Studi­ en in England fortzusetzen. Sie schrieb ihr erstes Buch, Stree Dharma-Neeti (Marathi – „Moral für Frauen“), um ihren Englandaufenthalt zu finanzieren. So ging Ramabai 1883, im Alter von 25 Jahren, nach England, um Medizin tion between Religions, 29. bis 30. August 2008 (unveröffentl. Beitrag, Mangalore University), 8–10. 10 Pandita Ramabai, A Testimony: The Life Story of Pandita Ramabai (Melbourne: Franklin Press, 1946; Nachdr.), 16. 11 Miss Hurford war Erzieherin und wurde später Superintendentin des Female Training College in Pune. Sie unterhielt auch Beziehungen zur Mission der Wantage Sisters (Gemeinschaft der hl. Jungfrau Maria) und der Cowley Fathers (Gesellschaft des hl. Evangelisten Johannes). 12 Zu ihrem ersten Kontakt mit dem Christentum vgl. Charles, Pandita Ramabai, 47–52. 13 Vgl. Sengupta, Pandita Ramabai Saraswati, 112–116.

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zu studieren, weil sie davon überzeugt war, dass sie die Situation der indi­ schen Frauen am ehesten würde verbessern können, wenn sie Ärztin wurde. In England wurde bei Ramabai jedoch eine Schwerhörigkeit diagnostiziert, die eine medizinische Laufbahn unmöglich machte. Daraufhin änderte sie ihre Pläne und beschloss, Lehrerin zu werden. Von Miss Hurfords Londoner Freundinnen, den Wantage Sisters, erhielt sie die nötige Unterstützung, um ihre pädagogischen Ziele zu verfolgen. Während ihrer Zeit bei den Wantage Sisters hatte sie Gelegenheit, die Schwestern bei ihrem Dienst an den Frauen und den Armen in London und Umgebung zu beobachten. Zum ersten Mal machte Ramabai die Erfahrung, dass jemand Frauen aus religiösen Gründen mitfühlend begegnete, und sie war sehr beeindruckt. Sie erkannte, dass Hin­ duismus und Christentum sich in ihrem Verhalten den Menschen und insbe­ sondere Frauen und Bedürftigen gegenüber grundlegend unterschieden.14 Am 29. September 1883 schließlich wurden Ramabai und ihre Tochter Manorama Bai in der Pfarrkirche von Wantage getauft.15 Ramabais Entschluss, sich tau­ fen zu lassen, wurde in Indien von vielen Seiten scharf kritisiert, doch sie war selbstbewusst genug, öffentlich zu ihrer Entscheidung zu stehen.

1.4

Eine neue Lebens- und Wirkphase

Nachdem sie ein Jahr im Home of St. Mary in Wantage mit dem Studium der englischen Sprache zugebracht hatte, trat sie 1884 eine Stelle als SanskritLehrerin am Women’s College in Cheltenham an, wo sie außerdem selbst als Studentin die Fächer Mathematik, Naturwissenschaft und englische Literatur belegte. Kurze Zeit später, 1886, beschloss sie, die Vereinigten Staaten von Amerika zu besuchen, wo sie vielerorts Vorträge zu unterschiedlichen The­ men hielt. Sie lieferte ihrer Hörerschaft eine überzeugende Darstellung der Situation von Frauen in Indien und forderte sie anschließend auf, unmittelbar auf die Hilfsbedürftigkeit dieser Frauen zu reagieren.16 1887, noch während ihres USA-Aufenthalts, veröffentlichte Ramabai ihr Buch The High Caste 14 Vgl. Ramabai, Testimony, 18f. 15 Detailliertere Informationen bietet Meera Kosambi, Pandita Ramabai’s American Encounter (Bloomington: Indiana University Press, 2003), 18–20. Vgl. auch die Dis­ kussion bei Frykenberg, „Pandita Ramabai Saraswati“, 16–24. 16 Als Swami Vivekananda im 19. Jh. Amerika besuchte und Vorlesungen hielt, schil­ derte er Indien in den leuchtendsten Farben, während Ramabai demselben Publikum die Situation der indischen Frauen ganz anders beschrieb. Vivekananda soll hierüber nicht begeistert gewesen sein. Nachdem sie aus den Vereinigten Staaten nach Indien zurückgekehrt war, wurde Ramabai sogar gelegentlich von ihren männlichen Zuhö­ rern niedergeschrien und daran gehindert, ihre Ansichten zu äußern. Vgl. Sengupta, Pandita Ramabai Saraswati, 163.205f.; außerdem Padma Anagol, The Emergence of Feminism in India 1885–1920 (Aldershot et al.: Ashgate Publishing House, 2000), 35f.; Meera Kosambi, Hg., Pandita Ramabai in Her Own Words (New Delhi: Oxford

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Hindu Woman,17 in dem sie genau wie in ihren Vorträgen die Notlage indi­ scher Frauen beschrieb und an die Hilfsbereitschaft der Amerikaner*Innen appellierte. 1887 führte ihre Kampagne zur Gründung der Bostoner Ramabai Association, die sich das Ziel setzte, die Schulbildung von Kinderwitwen in Indien zu fördern. Binnen kürzester Zeit wurden unter ihrem Einfluss in ganz Amerika über 300 Niederlassungen der Ramabai Association eröffnet, die sich allesamt verpflichteten, Ramabai in ihrem Engagement zu unterstützen.18 Sie übersetzte mehrere Schulbücher aus dem Englischen ins Marathi, um sie an den Schulen einzusetzen, die sie nach ihrer Rückkehr in Indien eröffnen wollte. Im November 1888 bestieg sie in San Francisco ein Schiff, das sie nach In­ dien brachte. Sie war nun keine arme, heimatlose Witwe ohne Freund*Innen mehr, sondern eine Anführerin, die auf die Unterstützung tausender Sympathisant*Innen in England und Amerika zurückgreifen konnte. Bei ih­ rer Rückkehr kam sie zu dem Schluss, dass Pune kein geeigneter Ort war, um mit der Arbeit zu beginnen; daher entschied sie, nach Bombay (Mumbai) zu gehen und das in die Tat umzusetzen, was ihr neuer Glaube sie gelehrt hatte. Im darauffolgenden Jahr gründete sie das Sharada Sadan (Heim der Weisheit) in Bombay, Bildungszentrum und Witwenheim in einem, dessen Bewohnerinnen zum großen Teil noch Kinder waren, die man mit sehr viel älteren Männern verheiratet hatte. Nach dem Tod der Männer wurden die Kinderwitwen von ihren Familien gemieden und misshandelt, da diese glaub­ ten, dass Witwen in einem früheren Leben Böses getan und so den Tod ihrer Ehemänner verschuldet hatten. Anfangs gründete Ramabai das Sadan als ein in religiöser Hinsicht neu­ trales Zentrum, das Witwen aus allen Religionen offenstand, und drängte den Frauen ihre religiösen Überzeugungen nicht auf. Allerdings hielt sie für die Witwen im Sadan regelmäßig Bibelstunden und christlichen Religionsun­ terricht ab. Die konservativen Hindu-Sekten hatten ihre Aktivitäten schon immer misstrauisch beäugt. Später änderte Ramabai ihre Einstellung zur Re­ ligion und sprach offener über ihren Glauben.19 Die Mädchen in ihrem Sadan begannen sich taufen zu lassen. Diese Taufen und ihre veränderte religiöse Haltung versetzten die hinduistischen Gesellschaftsteile in helle Aufregung. Das Sharada Sadan wurde zu einer deklariert christlichen Einrichtung.20 Ra­

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University Press, 2000); und Uma Chakravarti, Rewriting History: The Life and Times of Pandita Ramabai (New Delhi: Kali for Women, 1998). Ramabai, High Caste Hindu Woman. Kosambi, Pandita Ramabai’s American Encounter, 25. Viele deuten diese veränderte Einstellung als „Pfingsterfahrung“, vgl. z. B. Ruth Vassar Burgess, „Pandita Ramabai: A Woman for all Seasons: Pandita Ramabai Saraswati Mary Dongre Medhavi (1858–1922)“, AJPS 9 (2006): 183–198; Allan An­ derson, „Pandita Ramabai, the Mukti Revival and Global Pentecostalism“, Transformation 23/1 (2000): 37–48. Frykenberg, „Pandita Ramabai Saraswati“, 36.

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mabai musste aber feststellen, dass es in einer Stadt wie Bombay, wo die Lebenshaltungskosten höher waren, als sie erwartet hatte, schwierig war, ein solches Heim zu führen, und ging daher 1890 mit dem Sharada Sadan nach Pune zurück. 1896 wurde das Land erneut von einer schweren Hungersnot heimgesucht. Ramabai startete eine massive Rettungs- und Hilfsaktion. Mutig reiste sie in die vom Hunger betroffenen Gebiete, rettete Hungerwaisen und brachte sie ins Sharada Sadan in Pune. Als die Zahl der dort untergebrachten Menschen auf über 300 stieg, musste sie die meisten von ihnen in die entlegene Ortschaft Kedgaon bringen, wo sie 100 Morgen Ackerland erwarb. Sie nannte die neue Niederlassung Mukti Sadan. Die Mukti-Mission wurde größtenteils mit Mit­ teln finanziert, die Ramabais Unterstützer*Innen in Amerika bereitgestellt hatten. Die Zahl der Heimbewohnerinnen stieg rasch auf beinahe 2000 Per­ sonen an, und es war eine echte Herausforderung, ihren Alltagsbedarf im Alleingang zu decken. Ramabai versorgte sie mit allem, angefangen bei Klei­ dung über Obdach bis hin zu geistlichem Zuspruch – Gott und die Bibellek­ türe gaben ihr die Kraft dazu. Durch ihren Unterricht und ihr Engagement fühlten sich viele Mitglieder der Gemeinschaft zum Christentum hingezo­ gen und ließen sich taufen. 1897 entstand auf dem Gelände in Kedgaon die Mukti-Kirche. Die europäischen Missionare übernahmen den Pastorendienst, während die kirchlichen Ämter einigen der älteren Frauen aus dem Sadan anvertraut wurden. Außerdem gründete Ramabai das Kurpa Sadan (Heim der Gnade) für Opfer der Hungersnot. Hunderte von Mädchen, Jungen und Frauen fanden dort Zuflucht. Ramabai konnte ihnen Bildung und andere we­ sentliche Grundlagen mitgeben. Bis zu ihrem Tod 1922 konnte sie diese Hei­ me leiten und ihre Vision verwirklichen. Um die Mädchen und Frauen in ihrem Sadan auszubilden, gründete sie eine Gewerbeschule. Jedes Mädchen sollte einen Beruf erlernen. Theorie und Praxis gingen Hand in Hand. Zu den beruflichen Fertigkeiten, die sie an ihrer Schule unterrichtete, gehörten Weben, Nähen und Sticken, Ölgewinnung und Milchverarbeitung, Waschen und Backen, Schneidern, die Verzinnung von Küchenutensilien, das Schreiner- und Maurerhandwerk sowie die Ziegelher­ stellung. Außerdem nahm sie für die Gemeinschaft eine Druckerpresse und eine Buchbinderei in Betrieb, wo die Mitglieder nicht nur eine Ausbildung, sondern anschließend auch eine Anstellung erhielten, sodass sie in Zukunft selbst für ihren Unterhalt sorgen konnten. Mit der Hilfe ihrer Tochter Manorama, die in England Braille gelernt hat­ te, gründete Ramabai außerdem ein Heim und eine Schule für blinde Men­ schen. Manorama stand ihrer Mutter bei all ihren Unternehmungen zur Seite. Tragischerweise erkrankte sie im Juli 1921 und starb mit nur 40 Jahren. Ihr Tod war ein schwerer Schlag für Ramabai, die kurze Zeit später, am 5. April 1922, ebenfalls verstarb.

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2.

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Engagement unter veränderten Vorzeichen

Die Konversion zum Christentum half Ramabai, das wesentliche Paradigma ihrer Mission und ihres Engagements für die Verbesserung der Situation der Frauen und der Armen in ihrer Gesellschaft zu definieren. In mehreren ihrer Schriften brachte sie ihre Freude darüber zum Ausdruck, dass sie durch ihre Konversion in Gemeinschaft mit Christus war. Sie erklärt: Ich habe den Herrn Jesus Christus als meinen persönlichen Retter kennengelernt und habe die Freude der süßen Gemeinschaft mit Ihm. Mein Leben ist voller Freude, „denn JEHOVA, der Herr, ist meine Kraft und mein Lied und er ward mir zum Heil“ [Jes 12,2]. Nun weiß ich, was der Prophet meint, wenn er sagt: „Mit Freuden werdet ihr Wasser schöpfen aus den Brunnen des Heils“ [Jes 12,3]. Ich kann die Freude kaum fassen und für mich behalten. Ich fühle mich wie die Samariterin, die „ihren Wasserkrug stehenließ, in die Stadt zurückkehrte und zu den Leuten sagte: Kommt her, seht, da ist ein Mensch, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe: Ist er vielleicht der Christus?“ [Joh 4,28f.].21

Weiter schreibt sie über ihre neue Erfahrung: „Ich war recht froh, dass ich eine Religion fand, die Männern und Frauen die gleichen Vorrechte einräum­ te; es gab dort keinen Unterschied nach Kaste, Farbe oder Geschlecht.“22 Die durch Kastenzugehörigkeit und Geschlecht bedingten Diskriminierungen im Indien ihrer Zeit stellten ihr Engagement vor beträchtliche Herausforderun­ gen. Auch in anderen Religionen und Traditionen konnte Ramabai kein Mit­ leid mit Frauen entdecken. Doch die Begegnung mit dem Christentum öffnete ihr die Augen: Hier machte ich zum ersten Mal in meinem Leben die Erfahrung, dass etwas getan werden sollte, um die sogenannten gefallenen Frauen zu rehabilitieren, und dass die Christen, die von den Hindus als Parias und als grausam betrachtet wurden, freundlich zu diesen unglücklichen Frauen waren, die im Ansehen der Gesellschaft so niedrig standen.23

Als sie, wie oben bereits erwähnt, den Wantage Sisters bei ihrem karitativen Einsatz zusah, konnte sie zunächst nicht verstehen, was diese zu ihrer sozi­ alen Arbeit unter den Armen und Bedürftigen veranlasste. Dann aber hörte sie die Geschichte von Jesus und der Samariterin (Joh 4), und sie begann zu verstehen. Bei dieser Begegnung brach Jesus mit den Vorurteilen seines Vol­ kes und bat die Frau, ihm aus dem Brunnen zu trinken zu geben. Außerdem 21 Ramabai, Testimony, 12. 22 Ebd., 23. 23 Ebd., 18.

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verkündete er ihr ein lebendiges Wasser, das in ihr selbst sprudeln und zum Besten ihrer Mitmenschen überquellen könne. Ramabai beschloss, die Chan­ ce auf dieses lebendige Wasser in ihrem Leben zu ergreifen, damit sie ihrem Meister auf seinem Weg nachfolgen und wie die Samariterin das lebendige Wasser mit anderen teilen konnte.24 Alles, was sie tat, wurzelte zutiefst in ihrem Bibelverständnis, das sich oft grundlegend von der Hermeneutik ihrer Zeitgenossen unterschied. Sie wandte sich der Bibel zu, die sie als das Deposi­ tum des Lebens und Wirkens Jesu betrachtete. So wurde Ramabai zur ersten Exegetin Indiens.

2.1

Gegen das Patriarchat

Ihr Leben lang stellte Ramabai das Patriarchat in Frage und wurde aufgrund ihrer Lebensweise und ihres Engagements von dessen Vertretern angefeindet. Sowohl vor als auch nach ihrer Konversion musste sie dieser harten Realität ins Auge blicken. Wie Meera Kosambi gezeigt hat, begann ihr Feldzug gegen das Patriarchat damit, dass ihr Vater darauf bestand, sie in Sanskrit zu unter­ richten: der „göttlichen Sprache“, die männlichen Angehörigen der höheren Kasten vorbehalten war.25 Eine weitere Kampfansage war die Gründung ihrer Einrichtung Arya Mahila Samaj zur Mobilisierung der Frauen. Nach ihrer Konversion zum Christentum wurde ihre Einstellung gegen das Patriarchat noch deutlicher. Anfangs war Ramabai beeindruckt von der Geschlechter­ gleichheit der christlichen Lehre. Doch musste sie bald erkennen, dass auch die Kirche nicht frei von patriarchalen und autoritären Strukturen war. Ihre Haltung zum Patriarchat stieß auch bei führenden Männern der christlichen Kirchen auf heftigen Widerstand. So verwahrte sich der damalige anglikani­ sche Bischof von Bombay dagegen, dass sie Männer unterrichtete. Ramabai wies diesen Standpunkt energisch zurück: Es überrascht mich sehr, dass weder mein Vater noch mein Ehemann etwas da­ gegen einzuwenden hatten, dass meine Mutter oder ich junge Männer unterrich­ teten, während einige Engländer es mir verbieten wollen.26

Miss Beale bringt Ramabais Auffassung vom Patriarchat klar auf den Punkt:

24 Ebd. Vgl. auch die Diskussion in Charles, Pandita Ramabai, 53f. 25 Meera Kosambi, „Multiple contestations: Pandita Ramabai’s educational and mis­ sionary activities in late nineteenth-century India and abroad“, Women’s History Review 7/2 (1998): 193–208. 26 Shah, Hg., The Letters and Correspondence, 60.

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Sie (Ramabai) hatte gelernt, dass die Freiheit in Christus vollkommen sei, und auch wenn eine Ordnung und Unterordnung in der Kirche unverzichtbar war, gab es doch im Geist in Christus weder Mann noch Frau. Das schien ein Rück­ fall in das, wovon sie befreit worden war.27

Ramabai selbst erklärt ihren Standpunkt so: Welch gute Nachricht für mich als Frau, als Frau, die in Indien und unter Brah­ manen geboren wurde, die mir und meinesgleichen keinerlei Hoffnung machen! Die Bibel erklärt, dass Christus dieses großartige Heil nicht für eine bestimmte Kaste oder ein bestimmtes Geschlecht reserviert hat.28

Kurz gesagt war Ramabais ganzes Leben ein Kampf gegen die männliche Hegemonie sowohl in der hinduistischen Gesellschaft als auch in der christli­ chen Kirche. Vor ihrer Konversion wandte sie sich gegen die Unterdrückung von Frauen innerhalb der hinduistischen Religion, und nach ihrer Konversi­ on kämpfte sie gegen die kolonialen Bischöfe und die männliche Hegemonie innerhalb des Christentums. Man kann ihr Leben als die Geschichte zweier parallel verlaufender, aber vom Diskurs her unterschiedlicher Kämpfe gegen das Patriarchat deuten.

2.2

Hermeneutik und Bibelübersetzung

Mit ihrer Bibelhermeneutik und mit dem, was sie tat, geriet Ramabai nicht sel­ ten in Konflikt mit der Kirche und führenden Kirchenmännern. Gleich nach ihrer Taufe fanden die Wantage Sisters heraus, dass sie von den Lehren Jesu Christi zutiefst überzeugt war und gleichzeitig Zweifel an einigen christlichen Glaubenssätzen hegte.29 Lehren wie die von der Dreifaltigkeit, der wundersa­ men Geburt Jesu und der Gottheit Christi, den sie als Sohn Gottes betrachtete, konnte sie nicht akzeptieren. Das athanasianische Glaubensbekenntnis lehnte sie in Teilen ab, und die nachbiblischen Weiterentwicklungen der christlichen Lehre betrachtete sie grundsätzlich mit Skepsis. Auch an den Wundererzäh­ lungen der Bibel – des AT wie des NT – hatte sie ernsthafte Zweifel.30 Sie interpretierte die Wunder als Parabeln. Die Ratschläge der Schwestern und 27 Ebd., 49. 28 Ramabai, Testimony, 32. 29 Eine Darstellung des Streits zwischen Ramabai und den anglikanischen Nonnen findet sich bei Gauri Viswanathan, Outside the Fold: Conversion, Modernity, and Belief (Princeton: Princeton University Press, 1998), 118–152. 30 Vgl. die Darstellung in The Letters and Correspondence (hg. von Shah), 87–156. Sie­ he zudem die Diskussion bei Christine Lienemann-Perrin, „‚Success‘ and ‚Failure‘ in Conversion Narratives“, IRM 96 (2007): 322–342.

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anderer, die ihre theologische Sichtweise verändern wollten, wies sie mutig zurück: Mir scheint, dass Sie mir raten, […] immer den Willen derer zu akzeptieren, die Autorität haben usw. Doch das kann ich nicht hinnehmen. Ich habe selbst ein Gewissen, Verstand und Urteilsvermögen, ich muss selbst nachdenken und alles tun, was zu tun GOTT mir die Kraft gegeben hat […]. Priester und Bischöfe mögen vielleicht eine gewisse Autorität in der Kirche haben, doch die Kirche hat einen anderen Meister, der sogar über den Bischöfen steht. Zwar bin ich ein Mitglied der Kirche Christi, aber ich bin nicht verpflichtet, jedes Wort zu ak­ zeptieren, das von den Lippen von Priestern oder Bischöfen herabfällt […]. Ich habe mich gerade unter großen Anstrengungen vom Joch der indischen Pries­ terkaste befreit und bin daher gegenwärtig nicht gewillt, mich unter ein anderes, ähnliches Joch zu begeben, indem ich alles, was von den Priestern kommt, als bevollmächtigtes Gebot des Allerhöchsten hinnehme.31

Die Wantage Sisters, insbesondere Sr. Geraldine, und andere drängten sie weiterhin, die christlichen Glaubenssätze zu akzeptieren, und verlangten, dass sie sich der Autorität der Kirche vollständig unterwerfen solle. Ramabai jedoch hielt bis zu ihrem Lebensende eisern an ihren Überzeugungen fest. Auch dem konfessionellen Denken und den Lehren der führenden Kir­ chenmänner stand sie kritisch gegenüber. Die anglikanische Kirche versuchte stets, sie vor anderen christlichen Konfessionen zu warnen, die darum wettei­ ferten, einen so wertvollen Preis, wie sie es war, zu gewinnen. Ihre kritische Sichtweise zeigt sich in ihren Worten: Außer mit Vertretern der prominentesten Sekten – der High Church, der Low Church, Baptisten, Methodisten, Presbyterianern, Quäkern, Unitariern, Univer­ salisten, römischen Katholiken, Juden und anderen – bin ich mit Spiritualisten, Theosophen, Mormonen, Christlich-Wissenschaftlichen und Angehörigen […] der okkulten Religion zusammengetroffen. Niemand kann sich auch nur annä­ hernd vorstellen, was ich gefühlt habe, als ich in den christlichen Ländern ein solches Babel der Religionen vorfand und feststellen musste, wie sehr sich die Lehren der einzelnen Sekten voneinander unterschieden.32

Niemand konnte sie je von der Sinnhaftigkeit der konfessionellen Gesinnung überzeugen. Später, als sie 1897 in Kedgaon selbst eine Kirche (die MuktiKirche) ins Leben rief, gründete sie diese bewusst nicht in Abhängigkeit von irgendeiner der bestehenden konfessionellen Kirchen. Zudem waren alle Äm­ ter in dieser Kirche mit Frauen aus ihrem Ashram besetzt, und die Pasto­ ren waren in vielen Fällen europäische (anglikanische) Missionare, die unter Ramabais Führung arbeiteten. Beides – Frauen, die kirchliche Ämter inne­ 31 Shah, Hg., The Letters and Correspondence, 59. 32 Ramabai, Testimony, 19f.

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hatten, und Europäer, die unter indischer Führung arbeiteten – war für viele damalige Gläubige undenkbar. Auch nach ihrer Konversion zum Christentum hatte Ramabai nie die Ab­ sicht, sich von ihrer Kultur und ihrem Volk loszusagen. Sie wollte immer eine zutiefst in der indischen Kultur verwurzelte indische Christin sein und niemals ein Christentum annehmen, das von einer fremden Kultur ins Land gebracht worden war. Der Kampf zwischen dem Christentum und ihrer indi­ schen kulturellen Identität prägte ihr ganzes weiteres Leben. Auch ihre Toch­ ter Manorama wollte sie als Inderin erziehen, obwohl Sr. Geraldine, in deren Obhut Ramabai das Mädchen während ihrer Reisen zeitweise überlassen hat­ te, beharrlich versuchte, sie davon abzubringen. In einem ihrer Briefe an Sr. Geraldine schreibt Ramabai: Ich kann mich nicht dazu überwinden, Mano in England zu lassen […]. Ich will, dass sie eine von uns ist und die Menschen unseres Landes als eine von ihnen liebt und nicht als eine Fremde oder Höhergestellte […]. Ich will nicht, dass sie zu stolz ist, um anzuerkennen, dass sie eine Tochter Indiens ist. Ich will nicht, dass sie vor Scham errötet, wenn unser Name erwähnt wird, wie es bei denen, die in der Fremde eine Heimat gefunden haben, viel zu häufig vorkommt.33

Ramabai versuchte auf vielerlei Weise, das Christentum zu indigenisieren. Anstelle der von den europäischen Missionaren eingeführten westlichen Kir­ chenlieder ließ sie während der Gottesdienste Andachtslieder auf Marathi und Kirtan (Loblieder) singen. Sie übersetzte die Psalmen ins Marathi und ließ sie mit Melodien des klassischen indischen Raga unterlegen.34 Ramabai war auch insofern einzigartig, als sie von Kindheit an professionell heilige Texte vorge­ tragen und ausgelegt hatte. Vor ihrer Konversion zum Christentum hatte sie die heiligen Schriften des Hinduismus interpretiert, und nach ihrem Übertritt zum Christentum wurde sie zu einer Exegetin der christlichen Bibel. Ihre her­ meneutische Position schlägt sich – angefangen bei ihrem ersten Werk Stree Dharma-Neeti bis hin zu ihrer Bibelübersetzung – in ihrem gesamten schrift­ stellerischen Schaffen nieder.35 Sie versuchte immer, den Text aus der Pers­ 33 Shah, Hg., The Letters and Correspondence, 199. 34 Shamsundar Manohar Adhav, Pandita Ramabai (CFIS 13; Madras: The Christian Literature Society, 1979), 46f. 35 Meera Kosambi bewertet schon Ramabais erste Schrift Stree Dharma-Neeti als das Werk einer reifen Hermeneutikerin und Feministin. Demgegenüber vertritt Rajkumar Boaz Johnson den Standpunkt, dass Ramabai sich im Zuge ihrer Bibelübersetzung zu einer reifen feministischen Denkerin und indisch-christlichen feministischen Theologin entwickelte. Siehe Kosambi, Pandita Ramabai’s Feminist and Christian Conversions und Pandita Ramabai Through Her Own Words, sowie Rajkumar Boaz Johnson, „The Biblical Theological Contribution of Pandita Ramabai: A Neglected Pioneer Indian Christian Feminist Theologian“, ExAu 23 (2007), 111–136. Ihre Ent­ wicklung zur feministischen Denkerin und Hermeneutikerin lässt sich vom Beginn

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pektive der Frauen und der Unterdrückten in Indien zu lesen. Ihre Auslegung ist zweifellos ‚befreiungstheologisch‘ und sensibel für den historischen und sozialen Kontext des Textes.36 Den üblichen missionarischen und westlichen sowie den klassischen indischen Auslegungsmethoden stand sie gleicherma­ ßen kritisch gegenüber. Sie distanzierte sich von diesen Herangehensweisen, indem sie die Erfahrung der Menschen mit dem Kontext des Textes verband, um neue Bedeutungen zu generieren. Wie Johnson schreibt: Diese Interpretationsmethode führt zur Entstehung eines „neuen Texts“, das heißt einer „neuen Identität“. Das ist der Mukti-Text, die Mukti-Identität, die Mukti-Gemeinschaft.37

Zu Ramabais wichtigsten Interpretationsprojekten gehörte die Übersetzung der Bibel. Die bereits vorhandene Bibelübersetzung auf Marathi, ihrer Mut­ tersprache, hielt sie für problematisch, weil sie in „missionarischem Marathi“ und „Hoch-Marathi voller Wörter aus dem Sanskrit, dem Arabischen und dem Persischen“ abgefasst war, die „nur von Gelehrten verstanden wurden“.38 Tatsächlich waren sämtliche Bibelübersetzungen, die es in einer der indischen Sprachen gab, von westlichen Missionaren mit der Hilfe hinduistischer Ge­ lehrter angefertigt worden. Deshalb beschloss sie, den Einfluss der westlichen und hinduistischen Philosophie zu umgehen, indem sie die Bibel selbst aus dem Urtext ins Marathi übersetzte.39 1905 begann sie mit der Arbeit, nach­ dem sie zunächst biblisches Hebräisch und Griechisch gelernt hatte.40 Dieses Projekt wurde zu ihrem großen Lebenswerk, das sie bis zu ihrem Tod in An­ spruch nahm.41 Sie wollte, dass ihre Übersetzung einfach und für gewöhnli­ che Menschen, die meist auf dem Land lebten, gut zu verstehen war. Außer­ dem war Ramabai der Ansicht, dass eine Bibel in der Sprache der einfachen Bevölkerung nicht genügte: Die Menschen brauchten auch Hilfsmittel, um die Bibel zu verstehen. Also erstellte sie ergänzende Vokabellisten und Gram­ matiken, Interlinearübersetzungen, einen Bibelkommentar und eine Konkor­ ihrer Laufbahn an sehr gut verfolgen. Das Christentum und die Bibel haben zwei­ fellos ihren Beitrag dazu geleistet, ihr Denken zu schärfen, und ihr im Hinblick auf einen Dienst unter den Armen und den Frauen neue Einsichten vermittelt. 36 In diesem Punkt stimme ich mit Johnson überein, der die Auffassung vertritt, dass sie sich mit ihren Interpretationen nicht einfach an die klassischen oder die postmo­ dernen leserzentrierten Methoden, sondern an eine „innerbiblische Intertextualität“ hält, vgl. Johnson, „The Biblical Theological Contribution of Pandita Ramabai“, 124f. 37 Johnson, „The Biblical Theological Contribution of Pandita Ramabai“, 125. 38 Adhav, Pandita Ramabai, 201. 39 Vgl. Johnson, „The Biblical Theological Contribution of Pandita Ramabai“, 123f. 40 Adhav, Pandita Ramabai, 197ff. 41 Vgl. Kosambi, Pandita Ramabai’s Feminist and Christian Conversions, 172.

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danz.42 Der eigentliche Zweck dieser lexikalischen Hilfsmittel bestand darin, schlecht ausgebildete Prediger und Exegeten bei ihrer Verkündigungsarbeit zu unterstützen. Sie vollendete ihre Übersetzung der kompletten Bibel ins Marathi 1922, eine Woche vor ihrem Tod. Dieses Projekt war deshalb so be­ sonders, weil sie ihre eigene Herangehensweise angewandt und sich so von den Methoden der kolonialen Bibelübersetzer und Übersetzungen emanzi­ piert hatte, womit sie die normative Vorstellung, nach der nur die Übersetzun­ gen der Missionare Gültigkeit beanspruchen durften, herausforderte. Es ist nicht zu übersehen, dass Ramabai gegen die Kontrolle einer im­ perialistischen Hierarchie und ebenso gegen die Orthodoxie rebellierte, die von dieser Hierarchie vertreten wurde. Ihre Einstellung zu westlichen Christ*Innen und zum westlichen Christentum war zwar überaus ambiva­ lent, aber gleichzeitig war ihr die Religion ihrer Kindheit und Jugend fremd geworden. Ihr Glaube war nicht von einer tiefen Verehrung für eine personale Gottheit der indischen Religion, sondern von aufklärerischer Rationalität und Logik geprägt. In ihrer Hermeneutik legte sie großen Wert auf die Lehren Jesu. Anfangs jubelten die führenden Christen in Indien über Ramabais Kon­ version und glaubten, sie hätten ihrer Krone ein weiteres Juwel hinzugefügt, doch durch Ramabais theologische Dispute mit den kirchlichen Autoritäten wurde diese Krone zu einer Dornenkrone für die christliche Orthodoxie.43 Sie war auch nicht bereit, sich ganz von ihren früheren Traditionen loszusagen, wie die Missionare von ihr verlangten. Sie betrachtete ihre Konversion zum Christentum als die Erfüllung ihrer spirituellen Suche. Die Lehren Christi, der das, was er predigte, auch praktiziert hatte, unterstützte sie voll und ganz. Man konnte sehen, wie sie darum rang, sich losgelöst von den westlichen Formen der Spiritualität ihre Identität als indische Christin zu bewahren. Sie versuchte von unten, von den Menschen her, die dem Kontext Bedeutung verliehen, auf die Bibel zu blicken, während die westlich geprägten Missio­ nare eine Hermeneutik von oben vertraten. Ramabais Hermeneutik war neu in der indischen Kirche. Dennoch wurde ihr, wie Sugirtharajah gezeigt hat, in wissenschaftlichen Arbeiten über indische Bibelhermeneutik nur geringe Bedeutung beigemessen. Selbst die neuere indische Dalit-Hermeneutik neigt dazu, sie als Vertreterin einer brahmanischen Unterdrückungshermeneutik darzustellen.44 42 Adhav, Pandita Ramabai, 199. Siehe auch Meera Kosambi, „Indian Response to Christianity, Church and Colonialism: Case of Pandita Ramabai“, Economic and Political Weekly 27/43–44 (1992): WS61–WS71; WS65; außerdem Arun Jones, „Pandita Ramabai (1858–1922)“, in Handbook of Women Biblical Interpreters – A Historical and Biographical Guide (hg. v. Marion Ann Taylor und Agnes Choi; Grand Rapids: Baker Academic, 2012), 416ff. 43 Siehe die Diskussion bei Rasiah S. Sugirtharajah, The Bible and the Third World: Precolonial, Colonial and Postcolonial Encounters (Cambridge: Cambridge Univer­ sity Press, 2001), 97–105. 44 Sugirtharajah, The Bible and the Third World, 104f.

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Schlussfolgerungen

Als Vorkämpferin der Frauenbildung, Anwältin der Frauenrechte und Bibel­ übersetzerin hat Pandita Ramabai einen bedeutenden Beitrag zur Verbesse­ rung der Situation der Frauen im Indien des 19. Jh. geleistet. 1919 verlieh ihr die britische Regierung in Anerkennung ihrer bahnbrechenden Verdienste um die Frauen und die Gemeinschaft insgesamt die königliche Kaisar-i-HindMedaille. Sie war die erste Inderin, die diese Auszeichnung jemals erhalten hat. Die Mittel, die sie wählte, um die Situation der Frauen zu verbessern, wurden oft kritisiert, doch über die Ziele, die sie erreichen wollte, herrscht weitestgehend Einigkeit. Von den konservativen Kreisen der hinduistischen wie auch der christlichen Gesellschaft schlug ihr heftiger Widerstand ent­ gegen. Die Veränderungen im Leben von Frauen, die der Staat zu Ramabais Lebzeiten herbeiführte, wären ohne die aktive Beteiligung von Menschen wie sie kaum eingetreten. Ihre vielen Projekte bescheinigen ihr ein hohes Maß an strategischem Denken, Mut, Weitsicht, Kühnheit und Selbstbewusstsein. Sie war ihrer Zeit zweifellos weit voraus. Wenn Witwen in Indien heute die Mög­ lichkeit haben, wieder zu heiraten oder ein normales Leben zu führen wie an­ dere Frauen auch, dann ist es den Bemühungen um menschliche Behandlung von Visionär*Innen wie Ramabai zu verdanken. Natürlich ist es eine Ironie der Geschichte, dass eine bekannte und ge­ bildete Vertreterin des Hinduismus den christlichen Glauben annimmt und zu einer Reformerin wird, die den Status der hinduistischen Frauen in In­ dien revolutioniert.45 Und es ist verstörend, dass christliche und andere Ge­ sellschaftsteile die Errungenschaften dieser Sozialaktivistin ignoriert haben. Während Christ*Innen ihrer Leistungen oft mit religiös motivierter Ehrer­ bietung gedenken und ihre soziale Bedeutung vergessen, verstellt Ramabais Konversion anderen Gesellschaftsgruppen oft den Blick auf das, was sie für das Empowerment der Frauen getan hat. Konservative Hindus vermuteten hinter ihrem Engagement für Frauen und Kinder geheime Christianisierungs­ absichten, und die christlichen Missionare distanzierten sich häufig von ihrer Arbeit, weil sie mit ihrer Hermeneutik nicht einverstanden waren. Pandita Ramabai ist ohne jeden Zweifel eine herausragende Gestalt der Gesellschaft des 19. Jh., und ihr Beitrag muss im Licht jüngerer Debatten über Entwick­ lung, Selbstermächtigung und Gender neu bewertet werden. Ihr Leben und ihre gesamtgesellschaftlichen Errungenschaften sind für einige von uns noch immer eine Herausforderung. In christlichen – selbst feministischen – Krei­ sen des westlichen wie auch des indischen Christentums ist sie weitgehend

45 Vgl. die Diskussion bei Parinitha Shetty, „Christianity, Reform, and the Recon­ struction of Gender: The Case of Pandita Mary Ramabai“, JFSR 28/1 (2012): 25–41.

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unbekannt.46 Sie war nicht nur eine Bibelexegetin, sondern eine Persönlich­ keit, die mit ihren Bibelübersetzungen und ihren Taten über die eigentliche Geschlechterproblematik hinaus gegen die Nöte der Frauen, der Kinder und der Armen ankämpfte. Dennoch ist sie nach wie vor eine vergessene Heldin der indischen Gesellschaft.47

46 Siehe z. B. Elisabeth Schüssler Fiorenza, Hg., Searching the Scriptures 1: A Feminist Introduction (New York: Crossroad, 1993). 47 Die wichtigsten ihrer Veröffentlichungen sind: Stree Dharma-Neeti (Marathi) (1882), The Cry of Indian Women (1883), An Autobiographical Account (1883), Indian Religion (1886), The High-Caste Hindu Woman (1887), Religious Denominations and Charities in the USA (1889), The Condition of Women in the USA (1889), Famine Experiences (1897), To the Friends of Mukti School and Mission (1900), A Short History of Kripa Sadan, or Home of Mercy (1903), A Testimony of Our Inexhaustible Treasure (1907), The Word Seed (1908).

Bibel-Lektüren von Frauen im Missionskontext Helen Barrett Montgomery im Vergleich mit Pandita Ramabai Christine Lienemann-Perrin Universität Basel

Helen Barrett Montgomery (1861–1934) pries das 19. Jahrhundert als Jahr­ hundert der Frauen.1 Damit verkörperte sie die beginnende Frauenemanzi­ pation in der amerikanischen Gesellschaft und insbesondere das Selbstbe­ wusstsein der Frauenmissionsbewegung, die auch im asiatischen Kontext für die Frauenbefreiung geworben hatte. Montgomery war eine führende Figur in der amerikanischen Demokratie- und Frauen(missions)bewegung. Sie war eine der wichtigsten Initiatorinnen des „Weltgebetstags der Frauen“ und da­ mit eine Schlüsselperson der ökumenischen Bewegung des 19. und frühen 20. Jh. Weniger bekannt ist, dass sie zu den ersten Frauen gehörte, die das Neue Testament ins Englische übersetzt haben, und Autorin eines bemerkens­ werten missionstheologischen Bibelkommentars war.2 Montgomerys öffent­ liches Wirken in den verschiedensten kommunalen, zivilgesellschaftlichen, kirchlichen, missionsgesellschaftlichen und ökumenischen Funktionen ist durchdrungen von einer biblisch reflektierten Grundorientierung. Sie war der Überzeugung, dass die Bibel als Grunddokument der Christenheit nicht nur für die einzelne Person direkte Konsequenzen haben muss, sondern auch für die Gestaltung des privaten Hauswesens, des Gemeinwesens, der Kirche in Amerika und in der Weltmission. Allem voran erhoffte sich Montgomery von der Orientierung an der Bibel einen gesellschaftlichen Wandel und eine verbesserte Stellung der Frauen in Familie, Gesellschaft und Kirche. Als Pro­ tagonistin der ökumenischen Frauenmissionsbewegung stand Montgomery mit christlichen Frauennetzwerken weltweit in Verbindung und kannte daher 1

2

„The organization of the Women’s Missionary Societies is but one of a remarkable series of movements among women that have made the nineteenth century known as the Women’s Century.“ Helen B. Montgomery, Western Women in Eastern Lands. An Outline Study of Fifty Years of Woman’s Work in Foreign Missions (New York: The Macmillan Company, 1910), 3. Helen B. Montgomery, Centenary Translation of the New Testament: Published the Comple of the First Hundred Years of Work of the American Baptist Publication Society (Philadelphia: American Baptist Publication Society, 1924); Dies., The Bible and Missions (West Medford: Central Committee on the United Study of Foreign Missions, 1920).

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auch die Werke der Inderin Pandita Ramabai.3 Werdegang, Werke, soziales Engagement, Bibelverständnis und missionarische Grundausrichtung von Montgomery und Ramabai weisen manche Parallelen auf, die zusammen mit den Unterschieden einen Vergleich nahelegen.

1.

Biographische Einflüsse auf Helen B. Montgomerys Werk4

1.1

Elternhaus, Studium und Ehe

Helen Barrett wurde 1861 in Kinsville, Ohio, in eine baptistische Familie ge­ boren und erlebte ihre Kindheit später in Rochester, NY, wo sie die längste Zeit ihres Lebens verbrachte. Sie und ihre beiden Geschwister wurden nach dem Tugendideal der viktorianischen Ära erzogen: „simplicity, piety, intel­ lectual curiosity, self-sufficiency, self-discipline, and patriotism“.5 Ihr Vater, Judson Barrett, wurde als Spätberufener 1876 Pfarrer der Lake Avenue Bap­ tist Church in Rochester, in der er Helen im selben Jahr taufte. Die Gemeinde war von missionarischem Geist durchdrungen, wie es in der Zeit gesteigerter protestantischer Aktivitäten verbreitet war.6 Ihre Bildung empfing Helen vor allem von ihrem Vater, den sie sehr ver­ ehrte.7 Weit weniger war sie von der Mutter beeinflusst, die das Mittelklas­ se-Ideal der True Womanhood verkörperte, die selbstaufopfernde, unterge­ ordnete, fromme, dem öffentlichen Raum fernbleibende, häusliche Frau und Mutter. Helen besuchte das Livingston Park Seminary in Rochester, dessen Leiterin, Cathro Mason Curtis, ebenfalls dem True-Woman-Ideal verpflichtet war. Auf eigenen Wunsch und mit Zustimmung des Vaters trat Helen Barrett 1880 in das Wellesley College ein, das 1875 in Rochester gegründet worden war und dessen Lehrkörper ausschließlich aus Frauen bestand. Als eine der ganz wenigen Eliteschulen für Frauen brachte Wellesley führende Persönlich­ 3

Siehe dazu den Beitrag von Royce M. Victor, „Pandita Ramabai – A Forgotten Hero of Indian Hermeneutics“ in diesem Band. 4 Zum Folgenden siehe die ausführliche Studie von Kendal P. Mobley, Helen Barrett Montgomery: The Global Mission of Domestic Feminism (Waco: Baylor University Press, 2009). 5 Ebd., 12. 6 Rochester war auch das Wirkungsfeld von Walter Rauschenbusch (1861–1918), Hauptvertreter des Social Gospel in Nordamerika. Ihn und Montgomery verband das Engagement für Gesellschaftswandel aus einer christlichen Haltung heraus. 7 Das enge Vater-Tochter-Verhältnis, das sich in der Bildungsförderung der Tochter niederschlug, war kennzeichnend für den Werdegang amerikanischer Frauenrechtle­ rinnen des 19. Jh. (Mobley, Montgomery, 14).

Bibel-Lektüren von Frauen im Missionskontext

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keiten in Religion, Politik und Gesellschaftsreform hervor.8 Das College war eine interkonfessionelle Bildungsanstalt, in der ein innerprotestantisch-öku­ menischer Geist herrschte und Helens engen baptistischen Horizont weitete. Bibelstudien und Griechischunterricht – Voraussetzung für Helens spätere Übersetzung des Neuen Testaments – waren fester Bestandteil des vierjähri­ gen Curriculums, wobei die damals in Europa erst im Werden begriffene his­ torisch-kritische Forschung im Unterricht noch keine Rolle spielte. Eine mis­ sionarische Grundausrichtung von Wellesley bereitete Helens Entwicklung zur praxiserfahrenen Missions- und Bibelwissenschaftlerin vor. Das College orientierte sich am Konzept der Symmetrical Womanhood, dem zufolge eine Frau auch ohne Ehemann und Hausfrauenexistenz als vollwertig galt. Eine Frau dieses Typs war gesund, emotional ausgeglichen, gut ausgebildet und stand als engagierte Bürgerin und Aktivistin im Dienst ihres Gemeinwesens. Helen verinnerlichte dieses Ideal, verband es jedoch mit dem Ideal der auf Häuslichkeit und Mutterschaft fokussierten True Womanhood. Dies entsprach dem Typ der New Woman, die im Zeichen des Fortschrittsdenkens stand und Ende des 19. Jh. das viktorianische Zeitalter ablöste.9 Anders als viele College-Absolventinnen verzichtete Helen als Berufstä­ tige nicht auf die Ehe, als sie 1887 den sieben Jahre älteren Witwer William A. Montgomery heiratete. Er war ein Erfinder und Tüftler mit wenig Schul­ bildung, der es nach mehreren Rückschlägen beim Handel mit seinen Pro­ dukten zu einem gewissen Wohlstand gebracht hatte. Für den erfolgreichen beruflichen Werdegang seiner Frau spielte er eine Schlüsselrolle, indem er sie in ihren Entscheidungen, öffentliche Ämter zu übernehmen, uneingeschränkt unterstützte. Nach achtjähriger Ehe wurde ein fünfjähriges Mädchen adop­ tiert, für das die 34-jährige Helen neben zahlreichen beruflichen Verpflich­ tungen sorgte. In ihrer Lebensführung zeigte sie damit, dass es damals schon möglich – wenn auch noch selten – war, Ehe, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen.

1.2

Berufliche Stationen und zivilgesellschaftliches Engagement

Montgomery war vorerst als Gymnasiallehrerin in Rochester und anschlie­ ßend an einer Vorbereitungsschule für Wellesley-Kandidatinnen in Philadel­ phia tätig. Nach der Heirat und Rückkehr nach Rochester fiel sie aufgrund ihrer eloquenten, argumentativ starken Vortragstätigkeit zu den verschiedens­ 8 9

Das Wellesley College war gegründet worden, um Frauen eine Universitätsbildung auf dem Niveau von Harvard, das keine Frauen zuließ, anzubieten. Hillary Clinton und Madeleine Albright sind bekannte Absolventinnen. Mobley, Montgomery, 25–46.

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ten Themen des öffentlichen und kirchlichen Lebens auf. Diese Kompetenz verschaffte ihr Zugang zu zahlreichen Funktionen in kirchlichen Organisati­ onen auf lokaler und nationaler Ebene.10 Nach dem Tod ihres Vaters ernannte die Gemeinde sie zur Predigerin11 der Baptistischen Gemeinde in Roches­ ter, eine Tätigkeit, die ihren späteren Bibelstudien eine praktische Grundie­ rung verlieh. Im Rahmen eines Weiterbildungskurses für Frauen,12 den sie in Rochester gründete und während 44 Jahren regelmäßig lehrend begleitete, erweiterte sie ihre Frauenrolle zunehmend um Aufgaben, für die in der män­ nerdominierten Politik bis dahin noch kein Platz vorgesehen war. Im letz­ ten Jahrzehnt des 19. Jh. engagierte sie sich in landesweiten Kampagnen zur Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts, wobei sie zugleich zwischen den religionsneutralen Frauenrechtlerinnen und dem evangelischen „Femi­ nismus“ zu vermitteln versuchte. Erstere waren an der Stärkung der Frau­ en im öffentlichen Raum und ihrer Rechte im privaten Bereich inte­ressiert, während Letzteren die Mutterrolle und der moralische Einfluss der Frauen in Familie, Gesellschaft und weltweiter Mission wichtig waren. Montgomerys Mittelposition zwischen beiden Lagern entsprach dem domestic feminism, der den Frauen die Rolle zuwies, den öffentlichen Raum nach Art der kom­ munalen Haushaltsführung (municipal housekeeping) umzugestalten. Sie stand dem damals in den USA verbreiteten Leitbild des social housekeeping nahe, das die traditionelle Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern auch im öffentlichen Raum vorsah.13 Frauen sollten für eine verbesserte Sozial­ hilfe sorgen, die Gefängnisseelsorge aufbauen, Ausbildungsmöglichkeiten und Schutzmaßnahmen für arme Frauen und Industriearbeiterinnen schaffen, Zentren für benachteiligte Kinder errichten und die allgemeine Fürsorge für die Schwachen in der Gesellschaft übernehmen – alles Bereiche, die in der männerdominierten Politik keine Priorität hatten. Die von der lokalen Ebene aus entwickelte kommunale Haushaltsführung wurde von Montgomery über 10 Montgomery war u. a. Mitglied des Executive Committee of Women’s Home Mission Union (1888), Vizepräsidentin der Women’s Foreign Missionary Society (1888), Prä­ sidentin der Women’s Home Mission Union of the Monroe Baptist Association (1889) und Präsidentin der Women’s Educational and Industrial Union (WEIU) (1893). Als einzige Frau gehörte sie auf der Weltmissionskonferenz in Edinburgh 1910 dem Education Commission of Continuation Committee an. 11 Frauen waren in der Baptistischen Kirche weder zum Theologiestudium noch zum ordinierten Pfarramt zugelassen. 12 Eine Zeitgenossin lobte „Montgomery’s class as one of the most influential in the city of Rochester“ (Mobley, Montgomery, 66). 13 Mobley, Montgomery, 72–76. Zum Leitbild des social housekeeping: Christine Lie­ nemann-Perrin, „Geschlechterbilder in der Mission“, in „Was ist der Mensch?“ Theologische Anthropologie im interdisziplinären Kontext. Wolfgang Lienemann zum 60. Geburtstag (hg. v. Michael Graf et al.; FSy 22; Stuttgart: Kohlhammer, 2004), 71–91; bes. 87; Patricia R. Hill, The World Their Household: The American Women’s Foreign Mission Movement and Cultural Transformation, 1870–1920 (Women and Culture Series; Ann Arbor: University of Michigan Press, 1985).

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die Landespolitik bis hin zur internationalen und globalen Ebene schrittweise erweitert und damit auch für die Frauenbewegung in Ökumene und Weltmis­ sion fruchtbar gemacht.

1.3

Montgomerys Bedeutung für die Frauenmissionsbewegung

Das Zustandekommen der größten Missions-Jubiläumsfeier in der Geschichte der USA, das Golden Jubilee von 1910/11 zur Erinnerung an die Gründung der ökumenischen Frauenmissionsbewegung 1860/61, ist überwiegend der Ini­tiative Montgomerys zu verdanken. Monatelang wurden überall in den USA zahlreiche Feiern auf lokaler Ebene abgehalten, bei denen zigtausende Frauen der Missionsbewegung mitwirkten. Anders als der in der Ökumenear­ beit übliche Konferenzstil für wenige weitgereiste Experten gab das Golden Jubilee den Missionsfrauen an ihren Wohnorten bei minimalen Kosten ma­ ximale Partizipationsmöglichkeiten – ein Modell, das vom Weltgebetstag der Frauen, an dessen Beginn Montgomerys Name ebenfalls steht, weiterentwi­ ckelt worden ist, bis heute praktiziert wird und als die älteste und größte öku­ menische Bewegung gilt.14 Montgomery hat nie als Missionarin in einem außerwestlichen Gebiet ge­ arbeitet.15 Ihr Einsatz für die Mission konzentrierte sich auf das Leitungsteam der Baptistischen Weltmission und deren Abteilung für Frauenmission, auf ökumenische Zusammenschlüsse von Frauenmissionswerken und Kommis­ sionsarbeiten in der weltweiten ökumenischen Bewegung. Auf einer Euro­ pa-Asien-Nordafrika-Reise im Jahr 1913 machte sie sich ein Bild von der missionarischen Praxis, den Lebensverhältnissen von Frauen und der sozio­ politischen Lage in den Missionsländern.16 Ihre Beobachtungen schlugen sich in ihrem missionstheologischen Ansatz ebenso nieder wie in ihren Bibellek­ türen. In einer Extrapolation des municipal housekeeping auf die weltweiten Missionsfelder wies sie Missionarinnen auf neue Herausforderungen in den von der Außenwelt abgeschnittenen Häusern (Indien: Zenanas), Missionssta­ 14 1912 gaben Montgomery und die mit ihr eng befreundete Indienmissionarin Lucy W. Peabody (1861–1949) den Anstoß zur Zusammenführung der Gebetstage von Heimatmission und Weltmission zum Weltgebetstag als einer globalen Einrichtung; vgl. dazu Christine Lienemann-Perrin, „The World Day of Women’s Prayer: From Experience to an Intercultural Hermeneutics“, in One Gospel – Many Cultures: Case Studies and Reflections on Cross-Cultural Theology (hg. v. Mercy Amba Oduyoye und Hendrik M. Vroom; CurEnc 21; Amsterdam: Rodopi, 2003), 173–198. 15 „Helen never believed that she received a missionary call – at least not a call to be­ come a career missionary“ (Mobley, Montgomery, 34). 16 Die sechsmonatige Reise führte sie nach Ägypten, Indien, Ceylon, Burma, Singapur, Malaysia, Hongkong, China, Mandschurei, Korea und Japan. Ziel war die Förderung der mittleren und höheren Ausbildung für junge Frauen auf ökumenischer Basis.

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tionen und Missionsgemeinden hin. Für Montgomery gab es praktisch keinen Bereich des individuellen und gesellschaftlichen Lebens ohne Relevanz für das Werk der Mission: [W]e come to realize that in this cause of foreign missions are included state­ craft, and civilization, and geography, and history, and biography, and philoso­ phy, and poetry, and art, and the living history of the living kingdom of God.17

Alles gehe die Frauen in der Mission an, in allen Fragen sollten sie mitreden können, selbst wenn – gemäß der Devise von cooperative diversity – nicht alle Ämter und Funktionen zu ihrem Verantwortungsbereich gehören sollten.18 Immer wenn Montgomery die Christenheit in Amerika aus einer nichtwestlichen Perspektive betrachtete, benützte sie den damals wie heute negativ besetzten Ausdruck Christendom (statt Christianity),19 um anzudeuten, dass die Christentumsvariante im Westen das Evangelium teils verraten, teils per­ vertiert, teils verlassen habe: [I]n Christendom we have the white-slave trade, the red-light district, and other hateful and debasing traffics of womanhood.20

Die vom Evangelium abgekoppelte westliche Zivilisation sei unrühmlich und wirke sich in den nicht-christlichen Ländern verheerend aus. Ein positiver Gesellschaftswandel in Ländern der nicht-christlichen Welt könne nur durch die Mission und die von ihr durchdrungenen Zivilisierungsbemühungen der 17 Mobley, Montgomery, 204. 18 Im Unterschied zu Frauen seien Männer in der Mission für Kirchengründungen und die Ausbildung von Pfarrern und künftigen Kirchenleitern zuständig. Die nach Ge­ schlechtern getrennte Weltmission, die Montgomery vertrat, erweiterte einerseits den Handlungsspielraum von Frauen erheblich, stellte andererseits aber die separa­ ten Verantwortungsbereiche für Frauen in Kirche, Mission und öffentlichem Raum nicht infrage. Montgomery begründete die so etablierten gendered missions damit, dass Frauen damals ihr Potential nur ohne Steuerung und Kontrolle durch Männer entfalten konnten. Zum Leitbild von gendered missions vgl. Mary Taylor Huber und Nancy C. Lutkehaus, Hg., Gendered Missions. Women and Men in Missionary Discourse and Practice (Ann Arbor: University of Michigan Press, 1999). 19 Das Deutsche kennt keine präzise Entsprechung zur Verwendung des englischen Ausdrucks Christendom in missionstheologischen Zusammenhängen. Montgomery verwendet Christendom als Gegenbegriff zum positiv konnotierten Ausdruck Christianity sowie zur Formulierung younger churches in mission lands. Dazu Christine Lienemann-Perrin, „European Christianity Put to the Test: Observations Concern­ ing the Use of the Term ‚Christendom‘ in the Study of World Christianity“, in: Converting Witness: The Future of Christian Mission in the New Millennium (hg. v. John G. Flett und David W. Congdon; Lanham: Lexington Books, 2019), 59–79. 20 Mobley, Montgomery, 216.

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Kolonialmächte bewirkt werden. Nach der II. Weltmissionskonferenz (Jeru­ salem 1928) lobte Montgomery in ihrem Spätwerk From Jerusalem to Jerusalem21 die einheimischen Glaubensboten, „emphasized the autonomy of indigenous Christians and even their resistance to the negative aspects of Western civilization“.22 Ohne den Ausdruck zu verwenden, sprach sie die Rückkehrmission aus dem globalen Süden nach Nordamerika und Europa an. Auf diesem Weg könne das Christsein im Norden neu verwurzelt werden. Montgomery hielt Weltmission in der Süd-Nord-Richtung für unverzichtbar, zumal die verloren gegangene Christlichkeit im Christendom das größte Hin­ dernis für Mission in der außerwestlichen Welt sei.23

2.

Montgomerys Bibel

Montgomery überbietet sich in ihrem literarischen Werk mehrmals in der Be­ schreibung der Bibel mit Superlativen: „The Bible is the Great Missionary Charter of the Church“, „God’s Mission Study Text-book“, „the Charter of Man’s Freedom“.24 Der Bibel schreibt sie eine aktive Rolle in der Glaubens­ ausbreitung zu,25 liest und deutet sie konsequent und ausschließlich aus einer Missionsperspektive. Der Missionsauftrag ist ihr zufolge das wichtigste Man­ dat, das Jesus seiner Nachfolgegemeinschaft anvertraut hat, und nimmt die Kirche mehr als alles andere in die Pflicht. In Montgomerys Leben und Werk bedingen und verstärken sich Bibellektüre und Missionsverständnis wech­ selseitig. Beispielhaft dafür ist ihr Buch Bible and Missions, das neben ihrer Übersetzung des Neuen Testaments und der Publikation Western Women in Eastern Lands für die folgenden Beobachtungen hauptsächlich konsultiert wird.26 21 Helen B. Montgomery, From Jerusalem to Jerusalem: „Fly Abroad, Thou Mighty Gospel“ (North Cambridge: The Central Committee on the United Study of Foreign Missions, 1929). 22 Mobley, Montgomery, 239. 23 Montgomery, Jerusalem, 190f. 24 Montgomery, Bible, 7f.131. 25 „[T]he Bible itself became the active agent in the dissemination of Christian truth“, ebd., 96. Dem dritten Kapitel (Every Man in His Own Tongue) des Buches Bible and Missions stellt sie als Motto ein Zitat von John R. Mott voran: „The most important single agency in the work of evangelization is the Bible“, ebd., 96. Der Amerika­ ner Mott war für den Christlichen Verein Junger Männer tätig und berief 1910 die 1. Weltmissionskonferenz nach Edinburgh ein. 26 Montgomery, Bible; Dies., New Testament; Dies., Western Women. Das Buch Bible and Missions behandelt in Teil 1 die Mission im Alten und Neuen Testament; Teil 2 widmet sich den Bibelübersetzungen und ihren Wirkungen in der Mission.

194

2.1

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Die Bibel als Buch des ganzen Menschengeschlechts

Die 1920 erschienene Publikation Bible and Missions widmet dem Alten Tes­ tament (44 Seiten) mehr Raum als dem Neuen Testament (38 Seiten). Es bietet keine Detailexegese entlang einzelner Bücher, Kapitel oder Verse, wenngleich Montgomery mit exegetischer Literatur ihrer Zeit vertraut ist und davon Ge­ brauch macht.27 Vielmehr stellt es eine (Missions-)Theologie der Bibel dar, die im Vergleich mit anderen Studien dieser Art bis heute außergewöhnlich ist; denn in der Regel setzen Publikationen zu den biblischen Voraussetzun­ gen für Theorie und Praxis der Mission nach einem flüchtigen Blick auf das AT direkt beim NT ein und gehen vom Kontrast zwischen dem überwiegend nicht-missionarischen AT (und „Israel“28) und dem auf Weltmission ausge­ richteten NT (und der Kirche) aus. Montgomery liest das AT hauptsächlich als Zeugnis von Gottes Geschichte mit den Menschen aller Völker und erst in zweiter Linie als Zeugnis über das besondere Verhältnis Gottes zum Volk Israel. Im NT interessiert sie sich vor allem dafür, wie das Evangelium au­ ßerhalb des Jünger-Kreises, des Judentums und der ersten Gemeinden die Menschen anderer Völker, Kulturen und Sprachen erreicht hat. Der Inter­ pretationsschwerpunkt liegt auf der missionarischen Außenorientierung der Christenheit in den ersten Jahrhunderten, zu der diese zurückkehren müsse. In beiden Teilen der Bibel sieht Montgomery Spuren von Gottes Walten in der Menschheitsgeschichte gemäß einem von Anfang an festgelegten Plan. In allen Zeitaltern lenkt Gott diesem Plan folgend die Geschicke von Menschen und Völkern. Im AT ließen sich erste Anzeichen von Gottes Plan erkennen, dessen Erfüllung aber erst im NT sichtbar werde. Von der ersten bis zur letz­ ten Zeile ist die Bibel für Montgomery ein christozentrisches Buch, in dem sich Gott den Menschen zuwendet. Im AT zeigt sich die missionarische Qua­ lität der Tora z. B. darin, dass das Gesetz erweiterte Segnungskreise (circles of blessing) schafft, wodurch Israel über den israelitischen Religionsverband hinaus auch für andere Menschen und Völker zum Segen wird.29 Israels Er­ wählung begründet keine Privilegien, sondern die Aufforderung, zum „Se­ genskanal“ für die Völker zu werden (Gen 49,10). Freilich hat Israel seinen Missionsauftrag den Völkern gegenüber vernachlässigt – nicht anders als spä­ ter auch die Kirche, die ihr Mandat zur Weltmission zu geringachtet.30 Anzeichen für die Universalität der biblischen Botschaft gibt es nach Montgomery bereits im AT: Als Mutter allen Lebens scheint in Eva eine 27 Das wird in ihrer Übersetzung des Neuen Testaments deutlich, bei der sie auf Dwight L. Moody, Adolf Deissmann und A. T. Robertson eingeht. 28 Anstelle des Begriffs „Judentum“ verwendet Montgomery in ihren Schriften den Ausdruck „Israel“. 29 Zum Beispiel in Gestalt der Verheißung an Abraham, Segen aller Völker zu sein (Gen 12,3), Montgomery, Bible, 19. 30 Ebd., 14–22.

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universale Dimension auf,31 die sich außerdem im wahren Gottesglauben bei Menschen, die außerhalb der israelitischen Religionsgemeinschaft leben, zeige: König Hiram I. von Tyrus, Naaman, Rut, Ijob, die Bewohner*Innen der Stadt Ninive. Die prophetischen Bücher bezeugen „God’s righteousness and God’s providential government not alone of his chosen people, but of the world“,32 so wie der Prophet Jesaja „Jehovas“ Autorität über alle Völker verkündet (Jes 19,24f.). Daraus zieht Montgomery für die Kirche den Schluss: „We, too, must in the name of God claim the world for our parish.“33 Den Missionsauftrag der Kirche in der Welt findet sie demnach bereits im AT. In Ez 34 werden die treulosen Hirten gescholten, die, statt die ihnen anvertrau­ ten Schafe zu hüten, „sich selbst hüten“ und damit die Herde der Zerstreuung und dem Fraß wilder Tiere ausliefern. Montgomery legt diese Stelle im Sinne einer verweigerten Außenorientierung des Gottesvolkes aus, das, statt um das Heil der Völker besorgt zu sein, sich nur um sein eigenes Heil kümmere und damit Heilsegoismus praktiziere. Sie liest diese Stelle als Kritik an der Ver­ nachlässigung der Mission unter den Andersgläubigen: Can it be that America, called to be a shepherd nation, will close her eyes to Christ’s flock, scattered shepherdless upon all the face of the earth, with none to search or seek after them?34

Im NT, vor allem in der Apg, kommt nach Montgomery Gottes großer Plan zum entscheidenden Wendepunkt in der Weltgeschichte: Das in Tod und Auf­ erstehung Jesu geschenkte Leben wird von nun an als frohe Botschaft allen Völkern überbracht. Johannes der Täufer kündigt den Messias an, der durch Wunder und Gleichnisreden den Anbruch des Königreiches Gottes prokla­ miert. Mit dieser Botschaft erweist sich Jesus selbst als „Missionar“, der die Seinen mit eindringlicher Ernsthaftigkeit aussendet, um die gute Nachricht mit größter Eile bis an die Enden der Erde zu bringen.35 Erneut leitet Mont­ gom­ery an dieser Stelle von der Bibel direkt über in ihre eigene Gegenwart mit den Worten: „The world can be evangelized in this generation.“36 31 Damit distanziert sich Montgomerys Auslegung von der verbreiteten Degradierung Evas zum Einfallstor der Sünde in das Menschengeschlecht. 32 Montgomery, Bible, 36. 33 Ebd., 37. Die bemerkenswerteste Anleitung zur Mission findet sie in Mal 1,14: „Mein Name ist unter den Nationen gefürchtet“ (ebd., 44). 34 Montgomery, Bible, 40. 35 „With terrible earnestness he sent forth his disciples to hasten to the ends of the earth with Good News that brooked no delay. […] What a glory that gives to missionary work“ (ebd., 70). 36 Ebd., 71. So hat es auch John R. Mott auf der ersten Weltmissionskonferenz in Edin­ burgh 1910 ausgedrückt und damit den weltmissionarischen Optimismus verkörpert, von dem die Konferenz durchdrungen war.

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Wie konsequent Montgomery das NT vom Missionsgedanken her liest, zeigt sich an ihrer Wortwahl: Auf seiner zweiten „Missionsreise“ (Lk 8,1–3) nahm Jesus seine zwölf Jünger bzw. Missionare,37 sein „Missionsseminar“ mit; desgleichen begleiteten ihn die Mitglieder der ersten „Frauenmissionsge­ sellschaft“, darunter Maria Magdalena, Johanna und Susanna. Weitere „Mis­ sionsreisen“ Jesu folgten, auf denen er zunächst den Zwölferkreis und später die Siebzig als Missionare auf die Aussendung vorbereitete. Mit Jesu Geist ausgestattet sollten sie das Werk, das er in seinem eigenen Volk begonnen hat, bis an die Enden der Erde vollenden.38 Als Schlüsseltext für das Missionsverständnis im NT bezeichnet Mont­ gom­ery die Erzählung von Jesus und der Samaritanerin am Brunnen (Joh 4,1– 42).39 Die Worte der durch sie missionierten Samaritaner „denn wir selbst haben ihn nun gehört und wissen, dass dieser wirklich der Retter der Welt ist“ (Joh 4,42) sind laut Montgomery eine Missions-Charta für sich.40 Desgleichen verdient Mt 28,16–20, „the Missionary’s Great Charter“ genannt zu werden, weil hier der Missionsauftrag weder einseitig auf die Wortverkündigung noch auf das soziale Engagement verkürzt wird.41 Der direkte, explizite Missions­ auftrag in den Synoptikern, im Johannesevangelium und in der Apg überragt alle anderen Weisungen des irdischen Jesus, weil das Evangelium verkündet werden muss. Das Herzstück des Missionsauftrags bringt Montgomery mit Joh 20,21 in Verbindung: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Die Jünger sind nicht bloß beauftragt, allen Völkern die gute Nachricht zu bringen; sie haben von Jesus dasselbe Mandat erhalten, das er von Gott er­ halten hat.42 Außerhalb der vier Evangelien ist für die missionarische Botschaft des NTs vor allem die Apostelgeschichte einschlägig. Montgomery unterscheidet in der Apg vier Missionszonen, die sich in der Missionslandschaft ihrer Zeit abbilden: Jerusalem, Judäa, Samaria und die Gebiete bis zu den äußersten 37 Nur durch Zufall, schreibt Montgomery, würden mathétés bzw. apostolos (Jünger bzw. Apostel) in den englischsprachigen Ausgaben nicht mit „Missionar“ übersetzt (ebd., 73). 38 Ebd., 72–75. 39 Hauptbezugspunkte der missionarischen Botschaft der Evangelien sind nach Mont­ gomery (ebd., 82): Lk 24,33–47; Joh 20,21; Mt 28,16–20, Mk 16,15–20 und Apg 1,1–9. 40 Ebd., 71. „Wir selber haben ihn gehört“ ist im ausgehenden 20. Jh. zum Motto von Theolog*Innen geworden, um zu zeigen, dass sie der Vermittlung der biblischen Bot­ schaft durch Missionsleute aus dem Westen nicht mehr bedürfen, sondern ihre eige­ nen Formen des Glaubensausdrucks gefunden haben; vgl. Mercy Amba Oduyoye, Wir selber haben ihn gehört: Theologische Reflexionen zum Christentum in Afrika (Fribourg: Exodus, 1988). 41 „We have here the universality of the missionary message; its purpose of discipling the nations; its churchly organization, and its educational and disciplinary content“ (Montgomery, Bible, 80). 42 Ebd., 81.

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Enden der Welt. Den vier Zonen entsprechen Gemeindemission bzw. Missi­ on in und durch die Lokalgemeinde (parish missions), Gesellschaftswandel (state missions), innere Mission (home missions) und Weltmission ( foreign missions).43 Für Montgomery liegt der Fokus bei der von Antiochia aus initi­ ierten Weltmission, an deren Beispiel sie dem in ihrer Zeit verbreiteten Ein­ wand widerspricht, zuhause gäbe es genug zu tun. Die Paulusbriefe geben nach Meinung Montgomerys reichlich Anhaltspunkte für die Missionspraxis der ersten Gemeinden. Neben dem Lastenausgleich zwischen armen und rei­ chen Gemeinden sind vor allem Hinweise auf die Organisationsstrukturen und insbesondere auf den Zugang von Frauen zu gemeindeleitenden Diensten maßgebend. Die Grußliste in Röm 16, in der auffallend viele Frauen genannt werden, zeige, dass the prominence of women workers in these early lists is little less than amazing, when the social customs of the times are considered.44

Für ihre gendersensitive Bibelauslegung sind weitere Publikationen Mont­ gom­erys einschlägig.45 Frauen waren die ersten Zeuginnen und Verkünderin­ nen des Auferstandenen. In ihnen erfüllte sich an Pfingsten Joëls Prophetie (Joël 3,1f.). Die ntl. Schriften bezeugen, dass Frauen an allen Aspekten von Leben und Dienst der Gemeinde beteiligt waren. Die vier Töchter des Philip­ pus waren Prophetinnen, Priscilla hat zusammen mit Aquila Apollos unter­ richtet und war möglicherweise Autorin des Hebräerbriefes. Phöbe stand in leitendem Dienst der Gemeinde in Kenchreä.46 Junia (nicht die vermännlichte Form Junius) wird zu den Aposteln gezählt, und möglicherweise predigten 43 Montgomery, Bible, 77. An anderer Stelle betont Montgomery, die frühe Kirche sei durch und durch missionarisch gewesen. Nach den Zeugnissen des NT sei Mission Ausdruck des Gemeindelebens gewesen. Damit kritisiert sie eine Fehlentwicklung ihrer Zeit, dass Mission „may be officialized, externalized, becoming the cult of a group rather than the expression of the church’s life“ (ebd., 88). In ihrem Spätwerk (Montgomery, Jerusalem) entfaltet sie den Missionsansatz weiter, „in which the mission of the Christian Church is not rooted merely in biblical mandates such as the Great Commission (Matt 28:19–20), but in the very nature of God’s interaction with humanity throughout history. […] The kingdom of God that Jesus announced and in­ augurated was the plan in its ‘developing phases’, and the missionary enterprise was synonymous with the growth of the kingdom of God.“ (Mobley, Montgomery, 234). 44 Montgomery, Bible, 86. 45 Zum Folgenden vgl. Montgomery, Western Women; Dies., Jerusalem, 39–41; für Hinweise auf unveröffentlichte Briefe Montgomerys vgl. Mobley, Montgomery, 248 m. Anm. 3 (299). 46 Montgomery ist aufgefallen, dass in gängigen Bibelübersetzungen der griechische Ausdruck diákonos unterschiedlich übersetzt wird, je nachdem, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt: Für Phöbe wird „servant“ verwendet, für Timotheus „minister of the Church“. Im Unterschied dazu übersetzt sie diákonos in beiden Fäl­ len mit „minister“. Dazu Mobley, Montgomery, 259.

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Tryphena und Tryphosa wie Paulus. Montgomery war überzeugt, dass die frühe Christenheit eine ,Demokratie des Geistes‘47 war, an der Männer und Frauen gleichermaßen Anteil hatten. Erst ab dem 3. Jh. hätten Männer als Kirchenleiter die Kontrolle übernommen und damit das Zeugnis des Evange­ liums verraten. Die von Paulus den Frauen auferlegten Beschränkungen seien eher situationsbedingter als universeller Art und stünden unter dem Leitsatz: „Alles aber geschehe würdig und geordnet“ (1 Kor 14,40). Desgleichen müs­ se die Mahnung an die Frauen in Eph 5,22, sich den Männern unterzuord­ nen, zusammen gelesen werden mit der an alle ergangenen Ermahnung, sich einander unterzuordnen (Eph 5,21). Montgomery dazu: „I would think this would be very good doctrine for some leaders.“48 Als leitendes Prinzip für die Beziehung zwischen Männern und Frauen hielt sich Paulus an Gal 3,26–28.49 Montgomery kann die Bedeutung der Bibel für den gesellschaftlichen Wandel und die Verbesserung der Lebensverhältnisse von Frauen nicht oft genug betonen. Sie revolutioniere die Stellung der Frauen gemäß fünf Prinzi­ pien, die dereinst zu ihrer vollständigen Emanzipation führen werden: (1) the supreme worth of the individual, (2) his direct responsibility to God, (3) the obligation of unselfish service laid on all irrespective of sex, (4) human brotherhood, (5) divine fatherhood.50

Nur das Evangelium, „the most tremendous engine of democracy“,51 könne das vertikale „Kastendenken“ im Geschlechterverhältnis beseitigen. Von Je­ sus, dem großen Emanzipator der Frauen und Kinder, dem perfekten Demo­ kraten, erwartete sie die Transformation der amerikanischen Gesellschaft wie auch – vermittelt durch die Mission – der nicht-christlichen Welt.52

2.2

Neue Übersetzung des Neuen Testaments ins Englische

Als Buch für alle Menschen gleich welcher sozialen Schicht, welcher Bil­ dungsstufe und welchen Geschlechts dürfe die Bibel niemandem vorenthalten werden: weder den Frauen, noch Laien, Unterschichten oder Kindern, denen der Zugang zur Hochsprache gesellschaftlicher Eliten – und damit oftmals zur einzig vorhandenen Bibelsprache – verwehrt sei. Es war deshalb nur fol­ gerichtig, dass Montgomery 1924 nach neunjähriger Arbeit eine eigene Über­ 47 Montgomery, Jerusalem, 40f. 48 Mobley, Montgomery, 253 (zit. aus Briefen Montgomerys). 49 Zur zentralen Bedeutung von Gal 3,26–28 vgl. Montgomery, Western Women, 73.207. 50 Montgomery, Western Women, 206. 51 Ebd. 52 Mobley, Montgomery, 218.

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setzung des NT in der Alltagssprache bildungsferner Menschen, vor allem der Gassenjugend, vorlegte.53 Außerdem sollte den frauenfeindlichen Untertönen mit einer geschlechtergerechten Übersetzung begegnet werden. Auf Überset­ zungsvarianten und griechische Ausdrücke (apostolos übersetzt als missionary statt wie üblich apostle) ging sie in Fußnoten ein. Als Lesehilfe versah sie die Kapitelabschnitte mit Zwischenüberschriften, die teilweise ihre interpre­ tierende Neigung erkennen lassen.54 In den Paulusbriefen fügte sie Anfüh­ rungsstriche ein, wenn ihrer Ansicht nach Paulus seine Gegner wörtlich oder sinngemäß zitiert. Ein Beispiel dafür ist 1 Kor 14,34–36: ‘In your congregation’ [you write], ‘as in all the churches of the saints, let the women keep silence in the churches, for they are not permitted to speak. […] it is shameful for a woman to speak in church.’ What, was it from you that the word of God went forth, or to you only did it come?55

Die Klammerbemerkung „you write“ hat Montgomery in den Text eingefügt, um deutlich zu machen, dass Paulus seine judaisierenden Gegner zitiert, denen er selbst widerspricht. Der Nachsatz „What, was it from you that the word of God went forth, or to you only did it come?“ erhält dann die Bedeutung, dass die frauendiskriminierende Meinung von Paulus’ Gegnern nicht die Gottes selbst sei, sondern ihrer eigenen Einbildung entspringe.56 Wenn Montgomery 1 Tim 2,15, wo es von der Frau heißt, sie werde durch Mutterschaft gerettet werden, übersetzt: „Notwithstanding she will be saved by the Child-bearing (so will they all), if they continue in faith and love“, will sie ausdrücken, dass die Frauen aufgrund der Geburt Jesu erlöst werden, nicht durch die Geburten ihrer eigenen Kinder.57

53 Montgomery, New Testament. Sie erschien zum 100-jährigen Jubiläum der ame­ rikanischen Baptistischen Bibelgesellschaft, daher „Jahrhundertübersetzung“. Zu dieser Übersetzung vgl. Analyse und Kommentar von Sharyn Dowd, „Helen Barrett Montgomery’s Centenary Translation of the New Testament: Characteristics and In­ fluences“, am 23. November 1991 als Referat vorgetragen auf dem Jahrestreffen der National Association of Baptist Professors in Kansas City, online: http://godsword­ towomen.org/Dowd.htm [zuletzt abgerufen am 30.3.2020]. 54 So ist Jak 5,19f. mit der Überschrift versehen „Blessedness of Soul-Winning“. 55 Dowd, Montgomery. 56 Ähnlich ist diese Stelle von Katharine C. Bushnell übersetzt worden, die als profi­ lierte Bibelwissenschaftlerin mit Hebräisch- und Griechisch-Kenntnissen galt; vgl. Katharine C. Bushnell, God’s Word to Women. Hundred Bible Studies on Women’s Place in the Church and the Home (Minneapolis: Christians for Biblical Equality, 2003; 1923). 57 Dowd, Montgomery. In 1 Tim 3,11 übersetzt Montgomery gynaikas mit deaconesses und bezieht so im Abschnitt über die Ermahnung der Diakone die ebenfalls erwähn­ ten Frauen auf den Dienst der Diakoninnen, nicht auf Frauen allgemein.

200

2.3

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Mehrsprachige Existenz der Bibel

In Bible and Missions weist Montgomery nach, dass das Grunddokument der Christenheit von Anfang an nie anders als mehrsprachig existiert hat. Die Bibel wird nicht nur übersetzt, sie ist selbst Übersetzung, was Montgomery mit dem Hinweis auf die Septuaginta, die Übersetzung der Hebräischen Bibel ins Griechische, begründet und sich auch daran zeigt, dass die Verkündigung Jesu nicht in dessen Muttersprache, Aramäisch, tradiert ist, sondern in grie­ chischer Übersetzung.58 Für Montgomery ist das Übersetzen der Bibel in im­ mer neue Sprachen nicht nur Mittel zur Trans-Mission der Botschaft, sondern Teil der Botschaft selbst. Montgomery äußert sich zur großen Nachfrage nach Übersetzungen der Bibel ins Syrische, Armenische, Koptische, Äthiopische und Lateinische während der ersten drei Jahrhunderte. In der Alten Kirche sei die Bibel noch kein Fetisch unter kirchenleitender Kontrolle gewesen, son­ dern habe als „the voice of God speaking in reproof, in instruction, and in up­ building in righteouseness“ den Laien gehört.59 Montgomery stellt die (nicht belegte) Behauptung auf, im ganzen ersten Jt. habe die tägliche Bibellektü­ re zum Familienleben gehört. Während Hieronymus’ Übersetzung ins La­ teinische (Vulgata) nach mehreren kruden Lateinvarianten die verbindliche Übersetzung der Römischen Kirche geworden sei, habe Wulfila im 4. Jh. die Bibel ins Gotische übertragen und dabei die orale Sprache gleichzeitigt ver­ schriftlicht, um das Evangelium den barbarischen Stämmen zu bringen. Nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches seien Hierarchie und Liturgie kontinuierlich ausgebaut worden mit der Folge, dass es schließlich nur noch dem Klerus und den Ordensleuten erlaubt gewesen sei, die Bibel zu lesen. „The Church, fearful of heresy, opposed the idea of lay-reading of the Bible“.60 Der geschichtliche Rückblick mündet in eine Bestandsaufnahme der Über­ setzungen im 19. und frühen 20. Jh., die einer Reise durch alle Kontinente gleicht: Chinesische, japanische und koreanische Bibelübersetzungen werden neben solchen in die Sprachen von Tahiti, Hawaii, den Hebriden, Neu Gui­ nea, Uganda, der muslimischen Welt und den Indianern in Nordamerika er­ wähnt. Obgleich kein anderes Buch so oft übersetzt worden sei wie die Bibel, müssten zur Erfüllung ihrer Bestimmung noch viele weitere Übersetzungen folgen. Detailliert benennt Montgomery die Schwierigkeiten, Äquivalente für biblische Ausdrücke in anderen Sprachen zu finden – z. B. für Abstrak­ ta wie Heiligung, Rechtfertigung, Erlösung, Vergeltung, Glauben, Hoffnung 58 Damit antizipierte Montgomery die Akzentuierung der translatability in den heu­ tigen missionstheologischen Studien zur Weltchristenheit; vgl. Lamin O. Sanneh, Whose Religion is Christianity? The Gospel Beyond the West (Grand Rapids: Eerd­ mans, 2003); Ders., Translating the Message: The Missionary Impact on Culture (Maryknoll: Orbis Books, 1989). 59 Montgomery, Bible, 97. 60 Ebd., 103.

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und Gesetz. Der Illustration dienen konkrete Beispiele für die Übertragung biblischer Sprachbilder in Sprach-, Vorstellungs- und Lebenswelten, die den jeweiligen Kulturen und geographischen Verhältnissen entsprechen.61

2.4

Wirkungen der Bibel in der Weltgesellschaft

In Montgomerys Sicht entfaltet die Bibel ein Eigenleben in relativer Unab­ hängigkeit von den Intentionen der sie auslegenden Missionare: „The most important single agency in the work of evangelization is the Bible“.62 Das Weiterwirken der Bibel jenseits missionarischer Vermittlung illustriert Mont­ gomery an einem Beispiel aus Madagaskar, wo während 25 Jahren Missions­ leute keinen Zugang hatten, einheimische Christ*Innen verfolgt wurden und der Besitz von Bibeln verboten war. Trotzdem wurde die Bibel im Verbor­ genen weiter gelesen; die Zahl der Gläubigen wuchs in dieser Zeit von 1500 auf 7000, obwohl mehrere Tausend zum Tode verurteilt oder in die Sklaverei verkauft worden waren. „The Book whose mere introduction could arouse such devotion may well be called the Charter of Man’s Freedom“.63 Alles Glorreiche in der modernen Zivilisation führt Montgomery kühner­ weise auf die Wirkung von Bibellektüren zurück. Als Beispiele nennt sie das römische Recht, den Sachsenspiegel, die englische Rechtstradition, die von den Pilgervätern initiierte Verfassung der USA, die von Jefferson entwor­ fene Unabhängigkeitserklärung64 und Lincolns Abschaffung der Sklaverei. Die Bibel habe ferner zivilisierend auf Kunst, Musik und Feste gewirkt sowie vielen Gesellschaften der außerwestlichen Welt die Schriftkultur gebracht. Außerhalb des Einflusses der Bibel habe bisher keine Nation der Erde den Grundgedanken der Demokratie erfasst.65 Den immensen Einfluss der Bibel auf nicht-christliche Nationen macht Montgomery an Indien fest, das für die Missionierung eines der schwierigsten, wenn nicht das schwierigste Land der Welt sei. Einen Raja zitiert sie mit den Worten: „If I were a missionary I would not argue, I would distribute the New Testament.“ Dessen ungeachtet entgeht jedoch Montgomery nicht, dass die Bibel in Indien die bei weitem größte Wirkung unter den Kastenlosen ausgeübt hat. Die indische Christen­ heit bestand schon zu ihrer Zeit zu 80 Prozent aus Kastenlosen. Der Konver­ 61 In die Vorstellungswelt Alaskas, wo es weder Schafe noch Hirten gebe, wird „Der Herr ist mein Hirte“ (Ps 23) in der Übertragung der Missionare zu: „The Lord is a first class mountain hunter“. In Grönland wird „Siehe, das Lamm Gottes“ zu „Look, God’s little Seal“ (ebd., 107). 62 Montgomery, Bible, 96, vgl. den Leitsatz John Motts, der Teil II von Bible and Missions vorangestellt ist. 63 Montgomery, Bible, 131. 64 Ebd., 173. 65 Ebd., 195.

202

Christine Lienemann-Perrin

sion zum Christentum verdankten sie eine soziale Aufwärtsmobilität. Frauen sind, so Montgomery, aufgrund von Wirkungen der Bibel von vielen Übeln befreit. Jahrhundertealte, für unumstößlich gehaltene Bräuche sind unter dem Einfluss von Bibel und Mission schrittweise überwunden worden. Kurzum, „[t]here is not a department in their life unaffected by contact with Christian women of the West, and by diffusion of the Christian Scriptures“.66 Als Fazit konstatiert Montgomery, dass durch den Siegeszug der Bibel rund um den Globus ein neues Bewusstsein der Weltgesellschaft im Entstehen begriffen sei: „A great sense of commonalty is in the air.“67 Während der Westen einst die Bibel, Christus und das Alphabet vom Orient empfangen hat, kommt der Orient nun zum Westen zurück, um von Ersterem sein Eigenes neu zu emp­ fangen.

3.

Montgomery und Pandita Ramabai im Vergleich

Obwohl Helen Montgomery und Pandita Ramabai derselben missionarischen Interpretationsgemeinschaft angehörten, verkörpern sie im Zeichen der Kolo­ nialmission und unter den geopolitischen Voraussetzungen des Imperialismus zwei entgegengesetzte Seiten. Beide Frauen haben im Interesse an den für sie jeweils fremden gesellschaftlichen und kirchlichen Verhältnissen Reisen un­ ternommen und dabei die Netzwerke der amerikanischen Frauenmissionsbe­ wegung genutzt. Montgomery kannte Ramabais Buch The High Caste Hindu Woman, das ihr Indienbild maßgeblich geprägt hat.68 Davon zeugt ihre Be­ schreibung des sozialen Status von hochkastigen Witwen in Western Women in Eastern Lands.69 Umgekehrt verdanken sich Ramabais diakonische Projek­ te zugunsten hochkastiger Witwen und kastenloser Frauen in Puna und Ked­ gaon, Indien, nicht zuletzt ihren engen Kontakten zur ökumenisch-missiona­ rischen Frauenbewegung in den USA und deren finanzieller Unterstützung. Ramabais bemerkenswerte Analyse der US-amerikanischen Gesellschaft, die zurecht mit derjenigen von Alexis de Tocqueville (1805–1859) verglichen worden ist, hat sich in ihrer Zukunftshoffnung für den gesellschaftlichen Wandel in Indien niedergeschlagen.70 66 Ebd., 179. 67 Ebd., 195. 68 Pandita Ramabai, The High Caste Hindu Woman (Philadelphia: Rodgers, 1887). 69 Sie erwähnt Ramabai explizit und setzt ihre Bekanntheit in der nordamerikanischen Frauenmissionsbewegung voraus; vgl. Montgomery, Western Women, 59.61f.224– 226, ferner enthält das Buch ein Bild von Ramabai und ihrer Tochter, 236. 70 Vgl. Alexis de Tocqueville, De la démocratie en Amérique (2 Bde; Paris: C. Gos­ selin, 1835–1840). Von Pandita Ramabai ist 1889 in Bombay auf Marathi erschie­ nen: Conditions of Life in the United States and Travels There; in englischer Über­

Bibel-Lektüren von Frauen im Missionskontext

3.1

203

Biographien von Montgomery und Ramabai im Vergleich

Im Werdegang beider fast gleichaltriger Zeitgenossinnen, der Inderin Pandi­ ta Ramabai (1858–1922) und Montgomery, fallen mehrere Gemeinsamkeiten auf, die entscheidend zu ihren bibelwissenschaftlichen Profilen beigetragen haben. Den damals außergewöhnlichen Aufstieg beider Frauen in die ame­ rikanische bzw. indische Bildungselite verdankten sie wesentlich ihren Vä­ tern. Ramabai wurde von ihrem Vater, einem religiösen Gelehrten, in die Schriften des Hinduismus eingeführt, obgleich es unter Brahmanen verpönt war, Frauen den Zugang zu diesem Schriftgut zu gewähren. Entscheidend war für beide ferner die Unterstützung des beruflichen Werdegangs durch ihre Ehemänner. Bei Ramabai, die nach einem Jahr Ehe Witwe geworden und zeitlebens geblieben ist, kam hinzu, dass sie es verstanden hat, sich entge­ gen dem vorgezeichneten grausamen Los hochkastiger Witwen dem Einfluss ihrer Verwandten zu entziehen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Im Unterschied zu Montgomery, die in der Mittelklasse, der sie angehörte, gesellschaftliche Anerkennung erfuhr, lebte Ramabai als Kind in extremer Armut und Heimatlosigkeit. Während ihr zunächst aufgrund phänomenaler Kenntnisse der Heiligen Schriften Indiens in Sanskrit höchstes Lob entge­ gengebracht und ihr der Ehrentitel Pandita Ramabai (Saraswati) verliehen wurde, setzte sie sich auf ihrem Weg über den Reformhinduismus hin zum Christentum gesellschaftlicher Ächtung durch ihre Familie und Kaste aus. Umso mehr erfuhr sie aber während ihres USA-Aufenthaltes in Missionskrei­ sen Bewunderung und Unterstützung. Als eloquente, argumentationsstarke Persönlichkeiten waren Montgomery und Ramabai Frauen mit einer großen öffentlichen Ausstrahlung. In der schriftlichen Ausdrucksweise formulierten beide souverän; darüber hinaus kamen bei Ramabai noch das Sprachgenie und der gesellschaftsanalytische Scharfsinn hinzu, den sie in ihrer Kritik an Kolonialmission und Kolonialismus zur Geltung brachte. Montgomerys Ökumene-Verständnis bewegte sich im innerprotestanti­ schen Rahmen, wobei sie selbst ihren baptistischen Wurzeln treu blieb. Von allen nicht-christlichen Religionen und den Zivilisationen der außerwestli­ chen Welt hatte sie ein ausnahmslos negatives Bild. Ramabai vertrat dage­ gen als Konvertitin, die unter der Kolonialmission und dem anglikanischen Konfessionalismus gelitten hatte, ein konfessionsfreies Christentum und an­ tizipierte damit eine im globalen Süden des 21. Jh. sich rasch ausbreitende Form des Christentums. Im indischen Dorf Kedgaon verwirklichte sie eine setzung seit kurzem zugänglich in Pandita Ramabai, Pandita Ramabai’s America: Conditions of Life in the United States (hg. v. Robert Eric Frykenberg; Grand Rapids: Eerdmans, 2003); dazu die Erläuterungen von Robert Eric Frykenberg, „Pandita Ramabai Saraswati: A Biographical Introduction“, in ebd., 1–54.

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Wohngemeinschaft gemäß ihrer Vision vom Christentum als einer Religion, die Spaltungen abbaut, Grenzzäune niederreißt, Gemeinschaft unter Ver­ schiedenen lebt und das Gewissen von Individuen respektiert. Den (aus an­ glikanischer Sicht) christlichen Häresien und den nicht-christlichen Religio­ nen stand sie insgesamt viel offener gegenüber als Montgomery. Gegen den Widerspruch der Schwesterngemeinschaft im englischen Wantage pflegte sie Kontakte zu Katholik*Innen, Täufer*Innen, Unitarier*Innen, Reformierten und Methodist*Innen. Ernsthafte Vorbehalte gegenüber der anglikanischen Trinitätslehre begründete sie damit, dass durch diese ein wesentlicher Teil der Christenheit, vor allem aber Andersgläubige wie Juden und Muslime, vom Heil grundsätzlich ausgeschlossen würden. Ihnen spreche man mit diesem Dogma sowohl jegliche Wahrheitseinsicht ab als auch Gottes Zuwendung. Obgleich Ramabai sich kritisch über den Hinduismus äußerte, würdigte sie ihn zugleich als Identitätsmerkmal Indiens und verteidigte ihn gegen west­ liche Kritik, in der Rassismus und britischer Ethnozentrismus mitschwan­ gen.71 In ihrer Korrespondenz mit Dorothea Beale über Lehrfragen führte sie gleichzeitig ein fiktives Religionsgespräch mit gelehrten Hindus. Sie wollte die Glaubensinhalte des Christentums so verstehen und wiedergeben, dass ihre Argumentationen auch Hindus, vor allem Brahmanen, und Vertretern des Reformhinduismus hätten einleuchten können.72

3.2

Perspektiven auf die Kolonialmission im Vergleich

Charakteristisch für Montgomery wie auch für Ramabai war die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel, der ihnen eine Außensicht auf die eigene Gesell­ schaft ermöglichte und damit auch ihre Bibellektüren beeinflusste. Jedoch sind die Unterschiede in ihren Analysen von Mission im Kontext von und in Verbindung mit Kolonialismus unverkennbar. Montgomery befürwortete z. B. die Besetzung der Philippinen durch die USA kritiklos als Gelegenheit für die Mission, die Bibelübersetzung in Lokalsprachen, Bildung, Ärztemis­ sion und Evangelisierung.73 Weil die Ausbreitung der Bibelkenntnisse in der außerwestlichen Welt für sie erste Priorität hatte, brachte sie den Missiona­ ren E. C. Bridgman, K. F. A. Gützlaff, P. Parker und R. Morrison als Bibel­ übersetzern ins Chinesische uneingeschränkte Wertschätzung entgegen, ohne deren Rolle zu kritisieren, die sie als Übersetzer beim Abschluss der unglei­ 71 Dazu Christine Lienemann-Perrin, „‚Success‘ and ‚Failure‘ in Conversion Narra­ tives“, IRM 96 (2007), 322–342. 72 Amritlal B. Shah, Hg., Letters and Correspondence of Pandita Ramabai (Bombay: Maharashtra State Board for Literature and Culture, 1977). 73 Helen B. Montgomery, Following the Sunrise: A Century of Baptist Mission, 1813– 1913 (Philadelphia: American Baptist Publication Society, 1913), 254; vgl. Mobley, Montgomery, 243.

Bibel-Lektüren von Frauen im Missionskontext

205

chen Handelsverträge der USA und Großbritanniens mit China spielten.74 Als US-Bürgerin stellte Montgomery den US-Imperialismus nicht grundsätzlich in Frage, sondern kritisierte nur die pervertierten, vom christlichen Einfluss losgelösten Formen. Auch die Mission im Zeichen von Kolonialismus und Kulturimperialismus akzeptierte sie uneingeschränkt. Bei Ramabai hingegen war dies jedoch ausgeprägt: Aufgrund intensiver Bibelstudien während ihres mehrjährigen Englandaufenthaltes entwickelte sie ein feines Gespür für den Unterschied zwischen der Weitergabe von biblischer Botschaft und Kultur­ vermittlung als Zivilisierungs- und Disziplinierungsmaßnahme.75

3.3

Bibellektüren im Vergleich

Die Bibel war im Leben beider Frauen eminent wichtig. Jesus und die Sama­ riterin am Brunnen (Joh 4,1–42) haben für beide eine Schlüsselrolle gespielt: für Montgomery als Magna Charta der (Frauen-)Mission, für Ramabai im Zusammenhang ihrer „zweiten Bekehrung“, in der sie sich zur Glaubensbotin unter ihren Landsleuten berufen fühlte.76 Beide Frauen lasen die Bibel als das Buch, das den Frauen Befreiung bringt. Jesus war für sie wie auch für Kather­ ine Bushnell, die Chinamissionarin und Bibelübersetzerin, der Frauenbefreier schlechthin. Im Licht von Gal 3,26–28 betrachteten sie die Frauenemanzi­ pation jedoch nicht als isoliertes Anliegen, sondern im Zusammenhang mit der Überwindung von Klassen- und Rassenasymmetrien. In der biblischen Überlieferung sahen sie eine gesellschaftsverändernde Kraft, die wie keine andere Macht in der Lage ist, gesellschaftlichen Wandel in Richtung eines neuen Menschengeschlechts zu bewirken.77 Beide Frauen haben mehrere Jahre mit der Neuübersetzung der Bibel bzw. des NT in ihre Muttersprachen zugebracht. Ramabai gilt als die erste 74 Siehe dazu Montgomery, Bible, 188f. Zu Gützlaff vgl. Ulrich Dehn, „Der Missionar und Gelehrte Karl Gützlaff im Kontext der Geschichte Ostasiens“, IKTh 41/1 (2015): 78–95. 75 Diesbezüglich aufschlussreich sind Ramabais intensive Bibelstudien, die sich in ihrer Korrespondenz (vgl. Shah, Correspondence) mit Dorothea Beale, Schwester Geral­ dine und Vertretern des anglikanischen Klerus niedergeschlagen haben. Frykenberg bezeichnet Ramabais Korrespondenz als „battle over whether Church or Bible would have prior claim on her allegiance“: Robert Eric Frykenberg, „Pandita Ramabai and World Christianity“, in Indian & Christian: The Life and Legacy of Pandita Ramabai (hg. v. Roger E. Hedlund et al.; Delhi: ISPCK, 2011), 155–192; 167; dazu auch Vic­ tor, „Ramabai“ in diesem Band. 76 Pandita Ramabai, A Testimony of our Inexhaustible Treasure (Kedgaon: Mukti Mis­ sion, 1907), 10.12. 77 In der Wohngemeinschaft Mukti („temple of salvation“) hat Ramabai versucht, das Leben in Christus nach Gal 3,26–28 in die Praxis umzusetzen; vgl. Victor in diesem Band.

206

Christine Lienemann-Perrin

indische Bibelwissenschaftlerin und Pionierin auf dem Gebiet indisch-christ­ licher Theologie. Dafür hat sie nicht nur Hebräisch und Griechisch erlernt, sondern beide Sprachen auch einem Kreis von 70 Schülerinnen der MuktiGemeinschaft beigebracht, um – nach dem Vorbild der Septuaginta – die Übersetzung als Gemeinschaftsunternehmen zu betreiben.78 Weil die Bibel­ übersetzungen in den Herrschaftssprachen Englisch bzw. Marathi einerseits den gesellschaftlich Marginalisierten (Proletariat, Straßenkinder, Kastenlo­ se, Frauen) verschlossen blieb, andererseits das soziale Gefälle zwischen den Klassen, Kasten und Geschlechtern zementierte, suchten Montgomery und Ramabai einen neuen Zugang in den Sprachen der Unterschichten und Frau­ en. Ramabai vermied in ihrer Bibelübersetzung Sanskrit-Fremdwörter in der Marathi-Sprache. Marathi-Ausdrücke für „Sohn“, „Sohnschaft“, welche die religiöse Vorrangstellung des ältesten Sohnes gegenüber anderen Familien­ mitgliedern, niedrigen Kasten und Kastenlosen betonen, ersetzte sie durch neutrale Begriffe ohne religiös und gesellschaftlich diskriminierende Konno­ tationen. Bei Gottesbezeichnungen (Tetragramm, Elohim, Adonaj) verwen­ dete sie vor-vedische und vor-arische Ausdrücke, um den Unterschied des biblischen Gottes mit Gottesvorstellungen in hinduistischer Tradition (Sat Cit Ananda, Brahma, Vishnu, Shiva) zu markieren.79

3.4

Bleibende Bedeutung von Montgomery und Ramabai im Vergleich

Montgomery und Ramabai waren Pionierinnen der ökumenischen und mis­ sionarischen Bewegung des 20. Jh. Ihre Perspektiven auf die gemeinsame Vision einer weltumspannenden Glaubensgemeinschaft lassen freilich er­ kennen, dass es auch Brüche und ungleiche Dynamiken zwischen den (ko­ lonial-)missionarischen Zentralen im Westen und den westlichen Missions­ gründungen in Asien, Afrika und Lateinamerika gab. Der von Montgomery maßgeblich mitinitiierte Weltgebetstag der Frauen war in der Anfangsphase überwiegend US-amerikanisch geprägt, tendenziell aber bereits auf globale Weite ausgerichtet. Trotzdem muss im Vergleich mit Ramabais Zeitdiagnose einschränkend und kritisch festgehalten werden, dass Montgomerys Weltdeu­ tung nicht über die koloniale Weltordnung hinausgereicht hat. Desgleichen hatte ihr Verständnis der Bibel als Buch für das ganze Menschengeschlecht einen triumphalistischen Unterton, in dem der baldige Sieg des Christentums über alle anderen Religionen und außerwestlichen Kulturen mitschwang. Im 78 Rajkumar Boaz Johnson, „The Biblical Theological Contribution of Pandita Rama­ bai: A Neglected Pioneer Indian Christian Feminist Theologian“, in Indian & Christian: The Life and Legacy of Pandita Ramabai (hg. v. Roger E. Hedlund et al.; Delhi: ISPCK, 2011), 195–223; bes. 211f. 79 Ebd., 214f.219f.

Bibel-Lektüren von Frauen im Missionskontext

207

Unterschied dazu hat Ramabai während ihres Englandaufenthaltes immer dann, wenn sie auf derartige Untertöne stieß, mit vehementer Kritik reagiert.80 Als der Weltgebetstag im 20. Jh. Schritt für Schritt von Frauen in allen Konti­ nenten aufgenommen und mitgestaltet wurde, trat seine Westorientierung zu­ rück, um der Kritik an den negativen Globalisierungsfolgen Raum zu geben. Sein Profil veränderte sich zugunsten einer immensen Vielfalt liturgischer, theologischer und diakonischer Lebensäußerungen. Dank der Fähigkeit, sich einerseits den Forderungen der Zeit gemäß neu zu positionieren und über sich hinaus zu wachsen, andererseits seinem Motto, ‚informiertes Beten, betendes Handeln‘ treu zu bleiben, ist der Weltgebetstag der Frauen bis heute die größte ökumenische Bewegung der Christenheit geblieben. Während Montgomerys Bedeutung auf den kirchlich-ökumenischen Raum beschränkt geblieben ist, wirkt jene Pandita Ramabais bis heute über die Kirchen Indiens und die weltweite Ökumene hinaus in einer erstaunlich breiten Rezeption weiter. Ohne Ramabais Begegnung mit der anglikanischen Mission in Indien, dem Christentum im Herzen der britischen Kolonialmacht und der Frauenmissionsbewegung in den USA wäre ihr Werdegang ganz anders verlaufen. Ihn allein auf diese Einflüsse zurückzuführen, wäre aber ebenso verfehlt wie der Versuch, die christlichen Elemente aus ihrem eman­ zipatorischen Lebensentwurf herauszufiltern. Beides ist in der Rezeptions­ geschichte gemacht worden, je nachdem, welches wissenschaftliche Vorver­ ständnis den Studien zugrunde gelegt worden ist. Was die meisten Studien der Ramabai-Forschung miteinander verbindet, sind die selektiven Wahrneh­ mungen und Deutungen ihres Lebenswerkes. In der ersten Hälfte des 20. Jh. überwogen Nachzeichnungen von Ramabais Bekehrung zum Christentum, wobei der Modellcharakter ihrer Konversionsbiographie im Fokus stand.81 In der pentekostalen Literatur wird Ramabai heute den Gründungsfiguren der globalen Pfingstbewegung zugerechnet, während ihre Abkehr von pfingstli­ cher Frömmigkeit in den letzten Lebensjahren – auf die wiederum vorzugs­ weise protestantische Autoren hinweisen – unerwähnt bleibt.82 Erstaunlich spät ist Ramabai als Vorläuferin der indischen Dalit-Theologie entdeckt und gewürdigt worden.83 In postkolonialen Studien taucht sie als frühe Kritikerin 80 So z. B. Shah, Correspondence, 108f.; vgl. Lienemann-Perrin, „Conversion Narra­ tives“, 332. 81 Nicol MacNicol, Pandita Ramabai: Die Mutter der Ausgestoßenen (Stuttgart: Evangelischer Missionsverlag, 1930); Anna Oehler, Vom Dschungel zum „Haus der Weisheit“: Das Leben der Inderin Pandita Ramabai (Basel: Basler Missionsbuch­ handlung, 1944). 82 Dazu die breit belegte Studie von Yan Suarsana, Pandita Ramabai und die Erfindung der Pfingstbewegung: Postkoloniale Religionsgeschichtsschreibung am Beispiel des „Mukti Revival“ (StAECG 23; Wiesbaden: Harrassowitz, 2013). 83 Johnson, „Contribution“. Dalit – wörtlich übersetzt ‚die Zertretenen‘ – ist ein Aus­ druck für Kastenlose und generell für Menschen am Rand der indischen Gesell­ schaft. Dalit-Theologie ist die indische Variante der Befreiungstheologie.

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kolonialer und kolonialmissionarischer Abhängigkeiten auf.84 Innerhalb des indischen Feminismus gibt es eine Kontroverse darüber, welche Bedeutung Ramabais Hinwendung zum Christentum für ihr emanzipatorisches Profil hat.85 Als ‚bekennender Atheist‘ würdigt der indische Humanist A. B. Shah Ramabai als herausragende Figur in der Geschichte Indiens, ohne freilich ih­ rer christlichen Prägung auch nur eine einzige Zeile zu widmen.86 Die Bibelforscherinnen Montgomery und Ramabai hinterlassen bei der sehr heterogenen Leserschaft den Eindruck, dass nicht alles erstmalig und neu ist, was ein Jahrhundert nach ihnen erforscht und wissenschaftlich vertreten wird. Verblüffend vieles ist durch sie unter anderen historischen Bedingungen in anderer Weise vorgedacht worden: geschlechtersensitive Bibelübersetzung, klassen- und kastenkritische Bibelauslegung sowie kontextuelle bzw. postko­ loniale Bibelhermeneutik.

84 Gauri Viswanathan, Outside the Fold: Conversion, Modernity, and Belief (Prince­ ton: Princeton University Press, 1998). 85 Meera Kosambi, Pandita Ramabai’s Feminist and Christian Conversions: Focus on Stree Dharma-Neeti (RCWS Gender Series. Gender & History/Social Change 2; Bombay: Research Centre for Women’s Studies, 1995). 86 In seiner Einleitung zu Letters and Correspondence of Pandita Ramabai hat A. B. Shah (1920–1981) Ramabai als einer indischen Sozialaktivistin ein Denkmal gesetzt. In seinen Augen war sie „the greatest woman produced by modern India and one of the greatest Indians in all history“ (Shah, Correspondence, xi).

Globale Aktivitäten und Bibelauslegung durch Frauen im viktorianischen Zeitalter Katharine Bushnells God’s Word to Women1 Kristin Kobes Du Mez Calvin University, Grand Rapids

Angloamerikanische Protestantinnen haben im 19. Jh. in einem oft unter­ schätzten Maß zu einem global ausgerichteten Glauben beigetragen. Bereits in den 1860ern lenkte die Auslandsmissionsbewegung der Frauen die Gefühle und Gedanken zehntausender Christinnen auf die „Länder der Heiden“. In den 1870ern bildete sich die Abstinenzbewegung heraus, die protestantische Frauen über alle konfessionellen Grenzen hinweg vereinte. Schon bald rich­ tete sich die Aufmerksamkeit der Abstinenzreformer auf die globale Büh­ ne, und es wurden „Rund-um-die-Welt-Missionare“ beauftragt, Frauen und Männern in aller Welt das Evangelium der Abstinenz zu predigen.2 In den darauffolgenden Jahren begannen etliche dieser Vorkämpferinnen, sich auch für das Social-Purity-Movement, die Sittlichkeitsbewegung, zu engagieren, eine Bewegung, die der Abstinenz in Sachen Popularität schon bald den Rang ablief. Bis zum Ende des Jahrhunderts war es den Feministinnen, die für die sittliche Reinheit der Gesellschaft eintraten, gelungen, den Widerstand gegen Prostitution und sexuelle Doppelmoral im Herzen der viktorianischen Frau­ enbewegung zu verankern. Durch ihren Kampf gegen den weltweiten Frau­ enhandel hatten sie ihrem Feldzug außerdem globale Bedeutung verliehen. Im Zuge ihres globalen Aktivismus wurden die Protestantinnen des späten viktorianischen Zeitalters Teil einer gefühlten „globalen Schwesternschaft“: einer „weltweiten Frauenvereinigung, die in der gemeinsamen Wahrnehmung einer rollenbedingten Unterdrückung wurzelte“.3 Dadurch, dass sie in einigen Fällen die Geschlechtszugehörigkeit höher bewerteten als die ethnische und nationale Identität, entwarfen viele christliche Frauen „ihre ganz eigene Form

1

Zu den Argumenten des Artikels siehe ausführlicher: Kristin Kobes DuMez, A New Gospel for Women: Katharine Bushnell and the Challenge of Christian Feminism (Oxford: Oxford University Press, 2015). 2 Zur internationalen Reichweite der WCTU vgl. Ian Tyrrell, Woman’s World/ Woman’s Empire: The Woman’s Christian Temperance Union in International Perspective, 1880–1930 (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1991). 3 Tyrrell, Woman’s World, 7.

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eines geschlechtsspezifischen christlichen Internationalismus“.4 Einerseits kann dieser globale Frauenaktivismus als Ausdruck eines umfassenderen kul­ turellen Imperialismus gesehen werden, der nichtwestlichen Gesellschaften westliche Werte aufzwang. Viele Menschen des viktorianischen Zeitalters, das das Christentum noch untrennbar mit dem Konzept der westlichen Zivili­ sation verband, glaubten, dass die Ausbreitung des Evangeliums zwangsläu­ fig auch kulturelle Veränderungen mit sich bringen würde. Andererseits hat die Forschung jedoch gezeigt, dass ein allzu vereinfachender Blick auf den kulturellen Imperialismus übersieht, wie stark die westlichen Frauen selbst durch ihre globalen Begegnungen verändert worden sind.5 Zwar trieb sie ihr christlicher Glaube, die Welt zu verändern, doch veränderte der internationale Aktivismus der viktorianischen Frauen umgekehrt auch deren eigene Über­ zeugungen.6 Globale Begegnungen beeinflussten die Art, wie Frauen ihre Bi­ beln lasen, brachten traditionelle theologische Sichtweisen ins Wanken und trugen so vom späten viktorianischen Zeitalter und bis ins 20. Jh. hinein zu einer dynamischen Phase der weiblichen Bibelauslegung bei.

1.

Das Leben der Katharine Bushnell

Katharine Bushnells (1855–1946) Leben und Werk kann als eines der fas­ zinierendsten Beispiele dafür gesehen werden, wie globale Bewegungen und internationaler Aktivismus die Bibelinterpretation angloamerikanischer Frauen beeinflusst haben. Heute beinahe vollständig vergessen, war Bushnell zu ihrer Zeit eine führende Reformerin und international bekannte Aktivis­ tin. Sie begann ihre Laufbahn in den 1870er Jahren als ärztliche Missiona­ rin in China und sollte später eines der berühmtesten Mitglieder der World’s Woman’s Christian Temperance Union (WWCTU) und eine der führenden Verfechterinnen der gesellschaftlichen Reinheit in den Vereinigten Staaten werden.7 Bushnell war eng mit der Vorsitzenden der Woman’s Christian Temperance Union (WCTU), Frances Willard, und mit der „Gründungsmutter“

4

5 6 7

Jane H. Hunter, „Women’s Mission in Historical Perspective. American Identity and Christian Internationalism“, in Competing Kingdoms: Women, Mission, Nation, and the American Protestant Empire, 1812–1960 (hg. v. Barbara Reeves-Ellington, Kathryn Kish Sklar und Connie A. Shemo; Durham: Duke University Press, 2010), 19–42; 31. Vgl. Connie Anne Shemo, The Chinese Medical Ministries of Kang Cheng and Shi Meiyu, 1872–1937 (Bethlehem: Lehigh University Press, 2011), 6–8. Tyrrell, Woman’s World, 96. Die prominenteste nicht-westliche WCTU-Aktivistin war Pandita Ramabai. Nähere Informationen zu Ramabai bietet Royce M. Victors Beitrag im vorliegenden Band.

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211

des britischen Feminismus,8 Josephine Butler, befreundet – also mit jenen Frauen, die den vielleicht größten Beitrag zur ‚globalisierten‘ Blickrichtung der viktorianischen Frauen leisteten und gleichzeitig zu einer geschlechts­ spezifischen Neubewertung der christlichen Schriften aufriefen. Sie gehörte damit zum innersten Kern der Reformbewegung der viktorianischen Frauen.9 Schon in ihren Anfängen als Aktivistin war Bushnells Reformarbeit – zunächst als Missionarin und dann als globale Vorkämpferin der sittlichen Reinheit – eine Herausforderung für den Glauben, aus dem sie die Motiva­ tion für ihr Handeln schöpfte. Doch erst nachdem sie wiederholt mitange­ sehen hatte, wie westliche, christliche Männer Macht über Frauen ausübten und diese mit alarmierender Grausamkeit behandelten, begann Bushnell die Grundlagen des westlichen Christentums in Frage zu stellen. 1916 krönte sie ihre exegetische Arbeit mit der Veröffentlichung von God’s Word to Women, einer Sammlung von hundert akribisch recherchierten und stichhaltig erklär­ ten Lektionen, in denen Bushnell eine neue Deutung des Evangeliums als Befreiungsbotschaft für Frauen in aller Welt präsentiert.10 Der vorliegende Beitrag wird den Zusammenhang zwischen Bushnells Theologie und ihrem Aktivismus erforschen und in zentrale Aspekte ihres revidierten biblischen Narrativs einführen. Es war Bushnells internationale Erfahrung in der Auslandsmission, die ihrer späteren Arbeit den Boden bereitete. In Evanston, Illinois, aufgewach­ sen, hatte die junge Frau zur Vorbereitung auf den christlichen Dienst eine medizinische Laufbahn eingeschlagen und nach ihrem Abschluss an der medizinischen Fakultät eine Stelle bei der methodistischen Woman’s Foreign Missionary Society angenommen, um als ärztliche Missionarin in Chi­ na zu arbeiten. Obwohl ihre schwache Gesundheit sie nach drei ereignis­ reichen Jahren dazu zwang, ihre Missionsarbeit aufzugeben, kehrte sie mit 8

Judith R. Walkowitz, Prostitution and Victorian Society. Women, Class, and the State (Cambridge: Cambridge University Press, 1980), 255. 9 Zu Butlers Glauben vgl. Lucretia A. Flammang, „‚And Your Sons and Daughters Will Prophesy‘: The Voice and Vision of Josephine Butler“, in Women’s Theology in Nineteenth-Century Britain: Transfiguring the Faith of Their Fathers (hg. v. Ju­ lie Melnyk; New York: Garland, 1998), 151–164; 151; Lisa Severine Nolland, A Victorian Feminist Christian: Josephine Butler, the Prostitutes and God (Carlisle: Paternoster, 2004); und Timothy Larsen, A People of One Book: The Bible and the Victorians (Oxford: Oxford University Press, 2011), 219–246; sowie Amanda Rus­ sell-Jones’ Artikel im vorliegenden Band. Ein Beispiel für Willards theologisches Schrifttum ist: Frances Elizabeth Willard, Woman in the Pulpit (Boston: D. Loth­ rop, 1888). Zu Willard siehe auch Claudia Setzers Beitrag im vorliegenden Band. 10 Katharine C. Bushnell, God’s Word to Women: One Hundred Bible Studies on Woman’s Place in the Divine Economy (1923; Nachdr.: Peoria: Cosette McCleave Jolliff u. Bernice Martin Menold, o. J.). Bushnell veröffentlichte ihre Bibellektionen unter dem Titel God’s Word to Women erstmals 1916, doch die Ausgabe, die heute in aller Regel nachgedruckt wird, erschien erst 1923. Die endgültige Fassung ihres Buchs gab sie 1930 heraus.

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einem geschärften Bewusstsein für die Subjektivität von Bibelübersetzungen und mit einem wachsenden Argwohn gegenüber der männlichen Theologie nachhause zurück. Nur wenige Wochen nach ihrer Ankunft in China war Bushnell auf eine chinesische Bibelübersetzung gestoßen und hatte, obwohl sie gerade erst begonnen hatte, die Sprache zu lernen, die augenscheinli­ che Diskrepanz zwischen der chinesischen Übersetzung von Phil 4,2f. und der ihr vertrauten King James Version entdeckt. Während in der KJV von zwei Frauen die Rede war, die sich gemeinsam mit Paulus für das Evangeli­ um eingesetzt hatten, hatte die chinesische Übersetzung die Helferinnen in männliche Helfer umgewandelt.11 Bushnell machte einen Missionar darauf aufmerksam und bekam zur Antwort, dies habe man „zweifellos wegen der heidnischen Vorurteile gegen weibliche Kirchendienste so übersetzt“.12 Was ihm wie eine logische und pragmatische Lösung erschien, war für Bushnell eine schockierende Enthüllung. Es war ihr „nie zuvor in den Sinn gekommen, dass so etwas möglich war“: dass das Evangelium Christi aus Rücksicht auf kulturelle Vorurteile ganz ungeniert verfälscht worden sein konnte.13 Bald ging ihr auf, dass auch andere Bibelübersetzungen womöglich von ganz ähn­ lichen Vorurteilen geprägt sein könnten, wenn fromme christliche Missionare eine geschlechterverzerrte chinesische Übersetzung so leichthin rechtfertigen konnten. Also begann sie ihre chinesischen und englischen Bibeln mit ihrem griechischen Testament zu vergleichen und entdeckte weitere Hinweise auf geschlechtsbezogene Falschübersetzungen. Daraufhin studierte sie Hebräisch und verwendete von da an jede freie Minute auf eine gründliche Revision der griechischen und hebräischen Bibeltexte, um androzentrische Übersetzungen aufzuspüren.14 Nach Abbruch ihrer missionarischen Laufbahn kehrte Bushnell in die Vereinigten Staaten zurück und ließ sich als praktizierende Ärztin in Denver, Colorado, nieder. Da sie die Medizin jedoch „nicht um ihrer selbst willen, sondern zum Zweck der christlichen Arbeit studiert hatte“, konnte die Praxis sie nicht zufriedenstellen.15 Eine erfüllendere Tätigkeit fand sie in der WCTUAbteilung des Bundesstaats Colorado. Erst seit kurzem hatte sich die Absti­ nenz als das Herzstück der Reformbestrebungen der Frauen herauskristalli­ siert. Das war zu einem Großteil der bemerkenswerten Expansion der WCTU unter der Führung von Bushnells Freundin und früherer Nachbarin Frances Willard zu verdanken, die geholfen hatte, die Abstinenz zum „vorrangigen 11 Catherine Clark Kroeger, „The Legacy of Katherine Bushnell: A Hermeneutic for Women of Faith“, Priscilla Papers 9/4 (1995): 1–5. 12 Katharine C. Bushnell, A Brief Sketch of Her Life Work (Hertford: Rose & Sons, 1932), 20. 13 Ebd., 20. 14 Ebd. 15 Ebd., 5.

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Frauenanliegen der heutigen Zeit“ zu machen.16 Willard konnte ihre „WeißeSchleifen-Armee“ davon überzeugen, dass Frauen das Stimmrecht brauchten, um die Gesellschaft zu reformieren. Auf diese Weise führte sie den Suff­ ragetten Tausende von Frauen der Mittelschicht zu und trug dazu bei, dass das Frauenwahlrecht nicht mehr als etwas Anrüchiges, sondern als religiö­ se Pflicht betrachtet wurde.17 Insofern war die Abstinenzbewegung im spät­ viktorianischen Amerika eine entscheidende Brücke zwischen Christentum und Feminismus und hat die spätere Ausprägung des einen wie des anderen maßgeblich beeinflusst. Die Abstinenzkampagne war im Kern eine Frauen­ bewegung, die auf einer grundlegend antagonistischen Sicht von Frauen und Männern beruhte. Dieses antagonistische Verhältnis sollte sich später auch klar in Bushnells theologischem Denken niederschlagen. Wenn sie sich in Denvers Saloon-Vierteln für die Abstinenz einsetzte, richtete Bushnell ihre Aufmerksamkeit auch auf das Elend der Prostituier­ ten der Stadt, unter denen sich eine Anzahl Chinesinnen befand. Kurze Zeit später bat Willard Bushnell um Hilfe bei der Leitung der neuen WCTU-Ab­ teilung für gesellschaftliche moralische Reinheit.18 Die Sittlichkeitsbewegung war eine breite Reformbewegung, die verschiedene und gelegentlich auch widersprüchliche Zielsetzungen wie Kampagnen gegen die Lasterhaftigkeit, Zensur, Sexualerziehung und Bestrebungen umfasste, das Ehemündigkeits­ alter anzuheben.19 Im Zentrum dieser Bewegung stand die Kritik an der üb­ lichen sexuellen Doppelmoral des viktorianischen Zeitalters, die in puncto sexuelle Reinheit an Frauen weitaus strengere Maßstäbe anlegte als an Män­ ner. Die Hebung der Sittlichkeit war in der damaligen Zeit ein umstrittenes Anliegen, doch Willard hatte sich von Josephine Butler, der evangelikalen Aktivistin, die an der Spitze der britischen Social-Purity-Bewegung stand, dazu inspirieren lassen. Es war zu einem nicht geringen Anteil Bushnell zu verdanken, dass die gesellschaftliche Reinheit gemeinsam mit der Abstinenz zur treibenden Kraft sowohl der britischen als auch der amerikanischen Frau­ enbewegung wurde. Im Sommer 1888 ging sie in einer höchst öffentlichkeitswirksamen Aktion den Gerüchten über den „weißen Sklavenhandel“ in den Holzfällercamps im nördlichen Wisconsin und in Michigan nach. Binnen vier Monaten besuchte Bushnell 59 „Lasterhöhlen“ und interviewte „an die 575 gefallene Frauen“.20 Obwohl sie berichtete, dass sich „dieses sensationsheischende Bild von ei­ ner Höhle mit dachhohem Zaun, einem ganzen Rudel abgerichteter Hunde 16 Ruth Bordin, Frances Willard. A Biography (Chapel Hill: University of North Caro­ lina Press, 1986), 69. 17 Mary Earhart, Frances Willard: From Prayers to Politics (Chicago: University of Chicago Press, 1944), 150.193. 18 Union Signal, 4. März 1886; Bushnell, Brief Sketch, 5. 19 Tyrrell, Woman’s World, 191f. 20 W.C.T.U. State Work (November 1888), 1f.

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und einem bewaffneten Türsteher“ bei näherem Hinsehen als „eine Übertrei­ bung“ erwiesen habe, kam sie zu dem Schluss, dass „der Flucht eines Mäd­ chens vor einem Leben in Schande schlimmere Hindernisse“ im Weg stan­ den: nämlich der „völlige Mangel an Mitgefühl“ von „Männern, Frauen und Gesetzesdienern“.21 Sie geißelte „ehrbare“ örtliche Geschäftsleute, die von dem Frauenhandel profitierten, lokale und staatliche Behörden, die vor der Prostitution in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich beide Augen verschlos­ sen, und Ärzte, die „die Ausbreitung dieses Frevels“ nicht nur tolerierten, sondern sogar förderten, weil es ihnen zusätzliche Einnahmen verschaffte.22 Besonders entsetzte es sie, dass einige „tugendhafte (Gott bewahre uns vor dieser falschen Tugend!) Frauen“ die „Verwahrlosung junger Mädchen“ für notwendig hielten, damit sie sich ihre eigene Tugend bewahren konnten, weil sie glaubten, dass solche Frauen der natürlichen Sündhaftigkeit der Männer ein Ventil böten.23 Diese irrige Ideologie, so Bushnell, sei der Hauptgrund dafür, dass Frauen in die Falle der Prostitution gerieten, und der Kern des Problems sei die sexu­ elle Doppelmoral: Wieder und wieder ertönte durch die Jahrhunderte hindurch jene Redensart, mit der man der Keuschheit der Frauen ein so großes Kompliment zu machen mein­ te: „Die Frau steht so weit über dem Mann, dass sie, wenn sie fällt, tiefer fällt als er“.24

Doch Bushnell kontert: „Gibt es irgendeine höhere Erhebung, auf die die Frau ihre Füße stellen könnte, als den Fels des Heils? Und kann der Mann auf irgendeiner anderen Lebensebene sicheren Stand finden?“ Das Vorbild der vollkommenen Reinheit sei – für die Frauen genauso wie für die Männer – der Sohn Gottes. „Kann der Mann sich Christ zu nennen wagen und sein Leben nach einem weniger vollkommenen Vorbild ausrichten?“25 Bushnell wusste jedoch, dass nur wenige viktorianische Christen diese Überzeugung teilten, und dafür machte sie die Kirche verantwortlich. Die Kirche, so ihr Vorwurf, habe es versäumt, dem Vorbild Christi selbst zu folgen. Denn genau wie Christus sich geweigert habe, den ersten Stein auf die Frau zu werfen, die beim Ehebruch ertappt worden war, so müsse auch die Gesellschaft den „gefallenen Frauen“ Mitgefühl und Güte erweisen.26 Überall berichteten die 21 22 23 24

Ebd., 7. Ebd., 2–4. Ebd., 7. Kate C. Bushnell, The Woman Condemned (New York: Funk & Wagnalls, 1886), 10f. 25 Ebd., 10f. 26 Ebd., 17.

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Zeitungen über Bushnells Recherchen,27 und „das ganze Land“ wurde in „die weiße Sklavenfrage“ hineingezogen.28 Bushnell hatte dazu beigetragen, die Verschwörung des Schweigens, in das man den öffentlichen Sexualitätsdis­ kurs gehüllt hatte, aufzubrechen, und sie hatte die Reinheit als den „letzten und größten“ Bereich der moralischen Reform etabliert.29 Von Bushnells Engagement beeindruckt bat Josephine Butler sie, in British India ähnliche Recherchen durchzuführen, und bot ihr somit die Gelegenheit, das, was sie gerade in den Vereinigten Staaten geleistet hatte, auf internatio­ naler Ebene zu etablieren. Nachdem sie ein Jahrzehnt hindurch immer wieder Gesuche eingereicht hatten, war es Butler und anderen Reformer*innen 1886 endlich gelungen, die Abschaffung der britischen Contagious Diseases Acts durchzusetzen: einer Reihe von Gesetzen, die es möglich machten, Prosti­ tuierte zwangsweise zu untersuchen und kranke Frauen in Lock Hospitals zu internieren. In den Augen der Sittlichkeitsaktivistinnen waren diese Ge­ setze der schlimmstmögliche Beweis für die herrschende Doppelmoral. Als erschütterndes Sinnbild der Macht, die Männer über Frauen ausübten, sank­ tionierten die Gesetze die Prostitution de facto als gesellschaftliche Notwen­ digkeit und bewiesen gleichzeitig, dass der Staat bereit war, die rechtmäßige Verfügungsgewalt der Frauen über ihren eigenen Körper zu opfern, damit Soldaten tun konnten, was ihnen gefiel. Butler hatte den Kampf gegen die­ se Gesetze zum Schwerpunkt ihrer Frauenrechtskampagne gemacht.30 Doch nicht lange nach ihrem Sieg begannen die Reformerinnen zu argwöhnen, dass die Zwangsuntersuchung und Internierung von Frauen in den Kolonien unter dem Schutz neuer Cantonment Acts weiterging.31 Bushnell und ihre Freundin Elizabeth Wheeler Andrew, Mitherausgeberin der WCTU-Zeitschrift Union Signal, die während ihrer Jahre in Evanston eng mit Bushnell zusammenge­ arbeitet hatte, wurden mit Recherchen beauftragt, um herauszufinden, ob dies tatsächlich der Fall war. Als sie 1891 in Kalkutta ankamen, erkannten Bushnell und Andrew schnell, dass dies keine einfache Aufgabe sein würde. Der ihnen vor Ort zu­ geteilte Missionar „machte keinen Hehl aus seiner Ungeduld angesichts zwei­ er Frauen, die eine (in seinen Augen) so unziemliche Aufgabe übernehmen 27 Union Signal, 8. November 1888, 4. 28 Bushnell, Brief Sketch, 8. 29 David Pivar, Purity Crusade. Sexual Morality and Social Control, 1868–1900 (Westport: Greenwood Press, 1973), 10. 30 Vgl. Josephine E. Butler, The Constitution Violated (Edinburgh: Edmonston & Douglas, 1871); Jenny Uglow, „Josephine Butler: From Sympathy to Theory“, in Feminist Theorists: Three Centuries of Key Women Thinkers (hg. v. Dale Spender; New York: Pantheon Books, 1983), 146–164, und Helen Mathers, „The Evangelical spirituality of a Victorian feminist: Josephine Butler, 1828–1906“, JEH 52/2 (2001): 282–312; 282. 31 Philippa Levine, Prostitution, Race, and Politics: Policing Venereal Disease in the British Empire (New York: Routledge, 2003), 95.

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wollten“, worauf Bushnell mit „gerechter Empörung“ reagierte. Sie erwider­ te, dass es für christliche Frauen sehr wohl geziemend sei, Nachforschun­ gen darüber anzustellen, „was heidnische Frauen von Männern aus einem christlichen Land zu erleiden hatten“, und dass, wenn er ihnen nicht helfen wolle, Gott ihnen helfen würde.32 Bushnell und Andrew beschlossen, sich auf eigene Faust auf den Weg zu machen; sie reisten 3597 Meilen weit, besuchten zehn Militärstützpunkte, interviewten 395 Einzelpersonen33 und trugen um­ fangreiches Beweismaterial dafür zusammen, dass die Zwangsuntersuchung und Internierung indischer Frauen unvermindert weiterging. In jedem Fall, so ihre Beobachtung, wurde die Gesundheit der Frauen „der Gesundheit und Bequemlichkeit des britischen Soldaten untergeordnet“.34 Das Ergebnis ihrer Nachforschungen veröffentlichten sie in einem Bericht, der die Sache ein­ dringlich und klar auf den Punkt brachte: Wägen Sie die Seele dieses einen dunkelhäutigen Heidenmädchens gegen die kranken Leiber einer stehenden Armee von Männern ab, und Gott weiß, was in seinen Augen schwerer wiegt – selbst wenn eine ganze, materialistische Nation es vergessen haben sollte.35

Premierminister Gladstone war „schlichtweg entsetzt“, nachdem er ihren Bericht gelesen hatte, und setzte eine Regierungskommission ein, die ihre Aussagen überprüfen sollte.36 Im Frühjahr 1893 kehrten Bushnell und An­ drew nach England zurück, um der Kommission Rede und Antwort zu ste­ hen. Im Sommer desselben Jahres kam es zum dramatischen Showdown mit Lord Rob­erts, dem Befehlshaber der britischen Armee in Indien. Roberts hat­ te alles abgestritten, doch als weitere Dokumente aus Indien eintrafen, die „nahezu jede Aussage“ Bushnells und Andrews bestätigten, musste er sich kleinlaut geschlagen geben.37 Die Sache der gesellschaftlichen Moral hatte am Gerichtshof der öffentlichen Meinung einen bemerkenswerten Sieg erfochten. 32 Bushnell, Brief Sketch, 12.14–15. Eine etwas sympathischere Darstellung dieses Mannes findet sich bei Elizabeth W. Andrew und Katharine C. Bushnell, The Queen’s Daughters in India (London: Morgan and Scott, 1899), 25. 33 Levine, Prostitution, 105; „Indian Journal“ 1892 (Originalmanuskript), in Papers of Henry Joseph Wilson, The Women’s Library, London Metropolitan University, 3HJW/F/05. 34 Andrew und Bushnell, Queen’s Daughters, 56f. 35 Ebd., 41. 36 Bushnell, Brief Sketch, 13. 37 Andrew und Bushnell, Queen’s Daughters, 91. Vgl. auch „Is Vice Regulated by the State in India? Interview with General Lord Roberts“, Christian Commonwealth 11 (Mai 1893): 519, und Josephine E. Butlers Brief an Stanley Butler vom 24. August 1893 in Josephine Butler and the Prostitution Campaigns: Diseases of the Body Politic (hg. v. Jane Jordan und Ingrid Sharp; Bd 5; London: Routledge, 2003), 209– 213.381–382.

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Im nächsten Jahr wurden Bushnell und Andrew gebeten, Nachforschun­ gen über den Opiumhandel in China, Singapur und Hong Kong anzustellen, und etwa um dieselbe Zeit erklärten sie sich bereit, im Auftrag des Londoner Kolonialbüros über den „Sklavenhandel mit chinesischen Mädchen zu un­ moralischen Zwecken“ in Singapur und Hong Kong zu recherchieren.38 Sie führten beide Ermittlungen gleichzeitig durch und stellten schon bald fest, dass der Mangel an Abstinenz und der Mangel an Reinheit eng miteinander zusammenhingen. Genau wie in British India waren es in beiden Fällen Be­ wohner der westlichen Welt, die die Hauptverantwortung für die fortdauernde Lasterhaftigkeit trugen. Schon ihre früheren Ermittlungen in Amerika hatten Bushnell die Augen geöffnet und ihr gezeigt, dass „achtbare“ christliche Gen­ tlemen an Prostitution und Frauenhandel mitschuldig waren, doch ihre globa­ len Kampagnen ließen dieses Dilemma noch weitaus deutlicher zutage treten. Wieder und wieder entdeckten sie, dass christliche Männer an „heidnischen“ Frauen Taten von unaussprechlicher Grausamkeit begingen. Das Buch, das sie später über die Ergebnisse ihrer Nachforschungen veröffentlichten, trug den Titel Heathen Slaves and Christian Rulers und war voller Geschichten, die die unzivilisierten, unchristlichen Verhaltensweisen achtbarer und sogar angesehener „christlicher Gentlemen“ anprangerten.39 Dass christliche Gen­ tlemen, die doch angeblich eine höhere Zivilisation repräsentierten, sich Frau­ en gegenüber oft derart unchristlich verhalten konnten, ließ in Bushnell Zwei­ fel am Wesen des Glaubens aufkommen, der der sogenannten Moral dieser Zivilisation zugrunde lag. Im Sommer 1899 setzte Bushnell sich endlich direkt mit diesen Fragen auseinander. Sie und Andrew waren seit kurzem wieder in Indien und hatten zu ihrem Entsetzen feststellen müssen, dass die Prostitutionsverordnungen der Regierung trotz ihrer früheren Bemühungen unverändert weiterbestan­ den. Bestürzt über wiederholte Berichte vom Missbrauch indischer Frauen durch angeblich christliche Männer wandte sich Bushnell ratsuchend ihrer Bi­ bel zu und „suchte im Gebet Erleuchtung im Hinblick auf das, was das Wort über die Pflicht lehrt, die ein Geschlecht dem anderen gegenüber hat“.40 Mit erneuerter Intensität durchforstete sie die Schriften, um zu begreifen, wie es sein konnte, dass christliche Männer solche beklagenswerten Taten an Frauen begehen konnten und dafür nicht einmal bestraft wurden. Gegen Ende des Sommers entwarf Bushnell in einem Brief an Butler eine umfassende Kritik an der traditionellen Theologie. De facto, so ihre These, 38 Bushnell, Brief Sketch, 19. 39 Elizabeth Andrew und Katharine Bushnell, Heathen Slaves and Christian Rulers (1907; Project Gutenberg, 2004), online: http://www.gutenberg.org/cache/ epub/12818/pg12818-images.html [zuletzt abgerufen am 23.3.2020]. 40 Bushnell an Butler, 30. August 1899, in Butler Letters Collection, Women’s Library, 3JBL/43/28; Josephine E. Butler, „Dead Hands on the Threshold“, Storm-Bell (Juli 1899), 202–206.

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hätten männliche Theologen eine Lehre etabliert, der zufolge „der sexuelle Missbrauch der Ehefrau durch den Ehemann nach Evas Sündenfall von Gott verhängt worden sei“. Zur Untermauerung dieses harschen Urteils führte sie an, dass das, was Theologen als die „gottgewollte eheliche Beziehung zwi­ schen Mann und Frau“ darstellten, in Wirklichkeit dazu angetan sei, die Frau­ en innerhalb der Ehe ihres ‚Wollens und Wünschens‘ zu berauben, und damit auf nichts Geringeres hinauslaufe als „den sexuellen Missbrauch der Ehefrau durch den Ehemann“.41 Wenn die Theologen darauf beharrten, dass der „Gott der Wahrheit und Gerechtigkeit […] der Frau einfach deshalb, weil sie eine Frau ist, mit der Pflicht, Kinder zu gebären, Demütigung, Missbrauch und Kummer“ auferlegt habe, nähmen sie ihre Funktion als „Haupt“ doch eigent­ lich nur zum Vorwand, um ihrem Egoismus freien Lauf zu lassen.42 Bushnell war davon überzeugt, dass die Gräuel, die christliche Männer Frauen antaten, „ausreichten, um diese ganze Theologie zu ruinieren“, und brachte den Miss­ brauch von Frauen sogar in einen direkten Zusammenhang mit dieser falschen Theologie, denn: „Wenn die Theologie die Versklavung der Frau durch den Mann innerhalb der ehelichen Beziehung lehrt“, dann dürfe man sich nicht darüber wundern, dass Männer diese Herrschaft auf alle Frauen ausdehnen. Männer können nicht nur Ehefrauen zu unkritischen, gehorsamen Sklavinnen machen – früher oder später wird das Unrecht der Sklaverei auch unverheiratete Frauen heimsuchen; denn Beschränkung ist dem Unrecht fremd.43

Bushnell war bewusst, dass das System der Unterdrückung und des Miss­ brauchs der Frauen, das sie in den Vereinigten Staaten, in British India und in Ostasien kennengelernt hatte, durch die traditionellen, patriarchalischen Aus­ legungen der christlichen Theologie hervorgebracht worden war, und initiier­ te daher eine neue Theologie, die ihrem Verständnis des Evangeliums Christi entsprach. Sie verfügte über Hebräisch- und Griechischkenntnisse und hatte die Schriften seit ihrer ersten Begegnung mit der geschlechterverfälschenden chinesischen Übersetzung sorgfältig studiert: einem Erlebnis, das ihr nicht nur einen Eindruck von der Inkulturation des Evangeliums innerhalb der chinesischen Gesellschaft vermittelt, sondern überdies in ihr den Verdacht geweckt hatte, dass ihr eigener Glaube von ähnlichen kulturellen Vorurteilen verformt worden sein könnte. Schon in den 1870ern hatte Bushnell begonnen, im WCTU-Organ Union Signal Vorab-Berichte über ihre theologischen For­ schungen zu veröffentlichen. Doch erst ihr weltweiter Einsatz für die Hebung der Sittlichkeit hatte ihr mit letzter Deutlichkeit vor Augen geführt, wie sich die patriarchalischen Verzerrungen des Christentums auf die Stellung und auf 41 Bushnell an Butler, 30. August 1899. 42 Ebd. 43 Ebd.

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die Behandlung der Frauen auswirkten, und sie veranlasst, ihr Leben der Auf­ gabe zu widmen, Frauen wie Männern ein neues Evangelium zugänglich zu machen.44 1916, nach über zehnjähriger Arbeit an ihrem Forschungsprojekt, veröffentlichte sie die erste Ausgabe von God’s Word to Women. Das vielleicht Bemerkenswerteste an Bushnells Theologie war, dass sie bei aller Radikalität ihrer feministischen Aussagen dennoch weiterhin unbe­ irrbar an der Autorität und Wahrheit der Schriften festhielt. Das historischkritische Instrumentarium lehnte sie ab und betrachtete jedes Wort des bibli­ schen Texts als „inspiriert“, „unfehlbar“ und „unantastbar“.45 Weil sie jedoch glaubte, dass die modernen Übersetzungen aufgrund ihrer androzentrischen Perspektive gänzlich verzerrt waren, rief sie die Frauen dazu auf, verlässli­ chere Übersetzungen zu erarbeiten. Mit God’s Word to Women hoffte sie die Richtung vorzugeben und einen neuen Weg zu bahnen, auf dem ihr andere Frauen nachfolgen würden.

2.

Ein neues Evangelium für Frauen

Bushnells revisionistische Theologie wurzelte in ihrer Neuinterpretation der ersten Kapitel der Genesis. Wie andere Theologinnen vor ihr lehnte sie die Interpretation der Schöpfungsgeschichte als Beleg für eine angebliche Unter­ legenheit der Frauen ab. Es war vor allem ihre Neuinterpretation der Erzäh­ lung über Adams und Evas Sündenfall in Gen 3, mit der sie ihre innovative feministische Theologie auf eine einzigartige Grundlage stellte. Während die traditionelle Theologie Eva für den Sündenfall der Menschheit verant­ wortlich gemacht und deshalb Eva und mit ihr alle Frauen der männlichen Herrschaft unterworfen hatte, gelangte Bushnell zu einer völlig anderen In­ terpretation. Zuallererst weigerte sie sich, das Schicksal der Frauen an einem Fluch (Gen 3,16) festzumachen, denn das würde bedeuten, die Wirkung des Sühneopfers Christi für die Frauen zu leugnen und damit unerhörterweise mit zweierlei theologischem Maß zu messen.46 Noch bedeutsamer war jedoch, dass Bushnell die vermeintliche Verfluchung Evas überhaupt verneinte. Sie 44 Bushnells internationales gesellschaftliches Engagement inspirierte auch ihre Theo­ logie. Wie der Missiologe Andrew F. Walls herausstellt, „ist Kreativität im theolo­ gischen Handeln angesichts der kulturübergreifenden Verbreitung des christlichen Glaubens eine unumgängliche Notwendigkeit“ (Andrew F. Walls, The Cross-Cultural Process in Christian History: Studies in the Transmission and Appropriation of Faith [Maryknoll: Orbis Books, 2002], 79). 45 Bushnell, God’s Word to Women (nachfolgend GWTW), Abschnitt 2. Entsprechend Bushnells eigener Zitationspraxis gebe ich hier und im Folgenden keine Seitenzah­ len, sondern Abschnittsnummern an. 46 Bushnell, GWTW, 345.363.

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führte den Sündenfall der Menschheit weder auf Evas noch auf Adams Ent­ scheidung, von der verbotenen Frucht zu essen, sondern auf Adams Antwort an Gott zurück, und wies darauf hin, dass beide, nachdem sie von der Frucht gegessen hatten, Gott sehr unterschiedliche Antworten gaben. Eva gestand wahrheitsgemäß: „Die Schlange hat mich verführt. So habe ich gegessen“; Adam gestand ebenfalls, doch er fügte hinzu: „Die Frau, die du mir beige­ sellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben. So habe ich gegessen.“47 Wäh­ rend Eva Satan als den mittelbaren Grund für ihre Sünde angab, „beschuldigt Adam Gott und sagt Ihm ins Gesicht, dass Er dieser mittelbare Grund sei“.48 Bushnell maß Adams und Evas gegensätzlichen Antworten eine tiefe Be­ deutung bei. Dadurch, dass er „falsche Anklage gegen Gott vorbrachte“, habe sich Adam „auf die Seite der Schlange“ geschlagen. Eva hingegen „entlarvte Satans Charakter vor seinem eigenen Angesicht und schuf damit Feindschaft zwischen sich und ihm“.49 Dieser Unterschied war für Bushnell der entschei­ dende Hintergrund für die Interpretation der „Flüche“, der Strafsprüche in Gen 3,14–19. Weshalb, so fragte sie, hätte Adam, „der Gott mangelnde Weis­ heit vorwarf und Satan vor Tadel schützte, […] zur Herrschaft über die Frauen erhoben werden“, und warum hätte es ihm fortan erlaubt sein sollen, „nach seinen eigenen Launen vorzuschreiben, mit wie viel oder wie wenig an kör­ perlichem Leid sie für seine fleischliche Schwäche bezahlen soll!“50 Wenn irgendjemand Eva durch einen Fluch hätte Leid zufügen wollen, so Bushnells Überlegung, dann kein anderer als Satan, den sie sich soeben zum Feind gemacht hatte. Durch sorgfältige Textanalyse kam Bushnell also zu dem Schluss, dass der Fluch nicht Evas göttliche Bestrafung, sondern im Gegenteil das Werk Satans und Eva als Vergeltung dafür zugedacht gewesen sei, dass sie nicht ihren Gott, sondern die betrügerische Schlange habe verantwortlich machen wollen.51 Demzufolge sei es nicht Eva, sondern Adam gewesen, der aus Eden vertrieben wurde. Denn Adam habe Eva selbst dann noch, als er der Tatsache seines geistigen Todes ins Auge sah – ihm war ja verheißen worden, dass er „ganz sicher sterben würde“, wenn er von dem Baum aß –, „Leben“ genannt und damit den geistigen Kontrast zwischen sich selbst und seiner Frau verdeutlicht.52 Und doch begegnet man, wenn man weiterliest, Eva au­ ßerhalb des Gartens. Hier, erklärte Bushnell, zeigten sich die unmittelbaren Folgen aus Gen 3,16: Eva habe daraufhin die verhängnisvolle Entscheidung getroffen, sich von Gott ab- und ihrem Mann zuzuwenden, ihm zu folgen und Eden ihrerseits zu verlassen.53 47 Ebd., 68; Gen 3,12f. 48 Bushnell, GWTW, 69. 49 Ebd., 71. 50 Ebd., 104. 51 Ebd. 52 Ebd., 95–97. 53 Ebd., 122.

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Bezeichnenderweise sprach Bushnell auch die Frauen nicht von jeder Sün­ de frei. Vielmehr gelangte sie zu einer weitreichenden Neudeutung dessen, was für die Frauen und was für die Männer Sünde heißt. Sie vertrat die Auf­ fassung, dass die übliche Assoziation zwischen Sünde und Stolz im Hinblick auf die Männer weiterhin gültig sei, dass die Frauen aber seit dem Sündenfall weit eher dazu neigten, die Sünde unangemessener Demut zu begehen. So­ wohl Adam als auch Eva hätten, als sie vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse aßen, sein wollen „wie Gott“, und das sei eine Sünde des Stolzes. Wäh­ rend Eva jedoch bereut habe, habe Adam an seiner Auflehnung festgehalten, und seit dieser Zeit stritten Gott und der Mann um den Thron. Aber welche Rolle, fragte sich Bushnell, hatte Gott den Frauen in diesem Streit zugedacht? Einer Tradition zufolge, die von männlichen Exegeten begründet worden sei – Männern, die, so Bushnell, diesen Kampf um den Thron noch immer für sich zu entscheiden suchten –, sollten die Frauen „ihre Demut zeigen, ihre Bereit­ schaft, einen niederen Platz einzunehmen“, und sie sollten „zeigen, dass sie niemandem“, nicht einmal den Engeln Gottes, „sondern NUR DEM MANN Loyalität schulden“.54 Würden aber die Frauen, so Bushnell weiter, wenn sie dieser Aufforderung Folge leisteten, nicht zu Komplizinnen des Mannes in seinem Kampf gegen Gott? „Die Frauen wären wahnsinnig, wenn sie das tä­ ten!“, rief sie aus, „und das dann auch noch Demut nennten!“55 Für Bushnell widersprach die Autorität der Männer über die Frauen dem Willen Gottes und perpetuierte die ursprüngliche Auflehnung des Mannes gegen Gott. „Satan wusste ganz genau, weshalb er eine Beleidigung Gottes in die Kleider der ‚Demut‘ und ‚Weiblichkeit‘ hüllte“. Die Männer, die Frauen drängten, still, unterwürfig und „weiblich“ zu sein, seien in Adams Fußstapfen getreten und hätten sich mit dem Teufel verbündet.56 Die Frauen ihrerseits hätten damit, dass sie sich nicht Gott, sondern den Männern unterwarfen, die Sünde Evas begangen. Mit einem Streich stellte Bushnell die theologischen Begriffe von männlicher und weiblicher Tugend und Lasterhaftigkeit auf den Kopf und wandte sich damit frontal gegen die Weiblichkeitskonstruktionen des vikto­ rianischen Zeitalters. Bushnell betrachtete ihre Bibelstudien als „wesentlich für die Förderung der Sittlichkeit“.57 Evas Rehabilitation war ein entscheidender erster Schritt, doch sie wusste, dass weitere Schritte folgen mussten, wenn die theologi­ schen Wurzeln der sexuellen Doppelmoral beseitigt werden sollten. Schon zu einem frühen Zeitpunkt ihrer bibelwissenschaftlichen Arbeit waren ihr Stellen aufgefallen, an denen Übersetzer einem Wort eine „ungewöhnliche Bedeutung“ beigaben, wenn es sich auf eine Frau bezog, und dass dieses 54 Ebd., 390; Bushnell zitiert hier den Dekan von Westminster, Arthur Penryn Stanley. 55 Bushnell, GWTW, 391. 56 Ebd. 57 Bushnell an Dummer, 20. Mai 1921, in: Ethel Sturges Dummer Papers, Schlesinger Library, Radcliffe Institute, Cambridge, Mass.

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Muster einer geschlechtsspezifischen Falschübersetzung alarmierend häufig dort auftrat, wo von der Tugend der Frauen die Rede war. Der eklatanteste Beleg für diese Tendenz ließ sich im Zusammenhang mit der hebräischen Vokabel beobachten, die üblicherweise mit „Kraft, Stärke oder Tüchtigkeit“ konnotiert war.58 Von dieser Regel gab es jedoch vier Ausnahmen: „Jedes Mal dann, wenn es sich ausdrücklich auf eine Frau bezog“, hatten Übersetzer dem Wort eine andere Bedeutung zugewiesen: „‚Tugend‘ – das heißt Keuschheit.“59 Die erste dieser Ausnahmen fand sich im Buch Rut, wo Rut, nachdem sie ihr Zuhause und ihre Familie verlassen hatte, um ihre Schwiegermutter Noomi zurück nach Israel zu begleiten, als „eschet chajil“ beschrieben wurde. Bush­ nell selbst hätte aus einer Reihe von Möglichkeiten in Anlehnung an andere Stellen aus dem AT die Übersetzung „eine tüchtige Frau“ oder „eine mutige Frau“ gewählt.60 Doch „fast“ schien es ihr, als ob die präzise Aussage des Texts „unsere englischen Übersetzer nicht gekümmert hätte“, die den Satz mit „du bist eine tugendhafte Frau“ wiedergaben.61 Zwar werde chajil kein einziges Mal in Bezug auf irgendein anderes moralisches Merkmal als Stärke oder Kraft verwendet – doch in diesem Fall habe man es mit einem Mann zu tun, „der eine Frau lobte, und ‚natürlich‘“, wie Bushnell sarkastisch anmerkte, „muss damit ihr keuscher Ruf gemeint sein“.62 Weitere Falschübersetzungen von chajil entdeckte Bushnell in Spr 31, das Theologen lange Zeit als Referenzstelle für die Beschreibung der idealen Frau gedient hatte. Zwar preise der Text die „allgemeine Güte und Verlässlichkeit“ der beschriebenen Frau, ihre „Kraft und Wirksamkeit, ihren Unternehmungs­ geist und Weitblick, ihr frühes Aufstehen, ihre Geschäftstüchtigkeit, ihre Ar­ beit im Garten und am Webstuhl, ihre Muskelkraft, ihre Mildtätigkeit, ihr vorausschauendes Denken, ihre Stickkünste, ihre elegante Kleidung und die Gewänder, die sie für ihren Mann schneidert, ihre Ehrenhaftigkeit, Weisheit, Freundlichkeit, Frömmigkeit…“, erwähne aber „wie es aussieht, mit keinem Wort ihre Reinheit oder ihre Treue gegenüber ihrem Mann in der ehelichen Beziehung“.63 Dennoch hätten die Übersetzer dort, wo der Text sie als eine „eschet chajil“ beschreibe, diesen Ausdruck mit „eine tugendhafte Frau“ wiedergegeben.64 „Wir müssen davon ausgehen“, so Bushnells Einschätzung, „dass die Übersetzer, ohne sich das Original näher anzusehen, voreilig zu dem Schluss kamen, sie wüssten, welche Art von Frau“ als Ideal hochgehal­ ten werden sollte. „Eine tugendhafte Frau, wer findet sie?“ habe zweifellos die Gefühle der Übersetzer wiedergegeben, „doch es gibt nicht die Lehre des 58 Bushnell, GWTW, 623f. 59 Ebd., 624.633. Ausnahmen finden sich in Rut 3,11 und (dreimal so häufig) in Spr 31. 60 Bushnell, GWTW, 625; s. Rut 3,11. 61 Ebd., 626. 62 Ebd. 63 Ebd., 627f. 64 Ebd., 629.

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ursprünglichen Texts wieder“.65 Auch wenn sie einräumte, dass „‚Tugend‘ na­ türlich für eine Frau von unschätzbarem Wert ist“, bestand sie darauf, dass die Pflicht einer Frau „gegenüber ihrem Mann nicht ihre einzige Pflicht ist; es kann nicht ihr ganzes Leben in dieser einen moralischen Eigenschaft zusam­ mengefasst werden.“66 Angesichts dieser abweichenden Übersetzungen von chajil konnte Bush­ nell nur auf eine „instinktive Abneigung, ein Widerstreben“ seitens der Über­ setzer schließen, die es offenbar nicht gerne gesehen hätten, dass die Bibel „eine ‚starke‘ Frau für ihr ‚tapferes‘ Tun“ pries.67 Doch die Frauen, so betonte sie beharrlich, „ziehen es vor, zu wissen, was die Bibel sagt, statt bloß an einen unter Männern beliebten Grundsatz erinnert zu werden.“68 Auch wenn Bushnell einräumte, dass sexuelle Reinheit in der Tat als „eine für Frauen sehr wichtige Eigenschaft“ betrachtet werden musste, vertrat sie die Auffas­ sung, dass Frauen besser gerüstet wären, diese Tugend zu bewahren, wenn man sie von der Kanzel aus in angemessener Weise darin unterrichtete, „an Leib, Verstand und Geist stark“ zu sein.69 Auch als sie ihre Aufmerksamkeit dem NT zuwandte, stieß Bushnell auf ein ähnliches Muster geschlechtsspezifischer Falschübersetzungen. Das grie­ chische Adjektiv sophron (σώφρων) zum Beispiel komme darin viermal vor; zweimal habe man es mit „nüchtern“ und einmal mit „gemäßigt“ übersetzt, doch dort, wo es ausschließlich auf Frauen bezogen sei, habe die King James Version es mit „discreet“, wiedergegeben (Tit 2,5).70 Einen eklatanten Beweis für diesen „Geschlechterbias“ fand Bushnell in Henry Alfords Kommentar zum griechischen NT. Nachdem er sophron mit „selbstbeherrscht“ übersetzt hat, besteht er nichtsdestoweniger darauf, dass „discreet“ „sicherlich besser zu Frauen passt“, weil Ersteres Anstrengung impliziere, „was die Spontaneität zunichtemacht und damit gleichsam die Blüte dieser besten aller weiblichen Gaben abbricht“.71 Bushnell dankte Alford sardonisch für seine Einschät­ 65 Ebd. 66 Ebd. 67 Ebd., 630. 68 Ebd., 631. Bushnell räumte ein, dass Kritiker einwenden könnten, „Tugend“ müsse sich nicht unbedingt auf sexuelle Reinheit beziehen, sondern sei womöglich „eine Summe aus allen moralischen Eigenschaften“, doch sie hielt dem entgegen, dass die English Bible eine Übersetzung für „das gemeine Volk“ sei, das unter „Tugend“ mehrheitlich die Keuschheit einer Frau verstehe. Ebenso war ihr bewusst, dass das Wort virtue, „Tugend“, im lateinischen vir, „Mann“, wurzelte, doch auch in diesem Punkt verwies sie auf den zeitgenössischen Sprachgebrauch: Im Englischen stehe virtue nicht für „Männlichkeit“, sondern bei Männern für „‚Moral‘ im Allgemeinen“ und auf Frauen bezogen für „eine bestimmte Art von Moral“, nämlich die sexuelle Reinheit (GWTW, 632). 69 Bushnell, GWTW, 279.630–633. 70 Ebd., 639. 71 Ebd.

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zung, „Frauen könnten Selbstbeherrschung üben, ohne sich anzustrengen“, fügt jedoch im Namen christlicher Frauen allerorten hinzu: „Wenn wir unsere Bibeln lesen, dann ziehen wir es vor, genau zu wissen, was der Heilige Geist zu uns spricht, statt zwischen ihren Seiten auf die Meinungen noch so bril­ lanter nicht-inspirierter Männer zu stoßen.“72 Auch in einem Wörterbuch zum NT fand Bushnell das Substantiv zu sophron mit einer „weiblichen Bedeu­ tung“, nämlich „Bescheidenheit“, wiedergegeben, was ihren Verdacht, dass die Übersetzer den Wörtern je nach Geschlecht unterschiedliche Bedeutun­ gen zuwiesen, noch erhärtete.73 An anderen Stellen des NT fand sie weitere Beispiele für diesen Bias; so wurde das griechische Wort kosmios (κόσμιος) mit „im äußeren Verhalten und im inneren Leben wohlgeordnet“ übersetzt, aber mit „sittsam“ wiedergegeben, sobald es sich auf die Kleidung der Frauen bezog.74 Und hagnos (ἁγνός), was „rein“ bedeutet und von Bushnell aufgrund der großen Ähnlichkeit der Worte im Griechischen irrtümlicherweise mit „heilig“ (άγιος) übersetzt wurde, wurde fünfmal mit „rein“ oder „klar“, aber jedes Mal dann, wenn es ein weibliches Nomen charakterisierte, mit „keusch“ übersetzt.75 Für Bushnell warf dieses wiederkehrende Muster die Frage auf, weshalb nicht auch Männern Keuschheit beigebracht werden sollte. „Dies mögen nur Kleinigkeiten sein“, so ihre Schlussfolgerung, „doch sie weisen alle in dieselbe Richtung.“76 Bushnell setzte sich auch mit sämtlichen Paulusstellen, die die Autorität der Frauen betrafen, und mit zahlreichen anderen mehr oder weniger bekann­ ten Texten auseinander, um das zentrale Narrativ der Schriften – von der Schöpfung über den Sündenfall bis hin zur Erlösung und Neuschöpfung – einer umfassenden Revision zu unterziehen. Dadurch, dass sie die Sünde der Männer in der Unterdrückung der Frauen und die Sünde der Frauen in der Unterwerfung unter die Männer sah, gelangte Bushnell de facto zu einer Neu­ definition der Erlösung, nämlich als Emanzipation der Frau. Doch auch wenn diese Erlösung durch das Opfer Christi möglich geworden war, reichte das Opfer allein nicht aus, um sie zu vollenden: Die Frauen selbst mussten ihr Ge­ burtsrecht einfordern. In Gen 3,15 hatte Gott verheißen, dass die Nachkom­ men der Frau der Schlange den Kopf zertreten würden, und diese Verheißung hatte sich mit der Ankunft Christi in Teilen erfüllt.77 An anderen Stellen des NT fand Bushnell jedoch Belege dafür, dass Gott den Frauen weitere Erlö­ sungsverheißungen gemacht hatte. Besonders faszinierend ist ihre Interpreta­ tion von Jer 31,22: „Wie lange willst du dich noch abwenden, o du dich abwen­ 72 Ebd. 73 Ebd., 640. 74 Ebd., 644; Bushnell zitiert hier 1 Tim 2,9. 75 Ebd.; hagnos findet sich in Phil 4,8; 1 Tim 5,22; Jak 3,17; 1 Joh 3,3; 2 Kor 7,11; 11,2; Tit 2,5; 1 Petr 3,2. 76 Ebd., 644. 77 Ebd., 71–74.

Globale Aktivitäten und Bibelauslegung durch Frauen

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dende Tochter? Denn der Herr hat [etwas] Neues auf der Erde erschaffen, die Frau wird den Mann herüberführen.“78 „Mit anderen Worten“, so Bushnells Erklärung, „scheint es Gottes Plan zu sein, dass die ‚neue Frau‘ in Chris­ tus Jesus sich nicht mehr wie Eva ‚abwenden‘ und ihrem Mann zuwenden, sondern dass sie Gott allein und ihrer Bestimmung als Mutter treu bleiben soll. Sie wird als Mutter jener Nachkommenschaft nach Gen 3,15 – sowohl des irdischen Jesus als auch des mystischen Christus, nämlich der Kirche – die Männer herüberführen aus der Wildnis des sinnlosen Egoismus hinein in die herrliche Freiheit der Kinder Gottes.“79 Erst „wenn die Frauen der Kirche frei werden“, so Bushnells Überzeugung, würden sich die Verheißungen von Pfingsten erfüllen und werde die Kirche endlich „herauskommen zu jener ‚Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes‘“ (Röm 8,21).80 Allerdings sei „Verheißung nicht Schicksal“, wie Bushnell ihren Leser*innen ins Gedächt­ nis rief, und deshalb müssten die Frauen ihr Geburtsrecht einfordern.81 Ange­ sichts des beispiellosen sozialen Engagements der Frauen ihrer Zeit glaubte Bushnell, dass die endgültige Erlösung der Frauen unmittelbar bevorstand. God’s Word to Women, so ihre Hoffnung, würde ihnen helfen, die sozialen und theologischen Fesseln, die sie solange festgehalten hatten, abzuschüt­ teln, und ihnen das nötige Rüstzeug an die Hand geben, um die Erfüllung der Schrift herbeizuführen und die Wiederkunft Christi einzuleiten.

3.

Bedeutung von Bushnells Wirken

Bushnells Theologie war direkt von ihrem internationalen Aktivismus in­ spiriert, und umgekehrt hoffte sie mit ihrer Theologie einschneidende soziale Veränderungen herbeizuführen. Durch ihre Zurückweisung der traditionel­ len Interpretationen des christlichen Frauenbilds versuchte sie die mächtigen viktorianischen Konventionen wie das patriarchalisch definierte eheliche Verhältnis, den Lobpreis der weiblichen Tugend und Häuslichkeit und die Vorstellung von einer separaten weiblichen Sphäre zu unterminieren. Sie gei­ ßelte die viktorianischen Christen mit starken und beredten Worten für ihre rassistischen und imperialistischen Verhaltensweisen. Im Herbst 1893 hatte 78 Ebd., 413. Die Übersetzung der King James Version lautete an dieser Stelle: „How long wilt thou go about, O thou backsliding daughter? For the Lord hath created a new thing in the earth, A woman shall compass a man.“ Bushnell führte auch Jes 40,10f. und Ps 68,11 als Belege dafür an, dass es die Rolle der Frau sei, das Königtum Christi einzuleiten (ebd., 793). 79 Bushnell, GWTW, 413. 80 Ebd., 798. Bushnell glaubte, dass die Erfüllung von Gen 3,15 in Offb 12 geweissagt war. 81 Bushnell, GWTW, 834.

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Bushnell vor einem internationalen Publikum erklärt, „Satans Bollwerk am heutigen Tag und zur gegenwärtigen Stunde“ seien „die internationale Ras­ senfeindschaft und -voreingenommenheit“.82 Bushnells geschlechtsspezifi­ scher christlicher Internationalismus hatte ihr die Augen für die Grenzen des westlichen Christentums geöffnet und sie zu einer umfassenden Kritik des Patriarchats und der vermeintlichen kulturellen und rassischen Überlegenheit des Westens befähigt.83 Mit der von ihr eröffneten neuen Perspektive auf das christliche Frauen­ bild verband sich für Bushnell letztendlich die Hoffnung, dass für die Frauen ein neues Zeitalter anbrechen würde: eine Ära, in der sie ihre gesellschaftliche und geistliche Erlösung in Christus würden in Anspruch nehmen können, und eine neue Ära auch für die Kirche, die befähigt werden würde, ihrer Sendung gemäß alle Gesellschaften zu Christus zu führen. Bushnell hat die erhofften religiösen und sozialen Revolutionen jedoch nie erreicht. Anfang des 20. Jh. entfremdete sie sich von der WCTU; Willard und Butler waren nicht mehr am Leben, Abstinenz und sittliche Reinheit hatten als treibende Kräfte der angloamerikanischen Frauenbewegungen ausgedient, und Bushnell hatte sich zurückgezogen, um an ihrer neuen Theologie zu arbeiten. Als sie 1916 God’s Word to Women veröffentlichte, hatten sich das Christentum und der Femi­ nismus so tiefgreifend verändert, dass sich dies nachteilig auf die Rezeption ihres Werkes auswirkte. In religiöser Hinsicht hatten Liberale und Konservative die Frontlinien scharf gezogen. Da die liberalen Protestanten das gründliche Studium der Schrift zunehmend vernachlässigten und die Konservativen oft vor gesell­ schaftlichen Reformen zurückscheuten, sahen sich Frauen wie Bushnell, die sich von der biblischen Theologie zum Engagement für die Frauenrechte hat­ ten inspirieren lassen, von beiden Lagern ins Abseits gedrängt. Gleichzeitig wurde die dereinst mächtige Allianz zwischen evangelikalen Reformkräften und Frauenrechtsaktivistinnen durch Veränderungen innerhalb der Frauenbe­ wegung noch weiter untergraben. Im zweiten Jahrzehnt des 20. Jh. sollte eine neue Feministinnen-Generation den Feminismus der sozialen Moral mitsamt seiner Ethik der Selbstbeherrschung zugunsten einer neuen, auf Freiheit ba­ sierenden Sexualethik – für Frauen wie Männer – ablehnen, was dazu führte, dass die ältere Generation der Sittlichkeitsaktivistinnen zunehmend den An­ schluss an den modernen Feminismus verlor. Mit dem Niedergang der einst so lebenssprühenden Welt der weiblichen Reform schrumpfte auch Bushnells Zielgruppe. Mit ihrem Buch gelang es ihr nicht, eine breite Leserschaft zu erreichen, und eine Zeitlang sah es so 82 Union Signal, 2. November 1893, 5. 83 Bushnells Kritik am westlichen Imperialismus stieß allerdings auch an Grenzen. Ein­ gehendere Erläuterungen zu der Frage, inwiefern Bushnell sowohl eine Vertreterin als auch eine Kritikerin der westlichen „Zivilisation“ war, finden sich bei DuMez, A New Gospel, Kapitel 3.

Globale Aktivitäten und Bibelauslegung durch Frauen

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aus, als würden ihr Leben und ihr Werk in Vergessenheit geraten. Gleich­ wohl fand sich unter Evangelikalen und Pfingstlern eine kleine, aber enga­ gierte Anhängerschaft, die sich sowohl der Autorität der Schrift als auch einer Theologie des Frauen-Empowerment verpflichtet fühlten. Von Generation zu Generation weitergegeben, sollte Bushnells Buch endlich bei den christlichen Feministinnen der 1970er und 1980er Jahre auf offene Ohren stoßen. Obwohl ihre Theologie im Schmelztiegel der spätviktorianischen Gesellschaftsreform formuliert worden war, besaßen viele ihrer Erkenntnisse eine erhebliche Re­ levanz für die Fragen, mit denen sich Christinnen beinahe ein Jahrhundert später auseinandersetzten. Ihre Schriften lieferten christlichen Feministinnen nicht nur schlagende Argumente für die religiöse Autorität der Frauen, son­ dern auch das nötige biblische Rüstzeug in ihrem Kampf gegen den häusli­ chen Missbrauch von Frauen und gegen Frauen- und Kinderhandel in Ameri­ ka und überall auf der Welt. Trotz dieser neuerlichen Blüte des christlichen Feminismus im späten 20. Jh. ist das enge Bündnis zwischen Glauben und Feminismus, das Bush­ nells Theologie inspirierte, im heutigen Amerika nicht neu geschmiedet worden. Viele Amerikaner*innen halten Christentum und Feminismus auch weiterhin für nicht miteinander vereinbar. Gleichwohl haben die Ereignisse insofern eine faszinierende Wendung genommen, als Bushnells Lehren bei Christinnen der zweiten und dritten Welt eine wachsende Leserschaft finden. Durch die missionarische Arbeit und die weltweite Präsenz des Internets er­ reicht Bushnells Werk Frauen und Männer an so verschiedenen Orten wie Pakistan, Mexiko und Kenia.84 Frauen, die sich der Autorität der Schrift ver­ pflichtet fühlen und Alternativen zu patriarchalen Kulturen suchen, erkennen sich und ihr Wertesystem in Bushnells Wertesystem oft eher wieder als in den weltlichen Feminismen der westlichen Welt. Wie die Frauen aus Bushnells Generation wenden sich viele Frauen in den heutigen Kirchen an die Bibel, um Lösungen für heutige Gesellschaftsprobleme zu finden, und an den christ­ lichen Glauben, um eine Grundlage für die soziale und religiöse Emanzipati­ on der Frauen zu schaffen.85 Obwohl es Bushnell in ihrer eigenen Zeit letztlich nicht gelungen ist, die einschneidenden religiösen und gesellschaftlichen Ver­ änderungen herbeizuführen, die sie ins Visier genommen hatte, könnte, wenn sich ihre Hoffnungen denn doch noch erfüllen sollten, in der globalen Kirche des 21. Jh. hierfür durchaus Platz sein. 84 Godswordtowomen.org [zuletzt abgerufen am 23.3.2020] wurde 1998 von den drei Pfingstlerinnen Barbara Collins, Gay Anderson und Pat Joyce gegründet. 85 Zu Parallelen zwischen dem spätviktorianischen Protestantismus und der heutigen Situation der globalen Kirche vgl. Philip Jenkins, The New Faces of Christianity: Believing the Bible in the Global South (Oxford: Oxford University Press, 2006), 15f., und Mark A. Noll, The New Shape of World Christianity. How American Experience reflects Global Faith (Downers Grove: IVP Academic, 2009), 11–15.

Maria Stewarts Bibelauslegung im Kontext der afroamerikanischen Frauenbewegung Joy A. Schroeder Capital University, Columbus

„Wie lange sollen die schönen Töchter Afrikas noch gezwungen sein, ihren Verstand und ihre Talente unter einer Last von eisernen Töpfen und Kesseln zu begraben?“1 Mit diesen aufrüttelnden, an Mt 25,18 angelehnten Worten beklagte die politische Rednerin Maria W. Miller Stewart (1803–1879) die begrenzten Bildungs- und Berufschancen afroamerikanischer Frauen in der ersten Hälfte des 19. Jh. Soweit dokumentiert, war Stewart die erste afroame­ rikanische politische Schriftstellerin überhaupt und die erste Amerikanerin, von der wir wissen, dass sie vor einem gemischten Publikum aus Männern und Frauen über politische Themen gesprochen hat. Damit war sie Vorreiterin einer ganzen Reihe schwarzer und weißer Frauen, die im 19. Jh. zur Feder griffen oder auf die Rednertribüne traten, um sich für die Gleichstellung der Rassen und Geschlechter einzusetzen. Stewarts Reden und Schriften waren durch und durch biblisch geprägt. Sie stilisierte sich zu einer verfolgten Prophetin und verglich ihre eigene Lage mit den Bedrängnissen eines Jeremia, eines Paulus oder Jesu selbst. Afroamerikaner*Innen wie Euroamerikaner*Innen (erstere nannte sie „die Söhne und Töchter Afrikas“, letztere „Amerikaner“) sprach sie mit kraftvol­ len Worten an, die an die Urteilssprüche von Propheten wie Jeremia, Dani­ el und Ezechiel oder an die Offenbarung des Johannes erinnerten. Stewart nutzte ihre Redegabe, um die Vereinigten Staaten zur Aufgabe ihrer rassis­ tischen Praktiken zu drängen, während sie die Afroamerikaner*Innen dazu aufrief, sich zusammenzuschließen, um ihre wirtschaftlichen Aussichten und Bildungschancen zu verbessern. Sie verurteilte die sexuelle Ausbeutung afroamerikanischer Frauen durch weiße Männer. Stewarts Worte sind eine flammende Anklage gegen den amerikanischen Rassismus und entwerfen die 1

Maria W. Stewart, Productions of Mrs. Maria W. Stewart: Presented to the First African Baptist Church & Society, of the City of Boston (Boston: Friends of Freedom and Virtue [W. Lloyd Garrison & Isaac Knapp], 1835), hier: Religion and the Pure Principles of Morality: The Sure Foundation on Which We Must Build; Nachdruck in Spiritual Narratives (eingel. v. Sue E. Houchins; Schomburg Library of NineteenthCentury Black Women Writers; New York: Oxford University Press, 1988), 3–22; 16, online: http://digilib.nypl.org/dynaweb/digs/wwm9722 [zuletzt abgerufen am 5.5.2020].

Maria Stewarts Bibelauslegung

229

Vision einer von den biblischen Grundsätzen der Gerechtigkeit und Gleich­ heit gelenkten Gesellschaft.

1.

Maria Stewarts Leben und Werdegang

Der größte Teil der verfügbaren biographischen Informationen über Maria Stewart stammt aus ihren persönlichen Berichten und aus einer kleinen An­ zahl archivierter Dokumente. Maria Miller wurde 1803 in Hartford, Connect­ icut, als Tochter freier Eltern afrikanischer Abstammung geboren. Nachdem sie im Alter von fünf Jahren zur Waise geworden war, wurde sie als Haus­ mädchen an die Familie eines weißen Pfarrers „vermittelt“, die sie zehn Jahre lang großzog. Dort, so berichtet sie selbst, „wurde schon früh die Saat der Frömmigkeit und Tugend in meinen Geist gesät; aber ich war der Vorteile der Bildung beraubt, obwohl meine Seele nach Wissen dürstete.“2 Ihre Erfahrung als Hausmädchen trug ganz erheblich zur Ausprägung ihrer politischen An­ sichten bei. Marilyn Richardson schreibt hierzu: Stewart erwarb jene Erfahrung aus erster Hand, aufgrund derer sie so mitrei­ ßend darüber schreiben konnte, wie sich die endlose Mühe und Plage auf den Verstand und den Geist jener Schwarzen im Norden auswirkte, die sie später nur mehr dem Namen nach als frei betrachten sollte.3

Im Alter von 15 verließ Maria Miller den Pfarrhaushalt. Mehrere Jahre lang besuchte sie an den Wochenenden die Sonntagsschule und erwarb so viel Bil­ dung, wie sie nur konnte. Möglicherweise arbeitete sie als Dienstmädchen, bis sie 1826 den Navy-Veteranen und Bostoner Geschäftsmann James W. Stew­art heiratete, den sie selbst als „leidlich korpulenten, gutgebauten Mann“ und „intelligenten, hellhäutigen Mulatten“ beschrieb.4 Obwohl Maria Stewart anscheinend ihr gesamtes Erwachsenenleben hindurch der Episkopalkirche angehörte, wurde das Paar in der afrikanischen Baptistenkirche in Boston getraut. James Stewart, der zu dieser Zeit etwa 30 Jahre alt war, arbeitete als Schiffsspediteur, der Walfänger und Fischkutter ausrüstete. Nach dem Tod

2 Stewart, Productions, 3. 3 Marilyn Richardson, Maria W. Stewart, America’s First Black Woman Political Writer: Essays and Speeches (Bloomington: Indiana University Press, 1987), xv. 4 Pension Claim file No. 35165, War of 1812, Claim of Widow for Service Pension, The National Archives, Washington, D. C. [Pensionsantrag Nr. 35165, Krieg von 1812, Pensionsantrag der Witwe eines Kriegsdienstleistenden, Nationalarchiv Washington, D. C.], zitiert nach Richardson, Maria W. Stewart, 3.

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ihres Mannes 1829 wurde Maria Stewart von skrupellosen weißen Testa­ mentsvollstreckern um ihr beträchtliches Erbe betrogen.5 Stewart trauerte tief über den Tod ihres Mannes. Gleich im darauffol­ genden Jahr traf sie der nächste heftige Schicksalsschlag, als ihr Freund und Mentor David Walker (1785–1830), ein in Boston ansässiger afroamerikani­ scher Aktivist, unter ungeklärten Umständen zu Tode kam. Wie viele andere war auch Stewart davon überzeugt, dass Walker aufgrund seiner politischen Ansichten ermordet worden war. Inmitten ihrer Verzweiflung hatte sie ein Bekehrungserlebnis und ließ sich taufen. Ihre Konversion gab ihr die Kraft, öffentliche Reden zu halten, und sie spürte eine innere, religiöse Berufung, sich für eine gerechte Behandlung der Afroamerikaner*Innen einzusetzen. Sie verglich ihre emotionale Erschütterung und nachfolgende Bekehrung mit der Erfahrung des Besessenen von Gerasa, den Jesus geheilt hatte (Lk 8,26– 39). Der von Dämonen besessene, an Händen und Füßen und auch geistig gefesselte Mann tobte wie ein Tier und lebte nackt zwischen den Gräbern. Nachdem Jesus ihn geheilt hatte, saß der Mann „bekleidet und bei Verstand“ (Lk 8,35)6 zu Füßen seines Erlösers. Mit Anklängen an die Ausdrucksweise der Bibel schreibt Stewart über sich selbst: In meiner Phantasie sah ich mich selbst, in meinen vernünftigen Geist gekleidet, zu Füßen Jesu sitzen. Denn zuvor war ich wie ein Schiff gewesen, das auf stür­ mischer See hierhin und dorthin geschleudert wird.7

1832 und 1833 hielt Stewart in Boston – an Veranstaltungsorten wie der Afri­ can Masonic Hall und der Franklin Hall – vier öffentliche Vorträge. Einer da­ von richtete sich an die Afric-American Female Intelligence Society of Boston, eine Selbsthilfeorganisation, die einmal im Monat im Untergeschoss der afri­ kanischen Baptistenkirche in der Belknap Street zum Literaturstudium zu­ sammenkam.8 Mehrere von Stewarts Beiträgen wurden im „Frauenteil“ von William Lloyd Garrisons und Isaac Knapps einflussreicher abolitionistischer Zeitschrift The Liberator abgedruckt. Den politischen Essay Religion and the Pure Principles of Morality (1831) veröffentlichten Garrison und Knapp in der Form eines Pamphlets.9 Eine Auswahl ihrer geistlichen Gedanken und Gebete wurde in einem Pamphlet mit dem Titel Meditations from the Pen of Mrs. Maria W. Stewart publiziert (1832). Der Großteil von Stewarts Schriften erschien gesammelt in einem 84 Seiten starken Buch, das Garrison and Knapp 1835 unter dem Titel Productions of Mrs. Maria W. Stewart herausgaben. 5 6 7 8 9

Richardson, Maria W. Stewart, 3–7. Alle Bibelzitate im deutschen Text folgen der Einheitsübersetzung 2016. Stewart, Productions, 73. Hilary J. Moss, Schooling Citizens: The Struggle for African American Education in Antebellum America (Chicago: University of Chicago Press, 2009), 169. Stewart, Productions, 3–22.

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Stewarts Leben in Boston war mühevoll. Obwohl der oberste Gerichtshof des Staates Massachusetts die Sklaverei 1783 abgeschafft hatte und Boston zu einem Zentrum der abolitionistischen Bestrebungen geworden war, herrschte in der Stadt nach wie vor Rassentrennung.10 Weiße Bostoner*Innen verun­ glimpften den Teil von Beacon Hill, wo viele schwarze lebten, als „Nigger Hill“.11 Die wirtschaftlichen Aussichten der Bostoner*Innen afrikanischer Abstammung waren, wie Stewart bestätigt, begrenzt, und sie mussten zahl­ reiche Demütigungen ertragen. Die Schulen waren nach Rassen getrennt. Die meisten afroamerikanischen Kinder und Erwachsenen hatten reduzierte Bildungschancen.12 Zwar gab es in Boston vielfältige Beschäftigungsmög­ lichkeiten für afroamerikanische Männer, doch beschränkten sich diese in der Regel auf häusliche Dienststellen oder schwere körperliche Arbeiten. Die Einstellungschancen für Frauen waren noch schlechter.13 Stewarts Essays und Reden zeigen, dass Stewart die rassistische Behand­ lung von Afroamerikaner*Innen in den Nordstaaten für kaum besser hielt als die Sklaverei im Süden. Sie verurteilte den Mangel an Bildungs- und Be­ schäftigungschancen für afroamerikanische Männer und Frauen. Besonders kritisch stand sie der „Kolonialisierungslösung“ gegenüber, die von vielen Weißen wie auch Schwarzen vertreten wurde und die darin bestand, afrika­ nischstämmige Amerikaner*Innen „zurück“ nach Afrika – in die Kolonie Li­ beria – zu schicken. Sie betrachtete diese Bestrebungen als rassistischen Ver­ such, sich der schwarzen Einwohner*Innen Amerikas zu entledigen. Stew­art fürchtete, dass Afroamerikaner*Innen womöglich zwangsumgesiedelt wer­ den würden: „Sie würden uns in ein fremdes Land jagen. Doch ehe ich gehe, soll mich das Bajonett durchbohren.“14 Stewart war sehr direkt. Manchmal übte sie Kritik an ihren afroamerika­ nischen Schicksalsgenoss*Innen, die ihrer Meinung nach nicht genug taten, um ihre Chancen auf wirtschaftlichen und politischen Erfolg zu verbessern. Offenbar schlug ihr vonseiten einiger afroamerikanischer Bostoner*Innen Ablehnung entgegen, da sie der Auffassung waren, dass Frauen nicht in der

10 Susan Roberson, „Maria Stewart and the Rhetoric of Mobility“, Journal of International Women’s Studies 4/3 (2003): 56–61; 57. 11 Richardson, Maria W. Stewart, 4. 12 Moss, Schooling Citizens, 130–163. 13 Richardson, Maria W. Stewart, 4: Das städtische Verzeichnis für das Jahr 1826 lis­ tet schwarze Angestellte in einer ganzen Reihe von Beschäftigungen auf. Sie arbeite­ ten unter anderem als Kellner, Kutscher, Matrosen, Barbiere und Frisöre, Händler mit neuer und gebrauchter Kleidung, Schneider, Holzsäger, Musiker und Fuhrmänner. Die große Mehrheit der Männer wird jedoch einfach als Arbeiter aufgeführt. Schwar­ ze Frauen werden als Köchinnen, Wäscherinnen und Bordellbesitzerinnen gelistet. Das Verzeichnis enthält zwei Pfarrer; keine Ärzte und auch keine Anwälte. 14 Stewart, Productions, 72.

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Öffentlichkeit sprechen sollten.15 Stewarts Karriere als Rednerin war nicht von langer Dauer. Frances Smith Foster schreibt: Leider konnte Stewart dem sozialen Druck, der Frauen gleich welcher Hautfarbe die Redefreiheit versagte, nicht lange standhalten. Kaum ein Jahr nach ihrem ersten öffentlichen Vortrag zog sich Maria W. Stewart von der Rednertribüne zurück.16

Nach einer Abschiedsansprache an ihre Freunde in der Stadt Boston im Sep­ tember 1833 ging Stewart nach New York. Dort erhielt sie Unterstützung von Alexander Crummell (1819–1898), einem afroamerikanischen Priester der Episkopalkirche und politischen Aktivisten. Sie nahm Unterricht in „Arith­ metik, Geografie, Grammatik und anderen Fächern“.17 Schließlich war sie selbst an verschiedenen New Yorker Schulen als Lehrerin tätig. Sie trat einer Literaturgesellschaft von Afroamerikanerinnen bei und nahm 1837 an der Gründungsversammlung der Women’s Anti-Slavery Convention teil.18 1852 zog Stewart nach Baltimore, Maryland. Dort eröffnete sie eine Schule und versuchte, sich als Lehrerin ihren Unterhalt zu verdienen. Sie selbst schreibt, dass sie ihren Schüler*Innen aus mangelnder Erfahrung in geschäftlichen Dingen zu wenig Schulgeld berechnet habe.19 1859 zog Stewart nach Washington, D. C., und unterrichtete dort an einer Schule, die von Baptisten unterhalten wurde. Als sich im Vorfeld des ame­ rikanischen Bürgerkriegs der politische Konflikt zwischen den Nord- und den Südstaaten zuspitzte, galten die Angehörigen der Episkopalkirche (die Stewarts Beschreibung zufolge „bei der Regierung nicht beliebt“ waren) bei vielen, die den Norden unterstützten, als Sympathisant*Innen des Südens.20 Stewart verlor ihre Stelle als Lehrerin, weil sie sich weigerte, der protestan­ tischen Episkopalkirche den Rücken zu kehren und Baptistin zu werden. Sie hielt der Episkopalkirche auch dann noch die Treue, als sie innerhalb ihrer überwiegend euroamerikanischen Konfession zur Zielscheibe rassistischer Anfeindungen wurde. Eine der Demütigungen, denen sie ausgesetzt war, be­ stand darin, dass man sie gelegentlich überging, wenn sie nach vorne kam, 15 Ebd., 75. 16 Frances Smith Foster, Written by Herself: Literary Production by African American Women, 1746–1892 (Bloomington: Indiana University Press, 1993), 4. 17 Maria W. Stewart, Meditations from the Pen of Mrs. Maria W. Stewart, (Widow of the Late James W. Stewart), Now Matron of the Freedmen’s Hospital, and Presented in 1832 to the First African Baptist Church and Society of Boston, Mass. (Wash­ ington: Enterprise Publishing Company, 1879), 10, online: https://archive.org/details/ meditationsfromp00stew/page/n4/mode/2up [zuletzt abgerufen am 4.5.2020]. 18 Richardson, Maria W. Stewart, 27. 19 Stewart, Meditations, 13f. 20 Ebd., 15.

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um das Abendmahl zu empfangen.21 Sie verglich sich selbst – eine schwar­ ze Frau in einer überwiegend weißen Gemeinde – mit den Märtyrern und Märtyrerinnen, die „Johannes in einer Vision auf der Insel Patmos sah und die Harfen in ihren Händen hielten“ (Offb 14,1–5).22 Als sich die St. Mary’s Church in Washington, D. C., als Episkopalkirche für Afroamerikaner*Innen konstituierte, „jubelte“ sie darüber, dass sie nun endlich „nicht nur in der pro­ testantischen Episkopalkirche, sondern in der Heiligen, über die ganze Welt hin allgemeinen (= katholischen) Kirche ein Zuhause“ gefunden hatte.23 1871 wurde Stewart Leiterin des Freedman’s Hospital (heute Howard University Hospital) in Washington, D. C. Später erfuhr sie, dass ihr als Wit­ we eines Veteranen aus dem Krieg von 1812 eine Pension zustand. 1878, als sie eine großzügige Pension erhielt und man ihr eine staatliche Landzuteilung von 160 Hektar garantierte, nahm sie einen Teil der Einkünfte, um die Wie­ derveröffentlichung ihrer Schriften zu finanzieren. Die daraus entstandenen Meditations from the Pen of Mrs. Maria W. Stewart (1879), die unter dem­ selben Titel erschienen wie ihr kurzes Pamphlet aus dem Jahr 1832, setzten sich aus den in ihrem Buch Productions (1835) enthaltenen Arbeiten, ergän­ zendem autobiographischem Material und Empfehlungsschreiben herausra­ gender Persönlichkeiten wie William Lloyd Garrison und diverser Geistlicher zusammen. Sie starb 1879, dem Erscheinungsjahr ihres Buches, dessen Ver­ öffentlichung sie noch erlebt hatte.

2.

Öffentliche Stimmen: Afroamerikanische Rednerinnen und Schriftstellerinnen

Der zeitliche Rahmen von Stewarts öffentlicher Karriere überschnitt sich mit dem öffentlichen Wirken ihrer bekannteren afroamerikanischen Zeitgenos­ sinnen wie der abolitionistischen Rednerin und ehemaligen Sklavin Sojourner Truth (ca. 1797–1883) sowie den Predigerinnen Jarena Lee (geb. 1783), Zilpha Elaw (geb. 1790) und Julia Foote (1823–1900). Als freigeborene afrikanisch­ stämmige Frauen aus dem Norden, die bei der Ausübung ihres geistlichen Amtes enorme Kämpfe auszufechten hatten, können Lee, Elaw und Foote in vielerlei Hinsicht mit Stewart verglichen werden. Jede von ihnen verbrach­ te einen Teil ihrer Kindheit als „ausgeliehenes“ Dienstmädchen im Haushalt einer weißen Familie: eine gängige Erfahrung für afroamerikanische Mäd­ chen ebenso wie für euroamerikanische Mädchen aus ländlichen Gebieten und weniger wohlhabenden Bevölkerungsschichten. Jede von ihnen trat in der 21 Ebd., 22. 22 Ebd. 23 Ebd.

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Öffentlichkeit als Rednerin auf, und jede von ihnen finanzierte letztendlich die Veröffentlichung ihres eigenen Buches. Obwohl Stewart nie eine Predigt hielt, hatte sie vieles mit den Predigerin­ nen gemeinsam, die während des Second Great Awakening (ca. 1790–1844) und danach in Amerika aktiv waren. Ähnlich wie die meisten Predigerinnen ihrer Zeit berichtet Stewart von einem Bekehrungserlebnis, einem göttlichen Ruf und einer geistlichen Beauftragung. Wie sie musste sie ihr Recht vertei­ digen, in der Öffentlichkeit Reden zu halten. Ihre Gegner*Innen hielten den Predigerinnen und Rednerinnen Bibelstellen wie 1 Tim 2,11f. entgegen: „Eine Frau soll sich still und in voller Unterordnung belehren lassen. Dass eine Frau lehrt, erlaube ich nicht, auch nicht, dass sie über ihren Mann herrscht; sie soll sich still verhalten.“ Ähnliche Verwendung fand auch 1 Kor 14,34f.: „[…] sol­ len die Frauen in den Versammlungen schweigen; es ist ihnen nicht gestattet zu reden: Sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt. Wenn sie etwas lernen wollen, dann sollen sie zu Hause ihre Männer fragen; denn es gehört sich nicht für eine Frau, in der Versammlung zu reden.“ Eine verbreitete rhetorische Strategie im Umgang mit ntl. Verboten weib­ licher Rede bestand bei Afroamerikanerinnen wie bei Euroamerikanerinnen darin, sich bei ihrer öffentlichen Redetätigkeit auf das Beispiel von bibli­ schen Frauen wie Maria Magdalena (Mt 28,1–10), Mirjam (Ex 15,20), Debora (Ri 4,4), Hulda (2 Kön 22,14–20) und den Töchtern des Philippus (Apg 21,9) zu berufen.24 Jarena Lee, eine Predigerin der afrikanischen methodistischen Episkopalkirche aus Philadelphia, fragte: Hat denn Maria [Magdalena] nicht als Erste den auferstandenen Erlöser verkün­ digt und ist nicht die Lehre von der Auferstehung der eigentliche Höhepunkt des Christentums – hängt nicht all unsere Hoffnung daran, wie der heilige Paulus zeigt? Hat also Maria, eine Frau, nicht das Evangelium gepredigt? Denn sie pre­ digte die Auferstehung des gekreuzigten Gottessohnes.25

Von einer Engländerin herausgefordert, verteidigte Zilpha Elaw ihr Amt mit dem Hinweis, dass „der Herr, der Debora als Prophetin und Richterin Seines Volkes aufstehen ließ und es Hulda eingab, Gottes Ratschlüsse zu verkünden, mich ausgesandt hat“26 als methodistische Predigerin. Stewart argumentierte 24 Joy A. Schroeder, Deborah’s Daughters: Gender Politics and Biblical Interpretation (New York: Oxford University Press, 2014), 149. 25 Jarena Lee, Religious Experience and Journal of Mrs. Jarena Lee, Giving an Account of Her Call to Preach the Gospel (Philadelphia: o. V., 1849), Nachdruck in Spiritual Narratives (eingel. v. Sue E. Houchins; Schomburg Library of Nineteenth-Century Black Women Writers; New York: Oxford University Press, 1988), 11, online: https:// archive.org/details/religiousexperi00leegoog/page/n7/mode/2up [zuletzt abgerufen am 5.5.2020]. 26 Zilpha Elaw, Memoirs of the Life, Religious Experience, Ministerial Travels, and Labours of Mrs. Elaw (1846), in Sisters of the Spirit: Three Black Women’s Autobiog-

Maria Stewarts Bibelauslegung

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ähnlich, als sie sich in ihrer Bostoner „Abschiedsansprache“ von 1833 auf das Beispiel von Frauen aus der Hebräischen Schrift und aus dem Neuen Testa­ ment berief: Und was liegt daran, ob ich eine Frau bin? Ist denn nicht der Gott der alten Zei­ ten auch der Gott dieser neuen Tage? Hat er nicht Debora aufstehen lassen als Mutter und Richterin in Israel? Hat nicht Königin Ester das Leben der Juden ge­ rettet [Est 4,1–8,17]? Und hat nicht Maria Magdalena als Erste die Auferstehung Christi von den Toten verkündet? Und sagte nicht die Frau aus Samaria: Kommt her, seht, da ist ein Mensch, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe: Ist er vielleicht der Christus? [Joh 4,29]?27

„Stewarts Verweise auf Stellen aus der Schrift“, merkt Suzanne Marilley an, „zeigen, dass alle Frauen in den Schriften versiert waren und sich an Vorbil­ dern orientierten, die sich auf eine weit mächtigere Autorität stützten, als es die Ideale der Freiheit und Gleichheit damals gewesen sein können.“28 Predi­ gerinnen und Rednerinnen mussten erklären, dass sie mit ihren öffentlichen Reden nicht gegen die Regeln verstießen, die Paulus, der Verfasser des Korin­ therbriefs und mutmaßliche Verfasser des ersten Timotheusbriefs, aufgestellt hatte. Elaw glaubte, dass das über die Frauen verhängte Rede- und Lehrverbot zum „ordentlichen Verlauf der Kirchenordnung“ gehörte, dass aber „diese Regel nicht dazu bestimmt war, die außerordentlichen Weisungen des Hei­ ligen Geistes zu beschränken.“29 Elaw räumte also einerseits ein, dass die paulinischen Verbote normalerweise maßgeblich waren, hatte aber anderer­ seits das sichere Gefühl, dass ihr eigenes Amt – und das anderer Frauen mit einer ähnlich außerordentlichen Berufung – vom Heiligen Geist ermächtigt war.30 Julia Foote, Missionarin, Predigerin und ordinierte Älteste der African Methodist Episcopal Zion Church, nutzte die Worte desselben Paulus und insbesondere seine Empfehlung von Mitarbeiterinnen als Argument für ihre eigene Predigttätigkeit: Doch die Bibel setzt diesem Zank ein Ende, wenn sie sagt: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich“ [Gal 3,28]. Philippus hatte vier Töchter, die prophetisch redeten oder predigten. Paulus nannte Priska und Aquila seine „Helfer“ oder, wie im Griechischen, seine

27 28 29 30

raphies of the Nineteenth Century (hg. v. William L. Andrews; Bloomington: Indiana University Press, 1986), 49–160; 147. Stewart, Productions, 3. Suzanne M. Marilley, Woman Suffrage and the Origins of Liberal Feminism in the United States, 1820–1920 (Cambridge: Harvard University Press, 1996), 33. Elaw, Memoirs, 124. Mitzi Jane Smith, „Zilpha Elaw“, in Handbook of Women Biblical Interpreters: A Historical and Biographical Guide (hg. v. Marion Taylor und Agnes Choi; Grand Rapids: Baker Books, 2012), 185–187; 186f.

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„Mitarbeiter.“ Röm 15,3 [sic! 16,3]; 2 Kor 8,23; Phil 2,5 [sic! 2,25]; 1 Thess 3,2. Dasselbe Wort, das dort, wo von Phöbe die Rede ist, in unserer üblichen Über­ setzung heute mit „a servant of the church“ wiedergegeben wird (Röm 15,1 [sic! 16,1]), wird dort, wo es um Tychikus geht, mit „minister“ übersetzt. Eph 6,21. Wenn Paulus gesagt hat: „Helft diesen Frauen, die mit mir für das Evangelium gearbeitet haben“ [Phil 4,3], dann meinte er damit wohl kaum, dass sie bloß Tee ausgeschenkt haben.31

Stewart ihrerseits nutzte einen „situativen“ Ansatz und stellte sich vor, wie Paulus reagiert hätte, wenn er mit den Erfahrungen afroamerikanischer Frau­ en im Amerika des 19. Jh. konfrontiert gewesen wäre. Wenn er hätte sehen können, wie schwarze Frauen behandelt wurden, hätte er Stewarts öffentli­ chen Protest ganz sicher unterstützt: Der heilige Paulus hat erklärt, dass es eine Schande sei, wenn eine Frau in der Öffentlichkeit spreche, aber unser großer Hoher Priester und Anwalt verzichtete darauf, eine Frau wegen eines viel offenkundigeren Verstoßes zu verurteilen [Joh 8,1–11] und wird auch diesen unwürdigen Wurm nicht verurteilen. Das ge­ knickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslö­ schen, bis er dem Recht zum Sieg verholfen hat [Mt 12,20]. Wüsste der heilige Paulus nur von dem Unrecht und den Entbehrungen, die wir leiden, dann, so nehme ich an, hätte er nichts dagegen einzuwenden, dass wir öffentlich für un­ sere Rechte eintreten.32

Mit anderen Worten: die Vorbehalte des Apostels gegen Frauen, die in der Öffentlichkeit reden, seien nicht auf die gegenwärtige – von Rassismus und einer krassen Benachteiligung der Afroamerikaner und insbesondere der Af­ roamerikanerinnen gekennzeichnete – Extremsituation anwendbar.

3.

Eine verfolgte Prophetin und der Zorn Gottes

Stewart berief sich auf weibliche Beispiele aus der Bibel und lehnte die res­ triktiven Interpretationen paulinischer Texte über das Schweigen der Frauen ab. Die Hauptstrategie, die sie verfolgte, um ihrer öffentlichen Stimme Auto­ rität zu verleihen, bestand jedoch darin, dass sie in die Rolle einer biblischen Prophetin schlüpfte, um ihre Zuhörerschaft zur Buße aufzurufen und einer rassistischen Nation den göttlichen Urteilsspruch zu verkünden. Cedrick May 31 Julia A. J. Foote, A Brand Plucked from the Fire: An Autobiographical Sketch (Cleveland: Lauer & Yost, 1886); Nachdruck in Spiritual Narratives (eingel. v. Sue E. Houchins; Schomburg Library of Nineteenth-Century Black Women Writers; New York: Oxford University Press, 1988), 79. 32 Stewart, Productions, 75.

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bemerkt: „Stewart schuf sich eine öffentliche Identität als Prophetin.“33 Chan­ ta Haywood erklärt, dass Afroamerikanerinnen wie Stewart den Begriff der „prophetischen Rede“ als „ein Bild für göttlich inspirierte Gesellschaftskritik“ gebrauchten.34 Mit prophetischem Sprachduktus und Anklängen an männli­ che Prophetengestalten wie Jeremia und Ezechiel erhob Stewart schwere Vor­ würfe gegen die weißen Amerikaner*Innen, die sie der Heuchelei und Bruta­ lität beschuldigte. In ähnlicher Weise tadelte sie auch ihre afroamerikanische Hörerschaft, weil es ihr nicht gelinge, sich zusammenzutun und gemeinsam für die Moral und für politische Reformen einzutreten. Möglicherweise war die von Stewart angenommene Prophetenrolle in ih­ rem besonderen Kontext besonders notwendig und sinnvoll. Linda M. Grasso hat darauf hingewiesen, dass viele Frauen des 19. Jh., die auf Häuslichkeit und einen „Mittelschicht-Kodex der emotionalen Zurückhaltung“ hin sozialisiert gewesen seien, Probleme damit hatten, Zorn zu äußern.35 Wenn sie Empörung oder Wut zum Ausdruck brachten – und mögen sie auch noch so berechtigt gewesen sein –, setzten sie sich der Kritik der anderen und ihren eigenen in­ neren Konflikten aus. Dieses Ideal der weißen Mittelschicht teilten auch viele Afroamerikanerinnen.36 In einem solchen Kontext gab Stewarts prophetisches Sendungsbewusst­ sein ihr die Möglichkeit, sich mithilfe einer biblischen Sprechweise „den Standpunkt eines zornigen, patriarchalischen Gottes zu eigen zu machen und die Welt dennoch nach wie vor aus der Sicht einer Frau zu betrachten.“37 Selbst wenn sie starke, göttlich inspirierte Worte aussprach, bezeichnete sie sich als ein demütiges Instrument: Mir ist bewusst, dass meine Schriften den Mangel an Wissen erkennen lassen und dass sie kaum wert sind, gelesen zu werden. Doch wie ich schon zuvor ge­ sagt habe, so sage ich es wieder: Solches Wissen, wie Gott es mir gegeben hat, gebe ich an euch weiter.38

Als eines ihrer Vorbilder wählte Stewart den Propheten Jeremia. Jeremia wirkte in den 40 Jahren, die mit der Zerstörung Jerusalems durch das baby­ lonische Reich 587–586 v. Chr. endeten. Mit starken Worten verurteilte er die 33 Cedrick May, Evangelism and Resistance in the Black Atlantic, 1760–1835 (Athens: University of Georgia Press, 2008), 117. 34 Chanta M. Haywood, Prophesying Daughters: Black Women Preachers and the Word, 1823–1913 (Columbia: University of Missouri Press, 2003), 21. 35 Vgl. dazu Linda M. Grasso, The Artistry of Anger: Black and White Women’s Literature in America, 1820–1860 (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 2002), 52f. 36 Vgl. ebd., 53. 37 Ebd., 53. 38 Stewart, Productions, 23.

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Sünden und die Treulosigkeit seines Volkes und warnte vor Gottes bevorste­ hendem Urteil. Das biblische Buch enthält Gottesworte und erzählt von der Verfolgung, die der Prophet durch sein eigenes Volk erlitt (Jer 37,11–38,6). Stewart wandte sich in einem ähnlichen Stil an ihre Nation: O Amerika, Amerika, wie faulig und unauslöschlich ist deine Befleckung! Dun­ kel und düster ist die Wolke, die über dir hängt wegen deiner grausamen Untaten und Ungerechtigkeiten an den gefallenen Söhnen Afrikas.39

Jer 8,23 paraphrasierte sie zu einer herzzerreißenden Klage: Ich fühle mich fast außerstande, zu euch zu sprechen; fast unfähig, die Aufga­ be zu erfüllen; und zuweilen war ich kurz davor, auszurufen: Ach, wäre mein Haupt doch Wasser, mein Auge ein Tränenquell: Tag und Nacht beweinte ich die Erschlagenen der Tochter, meines Volkes.40

Stewart wies auf Parallelen zwischen Jeremia und ihrer eigenen Zeit hin: Ich denke wirklich, dass wir uns in einem ebenso elenden und erbärmlichen Zustand befinden wie das Haus Israel in den Tagen des Jeremia.41

Ihre eigenen Kämpfe sind wie die der Propheten und des geplagten Vol­ kes aus biblischer Zeit. In Anlehnung an die Worte aus Jer 29,18 (die an die Exilierten gerichtet sind) erklärt sie, ihre Reden, mit denen sie für die Afroamerikaner*Innen eingetreten sei, hätten sie „zum Fluch und zum Ent­ setzen, zum Hohn und Gespött aller Völker“ gemacht, „denn auch ich bin eine der elenden und erbärmlichen Töchter der Abkömmlinge des gefallenen Afrika.“42 In einigen ihrer heftigsten Kritiken lehnt sich Stewart sprachlich an die Offenbarung und insbesondere an die Verse an, wo Johannes „Babylon“ (das für das römische Reich steht43) den Vorwurf macht, mit Sklaven zu handeln (Offb 18,13) und trunken zu sein „vom Blut der Zeugen Jesu“ (Offb 17,6). Richardson schreibt hierzu: Das Buch der Offenbarung mit seinem Akzent auf dem gesprochenen Wort, der didaktischen Prophetie und der restlosen Vernichtung der Kräfte des Bösen 39 40 41 42 43

Ebd., 18. Ebd., 5. Ebd., 8. Ebd., 55. Bruce M. Metzger, Breaking the Code: Understanding the Book of Revelation (Nashville: Abingdon, 1993), 86–88.

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diente Stewart als Quelle für einen erheblichen Teil ihres spirituellen Selbstkon­ zepts.44

Mit Blick auf Amerikas Misshandlung der „Söhne Afrikas“ schreibt Stewart: Das Blut ihrer Ermordeten schreit zum Himmel um Rache an dir. Du bist bei­ nahe trunken geworden vom Blut ihrer Erschlagenen; du hast dich durch ihre Plagen und Mühen bereichert; und jetzt bist du nicht einmal zu einer kleinen Umkehr bereit.45

Wenn Johannes metaphorisch von Babylons götzendienerischer „Hurerei“ schreibt (Offb 18,3–9), überträgt Stewart dies im buchstäblichen Sinne auf die Situation afroamerikanischer Frauen, die von euroamerikanischen Män­ nern sexuell missbraucht und ausgebeutet werden. Die herrschende Kultur betrachtete die Körper von Afroamerikanerinnen als Waren, und schwarze Frauen galten allesamt stereotyp als hemmungslos, sexuell freizügig und in ihren sinnlichen Trieben geradezu unersättlich.46 Stewart, die sich des kras­ sen Machtgefälles zwischen weißen Männern und schwarzen Frauen – Skla­ vinnen wie Freien – bewusst ist, sieht die Verantwortung allein beim Mann: „Und du hast die Töchter Afrikas zu Hurerei und Unzucht verleitet; doch auf dich komme ihr Fluch.“47 In Anlehnung an Offb 6,16 warnt Stewart: O ihr großen und mächtigen Männer Amerikas, ihr reichen und gewaltigen, vie­ le von euch werden zu den Felsen und Bergen rufen, dass sie auf euch fallen und euch vor dem Zorn des Lammes und vor ihm verbergen, der auf dem Thron sitzt; während viele der schwarzhäutigen Afrikaner, die ihr jetzt verachtet, auf immer und ewig als Sterne im Himmelreich leuchten werden.48

Obwohl sie die Euroamerikaner mit starken Worten kritisierte, waren viele von Stewarts Jeremiaden an Afroamerikaner gerichtet. Mit ihrem christlichevangelikalen Sendungsbewusstsein und Empfinden rief Stewart ihre Zuhö­ rerschaft zu moralischen Reformen auf. Den schwarzen Männern – insbeson­ dere den jüngeren unter ihnen – warf sie vor, ihre Zeit mit Trinken, Tanzen und Spielen zu vertun, statt sich zu bilden, besser zu werden und sich politisch zu engagieren.49 44 Richardson, Maria W. Stewart, xv. 45 Stewart, Productions, 18. 46 Carla L. Peterson, „Doers of the Word“: African-American Women Speakers and Writers in the North (1830–1880) (New York: Oxford University Press, 1995), 20f. 47 Stewart, Productions, 18. 48 Ebd., 19. 49 Ebd., 67–70.

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Auch wenn sie weit weniger autobiographisches Material hinterlassen hat als Lee, Elaw und Foote, nimmt Stewart in ihren Schriften und öffentlichen Ansprachen Bezug auf den Widerstand, den sie zu spüren bekam. Aufgrund ihres Engagements sieht sie sich den „feurigen Pfeilen des Teufels“ und „den Angriffen niederträchtiger Männer“ ausgesetzt.50 In ihren 1879 erschienenen Meditations erzählt sie auf elf Seiten von ihren „Leiden während des [Ame­ rikanischen Bürger-]Krieges“: ihrer verzweifelten Armut, ihren Aufenthalten in ungastlichen Städten, ihren Gegnern, die ihr Steine in den Weg legten, und den Kämpfen, die sie auszufechten hatte, um eine Anstellung als Leh­ rerin zu finden und zu behalten.51 Sie berichtet von Unterbezahlung, Betrug und Ablehnung.52 Alle diese Schwierigkeiten stellen sie in eine Reihe mit den verfolgten Propheten, mit dem Apostel Paulus und sogar mit Jesus selbst. In einer Paraphrase von 1 Kor 9,19 erklärt sie: „Innig Geliebte: Ich habe mich in den Augen vieler verächtlich gemacht, auf dass ich einige gewinnen möge.“53 Wie Jesus setzt sie sich der Armut und Heimatlosigkeit aus und wendet seine Worte (Mt 8,20) auf sich selbst an: Und wenn es der Wille meines himmlischen Vaters ist, meine Bedürftigkeit und Not zu lindern, dann bin ich bereit zu sagen, Amen, so sei es. „Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.“54

Wie Cedrick May anmerkt: „Ihre persönlichen Leiden haben sie auf ihre ei­ gentliche Berufung vorbereitet: die einer Prophetin.“55

4.

Äthiopien wird seine Hände ausstrecken

Da sie in einer Kultur lebte, die Argumente aus der Heiligen Schrift gemein­ hin als maßgeblich akzeptierte (auch wenn man sich über deren Interpretation im Einzelfall nicht immer einig war), machte Stewart in ihrem Einsatz für die Rechte der Afroamerikaner und insbesondere der Afroamerikanerinnen von der Bibel großzügigen Gebrauch.56 Stewart verwendete eine ganze Anzahl 50 51 52 53 54 55 56

Ebd., 21. Stewart, Meditations, 13–23. Ebd., 13f. Stewart, Productions, 81. Ebd., 79. May, Evangelism and Resistance, 117. Valerie C. Cooper, Word, Like Fire: Maria Stewart, the Bible, and the Rights of African Americans (Charlottesville: University of Virginia Press, 2011), 19, schreibt hier­ zu: „Dadurch, dass sie sich die Schrift zu eigen machte, machte sich Stewart in einer

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von Bibelstellen, um zu belegen, dass die Gleichheit der Rassen gottgewollt war. So bezog sie sich, an ein afroamerikanisches Publikum gewandt, auf die Schöpfungsgeschichte und auf Ps 8, um zu zeigen, dass alle Menschen nach dem Bild Gottes geschaffen sind: Weil eure Haut mit einem schwarzen Ton gefärbt ist, glauben viele, dass ihr eine niedere Rasse von Wesen seid; aber Gott betrachtet euch nicht als solche. Er hat euch nach seinem eigenen herrlichen Bild geformt und gestaltet und hat euch Vernunft und starke Verstandeskräfte verliehen. Er hat euch geschaffen, damit ihr über die Tiere des Feldes und die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres herrscht [Gen 1,27f.]. Er hat euch mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt; er hat euch nur wenig geringer gemacht als die Engel [Ps 8,4–6]; und laut der Verfassung dieser Vereinigten Staaten hat er alle Menschen frei und gleich ge­ schaffen. Warum also sollte ein Wurm zum anderen sagen: „Bleib du dort unten, während ich dort oben sitze; denn ich bin besser als du“? Nicht die Hautfarbe macht den Menschen aus, sondern die in der Seele geformten Grundsätze.57

In ähnlicher Weise verurteilte auch die Predigerin Zilpha Elaw den amerika­ nischen Rassismus und führte logische Argumente und biblische Beispiele an, um für die gottgegebene Gleichheit aller Menschen zu plädieren: In einigen Teilen der Vereinigten Staaten ist der Stolz einer weißen Haut für viele, die ihren Verstand bereitwillig zugunsten ihrer Vorurteile aufgeben und mehr Wissen als Weisheit besitzen, ein Tand von hohem Wert. Der Allmächti­ ge betrachtet die schwarzen Menschenrassen weder in der Ordnung der Natur noch in der Ordnung des geistlichen Vermögens als der weißen unterlegen; denn er schenkt ihnen seinen Heiligen Geist und wohnt in ihnen ebenso gerne wie in Personen mit hellerer Hautfarbe: Der äthiopische Eunuch wurde als Gottes Sohn und Erbe angenommen [Apg 8,26–39]; und wenn Äthiopien [Kusch] seine Hände zu ihm ausstrecken wird [Ps 68,32], dann wird ihre Unterwerfung und Anbetung gnädig angenommen werden… O könnten doch die Menschen aus den Vorurteilen ihrer Kindertage herauswachsen und lernen, dass Gott „jede Nation der Menschen, die auf dem ganzen Erdboden wohnt, aus einem Blute gemacht hat“.58

Wie viele afroamerikanische Exegeten und Exegetinnen betrachtete Stewart Ps 68,32 als prophetisch und in puncto Rassengerechtigkeit als besonders auf­ schlussreich: „Kusch wird eilends seine Hände ausstrecken zu Gott.“ Diesen Vers deuteten im 19. Jh. viele so, als habe Gott den afrikanischstämmigen Epoche der amerikanischen Geschichte, als die Bibel – nach dem Wiederaufleben der evangelikalen Begeisterung im Gefolge des Great Awakening – außerordentliche kulturelle Autorität ausübte, auch die Autorität der Bibel zu eigen.“ 57 Stewart, Productions, 4f. 58 elaw, Memoirs, 85f. Zilpha Elaw zitierte hier eine gegenüber der King James Version etwas abgewandelte englische Übersetzung von Apg 17,26.

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Menschen damit eine besondere Empfehlung ausgestellt. Manche sahen darin auch eine Prophezeiung, dass die Afrikaner*Innen und Afroamerikaner*Innen in großer Zahl zum Christentum bekehrt werden würden.59 Für Stewart war er eine Art „Schlachtruf“.60 Sie rief ihr Volk zur Tat: „Wahrlich, es ist mein Herzensverlangen und Gebet, dass Äthiopien seine Hände zu Gott ausstre­ cken möge. Doch wir haben viel zu tun.“61 In einer Rede, in der sie dagegen protestiert, dass es an Arbeitsplätzen fehlt, die über körperliche Arbeit und häusliche Dienststellen hinausgehen, zitiert sie die Stelle erneut: Ich sage es noch einmal: Beständige harte Arbeit reizt unser Temperament und lässt unsere Veranlagungen versauern; schwere Arbeit und Schinderei nutzen das ganze System ab; die Natur selbst wird geradezu erschöpft, und es küm­ mert uns nur noch wenig, ob wir leben oder sterben. Es ist wahr, dass die freien farbigen Menschen in diesen Vereinigten Staaten weder gekauft noch verkauft werden, und sie sind auch nicht der Peitsche des grausamen Treibers ausgesetzt; viele haben ein bequemes Auskommen; aber nur wenige, wenn überhaupt, haben eine Gelegenheit, reich und unabhängig zu werden; und die Beschäftigungen, denen wir meist nachgehen, sind für uns nicht einträglicher als das Netz der Spinne oder die Seifenblasen, die in der Luft verschwinden. Als Diener wer­ den wir respektiert, aber wehe, wir maßen uns an, nach Höherem zu streben: Dann sieht unser Dienstherr uns nicht mehr an. Und hätte der ewige König nicht erklärt, dass Äthiopien seine Hände zu Gott ausstrecken wird, ich würde wahr­ haftig verzweifeln.62

Ganz offensichtlich war dieser Psalm für Stewart eine Quelle des persönli­ chen Trosts und der Inspiration in ihrem Ringen mit einem Gesellschaftsund Wirtschaftssystem, das ihr und anderen afroamerikanischen Frauen und Männern systematisch Chancen verweigerte.

5.

Vergrabene Talente, häusliche Dienststellen und die Töchter Afrikas

Wenn sie auf die begrenzten Bildungs- und Berufschancen afroamerikani­ scher Frauen und Männer Bezug nahm, berief sich Stewart oft auf das Gleich­ nis von den Talenten (Mt 25,14–30, par. Lk 19,12–27). Darin erzählt Jesus die Geschichte eines wohlhabenden Mannes, der drei Dienern Geld anvertraute, ehe er zu einer Reise aufbrach. Einem gab er fünf Talente, einem anderen 59 60 61 62

Cooper, Word, Like Fire, 56, Anm. 58. Richardson, Maria W. Stewart, 18. Stewart, Productions, 5f. Ebd., 54.

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zwei und dem dritten gab er ein Talent.63 Die ersten beiden waren risikofreu­ dig, investierten das Geld und verdoppelten den Betrag. Der letzte Diener vergrub sein Talent in der Erde. Bei der Heimkehr lobte der Herr die ers­ ten beiden Diener und verurteilte den letzten als „böse und faul“, weil er die Chance vertan hatte, das Geld zu investieren und Gewinn zu machen. Dieses Gleichnis war ein Schlüsseltext für Stewart, die ihre afroamerikanische Zu­ hörerschaft dazu aufrief, durch Bildung und einträgliche Arbeit von ihren intellektuellen und kreativen Fähigkeiten Gebrauch zu machen – soweit es ihnen die Umstände erlaubten. Alle Nationen der Erde rufen nach Freiheit und Gleichheit. Weg, weg mit Tyran­ nei und Unterdrückung! Und sollen Afrikas Söhne länger schweigen? Es sei mir fern, euch zu Mord, Verbrennung oder Zerstörung zu raten. Aber ich möchte euch nachdrücklich dazu raten, eure Talente zu vervollkommnen; lasst keines davon in der Erde ruhen. Lasst eure Geisteskräfte offen zutage treten.64

Immer wieder haben sich Europäerinnen und Euroamerikanerinnen auf das Gleichnis von den Talenten berufen, um die Rechte der Frauen auf Bildung, auf den Gebrauch ihrer Verstandesgaben, auf außerhäusliche Arbeit und auf die Veröffentlichung ihrer Schriften geltend zu machen.65 Sie prangerten an, was es für eine Vergeudung kostbarer Verstandes- und Kreativitätsgaben sei, wenn man die Ambitionen und Talente der Frauen in das starre Korsett der Geschlechterrollen zwinge. Die Talente privilegierter Frauen wurden unter anderem unter einer Bildung vergraben, die darauf ausgerichtet war, sie „auf die Erfüllung einer gesellschaftlichen und dekorativen Funktion auf der Tanz­ fläche“ vorzubereiten.66 Ein weiblicher Charakter in Charlotte Brontës 1849 erschienenem Roman Shirley protestierte dagegen, dass allzu viele Frauen in der britischen Geschichte ihre Talente, metaphorisch gesprochen, in „einer Teekanne mit abgebrochener Tülle aufbewahren“, sie „mit dem Teegeschirr in den Porzellanschrank schließen“ oder sie „in einer Schüssel voll kalter 63 Das Wort „Talent“ verweist auf eine griechische Gewichts- und Münzeinheit. Im Mittelalter war dieses Gleichnis so einflussreich, dass das Wort in den allgemeinen Sprachgebrauch überging und seither für natürliche Anlagen und Fähigkeiten steht. Wililam F. Albright und Christopher S. Mann, Matthew (AB 26; Garden City: Doubleday, 1971), 304. 64 Stewart, Productions, 4. 65 Lynn S. Neal, Romancing God: Evangelical Women and Inspirational Fiction (Cha­ pel Hill: University of North Carolina Press, 2006), 17f.; Ruth Y. Jenkins, Reclaiming Myths of Power: Women Writers and the Victorian Spiritual Crisis (Lewisburg: Bucknell University Press, 1995), 84; Pat Starkey, „Women Religious and Religious Women: Faith and Practice in Women’s Lives“, in The Routledge History of Women in Europe since 1700 (hg. v. Deborah Simonton; London: Routledge, 2006), 177–215; 197. 66 Starkey, „Women Religious“, 197.

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Kartoffeln verstecken“, statt sie für sinnvollere Unternehmungen zu nutzen.67 Stewart, die das Gleichnis als eine „Tochter Afrikas“ interpretiert, hatte mit den Rollen und Mühen der Frauen andere, brutalere Erfahrungen gemacht. In ihrem 1832 in der Franklin Hall gehaltenen Vortrag ruft sie aus: „Wie lange sollen die schönen Töchter Afrikas noch gezwungen sein, ihren Verstand und ihre Talente unter einer Last von eisernen Töpfen und Kesseln zu begraben?“68 Teekannen und Kartoffelschüsseln standen für die häusliche Verschwendung der intellektuellen und anderen Begabungen der Damen in Brontës viktoria­ nischer Gesellschaft, doch die „Töchter Afrikas“ wurden von einer aufreiben­ deren, körperlichen Arbeit niedergehalten, für die Stewart das Bild von den eisernen Kesseln verwendete. An einer späteren Stelle ihres 1832 gehaltenen Franklin-Hall-Vortrags stellt Stewart die Erfahrungen der Afroamerikanerin­ nen explizit denen ihrer „helleren Schwestern“ gegenüber.69 Vor dem Bürgerkrieg war der Bildungsweg afroamerikanischer Männer und Frauen mit vielfältigen Hindernissen übersät. Die meisten Schulen im Norden weigerten sich afroamerikanische Schüler*Innen aufzunehmen, und diejenigen, die es taten, trafen oft auf heftigen Widerstand. Stewarts jüngere Zeitgenossin Julia Foote spricht von Drohungen, die Lehrerinnen „von einem Mob aus Sklavereibefürwortern in Canterbury, Connecticut, erhielten, weil sie es wagten, farbigen Kindern das Lesen beizubringen.“70 Foote berichte­ te vom Fall einer Schülerin, die von einem feindseligen Mob drangsaliert, traumatisiert und derart in Angst und Schrecken versetzt worden war, „dass sie Krämpfe bekam, die eine Störung hervorriefen, von der sie sich nie wie­ der erholte.“71 Auch Footes eigene Bildungschancen waren begrenzt gewesen. Wie viele Afroamerikanerinnen hatte sie einen Teil ihrer Kindheit in einem weißen Haushalt verbracht, wo sie Hausarbeiten verrichtete. Die Familie, der sie diente, nutzte ihren Einfluss, um „mich in eine Landschule zu schicken, wo ich von Lehrern und Schülern gut behandelt wurde.“72 Foote besuchte die­ se Schule im Alter von zehn bis zwölf Jahren, doch ihre Bildungschancen fanden ein rasches Ende, als die Familie, bei der sie lebte, sie mit einer Peit­ sche aus Rohleder schlug und Foote ihre Eltern daraufhin überzeugte, sie von dort wegzunehmen.73 Sie las die Bibel in Eigenregie und traf in ihren weiteren Versuchen, Bildung zu erwerben, auf zahlreiche Hindernisse.74

67 Charlotte Brontë [Pseudonym Currer Bell], Shirley: A Tale (London: Smith, Elder & Co., 1888), 337 (dt. Übers.: Shirley [Weimar: Kiepenheuer, 1967], 438). 68 Stewart, Productions, 16. 69 Stewart, Productions, 54. 70 Foote, A Brand Plucked from the Fire, 38. 71 Ebd., 39. 72 Ebd., 19. 73 Ebd., 24–26. 74 Ebd., 39.

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Eine andere Zeitgenossin, Zilpha Elaw, besuchte eine integrierte Schule in Pennsylvania, machte jedoch als Erwachsene in Burlington, New Jersey, die Beobachtung, dass es afroamerikanischen Kindern dort nicht erlaubt war, gemeinsam mit euroamerikanischen Kindern zur Schule zu gehen. Körper­ lich anfällig und von ihrer Arbeit als Hausmädchen geschwächt, gab Elaw ihre Dienststelle auf und eröffnete eine Schule für afroamerikanische Kin­ der.75 Elaws Engagement für die Bildung ähnelte dem von Stewart in vieler­ lei Hinsicht. Beide Frauen fanden dadurch, dass sie Schulen eröffneten und als Lehrerinnen tätig waren, eine Arbeit, die körperlich weniger anstrengend und erfüllender war als die häusliche Arbeit und mit der sie außerdem die Aussichten von Kindern verbesserten, die andernfalls keine Chance gehabt hätten, etwas zu lernen. In der Zeit ihrer Bostoner Reden Anfang der 1830er Jahre hatte Stewart erst ein Minimum an Bildung erworben. In dem Vortrag, den sie 1832 in der Franklin Hall hielt, beklagte sie ihren Mangel an schulischer Bildung und beanspruchte gleichzeitig aufgrund ihres Bibelstudiums und ihrer göttlichen Inspiration religiöse Autorität: O, hätte ich doch die Vorteile einer frühen Bildung genossen, dann hätten sich meine Ideen jetzt schon weithin ausgebreitet; doch wehe! Ich besitze nichts außer moralischem Vermögen – keine Lehren außer den Lehren des Heiligen Geistes.76

Stewart gibt an, dass sie fünf Jahre an Sonntagsschulen gelernt habe. Im Amerika des 19. Jh. boten kirchliche Sonntagsschulen an den Wochenenden Bibelkurse und Unterricht in anderen Fächern und zuweilen auch unter der Woche Abendkurse für arbeitende Erwachsene an. Wenn ihre Beschreibung derer, die „sich ständig, von Montag früh bis Samstagabend, immer nur ab­ plagen“, ihre eigene Erfahrung widerspiegelt, dann hatte Stewart womöglich nur an den Sonntagnachmittagen überhaupt Zeit, die Kurse zu besuchen.77 In seinem Empfehlungsschreiben am Anfang ihres zweiten Buches berichtet Alex Crummell, dass Stewart, als er ihr kurz nach ihrer Ankunft in New York zum ersten Mal begegnet sei, erst sechs Wochen lang die Schule besucht und dass sie ihr erstes Pamphlet einem zehnjährigen Mädchen diktiert hatte, das „dieses Buch Wort für Wort“ niedergeschrieben habe – ein Detail, das Stewart selbst an keiner Stelle erwähnt.78 Im Licht ihrer persönlichen Beobachtungen und Erfahrungen setzte sich Stewart für die Bildung als vorrangiges Mittel ein, den Geist der Afroameri­ kanerinnen zu schulen, sodass ihre kostbaren Talente nicht unter den schwe­ 75 76 77 78

Elaw, Memoirs, 85. Stewart, Productions, 52. Ebd., 5f. Stewart, Meditations, 10.

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ren eisernen Töpfen und Kesseln in weißen Haushalten begraben wurden und verkümmerten. Während ihrer Zeit in Boston ermutigte sie ihre Zuhörerin­ nen, eine weiterführende Schule für afroamerikanische Kinder zu gründen.79 Da die Euroamerikaner*Innen – selbst diejenigen, die Solidarität mit der afroamerikanischen Bevölkerung bekundeten – mithin nicht für gleiche Ein­ stellungschancen sorgen würden, drängte Stewart die Söhne und Töchter Afri­kas, dadurch zum Wohl ihrer Gemeinschaft beizutragen, dass sie Un­ ternehmen gründeten, Läden eröffneten, beieinander einkauften und, wenn nötig, Ressourcen bündelten: Wie lange noch soll uns ein niederträchtiger Menschenschlag mit seinem Lä­ cheln schmeicheln und sich an dem bereichern, was wir hart erarbeitet haben, während an den Fingern ihrer Frauen die Ringe glitzern und sie selbst über un­ sere Dummheit lachen? Bis wir beginnen, uns gegenseitig zu fördern und unsere eigenen Kunden zu sein. Sollen wir noch länger Spott für die Leute [Ijob 17,6] sein? Sollen sie uns für immer verlachen? Ihr fragt, was wir tun können? Tut euch zusammen und baut euer eigenes Geschäft, wenn ihr keine Konzession bekommt. Füllt die eine Seite mit Kurzwaren und die andere mit Lebensmitteln […]. Wir hatten nie Gelegenheit, unsere Talente zu entfalten; deshalb meint die Welt, wir wüssten nichts […]. Die Amerikaner haben in den letzten 200 Jahren nichts als Kopfarbeit geleistet, und wir haben für sie die schwere Arbeit ge­ macht. Und ist es denn nicht höchste Zeit, dass wir ihrem Beispiel folgen und ebenfalls Kopfarbeit tun und behalten, was wir haben, und uns nehmen, was wir kriegen können?80

Stewart wollte, dass die Mitglieder ihrer Gemeinschaft in Würde leben könn­ ten und Gelegenheit zu sinnvoller Beschäftigung bekämen. Und sie ahnte, dass nur gemeinschaftliche Solidarität im geschäftlichen und im Bildungs­ bereich die Voraussetzungen dafür schaffen würde, dass afroamerikanische Männer und Frauen – insbesondere letztere, die „Töchter Afrikas“ – ihre Ta­ lente voll zur Entfaltung bringen konnten.

6.

Resumee: O ihr Töchter Afrikas, wacht auf! Wacht auf! Erhebt euch!

In ihrer Untersuchung über Stewarts Verwendung der Bibel zur Unterstüt­ zung ihrer politischen Aktivitäten merkt Valerie Cooper an:

79 Stewart, Productions, 16. 80 Ebd., 16f.

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Maria Stewart behauptete, dass die Bibel zu ihr und von ihr sprach, wenn sie den biblischen Text las, und sie verwendete eine Hermeneutik, bei der ihre afroame­ rikanische und ihre weibliche Identität als vorrangiger Interpretationsschlüssel diente.81

In der Einleitung zu ihrem 1832 erschienenen Pamphlet Meditations spricht Stewart ausdrücklich von der körperlichen Arbeit, mit der sie ihren Unterhalt verdiente, und von ihrem Mangel an Schulbildung und nimmt gleichzeitig die Autorität der Bibel für sich in Anspruch: Ich habe viel von meiner Sprache aus der heiligen Bibel entlehnt. In den Jahren meiner Kindheit und Jugend war sie das Buch, das ich am meisten studiert habe; und jetzt, während meine Hände sich für ihren täglichen Unterhalt abmühen, sinnt mein Herz in aller Regel über ihre göttlichen Wahrheiten nach.82

Wie wir gesehen haben, schöpfte Stewart aus zahlreichen Bibelstellen, um ihren Lebenserfahrungen und Ideen eine Stimme zu geben. Ihre Rhetorik erinnert an die Jeremiaden der hebräischen Propheten, an die prophetischen Warnungen aus der Offenbarung und an die paulinischen Mahnungen. Wenn man sie aufgrund ihres Geschlechts in Frage stellte, nahm sie die Autorität einer weiblichen Tradition für sich in Anspruch, der biblische Frauen wie Debora, Ester und Maria Magdalena angehörten. Der rassistischen Denk­ weise der herrschenden Kultur hielt sie die Überzeugung entgegen, dass sie gemeinsam mit ihren afroamerikanischen Schwestern und Brüdern nach dem Bild Gottes geschaffen war (Gen 1,27), der „aus einem Blute jede Nation der Menschen gemacht“ hatte (Apg 17,26). Sie fand Trost in der Verheißung, dass „Äthiopien […] eilends seine Hände ausstrecken [wird] zu Gott“ (Ps 68,32). Sie glaubte, dass das Gleichnis von den Talenten besonders geeignet war, die Möglichkeiten der afroamerikanischen Bevölkerung zu beschreiben. Talente, die allzu oft unter den eisernen Töpfen und Kesseln – Metaphern für schwere körperliche Arbeit – vergraben waren, ließen sich durch Bildung und durch den strategischen Einsatz von Ressourcen entfalten. Stewart strebte nach gemeinschaftlicher Solidarität insbesondere der Afro­amerikanerinnen, die sie mit Worten zum Handeln aufrief, die an die prophetischen Reden Deboras (Ri 5,12) und Jesajas erinnerten (5,27; 52,1): O ihr Töchter Afrikas, wacht auf! Wacht auf! Erhebt euch! Schlummert und schlaft nicht länger, sondern tut euch hervor. Zeigt der Welt, dass ihr mit edlen und erhabenen Fähigkeiten begabt seid.83 81 Cooper, Word, Like Fire, 19. 82 Stewart, Productions, 24. 83 Ebd., 6.

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Joy A. Schroeder

Es ist durchaus denkbar, dass sie mit diesen Worten, die sie eigentlich an andere afroamerikanische Frauen richtete, auch ihre eigenen Ambitionen be­ schrieb.

„Ein Zyklon an Absurditäten“: Frances Willards Ablehnung fundamentalistischer Bibelauslegung Claudia Setzer Manhattan College, New York

Im 19. Jh. wurden die Autorität der Bibel und ihre wortwörtliche Auslegung von mehreren Seiten in Frage gestellt: Die abolitionistische Bewegung sah sich zur Auseinandersetzung mit jenen Bibelstellen gezwungen, die die Skla­ verei gutzuheißen schienen; die Frauenwahlrechtsbewegung musste sich ge­ gen Argumente zur Wehr setzen, die die Unterordnung der Frau für gottgege­ ben hielten. Beide Strömungen entwickelten Auslegungen, die die größeren Anliegen der Befreiung und Gleichstellung biblisch untermauerten und pro­ blematische Aussagen erstmals von ihrem jeweiligen Kontext her erklärten. Zur selben Zeit entwickelte die europäische Forschung die historischkritische Methode, die vor allem dadurch gekennzeichnet war, dass sie die menschliche Verfasserschaft und Herausgeberschaft der biblischen Texte betonte, das heißt die Vorstellung von einem göttlichen Urheber unterhöhlte und die Autorität der Bibel relativierte. Diese Methode fand ihren Weg nach Nordamerika und wurde von Intellektuellen propagiert, die gleichzeitig der Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei angehörten. An den Seminaren von Harvard, Andover und Princeton wurde über die biblische Autorität und die europäischen Methoden der Textkritik debattiert. Dass es im damaligen Ame­ rika keine Theologieprofessorinnen gab, heißt nicht, dass die Exegetinnen dem, was in Akademikerkreisen vor sich ging, ahnungslos oder gleichgültig gegenübergestanden hätten. Talentierte „Amateurinnen“ wie Elizabeth Cady Stanton und Frances Willard erwähnen und verwenden kritische Methoden, wenn sie mit der Autorität der Bibel ringen, um die Frauenrechte zur Sprache zu bringen. Die Auseinandersetzung mit der Sklaverei hatte ein geschmeidi­ geres, weniger wortwörtliches Herangehen an den Text erforderlich gemacht und so dem Kampf für die Gleichstellung der Frauen den Boden bereitet. Zwar variiert die Bewunderung für den biblischen Text von Frau zu Frau, doch sind ihnen allen gewisse exegetische Strategien gemeinsam, die darauf abzielen, den reinen Wortsinn vom Thron zu stürzen, Befreiungsthemen ausfindig zu machen und kulturelle Verkrustungen zu beseitigen.1

1 Claudia Setzer, „Slavery, Women’s Rights, and the Beginning of Feminist Biblical Interpretation in the Nineteenth Century“, Postscripts 5/2 (2009): 145–169.

250

1.

Claudia Setzer

Frances Willard (1839–1898)

Frances Willards Auslegung entwand die Bibel den Händen derer, die die Auffassung vertraten, die Heilige Schrift wende sich gegen die Gleichstellung der Frau oder spreche mit nur einer Stimme. Ihre Theorie von der mutual dependence, der wechselseitigen Abhängigkeit männlicher und weiblicher Textdeutungen, machte eine Beteiligung der Frauen nicht nur möglich, son­ dern sogar unabdingbar. In ihrer prominenten Funktion als Vorsitzende der Women’s Christian Temperance Union (WCTU) sprach sie vor einem inter­ nationalen Publikum, und Zeitgenossen berichten von ihrem mitreißenden Redestil. Abstinenz und Wahlrecht waren für sie zwei untrennbare und not­ wendige Voraussetzungen für den „Schutz der Familie“, den sich die WCTU als Slogan auf die Fahnen geschrieben hatte. Willard sprach zu den eher kon­ servativen Methodisten und Evangelikalen des Westens und mittleren Wes­ tens, die vermutlich eine etwas andere Mentalität hatten als die meist aus Unitariern, Quäkern und Episkopalen bestehenden Frauenwahlrechtsgruppen aus dem Nordosten.2 Willard befürwortete zahlreiche weitere Reformen wie die Abschaffung der Sklaverei, Arbeitsrechte, freie Bildung und Frauenordination in der metho­ distischen Kirche. Ihr Engagement für die Gleichstellung und das Wahlrecht der Frau tritt etwa zeitgleich zu ihrem Engagement gegen Alkoholismus auf und blieb zeit ihres Lebens ein Teil ihres Abstinenzkreuzzugs. 1866 schreibt sie, dass sie eine Predigt über die Abstinenz gehört und sich entschlossen habe, aktiver zu werden. Schon im März 1868 schrieb sie in ihr Tagebuch: „Ich glaube mehr und mehr an die Frauenfrage. Ich werde sie mit dem weni­ gen, was ich tun kann, in jeder nur möglichen Weise unterstützen.“3 Kein Jahr später schreibt sie noch in Europa über ihre Pläne, sich in öffentlichen An­ sprachen für dieses Anliegen einzusetzen, und erklärt, sie habe „schon immer geahnt, dass dies meine Berufung ist“.4 In ihrer Autobiographie Glimpses of Fifty Years behauptet sie, sich nicht erinnern zu können, dass ihr die Unge­ rechtigkeit der Ungleichheit der Frauen jemals nicht bewusst gewesen wäre.5 Überdies würden das Frauenwahlrecht und die Ziele der Abstinenz ineinan­ dergreifen, denn die Stimmen der Frauen würden, so Willards Prophezeiung, der Alkoholindustrie den Garaus machen und zur Prohibition führen.

2 3 4 5

Amy R. Slagell, „The Rhetorical Structure of Francis E. Willard’s Campaign for Woman Suffrage, 1876–1896“, Rhetoric and Public Affairs 4 (2001): 1–23. Carolyn De Swarte Gifford, Hg., Writing Out My Heart: Selections from the Journal of Frances E. Willard, 1855–96 (Urbana: University of Illinois Press, 1995), 265. Gifford, Writing Out My Heart, 292. Frances E. Willard, Glimpses of Fifty Years: The Autobiography of an American Woman (Chicago: Smith, 1889), 692.

Frances Willards Ablehnung fundamentalistischer Bibelauslegung

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Ihre Bildungsjahre verbrachte Willard im amerikanischen mittleren Wes­ ten. Ihre Familie lebte vier Jahre lang (1841–1846) in Oberlin, Ohio, und zog dann für elf Jahre nach Wisconsin, wo sie auf der elterlichen Farm aufwuchs. Sie besuchte ein Frauenseminar in Evanston, Illinois, das sie 1859 als Jahr­ gangsbeste abschloss. Nachdem sie mehrere Jahre lang als Lehrerin tätig ge­ wesen war, begab sie sich 1868 auf eine zweijährige Europareise und besuchte die britischen Inseln, Westeuropa, das russische Zarenreich und den Mittel­ meerraum, das heißt unter anderem Ägypten, Palästina, die Türkei und Itali­ en. In Berlin freundete sie sich mit der Frau von Charles Augustus Briggs an, einem Bibelwissenschaftler, der die historisch-kritische Methode anwandte. Eine besonders fruchtbare Zeit verbrachte sie in Paris, wo sie Französisch lernte und Vorlesungen besuchte. Insbesondere der Literaturprofessor Mau­ rice Guizot beeindruckte sie mit seiner Vorlesung über französische Dichte­ rinnen und mit „seiner Verachtung für die Literaturkritik, die Frauen, selbst wenn sie sich auf demselben Feld betätigt haben, nicht so behandelt wie Män­ ner.“ Überall, so berichtet sie, treffe sie auf hochgebildete – überaus begabte – von sämtlichen Vorurteilen und der unaufge­ klärten Vergangenheit befreite Männer, die die Frau als eine menschliche Seele betrachten, die ein gütiger Schöpfer auf die Erde gestellt hat, damit sie dort alles sei, was sie kann.6

Während ihres Europaaufenthalts beschließt Willard, sich mit „der Frauenfra­ ge“ in Europa und Amerika zu beschäftigen.7 Wieder in Amerika, wurde sie Leiterin des Woman’s College an der Northwestern University, die aus einem Zusammenschluss eines früheren Frauencolleges mit der zuvor ausschließ­ lich Männern vorbehaltenen Northwestern entstanden war. Vielleicht hätte sie dort bleiben und glücklich werden können – doch sie geriet mit einem späteren Präsidenten (der gleichzeitig ihr ehemaliger Verlobter war) in Streit und trat 1874 zurück. Da sie eine Anstellung brauchte, wurde sie zunächst Vorsitzende der Women’s Christian Temperance Union in Chicago, übernahm dann den Vorsitz auf bundesstaatlicher (1878) und schließlich auf nationaler Ebene (1879). Als Vorsitzende der Women’s Christian Temperance Union kehrte Willard noch mehrmals nach Europa zurück, um die Bildung einer internationalen Bewegung voranzutreiben. 1884 verfasste sie eine „mehrsprachige Petition“ für ein Verbot von Alkohol, Opium und anderen süchtig machenden Substan­ zen, die von annähernd einer Million Menschen aus über 50 Ländern unter­ schrieben wurde. Zwischen 1892 und 1896 verbrachte sie einen Großteil ihrer Zeit bei Lady Henry Somerset in England, mit der sie an einer internationalen 6 7

Gifford, Writing Out My Heart, 298. Ebd., 292.

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Claudia Setzer

Reformbewegung arbeitete. Als Berichte über türkische Massaker an Arme­ niern eintrafen, schlossen die beiden Frauen sich 1895 einer internationalen Initiative an, die sich für Sanktionen gegen die türkische Regierung einsetzte, und gründeten in Marseille eine Suppenküche und eine Unterkunft für arme­ nische Flüchtlinge. Willard war eine der bekanntesten und angesehensten Frauen ihrer Zeit. Als ihre Anwesenheit und die einiger anderer Frauen als Laiendelegierte bei einer Kirchenversammlung einen Eklat zu verursachen drohte, fragte ein Journalist in der New York Times: „Sie können nicht ernsthaft darüber nach­ denken, Miss Willard mundtod zu machen, oder doch?“8 Tatsächlich wurde ihr Engagement für das Predigtrecht und die Ordination von Frauen in der methodistischen Episkopalkirche durch eine Reihe von Brüskierungen und Vorfällen befeuert, bei denen es ihr nicht gestattet worden war, vor bestimm­ ten protestantischen Gruppierungen zu sprechen.9 Sie schrieb Woman in the Pulpit, das sie 1888 veröffentlichte.10 In dieselbe Zeit fiel auch die aufgeregte Debatte darüber, ob Willard 1888 als Delegierte an der Generalversammlung in Cincinnati teilnehmen dürfe. Willard, die bereits WCTU-Vorsitzende war, hatte ihre Präsidialansprache vor 4400 Zuhörer*innen in der Metropolitan-Oper in New York gehalten.11 Ihre eigene Diözese, die Rock-River-Konferenz, hatte sie als eine von fünf Frauen gewählt, die als Laiendelegierte an der Generalversammlung teil­ nehmen sollten. Daraufhin war ein Streit darüber entbrannt, ob man ihr als Frau dieses Mandat überhaupt erteilen konnte. Am Ende hinderte sie die Er­ krankung ihrer Mutter an der Teilnahme. Auf dieser Konferenz stimmte die Versammlung gegen das Recht der Frauen, als Laiendelegierte an der Ge­ neralversammlung teilzunehmen. Ironischerweise waren Frauen zu diesem Zeitpunkt schon seit Jahrzehnten als Predigerinnen, Wanderpredigerinnen und örtlich bestellte Pastorinnen tätig gewesen.12 Einige der Frauen wandten 8 „A Great Church Council“, The New York Times, 29. April 1888, 11. 9 Ruth Bordin, Frances Willard. A Biography (Chapel Hill, NC: University of North Carolina Press, 1986), 160–163. 10 Frances Willard, Woman in the Pulpit. The Defense of Women’s Rights to Ordination in the Methodist Episcopal Church (hg. v. Carolyn De Swarte Gifford; New York: Garland, 1987 [1888]). 11 Bordin, Biography, 115. 12 In der methodistischen Kirche kam – besonders, wenn wir alle ihre Ableger berück­ sichtigen – der Versuch, durch den Beschluss Frauen Führungsrollen vorzuenthalten, zu spät. Willard selbst schreibt, dass Frauen bereits als Lehrerinnen, Predigerin­ nen und Missionarinnen tätig gewesen seien. 1819 erhielt Jarena Lee in der African Methodist Episcopal Church von Rev. Richard Allen die Erlaubnis, zu predigen und Versammlungen abzuhalten. Seit den 1860er Jahren, als Helenor Alter Davisson in Indiana von einem anderen Pastor der methodistisch-protestantischen Kirche als Wanderpastorin ordiniert worden war, waren Frauen als wandernde Pastorinnen und Predigerinnen tätig gewesen. Willard berichtet von einer talentierten Predigerin, die während ihrer zweijährigen Wanderschaft 4500 Meilen zurücklegte und 163 Pre­

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sich daraufhin der methodistisch-protestantischen Kirche zu, einer kleineren Gruppe, die sich 1830 in Leitungsfragen mit der größeren Episkopalkirche überworfen und von ihr abgespalten hatte, und wurden dort ordiniert.13 Willards Strategie nutzte die typischen Vorstellungen des 19. Jh. von einer Kultur der Häuslichkeit und der moralischen Überlegenheit der Frau dazu, um für Abstinenz und Frauenrechte einzutreten. Sie gab der Bewegung das Etikett „Schutz der Familie“ und beschrieb ihre harmonischen Treffen als „Zuhause, das hinauszieht in die Welt“.14 Damit hob sie die Trennung zwi­ schen den beiden Sphären der Häuslichkeit und des öffentlichen Lebens auf und untergrub die Vorstellung, dass Frauen ausschließlich der erstgenannten angehörten. Außerdem entkräftete ihr Ansatz zwei Argumente, die oft gegen das Frauenwahlrecht ins Feld geführt wurden: erstens, dass Frauen zu rein und zu gut sein, um sich an der Politik die Hände schmutzig zu machen, und zweitens, dass Frauen ihre Stimme indirekt, nämlich durch ihre Söhne und Ehemänner abgäben, die sie zuvor durch moralische Appelle von ihrer eige­ nen Sichtweise überzeugt hätten. Suzanne Marilley nennt Willards Ansatz einen „Feminismus der Furcht“ und stellt die These auf, dass Abstinenz und Frauenpower nötig gewesen sei­ en, um die bedrohte häusliche Ruhe und den angestammten Platz der Frauen als Königinnen des Haushalts zu schützen. Marilley deutet an, Willard sei ganz bewusst und aus strategischen Gründen von Anliegen wie Abstinenz und Mutterschaft dazu übergegangen, das Stimmrecht und den Kampf der Suffragetten zu unterstützen.15 Willard behauptet jedoch, sie hätte die Gleich­ stellung und das Wahlrecht der Frauen schon immer befürwortet, und belegt digten hielt. Eugenia St. John, die gemeinsam mit ihrem Mann Charles einer Kirche in Kansas City vorstand, erhielt 1877 eine örtliche Predigterlaubnis. In den 1870er Jahren wurden in der bischöflichen Methodistenkirche insgesamt 70 Frauen Predigt­ genehmigungen erteilt. 1880 ersuchten Anna Howard Shaw und Anna Oliver bei der Neu-England-Konferenz der bischöflichen Methodistenkirche um die Ordination und wurden abgewiesen. Noch im selben Jahr trugen sie ihren Fall bei der General­ konferenz in Cincinnati vor und wurden erneut abgewiesen. Die Konferenz stimmte gegen die Frauenordination und verfügte außerdem, dass allen Frauen, die seit 1869 eine örtliche Predigtgenehmigung erhalten hätten, diese wieder zu entziehen sei. Erst 1920 – also zeitgleich mit dem Frauenstimmrecht – wurden in der episkopalen Me­ thodistenkirche wieder Predigtgenehmigungen für Frauen erteilt. Seit 1956 können Frauen mit allen Rechten und Pflichten in der methodistischen Kirche als Pastorin­ nen ordiniert werden. 13 Versöhnungsversuche zwischen 1874 und 1939 weisen darauf hin, dass die unter­ schiedlichen Ableger des Methodismus einander noch als solche wahrnahmen. Vgl. Frederick Mazer, „The Story of Unification, 1874–1939“, in The History of American Methodism 3 (hg. v. Emory Stevens Bucke; New York: Abingdon, 1964), 407– 478. 14 Willard, Glimpses, 471. 15 Suzanne M. Marilley, Woman Suffrage and the Origins of Liberal Feminism in the United States, 1820–1920 (Cambridge: Harvard University Press, 1996), 106–108.

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Claudia Setzer

dies mit einem Eintrag aus ihrem Tagebuch: Als Teenagerin habe sie ihren 21-jährigen Bruder, ihren Vater und die Lohnarbeiter fortreiten sehen, um bei den Wahlen ihre Stimme abzugeben; damals habe sie zu ihrer Schwester gesagt: „Würdest du nicht auch gerne wählen gehen wie Oliver? Lieben denn wir beide, du und ich, das Land nicht genauso sehr wie er, und braucht das Land nicht unsere Stimme?“16 Die „Frauenfrage“ und das Thema der Absti­ nenz tauchen etwa zur gleichen Zeit, nämlich in den 1860er Jahren, in ihrem Tagebuch auf.

2.

Willards Bibelinterpretation

Zeitweise stand Willard auch Phoebe Palmer und der Heiligungsbewegung nahe, die die Berufung der Frauen zum Predigen unterstrichen. In Glimpses of Fifty Years berichtet Willard, dass sie gemeinsam mit W. J. Eerdman, ei­ nem örtlichen Pastor, die Bibel studiert und in Kirchen gesprochen, also buch­ stäblich gepredigt habe, ohne es jedoch so zu nennen.17 Nachdem sie 1896 in einer Kapelle der Wesleyaner in Großbritannien gesprochen hatte, schrieb sie über sich selbst: „Predigerin des Evangelium wäre meine Lieblingsbeschäfti­ gung gewesen.“18 Dadurch, dass Willard sich auf die Bibel berief, um für die Gleichstellung und das Predigtrecht der Frauen einzutreten, hatte sie den Gegnern des Frau­ enwahlrechts, die sowohl mit der Religion als auch mit der Natur argumen­ tierten, etwas entgegenzuhalten. Willards Bibelauslegungen sind von einer bemerkenswerten Frische und Beweglichkeit. Anders als Cady Stanton weist Willard der Bibel keine Mitschuld an den patriarchalen Verhältnissen zu, son­ dern vertritt die Auffassung, sie sei missbraucht oder missverstanden worden. Sie sieht die Bibel als eine Erzählung, die Fortschritt und Befreiung von allen Formen der Ungerechtigkeit unterstützt. Willard hatte zunächst eingewilligt, sich an Stantons Woman’s-Bible-Projekt zu beteiligen, sich später jedoch wie­ der daraus zurückgezogen. Dennoch belegt ihr im Anhang der Woman’s Bible abgedruckter Brief an Stanton ihre Unterstützung für das Projekt: No such woman as Mrs. Elizabeth Cady Stanton, with her heart aflame against all forms of injustice and of cruelty, with her intellect illumed and her tongue quickened into eloquence, has ever been produced in a country where the Bible 16 Willard, Glimpses, 69f. Ruth Bordin gibt zu bedenken, dass Willard die Fakten rückblickend beschönigt haben könnte, da ihre Notizen in der fraglichen Zeit nicht auf eine solche Denkweise schließen ließen (vgl. Bordin, Biography, 22). 17 Willard, Glimpses, 356f. 18 Gifford, Writing Out My Heart, 411.

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was not incorporated into the thoughts and the affections of the people and had not been so during many generations.19

Viele von Willards Vorgehensweisen spiegeln Methoden der historisch-kriti­ schen Forschung wieder, die im 19. Jh. ihren Höhepunkt erreichte. Durch die Verwendung dieses Ansatzes entreißt sie die Bibel denen, die sie benutzten, um gegen die Gleichstellung der Frau zu argumentieren. (1) Sie lehnt die wortwörtliche Auslegung ab und führt zahlreiche Beispiele für die Absurditäten an, die sie hervorgebracht hat. Obwohl sie einige Zeit mit Dwight Moody an dessen Bibelinstitut zubringt und ihn mit Blick auf die Frauenrechte als ihren Mitstreiter rühmt, bricht sie aus zwei Gründen mit ihm: weil er sie dafür kritisiert hatte, dass sie auf derselben Veranstaltung wie ihre Kollegin Mary Livermore, einer Unitarierin, aufgetreten war, und weil er eine fundamentalistische Exegese betrieb. In ihrer Autobiographie erinnert sie sich: „Bruder Moodys Schriftauslegungen zur religiösen Toleranz waren mir zu literal; die Jacke war zu eng – ich konnte sie nicht tragen.“20 Sie nennt den wortwörtlichen Sinn „ein zweischneidiges Schwert, das auf beiden Seiten scharf ist“, und fordert jeden Mann, der wegen der Sünde Evas die immer­ währende Unterwerfung der Frauen befürwortet, dazu auf, er solle auch ja darauf achten, pflichtschuldigst jeden Tag „im Schweiße seines Angesichts sein Brot zu essen“ (vgl. Gen 3,19).21 Wie Shakespeare weist sie darauf hin, dass selbst der Teufel aus der Bibel zitieren kann.22 Willard stichelt gegen protestantische Kleriker, die sich für den wortwört­ lichen Sinn aussprechen und doch dagegen verstoßen, wenn sie zum Beispiel heiraten, obwohl Paulus dem Zölibat den Vorzug gegeben hat: In 1 Kor 7 stellt Paulus eine Lehre auf, die, buchstäblich interpretiert, den Zö­ libat über die Ehe und die Witwenschaft über die Wiederverheiratung erhebt, doch die Meinung der Exegese stimmt nicht mit dem großen Apostel überein. Dasselbe gilt für die Praxis der Kirche, denn andernfalls wäre keines ihrer Mit­ glieder mehr am Leben, um diese Tatsache zu konstatieren; weder hat man je ge­ hört, dass protestantische Kleriker sich auch nur im geringsten gesträubt hätten, die Ehezeremonie überhaupt zu vollziehen oder selbst Ehegelübde abzulegen, noch war ein solches Widerstreben zu erkennen, wenn es dabei um eine Witwe ging, die ein zweites Mal das Ehegelübde ablegen wollte.23

(2) Willard denkt über die Möglichkeit früher Fälschungen und Handschrif­ tenvariationen nach. Die unterschiedlichen handschriftlichen Überlieferun­ 19 http://www.gutenberg.org/cache/epub/9880/pg9880.html. 20 Willard, Glimpses, 361. 21 Willard, Pulpit, 33. 22 Ebd., 26. 23 Ebd., 19.

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gen zu prüfen und die jeweils beste Lesart herauszusuchen, ist Aufgabe der „Textkritik“. In einem Fall verweist Willard auf eine chinesische Bibelüber­ setzung, die eine Stelle bewusst falsch übersetzt, um der chinesischen Hörer­ schaft die Botschaft schmackhafter zu machen, und fragt sich: „Wer vermag zu sagen, inwieweit die Kopisten des Neuen Testaments in den ungebildeten Zeiten der frühen Kirche von ähnlichen Beweggründen beeinflusst worden sind?“24 (3) Bedeutender ist Willards eigene Art der Quellenkritik, also der Aufspü­ rung verschiedener Schichten innerhalb des Texts. Sie geht in ihrer Quellen­ diskussion nicht so weit wie Julius Wellhausen und andere, die die Urkun­ denhypothese entwickelten, stellt aber fest, dass es im Text unterschiedliche Aussagen gibt. Sie erklärt, dass Jesus selbst seine Jünger gelehrt habe, Bibel­ stellen miteinander zu vergleichen, um sich vor Irrtümern zu schützen, und verweist auf Jesu Antwort an Satan in Mt 4,7: „Dem ‚Denn es heißt in der Schrift‘ des Satans hält er sein göttliches ‚In der Schrift heißt es auch‘ entge­ gen und lehrt uns auf diese Weise, Schrift mit Schrift zu vergleichen.“25 Sie erstellt eine Tabelle mit drei Spalten. Die erste Spalte enthält die paulinischen (oder pseudo-paulinischen) Aussagen zugunsten der Unterordnung der Frau, die zweite Spalte enthält Verse aus anderen Teilen der Bibel, die der betreffen­ den Aussage widersprechen, und die dritte Spalte enthält jeweils einen Vers aus einem anderen Paulustext, die dem in der ersten Spalte zitierten Paulus­ wort ebenfalls widersprechen. So findet sich in Spalte 1 das Zitat: „Dass eine Frau lehrt, erlaube ich nicht, auch nicht, dass sie über ihren Mann herrscht; sie soll sich still verhalten“ (1 Tim 2,12), dem in Spalte 2 Joel 3,1f.: „Danach aber wird Folgendes geschehen: […] Eure […] Töchter werden Propheten sein, […]. Auch über […] Mägde werde ich meinen Geist ausgießen in jenen Tagen“, und in Spalte 3 der Vers 1 Kor 11,5 gegenübergestellt werden: „Jede Frau aber, die betet oder prophetisch redet und dabei ihr Haupt nicht verhüllt, entehrt ihr Haupt“.26 Sie entkräftet Paulus’ negative Aussagen durch Verse, die das Gegenteil aussagen, oder die die gegenseitige Unterwerfung von Mann und Frau befürworten (1 Petr 5,5; Eph 5,21). Damit wendet sie sich gegen die Vor­ stellung von einem zeitlosen, einheitlichen Text. In ähnlicher Weise verweist sie auch auf den Widerspruch zwischen den Aussagen bezüglich der Unter­ werfung der Frau unter ihren Mann in Gen 2 und 3 und der egalitären Spra­ che in Gen 1,26, wo Mann und Frau gleichzeitig und beide nach Gottes Bild geschaffen werden. Dieselben Stellen verwenden die meisten Exeget*innen bis auf den heutigen Tag, um die Urkundenhypothese einzuführen.27 – Heute, da die Urkundenhypothese ernsthaft in eine Sackgasse geraten zu sein scheint 24 Ebd., 32. 25 Ebd., 26. Im Deutschen wird der Text der Einheitsübersetzung von 2016 wiedergege­ ben. 26 Ebd., 27f. 27 Ebd., 20.

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und sich an der Frage nach ihrer Gültigkeit die Geister scheiden, begnügen sich viele genau wie Willard damit, lediglich darauf hinzuweisen, dass der Text unterschiedliche Aussagen enthält. Willard äußert sich zur „historisch-kritischen Methode“ und sagt mit einer gewissen Ambivalenz, dass ihr Vater, wenn er davon gewusst hätte, mit der Vorstellung der Evolution keine solchen Schwierigkeiten gehabt hätte: Lieber Vater! Sein puritanisches Rückgrat und seine Loyalität waren noble Ei­ genschaften, aber hätte er im Reich der „historisch-kritischen Methode“ gelebt, dann wäre ihm die geologische Abkehr wie eine Lappalie erschienen. Doch sei­ ne Tochter lebt weiter und findet Wahrheit in der Bibel – und das ist etwas Erha­ beneres als Tatsachen – und ehrt Gott im Wort ebenso sehr, wie er es im Wort Gottes je getan hat.28

Es steht außer Frage, dass sie die Bibelkritik anerkennt, Buchstabenglauben ablehnt und einen fortschreitenden Erkenntnisgewinn durch zunehmendes Wissen und moralische Klarheit verficht. An anderer Stelle spricht Willard jedoch von „Exegese“ und der „wissenschaftlichen Deutung der Schriften“, ohne dieser Disziplin übermäßige Ehrerbietung zu erweisen. Sie meint Anfäl­ ligkeit für Manipulation und Voreingenommenheit zu erkennen und nennt sie „die opportunistischste und menschengemachteste aller Wissenschaften und die irreführendste aller Künste“:29 eine Sammlung von Methoden, die sich so entwickeln werden, wie die Menschheit sich entwickelt. (4) Willard betreibt eine frühe Form der Traditionskritik und liefert Bewei­ se dafür, wie die Übersetzung, Deutung und Rezeption der Bibel durch die jeweils herrschende Kultur beeinflusst wird. Sie führt einen eindeutigen Be­ weis dafür an, dass die Kultur sich auf die Übersetzung auswirkt. In Phil 4,2f. erwähnt Paulus zwei Frauen, Evodia und Syntyche, als „treue Mitarbeite­ rinnen“, die sich gemeinsam mit ihm für die Ausbreitung des Evangeliums eingesetzt haben. In vier von Willards Kirche angefertigten chinesischen Übersetzungen des NT hatte man die Verse dahingehend verändert, dass man die Frauen unerwähnt ließ. Als Willard nach dem Grund dieser Verfälschung fragte, erklärte ihr ein Missionar: „Oh, bei den Vorstellungen, die diese Chi­ nesen haben, wäre es nicht gut, Frauen in einem solchen Zusammenhang zu erwähnen.“30 Willard ist der Meinung, dass persönliche Präferenzen in Auslegungspro­ zessen eine große Rolle spielen. Männer ignorieren, was ihnen an der Schrift nicht passt, und bauschen auf, was ihnen zusagt. Dabei sind die kulturellen Faktoren so stark, dass ihnen ihre Voreingenommenheit kaum bewusst ist. 28 Gifford, Writing Out My Heart, 388f. 29 Ebd., 23. 30 Ebd., 31f. Vgl. dazu auch den Beitrag von Kristin Kobes DuMez in diesem Band.

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Ich stelle die guten Absichten der guten Männer, die unsere Exegeten gewesen sind, keineswegs in Frage, und ich verneige mich demütig vor ihrer Gelehrsam­ keit; doch während sie ihre linguistischen Teleskope auf die Wahrheit richten, mag es mir erlaubt sein, an der „persönlichen Gleichung“ in den Ergebnissen, die sie zutage fördern, eine Korrektur vorzunehmen. Studieren Sie die obigen Erläu­ terungen und finden Sie darin einmal mehr einen Beweis für diese „Menschlich­ keit der Heiligen“, die stets ein Faktor aller menschlichen Errungenschaften ist. […] bedenkt man, wie leicht sich Männer von stilvoller Kleidung, sorgfältig fri­ siertem Haar und schönem Schmuck (was laut 1 Tim 2,9 vermutlich alles verbo­ ten ist) bezaubern lassen, wie es die Anziehungskraft der Frauen beweist, dann wird es vollkommen natürlich, dass sie diese Erscheinungen nicht zensieren, sondern sich stattdessen über die erfreulichere Theorie vom Schweigen und von der Unterwerfung der Frauen verbreiten. Ist man es gewohnt, sich bedienen zu lassen, dann ist man gerne bereit, die Sklaverei als gottgegeben anzusehen […].31

Willard führt zahlreiche Beispiele für kulturelle Einstellungen an, die die Auslegung beeinflussen – ein Phänomen, das Catherine Booth, eine ande­ re Befürworterin des Frauenwahlrechts, als „Verwechslung von Natur und Sitte“ beschreibt.32 So weist Willard darauf hin, dass das Wort „Männer“ in 2 Tim 2,2 so verstanden worden sei, als könnten nur Männer Jünger Jesu sein: „das vertraue zuverlässigen Männern an, die fähig sein werden, auch andere zu lehren!“ Wenn es im Text aber heiße: „Gott […] gebietet jetzt den Menschen, dass überall alle umkehren sollen“ (Apg 17,30), dann gäben selbst die Fundamentalisten zu, „dass unter allen Menschen auch den Frauen geboten werde, umzukehren“.33 (5) Schließlich entdeckt Willard viele biblische Heldinnen wieder. Sie hebt Prophetinnen wie Mirjam und Debora in der Hebräischen Bibel und Hanna im NT hervor. Wie die feministische Exegese des 20. Jh. identifiziert sie Frau­ en aus dem Umfeld Jesu als Jüngerinnen: Es steht geschrieben (Lk 24,33f.), dass die beiden Jünger, denen Jesus auf dem Weg nach Emmaus erschien, „nach Jerusalem zurück[kehrten] und […] die Elf [fanden] und die mit ihnen versammelt waren. Diese sagten: Der Herr ist wirk­ lich auferstanden und ist dem Simon erschienen.“ Wohlgemerkt, es waren Frau­ en, die so sprachen, die Frauen, „die mit Jesus aus Galiläa gekommen waren.“ Die, „die mit ihnen [d. h. mit den Elfen] versammelt waren“, sagten: „Der Herr ist wirklich auferstanden“.34

Es waren Frauen gewesen, die in Lk 24,22–24 den Elfen die Botschaft vom leeren Grab überbracht hatten, und ebendiese Frauen sind jetzt mit ihnen ver­ 31 32 33 34

Ebd., 22. Ebd., 104. Ebd., 34. Ebd., 42.

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sammelt. Mithin treten Frauen nicht nur als Verkündigerinnen der Auferste­ hung auf, sondern gehören sogar zu denen, denen Jesus zuerst erschien. Willard weist darauf hin, dass Maria Magdalena in Joh 20,11–18 die Erste ist, die dem Auferstandenen begegnet, und dass in Apg 1,13f. auch die Frau­ en im Obergemach den Heiligen Geist empfangen. Zwei Frauen werden von Jesus ausdrücklich damit beauftragt, das Wort zu verbreiten: die Samariterin in Joh 4 und Maria Magdalena in Joh 20.35 Frauen hätten sich insofern als initiativ erwiesen, als sie kamen, ohne gerufen zu sein – zumal „gerufen zu sein“, so Willard, etwas Klerikales an sich habe.36 Obwohl sich zahlreiche Kontakte zu historisch-kritischen Forschern nach­ weisen lassen, ist auffällig, wie wenig sich Willard um die historisch-kritische Methode als solche zu kümmern schien. Sie liebte die Bibel und suchte oft darin nach Orientierung, war aber, wie ihre Bemerkungen über Moody bele­ gen, nie eine Fundamentalistin. „Wenn Voreingenommenheit auf wortwört­ liche Auslegung trifft“, so ihre Worte, „dann erzeugen sie einen Zyklon an Absurditäten.“37

3.

Evolutionäre Offenbarung

Da Willard mehr als zwei Jahre in Europa verbrachte und dort Vorlesungen und Veranstaltungen besuchte, wird sie wohl auch mit anderen akademischen Strömungen der Zeit vertraut gewesen sein. Es waren vor allem zwei neuere intellektuelle Trends, die das theologische Denken beeinflussten. Zum einen entwickelte das Abendland eine Faszination für den Osten. Touristen, Mis­ sionare und Wissenschaftler reisten scharenweise in den Orient, wie sie es nannten. Archäologen brachten Schätze aus Ägypten, Syrien, der Türkei und Palästina mit nachhause. Max Müller initiierte ein umfangreiches Überset­ zungsprojekt, um die religiösen Texte des Ostens bekannt zu machen. Claude Welch datiert die Entstehung des akademischen Fachs der Religionsgeschich­ te auf die 1870er Jahre und macht dies an einigen Ereignissen fest, zu denen auch eine Reihe von Vorlesungen gehört, die Müller 1870 in London gehalten hat.38 Dass man nun mit Religionen in Berührung kam, die älter waren als das Christentum und eine von Grund auf andere Weltanschauung vertraten, warf bei den Gläubigen zwangsläufig Fragen über den absoluten und unwandelba­ ren Wahrheitsanspruch des Christentums auf. 35 Ebd., 40–44. 36 Ebd., 40f. 37 Ebd., 25. 38 Claude Welch, Protestant Thought in the Nineteenth Century 2: 1870–1914 (Eugene: Wipf & Stock, 1985), 104.

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Gleichzeitig brachte auch Darwins Entstehung der Arten (1859) die traditi­ onellen Vorstellungen vom Menschsein ins Wanken und lieferte mit der Idee des evolutionären Fortschritts ein neues Denkmodell. Dieses Modell wurde auf andere Bereiche übertragen und entwickelte sich zu einer „Schablone für neue Sichtweisen, die auf alle religiösen und kulturellen Belange angewandt wurden.“39 Genau diese Denkweise legt Willard in der Frage der Frauenrechte an den Tag: Dem Orientalismus, der die Bühne verlässt, halten wir das moderne Christen­ tum entgegen. In unseren Tagen haben die Kirchenmänner einer großen Kir­ che das Wort „gehorchen“ aus dem Trauritus gestrichen und dafür gesorgt, dass Frauen in beinahe jedes Amt gewählt werden können.40

Einige Christen kombinierten diese Vorstellungen mit ihrem eigenen Glauben und gelangten zu der Überzeugung von einer fortschreitenden Offenbarung: Die Zivilisation entwickle sich mit der Zeit von einer primitiveren zu einer höherentwickelten religiösen Moral. Diese Auffassung, die sich gut mit der Vorstellung von einem mehrschichtigen Text vereinbaren ließ, wurde auch von einigen Bibelwissenschaftlern vertreten. Alan Richardson zufolge han­ delte es sich um eine „Übergangstheorie“ zwischen dem frühen Biblizismus und der kritischen Exegese des 20. Jh.,41 dank derer es möglich war, kritisch mit dem Text zu arbeiten und dennoch an der besonderen Autorität der Bi­ bel festzuhalten. Biblische Verfasser konnten weiterhin als inspiriert gelten, während ihre individuellen Formulierungen und Vorstellungen einer primi­ tiveren Zeit zugeschrieben werden konnten. Zuzeiten ging diese Sichtweise mit orientalistischen und antijüdischen Tendenzen einher, die sich etwa darin niederschlugen, dass man sämtliche in der Bibel enthaltenen Abscheulich­ keiten einem Stratum zuordnete, das von weniger kultivierten Hebräern und Orientalen stamme. Willard mit ihrem Slogan vom Schutz der Familie und ih­ rer Wertschätzung weiblicher Tugend wendet ein ähnliches Denkmodell auf die gesellschaftliche Moral an: Höherentwickelte Gesellschaften billigten den Frauen einen höheren Status zu. Zwischen der Tugend der Frau und dem ge­ sellschaftlichen Fortschritt bestand ihrer Meinung nach ein Zusammenhang, und die christliche Gesellschaft war in ihren Augen ein Leuchtturm, der an­ deren Religionen und Gesellschaften den Weg wies: „Die Frauen werden die Männer auf der herrlichen Straße der Evolution überholen.“42 Insbesondere die Abstinenz wirke als ein Motor des moralischen Fortschritts und vereine 39 Welch, Protestant Thought, 183. 40 Willard, Pulpit, 49. 41 Alan Richardson, „The Rise of Modern Biblical Scholarship“, in Cambridge History of the Bible 3 (hg. v. S. L. Greenslade; Cambridge: Cambridge University Press, 1963), 294–338; 316. 42 Willard, Glimpses, 454.

Frances Willards Ablehnung fundamentalistischer Bibelauslegung

261

Nord und Süd, Schwarz und Weiß, Mann und Frau.43 Willard zeichnet ein faszinierendes Bild eines WCTU-Treffens in einem der Südstaaten, wo er­ wartungsgemäß Angehörige des Südstaatenklerus, aber auch ein katholischer Priester und ein Rabbiner aufs Podium traten.44 „Kein Sektierertum in der Religion“, „kein Partikularismus in der Politik“ und „kein Sexismus im zi­ vilen Bereich“, das sind die Schlachtrufe der Bewegung.45 Beständiger Fort­ schritt werde dadurch erreicht, dass man zuvor vereinbarte Auszüge aus jenen „Grundsätzen der Ethik“ lehre, „die in der Schrift gefunden und von keinem vernünftigen Menschen, ganz gleich, ob Jude oder Nichtjude, Katholik oder Protestant, in Frage gestellt werden“.46 Willards Exegese untergrub die wortwörtliche Auslegung und zog bibli­ sches Material heran, um für die Gleichstellung der Frauen auf der Kanzel und an den Wahlurnen zu plädieren. Gestützt auf ihre Theorie der wechselsei­ tigen Abhängigkeit argumentierte sie, dass die Stimmen der Frauen nicht nur geduldet, sondern mit Blick auf ein vollständiges Verständnis der biblischen Texte sogar dringend gebraucht wurden: Wir brauchen Frauen, die Kommentare verfassen, um die weibliche Seite des Buchs zutage zu fördern; wir brauchen eine stereoskopische Sicht auf die Wahr­ heit insgesamt, und die ist nur möglich, wenn Frauen- und Männeraugen ge­ meinsam die allseitige Perspektive der biblischen Offenbarung in den Blick nehmen.47

Jesus selbst, so ihre These, sei männlich und weiblich gewesen, und habe nur deshalb ausschließlich Männer als seine engsten Mitarbeiter ausgewählt, weil die Kultur seiner Zeit es so verlangt habe. Er habe zwei Naturen: die eines strafenden Vaters, der die Geldwechsler vertrieben habe, und die einer lieben­ den Mutter, die sich danach sehnte, Jerusalem unter ihre Fittiche zu nehmen.48 Eine ähnliche Auffassung hatte auch Elizabeth Cady Stanton vertreten, die schrieb, dass Gott eine männliche und eine weibliche Natur habe.49 Willard untergrub ebenfalls die Theorie von den zwei Sphären, einer öf­ fentlichen und einer privaten, die gerne als Grund dafür angeführt wurde, dass Frauen von jedem weltlichen Streben Abstand zu nehmen hätten. Vor ihren Zuhörerinnen erklärte sie das öffentliche Engagement für Abstinenz und Stimmrecht zu einem vornehmen und moralischen Ziel. Wie Amy Slagell 43 Ebd., 373–378. 44 Ebd., 488. 45 Ebd., 474. 46 Ebd., 463. 47 Willard, Pulpit, 21. 48 Ebd., 45. 49 Elizabeth Cady Stanton, The Woman’s Bible (Mineola: Dover Publications, 2002 [1895–1898]), 14f.

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gezeigt hat, nutzte Willard biblische Anspielungen, um die Idee zu propagie­ ren, dass die Frauen nicht etwa gegen den Anstand verstießen, sondern als „die Armee des Friedensfürsten“ auftraten. Willlard war jedoch nicht ohne Fehl und Tadel. Mit einigen Äußerungen gegen Ende ihrer Laufbahn geriet sie in die Nähe des Nativismus. Ida Wells und andere kritisierten sie dafür, dass sie nicht entschieden genug auf Lynchmorde reagiert habe. Allerdings ist sie aufgrund ihrer Überzeugung, dass die Botschaft des AT wie des NT letztlich auf die Befreiung des Menschen ausgerichtet sei, bemerkenswert frei vom Antijudaismus mancher Kommentare in der Woman’s Bible, die die Frau­ enfeindlichkeit den Juden in die Schuhe schieben. So bestand Willard zum Beispiel darauf, dass jüdische und katholische Menschen zur WCTU zugelas­ sen werden sollten, und schwärmte von der Überwindung aller Unterschiede durch Abstinenz und Fortschritt. Von ihrer besten Seite zeigt sich Willard ins­ besondere in ihrer Bibelauslegung; dort steht sie mit persönlicher Großzügig­ keit und intellektueller Kühnheit für eine gedankliche und politische Haltung ein, die „alles tun“ würde, um eine menschlichere Gesellschaft zu schaffen.

Josephine Butler: Stimme der Verstoßenen Amanda Russell-Jones Regent College, Vancouver

1.

Einleitung

Als Vorkämpferin der Frauenrechte war Josephine Butler (1828–1906) Mit­ glied in sämtlichen namhaften feministischen Ausschüssen des 19. Jh., und ihre Bibelinterpretation spielte eine Schlüsselrolle in ihren Argumentatio­ nen und ihren Kampagnen. Wir „haben Gottes Wort in unseren Händen und Gottes Gesetz in unseren Gewissen“, so lautete ihr eindringlicher Appell in der ersten Ansprache, die jemals von einer Frau vor einer „Königlichen Par­ lamentarischen Kommission“ gehalten wurde.1 Welchen Stellenwert sie der Bibel beimisst, zeigt sich daran, dass sie sie als ein Buch beschreibt, „das nur so sprüht vor lebendigem Feuer und Geist“,2 und dass alle ihre Ansprachen und Schriften für die Öffentlichkeit oder die private Lektüre von Bibelzitaten durchzogen sind. Im Rahmen ihres Engagements für bessere Bildungs- und Einstellungschancen für Frauen, für die Rechte verheirateter Frauen auf Ei­ gentum und für das Frauenwahlrecht sowie als Anführerin der Kampagne zur Abschaffung der Contagious Diseases Acts entwickelte sie eine kraftvolle, innovative und gendersensible biblische Exegese und öffentliche Theologie.3 1

Bericht des britischen Parlaments: Report of Royal Commission upon the Administration and Operation of the Contagious Diseases Acts 1: The Report (2 Bde; London: George Edward Eyre and William Spottiswoode, for Her Majesty’s Stationery Office, 1871), online: https://archive.org/details/b21365945 [zuletzt abgerufen am 22.7.2020]. 2 Josephine E. Butler, „Letter from Josephine E. Butler to Harriet Meuricoffre and Fanny Smyttan, c. early June 1872, Josephine Butler Collection, The Women’s Li­ brary“, in Josephine Butler and the Prostitution Campaigns: Diseases of the Body Politic (hg. v. Jane Jordan und Ingrid E. Sharp; 5 Bde; London: Routledge, 2003), 2:366–371; 368. Butlers Schriften zitiere ich im Folgenden, wenn irgend möglich, immer aus dieser Sammlung. 3 Butler unterschrieb John Stuart Mills Petition von 1866, vgl. Millicent Garrett Fawcett, Women’s Suffrage: A Short History of a Great Movement (London: T.C. & E.C. Jack, 1912), 20. In Liverpool war sie Mitglied eines Wahlrechtskomitees, vgl. Elizabeth Crawford, The Women’s Suffrage Movement in Britain and Ireland: A Regional Survey (London: Routledge, 2006), 16f. Laut E. Moberly Bell verfasste But­ ler 1855 eine Schrift über das Frauenwahlrecht, vgl. Enid Moberly Bell, Josephine Butler: Flame of Fire (London: Constable, 1962), 199. Außerdem war Butler Mit­ glied des North of England Council for Promoting the Higher Education of Women (Nordenglischer Rat zur Förderung der höheren Bildung von Frauen), vgl. Josephine

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So leidenschaftlich sich Butler dafür einsetzte, dass Mädchen und Frauen in den Bereichen Bildung und Arbeit bessere Chancen erhielten,4 so überzeugt war sie auch davon, dass in Fragen der Sexualität nicht länger mit zweierlei Maß gemessen werden durfte: Andernfalls würde man „ein schönes Haus auf einen Abwasserkanal“ bauen und zulassen, dass sich in den Fundamenten ein „tödliches Gift“ ausbreite. Deshalb ging sie trotz wichtiger Erfolge im Bildungswesen – sie hatte eine Denkschrift verfasst und eingereicht, die die Universität Cambridge davon überzeugte, die Eignung von Frauen in Prüfun­ gen „testen und attestieren“ zu lassen, und damit den Weg für die Einrichtung von Frauen-Colleges geebnet – zum direkten Angriff auf die sexuelle Dop­ pelmoral über. Ihre Arbeit auf dem Gebiet der Bildung, so glaubte sie, könne auch von anderen fortgesetzt werden, doch wer würde sich darum kümmern, in die tiefere und verborgenere Arbeit hinab­ zusteigen und auf die besonderen Schwierigkeiten, den Abscheu und den Kum­ mer zu treffen, die uns dort begegnen?5

Bei ihrer Entscheidung, sich der Sache der verstoßenen Frauen anzunehmen, spielte ihr christlicher Glaube eine wesentliche Rolle, denn Butler fühlte sich von Gott dazu „berufen“, „Seite an Seite, Hand in Hand mit den Verstoßenen zu gehen“.6 Sie war davon überzeugt, dass die Seele der elendsten Verstoßenen […] von Christus erlöst [worden] und Ihm teuer [ist]. Mit größter Sicherheit sind die Seelen von Frauen Gott ebenso kostbar wie die Seelen von Männern.7

Nachdem sie die Einladung angenommen hatte, den Vorsitz der Ladies National Association, der Nationalen Frauenvereinigung für die Abschaffung der Contagious Diseases Acts, zu übernehmen,8 führte Butler einen 16 Jahre währenden Kampf, bis das britische Parlament die Acts 1886 schließlich auf­ E. Butler, Memorial on Behalf of the North of England Council for Promoting the Higher Education of Women (1868) [Cambridge University Library, UA Grace Book Sigma, 1868, 359]. 4 Vgl. Josephine E. Butler, The Education and Employment of Women (Liverpool: T. Brakell, 1868). 5 Josephine E. Butler, The Dawn (Bd. 17; London: Dyer Brothers, 1893), 2. 6 Josephine E. Butler, Mrs. Butler’s Appeal to the Women of America: Addressed to the International Council of Women (New York: The Philanthropist, 1888), 7f. 7 Josephine E. Butler, „The Hour Before the Dawn: An Appeal to Men, London: Trubner & Co., (published for the Social Purity Alliance), [1882], 1876“, in Josephine Butler and the Prostitution Campaigns (hg. v. Jane Jordan und Ingrid E. Sharp; 5 Bde; London: Routledge, 2003), 3:243–308; 260. 8 Ab hier als CDA bezeichnet.

Josephine Butler: Stimme der Verstoßenen

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hob. Zu diesem Zeitpunkt hatte ihre Kampagne mittels nationaler Organisa­ tionen, die von der International Federation for the Abolition of State Regulation of Vice (dem „Internationalen Bund für die Abschaffung staatlicher Regulierung des Lasters“) unterstützt wurden und sich für das Ende der staat­ lich regulierten Prostitution einsetzten, in mehreren europäischen Ländern Fuß gefasst. Die Besorgnis über die Prostitution junger Mädchen und den Menschenhandel führte zu einer weiteren Kampagne, mit der auf die Praxis des Verkaufs von Mädchen zu Zwecken der Prostitution hingewiesen wurde. Der daraus resultierende „Maiden Tribute of Modern Babylon“-Skandal von 1883 hatte zur Folge, dass das Schutzalter in Großbritannien von zwölf auf 16 Jahre heraufgesetzt wurde. Auch gegen die Praxis der britischen Behör­ den, in Indien Bordelle einzurichten und zu betreiben, deren Stammkunden sich aus den Angehörigen der britischen Streitkräfte rekrutierten, wurde eine langfristige Kampagne organisiert.9 Butler wandte sich an einige der mächtigsten Männer der viktorianischen Welt und war als Einzelperson vermutlich die einflussreichste Frau ihrer Zeit, wenn sie, um die Gleichberechtigung der Frau voranzubringen, vor Politikern sprach, Wahlkampagnen organisierte und Frauen wachrüttelte, damit diese ihre „Schwestern“ unterstützten.10 Butlers Grundüberzeugung fußte auf der Bibel: Sie glaubte an ein uni­ versales, für alle gleichermaßen gültiges Sittengesetz. Gestützt auf Paulus’ Galaterbrief erklärte sie: Es war die Tendenz des Christentums, allmählich und langsam alle unfreund­ lichen Barrieren zwischen den Rassen niederzubrechen und die Sklaverei aus­ zulöschen; und zuallerletzt wird es – so hoffen wir – Benachteiligungen aus der Welt schaffen, die der stärkere Teil der Gesellschaft dem schwächeren auferlegt.11

Gerechtigkeit bedeutete für sie „einen reinen und gleichen moralischen Maßstab und gleiche Rechte“.12 Butler machte deutlich, dass die CDAs ei­ nen verfassungswidrigen Verstoß gegen die bürgerlichen Freiheiten der Frau­ en darstellten, weil man diesen ihre Rechte im Sinne der Magna Carta und

9 Jane Jordan und Ingrid E. Sharp, Einleitung zu Josephine Butler and the Prostitution Campaigns (hg. v. Jane Jordan und Ingrid E. Sharp; 5 Bde; London: Routledge, 2003), 5:1–10. 10 Vgl. Jane Jordan, Josephine Butler (London: Hambledon Continuum, 2007), 209; Josephine E. Butler, An Autobiographical Memoir (hg. v. George W. Johnson und Lucy A. Johnson; London: J. W. Arrowsmith, 1909), 109. 11 Gal 3,28; Butler, Education and Employment of Women, 18f. 12 Butler, Mrs. Butler’s Appeal to the Women of America, 3.

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der Habeas-Corpus-Akte verweigerte, die festschrieben, dass die britischen Rechte für alle Bürger*innen zu gelten hätten.13

2.

Jesus, der Befreier: Hier ist einer, der größer ist als Paulus

Bezeichnenderweise war es das Verhalten Jesu gegenüber Frauen, das Butler als den von Gott geforderten Maßstab auffasste. Joh 8,2–11 war ein Schlüs­ seltext für sie: Die Erzählung über die Begegnung Jesu mit der Frau, die des Ehebruchs überführt worden war, war ihr „Rettungsanker“. In aller Deutlich­ keit erklärte sie, dass die Männer, die Anklage gegen die Frau erhoben, durch die suchende Gegenwart Dessen in Schrecken versetzt [wurden], der auch nicht einen einzigen Moment lang zuließ, dass Gottes Reinheitsgesetz für die Stärkeren gelockert und gleichzeitig den Schwächeren mit äußerster Strenge auferlegt wurde.14

Einige, so fuhr sie fort, würden vermutlich einwenden, dass die Behandlung der Sünderin als der zutiefst Schuldigen jedes Zeitalter und jede Lehre gekenn­ zeichnet habe, die hohe moralische Maßstäbe setzte. Nein! Nicht jedes Zeitalter und auch nicht jede Lehre! Im Buch der Geschichte ist eine klare Ausnahme verzeichnet; eine einzige, soweit ich weiß – Christus. Deshalb werde ich Euch […] fragen: „Was denkt ihr über den Christus?“ (Mt 22,42).

Dass die Hermeneutik, mit der sich Butler der gesamten Schrift näherte, durch ihren christozentrischen Fokus bedingt war, zeigt sich deutlich in ih­ rer Einleitung zu Woman’s Work and Woman’s Culture,15 wo sie das in den Vordergrund rückt, was sie selbst als die „typischen Taten des gefährlichen Gleichmachers (leveller) Christus“ bezeichnet.16 Dieses 1869 von Butler he­ rausgegebene Buch ist deshalb so außergewöhnlich, weil es sich um ein Sach­ 13 Josephine E. Butler, „The Constitution Violated: An Essay, Edinburgh, Edmondson & Douglas, 1871“, in Josephine Butler and the Prostitution Campaigns (hg. v. Jane Jordan und Ingrid E. Sharp; 5 Bde; London: Routledge, 2003), 2:211–303; 217. 14 Josephine E. Butler, „Social Purity, London: Dyer Brothers; Morgan & Scott, 1879“, in Josephine Butler and the Prostitution Campaigns (hg. v. Jane Jordan und Ingrid E. Sharp; 5 Bde; London: Routledge, 2003), 3:309–328; 310. 15 Josephine E. Butler, Hg., Woman’s Work and Woman’s Culture (London: Macmil­ lan & Co., 1869). 16 Josephine E. Butler, Personal Reminiscences of a Great Crusade (London: Horace Marshall & Son, 1896), 84.

Josephine Butler: Stimme der Verstoßenen

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buch handelte, dessen Beiträge hauptsächlich von Frauen stammten: Frauen wie Frances Power Cobbe, Harriet Martineau und Elisabeth Wolstenholme Elmy, die die feministischen Bewegungen des 19. Jh. mit ihren großen Ideen und eigenständigen Gedanken zu Themen wie der Erwerbstätigkeit von Frau­ en und der Emigration maßgeblich beeinflussen sollten.17 Mit dem Hinweis, dass die dargelegten Ansichten ihre eigenen und nicht zwangsläufig auch die der anderen Beitragenden seien, erörtert Butler die Bedeutung der Bibel für die Rolle und Stellung der Frau und erklärt im Rahmen einer kühnen theolo­ gischen Argumentation die Worte des Paulus – gemessen am Verhalten Jesu – für relativ. Butler zufolge ist es wichtig, die paulinischen Aussagen über Frauen in einem weltlichen Buch zu behandeln, weil sich sowohl Christ*innen als auch die, die sich nicht zum Christentum bekennen, auf die paulinische Lehre be­ rufen, um gegen eine Verbesserung der Bildungs- und Berufschancen für Frauen zu argumentieren. Butler relativiert die Bedeutung dieser Lehre in dreierlei Hinsicht: Zunächst betont sie den Vorrang Jesu, seiner Lehre und seines Beispiels: „Ich berufe mich auf Christus, auf Ihn allein und nicht auf irgendeine Kirche oder auf Traditionen […], nicht einmal auf einen Apostel“, denn: „Hier ist einer, der größer ist als der Hl. Paulus, doch das scheinen wir vergessen zu haben.“18 Zum „typischen Verhalten“ Jesu, so schreibt sie, gehöre auch sein Umgang mit Frauen – um sodann in einem beeindrucken­ den, zwei Seiten langen Katalog jede dieser Frauen und das jeweilige Übel aufzulisten, von dem sie durch Jesus befreit worden ist. Die des Ehebruchs überführte Frau zum Beispiel wird von einer einseitigen Anwendung des Ge­ setzes befreit (Joh 8,2–11), während eine andere Frau über die Rolle eines „heidnischen Hundes“ (Mk 7,24–30) hinauswächst, die sie zuvor sogar selbst akzeptiert hatte. Mit eindringlichen Worten ruft Butler ihre Leser*innen dazu auf, sich am Beispiel Christi auszurichten: Schauen Sie sich in der ganzen Evangeliengeschichte um und achten Sie darauf, wie Er sich Frauen gegenüber verhält, und Sie werden feststellen, dass das Wort Befreiung vor allem anderen diejenige Handlung bezeichnet, die das gesamte Leben und den Charakter und die Stellung der betreffenden Frauen verändert hat und eigentlich auch die Behandlung der Frauen durch die Männer von diesem Zeitpunkt an hätte verändern müssen.19

17 Zur personellen Schnittmenge zwischen Feminismus und Abolitionismus vgl. Judith Walkowitz, Prostitution and Victorian Society: Women, Class, and the State (Cam­ bridge: Cambridge University Press, 1980), 121–129. 18 Butler, Hg., Woman’s Work, lii.xlviii. 19 Ebd., lix.

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Mit ihrem zweiten Argumentationsstrang macht Butler deutlich, dass Paulus die Lehre Christi nicht erfunden, sondern lediglich interpretiert habe. Pau­ lus „sprach für die Erfordernisse einer bestimmten Epoche und aus der Sicht eines Menschen, dessen Horizont und Urteilsvermögen von Natur aus einge­ schränkt waren“.20 Er habe die Grundsätze Christi nicht auf alle Zeiten und Orte angewandt, sondern gelehrt, wie sie in seinem konkreten historischen Umfeld umgesetzt werden sollten. Mithin müssten sich Butlers Zeitgenossen nicht zwingend an die „urtümliche Form“ halten, „in die diese Grundsätze durch die gesellschaftlichen Umstände gepresst wurden“.21 Und drittens ver­ weist Butler auf das Pauluswort: „Das sage ich als Zugeständnis, nicht als Gebot“ (1 Kor 7,6), und stellt klar, dass einige Aussagen des Apostels nicht die Autorität besäßen, die ihnen von späteren Exegeten zugesprochen worden seien.22 Dass Butler auf „Paulus’ schönen Brief an Timotheus“ Bezug nimmt, mag in Anbetracht des darin ausgesprochenen Verbots einer von Frauen ausge­ übten Lehrtätigkeit oder Autorität über den Mann (1 Tim 2,12) überraschen. Butler führt ihre Bemerkung nicht weiter aus, aber der Brief ist ein Appell an einen jungen Mann, „den Gläubigen [mit seinem Lebenswandel] ein Vorbild […] im Glauben, in der Lauterkeit“ (1 Tim 4,12) zu sein, und propagiert Werte, die Butler besonders am Herzen lagen.23 Im Zusammenhang mit denjenigen Frauen aus dem Evangelium, die einen „erkennbaren Akt der Befreiung“ erlebt haben, geht Butler am Beispiel der Maria Magdalena näher auf das Verhalten ein, das Jesus gegenüber versto­ ßenen Frauen an den Tag legt.24 Dreimal habe Christus die Magdalena allen anempfohlen, „die Ihn wahrhaft lieben“: in der Person der Frau, die ihm mit ihren Tränen die Füße wusch, in der Samariterin am Brunnen und in der des Ehebruchs überführten Frau. Damit habe Christus der Welt den „Grundton“ angegeben, „um sich bis ans Ende der Zeiten in der Tonart der Magdalena zu

20 21 22 23

Ebd., xlix. Ebd., xlix. Ebd., lii. A. S. G. Butler, Portrait of Josephine Butler (London: Faber & Faber, 1954), 216. Vgl. z. B. 1 Tim 1,10.15 und 1 Tim 5,2. 24 Butler, Woman’s Work, lviii. In der gesamten Kirchengeschichte – und mithin auch zu Butlers Lebzeiten – neigten die Menschen dazu, die Geschichte der Maria Mag­ dalena, aus der Jesus laut Mk 16,9 und Lk 8,2 „sieben Dämonen ausgetrieben hatte“ bzw. „aus der sieben Dämonen ausgefahren waren“, mit der in Lk 7,37 erwähnten „Frau, die in der Stadt lebte“ und „eine Sünderin“ war, zu verschmelzen und Maria Magdalena mithin für eine Prostituierte zu halten. Deshalb wurden Prostituierte oder reuige Prostituierte gemeinhin als „Magdalenen“ bezeichnet. Vgl. Andrea TaschlErber, „Maria von Magdala – erste Apostolin?“, in Evangelien: Erzählungen und Geschichte (hg. v. Mercedes Navarro Puerto und Marinella Perroni; BuF 2.1; Stutt­ gart: Kohlhammer, 2012), 362–382.

Josephine Butler: Stimme der Verstoßenen

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stimmen“.25 In ihren Augen war Maria Magdalena nicht nur die Verstoßene, die bei Jesus Aufnahme fand, sondern auch die erste Zeugin der Auferstehung (Joh 20,11–18), die von Christus den Auftrag erhielt, hinauszugehen und an­ deren die gute Nachricht zu bringen.26 Butler gebrauchte häufig den Ausdruck „die Frau aus der Stadt, die eine Sünderin war“, und schmückte die Akzeptanz Jesu ihr gegenüber und seine Zurechtweisung ihrer männlichen Ankläger aus. Sie hielt sich nicht für besser als die Verstoßene, sondern sagte: „Wer bin ich, eine Sünderin, dass ich über ihre Sünde spreche?“, und: Können sich meine Freunde im Angesicht meines Befreiers darüber wundern, dass ich meinen Platz (schon vor langer Zeit) […] an ihrer Seite gewählt habe, an der Seite der „Frau in der Stadt, die eine Sünderin war“?27

Dies war auch der Grund für ihre zutiefst kritische Sicht auf andere Frau­ en ihrer Gesellschaftsschicht, die in ihren Augen mitschuldig waren an der Unterdrückung ihrer weniger begünstigten Schwestern, denn, so ihre Worte, Frauen der höheren Klassen, ‚gutgestellte Frauen‘, […] werden […] durch feige Unter­ werfung unter Brauchtum und männliche Meinung zu einer tiefen und aktiven Grausamkeit gegenüber ihrem eigenen Geschlecht fähig.28

25 Josephine E. Butler, „‚The Lovers of the Lost‘, Contemporary Review, vol. 13, Jan– March 1870, pp. 16–40“, in Josephine Butler and the Prostitution Campaigns (hg. v. Jane Jordan und Ingrid E. Sharp; 5 Bde; London: Routledge, 2003), 1:93–120; 96. Eine Diskussion zu diesem Zitat aus William Edward Scudamore, She Hath Done What She Could: A Sermon Preached at the Opening of the House of Mercy at Ditchingham, on S. Michael’s Day, 1859 (London: J. H. & J. Parker, 1859) bietet Amanda Russell-Jones, The Voice of the Outcast: Josephine Butler’s Biblical Interpretation and Public Theology (Diss., Birmingham University, 2014), 197ff. 26 Jordan, Josephine Butler (2007), 12–33; 28. 27 Butler, Autobiographical Memoir, 15f. Die Herausgeber weisen darauf hin, dass diese Memoiren „im Jahr 1900 niedergeschrieben“ wurden (ebd.,15). 28 Lucretia Flammang macht geltend, dass Butler damit für Frauen eintrat, die nicht einmal von den Propheten verteidigt wurden. Lucretia Flammang, „And Your Sons and Daughters Will Prophecy: The Voice and Vision of Josephine Butler“, in Women’s Theology in Nineteenth Century Britain: Transfiguring the Faith of their Fathers (hg. v. Julie Melnyk; Literature and Society in Victorian Britain 3; London: Garland, 1998), 151–163; 151f.

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3.

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Einflüsse auf Butlers Bibellektüre

Butler betonte, wie wichtig es war, dass Gläubige selbständig die Bibel la­ sen, auslegten und auf die Gegenwartsgesellschaft anwandten, wie sie es in ihrer eigenen Familie gelernt hatte. Ihr Vater, John Grey (1785–1868), hatte durch die Bibellektüre zum Glauben gefunden und seinen ersten öffentlichen Vortrag im Namen der Bibelgesellschaft gehalten: einer Organisation, deren erklärtes Ziel darin bestand, so vielen Menschen wie nur irgend möglich ein Exemplar der Bibel in die Hand zu geben.29 Butler spricht davon, dass „das offene Buch“ Großbritannien bei der Schaffung guter Gesetze wie der Habe­ as-Corpus-Akte geleitet und die Sklav*innen, die es heimlich gelesen hätten, dazu veranlasst habe, ihre Freiheit zu verlangen.30 Grey las oft laut aus der Familienbibel vor und zitierte häufig Jes 58,6: Ist nicht das ein Fasten, wie ich es wünsche: die Fesseln der Bosheit zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, Unterdrückte freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen?31

Butlers Biographie über ihren Vater zeigt, wie sehr sie ihn dafür bewunder­ te, dass er in „seinem glühenden Hass auf alles Unrecht“ vor allem durch sein Engagement für die Abschaffung der Sklaverei die Heilige Schrift in die Tat umsetzte. Ihre Entscheidung, in den Auseinandersetzungen mit dem Parlament eine führende Rolle zu übernehmen, war von Greys Einsatz für die Wahlrechtsreform und von seiner Überzeugung beeinflusst, dass es allen Frauen erlaubt sein solle, in wichtigen Fragen eine Meinung zu haben.32 Greys Schwestern Margaretta und Mary veröffentlichten kühne Schriften gegen die Sklaverei, die für Butler eine mächtige Inspiration gewesen sein müssen, weil sie die Notwendigkeit der Gleichheit anhand der Bibel begründeten und sich in aller Entschiedenheit gegen die sexuelle Doppelmoral wandten.33 Dass But­ ler „Aunt Margaretta“ mit ihrem ausgeprägten „natürlichen Gerechtigkeits­ sinn“ und ihrer „großen natürlichen Beredsamkeit“ erwähnt und beschreibt, 29 Josephine E. Butler, Memoir of John Grey of Dilston (Edinburgh: Edmonston & Douglas, 1869), 18–21. 30 Butler, Woman’s Work, lvii. 31 Butler, Memoir, 49. 32 Ebd., 327. 33 Mary Lundie Grey Duncan, America as I Found It (New York: R. Carter & Bros., 1852); Englishwoman [Mrs. Henry Grey], Remarks Occasioned by Strictures in The Courier and New York Enquirer of December 1852, Upon the Stafford House Address. In a Letter to a Friend in the United States (London: Hamilton, 1853). Wel­ che Bedeutung der Kampf gegen die Sklaverei für die spätere Gleichberechtigungs­ kampagne der Frauen hatte, untersucht Clare Midgley, Women against Slavery: The British Campaigns, 1780–1870 (London: Routledge, 1992).

Josephine Butler: Stimme der Verstoßenen

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wie sie sich als Junge verkleidete, um einer Debatte im Parlament beiwohnen zu können, beweist den Einfluss, den ihre Tante als Vorbild auf sie ausgeübt haben muss.34 Butler zog eine Parallele zwischen der Unterdrückung von Frauen im Rahmen der staatlich regulierten Prostitution und der Unterdrückung der Sklav*innen. Genau wie ihr Vater vertrat sie die Auffassung, dass jeder Mensch, dem seine Rechte im Sinne der Habeas-Corpus-Akte verweigert würden, kein Bürger, sondern ein Sklave sei.35 Auf diese Weise nutzte Butler die Sprache derer, die sich für die Abschaffung der Sklaverei einsetzten, für ihre eigene Kampagne und verortete sich im Abolitionismus. Wie Milbank schreibt, hatte ihr die Bibel ein Deutungswerkzeug an die Hand gegeben, um die Gesellschaft zu kritisieren. Die Ausdrucksweise, mit der sie ihre aboli­ tionistischen Ziele vertrat, sowie das Frauenrecht, dies zu tun, war biblisch geprägt.36 Im Netzwerk der Sklavereigegnerinnen, die Butler unterstützten, teilten viele ihre Überzeugung, dass die Bibel ihrem Engagement entscheidende Argumente lieferte und dass das Gebet, wenn es darum ging, Gottes Wil­ len zu verstehen und seinen Beistand zu erflehen, ein unentbehrliches Hilfs­ mittel war. Butler fühlte sich durch das Beispiel der „Märtyrer*innen“ der amerikanischen Abolitionismus-Bewegung ermutigt, „die ihre starken Arme ausstreckten, um den Himmel auf unsere Erde zu holen“.37 Dass sie in ihrer Aufmerksamkeit sowohl für weibliche Stimmen, die von Unterdrückung be­ richteten, als auch für versklavte Frauen, die an den Gott der Bibel, jedoch nicht an den Gott ihrer Sklavenhalter glauben, von Narrativen der Versklav­ ten geprägt war, ist ein wesentlicher Aspekt ihres Wirkens.38

4.

Das Rederecht der Frauen

Dass Frauen Gottes Wort ebenso verkünden konnten wie Männer, leitete But­ ler davon ab, dass an Pfingsten die Verheißung des Propheten Joël in Erfül­ lung gegangen sei: „Eure Söhne und Töchter werden prophetisch reden, eure 34 Butler, Memoir, 15f. 35 Ebd., 63; vgl. auch Englishwoman [Grey], Remarks, 15. 36 Alison Milbank, „Josephine Butler: Christianity, Feminism and Social Action“, in Disciplines of Faith: Studies in Religion, Politics and Patriarchy (hg. v. Jim Obel­ ke­vich, Lyndal Roper und Raphael Samul; London: Routledge & Kegan Paul, 1987), 154–164; 156. 37 Butler, „Social Purity“, 328. Butler zitiert hier aus Eliza Wigham, The Anti-Slavery Cause in America and its Martyrs (Cambridge: Cambridge University Press, 1863). 38 Butler, Autobiographical Memoir, 14; A. Elaine Brown Crawford, Hope in the Holler: A Womanist Theology (Louisville: Westminster John Knox, 2002), 31.

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Alten werden Träume haben und eure jungen Männer haben Visionen. Auch über Knechte und Mägde werde ich meinen Geist ausgießen in jenen Tagen“ (Joël 3,1f., vgl. Apg 2,17). Eine ihrer Ansprachen nennt Butler „meine Croydon-Predigt“, und „pre­ digen“ (preaching) ist in ihrem Sprachgebrauch gleichbedeutend mit „pro­ phetisch reden“ (prophesying). Zu Beginn ihrer Kampagne hatte sie ihrer Schwiegermutter, die im Quäkerglauben erzogen worden war, mitgeteilt, sie gehe „auf eine Art Predigtreise“, bei der sie „nur zu Frauen“ und „überwie­ gend in den Versammlungshäusern der Quäker oder einer kirchlichen Schul­ stube“ spreche.39 Schon sehr bald jedoch sprach sie vor Hunderten von Ar­ beitern und rief sie dazu auf, wie Wat Tyler zu rebellieren. Allem Anschein nach war sie schon zu Beginn ihres öffentlichen Eintretens für die Verstoße­ nen eine wirkungsvolle Predigerin. „In ihren Worten spricht Christus zu den verlorenen Frauen“, sagte der Mann ihrer Kusine, Rev. Charles Birrell. Ihre Bibelauslegung, die sie auf diese Weise mit anderen teilte, war eine Form der Predigt oder der prophetischen Rede – jedenfalls eine öffentliche Theologie.40 Die Kirche jedoch, so Butlers Kritik, verhalte sich so, als ob Joëls Prophe­ zeiung nicht in Erfüllung gegangen wäre: Ist es möglich, dass die Kirche dieses machtvolle Himmelswort jemals voll und ganz geglaubt, wahrhaft gehört oder verstanden hat, das […] in der Hebräischen Schrift verzeichnet ist, und dann wieder bei der großen Einweihung des gegen­ wärtigen Zeitalters – eines Zeitalters des Lebens, der Unparteilichkeit, Gleich­ heit und Gerechtigkeit, in dem es „nicht Mann noch Frau, nicht Juden noch Grie­ chen“ [vgl. Gal 3,28] gibt oder geben sollte?41

39 Josephine E. Butler, „Letter to Mr. Ryley en route to Scotland, Monday, 10 July 1871“, University of Liverpool Library, Josephine Butler Collection, JB 1/1 1871/07/10(II); Josephine Butler, „Catherine Booth“, The Contemporary Review 58 (1890): 639–654; 650; Sarah A. Tooley, „The Sex Bias of the Commentators: An Interview with Mrs. Josephine Butler“, The Humanitarian 5/6 (1894): 413–420; 419f.; Josephine E. Butler, „Letter from Josephine E. Butler to Mrs George Butler, 3 Janu­ ary 1870 [From Newcastle], Josephine Butler Collection, University of Liverpool Li­ brary“, in Josephine Butler and the Prostitution Campaigns (hg. v. Jane Jordan und Ingrid E. Sharp; 5 Bde; London: Routledge, 2003), 1:91f.; 91; Jane Jordan, Josephine Butler (London: John Murray, 2001), 43. 40 Josephine E. Butler, „‚Great Meeting of Working Men‘ and ‚Meeting of Ladies‘, Speeches given by Josephine E. Butler to the Working Men’s Meeting, Richmond Hall, Liverpool, Friday 18 March 1870, and to the Women’s Meeting, Lecture Thea­ tre of the Midland Institute, Birmingham, Thursday 10 March 1870, Shield, 28 March 1870, pp. 30–2“, in Josephine Butler and the Prostitution Campaigns (hg. v. Jane Jor­ dan und Ingrid E. Sharp; 5 Bde; London: Routledge, 2003), 2:67–79; 68.76. 41 Josephine E. Butler, Prophets and Prophetesses: Some Thoughts for the Present Times (Newcastle-on-Tyne: Mawson, Swan, & Morgan, 1898), 5.

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Denkwürdig ist ihr 1892 erschienener Artikel „Woman’s Place in Church Work“, in dem sie ihre scharfe Kritik an der Haltung der christlichen Kirche gegenüber den Frauen weiter ausführt: Allzu lange hat man sich lediglich dazu herabgelassen, es den Frauen zu erlau­ ben, dass sie die Kirche putzen oder die liturgischen Gewänder der katholischen oder protestantischen Päpste und Priester waschen, unter deren Aufsicht die Ar­ men speisen und in den Häusern armer Leute die Bibel lesen.42

Wenn „die Kirche oder die Kirchen“ demütiger wären und einsähen, dass sie die Hilfe der Frau als einer, die dem Mann in ihrem Verhältnis zu spi­ rituellen Dingen absolut ebenbürtig ist, dringend nötig haben, dann werden die guten Gaben nicht länger in einem Gefängnis der Konventionen schmachten und wird es nicht mehr notwendig sein, die Kräfte der Frauen in Taschentücher einzufalten und unter dem Kirchenboden zu vergraben.43

Auch wenn Butler häufig als evangelikale Anglikanerin beschrieben worden ist, war doch die Heilsarmee diejenige christliche Gruppierung, mit der sie sich am besten identifizieren konnte. Die Heilsarmist*innen waren die „Vor­ hut von Gottes großer ‚Predigtkompanie‘ der letzten Tage, die die Frohbot­ schaft ‚allen Geschöpfen‘ verkündigen wird!“44 Wie die Heilsarmee wies sie dem Heiligen Geist und den pfingstlichen Gaben der Heilung und Dämonenaustreibung besondere Bedeutung zu.45 Un­ ter den Grundsätzen, für die sich sowohl die Heilsarmee als auch ihre eigene Bewegung einsetzten, nennt Butler bezeichnenderweise die „Gleichheit der Geschlechter“, und über die Frau des Heilsarmeegründers sagt sie – mit Blick auf den „Einfluss, den ihr Leben und Wirken auf die Frage der weiblichen Fähigkeiten hatten“ –, dass das „große Problem der Stellung der Frau durch

42 Josephine Butler, Mrs. Sheldon Amos und Mrs. Bramwell Booth, „Woman’s Place in Church Work“, Magazine of Christian Literature 6 (1892): 30–37; 32. 43 Ebd. 44 Josephine E. Butler, The Salvation Army in Switzerland (London: Dyer, 1883), 9; vgl. auch „Brief von Josephine Butler an Catherine Booth von 1882“, zitiert bei Cath­ erine Bramwell-Booth, Catherine Booth: The Story of Her Loves (London: Hod­ der and Stoughton, 1970), 287. Eine ausführliche Diskussion zu Butlers Kirchentreue bietet Russell-Jones, Voice of the Outcast, 112–162. 45 Josephine E. Butler, „Letter to Maurice Gregory Cheltenham, 16  March 1902“, London University: London School of Economics, The Women’s Library [= WL] 3JBL/46/04; Josephine E. Butler, „Letter toStanley Butler, 26 March 1884“, WL 3JBL/23/08. Vgl. auch Butler, Portrait of Josephine Butler, 169, und Josephine E. Butler, Recollections of George Butler (Bristol: J. W. Arrowsmith, 1892), 434f.

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Mrs. Booths Existenz bis zu einem gewissen Grad gelöst worden ist“.46 Butler kritisiert aber das „sehr sklavische“ Verhalten anderer Frauen: Es ist demütigend, zu sehen, wie eine begabte Frau, die Würde genug für einen Bischof oder Premierminister hätte, sich bereitwillig der Führung eines uner­ fahrenen, unbegabten Klerikerjungen unterstellt. Dieser Prozess ist sehr schäd­ lich für den Klerikerjungen.47

Die gemeinsame Überzeugung Butlers und der Heilsarmee war es, dass das­ selbe Prinzip von der Gleichheit des Sittengesetzes bedroht sei, wenn man den Frauen das Predigtrecht verweigerte, gerade so, wie wenn die Prostitution in sexualmoralischer Hinsicht mit zweierlei Maß gemessen werde.48 Butler hieß es gut, dass die Heilsarmee Frauen zu wirkungsvollen Rednerinnen und Sozi­ alarbeiterinnen ausbildete und damit den Schwerpunkt auf künftige Dienste legte, und nicht wie die anglikanischen Besserungsanstalten auf immerwäh­ rende Buße.49 Die Heilsarmee ihrerseits erkannte Butler als „von Gott selbst geweiht, nicht weniger wahrhaftig als ihr Ehemann“ an und unterstützte sie in ihrem Engagement.50 So ist es nicht überraschend, dass Butler erklärte: Die Heilsarmee ist auf dem Weg zu […] spiritueller Gleichheit und Emanzipati­ on der Kräfte der Frauen vorangegangen. Mögen die Kirchen folgen!51

5.

Verstoßen

Der Begriff „verstoßen“ (outcast), den Butler als Bezeichnung für Frauen wählte, die – Prostituierte oder nicht – dem Maßstab der sexuellen Doppel­ moral der viktorianischen Gesellschaft nicht gerecht und deshalb ausgegrenzt wurden,52 gibt wesentlichen Aufschluss darüber, was sie über Gottes Bezie­ 46 Josephine E. Butler, „Friends and Helpers IX“, All the World (1895): 365–367; 366f. 47 Butler, Amos und Booth, „Woman’s Place in Church Work“, 31; im Original: „Clergyboy“. 48 Zu dieser Diskussion siehe ihre Darstellung in: Butler, The Salvation Army, 5. 49 „Mrs. Josephine Butler: Interview“, All the World (1891): 49–51; 50; Walkowitz, Prostitution in Victorian Society, 120.135; Jordan, Josephine Butler (2001), 217– 235; Butler, „Catherine Booth“, 648; Dies., „Letter to Miss Forsaith [From Ewart, Northumberland], 28 May 1897“, WL 3JBL/37/34. 50 Salvation Army, „Mrs. Josephine Butler: Interview“, 49. 51 Butler, Amos und Booth, „Woman’s Place in Church Work“, 32. 52 Butler beschrieb Hagar als „typische Verstoßene“. Vgl. Josephine E. Butler, The Lady of Shunem (London: H. Marshall, 1894), 71.

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hung zu jenen Menschen dachte, die von anderen als „Sünder“, als „gefallen“ oder als „schamlose Dirnen“ charakterisiert wurden,53 und zeigt wie in einem Brennglas die ganze Genialität ihrer innovativen Bibelinterpretation. Butler nahm dieses Wort, das in der Kultur ihrer Zeit durchaus gebräuchlich war, kombinierte es mit seiner biblischen Verwendung und sorgte so mit einem Streich dafür, dass der Wert und Status der so bezeichneten Frauen neu defi­ niert wurde und diejenigen, die diese Frauen verurteilten, sich auf der Ankla­ gebank wiederfanden. Fanny Forsaith, die als Sekretärin für Butler und ihre Kampagne tätig war und in dieser Funktion oft Materialien für Freund*innen und Förder*innen verfasste, erhielt von Butler die emphatische Anweisung: „Benutzen Sie niemals das Wort Prostituierte, wenn Sie es eben vermeiden können!“ Dies unterstreicht die Tatsache, dass die Verwendung des Begriffs „Verstoßene“ für Butler einen lebensnotwendigen Aspekt nicht nur ihres eigenen Denkens, sondern auch der politischen Strategie darstellte, mit der sie ihre Kampagne durchführte.54 „Verstoßene“ definiert die Frau über das Verhalten eines ande­ ren Menschen und lastet ihr Verstoßen-Sein diesem oder dieser anderen an. Die biblische Verwendung des Begriffs „verstoßen“ spricht insofern für sich, als alle alttestamentlichen Okkurrenzen mit einer einzigen Ausnahme eine positive Botschaft der Hoffnung zum Ausdruck bringen.55 Die Verstoßenen werden von Gott mit offenen Armen aufgenommen, und die, die sie ausge­ grenzt haben, werden für das getane Unrecht zur Rechenschaft gezogen. Das Unrecht, das sie getan haben, impliziert bezeichnenderweise die Verstoßung der Verstoßenen: Doch alle, die dich fraßen, werden gefressen […]. Denn ich lasse dich genesen und heile dich von deinen Wunden – Spruch des HERRN –, weil man dich Ver­ stoßene genannt hat (Jer 30,16f.).

Butler scheint von der Jesaja-Auslegung ihres Vaters dazu inspiriert worden zu sein, Frauen als Verstoßene zu beschreiben und ihre Sache zu vertreten, denn in der Fortsetzung seiner Lieblingsstelle bei Jesaja heißt es:

53 Vgl. Josephine E. Butler, „Letter from Josephine E. Butler to the Misses Priestman, 27 February 1888 [From 9, The Close, Winchester], Josephine Butler Collection, Uni­ versity of Liverpool Library“, in Josephine Butler and the Prostitution Campaigns (hg. v. Jane Jordan und Ingrid E. Sharp; 5 Bde; London: Routledge, 2003), 5:109–111; 110. 54 Josephine E. Butler, „Letter from Josephine E. Butler to Fanny Forsaith, 1905“, zitiert nach Jordan, Josephine Butler (2001), 3. 55 Die Ausnahme ist Jer 49,36, wo davon die Rede ist, dass Gott die Verstoßenen aus Elam zerstreut.

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Bedeutet es nicht, dem Hungrigen dein Brot zu brechen, und ausgestoßene Arme ins Haus aufzunehmen? (Jes 58,7).56

Butler entschied sich bewusst für den Begriff „verstoßen“ – so, wie sich heute womöglich jemand dafür entscheidet, nicht von Sklav*innen, sondern von Versklavten zu sprechen oder nicht zu sagen, dass sich jemand prostituiert, sondern dass jemand prostituiert wird. Verstoßene waren in Butlers Augen Menschen, denen etwas angetan worden war, das sie zu Verstoßenen gemacht hatte. Doch das letzte Wort war noch nicht gesprochen: Ihr Verstoßen-Sein sagte nicht alles über sie aus und definierte sie nicht endgültig. Dadurch, dass sie die Verstoßenen mit Worten beschrieb, die Jesaja auf den leidenden Gottesknecht angewandt hatte und die die Christ*innen auf Christus bezogen, suggerierte Butler eine große Nähe zwischen Christus und den Verstoßenen. Verstoßene Frauen waren „verachtet und verworfen“ und wurden „wie Schafe zum Schlachter getrieben“ (vgl. Jes 53,3.7).57 Und wenn sie von der „Niedrigkeit und Verächtlichkeit“ der verstoßenen Frau sprach, dann spielte sie auf das Magnifikat an, in dem Maria sagt, dass Gott „auf die Niedrigkeit seiner Magd“ geschaut habe (Lk 1,48).58 Auch das Jesuswort: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40), wurde von Butler paraphrasiert und auf die Verstoßenen angewandt: „Wer, wenn nicht sie, ist hungrig […], wer, wenn nicht sie, ist nackt und ausgeraubt […]? Wessen Seele am Boden zerstört […]?“59 Butler sagte mithin, dass Jesus mit den Verstoßenen identisch ist und dass man Jesus hilft, wenn man den Verstoßenen hilft. Eine kühne Behaup­ tung – denn Butler sprach hier nicht etwa über die reumütige Magdalena, sondern über verstoßene Frauen im Allgemeinen, die von ihren Zeitgenossen und von der Bibel als Sünderinnen bezeichnet wurden.

6.

Der Einfluss Oxfords und George Butlers

Die Einsicht, dass die Reform für die Frauen nur stattfinden konnte, wenn es gelang, die sexuelle Doppelmoral zu überwinden, verdankte Josephine gro­ ßenteils den frühen Jahren ihrer Ehe mit George Butler, der als Tutor und 56 57 58 59

Butler, Education and Employment of Women, 26. Butler, The Hour Before the Dawn, 261. Butler, The Salvation Army, 5. Butler, „Lovers of the Lost“, 98. Die Worte Jesu in Mt 25,42–45 haben ihre Paral­ lele in Jes 58, John Greys Lieblingstext. Vgl. Helen Mathers, „‚Tis Dishonour Done to Me‘: Self-Representation in the Writings of Josephine Butler“, in Sex, Gender, and Religion: Josephine Butler Revisited (hg. v. Jenny Daggers und Diana Neal; New York: Lang, 2006), 37–53; 48.

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Prüfer an der Universität Oxford tätig war. George betrachtete die Ehe ihren Worten zufolge als eine vollkommen gleiche Verbindung, die beiden Seiten absolute Freiheit gibt, aus eigener Initiative zu denken und zu handeln und sich individuell zu entwi­ ckeln.60

Sie beschrieb die Verbundenheit ihrer beider Leben und würdigte es, dass ihr Mann sie unterstützte, obwohl dies von seinen Freunden missbilligt wurde und seine Karriere negativ beeinflusste. Ihre Ehe war sicherlich untypisch für die damalige Zeit: George blieb zuhause und kümmerte sich um die Kinder, während Josephine auf Reisen ging und ihre Kampagnen vorantrieb – doch für ihn stand außer Frage, dass Frauen für sich selbst sprechen müssen, und er stellte sich, scherzhaft und stolz zugleich, als der Mann von Mrs. Butler vor.61 Die anderen Männer in Oxford behandelten sie allerdings nicht als Gleichgestellte, sondern billigten die sexuelle Doppelmoral oder zogen es zu­ mindest vor, sie nicht zu kritisieren.62 Butlers Erinnerungen an Oxford sind von einer Erfahrung geprägt, die treffend als ihre „erste Lektion in Sachen Demütigung“ bezeichnet worden ist: Ein Theologe machte ihr in ihrem Salon unverblümt klar, dass er und seine Kollegen ihre Herangehensweise an die Bibelauslegung für beklagenswert naiv hielten.63 Rückblickend schrieb sie, dass es ihr nicht an Überzeugung, aber an der „Dialektik“ gefehlt habe, „ihre gemeinsame Wahrheit“ zu verteidigen.64 Oxford, so ihr vieldeutiger Kom­ mentar, „hatte seine Schattenseiten“ mit „kleinen Auflockerungen des Fami­ lienlebens“. Was sie unausgesprochen ließ, war das Ausmaß der Prostitution in Oxford und die Rolle, die die Universität bei ihrer Regulierung spielte.65 Josephine schilderte, wie befreiend es war, nach einem in Gesellschaft verbrachten Abend die Vorstellungen, die von den männlichen Gästen geäu­ ßert worden waren, auf den Prüfstand der Bibel zu stellen, und es wird deut­ lich, dass dies bei den Butlers zur Tradition wurde. Unter „Anleitung ihres Mannes“ wurde Josephine „mit dem griechischen Text vertraut“.66 Einige von Georges Predigten aus ihrer Oxforder Zeit sind noch erhalten und handeln

60 Butler, Recollections, 56. 61 Vgl. Jordan, Josephine Butler (2001), 109f.142.203. 62 Butler, Recollections, 102. 63 Ann Loades, Feminist Theology: Voices from the Past (Oxford: Polity, 2001), 79. 64 Butler, Recollections, 95. 65 Arthur J. Engel, „‚Immoral Intentions‘: The University of Oxford and the Problem of Prostitution, 1827–1914“, Victorian Studies 23/1 (1979): 79–108. 66 Tooley, „Sex Bias of the Commentators“, 413.

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interessanterweise von Themen, die auch in Josephines späteren Veröffentli­ chungen häufig zur Sprache kommen werden.67 Es lässt sich nicht sagen, wer die Haltung Jesu gegenüber verstoßenen Frauen zuerst entdeckte – Josephine oder George oder vielleicht beide ge­ meinsam; doch es steht außer Frage, dass Josephine in Oxford bereits mit zentralen Stellen der Schrift, die sie bei ihren Kampagnen benutzen würde, vertraut war – und dass sie Jesus als „Revolutionär“ bezeichnete.68

7.

Eine Stimme, die in der Wüste ruft: „Wir rebellieren“

Butler machte die oberen Gesellschaftsschichten für die Gesetzgebung ver­ antwortlich, die die staatlich regulierte Prostitution ermöglichte, und sie wusste auch, dass sich der Klerus, die Bischöfe und Erzbischöfe, die gewähl­ ten Mitglieder des Parlaments und die Lords großenteils aus den Reihen der Männer von Oxford und Cambridge rekrutierten. Butlers ausgeprägtes Klas­ sendenken, das Ausgebeutete und Ausbeuter, ehrliche Arbeiter und unmorali­ sche Aristokraten einander gegenüberstellte, ist vielleicht nicht erst in Oxford entstanden, mag dort aber durchaus verstärkt und um persönliche Aspekte ergänzt worden sein, weil sie in ebenjenen Gesellschaftskreisen verkehrte, deren Angehörige sich bereitmachten, Großbritannien zu regieren. Zu einem späteren Zeitpunkt jedenfalls fasste sie ihren Protest gegen diese Klassentei­ lung in deutliche Worte: Die oberen Klassen im Parlament sind gewillt & entschlossen, ein System der legalen Hurerei zu erreichen & aufrechtzuerhalten, das von der Regierung be­ aufsichtigt & mit den vom Volk bezahlten Steuern finanziert wird.69

Sich selbst sah Butler als eine radikale prophetische Stimme im öffentlichen Raum, die die Schrift bewusst subversiv in die Kultur ihrer Zeit hinein in­ terpretierte, um die Ausgrenzung der Verstoßenen anzuprangern und an den Maßstäben von Kirche und Staat zu rütteln.70 67 George Butler, The Gospel Preached to the Poor a Sign of Christ’s Presence on Earth: Sermons Preached in 1857 in Dartmouth Place Chapel, Blackheath (London: Bell & Daldy, 1858), 71f. 68 Butler, Recollections, 102. 69 Butler, „Letter to Harriet Meuricoffre and Fanny Smyttan“, 370. 70 Josephine E. Butler, „Letter 3“, Salvation Army International Heritage Centre, London, BC/1/1/65.

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Ihre in Frankreich und Italien gehaltenen Brandreden gegen die staatlich regulierte Prostitution wurden in einem Sammelband veröffentlicht, dessen Titel – „Die Stimme, die in der Wüste ruft“ – ihr Engagement treffend zusam­ menfasst: Sie sieht sich als einen weiblichen Johannes den Täufer und erhebt ihre Stimme in einer „riesigen Wüste von Männern“, um gegen das „typische Verbrechen“ oder die „typische Sünde“ zu protestieren und im Namen der Frauen zu erklären: „Wir rebellieren“.71 Butler erklärte – und damit forderte sie die Staatsmacht unmittelbar he­ raus –, dass Johannes’ Rolle darin bestanden habe, die Wege des Herrn zu bereiten und vor der ersten Ankunft Christi eine Zeit der Buße auszurufen. Jetzt, sagte sie, sei es an der Zeit, dass andere prophetisch Begabte den Weg für die zweite Ankunft Christi bereiteten, und dann wandte sie sich mit den Worten aus Jes 10,1 direkt an die Gesetzgeber: Wehe denen, die unheilvolle Gesetze erlassen und unerträgliche Vorschriften machen, um die Schwachen vom Gericht fernzuhalten und den Armen meines Volkes das Recht zu rauben.72

Mit dem Verweis auf Joh 8 stellte sie auch die Moral ihrer Hörerschaft in Frage: Was denken Sie – Sie, die Sie wie die Schriftgelehrten und Pharisäer Steine auf die Frau werfen, die ein unsittliches Leben führt, während Sie den Männern, die mit ihr sündigen, die höchsten weltlichen Ehren zuteilwerden lassen […].

Beißend fuhr sie fort: Ist die Lektion hieraus klar und vollständig genug? […] Meinen Sie, dass Jesus Christus es gutgeheißen hätte, dass Frauen öffentlich als Mägde der Scham re­ gistriert werden?73

71 Josephine E. Butler, „The Voice of One Crying in the Wilderness: Being her first appeal made in 1874–5, to continental nations against the system of regulated vice. Now first translated into English by Osmund Airy, Bristol: J. W. Arrowsmith, 1913; Original Französisch: Une voix dans le désert, 1874“, in Josephine Butler and the Prostitution Campaigns (hg. v. Jane Jordan und Ingrid E. Sharp; 5 Bde; London: Routledge, 2003), 1:128–155. 72 Ebd., 148. 73 Ebd., 140.

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Der Ausdruck „Mägde der Scham“ ist dabei ein exakter Gegenbegriff zu „Mägde des HERRN“ – die, die Prophetinnen hätten sein sollen, wurden stattdessen als Prostituierte eingetragen.74 Auch die Frauen forderte diese bemerkenswerte Person heraus, die, selbst schon im Buckingham Palast zu Gast gewesen und Gattin eines anglikanischen Geistlichen, in der Sprache der Pariser Kommune erklärte, dass Schwestern „solidaire“ seien und dass die Erniedrigung der Verstoßenen eine Schmach sei, die „mir angetan“ werde, um anschließend das Christuswort zu zitieren: „Das habt ihr mir getan“.75 Butler bezeichnete sich selbst als Republikanerin und sagte – eine Anspielung sowohl auf Apg 17,6 als auch auf die Englische Revolution –, dass „Engländerinnen […] die Welt in Aufruhr bringen [wer­ den], bis Unreinheit und Unrecht aus unseren Gesetzen verbannt sind.“ Ihre häufige Verwendung des Ausdrucks „solidaire“ zeigt, dass ihre Vorstellung davon, wie die Lehre und das Beispiel Christi, des „gefährlichen Gleichma­ chers“, umgesetzt werden sollten, sowohl vom französischen Republikanis­ mus als auch von der britischen radikalen Tradition beeinflusst war.76 Dass sie den Ausdruck „Solidarität“ – wie später unter Befreiungstheolog*innen üb­ lich – in einem christlichen Zusammenhang gebrauchte, war in der britischen Theologie der damaligen Zeit etwas Neues.77 Diese Form der radikalen Kritik an der unterdrückerischen Macht von Regierungen und Grundbesitzern und ihre erklärte Solidarität mit den französischen Prostituierten waren typisch für Butlers Sichtweise und Rhetorik.

8.

Mrs. Butlers Bibel

Die feministische Bibelauslegung lässt sich als eine Form der Befreiungstheo­ logie beschreiben. Sie geht von der Erfahrung der Unterdrückten aus, zielt auf gesellschaftliche Veränderung ab und nähert sich dem Bibeltext unter der Prämisse, dass es so etwas wie neutrale Wissenschaft nicht gibt.78 Wie weit ist 74 Butler, Prophets and Prophetesses, 4. 75 Glen Petrie, A Singular Iniquity: The Campaigns of Josephine Butler (New York: Viking, 1971), 30; Butler, The Voice, 137f. 76 Josephine E. Butler, „Letter to Mary Priestman, 11 June 1886“, WL 3JBL/25/29; Butler, „Constitution Violated“, 157f.; Josephine E. Butler, „Truth before Everything, London, Pewtress, 1897“, in Josephine Butler and the Prostitution Campaigns (hg. v. Jane Jordan und Ingrid E. Sharp; 5 Bde; London: Routledge, 2003), 3:334–358; 337. 77 Vgl. z. B. Gustavo Gutiérrez, A Theology of Liberation: History, Politics, and Salvation (Maryknoll: Orbis, 1973), 287–306; in deutscher Übersetzung: Eine Theologie der Befreiung (München: Kaiser und Mainz: Grünewald, 1973). 78 Sandra Schneiders, „Feminist Hermeneutics“, in Hearing the New Testament: Strategies for Interpretation (hg. v. Joel B. Green; Grand Rapids: Eerdmans, 1995),

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Butler in dieser Richtung bereits gegangen, und welche Interpretationsstrate­ gien hat sie angewandt? Ihre Hermeneutik des Verdachts zeigt sich in einem 1894 gegebenen Interview mit dem Titel „Mrs. Butler’s Bible“, in dem die in­ zwischen 66-Jährige die Frauen unumwunden dazu aufruft, „profunde Bibel­ studentinnen und Wissenschaftlerinnen, die das Hebräische und Griechische beherrschen und in den Prinzipien der echten kritischen Forschung bewandert sind“, und „wirklich gebildete Exegetinnen“ zu werden, denn: „Die Männer haben es auf diesem Gebiet lange genug auf ihre Art gemacht“.79 Die männ­ liche Fehlinterpretation der Heiligen Schrift habe dazu geführt, dass es den Frauen verboten worden sei, in der Kirche das Wort zu ergreifen. Auch dem „Sex-Bias“ bei der Ausprägung des Kanons stand Butler kri­ tisch gegenüber; so erklärte sie: Ich glaube im weiteren Sinne an die Inspiration der Schriften, aber ich glaube nicht an die unmittelbare Inspiration jenes aus Männern gebildeten Rats, der darüber befand, was kanonisch sein sollte und was nicht.80

Warum, so fragte sie, sollte man die Erzählung von Josef und der Frau des Potifar, nicht aber die von Susanna und den Ältesten aufnehmen? Warum Judit ausschließen?81 Sie mutmaßte, dass ein „Sex-Bias“ die Männer dazu veranlasst habe, Bücher oder Erzählungen auszusortieren, die Männer in ei­ nem schlechten Licht und Frauen als ihnen in moralischer Hinsicht ebenbürtig oder überlegen erscheinen ließen. Diese verzerrte Wahrnehmung wirke, so Butler, auch in der zeitgenössischen Bibelübersetzung fort, da die Begegnung Jesu mit der beim Ehebruch ertappten Frau (Joh 8,2–11) in der damals neues­ ten Revised Version in Klammern gestellt worden sei.82 Butler war zutiefst darüber besorgt, dass Menschen sich womöglich davon abhalten lassen könnten, das Alte Testament zu lesen, weil männliche Theo­ logen und Kommentatoren „anscheinend eine nervöse Scheu davor haben, ihrem eigenen Geschlecht die Schuld zu geben, wenn es um ihre Beziehungen mit Frauen geht“. Eine Frau, so Butler, würde „mit tieferem Entsetzen auf Davids Fehltritt blicken und das schäbige Verhalten, das sogar gute Männer Frauen gegenüber an den Tag legen, stärker empfinden“.83 In ihrer eigenen Bi­ 349–369. 79 Tooley, Sex Bias of the Commentators, 413. Katharine Bushnell ist eine der Frauen, die von Butler dazu ermutigt wurden, sich mit Bibelexegese zu befassen, vgl. Kath­ arine C. Bushnell, A Brief Sketch of Her Life Work (Hertford: Rose & Sons, 1932). 80 Tooley, Sex Bias of the Commentators, 417. 81 Susanna und die Ältesten und Judit sind deuterokanonisch. Butler stellt klar, dass sie einige der deuterokanonischen Bücher ablehnt und kein Buch ausschließen will, das bereits zum Kanon gehört. Tooley, Sex Bias of the Commentators, 416. 82 Ebd., 418. 83 Ebd., 415; vgl. auch Butler, The Voice, 136.

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belauslegung nahm sie ganz klar die Perspektive von Frauen und insbesonde­ re von verstoßenen Frauen ein und betrachtete es als ebenso unentschuldbar, wenn biblische Charaktere Frauen schlecht behandelten, wie wenn Zeitge­ nossen in ihre Fußstapfen traten. Sie beginnt dort, wo Frauen sind, und die Frauen, denen sie zur Seite steht, sind sterbende Prostituierte – Frauen, die fragen: „Gibt es für uns irgendeine Hoffnung?“84 Schon Butler griff zwei jener Stellen heraus, die Phyllis Trible später als „Texts of Terror“, „Texte des Schreckens“, beschreiben sollte.85 100 Jahre vor Trible bezeichnete Butler die Erzählung von der Nebenfrau des Leviten in Ri 19 als „typische Tragödie“ und sagte zu ihrer Hörerschaft: „Wir haben zu lange geschlafen; eine Gestalt liegt vor unserer Haustür.“86 Butler, so schreibt Marion Taylor, „spricht an, was der Levit und sein Gast im Hinblick auf die Natur, die Stellung und den Wert der Frauen stillschweigend voraussetzen“.87 Auch Jesus wird wirkungsvoll in die Erzählung eingeführt, wenn Butler darüber spekuliert, ob er der verstoßenen Frau an der Türschwelle jemals be­ gegnet ist und ob sie, als sie tot zusammenbrach, wohl noch etwas Tugend vom Saum seines Gewandes gestohlen hat. In einem weiteren Verweis auf das Lukasevangelium erklärt Butler, dass Jesus weit mehr verstoßene Frauen aufgenommen habe, als Simon der Pharisäer es sich vorstellen hätte können. Warnend fügt sie hinzu, dass die im Lobpreis Gottes zum Himmel erhobe­ nen Hände dieser Frauen für ihre Unterdrücker ein Zeichen seien, dass das Gericht herannahe.88 Auf diese Weise versuchte Butler nicht nur, wie Taylor schreibt, „das Grauen der Geschichte zu lindern, indem sie Jesus an die Seite des leidenden und sterbenden Opfers stellt“, sondern bekannte sich durch ihre 84 Josephine Butler, „Memories“, Storm-Bell 23 (1900): 307–311; 309. 85 Phyllis Trible, Texts of Terror: Literary Feminist Readings of Biblical Narratives (Minneapolis: Fortress, 1984); John L. Thompson, Writing the Wrongs: Women of the Old Testament among Biblical Commentators from Philo through the Reformation (Oxford: Oxford University Press, 2001), 3. Die bei Trible behandelten Frauengestal­ ten sind Hagar (Gen 16,1–16 und 21,9–21), Tamar (2 Sam 13,1–22), eine namenlose Frau, die üblicherweise als die Nebenfrau des Leviten bezeichnet wird (Ri 19,1–30), und Jiftachs Tochter (Ri 11,29–40). 86 Butler, „Lovers of the Lost“, 94. 87 Marion Ann Taylor, „‚Cold Dead Hands Upon our Threshold‘: Josephine Butler’s Reading of the Story of the Levite’s Concubine, Judges 19–21“, in The Bible as a Human Witness to Divine Revelation: Hearing the Word of God Through Historically Dissimilar Traditions (hg. v. Randall Heskett und Brian P. Irwin; London, T & T Clark, 2010), 259–273; 269. Vgl. auch Butlers vierten Artikel „Dead Hands“, in dem sie über einen aktuellen Vorfall in Indien berichtet: Eine Burmesin war in Sichtweite eines Wachturms von mehreren Soldaten vergewaltigt worden und gestorben, ohne dass jemand für ihren Tod verantwortlich gemacht wurde. Josephine E. Butler, „Dead Hands Upon the Threshold“, Storm-Bell (Juli 1899): 202–206. 88 Butler, „Dead Hands Upon the Threshold“, 115; Josephine Butler, „Moral Re­ claimability of Prostitutes“, Josephine Butler Society Library Pamphlets 26 (1870): 121–127; 124.

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Christozentrik auch zu ihrer Überzeugung, dass nichts in den Berichten von den Anfängen des Wirkens Christi deutlicher ins Auge springt als „sein Um­ gang mit Frauen, die von der Gesellschaft abgelehnt werden“.89 In The Lady of Shunem,90 ihrer einzigen exegetischen Ganzschrift, wandte Butler die Ideen an, die sie kurz zuvor in „Mrs. Butler’s Bible“ vorgetragen hatte. Mit dieser Studie zu mehreren alttestamentlichen Frauenfiguren wollte sie zeigen, was „der Gott der Familien“ für die Frauen sein kann.91 Trible, die bekanntlich auch die Hagar-Geschichte unter die „Texte des Terrors“ gezählt hat, nannte Hagar eine Frau, die benutzt, missbraucht und verworfen worden sei.92 100 Jahre zuvor wandte sich angesichts des Missbrauchs von Frauen in der viktorianischen Gesellschaft auch Josephine Butler der Heiligen Schrift zu und interpretierte Hagar wagemutig, kraftvoll und bewusst unabhängig als „die typische Verstoßene“. Treffend bemerkt Amanda Benckhuysen, dass Butlers einzigartige Begabung, den Text durch die Brille ihrer eigenen Erfah­ rung zu lesen, […] die Kraft dieser alten Geschichte freisetzt, Wort Gottes für die moderne Gesellschaft zu sein.93

Entgegen der vorherrschenden viktorianischen Sichtweise, die Abraham und Sara als patriarchale Vorbilder des Glaubens und Gehorsams betrachtete, er­ klärt Butler, dass Abraham „gefehlt“ habe, als er Hagar schlecht behandelte, die „für eine Zeit und einen Zweck gebraucht“ und dann verstoßen worden sei, um zu sterben. Auch Sara wird harsch kritisiert, weil sie den Part über­ nommen habe, den die „herzlose Weiblichkeit von jeher übernimmt“. Demge­ genüber betont Butler, dass nicht etwa die „Fürstin“ Sara, sondern „die miss­ brauchte Sklavin“, „die verworfene Hagar allein in der Wildnis“ von Gott angesprochen wurde. Für Butler ist dies der wichtigste Teil der Erzählung, der ihr in ihrer Kampagne Kraft und Trost gibt und der „die ganze christliche Welt zu einer wahreren und klareren Sicht auf das Leben um uns herum auf­ rütteln sollte“.94 Butler macht Paulus für die Selbstgefälligkeit verantwortlich, mit der spä­ tere Christ*innen den Hagars ihrer Zeit begegnen. Weil er die Geschichte von Hagars Verstoßung benutzt habe, ohne sie weiter zu kommentieren, habe 89 Taylor, „Cold Dead Hands“, 269; Josephine E. Butler, „Emancipation“, StormBell (1900): 254–259; 257. 90 Butler, The Lady of Shunem, 3.93. 91 Der Ausdruck „Gott der Familien“ verweist auf Jer 31,1 in der King James Version. 92 Trible, Texts of Terror, 1. 93 Amanda W. Benckhuysen, „Reading between the Lines: Josephine Butler’s So­ cially Conscious Commentary on Hagar“, in Recovering Nineteenth-Century Women Interpreters of the Bible (hg. v. Christiana De Groot und Marion Ann Taylor; SBLSymS 38; Leiden: Brill, 2007), 135–148; 136. 94 Butler, Lady of Shunem, 82.

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der Schrei, „‚Vertreibe diese Magd und ihren Sohn!‘ [Gen 21,10] seinen nie­ derträchtigen Charakter verloren“.95 Mithilfe von 1 Petr 3,1–6 sei Sara in der christlichen Trauungszeremonie zum Vorbild der gehorsamen Ehefrau aufge­ baut worden. Butler jedoch will angesichts der „unerfreulichen Geschichte“ von Sara, Hagar und Abraham nicht schweigen, nur weil die Kirche und ein Apostel offenbar anderer Meinung sind, sondern erklärt: „Ich ziehe es vor, meinen Abscheu offen zum Ausdruck zu bringen“.96 Dass Benckhuysens Butlers Auslegung mit der Interpretation der Womanist-Theologin Delores Williams und der Mujerista-Theologin Elsa Tamez vergleicht, ist durchaus angebracht.97 Butlers Lesart war auf die Befreiung der Unterdrückten ausgerichtet, und ihr Unterdrückungsbegriff war weit gefasst: In der Bibel finde ich den Arbeiter, dem sein gerechter Lohn vorenthalten wird, die Witwe, der Unrecht geschieht, vernachlässigte Waisen, Aussätzige, die von der Gesellschaft verstoßen werden […]. Ihr Schrei, so heißt es, dringt zu den Ohren Gottes.98

Es erfüllte sie mit Sorge, auf wie vielfältige Weise die Doppelmoral Frauen in der Gesellschaft zu Verstoßenen machen konnte: Die wirtschaftlichen Ver­ hältnisse und fehlende Anstellungschancen konnten dazu führen, dass Frauen kaum etwas anderes übrig blieb, als sich selbst zu verkaufen, um ihre Fami­ lien zu ernähren; ledige Mütter konnten zum Kindsmord getrieben und ins Gefängnis geworfen werden; und Hausangestellte konnten, wie sie in Oxford herausgefunden hatte, geschwängert und dann entlassen werden. Wenn also Tamez Hagars Behandlung als ein „Familienszenario“ beschreibt, das „auch 95 Ebd. Paulus bezieht sich in Gal 4,21–31 auf Hagar und Sara. Der Gegensatz zwischen dem „Gott der Familien“ und Paulus ist ein Schlüssel zum Verständnis von Butlers Aussage, er sei „kein Vater“ gewesen, die möglicherweise eine Antwort auf die Frage sein sollte, wie der Apostel nur so gedankenlos sein konnte. 96 Butler, Lady of Shunem, 74. 97 Amanda W. Benckhuysen, „Reading Hagar’s Story from the Margins: Family Re­ semblances between Nineteenth- and Twentieth-Century Female Interpreters“, in Strangely Familiar: Protofeminist Interpretations of Patriarchal Biblical Texts (hg. v. Nancy C. Calvert-Koyzis und Heather E. Weir; Atlanta: SBL, 2009), 17–32; 29f. Vgl. Delores S. Williams, „Hagar in African American Biblical Appropriation“, in Hagar, Sarah, and Their Children: Jewish, Christian, and Muslim Perspectives (hg. v. Phyllis Trible und Letty M. Russell; Louisville: Westminster John Knox, 2006), 171–184; Dies., Sisters in the Wilderness: The Challenge of Womanist God Talk (Mar­ yknoll: Orbis, 1993); Elsa Tamez, „The Woman Who Complicated the History of Salvation“, in New Eyes for Reading: Biblical and Theological Reflections by Women from the Third World (hg. v. John S. Pobee und Bärbel von Wartenberg-Potter; Oak Park: Meyer-Stone, 1987), 5–17, und Dies., Bible of the Oppressed (Maryknoll: Or­ bis, 1982). 98 Butler, Woman’s Work, x.

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heutigen Hausangestellten vertraut“ ist, dann hätte Butler ihr zugestimmt.99 Benckhuysen vergleicht Harriet Beecher Stowes Interpretation der Hagar-Ge­ schichte mit Butlers Auslegung, weist aber darauf hin, dass sich Stowe „eine hohe Meinung von Abraham als einem Modell des Glaubens, der Weisheit und der Rechtschaffenheit“ bewahrt. Auf einer Linie mit den Konventionen der amerikanischen Sklavenhaltergesellschaft lobt Stowe Saras gütige Sorge um ihre Magd und das Kind ihrer Magd. Butler hingegen übt aus ihrer aboliti­ onistischen Perspektive scharfe Kritik an Hagars Behandlung durch Abraham und Sara und rückt damit in weitaus größere Nähe zu Renita Weems, die die Geschichte mit „Eine Herrin, eine Sklavin und keine Gnade“ überschreibt und im weiteren Verlauf erklärt: Für schwarze Frauen ist Hagars Geschichte […] eine, die sie verfolgt […]. Ha­ gars Geschichte ist uns eigenartig vertraut. Es ist, als würden wir sie auswendig kennen.100

Wenn Butler schreibt: „Hier sind zwei Frauen – eine die rechtmäßige, ge­ achtete und ehrbare Ehefrau; die andere […] einfach für eine Zeit und einen Zweck gebraucht“, dann übt sie scharfe Kritik daran, wie Abraham und Sara die Sklavin Hagar behandeln. Und als Kämpferin gegen die Doppelmoral wet­ tert sie dagegen, wie Abraham und Sara die verlassene Mutter und ihr Kind behandeln.101 Wenn sie sagt, die „Welt“ habe „sich mit Hagars gefüllt“,102 dann denkt sie an die versklavten schwarzen Frauen, an die Hausangestellten, an die indischen Frauen in der staatlich regulierten Prostitution, die das British Empire für die Indienstreitkräfte organisiert hatte, an die Frauen, von denen sie wusste, dass sie von Europa nach New Orleans verkauft worden waren, und an viele andere. Daher liegt es nahe, ihre Theologie mit den Theologien anderer Frauen, die die Bibel unter dem Blickwinkel der Befreiung gelesen haben, und mit Theologien aus aller Welt zu vergleichen, die die vielfältigen Formen der Unterdrückung – ob sie nun als Sexismus, Rassismus oder in ei­ ner anderen Gestalt auftritt – zu erkennen vermögen.103 Butler macht verborgene Frauen sichtbar, indem sie die Perspektive ver­ stoßener Frauen einnimmt und die Texte gegen den Strich liest. Sie vergleicht die Behandlung des verlorenen Sohns mit der der verstoßenen Frau und macht uns so mit der verlorenen Tochter bekannt. Der verlorene Sohn, so Butler, gehe aus freien Stücken und nehme sein Erbteil mit; die verstoßene Tochter 99 Tamez, „The Woman Who Complicated“, 10. 100 Renita J. Weems, Just a Sister Away: A Womanist Vision of Women’s Relationships in the Bible (New York: Lura Media, 1988), 5. 101 Butler, Lady of Shunem, 71. 102 Wie bei Butler werden hier die Namen Abraham und Sara verwendet, obwohl die beiden an diesem Punkt der Genesiserzählung noch Abram und Sarai hießen. 103 Vgl. Benckhuysen, „Reading Hagar’s Story“, 17–32.

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jedoch gehöre zu den Geringsten unter den Enterbten dieser Welt. Auf diese Weise lenkt Butler die Aufmerksamkeit auf die Prostituierten, die im Text all­ gegenwärtig sind: Der verlorene Sohn gibt sein ganzes Geld für Prostituierte aus, und die Leser*innen des 19. Jh. hätten sowohl ihn als auch die Prostitu­ ierten verurteilt. Butler aber fragt implizit: Wenn der verlorene Sohn zuhause mit offenen Armen empfangen wird, warum dann nicht auch die Prostitu­ ierten: Dürfen auch sie bereuen und in das Haus ihres Vaters zurückkehren? Taylor schreibt: „Butler las die Schrift sorgfältig […] aus der Perspektive des Opfers und wurde damit tatsächlich zur Stimme der Verstoßenen“.104 Das Beispiel schlechthin für diese Vorgehensweise ist, als Ganzes betrachtet, ihr Buch The Lady of Shunem, wo Butler die Darstellungen verschiedener – von der Gesellschaft nicht unbedingt als vorbildlich betrachteter – Frauen inei­ nander webt. Wie eine Alice Bach des 19. Jh. bringt sie mehrere weibliche Gestalten im selben Raum zusammen, doch manch einer von diesen Frauen hätten viktorianische Leser*innen die Tür und die Bibel vor der Nase zuge­ schlagen. Die Geschichten von Rahab, Rizpa und Hagar wie auch die von der Schunemiterin und Jochebed, der Mutter des Mose – allesamt Mütter, die sich mit dem Verlust ihrer Kinder konfrontiert sehen – werden geschickt nebenei­ nandergestellt und erheben Anklage gegen die „Saras“ dieser Welt.105 Der „Gott der Familien“ erscheint als ein Gott, der nicht nur der achtbaren schunemitischen Mutter, sondern auch der Prostituierten beisteht, die sich auf einen Handel einlässt, um ihr eigenes Überleben und das ihrer Familie zu sichern.106 Der Gott, der die missbrauchte Sklavin allein in der Wildnis an­ sieht – von ihrer Herrin drangsaliert, von ihrem Herrn verstoßen und unfähig, ihrem Sohn beim Sterben zuzusehen –, ist der „Gott der Familien“, der auch die Nebenfrau ansieht, die nach dem Tod ihres Herrn in den Besitz anderer Männer übergeht, aber als eine Mutter die Körper ihrer Söhne bis über deren Tod hinaus beschützt. Die privilegierte Stellung des schunemitischen Sohns und Erben fordert den Vergleich mit Ismael und Hagar, den Enterbten, he­ raus und bringt Butlers Leser*innen – die natürlich mit der achtbaren Hinter­ bliebenen aus Schunem sympathisieren – dazu, auch ihre Sympathie für die Sklavin Saras, die Prostituierte aus Jericho und die Nebenfrau zu entdecken, deren Söhne entbehrlich wurden, sobald ein anderer Mann die Kontrolle über ihr Leben übernahm.

104 Taylor, „Cold Dead Hands“, 271. 105 Alice Bach, Women, Seduction, and Betrayal in Biblical Narrative (Cambridge: Cambridge University Press, 1997), 27; Rahab (Jos 2 und 6,22–25), in Butler, Lady of Shunem, 94–111; Rizpa (Butler schreibt „Rizpeh“), in Butler, Lady of Shunem, 114; die Schunemiterin (2 Kön 4,8–37), in Butler, Lady of Shunem, 9–36, 115, und Jochebed, die Mutter des Mose (Ex 6,18–20; Num 26,58f., namentlich nicht genannt in Ex 2,1–10), in Butler, Lady of Shunem, 88. 106 Butler, Lady of Shunem, 94.

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Butler kritisierte die männliche Bibelauslegung nicht nur in ihren Veröf­ fentlichungen und Interviews, sondern brachte ihre Nichtübereinstimmung mit manchen männlichen Gelehrten auch in ihrer Privatkorrespondenz zum Ausdruck: So machte sie in ihren Briefen an Benjamin Jowett keinen Hehl daraus, dass sie nicht mit seiner Lesart der Bibel einverstanden war. Deshalb muss Butler als eine der „wenigen Ausnahmen“ von jener Regel betrachtet werden, der zufolge männliche Wissenschaftler für die Bibelexegetinnen des 19. Jh. „weder Gesprächspartner noch Zielgruppe waren“.107 Mit der Zeit fanden in Butlers Denken bedeutende Verschiebungen statt: Hatte für sie zunächst das Recht der Frauen auf Bildung und Erwerbstätig­ keit im Vordergrund gestanden, organisierte sie später Kampagnen gegen die CDAs und die sexuelle Doppelmoral, ehe sie sich schließlich dafür einsetzte, Frauen zu qualifizierten Bibelexegetinnen auszubilden, weil die Gleichheit vor dem Sittengesetz von Kirche und Gesellschaft nur auf diesem Wege zu er­ reichen sei. In Anbetracht der Bedeutung, die sie der Bibelexegese von Frauen beimaß, ihrer öffentlichen Prominenz und ihrer Verbindungen nach Übersee scheint es überraschend, dass sie keinen Beitrag zu Elizabeth Cady Stantons The Woman’s Bible verfasste. Butler selbst jedoch berichtet, dass sie „einst im Hinblick auf die Herausgabe einer Frauenbibel konsultiert“ worden sei, das Projekt aber nicht unterstützt habe, weil sie dachte, dass es „womöglich ge­ nauso pharisäerhaft und einseitig“ werden würde wie ein ausschließlich von Männern verfasstes Buch. Konsequent hielt sie an ihrer Überzeugung fest, dass nur Männer und Frauen gemeinsam die beste Sicht auf jede beliebige Angelegenheit hätten.108

107 „Copy of a Letter to Jowett, without date, probably between 1860 and 1870“, WL 3JBL/01/20. Zu der These, dass es sich hierbei um eine Replik auf „Essays and Reviews“ gehandelt habe, vgl. Russell-Jones, Voice of the Outcast, 304–310; Chris­ tiana de Groot und Marion Ann Taylor, „Recovering Women’s Voices in the His­ tory of Biblical Interpretation“, in Recovering Nineteenth-Century Women Interpreters of the Bible (hg. v. dens.; Leiden: Brill, 2007), 1–17; 10. 108 Butler, Woman’s Work, lvi; zu den britischen Autorinnen, die Beiträge zu The Woman’s Bible verfassten, gehörten Priscilla Bright McLaren und Ursula Bright, zwei von Butlers Mitstreiterinnen, die mit ihren engen Freundinnen, den PriestmanSchwestern, verwandt waren. Dass man Butler um ihre Meinung oder Beteiligung bat, ist vor diesem Hintergrund nicht unwahrscheinlich. Vgl. Elizabeth Cady Stan­ ton, „Revising Committee“, in Dies., The Woman’s Bible (New York: European Publishing Company, 1895; Nachdr., Seattle: Coalition Task Force on Women and Religion, 1974), 3. Zum Familienzweig der Brights, Priestmans und McLarens vgl. Elizabeth Crawford, The Women’s Suffrage Movement: A Reference Guide, 1866– 1928 (London: UCL, 1999), 768.

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Resümee: Butlers Bedeutung als Bibelexegetin

Mit über 60 Jahren klagte Butler: „Wie gerne würde ich wählen gehen. Stellen Sie sich das nur einmal vor: kein Stimmrecht zu haben!!“109 Für den Fortschritt der Frauenbewegung im 19. Jh. war sie dennoch ohne jeden Zweifel von au­ ßergewöhnlicher Bedeutung. Butler trug entscheidend dazu bei, dass sich der Fokus der „Frauenfrage“, der zunächst nur auf die Ungleichheit der Rechte und Bildungschancen gerichtet gewesen war, zu „einer radikaleren und um­ fassenderen Sicht auf die Unterdrückung der Frau in einem Gesamtgefüge aus wirtschaftlicher, politischer und sexueller Macht“ erweiterte.110 Durch ihre Bibelauslegung und die Art, wie sie diese anwandte, beeinflusste sie Wahr­ nehmungen der „Natur“ und der „Rolle“ von Frauen sowohl in der politischen Arena als auch in der Kirche. Sie galt als die „große Gründungsmutter des modernen Feminismus“, die andere Frauen zu Kampagnen für Stimmrecht und Gleichberechtigung inspirierte. „Ihr Triumph half uns zu glauben, dass alles möglich war“, sagte Millicent Garrett Fawcett.111 Auch die Reichweite ihres internationalen Einflusses wird zunehmend erforscht.112 Schwieriger ist es hingegen, die persönliche Wirkung zu quantifizieren oder gebührend zu würdigen, die sie sowohl auf ihre Bewunderer als auch auf diejenigen unter ihren Zeitgenossen ausübte, denen es ein Dorn im Auge war, dass sie auf der öffentlichen Bühne und in der Kirche als Stimme der Verstoßenen auftrat. Butler selbst berichtet, dass führende Kirchenmänner wie C. H. Spurgeon, Lord Shaftesbury und Francis Close, Dekan des Kathe­ dralkapitels von Carlisle, als Unterstützer ihrer Kampagne gewonnen werden konnten, nachdem sie ihr zunächst „schreckliche Briefe der Verurteilung und Zensur“ geschickt hatten. Der Kanoniker Henry Scott Holland glaubte, dass Männer, die sie hatten sprechen hören, danach nicht mehr dieselben waren wie zuvor.113 109 Josephine Butler „Letter to Stanley Butler [From 8, North View, The Common, Wimbledon], Wednesday, June 1892“, WL 3JBL/31/18. 110 Jenny Uglow, „Josephine Butler: From Sympathy to Theory (1828–1906)“, in Feminist Theorists: Three Centuries of Women’s Intellectual Traditions (hg. v. Dale Spender; London: Women’s Press, 1983), 146–164; 146; vgl. auch Flammang, „Your Sons and Daughters“, 153. 111 Walkowitz, Prostitution in Victorian Society, 255f.; Millicent Garrett Fawcett und Ethel M. Turner, Josephine Butler: Her Work and Principles and Their Meaning for the 20th Century (London: Association for Moral & Social Hygiene, 1927; Nachdr., Warrington: Portrayer, 2002), 128. 112 Z. B. Annemieke van Drenth und Francisca de Haan, The Rise of Caring Power: Elizabeth Fry and Josephine Butler in Britain and the Netherlands (Amsterdam: Amsterdam University Press, 1999). 113 Butler, Amos und Booth, „Woman’s Place in Church Work“, 32; Jordan, Josephine Butler (2001), 156f.; Henry Scott Holland, A Bundle of Memories (London: W. Gardner, Darton & Co., 1915), 146.288.289.

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Rev. Hugh Price Hughes (1847–1902), ein wichtiger Geistlicher der wes­ leyanischen Kirche, änderte seine Meinung, nachdem er Butler bei einem Vortrag erlebt hatte, und erklärte, sie habe bewiesen, dass „die Bibel nie wirklich verstanden werden wird, wenn nicht sowohl Frauen als auch Män­ ner sie auslegen“. Im Bewusstsein der politischen Relevanz ihrer Bibelinter­ pretation legte er ihr Werk „jedem Diener der Religion, jedem Mitglied des Parlaments und jedem Richter“ ans Herz.114 Nachdem sie ihn von der Wich­ tigkeit einer weiblichen Bibelexegese überzeugt hatte, drängte er darauf, dass Frauen Theologie studieren sollten, und seine Frau, Katharine Price Hughes, die beim ersten Mal, als sie eine Frau öffentlich hatte sprechen hören, noch zutiefst schockiert gewesen war, wurde die erste Frau, die vor der Methodist Conference eine Ansprache hielt.115 Die Quäkerin Elizabeth Pease Nichol (1807–1897) – die als einzige Frau außer Butler maßgeblich an allen wichti­ gen feministischen Kampagnen des 19. Jh. beteiligt war und deren Haus, wie Elizabeth Cady Stanton sagte, von den Stimmen so vieler Reformer*innen widerhallte – brach mit ihrer lebenslangen Gewohnheit, nicht in der Öffent­ lichkeit zu sprechen, um gegen die CDAs Stellung zu beziehen.116 Auf Butlers Vorschlag hin gab Dr. Katharine Bushnell die wichtige Arbeit, die sie als „eine Mutter in Israel“ mit ihrer Kampagne gegen die staatlich regulierte Pro­ stitution geleistet hatte, auf und wurde nach siebenjährigem Studium eine ein­ flussreiche Lehrerin und Bibelwissenschaftlerin. Beide Frauen sahen hierin eine wesentliche Voraussetzung für das Ende der doppelten Sexualmoral und der „Unterwerfung“ der Frauen in den Kirchen.117 Bushnell selbst erklärte, nachdem sie diese Aufgabe übernommen hatte, sie fühle sich „wie ein Vogel, der nach langer Gefangenschaft in Freiheit gesetzt worden ist“. Gemeinsam kämpften Butler und die Frauen von der Heilsarmee für das Recht der Frauen, Teil der „großen Gemeinschaft der Prediger“ zu sein – indem sie Evange­ lisierungsstrategien entwickelten, einander unschätzbar wertvollen Beistand leisteten und als wichtige Rollenmodelle fungierten.118 Was Butlers Bibelauslegung darüber hinaus so einzigartig macht, ist die Sphäre, in der sie sich ausprägte und präsentiert wurde. De Groot und Taylor schreiben über eine andere Bibelexegetin, Sara Trimmer (1741–1810):

114 Hugh Price Hughes, „The Lady of Shunem“, The Methodist Times: A Journal of Religious and Social Movement 10 (1894): 825. 115 Dorothea Price Hughes, The Life of Hugh Price Hughes (London: Hodder and Stoughton, 1904), 267. 116 Midgley, Women against Slavery, 173; Elizabeth Cady Stanton, Eighty Years and More: Reminiscences, 1815–1897 (New York: European Publishing Company, 1898; Nachdr., Boston: Northeastern University Press, 1993), 297; Anna M. Stoddart, Elizabeth Pease Nichol (London: J. M. Dent, 1899), 270. 117 Bushnell, A Brief Sketch. 118 Russell-Jones, Voice of the Outcast, Kap. 5.

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Jenseits akzeptabler Frauenrollen wie der der Mutter und Lehrerin von Kindern schrieb [sie] einen Kommentar mit dem Titel A Help to the Unlearned in the Study of the Holy Scripture (1805).119

Butler dagegen wandte sich nicht an die häusliche Sphäre und ganz gewiss nicht an Kinder und Jugendliche. Sie sprach bewusst zu einem Publikum, das weit davon entfernt war, sich selbst für „unlearned“, für ungebildet, zu halten – schon gar nicht in der Bibelwissenschaft.120 Und gleichzeitig forderte sie in ihrer quasi inakzeptablen Rolle als Stimme der Verstoßenen dasselbe Publikum mit ihren eigenen und eigenständigen Auslegungen und unbeque­ men Anwendungen heraus. Butlers herausragende Stellung beruht auf der Öffentlichkeit ihrer Bibelinterpretation. Ihre Auslegung und Anwendung der Bibel war zu ihrer Zeit bahnbrechend und weist – wenn sie mächtige Männer anklagt, ‚den Machthabern die Wahrheit ins Gesicht sagt‘121 und die Solidari­ tät betont – auffallende Parallelen zu deutlich späteren Ansätzen auf. Im Gefolge von Kimberley Anne Coles werfen Nancy Calvert-Koyzis und Heather Weir die interessante Frage auf, ob die Wiederentdeckung der Schrif­ ten von Frauen, die in der Geschichte der Bibelauslegung bislang als marginal betrachtet worden sind, tatsächlich „zu einer recht drastischen Neubewertung des Gebiets der Geschichte der Bibelinterpretation führen“ könnten.122 Diese Frage ist im Hinblick auf Butler insofern besonders berechtigt, als sie mit ihrer Auslegung und Anwendung der Bibel das Parlament beeinflusste und – wie der „Maiden Tribute“-Skandal zeigt – auf jeden Fall eine nationale Debat­ te auslöste.123 Damit war ihre Bibelinterpretation und die daraus resultierende Praxis keine Randerscheinung, sondern zeigte beim Mainstream Wirkung. Josephine Butler lebte in einer Zeit außergewöhnlicher Veränderungen im Leben von Frauen und setzte sich in etlichen Ausschüssen für diese Ver­ änderungen ein. Dennoch gehörte sie keinem Komitee und keiner organi­ sierten Körperschaft von Bibelexegetinnen an – obwohl ihr Beitrag zu The 119 De Groot und Taylor, „Recovering Women’s Voices“, 10. Weiterführende Informa­ tionen zu Trimmer bietet Heather E. Weir, „Helping the Unlearned: Sarah Trimmer’s Commentary on the Bible“, in Recovering Nineteenth-Century Women Interpreters of the Bible (hg. v. Christiana De Groot und Marion Ann Taylor; Leiden: Brill, 2007), 19–30. 120 Sogar der Papst ließ sich von Josephine zu einer schriftlichen Stellungnahme drän­ gen! Vgl. Butler, Portrait of Josephine Butler, 64. 121 Im Englischen: „speaking truth to power“, der Ausdruck ist ein bekannter theologi­ scher Terminus, der auf die Befreiungstheologie und die Prophetie verweist. 122 Nancy C. Calvert-Koyzis und Heather E. Weir, „Assessing Their Place in History: Female Biblical Interpreters as Proto-Feminists“, in Strangely Familiar: Protofeminist Interpretations of Patriarchal Biblical Texts (hg. v. Nancy C. Calvert-Koyzis und Heather E. Weir; Atlanta: SBL, 2009), 1–16; 5f. Vgl. Kimberley Anne Coles, Religion, Reform, and Women’s Writings in Early Modern England (Cambridge: Cam­ bridge University Press, 2008), 1. 123 Vgl. Jordan, Josephine Butler (2001), 226.

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Woman’s Bible sicherlich interessant gewesen wäre. Während Cady Stanton damit beschäftigt war, diese bahnbrechende Sammlung exegetischer Arbei­ ten von Frauen herauszugeben, engagierte sich Butler mit ihren Ansprachen, Schriften, Briefen, Gesprächen und ihrer Praxis im Rahmen der Kampagne gegen die sexuelle Doppelmoral als „Prophetin“ auf der öffentlichen Bühne. Die Theologin Elsa Tamez hat einmal gesagt, dass „das Feld der Theologie […] allzu lange […] von gebildeten westlichen Männern der nördlichen He­ misphäre abgesteckt“ worden sei – und Butler hat viele solche Männer ge­ kannt.124 Die Wissenschaftlerin Elisabeth Jay schreibt, dass sich im 19. Jh. „bei dem Versuch, die theologischen Debatten der Kontrolle des Klerus zu entreißen, […] eine entscheidende Wende“ vollzogen habe.125 Zu dieser Wen­ de hat Butler maßgeblich beigetragen, als sie gebildete Männer und Kleriker mit ihrer innovativen, gendersensiblen Theologie herausforderte, die sie nicht im Schulzimmer oder in der Bibliothek, sondern am Bett sterbender Prostitu­ ierter formuliert hatte – mit einer Theologie der Praxis. Als eine französische Frau die Bibel, die man ihr gegeben hatte, fortwarf, weil sie sie als Symbol der Unterdrückung betrachtete, reagierte Butler verständnisvoll und schickte ihr die Botschaft: „I love you“ – die von der Frau später erwidert wurde. Was wirklich gebraucht wurde, so Butler, waren „lebendige Bibeln“.126 Ihr Zeitgenosse Francis William Newman sagte über sie: „Sie liest die Bibel wie ein Kind und deutet sie wie ein Engel.“127 Wer Butlers Auslegungen liest und sich ansieht, welchen Gebrauch sie davon gemacht hat, dem kommt jedoch nicht der „Angel in the House“, der Engel im Haus, in den Sinn. Butler stand an vorderster Front, wenn es darum ging, die herrschende häusliche Ideologie in Frage zu stellen. Kurz ehe sie ihre Kampagne begann, spielte sie auf das Gedicht „The Angel in the House“ an und legte den Männern die folgenden Worte in den Mund: Ihr müsst dafür sorgen, dass wir gut werden und gut bleiben, ihr […] müsst uns unsere Unreinheiten verzeihen und sie mit euren heimlichen Tränen abwaschen […], und zur Belohnung werdet ihr in vielen hübschen Gedichten und Essays als Engel bezeichnet werden.128 124 Elsa Tamez, Struggles For Power in Early Christianity: A Study in the First Letter to Timothy (Maryknoll: Orbis, 2007), 7. 125 Elisabeth Jay, „Now and in England“, in The Oxford Handbook of English Literature and Theology (hg. v. Andrew W. Hass, David Jasper und Elisabeth Jay; Oxford: Ox­ ford University Press, 2007), 3–14; 5. Jay bezieht sich in ihrem Beitrag auf die Rolle, die die Kunst dabei spielte. 126 Josephine E. Butler, „A Dangerous Revolutionary“, Storm-Bell 8 (1898): 85–87; Josephine E. Butler, „Brief Recollections of My Fellow-workers. No. III: Pauline de Grandpre“, Storm-Bell 12 (1899): 137–141; 138. 127 „Letter from Elizabeth Pearson to the Office“, 20 December 1898, WL 3JBL/53/41 128 Josephine E. Butler, „Sursum Corda, Annual Address to the Ladiesʼ National Association, 14 November 1871, Liverpool, T. Brakell, 1871“, in Josephine Butler and

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Butler hielt eisern an ihrer Überzeugung fest, dass eine Frau, wenn sie wirk­ lich ein Engel sein will, die Flügel, die sie über das Haus und über alles emportragen, was darin ist, be­ halten und häufig benutzen muss. Gott muss an erster Stelle stehen […] und ihre Familie an zweiter.129

In ihrer Rolle als Stimme der Verstoßenen nutzte Butler diese Flügel dazu, sich entschlossen außerhalb des Hauses zu positionieren – außerhalb des La­ gers, genauer gesagt: in der Wildnis, an der Seite der verlassenen Mutter und ihres Kindes, der, wie sie betonte, Gottes Offenbarung zuteilwurde.

the Prostitution Campaigns (hg. v. Jane Jordan und Ingrid E. Sharp; 5 Bde; London: Routledge, 2003), 2:168–205; 189. 129 Josephine E. Butler, „Home“, Storm-Bell 20 (1900): 265–271; 271.

Die Bergpredigt und der natürliche Lebenstrieb von Frauen und Männern: Die eigenwillige Auslegung der acht Seligpreisungen der liberalen Frühfeministin und Pädagogin Josephine Stadlin (1806–1875) Elisabeth Joris Zürich

Mit fünfzig Jahren veröffentlichte die Schweizer Pädagogin Josephine Stad­ lin 1856 ein mehr als 300-seitiges, kleinformatiges Buch unter dem Titel „Die Erziehung im Lichte der Bergpredigt“.1 Stadlin schloss zwar Männer als Le­ ser nicht aus, doch sie adressierte das „Büchlein“ explizit an die lesenden Frauen. Es „möchte besonders Erzieherinnen und Müttern dienen“, indem es sie zu ständigem Nachdenken über die eigene Praxis animiere. Denn alle „wahre Förderung und Befriedigung“ sei „an die eigene mühevolle Thätigkeit gebunden“.2 Stadlin bezieht sich – wie auch ich in der Folge – in ihrer „Bergpredigt“ nur auf die sogenannten acht „Seligpreisungen“ (Mt 5,3–12). Sie spricht von „Seligkeiten“, eine im 19. Jh. nicht unübliche und in der katholischen Kir­ che bis heute gebräuchliche Bezeichnung, mit denen im Matthäusevangelium Jesus seine Bergpredigt programmatisch einleitet. Stadlin sieht darin einen Leitfaden zur Entwicklung des als natürlich definierten Lebenstriebs. Denn es dränge die Menschen von Natur aus nach Ausweitung der Erkenntnis und nach Empathie für die Mitmenschen. Die eigenwillige Deutung der Bergpredigt entspricht den Positionen zur weiblichen Erziehung von Stadlin, die sie seit den frühen 1840er Jahren immer wieder neu formulierte und kann als Vermächtnis ihrer langjährigen Praxis als Schulleiterin und Publizistin im Gefolge von Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827) gesehen werden. Pestalozzi, ein heute noch weltweit bekannter Schweizer Pädagoge, machte sich einen Namen als Philanthrop, Sozialrefor­ mer und Autor. Das von ihm in Yverdon, Kanton Waadt, gegründete Institut wurde zu seinen Lebzeiten von Schülern aus ganz Europa besucht. Weniger bekannt war das von ihm parallel dazu eröffnete Mädcheninstitut. Pestalozzis 1 Josephine Stadlin, Die Erziehung im Lichte der Bergpredigt (Aarau: Sauerländer, 1856). Unklar ist, welche Bibelübersetzung Stadlin benutzt hat. 2 Ebd., Vorwort, V.IX.X.

294

Elisabeth Joris

Annahme, dass die Bindung zwischen Kind und Mutter die Basis für alle an­ deren Bindungen sei – zur Gemeinschaft, zur Nation und zur Religion –, galt für viele Pädagoginnen des 19. Jh. als Referenzpunkt für ihre Forderungen nach mädchenspezifischen Bildungsangeboten. Sie gingen daher vom doppel­ ten Charakter der Frau als Mensch mit gleichen Rechten und mit besonderen weiblichen Aufgaben aus.3 Josephine Stadlin orientierte sich zudem an Pesta­ lozzis Methode der „Anschauung“, die konkrete Erfahrungen als Ausgangs­ punkt des Lernens und Lehrens versteht. Einzubeziehen ist dabei sowohl das Gemüt als auch der Verstand. Reduziert auf die Kurzformel „Kopf, Herz und Hand“ ist diese Leitidee bis in die Gegenwart populär geblieben. Als Autorin baute Josephine Stadlin sie in ihr Erziehungskonzept ein. „Die Erziehung im Lichte der Bergpredigt“ ist geprägt vom Glauben an den Fortschritt, der an das immerwährende Streben nach dem Besseren gebunden ist.

1.

Stadlins Positionierung im Kontext politischer und konfessioneller Konfrontationen

Josephine Stadlin wurde 1806 als älteste Tochter einer katholischen Familie in Zug, einer Kleinstadt in der Zentralschweiz, geboren. Wegen ihrer libera­ len und kirchenkritischen Positionen wurde die Familie von Vertretern des katholischen Klerus angefeindet. Auch deshalb war der Alltag immer wieder von materieller Sorge geprägt, das Zusammengehen von Ausbildung und not­ wendiger Erwerbstätigkeit der Kinder schwierig. Nach dem Tod des Vaters ließ sich Josephine Stadlin im Einverständnis mit der Mutter und auf per­ sönliche Einladung von Rosette Niederer-Kasthofer, der Leiterin des ehema­ ligen Pestalozzi-Instituts für Mädchen in Yverdon, zur Lehrerin ausbilden. Ab 1834 arbeitete sie im Kanton Aargau selber im Bereich der Mädchen- und Lehrerinnenbildung, vorerst im Angestelltenverhältnis, dann als selbstständi­ ge Unternehmerin mit eigenem Institut, das sie später in unmittelbare Nähe zur Stadt Zürich verlegte und ihm ein Lehrerinnenseminar mit Musterschule anschloss. Sie gründete den ersten gesamtschweizerischen gemeinnützigen Frauen-, Lehrerinnen- und Erzieherinnen-Verein sowie die Zeitschrift „Die Erzieherin. Eine Zeitschrift für weibliche Erziehung“.4 Die von ihr im Rah­ men der liberalen Aufbruchbewegung angestrebte Anerkennung ihrer Pri­ vatschule als schweizerisches Lehrerinnenseminar blieb ihr jedoch versagt, 3 Elisabeth Joris, „Profession und Geschlecht: Das Haus als ein Ort der Ausbildung und Berufstätigkeit im 19. Jahrhundert“, in Das Haus in der Geschichte Europas: Ein Handbuch (hg. v. Joachim Eibach und Inken Schmidt-Voges; Berlin: de Gruyter, 2015), 355–371; 364. 4 Die Erzieherin: Eine Zeitschrift für weibliche Erziehung, Nr. 1–6 (1845–1850).

Die eigenwillige Auslegung der acht Seligpreisungen

295

die Zeitschrift wurde nach fünf Jahren eingestellt, der Verein aufgelöst. Sie scheiterte auch als Unternehmerin und entging dem Bankrott 1853 nur dank dem Verkauf des Institutsgebäudes. Danach lebte sie als Privatgelehrte, Refe­ rentin und Autorin.5

1.1

Die Stellung der Kirche im Bereich der Erziehung

Stadlins Tätigkeit als Institutsleiterin und Autorin ist geprägt von den po­ litischen Konfrontationen rund um den liberalen Aufbruch in der Schweiz und Europa, die in den Revolutionen von 1848 kulminierten. Diese waren überlagert von tiefgreifenden konfessionellen Auseinandersetzungen. Gestrit­ ten wurde über die Fragen nach der Stellung der Kirche im Staate, auch im Bereich der schulischen Erziehung. Die Fronten liefen nicht nur entlang, son­ dern ebenso innerhalb der katholischen und protestantischen Konfessionen. Auch in Kantonen mit einer mehrheitlich katholischen Bevölkerung wurden in Städten und in industrialisierten Regionen die fortschrittsorientierten Leit­ ideen rezipiert, was sich in der Bildung liberaler Gruppierungen niederschlug. Gemeinsam mit diesen lehnte selbst der kleine Teil des katholischen Klerus, der von der Aufklärung geprägt war, den päpstlichen Zentralismus ab und sprach sich für das staatliche Kontrollrecht über die Kirche aus. Statt barocker Volksfrömmigkeit und Heiligenverehrung vertraten sie eine bibel- und chris­ tuszentrierte Theologie. Deren Exponenten zählten zu den Anhängern des deutschen Theologen und Ex-Jesuiten Johann Michael Sailer (1751–1832)6 und dessen Schüler Ignaz Heinrich von Wessenberg (1774–1860), der seinerseits mit Heinrich Pestalozzi den Austausch pflegte.7 Sie verlangten 1832 inner­ kirchliche Mitbestimmung, befürworteten die Umwandlung von Klöstern in Ausbildungsstätten für die Jugend und stellten sich gegen die Berufung der Jesuiten an höhere Schulen. Allerdings gerieten sie in den meisten katholi­ schen Kantonen seit Beginn der 1830er Jahre wegen des neu in Luzern resi­ dierenden päpstlichen Nuntius zunehmend unter Druck.8 Sie konnten ihren 5 Elisabeth Joris, Liberal und eigensinnig: Die Pädagogin Josephine Stadlin – die Homöopathin Emilie Paravicini-Blumer (Zürich: Chronos, 2011), 33–244. 6 Martin Friedrich, Kirche im gesellschaftlichen Umbruch: Das 19. Jahrhundert (ZuKG 8; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006), 149–151. 7 Ebd., 52–64; Irmtraud Götz von Olenhusen, Klerus und abweichendes Verhalten: Zur Sozialgeschichte katholischer Priester im 19. Jahrhundert: Die Erzdiözese Freiburg (KSG 106; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1994), 285f. 8 Josef Lang, „‚Vernünftig und katholisch zugleich‘: Katholische Radikale und anti­ klerikale Dynamik“, in Revolution und Innovation. Die konfliktreiche Entstehung des schweizerischen Bundesstaates von 1848 (hg. v. Andreas Ernst, Albert Tanner und Matthias Weishaupt; Die Schweiz 1798–1998: Staat – Gesellschaft – Politik 1; Zürich: Chronos, 1998), 259–270; 263; Götz von Olenhusen, Klerus und abweichendes Verhalten, 280.

296

Elisabeth Joris

Einfluss fast ausschließlich in Städten wie Luzern, in bereits industrialisierten Regionen wie dem Kanton Solothurn und in konfessionell gemischten Kan­ tonen wie dem Kanton Aargau erhalten. Ihre Anhänger sollten Jahrzehnte später nach dem 1. Vatikanischen Konzil von 1870 als „Christkatholische Kir­ che“ eine eigene kirchliche Organisation bilden. Dagegen waren in den mehrheitlich protestantisch geprägten Kantonen die alten politischen Eliten in Städten wie Basel, Bern, Neuenburg und Genf dem liberalen Aufbruch vor allem in seiner radikalen Form feindlich gesinnt. Weder wollten diese ehemals führenden Familien ihre ständisch geprägten Privilegien noch den Einfluss der protestantischen Kirche schmälern. Ihnen standen Vertreter des Gewerbes und der sich insbesondere auf dem Land aus­ breitenden Industrie gegenüber, die nicht nur auf kantonaler, sondern ebenso auf gesamtschweizerischer Ebene eine grundlegende politische Veränderung wollten: die Gründung eines Nationalstaats. So war die Frage, ob der föderalistische Staatenbund mit 22 relativ auto­ nomen Kantonen zu einem zentral regierten Nationalstaat umgewandelt wer­ den sollte, mit den religiösen Auseinandersetzungen verknüpft. Die in ihrer Mehrheit ländlich geprägten katholischen Kantone widersetzten sich jeder Veränderung und in den bereits von der Industrialisierung geprägten Kan­ tonen wehrten sich viele protestantische Pfarrer wie auch die Angehörigen der pietistischen Erweckungsbewegung gegen die Beschränkung des kirch­ lichen Einflusses. Sie lehnten eine säkulare, sich der Aufklärung und dem Fortschrittsglauben verpflichtende Schule grundsätzlich ab. Die Auseinandersetzungen spitzten sich zum einen mit der Berufung von Jesuiten, die ultramontane Positionen in Politik und Erziehung vertraten, als Lehrer im katholischen Kanton Luzern zu, zum anderen mit der Aufhebung der Klöster durch die Radikal-Liberalen im mehrheitlich reformierten Kan­ ton Aargau. Sie mündeten 1847 in einen Bürgerkrieg, der mit der Niederlage der katholischen Kantone endete. Die neue Schweizer Verfassung von 1848 orientierte sich am Vorbild der USA, ein Bundesstaat mit einer Mischung aus zentralstaatlichen und dezentralen Elementen, repräsentiert durch die nur noch relative Eigenständigkeit der Kantone. Auf gesamtschweizerischer Ebe­ ne dominierten nun die Liberalen für Jahrzehnte die politische Bühne, auf der Ebene der Kantone indes zeigte sich in katholischen Regionen nach ei­ nem kurzen Einbruch der Einfluss der katholischen Kirche wieder als äußerst weitreichend.9 In dieser Zeit der Konsolidierung des neuen Bundesstaats ver­ öffentlichte Josephine Stadlin 1856 als klare Verfechterin liberaler Bildungs­ konzepte „Die Erziehung im Lichte der Bergpredigt“.

9 Thomas Maissen, Geschichte der Schweiz (Baden: Hier und Jetzt, 22010), 177–221.

Die eigenwillige Auslegung der acht Seligpreisungen

1.2

297

Eine überkonfessionelle Religiosität

Stadlins Interpretation der „Bergpredigt“ sollte ihre pädagogischen Vorstel­ lungen untermauern. Sie antwortete damit indirekt auf die ihr von katholi­ schen als auch von protestantischen Konservativen gemachte Unterstellung, es fehle ihr an Religiosität beziehungsweise sie habe keinen Glauben oder keinen rechten.10 Dieser Vorwurf hatte ebenso zum Scheitern ihres Unterneh­ mens beigetragen wie die 1848 auch von den Radikal-Liberalen verweigerte Institutionalisierung und damit Finanzierung der höheren Mädchenbildung. In der Folge fehlte es Stadlin für die Erhaltung und Weiterentwicklung des Projekts an einer genügend großen Zahl von Schülerinnen und an finanziellen Mitteln. Das vom Liberalismus geprägte Denken Stadlins bezog sich auf das Pos­ tulat der Freiheit und der Gleichheit aller Menschen. Das implizierte für sie ein gleiches Recht auf Ausbildung für Frauen und Männer. Diese Überzeu­ gung macht Josephine Stadlin zu einer Vorreiterin der sich erst im letzten Drittel des 19. Jh. formierenden Frauenbewegung in der Schweiz, die ihrer­ seits mehrheitlich einem sehr frei interpretierten Protestantismus christlichsozialer Ausrichtung nahe stand und eine bedeutende Zahl von Christka­ tholikinnen in ihren Reihen kannte, aber nur sehr wenige Katholikinnen.11 Geprägt von der pietistischen Erweckungsbewegung nahmen etliche dieser Frauenrechtlerinnen für sich in Anspruch, die Bibel in emanzipatorischem Sinn zu verstehen. Im Gegensatz zu dieser jüngeren Generation von Feministinnen veror­ tete sich Josephine Stadlin im Milieu der katholischen Dissidenz, der in der Schweiz als Reformkatholizismus definierten Bewegung liberaler Prägung.12 Ihre Bibellektüre war einer im Diesseitigen verankerten, nicht konfessionell gebundenen Deutung verpflichtet.13 An die Vernunft appellierend, adressierte sie sich gleichermaßen an Frauen katholischer als auch reformierter Konfes­ sion, die – wie sie selber auch – von einer im Christentum verankerten Ver­ 10 Joris, Liberal und eigensinnig, 174f. 11 Anne-Marie Käppeli, „Religiosität und tätiges Leben: Protestantische Pädagoginnen der französisch-sprachigen Schweiz Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts“, in Erziehung der Menschen-Geschlechter: Studien zur Religion, Sozialisation und Bildung in Europa seit der Aufklärung (hg. v. Margret Kraul und Christoph Lüth; Frauen- und Geschlechterforschung in der historischen Pädagogik 1; Weinheim: Deutscher Studienverlag, 1996), 121–137; Doris Brodbeck, Hunger nach Gerechtigkeit: Helene von Mülinen (1850–1924) – eine Wegbereiterin der Frauenemanzipation (Zürich: Chronos, 2000). 12 Jürg Hagmann, „Keller und der Katholizismus – eine Hassliebe“, in Pädagoge – Politiker – Reformer. Augustin Keller (1805–1883) und seine Zeit (hg. v. Yvonne Leim­ gruber et al.; Beiträge zur Aargauer Geschichte 14; Baden: Hier und Jetzt, 2005), 112–132; 111–114. 13 Joris, Liberal und eigensinnig, 33–244.

298

Elisabeth Joris

antwortung für die Gemeinschaft ausgingen und die Bibel frei auslegten. In ihrer Interpretation der Bergpredigt nahm sie vorwiegend Bezug auf Christus als Vorbild und Lehrer. Dezidiert distanzierte sie sich von der pietistischen Erweckungsbewegung. Sie kritisierte vor allem deren weibliche Gefolgschaft, die in ihrer „schwärmerischen“ Haltung zu Jesus als Heilsbringer und in der ihrem Verständnis nach unkritischen Deutung der Evangelien die Herzen jun­ ger Frauen zu entzünden wüsste. Sie distanzierte sich aber ebenso dezidiert von katholischen oder reformierten Vertretern eines Kirchenverständnisses, das die Deutungshoheit nur den Theologen und damit ausschließlich Männern zugestand. Stadlins kirchenkritische Haltung war stark beeinflusst von der Position ihres Vaters Karl Franz Stadlin (1778–1829). Als aufgeklärter Arzt, Autor und Politiker hatte er mit Vehemenz gegen die Vormacht der katholischen Kirche in der Gesellschaft im Allgemeinen und in der Schulbildung im Besonderen gekämpft. Josephine Stadlin verstand Religion analog zum protestantischen Bürgertum vor allem als Tugend, als vernunftgeleitetes, selbstverantwortli­ ches und gewissenhaftes Handeln.14 Denn im 19. Jh. wirkte Religiosität auch in kirchenkritischen Kreisen des politisch liberalen Bürgertums weiter als Sinnstiftung, wenn auch unter veränderten Vorzeichen.15 Stadlins Rezeption der Bibel ist ein besonders anschauliches Beispiel für dieses veränderte Ver­ ständnis. Den Glauben an den Fortschritt, dem ihre Deutung der Bergpredigt verpflichtet war, verband sie mit Vorstellungen von Freiheit und von Gemein­ sinn. Diese Art der Säkularisierung durchzog den Diskurs vieler Exponenten und Exponentinnen der 1848er-Generation. Wie diese wusste Stadlin her­ kömmliche religiöse Vorstellungen für die von ihr anvisierten gesellschaftli­ chen Ziele zu nutzen.

14 Joris, Liberal und eigensinnig, 69–72; Max Lemmenmeier, „Die Kirche zwischen Beharrung und Fortschritt“, in Sankt Galler Geschichte 5: Die Zeit des Kantons 1798–1861 (St. Gallen: Amt für Kultur des Kantons St. Gallen, 2003), 81; Marlis Betschart, „Religion tröstet und verbindet: Katharina Schmid – eine Frau im Um­ feld des Luzerner Sailerkreises“, in Mit Pfeffer und Pfiff: Luzernerinnen zwischen 1798 und 1848 (hg. v. Verein Frauenstadtrundgang Luzern; Luzern und Stuttgart: Rex Verlag, 1998), 60–71; Andreas Schulz, Lebenswelt und Kultur des Bürgertums im 19. und 20. Jahrhundert (EdG 75; München: Oldenbourg, 2005), 10f. 15 Heinz-Gerhard Haupt und Dieter Langewiesche, Hg., Nation und Religion in Europa: Mehrkonfessionelle Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert (Frankfurt a. M.: Campus, 2004).

Die eigenwillige Auslegung der acht Seligpreisungen

1.3

299

Bildung als ständiger Prozess der Selbstvervollkommnung

Das von Stadlin vertretene Konzept der Identitätsbildung durch fortschreiten­ de Entfaltung der eigenen Fähigkeiten setzte die ständige Selbstverbesserung voraus. Sie sollte über den individuellen Nutzen auch der Gesellschaft als ganzer zugutekommen. Die im ständigen Austausch mit anderen angeeignete Bildung nahm als Prozess der Selbstvervollkommnung die Stellung ein, die zuvor der Religion zugeschrieben war.16 Die Erfüllung dieser Anforderungen an die individuelle Lebensgestaltung war in regelmäßiger Gewissenserfor­ schung zu überprüfen. Im Briefwechsel zwischen Josephine Stadlin und ihren Schülerinnen zeigte sich dieses sittlich-moralische Verständnis von individu­ eller Bildung in den ständig wiederholten Begriffen „Streben“, „Vorwärts“, „Vervollkommnung“ und „Wirken“. Ihre Position als moralische Instanz und verantwortliche Institutsleiterin demonstrierte Stadlin im überkonfessionel­ len Unterricht zur christlichen Moral.17 Sie zeigte sich insbesondere in der täglichen Abendversammlung, in der sie sich immer wieder auf die Bibel be­ zog. Sichtbar wird darin ihre zwar kirchenkritische, aber dennoch christlich geprägte Grundhaltung. Sichtbar wird in ihrem Austausch mit den Schülerin­ nen aber ebenso ihre Ablehnung des Pietismus als Schwärmerei. Diese Haltung durchzieht auch ihre Publikationen. Es geht darin fast im­ mer um Pädagogik, Psychologie, Philosophie und/oder nicht konfessionell gebundenen Religionsunterricht. Sie verknüpfte diese Themen jeweils mit Fragen zur Stellung der Frau in der Gesellschaft. Eckpunkte ihrer Argumen­ tation sind die als „natürlich“ definierten Geschlechterdifferenzen, die sie mit der naturrechtlich definierten Gleichheit aller Menschen in Einklang zu bringen suchte. Auch wenn ihre Interpretation der Bergpredigt nicht primär Geschlechterfragen fokussiert, prägt diese die Argumentation in zentralen Punkten.

16 Rebekka Habermas, „Rituale des Gefühls: Die Frömmigkeit des protestantischen Bürgertums“, in Der bürgerliche Wertehimmel: Innenansichten des 19. Jahrhunderts (hg. v. Manfred Hettling und Stefan-Ludwig Hoffmann; Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2000), 169–192; 170. 17 Staatsarchiv Zürich, U 55 b 1, Remission, N 64.1–64 c, Acten betr. „Milde Anstal­ ten“, Mädchenpension v. J. Stadlin 1841–1847, 5, Bericht von Josephine Stadlin über das Schuljahr 1844/45, 28. Mai 1845.

300

2.

Elisabeth Joris

Die Bergpredigt als Grundriss der menschlichen Entwicklung

Stadlin verstand die Bergpredigt als ein unerhörtes Wort ihrer Zeit. Das, was allgemein begehrt und gesucht wurde, was durch Herkommen geheiligt erscheint und durch Gewohnheit eingewurzelt war, dem trat es entgegen: es wollte Werthschätzungen und Bemühungen gel­ tend machen, die allem, was man wirklich schätzte und that geradezu entgegen­ standen.18

„Unerhört“ hieß für sie demnach „störend“, dem allgemeinen Konsens entge­ genstehend. Darin erkannte sich Stadlin selbst, da sie mit ihren Vorstellungen weiblicher Erziehung und dem von ihr eingeforderten Recht auf Partizipation der Frauen am Öffentlichen starke Opposition auslöste, bei Männern als auch bei Frauen, in konservativen wie in fortschrittlichen Kreisen.

2.1

Bildung für das weibliche Geschlecht

Das Recht der Mädchen und Frauen auf Bildung hatten bereits Josephine Stadlins Eltern vertreten. Ihr Vater scheute für dieses Anliegen weder persön­ liche Anfeindungen noch die politische Auseinandersetzung. Die Schwester ihrer Mutter, Elise Ruepp-Uttinger (1790–1873), war bereits in Yverdon zur Lehrerin ausgebildet worden und eröffnete als Witwe gleichzeitig wie ihre Nichte Josephine ein Mädcheninstitut. Stadlins eigene Mentorin im ehemali­ gen Pestalozzi-Institut in Yverdon, Rosette Niederer-Kasthofer (1779–1857), forderte in ihren Schriften äußerst dezidiert die schulische Bildung und Aus­ bildung des weiblichen Geschlechts ein.19 Die Katholikin Elise Ruepp-Uttin­ ger war in ihrer religiösen Grundhaltung gleich ihrem radikalen familialen Umfeld kirchenkritisch eingestellt und stützte sich daher wie ihre Nichte Jo­ sephine in der moralischen Unterweisung ihrer Schülerinnen auch auf die Bibel. Dagegen war Rosette Niederer-Kasthofer stark im Protestantismus eingebunden und ging wegen ihrer vornehmen Herkunft aus der Stadt Bern 18 Stadlin, Bergpredigt, Einleitung, 1. 19 Yvonne Leimgruber, In pädagogischer Mission: Die Pädagogin Rosette NiedererKasthofer (1779–1857) und ihr Wirken für ein „frauengerechtes“ Leben in Familie und Gesellschaft (Studien zur historisch-systematischen Erziehungswissenschaft; Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 2006); Dies., „Vom ‚Mutterli‘ zur Bildungspionierin: Lisette Ruepp-Uttingers pädagogisches Wirken für den Aargau“, in Das Grösste aber ist die Liebe – Lisette Ruepp 1790–1873: s Muetterli (hg. v. Claudia Storz et al.; Baden-Dättwil: Baden-Verlag, 2006), 365–409.

Die eigenwillige Auslegung der acht Seligpreisungen

301

von einer natürlich-hierarchischen Ordnung und der damit einhergehenden Ungleichheit der Stände und Geschlechter aus. Unterordnung ist diesem Ver­ ständnis zwar inhärent, doch ist nach Niederer-Kasthofer allen Menschen – analog zu Stadlins Auffassung – die Pflicht zum Streben nach Tugend und Vollendung gemein. Der Frau komme dabei das Wirken in der Familie zu, als Haushälterin der „entkeimenden Kräfte der Menschheit.“ Da menschliches Verderben vom „Abfall von Gott“ ausgehe, müsse die Erziehung der Kinder „im Innersten christlich“ sein.20 Trotz ihrer unterschiedlichen gesellschafts­ politischen Verortung waren sich die beiden bekannten Institutsleiterinnen Niederer-Kasthofer und Ruepp-Uttinger einig in der Ablehnung eines aktiven Auftretens von Frauen in der Öffentlichkeit, und darin vielen fortschrittlich gesinnten Müttern und Vätern von Stadlins Schülerinnen ähnlich. Josephine Stadlins Haltung zur Stellung der Frauen war weit forscher: Sie war eine „Stö­ rende“. Stadlin fühlte sich darin Christus verwandt.

2.2

Erziehung als Entwicklung des natürlichen Lebenstriebs

Nach Stadlin gibt Christus in der Bergpredigt „eine Richtschnur fürs ganze Leben“. Die acht Seligpreisungen sind demnach ein konzentrierter „Grund­ riss menschlicher Erziehung“.21 Von der ersten bis zur letzten baue jede auf der anderen auf. Um das Augenmerk der Lesenden in diese Richtung zu len­ ken, stellt Stadlin Grundannahmen über die menschliche Entwicklung vo­ ran. Entwicklung entspreche einer im menschlichen Individuum angelegten „Uranlage“, die aber durch Erziehung beeinflusst werden könne. So gäben die acht Seligpreisungen Hinweise auf „das, was die Natur, was das Gemüth sucht: Befriedigung, unendliche Fülle des Lebens in seinen verschiedenen Beziehungen.“22 Die erste Betrachtung behandelt die Grundannahme über „Die mensch­ liche Natur und ihre Entwickelung an sich.“23 Da der Mensch nach Stadlin von Natur aus zum Fortschreiten getrieben ist, bedeutet Entwicklung immer aktives Handeln. Erziehen heißt demzufolge, die „Natur in ihren normalen Bethätigungen“24 zu schützen und zu unterstützen. Zentrale Kategorie ist der „Ausgangspunkt“, von dem her die Richtung als nie endender Entwicklungs­ prozess zu denken ist. Dieser Prozess zeigt sich im ständigen Gewinn an sittli­ cher und religiöser Kraft, die im Gegensatz zur Erfahrung des Vergänglichen steht. Erziehen bedeutet daher auch das Erfassen und Pflegen dessen, was sich 20 21 22 23 24

Leimgruber, In pädagogischer Mission, 266f. Stadlin, Bergpredigt, Einleitung, 1. Ebd., 22. Ebd., 5–22. Ebd., 7.

302

Elisabeth Joris

bei den Kindern als „das Rechte ankündigt“, um sie erstens vor Einflüssen zu bewahren, die das Gewissen hemmen, und zweitens bei ihnen im „Einklang mit der Natur, das Wohlwollen für die Mitmenschen“ zu stärken.25 Sodann bringt sie diese erste Grundannahme in Verbindung zur Bergpredigt,26 in der Christus dem Menschen nicht nur das Ziel, sondern ebenso den Weg zur nie abgeschlossenen Erkenntnis, zum „Unendlichen“ weist. Die acht Seligpreisungen bestimmen jeweils den Zweck und das Mittel, um in diese Richtung fortzuschreiten. So ist nach Stadlin beispielsweise die Aussage „Selig sind die Armen im Geist“ (Mt 5,3) das Mittel, der nachfolgen­ de Satzteil „ihrer ist das Himmelreich“ der Zweck, das Ziel. Zwar verhalten sich die Menschen normalerweise nicht gemäß den von Christus definier­ ten Mitteln, doch es entspricht der Natur des Menschen, sich anzustrengen, um sich so die Anerkennung der anderen zu sichern. Auch erkennt sich der Mensch erst im Kampf gegen die äußere Welt als über diese erhaben: „selig“.27 Erziehen bedeutet demnach, das Kind in der alltäglichen Anstrengung zu un­ terstützen und ihm so zu zwar kleinen, jedoch immer neuen Erfahrungen zu verhelfen. Erst die Überwindung von Widerständen ermöglicht Aufstieg entsprechend dem menschlichen Lebenstrieb. Christus fordert nämlich in der Bergpredigt lediglich das, was die Natur selbst fordert.

3.

Die acht Seligpreisungen als pädagogisches Programm

In den acht Betrachtungen konkretisiert Stadlin ihr Verständnis der päda­ gogischen Umsetzung der Seligpreisungen mit vielen Beispielen. Zu deren Untermauerung bezieht sie sich dabei auf weitere ntl. Bibelstellen.

3.1

Erziehung zu eigenständigem und empathischem Handeln

In der Betrachtung zu „Selig sind die Armen im Geist; ihrer ist das Himmel­ reich“ (Mt 5,3) versteht Stadlin „Armsein im Geist“ nicht als ein Einfältig­ sein, sondern als die Fähigkeit, aus sich selbst heraus zu handeln.28 Deshalb ist das Kind zu ermutigen, sich nicht nach der Meinung des Umfelds zu richten und für sein Handeln kein Lob zu erwarten. Es soll vielmehr uneigennützig 25 26 27 28

Ebd., 16. Ebd., 22–39. Ebd., 32. Ebd., 40–49.

Die eigenwillige Auslegung der acht Seligpreisungen

303

zum Wohl der anderen wirken. Darüber hinaus sollen durch besondere Rei­ ze die „ästhetischen Interessen“ des Kindes entwickelt und das Nachahmen animiert werden. Angestrebt wird das selbstständige Lernen durch das Mittel der Anschauung.29 So zeigt sich Stadlin auch in ihrer Interpretation der Berg­ predigt als Schülerin Pestalozzis. „Selig die ihr Leid tragen, sie werden getröstet werden“ (Mt 5,4) deutet Stadlin als nie erlahmenden Willen, sich trotz Schicksalsschlägen immer wie­ der aufzurichten.30 Im ständigen Ringen erfährt der Mensch ebenso Trost wie in der ihm gegenüber von anderen bezeugten Anteilnahme. Überwindung verleiht Sicherheit, denn „aller Trost ist nur ein Sichselbstwiederfinden in und zu grösserer Kraft“.31 Die erzieherische Umsetzung dieser Seligpreisung erfordert das Vorbild der Eltern, die klaglos Leid ertragen und in der Pflicht­ erfüllung eine Quelle der Freude sehen. Sie realisiert sich in der Anteilnah­ me am Schmerz des Kindes, ohne dieses zu „verweichlichen“. Vielmehr ist dem Kind ein Ausweg aus der schmerzvollen Situation zu weisen, der zwar Anstrengung und Verzicht erfordert, ihm aber ermöglicht, darin gleichzeitig Genugtuung – Trost – zu erfahren.32 Unter „Selig sind die Sanftmütigen, sie werden das Erdreich besitzen“ (Mt 5,5) versteht Stadlin „Sanftmut“ etwas wortspielerisch als „Mut“, Vor­ urteilen selbstsicher entgegenzutreten und auf den eigenen Wertvorstellungen zu bestehen. Christus hat diesen Mut durch sein sanftmütiges Vortragen der Wahrheit vorgelebt. Da das Handeln und das Empfinden der Menschen eine wechselseitige Bewegung sind, wirkt die positive Anerkennung des auf das „Rechte“ zielenden Handelns durch andere auf den Sanftmütigen wohltuend zurück.33 Voraussetzung für die „pädagogische Verwendung“ dieser Selig­ preisung ist demzufolge der häufige Kontakt des zu erziehenden Kindes mit anderen Kindern. Nur so lernt das Kind zu warten und trotzdem sicher zu sein, dass es nicht übergangen wird, lernt zu gehorchen, weil es weiß, dass es deshalb Liebe erfährt. Dergestalt erlebt das Kind im ständigen Tun des Rechten Befriedigung und erfährt deshalb das Rechte auch emotional als das Richtige.34 Ein besonderer Abschnitt exemplifiziert dieses Bezugnehmen auf Andere anhand der Mädchenerziehung. Das Mädchen soll nicht Aufmerksamkeit auf sich richten durch „oberflächliche Weiblichkeit“, die bestimmt ist durch Stand und Schönheit, durch Tanzen und Kokettieren. Sonst ist es später als verhei­ ratete Frau und Mutter frustriert, weil alles, auch die Jugend, vergänglich ist. Vielmehr ist seine Kraft zur Überwindung zu stärken, so dass es später allem 29 30 31 32 33 34

Ebd., 40–71 Ebd., 72–93. Ebd., 90. Ebd., 93–107. Ebd., 108–118. Ebd., 118–140.

304

Elisabeth Joris

gewachsen ist.35 Es ist ein Diskurs, der im deutschsprachigen Raum seit der Wende vom 18. zum 19. Jh. zunehmend Verbreitung fand. Er prangert die französische Erziehung der Mädchen und die französische Frau mit „esprit“ als oberflächlich an und stellt ihr eine moralisch geprägte, nicht auf Äußer­ lichkeiten ausgerichtete Erziehung und Vorstellung von Weiblichkeit entge­ gen. Diese Haltung durchzieht Stadlins Interpretation der Bergpredigt, sobald sie explizit auf die Mädchen eingeht, aber ebenso alle ihre pädagogischen Schriften und ist kennzeichnend für Stadlins Begründung der Notwendigkeit, junge Mädchen durch weibliche Lehrpersonen zu unterrichten. Damit soll unter anderem verhindert werden, dass Mädchen im jugendlichen Alter die Aufmerksamkeit männlicher Lehrpersonen auf sich zu richten versuchen.36

3.2

Hungern nach Gerechtigkeit als Leitlinie der Mädchenerziehung

Ausgiebig ist die Rede über Mädchenerziehung vor allem in der darauffol­ genden Betrachtung zur dritten Seligpreisung: „Selig die da hungern nach der Gerechtigkeit, sie sollen satt werden“ (Mt 5,6). Mit fast 74 Seiten ist es das weitaus längste Kapitel, wovon allein 15 die Mädchenerziehung thema­ tisieren.37 Hungern nach Gerechtigkeit interpretiert Stadlin auch hier als ein Suchen nach dem Rechten, was Ausdauer voraussetzt. Die Auffassung davon kann je nach Individualität divergieren. Während beispielsweise in Mt Liebe als ständiges Bemühen detailreich geschildert wird, ergibt sich das Bemühen in Joh aus der Liebe selbst.38 Mit diesem Vergleichen weist sich die Katholikin als fundierte Kennerin der Bibel aus. Ihre vergleichende Argumentation lässt sich als Frucht ihres ständigen Austausches mit Intellektuellen aus protestan­ tischem Umfeld und der großen Bandbreite ihrer Lektüre verstehen. Stadlin besuchte als eine der ersten Frauen Vorlesungen an der Universität Zürich, von Psychologie und Philosophie bis zu Physik und Chemie. In ihren pädagogischen Schriften verknüpft sie immer wieder unterschiedliche The­ men und Ansätze. So verknüpft sie in dieser Betrachtung das Suchen nach dem Rechten mit paulinischen Vorstellungen zur Liebe (1 Kor 13,5–8): Sie stellet sich nicht ungeberdig, sie suchet nicht das Ihre, sie lässt sich nicht er­ bittern, sie trachtet nicht nach Schaden, sie freuet sich nicht der Ungerechtigkeit,

35 36 37 38

Ebd., 123–126. Ebd., 93–95. Ebd., 141–214. Ebd., 147: „So erscheint das Rechte bei Math. als einem Anfang entsprechend und bei Joh. als eine Art Vollendung.“

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305

sie freuet sich aber der Wahrheit. Sie verträgt Alles, glaubt Alles, hofft Alles, duldet Alles. Die Liebe hört nimmer auf.39

Eine solche Liebe verträgt nach Stadlin kein Heucheln, es geht um inneres Sein statt äußerem Schein. Sie zitiert dafür Mt 12,31f. und Lk 11,52, die beide die Verbreitung falscher Lehren als unverzeihliche Sünde wider den Geist verurteilen – aus Stadlins Sicht eine bewusste Verhinderung von Erkenntnis, also dessen, was die menschliche Natur von sich aus sucht.40 Übertragen auf die berufliche Tätigkeit heißt dies, auch im Beruf immer nach dem Besten zu trachten. Stadlin veranschaulicht dies insbesondere am Beruf der Hausfrau – als solchen versteht sie die Arbeit der Mutter und Ehe­ gattin. Diese muss sich bis ins kleinste Detail durch Beobachten und Nach­ denken über ihre Tätigkeit im Klaren sein, sich fragen, ob deren Ausrichtung den Bedürfnissen der Kinder, des Gatten und der „Hausgenossen“ gerecht wird. Sie setzt dieses reflektierte Arbeiten als ständigen Prozess des Suchens, Denkens und Überdenkens in eins mit Beten: Der Betende sucht zuerst zu erkennen und dann sich zu reinigen, zu befreien von dem, was ihn vom Höchsten fern hält; denn nur in dieser Freiheit, in der Gnade des Höchsten wirkt, findet sich das Rechte.41

Stadlin konkretisiert dieses Suchen mit Beispielen für den Unterricht, an­ gefangen mit der Bedeutung der Bibel, der Grundlage des christlichen Re­ ligionsunterrichts, in dem das zu unterstützen ist, „was Christus fordert“, nämlich das ständige Suchen „nach dem Rechten“ und die nie erlöschende „Sehnsucht nach dem Unendlichen“.42 Diese Erziehung zur Eigenständigkeit gilt auch für das Beten: nicht formelhaft, sondern aus dem Herzen. Diese Art der Religiosität soll alle Fächer durchdringen. Für Stadlin bedeutet dies, in allen Fächern, ob Sprache, Naturkunde oder Geschichte, von der Anschauung auszugehen und so die Anregung zur Selbsttätigkeit als Grundlage jeglichen Unterrichts zu nehmen. Denn das Interesse des Kindes an Dingen ist der An­ fang des Suchens: Es will mehr wissen. Das entspricht dem Hunger der sechs­ ten Seligpreisung, entspricht der menschlichen Natur.

39 40 41 42

Zit. in Stadlin, Bergpredigt, 149. Ebd., 153. Ebd., 159. Ebd., 169.

306

3.3

Elisabeth Joris

Gleichheit der Menschen – Differenz der Geschlechter

Wie in ihren anderen Schriften auch zeigt sich Stadlin mit ihren ausführlich kommentierten, konkreten Beispielen als Didaktikerin und Pädagogin, die für sich in Anspruch nimmt, als Frau über gleiche Kompetenzen zu verfügen wie männliche Exponenten dieser Fachbereiche, auch in Fragen der Religion. Zwar galt Mitte des 19. Jh. die Interpretation der Religion als Männersache, doch legten insbesondere in dem von Stadlin kritisierten pietistischen Mili­ eu der Erweckungsbewegung Frauen die Bibel mit eigenen Worten aus und verliehen ihrer Deutung im Rahmen von Sonntagsschulen Gewicht. Deshalb wird in der Forschung von einem „Feminisierungsprozess von Religion“ ge­ sprochen.43 Doch Stadlin war nicht Teil dieser Bewegung, sondern verstand sich als Intellektuelle und Angehörige des fortschrittsorientierten Bildungs­ bürgertums. Da jedoch allein dem männlichen Geschlecht das Studium der Theologie und die kirchlichen Ämter vorbehalten waren, wirkte ihr An­ spruch, die Bibel in ihrem Sinn zu deuten, als störend, ähnlich der nach ihrem Verständnis störenden Wirkung der Bergpredigt. Stadlins didaktisches Modell für den Schulunterricht sieht drei Stufen des Lehrens vor: erstens die Anschauung als sinnliche Erfahrung, zweitens die historische Lehrform im Sinn des Erzählens und Nacherzählens des nicht oder nicht mehr Gegenwärtigen, damit das Kind eine eigene Bilderwelt zu erzeugen vermag, und schließlich die philosophische Lehrform im Sinn der Fähigkeit zur Abstraktion. Gegenstand der letzten ist die Philosophie. Weil jedoch der Weg von der sinnlichen Anschauung über das Erzählen zum Ab­ strakten führt, braucht es zwingend Frauen für die Mädchenerziehung, da allein Frauen diesen Prozess nachempfinden können. Dafür muss die Betrachtung sich an das anschliessen, was das Leben gerade be­ wegt. […]. Eine solche Betrachtung kann nur veranlasst werden von solchen, die 43 Siehe dazu: Margret Kraul und Christoph Lüth, „Religion, Geschlechteranthropo­ logie, Bildung: Zum Thema dieses Bandes“, in Erziehung der Menschen-Geschlechter: Studien zur Religion, Sozialisation und Bildung in Europa seit der Aufklärung (hg. v. dens.; Frauen- und Geschlechterforschung in der Historischen Pädagogik 1; Weinheim: Deutscher Studienverlag, 1996), 7–22; 16; Käppeli, „Religiosität und tä­ tiges Leben“, 123; Elisabeth Joris und Heidi Witzig, Brave Frauen – aufmüpfige Weiber: Wie sich die Industrialisierung auf Alltag und Lebenszusammenhänge von Frauen auswirkte (1820–1940) (Zürich: Chronos, 21992), 292–301; Hugh McLeod, „Weibliche Frömmigkeit – männlicher Unglaube? Religion und Kirchen im bürger­ lichen 19. Jahrhundert“, in Bürgerinnen und Bürger. Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert (hg. v. Ute Frevert; KSG 77; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1988), 134–156; Barbara Welter, „‚Frauenwille ist Gottes Wille‘. Die Feminisierung der Religion in Amerika 1800–1860“, in Listen der Ohnmacht: Zur Sozialgeschichte weiblicher Widerstandsformen (hg. v. Claudia Honegger und Bettina Heintz; Frank­ furt a. M.: Europäische Verlagsanstalt, 1981), 326–355.

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mit dem Zögling in diesen Bewegungen leben, ihre Wirkung auch früher schon an sich selber erfahren haben und in jeder Beziehung die jedesmalige Stimmung im Zögling nachzufühlen vermögen und unwillkürlich dabei selber empfinden, wie diese Vorgänge in diesem speziellen Falle der menschlichen Natur und Be­ stimmung entsprechend aufgefasst und verarbeitet werden sollten.44

So wechselt Stadlin in ihrer Argumentation ständig vom Menschen allgemein zu den unterschiedlichen Aufgaben, die Frauen und Männern auf Grund ihres Geschlechtes zugeordnet sind. Demselben geschlechterspezifischen Muster folgt Stadlin auch in der Be­ trachtung zur fünften Seligpreisung „Selig sind die Barmherzigen, sie werden Barmherzigkeit erlangen“ (Mt 5,7).45 Von Natur aus wendet sich das Wollen des Menschen dem Menschen wohlwollend zu, doch erst durch Erziehung wird dieses natürliche „Wohlwollen“ veredelt, wird zur Barmherzigkeit. Die­ se Art der Barmherzigkeit impliziert Empathie, was ein aktives Interesse am anderen voraussetzt. Nur so können dessen Interessen zu den eigenen Interes­ sen gemacht werden.46 Gleichzeitig bettet Stadlin ihr Verständnis von Barm­ herzigkeit in den politischen Diskurs der Liberalen ein. In dieser Zuwendung darf es keine Unterordnung geben, sie muss vielmehr geprägt sein von der von „Gleichberechtigung und Verbrüderung“, den leicht abgewandelten Paro­ len der französischen Revolution.47 So bedeutet Wohlwollen auch Wahrneh­ men dessen, was unrecht ist. Daher ist es die menschlichste aller Pflichten, Barmherzigkeit zu üben. „Und wer sollte mehr darnach dürsten und mehr sie üben als die Frau?“48 Auch wenn Frau und Mann als Menschen gleichermaßen das Bedürfnis nach Entwicklung und Wahrheit haben, ist der Weg dahin für Frauen und Männer unterschiedlich: weil sie in je unterschiedlichen Berei­ chen tätig sind und weil sie sich in ihrer „Organisation“ unterscheiden. Damit vereinigt Stadlin auch hier wieder die Idee der Gleichheit der Menschen mit der Vorstellung der Geschlechterdifferenz, ohne darin einen Widerspruch zu sehen. Vielmehr nutzt sie das Oszillieren zwischen diesen beiden Argumen­ ten als Begründung für das Recht der Frauen auf Berufstätigkeit im Bereich der weiblichen Erziehung. Weil die Frau im Gegensatz zum Mann „die Lust des Denkens“ nicht als Beruf auf sich nehmen kann, kommt die Neigung zur Barmherzigkeit bei ihr vor allem in ihrer praktischen Betätigung in Haus und Schule zum Tragen, wenngleich ihre „praktische Sendung das Denken nicht ausschließt. Auch sie erfordert das Hungern nach Erkenntnis“,49 allerdings eher als ein „Nachsin­ 44 45 46 47 48 49

Stadlin, Bergpredigt, 203. Ebd., 215–277. Ebd., 217–223. Ebd., 230. Ebd., 440. Ebd., 241.

308

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nen“ und „Nachspüren“, wobei als Tat der Frau „gerne die Idee gestattet“ wird, „aber als Wort nicht gern“.50 Das Handeln wird ihr also zugestanden, das Lehren aber nicht. Da aus eben diesem Grunde die Frau an ihren Ta­ ten gemessen wird, behält sie Worte gerne für sich, sinnt dem Gehörten und Gelesenen nach, entsprechend der Haltung von Maria, der Mutter „unsers göttlichen Lehrers“, die nach dem Besuch des zwölfjährigen Jesus im Tempel Lukas zufolge „die Worte im Herzen behalten“ hat (Lk 2,51).51 Mit Referenz auf die Bibel unterläuft Stadlin zugleich die gängige Forde­ rung nach selbstloser Unterordnung und Aufopferung der Frauen. Vielmehr fordert sie, „dass wir den Nächsten lieben wie uns selber“ (vgl. Lev 19,18; Mt 22,39; Mk 12,31) und „dass wir einander lieben, wie er uns geliebt hat“ (vgl. Joh 15,12; 1 Joh 4,7.19): Barmherzigkeit versteht Stadlin demnach nicht als Opfer, denn was man dem Nächsten tut, das tut „man nicht nur Ihm, – man tut es wahrhaft sich selber“ (Mt 25,40).52 Übertragen auf die Erziehung bedeutet dieses Verständnis von Barmherzigkeit, mit dem vorgelebten Geben Lust am Geben zu erzeugen. Die von Stadlin aufgeführten Beispiele beziehen sich unter anderem auf das Vorbild der Mutter, an deren Verhalten sich die Tochter orientiert. So müssen auch die an sich niedrigsten Handreichungen und unangenehmsten Verrichtungen von dem Mädchen geübt werden, und ohne die leiseste Meinung, als vergebe man sich etwas, sondern in dem Gefühl, dass solches Thun jedem Mädchen geziehme.53

Der Lohn der Barmherzigkeit ist nicht Dankbarkeit, sondern der dadurch ver­ stärkte Wunsch, noch barmherziger zu werden.

3.4

Reinheit und Friedfertigkeit – die letzten Stufen in Richtung Unendlichkeit

Zwar versteht Stadlin die Bergpredigt als eine Abfolge von acht Seligprei­ sungen, deren Deutung jeweils eine neue Stufe im Aufstieg Richtung Unend­ lichkeit markiert, aber sie rekurriert auch bei der Deutung der letzten drei immer wieder auf mehrere vorangehende Argumentationsketten. So verbin­ det sie „Selig, die reinen Herzens sind, sie werden Gott schauen“ mit dem Armsein im Geiste im Sinn des Bestehens auf dem Eigenen.54 Verklausuliert 50 Ebd., 242. 51 Ebd., 243. 52 Ebd. 53 Ebd., 275. 54 Ebd., 278–310.

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bezieht sie sich dabei auch auf die Sexualität: Das eigene Begehren ist nicht zu verleugnen, denn der „Mensch hat auch das sinnliche Bedürfen“,55 dessen Befriedigung nach menschlichem Maßstabe zu beurteilen ist. Es geht dabei nicht um Sünde, denn es gibt dafür keinen allgemein gültigen Standard. „Un­ rein“ ist, was das Gewissen als „ungehörig“ empfindet. Zum Unreinen gehört nach Stadlin ebenso das nur Scheinbare, das zum eigenen Vorteil vorgegeben wird. Das kann die um des Lobes willen allzu betonte Frömmigkeit sein wie auch das aktive Verhehlen eigener Mängel. Da es ja kein Herz ohne Fehl und Tadel gibt, hat jedes Herz etwas zu bereuen, hat sich also immer zu läutern. Das entspricht Stadlins Prämisse vom menschlichen Trieb nach unendlicher, nie abgeschlossener Entwicklung. Bezogen auf die praktische Verwendung empfiehlt Stadlin zur Erhaltung der ursprünglichen Keuschheit, Kinder vor dem Kontakt mit dem Schlechten in Wort und Bild zu schützen und sie zur Selbstbeherrschung zu erziehen. Behüten und Verhüten versteht sie als äußere Wächter, Selbstbeherrschung als innere.56 Auch die Betrachtung zu „Selig die Friedfertigen, sie werden Kinder Got­ tes heißen“57 (vgl. Mt 5,9) verbindet Stadlin mit der Wahrung des Eigenen. Denn Streit beinhaltet immer ein konkurrenzierendes Verhalten. Für seine Wahrheit einstehen ist jedoch nie rechthaberisch; das „reine Herz“ sucht viel­ mehr dem anderen gerecht zu werden: Anerkennung der Wahrheit der an­ deren ist Anerkennung der anderen. Daher gibt es nach Stadlin – und darin liegt ihre Modernität – verschiedene Wahrheiten, die zwar als gleichberech­ tigt anerkannt werden, aber dennoch nicht beliebig sind. Sie haben sich in „friedlichem Streit“ zu bewähren, indem sie das Unrechte besiegen.58 In der praktischen Verwendung bedeutet Erziehung zum Nachgeben nicht Schwä­ che, sondern Anerkennung des anderen. Selbst die achte und letzte Seligpreisung „Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, ihrer ist das Himmelreich“ (vgl. Mt 5,10) verbindet Stadlin nicht mit dem Jenseits. Sie versteht das Himmelreich vielmehr als Hö­ hepunkt dessen, was in Richtung Unendlichkeit erreichbar ist. Um der Wahr­ heit willen muss der Mensch Verfolgung ertragen, an den eigenen Überzeu­ gungen festhalten, selbst um den Preis der Ausgrenzung. Doch die Wahrheit ist nicht unverrückbar, sondern sie entfaltet sich im Austausch mit der Welt, mit den anderen. In der Erfahrung aber, dass trotz ständigem Streben nicht alles zu erreichen ist, führt das Erkennen der eigenen Schwächen zur Buße, dem Auftakt zur Besserung. Denn das ständige Fortschreiten basiert auf der Erfahrung, dass im Laufe des Lebens der Mensch mehr zu ertragen und zu leisten vermag – nach Stadlin impliziert dies das Erlernen und Erkennen des 55 56 57 58

Ebd., 281. Ebd., 299.309f. Ebd., 311–323. Ebd., 312–317.

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Unendlichen.59 Die davon abgeleitete pädagogische Anwendung heißt, die Entwicklung hin zu wachsender Erkenntnis ist ein dem Menschen angemes­ senes Müssen.60 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Stadlin die acht Seligprei­ sungen als eine aufsteigende Stufenleiter versteht: als nie abgeschlossenes Streben nach Vervollkommnung, als nie endendes Suchen nach Wahrheit und Erkenntnis. Dieser Entwicklungsprozess ist eingebunden in die Auseinander­ setzung mit den anderen, pädagogisch verstanden: eingebunden in die Kom­ munikation der Kinder untereinander, also interaktiv. So erweist sich Stadlins „Bergpredigt“ als ein in die Welt hinein übersetztes Verständnis von Religion im Sinn eines gesellschaftsbezogenen Erziehungsprogramms, das die Entfal­ tung der individuellen Fähigkeiten mit der Entfaltung der sozialen verbindet und dabei die Gleichheit und Differenz der Geschlechter miteinbezieht.

4.

Stadlins Argumentation im Kontext des Reformkatholizismus und des Frühfeminismus

Josephine Stadlin verknüpft ihre Interpretation der Bergpredigt mit einer Kri­ tik am Religionsunterricht der katholischen wie der protestantischen Kirche, denn dieser verhindere das eigene Denken, das „Interesse des Suchens“ im Sinn des „Hungern und Dursten nach dem Rechten, an der Sehnsucht nach dem Unendlichen.“61 Weil Frauen in der Erziehung eine zentrale Rolle zu­ kommt, sind auch sie dieser Suche nach dem Rechten zu verpflichten.62

4.1

Der Glaube an die Wirkungsmacht der Bildung

Besondere Bedeutung kommt Stadlin im Kontext der liberalen Bildungsof­ fensive und der damit einhergehenden konfessionell mitgeprägten politischen Spannungen zu. In der Schweiz wiesen die Auseinandersetzungen zuneh­ mend Züge eines Kulturkampfs auf, als eines Konflikts im Verhältnis zwi­ schen Politik und Religion und ihren Institutionen Staat und Kirche. Als Re­ präsentantin eines radikalen Liberalismus trat Stadlin für die Säkularisierung von Klöstern im Dienste der Bildung der männlichen und der weiblichen Ju­ gend ein. Sie hatte im Kanton Aargau im ehemaligen katholischen Damenstift Olsberg ihr erstes Mädcheninstitut etabliert. Als Institutsleiterin übernahm 59 60 61 62

Ebd., 324–355. Ebd., 356f. Ebd., 169. Ebd., 204.

Die eigenwillige Auslegung der acht Seligpreisungen

311

sie Aufträge zur Ausbildung von Lehrerinnen aus katholischen Regionen, um dem Einfluss der Lehrschwestern und den katholischen Priestern in den Schulstuben mit einer weltlichen und liberal gesinnten Konkurrenz entge­ genzuwirken. So arbeitete sie seit Beginn der 1840er Jahre eng mit liberalen katholischen Politikern zusammen, die den Vorrang der Kirche in schulischen Belangen brechen wollten.63 Stadlin eckte jedoch mit ihren Ansichten zur „Emanzipation“ des weiblichen Geschlechts auch in ihrem eigenen Umfeld an. Im Liberalismus sah sie Möglichkeiten zur Erreichung dieses Ziels, erfuhr sich aber in diesen Belangen allein gelassen und zeigte sich dementsprechend von der Verfassung von 1848 enttäuscht. Die Enttäuschung war umso größer, als in Reaktion auf die liberale Bildungsoffensive in rein katholischen Regio­ nen neue Institute zur höheren Mädchenbildung gegründet wurden, die unter der Leitung neuer Kongregationen von Lehrschwestern standen. Sie sollten sich analog zur Entwicklung in vielen europäischen Staaten und darüber hin­ aus als langfristig erfolgreiche schulische Institutionen profilieren.64 Der unbedingte Glaube an die Wirksamkeit der Bildung verband Josephi­ ne Stadlin mit dem Reformkatholizismus, der in Deutschland unter dem Na­ men Deutschkatholizimus auch unter den Frühfeministinnen eine bedeutende Anzahl an Vertreterinnen zählte.65 Die deutschkatholische Bewegung for­ mierte sich Mitte der 1840er Jahre als liberale Opposition gegen den Dogma­ tismus der christlichen Konfessionen. Sie verwarf den Vorrang des Papstes, 63 Vgl. Hagmann, „Keller und der Katholizismus“. 64 Marianne-Franziska Imhasly, „Aspekte zu den Anfängen der höheren Mädchen- und Frauenbildung im 19. Jahrhundert bei den Schwesternkongregationen Baldegg, Men­ zingen und Ingenbohl“, HelFr 27/2 (1998): 283–321; Esther Vorburger-Bossart, „Theodosius Florentini und die pädagogische Idee: Das Beispiel von Ingenbohl“, in Theodosius Florentini (1808–1865). Vir famosus: Festschrift zum 200. Geburtstag (hg. v. Christian Schweizer und Markus Ries; HelFr 38/1; Luzern: Provinzialat Schweizer Kapuziner, 2009), 191–220; Gisela Fleckenstein und Joachim Schmiedl, Hg., Ultramontanismus: Tendenzen der Forschung (Paderborn: Bonifatius Buchver­ lag, 2005); Juliane Jacobi, Mädchen- und Frauenbildung in Europa: Von 1500 bis zur Gegenwart (Frankfurt a. M.: Campus, 2013), 175–234. 65 Christine Mayer, „Macht in Frauenhand: Fallbeispiele zur Berufsbildung im 19. Jahrhundert“, in Geschlecht und Macht: Analysen zum Spannungsfeld von Arbeit, Bildung und Familie (hg. v. Martina Löw; Wiesbaden: VS Verlag für Sozial­ wissenschaften, 2009), 193–213; Ann Taylor Allen, „‚Geistige Mütterlichkeit‘ als Bildungsprinzip. Die Kindergartenbewegung 1840–1870“, in Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung 2: Vom Vormärz bis zur Gegenwart (hg. v. Elke Kleinau und Claudia Opitz; Frankfurt a. M.: Campus, 1996), 19–34. Je nach Kontext wird in diesem Beitrag der Begriff Deutschkatholizismus oder Reformkatholizismus ver­ wendet. In seiner schweizerischen Variante wurde der Reformkatholizismus u. a. von Abbé Girard vertreten. Er zählte auch Personen wie Josephine Stadlin oder Augustin Keller, den Neffen ihrer Tante und einflussreicher Aargauischer Bildungspolitiker, zu seinen Anhängerinnen und Anhängern. Keller hatte wie Ronge in Breslau studiert. Es bestanden auch deshalb enge Bindungen des schweizerischen Reformkatholizis­ mus zum Deutschkatholizismus.

312

Elisabeth Joris

die Beichte, das Zölibat, die Heiligenverehrung sowie den damit verbundenen Glauben an Wunder und erhob die rationalistisch gedeutete Bibel zur einzigen Norm. Sie stützte die Bestrebungen nach der Gründung eines deutschen Nati­ onalstaats und vertrat damit einhergehend die Unterordnung der Kirche unter den Staat. Ihr standen – analog zur Entwicklung der katholischen Reformbe­ wegung in der Schweiz – wichtige Exponenten des politischen Radikalismus nahe. Aber im Gegensatz zur Schweiz geriet der Deutschkatholizismus nach dem Scheitern der Revolution von 1848 in Deutschland zunehmend unter den repressiven Druck der wieder erstarkten konservativen Fürstentümer. Wie die deutschkatholische Bewegung lehnte Stadlin den Einfluss der Kirche auf die Bildungsinstitutionen sowie den wachsenden Dogmatismus der römischen Kirche ab, den sie als Bedrohung für die Gewissensfreiheit und die Rechte des Individuums empfand. Diese Rechte standen nach Meinung von Johannes Ronge (1813–1887) in der von ihm mitbegründeten deutschka­ tholischen Kirche auch Frauen zu. Ronge, ein 1844 exkommunizierter ehema­ liger Priester und zentraler Exponent der katholischen Dissidenz, integrierte daher die Emanzipation der Frauen in seinen Kampf um gesellschaftlichen Fortschritt, Gleichheit und Harmonie.66 Diese Haltung verband ihn mit seiner Lebenspartnerin, der Frauenrechtlerin Bertha Traun-Meyer (1818–1863). Sie eröffnete zusammen mit Emilie Wüstenfeld (1817–1874) und weiteren Frauen in Hamburg die Hochschule für das weibliche Geschlecht. Die beiden Frau­ en waren, wie etliche ihrer Mitkämpferinnen, als praktizierende Christinnen der deutschkatholischen Bewegung verbunden. Sie fühlten sich angesprochen von der basisdemokratischen Organisationsform der dissidenten Kirchge­ meinden, die Frauen und Männer als gleichberechtigte Mitglieder sahen. Die Hochschule für das weibliche Geschlecht in Hamburg war vor allem auf die Ausbildung von Lehrerinnen und Kindergärtnerinnen ausgerichtet.67 Wie Stadlins Institut und Seminar musste auch diese Institution weiblicher Berufsbildung zu Beginn der 1850er Jahren den Betrieb einstellen. 66 Germaine Goetzinger, „Soziale Reform der Geschlechterverhältnisse im Vormärz: Louise Dittmars Ehekritik“, in Rationale Beziehungen? Geschlechterverhältnisse im Rationalisierungsprozess (hg. v. Dagmar Reese et al.; Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1993), 38–57; 41f.; Sylvia Paletschek, „Auszug der Emanzipierten aus der Kir­ che? Frauen in deutschkatholischen und freien Gemeinden 1844–1852“, in Frauen unter dem Patriarchat der Kirchen. Katholikinnen und Protestantinnen im 19. und 20. Jahrhundert (hg. v. Irmtraud Götz von Olenhusen; KoGe 7; Stuttgart: Kohlham­ mer 1995), 48–68; 61f.; Dies., Frauen und Dissens: Frauen im Deutschkatholizismus und in den freien Gemeinden 1841–1852 (KSG 89; Göttingen: Vandenhoeck & Rup­ recht, 1990). 67 Joris, „Profession und Geschlecht“, 366f.; Taylor Allen, „Geistige Mütterlich­ keit“; Elke Kleinau, „Ein (hochschul-)praktischer Versuch. Die ‚Hochschule für das weibliche Geschlecht‘ in Hamburg“, in Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung 2: Vom Vormärz bis zur Gegenwart (hg. v. ders. und Claudia Opitz; Frankfurt a. M.: Campus 1996), 66–82.

Die eigenwillige Auslegung der acht Seligpreisungen

4.2

313

Das Recht der Frauen auf die Ausübung des Lehrerinnenberufs

Bereits in der 1840er Jahren verstand Josephine Stadlin den Bildungsauftrag der Frauen in der Schule als von Gott gegebenen gesellschaftlichen Auftrag: Erziehung sowohl als Beruf als auch Berufung. Stadlins Hoffnung, die Mädchenbildung wegen ihrer gesellschaftspo­ litischen Bedeutung als eine nationale Aufgabe definiert zu sehen, wurde enttäuscht. Sie scheiterte mit ihrem Plan eines gesamtschweizerischen Leh­ rerinnenseminars, und das trotz ihrer engen persönlichen Beziehungen zu den bekannten liberalen Bildungspolitikern wie: Hans-Ulrich Zehnder, ihr späterer Ehemann, Mitglied des eidgenössischen Verfassungsrats von 1848 und langjähriger Präsidenten der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesell­ schaft; Alfred Escher, Initiant der als ETH international bekannten Eidge­ nössischen Technischen Hochschule und Gründer der heutigen Bank Credit Suisse; Augustin Keller, der ihr über gemeinsame Verwandtschaft eng ver­ bundene radikale Protagonist der Schließung der Klöster im Kanton Aargau und einflussreicher Nationalrat. Mit einiger Verbitterung registrierte sie zwar den geschlechtersegregierenden Charakter des liberalen Staats bei der Um­ setzung seiner Leitideen und bei der damit einhergehenden Zuweisung der Frauen zum Bereich des Privaten. Doch statt zu resignieren, verbreitete Jose­ phine Stadlin ihre Vorstellungen der einzufordernden Rechte über ihre Publi­ kationen, wie die bereits 1853 veröffentlichten Broschüre „Morgengedanken einer Frau“,68 die bis 1862 insgesamt dreimal aufgelegt wurde, sowie die 1863 unter dem Titel „Pädagogische Beiträge“ in Leipzig erschiene Sammlung von Aufsätzen. Auch diese propagieren vorwiegend den an Pestalozzi orientierten Unterricht durch Anschauung, verbunden mit dem doch sehr traditionellen gesellschaftlichen Auftrag der Frau als mütterliche Erzieherin. Gleichzeitig wehrte sich Stadlin gegen die einseitige Festlegung der Frau auf die Aufgabe der Hausfrau, sondern gestand ihr vielmehr ein dem Mann ebenbürtiges Stre­ ben nach Vervollkommnung und Erkenntnis zu. Sie zeichnete deren Aktions­ radius so breit wie im 19. Jh. nur möglich: vom engen Rahmen des Hauses bis zum öffentlichen Betätigungsfeld als Staats- und Weltbürgerin.

4.3

Geringe Breitenwirkung trotz transnationaler Vernetzung

Da die Schriften nicht übersetzt worden sind, waren Stadlins Leserinnen da­ her vorwiegend Frauen aus dem deutschen Sprachraum, die der höheren Mäd­ 68 Josephine Stadlin, Morgengedanken einer Frau (Zürich: Meyer und Zeller, 1853).

314

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chenbildung das Wort redeten oder sich als Lehrerinnen und Erzieherinnen verstanden. Vor allem mit den Vorsteherinnen von Instituten in Deutschland und dem Habsburgerreich war Stadlin direkt vernetzt. Doch auch über die von ihr nach England und italienischen Städten wie Mailand vermittelten Leh­ rerinnen, die in Pensionaten und Privathaushalten Mädchen unterrichteten, hielt sie indirekt Kontakt zu Kreisen von Frauen, die sich als Teil einer trans­ nationalen Bewegung verstanden, die höhere Mädchenbildung und öffentli­ chen Einfluss für das weibliche Geschlecht einforderten. Dazu gehörte auch die Lehrerin, Dichterin und Frauenrechtlerin Luise Büchner (1821–1877), die Schwester des Dichters Georg Büchner, die Stadlin in den 1850er Jahren in der Schweiz besuchte – zu der Zeit, als sie an ihrem meistzitierten Werk „Die Frauen und ihr Beruf“, arbeitete.69 Und es ist anzunehmen, dass über diese frühfeministischen Exponentinnen zumindest eine indirekte Beziehung von Stadlin zu Louise Otto-Peters bestand, der wohl bekanntesten Frauenrechtle­ rin aus der Generation der deutschen 1848er. Den intensivsten beruflichen Kontakt pflegte Josephine Stadlin zu Doris Lütkens (1793–1858). Diese hatte in den 1840er Jahren eine Mädchenschu­ le gegründet, die sie wie Stadlin mit einem Lehrerinnenseminar verbinden wollte. Mit Stadlin seit Jugendjahren verbunden war Marie Feierabend, die im Pestalozzi-Institut in Yverdon ihre Schülerin gewesen war. Ein Stempel auf der Titelseite des Exemplars der „Erziehung im Lichte der Bergpredigt“, das im Schweizerischen Sozialarchiv deponiert ist und diesem Beitrag zu Grunde liegt, weist dieses als ehemaligen Besitz des Ehepaars Marie und Vinzenz Ferrer Klun-Feierabend aus. Marie Feierabend hatte unter anderem in Bolo­ gna als Erzieherin gearbeitet, später über Jahre eine Mädchenschule im heu­ tigen Ljubljana geleitet, bevor sie mit ihrem Ehemann, einem bedeutenden slowenischen Historiker und Geografen, nach Wien übersiedelte, wo sie über Klun im universitären und liberalen politischen Umfeld verkehrte. Doch trotz dieses Zeugnisses transnationaler Querverbindungen ist davon auszugehen, dass Josephine Stadlins Schrift „Die Erziehung im Lichte der Bergpredigt“ ebenso wenig wie ihre weiteren Publikationen zur Mädchenbildung und be­ ruflichen Stellung eine bedeutende Breitenwirkung entfalteten. Erst die Ge­ neration der Frauenrechtlerinnen an der Wende vom 19. ins 20. Jh. konnten als organisierte Bewegung in der Schweiz Erfolge in Bezug auf das Recht der Frauen auf Ausbildung und Berufstätigkeit verbuchen. Etliche beriefen sich dabei – wenn auch weniger explizit – wie Josephine Stadlin auf die Bibel.

69 Joris, Liberal und eigensinnig, 127; 500 Anm. 70; Cordelia Scharpf, Luise Büchner: Eine evolutionäre Frauenrechtlerin des 19. Jahrhunderts (Women in German Literature 13; Oxford: Lang, 2013).

Frauen erkunden biblische Länder Reisebeschreibungen, Ethnologie, Topografie, Botanik und Kodikologie Izaak J. de Hulster Universität Helsinki/Georg-August-Universität Göttingen

Der Frage, wie Frauen im langen 19. Jh. die biblischen Länder bereist, er­ kundet, erforscht und in Veröffentlichungen zugänglich gemacht sowie deren Erforschung in vielerlei Hinsicht unterstützt haben, gebührt Aufmerksamkeit. Dieser Aufsatz widmet sich insbesondere Frauen, deren Motivation dafür vor allem in ihrer Beziehung zur Bibel und ihrer Spiritualität begründet lag.

1.

„Sinai Sisters“1

Ein Zwillingspaar aus Schottland wurde als „Sinai Sisters“ bekannt, da es zur Erforschung der in Ägypten aufbewahrten biblischen Manuskripte einen wichtigen Beitrag leistete. Wie kam es dazu? Agnes und Margaret Smith wurden 1843 geboren. Nachdem ihre Mut­ ter kurz nach der Geburt verstarb, wurden sie von ihrem Vater aufgezogen. Sie wuchsen in einem presbyterianischen Milieu auf, in dem die Bibel zen­ tral und gleichzeitig eine große Offenheit vorhanden war. Sie gehörten der Kirchengemeinde von William Bruce Robertson an, der in seinen Predigten schon zu seiner Zeit die neuesten archäologischen Befunde erwähnte. Ihr Va­ ter ermunterte die beiden, mit der Bahn zu fahren, deren Streckennetz in die­ sen Jahren immer weiter ausgebaut wurde. Auch reisten sie ins europäische Ausland und lernten einige der dort gesprochenen Sprachen – Französisch, Deutsch, Italienisch. 1866 starb auch der Vater, nachdem er zehn Jahre früher ein erhebliches Vermögen geerbt hatte. Das Zwillingspaar, unverheiratet und reich, entscheidet sich weiterhin für das Reisen; Ägypten und Palästina sind ihre begehrten Ziele. Ohne Arabisch zu sprechen, treten sie 1868 – begleitet

1

Dieser Abschnitt lehnt sich an Janet Soskice, Sisters of Sinai: How Two Lady Adventurers Discovered the Hidden Gospels (London: Vintage, 2010) an, worauf für weitere Details und bibliografische Angaben verwiesen sei.

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Izaak J. de Hulster

von einer Freundin und Murrays Reiseführer2 – eine erste Reise nach Ägyp­ ten an. Obwohl die biblischen Zeiten sie interessieren, stehen sie religiösen Traditionen und dem Pilgern skeptisch gegenüber. 1883 heiratet Margaret den Pfarrer i. R. James Gibson. Drei Jahre spä­ ter stirbt er. Nachdem die Schwestern 1879 angefangen hatten, Griechisch zu lernen, reist Agnes nach Zypern, wo sie viel vom Leben orthodoxer Mönche erfährt. Obwohl diese Reise sie noch nicht zum Sinai führt, erfüllen die dort gemachten Erfahrungen wichtige Voraussetzungen für die späteren Bezie­ hungen zu den Mönchen im Katharinen-Kloster am Sinai. 1887 heiratet Agnes den Antiquitätenhändler Samuel S. Lewis, der auf das griechisch-römische und altorientalische Kulturerbe spezialisiert ist. Zu­ sammen mit der jetzt verwitweten Margaret bauen sie sich ein neues Haus in Cambridge, das der Wissenschaft und sozialen Kontakten dienen soll. Sie empfangen dort viele von Lewisʼ Freunden, gesellschaftlich wichtige Perso­ nen und auch Archäologen. Einer dieser Freunde ist Professor für Arabisch, William Robertson Smith, der auch als Bibliothekar arbeitet. Bekannt waren seine – für die Zeit – liberalen Veröffentlichungen zur Bibel. Er machte die Schwestern auch mit Solomon Schechter, der rabbinische Fächer unterrichte­ te, bekannt. Als 1891 auch Samuel Lewis stirbt, entscheiden die Geschwister, endlich den Sinai zu besuchen, insbesondere das Katharinen-Kloster. Sie hatten von Tischendorfs Besuch und dem Codex Sinaiticus gehört, sowie von den „Ent­ deckungen“ ihres Freundes Rendel Harris. Harris hatte angedeutet, dass es noch mehrere alte Manuskripte gäbe, die er noch nicht gesehen hätte. Mit ihren inzwischen erworbenen Kenntnissen des Arabischen und Syrischen machten die beiden Smith-Schwestern sich erneut auf den Weg nach Ägyp­ ten. Nachdem der Bischof von Kairo ihnen eine Genehmigung erteilt hatte, das Sinai-Kloster zu besuchen, erreichten sie 1892 die Griechisch sprechende Mönchsgemeinschaft. Im Kloster entdeckte Agnes einen Palimpsest mit ei­ ner frühen Evangeliumsüberlieferung auf Syrisch. Gut ausgestattet mit einem Fotoapparat, fertigten sie über tausend Negative an, nicht nur von diesem Pa­ limp­sest, sondern auch von arabischen Evangelien und anderen Büchern. Zu­ dem fotografierten sie die umliegende Wüstenlandschaft, die sie mehr faszi­ nierte als die dort verankerten Mose-Traditionen oder die orthodoxe Liturgie. Zurück in England entwickeln sie die Fotos, studieren die Bilder und ent­ scheiden, erneut abzureisen. Bei dieser Reise begleiten sie Professor Robert Bensly, seinen Assistenten Francis Burkitt und deren Ehefrauen. Am Sinai arbeiten Bensly und Burkitt an dem Palimpsest, das mit einem Reagens lesba­ rer gemacht wird; Agnes und Margaret katalogisieren syrische bzw. arabische 2 John Gardner Wilkinson, Hand-Book for Travellers in Egypt (Murray’s Hand­ book for Travellers; London: Murray, 1847). Das Buch ist ein Produkt der englischen Ägyptomanie und erschien 1847; siehe dazu: Amara Thornton, Archaeologists in Print: Publishing for the People (London: UCL Press, 2018), 34.

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Manuskripte mit Angaben auf Griechisch für die Mönche. Obwohl die Rei­ senden sich streiten und Bensly kurz darauf verstirbt, erscheint 1894 The Four Gospels in the Old Syriac Version (mit einer wissenschaftlichen Einführung und Übersetzung von Agnes); Robertson Smith ermöglicht es, dass die Ge­ schwister in der neuen Cambridger Reihe „Studia Sinaitica“ veröffentlichen.3 Agnes und Margaret Smith fangen nicht nur an, Texte zu fotografieren, sondern auch Manuskripte zu kaufen. Das sehen sie als ihre fromme Pflicht an, da Gottes Vorsehung ihnen Reichtum gegeben habe, um diese alten Hand­ schriften zu retten. Der Handel blühte, auch illegal. Auf einer Reise entde­ cken die Geschwister ein syrisches Makkabäer-Manuskript, das aus dem Sinai-Kloster gestohlen worden war. In einem der Ankäufe erkennt sodann Solomon Schechter Teile von Jesus Sirach auf Hebräisch – bis dahin war das deuterokanonische Buch ja nur auf Griechisch bekannt. Obwohl sie erneut gemeinsam nach Ägypten reisen wollen, tritt Schechter alleine die Reise an und entdeckt in der Ben-Esra-Synagoge die sogenannte Kairoer Genisa, wo jahrhundertelang alte Bücher „bestattet“ wurden. Die Manuskripte nimmt er mit nach Cambridge. Agnes und Margaret Smith unternehmen aber noch weitere Reisen, u. a. in die Sketische Wüste (Wadi an-Natrun), um Manuskripte zu studieren und zu erwerben. Des Weiteren errichten sie das 1899 eröffnete Presbyterian Westminster College. 1902 wird Schechter am Jewish Theological Seminary in New York Rektor und lädt die beiden Frauen zu Vorträgen in die Vereinigten Staaten ein. 1906 besuchen sie zum sechsten und letzten Mal den Sinai. Mar­ garet stirbt 1920, Agnes 1926. Die Erinnerung an sie ist geprägt von Reisen, Sammeln und akademi­ scher Arbeit. Sie hatten Zeit und Geld zum Reisen, zum Sprachenlernen und 3

Robert L. Bensly et al., The Four Gospels in Syriac: Transcribed from the Sinaitic Palimpsest by Robert L. Bensly and J. Rendel Harris and F. Crawford, with an Introd. by Agnes Smith Lewis (Cambridge: Cambridge University Press, 1894); Agnes Smith Lewis, A Translation of the Four Gospels from the Syriac of the Sinaitic Palimpsest (Testamentum novum; London: Macmillan, 1894). Zum Beispiel: Agnes Smith Lewis, Catalogue of the Syriac mss. in the Convent of S. Catharine on Mount Sinai (StSin 1; Cambridge: Cambridge University Press, 1894); Margaret Dunlop Gibson, An Arabic version of the epistles of St. Paul to the Romans, Corinthians, Galatians with part of the epistle to the Ephesians from a ninth century ms. in the Convent of St. Catherine on Mount Sinai (StSin 2; London: Clay, 1894); Margaret Dunlop Gibson, Catalogue of the Arabic mss. in the Convent of St. Catherine on Mount Sinai (StSin 3; Cambridge: Cambridge University Press, 1894); Mar­ garet Dunlop Gibson, Apocrypha Sinaitica 1: Anaphora Pilati, 3 recensions (in Syriac and Arabic); 2: Recognitions of Clement, 2 recensions; 3: Martyrdom of Clement; 4: The preaching of Peter; 5: Martyrdom of James, son of Alphaeus; 6: Preaching of Simon, son of Cleophas; 7: Martyrdom of Simon, son of Cleophas in Arabic (StSin 5; Cambridge: Cambridge University Press, 1896); Agnes Smith Lewis, A Palestinian Syriac Lectionary: Containing lessons from the Pentateuch, Job, Proverbs, Prophets, Acts and Epistles (StSin 6; Cambridge: Cambridge University Press, 1897).

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um sich wissenschaftlich zu entwickeln – aber auch ein Auge für Fotografie und ein Interesse an der Bibel. Das alles trug dazu bei, dass sie bedeutsame Manuskripte entdeckten, erwarben, erforschten und veröffentlichten. Soskice charakterisiert die beiden aus biografischer Sicht als „wives, widows, and now scholars of repute.“4 Im langen 19. Jh. gibt es neben der kodikologischen Arbeit von Agnes und Margaret Smith noch weitere Frauen, die – besonders geprägt vom Bibellesen und von biblischen Traditionen – dazu beigetragen haben, die „Länder der Bibel“, insbesondere des Nahen Ostens und Ägypten,5 zu erschließen. Diese Frauen,6 die oft aus einer bestimmten christlichen Spiritualität heraus Kennt­ nisse über Palästina und die benachbarten Gebiete beigesteuert haben, sind allerdings wenig bekannt, und bei weiteren Recherchen würde man bestimmt auf noch weitere bedeutende Frauen stoßen.7 Bevor einzelne dieser Frauen ge­ nauer vorgestellt werden, soll jedoch der geistesgeschichtliche und kulturelle Kontext des langen 19. Jh. erläutert werden.

2.

Der sozialgeschichtliche Kontext des langen 19. Jh.

Wenn in christlichem Kontext im 19. Jh. vom „Heiligen Land“ die Rede ist, muss klar sein, dass die (Elite der) Bevölkerung von Ländern wie den Ver­ einigten Staaten und England das eigene Land als „heiliges Land“ wahrge­ nommen hat. Immerhin wuchs aber auch das Interesse am „Land der Bibel“, wo­runter man im Singular meist Palästina verstand. Ein wichtiger Aspekt dieses Interesses bezog sich auf die Geografie, darüber hinaus gab es aber auch ein politisches Interesse. Wo die wachsende Kluft zwischen natürlicher Theologie und Naturwissenschaft unüberbrückbar schien, wendeten sich vor allem „rechtgläubige“ (amerikanische) Protestanten und Protestantinnen der Geografie zu. Die Frage, wo die Heilsgeschichte stattgefunden hatte, erhielt den Status einer letzten Hoffnung, da historisch-kritische Debatten aussichts­ 4 Soskice, Sisters of Sinai, 252. 5 Diese Einschränkung auf die Gebiete außerhalb Europas bietet sich im Licht der Entwicklungen des langen 19. Jh. (s. u. den historischen Überblick) an, weswegen andere Gebiete mit „biblischen Schauplätzen“ wie Malta, Italien und Griechenland unberücksichtigt bleiben. 6 Eine wichtige Gruppe, die hier ausgeklammert ist, sind die Frauen, die meist nicht aus Frömmigkeit bei Ausgrabungen eine Rolle gespielt haben. Dazu: Izaak J. de Hulster, „The Role of Women in the Archaeological Exploration of the Lands of the Bible 1800–1920“, in Die Bibel war für sie ein politisches Buch: Bibelinterpretationen der Frauenemanzipationsbewegungen im langen 19. Jahrhundert (hg. v. Irm­ traud Fischer et al.; Frauenforschung in Europa 29; Münster: LIT, 2020 [im Druck]). 7 Zum Beispiel wäre hier die Geschichte der Fotografie zu bearbeiten.

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los schienen.8 Die geografische Einordnung biblischer Orte war wichtig, da die Gläubigen durch das Lesen und die Liturgie mit den biblischen Geschich­ ten vertraut waren.9 Dadurch wuchs auch das Interesse an Büchern von Pa­ lästina-Reisenden, exemplarisch sei hier The Land and the Book von William ­MacClure Thomson10 genannt.11 Johann J. Winckelmanns Geschichte der Kunst des Alterthums, die 1764 erschien,12 beförderte das Interesse am klassischen Altertum. Wegweisend für die kultur-historische Beschäftigung mit dem Nahen Osten bzw. den nichteuropäischen Teilen des Ottomanischen Reiches war Napoleons Invasion in Ägypten und Palästina (Syrien) und seine Description.13 Neben Forschungen 8

Vgl. John Davis, The Landscape of Belief: Encountering the Holy Land in Nineteenth Century American Art and Culture (The Princeton Series in Nineteenth Century Art, Culture, and Society; Princeton: Princeton University Press, 1996); Eitan Bar-Yosef, The Holy Land in English Culture 1799–1917: Palestine and the Question of Orientalism (Oxford English Monographs; Oxford: Oxford University Press, 2005). 9 Z. B. Marilyn Färdig Whiteley, Canadian Methodist Women, 1766–1925: Marys, Marthas, Mothers in Israel (Studies in Women and Religion 10; Waterloo: Wilfrid Laurier University Press, 2005), 63–73 (Bibellesen) und 118–129 (Sonntagsschule); Bernhard Schneider, „Lesende Katholikinnen im deutschen Sprachraum und die Bedeutung der Bibel zwischen 1850–1914“, in Fromme Lektüre und kritische Exegese im langen 19. Jahrhundert (hg. v. Michaela Sohn-Kronthaler und Ruth Albrecht; BuF 8.2; Stuttgart: Kohlhammer, 2014), 273–303; vgl. Lester I. Vogel, To see a Promised Land: Americans and the Holy Land in the Nineteenth Century (University Park: Pennsylvania State University Press, 1993), insbes. 28–32. 10 William MacClure Thomson, The Land and the Book or Biblical Illustrations Drawn from the Manners and Customs, the Scenes and Scenery of the Holy Land (2 Bde; New York: Harper, 1859). 11 Herbert Hovenkamp, Science and Religion in America 1800–1860 (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 1978), 157f.; er erwähnt allerdings keine Frauen. Das gilt auch für Haim Goren, „Zieht hin und erforscht das Land“: Die deutsche Palästinaforschung im 19. Jahrhundert (Schriftenreihe des Instituts für Deutsche Ge­ schichte, Universität Tel Aviv 23; Göttingen: Wallstein, 2003; ergänzte Übersetzung des hebräischen Originals: ‫ישראל‬-‫ המחקר הגרמני של ארץ‬:‫לכו חיקרו את הארץ‬ ‫עשרה‬-‫[ במאה התשע‬Jerusalem: Yad Izhak Ben-Zvi, 1999]). Yehoshua Ben-Arieh, The Rediscovery of the Holy Land in the Nineteenth Century (Jerusalem: Magnes, 2 1983), 162–188, erwähnt nur Frauen in seiner Kategorie „through the eyes of its in­ habitants“ (in diesem Fall: Expats, besonders vor Ort lebende Europäerinnen und Eu­ ropäer). Darüber hinaus könnte man Marie F. C. D. Corbaux erwähnen, dazu: Marion Ann Taylor, „Frauen und die historisch-kritische Exegese im England des 19. Jahr­ hunderts“, in Fromme Lektüre und kritische Exegese im langen 19. Jahrhundert (hg. v. Michaela Sohn-Kronthaler und Ruth Albrecht; BuF 8.2; Stuttgart: Kohlhammer, 2014), 32–58; 38. 12 Johann Joachim Winckelmann, Johann Winckelmanns Geschichte der Kunst des Alterthums (2 Bde; Dresden: Waltherische Hof-Buchhandlung, 1764). 13 Description de l’Égypte: ou recueil des observations et des recherches, qui ont été faites en Égypte pendant l’expédition de l’armée française, publié par les ordres de Sa Majesté l’empereur Napoléon le Grand (23 Bde; Paris: Imprimerie Impériale, 1809–1828).

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zu Geschichte, Kultur und Landeskunde entwickelte sich auch die Archäolo­ gie zusehends. Der Nahe Osten und Nord-Afrika erfreuten sich sowohl wis­ senschaftlich als auch kulturell großer Aufmerksamkeit – Stichwörter hier sind Idealisierung und Orientalismus. Kulturell äußerte sich das nicht nur in Literatur und Malerei, sondern auch bald in der Fotografie.14 Neben dem idealisierten Bild stehen aber negative Erfahrungen von Reisenden bezüglich Hygiene, Klima und anderen gewöhnungsbedürftigen Gräueln.15 Das Ottomanische Reich war in dieser Zeit im Umbruch, sozial und poli­ tisch. Als erster Schritt zur Zentralisierung und zu mehr Sicherheit wurden die Söldner durch ein stehendes Heer ersetzt, teilweise auch als Maßnahme gegen lokale Kriegsherren. Die sozialen Entwicklungen in Richtung Mo­ dernisierung im „Westen“ aufgreifend,16 gab es auch hier Diskussionen über Geschlechterkonzeptionen und die Rolle der Frau in der Familie sowie um staatliche Schulen für Frauen.17 Der Ausbau der Infrastruktur wurde durch Handelsinteressen und wachsenden Tourismus der westlichen Länder stark vorangetrieben. Straßen und Hotels wurden gebaut und 1892 wurden Jaffa und Jerusalem mit einer Eisenbahnlinie verbunden.18 Auch erschienen Rei­ seführer, wie Porters Handbuch, das erste seiner Art für Syrien-Palästina. Es beginnt mit dem Satz: „The Bible is the best Handbook for Palestine; the 14 Vgl. Ken Jacobson, Odalisques & Arabesques: Orientalist Photography 1839–1925 (London: Quaritch, 2007); Linda Nochlin, The Politics of Vision: Essays on Nineteenth-Century Art and Society (London: Thames & Hudson, 1989), insbes. 19–59. 15 Vgl. die im Folgenden zitierten Erfahrungen Ida Pfeiffers am Toten Meer sowie Brian Yothers, The Romance of the Holy Land in American Travel Writing, 1790–1876 (Aldershot: Ashgate, 2007); Naomi Shepherd, Zealous Intruders: The Western Rediscovery of Palestine (London: Collins, 1987); Barbara U. Brunnbauer, Die Darstellung der Fremde im englischen Palästina-Reisebericht des 19. Jahrhunderts (Grenzüberschreitungen 3; Trier: WVT, 1995), 175–181 und Mark Twains Parodie: The Innocents Abroad (London: King, 1867), in den Vereinigten Staaten erschie­ nen mit dem Untertitel: Or The New Pilgrim’s Progress: Being Some Account of the Steamship Quaker City’s Pleasure Excursion to Europe and the Holy Land; with Descriptions of Countries, Nations, Incidents and Adventures, as they Appeared to the Author (Hartford: American Publishing Company, 1870), vgl. Hilton Obenzinger, American Palestine: Melville, Twain, and the Holy Land Mania (Princeton: Prince­ ton University Press, 1999). 16 Vgl. die Reihe Synthesen: Probleme europäischer Geschichte (hg. v. Manfred Hil­ dermeier et al.; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, seit 2003). 17 Mervat F. Hatem, „Modernization, the State, and the Family in Middle East Wom­ en’s Studies“, in Social History of Women and Gender in the Modern Middle East (hg. v. Margaret L. Meriwether and Judith E. Tucker; The Social History of the Mod­ ern Middle East; Boulder: Westview Press, 1999), 63–87; 68f. 18 Gudrun Krämer, Geschichte Palästinas: Von der osmanischen Eroberung bis zur Gründung des Staates Israel (München: Beck, 62015), 90–120 und Shimon Gibson et al., Tourists, Travellers and Hotels in Nineteenth-Century Jerusalem (APEF 11; Leeds: Maney, 2013); vgl. Malcolm E. Yapp, The Making of the Modern Near East: 1792–1923 (A History of the Near East; London: Longman, 1987).

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present work is only intended to be a companion to it.“19 1869 fand die erste von Thomas Cook organisierte Reise statt, in deren Rahmen auch Palästina besucht wurde. Wie bereits angedeutet, war die Fotografie eine bahnbrechende Entwick­ lung. Nach der Erfindung der Daguerreotypie (1839), die noch nicht mit Ne­ gativen arbeitete und daher keine wiederholten Abzüge ermöglichte, stellte die Kalotypie (auch Talbotypie; patentiert 1841 – eine Technik mit Negativen) eine weitere wichtige technische Verbesserung dar, mit der man nach der Rei­ se Fotos abdrucken konnte. Mit der Entwicklung der Kodak-Kamera 1888 be­ gann die Popularisierung der Fotografie.20 Fotografie wurde zur Dokumenta­ tion von Kultur- sowie Naturerbe (und später im Journalismus)21 benutzt und spielte daher eine große Rolle im Orientalismus.22 So wurde das Bibellesen bereichert von Bildern und die Vertrautheit mit biblischen Orten vergrößert,23 insbesondere da sich u. a. mit der wachsenden Rolle des illustrierten Buches 19 Josias L. Porter, A Handbook for Travellers in Syria and Palestine (2 Bde; London: Murray, 1858), xi. 20 Z. B. Michel Frizot, Hg., Neue Geschichte der Fotografie (Köln: Könemann, 1998; Original Französisch: Nouvelle histoire de la photographie [Paris: Bordas, 1994]), insbes. 9–242.258–271.410–429. Das erste bekannte Foto von Jerusalem stammt von Joseph-Philibert Girault de Prangey („The Northwestern area of the Haram al-Sharif, Jerusalem“, The J. Paul Getty Museum, online: http://www.getty.edu/art/collection/ objects/130205/joseph-philibert-girault-de-­prangey-the-northwestern-area-of-theharam-al-sharif-jerusalem-french-about-1842/ [zuletzt abgerufen am 1.7.2020]); wahrscheinlich 1843, vgl. Lindsey S. Stewart, „In Perfect Order: Antiquity in the Daguerreotypes of Joseph-Philibert Girault de Prangey“, in Antiquity & Photography: Early Views of Ancient Mediterranean Sites [hg. v. Claire L. Lyons et al.; Lon­ don: Thames & Hudson, 2005], 66–91; Girault de Prangey hat seine Daguerreotypen als Kupferstiche veröffentlicht: Joseph-Philibert Girault de Prangey, Monuments Arabes d’Egypte, de Syrie et d’Asie Mineure: dessinés et mesurés de 1842 à 1845 (Paris: Selbstverlag, 1846). 21 Vgl. André Rouillé, „Exploring the World by Photography in the Nineteenth Cen­ tury“, in A History of Photography: Social and Cultural Perspectives (hg. v. JeanClaude Lemagny und André Rouillé; Cambridge: Cambridge University Press, 1987; Original Französisch: Histoire de la photographie [Paris: Bordas, 1986]), 52–59; James Robert Ryan, Picturing Empire: Photography and the Visualization of the British Empire (London: Reaktion Books, 1997). Zu anderen (auch frühen) Anwen­ dungen, vgl. auch Andreas Baur et al., Wozu Bilder? Gebrauchsweisen der Fotografie (Ausstellungskatalog Villa Merkel und Kunstsammlung Jena; Köln: Snoeck, 2013). 22 Bernd Stiegler und Felix Thürlemann, Orientbilder – Fotografien 1850–1910 (Frankfurt am Main: Weissbooks, 2015); Sascha Gebauer, „Fotografie und Fotogra­ fen im Orient“, in ders., Rüdiger Liwak und Peter Welten, Pilger, Forscher, Abenteurer: Das Heilige Land in frühen Fotografien der Sammlung Greßmann (SKI NF 8; Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2014), 31–42. Vgl. Anm. 14 oben. 23 Krämer, Geschichte Palästinas, 42, formuliert: „Bild, Ton und Wort ließen die bi­ blischen Stätten in einer Weise ‚vertraut‘ erscheinen wie wenige Orte jenseits des eigenen Lebensumfeldes.“

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auch die Medienkultur änderte.24 Fotos zum „Heiligen Land“, in Büchern, als Ansichtskarten oder Wandbilder, sind oft durch einen dezidierten Orientalis­ mus gekennzeichnet. Durch Weglassung von politischen, militärischen und technologischen Elementen und die Betonung von Landschaften, Gebäuden, Menschen und „antiken“ Gewerben versuchte man sich an biblische Zeiten anzunähern.25 Neben dem illustrierten Buch wuchsen auch die Auflagen von Zeitschrif­ ten, Periodika und Beschreibungen persönlicher Art wie Biografien, Memoi­ ren und Reiseberichten.26 Zudem fand in dieser Epoche eine „Bibliotheksre­ volution“ statt: Das Aufkommen und Blühen von Bibliotheken stellte erstmals allen (lesenden) Schichten der Gesellschaft Literatur und illustrierte Bücher zur Verfügung.27 Das von Wilson herausgegebene Werk Picturesque Palestine, Sinai and Egypt ist hier ein hervorragendes Beispiel, „a consummate ex­ ample of armchair journeys into the manufactured spaces of the Holy Land.“28 24 Amos Mar-Haim, „Jerusalem by the Brush“, in Enduring Images: 19th Century Jerusalem through Lens and Brush (hg. v. Lindsey Taylor-Guthartz et al.; Jerusalem: Bible Lands Museum, 2002), 13–15. 25 Mit Dank an Margreet Steiner, die mich auf den latenten Orientalismus der Speel­ man-Sammlung hinwies. Die Fotosammlung wurde vom Ehepaar Speelman auf zwei Reisen nach Palästina (1926 und 1931) an verschiedenen Orten gekauft und für Vorträge in den Niederlanden benutzt; Richard Hardiman und Helen Speelman, In the Footsteps of Abraham: The Holy Land in Handpainted Photographs (New York: Overlook Duckworth, 2008). Vgl. Kevork Kahvedjian, Jerusalem Through My Father’s Eyes (Jerusalem: Elia Photo Service, 1998), Fotos für Touristinnen und Tou­ risten seit 1924; sowie Alistair Crawford, „Graham, James (1806–1869): Scottish itinerant photographer“, in Encyclopedia of Nineteenth-Century Photography 1: A–I (hg. v. John Hannavy; New York: Routledge, 2008), 605f., der von „desired realities“ spricht (ebd., 605). Vgl. Simon Goldhill, „Photography and the Real: The Bibli­ cal Gaze and the Professional Album in the Holy Land“, in Travel Writing, Visual Culture, and Form, 1760–1900 (hg. v. Mary Henes und Brian H. Murray; Palgrave Studies in Nineteenth-Century Writing and Culture; Basingstoke: Palgrave, 2016), 87–111, zum „biblischen Blick“ („biblical gaze“) und zu den 51 Fotoalben über das moderne Ottomanische Reich von Sultan Abdul-Hamid II., die 1894 dem British Mu­ seum geschickt und erst 1983 katalogisiert wurden. 26 David Bordelon, „Reading and the Growth of a Nation: 1865–1913“, in Cultural History of Reading 2: American Literature (hg. v. Sara E. Quay; Westport: Green­ wood, 2009), 167–202; insbes. 196. 27 Vgl. Werner Telesko, Das 19. Jahrhundert: Eine Epoche und ihre Medien (UTB 3392; Wien: Böhlau, 2010), 248. Vgl. auch Diana Chlebek, „Romanticism and the Nineteenth Century“, in Cultural History of Reading 1: World Literature (hg. v. Gabrielle Watling; Westport: Greenwood, 2009), 197–226; 201.221; Thornton, Archaeologists in Print. 28 Burke O. Long, Imagining the Holy Land: Maps, Models, and Fantasy Travels (Bloomington: Indiana University Press, 2003), 137; vgl. Mar-Haim, „Jerusalem“, 15. Charles Wilson, Picturesque Palestine, Sinai and Egypt (2 Bde; London: Virtue [1880–1884]).

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In diesem Werk gibt es auch den noch zu besprechenden Beitrag einer Frau, von Mary Eliza Rogers. Die hier genannten Entwicklungen stehen in einem größeren Rahmen und bezeugen ein wachsendes Interesse an Geschichte und eine Neugier bezüg­ lich der Ferne, betonen die aufkommende Visualisierung, neue Dynamiken zwischen Massen und Individuum sowie neue Verhältnisse zwischen Wis­ senschaft und Unerforschtem. Wissensgeschichtlich muss hier zudem auf die Gründung von Museen hingewiesen werden, die die Bekanntschaft mit der nationalen Geschichte, Literatur, Geografie (inkl. Kolonien) förderten, so­ wie – vor allem in den größeren Staaten – auf das Bestreben „to establish hegemonies over the world of learning“.29 Wie schrieben Frauen inmitten der hier skizzierten Entwicklungen Ge­ schichte? Am Beispiel des viktorianischen Ideals der Frau ist die erste Ant­ wort: zuhause, im Dienst von Familie, Ehemann und – idealerweise wach­ sender – Kinderschar. Dies beschreibt Margaret Cool Root als „notorious harnessing of women to a crippling intellectual, sexual, and economic depen­ dency on man“30 und gilt – mutatis mutandis – auch für andere westliche Kon­ texte.31 Dies ist der Kontext, in dem der Kampf für das Frauenwahlrecht und den Unterricht für Frauen geführt wurde, ebenso wie für den Abolitionismus, das Bestreben, die Sklaverei abzuschaffen, denn auch im Nahen Osten gab es noch Sklaverei.32 Den Einfluss von Frauen aus dem häuslichen Kontext heraus 29 Peter Burke, A Social History of Knowledge 2: From the Encyclopaedia to Wikipedia (Cambridge: Polity, 2012), 192–198; 198. Nicht zu übersehen ist hier aber die Syrische Wissenschaftliche Gesellschaft, 1857 gegründet von Menschen aus Syri­ en, Palästina und dem Libanon; vgl. Klaus Polkehn, Palästina: Reisen im 18. und 19. Jahrhundert (Berlin: Verlag der Nation, 1986), 199. Siehe zudem Telesko, Das 19. Jahrhundert und Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts (München: Beck, 2009). Hinsichtlich westlicher Re­ zeption des Alten Orients (bis heute): Kevin M. McGeough, The Ancient Near East in the Nineteenth Century: Appreciations and Appropriations (3 Bde; HBM 67.68.69; Sheffield: Sheffield Phoenix Press, 2015). 30 Margaret Cool Root, „Introduction: Women of the field, defining the gendered ex­ perience“, in Breaking Ground: Pioneering Women Archaeologists (hg. v. Getzel M. Cohen und Martha Sharp Joukowsky; Ann Arbor: University of Michigan Press, 2004), 1–33; 8. Es gibt aber auch Beispiele, die das Patriarchat untergraben, vgl. Ruth Y. Jenkins, Reclaiming Myths of Power: Women Writers and the Victorian Spiritual Crisis (Lewisburg: Bucknell University Press, 1995) und Sarah C. Williams, „Is there a Bible in the house? Gender, religion and family culture“, in Women, Gender, and Religious Cultures in Britain, 1800–1940 (hg. v. Sue Morgan und Jacqueline deVries; London: Routledge, 2010), 11–31. 31 Beatrix Schmauser, Blaustrumpf und Kurtisane: Bilder der Frau im 19. Jahrhundert (Stuttgart: Kreuz-Verlag, 1991), Geneviève Fraisse und Michelle Perrot, Hg., 19. Jahrhundert (Geschichte der Frauen 4; Frankfurt: Campus, 1994 – Original Itali­ enisch: Lʼottocento [Storia delle donne in Occidente 4; Roma: Laterza, 1991]). 32 Mrs. Finn erwähnt, dass ihr um 1849 ein afrikanisches Mädchen als Sklavin angebo­ ten wurde, als sie in Jerusalem lebte; posthum veröffentlicht: Mrs. [Elizabeth Anne

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darf man nicht unterschätzen, da sie zum Beispiel die Frömmigkeit prägten.33 Zu den wachsenden Möglichkeiten für Frauen, Unterricht zu genießen, gab es schrittweise (und besonders in der Ferne, wozu auch der Nahe Osten gehörte) Möglichkeiten, sich mit Caritas, Medizin, Botanik, Literatur/Kunst, Sozio­ logie, Anthropologie und sogar Archäologie zu beschäftigen.34 Leider wurde vielen dieser Frauen bisher nicht die verdiente Aufmerksamkeit geschenkt.35

3.

Der Orient und orientalische Frauen in Reiseberichten von Frauen

Wie die Fotografie ermöglicht auch ein Reisebericht, die Welt durch anderer Augen zu bereisen.36 Im größeren chronologischen Rahmen der PalästinaReisen darf man die lange Tradition christlicher Pilger und Pilgerinnen er­ wähnen, die bereits im vierten Jahrhundert einsetzte, wie die berühmten Bei­ spiele der Egeria und der Helena belegen. Mehrere „westliche“ Frauen machten Erfahrungen in den biblischen Län­ dern und haben darüber geschrieben. Was aber ist ein Reisebericht und was kann als ethnologische oder anthropologische Studie verstanden werden? Manchmal gibt der Titel schon ein Indiz, aber im Nachhinein bieten vielleicht McCaul] Finn, Reminiscences of Mrs. Finn, Member of the Royal Asiatic Society (London: Marshall, Morgan and Scott, [1929]), 86. 33 Vgl. u. a. Michaela Sohn-Kronthaler und Andreas Sohn, Frauen im kirchlichen Leben: Vom 19. Jahrhundert bis heute (TTB 672; Innsbruck: Tyrolia, 2008), insbes. 19–21. 34 Burke, Knowledge, 2:237–239; Frauen beschreibt er zusammen mit „gentlemen“, Ärzten, Pfarrern, Soldaten und Diplomaten als „six types of amateur knowledge workers“ (ebd., 232). Ella Ferris Pell ist eine der wenigen Malerinnen, die zum Orien­ talismus gezählt werden können; für sie galt „the Orient provided a welcome respite from social expectations at home“, so: Holly Edwards, Noble Dreams – Wicked Pleasures: Orientalism in America, 1870–1930 (Princeton: Princeton University Press, 2000), 144. Zum Orientalismus und dem „männlichen/patriarchalen Blick“ („gaze“): Viktoria Schmidt-Linsenhoff, „Der kolonisierende, männliche Blick: Dominique Vivant Denons Voyage d’Égypte (1802)“, in Orte der Sehnsucht: Mit Künstlern auf Reisen (hg. v. Hermann Arnhold; Regensburg: Schnell & Steiner, 2008), 45–50. 35 Yvette Deseyve und Ralph Gleis, Hg., Kampf um Sichtbarkeit: Künstlerinnen der Nationalgalerie vor 1919 (Berlin: Reimer, 2019). Cool Root erklärt: „Women do not have a natural place in these masculine narratives born of the Victorian mind-set“ (Dies., „Women of the field“, 9). Zur Archäologie siehe de Hulster, „The Role of Women“. Neben Frauen sollten auch nicht-westliche Archäologen seit dem frühen 20. Jahrhundert nicht vergessen werden; Burke, Knowledge, 2:206. 36 Vgl. Arnd Bauerkämper, Hans Erich Bödeker und Bernhard Struck, Hg., Die Welt erfahren: Reisen als kulturelle Begegnung von 1780 bis heute (Frankfurt a. M.: Cam­ pus, 2004), insbes. 23–26.

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„schlichte“ Reiseberichte auch Beobachtungen, die jedenfalls heute als ethno­ logische oder anthropologische Informationen wichtig sind. Da es in diesem Aufsatz um die „Länder der Bibel“ geht, ist eine Unterscheidung zwischen Mrs. Finns Arbeit und einem Buch von Mary Eliza Rogers hilfreich: Miss Rogers afterwards wrote a charming book called Domestic Life in Palestine. I was then writing mine of Home in the Holy Land, and we were neither of us aware that the other was writing. Miss | Rogers’ book dealt more with the life of Orientals, whereas mine dealt also with the life of Europeans living in Jerusalem as home.37

Darüber hinaus gibt es sehr unterschiedliche Motive, warum Frauen Reisebe­ richte geschrieben und veröffentlicht haben. Die Niederländerin Maria J. E. Versfelt bereiste Ägypten (und besuchte auf dem Heimweg Malta und Algier), getrieben von einem Interesse an der Antike. Sie veröffentlichte ihre Arbeit aber mit einem wirtschaftlichen Ziel – 1831 erschienen sechs französische Bände unter dem Pseudonym Ida Saint-Elme.38 Die Österreicherin Ida Pfeif­ fer wollte immer gerne reisen, und motiviert durch ihren Glauben bereiste sie 1841 und 1842 Palästina und Ägypten.39 Ein Verleger ermunterte sie, ihren Reisebericht der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.40 Sie besuchte u. a. das Tote Meer und schreibt: „Ich war froh, als wir nach einer Rast von einer Stunde diesen ausgestorbenen traurigen Ort wieder verließen.“41 Ein Höhe­ punkt ihrer Reise war Jerusalem, insbesondere die Grabeskirche, wo sie eine ganze Nacht alleine verbrachte und schlussfolgerte: „Dies waren die schöns­ ten Stunden meines Lebens – wer die erlebt, hat genug gelebt.“42 Zum Schluss 37 Finn, Reminiscences, 136f. 38 Vgl. Adeline Bats, „Ida Saint-Elme: La contemporaine en Égypte. Regard sur un récit de voyage“, Revue Égypte 69 (2013): 43–46 [Themenheft: Les femmes dans l’égyptologie au XIXe siècle] und Gé Ostendorf-Reinders, „Versfelt, Maria Elseli­ na Johanna (1776–1845)“, in Digitaal Vrouwenlexicon van Nederland, online: http:// resources.huygens.knaw.nl/vrouwenlexicon/lemmata/data/versfelt [zuletzt abgeru­ fen am 6.7.2020], auch für weitere Verweise. 39 Danach wurde sie eine Weltreisende; vgl. Luisa Rossi, L’Altra mappa: esploratrici, viaggiatrici, geografe (Passages 4; Reggio Emilia: Diabasis, 2005), 211–234. 40 Ohne literarisch zu schreiben, veröffentlicht sie ihren Reisebericht „ungeschmückt“ als eine „Erzählung, in der ich Alles beschreibe, wie es mir vorkam“, Ida Pfeiffer, Reise einer Wienerin in das Heilige Land, nämlich: von Wien nach Konstantinopel, Brussa, Beirut, Jaffa, Jerusalem, dem Jordan und todten Meere, nach Nazareth, Damaskus, Balbeck und dem Libanon, Alexandrien, Kairo, durch die Wüste an das rothe Meer, und zurück über Malta, Sicilien, Neapel, Rom u. s. w. Unternommen im März bis December 1842. Nach den Notaten ihrer sorgfältig geführten Tagebücher (2 Bde; Wien: Dirnböck, 31846), 2:202. 41 Pfeiffer, Reise, 1:133. 42 Ebd., 1:108.

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heißt es aber: „Vieles habe ich gesehen, aber auch Vieles ausgestanden, und das Wenigste so gefunden, wie ich es mir dachte.“43 Versfelt und Pfeiffer unternahmen ihre Reisen alleine; mehrere Frauen reisten mit ihren Ehemännern, manchmal mit anderen Verwandten. Sarah Belzoni etwa begleitete ihren Mann, den Ägyptologen Giovanni Belzoni. Obwohl sie kaum Arabisch sprach, hatte sie Kontakt zu lokalen Frauen und schrieb ein Kapitel zu Frauen in Ägypten, Nubien und Syrien.44 Sie teilte ihre Erfahrungen und beschrieb u. a. ihre Besuche am Jordan, in Jerusalem und Nazareth im Jahre 1818. In Jerusalem schaffte sie es sogar, den Tempelberg zu besuchen und zwar verkleidet als türkischer Junge, nachdem ihr als Teil einer Pilgergruppe der Zugang untersagt worden war.45 Dies scheint mit dem Ruf der damaligen Christinnen und Christen zusammenzuhängen: „Unfor­ tunately, the Christians are very treacherous, and betray each other to the Turks; which makes those people dislike and despise Christians so much.“46 Ihr Kontakt zu muslimischen Frauen führte zu der Aussage: […] from my small experience, there is not an easier people than the Turks to be converted to Christianity; and though I may be condemned for my opinion | there is no religion [that] would suit them so well as the protestant church of England, on account of its simplicity; for they cannot bear any kind of figure or images.47

Ihr Ziel war aber nicht primär, Menschen zu bekehren. Ihr Kapitel beschließt sie mit einer botanischen Beschreibung des wilden Strauches „Oshour“.48 Anders als Belzoni bemitleiden viele Verfasserinnen ihre orientalischen Schwestern, zum Beispiel dafür, dass sie keinen Unterricht genossen haben. Aus ähnlichem Mitleid präsentieren sie sich als Krankenschwester oder Wun­ 43 Ebd., 2:202. 44 Sarah Belzoni, „Short Account of the Women of Egypt, Nubia and Syria“, in Narrative of the Operations and Recent Discoveries within the Pyramids, Temples, Tombs, and Excavations in Egypt and Nubia: and of a Journey to the Coast of the Red Sea in Search of the Ancient Berenice; and another to the Oasis of Jupiter Ammon (2 Bde; hg. v. Giovanni Battista Belzoni; London: Murray, 31822 [1820]), 2:243–327. 45 William H. Peck, „Sarah Belzoni (1783–1870)“, Breaking Ground: Women in Archaeology, online: http://www.brown.edu/Research/Breaking_Ground/bios/­ Belzoni_­Sarah.pdf [zuletzt abgerufen am 6.7.2020]. 46 Belzoni, „Short Account“, 290. Vgl. Pfeiffer, Reise, 1:107: „Was können dann jene Völker, die wir Ungläubige nennen, für einen Begriff von Christen haben, wenn sie sehen, mit welchem Hasse und Neide eine christliche Sekte die andere verfolgt?“ 47 Belzoni, „Short Account“, 312f. 48 Ebd., 325–327, wie beschrieben von Johann Ludwig Burckhardt (Association for Promoting the Discovery of the Interior Parts of Africa, Hg., Travels in Nubia by the late John Lewis Burckhardt [London: Murray, 1819], 39); ein Bild der Pflanze findet man unter: https://digitalcollections.nypl.org/items/510d47d9-4c0da3d9-e040-e00a18064a99 [zuletzt abgerufen am 6.7.2020].

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dertäterin, wie zum Beispiel Prinzessin Belgiojoso49 oder Isabel Burton, die ihren Mann begleitete; ihre „organization of tinctures and tablets reflects the new science of domestic management that was guided by Victorian domestic manuals.“50 Ein noch mitleidsvolleres Erbarmen verkörpert Sarah Barclay Johnson, die mit ihrem Vater von 1855 bis 1857 in Jerusalem wohnte, wo er als Arzt und Missionar arbeitete. Sie beschreibt sich selbst als „Bible Christian“.51 Ihr Buch Hadji in Syria or Three Years in Jerusalem wertet Titus Tobler als das beste Buch über Palästina, das von einer Frau geschrieben wurde.52 Ihre Liebe zur Bibel spricht aus ihren Beschreibungen: The manner of burying the dead, to which reference is made throughout the Bible, corresponds exactly with the | sepulchres which are found in the East at the present day.53

Am Schluss ihres Buches spricht sie westliche Frauen in „Appeal in behalf of Oriental Females“, an: Ah! You have little conception of woman’s sad condition in the Orient! […] For these poor creatures’ husband, if indeed he can be called husband, whose con­ jugal affection is divided amongst so many, or rather bestowed on none […] compelled to labor for their own support and his!54

Den Schleier kritisierend fährt sie fort: „Lady, sympathize with your sister“, und ruft ihre Leserinnen auf, für diese orientalischen Schwestern zu beten, [to] evince more gratitude to the ‘Author and Giver of all good’, than we ever yet have done, for the distinguishing privileges we enjoy in the western world.55

Es ist unklar, warum Tobler sie so preist; es gibt viele Frauen, die reisten und schrieben und obwohl sich beispielsweise auch Barclay Johnson ihres Bezugssystems (als christliche Frau aus dem „Westen“) bewusst zeigt, bie­

49 Princesse [Cristina] Belgiojoso, Asie mineure et Syrie: Souvenirs de voyages (Paris: Michel Lévy Frères, 1858), 351. 50 Narin Hassan, Diagnosing Empire: Women, Medical Knowledge, and Colonial Mobility (Farnham: Ashgate, 2011), 48. 51 Sarah Barclay Johnson, Hadji in Syria or Three Years in Jerusalem (Philadelphia: Challen, 1858). 52 Ben-Arieh, Rediscovery, 163. 53 Barclay Johnson, Hadji, 88f. 54 Ebd., 299f. (Kursivsetzung im Original). 55 Ebd., 301 bzw. 303.

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ten manche Autorinnen Beschreibungen, die heutzutage als objektiver gelten würden.56

4.

Das Land erforschen: Bevölkerung und Blumen

Wie oben angedeutet, kann man nicht immer klar zwischen Reiseberich­ ten und Beiträgen zur Ethnologie unterscheiden. Ein wichtiger Unterschied zwischen den männlichen Forschern der Zeit und vielen hier besprochenen Frauen ist die hermeneutische Herangehensweise. Den Frauen (sieht man von ‚unkritischen‘ Passagen bei Barclay Johnson wie das Zitat zu Beerdigungen ab) war bewusst, dass man im Orient des 19. Jh. keine biblischen Figuren an­ treffen kann. Bei den Pflanzen der biblischen Länder war dies freilich etwas anderes, weswegen sie vielleicht eine besondere Anziehungskraft ausübten.

4.1

Ethnologie

Die gesellschaftliche Position von Frauen ist in Einführungen in das „Heilige Land“ mit einem Bezug zur Bibel, die von Männern verfasst wurden, öfters Thema.57 Orientalische Frauen scheinen Männer fasziniert zu haben, wenn­ gleich sehr unterschiedlich motiviert, sei es der männliche Blick – manchmal erotisch konnotiert – oder auch aus Interesse an den biblischen Kulturen. So lesen wir in einem Aufsatz über Palästina: There the women have continued to be the depositories of old memories which you would vainly seek for among the men. They are indeed behind their hus­ bands by several centuries […]. It would be extremely interesting to examine closely these daughters of Canaan, to study their special customs, their funeral dances, their marriage and mourning songs, their prejudices, their peculiar leg­ ends, their habitual forms of expression, and a variety of other matters, down to the details of their toilet, which Isaiah denounces as the arsenal of idolatry. […] the explorer has to encounter the almost insurmountable obstacle of sex. […] It requires a woman to approach this wild flock; and a European woman prepared 56 Vgl. Billie Melman, Women’s Orients: English Women and the Middle East, 1718– 1918: Sexuality, Religion, and Work (Basingstoke: Macmillan, 21995); James RossNazzal, „The Women of Palestine in American Women’s Travel Writing“, in Crossing the Atlantic: Travel and Travel Writing in Modern Times (hg. v. Thomas Adam und Nils H. Roemer; The Walter Prescott Webb Memorial Lectures 42; College Sta­ tion: Texas A & M University Press, 2011), 210–247. 57 Zum Beispiel Leonhard Bauer, Volksleben im Lande der Bibel (Leipzig: Wallmann, 1903), insbes. 96–103; Max Löhr, Volksleben im Lande der Bibel (Leipzig: Quelle & Meyer, 21918 [1907]), 51–65.

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to penetrate, without the aid of an interpreter, into the – what shall I say? – the harem of their ideas and their traditions.58

Clermont-Ganneau nennt die Frauen in Palästina hier „Töchter Kanaans“, identifiziert das Geschlecht als Hauptproblem für die Erforschung der weib­ lichen Lokalbevölkerung und schließt daraus, dass nur eine Frau einen Ha­ rem „penetrieren“ kann, da ein Mann keinen Zutritt habe. Interessanterweise benutzt Prinzessin Cristina di Belgiojoso die gleiche Wortwahl, wenn sie in ihrem auf Französisch verfassten Reisebericht (1858) über Harems schreibt: […] où domine la femme. Le harem, ce sanctuaire mahométan, hermétiquement fermé à tous les hommes, m’était ouvert. J’y pouvais pénétrer librement.59

Belgiojoso lebte in Nordsyrien und reiste 1852 nach Palästina.60 Die Harems, die sie aus Syrien kannte, genossen nicht ihre Achtung, was sie mit dem Hin­ weis auf Mangel an Wechselkleidern und Hygiene, das Fehlen von Spiegeln (was zur Folge hatte, dass die Schminke bedauerlich angebracht wurde)61 sowie mit schlechten Beziehungen untereinander und verwerflichen Ver­ haltensweisen begründete. Allerdings kritisierte sie auch den „männlichen/ patriarchalen Blick“, der insbesondere im „Westen“ auf diese Institution vor­ herrsche.62 Sie betonte, wie wichtig Erziehung und Bildung seien, und veröf­ fentlichte später auch ein nicht nur auf die Levante beschränktes Pamphlet zur Lage der Frauen und ihrer Zukunft.63 Wo Clermont-Ganneau die Frauen im „Land der Bibel“ als „Töchter Ka­ naans“ identifiziert, bemerkt Belgiojoso, wie diese arabische Gesellschaft Szenen und Bräuche der Bibel in Erinnerung ruft: Man müsse die Bibel unter orientalischem Himmel lesen.64 Belgiojoso differenzierte aber, so schluss­ 58 Anonym veröffentlicht in PEQ (1875): 199–214; 213. Mit Autornamen wurde der Aufsatz veröffentlicht als: C. Clermont-Ganneau, „The Arabs in Palestine“, Macmillan’s Magazine 32 (1875): 361–373; (Zitat: 372); Nachdruck in The Eclectic Magazine (1875): 538–548. 59 Belgiojoso, Asie mineure et Syrie, 2; zur Metapher vgl. Barbara Spackman, „Hy­ giene in the Harem: The Orientalism of Cristina di Belgioioso“, MLN 124 (2009): 158–176. 60 Vgl. Finn, Reminiscences, 102. 61 Vgl. Pfeiffer, Reise, 2:2. 62 „Not only did Belgioioso’s orientalist works break with the traditional erotic percep­ tion of the Orient, they also implicitly challenged western patriarchal values“, so: Paola Giuli, „Cristina di Belgioioso (Alberica Trivulzio) (1808–1871)“, in Encyclopedia of Italian Literary Studies A–J (hg. v. Gaetana Marrone; New York: Routledge, 2007), 150–152; 151. Vgl. Spackman, „Hygiene“. 63 Cristina Belgiojoso, „Della presente condizione delle donne e del loro avvenire“, Nuova Antologia 1/1 (1866): 96–113. 64 Belgiojoso, Asie mineure et Syrie, 71.

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folgert Spackman,65 wenn sie einen arabischen, einen türkischen und einen christlichen Orient – und man könnte ergänzen: einen biblischen Orient – un­ terscheidet. Frauen aus dem Westen konnten über Harems schreiben.66 Es ist hier nicht der Platz, all diese Frauen zu besprechen, daher sollen exemplarisch zwei Frauen erwähnt werden, die Harems beschrieben haben: Amalia Niz­ zoli sprach Arabisch und reiste mit ihrem Mann, der in Ägypten Diplomat und Ausgrabungsdirektor in Saqqara war.67 Sophia Lane Poole schrieb The Englishwoman in Egypt (1844)68 als Begleitband zum Buch An Account of the Manners and Customs of the Modern Egyptians69 ihres Bruders Edward Lane.70 Zwei Frauen sollten wegen ihrer Beschreibungen des Landes und seiner Bevölkerung nicht fehlen: die römisch-katholische Isabel Burton und die be­ reits erwähnte Mary Eliza Rogers. Burton reiste mit ihrem Mann, Kapitän Burton, und besuchte viele Orte. Überall versuchte sie verschiedene Blick­ winkel zur Kenntnis zu nehmen, von Christinnen und Christen, Muslima und Muslimen, Jüdinnen und Juden und ihrem „gelehrten“ Mann. Auf ihre Bibel verlässt sie sich dabei blind, wodurch der Ehemann, ihre Bibel und noch zwei weitere Bücher zu treuen Begleitern werden: Three books always rode in my saddle pocket wherever I went – the Bible for the ancient history, for the truth of our Saviour’s life and doings, and the manners and customs of the people; Tancred [leader in the first crusade] for the sublime; and the ‘New Pilgrim’s Progress’ [by Mark Twain] for the ridiculous.71

65 Spackman, „Hygiene“, 174. 66 Claudia Grzonka, Weibliche Blicke auf den Mittleren Osten im 19. Jahrhundert: Die Erfahrung der Fremde und des Selbst bei Lucie Duff Gordon, Isabel Burton und Anne Blunt (Grenzüberschreitungen: Studien zur europäischen Reiseliteratur 7; Trier: WVT, 1997), 17. 67 Amalia Nizzoli, Memorie sull’Egitto e specialmente sui costumi delle donne orientali e gli harem: scritte durante il suo soggiorno in quel paese (1819–1828) (Milano: Pirotta, 1841) und Gabrielle Elissa Popoff, „Nizzoli, Amalia, (1806–1845?)“, 2009 in Italian Women Writers, online: https://www.lib.uchicago.edu/efts/IWW/BIOS/ A0219.html [zuletzt abgerufen am 6.7.2020]. 68 Sophia Lane Poole, The Englishwoman in Egypt: Letters from Cairo written during a Residence there in 1842, 3 & 4 with E. W. Lane (2 Bde; London: C. Knight, 1844). 69 Edward William Lane, An Account of the Manners and Customs of the Modern Egyptians: Written in Egypt during the Years 1833, 34, and 35, partly from Notes made during a Former Visit to that Country in the Years 1825, 26, 27, and 28 (2 Bde; London: C. Knight and Co. 1837–1846). 70 Melman, Women’s Orient, 332. 71 Isabel Burton, The Inner Life of Syria, Palestine, and the Holy Land: From my Private Journal (2 Bde; London: King, 1875), 1:48 (vgl. auch besonders 2:50.196).

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Mary Eliza Rogers begleitete ihren Bruder, den britischen Konsul in (u. a.) Haifa, auf Reisen in die Levante. Sie schrieb über die lokale weibliche Be­ völkerung, unter der sie viele Freundschaften pflegte. Wie Belgiojoso sah sie zwar das Land durch ihre Bibelkenntnisse geprägt, aber nicht die Bevöl­ kerung. Ihre Wahrnehmungen brachte sie in ihrem Werk Domestic Life in Palestine (1862)72 zum Ausdruck. Umso markanter ist es, die Einführung zur amerikanischen Ausgabe zu lesen, die höchstwahrscheinlich von einem Mann mit ‚J. H. V.‘ unterzeichnet ist: The old customs have not changed materially, and one can to-day reproduce the incidents of social life so graphically described in the Bible. Abraham still sits in the door of his tent; Ruth gleans after the reapers on the plains of Bethle­ hem, and on these plains shepherds keep watch over their flocks by night. […] The marriage feast is still kept in Cana. The mourners with wailing follow the bier to the grave. Salutations are exchanged among the people as in the days of Abraham and Christ. […] With special pleasure do I call the attention of the | American public to this unpretentious and entertaining volume, believing that it will not only furnish pleasure to every reader, but that it must contribute to the clearer understanding of the Scriptures, and serve as another bulwark in defend­ ing historic Christianity against the vain speculations and unholy plottings of rationalism and infidelity.73

Der Unterschied, wie Frauen differenziert und Männer verallgemeinernd über die lokale Bevölkerung schreiben, ist im Vergleich der beiden offensicht­ lich. Charles Wilson zählt Mary E. Rogers zu den bedeutendsten Palästinafor­ schenden; als einzige Frau schreibt sie in seinem Buch Picturesque Palestine, Sinai and Egypt (1880–1884) einige Beiträge.74

4.2

Botanik

Nachdem Belzonis Beschreibung des Oshour-Strauches schon erwähnt wur­ de, wird es nicht verwundern, dass Botanik oft Teil von Landschaftsbeschrei­ bungen ist, auch wenn Wetter und Topografie öfter angesprochen werden. Immerhin gibt es zur Botanik eine Monografie von Hanna(h) Zeller. Als Hin­ tergrund ist das in dieser Epoche beliebte Sammeln von Wildblumen, zum 72 Mary Eliza Rogers, Domestic Life in Palestine (London: Bell and Daldy, 1862). Melman, Women’s Orient, 332, preist das Buch: „Rogers is unsurpassable on wom­ en’s life in mid nineteenth-century Palestine, described in Domestic Life in Palestine (1863).“ 73 J. H. V., „Introduction“, in Mary Eliza Rogers, Domestic Life in Palestine (Cincin­ nati: Poe & Hitchcock, 1865), 11–15; 13f. 74 Beiträge zu Samaria und Damaskus im zweiten Band und zu Karmel, Akko und anderen Küstenstädten im dritten Band; vgl. Brunnbauer, Darstellung, 67–82.

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Beispiel für Postkarten, zu erwähnen, wie das unter anderem von der Mäd­ chenschule der Schwestern Unserer Lieben Frau von Sion beim Ecce-HomoBogen in Jerusalem praktiziert wurde.75 Frederic Church, ein amerikanischer Künstler, reiste Anfang des Jahres 1868 zusammen mit seiner Frau Isabel, seinem Sohn und seiner Schwieger­ mutter vier Monate durch Ägypten und die Levante. Auch wenn die Reise meist aus seinem Blickwinkel beleuchtet wird, war dem Ehepaar Palästina sehr wichtig; den christlichen Traditionen gegenüber waren sie aber kritisch, wie Isabel in ihrem Tagebuch schreibt, nachdem sie die Grabeskirche besucht hat: [I] could not but feel deeply impressed, and awed; even though I do not really believe that it is where our Savior was laid.76

Wie „orthodoxe“ Wissenschaftler mehr Interesse für Topografie als für Ge­ schichte zeigten, war auch den Churches die Natur viel wichtiger als die his­ torischen Orte. Sie sammelten Steine und Blumen: Rocks he collected derived their dignity solely from their provenance as relics of the Holy Land (cat. | no. 36B). Bringing them home enabled Church to recall and relive his pilgrim experience despite his distance from sacred topography. Simi­ larly, he and his wife Isabel assembled a reliquary herbarium, Wildflowers of the Holy Land (cat. no. 36C), which contains samples of various grasses, reeds, and modest flowers arranged artfully and labeled by place, not by flower type.77

Dieses Blumenalbum wurde höchstwahrscheinlich von Isabel gesammelt, obwohl es auch einzelne Blumen von Orten gibt, die Frederic ohne Isabel besucht hatte.78 Es wurde nie vervielfältigt. Ein Buch mit Wildblumen aus dem „Heiligen Land“ wurde aber von Hanna(h) Zeller, Tochter des Jerusalemer Bischofs Samuel Gobat, veröffent­ licht.79 1859 heiratete sie Johannes Zeller, den ihr Vater zwei Jahre zuvor als 75 Mit Dank an Beth Alpert Nakhai für diesen Hinweis; vgl. James Kean, Among the Holy Places: A Pilgrimage through Palestine (London: T. Fisher Unwin, 51895), 46. 76 Unveröffentlichtes Tagebuch, zitiert nach John Davis, „Frederic Church’s ‚Sacred Geography‘“, Smithsonian Studies in American Art 1/1 (1987): 79–96; 88. 77 Edwards, Noble Dreams, 177f.; vgl. Davis, Landscape, 168–207. 78 Ein anderes Beispiel ist Matilde Seraos Rose von Jericho, die sie als Souvenir nach Neapel mitnahm: Matilde Serao, In the Country of Jesus (London: Heinemann, 1905; Original Italienisch: Nel Paese de Gesù: Ricordi di un viaggio in Palestina [Napoli: Treves, 1902]), 175–177; die Verfasserin ist vor allem wegen ihrer literari­ schen Arbeiten bekannt. 79 Duane Alexander Miller, „Anglican Mission in the Middle East up to 1910“, in The Oxford History of Anglicanism 3: Partisan Anglicanism and its Global Expan-

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Missionar in das „Heilige Land“ eingeladen hatte. Das Paar zog nach Naza­ reth, wo Hanna(h) Zeller eine Mädchenschule gründete.80 Hier fertigte sie Zeichnungen von Pflanzen an, die sie in einem Buch versammelte, wobei sie als Bildbeischriften die Namen der Pflanzen auf Latein sowie auf Englisch, Deutsch und Französisch anführte, denn das Buch wurde in diesen drei mo­ dernen Sprachen veröffentlicht. Obwohl sie sonst nichts schrieb (sie ergänzte nicht einmal die betreffenden Bibelstellen), gibt es in der englischen Fassung81 zwei von Männern (H. B. Tristram und Edward Atkinson) geschriebene Ge­ leitworte. Die Männer betonen, wie bedeutsam es sei, dass Jesus diese Blu­ men in seiner Kindheit bewundert hätte und dass sie daher „silent witnesses to the truth of Scripture“ seien.82 Eine Rezension im British Quarterly Review aus dem Jahr 1876 lobt Zellers Buch: To many purchasers of gift-books this will be the most attractive volume of the year. […] It is a book that all Bible-loving people will be glad to possess. While to travellers in the Holy Land it will be a souvenir full of tender interest.83

Dieser Beitrag konzentrierte sich auf Frauen, die aufgrund ihrer Beziehung zur Bibel über das „Heilige Land“ (oder auch die „Länder der Bibel“, ins­ besondere „im Osten“), seine Bevölkerung und seine Botanik84 schriftstelle­ risch tätig waren. Ausnahmen hierzu gibt es freilich, wie zum Beispiel Ma­ ria Versfelt, die ein kommerzielles Ziel verfolgte. Ida Pfeiffer begegnet der Landschaft und den Orten, mit welchen sie die christliche Tradition vertraut gemacht hat.85 Sarah Barclay Johnson erfährt das Land als Bestätigung bibli­ sion 1829–c. 1914 (hg. v. Rowan Strong; Oxford: Oxford University Press, 2017), 276–295; insbes. 285–287. 80 Nancy L. Stockdale, „An Imperialist Failure: English Missionary Women and Pal­ estinian Orphan Girls in Nazareth, 1864–1899“, in Christian Witness Between Continuity and New Beginnings: Modern Historical Missions in the Middle East (hg. v. Martin Tamcke und Michael Marten; SOKG 39; Münster: LIT, 2006), 213–232; 216, Anm. 7. 81 Hannah Zeller, Wild Flowers of the Holy Land: Fifty-Four Plates printed in Col­ ours, Drawn and Painted after Nature (London: Nisbet, 21876). Die anderen beiden Ausgaben standen dem Autor leider nicht zur Verfügung. 82 Edward Atkinson, „Introduction”, in Hannah Zeller, Wild Flowers of the Holy Land: Fifty-Four Plates printed in Colours, Drawn and Painted after Nature (Lon­ don: Nisbet, 21876), v–xi; x. 83 „Rez. Wild flowers from the Holy Land. Fifty-Four Plates printed in Colours. Drawn and Painted after Nature. By Mrs. Hannah Zeller, Nazareth“, British Quarterly Review 63/1 (1876): 558. 84 Es gibt ähnliche Bücher von Männern, z. B.: Arthur Hastings Kelk, Flowers Plucked in „Those Holy Fields“ (Jerusalem: London Society for Promoting Chris­ tianity among the Jews, [ca. 1900]), siehe online: https://concordiahistoricalinstitute. org/­pieces/pieces-of-our-past-no-60/ [zuletzt abgerufen am 6.7.2020]. 85 Vgl. Anm. 9 oben.

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scher Wahrheiten; die Frauen im Land sieht sie nicht als „Töchter Kanaans“, sondern als ihre Schwestern, obgleich in einer anderen Kultur lebend. Isabel Burton hat blindes Vertrauen in die Bibel, obwohl ihr Mann entgegengesetzte Auffassungen vertritt. Isabel Church erlebte, wie die palästinensische Bota­ nik im Einklang mit ihrer Spiritualität stand. Auch Hanna(h) Zellers Zuwen­ dung zur Botanik gründet in einer geistlichen Grundhaltung, in der die Bibel eine wichtige Rolle spielt. Auch Cristina di Belgiojoso und Mary Eliza Rogers bereisten die Gegend mit ihren Bibeln, bezeugen jedoch ein komplexeres Ver­ hältnis zwischen Bibel und Land.

5.

Elizabeth Anne Finn, geb. McCaul (1825–1921)

Zum Schluss folgt das Beispiel einer Frau, die in vielen Bereichen aktiv war, aber oftmals in anderen als diejenigen Frauen, die aus der Forschung bereits bekannt sind. Geboren in einer englischen Familie in Warschau, die unter Jüdinnen und Juden missionierte, wuchs Elizabeth Anne McCaul in London in einem ähn­ lichen Kontext auf. Bereits mit vier Jahren sprach sie Hebräisch, später viele weitere Sprachen, so auch Arabisch. 1846 heiratete sie James Finn und zog mit ihm nach Jerusalem, wo er – auch aufgrund der Beziehungen seiner Ehe­ frau – Konsul wurde.86 Wie oben erwähnt, schreibt sie u. a. über das ExpatLeben (d. h. die Erfahrungen von temporär in Palästina lebenden Europäe­ rinnen und Europäern) – aber auch weit darüber hinaus. Sie arbeitete unter Jüdinnen und Juden, von denen viele aus Russland stammten oder staatenlos waren und jetzt unter Britischem Protektorat standen; England wollte damit seinen Einfluss vergrößern. Mrs. Finn machte ihre diakonische Arbeit in der Hoffnung, Jüdinnen und Juden zu bekehren.87 Eines ihrer Arbeitsprojekte für Jüdinnen und Juden war „Abraham’s vineyard“ bei Urtas/Artas.88 Die Posi­ 86 John James Moscrop, Measuring Jerusalem: The Palestine Exploration Fund and British Interests in the Holy Land (London: Leicester University Press, 2000), 37. 87 Als Kontext ist hier die premillennialistische Erwartung, dass Jüdinnen und Juden wieder in Jerusalem und Palästina wohnen werden, zu bedenken; vgl. Yaakov S. Ariel, An Unusual Relationship: Evangelical Christians and Jews (New York: New York University Press, 2013), zu Finn, 100f. 88 Interessanterweise ist dies auch der Ort, wo in den 1920ern Hilma Granqvist arbeite­ te und fotografierte und zwar mit ganz anderen Ansichten; bündig zusammengefasst: „She had gone to Palestine ‚in order to find the Jewish ancestors of Scripture.‘ Instead, she found Palestinian peoples with a distinct culture and way of life“, „Hilma Gran­ qvist“, The British Museum, online: https://www.britishmuseum.org/collection/term/ BIOG207343 [zuletzt abgerufen am 6.7.2020]; vgl. Kirsti Suolinna, „Hilma Gran­ qvist: A Scholar of the Westermarck School in Its Decline“, Acta Sociologica 43/4 (2000): 317–323. Immerhin schreibt Aage Bentzen, „Skandinavische Literatur zum

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tion ihres Ehemannes als Konsul in Jerusalem ermöglichte ihr eine größere Vernetzung; sie empfingen königliche Personen89 und hervorragende Akade­ miker, wie etwa Kartografen.90 Elizabeth Finn ist die einzig uns bekannte „Kartografin“ in Palästina im 19. Jh., auch wenn ihr Beitrag bescheiden ist. 1857 identifizierte sie Urtas als das aus Lk 24 bekannte Emmaus.91 Dies war Anlass zu einer kleinen Ausgrabung: 1861 leitete sie die Forschungen, wobei sie mit Marmor beschichtete Bäder fand, die sie wegen der Etymologie von Emmaus (verstanden als „Bäder“) als Bestätigung ihrer Identifikation sah.92 Leider veröffentlichte sie den Aufsatz ohne Karten oder Zeichnungen.93 Mrs. Finn schrieb wie Mary Eliza Rogers auch über die lokale Bevölke­ rung, insbesondere zwei Aufsätze zu den „fellahheen“ (Fellachen), den Bau­ ern. Sie beschreibt ihre Geschichte, Bräuche, einzelne Lieder, dass sie nomi­ nell dem Islam angehörten, ihre Untugenden und – weniger – ihre Tugenden. Sie charakterisiert sie als aggressiv und lügenhaft, preist aber ihre Gotter­ gebenheit, Tapferkeit und Gastfreundlichkeit.94 Sie scheint eine der wenigen Frauen im 19. Jh. zu sein, die die „fellahheen“ als „direct descendants of the Canaanitish nations who had occupied the country before Abraham’s day“ einstufte.95 Melman erklärt, dass die Finns als

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Alten Testament 1939–1948“, ThR NF 17 (1948/49): 273–328, dass ihr Oeu­v re für das Studium der Bibel ebenso wichtig ist wie für das Studium der Archäologie (ebd., 298). Mit Dank an Kirsi Valkama für unseren Austausch zu Hilma Granqvist. Aus England, Österreich, Belgien, den Niederlanden und aus Italien obengenannte Prinzessin Belgiojoso; Finn, Reminiscences, 102. Ebd.; interessanterweise führt sie hier die Kartographen Edward Robinson, Eli Smith und Charles W. M. van de Velde an; vgl. Haim Goren, Bruno Schelhaas und Jut­ ta Faehndrich, Mapping the Holy Land: The Origins of Cartography in Palestine (London: Tauris, 2017). Finn, Reminiscences, 231f. [Elizabeth Anne] Finn, „Emmaus Identified“, PEQ 15/1 (1883): 53–64. Vielleicht könnten Forschungen an ihrem Nachlass im Archiv des Palestine Exploration Funds diese Lücke schließen. Zu anderen Frauen, die der Archäologie – insbes. in Palästina – einen Beitrag geliefert haben, siehe de Hulster, „The Role of Wom­ en“. [Elizabeth Anne] Finn, „Fellahheen of Palestine: Notes on the Chief Traits in their Character, their Faults, and their Virtues“, PEQ 11/2 (1879): 72–87; 87 und dies., „Fellahheen of Palestine: Notes on their Clans, Warfare, Religion, and Laws“, PEQ 11/1 (1879): 33–48; sowie in Leisure Hour der Religious Tract Society; gebün­ delt veröffentlicht als [Elizabeth Anne] Finn, Palestine Peasantry: Notes on their Clans, Warfare, Religion, and Laws (hg. v. A. H. Finn; London: Marshall, [1923]). Finn, Reminiscences, 48. Ihr Sohn, Arthur Henry Finn, schreibt in seinem Vorwort zu Palestine Peasantry, dass der Blickwinkel seiner Mutter von Autoritäten wie Ko­ lonel Conder übernommen wurde (ebd., 6). Eine andere Frau mit ähnlichen Ideen war Caroline Hartog Morgensthein (Carla Séréna); vielleicht spielt hier eine Rolle, dass sie – wie Maria Versfelt – kommerziell schrieb; Carla Séréna, Mon Voyage – Souvenirs Personnels 1: De la Baltique à la Mer Caspienne (Paris: Dreyfous, [1880]), insbes. 50.

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proselytisers were not, could not be, ‘ethnographers’ […]. For their vision of the ‘other’ is pre-determined […] spaces are framed in the millennial, philosemite ideology and are utilised for missionary propaganda.96

Elizabeth Finn gehört der ersten Generation an, die das Potential der Fotogra­ fie erkannte. Vielleicht war sie sogar die erste Frau, die in Jerusalem fotogra­ fierte.97 In ihren Memoiren schreibt sie: He [Rev. Bridges] was the first to take anything like photographic views in Jeru­ salem. These were called “talbottypes”, invented by his friend Mr. Fox Talbot, and he explained to me as much as he could about photography. I therefore wrote to my friends, and photographic apparatus was sent out to me.98

Das Gerät wurde geliefert, und 1853 traf zudem der bankrotte Bankier James Graham in Jerusalem ein, der sich mit der neuen Kalotypie schon auskannte. Er half bei Finns Missionswerk. Die Fotografie wurde eingesetzt, um im Kon­ text der Jerusalem Literary Society die Bibel zu illustrieren. Bilder wurden an Reisende verkauft und nach England geschickt. War Graham der erste in Jerusalem ansässige Fotograf, so war sein Christ gewordener Assistent Men­ del John Diness der erste Fotograf mit jüdischen Wurzeln.99 1849 gründeten die Finns zusammen mit zwei Frauen und drei Männern die erwähnte Jerusalem Literary Society. Die Gesellschaft hatte eine Biblio­ thek und ein kleines Museum.100 Aus dieser Gesellschaft und der Zusammen­ arbeit mit dem Jerusalemer Water Relief Fund (mitgegründet von Elizabeths Vater und Alexander McCaul als Initiative der London Jews’ Society) entstand 96 Melman, Women’s Orient, 231. 97 Crawford, „Graham“. Es ist nicht klar, ob sie selbst Fotos gemacht oder entwickelt hat. Vgl. Yeshayahu Nir, der in seinem Buch The Bible and the Image: The History of Photography in the Holy Land 1839–1899 (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 1985) schreibt: „Mrs. Gray Hill, Madame Lucien Gautier (significantly not identified by their own first names), and possibly Marion Harland (pseudonym for Mary Terhune) were the first women photographers to arrive in the country“ (ebd., 208). Madame Gautier veröffentlichte ihre Fotos mit Menschen und Landschaften in Lucien Gautier, Souvenirs de Terre-Sainte – avec 59 illustrations d’après des photographies de Mme Lucien Gautier (Lausanne: Georges Bridel, 1898). 98 Finn, Reminiscences, 90. Ihr scheint Joseph-Philibert Girault de Prangeys Arbeit (vgl. Anm. 20) unbekannt geblieben zu sein. 99 Crawford, „Graham“. Vgl. Dror Wahrman, Carney Gavin, and Nitza Rosovsky, Capturing the Holy Land: M. J. Diness and the Beginnings of Photography in Jerusalem (Cambridge: The Harvard Semitic Museum, 1993), insbes. 8–25. Fotos aus Finns Nachlass befinden sich im Archiv des Palestine Exploration Fund – das Mate­ rial wartet noch auf eine Auswertung. Vgl. auch Gillian Webster, „Elizabeth Anne Finn“, Biblical Archaeology Review 48/3 (1985): 181–185. 100 Finn, Reminiscences, 93; Clermont-Ganneaus Mutter soll eines der weiblichen Gründungsmitglieder gewesen sein, vgl. Burton, Inner Life, 2:187.

Frauen erkunden biblische Länder

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1865 der Palestine Exploration Fund (PEF). Der Water Relief Fund hatte zum Ziel, Wasserquellen zu finden, um die Neuansiedlung von Jüdinnen und Juden zu fördern.101 Dies alles führte 1867 zu einer archäologischen Untersuchung der Stadt, geleitet von Charles Warren. Zu den wissenschaftlichen Interessen des Palestine Exploration Funds zählten Landeskunde und Topografie mit dem Ziel, biblische Orte zu identifizieren.102 1863 waren die Finns wieder nach England zurückgekehrt, wo Elizabeth in Salons Vorträge hielt. Sie setzte sich für Fundraising zugunsten des Palestine Exploration Fund ein. Im Palestine Exploration Fund Quarterly Statement heißt es im Oktober 1876: Sept. 30, at the Palace, Chichester, when Mrs. Finn, through whose exertions all the summer meetings were arranged, gave an account from her own experience of recent and and [sic] early research in the Holy Land [von Wilson, Warren, Conder, Clermont-Ganneau].103

Auch Fotos wurden zugunsten der Kasse des Palestine Exploration Fund ver­ kauft.104 1875 gründete Mrs. Finn die Ladies’ Association (in aid of the PEF); in der Folge konnte man regelmäßig im Palestine Exploration Fund Quarterly Statement diese Annonce lesen: Ladies desirous of joining the Ladies’ Association are requested to communicate with Mrs. Finn, The Elms, Brook Green, London, W.105

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Mrs. Finn zur Erforschung des „Heiligen Landes“ als Frau einen einzigartigen Beitrag geleistet hat. Sie schrieb über die Lokalbevölkerung, sah diese aber – im Gegensatz zu anderen Frauen – als Nachkommen der kanaanäischen Bevölkerung. Sie leitete eine kleine Ausgrabung, identifizierte einen biblischen Ort und war wahrschein­ lich die erste Frau in Jerusalem, die sich bemühte, die Fotografie als Doku­ mentationsmittel in Palästina voranzubringen. Außerdem stand sie an der Wiege des Palestine Exploration Funds, dem sie auch Geldmittel beschaffte, und hielt viele Vorträge. Auch wenn die viktorianischen Verhältnisse ihre Po­ sition und Arbeit nicht immer unterstützt haben, ihre Persönlichkeit und ihre 101 Moscrop, Measuring Jerusalem, 53. 102 Vogel, To see a Promised Land, 195f. 103 Vgl. PEFQS 8 (1876): 64. 104 Vgl. PEFQS 1–2 (1869–1870): 13f. 105 PEFQS 7 (1875): 108.187; PEFQS 8 (1876): 3. Schon seit 1876 gibt es Berichte dieser Ladies’ Associations; PEFQS 8 (1876): 4–6.64f.116–119. Bereits ab dem ersten Heft des Palestine Exploration Fund Quarterly Statement (PEFQS) wird bei den Spenden öfters erwähnt: „Newark: Ladies’ Committee“, z. B.: „List of Subscriptions June 30th to September 30th“, PEFQS 1–2 (1869–1870): 391–397; 396.

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Vernetzung haben ihr dabei bestimmt geholfen. Ihre Ideen bleiben aus der Perspektive der Geschlechterrollenforschung interessant, da ihre Positionen vielen männlichen gleichkommen. Diese Beobachtung wird unterstützt durch das Nicht-Erwähnen ihres Vornamens bei ihren Veröffentlichungen im Palestine Exploration Quarterly: Sogar ihre Initiale wurden weggelassen, obwohl sie sonst immer als ‚Mrs. Finn‘ genannt wird.

6.

Fazit

Die hier – mit einem Fokus auf die Periode von etwa 1840 bis 1900106 – be­ schriebenen Frauen stehen in einer Tradition des Interesses am „Land der Bibel“ oder auch den „Ländern der Bibel“. Viele Gläubige waren nun in der Lage, diese „Sehnsucht“ mit Literatur und Bildern zu stillen. Insbesondere seit der zweiten Hälfte des 19. Jh. ermöglichten die technischen Entwicklun­ gen eine effizientere Verbreitung von Kenntnissen – unter anderem durch Museen, illustrierte Bücher und Bibliotheken. Auch neue Reisemöglichkei­ ten (Beförderungsmittel und Infrastruktur) förderten Besuche und die wei­ tere Erforschung des Landes. Die hier vorgestellten Frauen haben Beiträge verfasst, die tiefere Einblicke in das „Heilige Land“ dieser Epoche erlauben. Frauen verfassten wissenschaftliche Beiträge in der Handschriftenkunde, in der Landeskunde und Botanik, in Archäologie und Ethnologie. Manche der Frauen bieten mit ihren Beschreibungen, Zeichnungen und Fotografien einen interessanten Einblick in das Leben der lokalen Bevölkerung und in das Land. Sie halfen auch mittels Fundraising und die Schwester Smith setzten ihr ei­ genes Erbe für Reisen, Fotos und Manuskriptankäufe ein. Allerdings wurden die Veröffentlichungen von Frauen oft nicht als gleichwertig rezipiert und ihre Namen sind größtenteils in Vergessenheit geraten. In diesem Aufsatz107 wer­ den sie – soweit noch möglich – mitsamt ihren Geschichten in Erinnerung gerufen.

106 Sarah Belzoni wird als frühes Beispiel angeführt. Die Reisen von Agnes und Mar­ garet Smith bilden den Abschluss, auch wenn sie, sowie Elizabeth Finn (schon 1863 nach England heimgekehrt), im frühen 20. Jh. ihre Aktivitäten fortgesetzt haben. 107 Sowie de Hulster, „The Role of Women“.

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Weir, Heather E., „Helping the Unlearned: Sarah Trimmer’s Commentary on the Bible“, in Recovering Nineteenth-Century Women Interpreters of the Bible (hg. v. Christiana de Groot und Marion Ann Taylor; SBLSymS 38; Atlanta: SBL, 2007), 19–30 Welch, Claude, Protestant Thought in the Nineteenth Century 2: 1870–1914 (Eugene: Wipf & Stock, 1985) Welter, Barbara, „‚Frauenwille ist Gottes Wille‘. Die Feminisierung der Religion in Amerika 1800–1860“, in Listen der Ohnmacht: Zur Sozialgeschichte weiblicher Widerstandsformen (hg. v. Claudia Honegger und Bettina Heintz; Frankfurt a. M.: Eu­ ropäische Verlagsanstalt, 1981), 326–355 Wetterberg, Christina Carlsson, „Gender Equality and the Welfare State: Debates on Marriage Law Reform in Sweden at the Beginning of the 20th Century“, in Family Law in Early Women’s Rights Debates: Western Europe and the United States in the Nineteenth and early Twentieth Centuries (hg. v. Stephan Meder und ChristophEric Mecke; Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung 14; Köln: Böhlau, 2013), 255–280 – „Equal or Different? That’s not the Question: Women’s Political Strategies in a His­ torical Perspective“, in Is There a Nordic Feminism? Nordic Feminist Thought on Culture and Society (hg. v. Drude von der Fehr, Anna G. Jónasdóttir und Bente Ro­ senbeck; London: UCL Press, 1998), 21–43 Whiteley, Marilyn Färdig, Canadian Methodist Women, 1766–1925: Marys, Marthas, Mothers in Israel (Studies in Women and Religion 10; Waterloo: Wilfrid Laurier Uni­ versity Press, 2005) Wieacker, Franz, Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung (Frankfurt a. M.: Athe­ näum Fischer, 1974) – Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter Berücksichtigung der deutschen Entwicklung (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 21967) Wigham, Eliza, The Anti-Slavery Cause in America and its Martyrs (Cambridge: Cam­ bridge University Press, 1863) Willard, Frances Elizabeth, Glimpses of Fifty Years: The Autobiography of an American Woman (Chicago: Smith, 1889) – Woman in the Pulpit (Boston: D. Lothrop, 1888; Neuauflage hg. v. Carolyn De Swarte Gifford; New York: Garland, 1987) Williams, Delores S., „Hagar in African American Biblical Appropriation“, in Hagar, Sarah, and Their Children: Jewish, Christian, and Muslim Perspectives (hg. v. Phyl­ lis Trible und Letty M. Russell; Louisville: Westminster John Knox, 2006), 171–184 – Sisters in the Wilderness: The Challenge of Womanist God Talk (Maryknoll: Orbis, 1993) Williams, Sarah C., „Is there a Bible in the house? Gender, religion and family culture“, in Women, Gender, and Religious Cultures in Britain, 1800–1940 (hg. v. Sue Morgan und Jacqueline deVries; London: Routledge, 2010), 11–31 Wilson, Charles, Picturesque Palestine, Sinai and Egypt (2 Bde; London: Virtue [1880– 1884]) Wilson, Linda, „‚Constrained by Zeal‘: Women in Mid-Nineteenth Century Noncon­ formist Churches“, JRH 23 (1999): 185–202 Winckelmann, Johann Joachim, Johann Winckelmanns Geschichte der Kunst des Alterthums (2 Bde; Dresden: Waltherische Hof-Buchhandlung, 1764) Wollstonecraft, Mary, A Vindication of the Rights of Woman: With Strictures on Political and Moral Subjects (London: Johnson, 1792) – Verteidigung der Rechte der Frauen (2 Bde; Zürich: Ala-Verlag, 1975/1976 [urspr. 1792])

374 Bibliographie Wunder, Heide, „Herrschaft und öffentliches Handeln von Frauen in der Gesellschaft der frühen Neuzeit“, in Frauen in der Geschichte des Rechts: Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart (hg. v. Ute Gerhard; München: Beck, 1997), 27–54 – „Er ist die Sonnʼ, sie ist der Mond“: Frauen in der Frühen Neuzeit (München: Beck, 1992) Yapp, Malcolm E., The Making of the Modern Near East: 1792–1923 (A History of the Near East; London: Longman, 1987) Yothers, Brian, The Romance of the Holy Land in American Travel Writing, 1790–1876 (Aldershot: Ashgate, 2007) Young, Iris Marion, Justice and the Politics of Difference (Princeton: Princeton Univer­ sity Press, 1990) Zatlin, Linda G., The Nineteenth-Century Anglo-Jewish Novel (TEAS 295; Boston: Twayne, 1981) Zeller, Hannah, Wild Flowers of the Holy Land: Fifty-Four Plates printed in Colours, Drawn and Painted after Nature (London: Nisbet, 21876) Zetkin, Clara, „Reinliche Scheidung“, Die Gleichheit 4/8 (1894): 63; 4/13 (1894): 102–103 – „Nur mit der proletarischen Frau wird der Sozialismus siegen!“, in dies., Ausgewählte Reden und Schriften (3 Bde; Berlin: Dietz, 1957), 1:95–111

Stellenregister Hebräische Bibel Genesis (Gen) 1–3 ........................................ 110.132 1f. ......................................... 121.132 1,1–2,4a ...................................... 126 1,26–31 .......................................... 14 1,26f. ........................................... 112 1,26 ............................................. 256 1,27f. ............................................ 241 1,27 ....................................... 112.247 2,7–3,24 ......................................... 14 2 .................................... 111f.118.256 2,21–23 ................................... 54.132 2,21f. .......................................... 122 3 ........................................... 219.256 3,12f.14–19 ................................. 220 3,15 ........................................... 224f. 3,16 ............................ 56.132.219.343 3,19 .............................................. 255 16,1–16 ....................................... 282 21,8 .............................................. 160 21,9–21 ....................................... 282 21,10 ........................................... 284 49,10 ............................................ 194 Exodus (Ex) 2,1–10 ......................................... 286 6,18–20 ....................................... 286 15,20 ........................................... 234 20,12 ............................................ 154 21 ................................................. 163 21,2.7–11 ...................................... 167 21,15–17 ....................................... 154 Levitikus (Lev) 12 ................................................ 126

19,3 .............................................. 154 19,18 ........................................... 308 22,13 ............................................ 157 27 ................................................. 160 27,1–7 .......................................... 161 Numeri (Num) 26,58f. ........................................ 286 27,1–8 ......................................... 126 30,1–16 ........................................ 161 Deuteronomium (Dtn) 5,16 .............................................. 154 7,4 ................................................ 164 15 ................................................. 163 16,11.14 ........................................ 159 21,15–17 ....................................... 164 21,18 ............................................ 167 24,5 .............................................. 154 31,11f. .......................................... 164 Josua (Jos) 2 ................................................. 286 6,22–25 ....................................... 286 Richter (Ri) 4,4 ............................................... 234 5,7 ................................................ 151 5,12 .............................................. 247 11,29–40 ..................................... 282 19 ................................................ 282 2 Samuel (2 Sam) 13,1–22 ....................................... 282 2 Könige (2 Kön) 4,8–37 ......................................... 286 22,14–20 ..................................... 234

376 Stellenregister Jesaja (Jes) 5,27 .............................................. 247 10,1 ............................................. 279 12,2f. ........................................... 178 19,24f. .......................................... 195 40,10f. ......................................... 225 52,1 .............................................. 247 53,3.7 ........................................... 276 58,6 .............................................. 270 58,7 .............................................. 276 Jeremia (Jer) 8,23 ............................................ 238 29,18 ........................................... 238 30,16f. .......................................... 275 31,1 ............................................. 283 31,22 ........................................... 224 37,11–38,6 ................................... 238 49,36 ............................................ 275 Ezechiel (Ez) 34 ................................................. 195 Joël 3,1f. ................................ 197.256.272 Psalmen (Ps) 8,4–6 ........................................... 241 23 ................................................. 201 68,11 ........................................... 225 68,32 ..................................... 241.247 Ijob 17,6 ............................................. 246 Sprichwörter (Spr) 31 ................................................ 222 Rut 3,11 ............................................. 222 Ester (Est) 4,1–8,17 ....................................... 235

Neues Testament Matthäus (Mt) 4,7 ............................................... 256 5,3–12 ......................................... 293 5,3 ............................................... 302 5,4f. ............................................ 303 5,6 ............................................... 304 5,7 ............................................... 307 5,9f. ............................................ 309 8,20 ............................................ 240 12,20 ........................................... 236 12,31f. ......................................... 305 22,39 ........................................... 308 22,42 ........................................... 266 25,14–30 ..................................... 242 25,18 ........................................... 228 25,40 ..................................... 276.308 25,42–45 ...................................... 276 28,1–10 ....................................... 234 28,16–20 ...................................... 196 Markus (Mk) 7,24–30 ....................................... 267 12,31 ........................................... 308 16,9 ............................................. 268 16,15–20 ...................................... 196 Lukas (Lk) 1,48 .............................................. 276 2,51 ............................................. 308 7,37 ............................................. 268 8,1–3 ............................................ 196 8,2 .............................................. 268 8,26–39 ....................................... 230 8,35 ............................................. 230 11,52 ........................................... 305 19,12–27 ..................................... 242 24 ................................................. 335 24,22–24 ..................................... 258 24,33–47 ...................................... 196 24,33f. ......................................... 258

Stellenregister Johannes (Joh) 4 ........................................... 178.259 4,1–42 ................................... 196.205 4,28f. ........................................... 178 4,29 .............................................. 235 8 ............................................. 27.279 8,1–11 ......................................... 236 8,2–11 ................................. 266f.281 15,12 ........................................... 308 20,11–18 ................................ 259.269 20,21 ............................................ 196 Apostelgeschichte (Apg) 1,1–9 ............................................ 196 1,13f. ............................................ 259 2,17 ............................................. 272 8,26–39 ........................................ 241 17,6 ............................................. 280 17,26 ..................................... 241.247 17,28 ............................................ 146 17,30 ........................................... 258 21,9 ............................................. 234 Römer (Röm) 8,21 ............................................. 225 16 ................................................. 197 16,1.3 .......................................... 236 1 Korinther (1 Kor) 6 .................................................. 118 7 .................................................. 255 7,6 ............................................... 268 9,19 ............................................. 240 11 ............................................ 14.110 11,3–7 .......................................... 127 11,3 ............................................... 54 11,4f. ............................................ 117 11,5 ............................................. 256 11,9 .............................................. 132 13,5–8 ........................................ 304 14,34–36 ...................................... 199 14,34f. ................................... 127.234

377 14,34 ............................................ 117 14,40 ............................................ 198 2 Korinther (2 Kor) 3,6 ................................................ 119 7,11 ............................................. 224 8,23 ............................................ 236 11,2 ............................................. 224 Galater (Gal) 3,26–28 ................................ 198.205 3,28 ................................ 235.265.272 4,21–31 ....................................... 284 Epheser (Eph) 5 ..................................... 110.119.132 5,21–33 ........................................ 127 5,21–24 ........................................ 132 5,21 ....................................... 198.256 5,22–24 ......................................... 54 5,22f. ........................................... 116 5,22 ........................................ 147.198 5,33 ............................................... 54 6 .................................................. 132 6,5f. ............................................ 128 6,21 ............................................. 236 Philipper (Phil) 2,25 ............................................ 236 4,2f. ...................................... 212.257 4,3 ............................................... 236 4,8 ............................................... 224 Kolosser (Kol) 3,22 ............................................. 128 1 Thessalonicher (1 Thess) 3,2 ............................................... 236 1 Timotheus (1 Tim) 1,10.15 ......................................... 268 2,9 ........................................ 224.258 2,11–15 ........................................ 147

378 Stellenregister 2,11f. ........................................... 234 2,12 ................................ 117.256.268 2,15 ......................................... 25.199 3,11 .............................................. 199 4,12 ............................................. 268 5,2 ............................................... 268 5,22 ............................................. 224 6,1f. ............................................. 128 2 Timotheus (2 Tim) 2,2 .............................................. 258 Titus (Tit) 2,5 ............................................ 223f. Jakobus (Jak) 3,17 ............................................. 224 5,19f. ............................................ 199

1 Petrus (1 Petr) 3,1–6 ........................................... 284 3,2 ............................................... 224 3,6 ................................................ 132 5,5 ............................................... 256 1 Johannes (1 Joh) 3,3 ............................................... 224 4,7.19 .......................................... 308 Offenbarung (Offb) 6,16 .............................................. 239 12 ................................................ 225 14,1–5 .......................................... 233 17,6 ............................................. 238 18,3–9 .......................................... 239 18,13 ........................................... 238

Autor*innen Dr. Angela Berlis ist ordentliche Professorin für Geschichte des Altkatholi­ zismus und Allgemeine Kirchengeschichte am Institut für Christkatholische Theologie sowie Co-Leiterin des Kompetenzzentrums Liturgik der Theologi­ schen Fakultät der Universität Bern. Dr. Ute Gerhard ist Professorin emerita für Soziologie und Gründungsdirek­ torin des Cornelia Goethe Centrums für Frauenstudien und die Erforschung der Geschlechterverhältnisse an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Dr. Christiana de Groot ist emeritierte Professorin des Religion Departments und Direktorin der Gender Studies Minor der Calvin University, Grand Ra­ pids, Michigan. Dr. Arnfríður Guðmundsdóttir ist Professorin für systematische Theologie mit Schwerpunkt feministische Theologie an der Fakultät für Theologie und Religious Studies an der Universität Island in Reykjavík. Dr. Izaak J. de Hulster ist Privatdozent an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen und Dozent an der Theologischen Fa­ kultät der Universität Helsinki. Dr. Dr. h.c. Elisabeth Joris ist eine auf Frauen- und Geschlechtergeschichte spezialisierte Schweizer Historikerin. Dr. Kristin Kobes Du Mez ist Professorin für Geschichte und Gender Studies an der Calvin University, Grand Rapids, Michigan. Dr. Christine Lienemann-Perrin ist Professorin emerita für Ökumene, Mis­ sion und interkulturelle Gegenwartsfragen an der Theologischen Fakultät der Universität Basel. Dr. Amanda Russell-Jones lehrt am Regent College in Vancouver, Kanada. Dr. Joy A. Schroeder ist Professorin für Kirchengeschichte an der Capital University/Trinity Lutheran Seminary in Columbus, Ohio.

380 Autor*innen Dr. Claudia Setzer ist Professorin für Religious Studies am Manhattan Col­ lege, New York. Dr. Aud V. Tønnessen ist Professorin für moderne und zeitgenössische Kir­ chengeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Oslo. Dr. Adriana Valerio ist pensionierte Professorin für Christentumsgeschichte an der Universität Federico II in Neapel und eine der Hauptherausgeberinnen der Reihe „Die Bibel und die Frauen“. Dr. Royce M. Victor ist Bischof der CSI Diözese von Malabar in Kerala, In­ dien.

Die auf 21 Bände angelegte internationale, in den vier Sprachen Deutsch, Englisch, Italienisch und Spanisch erscheinende Enzyklopädie „Die Bibel und die Frauen“ setzt sich zum Ziel, eine Rezeptionsgeschichte der Bibel, konzentriert auf genderrelevante biblische Themen, auf biblische Frauenfiguren und auf Frauen, die durch die Geschichte hindurch bis auf den heutigen Tag die Bibel auslegten, zu präsentieren. Christliche und jüdische Forscherinnen und Forscher aus den Wissenschaftstraditionen der vier Sprachräume erarbeiten dieses interdisziplinäre Werk, das theologische, archäologische, ikonographische, kunsthistorische, philosophische, literaturwissenschaftliche und sozialgeschichtliche Genderforschung miteinander ins Gespräch bringen und neue Untersuchungen anregen will. Im Zentrum des Interesses stehen • literarische Frauenfiguren der Bibel und • deren Rezeption in der Exegesegeschichte durch Exegeten und Exegetinnen, • geschlechtsspezifische Lebenszusammenhänge in biblischen Zeiten, • Frauen, die in bestimmten Epochen und Auslegungstraditionen die Bibel interpretierten, • Frauen, denen biblische Texte oder deren Auslegung zugeschrieben werden, • genderrelevante Texte (z.B. Rechtstexte) und Themen (z.B. kultische Reinheit), • die Rezeption biblischer Frauenfiguren und genderrelevanter Themen in der Kunst. 1. Hebräische Bibel – Altes Testament 1.1 Tora: Irmtraud Fischer/ Mercedes Navarro Puerto/Andrea Taschl-Erber (Hrsg.) 1.2 Prophetie: Irmtraud Fischer/Juliana Claassens (Hrsg.) 1.3 Schriften: Christl Maier/ Nuria Calduch-Benages (Hrsg.) 2. Neues Testament 2.1 Evangelien. Erzählungen und Geschichte: Mercedes Navarro Puerto/Marinella Perroni (Hrsg.) 2.2 Neutestamentliche Briefliteratur: Korinna Zamfir/Uta Poplutz (Hrsg.) 3. Pseudepigraphische und apokryphe Schriften 3.1 Frühjüdische Schriften: Eileen Schuller/ Marie-Theres Wacker (Hrsg.)

3.2 Frauentexte und apokryph gewordene Schriften des frühen Christentums: Silke Petersen/Outi Lehtipuu (Hrsg.) 4. Jüdische Auslegung 4.1 Talmud: Tal Ilan/Lorena Miralles-Maciá/ Ronit Nikolsky (Hrsg.) 4.2 Das jüdisches Mittelalter: Carol Bakhos/Gerhard Langer (Hrsg.) 5. Patristische Zeit 5.1 Christliche Autoren der Antike: Kari Elisabeth Børresen/Emanuela Prinzivalli (Hrsg.) 5.2 Biblische Frauenfiguren in der Exegese der Patristik: Agnethe Siquans/Markus Vinzent (Hrsg.) 6. Mittelalter und frühe Neuzeit 6.1 Frühmittelalter: Franca Ela Consolino/ Judith Herrin (Hrsg.) 6.2 Frauen und Bibel im Mittelalter: Adriana Valerio/Kari Elisabeth Børresen (Hrsg.) 6.3 Renaissance und „Querelle des femmes“: Ángela Muñoz Fernandez/Xenia von Tippelskirch (Hrsg.) 7. Zeit der Reformen und Revolutionen 7.1 Reformation und Gegenreformation in Nordund Mitteleuropa: Charlotte Methuen/Gury Schneider-Ludorff/ Lothar Vogel (Hrsg.) 7.2 Das katholische Europa im 16.-18. Jahrhundert: Maria Laura Giordano/Adriana Valerio (Hrsg.) 7.3 Aufklärung und Restauration: Ute Gause/ Marina Caffiero (Hrsg.) 8. 19. Jahrhundert 8.1 Frauenbewegungen des 19. Jahrhunderts: Irmtraud Fischer/Angela Berlis/Christiana de Groot (Hrsg.) 8.2 Fromme Lektüre und kritische Exegese im langen 19. Jahrhundert: Michaela Sohn-Kronthaler/Ruth Albrecht (Hrsg.) 9. 20. Jahrhundert und Gegenwart 9.1 Feministische Bibelwissenschaft im 20. Jahrhundert: Elisabeth Schüssler Fiorenza/Renate Jost (Hrsg.) 9.2 Aktuelle Tendenzen: Maria Cristina Bartolomei/Ilse Müllner/ Lidia Rodríguez Fernández/Mary Ann Beavis (Hrsg.)