Franz Ferdinand: Der eigensinnige Thronfolger
 9783205789666, 9783205788508

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Jean-Paul Bled

FRANZ FERDINAND Der eigensinnige Thronfolger Aus dem Französischen von Susanna Grabmayr und Marie-Therese Pitner

2013 BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Lektorat: Mediendesign Hanten & Hauptfeld Korrektorat: Antonia Barboric

Titel der französischen Originalausgabe: Jean Paul Bled: François Ferdinand d’Autriche © Editions Tallandier, 2012

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Porträt des Thronfolgers von Österreich-Ungarn, Erzherzog Franz Ferdinand, als Kaiser. Ölgemälde von Wilhelm Vita © Heeresgeschichtliches Museum Wien

© 2013 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, 1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Umschlaggestaltung: Susanne Keuschnig, Wien Satz: Bettina Waringer Druck und Bindung: BALTO Print UAB Gedruckt auf chlor- und säurefrei gebleichtem Papier ISBN 978-3-205-78850-8

Inhalt

ÖSTERREICH-UNGARN IM JAHR 1889 Eine Doppelmonarchie Eine Vielvölkermonarchie Die politische Landschaft Österreich-Ungarn in Europa

9 10 14 16 26

LEHRJAHRE Franz Ferdinands Eltern Erziehung Die erste Zeit in der Armee

35 35 40 47

DER THRONFOLGER Die Lektionen Erzherzog Albrechts Ödenburg Weltreise Der Rückfall

53 53 56 58 64

DER BRUCH Das Geheimnis Die Krise Die Hochzeit

75 76 84 92

ABBILDUNGEN

97

DER ERSTE GEGNER Radikalisierung der innenpolitischen Fronten Das Gedankengebäude Franz Ferdinands Franz Ferdinands Militärkanzlei

5

113 113 120 131

Inhalt

AUF DEM WEG ZU EINER GEGENREGIERUNG? Das allgemeine Wahlrecht: eine verlorene Schlacht Die ungarische Front Für eine Modernisierung der Armee Die Bosnien-Krise

135 136 140 149 152

ARBEIT UND ALLTAG Die Residenzen Ein feindseliger Hof Ein gemütliches Zuhause Der Jäger

163 163 169 174 179

FRANZ FERDINAND UND DIE MODERNE Gegen die „Secession“ Ein Verteidiger des Erbes

183 183 191

IN WARTESTELLUNG Die Spannungen nehmen zu Für ein „Groß-Österreich“ Das Programm zum Thronwechsel Die anderen Fronten

203 204 208 213 223

„WIR SCHAUEN IN DER LOGE ZU“ Verschärfung der Krisen Ein Friedensapostel Conrad Franz Ferdinand und die Marine

231 231 239 251 257

SARAJEWO Die Matscheko-Denkschrift Bosnien-Herzegowina Das Attentat Die Reaktionen Das Begräbnis

261 261 265 270 278 282

6

Inhalt

DER MANN, DER DIE MONARCHIE HÄTTE RETTEN KÖNNEN? Ein komplexer Charakter Ein Spiel mit Hypothesen – Was wäre gewesen, wenn?

289 290 293

ZEITTAFEL

298

BIBLIOGRAFIE

301

ANMERKUNGEN

306

REGISTER

317

7

Für Hofrat Prof. Dr. Peter Broucek, dem dieses Buch so viel verdankt

KAPITEL I

Österreich-Ungarn im Jahr 1889 Es ist der 5. Februar 1889. Wien trägt Trauer und entfaltet den Pomp eines­großen Begräbnisses. Die Hauptstadt der österreichisch-ungarischen ­Monarchie trauert um den Erben der Krone, Erzherzog Rudolf. Sechs Tage zuvor hatte er sich in seinem Jagdschloss in Mayerling im Wienerwald das Leben genommen. Als Abschluss der Begräbnisfeierlichkeiten schlossen sich die schweren Tore der Kapuzinergruft, der letzten Bleibe der Habsburger, hinter den sterblichen Überresten des Verblichenen. Damit wurde eine neue Seite in der Geschichte der Regierungszeit von Franz Joseph aufgeschlagen. Und der Tod Rudolfs hatte die Nachfolgeordnung völlig umgestoßen, obwohl sich zu dem tragischen Zeitpunkt wohl kaum jemand mit dieser Frage beschäftigte. Franz Joseph und Elisabeth hatten keinen weiteren Sohn, also würde die Krone nach dem Tod des Herrschers an seinen jüngeren Bruder fallen, Erzherzog Carl Ludwig. Doch jedermann wusste, dass die Wirklichkeit anders aussehen würde, bestenfalls gäbe es eine Übergangslösung. Während Franz Joseph einem Felsen glich, war Karl Ludwig gebrechlich. Auch hatte er nie eine Funktion im Staat ausgeübt, die ihn auf die Nachfolge seines älteren Bruders vorbereitet hätte. Alle Aufmerksamkeit richtete sich auf Carl Ludwigs ältesten Sohn, den damals 25 Jahre jungen Erzherzog Franz Ferdinand. Er versprach, der wahre Thronerbe zu werden, obwohl er bisher im Schatten gestanden war. Nichts Außergewöhnliches unterschied ihn von der neuen Generation der Erzherzöge. Sein Schicksal nahm nach dem Schlag, der die Dynastie getroffen hatte, eine Wende – auch wenn ihm das vielleicht nicht voll bewusst war. Franz Ferdinand wurde zu einer neu9

Österreich-Ungarn im Jahr 1889

en Persönlichkeit, nahm eine neue Stellung ein. Wenn Gott ihn am Leben erhielt, würde er Franz Joseph zum gegebenen Zeitpunkt nachfolgen. Ihm würde die Ehre, zugleich die schwere Bürde zufallen, die Geschicke einer der ältesten und ruhmreichsten Monarchien Europas zu lenken.

EINE DOPPELMONARCHIE Die innere Struktur der Monarchie entsprach dem dualistischen System, das 1867 im österreichisch-ungarischen Ausgleich festgelegt worden war – nach einem langen Entscheidungsprozess. Nachdem das Februarpatent von 1861 gescheitert war, mit dem Franz Joseph in Ungarn seine Verfassungsvorstellungen durchsetzen wollte, hatte er bereits eine Annäherung an Ungarn ins Auge gefasst. Nach zahlreichen Enttäuschungen wurde ihm klar, dass der Widerstand Ungarns von Beginn seiner Herrschaft der Monarchie jenes innere Gleichgewicht nicht ermöglicht hatte, das sie für die Verteidigung ihrer Stellung nach außen brauchte. Königgrätz und der Ausschluss Österreichs aus Deutschland hatten ihn schließlich von der Richtigkeit dieses Weges überzeugt. Franz Joseph fand zum Glück in Ferenc Deák und Gyula Andrássy Partner in Ungarn, die bereit waren, diese Sprache zu verstehen und mit Wien ein Abkommen auszuhandeln, das von der Voraussetzung der Souveränität des Königreiches der Stephanskrone ausging. Beiden war bewusst, dass ein von Österreich losgelöstes Ungarn nicht über die Mittel verfügen würde, seine Unabhängigkeit zu behaupten und seine Integrität angesichts der Bedrohungen von außen, allen voran von Russland, zu bewahren. Die Vernunft gebot es, eine Übereinkunft mit Österreich zu suchen. Als sich Deák und Andrássy damit einverstanden erklärten, dass die Ausgaben für das kaiserliche und königliche Haus, die Außen­politik, das Heerwesen, der Außenhandel und die indirekten Steuern zu den gemeinsamen Angelegenheiten zählen sollten, konnte Franz Joseph davon ausgehen, das Wesentliche erhalten zu können: die Vorrechte der Krone und die Einheit der Monarchie. Der Ausgleich besiegelte die Verbindung zweier souveräner Staaten, wobei die innere Organisation beider konstituierender Teile durch eine jeweils eigene Verfassung geregelt wurde. So herrschte Franz Joseph in Ungarn nicht mehr als österreichischer Kaiser, sondern als König von Ungarn. 10

Eine Doppelmonarchie

Ebenfalls in Ausübung seiner Souveränität hatte Ungarn zugestimmt, sich mit Österreich zu verbinden und gemeinsame Angelegenheiten anzuerkennen. Zu den sogenannten „pragmatischen“ Angelegenheiten, die sich auf die Pragmatische Sanktion von 1723 beriefen, zählten die Außenpolitik, das Kriegswesen sowie die Finanzenfür diese Bereiche. Jeder dieser Kompetenzbereiche unterstand der Autorität eines Ministers, der direkt vom Kaiser ernannt wurde und eng an dessen Person gebunden war. Die sogenannten „gemeinsamen“ Angelegenheiten – Währung, Außenhandel, Zölle, Transportwesen, indirekte Steuern – oblagen im Prinzip der Souveränität der Staaten, erforderten für den Zusammenhalt des Ganzen aber eine Abstimmung der Politik. Zur Abdeckung der gemeinsamen Ausgaben wurde ein Quotensystem vereinbart. Es berücksichtigte das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen den beiden Teilen der Monarchie, wobei der Beitrag Österreichs mit 70 Prozent festgelegt wurde, während Ungarn 30 Prozent der Gesamtsumme bestritt. Und schließlich wurde vereinbart, die wirtschaftlichen Klauseln des Ausgleichs alle zehn Jahre zu überprüfen. Für Franz Joseph stand zweifellos im Vordergrund, dass der Kaiser auch nach dem Ausgleich die Oberhoheit über die Außen- und Verteidigungspolitik behielt. Beide Bereiche waren für ihn grundlegend, da sie Macht und Stellung eines Staates bestimmten. Auch hatte er die Lektion aus dem ersten Jahr seiner Herrschaft gelernt, dass die Armee das letzte Bollwerk der Monarchie gegen den Feind im Inneren darstellte. Der Ausgleich brachte allerdings auch eine Reihe von Umbrüchen, die ebenso viele Probleme aufwarfen, wie sie lösten. Zunächst wurden die drei Exekutivgewalten eingerichtet: einerseits das gemeinsame Ministerium, andererseits die Regierungen in Österreich und Ungarn. Dieser von der Logik des Dualismus bestimmte komplexe Mechanismus lief Gefahr, im Laufe der Zeit zu einer Quelle der Schwäche zu werden. Beunruhigend war auch, dass der Ausgleich den Keim für eine Verlagerung des Schwerpunkts der Monarchie nach Ungarn in sich barg, während das demografische Verhältnis deutlich zu Ungarns Ungunsten ausfiel (bei der Volkszählung 1890 hatte Ungarn rund 17 463 000 Einwohner gegenüber rund 23 895 000 Einwohnern in Österreich).Von Anfang an ließ sich dieses Risiko daran ermessen, dass die übrigen Länder der Monarchie nicht aufgefordert waren, das mit Ungarn abgeschlossene Abkommen zu unterzeichnen. Ebenso schwer wog das 11

Österreich-Ungarn im Jahr 1889

Mitspracherecht, das Ungarn in inneren Belangen Österreichs eingeräumt wurde. Der Einheitsorganisation Ungarns musste ein zentralistisches System in Österreich gegenüberstehen. Es sollte verhindern, dass sich dort eine föderalistische Entwicklung vollzog, die andere Völker der Stephanskrone ermutigen könnte, dieselbe Forderung zu erheben. Die Erfahrung hatte gezeigt, dass dieses Mitspracherecht keineswegs nur in der Theorie bestand. Im Oktober 1871 war die Intervention des damaligen ungarischen Ministerpräsidenten Gyula Andrássy mitverantwortlich für das Scheitern eines Ausgleichs mit Böhmen. Dieser sah nicht nur vor, Böhmen eine ähnliche Stellung wie Ungarn einzuräumen, sondern schien auch eine Föderalisierung der anderen Hälfte der Monarchie anzukündigen. Der Dualismus verband zwei sehr unterschiedliche Partner. Ungarn war ein altes Königreich, das neben seiner ehrwürdigen Geschichte noch den Vorteil der politischen Einheit hatte. Den zahlenmäßig und ihrem Einfluss nach beherrschenden Magyaren standen lediglich verstreute Nationalitäten gegenüber, die – mit Ausnahme der Kroaten – gerade erst aus einem langen Schlaf erwachten und über keinerlei politische Tradition verfügten. Außerdem nahm ein völlig ungleiches Wahlsystem den Völkern jegliche Möglichkeit einer organisierten Opposition. Der anderen Hälfte der Monarchie mangelte es an historischer Tradition. Auch wenn sich der Name Österreich eingebürgert hatte, geschah dies vor allem der Einfachheit halber. Der Definition nach entsprach diese Hälfte nicht dem Österreich, das mit der Gesamtheit der Monarchie identifiziert wurde. Ihr Gebiet ging weit über die alten Herzogtümer Österreichs ­hinaus. Diese Namenlosigkeit spiegelt sich in der Formel, die in Hinkunft in offiziellen Dokumenten aufscheinen sollte: „Die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder.“ Da man keinen besseren Namen fand und der Fluss Leitha die Grenze zwischen Ungarn und den anderen Ländern der Monarchie bildete, wurde im allgemeinen Sprachgebrauch der Begriff Zisleithanien verwendet. In seinen Beziehungen zu Ungarn verstärkte diese innere Struktur die Schwäche Zisleithaniens. Ungarn war eine politische Einheit, die andere Reichshälfte geteilt in 17 Kronländer, gleichzeitig Verwaltungseinheiten und regionale Körperschaften, Stützen einer lokalen Autonomie über Gebiete ganz unterschiedlicher Ausdehnung. Abgesehen von der sehr un12

Eine Doppelmonarchie

wahrscheinlichen Rückkehr zum Absolutismus, setzte diese politische und verwaltungsmäßige Organisation jedem Programm Grenzen, das auf eine Stärkung der Autorität der Zentralmacht abzielte. Die größte Gefahr bestand darin, dass das Gebäude in seinen Grundfesten erschüttert würde, sollte der Ausgleich von 1867 grundlegende Divergenzen überdecken.Tatsächlich interpretierten beide Partner den Ausgleich von Beginn an sehr unterschiedlich. Man hatte sich zwar über den Inhalt verständigt, verband damit jedoch konträre Vorstellungen. Franz Joseph und die österreichischen Verantwortlichen dachten weiter in Reichskategorien. Sie wollten im Ausgleich nur das oberste Limit der Ungarn zugestandenen Kompetenzen sehen. Auf magyarischer Seite fiel die Analyse völlig anders aus. Jeder Hinweis auf ein Reich, dem Ungarn untergeordnet wäre, wurde ausgeschlossen. Hier wurde der Ausgleich als äußerster Punkt der Konzessionen an den Zusammenhalt jener politischen Einheit gesehen, der Ungarn als souveränes Königreich beigetreten war. In Anbetracht dieser unterschiedlichen Auffassungen konnte Rudolf Sieghart schreiben: „Der Krone und Österreich erschien der Ausgleich als Schlußstein, den ungarischen Politikern als Grundstein.“1 Diese Gefahr konnte bis dato gebannt werden. Die Generation der Väter des Ausgleichs war von der Bühne der Macht abgetreten, viele, wie Deák und Andrássy, waren bereits tot. Ihre Nachfolger, im gleichen Geist geprägt, blieben dem Erbe treu. Was aber würde geschehen, wenn sie neuen Regierungskräften Platz machten, die sich der Einheit der Monarchie nicht mehr so verpflichtet fühlten und bereit waren, dafür Opfer zu bringen? Würden sie – mit offenerem Ohr für den Nationalismus – nicht versuchen, das 1867 erreichte fragile Gleichgewicht infrage zu stellen? Die alle zehn Jahre zu führenden Verhandlungen, wie im Ausgleich vorgesehen, könnten Möglichkeit und Vorwand dafür sein. Obwohl sie auf wirtschaftliche Vereinbarungen beschränkt waren, ließen sie sich als Druckmittel einsetzen, um das Ausmaß der gemeinsamen Verpflichtungen zu verringern und den Spielraum für die Unabhängigkeit Ungarns zu vergrößern.

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Österreich-Ungarn im Jahr 1889

EINE VIELVÖLKERMONARCHIE Der gravierendste Nachteil des dualistischen Systems lag – mehr noch als in den genannten schwächenden Faktoren – in der Bevorzugung zweier Völker der Monarchie: der Deutschen und der Magyaren. Damit stand der Ausgleich im Widerspruch zu dem, was Österreich-Ungarn in Europa Ende des 19. Jahrhunderts ausmachte: der Definition als Vielvölkerstaat. 1867 vereinte er elf Nationalitäten, nach dem Berliner Kongress von 1878 und der Eingliederung Bosnien-Herzegowinas in die Monarchie zwölf. Mochten 1867 auch gute Argumente die Entscheidung für den Dualismus gerechtfertigt haben, war er auf lange Frist möglicherweise eine Zeitbombe. Franz Joseph hatte sich mit dem Dualismus zu einer Teilung der Verantwortung zwischen Deutschen und Magyaren entschlossen. In ihnen sah er jene beiden Pole, um die sich die erneuerte Monarchie organisieren sollte. In Summe stellten die beiden Völker freilich nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung der Doppelmonarchie, gemeinsam brachten sie es 1890 auf 44 Prozent. Für sich gesehen, verfügten sowohl die Deutschen mit 35,78 Prozent in Zisleithanien als auch die Magyaren mit 45 Prozent in Ungarn jeweils nur über eine relative Mehrheit. Die anderen Nationalitäten waren in beiden Reichshälften der österreichisch-ungarischen Monarchie in der Mehrheit, dennoch lässt sich das Problem nicht auf einen zahlenmäßigen Ansatz reduzieren. Deutsche wie Ungarn wurden mit ganz unterschiedlichen Völkern konfrontiert. In Zisleithanien gelang es diesen nie, eine gemeinsame Front gegen die deutsche Vormachtstellung zu bilden. Um nur ein Beispiel zu nennen: Als sich die Polen den Ruthenen widersetzten, führte ebendiese Rivalität dazu, dass sie mit Wien besser auskamen als die Tschechen. Abgesehen davon konnten die Deutschen in Zisleithanien keine den Magyaren in Ungarn vergleichbare Hegemonie ausüben. Einige der Völker, über die sie eigentlich herrschen sollten, ob Tschechen, Polen oder Italiener, hatten dank ihrer langen historischen Tradition eine Stufe der politischen, kulturellen und manchmal auch wirtschaftlichen Entwicklung erreicht, die sie eindeutig über die den Magyaren unterworfenen Nationalitäten stellte, mit der vielleicht einzigen Ausnahme der Kroaten, die auf eine sehr große historische Tradition zurückblicken konnten. Das deutlich weniger ausgeprägte Kräfteverhältnis legte von Anbeginn nahe, dass die Deutschen 14

Eine Vielvölkermonarchie

kaum Spielraum hatten. Dies galt sowohl für Zisleithanien ganz allgemein als auch für einige Kronländer, in denen sie in der Minderheit waren. In Böhmen etwa stellten die Deutschen gegenüber einer tschechischen Mehrheit lediglich ein Drittel der Bevölkerung. Sie konnten sich daher nicht so einfach über die anderen Völker hinwegsetzen, sondern mussten sich früher oder später mit ihnen einigen, außer man wollte sich auf eine Entwicklung einlassen, die zum Zerfall der Monarchie zu führen drohte. Ein solches Szenario war in den Jahren nach Abschluss des Ausgleichs wenig wahrscheinlich. In Wien lag die Macht in den Händen der Deutschliberalen, die jede Annäherung Österreichs an eine föderalistische Ausrichtung ablehnten. Ihr Augenmerk galt vor allem Böhmen, wo sie die politische Vorherrschaft der Deutschen mit Zähnen und Klauen verteidigen würden. Mit dem Ende des liberalen Zeitalters im Jahr 1879 wechselte der politische Kurs. Franz Joseph hatte die Entstehung einer Koalition gefördert, in der sich Tschechen und Polen mit den katholischen Deutschen in Österreich verbanden. Der Zusammenschluss dieser Kräfte in einer Regierung unter dem Vorsitz von Graf Eduard Taaffe zeigte, dass das Schlimmste nicht unausweichlich und eine Verständigung der Nationalitäten rund um die Krone möglich war. Zum Zeitpunkt des Dramas von Mayerling war diese Koalition unter dem wohlwollenden Blick Franz Josephs immer noch an der Macht. Fraglich war, ob die Beschwichtigung von Dauer sein würde. Sie hatte den Partnern der Regierungsmehrheit beträchtliche Vorteile gebracht. Die Tschechen durften sich dazu beglückwünschen, die Errichtung einer Universität in Prag erreicht zu haben. All dies geschah im Rahmen des Dualismus, der nicht infrage gestellt wurde, doch seine Grenzen waren damit aufgezeigt. Die Enttäuschung über den Abschluss des österreichischungarischen Ausgleichs und später über das Scheitern des Ausgleichs mit Böhmen im Jahr 1871 hatte Spuren hinterlassen. Eine Verschärfung der Nationalitätenkonflikte war nicht auszuschließen. Franz Josephs konstitutionelle Verpflichtungen errichteten einen Wall zwischen ihm und den ­Nationalitäten Ungarns. Sie sahen im Kaiser von Österreich nicht mehr, wie 1848, einen natürlichen Schutzherrn gegen die Übergriffe seitens der Magyaren, deren Opfer sie wurden. In seiner Eigenschaft als konstitutioneller König Ungarns hätte Franz Joseph eventuelle Beschwerden an die Regierung in Budapest weitergeleitet, wo sie wohl ad acta gelegt worden wä15

Österreich-Ungarn im Jahr 1889

ren, wenn sie nicht zum Vorwand dienen sollten, die Verfasser zu verfolgen. Die anderen Völker des Königreichs wären durch das 1868 auf Anregung Deáks verabschiedete Nationalitätengesetz liberaler Prägung zweifellos geschützt gewesen, doch konnten sie daraus kaum einen Nutzen ziehen, so rasch legten es die ungarischen Regierungen wieder auf Eis. Ohne Korrektur konnte dieses Gefühl des Verlassenseins nur die zentrifugalen Kräfte stärken. Am Vorabend der Entscheidung für den Dualismus sagte František Palacký, der Vater der tschechischen Wiedergeburt: „Wir haben vor Österreich existiert und werden sein Ende überleben.“ 1889 ist diese Drohung nicht aktuell. Noch können die Kräfte des Widerstands separatistischen Bestrebungen Einhalt gebieten, doch es zeigen sich erste Risse im Gebäude, und es wäre unvorsichtig, die Warnungen zu ignorieren.

DIE POLITISCHE LANDSCHAFT Die Bildung des Kabinetts Taaffe muss als deutliches Zeichen für die Veränderungen auf der politischen Bühne gewertet werden. Sie sind auf die Krise des Liberalismus zurückzuführen und vermutlich nur der Anfang weiterer Entwicklungen in diesem Prozess. Die Liberalen hatten die politische Bühne von 1867 bis 1879 mehr oder weniger ohne Unterbrechung beherrscht. Man verbindet das liberale Zeitalter mit der Dezemberverfassung des Jahres 1867. Sie bestimmte seither die politische Organisation Zisleithaniens und untermauerte die Entscheidung für eine konstitutionelle Monarchie. Nachdem Franz Joseph seine Vorbehalte gegenüber einer repräsentativen Regierungsform, die er lange Zeit für unvereinbar mit dem nationalen Pluralismus hielt, aufgegeben hatte, schlug er diese Richtung schon vor 1867 ein. Die Logik des Dualismus zwang ihn anschließend, an diesem Kurs festzuhalten. Und stand nicht im ungarischen Grundgesetz, dass Ungarn sich mit einem Partner verbunden hatte, der seinerseits eine konstitutionelle Regierungsform hatte? Im Unterschied zum Oktoberdiplom von 1860 bzw. zum Februarpatent von 1861 war die Dezemberverfassung von 1867 nicht von der Krone oktroyiert, sondern vom Reichsrat beschlossen worden. Außerdem führte sie streng genommen die Ministerverantwortlichkeit ein. In der Praxis war es mit dieser Konzession an die liberale Ideologie nicht weit her, denn der 16

Die politische Landschaft

Herrscher verfügte weiterhin über beträchtliche Vorrechte. Wie im Ausgleich festgehalten, behielt der Kaiser die Oberhoheit über die Außen- und die Verteidigungspolitik. Kam dem Reichsrat durch die Genehmigung des Budgets ein gewisses Kontrollrecht hinsichtlich der Armee zu, entzog sich die Außenpolitik zur Gänze seiner Kompetenz. Dem Herrscher stand weiterhin das Recht zu, den Reichsrat einzuberufen oder zu vertagen. Auch konnte er einem Gesetz, das nicht seine Billigung fand, die Sanktionierung verweigern – eine gefürchtete Waffe, hatte dieses Veto doch nicht nur aufschiebende Wirkung. Und was soll man zu Artikel 14 der Verfassung sagen, der im Falle einer Blockade der parlamentarischen Einrichtungen der Regierung die Mittel in die Hand gab, Gesetze zu erlassen? Bislang waren die Regierungen Franz Josephs noch nicht in eine derartige Situation gebracht worden. Daraus zu schließen, sie würden gegebenenfalls nicht darauf zurückgreifen, wäre gewagt. Die Liberalen stützten sich zur Stärkung ihrer Macht lange Zeit auf ein Wahlsystem, das ihnen in einer Vielzahl der Landtage und auch im Reichstag die Mehrheit sichern sollte. Durch Rückgriff auf das 1861 von Schmerling entwickelte Modell wurde die Wählerschaft in vier Kurien eingeteilt. Vielleicht noch wichtiger war, dass ein Zensussystem, das die Latte sehr hoch legte, das Wahlrecht nur einer Minderheit zuerkannte. So begünstigte es die wohlhabenden Schichten der Gesellschaft, natürlich den Adel, aber mehr noch das Bürgertum. Als Folge der ungleichen Vermögensverteilung unter den Nationalitäten war im Übrigen das dem Liberalismus zugeneigte deutsch-österreichische Bürgertum der große Nutznießer. Diese Mehrheit sollte auf Jahre gesichert werden, überlebte aber die wirtschaftliche, politische und moralische Krise des Liberalismus in den 1870er-Jahren nicht. Als wieder Frieden herrschte, war Österreich in eine Phase starker wirtschaftlicher Expansion eingetreten. Daraus entstand ein Klima der Euphorie, in dem jede Vorsicht hintangestellt wurde. Ein Spekulationsfieber, das zu immer riskanteren Geschäften führte, musste unweigerlich in eine Katastrophe münden. Der Sturz war ebenso hart, wie die vorschnelle Begeisterung überbordend gewesen war. Der Glanz der Wiener Weltausstellung, die eigentlich den Triumph des Liberalismus feiern sollte, wurde schon kurz nach der Eröffnung durch den Börsenkrach vom 5. Mai 1873 getrübt. Dieser löste eine wahre Flutwelle aus, deren Sog einen Konkurs auf den anderen folgen ließ 17

Österreich-Ungarn im Jahr 1889

und viele in den Ruin trieb. Die Monarchie stürzte in eine schwere Wirtschaftskrise, von der sie sich erst nach vielen Jahren wieder erholen sollte. Das gesamte liberale System war erschüttert. Seine Erfolge hatten ihm zwar den Anschein von Legitimität verliehen, doch die Aura der Überlegenheit geriet unter dem Eindruck der Katastrophe von 1873 schwer unter Beschuss. Es dauerte noch bis 1879 – die erforderliche Zeit, um eine Alternative aufzubauen –, bis den Liberalen auch die politische Rechnung für ihr Scheitern präsentiert wurde. Die katholische Opposition gegen die antiklerikale Gesetzgebung der liberalen Regierungen hatte die politische Organisation der konservativen Kreise gestärkt. Die Tschechen und ihre Verbündeten im historischen Adel, die bislang den Landtag in Prag und den Reichsrat boykottiert hatten, um gegen die Politik Wiens gegenüber Böhmen zu protestieren, beschlossen, ihren parlamentarischen Streik aufzugeben. Die Trennung von Franz Joseph wurde vollzogen, als die Mehrheit der liberalen Abgeordneten die seit 1875 von der Monarchie in der Balkankrise verfolgte Politik infrage stellte. Diese Abgeordneten hatten ohne Scheu durch ihr Votum öffentlich ihren Widerstand gegen die Besetzung von Bosnien-Herzegowina durch die Monarchie zum Ausdruck gebracht. Damit war die rote Linie überschritten, über die man ein Minenfeld betrat. Ihre Beziehungen zu Franz Joseph regelte ein Abkommen, das zwischen den beiden Partnern eine Aufteilung der jeweiligen Kompetenzen vorsah. Durch ihren Vorstoß in einen Bereich, der dem Kaiser vorbehalten war, hatten sich die liberalen Abgeordneten eines Verstoßes schuldig gemacht, für den der Liberalismus postwendend büßen musste. Franz Joseph sah sich seiner Verpflichtungen gegenüber den Liberalen für enthoben, mit denen er sich zweifellos arrangiert hatte, denen aber nie seine große Vorliebe galt. So wurde das Entstehen einer neuen Mehrheit gefördert. Die Wahlen des Jahres 1879 bedeuteten den Grundstein für eine Koalition aus den Katholiken der Alpenländer, den Tschechen und Polen – eine völlige Kehrtwende gegenüber der seit 1867 verfolgten Linie. Auf dieser Grundlage übernahm Graf Taaffe die Führung der Regierung aus diesen drei Partnern. Zehn Jahre später stand derselbe Taaffe noch immer an der Spitze einer Regierung, die sich auf dieselben Kräfte stützte. Die Umkehr der Mehrheitsverhältnisse wurde durch die Reform von 1882 konsolidiert: Der Zensus wurde um die Hälfte reduziert und damit 18

Die politische Landschaft

die Wählerschaft um neue Schichten der Gesellschaft erweitert, von denen anzunehmen war, dass sie zum überwiegenden Teil dem Liberalismus abgeneigt waren. In Wirklichkeit erklärt sich der Niedergang der Liberalen auch durch ihr Problem – ganz im Gegensatz zu ihren Gesinnungsgenossen in Großbritannien –, sich den Strömungen der Zeit anzupassen. In den 1860er-Jahren hatten sie sich unbestreitbar für fortschrittliche Ideen eingesetzt. Davon zeugen ihre Forderungen nach den großen Freiheitsrechten sowie nach einem Überdenken der Beziehungen zwischen Kirche und Staat. Zehn Jahre später war dieses Programm jedoch im Wesentlichen Realität. Zum einen waren die Grundfreiheiten in der Dezemberverfassung festgeschrieben, zum anderen war das Konkordat von 1855 aufgekündigt und zwischen 1868 und 1877 eine Reihe von Gesetzen verabschiedet worden, die den Einfluss der Kirche reduzieren sollten. Den Liberalen war es nicht gelungen, ihr Programm zu erneuern, der Partei schien der Atem ausgegangen zu sein. Mit ihrer Ablehnung einer Ausweitung des Wahlrechts, die, entgegen der allgemeinen Tendenz jener Zeit, in Richtung einer zunehmenden Demokratisierung der politischen Vertretung ging, und mit ihrer Gleichgültigkeit gegenüber der sozialen Frage, die sich immer mehr zuspitzte, befanden sie sich in der Defensive. In ihrem Unvermögen, sich den Interessen anderer Schichten zu öffnen, neigten sie dazu, sich in ihrer Position des Wortführers der begünstigten Klassen festzufahren. Dieser Rückgang hatte noch einen anderen, tiefer liegenden Grund. Der Liberalismus in Österreich wollte lange Zeit über alle nationalen Bindungen hinweg die Interessen der Monarchie verkörpern. In diesem Sinne definierte er sich als Staatspartei, konnte diese Rolle aber nur so lange zu spielen hoffen, als die nationalen Bewegungen nicht die politische Bühne beherrschten. Deren Einfluss wurde jedoch immer größer. Andererseits hatte sich für die Deutschen in Österreich das Blatt mit der Katastrophe von Königgrätz gewendet. Von ihrem deutschen Hinterland abgeschnitten, wurde ihnen ihre Situation als Minderheit innerhalb der Monarchie bewusst. Im neuen Kontext entdeckten sich die Liberalen, die Partei des deutschen Bürgertums, immer mehr als nationale Partei. Es gab mehrere Anzeichen, dass die Umgestaltung der politischen Landschaft noch nicht abgeschlossen war. Während sich das parlamentarische Leben weiterhin zwischen denselben Akteuren abspielte, bildeten sich neue Kräfte. Der 19

Österreich-Ungarn im Jahr 1889

Börsenkrach des Jahres 1873 war Auslöser einer mächtigen antiliberalen Bewegung, die 1879 einen ersten Sieg verzeichnen, damit aber bei Weitem noch nicht ihre ganze Wirkung zeigen konnte. Auch nach der Wahlrechtsreform von 1882 war die Mehrheit der Bevölkerung durch den Zensus weiterhin vom Wahlrecht ausgeschlossen. Und diese Gesellschaftsschichten nahmen es immer weniger hin, vom politischen Leben ferngehalten zu werden. Die Forderung nach einem allgemeinen Wahlrecht gewann rasch an Boden, doch nicht nur die Liberalen fühlten sich dadurch bedroht. Zweifellos wollten das Großbürgertum und die Mittelschicht, aus denen die Liberalen einen Großteil ihrer Unterstützer rekrutierten, die verlorene Macht zurückgewinnen, jedoch ohne sie mit den unteren Bevölkerungsschichten zu teilen. Man hatte zwar auf konservativer Seite einer Senkung des Zensus zugestimmt, sah darin aber vor allem ein Mittel zur Schwächung der Liberalen. Keineswegs dachte man daran, wirklich bis zu einem allgemeinen Wahlrecht zu gehen. Kurz gesagt: Beide Lager kämpften erbittert um die Macht, doch beide vertraten eine elitäre Sicht der Gesellschaft und waren sich in ihrer Ablehnung einer Demokratisierung des politischen Lebens einig. Das hatte zur Folge, dass die neuen Gesellschaftsschichten sich nur schwer, wenn überhaupt, in der einen oder anderen Gruppierung wiederfinden konnten. Nicht ohne einen gewissen Zusammenhang zwischen den beiden Phänomenen erlebten die Nationalismen in den 1880er-Jahren einen Aufschwung, der sich bald als weiterer Faktor der Radikalisierung erwies. Nach dem Machtverlust der Liberalen beschleunigte sich bei den Deutschen in Österreich die Entwicklung, die sich nach dem Bruch des Jahres 1866 abgezeichnet hatte. Sie wurde zudem durch die Erfolge des Bismarck’schen Reiches genährt, die man so leicht den mittelmäßigen Aussichten der Deutschen in Österreich gegenüberstellen konnte.Viele von ihnen hatten bereits lautstark die Siege der Deutschen gegen Frankreich begrüßt, bei einigen wandelte sich die Bewunderung in Faszination. Diese Zeit war durch eine bislang nicht gekannte Strahlkraft aus dem Reich importierter kultureller Vorbilder geprägt. Die Verbreitung des Wagner-Kults zeigt in ­aller Deutlichkeit die enge Verbindung von Politik und Kultur. Die Verherrlichung des Nationalgefühls ging so weit, dass bei einigen alle Spuren eines österreichischen Patriotismus ausgelöscht wurden und 20

Die politische Landschaft

eine Eingliederung der deutschen Länder ins Reich propagiert wurde. Für diese Maximallösung, die Georg von Schönerer verkörperte, trat allerdings nur eine Minderheit ein. Andere wären mit einer Formel zufrieden gewesen, mit der die Beziehung zu Ungarn auf eine reine Personalunion reduziert und Galizien aus der Monarchie ausgegliedert worden wäre. Mit dem Vorteil, den Deutschen in Zisleithanien die Mehrheit zu sichern und ihnen damit die Mittel in die Hand zu geben, das leidige Problem ihrer Beziehungen zu den Tschechen in Böhmen zu ihren Gunsten zu regeln. Aber selbst in dieser etwas weniger radikalen Form wäre das Programm unvereinbar gewesen mit den Ansprüchen der österreichischen Großmacht, also mit der Existenz der Habsburgermonarchie. Die Deutschen waren nicht allein mit dem nationalistischen Virus infiziert. Unter den Tschechen verloren die Gemäßigten Zug um Zug an Boden gegenüber den Jungtschechen, für die Beziehungen mit den Deutschen in erster Linie als Konfrontation galten. Sie waren nicht bereit, Riegers Geste zu wiederholen, der den Deutschen einst angeboten hatte, ihre Bedingungen für einen Ausgleich auf dem Blatt niederzuschreiben, das er ihnen hinhielt. Die Jungtschechen sahen in jeder Konzession, die den mehrheitlich von Deutschen bewohnten Gebieten ein eigenes Statut eingeräumt hätte, einen Angriff auf die Integrität des böhmischen Königreichs und widersetzten sich entschieden. In Ungarn hatten die Regierungen ein System der Unterdrückung errichtet, mit dem sie bislang nationalen Agitationen beikommen konnten. Diese stützten sich in der Regel auf schlecht organisierte Bewegungen und hatten daher nur begrenzte Reichweite. Dennoch drohte in der Zukunft durchaus Gefahr. Das Verhalten der ungarischen Führungsschicht, der jegliche versöhnliche Geste fernlag, barg das Risiko, letztlich das Aufkommen von separatistischen Verlockungen unter den Völkern zu fördern – umso mehr, als einige versucht sein konnten, sich Angehörigen der eigenen Nationalität jenseits der Grenzen der Monarchie anzuschließen. Auch der serbische Staat übte eine nicht unerhebliche Anziehungskraft auf die Serben Ungarns aus. Sollten sich die ungarischen Regierungen weiterhin taub für die Forderungen der Rumänen stellen, bestand die Möglichkeit, dass diese ihr Augenmerk auf Bukarest richteten. Die Gefahr war groß, dass sich diese Völker zunehmend von der Monarchie entfernten, wenn sie sich verlassen und der Willkür der Magyaren ausgesetzt sahen. 21

Österreich-Ungarn im Jahr 1889

Der Erfolg dieser Bewegungen hing auch mit der urbanen Entwicklung zusammen, einem weiteren für die Zeit charakteristischen Phänomen. In den Städten, vor allem den großen Ballungsräumen, wurden sie von gewissen Kreisen bereitwillig aufgenommen. Wien war damals bereits eine Metropole und hatte als größte Stadt Mitteleuropas im Jahr 1890 rund 1 364 000 Einwohner. Der Aufstieg Budapests wurde immer rasanter, mit fast einer Million Einwohnern Anfang der 1890er-Jahre. Auf einer anderen Skala hatten Prag, Brünn, Graz,Triest, Lemberg und Krakau die Marke von 100 000 Einwohnern übersprungen. Die Bevölkerungszunahme ging vor allem auf die Migrationsströme zurück, die Teile der Landbewohner auf der Suche nach einem besseren Leben in die Ballungsräume zog. Zahlreiche Neuankömmlinge sollten das Proletariat vergrößern, das in den meist an der Peripherie der Städte angesiedelten Industrien Arbeit fand. Nur wenigen gelang es, der Armut zu entfliehen. Die von ihren ländlichen Wurzeln abgeschnittenen und in ein für sie bindungsloses Umfeld verpflanzten Arbeiter teilten, eingepfercht in denselben Vierteln, die gleiche Lebensweise und entwickelten allmählich ein Klassenbewusstsein, das später dem Sozialismus Gefolgsleute liefern sollte. Die Handwerker, deren Lebensstandard oft kaum höher war, lehnten es ab, in das Proletariat eingegliedert zu werden. Sie schlossen sich dem Kleinbürgertum der Händler, Angestellten und niedrigen Beamten an, die, obwohl in unterschiedlichen Bereichen tätig, von der Mentalität her sehr ähnlich waren. Auch wenn diese unterschiedlichen Gruppen die Mehrheit der Bevölkerung in den Städten stellten, gab es in ihren Reihen nur wenige, die über das Wahlrecht verfügten. Das allein erklärt schon ihre Ablehnung des Liberalismus, die aber auch wirtschaftliche Gründe hatte. Jede Bevölkerungsschicht hatte auf ihre Weise darunter zu leiden. Die Arbeiter waren bis Anfang der 1880er-Jahre einem System ausgeliefert, in dem es praktisch keine Form von sozialer Absicherung gab. Handwerker und kleine Gewerbetreibende standen zunehmend unter dem Druck der kapitalistischen Unternehmen und mussten feststellen, dass ihre Widerstandskraft schwand. Der Antiliberalismus ging mit einer starken antisemitischen Strömung im Kleinbürgertum einher, sicherlich kein neues Phänomen. Bis dato in der christlichen Tradition verankert, hatte er sich jedoch noch nicht als politi22

Die politische Landschaft

sche Kraft konstituiert. Der Wandel erfolgte in Reaktion auf den von der jüdischen Bourgeoisie innerhalb der österreichischen Gesellschaft erworbenen Einfluss. Die Positionen in der Industrie und im Bankwesen spielten dabei eine wichtige Rolle. Sie schürten Feldzüge gegen das „jüdische Kapital“, für die Handwerker und kleine Gewerbetreibende, selbst Opfer der kapitalistischen Konkurrenz, empfänglich waren. Die feindselige Haltung wurde noch durch den Einfluss verstärkt, den Juden in bestimmten liberalen Berufen als Anwälte, Journalisten oder Ärzte erworben hatten. Jene Kreise waren traditionell Bastionen des Liberalismus, was die Versuchung mehrte, ihn als Produkt jüdischen Geistes anzuprangern. Mit wirtschaftlichem Inhalt versehen und von einigen sogar als biologischer Auswuchs hingestellt, erreichte der Antisemitismus die Dimension eines politischen Phänomens. Konfrontiert mit der immer dringlicher werdenden sozialen Frage, blieb die Regierung Taaffe nicht untätig. Sie verabschiedete eine Reihe von Maßnahmen, die Österreich – in diesem Bereich – zu einem der fortschrittlichsten Staaten machten. Die Bilanz konnte sich sehen lassen: Senkung der täglichen Arbeitszeit auf elf Stunden, strenge Regelung von Frauen- und Kinderarbeit, Schaffung eines Gremiums von Arbeitsinspektoren, Einführung eines Unfall- und Krankenversicherungssystems und Organisation des Wettbewerbs zwischen Industrie und Handwerk. Auch wenn diese Gesetzgebung das Fundament für den modernen Sozialstaat legte, bot sie doch keine Lösung für das Problem der schmalen Basis des politischen Systems in Österreich. Immer noch waren, wie früher, breite Kreise der Gesellschaft vom Wahlrecht ausgeschlossen und standen abseits des politischen Spiels. Mehr als jede andere Stadt war Wien das Laboratorium, in dem sich neue Kräfte herausbildeten. Obwohl die verschiedenen Bewegungen einander später erbittert bekämpfen sollten, gingen sie alle aus demselben Nährboden hervor. Bevor sie sich auseinanderentwickelten, waren sie zunächst durch gemeinsame Herkunft miteinander verbunden. Mit mehr als einer Million Einwohnern war Wien in das Massenzeitalter eingetreten. Sowohl das Alldeutschtum von Georg von Schönerer als auch die christlichsoziale Bewegung Karl Luegers wandte sich an das Volk. Unter dem Einfluss dieser beiden starken Persönlichkeiten war Politik nicht mehr ausschließlich 23

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S­ ache der bürgerlichen Oberschicht. Sie trat aus dem engen Kreis heraus, in dem sie bislang eingeschlossen war, und öffnete sich den Massen. Die individuelle Ausprägung all dieser Kräfte stand am Ende eines Prozesses, der sich über einen Teil der 1880er-Jahre erstreckte. Schönerer und Lueger verband, dass sie Dissidenten des Liberalismus waren, von dem sie sich gelöst hatten, als ihnen seine Grenzen bewusst wurden. Der eine wie der andere hatte sich den Ruf als Demokrat erworben, Ersterer im Reichsrat, Zweiterer im Wiener Gemeinderat, wo sich beide als Wortführer des noch vom Wahlrecht ausgeschlossenen Kleinbürgertums hervortun konnten. Sein habsburgischer Patriotismus hatte Lueger davon abgehalten, gemeinsame Sache mit Schönerer zu machen, der einen radikal deutschnationalen Ton anschlug. Er konnte das Gerede von einem Anschluss des deutschen Österreich an das Bismarck’sche Reich nicht gutheißen. Schönerer hingegen hatte in einigen Persönlichkeiten wie Victor Adler oder Engelbert Pernerstorfer Verbündete gefunden, die – ganz in der Tradition der Revolution von 1848 – ihren glühenden Einsatz für deutsche Werte und Interessen mit einer ausgeprägten Sensibilität für die soziale Frage verbanden. Ausfluss dieses Bündnisses war das auf dem Kongress in Linz 1882 verabschiedete Programm. Es legte den Grundstein für einen Populismus, in dem sich das Streben nach Demokratisierung des politischen Lebens, vehementer Antikapitalismus und kompromisslose Verteidigung deutscher Interessen mischten. Diese Einheit zerbrach an der Frage des Antisemitismus. Auch wenn Schönerer schließlich akzeptierte, dass das Linzer Programm gegen eine Abtrennung der österreichisch-deutschen Länder der Habsburgermonarchie war: Geändert hatte sich nichts an der Heftigkeit seines antisemitischen Tons. Seine Haltung, betont noch durch eine starke biologische Komponente, besiegelte den Bruch mit Adler und jenen Juden, die – verbunden mit der deutschen Kultur – den Verlockungen des Nationalismus erlegen waren. Nachdem Adler die Brücken zu seinen ehemaligen Freunden abgebrochen hatte, wandte er sich dem Sozialismus zu. Mit seiner ganzen Energie setzte er sich für die Wiedervereinigung der österreichischen Sozial­ 24

Die politische Landschaft

demokratie ein. Zerrüttet durch die üblichen Zwistigkeiten zwischen den Anhängern von Lassalle und Marx, gefährdet durch anarchistische Reden, bot die Sozialdemokratie ein Bild der Spaltung. Dagegen war es den verschiedenen Strömungen des deutschen Sozialismus gelungen, ihre Meinungsverschiedenheiten zu überwinden, sich 1875 auf dem Kongress in Gotha zu vereinigen und die SPD zu gründen. Die Bemühungen hatten Erfolg: Im Januar 1889 beschlossen die verschiedenen Richtungen des österreichischen Sozialismus auf dem Hainfelder Parteitag, vor allem unter dem Einfluss von Adler, sich als ein Verband zur Sozialdemokratischen Partei zusammenzu­schließen. Ab dem folgenden Jahr demonstrierte die neue Bewegung ihre Stärke. Zur ersten Feier des 1. Mai, dem Schreckgespenst der begüterten Klassen der Hauptstadt, die nichts weniger als eine Wiederholung des „Grand Soir“ fürchteten, mobilisierte die Sozialdemokratische Partei Hunderttausende Teilnehmer, die in Reih und Glied zum Prater marschierten, um das allgemeine Wahlrecht zu fordern. Damit war der Ball ins Rollen gebracht. Die Sozialdemokratische Partei entschied sich für den Reformismus. Die Errungenschaft der politischen Demokratie war der Weg, über den die Veränderung der Gesellschaft führte, aber noch war er lang. Solange der Riegel des Zensussystems nicht geöffnet war, blieben den Sozialdemokraten die Türen des Reichsrats verschlossen. Noch bei den Wahlen 1891 erhielten sie kein einziges Mandat. Zu diesem Zeitpunkt war Schönerer – zumindest vorläufig – von der politischen Bühne abgetreten. Am 8. März 1888 hatte er an der Spitze einer Gruppe von Gesinnungsgenossen die Räumlichkeiten des Neuen Wiener Tagblatts gestürmt, das fälschlicherweise den Tod Wilhelms I. gemeldet hatte. Der Verleger der Zeitung, Moritz Szeps, war Jude, also konnte man in dieser Majestätsbeleidigung wohl nur eine Bestätigung eines jüdischen Komplotts gegen die deutsche Nation sehen! Wegen Stürmung des Lokals und tätlicher Angriffe auf die Journalisten wurde Schönerer zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und verlor für fünf Jahre seine bürgerlichen Rechte – ein Urteil, das ihn ipso facto auch sein Adelsprädikat kostete. Zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung hatten sich Schönerer und Lueger gerade in der antiliberalen Koalition der Vereinigten Christen zusammengetan. Der Name täuscht, wenn man dahinter eine religiöse Bedeutung sucht, denn der Begriff „Christen“ war nur als Gegensatz zu „Juden“ 25

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gedacht. Lueger hatte sich dem antisemitischen Lager angeschlossen, was zweifellos zum Gutteil einem Opportunismus entsprang. Als die Judenfrage in seinen Reden einen zentralen Platz einzunehmen begann, hatte er bereits zehn Jahre politischer Auseinandersetzung hinter sich und sich von der Stärke dieser Empfindung in der öffentlichen Meinung überzeugt. Seine Schmähreden gingen im Übrigen nie über den politischen und wirtschaftlichen Bereich hinaus. Hätte das Bündnis zwischen Schönerer und Lueger den Bewährungsproben der Zeit standgehalten? Das Verschwinden des Ersteren nützte sicherlich den Interessen des Zweiteren. Lueger konnte auf ein Gebiet vorstoßen, auf dem er keine Konkurrenz fürchten musste, auch wenn es in der Christlichsozialen Partei noch lange einen deutschnationalen und antiklerikalen Flügel geben sollte. Der erzwungene Rückzug Schönerers erleichterte auch die Aufgabe jener, die dem Wort „christlich“ in dem Bündnis einen konfessionellen Inhalt geben wollten. Der Katholizismus profitierte von der Arbeit jener, die sich, gemeinsam mit Freiherrn von Vogelsang und Prinz Aloys von Liechtenstein, seit den 1870er-Jahren mit der sozialen Frage beschäftigten und Maßnahmen vorgeschlagen hatten, die Geißel der Armut auszurotten. Ein wesentlicher Faktor war die Rückkehr Luegers zum Glauben seiner Jugend. Im Kontakt mit dem Kreis um ­Vogelsang gereift und vom Rednerpult des Österreichischen Katholikentages 1889 herab verkündet, übte er eine Sogwirkung aus. So näherte sich Ende der 1880er-Jahre die Entstehungsphase der zur Organisation des Protests des Wiener Kleinbürgertums gegen den Liberalismus berufenen Bewegung ihrem Abschluss.Vereint unter einem charismatischen Führer, rüstete sich die Christlichsoziale Partei für den Angriff auf das Wiener Rathaus und eine Verbreitung über die Hauptstadt hinaus.

ÖSTERREICH-UNGARN IN EUROPA Königgrätz bedeutete für Österreich einen zweifachen Ausschluss: Was Italien betrifft, brach eine im Jahr 1859 eingeleitete Entwicklung ab. Was Deutschland anbelangt, beendete die militärische Niederlage eine jahrhundertelange Mission der Habsburgermonarchie. Franz Joseph hielt an der Hoffnung fest, die Folgen von Königgrätz durch eine diplomatische Kon26

Österreich-Ungarn in Europa

stellation nach seinen Bedingungen aufheben zu können. Dem entsprach auch die ab 1867 eingeleitete Annäherung an das Frankreich Napoleons III. Nach den Vorstellungen der für die Wiener Diplomatie Verantwortlichen sollte diese Annäherung allerdings eine andere Funktion erfüllen. Wie sehr Franz Joseph auch eine Rückkehr auf die deutsche Bühne wünschte, brachte Königgrätz doch eine Logik in Gang, die Anlass für die Doppelmonarchie war, sich nach Südosteuropa zu wenden: Nur dort konnte sie hoffen, einen möglichen Einflussbereich als Entschädigung für die jüngsten Niederlagen zu gewinnen. Von einem Bündnis mit Paris erwartete man auch ein Gegengewicht zu Russland, dessen Widerstand gegen die österreichisch-ungarische Politik nicht ausbleiben sollte, sobald sich die Doppelmonarchie in diesem Gebiet engagierte. Der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71, mit dem Frankreich für lange Zeit aus dem diplomatischen Spiel ausgeschlossen wurde, machte diesen Trumpf zunichte. Die deutschen Siege sowie im Anschluss daran die erfolgreiche Einigung samt der Ausrufung des Kaiserreichs am 18. Januar 1871 hatten die Beziehungen unter den Großmächten in Europa völlig verändert. Der Weg für eine Vormachtstellung des neuen Reiches auf dem Kontinent schien offen, eine Aussicht, von der Disraeli vorhergesagt hat, sie würde noch schwerwiegendere Auswirkungen haben als die Revolution von 1789. Als Erster zog der damalige Außenminister Beust die Konsequenzen, indem er Franz Joseph im Mai 1871 erklärte, die Doppelmonarchie habe keine andere Wahl mehr, als dem Bemühen um ein bevorrechtetes Bündnis mit Berlin Priorität einzuräumen. Für Österreich-Ungarn sollte Deutschland jenen Platz einnehmen, den zuvor Frankreich besetzt hatte. Als Graf Andrássy einige Monate später an die Spitze der österreichischungarischen Diplomatie berufen wurde, verfolgte er die gleiche ­Linie wie sein Vorgänger. Die Annäherung traf sich mit den Absichten Bismarcks. Sein oberstes Ziel nach der Reichsgründung war, Frankreich auf der europäischen Bühne zu isolieren, um es von einem Vergeltungskrieg abzuhalten. Die Sache war weniger einfach, als sie auf den ersten Blick scheinen mochte. Dieselbe Absicht gebot dem Kanzler auch, das Gleichgewicht gegenüber Russland zu halten und Wien zu einer Verständigung mit St. Petersburg zu bringen beziehungsweise zu zwingen. Franz Joseph entzog sich dieser Bitte nicht. 27

Österreich-Ungarn im Jahr 1889

Anlässlich eines Treffens der beiden Monarchen im Juni 1873 normalisierten sich die österreichisch-russischen Beziehungen mit einem Abkommen, das unter der Schirmherrschaft Bismarcks geschlossen wurde. Im Oktober trat auch Wilhelm I. diesem Bündnis bei. Franz Joseph schloss sich dem Dreikaiserabkommen nicht ohne gemischte Gefühle an. Einerseits freute er sich, dass die Solidarität zwischen den konservativen Monarchien Mittel- und Nordeuropas damit besiegelt wurde. Andererseits war ihm bewusst, dass dadurch das Vordringen von Österreich-Ungarn auf den Balkan gebremst werden könnte. Seit Metternich war die Achtung der Integrität des Osmanischen Reiches die Devise der österreichischen Politik in diesem Raum gewesen. Der Aufstand in Griechenland sowie anschließend die Frage der rumänischen Fürstentümer bestätigten das. Anfang der 1870er-Jahre änderte sich die Situation. Der Niedergang des Osmanischen Reiches beschleunigte sich, angeheizt durch das Aufkommen nationaler Bewegungen unter der christlichen Bevölkerung. Neu war auch, dass sich die österreichisch-ungarischen Prioritäten auf diese Gebiete verlagerten. Es lag in der Natur der Sache, dass die Monarchie hier auf die Ambitionen Russlands stieß, das sich seit der Zeit von Katharina II. immer stärker auf den Südosten Europas konzentriert hatte. Die Logik des Dreikaiserabkommens verpflichtete Wien und St. Petersburg, einen modus vivendi zu suchen, statt als Konkurrenten aufzutreten. Als der Osten Europas 1875 nach einem Aufstand der Christen in BosnienHerzegowina gegen die türkische Macht Feuer fing, wurde dies zu einem maßgeblichen Faktor. Das Bündnis allerdings fiel der Versuchung Russlands zum Opfer. Dort konnte man nicht widerstehen, einen Vorteil aus der Krise zu ziehen und zulasten von Österreich-Ungarn zu punkten. Hatte der Frieden von San Stefano im März 1878 noch diesen Willen bekundet, wurde Russland in der Folge durch den Druck aus Wien und London zu einem Rückzieher gezwungen. Die Bedingungen für das Abkommen, das den Konflikt beendete, wurden vom Berliner Kongress ausgearbeitet. Er tagte von Mitte Juni bis Mitte Juli 1878 und leitete eine Umstrukturierung im Südosten Europas ein. Der europäische Teil des Osmanischen Reiches wurde erneut beschnitten. Serbien und Rumänien, die bisher unter der nominellen Autorität der Hohen Pforte standen, erhielten völlige Souveränität. Ein Fürstentum Bulga28

Österreich-Ungarn in Europa

rien wurde geschaffen, in dem wohl der Einfluss Russlands vorherrschen würde, allerdings bei nicht ganz gekappter Nabelschnur zu Konstantinopel. Bosnien-Herzegowina verblieb offiziell unter der Souveränität des Sultans, in Wahrheit sollte es von Österreich-Ungarn besetzt und verwaltet werden. Rumänien musste für seine Entlassung in die Unabhängigkeit Bessarabien an Russland abtreten. Südosteuropa bot danach ein völlig neues Bild. Die auf die Bildung von Nationalstaaten abzielende Bewegung erstarkte (nach Griechenland, Serbien und Rumänien war Bulgarien an der Reihe). Im Gegenzug vermehrte sich der Einfluss der in dieser Region vertretenen Großmächte. Am Ende der Krise blieben mehrere Fragen offen: Verfügten die erst kürzlich geschaffenen oder auch schon länger bestehenden Balkanstaaten über die Mittel für ihre Unabhängigkeit? Oder würden sie sich unter den Schutz Österreich-Ungarns oder Russlands stellen müssen? Daraus resultierte eine weitere Frage: Wie würden sich die österreichischrussischen Beziehungen nach der schweren Bewährungsprüfung zunächst des Friedens von San Stefano und später des Berliner Kongresses entwickeln? Russland wurde rasch klar, dass es nicht alles würde behalten können, was ihm im Frieden von San Stefano zugesprochen worden war. Doch die Enttäuschung über die Regelungen des Berliner Kongresses war groß. Die Balkankrise entfachte die österreichisch-russische Rivalität neu. Vor allem Zar Alexander II. machte Bismarck für die Ergebnisse verantwortlich, die für ihn eine Niederlage bedeuteten, und er verschärfte den Ton. Sein sogenannter „Ohrfeigenbrief“ an den deutschen Kaiser hatte allerdings die gegenteilige Wirkung. Bismarck nutzte ihn als Argument, um seinem – zunächst sehr zögerlichen – Herrscher ein Bündnis mit Österreich-Ungarn abzuringen, dessen Spitze eindeutig gegen Russland gerichtet war. Dieser Zweibund wurde am 7. Oktober 1879 unterzeichnet, für die österreichische Diplomatie zweifellos ein Erfolg, der die jahrelangen Bemühungen krönte. Das deutsch-österreichische Bündnis war aber noch in anderer Hinsicht wichtig. Es leitete die Ära der Militärblöcke ein, zwischen denen Europa schließlich aufgeteilt werden sollte. Im Mai 1882 wurde der Bund um Italien erweitert. Bismarck, der immer noch darauf aus war, den Schraubstock rund um Frankreich fester zu ziehen, nützte die französisch-italienischen Auseinandersetzungen um Tunesien, um Rom auf seine Seite zu bringen. 29

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Dies zeigte die andere Seite des Bündnisses von 1879. Von sich aus wäre Franz Joseph nie auf Italien zugegangen, da Österreich-Ungarn diesem gegenüber schwer verstimmt war. Wie hätte der Kaiser vergessen können, dass Italien aus den Trümmern der österreichischen Besitzungen auf der Halbinsel hervorgegangen war und später den Papst gezwungen hatte, sich in den Vatikan zurückzuziehen? Zudem stand das Land unter dem Verdacht, irredentistische Bewegungen zu unterstützen, die einen Anschluss der italienischsprachigen Gebiete der österreichisch-ungarischen Monarchie an das Regno forderten. Franz Joseph hatte keine andere Wahl, als sich in den Dreibund zu fügen, es sei denn, er riskierte es, sein Bündnis mit Deutschland aufs Spiel zu setzen. Auch wenn Österreich-Ungarn das Bündnis mit Italien nicht gesucht hatte, konnte es daraus einen Vorteil ziehen: Der Dreibund schützte vor einem Angriff aus dem Hinterhalt. Zweifellos war kein Ende der irredentistischen Aktivitäten zu erwarten, doch es gab begründete Hoffnungen, dass die von der italienischen Regierung eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen Grund genug sein würden, diesen Bewegungen ihre Unterstützung zu entziehen und gleichzeitig eine Neuausrichtung ihrer Außenpolitik auf die Verwirklichung ihrer kolonialen Ziele vorzunehmen. Obwohl die österreichisch-italienischen Beziehungen damit in eine Phase der Entspannung eintraten, wurden sie von Zeit zu Zeit immer wieder erschüttert. Und genau darin lag eine der Schwachstellen des österreichisch-ungarischen diplomatischen Systems. Franz Joseph erkannte bald, dass sich Deutschland durch den Vertrag von 1879 nicht gebunden fühlte, alle österreichisch-ungarischen Ambitionen in Südosteuropa zu unterstützen. Bismarck hatte das Bündnis weitgehend als Druckmittel konzipiert, um Russland zu überzeugen, sich neben Deutschland und Österreich-Ungarn wieder in ein diplomatisches Dreiersystem einzugliedern. Ein ebenso heikles wie riskantes Unterfangen, könnte Russland dadurch zu einer Einigung mit Frankreich gedrängt werden. Doch die Option eines Bündnisses mit einem republikanischen Staat war verfrüht. Dieses Mal fügte sich Wien nicht, ohne Widerstand zu zeigen, aber das Kräfteverhältnis zwang Franz Joseph schließlich zum Nachgeben. Am 18. Juni 1881 besiegelte ein neuer Vertrag die Wiederherstellung des Bündnisses zwischen den drei Monarchien, der Dreikaiserbund. Um Österreich-Ungarn und Russland in sein Spiel einzubeziehen, skizzierte Bismarck sogar 30

Österreich-Ungarn in Europa

eine Teilung des Balkans, und diese Pläne wurden in den Vertrag aufgenommen. Bulgarien, das unter russischer Oberhoheit stand, sollte gestattet werden, sich um Rumelien zu vergrößern. Zunächst war es ihm im Vertrag von San Stefano zuerkannt worden, bevor der Berliner Kongress es ihm umgehend wieder entzog. Die Vereinigung sollte friedlich erfolgen, „nach der Natur der Dinge“. Diese Formel war allerdings vage genug, um sich in verschiedenste Szenarien einzufügen. Österreich-Ungarn konnte dafür Bosnien-Herzegowina zu einem ihm genehmen Zeitpunkt annektieren. Zur gegebenen Zeit sollte es sich daran erinnern. Der Vertrag vom 18. Juni 1881 schuf zwar wieder eine diplomatische Verbindung zwischen Österreich-Ungarn und Russland, spiegelte dennoch die Veränderungen wider, die sich innerhalb der Dreierkonstellation seit der letzten Balkankrise vollzogen hatten. Im Unterschied zum Vertrag von 1873 verband er Partner, deren Beziehungen nicht auf derselben Ebene lagen. Acht Jahre zuvor war es ein besiegeltes Abkommen zwischen Parteien, gebunden durch dieselben Verpflichtungen. Seit damals hatten Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich ein Bündnis geschlossen, von dem Russland ausgeklammert blieb. In diesem Ungleichgewicht lag ein Schwachpunkt, der den neuen Dreibund bei der ersten größeren Erschütterung verwundbar machen könnte. Für den Augenblick schien sich die Entspannung zwischen ÖsterreichUngarn und Russland zu konsolidieren. Als Beweis wurde das 1881 für drei Jahre geschlossene Abkommen 1884 verlängert. Unter der Oberhoheit von Franz Joseph und Alexander III. fand diese Politik überzeugte Vollstrecker in den damals in Wien und St. Petersburg aktiven Außenministern, Graf Gustav Kálnoky und Baron Nikolai Giers. Die Rivalität zwischen den beiden Monarchien war damit nicht beseitigt, sie wurde in Wirklichkeit nur überdeckt. Die Bulgarienkrise sollte sie wieder zutage treten lassen. Franz Joseph und Kálnoky hüteten sich, Öl ins Feuer zu gießen, als der bulgarische Fürst Alexander von Battenberg ab 1885 seine Kraft am russischen Protektor erprobte. Um eine Provokation Russlands zu verhindern, nahmen sie während des Konflikts eine gemäßigte Haltung ein. Als die Krise beigelegt war, mochte dennoch der Eindruck entstehen, als hätte Österreich-Ungarn einen Erfolg verzeichnet, obwohl dies nie im Vordergrund stand. Ferdinand von Sachsen-Coburg, den die Sabranie (bulgarisches Parlament) auf den bulgarischen Thron hob, diente zum Zeitpunkt seiner 31

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Wahl als Offizier in einem ungarischen Regiment, darüber hinaus verfügte er über ausgedehnte Besitzungen in Ungarn. Davon abzuleiten, er sei ein Vasall Wiens, war nur ein Schritt, den die russische Regierung prompt setzte. Mehr noch: Um ihre Missbilligung zum Ausdruck zu bringen, beschloss sie, den Dreikaiserbund 1887 nicht zu verlängern. Das prächtige Gebäude, das Bismarck errichtet und erneut aufgebaut hatte, war damit Geschichte. Tatsächlich gab es für Russland noch andere Motive, über ÖsterreichUngarn irritiert zu sein. In den 1880er-Jahren vergrößerte Wien seinen Einfluss im Balkanraum und zog nach und nach Serbien und Rumänien hinein. Die Doppelmonarchie verzeichnete einen ersten Erfolg, als Fürst Milan Obrenović am 28. Juni 1881 ein Abkommen unterzeichnete, mit dem Serbien praktisch zu einem Protektorat wurde. Milan versagte es sich darin vor allem, mit anderen Staaten Abkommen zu schließen, die sich gegen den „Geist des österreichisch-serbischen Abkommens“ richteten. Für Wien war Letzteres natürlich von Interesse. Ein Serbien, das mit Österreich-Ungarn verbündet war, konnte nicht die Rolle eines Piemont für die Südslawen spielen. Auf der anderen Seite wehrte dieses Abkommen die Gefahr ab, dass Serbien zu einem Vorposten Russlands an der Südflanke der Doppelmonarchie wurde. Im Gegenzug kam Franz Joseph seinen Verpflichtungen als Schutzherr des kleinen Landes nach. Gelegenheit dazu erhielt er, als Serbien Bulgarien im November 1885 den Krieg erklärte, unter der Vorgabe, von diesem nach der einseitigen Entscheidung einer Annexion Rumeliens durch Fürst Alexander territoriale Entschädigungen zu fordern. Das bekam Serbien allerdings schlecht, die Armee erlitt eine Niederlage, die zu einem Debakel zu werden drohte. Franz Joseph konnte das nicht zulassen, wie verärgert er auch über den unbedachten Vorstoß seines Vasallen gewesen sein mochte. Eine nachdrückliche Intervention der österreichisch-ungarischen Diplomatie bewahrte Serbien vor einer sonst unausweichlichen Katastrophe. Im Falle Rumäniens profitierte Österreich-Ungarn vom tiefen Gefühl der Verbitterung gegenüber Russland, das der Ausgang des Krieges von 1877/78 hinterlassen hatte. Die Rumänen hatten den Verlust Bessarabiens noch nicht verwunden, das sie dem Zarenreich abtreten mussten. Die schwelende Streitfrage veranlasste König Carol, sich für das Bündnis mit Österreich-Ungarn zu entscheiden. Die Frage Siebenbürgens hätte ihn 32

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zweifellos davon abhalten können, doch von den beiden Optionen wurde der Sicherheit des Königreichs Vorrang eingeräumt. Am 30. August 1883 unterzeichnete der König einen Bündnisvertrag mit der Doppelmonarchie. Das Vordringen Russlands auf dem Balkan war durch den Berliner Kongress gestoppt worden. Ende des darauffolgenden Jahrzehnts konnte man von einem generellen Rückzug St. Petersburgs sprechen. Seit San Stefano hatte sich das Kräfteverhältnis umgekehrt. Ohne eine Schlacht schlagen zu müssen, konnte Österreich-Ungarn sich Einfluss auf alle Staaten der Region verschaffen. Mit Serbien und Rumänien war es durch Abkommen verbunden, bei Bulgarien handelte es sich nicht um ein Bündnis, aber die Niederlage Russlands stärkte dort die Position. Die 1880er-Jahre brachten einen Machtzuwachs der Monarchie im südosteuropäischen Raum. Der Scharfsinn erfordert es, die Fragilität der Fundamente zu bedenken, auf denen diese Macht ruhte. Man konnte mit Sicherheit davon ausgehen, dass Russland nicht vorhatte, die Hände in den Schoß zu legen, sondern das verlorene Terrain zurückerobern wollte. Außerdem waren die Beziehungen Österreich-Ungarns zu seinen Partnern, trotz der errungenen Erfolge, alles andere als abgesichert. Der Eintritt Serbiens in den Einflussbereich von Österreich-Ungarn war das Ergebnis einer persönlichen Entscheidung von König Milan, entgegen dem fast einhelligen Empfinden der Bevölkerung. Der Widerstand reichte bis in die königliche Familie. Königin Natalija, eine Prinzessin russischer Herkunft, war der Mittelpunkt einer antiösterreichischen Partei am Hof in Belgrad. Die Auseinandersetzungen waren mitverantwortlich für Milans Entscheidung, im März 1889 abzudanken. Das Bündnis ruhte von nun an auf den Schultern eines 13-jährigen Knaben, dem ein Regentschaftsrat zur Seite stand. Die Grundlagen des Bündnisses mit Rumänien schienen solider. Im Unterschied zu Milan erfreute sich König Carol echter Popularität und die Feindseligkeit gegenüber Russland mochte als Kitt dienen. Allerdings durfte die Frage Siebenbürgens die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht trüben. Das Bündnis lief Gefahr, an der Verschlechterung der Lebens­ bedingungen der rumänischen Bevölkerung zu zerbrechen. Blieb Bulgarien, wo die Position Österreichs nicht durch einen Vertrag gefestigt war.Trotz des jüngsten Seitenwechsels war dort stets eine russland33

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freundliche Partei am Werk. Die Situation konnte sich je nach den Veränderungen auf der lokalen und internationalen Bühne noch umkehren. Ende der 1880er-Jahre wurde Österreich-Ungarn seinem Rang als Großmacht gerecht. Zunächst aus Italien, dann aus Deutschland vertrieben, hatte es sich nach Südosteuropa gewandt und seinen Einflussbereich seit dem Berliner Kongress zur Vormachtstellung ausgebaut. Darüber hinaus trug die Monarchie den Stempel der Einzigartigkeit, die seine Identität prägte, Österreich-Ungarn aber auch zu einer Besonderheit in Europa machte. Im Zeitalter der Nationalstaaten definierte die Monarchie sich als Vielvölkerstaat, von manchen als Zeichen einer eigentümlichen und anachronistischen Anomalie gesehen. Organisiert über ein System, das aufgrund der Bevorzugung zweier seiner Völker in Widerspruch zu ihrem Verfassungsprinzip zu stehen schien. Der Dualismus hatte der Monarchie zweifellos jene Stabilität verliehen, nach der sie seit 1848 vergeblich gesucht hatte. Auf lange Sicht war er eine Quelle von Spannungen, die, sollten sie sich verschärfen, die Existenz des Habsburgerreiches bedrohen konnten. Etwa 20 Jahre später wurden die Grenzen des Ausgleichs von 1867 erkannt. Rudolf, Verfechter eines großen Österreich, das von einer starken Zentralmacht ausging, hatte schon 1878 festgestellt, man müsse „dem Dualismus ein für alle Mal ein Ende machen“ und eine „Umgestaltung der ganzen Staatsform“2 vornehmen. Er blieb bei dieser Einschätzung, auch wenn er einräumte, das Hindernis des ungarischen Widerstands würde schwierig zu überwinden sein. Franz Ferdinand sollte bald die Fackel übernehmen, wiewohl bei ihm noch eine Abneigung gegen Ungarn hinzukam, die Rudolf fremd gewesen war.

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KAPITEL II

Lehrjahre Als Franz Ferdinand am 18. Dezember 1863 in Graz zur Welt kam, deutete nichts darauf hin, dass diesem quengeligen Neugeborenen ein außer­ gewöhnliches Schicksal beschieden sein sollte. Es bedurfte außerordentlicher Umstände, dass er sich eines Tages in der Position des Thronerben wiederfinden sollte, so außergewöhnlich, dass niemand in der kaiserlichen Familie sich dies vorzustellen vermochte. Franz Joseph hatte bereits einen knapp fünfjährigen Sohn, Rudolf, und es könnte in den kommenden Jahren noch mehr männliche Nachkommen geben. 1867 brachte Elisabeth wieder ein Kind zur Welt, die kleine Erzherzogin Marie Valerie. Niemand konnte auch vorhersehen, dass Rudolf keinen Sohn haben würde. Und weit jenseits jeder Vorstellungskraft lag sein tragisches Ende. Außerdem ­waren die Auguren, die sich über die Wiege des Neugeborenen beugten, eher pessimistisch. Sein kränkliches und schwächliches Aussehen bewog die Eltern, ihn umgehend taufen zu lassen. Er sollte in den Frieden Gottes eingehen können, falls sein Erdenschicksal ein jähes Ende nähme. Sollte diese düstere Vorhersage nicht eintreten, änderte sich nichts an den Perspektiven, die sich dem Kind eröffneten: jenen eines Erzherzogs, von denen es im Hause Österreich viele gab.

FRANZ FERDINANDS ELTERN Karl Ludwig, der um drei Jahre jüngere Bruder Franz Josephs und Vater Franz Ferdinands, lebte stets im Schatten seines älteren Bruders und fühlte sich in dieser Position sehr wohl. Seine Mutter, die sehr klar denkende 35

Lehrjahre

Erzherzogin Sophie, hatte ihn ihrem Beichtvater gegenüber als „schwach im Talente“ beschrieben. Als dieser höflich einwandte, man müsse der Zeit vertrauen, fiel sie ihm ins Wort: „Interessant wird er niemals werden.“ Der weitere Verlauf gab diesem Urteil schonungslos recht. Immer zurückgezogen, bekleidete Karl Ludwig nie – weder in der militärischen noch in der politischen Hierarchie – eine Position, die es ihm erlaubt hätte, nennenswerten Einfluss auszuüben. In Wahrung der militärischen Tradition der Habsburger wurde er 1884 zum General der Kavallerie ernannt. Das war vor allem ein Ehrengrad, der ihm bei bestimmten offiziellen Anlässen erlaubte, einen gebührenden Platz einzunehmen.Vor allem aber fühlte Karl Ludwig sich im Unterschied zu Franz Joseph, seinem Onkel Erzherzog Albrecht und später seinem Sohn Franz Ferdinand weder von der Welt noch vom Leben der Militärs angezogen. Zur Zeit des Neoabsolutismus war er zum Statthalter von Tirol ernannt worden. Seine Karriere in der hohen kaiserlichen Verwaltung fand allerdings 1861 ein Ende. Mit der, wenn auch gemäßigten, Öffnung gegenüber dem Liberalismus, die im Februarpatent zum Ausdruck kam, war er nicht einverstanden und zog sich zurück. Es war ihm auch unmöglich, eine Partei gutzuheißen, deren Politik die enge Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche infrage stellte, die der Neoabsolutismus verfolgte und die in der Unterzeichnung eines Konkordats mit Rom im Jahr 1855 ihren Ausdruck gefunden hatte. Während Karl Ludwig in Zukunft abseits des politischen Lebens stand, bekannte er sich zu einem glühenden, um nicht zu sagen: kompromisslosen, Katholizismus – eine ­Linie, von der auch Franz Ferdinand nicht abweichen sollte. Der Abgang von der Bühne fiel Karl Ludwig nicht schwer. Als Aristokrat mit sehr bürgerlichen Sitten und Gebräuchen pflegte er die Werte der Familie, was auch sein ältester Sohn mit ihm gemeinsam haben sollte. Seine erste Frau Margarete von Sachsen verstarb nach zwei Jahren Ehe. Der kinderlose Witwer heiratete 1862 Prinzessin Maria Annunziata aus dem Zweig der Bourbonen von Neapel, mit der er drei Söhne – Franz Ferdinand, Otto und Ferdinand Karl – und die Tochter Margarete Sophie hatte. Als der Tod auch sie hinwegraffte, heiratete Karl Ludwig ein drittes Mal. Seine Wahl fiel auf die portugiesische Prinzessin Maria Theresia von Braganza, die zwei Mädchen zur Welt bringen sollte: die Erzherzoginnen Maria Annunziata und Elisabeth. 36

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Ohne jegliche Verantwortung im Staat konnte sich Karl Ludwig seinen persönlichen Interessen widmen. Dass ihm die Jagd gefiel, war nichts Außergewöhnliches in diesen Kreisen.Vom Angeln kann man dies allerdings nicht sagen. Weniger prosaisch tat sich Karl Ludwig auch durch sein Faible für die Künste hervor. Er war ein Sammler – eine Tätigkeit, der sich Franz Ferdinand ebenfalls mit Leidenschaft hingeben sollte.Verständlich, dass er immer wieder ersucht wurde, die Patronanz über kulturelle Einrichtungen oder Vereinigungen, wie etwa das Künstlerhaus, zu übernehmen. Er wurde auch regelmäßig beauftragt, seinen älteren Bruder bei Ausstellungen zu vertreten, was ihm den Spitznamen „Ausstellungserzherzog“ eintrug. Über seine Mutter war Franz Ferdinand mit einer anderen Geschichte verbunden, jener der Bourbonen von Neapel. Maria Annunziata war die Tochter von Ferdinand II., dem berühmten Re Bomba. 1848 durch die Revolution aus seiner Hauptstadt vertrieben, gewann er die Macht wieder zurück, nachdem er Messina hatte bombardieren lassen. Maria Annunziata war eine würdige Tochter ihres Vaters. Sie hatte den Hass auf die Revolution geerbt und gab ihn später ihrem Sohn weiter. 1862, zum Zeitpunkt ihrer Hochzeit, lebte sie als Prinzessin im Exil in Rom, wo die Familie Zuflucht gefunden hatte. Die Ordnung in Neapel war nur vorübergehend wiederhergestellt. Nach und nach überflutete eine Schockwelle die ganze Halbinsel, von Norditalien ausgehend, wo Franzosen und Piemonteser die Österreicher im Juni 1859 bei Magenta und dann bei Solferino geschlagen hatten. Nach der Entmachtung der Habsburger in Mittelitalien sowie einer ersten Beschneidung des Kirchenstaates entging auch das Königreich beider Sizilien dieser Bewegung nicht. Franz II., Erbe des Re Bomba und Bruder von Maria Annunziata, verlor trotz erbitterten Widerstands seinen Thron unter den vereinten Angriffen der Rothemden und des Grafen von Cavour, der – sobald er die Bühne betreten hatte – den Triumph an seine Fahnen heftete. Vor diesem Hintergrund erhält die Heirat von Karl Ludwig mit Maria Annunziata eine hochpolitische Dimension. Beweis dafür ist auch die Rolle von Erzherzogin Sophie. Obwohl Österreich weder die Absicht noch die Mittel hatte, zu einer Rückeroberung der verlorenen Gebiete aufzubrechen, blieb es eine Macht in Italien. Nach diesem Debakel behielt es Venetien, und in Venedig wurde auch diese Hochzeit gefeiert. Darüber hinaus weigerte sich Österreich, das Königreich Italien unter der 37

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Ägide Piemonts anzuerkennen, dessen Gründung im April 1861 in Florenz verkündet worden war, und empfing als Verfechter der monarchischen Legitimität die gestürzten Dynastien auf seinem Staatsgebiet. Franz Ferdinand sollte diese Tradition fortführen und machte nie ein Hehl aus seiner Abneigung gegenüber Italien. Für Maria Annunziata war es zweifellos keine Liebesheirat und die Nüchternheit ihres Gemahls belastete sie. Doch nach der Erniedrigung, die sie erlebt hatte, war die Aufnahme in das Haus Habsburg, den Bannerträger der Legitimität in Europa, wie Balsam auf einer Wunde. Es sollte allerdings Jahre dauern, bis das Ehepaar nach Wien übersiedeln konnte. Die schwache Gesundheit der jungen Frau bestimmte die Entscheidung für einen anderen Wohnsitz. Sie litt an Tuberkulose; ihre häufigen Hustenanfälle, ihr blasser Teint hatten bald auf die Krankheit hingedeutet. Die Eheleute ließen sich in der Nähe von Görz nieder, einer von den Ärzten wegen des milden Klimas empfohlenen Sommerfrische. Maria Annunziata verspürte Langeweile in der entlegenen Provinz, doch kam man ihrem sehnlichen Wunsch nicht nach, in Wien ein ihrem Rang entsprechendes Leben zu führen. Erzherzogin Sophie, die noch immer das Sagen hatte, entschied anders. Das junge Ehepaar näherte sich zwar der Hauptstadt, sollte aber in Graz bleiben, wo es im Palais Herberstein am Fuße des Schlossbergs eine neue Residenz fand. Die Hauptstadt der Steiermark zählte damals etwa 50 000 Einwohner und nahm in der Hierarchie der österreichischen Städte eine Mittelstellung ein. In erster Linie war es ein Verwaltungszentrum und beherbergte eine Garnison; eine andere Besonderheit war, dass hier zahlreiche Pensionisten lebten. Karl Ludwig, den der Glanz Wiens noch immer nicht lockte, fühlte sich wohl in Graz. Er schätzte den Charme der vorindustriellen Stadt, wo das Leben ruhig und gemächlich, ohne größere Aufregungen ablief. Hingegen fühlte sich Maria Annunziata eingeengt und wünschte, bald wieder abzureisen. Doch ihre erste Schwangerschaft – neben dem Willen von Erzherzogin Sophie – hielt sie in Graz zurück, wo Franz Ferdinand Karl Ludwig das Licht der Welt erblickte. Die Wahl seiner Vornamen hatte, wie immer bei den Habsburgern, politische Bedeutung. Franz verwies auf Franz I., den Gründer der Dynastie Habsburg-Lothringen; Ferdinand erinnerte an die Kaiser des 16. und 17. Jahrhunderts, die großen Verteidiger der Gegenreformation, doch wollte Maria Annunziata damit auch ihren 38

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Vater ehren; den Vornamen Karl trugen mehrere Monarchen der Familie, angefangen mit Karl V.; treffenderweise war es auch der Vorname des Vaters des Neugeborenen, eine Absicht, die noch durch den letzten Vornamen Ludwig unterstrichen wurde. Eine neuerliche Schwangerschaft versetzte die Familie in Aufregung. Die Ärzte machten sich Sorgen über die Folgen für die Gesundheit der jungen Mutter. Würde sie den mit ihrem Zustand verbundenen Strapazen gewachsen sein? Eine Abreise nach Wien wurde strikt ausgeschlossen, stattdessen der Aufenthalt an einem Ort im Süden der Monarchie empfohlen. Maria Annunziata fasste diese Möglichkeit nicht einmal ins Auge. Der kleine Otto, den sie 1865 zur Welt brachte, war bei seiner Geburt ebenso schwächlich wie Franz Ferdinand. Aber wie sein älterer Bruder überstand auch er die schwierige Zeit und kam zu Kräften. Maria Annunziata wollte nun alles auf eine Karte setzen. Nach den Opfern, die sie gebracht hatte, war sie entschlossener denn je, sich in Wien niederzulassen. Karl Ludwig gab dem Wunsch seiner Frau nach, der einmal mehr stärker als der seine war, fürchtete allerdings die Reaktion seiner Mutter. Entgegen allen Erwartungen ließ sich Erzherzogin Sophie umstimmen. Als sie ihre Schwiegertochter sah, deren Züge schon vom Tod gezeichnet waren, fand sie nicht die Kraft, sich ihrem Wunsch zu verweigern. Als neuen Wohnsitz erwarb das Ehepaar ein Palais in der Favoritenstraße. Als Maria Annunziata ihr Ziel erreicht hatte, schien sie wieder zu Kräften zu kommen. Man konnte glauben, dass ihr die Luft in Wien seltsamerweise guttat, doch die Krankheit war nicht ausgeheilt. Aus Angst vor Ansteckung war es den Kindern (1868 wurde der dritte Sohn Ferdinand Karl geboren) verboten, sich ihrer Mutter zu nähern. Eine illusorische Vorsichtsmaßnahme, da die Ansteckung auf genetischem Weg erfolgt, was die schweren gesundheitlichen Probleme erklärt, mit denen Franz Ferdinand später kämpfen musste. Dieses Fehlen des Kontakts sollte bei dem Kind eine Gefühlsleere hinterlassen, die nur die warmherzige Gegenwart von Maria Theresia, der dritten Ehefrau seines Vaters, füllen konnte. Die beobachtete Besserung der Gesundheit von Maria Annunziata war nur ein trügerisches Aufbäumen, ein letztes Aufflackern des Feuers, das den fatalen Ausgang verzögerte. Die arme Erzherzogin verschied am 4. Mai 1871, als Franz Ferdinand gerade in seinem achten Lebensjahr stand. 39

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ERZIEHUNG Noch war die Zeit nicht gekommen, die jungen Erzherzöge in Erziehungseinrichtungen zu schicken, in denen sie Kontakt mit Kindern aus anderen Kreisen haben würden. Treu der Tradition, übertrug Karl Ludwig die Erziehung von Franz Ferdinand Hauslehrern. Sie wurden aus den Reihen der Offiziere gewählt, darunter Hauptmann Johann von Wittek. Eine Generation zuvor war er bereits Hauslehrer von Karl Ludwig gewesen und zählte seit damals zu dessen engster Umgebung. Er wurde regel­mäßig eingeladen, einige Wochen in einer der Residenzen seines ehemaligen Schülers zu verbringen. Für die Leitung der Studien wählte Karl Ludwig Oberst Ferdinand Graf Degenfeld, der Franz Ferdinand in dieser Funktion bis zum Ende seiner Schulpflicht begleitete. Neben dieser ohnedies bereits großen Verantwortung sollte Degenfeld schon bald auch das letzte Wort bei der Erziehung der beiden jüngeren Brüder haben. Karl Ludwig beschränkte sich allerdings nicht auf die Auswahl der Hauslehrer. Nachdem er an der Aus­ arbeitung des Lehrplans mitgearbeitet hatte, verfolgte er die Umsetzung aus der Nähe und führte seine Söhne auch in die Kunstgeschichte, sein Lieblingsgebiet, ein. Der Lehrplan war, gelinde gesagt, überaus voll. Er umfasste nicht weniger als 15 Fächer, und das allein in der ersten Phase (Religion, Schreiben, Rechnen, Deutsch, Latein, Französisch, Ungarisch,Tschechisch, Geschichte, Geografie, Fechten, Reiten,Tanz,Turnen, Schwim­men). Große Bedeutung hatte der Sprachunterricht: Französisch, die Sprache der Diplomatie und der feinen europäischen Gesellschaft, sowie Ungarisch und Tschechisch, zwei Sprachen der Monarchie. Polnisch und Serbokroatisch waren nicht vorgesehen, wohl bedingt durch das enorme Lernpensum, das dem Knaben vorgeschrieben wurde. Vielleicht ist auch eine Hierarchisierung der Nationalitäten der Monarchie herauszulesen. Ein weiteres Charakteristikum des Programms war, dass es bestimmte Fächer umfasste, vor allem Fechten, Reiten und Tanz, die für einen jungen Aristokraten unerlässlich waren. Als wäre das Boot nicht schon beladen genug, kamen in einer späteren Phase weitere Fächer hinzu: Englisch, Mathematik, Einführung in Recht und Militärkunst. Angesichts einer derartigen Liste war die Gefahr groß, dass Franz Ferdinand, mangels übermäßiger Begabung, der Kopf schwirrte. Der Kna40

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be musste ein ermüdendes Tagespensum absolvieren. Nach der Messe um 7 Uhr morgens nahm ihn der Arbeitstag bis 20 Uhr in Anspruch. Auch wenn es Pausen gab, wäre ein solcher Rhythmus für jedes, sogar ein robustes Kind schwer zu verkraften. Für Franz Ferdinand, der gesundheitlich schwach blieb, muss er mehr als anstrengend gewesen sein. Es ist daher nicht weiter erstaunlich, dass er sich nicht für das Lernen begeisterte und ein zerstreuter Schüler war. Mit umso größerer Ungeduld erwartete er die Ferien, die regelmäßig in der Villa Wartholz am Fuß der Rax verbracht wurden, die Karl Ludwig bei Heinrich von Ferstel, einem der gefragtesten Architekten Wiens, in Auftrag gegeben hatte. Vom Zwang befreit, konnte Franz Ferdinand dort eine andere Luft atmen und sich den Freuden des Spiels hingeben. Etwas anderes beschäftigte und störte Franz Ferdinand in diesen Jahren noch mehr. Er glaubte in der Behandlung sowohl durch seinen Vater als auch durch seine Hauslehrer einen Unterschied zwischen ihm und seinem jüngeren Bruder Otto zu bemerken. Wurde er wegen mangelnden Arbeitseifers gerügt, gab es keinerlei Schelte für Otto. Und doch fehlte es nicht an Gründen, seinen jüngeren Bruder zu tadeln. Zahllos waren die Streiche, die oft einen Lehrer zur Zielscheibe hatten. Mehr noch, statt ihn zu bestrafen, schienen sie sich darüber zu amüsieren. Verletzt, weil er dies als Ungerechtigkeit ansah, zog sich Franz Ferdinand in sich zurück und gab sich Gefühlen hin, die zwischen Misstrauen und Eifersucht schwankten. Diese unglückliche Erfahrung enthüllte einen Zug seiner Persönlichkeit, der sich im Erwachsenenalter bestätigen und sogar noch verstärken sollte. Franz Ferdinand war knapp zehn Jahre alt, als sein Vater in dritter Ehe Maria Theresia von Braganza heiratete, eine Wahl, die einmal mehr von der unvermeidlichen Erzherzogin Sophie diktiert wurde. Für den Knaben war das ein entscheidender Augenblick. Ihn trennten von seiner Stiefmutter lediglich acht Jahre, und sie sollte bei ihm die Rolle einer großen Schwester spielen, was ihr nicht neu war. Als Tochter des ehemaligen Königs Michael von Portugal, der nach seinem erzwungenen Exil in Bayern Zuflucht gefunden hatte, kümmerte sie sich nach dem Tod ihres Vaters um ihre Geschwister, um ihre Mutter bei der Erfüllung eines Teils der häuslichen Pflichten zu entlasten. Nachdem sie zu ihrer neuen Familie gekommen war, dauerte es nicht lange, bis Maria Theresia bemerkte, wie niedergeschlagen 41

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Franz Ferdinand war, und sie erkannte auch den Grund dafür. Sie konnte ihren Ehemann überzeugen, wie dringend notwendig es war, sich von einigen Hauslehrern zu trennen, denen es – bei allem guten Willen – an jeglicher pädagogischen Eignung mangelte und die es darüber hinaus nicht verstanden, eine positive Beziehung zu ihrem Schüler aufzubauen. Diese Episode sollte dauerhafte Folgen haben. Zum ersten Mal fühlte sich Franz Ferdinand von echter Zuneigung umgeben. Er fand in Maria Theresia die Mutter, die Maria Annunziata für ihn nicht hatte sein können. Er konnte in Hinkunft auf ihre Unterstützung zählen, und sie sollte bei allen Prüfungen, die das Leben für ihn bereithielt, an seiner Seite sein. Maria Theresia intervenierte bereits bei der Auswahl der neuen Lehrer und dürfte dabei eine glückliche Hand gehabt haben. Mehrere von ihnen unterhielten noch nach Abschluss der Ausbildungszeit eine enge Verbindung zu ihrem ehemaligen Schüler und zählten sogar, wenn auch mit unterschiedlichem Schicksal, zu seinem engeren Kreis. Der Historiograf des Hauses Hannover, Onno Klopp, folgte seinem Herrn, König Georg V., als dieser in Österreich Zuflucht fand. Er war nach Königgrätz aus seinem Königreich vertrieben worden, das nach dem Willen Bismarcks von der Landkarte gelöscht wurde. Als Verfechter der großdeutschen Lösung vor 1866 nahm Klopp den Kampf von seiner neuen Heimat aus erneut auf und schlug sich nach dem Vorbild von Constantin Frantz in das Lager der Verächter des Bismarck’schen Reiches. Die Konversion zum Katholizismus war ein weiterer Grund für ihn, Preußen und dessen Kanzler für den Kulturkampf zu geißeln. Als Graf Degenfeld im September 1875 mit dem Vorschlag an ihn herantrat, den Sohn von Erzherzog Karl Ludwig in Geschichte zu unterrichten, lehnte er zunächst ab. Mit dem Einwand, die Aufgaben, die ihm sein Herr bereits übertragen hatte, ließen ihm keine Zeit dafür. Damit war das letzte Wort aber noch nicht gesprochen, obwohl die Ablehnung zunächst auch die Billigung des Königs fand. Karl Ludwig kam noch einmal darauf zurück, wandte sich diesmal jedoch direkt an Georg V. Er verstand es offensichtlich, Argumente zu finden, die den alten König veranlassten, seine Position zu überdenken: „Euer Majestät ermessen es wohl, wie wichtig es mir erscheinen muß, daß meine Kinder einen geeigneten, unverfälschten, unparteiischen Geschichtsunterricht erlangen; ich halte diesen für den wichtigsten Lehr42

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zweig in der Erziehung; derselbe ist entschieden maßgebend für die Zukunft eines Menschen, besonders in der Stellung eines Prinzen, und soll ihm eine stete Stütze sein in vielen seiner Handlungen.“3

Der König griff diese Argumente in seinem Brief auf, mit dem er Onno Klopp ermächtigte, den Unterricht zu übernehmen. Da er nie vergaß, dass auch er ein Opfer von Bismarcks Zorn war, konnte er ermessen, wie wichtig es war, die jungen Prinzen in einem antipreußischen Sinne zu erziehen: „... ferner weil es erfreulich und noch mehr wichtig ist, daß namentlich in einer Zeit wie die unsrige, wo durch preußischen Einfluss alles Recht mit Füßen getreten und die Geschichte absichtlich verdreht wird, endlich einmal ein Paar Prinzen des österreichischen Kaiserhauses die wahren Rechtsbegriffe erhalten, und ihnen in ungetrübter Wahrheit gelehrt wird.“4

Onno Klopp blieb mehr als sechs Jahre in Franz Ferdinands Nähe. Sein Dienst beschränkte sich zwar auf zwei Stunden pro Woche, reichte aber aus, um die Sichtweise seines Schülers auf die Geschichte zu prägen. Nicht weiter erstaunlich, vertrat Klopp das genaue Gegenteil der deutschen historischen Schule, die von Heinrich von Sybel, dem Verfasser von Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I., und Heinrich Treitschke, Professor an der Universität Berlin, angeführt wurde und das Postulat aufstellte, Preußen sei zur Vormachtstellung in Deutschland berufen: „Die jetzigen preußischen Geschichtsschreiber machen es sich zur Aufgabe, nachzuweisen, daß Österreich gegen Deutschland gefrevelt und Preußen als rettende Macht aufgetreten – daß die jetzige Stellung Preußens eine geschichtliche Notwendigkeit sei.“5

Zur Untermauerung dieser These wurde der Faktor der Religion herangezogen. Der Konflikt zwischen Preußen und Österreich wurde als neue Episode im Kampf zwischen Protestantismus und Katholizismus interpretiert. So dargestellt, konnte diese Auseinandersetzung gar keinen anderen Ausgang haben als den Sieg Preußens, der protestantischen und daher fortschrittlichen Macht, über Österreich, den Bannerträger einer als fortschrittsfeindlich dekretierten Religion. Onno Klopp vermittelte seinem jungen Schüler eine gänzlich gegenteilige Lesart der Geschichte, indem er Österreich mit dem Guten und Preußen mit dem Bösen identifizierte. Er 43

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pries vor seinem Schüler die Sendung Österreichs, die vom wahren Glauben bestimmt war, rühmte seine Herrscher, die es bis zur ultima ratio gegen die protestantische Häresie verteidigt hätten. Kein Zweifel, dass dieser sehr ambitionierte Unterricht Franz Ferdinand tief geprägt hat. Er bewahrte sich eine heftige Abneigung gegenüber Preußen und sollte daraus seine Argumente schöpfen, um die Glut seines Katholizismus weiter anzuheizen. Franz Ferdinand ließ auch keine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen, welche Dankbarkeit er seinem alten Lehrer schuldete, wovon ein Brief Zeugnis ablegt, den er ihm am 7. Mai 1901 schrieb: „Sie waren es doch, Herr Hofrat, der Sie mir in meiner Jugend durch Ihren vorzüglichen Geschichtsunterricht die patriotischen Gefühle eingeimpft haben, an denen ich seit dieser Zeit stets festhalte und festhalten werde. Sie haben mich immer für die Traditionen meines Hauses begeistert und, was auch kommen mag, was für Stürme auch heranbrausen mögen, ich will meinen Vorbildern getreu bleiben und nicht wanken in dem, was ich für das Gute und das Richtige halte.“

Ein Brief, den er mit „Ihr alter Schüler Erzherzog Franz“6 unterzeichnete. Wie ernst auch immer dieses Lob gemeint war: Franz Ferdinands Begegnungen mit Onno Klopp blieben sporadisch und wurden nach Beendigung der Studienzeit immer seltener. Ganz anders war es mit Godfried Marschall, der mit dem Religionsunterricht betraut war, wobei dieses Fach später um die Philosophie erweitert wurde. Marschall betonte einen anderen Aspekt des Katholizismus. Wo Onno Klopp eine kompromisslose Linie vertrat, zeigte er sich offen, um nicht zu sagen liberal. Leutselig und lebenslustig, gewann er Sympathien in Kreisen, die weit über jene der praktizierenden Katholiken hinausgingen. Sein Aufstieg unterstreicht seine Beziehungen zum Hof. 1880 wurde Marschall Propst der Votivkirche, deren Verbindung zur kaiserlichen Familie offenkundig war: Sie wurde zum Dank für das Scheitern des 1853 vom Ungarn János Libényi auf Franz Joseph verübten Attentats errichtet. 1901 wurde Marschall zum Weihbischof von Wien ernannt – eine Position, die ihn auf die Übernahme des erzbischöflichen Stuhles zum gegebenen Zeitpunkt vorzubereiten schien. Er würde zweifellos breite Zustimmung finden. Franz Ferdinand knüpfte freundschaftliche 44

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Beziehungen zum Prälaten, die auch nach Ende seiner Ausbildung weiter bestanden. Monsignore Marschall gehörte zur engeren Umgebung Franz Ferdinands, nachdem dessen Stellung sich geändert hatte, und er war einer jener Berater, die am meisten Gehör fanden. Max Wladimir von Beck stieß erst 1882 zur Gruppe der Lehrer, da die Einführung in das Rechtswesen am Ende der Ausbildung stand. Es handelte sich um ein intensives Programm, allein von seinem Umfang mit elf Stunden pro Woche. Nicht sicher ist, ob Franz Ferdinand sehr aufnahmefähig für diesen neuen Gegenstand war. Jedenfalls zeigte er nicht dasselbe Interesse wie für die Geschichte. In Erinnerung an die erste Phase der Beziehung von Franz Ferdinand zu seinem neuen Lehrer glaubt Johann Christoph Allmayer-Beck diese „eine kleine, unbedeutende Episode“7 nennen zu können. Wäre es dabei geblieben, wäre darüber heute wahrscheinlich auch nichts mehr zu sagen. In diese Jahre fällt ein Ereignis, dessen wahre Tragweite abzuschätzen Franz Ferdinand allerdings zu jung war. Der im November 1875 verstorbene letzte regierende Herzog von Modena, Franz V., hatte seinen entfernten Neffen, den jungen Erzherzog, zum Universalerben eingesetzt. Wie sein Verwandter in Florenz aus der anderen Nebenlinie der Habsburger, die über Besitzungen in Mittelitalien verfügte, war Franz 1859 im Sog der großen Bewegung, die Italien damals erfasst hatte, gestürzt worden. Der Frieden von Zürich hatte ihn zwar offiziell wieder in seine Rechte eingesetzt, der Vertrag blieb aber ohne jede Konsequenz, weshalb er in Österreich Zuflucht suchte. Da er mit seiner Frau Maria Beatrice d’Este keine Kinder hatte, würde die Nebenlinie der Habsburg-Modena mit ihm erlöschen. Zwei Bedingungen waren mit der Erbschaft verknüpft. Erstens würde eine Million Gulden davon abgezogen, die der Herzogin zufallen sollten. Zweitens sollte Franz Ferdinand seinem Namen das Prädikat „d’Este“ hinzu­ fügen und sich Franz Ferdinand von Österreich-Este nennen. Das Erbe war enorm, mit mehreren Palais in Wien, Mantua und Venedig, der Villa d’Este in Tivoli, dem Teatro Verdi in Modena sowie den Gütern Catajo nahe von Modena und Chlumetz in Böhmen. Dieses Vermögen an Immobilien und Gütern wurde durch verschiedene finanzielle Anlagen ergänzt, deren Wert auf etwa acht Millionen Gulden geschätzt wurde, was einer Rendite von mehreren Hunderttausend Gulden pro Jahr ent45

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sprach. Die Liste wäre unvollständig, erwähnte man nicht die gut bestückten Kunst- und Waffensammlungen des Herzogs von Modena. Karl Ludwig hielt es nicht für notwendig, seinen Sohn über den Umfang des Erbes zu informieren, und teilte ihm lediglich die Namensänderung mit. Bis zur Großjährigkeit von Franz Ferdinand fiel ihm als Vater die Verwaltung eines der größten Vermögen der Monarchie zu. Im Augenblick ging es darum, die Einsprüche zurückzuweisen, die das Testament des letzten Herzogs von Modena hervorgerufen hatte. Franz Ferdinand schloss die Ausbildung Ende 1883 ab. Einige Wochen, bevor ihre Wege sich trennten, griff Graf Degenfeld zur Feder, um seiner Hoffnung Ausdruck zu geben, diese Jahre mögen den Schüler auf seine zukünftigen Verantwortungen vorbereitet haben: „Wenige Monate noch und wir scheiden von einander, Sie mit dem fröhlichen Bewußtsein, die Ketten der Erziehungs- und Studienperiode abzuschütteln, ich mit der Hoffnung, daß die Zeit, die ich an Ihrer Seite mitgebracht, Ihnen für Ihr künftiges Wirken gute Früchte tragen möge. Wenn diese Hoffnung sich erfüllt, wenn ich sehe, daß Sie Ihrer Stellung gerecht werden, daß man Ihnen nicht nur die äußeren Ehren, die Ihrem Rang gebühren, sondern daß die ernsten, treuen und soliden Elemente im Reiche Sie achten und schätzen um Ihrer Leistungen, Ihrer Pflichtreue, Ihren Grundsätzen willen, so werde ich mich reichlich belohnt fühlen für die Jahre, die ich Ihnen gewidmet habe. Gott schütze und erhalte Sie.“8

Der sehr ehrerbietige Ton dieses Briefes, geprägt vom Pflichtbewusstsein, das den Verfasser in all den Jahren angespornt hatte, stimmt mit dem Bild überein, das Onno Klopp von ihm zeichnet. Er beschrieb ihn „als einen Mann, der mit ganzer Seele seinem Beruf als Erzieher lebte, gewissenhaft, fest, folgerecht in seinem Verhalten gegen seinen hohen Zögling, auf­ opfernd für ihn, geradezu als ein Muster eines Kavaliers in einer solchen Lebensstellung“9. Bleibt die grundsätzliche Frage: Wurde das angestrebte Ziel erreicht? Das für Franz Ferdinand zusammengestellte Studienprogramm war ehrgeizig, vielleicht sogar zu ehrgeizig, was von Nachteil sein konnte. In der Praxis war es von Beginn an durch die Wahl der Lehrer gefährdet, die zwar sicherlich gute Absichten hegten, denen es aber an pädagogischen Grund46

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voraussetzungen mangelte. Als neue Persönlichkeiten hinzukamen, diesmal hervorragende Fachleute in ihren jeweiligen Spezialgebieten, besserte sich die Situation. Franz Ferdinand interessierte sich tatsächlich für mehrere dieser Unterrichtsfächer, wie die Beziehungen beweisen, die er zu einigen seiner Lehrer weiterhin pflegte. Die Bilanz fällt dennoch zwiespältig aus. Mit einigen Ausnahmen war Franz Ferdinand weder ein interessierter noch ein neugieriger Schüler. Es steckt wohl ein Gutteil Rhetorik in dem Abschnitt des Briefes, in dem Graf Degenfeld sich überzeugt zeigt, welche Freude der junge Erzherzog empfinden werde, „die Ketten der Erziehungs- und Studienperiode abzuschütteln“. Für diesen war es tatsächlich eine Befreiung. Sprach er nicht vom Ende „einer Sklaverei“? Die Grenzen der Ausbildung sollten sich klar abzeichnen, als sich Franz Ferdinands Position änderte.Vielleicht war das nicht schlimm für einen einfachen Erzherzog, grundlegend anders für einen Thronerben. Seine Kenntnisse in den für einen zukünftigen Monarchen wesentlichen Bereichen, die bislang allzu lückenhaft waren, mussten mit Nachdruck erweitert werden. Zur Stunde bereitete sich Franz Ferdinand voller Freude über seine neu gewonnene Freiheit auf eine militärische Karriere vor.

DIE ERSTE ZEIT IN DER ARMEE Mit fünfzehn Jahren war Franz Ferdinand der Grad eines Leutnants verliehen worden, zunächst natürlich ehrenhalber, was die Verbindung der Habsburger zum Militär unterstrich. Ursprünglich war vorgesehen, ihn sofort zum Oberst zu befördern. War sein Cousin Rudolf nicht schon in der Wiege zum Oberst und Inhaber eines Regiments ernannt worden? Karl Ludwig, der für Franz Ferdinand die Wahl einer militärischen Karriere getroffen hatte, stellte einmal mehr seine Bescheidenheit unter Beweis und intervenierte bei Franz Joseph: Sein Sohn sollte mit dem ersten Grad des Offizierscorps beginnen. Franz Ferdinand setzte sich nicht lange mit dieser Frage auseinander, er war ganz erfreut über die Beförderung. Auch wenn er keine militärische Erfahrung hatte, sagte ihm sein schon damals glühender Patriotismus, noch verstärkt durch die Lektionen von Onno Klopp, dass es keine edlere Beschäftigung für Prinzen aus dem Kaiserhaus geben konnte, als die Uniform zu tragen. Wenn man um die Folgen weiß, lag in 47

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seiner späteren Versetzung zu einem in Budapest stationierten Regiment eine gewisse Ironie. Noch empfand er allerdings nicht jene Feindseligkeit gegenüber Ungarn und den Ungarn, wie wir sie von später kennen. Er konnte diesen großen Augenblick also ohne Vorbehalte genießen. Wie vorgesehen, trat Franz Ferdinand nach dem Ende seiner Studienzeit in die Armee ein. Er wurde mit dem Grad eines Leutnants dem in Enns stationierten 2. Linienregiment zugeteilt. Das erlaubte ihm, den Jagdeinladungen Rudolfs nachzukommen. Die Cousins dürften einander damals sehr nahe gestanden sein. Rudolf spielte sogar den älteren Bruder und gab dem Jüngeren Ratschläge, so etwa anlässlich des zwanzigsten Geburtstags von Franz Ferdinand: „Genieße dein Leben in vollen Zügen, doch immer mit Maß und Verstand. Erhalte dir deine gute Gesundheit und vergesse nicht, daß eine lustige Jugend nur die Vorbereitung ist für das wahre glückliche Leben.“10

Sehr weise Ratschläge, aber ob Rudolf der Geeignetste war, sie zu erteilen? Auch wenn er sein Leben sicher „in vollen Zügen“ genoss, tat er das sicherlich nicht mit dem „Maß“, das er seinem Cousin empfahl. Die häufigen Ausflüge schienen höheren Orts nicht unbemerkt geblieben zu sein, zumindest wenn man zwei Briefen Rudolfs vom November 1884 glauben darf. Er warnte Franz Ferdinand darin vor möglichen Sanktionen, sollte er seine Besuche in Wien nicht in etwas größeren Abständen machen. Würde er mehr Zeit dazwischen vergehen lassen, käme alles wieder in Ordnung. Franz Joseph wäre nur zu glücklich, nicht gegen seinen jungen Neffen durchgreifen zu müssen. Hingegen riet Rudolf seinem Cousin, sich vor dem alten Erzherzog Albrecht zu hüten, dem Sieger von Custozza – der einzige Sieg, den die kaiserliche Armee 1866 errungen hatte. Franz Joseph vertraute ihm, hatte er ihn doch zum Generalinspekteur der k. u. k. Armee ernannt, und in dieser Position konnte Erzherzog Albrecht eine Karriere blockieren oder zumindest verlangsamen, sollte ein Offizier sein Missfallen erregen.Vonseiten Rudolfs erstaunt diese Kritik an seinem Onkel Albrecht nicht. Der Bruch zwischen den beiden hatte sich vollzogen, als der alte General als Hüter traditioneller Werte den Thronerben vor fortschrittlichen Ideen warnte. Wenn man ihm Glauben schenken wollte, liefen sie dem Geist und den Interessen der Monarchie zuwider. 48

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Rudolf fühlte sich angegriffen und ließ sich – statt einer Antwort – mit giftigen Worten über seinen Onkel aus: Neben anderen Freundlichkeiten bezeichnete er ihn als bigott, reaktionär und alles in allem senil. Seine Briefe an Franz Ferdinand spiegelten diese Ansicht wider: „Was den Onkel Albrecht betrifft, so kannst Du ihm nur damit unangenehm sein, wenn Du ihm keine Gelegenheit giebst aufzutreten; denn er hat Freude am Schimpfen, Auszanken, am Intriguiren; denn er ist bös. Wenn er einen Fehler oder eine Blöße an einem Anderen entdeckt, ist das für ihn eine Wonne (…) Wenn man die Ehre hat in seiner Nähe weilen zu dürfen, muß man an nichts anderes denken und nur dasitzen in bewundernder Erstarrung, wie die Erzengel um den lieben Gott.“11

Franz Ferdinand befolgte den Rat zur Vorsicht, und die Angelegenheit beruhigte sich, zumindest vorläufig. Er musste in der Tat erkennen, dass Erzherzog Albrecht ein Auge auf ihn geworfen hatte. Nach diesem Alarmzeichen unterwarf er sich körperlichen Übungen, um seinen Körper abzuhärten und mögliche Kritiker oder Verleumder zum Schweigen zu bringen. Fest steht jedenfalls, dass ihm dies nicht guttat. Weit davon entfernt, das gewünschte Ergebnis zu erzielen, verschlechterte sich seine immer noch schwächelnde Gesundheit so sehr, dass er im darauffolgenden Februar Franz Joseph um Urlaub ersuchen musste. Er reiste nach Ägypten, von wo aus er Ausflüge in die Region unternahm. Er besuchte Palästina und die heiligen Stätten und stieß bis Damaskus vor. Auf dem Rückweg beendete er seinen Genesungsurlaub in Meran. Erzherzog Albrecht sparte nicht mit Ratschlägen, die oft einem Tadel an seinem Neffen gleichkamen, dessen Verhalten ihn offenkundig beunruhigte. Es geht noch an, wenn er ihn aufforderte, sich zu schonen, wie in dem Brief vom 10. Februar 1887: „Schone Dich aber auch; Du bist in den Jahren, wo man es am meisten bedarf, wenn man, wie Du, zwar zäh, aber aufgeschlossen und Halsleiden ausgesetzt ist.“ Doch zur Kritik fehlt nicht viel. Franz Ferdinand musste Tiraden über sich ergehen lassen, in denen der Onkel ihm einfach eine Lektion erteilte. Es sei nichts dagegen einzuwenden, wenn ein junger Mann sein Leben genießen wolle, räumte Albrecht ein, um gleich hinzuzufügen: „Er soll aber nicht vergnügungssüchtig seyn, d. h., das Vergnügen über die Pflichterfüllung im weitesten Sinn des Wortes zu setzen.“ 49

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Damit nicht genug, brachte er die Jagdleidenschaft seines jungen Neffen zur Sprache: „Die Jagd darf nie Leidenschaft werden; sie muß nur erlaubtes Vergnügen ohne Schädigung jedweder Pflichterfüllung bleiben.“ Diese Bemerkung war offensichtlich nicht nur sachlich gemeint. Wie sollte sich Franz Ferdinand da nicht persönlich angegriffen fühlen? Der alte Erzherzog konnte dessen Leidenschaft für die Jagd nicht einfach übergehen. Die Streifzüge mit Rudolf waren ihm natürlich nicht verborgen geblieben, das schürte sein Misstrauen. Der Schluss der Predigt lässt aufhorchen. Zwei Jahre vor Mayerling schien Albrecht die Möglichkeit nicht auszuschließen, das Schicksal könnte Franz Ferdinand zu Höherem berufen. Ein Grund mehr, von ihm zu erwarten, dass er sein Benehmen den Anforderungen der Würde anpasste, denen jeder Erzherzog sich zu unterwerfen hatte: „Wir sprachen im Dezember v j. von den Pflichten, die Dir schon Deine heutige Stellung auferlegt, von den viel schwereren, die möglicherweise Gott Dir einst auferlegen wird. Mit dieser entfernten Möglichkeit rechnen schon heute die Menschen, u. beurtheilen Dich nur umso schärfer, und haben auch ein Recht dazu.“12

Die wiederholten Moralpredigten gingen Franz Ferdinand vermutlich extrem auf die Nerven, obwohl er sich wohl hütete, seiner Verärgerung öffentlich Luft zu machen. Doch er ließ sie in einem Brief vom Februar 1888 an Rudolf durchblicken, wohl wissend, dieser würde ihm Gehör schenken. Nachdem er mitgeteilt hatte, dass er im Unterschied zu den Erzherzögen Leopold Salvator und Karl Salvator nicht am Hofball in Budapest teilnehmen werde, fuhr er fort: „... gehe ich heuer, wie Du weißt, auf gar keine Bälle, damit kein Grund gegeben sey, daß man sagen kann, ich sey zu viel weg.“ Dann wird der Ton bissiger: „Wenn wir uns (sein Bruder Otto und er – Anm. d.Verf.) auf einigen Jagden zeigen oder ein Paar lumpige Bälle mitmachen, so ist gleich in ganz Wien in sämtlichen Hof- und Militärkreisen ein Schrei der Entrüstung, daß wir uns zuviel aus dem Dienste entziehen.“13

Im Oktober 1888 wird Franz Ferdinand mit dem Rang eines Majors dem 102. Infanterieregiment „Freiherr von Carry“ zugeteilt. Erneut kreuzte Erzherzog Albrecht seinen Weg. In der Tat unternahm Franz Ferdinand al50

Die erste Zeit in der Armee

les, um wieder an den Pranger gestellt zu werden. Er hatte nichts Besseres zu tun, als um einen viermonatigen Urlaub anzusuchen, bevor er nach Prag ging, wo sein Regiment stationiert war. Dieses Ansinnen erzürnte Albrecht, der darin eine Bestätigung mehr für Franz Ferdinands Ungeniertheit sah. Was konnte man einem Offizier zugutehalten, der einen solchen Mangel an Pflichtbewusstsein an den Tag legte: „Was soll das Rgt denken, daß sein neuer Stabsoffizier, dem zu Ehren ein altgedienter Stabsoffizier sein Baon abgeben mußte, so wenig Interesse zeigt, das er 2 Monate über die gesetzliche Zeit hinaus zögert, das neue Rgt kennen zu lernen! Und warum? Um sich zu unterhalten! Die Leute werden auch sagen, wenn Du zu Dreikönig in Prag eintriffst, daß Du hinkommst zu tanzen. Damit hättest Du für Jahre hinaus Dein Renomé in der Armee geschädigt, denn niemand wird glauben, daß Du eifrig dienen, wirklich Soldat seyn willst.“14

Wie Rudolf einige Jahre zuvor, richtete sich Franz Ferdinand am Hradschin ein, der königlichen Burg in Prag. Die Entscheidung zeigt – wenn es daran je Zweifel gegeben haben sollte –, dass er kein Offizier wie alle anderen war. Seine neue Umgebung war ihm nicht vertraut, er brauchte einige Zeit, um sich einzugewöhnen. Erleichternd war, dass er nicht oft nach Wien fahren konnte. Obwohl es ihm in Prag gefiel, bemühte er sich nicht um Kontakte zur tschechischen Gesellschaft. Auch sah er keine Notwendigkeit, seine Kenntnisse des Tschechischen über das für eine Kommunikation mit den Soldaten seines hauptsächlich aus Tschechen bestehenden Regiments absolute Minimum hinaus zu erweitern. Im Unterschied zu Rudolf hatte Franz Ferdinand vielleicht keine Sprachbegabung, vor allem aber wollte er sich dieser Mühsal nicht unterziehen. Franz Ferdinand hatte sich noch kaum in Prag eingerichtet, als die Nachricht vom Tod Rudolfs wie eine Bombe einschlug. Die beiden Cousins hatten lange Zeit eine enge Beziehung, noch gefördert durch ihre gemeinsame Leidenschaft für die Jagd. Gelegentlich nahm der Ältere den Jüngeren unter seine Fittiche. Hatte sich die Beziehung in der Zwischenzeit gelockert? Rudolfs fortschrittliche Ideen und sein notorisches Freidenkertum entsetzten Franz Ferdinand, der bereits deutlich konservativere Ansichten vertrat. Der Tod Rudolfs war dennoch ein Schock. Noch ohne alle 51

Lehrjahre

Folgen abschätzen zu können, veränderte dieses völlig unerwartete Ereignis sein Leben vollkommen und gab ihm eine Richtung, die nicht vorauszuahnen war. Er hatte nie auch nur mit dem Gedanken gespielt, Thronfolger der Monarchie zu werden. Und die Anspielungen in Erzherzog Albrechts Worten waren ihm vermutlich entgangen. Franz Ferdinand war nicht darauf vorbereitet, in diese für ihn völlig neue Persönlichkeit zu schlüpfen.Wäre nicht das Beispiel Rudolfs gewesen, man wäre geneigt zu sagen, sein Benehmen entsprach nicht immer dem eines Thronfolgers. Die von Erzherzog Albrecht an seinem jungen Neffen geäußerte Kritik ist vielleicht etwas überzogen, doch trifft sie einen wunden Punkt.Wie stolz auch immer Franz Ferdinand war, die Uniform der k. u. k. Armee zu tragen, erfüllte er seine Verpflichtungen nur allzu oft mehr als nachlässig. Er benahm sich im Grunde genommen wie viele Erzherzöge seines Alters. Schon die Ausbildung Franz Ferdinands hatte einige Lücken aufgezeigt, für die zum Teil sein mangelndes Interesse verantwortlich war. Im Vergleich zu Rudolfs Ausbildung fiel die Bilanz eindeutig weniger positiv aus. Und auch sein Lebenswandel bot eine Zielscheibe für Kritik. Alles in allem sind Zweifel berechtigt, ob Franz Ferdinand moralisch wie intellektuell für die vor ihm liegende Aufgabe gerüstet war. Eine beunruhigende Feststellung. Muss man daraus den Schluss ziehen, dass die Zukunft schwer auf ihm lastete? Stand zu befürchten, dass er nicht über die Fähigkeit verfügte, den Verpflichtungen seiner neuen Stellung gerecht zu werden und eine innere Wandlung zu vollziehen? Die Frage bleibt offen.

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KAPITEL III

Der Thronfolger Nach den Begräbnisfeierlichkeiten für Rudolf kehrte Franz Ferdinand zu seinem Regiment nach Prag zurück. Offensichtlich hatte sich an seiner Stellung nichts geändert, seine neue Position blieb lange Zeit virtuell. Franz Joseph sprach nie darüber. Mehr noch, er machte nicht die kleinste Geste, die darauf hindeutete, dass er ihn anerkannte. Da sich der Kaiser bester Gesundheit erfreute, bestand auch keine Eile, sich mit diesem Problem zu befassen. Im Übrigen war die Nachfolge formell geregelt. Sollte der Kaiser sterben, war sein Bruder Karl Ludwig als Nachfolger auf dem Thron ­designiert. Franz Josephs überaus strikt ausgeprägter Sinn für Legitimität hielt ihn zweifellos auch zurück, diese Regelung zu ändern. Nur wenige aber glaubten an ein solches Szenario. Die politische Erfahrung Karl ­Ludwigs war mehr als begrenzt. Auch hatte er nie ein Geheimnis daraus gemacht, welch geringes Interesse er an den Staatsangelegenheiten hatte. Allgemein war man der Meinung, er würde seinem ältesten Sohn den Vortritt lassen, falls Franz Joseph vor ihm sterben sollte. Für Franz Ferdinand begann eine Zeit der Unsicherheit. Sie lastete schwer auf dem jungen Erzherzog, der schon von seinem Naturell her zu Misstrauen neigte, ja, geradezu einen Verfolgungswahn entwickelte. Kein Zweifel, dass die neuerliche unangenehme Erfahrung diesen Zug noch verstärken sollte.

DIE LEKTIONEN ERZHERZOG ALBRECHTS Was sich nicht änderte, waren die mit Ermahnungen gespickten Lektionen, die Onkel Albrecht seinem Neffen erteilte. Er hegte keinen Zweifel über 53

Der Thronfolger

die Rolle, die Franz Ferdinand in Zukunft zu spielen hatte. Der Ton seiner Briefe wurde darob noch eindringlicher. Albrecht freute sich, dass Franz Ferdinand seinen Dienst mit einer Ernsthaftigkeit ausübte, die er nicht immer an den Tag gelegt hatte, um andererseits umgehend zu bedauern, dass er sich mit dem Minimaleinsatz zufriedengab: „Andererseits wird eben auch bemerkt, daß Du mit Ausnahme des Exercierens, der Absolvierung der geringen Major-Dienstgeschäfte und der Erfüllung der gesellschaftlichen Verpflichtungen nur den Jagdvergnügen, u. zw. womöglich täglich obliegst. Die Leute fangen an, Dir nachzurechnen, daß Dir unmöglich Zeit übrigbleiben kann für andere ernste Beschäftigungen, und zwar nicht für Deinen jetzigen Beruf.“15

Albrecht ließ seinem Unmut erneut freien Lauf, als er darauf zurückkam, dass Franz Ferdinand sich von seinem jüngeren Bruder Otto zu Eskapaden hatte hinreißen lassen, die eines Thronfolgers nicht würdig wären. Das Beispiel des armen Rudolf zeige, wie gefährlich es sei, sich auf diesen Weg einzulassen. Die Zügellosigkeiten seines Privatlebens hätten dem Ansehen der Monarchie schwer geschadet. Nichts wäre bedauerlicher als eine Wiederholung dieser unglücklichen Erfahrung: „Denke nur“, erinnerte er Franz Ferdinand, „wie sehr der arme Rudolph nicht bloß durch seine ­Todesart u. was daran hängt, sondern schon seit Jahren durch seine Lebensart und Ausschweifungen dem monarchischen Principe und dem Ansehen des Kaiserhauses geschadet hat, was vergessen zu machen unser Aller, Deine Aufgabe ist.“16 Statt sich mit Beschäftigungen aufzuhalten, die seinem Ruf schaden könnten, solle sich Franz Ferdinand um seine Ausbildung kümmern, bei der noch einiges brachläge. Dieser Rat bestätigt – wenn das noch notwendig sein sollte –, dass Albrecht sich der neuen Stellung seines Neffen bewusst war, auch wenn man sich höheren Orts nicht dazu äußerte. Für einen zukünftigen Herrscher war ein hoher Kenntnisstand in den Wissensgebieten unerlässlich, auf die nun der Schwerpunkt zu legen war: „Außerdem sind Dir aber noch andere viel wichtigere und schwierigere Pflichten für die Zukunft zugewachsen, welche Dir einst die schwerste Verantwortlichkeit, jene ausschließliche vor Gott und Deinem Gewissen, 54

Die Lektionen Erzherzog Albrechts

aufbürden werden. In Deiner Jugend nicht zum Thronfolger bestimmt, war es natürlich, daß Du nicht jene eindringliche Studien, insbesondere in Staatsrecht, Staatengeschichte, wie vaterländische, u.s.w. gemacht hast, welche für jeden Regenten, am allermeisten aber für einen konstitutionellen unentbehrlich sind, soll er nicht zum blinden Werkzeuge in den Händen Anderer, u.zw. meistens seiner ärgsten Feinde, herabsinken (…) In diesen zwei Richtungen: als höherer Offizier wie als künftiger Regent wirst Du viel Zeit bedürfen, um Dich gewissenhaft vorzubereiten.“17

Dieser Meinung waren auch Franz Ferdinands Eltern. Sie konnten die Grenzen seiner Ausbildung am besten ermessen. Auch wenn ihr Urteil wohlwollender ausfiel, waren auch sie überzeugt, er müsse sein Wissen vervollkommnen, vor allem im Bereich der Staatswissenschaft. Der ­Dualismus verpflichtete, und daher musste der zukünftige Thronfolger in die ungarischen Angelegenheiten eingeführt werden. Abgesehen davon, dass besondere Sorgfalt dem Erlernen mehrerer in der Monarchie gesprochener Sprachen zukommen sollte. Aus den bereits angeführten Gründen drohten die Fortschritte auf diesem Gebiet nicht den angestrebten Zielen zu entsprechen. Zur Fortsetzung seiner Ausbildung kehrte Franz Ferdinand regelmäßig nach Wien zurück. Er bezog das Palais Modena in der Beatrixgasse, das in seinem Besitz stand. Diese Reisen hatten auch ihr Gutes, konnte er doch eine junge Schauspielerin treffen, mit der er eine Liaison begonnen hatte. Und ebendieses völlig harmlose Abenteuer trug ihm scharfe Verweise seines Onkels Albrecht ein. Diese Eskapaden, wenn es überhaupt solche waren, hinderten Franz Ferdinand nicht, Konsequenzen aus der Zäsur in seinem Leben zu ziehen. Er ersuchte Max Wladimir von Beck, den Dienst bei ihm wieder aufzunehmen, um ihn mit der Funktionsweise und der Praxis der Verwaltung vertraut zu machen. Die Unterweisungen fanden üblicherweise in Wien statt, aber es kam auch – in der Sommerzeit – vor, dass Schüler und Lehrer einander in Konopischt (Konopiště) trafen, einem Besitz in Südböhmen, den Franz Ferdinand erworben hatte. Beck zählte damit zum kleinen Kreis der Vertrauten Franz Ferdinands und sollte diesem bis 1906 angehören. Trugen die Lektionen von Erzherzog Albrecht schließlich Früchte? Oder hatte die Logik der Umstände gesiegt? Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. In der Pose des Tempelwächters hatte Onkel Albrecht 55

Der Thronfolger

zweifellos etwas Schwätzerhaftes, das Franz Ferdinand wohl auf die Nerven ging, der außerdem zu gerne flügge werden wollte. Wie konnte er andererseits die Macht der Botschaft ignorieren, die in vielen Punkten ja der Wahrheit entsprach? Auch die Zeit tat das Ihre. Franz Ferdinand wurde die Notwendigkeit bewusst, sich auf eine Position vorzubereiten, die in jedem Falle auf ihn zukam – so unwirklich sie im Moment schien.

ÖDENBURG Als Franz Ferdinand erneut Kontakt mit Beck aufnahm, hatte er Prag bereits verlassen. Kurz zuvor war er an die Spitze des in Ödenburg (Sopron) stationierten Husarenregiments Nr. 9 Graf Nádasdy ernannt worden. Dieses Kommando bot ihm Gelegenheit zu einem ersten Kontakt mit Ungarn. Ödenburg liegt nahe der österreichisch-ungarischen Grenze, aber auf ungarischer Seite, und galt als ungarische Stadt, obwohl die Bevölkerung praktisch gleich viele Österreicher wie Ungarn zählte. Diese Überlegung hatte zweifellos Franz Josephs Entscheidung beeinflusst. Es lag sozusagen in der Logik des dualistischen Systems, dass der Thronfolger sich auch in Ungarn aufhielt. So könnte er die politische Realität und die Menschen des Königreiches kennenlernen, dessen Herrscher er zum gegebenen Zeitpunkt sein würde. Auch war es eine Möglichkeit, zu unterstreichen, welche Bedeutung Ungarn im Habsburgerreich zukam. Doch diese Erfahrung war ein Misserfolg, der schwerwiegende Folgen haben sollte. Franz Ferdinand sah sich einem Offizierscorps gegenüber, das fast ausschließlich aus Ungarn bestand und sich weigerte, mit ihm anders als Ungarisch zu sprechen. Ungarisch war zudem die Sprache im Umgang mit den Truppen, auch wenn diese gemischt waren. Anlass genug für Franz Ferdinand, sich zu bemühen, seine sehr dürftigen Ungarischkenntnisse zu verbessern. Er tat dies auch, doch die Fortschritte blieben mangelhaft. Entgegen einer in der Familie verbreitet verwurzelten Tradition zeigte er weder Begabung noch Interesse für Sprachen. Hinzu kam, dass er sich – vielleicht unbewusst – nicht mit allzu großem Eifer dem Erlernen der Sprache widmete. „Ich […] lerne fleißig“, sollte er noch vier Jahre später Beck anvertrauen, „für meine vielen Sünden die mir so sympathische Sprache der Magyaren, ohne nur den geringsten Fortschritt zu machen.“18 Vielleicht sah er in der Weigerung vor allem einen 56

Ödenburg

Skandal. Diese Praxis stand im Widerspruch zur Regel, die das Deutsche als Umgangssprache in der k. u. k. Armee festlegte, während das Ungarische den Honvéd-Einheiten vorbehalten blieb. Franz Ferdinand machte keinerlei Anstalten, seinen Unmut über diesen schweren Verstoß gegen das 1867 erlassene Prinzip zu verbergen. Er hatte im Grunde ­sicher recht, verfügte aber weder über das Taktgefühl noch die notwendige Diplomatie, um die Spannungen abzubauen. Die Angelegenheit wurde in der ungarischen Presse ausführlich breitgetreten. Man nahm sich kein Blatt vor den Mund und prangerte das Verhalten Franz Ferdinands an. Um eine weitere Zuspitzung der Situation zu vermeiden, hielt es sein ehemaliger Studienleiter Graf Degenfeld für angebracht, einzugreifen und ihn zur Vorsicht zu ermahnen, wobei er einige Ratschläge erteilte, die von großem Hausverstand zeugten. So erinnerte er Franz Ferdinand zunächst daran, dass Österreich vor allem durch den Status eines Vielvölkerstaates charakterisiert war. Daraus zog er den Schluss, dass ein künftiger Herrscher sich nicht mit einem einzigen Volk identifizieren konnte – andernfalls er Gefahr lief, bei seiner Mission zu scheitern. Eine weitere Konsequenz war, dass er auch kein Volk verabscheuen durfte: „Wer nun diesen Staat zu regieren berufen ist, darf nicht vergessen, daß er allen seinen Völkern gleichmäßig angehört, er darf weder ausschließlich noch vorzugsweise Deutscher, noch Tscheche, noch Pole, noch Ungar, noch Croat sein, aber er darf auch keines dieser Völker als Ganzes genommen hassen.“19

Nach dieser zweifellos treffenden, aber allgemeinen Beobachtung kam Degenfeld auf den Fall Ungarn zu sprechen. Hier sei umso mehr Vorsicht geboten, als der Dualismus die Situation verändert hätte. Er „hat der schwarzgelben Fahne einen empfindlichen Schlag versetzt“20. Daher gäbe es im Hinblick auf den Platz, den Ungarn in Hinkunft im Gefüge der Monarchie einnahm, nichts Gefährlicheres, als eine provozierende Haltung einzunehmen und ihm a fortiori ein Gefühl des Hasses entgegenzubringen: „Am allerwenigsten darf die Idee Nahrung erhalten, ein richtiger kaiserlicher Offizier müsse Alles hassen, was ungarisch ist. Erziehen Sie das Regiment zur Kaisertreue, aber lassen Sie den Ungarnhaß weg.“21 57

Der Thronfolger

Diese Argumente dürften auf taube Ohren gestoßen sein. Auch wenn Franz Ferdinand nicht ganz so strikt auf seinem Standpunkt verharrte, zeigte er sich doch alles andere als versöhnlich. Damit setzte er, zweifellos ohne sich dessen voll bewusst zu sein, einen Prozess in Gang, der seine Beziehung zu Ungarn allmählich zerstörte. Bei seinem Abschied aus Ödenburg war das Unglück schon geschehen. Franz Ferdinand bewahrte von dieser unglücklichen Erfahrung eine Animosität gegen Ungarn, die sich nach und nach zu Ablehnung wandeln sollte. Auf ungarischer Seite sah man im Thronfolger einen Gegner, um nicht zu sagen: einen Feind. Die offene Wunde sollte noch größer werden.

WELTREISE Als bei Franz Ferdinand erneut seine Krankheit ausbrach, traten andere Probleme in den Vordergrund. Seit seiner frühen Kindheit schien alles unter Kontrolle, nun aber häuften sich beunruhigende Symptome: Fieberschübe, nächtliche Schweißausbrüche, Anfälle von trockenem Husten. Der in Ödenburg konsultierte Arzt stellte eine wenig ermutigende Diagnose: Die Lungen seien angegriffen und eine Kur in kräftigender Bergluft angeraten. Für Franz Ferdinand war das ein Schock. Die Krankheit, an der er litt, hatte einen Namen: Tuberkulose, die Geißel des Jahrhunderts. Allem Anschein nach hatte er sie von seiner Mutter geerbt, die daran gestorben war – ein Erbe, das einem Fluch gleichkam. Obwohl er erst 29 Jahre alt war, sollte ihn der Gedanke an den Tod nie mehr verlassen. Endete die Tuberkulose nicht immer auf gleiche Weise? Zunächst aber galt es festzustellen, wie weit die Krankheit fortgeschritten war. Stand sie erst am Anfang oder war sein Leben schon in Gefahr? Dafür musste er Spezialisten in Wien konsultieren, die ihn aufklären und eine entsprechende Behandlung vorschreiben würden. War zunächst nur ein zweitägiger Aufenthalt in Wien geplant, wurden daraus letztlich mehrere Monate. Die Wiener Ärzte konnten sich auf keine Diagnose und noch viel weniger auf die geeignete Therapie einigen. Wem sollte man glauben? Angesichts der Vielzahl von Meinungen war Franz ­Ferdinand ratlos und sah nur mehr schwarz. Musste er nicht glauben, dass ein Fluch auf ihm lag? Die Unsicherheit stellte seine Nerven jedenfalls 58

Weltreise

erneut auf die Probe. Als man ihm einen längeren Aufenthalt in Davos vorschlug und versicherte, die Bergluft würde ihm guttun, weigerte er sich. Diese Kur würde ihn zu langer Untätigkeit verurteilen und wäre vermutlich nichts anderes als das Vorzimmer des Todes. Außerdem würde sie die Schwere seiner Krankheit beweisen und seine Stellung untergraben. Wäre es nicht eine Lösung, sich für längere Zeit fernab von Wien aufzuhalten? Franz Ferdinand lockte die Idee einer Weltreise. Sie hätte den Vorteil, die bereits über seinen Gesundheitszustand kursierenden Gerüchte zum Schweigen zu bringen.Wer konnte vermuten, dass ein schwer kranker Erzherzog sich solchen Mühen unterzog? Die Reise würde als wissenschaftliche Expedition dargestellt, in deren Verlauf er neue Kulturen und Horizonte entdecken sollte. Aber auch das medizinische Ziel sollte nicht aus den Augen verloren werden. Die Erholung während langer Wochen am Meer würde seiner Heilung förderlich sein. Noch bedurfte dieser Plan der Zustimmung Franz Josephs, ohne die dem Familienstatut zufolge kein Habsburger das Territorium der Monarchie verlassen durfte. Aber der Kaiser weigerte sich zunächst. Die Bestimmung Franz Ferdinands sei es, Soldat zu werden, und nicht Wissenschaftler. Diese Ablehnung war eine erste Episode in der oft stürmischen Beziehung zwischen den beiden Männern. Bei Franz Ferdinand mischten sich Wut und Unverständnis. Er glaubte ein Gefühl der Animosität gegenüber seiner Person zu erkennen. Franz Joseph könnte es ihm nicht verzeihen, dass er den Platz Rudolfs eingenommen habe. Die Sache wäre damit wohl beendet gewesen, hätte sich nicht Elisabeth, als sie davon erfuhr, bei ­ihrem Gemahl für Franz Ferdinand eingesetzt. Sie fand Argumente, die den Widerstand brachen. Damit war ihres Eingreifens aber noch nicht genug. Nachdem Elisabeth ihren Neffen von dem Plan informiert hatte, dass er nach seiner Rückkehr mit einer bayerischen Prinzessin verheiratet werden sollte, warnte sie ihn vor dieser Verbindung: „Such Dir anderes Blut. Allen zum Trotz rate ich Dir: heirate nur die, die Du liebst und keine aus unserem Blut, sonst wirst Du häßliche Kinder haben.“22

Aus diesen Worten spricht ihre Besessenheit vom „Fluch“ der Wittels­ bacher. Seit der Tragödie von Mayerling gab Elisabeth sich die Schuld am 59

Der Thronfolger

Tod Rudolfs, nachdem die Ärzte festgestellt hatten, er hätte sich in einem Anfall von Wahnsinn das Leben genommen. In dieser Warnung an Franz Ferdinand brachte sie auch ihr Misstrauen – um nicht mehr zu sagen – gegenüber der Institution der Ehe zum Ausdruck. Nach den Lehren ihrer persönlichen Erfahrung sollte sie diese ablehnende Haltung vor allem in ihrem dichterischen Werk immer wieder zum Ausdruck bringen.Wenn ein Erzherzog sich dieser Verpflichtung schon nicht entziehen könne, so solle er wenigstens die Freiheit haben, selbst zu wählen, wer ihn sein Leben hindurch begleiten würde. Franz Ferdinand sollte diesen Rat nie vergessen. Auch wenn Franz Joseph den Plan zunächst abgelehnt hatte, geizte er, sobald er seine Zustimmung einmal gegeben hatte, nicht mit den nötigen Mitteln für die Reise. Er stellte Franz Ferdinand das jüngste Schiff der österreichisch-ungarischen Kriegsmarine zur Verfügung, den Kreuzer SMS Kaiserin Elisabeth. Auf diesem prächtigen Schiff sollte er seine Weltreise über die Ozeane antreten. Franz Joseph stellte die Bedingung, dass Franz Ferdinand diese Reise inkognito antrat, also nahm dieser den Namen Graf von Hohenberg an. Angesichts des ausgewählten Schiffes und der begleitenden Eskorte war allerdings fraglich, ob diese Vorsichtsmaßnahme lange Zeit wirken würde. Als der Zeitpunkt der Abreise nahte, wurde Franz Ferdinand von Franz Joseph zum Generalmajor befördert. Diese Entscheidung bot auch den Vorteil, dass damit die Frage seines Kommandos in Ödenburg von oben geregelt wurde: Ein General konnte per definitionem nicht an der Spitze eines Regiments stehen. Dieser Verpflichtung enthoben, konnte Franz Ferdinand sich den Vorbereitungen der Reise widmen, die ihn voll in Anspruch nahmen. Zunächst musste er die Route festlegen und dann bestimmen, wer ihn begleiten sollte. Einige Persönlichkeiten stachen besonders hervor, wie Graf Leo Wurmbrand-Stuppach, sein Erster Kammerherr, und Graf Heinrich Clam-Martinic, Neffe eines der bekanntesten Angehörigen des historischen böhmischen Adels. Da die Reise offiziell als wissenschaftliche Expedition dargestellt wurde, war es nicht weiter erstaunlich, dass zu dieser Gruppe auch ein Konservator des Naturhistorischen Museums in Wien zählte, Dr. Ludwig Lorenz von Liburnau. Weiters legte Franz Ferdinand Wert darauf, dass Franz Janaczek mitfuhr, sein Vertrauter, der zunächst als Wildhüter in seinen Diensten gestanden war, bevor sein Aufgabenbereich 60

Weltreise

ausgeweitet wurde. Obwohl er weder dem alten Adel noch dem Bildungsbürgertum angehörte, stand er Franz Ferdinand von all seinen Reisegefährten trotz seiner niedrigen Herkunft zweifellos am nächsten. Angesichts der Jagdleidenschaft des Thronfolgers nahm er einen bevorzugten Platz in dessen Gefolge ein. Franz Ferdinand rechnete damit, bei einigen Zwischenstopps seinem Lieblingssport frönen und seiner bereits ansehnlichen Trophäensammlung einige große Wildtiere hinzufügen zu können. Die Abreise wurde für den 15. Dezember 1892 festgelegt. Die ganze ­Familie begleitete Franz Ferdinand bis Triest, wo die Kaiserin Elisabeth in See stechen sollte. Am Vorabend feierten alle gemeinsam seinen 29. Geburtstag, wobei die bevorstehende lange Trennung den Anlass noch hervorhob. Am nächsten Tag mischte sich Freude in die Gemütsbewegung. Am Kai hatte sich eine begeisterte Menschenmenge eingefunden, um dem Schauspiel beizuwohnen. Artilleriesalven begleiteten das Ablegen der Kaiserin Elisabeth. In Begleitung der Greif, auf der sich die übrigen Mitglieder der Familie eingeschifft hatten, lief sie aus dem Hafen aus, während Orchester die Hymne der Monarchie und O du mein Österreich spielten. Franz Ferdinand blieb zehn lange Monate auf See. Der erste Teil der Reise führte ihn auf der Kaiserin Elisabeth bis nach Japan. Dann setzte er von Yokohama aus seine Reise auf dem englischen Schiff Empress of China fort, das ihn bis an die Westküste der Vereinigten Staaten brachte, die er vor seiner Rückkehr nach Europa im Zug entlangfuhr. Zurück in Österreich, bereitete er die Veröffentlichung seiner Reisetagebücher vor – sie erschienen in zwei Bänden 1895 und 1896. Beck wurde beauftragt, diese stilistisch zu redigieren. Dabei ging es nicht allein um die Form, Beck korrigierte also nicht nur Ungeschicklichkeiten und Unrichtigkeiten bzw. Fehler des Autors. Der Erzherzog hatte sein Naturell nicht gezügelt und sich bisweilen zu einem wenig freundlichen Urteil über so manche Länder, die er durchreiste, hinreißen lassen. Würde dies so veröffentlicht, wie er es niedergeschrieben hatte, könnte es diplomatische Verstimmungen auslösen. Beck musste seine ganze Energie aufwenden, um Franz Ferdinand dazu zu bringen, diese Passagen wegzulassen oder zumindest abzuschwächen – ein äußerst mühsames Unterfangen, wenn man ihm Glauben schenken darf: „Es ist zum Wahnsinnigwerden. Ich bin schon ganz kaputt und gereizt“, gestand er ein.23 61

Der Thronfolger

Die Weltreise war als Studienreise mit wissenschaftlichen Zielsetzungen dargestellt worden. Um den Schein zu wahren, nahm Franz Ferdinand diese Version zu Beginn des Buches wieder auf. Aber wurde er wirklich von unstillbarem Entdeckungshunger getrieben? Um der Wahrheit die Ehre zu geben, verfügte er weder über die Bildung eines Historikers noch die ­eines Ethnologen. Seine Analysen und Urteile blieben sehr oft oberflächlich. Dennoch kam er mit mehreren Tausend bunt zusammengewürfelten, teils geschenkten, teils gekauften Gegenständen aus verschiedenen Weltgegenden zurück, die als Grundlage seiner Sammlungen dienen sollten. Schon bald litt Franz Ferdinand unter Heimweh. In gewisser Weise begleitete ihn die Monarchie allerdings während des ersten Teils seiner Reise. Er fuhr auf einem Kreuzer der österreichisch-ungarischen Flotte, alle Offiziere und die Mannschaft waren Untertanen Seiner kaiserlichen und ­königlichen Majestät. Auf die Ausstattung seiner Kabine hatte Franz Ferdinand besonderes Augenmerk gelegt. So fanden sich dort zahlreiche Familien­fotos sowie die Waffen für Jagdpartien anlässlich einiger Zwischenstopps. Aber es gab auch Augenblicke, in denen die Gefühle ihn überwältigten. So etwa am Weihnachtsabend, den er auf hoher See verbrachte: „Die Schiffskapelle spielte in der Ferne ,Stille Nacht, heilige Nacht‘. Es war ganz windstill an Deck und derselbe Mond, der daheim schien, lächelte auch uns. Und alle Nationen der Monarchie umstanden den heiligen Baum aus der Heimat, es ist keine unvertreten auf ,der Kaiserin Elisabeth‘.“24

Wie bedrückend dieser Gemütszustand auch sein mochte, er verschwand auf wunderbare Weise, sobald Franz Ferdinand Gelegenheit hatte, sich Jagdfreuden hinzugeben. Und an solchen mangelte es während der Reise nicht. Die Vielfalt der erlegten Tiere – Tiger, Elefanten, Flamingos, fliegende ­Fische – verstärkte seine Freude. Es kam sogar vor, dass mangels Tieren Münzen als Zielscheibe in die Luft geworfen wurden. Bei jeder Gelegenheit brillierte Franz Ferdinand. Er war seiner Leidenschaft so sehr verfallen, dass es ihm gar nicht in den Sinn kam, aus Höflichkeit den Sieg das eine oder andere Mal einem Gast zu überlassen. Die Bilanz dieser Jagden ist beeindruckend, wie er Beck aus Nepal berichtet:

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Weltreise

„Auch meine jagdlichen Erfolge waren sehr bedeutend u(nd) unerwartet indem ich dort u(nd) in Indien 7 Tiger, 5 Panther, 3 Elefanten u(nd) 1336 Stück des verschieden artigsten Wildes erlegte, darunter 5erlei Hirsche vom mächtigen Sumpf-Hirsch bis zum kleinen bellenden Hirsch von der Nilgai, von der Antilope bis zur Zwerggazelle, vom Adler bis zum Kolibri.“25

Mit den Jagden stieg auch die Zahl der Trophäen, mit denen Franz Ferdinand nach der Rückkehr seine Residenzen in Österreich schmücken sollte. Von seiner raschen Durchquerung der Vereinigten Staaten nahm Franz Ferdinand klare und meist negative Eindrücke mit. Nichts oder fast nichts sprach ihn dort an. Schon auf dem Schiff hatte er einen Vorgeschmack der amerikanischen Welt bekommen, der ihn nicht a priori günstig gestimmt haben dürfte: „Das Essen war schlecht, die Musik entsetzlich“, erzählte er. „Mein Wiener Ohr sollte sich jetzt an Negergestampfe, an anglisierte Indianerweisen gewöhnen. Und die Musik hörte Tag und Nacht nicht auf (…) Wohin war ich geraten? Das war der Vorgeschmack der amerikanischen Kunst.“26 Bei der Ankunft in Amerika war Franz Ferdinand von der Dynamik verblüfft, die ihm als Antriebsfeder der amerikanischen Gesellschaft erschien, deren Kehrseite er ebenfalls sah: „Hart neben redlichem Gewerbe wird ein wüster Tanz um das goldene Kalb aufgeführt, das hier die Gestalt des Dollars angenommen hat; ernstes Streben, geordnete öffentliche Zustände zu schaffen und zu erhalten, wird nur zu oft durch eine die maßgebenden Kreise durchsetzende Korruption wettgemacht.“27

Diese Kritik am amerikanischen Kapitalismus, an den Widersprüchen eines Systems, dessen Erfolge weitgehend auf der Herrschaft des Egoismus beruhen, ist nicht schlecht geurteilt.Vor der Abreise hatte Franz Ferdinand kein Hehl aus seiner Abneigung gegenüber der Demokratie gemacht. Und die Erfahrungen in Amerika lieferten ihm keine Gründe, seine Einstellung zu ändern. Man kann sich vorstellen, wie glücklich er war, als er wieder den Boden der Monarchie betrat. Die gesamten zehn Monate hindurch plagte ihn großes Heimweh, und auch wenn er neue Gegenden und neue Kulturen 63

Der Thronfolger

entdeckte, konnte es seiner Meinung nach keine mit dem geliebten Österreich aufnehmen: „Wenn ich Vergleiche anstelle“, hatte er Beck geschrieben, „so fällt doch Alles stets zu Gunsten unseres schönen Landes, was ist doch z. B. der schönste üppigste Palmen- oder Bananenwald gegen unsere grünen Tannen- oder Buchenwälder, was ist die schönste Gebirgsgegend des Himalaya gegen unsere Alpenwelt; gegen unsere Berge, Gletscher,Thäler u(nd) Seen u(nd) was ist das hiesige Wild selbst der mächtigen Tiger gegen unsern König der Wälder den hochgeweihten Hirsch und die flüchtige Gemse?“28

DER RÜCKFALL Franz Ferdinand erhoffte von dieser Reise vor allem die Wiederherstellung seiner Gesundheit. Er wollte glauben, dass dieses Ziel erreicht war, um wieder ein normales Leben führen und rasch ein Kommando übernehmen zu können. Eine Versetzung nach Böhmen – den Wunsch hatte er deponiert – würde ihm erlauben, näher zu seiner Herrschaft Konopischt zu sein. Diese hatte er einige Jahre zuvor von Fürst Lobkowitz erworben und zu jener von Chlumetz hinzugefügt, die schon in seinem Besitz war. Seinem Wunsch wurde im April 1894 mit der Berufung an die Spitze der in Budweis (České Budějovice) stationierten 38. Infanterie­brigade stattgegeben. Dort war er sehr streng auf Disziplin bedacht und im Umgang mit einigen seiner Offiziere sehr spröde, was insgesamt wenig dazu beitrug, ihn beliebt zu machen. Franz Ferdinand hatte geglaubt, seine Krankheit für überwunden ansehen zu können. Schon bald wurde er in die raue Wirklichkeit zurückgeholt, als im Juli 1895 die Ärzte eine beunruhigende Ausweitung der Tuberkulose feststellten. Der Ernst der Lage erforderte dringende Maßnahmen. Er sollte sich einer langfristigen Behandlung – ein bis zwei Jahre – unter der Obhut eines Arztes unterziehen, der für ihn allein abgestellt war und bis zum Ende der Behandlung bei ihm bleiben sollte. Professor Leopold Schrötter, ein österreichischer Spezialist, wählte für diese Aufgabe seinen Assistenten Dr. Victor Eisenmenger aus. Kaum mit dieser Aufgabe betraut, begab sich dieser nach Chlumetz. Dort konnte er sich davon überzeugen, dass die Einschätzung der Lage nicht übertrieben war. Ihm gegenüber stand 64

Der Rückfall

„ein hochgewachsener, magerer, blasser Mann in etwas schlaffer Haltung und mit fieberglänzenden hellblauen Augen“. Die Ergebnisse der Untersuchung ließen keinen Zweifel: „Der Befund war ein sehr ernster: hohes Fieber, rasche furchtbare Gewichtsabnahme, an der rechten Lungenspitze ziemlich ausgebreitete tuberkulöse Veränderungen. Auch die linke Lungenspitze war suspekt.“29 Franz Ferdinand empfing Eisenmenger eher mürrisch.Wie konnte man ihn mit der Aussicht auf eine derart anstrengende Kur belästigen! Franz Joseph war alarmiert worden und griff zur Feder, um ihn an seine Verantwortung zu erinnern. Er legte ein Programm für die nächsten Monate fest und gab Verhaltensregeln vor, an die Franz Ferdinand sich zu halten hatte: „Ich muß Dich dringend aufmerksam machen, daß es Deine heilige Pflicht ist, jetzt nur für Deine Gesundheit zu leben und Alles zu thun, um dieselbe herzustellen. Du mußt baldmöglichst an einen stillen Gebirgsort ziehen, dort ganz ruhig bleiben, später ein südliches Klima aufsuchen, (…) und dort den ganzen Winter auch wieder ganz ruhig zubringen, vor Allem aber den Weisungen des Dich begleitenden Arztes genauestens folgen.“

Am Ton des Briefes lässt sich leicht erkennen, dass Franz Joseph keine Widerrede dulden würde, dennoch klingt bei aller Entschiedenheit unleugbar eine gewisse Zuneigung durch: „Ich hoffe, daß Du auch ein wenig mir zu lieb geduldig und ausdauernd sein wirst, wenn es auch recht langweilig sein wird.“30 Franz Joseph war eindeutig besorgt wegen der Krankheit Franz Ferdinands, nicht nur eingedenk der verhängnisvollen Folgen, die sich für die Monarchie ergeben könnten. Die Statistiken boten guten Grund zur Beunruhigung. Die Heilungsrate bei an Tuberkulose Erkrankten lag kaum über 50 Prozent. In Wien war die Krankheit für 24 Prozent der Todesfälle verantwortlich. Zu dieser Zeit gab es offenbar keinerlei Streitigkeiten zwischen Onkel und Neffen. Franz Ferdinand wollte die Monarchie nicht verlassen, daher wurde nach heftigen Diskussionen die Entscheidung getroffen, die Kur in einem Ort oberhalb von Bozen zu beginnen. Der Patient erwies sich als schwierig. Als nach nur vierzehn Tagen der Husten schwächer wurde, forderte er eine Erleichterung der Behandlung, die natürlich verweigert wurde. Er protestierte vehement – wie er es noch wiederholt gegen die ihm auferlegte Kur tun sollte: „Das kann kein Mensch aushalten. Sie 65

Der Thronfolger

sperren mich ein wie ein wildes Thier.“31 „Ich leide an schwarzer Melancholie“, vertraute er sich Beck an.32 Als der Herbst ins Land zog, wurde die Behandlung an der Adria fortgesetzt, auf der Insel Lussinpiccolo (Mali Lošinj) nahe von Pola (Pula). Anschließend verbrachte Franz Ferdinand die Wintermonate in Ägypten. Die zunächst festgestellte Besserung hielt in den ersten Wochen des Aufenthaltes in Ägypten nicht an. Dem Arzt des Khediven, einem in Kairo lebenden Österreicher, fiel nach der Untersuchung nichts Besseres ein, als zu behaupten, Franz Ferdinand sei verloren.Warum sollte er sich also weiter der erzwungenen Behandlung unterziehen? In Gesellschaft seines Cousins Erzherzog Eugen, der ihn in Kairo besuchen kam, genoss er, ohne sich zu schonen, den Charme der ägyptischen Hauptstadt und erlitt prompt einen Rückfall. Alle seit dem Sommer erzielten Erfolge waren zunichtegemacht. Mehr noch: Die Krankheit verschlimmerte sich. Angesichts der Verschlechterung seines Gesundheitszustands gab Franz Ferdinand nach. Nachdem er zunächst abgelehnt hatte, stimmte er nun doch zu, ein Boot zu nehmen, das ihn nach Assuan bringen sollte, wo eine neuerliche Ruhezeit geplant war. Die Reise fand unter ungünstigsten Umständen statt: Sandstürme machten eine Benützung der Brücke unmöglich. In den ersten Januartagen des Jahres 1896 befand sich Franz Ferdinand am Rande einer Depression: „Das ist nun kein Leben, sondern einfach ein Vegetiren“, klagte er, „und ich komme mir schon wie eine Mumie vor. Den ganzen Tag bin ich auf diesem Kastl von einer Dahabye33 diesem ­aegyptischen Marterinstrument eingesperrt und bin in einer Stimmung, die zwischen Tobsucht und Selbstmord schwankt.“34 Beunruhigt über die Verschlechterung des Zustands seines Patienten, benachrichtigte Eisenmenger Erzherzogin Maria Theresia. Sie verstand den Hilferuf. Gleich nach Erhalt der Nachricht teilte sie Franz Ferdinand mit, sie würde nach Assuan aufbrechen. Begleitet wurde sie von Karl Ludwig, seinen beiden Töchtern und Ferdinand Karl. In seiner Antwort drückte Franz Ferdinand ihr Dank und Erleichterung aus. Mit der bevorstehenden Ankunft seiner Familie kam auch die Hoffnung wieder: „Was ich in diesem ganzen Monat ganz allein in diesem Folterwerkzeug des 19. Jahrhunderts, der Dahabye, gelitten habe, kann ich nicht beschrei66

Der Rückfall

ben, ebenso wie meine Sehnsucht nach Dir […] Durch Deine liebe Anwesenheit wird mir diese tötend langweilige Fahrt zu einer angenehmen werden.“35

Das Zusammensein verlängerte sich bis zur Rückkehr nach Kairo und hatte tatsächlich günstigen Einfluss auf den Gesundheitszustand des Kranken. Damit zusammen fiel der Beginn einer Besserung, die diesmal dauerhaft sein sollte. Ein Ende war aber nicht in Sicht. Der Weg bis zur Heilung sollte noch mehrere Phasen durchlaufen. Nach seinem Aufenthalt in Ägypten nahm Franz Ferdinand Kurs auf Monte Carlo und unternahm von dort mit seinem Bruder Otto eine Mittelmeerkreuzfahrt auf dem Segelschiff Donau. Danach ließ er sich in Territet am Ufer des Genfersees nieder. Diesen Aufenthalt musste er Hals über Kopf abbrechen, als die Nachricht eintraf, seinem Vater gehe es sehr schlecht. Nach seiner Abreise aus Kairo war Karl Ludwig mit den Seinen nach ­Palästina gefahren, um die heiligen Stätten zu besuchen. Nachdem er Wasser aus dem Jordan getrunken hatte, war er an Typhus erkrankt und stand nun an der Schwelle des Todes. Wollte Franz Ferdinand die Hoffnung haben, seinen Vater noch lebend zu sehen, musste er umgehend nach ­Österreich aufbrechen.Vergeblich, bei seiner Ankunft war Karl Ludwig bereits tot. Sein Tod war nicht nur ein familiäres Ereignis, er hatte auch politische Bedeutung erster Ordnung, räumte er doch die letzte eventuelle Unsicherheit über Franz Ferdinands Zukunft aus. Er war nun offizieller Thronfolger der österreichisch-ungarischen Monarchie. Bis Franz Ferdinand tatsächlich die Würden seiner neuen Stellung übernehmen sollte, musste er noch etwas warten.Vor allem aber musste er die Krankheit besiegen, die ihn mehrere Monate lang von der Monarchie ferngehalten hatte, und er musste die verschriebene Behandlung fortsetzen. Nach einem Aufenthalt in Konopischt richtete er sich in einem Jagdhaus auf 1 600 Meter Höhe auf dem Gut Lölling in Kärnten ein. Es folgte ein Aufenthalt in Meran, bevor er sich für die Wintermonate wieder ans Mittelmeer begab, mit Stationen vor allem in Ajaccio, Algier und Cannes. Erst Anfang 1898 hegten die Ärzte Hoffnung, dass die Krankheit tatsächlich besiegt war, auch wenn sich Franz Ferdinand noch vorbeugenden Maßnahmen unterziehen musste, um einen Rückfall zu vermeiden. Alle, die ihm in dieser Zeit begegneten, konnten die Genesung schon an seinem Äußeren 67

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ablesen. In der ersten Zeit der Krise wog er nur mehr 67 Kilo, nun hatte er 30 Kilo zugelegt! Seine lange Abwesenheit war auch aus einem anderen Grund wichtig. Sie fiel mit einer Reihe von Zwischenfällen zusammen, die Franz Joseph in eine gewisse Ratlosigkeit stürzten. Natürlich hatte er Franz Ferdinand gegenüber Bemerkungen gemacht, so etwa über die Verspätung, mit der er ein Kommando übernommen hatte. Aber er sah darin nur jugendliche Nachlässigkeit, die keine wirklichen Folgen zeitigen würde. Nun ging es um Dinge, die des Kaisers Aufmerksamkeit auf beunruhigendere Seiten jenes Mannes lenkten, der in der Zwischenzeit zum Thronfolger der Monarchie geworden war. Die Steifheit, die Franz Ferdinand an der Spitze seines Regiments in Ödenburg an den Tag gelegt hatte, trug ihm eine erste Unbeliebtheit in Ungarn ein. Auch die Nachricht von seiner Krankheit löste dort Kommentare aus, die nicht immer von Mitgefühl zeugten. Endgültig wurden die Grenzen überschritten, als das Magyar Hirlap sich dazu hinreißen ließ, zwischen den Zeilen anzudeuten, sein Tod würde Ungarn von einer schweren Hypothek befreien. Franz Ferdinand war zutiefst bestürzt. Empört machte er seiner Entrüstung Luft gegenüber Graf Nikolaus Szécsen, einem der wenigen Ungarn, mit denen er freundschaftliche Beziehungen unterhielt: „Unter uns gesagt, finde ich geradezu unfaßlich, und eben nur in Ungarn möglich, dass in einem bis jetzt noch monarchischen Staate solche Infamie und Gemeinheit über ein Mitglied des herrschenden Hauses in einer der gelesensten Zeitungen geschrieben werden darf.“36

Mehr noch, er forderte von Franz Joseph Schutz vor derartigen Angriffen – im Grunde genommen nichts Außergewöhnliches. Als Franz Ferdinand seinen Zorn jedoch gegen alle Ungarn richtete, deren Politik, wenn man ihm glauben darf, von Anfang lediglich die Zerschlagung der Habsburgermonarchie zum Ziel hatte, war das etwas anderes: „Ich war es schon gewöhnt von dieser Seite angegriffen zu werden, da es diese Leute schon gut wissen, wie ich über sie denke, diese Leute, welche seit ihrem 1000 jährigen Bestande sich stets in revolutionärer Weise gegen die bestehende Dynastie aufbegehrt haben und stets trachteten diese Dynastie zu stürzen und sich mit den Feinden zu verbünden, diese Leute, welche meinem Kaiser nichts als schwere Kränkung, schweres Unglück 68

Der Rückfall

und Unfrieden brachten. Man denke der Jahre 48, 59, 66 und endlich des 67er Ausgleiches, welcher das alte bewährte Gefüge der Monarchie in seinen Grundfesten erschütterte. Dass ich in Ungarn nicht beliebt bin, weiß ich und ich bin in gewissem Sinne stolz darauf, denn ich verlange mir nicht die Hochachtung eines solchen Volkes.“37

Dieser Brief veranlasste Franz Joseph, sich über mehrere Dinge Gedanken zu machen. Natürlich verstand er die Empörung seines Neffen angesichts der Ausführungen im Magyar Hirlap. Aber eine der Tugenden, über die ein Prinz verfügen muss, ist es, Emotionen unter Kontrolle halten zu können. Und es war klar, dass Franz Ferdinand diese Tugend nicht besaß. Die Verurteilung der ungarischen Nation durch den Thronfolger beunruhigte Franz Joseph ohne Zweifel. Man darf nicht vergessen, dass er zu Beginn seiner Herrschaft versucht gewesen war, die Ungarn dem gemeinsamen Gesetz zu unterwerfen. Eine Reihe von Misserfolgen hatte ihn gelehrt, dass es unmöglich war, die Monarchie gegen Ungarn zu regieren. Er zog daraus den Schluss, dass man sich mit Ungarn einigen musste, und machte diese Regel zu einer Grundlage seiner Politik, an die er sich seit 1867 gehalten hatte. Wurde Franz Joseph von einer plötzlichen Vorliebe für die Ungarn erfasst? Man würde wohl nicht wagen, das zu behaupten, was auch kaum eine Rolle spielte. Was zählte, war die Beziehung, die er mit den Ungarn aufzubauen verstand.Wie sollte er jetzt diese allgemeine ­Verurteilung nicht als gefährlich empfinden? Ein künftiger Monarch konnte nicht eines der Völker, über die zu herrschen er berufen war, öffentlich anprangern. Beim Lesen dieses Briefes musste Franz Joseph befürchten, Franz Ferdinand könnte das fragile Gleichgewicht, das 1867 ausgehandelt worden war, in Gefahr bringen, sollte er seine Gefühle nicht zähmen. Der zweite Vorfall betraf das Verhalten Franz Ferdinands gegenüber dem österreichisch-ungarischen Geschäftsträger in Ägypten, Karl Freiherr Heidler von Egeregg und Sygerstein. Bestimmt wie immer, begann Franz Ferdinand auszuführen, wie wenig positiv er über die österreichisch-ungarischen Diplomaten dachte: „Unsere Botschafter“, hatte er Eisenmenger anvertraut, „sind fast alle geschäftsuntüchtig, kümmern sich nur um Diners und Großkreuze.“38 Da die Reise privaten Charakter hatte, äußerte er den Wunsch, nicht mit dem Geschäftsträger zusammenzutreffen. Dieser wiederum wollte es sich nicht nehmen lassen, dem Erzherzog im Hotel in Kairo seine 69

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Aufwartung zu machen. Als einzige Antwort darauf war Franz Ferdinand grußlos an ihm vorbeigegangen. Empört über diese Unhöflichkeit, forderte der Freiherr eine Entschuldigung, die er natürlich nicht erhielt. Über dieses Vorgehen informiert, schrieb Franz Ferdinand erzürnt an Franz Joseph, um sich über den ungehobelten Diplomaten zu beschweren. Sehr zupass kam ihm dabei, dass er zu wissen glaubte, Heidler hätte sowohl im diplomatischen Corps als auch in der Kairoer Gesellschaft einen schlechten Ruf: „Das rapide Schwinden der Sympathien für Österreich schiebt man hier nur Heidler in die Schuhe.“39 Unter diesen Umständen meinte er, Franz Joseph raten zu können, Heidler in irgendeine weit entfernte Weltgegend zu versetzen, wo er den Interessen der Monarchie nicht mehr schaden könnte: „Was nun Heidler anbelangt, so glaube ich nach meiner unmaßgeblichen Meinung, dass es im Interesse des Ansehens unserer Monarchie wünschenswerth wäre, ihn sobald als möglich an einen Platz zu versetzen wie zum Beispiel Brasilien oder Nordamerika oder dergleichen, wo er durch sein taktloses Benehmen weniger Anstoß erregt als hier in diesem Land, wo so viele Österreicher leben und so viele Mitglieder der kaiserlichen Familie jährlich reisen.“40

Es ist nicht sicher, ob Franz Joseph Inhalt und Ton dieses Briefes gefallen haben. Er sah darin einmal mehr die bedauerliche Neigung Franz Ferdinands, persönliche Animositäten mit dem allgemeinen Interesse zu verwechseln. Andererseits war er es nicht gewohnt, sich die Wahl seiner Vertreter im Ausland diktieren zu lassen, und das zeigte er auch. Er erteilte Freiherrn von Heidler nicht nur keinen Verweis, sondern behielt ihn noch weitere drei Jahre als Geschäftsträger in Kairo. Auch danach wurde dieser nicht ans andere Ende der Welt versetzt, sondern nach Belgrad, also auf einen wichtigen Posten in der österreichisch-ungarischen diplomatischen Hierarchie angesichts der Stellung des Balkans in der Außenpolitik Wiens. Aufgrund der zahlreichen Gerüchte konnte die lange Abwesenheit Franz Ferdinands nicht ohne Folgen für seine Position bleiben. Hielten nicht auch die Ärzte einen tödlichen Ausgang der Krankheit für möglich? Selbst wenn das Schlimmste verhindert werden konnte:Würden bei Franz Ferdinand nicht vielleicht Folgen der Krankheit zurückblei70

Der Rückfall

ben, die ihm die Übernahme des Thrones unmöglich machen konnten? Die Gerüchte kamen auch ihm selbst zu Ohren. Als wäre sein Schicksal schon besiegelt, begannen sich einige – vor allem bei Hof – seinem jüngeren Bruder Erzherzog Otto zuzuwenden, dem als Nächstem der Titel des Thronfolgers zuteilwürde. Franz Ferdinand verdächtigte Franz Joseph, diese Kampagne, wenn schon nicht inszeniert zu haben, zumindest nicht abzulehnen. Zu Unrecht. Der alte Kaiser war viel zu sehr von der monarchischen Legitimität durchdrungen, um sich auch nur vorstellen zu können, ihm dies anzutun. Abgesehen von möglichen Vorbehalten gegenüber Franz Ferdinand, war er gelinde gesagt wenig angezogen von Ottos Persönlichkeit. Der „schöne Otto“, wie er bei Hof genannt wurde, hatte einen Charme, der seinem älteren Bruder fehlte, ein Argument, das sich – wie in diesem Fall – leicht ins Gegenteil kehren konnte. Schon mit 22 Jahren hatte er eine Prinzessin von Sachsen geehelicht. Als Experte in diesen Belangen hatte Rudolf die Folgen vorhergesagt: „Ottos Verlobung hat mich sehr interessirt“, hatte er Franz Ferdinand anvertraut, „erfreut kann ich nicht sagen, denn ich halte ihn noch für etwas zu jung, noch nicht genug gereist, fertig, er hat das Leben noch kaum genossen und da weiß ich nicht ob ihn die Sächsin für die Länge fesseln wird.“41 Tatsächlich zügelte diese Heirat den schönen Otto nicht. Neben zahl­losen Seitensprüngen wurden seine Eskapaden von zweifelhaftem Geschmack immer zahlreicher. So warf er einmal im Hotel Sacher, splitternackt, nur mit seinem Säbel bekleidet, ein Auge auf die Gemahlin des britischen Botschafters in Wien, was beinahe einen diplomatischen Zwischenfall ausgelöst hätte. Ein anderes Mal wusste er sich nichts Besseres, als mit seinem Pferd über einen Sarg zu springen. Da der Verstorbene Jude war, hatte diese „Heldentat“ einen eindeutig antisemitischen Beigeschmack. Ein Abgeordneter sah sich veranlasst, bei der Regierung zu interpellieren, was zur Folge hatte, dass dieser „Unverschämte“ von Kameraden des Erzherzogs verprügelt wurde. Diese und ähnliche Streiche fanden vielleicht einige Lacher, Franz Joseph schätzte sie zweifellos nicht. Er empfand sie als eines Erzherzogs, erst recht eines möglichen zukünftigen Thronfolgers, für unwürdig. Von Kindheit an war Franz Ferdinand eifersüchtig auf seinen jüngeren Bruder gewesen. Und diese Eifersucht trat nun wieder zutage.Voller Argwohn interpretierte Franz Ferdinand jegliche Aufmerksamkeit gegenüber 71

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Otto als Beweis für eine Verschwörung, die darauf abzielte, ihn zu verdrängen. So sah er in der Überlassung des kaiserlichen Schlosses Augarten an seinen Bruder die Bestätigung finsterer Absichten: „Das 2 ist, daß es mich, wie Sie sich wohl denken müssen“, vertraute er sich Gräfin Marie von Thun-Hohenstein an, „ungemein kränken und ärgern muß, daß ich, wo ich noch lebe, so ganz als ,überwundener Standpunkt‘ behandelt werde. Mein Bruder wird jetzt ganz von Hof wie ein Kronprinz installiert, bekommt den reizenden Augarten, alles frei, Stall, Küche, Servicen etc.“42 Franz Ferdinand sah auch rot, als Außenminister Graf Agenor Gołuchowski beschloss, Otto in die Delegation aufzunehmen, die ihn im April 1897 nach St. Petersburg begleiten sollte. Gab es noch einen stichhaltigeren Beweis für einen teuf­lischen Plan? Franz Ferdinand reichte umgehend Beschwerde beim Minister ein, der sich natürlich bemühte, ihn zu beruhigen. Offensichtlich vergebens, da Gołuchowski in Hinkunft einen Sonderplatz unter seinen „Prügel­knaben“ einnahm. Echte oder vermeintliche Vergehen zu entschuldigen, war offenkundig nicht die Sache Franz Ferdinands. Und so begrüßte er den Abschied Gołuchowskis im Jahr 1906 wie einen persönlichen Sieg. Für den Augenblick setzte er eine für seine Position sehr fragwürdige Initiative. Ohne Franz Joseph geschweige denn Gołuchowski zu informieren, wandte er sich direkt an den österreichisch-ungarischen Botschafter Fürst Franz Liechtenstein. Er solle in St. Petersburg kundtun, welche Sympathien Franz Ferdinand seit jeher für Russland empfinde. Sein Vorstoß ging insofern noch weiter, als er sich nicht scheute – ohne dafür über ein Mandat zu verfügen –, dieser Sympathie eine politische Auslegung zu geben: „Eine volle Einigung mit Russland, ein Bündnis der drei Kaiser, die Aufrechterhaltung des Friedens und des monarchischen Prinzips, das ist das Ideal meines Lebens, für das ich immer schwärmen und mit allen Kräften arbeiten werde.“

Und hinzuzufügen, dass Gołuchowski unfähig sei, diese Politik umzusetzen, denn „ein Polak oder Ungar vertritt eben nie die Interessen Österreichs, sondern nur seine Sonderinteressen“43. Wie in den früher aufgeführten Fällen wandte sich Franz Ferdinand an Franz Joseph, um seine Klagen vorzubringen. Nicht weiter erstaunlich, antwortete dieser, dass seine Befürchtungen unbegründet seien: 72

Der Rückfall

„Die Offenheit, mit welcher Du mir Dein Herz ausschüttest, kann ich nur anerkennen, obwohl Du in Deinen Klagen von Voraussetzungen ausgehst, die vollkommen unbegründet sind, denn Niemand will Dir zu nahetreten oder Dich zurücksetzen. Daß Du seit dem Tode Deines Vaters nicht die Stellung einnehmen konntest, die Dir zukommt, lag in Deiner Krankheit, welche Dir den Aufenthalt in Wien unmöglich machte. Sobald Du vollkommen hergestellt sein wirst, wirst Du natürlich die Rechte, aber auch die Pflichten Deiner Stellung einnehmen.“44

Vermochten diese Versicherungen Franz Ferdinand zu überzeugen? Darauf würde ich nicht schwören. Die unvorhergesehene Zeitspanne von mehr als zwei Jahren leitete jedenfalls ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen Onkel und Neffen ein. Im Laufe dieser Zeit machte Franz Ferdinand mehrere Vorstöße bei Franz Joseph, doch dieser zeigte nicht die erwartete Reaktion. Die Enttäuschungen verstärkten bei Franz Ferdinand den Komplex des Ungeliebten nur weiter, ein Komplex, der ihn sich selbst als Opfer von Verschwörungen sehen ließ. Diese Neigung sollte mit der Zeit immer deutlicher hervortreten. Für Franz Joseph waren diese Briefe sehr aufschlussreich hinsichtlich gewisser, von ihm nicht erwarteter Facetten der Persönlichkeit Franz Ferdinands. Auch wenn er nie daran dachte, die Nachfolgeordnung zu ändern, warfen diese Vorfälle, obwohl sie ohne unmittelbare Folgen blieben, doch Fragen für die Zukunft auf. Sie deuteten auf Schwachstellen beim Thronfolger hin, die beunruhigend waren. Man kann sicherlich nicht von einem Bruch zwischen den beiden Männern sprechen, aber erste Risse waren unübersehbar. Auch wenn die Krankheit besiegt war, hatte sie Narben bei Franz Ferdinand hinterlassen.Wie Freiherr von Bardolff, der zukünftige Verantwortliche für dessen Militärkanzlei, später erklären sollte, konnte diese Prüfung „einen Menschen nervös, reizbar, unausgeglichen, hypochondrisch und schwerlebig machen. Trifft dieses Schicksal einen Mann von so viel Leidenschaftlichkeit, wie sie in Franz Ferdinand glühte, so ist dies weit ausdrückender als für eine kühle, passive Natur.“45 Ein Urteil, das in Einklang mit jenem von Graf Josef Stürgkh steht, dem Bruder des letzten Ministerpräsidenten Franz Josephs: „Seine lange Krankheit hat seine Gemütsstimmungen nachhaltig beeinflußt. Er hat es nie überwunden, daß man ihn eine Zeitlang schon aus 73

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den Reihen der Lebenden gestrichen hat. Dazumal zog ein allgemeines Mißtrauen gegen die Menschen in sein Herz ein.“46

Es ist nicht übertrieben, zu behaupten, dass diese Zeit Franz Ferdinand stark geprägt hat. Er war nicht nur vom Tod bedroht, sondern glaubte sich aus dem Spiel ausgeschlossen – und das schon, bevor die Krankheit ausgebrochen war. Seit damals empfand er ein unbezwingbares Ressentiment gegenüber dem Hof, von wo – dessen war er sich sicher – die Intrigen gegen seine Person ihren Ausgang nahmen. Die künftige Krise rund um seine Heiratspläne ließ die offene Wunde weiter schwären. Franz Ferdinand besiegte die Krankheit, die ihn das Leben hätte kosten können, weil er nach anfänglichen Protesten schließlich doch die Vorschriften der Ärzte befolgte. Dazu kam, dass er den Willen hatte, die Hindernisse zu überwinden, die sich ihm in den Weg stellten. Er kämpfte, um all jenen einen Strich durch die Rechnung zu machen, die ihn bereits abgeschrieben hatten. Dieser an sich schon ausreichende Grund war zweifellos nicht der einzige, der seinen Willen stärkte. Schon bald bemerkte Eisenmenger, dass sein Patient fieberhaft die Ankunft von Postsendungen erwartete. Graf Wurmbrand, Franz Ferdinands Erster Kammerherr, dem er sich anvertraute, antwortete ihm: „Da steht ein Frauenzimmer dahinter.“ Die kommenden Ereignisse sollten zeigen, welch große Rolle die Unbekannte im Leben des Erzherzogs spielte. Diese Herzensaffäre stand am Beginn einer Staatsaffäre.

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KAPITEL IV

Der Bruch Im Oktober 1895 war Franz Ferdinand auf eigenes Ersuchen von seinem Kommando enthoben worden. Die Krankheit hatte ihn zu diesem Schritt gezwungen, und die lange Zeit der Absenz endete erst zweieinhalb Jahre später. Am 29. März 1898 informierte Franz Joseph seinen Neffen über die Verantwortung, die er ihm in Hinkunft zu übertragen gedachte. Es ging nicht mehr um das Kommando eines Regiments, sondern Franz Ferdinand wurde „zur Disposition des Allerhöchsten Befehls“ bestellt. Von der Autorität der militärischen Hierarchie abgekoppelt, unterstand er nun einzig dem Kaiser Franz Joseph. Der in weiterer Folge in dem Schreiben definierte umfassende Kompetenzbereich bestätigte die Beförderung: „Nicht eingeengt durch die Erfordernisse eines bestimmten Commando­ postens werden Euer Liebden von nun an die Gelegenheit finden: Die Führung verschiedener Heereskörper bei größeren Waffenübungen zeitweilig zu übernehmen. Dem gesammten Heerwesen von einem höheren Standpunkte aus näher zu treten. Überhaupt aber jenen reichlichen Einblick in alle Verhältnisse der Wehrmacht zu Lande wie zur See zu gewinnen, welcher dem allgemeinen Wohle dereinst mir zum besten gereichen soll.“47

General Bolfras, Chef der Militärkanzlei des Kaisers, informierte noch am selben Tag Franz Ferdinand, ihm werde ein Stab von zwei Offizieren zur Verfügung stehen. Die Beförderung zum General folgte wenige Tage später – eine logische Entscheidung angesichts der Aufgaben, mit denen Franz 75

Der Bruch

Ferdinand in Hinkunft betraut sein würde. Im Zuge der engen Beziehung, die ihn nun mit dem Kaiser verband, würde Franz Joseph ihm diese Aufgaben alljährlich persönlich mitteilen. Franz Ferdinand hatte allen Grund, zufrieden zu sein, hatte Franz Joseph doch aus eigenem Antrieb eine Funktion geschaffen, die seinem Rang entsprach. Ausgehend von dieser Position, konnte er hoffen, Einfluss auf die militärische Politik der Monarchie zu nehmen; ein Bereich, der Rudolf beispielsweise nie zugestanden worden war. Die Übernahme dieser Stellung hatte eine Folge. Mit fast 35 Jahren war Franz Ferdinand noch immer Junggeselle. Seine Krankheit mochte gerechtfertigt haben, dass er bei der Wahl einer Gemahlin gezögert hatte. Nachdem seine Heilung offiziell bestätigt war, zählte das nicht mehr. Das Interesse der Monarchie verlangte von einem Thronfolger, zu heiraten und Nachkommen zu zeugen.

DAS GEHEIMNIS An guten Partien fehlte es nicht, das konnte Franz Ferdinand schon bemerken, als er im Juli 1894 Franz Joseph bei den in London und Windsor veranstalteten Feierlichkeiten zu Ehren des Jubiläums von Königin Victoria vertrat. Mehrere Prinzessinnen aus den besten Häusern waren ihm damals mit offenkundigen Hintergedanken vorgestellt worden. Diese Betriebsamkeit hatte zu köstlichen Szenen geführt, über die er sich anschließend in einem langen Brief an Gräfin Marie von Thun-Hohenstein lustig machte: „Hier begann es mir unheimlich zu werden, indem die designierten Bräute in großer Anzahl wimmelten und eine erschreckende Liebenswürdigkeit gegen mich entfalteten. Ich wurde neben eines dieser auf der Lauer befindlichen Opfer gesetzt und dann auf das heftigste von dem grinsenden Elternpaar und ungezählten Steinalten mit oder ohne Lor­ gnetten beobachtet. Doch da sich meine Konversationsthemas großenteils um das Wetter, die anzuhoffenden Ernteaussichten, die Regelung der Valuta u. dgl drehten, so durfte der von mir gewonnene Eindruck kein sehr günstiger gewesen sein.“48

Am nächsten Tag kam es zu neuerlichen Anbahnungsversuchen im Rahmen eines vom Prinzen von Wales veranstalteten Mittagessens. Franz Fer76

Das Geheimnis

dinand hatte unter den wachsamen Blicken der eingeweihten Eltern die Gelegenheit einer zweckdienlichen Begegnung mit der charmanten Prinzessin Hélène d’Orléans: „Obgleich ich am Honoratiorentisch saß, an dem sich nur Großmütter und Mütter befanden, so wurde dennoch in natürlich gar nicht auffallender Weise ex abrupto die Braut Nr. 3, die Prinzessin Hélène von Orléans neben mich gesetzt. Dieselbe ist zwar weitaus die herzigste und hübscheste von allen, hat aber den großen Nachteil, nur Französisch zu sprechen. Ich befand mich während dieses Dejeuners in der tödlichsten Verlegenheit und der Angstschweiß troff in großen Tropfen von der Stirne. Ich mußte fort Französisch radebrechen, machte einen Fehler nach dem anderen, welche die Guteste immer begütigend korrigierte, dazu nickte der auf den Schwiegersohn lauernde Graf von Paris seiner Tochter ermunternd zu und beide Eltern tranken ihr mit Champagner zu, so gewiß eine freudevolle Vorfeier markierend, während die anderen Gäste sich eines gewissen Lächelns nicht erwehren konnten.“49

Franz Ferdinand kam von dieser sehr riskanten Reise unbeschadet zurück. Er hatte sich an den Rat gehalten, den ihm die Kaiserin gegeben hatte, als von der möglichen Heirat mit einer bayerischen Prinzessin die Rede gewesen war. Er sollte jede arrangierte Verbindung verweigern und nur die Frau heiraten, die er liebte: „Allen zum Trotz rate ich Dir: heirate nur die, die Du liebst und keine aus unserem Blut, sonst wirst Du häßliche Kinder haben.“50 Dieser Ratschlag ist wie gesagt als weiterer Beweis für die ablehnende Haltung Elisabeths gegenüber der Institution der Ehe zu sehen. Im konkreten Fall erklärte er sich auch aus der Zuneigung, die sie für Franz Ferdinand empfand, sowie aus dem Vertrauen, das sie ihm schenkte. Hatte sie ihm nicht geschrieben und Marie Valerie, Franz Salvator und deren Kinder seinem Schutz anvertraut für den Tag, an dem sie und Franz Joseph einmal nicht mehr sein würden? Was Elisabeths Meinung hinsichtlich ­arrangierter Ehen betraf, musste sich Franz Ferdinand nur umsehen, um zu erkennen, wie recht sie hatte. Niemandem bei Hof blieb verborgen, dass das Scheitern der Verbindung zwischen Rudolf und Stephanie einer der Faktoren war, die zur Tragödie von Mayerling führten. Franz Ferdinand noch näher stehend, entsprach die Verbindung zwischen seinem Bruder Otto und Erzherzogin Josepha keineswegs seiner Vorstellung von einer Ehe. 77

Der Bruch

Die arme Josepha erfüllte zwar, zur allgemeinen Zufriedenheit, ihre Rolle als Gebärerin, musste aber, wie Rudolf es vorhergesagt hatte, die Eskapaden ihres Gemahls erdulden. Eine Bemerkung Franz Ferdinands gegenüber Dr. Eisenmenger klingt fast wie ein Widerhall der Worte Elisabeths: „Wenn unsereiner jemanden gern hat, findet sich immer im Stammbaum irgendeine Kleinigkeit, die die Ehe verbietet, und so kommt es, daß bei uns immer Mann und Frau zwanzigmal miteinander verwandt sind. Das Resultat ist, daß von den Kindern die Hälfte Trottel und Epileptiker sind.“51

Kommen wir auf die Unbekannte im Gespräch zwischen Graf  Wurmbrand und Dr. Eisenmenger zurück. Sie entpuppte sich als Gräfin Sophie Chotek von Chotkowa und Wognin. Franz Ferdinand war ihr Anfang 1894 begegnet, auf einem von Graf Franz von Thun-Hohenstein, Statthalter in Böhmen, im Fasching in seinem Palais veranstalteten Ball. Damals in Budweis stationiert, war der Thronfolger der Einladung des Statthalters nachgekommen, der selbst zu den Großen des böhmischen Hochadels gehörte. Zwischen dem Erzherzog und der Gräfin war es Liebe auf den ersten Blick. Die damals 26-jährige Sophie entstammte einer alten böhmischen Adels­familie, deren Anfänge zumindest ins 14. Jahrhundert zurückgingen und die 1732 in den Grafenstand erhoben worden war. Ihr Vater, Graf Bohuslaw, hatte eine Gräfin Kinsky geehelicht. Diese Verbindung mit einer der ältesten Familien Böhmens verfolgte einen bestimmten Zweck. Sie unterstrich, dass die Choteks sich innerhalb des böhmischen Adels ihres Ranges nicht schämen mussten. Die Bestätigung erfolgte, als Graf Bohuslaw 1871 im Zuge des kurzlebigen Ausgleichs mit Böhmen zum Statthalter in Prag ernannt wurde. Als wichtiger Partner beim Ausgleich mit der Nationalpartei hätte der historische Adel nie akzeptiert, dass diesen Posten eine Persönlichkeit aus einer Familie bescheidenerer Herkunft bekleidet. Dies war allerdings nur ein Zwischenspiel in seiner diplomatischen Karriere, die Graf Bohuslaw in verschiedene Länder geführt hatte. In Brüssel, seinem wichtigsten Posten, hatte er sich um die Akten rund um die Heirat von Erzherzog Rudolf und Prinzessin Stephanie gekümmert – zur Zufriedenheit Franz Josephs. Auch wenn diese Verbindung schließlich scheiterte, kam 78

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es niemandem in den Sinn, ihm einen Vorwurf zu machen. Nach Brüssel wurde er nach Dresden berufen, einem viel weniger anspruchsvollen Posten, wo er sich nach seiner Pensionierung auch niederließ. Als bekannte und geachtete Familie gehörten die Choteks dennoch nicht zur „Crème de la Crème“. Ihre finanziellen Mittel waren begrenzt, gemessen an dem in dieser Gesellschaftsschicht üblichen Niveau. Graf ­Bohuslaw besaß nur eine kleine Herrschaft in Ciwitz, die lediglich bescheidene Einkünfte abwarf. Man war weit entfernt von den Vermögen der großen Herren der böhmischen Aristokratie wie den Schwarzenbergs, Liechtensteins oder Lobkowitz. Auch die diplomatische Karriere hatte Graf Bohuslaw keine großen Sprünge ermöglicht, im Gegenteil. Die – wenn auch hohe – Entlohnung von 30 000 Gulden reichte nicht einmal aus, um die Repräsentationsaufwendungen zu decken, denen sich ein Botschafter seiner kaiserlichen und königlichen Majestät unweigerlich gegenübersah. Er musste den Rest aus eigenen Mitteln zuschießen, wobei diese Verpflichtung für Aristokraten, die über ein riesiges Vermögen verfügten, keine Konsequenzen hatte, die Situation der Choteks hingegen noch weiter verschärfte. Doch noch eine weitere Diskrepanz hielt die Choteks von der Spitze der Adelshierarchie entfernt. Sie gehörten nicht zum geschlossenen Kreis der sogenannten „standesgemäßen“ Familien, die über das seltene Privileg verfügten, eheliche Verbindungen mit dem Haus Habsburg eingehen zu können. Diese Ebenbürtigkeit entsprang einer Zugehörigkeit zum alten souveränen Adel des Heiligen Römischen Reiches, wobei nur ganz wenigen Adelshäusern eine derartige Stellung zukam, insgesamt 30 deutschen und 15 österreichischen, darunter den Familien Schwarzenberg, Liechtenstein, Lobkowitz, Schönborn, Thun-Hohenstein oder Windischgraetz. Rudolfs Tochter Erzherzogin Elisabeth konnte also einen Fürsten Windischgraetz heiraten, ohne die Sünde einer Mesalliance zu begehen. Dass die Spitze der Pyramide für sie unerreichbar war, störte die Choteks allerdings nicht. Sie wollten nie so hoch hinaus und hätten es sich auch nie träumen lassen, dass sich diese Frage je stellen könnte. Trotz der begrenzten finanziellen Mittel war Graf Bohuslaw bemüht, seinen Kindern eine ihrer Stellung entsprechende Erziehung angedeihen zu lassen. Als streng katholische Familie hatten die Choteks acht Kinder, sieben Töchter und einen Sohn. Wie es damals beim Adel noch weit ver79

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breitet war, bestellte Graf Bohuslaw Hauslehrer. Neben dem Erlernen von Fremdsprachen wurde das Hauptaugenmerk für die Mädchen auf Musik, Tanz und – ganz wichtig! – Hauswirtschaft gelegt. Besondere Bedeutung hatte auch die religiöse Erziehung. Sie trug Früchte, bewahrte sich Sophie doch einen glühenden katholischen Glauben, der niemals wanken sollte. Die Lektionen des Lebens trugen das Ihre zu diesen Ausbildungsjahren bei. Nach dem Tod der Mutter musste sich Sophie um ihren Bruder und ihre Schwestern kümmern, die noch zu Hause lebten. So lernte sie, sparsam zu sein, eine Tugend, die sie nicht vergessen sollte, als sie selbst eine eigene Familie hatte. Bleibt eine wesentliche, ebenso schwierige Frage: Wodurch gewann Sophie Chotek Franz Ferdinand für sich? Hier kommen Regungen des Herzens ins Spiel, die sich nur schlecht für eine rationale Analyse eignen. Schließen wir einen vorgefassten Plan von einer der beiden Seiten vor ihrer Begegnung aus. Zweifellos hatten sich ihre Wege schon früher gekreuzt, ohne dass sie einander begegnet waren. Sophie hätte sich selbst in ihren kühnsten Träumen nie vorgestellt, der Thronfolger könnte sich für sie interessieren. Sie war alles andere als eine zweite Mary Vetsera, die sich, von Liebe entbrannt, in die Arme Rudolfs stürzte. Im Ballsaal des böhmischen Statthalters gab es sicher hübschere Mädchen als Sophie und auch solche, die glänzenderen Schmuck trugen.Vielleicht war es gerade diese Natürlichkeit, die Franz Ferdinand bei Sophie anzog. Ihre schlanke Gestalt, ihre feinen Züge, ihre tief liegenden braunen Augen taten ein Übriges. Zweifellos war Franz Ferdinand auch nicht unempfänglich für ihre reife Konversation, die seinem eigenen ernsten Naturell entsprach. Wie jeder junge Erzherzog hatte auch er schon Verhältnisse gehabt, vor allem eine Liaison mit der Schauspielerin Mila Kugler, doch im Unterschied zu seinem Bruder Otto war er nicht das, was man üblicherweise einen „Herzensbrecher“ nannte. Nun aber entbrannte er angesichts des Charmes der Comtesse Chotek in Liebe. Sophie hatte bislang ein sehr ruhiges Leben ohne große Gefühle geführt. Völlig unvorbereitet wurde auch sie von der Liebe überrascht. In seiner prächtigen Uniform, groß und stark, mit hochgezwirbeltem Schnurrbart, sah Franz Ferdinand durchaus verführerisch aus, zumindest nach den Kriterien seiner Zeit. Auch nutzte er seine Position nicht aus, um den Weiberhelden oder „Salonlöwen“ zu 80

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spielen, was Sophie sicher missfallen hätte. Indes – und vielleicht vor allem – war sie von seinen strahlend blauen Augen fasziniert, die ihre Wirkung nie verfehlten, bei allen, die ihm näher kamen. Franz Ferdinand schloss ein bloßes Abenteuer oder eine Liaison aus. Er lehnte es auch kategorisch ab, Sophie in seinem Wiener Palais unterzubringen. Das hätte ihre Beziehung unweigerlich publik gemacht, mit der unausweichlichen Folge, sie zu gefährden, aber auch, ihr eine Bedeutung zu verleihen, die er ablehnte. Sophie bekleidete damals die Stellung einer Hofdame bei Erzherzogin Isabella, die in Pressburg residierte, wo ihr Gemahl, Erzherzog Friedrich, ein Armeecorps befehligte. Die ehemalige Hauptstadt des Königreichs Ungarn war politisch zwar von der Autorität Budapests abhängig, doch sie hatte den Vorteil, nahe von Wien gelegen und leicht erreichbar zu sein. Unter dem Vorwand eines Besuchs bei seinen Cousins konnte Franz Ferdinand Sophie also sehen, und war es auch nur flüchtig. Erzherzogin Isabella, eine geborene Prinzessin von Croy-Dülmen, war alles andere als eine umgängliche Frau. Sie trug den Hochmut der Aristokraten zur Schau, die den Wert eines Menschen an der Zahl seiner adeligen Vorfahren maßen. Sophie bekam zu spüren, dass sie nicht zu dieser Welt gehörte. Wie konnte eine verarmte Kleinadelige das auch erwarten? Trotz ihrer Stellung als Hofdame wurde sie auf eine Rolle und auf Aufgaben beschränkt, die unter ihrem Stand lagen, insbesondere musste sie sich um die Kinder des Ehepaares kümmern. Glücklicherweise gab es die Besuche von Franz Ferdinand, die vielen gestohlenen Augenblicke der Liebe. Nicht weiter erstaunlich, dass er sehr oft zu Besuch kam, vor allem in der warmen Jahreszeit, wenn Tennispartien oder Badevergnügen einen idealen Vorwand boten. Franz Ferdinand, der früher nur selten nach Pressburg gekommen war, ließ nun keine Gelegenheit aus. Diese Begegnungen fanden ein abruptes Ende, als Franz Ferdinand durch das neuerliche Auftreten der Krankheit gezwungen war, Wien zu verlassen. Die einzige Verbindung waren in Hinkunft die Briefe, die sie einander schrieben. Dieser Briefwechsel war allerdings nichts Neues. Da sie sich nicht so oft sehen konnten, wie sie es gewünscht hätten, begannen Franz Ferdinand und Sophie sehr früh, Briefe auszutauschen. Mit dem Kurierdienst beauftragt war der treue Janaczek, in der ersten Zeit der Einzige, der ins Vertrauen gezogen wurde. In seiner Stellung als Erster Kammerherr 81

Der Bruch

brauchte Graf Wurmbrand allerdings nicht lange, um zu erraten, dass etwas im Busch war, und die Identität der Adressatin herauszufinden. Dr. Eisenmenger gegenüber bemerkte er: „Es ist eine Verwandte von mir, ich werde ihr aber das Handwerk schon legen.“52 Er wusste wohl, welch schwerwiegende Folgen diese Beziehung haben würde, sollte sie bis zum Ende fortgeführt werden. Hatte er bei der Gräfin interveniert, um sie zu überzeugen, sich zurückzuziehen, oder wollte er den Erzherzog zur Vernunft bringen? Die Strafe ließ nicht lange auf sich warten. Weil er versucht hatte, sich gegen seine Liebe zu Sophie zu stellen, forderte Franz Ferdinand von Franz Joseph umgehend Wurmbrands Kopf und erhielt ihn auch – wobei er sich hütete, den wahren Grund für seinen Groll zu nennen. Die Distanz, zu der Franz Ferdinand und Sophie gezwungen waren, war auch ein Test für die Festigkeit der Bande, die sie einten. Und diese wurden dadurch keineswegs geschwächt, sondern vielmehr noch gestärkt. Damals hatten Franz Ferdinand und Sophie nur Kontakt über ihre Briefe, die entscheidende Bedeutung erhielten. Im Angesicht der Krankheit, die ihn dahinzuraffen drohte, und von Phasen, in denen ihn Depressionen plagten, fand Franz Ferdinand in seiner Liebe die Kraft zu kämpfen. Er wollte nicht nur leben, um sich gegenüber jenen zu behaupten, die in Wien gegen ihn intrigierten, sondern auch, um sein Leben mit der Frau zu teilen, die er liebte. Sophie wiederum ermutigte ihn, die Augenblicke des Zweifels zu überwinden und all seine Energie aufzubringen, um die Krankheit zu besiegen. Und ihre Ermutigung trug Früchte. Sobald die Krankheit als überwunden galt, wurden die Besuche in Pressburg wieder aufgenommen. Doch wie lange konnte das weitergehen? Franz Ferdinand hoffte, ja er rechnete zweifellos damit, seine Beziehung bis zum Tod des alten Kaisers geheim halten zu können. Die Schwierigkeiten, die seine Heiratspläne auszulösen drohten, würden sich von selbst erledigen. Er würde den Thron besteigen, mit der Frau seiner Wahl an der Seite, die den Titel einer Kaiserin von Österreich tragen würde. Dieses Szenario hing jedoch von einer großen Unbekannten ab: der Langlebigkeit Franz Josephs. Im Jahr 1898, als sein Regierungsjubiläum gefeiert wurde, war er 68 Jahre alt, was man zu dieser Zeit als schönes Alter zu bezeichnen pflegte. Dank seiner robusten Konstitution zeigte er alle Anzeichen einer exzellenten Gesundheit und konnte noch viele Jahre leben. Während dieser Wartezeit 82

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würde der Druck auf Franz Ferdinand immer größer werden, sein Junggesellenleben zu beenden, und er würde sein Schweigen immer schwieriger fortsetzen können. Außerdem würde eine Verlängerung des Status quo, sollte sich dieser in die Länge ziehen, die Chancen des Paares verringern, Nachkommen zu haben. Ein unerwarteter Vorfall sollte diesen Überlegungen bald ein Ende setzen. Lichtjahre davon entfernt, sich den wahren Grund vorstellen zu können, vermochte Erzherzogin Isabella die häufigen Besuche Franz Ferdinands nicht ausschließlich Tennispartien oder Badevergnügen zuzuschreiben. Wie anders konnte sie sich seine Anwesenheit erklären als durch zärtliche Zuneigung des Thronfolgers zu ihrer ältesten Tochter, der jungen Erzherzogin Marie-Christine. Auf der Suche nach einer Gemahlin war seine Wahl vielleicht auf die charmante Cousine gefallen. Die Erzherzogin begann zu träumen: Welch Stolz, die Schwiegermutter des zukünftigen Kaisers von Österreich zu werden! Der Absturz war nur umso tiefer. Alles begann mit einer Tennispartie. Für das Spiel hatte Franz Ferdinand seine Taschenuhr abgelegt, die er unglücklicherweise bei seiner Abreise mitzunehmen vergaß. Dieses Versäumnis war an sich unbedeutend, sollte jedoch unvorhersehbare Folgen haben. Die Erzherzogin wusste um die Gewohnheit vieler junger Männer, in ihrer Uhr ein Bild der Angebeteten mit sich zu tragen. Als ihr die Uhr Franz Ferdinands gebracht wurde, konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, sie zu öffnen. Endlich wollte sie ihre Hoffnungen bestätigt sehen. Zu ihrer großen Bestürzung entdeckte sie aber nicht das Bild ihrer Tochter, sondern jenes der Gräfin Chotek. Sofort wurde ihr klar, dass sie schmählich getäuscht worden war. Nicht, dass Franz Ferdinand ihr je anvertraut hätte, sich für Marie-Christine zu interessieren. Sie fühlte sich dennoch doppelt getroffen. Allein der Gedanke war ihr unerträglich, der Thronfolger könnte eine unbedeutende Kleinadelige ihrer Tochter vorziehen, ausgestattet mit allen Vorzügen der Geburt. Außerdem verzieh sie Franz Ferdinand nicht die Rolle, die er sie Monate hindurch hatte spielen lassen. Ihre Rache entsprach dem Ausmaß ihres Zorns. Zunächst wurde Sophie Chotek entlassen, auch mit Franz Ferdinand kam es zum Bruch. Ein Blick in die Archive ist in dieser Hinsicht aufschlussreich. Die bis dahin regelmäßige Korrespondenz zwischen Erzherzogin Isabella und Franz Ferdinand endet mit 83

Der Bruch

diesem Zeitpunkt. Die schwerwiegendste Folge war, dass die in ihrem Stolz gekränkte Erzherzogin umgehend um Audienz beim Kaiser ansuchte. Als sie von Franz Joseph empfangen wurde, enthüllte sie ihm Franz Ferdinands Geheimnis, wohl wissend, dass er darauf reagieren musste.

DIE KRISE Erzherzogin Isabella rechnete vermutlich damit, Franz Joseph würde seinem Neffen die Leviten lesen und ihm den Befehl geben, sich im Interesse der Monarchie von Gräfin Chotek zu trennen. Sie zweifelte auch nicht daran, dass Franz Ferdinand letztlich klein beigeben würde. Doch die Geschichte nahm einen anderen Verlauf. Die folgenden Monate waren von einem harten Aufeinanderprallen zweier gegensätzlicher Willenskräfte gekennzeichnet. Die Unterredung zwischen Franz Joseph und Franz Ferdinand fand ­natürlich ohne Zeugen statt, der Inhalt ist nicht im Detail bekannt. Aufgrund des Ausgangs lassen sich die großen Linien jedoch leicht rekonstruieren. Wie vorauszusehen, forderte Franz Joseph von seinem Neffen, mit Gräfin Chotek zu brechen. Zweifellos glaubte er, dass es sich um eine vorübergehende Liaison handelte, umso mehr, als es in seinem Denk- und Wertesystem unvorstellbar war, ein Thronerbe könnte auch nur daran denken, außerhalb des vom Familienstatut festgelegten Rahmens zu heiraten. Wenn man ihm seine Verantwortung vor Augen führte, würde er sich schon wieder in die Gewalt bekommen. Genau das Gegenteil war der Fall. Franz Ferdinand weigerte sich, auf die Frau, die er liebte, zu verzichten. Niemals würde er eine andere heiraten. Auch die Drohung, den Thron zu verlieren, brachte ihn nicht zum Einlenken. Angesichts dieser Entschlossenheit entschied sich Franz Joseph, auf Zeit zu setzen und Franz Ferdinand ein Bedenkjahr einzuräumen. Für Franz Joseph war die Angelegenheit zweifellos sehr ernst. Das ­Familienstatut vom 3. Februar 1839 legte die Regeln für eine Hochzeit im Hause Habsburg fest. Keines seiner Mitglieder durfte ohne Zustimmung des Kaisers, dem diese Macht aufgrund seiner Stellung als Chef der Familie zustand, eine Verbindung eingehen. Dies stellte Franz Ferdinand auch nicht infrage.Weiters verbot das Familienstatut einem Erzherzog oder 84

Die Krise

einer Erzherzogin eine Eheschließung außerhalb eines souveränen Hauses. Doch in diesem Fall handelte sich nicht um einen Erzherzog unter vielen, sondern um den Thronfolger. Diese Stellung schützte Franz Ferdinand vor einer radikalen Maßnahme. Franz Joseph konnte ihn nicht mit einem Ausschluss aus den Reihen der Familie bestrafen, wie er dies bei anderen Erzherzögen handhaben sollte, die sich einer Mesalliance schuldig machten. Dieses Schicksal erlitt Ferdinand Karl, der jüngste Bruder Franz Ferdinands, der einige Jahre später die Tochter eines ehrwürdigen Professors zur Frau nahm. Sein ältester Bruder, der plötzlich strikt auf die Einhaltung des Familien­statuts achtete, fühlte sich übrigens nicht bemüßigt, für ihn zu intervenieren. Er befand schlicht, dass die junge Frau nichts anderes als „eine abgefaimte Canaille“53 sei. Es gilt auch zu bedenken, dass sich die Organisation der Monarchie seit 1839 beträchtlich weiterentwickelt hatte. Das Familienstatut war erlassen worden, als eine absolutistische und darüber hinaus weitgehend unitarische Herrschaft am Ruder war. Mittlerweile war die Monarchie in das konstitutionelle Zeitalter eingetreten. Der Ausgleich von 1867 hatte sie anschließend in zwei zwar miteinander verbundene, doch unterschiedliche Einheiten geteilt, die vor allem beide eine eigenständige Verfassungspersönlichkeit hatten. Im vorliegenden Fall war diese dualistische Struktur von Bedeutung.Während das Familienstatut in Österreich in der Dezemberverfassung 1867 erwähnt wurde, ignorierte es die ungarische Verfassung. Andererseits war der Begriff der Ebenbürtigkeit in Ungarn unbekannt, somit würde die Gemahlin des Königs im Falle einer morganatischen Ehe automatisch den Titel „Königin von Ungarn“ tragen, während ihr diesseits der Leitha der Titel „Kaiserin von Österreich“ verwehrt wäre. Hinzu kam das Problem der aus dieser Verbindung hervorgehenden Kinder. Das ungarische Gesetz bestimmte, dass nur ein Erzherzog oder eine Erzherzogin des Hauses Habsburg über Ungarn herrschen konnte, dies würde den Kindern in Österreich aber verwehrt werden. Das juristische Chaos, in das die Monarchie zu stürzen drohte, sollte Franz Ferdinand sich durchsetzen, war für Franz Joseph ein zusätzlicher Grund, an seinem Widerstand gegen diese Heirat festzuhalten. Er rechnete damit, die Bedenkzeit von einem Jahr nützen zu können, um Franz Ferdinand zum Einlenken zu bewegen. Und so ließ er in seinem 85

Der Bruch

Druck auch nicht nach. Für das Paar war diese Prüfung umso schwieriger, als sich um die beiden immer größere Leerräume bildeten. Die Erzherzöge und Erzherzoginnen bildeten einen Block hinter dem Kaiser. Franz Ferdinand musste sogar schmerzlich erleben, dass seine beiden Brüder sich von ihm abwandten, was er ihnen nicht verzeihen sollte. Als Einzige in der kaiserlichen Familie stand Maria Theresia treu auf seiner Seite. Er hätte zweifellos auch auf die Unterstützung der Kaiserin zählen können, die in diesem Zwist darüber hinaus eine Gelegenheit gefunden hätte, sich gegen das Haus Habsburg zu stellen, aber sie war einige Monate zuvor in Genf von einem italienischen Anarchisten ermordet worden.Vom Kaiser in Audienz empfangen, setzte sich Maria Theresia für Franz Ferdinand ein.Vergebens, Franz Joseph blieb unerbittlich. Im Gegenteil, er bat sie, den Thronfolger an seine Verpflichtungen zu erinnern. Nun war es an ihr, dies abzulehnen. Was das Paar selbst betraf, mochte Gräfin Chotek als das schwächere Glied erscheinen. Konnte man sie überzeugen zurückzustehen, würde sich das Problem von selbst lösen. Nacheinander bemühten sich Obersthofmeister Fürst Montenuovo, dann Sophies Bruder und ihre Schwestern darum – reine Zeitverschwendung. Da all diese Versuche nichts fruchteten, blieben nur mehr religiöse Argumente. Franz Joseph beauftragte mit der heiklen Mission den früheren Lehrer Franz Ferdinands, Monsignore Godfried Marschall, von dem man wusste, dass er immer noch eine enge Verbindung mit dem Thronfolger unterhielt. Sollte er Erfolg haben, konnte er sich berechtigte Hoffnungen auf die Würde eines Weihbischofs von Wien und später jene des Fürsterzbischofs der kaiserlichen Hauptstadt machen, verbunden mit dem Kardinalspurpur. Eine sicher verlockende Aussicht, doch mit der Kehrseite, dass er bei Franz Ferdinand umgehend in Ungnade fiele. Angetrieben sowohl durch Ehrgeiz als auch durch Loyalität gegenüber der Monarchie, fügte sich der Prälat den Weisungen des Kaisers. Was folgte, erstaunt nur wenig. Der Abgesandte Franz Josephs mahnte bei Sophie ihre Pflicht zur Loyalität gegenüber der Monarchie und zum Gehorsam gegenüber der heiligen Religion ein. Durch Eingehen dieser Ehe würde sie in den Zustand der Sünde versetzt. Als glühende Katholikin schien sie zu wanken. Marschall wähnte sich schon dem Ziel nahe, als sie einzuwilligen schien, Franz Ferdinand zu schreiben und ihm seine Freiheit zurückzugeben. Hatte sie wirklich daran gedacht oder spielte sie nur 86

Die Krise

mit ihrem Besucher? Diese Frage bleibt unbeantwortet. Wie auch immer, als Franz Ferdinand davon erfuhr, schaltete er sich sofort ein und unterband das Manöver. Bevor Marschall die Aufgabe übernommen hatte, für die Franz Joseph vorgefühlt hatte, war ihm klar, dass er sich auf vermintes Gelände wagte. Er hatte sich nicht getäuscht. Franz Ferdinand wetterte gegen seinen alten Lehrer: „Sagen Sie diesem Trottel von einem Marschall alle Grobheiten, die es im Lexikon gibt und bitte machen Sie ihm rasend die Hölle heiß“, wies er Beck an. „Sagen Sie ihm, daß ich von allen seinen Quertreibereien vollkommen orientiert bin und daß er daher für mich für mein ganzes Leben lang aufgehört hat, zu existieren. Sagen Sie ihm, daß seine Karriere vollkommen vernichtet ist, nachdem solange ich lebe er nie etwas anderes wird, als Pfarrer an der Votivkirche.“54

Franz Ferdinand erreichte sein Ziel nicht. Zu seinem großen Missfallen konnte er nicht verhindern, dass Monsignore Marschall ein Jahr später Weihbischof von Wien wurde. Die Unterstützung des Kaisers und die Empfehlung des Apostolischen Nuntius beeinflussten die Entscheidung des Heiligen Stuhls zu seinen Gunsten. Marschall eröffnete damit die lange Liste ehemaliger Günstlinge Franz Ferdinands, die dieser öffentlich an den Pranger stellte, wenn er sich von ihnen verraten fühlte. Immer noch vom selben Hintergedanken beseelt, war Franz Ferdinand versucht, sich der von Franz Joseph festgesetzten Frist zu entziehen. Einmal auf dem Thron, würde er nicht mehr dem Familienstatut unterliegen. Dann konnte Sophie den Titel einer Kaiserin von Österreich führen und die Kinder, die aus ihrer Verbindung hervorgehen würden, träten in die Nachfolgeordnung ein. Dieses Kalkül war weiterhin äußerst unsicher. Franz Joseph, der sich nun den 70 näherte, war immer noch rüstig. Und vor allem müsste Franz Ferdinand einer Reaktion seines Onkels gewärtig sein. Da dieser kaum an den Widerstand vonseiten eines Familienmitglieds gewöhnt war, würde er auch im vorliegenden Fall nicht bereit sein, solchen zu tolerieren. Dem Kaiser war allerdings auch bewusst, dass er eine Krise auf oberster Staatsebene riskierte. Sie würde die Monarchie, um deren Fragilität er wusste, nach der Tragödie von Mayerling schwer erschüttern. Darüber hinaus durfte er nicht übersehen, dass bei strikter Anwendung des 87

Der Bruch

Familienstatuts Otto automatisch in die Stellung seines älteren Bruders als Thronfolger aufrücken würde – für ihn ein Albtraum. Unter Berücksichtigung all dieser Faktoren entschied er sich schließlich für eine gütliche Einigung. Die Akzeptanz einer morganatischen Ehe stellte für Franz Joseph allerdings die äußerste Grenze dar, die er nie auch nur um einen Schritt überschreiten würde. Käme er damit nicht auch dem Ansuchen der böhmischen Adeligen nach, den Choteks die Ebenbürtigkeit zuzugestehen? Das Statut von 1839 hatte davon Abstand genommen, im Detail die Familien aufzuführen, die sich einer solchen erfreuten. Die aktuelle Krise legte nahe, diese Lücke zu schließen. Es ist nicht weiter erstaunlich, dass die Choteks auf der am 12. Juni 1900 erstellten Liste nicht aufschienen. Franz Joseph teilte Franz Ferdinand seine Entscheidung am 8. April mit. Unter diesem Datum schrieb Beck in sein Tagebuch: „Wichtige Ereignisse, E. H. hat mit dem Kaiser gesprochen und die Bewilligung so gut wie erhalten, unter der Bedingung, daß in Cis- und Transleithanien alles geordnet werde.“55

Nun wurde in dieser Angelegenheit eine zweite Phase eingeläutet. Die morganatische Ehe war mit den österreichischen und ungarischen Gesetzen in Einklang zu bringen, eine Aufgabe, die nicht einfach zu werden versprach, sollte es doch allein drei Monate dauern, bis die Bestimmungen für die Einigung finalisiert werden konnten. Im Vordergrund stand die P ­ olitik, einerseits die Chefs der österreichischen und der ungarischen Regierung, Ernest von Koerber und Kálmán von Szell, andererseits Graf Gołuchowski, der in seiner Eigenschaft als Minister des Äußeren und des kaiserlichen Hauses doppelt betroffen war. Max Wladimir von Beck führte die Verhandlungen für den Thronfolger. Da sich Franz Ferdinand seiner unzulänglichen juristischen Ausbildung bewusst war, kam er auf seinen alten Lehrer zurück. Er vertraute ihm voll, was ihn aber nicht daran hinderte, ihn regelmäßig unter Druck zu setzen, wenn die Verhandlungen seiner Meinung nach nicht rasch genug voranschritten oder auf ein Hindernis stießen.Voller Ungeduld das Ende erwartend, legte er eine Eile an den Tag, die seinem Vertreter die Aufgabe nicht immer leicht machte. Die Schwierigkeiten kamen vonseiten Koerbers, der den Heiratsplänen zunächst ablehnend gegenüberstand und darin ein „Verhängnis“ für die 88

Die Krise

Monarchie sah. Auch wenn er später etwas einlenkte, war das letzte Wort noch nicht gesprochen. Noch blieben Fragen offen: In welcher Form sollte die Heirat vom Reichsrat anerkannt werden? Musste man die Landtage in den Prozess einbinden? Als sich die Sache in die Länge zog, wurde Franz Ferdinand ungeduldig. Er konnte nicht aus seiner Haut: Da werde nun die Verfassung peinlichst genau ausgelegt, um sich seinem Glück entgegenzustellen. Soll man sie doch mit Füßen treten, wenn es darauf ankomme! Koerber sollte nur wissen, dass er nicht der Mann war, der Beleidigungen vergab: „Ich weiß nicht, warum Koerber sich so sehr vor dem Parlament fürchtet, er braucht ja nur, wenn jemand im Parlament auftritt, denselben juristisch niederzudonnern und dann kann es ja gar keinen Disput mehr geben. Bitte, schrecken Sie diesen Unglücksmenschen damit, daß ich fuchsteufelswild und verzweifelt bin (was ich tatsächlich bin), und daß ich nicht zu denjenigen Menschen gehöre, die sich an der Nase herumziehen lassen und vor Hochachtung und Angst vor dem Parlament und den Ministern ersterben (…) Sonst tritt man Gesetz und Recht und alte Überlieferung mit Füßen (…), aber wenn es sich um das Lebensglück und die Existenz des Thronfolgers handelt, da wird auf einmal der Popanz des Konstitutionalismus aufgerichtet!“56

Beck dürfte das dem österreichischen Ministerpräsidenten wohl nicht mit diesen Worten übermittelt haben. Jedenfalls beleuchtet die Episode einen für die Folge wichtigen Aspekt der Persönlichkeit Franz Ferdinands. Sobald an der Oberfläche gekratzt wurde, zeigte er sich nicht wirklich vom Respekt vor den parlamentarischen Einrichtungen besessen und legte autokratische Neigungen an den Tag. Die Beziehung mit dem ungarischen Regierungschef war nicht einfacher. Szell wollte natürlich von der Situation profitieren, um neue Vorteile für Ungarn herauszuschlagen. Erstaunlicherweise schien Franz Ferdinand seine Abneigung gegenüber Ungarn und den Ungarn vergessen zu haben. Wenn das der Preis war, den es für sein Glück zu zahlen galt, sollte man ihnen gewähren, was sie forderten: „Ersuche, wenn möglich, durch Unbekannten noch auf K(oerber) wirken zu lassen“, wies er Beck an, „daß dieser bestimmt in P(est) auch sich nachgiebig zeigt und nichts verdirbt.“57 Beck, dem Franz Ferdinand später eine Gefälligkeit gegenüber den Ungarn vorwerfen sollte, zeigte die geforderte Standhaftigkeit. Schließlich 89

Der Bruch

gelangte man zu einer Einigung, ohne die Interessen der Krone zu beeinträchtigen. Das Prozedere würde mit dem feierlichen Verzicht Franz Ferdinands auf die Nachfolgerechte seiner Kinder beginnen; darauf sollte ein königliches Reskript folgen, in dem der ungarischen Nation die Heirat des Thronfolgers bekannt gegeben würde; als letzter Akt sollte die Verkündung vor dem Reichsrat erfolgen. Trotz der Opfer, in die Franz Ferdinand einwilligen musste, ließ er seiner Freude freien Lauf: „Überhaupt schwimme ich in einem Meer von Glück“, schrieb er an Beck, „daß ich endlich nach fünfzehn langen Monaten in den Hafen der langersehnten Ehe einlaufe.“58 Diese Zeit, in der die beiden Männer einander nahezu täglich sahen, verstärkte die Bindung zwischen den beiden. Zeugnis davon legt die Szene ihrer Trennung am Vorabend von Franz Ferdinands Hochzeit ab, wie Beck sie schilderte: „Wir nahmen also im Hofe Abschied. Er war tief bewegt, wurde ganz rot im Gesicht und bekam feuchte Augen, ich selbst hatte Tränen im Auge und konnte kaum sprechen, wir schüttelten uns lange und innig die Hand: er versicherte mich seines Vertrauens und seiner Freundschaft bis ans Lebensende. Ich gestehe, daß ich schließlich so ergriffen war, daß ich mir durchging, indem ich ihm mitten im Händeschütteln die Hand küsste – hinterdrein war’s mir nicht ganz recht aber er ließ es ohne Widerstreben geschehen, so daß ich die Empfindung hatte, daß er mich ganz richtig verstanden und sich über diese Äußerung meiner Gefühle freue – dann trennten wir uns.“59

Die Verzichtszeremonie wurde auf Sonntag, den 28. Juni, um die Mittagszeit in der Geheimen Ratsstube der Hofburg festgelegt. Franz Joseph hatte den Ablauf bis ins kleinste Detail geprüft, wies er doch auf die doppelte Bedeutung – auf familiärer und politischer Ebene – des Ereignisses hin. Die dualistische Struktur der Monarchie spiegelte sich in der Zusammensetzung der Beiwohnenden wider. Anwesend waren die Minister der ­österreichischen und ungarischen Regierungen, Kardinal Anton Gruscha, Fürsterzbischof von Wien, und der Primas von Ungarn, Kardinal Lorenz Schlauch. Kurz vor Mittag war die Reihe an Franz Ferdinand, Platz zu nehmen. Als es Mittag schlug, erschien – immer ein Vorbild an Pünktlichkeit – Franz Joseph und blieb vor dem auf einem Podest errichteten Thron 90

Die Krise

stehen. Ihm folgten alle Erzherzöge in Paradeuniform und nahmen an seiner Linken Aufstellung. Die Zeremonie konnte beginnen. Sie wurde mit einer kurzen Ansprache des Kaisers eröffnet, dann trat Graf Gołuchowski in seiner Funktion als Minister des Äußeren und des kaiserlichen Hauses vor, um den Verzichtsakt zu verlesen. Eines nach dem anderen fielen die schicksalsschweren Worte: „Bevor Wir aber zur Schließung des ehelichen Bundes schreiten, fühlen wir Uns veranlaßt, unter Berufung auf die obenerwähnten Hausgesetze des durchlauchtigsten Erzhauses, deren Bestimmungen Wir (…) vollinhaltlich anerkennen und als bindend erklären, festzustellen, daß Unsere Ehe mit Gräfin Sophie Chotek nicht eine ebenbürtige, sondern eine morganistische Ehe und als solche für jetzt und für alle Zeiten anzusehen ist, demzufolge weder Unserer Frau Gemahlin, noch den mit Gottes Segen aus dieser Unserer Ehe zu erhoffenden Kindern und deren Nachkommen jene Rechte, Ehren, Titel, Wappen,Vorzüge etc. zustehen und von denselben beansprucht werden können und sollen, die den ebenbürtigen Gemahlinnen (…) der Herrn Erzherzöge zukommen. Insbesondere erklären Wir aber noch ausdrücklich, daß Unseren aus obenerwähnten Ehe stammenden Kindern und deren Nachkommen (…) ein Recht auf die Thronfolge in den im Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern und somit auch (…) in den Ländern der ungarischen Krone nicht zusteht und Selbe vor der Thronfolge ausgeschlossen sind.“60

Nach Ende der Verlesung kam der entscheidende Augenblick der Zeremonie. Franz Ferdinand, der sich bis dahin nicht bewegt hatte, trat an den Tisch vor. Zwischen zwei Kerzen lag das Kreuz von Ferdinand II., auf das er nun den Eid leistete. Die rechte Hand auf den Evangelien, sprach er die übliche Formel: „So wahr mir Gott helfe.“ Daraufhin unterzeichnete er die beiden Ausfertigungen der Verzichtsurkunde, die auf Deutsch bzw. auf Ungarisch abgefasst waren. Mit den Unterschriften war die Zeremonie beendet. Franz Joseph verließ sofort den Saal, gefolgt in protokollarischer Reihenfolge von Franz Ferdinand, allen Erzherzögen und danach den übrigen Teilnehmern. Beim Auszug nach der Zeremonie hatten sowohl Franz Joseph als auch Franz Ferdinand Grund, verletzt zu sein. Franz Joseph hatte die Ehe nicht verhindern können, die er in seinem Innersten missbilligte. Er hatte sich damit abgefunden, um einer noch schwerer wiegenden Krise vorzubeugen. 91

Der Bruch

Franz Ferdinand seinerseits hatte zwar erreicht, dass er die Frau seiner Wahl heiraten konnte, ohne auf den Thron verzichten zu müssen. Der Preis, den er dafür bezahlen musste, war aber hoch: Er musste Einschränkungen im Hinblick auf die Zukunft akzeptieren. Seine Gemahlin und seine Kinder waren dazu verurteilt, außerhalb der kaiserlichen Familie zu stehen. Man konnte darauf wetten, dass Franz Joseph auf die Einhaltung dieser Klausel achten würde. Sie hatte zur Folge, dass Kinder aus dieser Ehe sowohl in Wien als auch in Budapest von der Nachfolge ausgeschlossen blieben. Außerdem hatte der Kaiser seinem Neffen den Schwur abverlangt, nach seiner Thronbesteigung keine der in dieser Verzichtsurkunde festgeschriebenen Verfügungen infrage zu stellen – eine Vorsichtsmaßnahme, die einer weiteren Demütigung gleichkam. Das Glück, Sophie Chotek ehelichen zu können, linderte an diesem Tag den Schmerz. Aber auch mit der Zeit sollte er nicht vergehen, sondern vielmehr stärker werden. Der Bruch zwischen Franz Joseph und Franz Ferdinand war vollzogen.

DIE HOCHZEIT Schon am nächsten Tag verließ Franz Ferdinand Wien in Richtung Schloss Reichstadt, wo am 30. Juni die Hochzeit gefeiert wurde. Die Wahl des Ortes war nicht zufällig. Sie stand in der Logik des Verzichtsaktes. Da es um eine morganatische Verbindung ging, war die Hochzeit von Franz Ferdinand und Sophie Chotek ein privates Ereignis, und dieser Charakter hätte nicht gewahrt werden können, wäre sie in Wien oder Prag gefeiert worden. Die kleine Stadt Reichstadt in Nordböhmen bot einen angemessenen Rahmen. Das Schloss war nach dem Tod Karl Ludwigs in den Besitz seiner Witwe übergegangen, die es als Sommersitz nutzte. Der Ort war auch eine Art Bekräftigung der Unterstützung, die Maria Theresia Franz Ferdinand in dieser schwierigen Zeit der Prüfung stets hatte zukommen lassen. Die Hochzeit hatte nicht den Status einer offiziellen Zeremonie, hätte also ein Familienfest werden können. Doch ganz im Gegenteil, auch hier zeigte der Verzichtsakt seine Konsequenzen. Die Familie boykottierte die Hochzeit. Neben Maria Theresia nahmen nur ihre Töchter daran teil, die Erzherzoginnen Maria Annunziata und Elisabeth. Der Hof hatte das Seine dazu getan. Der Tod einer Prinzessin von Hohenzollern war Vor92

Die Hochzeit

wand, eine zwölftägige Trauerzeit auszurufen, während der Erzherzöge und Erzherzoginnen nicht an Vergnügungen teilnehmen durften. Selbst ohne diese Vorkehrung wären sie wohl nicht sehr zahlreich nach Reichstadt gekommen, lehnten sie die Hochzeit in ihren Reihen doch fast einmütig ab. Noch einige Tage vor der Zeremonie, am 28. Juni, hatten die beiden Brüder von Franz Ferdinand ein letztes Mal versucht, ihn von diesem Schritt abzuhalten. Durch ihre Abwesenheit brachten sie ihre Missbilligung offiziell zum Ausdruck. Ihrem Beispiel folgte Margaretha, die Schwester Franz Ferdinands, nun Herzogin von Württemberg. Die Choteks indes hatten keine Gewissensprobleme, nur Sophies Bruder zog es aufgrund seiner Beamtenstellung vor, der Hochzeit fernzubleiben. Ihre Schwestern hingegen waren alle anwesend. Fürst Aloys von Löwenstein, ein deutscher Cousin Maria Theresias, leistete der Einladung ebenfalls Folge. Der böhmische Adel schließlich war durch Graf Franz Thun-Hohenstein vertreten, bei dem sich das Paar kennengelernt hatte. Die Feier in der Schlosskapelle zeichnete sich durch Schlichtheit aus. Nichts erinnerte an den üblichen Prunk bei Hochzeiten der kaiserlichen Familie.Vor allem nicht an die Hochzeit von Rudolf mit der belgischen Prinzessin Stephanie, die im Mai 1881 mit großem Pomp in der Augustinerkirche in Wien gefeiert worden war. In ihrer Ausgabe am nächsten Tag schrieb die Neue Freie Presse: „Da war keine Spur von höfischem Zeremoniell, kein Gepränge, keine Entfaltung von Luxus, die Feier hatte bürger­lichen Charakter.“61 Sophie trug ein weißes Satinkleid und wurde von ihrem Onkel Karl Chotek zum Altar geführt. Franz Ferdinand, in der Galauniform eines Kavalleriegenerals, wurde von Erzherzogin Maria Theresia begleitet, die bis zum Schluss an seiner Seite blieb. Die Eheversprechen wurden nicht, wie üblich, von einem hohen Geistlichen entgegengenommen, sondern vom Pfarrer von Reichstadt, dem zwei Kapuziner zur Seite standen. Der Rahmen war nicht geeignet für die Prachtentfaltung, wie sie bei fürstlichen Hochzeiten üblich war. Hier gab es keine feierliche Musik, keinen Chorgesang. Nur die Kaiserhymne ertönte am Ende der einfachen stillen Messe. Anschließend versammelten sich die Gäste im Schloss zum Mittag­ essen.Während des Essens wurde Franz Ferdinand ein Telegramm von Graf Bolfras überbracht, das aus Ischl kam und ihn über Sophies Erhebung zur „Prinzessin Hohenberg“ informierte: 93

Der Bruch

„Seine Kaiserliche und Königliche Apostolische Majestät haben mit allerhöchsten Handschreiben de dato Ischl 1. Juli, sich bewogen gefunden, die morganistische Gemahlin Seiner Kaiserlichen und Königlichen Hoheit des Durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs von Österreich-Este, Sophie, geborene Gräfin Chotek von Chotkowa und Wognin, taxfrei in den erblichen Fürstenstand mit dem Namen ,Hohenberg‘ und dem Prädikat ,Fürstliche Gnaden‘ zu erheben.“62

Die Depesche erfüllte einen doppelten Zweck. Es lag jenseits von Franz Josephs Vorstellungsvermögen, dass der Thronfolger, wenn auch morganatisch, eine einfache Gräfin zur Gemahlin hatte. Seine Entscheidung, sie in der Adelshierarchie aufzuwerten, bedeutete aber keineswegs, dass die Aufnahme in die kaiserliche Familie bevorstand. Dies blieb ihr an diesem Tag ebenso versperrt wie zuvor. Franz Ferdinand hatte den Namen „Hohenberg“ auf seinen Reisen oft verwendet, wenn er inkognito bleiben wollte. Die Wahl des Namens sollte vielleicht eine Geste an die Gemahlin des Thronfolgers sein, eine Geste allerdings, die dennoch die Distanz unterstrich, die sie von den Habsburgern trennte. Am frühen Nachmittag brach das Paar nach Konopischt auf, der ersten Station seiner Hochzeitsreise. Franz Ferdinand genoss die Wochen der Zweisamkeit. Nach den Spannungen der letzten Monate konnte er sich endlich dem Glück hingeben. Wie so oft in der Vergangenheit vertraute er sich Maria Theresia an, nicht ohne ihr zunächst seine große Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen, die er und Sophie ihr schuldeten: „Wir sind beide unsagbar glücklich und dieses Glück verdanken wir in erster Linie Dir. Wo wären wir heute, wenn Du nicht in so edler, rührender Weise Dich unserer angenommen hättest? Wir sprechen auch unausgesetzt von Dir und unsere Dankbarkeit kennt keine Grenzen. Wir können Dir nichts bieten als die Versicherung, daß Du so ein gutes Werk gemacht hast und daß Du Deine zwei Kinder für ihr ganzes Leben glücklich gemacht hast.“

Dann wird der Ton des Briefes vertraulicher. Er zeigt einen Franz Ferdinand, der nicht nur glücklich, sondern beruhigt und fröhlich ist, sagt er doch von sich selbst, er sei „viel weniger nervös“:

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Die Hochzeit

„Also kann ich Dir sagen, liebste Mama, unter vier Augen, daß Soph ein Schatz ist, daß ich unsagbar glücklich bin. Sie sorgt so für mich, mir geht es famos, ich bin gesund und viel weniger nervös. Ich fühle mich wie neugeboren. Sie schwärmt von Dir und redet nur von Deiner Güte und Liebe. Ich habe vollkommen in meinem Inneren das Gefühl, daß wir beide bis zu unserem Lebensende unbeschreiblich glücklich sein werden. Gute liebe Mama, Du hast das Richtige getroffen, daß Du mir geholfen hast.“63

Im August zog sich das Paar auf der Suche nach Kühle in das Jagdhaus in Lölling in den Kärntner Bergen zurück. Die Stimmung war ganz anders als während Franz Ferdinands früheren Aufenthalts, als er hier gegen seine Krankheit kämpfte. Zurück in Wien, wurde das Paar in Audienz in der Hofburg empfangen. Auch wenn die Tore der Familie verschlossen waren, gehörte es sich für Franz Joseph, dass Franz Ferdinand ihm seine Gemahlin vorstellte. Seit der Hochzeitsfeier war genügend Zeit verstrichen, dass dieser Begegnung eine andere Bedeutung verliehen werden konnte. In seinem unnachahmlichen Stil des ersten Beamten des Reiches berichtete Franz ­Joseph darüber Katharina Schratt. Hinter der trockenen Sprache, in der kein Platz für Emotionen ist, klingt ein, man könnte sagen, milderer Eindruck durch: „… auch mein Neffe Franz brachte mir, auf meine Einladung, seine Frau. Es ging ganz gut, sie war natürlich und bescheiden, sieht aber nicht mehr jung aus.“64 Die Episode zeigt, dass Franz Josephs Schatten immer noch über dem Paar schwebte. Der Konflikt zwischen dem Kaiser und dem Thronfolger war nicht beigelegt. Franz Joseph hatte sich in einen Kompromiss gefügt, aber als Hüter der dynastischen Ordnung machte er sich den Vorwurf, dass er ihre Integrität nicht wahren konnte. Franz Ferdinand litt unter den ihm auferlegten Bedingungen, unter der subalternen Stellung von Sophie und unter dem Verbot für seine Nachkommen, ihm auf dem Thron zu folgen. Zwischen den beiden Männern entstand ein von höheren Interessen erzwungenes Miteinander, doch der Bruch war vollzogen. Der zunächst dynastische Konflikt sollte ein politischer werden.

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Abbildungen

Abb. 1: Franz Ferdinand mit seiner Mutter, Erzherzogin Maria Annunziata. Die geborene Prinzessin Bourbon von Neapel prägte ihren Sohn mit ihrer Ablehnung liberaler Ideen und ihrem kämpferischen Katholizismus. (ÖNB) 97

Abb. 2: Franz Ferdinand mit seinem Vater, Erzherzog Karl Ludwig, seiner Stiefmutter Erzherzogin Maria Theresia, seinen beiden Brüdern und seiner Schwester. Maria Theresia war für ihn Mutterersatz und unterstützte ihn zeit seines Lebens in schwierigen Situationen. (ÖNB) 98

Abb. 3: Franz Ferdinand in Begleitung seiner Verlobten, Gräfin Sophie Chotek. Er ist einer der wenigen Erzherzöge, die eine Liebesheirat eingingen. Da Sophie aus einer Familie stammte, mit der die Habsburger aus Standesgründen keine Ehebündnisse schließen konnten, setzte Franz Ferdinand nach zähen Bemühungen schließlich eine Heiratsbewilligung des Kaisers durch. (ÖNB)

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Abb. 4: Aber der Preis dafür ist hoch: Der Gattin Franz Ferdinands bleibt der Titel ­Kaiserliche Hoheit verwehrt, und die zukünftigen Kinder des Paares sind von der Thronfolge ausgeschlossen. (ÖNB)

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Abb. 5: Franz Ferdinand mit seinen Kindern, denen er ein vorbildlicher Vater ist. Anders als die meisten anderen Erzherzöge legt er großen Wert auf das Familienleben. Er verbringt täglich so viele Stunden wie möglich mit seinen Kindern. (ÖNB)

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Abb. 6: Baron Max Wladimir von Beck. Franz Ferdinand bricht mit seinem langjährigen engsten Berater von Beck, nachdem dieser als Ministerpräsident Zisleithaniens sich nicht für die Politik des Thronfolgers instrumentieren lassen wollte. Der Erzherzog arbeitete in der Folge auf die politische Entmachtung seines einstigen Protegés hin. (ÖNB)

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Abb. 7: Graf Alois Lexa von Aehrenthal. Ein weiteres „rotes Tuch“ für Franz Ferdinand ist der von 1906 bis 1912 amtierende Außenminister von Aehrenthal. Franz Ferdinand wirft ihm vor, die Beziehungen zu Russland geschwächt und sich Italien gegenüber zu konziliant gezeigt zu haben. Seine Entlassung kann er allerdings nicht durchsetzen. Schließlich hatte Kaiser Franz Joseph stets betont: „Mein Außenminister verfolgt Meine Politik.“ (ÖNB)

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Abb. 8: Conrad von Hötzendorf. Der Fürsprache Franz Ferdinands verdankt er seine Nominierung zum k.u.k. Generalstabschef. In dieser Funktion leitet er eine Modernisierung der Armee ein. In den letzten Jahren verschlechtert sich sein Verhältnis zum Thronfolger allerdings und mündet in heftigen Meinungsverschiedenheiten. (ÖNB) 104

Abb. 9: Franz Ferdinand und Sophie verlassen das Rathaus von Sarajewo. Nach dem ersten Attentatsversuch trifft das Paar wie vorgesehen im Rathaus ein. Man beschließt eine Programmänderung: Die Autokolonne sollte nicht durch die Altstadt fahren, sondern entlang der Miljacka. (ÖNB)

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Abb. 10: Das Attentat. Dass das Attentat überhaupt gelingen konnte, war schicksalhafter Zufall: Entgegen dem im Rathaus beschlossenen geänderten Plan bog der Chauffeur des Wagens, in dem Franz Ferdinand und Sophie Platz genommen hatten, in die Altstadt ab. Genau dort hatte sich Gavrilo Princip platziert, der aus kurzer Entfernung seine Schüsse auf das Paar abgeben konnte. (ÖNB)

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Abb. 11: Die Uniform. Im Heeresgeschichtlichen Museum Wien ist die Uniform ausgestellt, die Franz Ferdinand am Tag des Attentats trug. Mitten auf der Brust ist das tödliche Einschussloch zu sehen. (HGM)

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Abb. 12: Die Särge. Einige Jahre vor dem Attentat hatte Franz Ferdinand testamentarisch verfügt, an der Seite Sophies in der Krypta von Schloss Artstetten bestattet zu werden. So sollten die beiden im Tod wie im Leben vereint bleiben. (J. P. B.)

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Abb. 13: Schloss Konopischt. Neben den auf wenige Monate im Jahr beschränkten Aufenthalten in Wien ist Schloss Konopischt in Böhmen einer der Lieblingsaufenthaltsorte Franz Ferdinands. Er erwirbt das Schloss in den 1890er-Jahren und lässt die Innenräume komplett renovieren. Seine besondere Liebe und Sorgfalt gelten dem herrlichen Rosarium. (ÖNB)

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Abb. 14: Schloss Artstetten. Franz Ferdinand lässt das Schloss kurz vor dem Schicksalsjahr 1914 renovieren. Es sollte Sophie nach seinem Tod als Alterssitz dienen und beider sterbliche Überreste in der Krypta beherbergen. (ÖNB)

Abb. 15: Schloss Blühnbach in Salzburg, wo Franz Ferdinand gerne zur Jagd ging. (© Archiv des Erzherzog Franz Ferdinand-Museums, Schloss Artstetten)

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Abb. 16: Drei sportliche junge Männer (in der Mitte Franz Ferdinand). (© Archiv des Erzherzog Franz Ferdinand-Museums, Schloss Artstetten)

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Abb. 17: Ein Zeichen für die Distanz zwischen zwei Männern: Kaiser Franz Joseph und Franz Ferdinand auf dem Manöverfeld. (© Archiv des Erzherzog Franz Ferdinand-Museums, Schloss Artstetten, Patricia Hohenberg)

Abb: 18: Nach einer solchen Tennispartie vergaß Franz Ferdinand seine Taschenuhr, die das Geheimnis seiner Liebe zu Gräfin Sophie Chotek barg: ihr Bild. (© Archiv des Erzherzog Franz Ferdinand-Museums, Schloss Artstetten, Patricia Hohenberg)

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KAPITEL V

Der erste Gegner Franz Ferdinand erhielt – anders als Rudolf – keine Ausbildung, die ihn auf seine Stellung als Thronfolger vorbereitet hätte. In der Folge wurde zwar versucht, dem Abhilfe zu schaffen, doch seine Kenntnisse blieben unzureichend und seine politische Bildung lückenhaft.Vielleicht wäre dieses Defizit, zumindest teilweise, auszugleichen gewesen, wenn Franz Joseph ihn in die Staatsgeschäfte eingebunden hätte. Nachdem er das schon Rudolf verwehrt hatte, war er auch nicht geneigt, es Franz Ferdinand zuzugestehen. Als dieser einen Vorstoß wagte, erinnerte der Kaiser ihn trocken daran, dass er allein das Sagen habe und dies auch so beibehalten wolle.Wie einst Rudolf beschränkte er Franz Ferdinand auf militärische Aufgaben. Sicher war es nicht immer leicht, hier eine Trennungslinie zu ziehen, insbesondere in der Außenpolitik. So erhielt Franz Ferdinand Gelegenheit, sich eine Meinung über diese Akten zu bilden. Sein Denkgebäude ruhte auf einem Bündel simpler Ideen, die oft von nachhaltigen Vorurteilen geprägt waren. Zu keinerlei Nuancierung fähig, verteidigte er sie mit umso mehr Nachdruck, ja, sogar Gewalt, je stärker er das Fehlen seiner inneren Sicherheit überspielen wollte. Auch wenn diese Zweifel dem Bild widersprechen, das die Nachwelt von ihm bewahrt, sind sie ein Schlüssel zu seiner Persönlichkeit.

RADIKALISIERUNG DER INNENPOLITISCHEN FRONTEN 1898 feierte die Monarchie mit allem Glanz ein neuerliches Regierungsjubiläum. 50 Jahre nach Franz Josephs Thronbesteigung zeigten die Fest113

Der erste Gegner

lichkeiten zu diesem Anlass die große Popularität des alten Monarchen. Dieser Erfolg darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der Himmel verdüstert hatte. An verschiedenen Fronten im Inneren war die Situation im Laufe der letzten Jahre schlechter geworden, eine Verschlechterung, die untrennbar mit der zunehmenden Macht radikaler Kräfte einherging. Und vor allem diese Verschärfung der Lage wurde Franz Ferdinands Aufmerksamkeit vorenthalten. Die 1880er-Jahre waren eine Zeit der Regierungsstabilität gewesen. In Zisleithanien stützte sich das Kabinett Taaffe seit 1879 auf eine Mehrheit aus katholischen Konservativen und gemäßigten nationalen Parteien, vor allem Tschechen und Polen. Die Wende kam 1893, als Taaffe von seinen Koalitionspartnern desavouiert wurde. Er wollte das allgemeine Wahlrecht einführen, und nach 14 Jahren guter und treuer Dienste bei Franz Joseph reichte er daraufhin seine Demission ein. Taaffe folgte eine Reihe von Regierungen, von denen keine Tritt fassen konnte. Diese Instabilität sollte in Hinkunft ein Kennzeichen des politischen Lebens in Österreich bleiben. Sie muss als Folge der Verschärfung der nationalen Spannungen gesehen werden, die, bislang gezügelt, nun der Kontrolle der Gemäßigten immer mehr entglitten, die auf ein Gleichgewicht zwischen den Interessen der Monarchie und den Forderungen ihrer Völker bedacht waren. Der Abwärtstrend begann 1891, als ein neuerlicher Versuch scheiterte, einen Ausgleich mit Böhmen zu erreichen. Taaffe wähnte sich seinem Ziel schon nahe, nachdem sich die Vertreter der beiden Völker des K ­ önigreichs, die Alttschechen hinter Rieger und die Deutschliberalen unter der Führung von Ernst von Plener, Anfang 1890 auf einen ausgewogenen und vernünftigen Plan für einen Ausgleich geeinigt hatten. Die Hoffnung war indes nur von kurzer Dauer. Taaffe plädierte dafür, die Jungtschechen, den aktivistischen Flügel der nationalen Bewegung, nicht in die Gespräche einzubinden. Er befürchtete, ihre Unnachgiebigkeit könnte den Erfolg des Unterfangens behindern, hatte aber ihren Einfluss unterschätzt. Die Jung­ tschechen blieben von den Verhandlungen ausgeschlossen, fühlten sich nicht an die Vereinbarung gebunden und griffen sie heftig an. Bei den Wahlen zum Reichsrat im darauffolgenden Jahr ernteten sie die Früchte ihres Verhaltens und wurden zur stärksten tschechischen Partei, während die Alttschechen ein regelrechtes Debakel erlebten. Mit der Niederlage eines 114

Radikalisierung der innenpolitischen Fronten

seiner Unterzeichner wurde der Ausgleich in dem Augenblick zu Grabe getragen, als das Feld auf beiden Seiten den Radikalen überlassen wurde. Die Radikalisierung der Gemüter zeigt sich an der Krise, die im April 1897 ausbrach. Das unter der Leitung des polnischen Aristokraten Graf ­Kazimir Badeni stehende Kabinett gab zwei Verordnungen heraus, mit denen in Böhmen stationierte Beamte verpflichtet wurden, beide Sprachen des Königreiches zu beherrschen. Diese Entscheidung goss Öl ins Feuer. Die Deutschen in Böhmen fühlten sich doppelt benachteiligt. Da sie nur selten Tschechisch sprachen, war zu befürchteten, dass sie in der Verwaltung zahlenmäßig deutlich reduziert würden. Diese Maßnahme könnte aber auch einer ihrer Hauptforderungen zuwiderlaufen: der Aufteilung Böhmens in weitgehend autonome nationale Kreise. Es dauerte nicht lange, bis die Krise ganz Zisleithanien ergriff. Die Solidarität mit ihren Volksbrüdern, aber auch die Sorge, das Feld nicht Extremisten zu überlassen, veranlassten die meisten deutschen Parteien, etwas gegen die „niederträchtigen“ Verordnungen zu unternehmen. Im Reichsrat gehörten Diskussionen unter gesitteten Menschen der Vergangenheit an. Die Gegner vermehrten ihre Obstruktionsmanöver. Befürworter und Gegner gerieten einander in die Haare und das österreichische Parlament bot dem Ausland ein erbärmliches Bild. Ein weiteres beunruhigendes Zeichen war, dass sich die Agitation nicht auf den Reichsrat beschränkte, sondern auf die Straße überschwappte. Angesichts der zunehmenden Unruhen und der wachsenden Lähmung des Parlaments nahm Franz Joseph am 27. November die Demission Badenis an. Damit war die Sache allerdings noch nicht ad acta gelegt, denn die Aussetzung der Anwendung der Verordnungen verärgerte diesmal die Tschechen, die sich einmal mehr von den österreichischen Machthabern verraten fühlten. Ein Zeichen für die Wende war der Ausnahmezustand über Prag. Aus dieser Krise können mehrere Lehren gezogen werden. Sie führte den Ernst der böhmischen Frage vor Augen, die noch immer nicht geregelt war. Alle kommenden Regierungen sollten sich dem quälenden Problem gegenübersehen. Jede versuchte sich an der Ausarbeitung von Bedingungen für einen Ausgleich, doch keine sollte Erfolg haben. Die Unfähigkeit förderte die Instabilität der Regierungen. Nach der Demission Badenis folgten innerhalb der nächsten drei Jahre nicht weniger als vier Regierungen. 115

Der erste Gegner

Sie alle scheiterten, mangelte es ihnen doch an einer parlamentarischen Mehrheit. In dieser Zeit wurde nicht ein einziges Gesetz verabschiedet. Die Ministerien mussten auf Artikel 14 der Verfassung zurückgreifen, der die Regierung im Falle einer Ausnahmesituation – hier des Patts im Parlament – ermächtigte, auf eine Zustimmung durch die Kammern zu verzichten. Der Eintritt Österreichs in das Massenzeitalter ist die zweite große Lektion dieses Jahrzehnts.Teil des Phänomens war das Aufkommen neuer Parteien. Zur 1889 gegründeten Sozialdemokratischen Partei gesellte sich zwei Jahre später die Christlichsoziale Partei. Dank der 1896 von Badeni beschlossenen Wahlrechtsreform wurde eine fünfte Kurie geschaffen, der alle Männer angehörten, die bislang vom Wahlrecht ausgeschlossen waren. Im Jahr darauf zogen die Sozialdemokraten mit 15 Abgeordneten in die untere Kammer des Reichsrats, das Abgeordnetenhaus, ein. Die Christlichsozialen profitierten ebenfalls von der Reform. Die meisten ihrer 28 Abgeordneten wurden in der V. Kurie gewählt. Die spektakulärste Illustration dieses tief greifenden Wandels ist zweifellos die Eroberung der Stadt Wien im Jahr 1896 durch die Christlichsozialen, die von Handwerkern, Ladenbesitzern und der Mittelschicht der Hauptstadt stark unterstützt wurden. Unter der Leitung ihres charismatischen Führers Dr. Karl Lueger verdrängten sie die Liberalen, die seit dem Fall des Neoabsolutismus an der Spitze der Stadt standen. Eine weitere Konkurrenz erwuchs den Liberalen in den Deutschnationalen und den noch extremeren Pangermanisten. Letztere erreichten bei den Wahlen 1897 rund 20 Abgeordnetensitze, darunter auch einen für ihren Anführer Georg von Schönerer. Der Vorreiter eines Großdeutschland, auch Bannerträger eines biologischen Antisemitismus, erwies sich als einer der lautstärksten Störenfriede der Arbeit des Reichsrats. Nicht zuletzt hatte die Krise, in der sich Österreich festzulaufen schien, die indirekte Auswirkung, dass seine Position gegenüber Ungarn geschwächt wurde. Die Beziehungen mit Budapest waren zwar durch den Ausgleich von 1867 entschärft worden, doch sie blieben heikel und voller Tücken. Seit damals war Franz Joseph stets darauf bedacht, die ihm von der ungarischen Verfassung auferlegten Verpflichtungen peinlichst genau zu erfüllen, auch wenn er seine wahren Präferenzen verschweigen musste. Zweifellos fiel es ihm schwer, im April 1894 das Gesetz zur Einführung der Zivilehe in Ungarn zu erlassen. Als es kurz darauf zu einem Konflikt zwischen seinem 116

Radikalisierung der innenpolitischen Fronten

Außenminister Kálnoky und der ungarischen Regierung kam, opferte er lieber einen Minister – der noch dazu sein Vertrauen besaß –, als dass er eine möglicherweise gefährliche Krise zwischen Österreich und Ungarn zugelassen hätte. Seine konziliante Haltung verhinderte jeden größeren Konflikt, doch die Medaille hatte auch ihre Kehrseite. Die Entscheidung für diese Vorgehensweise verringerte in gleichem Maße den Handlungsspielraum Wiens in seinen Beziehungen mit Ungarn. Andererseits war es nur logisch, dass diese Haltung den Kaiser und König daran hinderte, seine natürliche Rolle als Schutzherr der Völker wahrzunehmen, die der Herrschaft der Magyaren unterworfen waren. Man hatte das 1894 gesehen, als 300 rumänische Persönlichkeiten aus Siebenbürgen ein Schreiben an Franz Joseph richteten. In seiner Funktion als konstitutioneller König Ungarns leitete er dieses Schreiben an die Regierung in Budapest weiter, die darin einen Akt des Hochverrats sah und die Verfasser vor Gericht brachte. Die strikte Beachtung der konstitutionellen Regeln barg das Risiko, dass der Monarchie bislang treu ergebene Völker für Stimmen empfänglich wurden, die sie aus jener herauszulösen suchten. Aufgrund seiner Erfahrungen war Franz Joseph entschlossen, nicht von dieser Linie abzuweichen, solange die Errungenschaften des Ausgleichs eingehalten wurden, also die Vorrechte der Krone in Belangen der ­Außenpolitik und des gemeinsamen Heeres. Diesbezüglich konnte er sich auf die Generation der Väter des Ausgleichs und später auf ihre Erben in der Liberalen Partei stützen. Sie verstanden es, sicherzustellen, dass sich Ungarn an die 1867 unterschriebenen Zusagen hielt. Ob dieses Bollwerk allerdings lange halten würde, war nicht sicher: Zunächst lag es in der Logik der ungarischen Interpretation des Ausgleichs, dass sich die Forderungen der Magyaren früher oder später auf diese Bereiche ausweiten würden, und umso mehr, als der nationalistische Druck immer stärker wurde. Er fand seinen Ausdruck in der Unabhängigkeits­ partei unter der Führung des Sohnes des berühmten Kossuth, die im Laufe der Jahre immer mehr Anhänger fand. Dort trat man zwar für eine Personalunion ein, stürzte sich aber auf die Frage der Armee, wobei man die nationale Souveränität für unvereinbar mit den durch den Ausgleich auferlegten Einschränkungen hielt. In erster Linie zielte dies auf das Monopol des Deutschen als Kommandosprache in der k. u. k. Armee ab. Die 117

Der erste Gegner

Unabhängigkeitspartei hatte aber noch weitere Forderungen. Sie verlangte vor allem, dass ungarische Regimenter nicht außerhalb von Ungarn stationiert werden durften und dass ihnen die Verpflichtung auferlegt wurde, den Eid auf die ungarische Verfassung zu leisten. Der Sinn dieser Forderungen liegt auf der Hand. Es ging darum, die Regimenter der Autorität Wiens zu entziehen, um eine nationale Armee zu bilden, die ihre Befehle von der Regierung in Budapest erhielt. Natürlich war die Unabhängigkeitspartei nicht an der Macht, näherte sich ihr aber, wobei ihr der Niedergang der Liberalen Partei zugutekam. Für die nahe Zukunft konnte eine größere Auseinandersetzung nicht ausgeschlossen werden. Auch außenpolitisch zogen Wolken auf, obwohl ein erster Blick zeigt, dass der Balkan, der sensibelste Bereich für die österreichisch-ungarischen Interessen, zumindest bis 1903 eine Zeit relativer Stabilität erlebte. In Abstimmung mit Franz Joseph traten die Außenminister, zuerst Graf Gustav Kálnoky, dann Graf Agenor Gołuchowski, für die Verteidigung des Status quo ein. Als Verfechter einer konservativen Linie suchten sie keine Konfrontation mit Russland, sondern verfolgten im Gegenteil eine Politik der Verständigung mit St. Petersburg. Diese Vorgangsweise fand bei den russischen Verantwortlichen, die wie sie selbst aus dem konservativen Lager kamen, ein positives Echo. Außerdem galt Russlands Priorität in diesen Jahren der asiatischen Front. Seine Expansion in Mittelasien und im Fernen Osten nahm die Aufmerksamkeit auf Kosten der anderen traditionellen Handlungsfelder in Anspruch. Damit waren die Grundlagen für ein Abkommen geschaffen, das während eines Treffens von Franz Joseph und Nikolaus II. in Mürzsteg im Oktober 1903 Form annahm. Die Zuspitzung der Situation in Mazedonien, wo die christliche Bevölkerung die osmanische Herrschaft immer schwerer ertrug, diente als Vorwand. Angesichts eines drohenden Krieges mit Japan wollte sich Nikolaus II. vor allem der Neutralität Wiens versichern, was Franz Joseph ihm in dem entscheidenden Punkt garantierte. Die beiden Mächte einigten sich auch auf einen Plan, um das mazedonische Pulverfass zu entschärfen. Im Austausch dafür gestand Russland Österreich-Ungarn das Recht zu, den westlichen Teil des Balkans seinem Einflussbereich hinzuzufügen, Serbien mit eingeschlossen. Nun kam aber gerade aus Belgrad der Schlag, der den Status quo zu erschüttern drohte. Der Einfluss Wiens in Serbien beruhte auf einer per118

Radikalisierung der innenpolitischen Fronten

sönlichen Entscheidung des Herrschers und nicht, weil das Volk dafür war. In der Nacht vom 11. auf den 12. Juni 1903 wurde König Alexander samt seiner Familie und seinen Getreuen von einer Gruppe von Offizieren ermordet, die es ihm nicht verzeihen konnten, das Land Österreich-Ungarn unterstellt zu haben. Sie hoben Peter I. auf den Thron, den Erben der Karageorgevich. Dabei handelte es sich nicht nur um eine Palastrevolution. Die neuen Machthaber wollten mit der Politik der Abgleichung mit Österreich-Ungarn brechen und sie durch ein panserbisches Programm ersetzen. Damit fiel nicht nur das erste Glied im österreichisch-ungarischen System auf dem Balkan, Wien musste auch befürchten, der Machtwechsel in Belgrad könnte Auswirkungen auf die Slawen im Süden der Monarchie haben. Mit einem Wort: Serbien könnte bei ihnen die gleiche Rolle spielen wie einst Piemont in Italien. Dieses Ereignis kann nicht unabhängig von der Veränderung der europäischen Kräfteverhältnisse gesehen werden, die sich in den 1890er-Jahren abzeichneten. Was Bismarck immer zu vermeiden suchte, war unmittelbar nach seiner Entlassung aus dem Kanzleramt durch Wilhelm II. im März 1890 eingetreten. 21 Jahre nach dem Frieden von Frankfurt gelang es Frankreich, aus der Isolation herauszutreten, indem es im August 1892 ein Bündnis mit Russland einging. Für Österreich-Ungarn bestand keine unmittelbare Gefahr, da es nicht im Interesse Russlands lag, die Front auf dem Balkan zu entzünden. Sein Augenmerk richtete sich ganz auf die Ambitionen im Fernen Osten. Aber was würde geschehen, sollten diese enttäuscht werden? Das französisch-russische Bündnis war dennoch der Beginn einer Neuverteilung der Karten im Beziehungsspiel zwischen den europäischen Mächten. Die Achse Paris–St. Petersburg erschütterte das Bismarck’sche System, und es bekam immer mehr Risse. Die französisch-italienischen Abkommen der Jahre 1900 und 1902 schwächten den Dreibund. England seinerseits entschloss sich zu einer Annäherung an Frankreich, nachdem seine Bemühungen gescheitert waren, Deutschland davon zu überzeugen, sein Flottenprogramm einzustellen und stattdessen mit England ein Militärbündnis zu schließen. Nach Beilegung ihres Kolonialstreits unterzeichneten die beiden Länder am 8. April 1904 ein militärisches Abkommen, das die Geburtsstunde der Entente cordiale darstellte. 119

Der erste Gegner

Franz Ferdinand verfolgte die innenpolitischen wie außenpolitischen Ereignisse als trauriger und oft schockierter Zuseher. Wie Rudolf vor ihm kam er zur Schlussfolgerung, Österreich würde wie ein kranker Koloss in die Spirale des Niedergangs hineingezogen. Es lauerte eine tödliche Gefahr, würde nichts unternommen, diesen Weg in den Abgrund zu stoppen. Damit war es mit der Übereinstimmung aber auch schon vorbei, denn so sehr sich die Cousins in dieser pessimistischen Einschätzung einig waren, so sehr unterschieden sie sich in den Lösungen, deren Umsetzung sie für erforderlich hielten, um der Monarchie ihre Würde zurückzugeben. Als Gegenpol zum bekennenden Liberalismus Rudolfs wurden die Analysen und Entscheidungen Franz Ferdinands von einem Gedankengebäude beeinflusst, das aus einer einzigartigen Mischung von geradezu reaktionärem Konservatismus und Reformgeist bestand.

DAS GEDANKENGEBÄUDE FRANZ FERDINANDS Man konnte sich 50 Jahre zurückversetzt glauben. Die Überlegungen und Reaktionen Franz Ferdinands erinnerten an die Zeit des Neoabsolutismus. Der Schatten Schwarzenbergs schwebte über seiner Auffassung von Macht ebenso wie über seiner Sicht Ungarns. Einige gingen noch weiter zurück, so sein engster Mitarbeiter, Brosch von Aarenau: Er sah in Franz Ferdinand einen „Renaissancemensch[en]“65. Man könnte genauso gut sagen, dass er sich aufgrund seiner absolutistischen Neigungen im Österreich Leopolds I. wohler gefühlt hätte, wie auch Ernest von Koerber unterstreicht: „Er stehe dem 17. Jahrhundert näher als dem 20.“, meinte er in einem Gespräch mit Josef Redlich.66 Man tut Franz Ferdinand kein Unrecht, wenn man ihm autokratische Neigungen nachsagt.Theodor von Sosnosky nannte ihn einen „geborenen Autokraten“67. Spontan hegte er keinerlei Sympathie für das konstitutionelle Prinzip, das von Natur aus die Macht des Monarchen einschränkt. Wenn die parlamentarische Institution wenigstens ihre Wirksamkeit unter Beweis gestellt hätte – aber das Gegenteil war der Fall. Franz Ferdinand war empört über das Spektakel, das der Reichsrat bot. Er war zum Turnierplatz der verschiedenen Parteien geworden, ohne Rücksicht auf das allgemeine Interesse. Die Ausschreitungen, zu denen sich die Abgeordneten hinreißen 120

Das Gedankengebäude Franz Ferdinands

ließen, hatten das Parlament in Misskredit gebracht. Die dort herrschende Pattsituation behinderte die Regierungsarbeit. Die Anwendung von Artikel 14 war vielleicht ein kurzfristiges Gegenmittel, genügte aber nicht, um die grundlegenden Probleme zu lösen, denen sich die Monarchie gegenübersah. Was war zu tun? Angesichts der gewaltigen Herausforderungen war Franz Ferdinand bereit, ein Verlassen des konstitutionellen Weges ins Auge zu fassen. Wenn notwendig, dürfe man nicht zögern, oktroyierte Lösungen durchzusetzen, um sowohl die ungarische als auch die böhmische Frage zu entscheiden. Bei seiner negativen Analyse der Parteien machte Franz Ferdinand kaum Ausnahmen. Zum einen genossen die Liberalen keinerlei Vorzugsbehandlung. Tatsächlich hatte der Thronfolger gute Gründe, sie rundweg abzulehnen. Er machte sie vor allem für die Einführung der konstitutionellen Regierungsform verantwortlich, die der monarchischen Autorität einen Teil ihrer Substanz geraubt hatte. Schon das genügte, um den Liberalen seine Feindschaft einzutragen. Die Verbindungen des Liberalismus zur philosophischen Tradition der Aufklärung waren ein weiterer Grund für seine Ablehnung. In der Logik dieser Tradition hatten sich die Liberalen gegen das 1855 zwischen dem neoabsolutistischen Österreich und dem Heiligen Stuhl unterzeichnete Konkordat gestellt und ihren Widerstand so lange fortgesetzt, bis es 1870 aufgehoben wurde. Franz Ferdinands Verteufelung betraf auch die wichtigen Zeitungen der Wiener Presse wie die Neue Freie Presse und das Neue Wiener Tagblatt, die Tag für Tag das Gift liberalen Gedankenguts und liberaler Kultur verbreiteten. Nicht überraschend zählten auch die Freimaurer zu Franz Ferdinands „Prügelknaben“. Er wetterte gegen diese okkulten Mächte, die er als Verbündete des Liberalismus beschuldigte, wie dieser an einem Umsturz in Gesellschaft und Religion zu arbeiten. Wiederholt benützte er die Bezeichnung „Freimaurer“ als Schimpfwort. Wenn man Monsignore von Galen, seinem Beichtvater, glauben darf, weigerte er sich, Josef Redlich zu empfangen, mit der Begründung, der bedeutende Jurist sei ein Freimaurer. Neben den Liberalen und Freimaurern waren mit der gleichen Regelmäßigkeit auch die Juden eine Zielscheibe Franz Ferdinands. Wie alle Antisemiten sah er eine Verbindung zwischen den drei Gruppen. So entging ihm nicht, dass sowohl die Neue Freie Presse als auch das Neue Wiener Tag121

Der erste Gegner

blatt jüdische Chefredakteure bzw. Verleger hatten. Franz Ferdinands Anti­ semitismus war eher eine Art Reflex, er stützte sich auf keinerlei Doktrin und barg auch keine biologische Komponente, obwohl derartige Reden in Wien allmählich zu hören waren, vornehmlich von Georg von Schönerer. Damit vertrat Franz Ferdinand in einem weiteren Bereich eine gegenüber Franz Joseph konträre Auffassung. Den Kaiser als Philosemiten zu bezeichnen, wäre vielleicht übertrieben, doch sah er es als seine Pflicht, die Juden gleichermaßen zu schützen wie alle anderen Völker oder jede andere Konfession in der Monarchie. „Meine Juden“, pflegte Franz Joseph bisweilen zu sagen. Hinter der feudalen Konnotation, die in diesen Worten mitschwang, versteckte sich der entschiedene Wille, die Juden gegen alle Verfolgungsversuche zu verteidigen. Nicht besser ging es den Sozialisten. Auch ihnen wurde vorgeworfen, sich an dem umfassenden Komplott zu beteiligen, das eine Zerschlagung der gesellschaftlichen Ordnung im Sinn hatte. Im Reichsrat waren sie bis zur Wahlrechtsreform von 1906 nur schwach vertreten, Franz Ferdinand sah sie dennoch in der ersten Reihe des subversiven Unterfangens.Weitere Pfeile in seinem Köcher waren für die nationalistischen Parteien bestimmt. Sie zählten ebenfalls zu seinen bevorzugten Zielscheiben, da ihre Politik die Existenz der Monarchie bedrohte. Für ihn gab es keine Entschuldigung für die Alldeutschen Schönerers, deren Ansinnen einer Angliederung des deutschsprachigen Österreich an das wilhelminische Reich Franz Ferdinand schlicht und einfach als Verrat sah. Auch die Jungtschechen griff er vehement an, da er sie für die Radikalisierung der Spannungen in Böhmen verantwortlich machte. Von den politischen Parteien fanden genau genommen nur die Christlichsozialen Gnade vor Franz Ferdinands Augen. Natürlich war er empfänglich für die katholische Komponente in der Partei, sie hatte aber auch andere Einflüsse.Wie bekannt, war der christliche Bezug ursprünglich ohne religiöse Bedeutung, sondern als Gegensatz zu „jüdisch“ zu verstehen. Im Laufe der Zeit wurde die katholische Strömung innerhalb der Partei immer stärker und stellte schließlich die deutliche Mehrheit – gefördert auch dadurch, dass Lueger wieder zu einem praktizierenden Katholiken wurde. Zudem war es Franz Ferdinand nicht entgangen, dass die Partei eine sehr kritische Haltung gegenüber Ungarn einnahm. Insbesondere ihr Partei­ 122

Das Gedankengebäude Franz Ferdinands

organ, die Reichspost, bezog eindeutig Stellung zu den Forderungen Budapests, weshalb auch der Herausgeber der Zeitung, Friedrich Funder, vom wichtigsten Mitarbeiter Franz Ferdinands, Oberstleutnant Brosch von Aarenau, empfangen wurde. Dies war der Beginn einer engen Zusammenarbeit. Brosch ließ Funder regelmäßig Informationen zukommen, die Eingang in Artikel fanden, die in der Reichspost oder der Kölnischen Zeitung veröffentlicht wurden, einer der Zentrumspartei – der deutschen katholischen Partei – nahe stehenden deutschen Tageszeitung. Franz Ferdinands Sympathien hatten allerdings Grenzen. Die sozialen Tendenzen der Zeitungen, die er unverzüglich in die Nähe des Sozialismus rückte, waren ihm suspekt. Und dass sie Befürworter des allgemeinen Wahlrechts waren, machte die Sache nicht besser. Franz Ferdinands glühender Katholizismus ging mit einem überzeugten Antiliberalismus einher. Seit den heroischen Zeiten des Kampfes gegen die Reformation waren die Habsburger symbiotisch mit dem Katholizismus verbunden. Im Falle Franz Ferdinands kam zu dieser Tradition noch das Erbe der Bourbonen aus Neapel, das ein Übriges dazu tat, ihn in einem glühenden Glauben zu verwurzeln. Im Lauf der Zeit nahm diese Bindung bei den Herrschern unterschiedliche Formen an. Im Unterschied zu Rudolf identifizierte sich Franz Ferdinand nicht mit Josef II., dem Philosophenkaiser, der den Katholizismus mit den Forderungen der Vernunft in Einklang zu bringen suchte. Er sah sich eher als Soldat der wahren Religion, auf einer Linie mit den Kaisern der Gegenreformation. Franz Ferdinand machte nicht nur kein Hehl aus diesem Bemühen, sondern brachte es sogar öffentlich zum Ausdruck, was ihm Franz Joseph bisweilen vorwarf. Man denke hier an die Reaktion des alten Kaisers angesichts der in seinen Augen unangebrachten Entscheidung seines Neffen, 1901 die Patronanz des Katholischen Schulvereins zu übernehmen. Die Möglichkeit, ihm eine Lektion in Sachen politischer Klugheit zu erteilen, kam ihm nur allzu gelegen. Zweifellos stand hinter Franz Ferdinands Entscheidung eine lobenswerte Haltung. Er wollte seine Unterstützung des Katholizismus öffentlich zeigen, den die von Georg von Schönerer initiierte Los-von-RomBewegung angegriffen hatte. Dennoch war die Initiative ungeschickt. Ein künftiger Kaiser durfte sich nicht mit einer Partei oder Konfession – welcher auch immer – identifizieren: „Dessen ungeachtet“, rügte Franz Joseph, 123

Der erste Gegner

„war Dein sogar etwas demonstratives Vorgehen mit Rücksicht auf Deine ganz exceptionele hohe Stellung, mit Rücksicht auf Deine Zukunft […] in hohem Grade unüberlegt und ganz besonders geeignet, nach kaum beginnender, theilweiser Beruhigung und Besserung der Lage, neue Störungen und Aufregungen im Reichsrathe herbeizuführen.“68 Franz Ferdinand war von diesem Tadel seines Onkels wenig angetan.Wen erstaunt es da, dass seine Gegner ihn danach als klerikal und bigott bezeichneten! Hieß das, dass er sich nach seiner Thronbesteigung von der Kirche instrumentalisieren lassen würde? Conrad von Hötzendorf, der klerikaler Sympathien wohl kaum verdächtig war, glaubte dies nicht: „Ich kann mir bei seinem sehr selbständigen Wesen kaum denken“, meinte er, „daß er dem Klerikalismus die Rolle eines Staates im Staate zubilligen würde, er wird ihn höchstens als Mittel für seine Zwecke in Rechnung ziehen.“69 Zum gegebenen Zeitpunkt hätte es Franz Ferdinand, wie stark sein Glaube auch sein mochte, wahrscheinlich verstanden, zwischen den beiden Machtbereichen zu unterscheiden, und erkannt, was des Kaisers ist. Eine weitere beherrschende Vorstellung, die sich wie ein roter Faden durch Franz Ferdinands Denksystem zieht, ist seine Feindseligkeit gegenüber Ungarn. Nachvollziehbar, standen die Ungarn doch, wenn man ihm glauben darf, am Anfang aller Übel für die Monarchie, wovon er Franz Joseph zu überzeugen suchte: „Der schreckliche Nationalitätenhader in Österreich, die radikale antidynastische Strömung in Böhmen, Südtirol, Steiermark, Triest und Dalmatien, der äußerst schlechte Geist unter dem größten Teil der Beamtenschaft, die fortgesetzte Hetze gegen die Armee, all das hat seine Wiege in Ungarn und nur ein energisches Einschreiten dort könnte eine langsame allgemeine Remedie in der gesamten Monarchie schaffen.“70

Bei dieser kategorischen Verurteilung lässt sich eine Parallele zu Fürst Felix Schwarzenberg ziehen, der 1849 die Erhebung Kossuths niedergeschlagen und anschließend unumwunden behauptet hatte: „Was ist denn die ungarische Nation? Der ungarische Adel? Diese waren und sind immer Rebellen gewesen, die man vernichten, ja für immer unschädlich machen muß.“71 Sprachliche Gewalt spiegelt sich auch in der Derbheit des an eine Karikatur grenzenden Urteils Franz Ferdinands in einem Brief an Beck wider, dass 124

Das Gedankengebäude Franz Ferdinands

„... der sogenannte ‚anständige Ungar‘ überhaupt nicht existiert und jeder Ungar, ob Minister, ob Fürst, ob Cardinal, ob Bürger, ob Bauer, ob Häusler, ob Hausknecht ein Revolutionär und eine Canaille ist“72. Der sehr katholische Franz Ferdinand schwächte sein Urteil im Hinblick auf den Kardinal allerdings ab. Ein Kirchenfürst könne keine Kanaille sein, räumte er ein, damit war die Einschränkung auch schon zu Ende. Der Kardinal entging der Anschuldigung nicht, ebenso republikanisch wie alle anderen zu sein. Eine undifferenzierte Verurteilung kennzeichnete auch Franz Ferdinands Urteil über den Ausgleich von 1867. Die Ungarn hätten ihn Franz Joseph abgerungen, als Königgrätz Österreich in eine extrem geschwächte Position gebracht hatte. Sie hätten dieses Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten ausgenützt, um ihre Sichtweise durchzusetzen, die gänzlich konträr zu den Interessen der Monarchie war. Die Meinung Franz Ferdinands zu diesem Thema stand seit Langem fest. Schon im Oktober 1895 hatte er Fürst Karl Schwarzenberg seinen Standpunkt dargelegt: „Dieser Ausgleich ist das größte Unglück, dem armen Kaiser nach dem 66er Unglück abgerungen, richtet er uns wirtschaftlich zu Grunde und nebstbei ist dieser Dualismus überhaupt der Ruin der Monarchie. Es ist ja himmelschreiend was diese Magyaren treiben.“73

Der Ausgleich war doppelt verhängnisvoll. Zum einen versetzte er der Einheit der Monarchie einen Schlag, der tödlich zu sein drohte, würde nicht bald mit Entschiedenheit eine Korrektur vorgenommen. Zum anderen lag es in der Natur der Sache, dass die anderen Völker des Königreiches Ungarn von der Monarchie entfernt wurden. Franz Ferdinand richtete seine Aufmerksamkeit insbesondere auf die Kroaten und Rumänen, die in Reaktion auf die Politik Budapests versucht sein konnten, außerhalb der Monarchie Orientierung zu suchen. Ein 1868 zwischen Ungarn und Agram geschlossener Ausgleich hatte zwar die historische und juristische Persönlichkeit des Königreiches Kroatien anerkannt, doch dieses Abkommen war nicht nur schon von Beginn an sehr unausgewogen, sondern die ungarischen Regierungen höhlten seine Substanz sukzessive noch weiter aus. Zweifellos verband eine alte Tradition der Treue die Kroaten mit den Habsburgern. In den schweren Stunden des Jahres 1848 wurde die Verbindung durch die symbolträchtige Person des ­Banus 125

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Jelačić verkörpert. Auch gab es zahlreiche Kroaten im Offizierskorps, bis hinauf in die Generalsränge der k. u. k. Armee. Diese Treue war ein wertvolles Kapital, auf das sich eine Reform der Organisation der Monarchie stützen könnte. Aber es wäre falsch, zu glauben, sie währte ewig, würden nicht deutliche Zeichen gesetzt, um den Beschwerden der Kroaten Rechnung zu tragen. Sollte sich nichts ändern, stand zu befürchten, dass sie alte Vorurteile überwinden und den serbischen Sirenen Gehör schenken könnten. Vielleicht noch weniger beneidenswert war das Schicksal der Rumänen in Siebenbürgen. Im Unterschied zu den Kroaten konnten sie der Regierung in Budapest kein Staatsrecht entgegensetzen.Von Wien abgeschnitten, sahen sie sich einer Magyarisierungspolitik ausgesetzt, die zunehmend Erfolge verzeichnete. Trotz zahlenmäßig deutlicher Überlegenheit – sie stellten mehr als zwei Drittel der Bevölkerung Siebenbürgens –, waren sie im Budapester Parlament nur durch eine Handvoll Abgeordnete vertreten. Sie konnten dort zwar Protest einlegen, hatten in Wahrheit aber keinen Einfluss. Darin ist die Folge eines sehr ungleichen Wahlrechtssystems zu sehen, das die Ungarn zulasten der übrigen Völker bevorzugte. Die Situation drohte auch internationale Folgen zu haben. Seit 1883 bestand ein Bündnis zwischen dem Königreich Rumänien und Österreich-Ungarn, das Letzteres im Prinzip vor den Gefahren eines rumänischen Irredentismus schützte. Dieses Bollwerk war jedoch äußerst fragil und die Tatsache nicht unbedeutend, dass der Vertrag geheim bleiben sollte. König Carol war bewusst, dass dieses Bündnis von der rumänischen Öffentlichkeit äußerst negativ aufgenommen würde, sollte sie davon erfahren. Die Auseinandersetzungen mit Russland, mit ein Grund für den Vertrag, waren noch nicht beigelegt. Die rumänischen Verantwortlichen hätten dennoch größte Schwierigkeiten, ihr Volk zu einem Kriegseintritt aufseiten Österreich-Ungarns zu bewegen, sollte sich das Schicksal ihrer Landsleute in Siebenbürgen weiter verschlechtern. Franz Joseph waren gewisse Mängel des Ausgleichs, die Franz Ferdinand aufzeigte, natürlich bewusst. Seine Entscheidung für den Ausgleich fiel nicht aus Begeisterung, sondern aus der Not heraus. Der Unterschied zwischen den beiden Männern lässt sich zusammenfassen:Wo der Thronfolger das absolute Übel sah, sah der Kaiser das geringere Übel. Franz Joseph wusste nur zu gut, dass es keine Kraft in der politische Klasse Ungarns gab, auf die er sich stützen könnte, um den Ausgleich im Sinne einer Stärkung 126

Das Gedankengebäude Franz Ferdinands

der Zentralmacht abzuändern. So antwortete er auch seiner Tochter Marie Valerie, als sie ihn Ende 1894 drängte, die Promulgation des Gesetzes zur Einführung der verpflichtenden Zivilehe in Ungarn zu verhindern: „Ja, ja, aber wenn man ‚nein‘ sagt, muß man es auch durchführen können, und dazu hat man in Ungarn nicht die Leute. Die sogenannten ‚Guten‘ sind politisch unverlässlich.“74

Angesichts dieser Umstände gebot es der Realismus, vorrangig die der Krone im Ausgleich von 1867 zugestandenen Privilegien zu verteidigen. Für Franz Ferdinand zählte dieses Argument nicht, für ihn gab es nur eine einfache Überlegung: Der Ausgleich brachte Nachteile mit sich, also musste man ihn aus dem Weg schaffen. Dies vorausgesetzt, blieb offen: Wie konnte man sich seiner entledigen, und wodurch sollte man ihn ersetzen? Bis 1914 ließen diese beiden Fragen Franz Ferdinand nicht mehr los. Mithilfe seiner Mitarbeiter und Berater suchte er nach bestmöglichen Antworten. Sie schienen nicht auf der Hand zu liegen, denn all die Jahre hindurch schwankte er zwischen mehreren Optionen und Szenarien. Welchen Weg auch immer er einschlagen sollte, ein Erfolg setzte voraus, sich auf die unerschütterliche Unterstützung der Armee verlassen zu können. Franz Ferdinand schloss nicht aus, sie als ultima ratio einzusetzen, um die ungarische Frage zu regeln. Der Kaiser musste auf sie zählen können, um jedem Versuch einer Revolution im Inneren zu begegnen. Eine Bedrohung, die er – zumindest bis zu Beginn des neuen Jahrhunderts – für wahrscheinlicher hielt als einen Krieg nach außen. „Ihre Aufgabe ist der Schutz und die Erhaltung des Thrones und die Bekämpfung jedweden inneren Feindes“, schrieb er 1896 an den Generalstabschef.75 Um diese lebenswichtige Aufgabe für die Monarchie erfüllen zu können, war es unerlässlich, dass sie auf Biegen und Brechen ihre Einheit bewahrte. Aus dieser Forderung ergab sich die Notwendigkeit, sie von allen schädlichen – nationalen wie auch politischen – Einflüssen in der Gesellschaft fernzuhalten. Daher lehnte der Thronfolger auch alle Konzessionen an die Ungarn ab, die den Zusammenhalt der militärischen Institution untergraben würden. Franz Ferdinand machte sich das einst von Erzherzog Albrecht gegenüber Rudolf vorgebrachte Argument zu eigen: „Spaltet sich die Armee, entwertet sich ihr Geist, so ist die Dynastie verloren, und Österreich existiert nicht mehr.“76 127

Der erste Gegner

Noch mehr als andernorts waren in Österreich-Ungarn die inneren und äußeren Probleme eng miteinander verbunden, wie bereits die Kroaten und Rumänen gezeigt hatten. Franz Ferdinands Positionen in der Außenpolitik wurden weitgehend von seinem Konservatismus diktiert. In der Tradition der Heiligen Allianz vertrat er eine gemeinsame Front der drei großen konservativen europäischen Monarchien. Zur Verteidigung musste er aller­ dings seine Antipathie gegenüber Preußen und dem neuen Deutschland überwinden.Wie Rudolf konnte Franz Ferdinand nicht vergessen, welchen Schlag Preußen Österreich 1866 bei Königgrätz versetzt hatte. Ihm war auch bewusst, dass die vernichtende Niederlage nicht nur die Habsburger aus Deutschland ausgeschlossen hatte, sondern auch die dramatischen Umwälzungen im Inneren der Monarchie mit ausgelöst hatte. Noch weiter in die Vergangenheit zurückgehend, machte er sogar Metternich den Vorwurf, als Steigbügelhalter für den Aufstieg Preußens fungiert zu haben, als dieser 1813 der gegen Napoleon gerichteten Koalition beitrat. Noch 1895 scheute Franz Ferdinand sich nicht, in der „Demütigung unter Preußen“ ein Charakteristikum der von seinem Onkel verfolgten Außenpolitik zu sehen.77 Im Unterschied zu Rudolf entschloss er sich allerdings, die Veränderungen in den Beziehungen zwischen Wien und Berlin zur Kenntnis zu nehmen, wie schmerzlich sie auch gewesen sein mochten.Vorrang hätte in Hinkunft, so meinte er, die Bildung einer gemeinsamen Front der konservativen Mächte gegen die Kräfte der Revolution, die heute wie gestern in Europa am Werk seien. Damit zielte er gleichzeitig auf Nationalismus, Liberalismus und Sozialismus ab, die im Bemühen geeint seien, die von der Geschichte ererbte und auf dem monarchischen Prinzip gründende internationale Ordnung zu zerstören. Angesichts dieser furchterregenden Feinde dränge sich das österreichisch-deutsche Bündnis als Notwendigkeit auf. Franz Ferdinand hielt es für unerlässlich, dieses Bündnis auf Russland auszuweiten. In einem Brief vom November 1897 an den österreichischungarischen Botschafter in St. Petersburg legte er die Ziele dar, die er sich in außenpolitischer Hinsicht setzte. Ganz oben auf der Liste stand „eine volle Einigung mit Rußland“78. Dafür reiche ein Abkommen nicht aus, wie es mit dem Ziel der Stabilisierung Mazedoniens und darüber hinaus des Balkans von den beiden Monarchien in Mürzsteg geschlossen worden war. Es war aus den Umständen heraus geboren worden, doch was würde gesche128

Das Gedankengebäude Franz Ferdinands

hen, sollte der Lauf der Ereignisse Russland veranlassen, seine ­Ambitionen auf Südosteuropa zu richten, eine nach der schmählichen Niederlage gegen Japan in den Jahren 1904 und 1905 sehr wahrscheinliche Hypothese? Immerhin waren die Beziehungen zwischen Wien und St. Petersburg seit dem Krimkrieg von großem Misstrauen belastet. Und nach der Krise, die der Vertrag von San Stefano ausgelöst hatte, musste Bismarck sein ganzes Überzeugungstalent aufbieten und Österreich-Ungarn unter starken Druck setzen, um es zur Rückkehr zum Dreikaiserbündnis zu veranlassen. Franz Josephs Politik wollte zwei offenkundig widersprüchliche Anliegen in Einklang bringen. Auf der einen Seite bezog sie die schon lange bestehende Rivalität zwischen den beiden Monarchien auf dem Balkan mit ein. Auf der anderen Seite wollte sie den Weg der Entspannung vorziehen, angesichts der Tatsache, dass die innere Fragilität es Österreich-Ungarn untersagte, sich der Bewährungsprobe eines Kriegs auszusetzen. Für Franz Ferdinand war es wichtig, darüber hinauszugehen. Die Zeit war gekommen, das Abkommen durch einen Bündnisvertrag zu bestätigen, als Rahmen und Absicherung gegen das Risiko eines späteren Abweichens. ­Jeder Partner musste bei der Ausrichtung seiner Politik die Sicherheit haben, dass ein Krieg sowohl für den einen wie für den anderen einem Selbstmord gleichkäme. Sollte ein weiteres Argument notwendig sein, so unterstrich der revolutionäre Ausbruch, der 1905 beinahe die russische Monarchie gestürzt hätte, noch die Dringlichkeit des Zusammengehens. Sicher erwartete Franz Ferdinand auch, dass die Monarchie aus der engen Bindung an Deutschland herausgelöst würde, in der sie Gefahr lief, einen Teil ihrer Handlungsfreiheit aufzugeben. Die Zukunft sollte zeigen, dass seine Warnung etwas Prophetisches an sich hatte. Zu dem damaligen Zeitpunkt kamen jedoch zu viele Faktoren zusammen, die eine Realisierung verhinderten. Das Argument der konservativen Solidarität hatte schon nicht ausgereicht, um die Heilige Allianz aufrechtzuerhalten. Die Interessen der Mächte trugen schon bald den Sieg über die Ideologie davon. Das Szenario könnte sich wiederholen, sollten die Interessen Österreich-Ungarns und Russlands aufeinanderprallen. Andererseits ließ Franz Ferdinands Plan die von St. Petersburg bereits ein­ gegangenen Verpflichtungen gänzlich außer Acht. Das französisch-russische Bündnis von 1892/93 war wohl kaum vereinbar mit der Bildung eines Blocks, der die drei großen europäischen Monarchien Mittel- und Ost129

Der erste Gegner

europas vereinte. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass Paris leichten Herzens akzeptierte, sein russischer Verbündeter träte einem solchen System bei. Die russischen Verantwortlichen handelten nicht aus einer bloßen Laune heraus, als sie beschlossen, den Blick nach Paris zu richten. Für sie war das Bündnis mit Frankreich zu bedeutend, als dass sie diesen Vorschlag aufgegriffen hätten, wäre er ihnen unterbreitet worden. Franz Josephs Politik war also zurückhaltender, aber auch realistischer. Es wäre eine Untertreibung, zu behaupten, Franz Ferdinand verteidigte das Bündnis mit Italien ebenso glühend. In Wahrheit hasste er Italien und die Italiener allmählich. Diese Feindseligkeit hatte eine lange Vorgeschichte. Zunächst konnte Franz Ferdinand nicht vergessen, dass die Einigung der Halbinsel gegen Österreich vollzogen wurde. Er reagierte dabei aber nicht bloß als österreichischer Patriot. Als Enkel des Re Bomba verzieh er der savoyischen Monarchie nicht, sich in den Dienst der Revolution gestellt zu haben, indem sie die italienischen Fürsten absetzte. Als glühender Katholik hegte er noch weiteren Groll gegen das Königreich Italien: Im September 1870 wurde der weltlichen Macht des Papstes ein Ende gesetzt und so der Nachfolger des hl. Petrus gezwungen, sich im Vatikan einzuschließen. So schändlich entstanden, erschien das moderne Italien Franz Ferdinand als Hochburg der Republikaner und Freimaurer, und er wollte nicht, dass die Habsburgermonarchie damit etwas zu tun hatte. Da er seinen Überzeugungen gemäß handelte, begab er sich auch nie in offizieller Mission nach Italien. Es änderte nichts an seinen Prinzipien, dass er dort als Erbe des letzten Herzogs von Modena über Güter verfügte. Er besuchte sie nicht und verlor schließlich das Interesse an ihnen. Er verzichtete auch darauf, die notwendigen Verfügungen zum Erhalt der berühmten Villa d’Este zu treffen. Seine Feindseligkeit machte des Weiteren nicht vor der Familie halt. Davon zeugt der heftige Vorwurf gegen den toskanischen Zweig der Habsburger: „Und dieses syphilistische, onanierende, anämische Gesindel“, ließ er sich in einem Brief an Rudolf hinreißen, „ruiniert die ganze Rasse u. das Haus Habsburg wird bei ihrer kaninchenhaften Fruchtbarkeit bald aus lauter solchen Kakatinos bestehen.“79 Unter diesen Voraussetzungen ist es nicht weiter erstaunlich, dass Franz Ferdinand keine Rechtfertigung für das 1882 mit Rom geschlossene Bündnis fand. Der Dreibund hätte mit Russland und nicht mit Italien geschlossen 130

Franz Ferdinands Militärkanzlei

werden sollen.Wieso konnte Österreich-Ungarn sein Vertrauen einem Partner schenken, dessen Doppelzüngigkeit offenkundig war? Zweimal, 1900 und 1902, hatte sich Italien Frankreich angenähert. Bernhard von Bülow, der deutsche Kanzler, versuchte die Affäre mit einem Bonmot herunterzuspielen: Ein Ehemann dürfe nicht Anstoß daran nehmen, wenn seine Frau mit einem Fremden einen Walzer tanzt. Franz Ferdinand hingegen sah in der Haltung Italiens eine Bestätigung seiner Analysen. Auch mit der Haltung der österreichisch-ungarischen Diplomatie war er nicht einverstanden, er warf ihr schlicht Schwäche vor. Wo sie die Sache auf den Punkt bringen sollte, war sie bemüht, Italien davon abzubringen, sich in die Arme Frankreichs zu werfen. Was so viel heißt, dass es in diesem anderen Bereich der Außenpolitik weitere Uneinigkeit zwischen Franz Ferdinand und Franz Joseph gab. Natürlich vertrat Franz Ferdinand nicht systematisch eine Gegenposition zu der von Franz Joseph verfolgten Diplomatie. So stellte er insbesondere das deutsche Bündnis nicht infrage, das seit 1879 Dreh- und Angelpunkt der Außenpolitik der Monarchie war. Er distanzierte sich jedoch in zahlreichen Punkten deutlich von Franz Josephs Außenpolitik. Der Thronfolger warf dem Kaiser vor, zu zaghaft zu sein, wo er selbst eine feste Führung forderte. Dies ist ein neues Kapitel in der Diskussion über Realismus und Maximalismus.Während Franz Joseph sich mehr schlecht als recht bemühte, einen Weg durch gefährliche Klippen zu finden, war für Franz Ferdinand jede Halbheit oder jeder Kompromiss ein inakzeptables Zeichen von Schwäche. Seiner Sicherheiten gewiss, wollte er glauben, dass es möglich sei, Schwierigkeiten allein durch Prinzipientreue zu meistern – eine Illusion voller Verständnislosigkeiten und zweifellos auch Konflikte.

FRANZ FERDINANDS MILITÄRKANZLEI Im Laufe dieser Jahre entwickelte Franz Ferdinand eine Reihe von Ideen, die er dringend in die Praxis umsetzen wollte, um die Monarchie vor dem Niedergang zu bewahren, auf den er sie unausweichlich zusteuern sah. Er bereitete sich auf den Tag vor, an dem er nach seiner Thronbesteigung eine neue Politik verfolgen könnte. Für den Fall, dass dies noch einige Zeit dauern sollte, rechnete er damit, seinen ganzen Einfluss geltend zu machen, um den alten Kaiser zu bewegen, seine Korrekturen an dem seit Ewigkei131

Der erste Gegner

ten verfolgten Kurs zu akzeptieren.Voraussetzung dafür war eine Gruppe von treuen und kompetenten Mitarbeitern, den Kern fand er in seiner Militärkanzlei. Zählten zu Beginn des Jahrhunderts Militärs zur Umgebung des Thronfolgers, so standen sie erst in der zweiten Reihe. Der wichtigste Berater Franz Ferdinands blieb weiterhin Wladimir von Beck, ein Zivilist. Zu Franz Ferdinands Vertrauten gehörten zwar zahlreiche Angehörige des alten böhmischen Adels, doch auch sie waren nicht unbedingt Militärs. Daran änderte sich auch nicht unmittelbar etwas, als ihm nach seiner Ernennung zum Generaltruppeninspektor auf Beschluss von Franz Joseph eine Militärkanzlei zugesprochen wurde. Sie war, zumindest in der ersten Zeit, unmittelbar der Militärkanzlei des Kaisers unterstellt, ein Abhängigkeitsverhältnis, das die Franz Ferdinand direkt zugesprochene Position des General­ truppeninspektors wieder an Franz Joseph rückkoppelte. Zunächst wurde die Militärkanzlei in der Hofburg untergebracht, schon bald aber wurde die zu Beginn weitgehend unbedeutende neue Einrichtung ins Untere Belvedere verlegt und rückte somit näher an die Wiener Residenz Franz Ferdinands heran. Die ersten beiden dem Thronfolger in die Militärkanzlei abgestellten Offiziere waren Major Heinrich Ritter von Krauss-Elislago und Oberleutnant Karl Czelb Edler von Siegestern. Sie kamen ihrer Aufgabe redlich nach, ohne allerdings nennenswerte Spuren zu hinterlassen. Für Alexander Brosch von Aarenau hingegen gilt das nicht; er war ein glänzender Generalstabsoffizier, hatte die Technische Militärakademie absolviert und wurde 1906 zum Leiter der Militärkanzlei Franz Ferdinands ernannt – eine ausgezeichnete Entscheidung. Franz Ferdinand fand in dem Neuankömmling nicht nur einen ergebenen Mitarbeiter – das waren auch dessen Vorgänger –, sondern Borsch teilte, abgesehen von seinen unleugbaren Qualitäten, auch die Analysen und, kurz gesagt, Sorgen des Erzherzogs im Hinblick auf die Zukunft der Monarchie. Es entsprang seiner Überzeugung, sich ganz in den Dienst des Thronfolgers zu stellen und ihm bei der Verwirklichung seiner Pläne behilflich zu sein. Auf dieser Grundlage gewann er schnell das Vertrauen Franz Ferdinands, obwohl dieser im Allgemeinen damit zurückhaltend war. Hinzu kam, dass die beiden Männer einander ergänzten. Wo Franz Ferdinand ein leidenschaftliches Temperament zeigte und sich leicht zu etwas hinreißen ließ, fällte Brosch seine Entscheidung mit klarem Verstand und kühlem Kopf. Auf seine Veranlassung hin bekam 132

Franz Ferdinands Militärkanzlei

die Militärkanzlei unerwartete Bedeutung. Joseph Redlich, ein besonders scharfsinniger Beobachter der letzten Jahre der Monarchie, sah die Kanzlei sich zunehmend wandeln „zu einer neuen, der Verfassung vollkommen unbekannten Zentralstelle, die abgesehen von ihren offiziellen militärischen Agenden mit den meisten Wiener Ministerien – nicht mit den ungarischen – in ständiger Korrespondenz und mündlichem Verkehr stand“80. Bei der Gründung der Militärkanzlei war nicht vorgesehen, dass sie eine politische Funktion ausübte. Auf eine ausschließlich militärische Rolle beschränkt, sollte es ihre erste und oberste Aufgabe sein, vom Kriegsministerium wichtige Dokumente zur Information des Generaltruppeninspektors zu erhalten. Diese Kommunikation sollte darüber hinaus von der Militärkanzlei des Kaisers überwacht werden. Brosch gab sich mit der Unterordnung nicht zufrieden. Gleich nach seiner Bestellung machte er sich daran, den Handlungsspielraum der Militärkanzlei des Thronfolgers zu erweitern, was ihm bereits durch die Sicherstellung des direkten Kontaktes mit dem Kriegsministerium gelang. Zur folgenschwersten Veränderung kam es allerdings, als er Beziehungen zur politischen Klasse Österreichs knüpfte, zu den Vertretern der von den Ungarn unterdrückten Nationalitäten und zu Pressekreisen, mit dem Hintergedanken, Franz Ferdinand von diesem Netzwerk profitieren zu lassen. Brosch erstattete ihm in Briefform regelmäßig Bericht über diese Kontakte, ohne es sich bei dieser Gelegenheit zu versagen, Ratschläge zu erteilen oder seine Meinung wissen zu lassen, was oft mit einer Formel wie „Wenn es mir gestattet ist, meine persönlichen Eindrücke beizufügen“ oder „Ich wage unterthänigst beizufügen“ eingeleitet wurde. Auf seine Veranlassung hin sah die Militärkanzlei es schon bald nicht mehr als einziges Ziel, Informationen zu sammeln, sondern mischte – den Instruktionen Franz Ferdinands folgend – im politischen Spiel mit, häufig im gegenteiligen Sinne zu den Handlungen der von Franz Joseph ernannten Regierung. Auch wenn Brosch die großen liberalen Wiener Blätter versperrt blieben, nutzte er seine guten Beziehungen zu gewissen Presseorganen, um die vom Erzherzog vertretenen Ideen publik zu machen, sogar einen politischen Coup zu landen. Er wusste, dass er auf die Reichspost, die Tageszeitung der Christlichsozialen Partei, die zweimal monatlich erscheinende Österreichische Rundschau von Leopold von Chlumecky und die Wochenzeitschrift Armeezeitung zählen konnte. Alles in allem waren dies Methoden, die Jo133

Der erste Gegner

hann Christoph Allmayer-Beck in Bezug auf die Brosch’sche Ausrichtung der Militärkanzlei von einer „konspirativen Art“ sprechen ließen.81 Die Machenschaften entgingen den Offizieren der Militärkanzlei Franz Josephs nicht. Als äußeres Zeichen für die wachsenden Spannungen zwischen den beiden Gruppen verfolgten sie aufmerksam die Aktivitäten Broschs. Die Gelegenheit, ihn bei einem Fehler zu ertappen, schien sich zu bieten, als in der Reichspost vom 23. September 1910 ein kritischer Artikel über die Politik der Regierung gegenüber Ungarn erschien. Darin ging es um militärische Konzessionen an Budapest. Unter dem Verdacht, der Autor dieser Streitschrift zu sein, wurde Brosch fünf Tage später von Baron Bolfras einbestellt, dem Chef der Militärkanzlei des Kaisers. Ohne die Wahrheit zu verletzen, konnte er alle Eide schwören, dies nicht geschrieben zu haben. Er verschwieg allerdings, dass er den Artikel angeregt hatte. Tatsächlich hatte er Friedrich Funder, den Chefredakteur der Zeitung, angehalten, „einen Brandartikel gegen die angeblich gestern beschlossenen Konzessionen zu schreiben; die Öffentlichkeit muß bei jedem Anlaß aufgerüttelt werden, sonst geht die Partei verloren“82. Die Sache blieb nicht ohne Folgen. Aus Angst, den Thronfolger durch seinen Verbleib zu kompromittieren, reichte Brosch im Februar 1911 seine Demission ein und übernahm das Kommando eines Regiments. Seitens der Militärkanzlei Franz Josephs bedauerte man diesen Abschied nicht. Man wollte hoffen, die Militärkanzlei Franz Ferdinands würde nach dem Abgang Broschs klein beigeben. Seit der Veröffentlichung des Artikels freute sich Oberst Marterer über diese Aussichten: „Hoffentlich“, vertraute er Bolfras an, „täusche ich mich nicht und gelingt es bei der Schlußaktion […] den Einfluß Brosch’s auszuschalten.“83 Diese Hoffnung wurde enttäuscht. Brosch hatte innerhalb weniger Jahre einen wirkungsvollen Apparat aufgebaut, der ihn überleben sollte. Als er aus seiner Funktion ausschied, zählte die Kanzlei sieben Offiziere und drei Unteroffiziere, Anfang 1914 waren es 14. Auch sein Kontakt zu Franz Ferdinand riss keineswegs ab, sondern blieb weiterhin sehr eng. Und in Oberst Carl Bardolff hatte Brosch einen Nachfolger, der seinen Weg weiterverfolgte, auch wenn gewisse Änderungen an einigen Methoden und an der allgemeinen Ausrichtung vorgenommen wurden. Mit einem Wort: Brosch hatte ein Instrument geschaffen, mit dem Franz Ferdinand ein Gegengewicht zu der von ihm als schwach eingeschätzten Autorität Franz Josephs schaffen konnte. 134

KAPITEL VI

Auf dem Weg zu einer Gegenregierung? Zwischen 1906 und 1909 überstürzten sich die Ereignisse. Österreich-­ Ungarn erlebte sowohl innen- als auch außenpolitisch eine Reihe größerer Krisen. Das politische Leben wurde zunächst von der Diskussion über die Einführung des allgemeinen Wahlrechts beherrscht; parallel dazu waren die Verhandlungen zwischen Österreichern und Ungarn über die Erneuerung des Ausgleichs von bislang noch nie erlebten Spannungen gekennzeichnet; und schließlich hätte die Annexion von Bosnien-Herzegowina 1908 fast zu einem allgemeinen Umsturz in Europa geführt. Franz Ferdinand hielt sich lange mühsam zurück, doch 1906 glaubte er sich in der Lage, die Politik der Monarchie beeinflussen zu können. Einige ihm Nahestehende stiegen damals in verantwortungsvolle Posten auf. Max Wladimir von Beck wurde zum Ministerpräsidenten von Zisleithanien ernannt; die Generäle Franz von Schönaich und Conrad von Hötzendorf wurden an die Spitze des Kriegsministeriums bzw. des Generalstabs berufen; Alois Lexa Freiherr von Aehrenthal wurde die Leitung des Außenministeriums übertragen. Aus unterschiedlichen Gründen war von diesen Persönlichkeiten bekannt, dass sie zum engeren Kreis des Erzherzog-Thronfolgers zählten oder zumindest viele seiner Einschätzungen teilten. Die neuen Verantwortlichen seien „ganz meine Männer“, jubelte Franz Ferdinand. „Mit einem Trifolium: Beck, Aehrenthal und Schönaich läßt sich famos arbeiten.“84 Er glaubte, erwarten zu dürfen, sie würden sich in ihrem jeweiligen Kompetenzbereich als treue Vermittler seines Willens verhalten. „Bitte arbeiten Sie in meinem Sinne“, wies er Beck einige Tage nach dessen Ernennung an.85 Das war vielleicht etwas voreilig.Wie konnte Franz Ferdinand sicher sein, nicht gro135

Auf dem Weg zu einer Gegenregierung?

ße Enttäuschungen zu erleben? Tatsächlich ließ er einen wichtigen Faktor außer Acht:Welche Verbindungen auch immer er mit den neuen Entscheidungsträgern unterhielt, sie waren von Franz Joseph mit ihren Funktionen betraut worden, und demnach galt ihre Loyalität zuerst dem Kaiser.

DAS ALLGEMEINE WAHLRECHT: EINE VERLORENE SCHLACHT Die Frage der Wahlrechtsreform stand seit Anfang der 1890er-Jahre im Mittelpunkt des politischen Lebens in Österreich. Graf Taaffe war bei der Einführung des allgemeinen Wahlrechts gescheitert. Sein Hauptfehler war, zu früh recht gehabt zu haben. Der Erfolg seiner Gegner hatte sich bald als Pyrrhus-Sieg entpuppt, so sehr stand das in doppelter Weise ungleiche System in wachsendem Widerspruch zu den in der Gesellschaft aufkommenden Bewegungen. Die Wählerschaft war nicht nur in vier Kurien unterteilt, auch deren Bemessungsgrundlagen waren sehr ungleich. Außerdem blieb die Mehrheit der Untertanen Franz Josephs vom Wahlrecht ausgeschlossen. Graf Badeni versuchte durch die Schaffung einer fünften Kurie, in der all jene wählen sollten, die bislang vom Wahlrecht ausgeschlossen gewesen waren, eine Antwort auf dieses Problem zu finden. Aber diese Teillösung konnte nur provisorisch sein. Selbst nach der Reform war die Zusammensetzung der unteren Kammer des Reichsrats nur ein verzerrtes Abbild der Gesellschaft. Auch der Ruf nach Einführung des allgemeinen Wahlrechts verstummte nicht, sondern wurde immer lauter. Die entscheidende Wende kam, als Franz Joseph sich nachdrücklich für die Reform einsetzte. Es ist zu einem Gemeinplatz geworden, ihn als auf die Verteidigung des Status quo fixierten alten Mann zu sehen, der zu keiner Initiative fähig war, um etwas Neues in Gang zu bringen. Bei dieser Frage bewies er allerdings eine geistige Beweglichkeit, die schlecht zu diesem Stereotyp passt. Tatsächlich wurde die Reform auf seinen Anstoß hin beschlossen, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass sie sowohl unausweichlich als auch notwendig war. Es war ihm bewusst, dass sich Österreich nicht ohne großes Risiko eine Reform ersparen konnte, die von einer breiten Bewegung getragen wurde. Auch wenn der Begriff „Geschichtsbewusstsein“ wohl nicht zu seinen kulturellen Bezugspunkten gehörte, war es 136

Das allgemeine Wahlrecht

genau das. Die Richtigkeit der Auffassung wurde bestätigt, als Nikolaus II., geschwächt durch die Revolution, am 30. Oktober 1905 dem russischen Volk das allgemeine Wahlrecht versprach. Konnte Österreich da zurückstehen? Anlass für die Entscheidung Franz Josephs war noch ein weiteres Kalkül. Er erwartete von der Reform, die breiten Schichten Einfluss auf die Wahlen einräumen würde, der ihrem numerischen Gewicht entsprach, eine Umkehr der Prioritäten. Die Betonung der wirtschaftlichen und sozialen Interessen sollte die nationalistischen Leidenschaften zurückdrängen und in der Folge den Zusammenhalt der österreichischen Reichshälfte fördern. Franz Joseph wandte sich zunächst an Paul Freiherrn von Gautsch. Er sollte die Reform aus der Taufe heben. Als dieser unter dem Druck der Opposition zurückgetreten war, dachte er an Max Wladimir von Beck. Hier kommt wieder Franz Ferdinand ins Spiel. In voller Kenntnis der Beziehungen, die Beck seit Langem mit dem Erzherzog-Thronfolger unterhielt, sah Franz Joseph darin kein Hindernis, ihn an die Spitze der Regierung zu berufen. Für ihn handelte es sich beim neuen Ministerpräsidenten in erster Linie um einen erfahrenen Beamten – eine Eigenschaft, die ihn seiner Loyalität versicherte – und einen anerkannten Juristen, eine unerlässliche Kompetenz, um die Wahlrechtsreform zum Abschluss zu bringen.Von Beginn an waren die Umstände für die Ernennung leicht zu erraten. Beck blieb keine Zeit, die Meinung Franz Ferdinands einzuholen, der sich zu diesem Zeitpunkt auf Staatsbesuch in Spanien befand. Als ihm der Gesandte des Hofes den Befehl überbrachte, sich beim Kaiser einzufinden, wurde ihm nicht einmal zugestanden, sich umzuziehen. Hätte Franz Ferdinand grünes Licht gegeben, wäre er gefragt worden? Das lässt sich nicht bejahen. Vielmehr schienen sich die Wege der beiden Männer schon vor dieser Ernennung allmählich zu trennen. Während Franz Ferdinand das allgemeine Wahlrecht ablehnte, war Beck bereits zu dem Schluss gekommen, dass eine Reform unausweichlich war. Und so versuchte er, als Gautsch noch im Amt war, den Erzherzog-Thronfolger zu überzeugen, seinen Widerstand aufzugeben, der nicht nur keine Zukunft hatte, sondern ihm auch zu schaden drohte: „Es wird viel davon gesprochen“, schrieb er ihm, „daß Eure Kaiserliche Hoheit entschieden gegen die geplante Wahlreform auftreten und für den Großgrundbesitz eine verlorene Position verteidigen. Mag auch Gautsch mit seinem Projekt fallen, so ist die 137

Auf dem Weg zu einer Gegenregierung?

Idee des allgemeinen und direkten Wahl[rechts] nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Sie wird sich auch bei uns durchsetzen, allerdings aber vielleicht nach schweren und gefährlichen Störungen. Ich würde daher eher zu einer wohlwollenden Haltung oder wenigstens zu einer sympathisierenden Neutralität geraten haben.“86 Wäre der Thronfolger diesem Rat gefolgt, hätte er aus der Isolation, in die er sich hineinzumanövrieren drohte, ausbrechen und sogar das Image eines „Volksfreundes“ erwerben können.87 Doch die Argumente stießen bei Franz Ferdinand auf taube Ohren, da er sich – wie es seine Gewohnheit war – nicht einen Zentimeter bewegte. Der Hinweis auf den Großgrundbesitz in Becks Brief war nicht zufällig. Er zielte auf die Solidarität ab, die Franz Ferdinand mit den Interessen dieser Gruppe zeigte, deren Mobilisierung gegen die Reform der Dimension entsprach, in der sie bedroht wurde. Das Kuriensystem sicherte dem Großgrundbesitz, und damit insbesondere dem böhmischen Adel, eine überproportionale Vertretung im Verhältnis zu seiner Größe. Die Abschaffung dieses Systems würde den politischen Einfluss schmälern und wäre ein schwerer Schlag für den Adel. Franz Joseph war sich der Folgen der Reform bewusst. Gegenüber Graf Oswald Thun, einem Schwager Franz Ferdinands, räumte er bereitwillig ein, dass „er viel verlieren“88 würde, was ihn aber nicht zu einem Kurswechsel veranlasste. Während sich Franz Ferdinand über das bevorstehende Schicksal empört zeigte, ging es dem Kaiser darum, die Interessen des Adels nicht mit jenen der Monarchie zu verwechseln. Beck hatte Franz Ferdinand vor einer kompromisslosen Haltung gewarnt. Weil er den Ratschlag missachtete, erlitt der Erzherzog-Thronfolger eine Niederlage, die er sich hätte ersparen können. Als das Abgeordnetenhaus im Dezember 1906 den Gesetzesentwurf annahm, war die Schlacht noch nicht geschlagen. Das Herrenhaus, in dem der Einfluss des Adels ausschlaggebend war, musste ihn erst approbieren. Franz Ferdinand blieb die Hoffnung, das allgemeine Wahlrecht zum Scheitern zu bringen. Er erklärte seinem ehemaligen Berater schon im Verlauf des Sommers, dass er nicht aufgeben würde, selbst für den Fall, dass die Abstimmung in der unteren Kammer für die Einführung ausfiel: „Ich hoffe von ganzem Herzen“, hatte er Beck wissen lassen, „daß die Wahlreform trotz Allem nicht geht und ganz mißlingt.“89 138

Das allgemeine Wahlrecht

Auch diese letzte Hoffnung erfüllte sich nicht. Die Mobilisierung Franz Ferdinands gegen den Gesetzesentwurf brachte nicht den erhofften Erfolg. Am Tag der Abstimmung, dem 21. Dezember, waren die Gegner in der Minderzahl. Für viele überwog die Loyalität gegenüber dem Kaiser, wie teuer sie die Zustimmung zum allgemeinen Wahlrecht auch zu stehen kam. Bezeichnend ist, wie Graf Franz Thun-Hohenstein, eine der Galionsfiguren der böhmischen Aristokratie, seine Entscheidung bei der Abstimmung erklärte: „Ich kann es nicht aufhalten, die Dinge sind zu weit gediehen. Ich erkläre ehrlich und loyal: wie die Dinge heute stehen, muß ich dafür stimmen, aber schweren und blutenden Herzens.“90

Freilich verlor der Adel nicht alles. Im Reichsrat war das Kuriensystem zwar abgeschafft, blieb aber für die Wahl der Landtage weiterhin in Kraft. Der Niedergang des Adels drohte sich dennoch zu beschleunigen. Saßen in der letzten Kammer noch 99 Vertreter des Adels, sollten es in der neu gewählten im nächsten Jahr nur mehr 33 sein. Für Franz Ferdinand hatte der Ausgang dieser langen Schlacht einen bitteren Beigeschmack. Er kämpfte damit, dass man nicht auf ihn gehört hatte, umso mehr, als er absolut sicher war, die einzige den Interessen der Dynastie entsprechende Politik verteidigt zu haben: „Ich war dagegen“, beklagte er sich, „und habe dagegen, obschon nicht formell, protestiert, aber man hat sich um mich nicht gekümmert und es gegen meinen Willen gemacht.“91 Franz Ferdinand sollte Beck seinen „Verrat“ niemals verzeihen. Vergessen waren all die Dienste, die er ihm geleistet hatte, er stand in Hinkunft weit oben auf der schwarzen Liste. Selbst nach der Verabschiedung des Gesetzes hielt Franz Ferdinand an seinem Widerstand fest. Er verlieh ihm auch ­offiziell Ausdruck, indem er am 19. Juni 1907 nicht an der feierlichen Eröffnung des neuen Reichsrats teilnahm, bei der er an der Seite Franz Josephs hätte stehen sollen. Die Abwesenheit hatte noch eine weitere Bedeutung, sie muss als Eingeständnis der Ohnmacht gesehen werden. Franz Ferdinand konnte trotz aller Bemühungen die Verabschiedung eines Gesetzes nicht verhindern, das er für höchst verhängnisvoll ansah.

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Auf dem Weg zu einer Gegenregierung?

DIE UNGARISCHE FRONT Das Verhältnis zu Ungarn stand immer auf der österreichischen Tagesordnung. Um die Jahrhundertwende, als die Macht der radikalen Kräfte immer mehr zunahm, spitzte es sich jedoch gefährlich zu. Es hatte den Anschein, als würde sich für die beiden Hälften der Monarchie die Stunde der Wahrheit nähern. 1877 und 1887 endeten die Verhandlungen über die alle zehn Jahre stattfindende Verlängerung des Ausgleichs mit einem Abkommen. Zehn Jahre später blieben sie erfolglos – bezeichnend für die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn. Um einen Bruch zu vermeiden, den keine Seite wünschte, einigte man sich allerdings darauf, das Abkommen von 1887 schlicht und einfach fortzuschreiben. Eine von der Dringlichkeit erzwungene Lösung, und es war zweifelhaft, dies 1907 wiederholen zu können. Je näher das Fälligkeitsdatum heranrückte, desto mehr Wolken ballten sich zusammen. 1903 gab es ein erstes Alarmzeichen. Als die ungarische Opposition ­einen Angriff auf die Einheit der kaiserlichen und königlichen Armee startete, hielt Franz Joseph den Augenblick für gekommen, um zu reagieren. Im September nützte er die Gelegenheit und erließ beim großen Manöver in Chlopy in Galizien einen Tagesbefehl, in dem er feierlich bekräftigte, nicht zuzulassen, dass diese Einheit gefährdet würde: „Mein Heer insbesondere […] möge wissen, daß Ich nie der Rechte und Befugnisse Mich begebe, welche seinem obersten Herrn verbürgt sind. Mein Heer bleibe die starke Macht zur Verteidigung der österreichischungarischen Monarchie gegen jeden Feind. Getreu ihrem Eide wird Meine gesamte Wehrmacht fortschreiten auf dem Wege ernster Pflichterfüllung, durchdrungen von jenem Geiste der Einigkeit und Harmonie, welcher jede nationale Eigenart achtet und alle Gegensätze löst, indem er die besonderen Vorzüge jedes Volksstammes zum Wohle des großen Ganzen verwertet.“92

Nach diesem Hinweis auf die Grenzen, die nicht überschritten werden konnten, erklärte der Kaiser sich allerdings zu Anpassungen bereit, die dem ungarischen Selbstwertgefühl entgegenkommen sollten. Als Geste 140

Die ungarische Front

der Versöhnung gab er seine Zustimmung zu den meisten Punkten, die ihm ein Komitee unter der Führung von Graf István Tisza vorgelegt hatte. Die Maßnahmen sahen unter anderem eine Versetzung von ungarischen ­Offizieren zu Einheiten nach Ungarn vor. Auch wurde beschlossen, dass die in Ungarn stationierten Regimenter bei ihren Kontakten zu den lokalen Behörden ungarisch sprechen mussten. Schließlich sollte in Hinkunft die ungarische neben der kaiserlichen Fahne auf militärischen Gebäuden wehen dürfen. Für Franz Ferdinand war das ein erster Grund zur Meinungsverschiedenheit mit seinem Onkel. Immer wieder betonte er seine kategorische Ablehnung jeglicher Konzession auf diesem sehr sensiblen Gebiet, überzeugt davon, dass die ungarischen Forderungen „ja nur darauf berechnet sind, die kaiserliche Armee auch noch der Macht des Herrschers total zu entwinden“93. Die Umstellungen reichten nicht aus, um die Opposition zu beschwichtigen. Von einer nationalistischen Welle getragen, siegte sie bei den 1905 von István Tisza abgehaltenen Wahlen, der in der Zwischenzeit Regierungschef geworden war. Die Liberale Partei behielt nur 159 gegenüber den 290 Sitzen zuvor. Überholt wurde sie von der Unabhängigkeitspartei unter Ferenc Kossuth, dem Sohn des Helden der Revolution von 1848. Sie stützte sich in Hinkunft auf eine Gruppe von 166 Abgeordneten, zu denen noch die 98 hinzukamen, die von kleineren Gruppierungen der Opposition gewählt wurden. Franz Joseph reagierte auf diese Niederlage in zweifacher Weise. Zum einen ernannte er 1905 eine außerparlamentarische Regierung unter General Géza Fejérváry, dem Kommandanten der königlichen Garde und Großmeister des Maria-Theresien-Ordens, der sein volles Vertrauen besaß. Zum anderen empfing er am 23. September die Führer der Opposition in Wien. Die Unterredung dauerte nicht lang, kaum mehr als fünf Minuten. In einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, forderte der Kaiser von seinen Besuchern, den Widerstand gegen die zwei Jahre zuvor beschlossenen Reformen aufzugeben und auf die Abschaffung von Deutsch als Kommandosprache zu verzichten, schließlich drohte er mit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts in Ungarn. Franz Ferdinand war über die Entschlossenheit wohl erfreut, doch verdeckte die offenkundige Einmütigkeit zwischen den beiden Männern einen grundsätzlichen Gegensatz. Für Franz Joseph war die Drohung vor 141

Auf dem Weg zu einer Gegenregierung?

allem ein Druckmittel, mit dem er eine abschreckende Wirkung bei den Oppositionsführern zu erreichen hoffte. Sollten sie sich seinen Bedingungen fügen, würde er darauf verzichten, es in die Praxis umzusetzen. Und so geschah es auch. Die ungarischen Verantwortlichen fürchteten nichts mehr als die Einführung des allgemeinen Wahlrechts, mit der jene Schichten der ungarischen Bevölkerung in den Städten und auf dem Land eine Stimme erhalten würden, denen sie bislang vorenthalten war. Die Gefahr war umso größer, als die Reform unausweichlich die Vertretung der anderen Völker des Königreiches stärken würde. Die Drohung veranlasste die ungarischen Politiker, sich allmählich zu fügen. Da Franz Joseph – außer er würde dazu gezwungen – nie vorhatte, so lange Druck auszuüben, bis es zum Bruch kam, wurde rasch eine Einigung erzielt. Die Oppositionsgruppierungen sollten eine Koalitionsregierung unter der Leitung von Alexander Wekerle bilden. Im Gegenzug stimmten die Anführer der Opposition zu, die Wiederaufnahme der Militärfrage bis nach Einführung des allgemeinen Wahlrechts zu verschieben. Da es nicht mehr um eine Zustimmung ging, war dies eine elegante Art, unausgesprochen an der Aufrechterhaltung des Status quo festzuhalten. Franz Joseph war mit der Lösung vollauf zufrieden. Nur im äußersten Fall hätte er sich dazu entschlossen, Ungarn das allgemeine Wahlrecht aufzuzwingen und einen Zustand zu schaffen, durch den die Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn auf den Nullpunkt sinken würden. Mit dem Abkommen war das Wesentliche gesichert. Franz Josephs Beharrlichkeit hatte sich gelohnt. Sie hatte die ungarischen Verantwort­ lichen zur Vernunft gebracht und den Dualismus vor den Machenschaften jener bewahrt, die ihn zu zerschlagen suchten. Zweifellos war das Ergebnis nicht das Ziel Franz Ferdinands. Er wollte den Dualismus nicht retten, sondern abschaffen.Wenn Franz Joseph das allgemeine Wahlrecht als Drohung nutzte, um die ungarischen Politiker zum Nachgeben zu bewegen, sah Franz Ferdinand darin ein strategisches Instrument zur Überwindung des Ausgleichs. Eine zunächst überraschende Einstellung für jemanden, der in Österreich einen Prozess gegen die Einführung des allgemeinen Wahlrechts in Gang gesetzt hatte. Die Reichweite dieser Argumente endete an der Leitha. Es ging nicht um eine ideologische Kehrtwende, sondern um eine pragmatische Überlegung. Franz Ferdinand rechnete damit, das allgemeine Wahlrecht würde die politischen Gegebenheiten in Ungarn von Grund auf 142

Die ungarische Front

verändern. Er erwartete von einer gerechten Vertretung der anderen Völker das Ende der Vormachtstellung der traditionellen ungarischen Eliten, die den Ausgleich aus der Taufe gehoben hatten und nun, in einem zweiten Schritt, auf die Errichtung einer Personalunion zwischen Österreich und Ungarn drängten. Wenig erstaunlich, fand Franz Ferdinand in diesen Kreisen kaum Unterstützung. Es gab nur wenige magyarische Persönlichkeiten in seiner Umgebung, darunter Graf János Zichy, den Vorsitzenden der ungarischen Volkspartei, zu dem Franz Ferdinand ein Vertrauensverhältnis hatte. Aber welche Sympathien auch immer er für diesen tapferen Verteidiger der katholischen Causa hegen mochte, war es doch undenkbar, ihn zum gegebenen Zeitpunkt an die Spitze der ungarischen Regierung zu bestellen. In einem Land, in dem es weiterhin große religiöse Diskrepanzen gab, schien es ausgeschlossen, die Leitung dem Chef einer Partei anzuvertrauen, dessen oberste Existenzberechtigung die Verteidigung der katholischen Interessen war. Graf Zichy konnte jedoch in einer zukünftigen Regierungskombination durchaus mit einem Ministeramt betraut werden. Viel überzeugender als Kandidat für den Posten eines Regierungschefs schien József Kristóffy, der frühere Innenminister der Regierung Fejérváry. Er war bereit, sich für Franz Ferdinands Pläne einzusetzen, doch dieser musste erst seine Zurückhaltung überwinden. Hieß es nicht von Kristóffy, dass er beunruhigende Sympathien für die Freimaurerei hegte, ja mehr noch, ihr angehörte? Um ein noch schwärzeres Bild zu malen, unterstellte man ihm die Absicht einer gemeinsamen Regierung mit den Sozialdemokraten. Tatsächlich suchte er nach einer Alternative zu der in Budapest im Amt befindlichen Regierung – einer Gegenkoalition, in welche die Sozialdemokraten an der Seite der Nationalitäten eintreten sollten. Da gab es vieles, was Franz Ferdinand schwanken ließ, ihm sein Vertrauen zu schenken. Brosch bemühte sich in seinen Berichten, die Zweifel des Erzherzogs auszuräumen: „Wenn es mir gestattet ist meine persönlichen Eindrücke beizufügen, so möchte ich vor Allem konstatieren, daß ich den ehemaligen Minister Kristóffy für ein vollkommen verläßliches Werkzeug in den Händen Eurer kaiserlichen Hoheit halte. Ich bin überzeugt, er mache jede Politik, die Eure kaiserliche Hoheit befehlen, vor Allem deshalb, weil er wirklich kaisertreu ist.“94 143

Auf dem Weg zu einer Gegenregierung?

In gleicher Weise hält Brosch es für unnötig, sich bei den eventuellen Beziehungen Kristóffys zur Freimaurerei aufzuhalten: „Der Zweck heiligt die Mittel: wenn Kristóffy wirklich der Mann ist, welcher Ordnung machen könnte, damit Dynastie, Reich und Armee zu besonderem Dank verpflichtend, bleibt es wohl irrelevant, ob er Freimaurer war oder gar noch ist.“95

Zum Schluss bringt Brosch ein Argument, das Franz Ferdinand überzeugen musste, wenn er es nicht schon war. Für den wenig wahrscheinlichen Fall, dass Kristóffy in der ihm übertragenen Funktion nicht entsprechen sollte, genügte es, sich seiner zu entledigen. Sein Plädoyer für das allgemeine Wahlrecht und – allgemeiner – seine Kritik am Dualismus trugen Franz Ferdinand hingegen Unterstützung unter den der Herrschaft der Magyaren unterworfenen Völkern ein. Mehrere ihrer Vertreter hatten Zugang zum Belvedere. In häufigem Kontakt mit Brosch, später mit Bardolff, dienten sie Franz Ferdinand als Informationsquellen, wobei es auch vorkam, dass er sie konsultierte. Milan Hodža vertrat bei ihm die Interessen der Slowaken, Edmund Steinacker jene der Deutschen in Ungarn. Die Rumänen aus Siebenbürgen fanden ihre Fürsprecher in Julius Maniu, Aurel Popovici und Alexandru Vaida-Voevod. Josip Frank, der Chef der Rechtspartei, vertrat den Standpunkt der Kroaten, die den Habsburgern ergeben und entschieden antiserbisch waren. Mehrere von ihnen sollten später eine wichtige Rolle in einigen Nachfolgestaaten nach dem Zerfall Österreich-Ungarns spielen. Milan Hodža wurde Ministerpräsident der Tschechoslowakei, Alexandru Vaida-Voevod und Julius Maniu Ministerpräsidenten des Königreiches Rumänien. Noch setzten sie aber auf die Zukunft der Habsburgermonarchie, und einige von ihnen hätte Franz Ferdinand nach seiner Thronbesteigung zweifellos in verantwortungsvolle Posten berufen. Die Verhandlungen über die Erneuerung des Ausgleichs profitierten von der Entspannung nach der Machtdemonstration Franz Josephs. Das zwischen den beiden Partnern am 8. Oktober 1907 geschlossene Abkommen lässt sich, allen Unglückspropheten zum Trotz, als Zeichen der Vitalität des österreichisch-ungarischen Gesamtreiches interpretieren. Was auch immer die Hintergedanken der einen wie der anderen Seite gewesen sein mögen, 144

Die ungarische Front

noch überwog der Geist der Solidarität, was zu Beginn keineswegs sicher war. Um den Preis einiger politischer Konzessionen war die Wirtschaftsunion der beiden Reichshälften der Monarchie bewahrt worden. Dennoch wurde das Abkommen unterschiedlich aufgenommen. Franz Joseph sah darin eine Rechtfertigung jener Linie – einer Mischung aus Beharrlichkeit und Kompromissbereitschaft –, die er die Krise hindurch verfolgt hatte. Beck verzeichnete einen neuerlichen Erfolg, der noch größer wurde, als der Reichsrat am darauffolgenden 17. und 19. Dezember den Ausgleich ratifizierte. Für Franz Ferdinand bot das Abkommen keinen Anlass zur Freude. ­Einige Monate zuvor hatte er sich inkognito nach Berlin begeben, um bei den deutschen Machthabern vorzufühlen.Wie würden sie reagieren, wenn im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen beschlossen würde, den Plan U umzusetzen, der eine militärische Besetzung Ungarns vorsah? Für den Erzherzog-Thronfolger war es zweifellos zielführender, energisch durchzugreifen, als sich mit einem schlechten Kompromiss zufriedenzugeben, bei dem die Krone noch weitere Vorrechte einbüßte. Nicht weiter überraschend, interpretierte er das Abkommen in diesem Sinne. Es konsolidiere zumindest provisorisch den Dualismus und schiebe die unausweichliche Stunde der Wahrheit nur hinaus. Wie Franz Ferdinand waren auch die Vertreter der Minderheiten des Königreichs von diesem Abschluss enttäuscht. Sie hatten auf einen Bruch zwischen Wien und Budapest gesetzt. Er sollte das Ende des Dualismus einläuten und so den Weg für eine Neuorganisation der Monarchie auf neuen Grundlagen freimachen. Doch die Hoffnung war zunichtegemacht, die Erneuerung des Ausgleichs eine kalte Dusche. Parallel zu den Ausgleichsverhandlungen erzürnte eine zweite Angelegenheit Franz Ferdinand. 1906 hatte Franz Joseph in seiner Thronrede angekündigt, seine Regierung würde daran arbeiten, die ungarische Verfassung durch ein System von Garantien zu stärken, die als Sicherheitsmaßnahmen dienen sollten. Der Inhalt der von Graf Andrássy, dem Innen­ minister der Regierung Wekerle, vorbereiteten Gesetzesvorlage erzürnte den Thronfolger. Sie sah eine Stärkung der verfassungsmäßigen Garantien vor, ausgehend von drei zentralen Maßnahmen: Übertragung weitreichender Kompetenzen an die Gemeinden, Abschaffung der königlichen Kommissäre und Ausweitung der Jurisdiktion des Verwaltungsgerichtshofs. Franz 145

Auf dem Weg zu einer Gegenregierung?

Ferdinand zweifelte nicht einen Augenblick daran, dass dieser Entwurf ihn im Visier hatte. Jeder wusste, dass er von heute auf morgen den Thron besteigen konnte. Und jedem war darüber hinaus seine tief empfundene Antipathie gegenüber Ungarn bekannt. Auch unterstellte man ihm in Budapest die düstersten Pläne, insbesondere die Absicht, durch Verordnungen zu regieren. Das neue Gesetz sollte als zusätzliche Schutzmaßnahme gegen diese Gefahr für Ungarn fungieren. Daher war es nicht überraschend, dass Franz Ferdinand sich über den Entwurf empörte. Franz Joseph betraute Freiherrn von Aehrenthal mit der Mission, sich nach Konopischt zu begeben, um zu versuchen, den Thronfolger dazu zu bringen, seine Position noch einmal zu überdenken oder sich zumindest weniger offensiv zu verhalten. Eine äußerst schwierige, wenn nicht unmögliche Aufgabe. Aehrenthal bat seinen Gastgeber, Andrássy zu empfangen. So könnte er am besten zeigen, dass er nicht der „Magyarenfresser“ sei, als den einige ihn mit diebischem Vergnügen bezeichneten, und dadurch sein Image verbessern. Das Gespräch fand zwar statt, beschränkte sich aber auf einen Austausch zwischen Gehörlosen. Als Andrássy Franz Ferdinand ersuchte, auf seinen Widerstand zu verzichten, der ihm in Ungarn beträchtlich schade, erwiderte dieser: „Ich lasse mich nicht terrorisieren […] Ich werde keine Puppe sein, die man hin- und herziehen kann, sondern meinen eigenen Weg gehen.“96 Die Begegnung blieb ohne positive Folgen. Als Franz Ferdinand am nächsten Tag Milan Hodža empfing, brüstete er sich, Andrássy eine Lehre erteilt zu haben, und dieser hätte sich beschämt zurückgezogen. „Ich sage Ihnen“, berichtete er seinem Gast, „dieser Mensch verschwand von hier mit einem Gesicht, das so weiß war wie diese Manschette.“97 Schlimmer noch, obwohl Andrássy zu den Gemäßigten in der Regierung zählte, nahm er in Hinkunft einen prominenten Platz in der Galerie jener ein, die dem Erzherzog „ein Dorn im Auge waren“. Auch mit Aehrenthal ging es bergab. Hatte Franz Ferdinand seine Ernennung noch wohlwollend zur Kenntnis genommen, sollte er ihm diesen Schritt nie verzeihen. Wollte man Aehrenthal Glauben schenken, sei er zum Spielball der ungarischen Clique geworden, die sich der Kontrolle des Ballhausplatzes bemächtigt habe. Für Franz Ferdinand lag der inakzeptable Fehler des Gesetzesentwurfs darin, dass ein System errichtet werden sollte, das im Endeffekt der Krone die Flügel stutzen, kurzum: sie unter Kuratel stellen würde. 146

Die ungarische Front

„Es soll eine Nebenregierung, die natürlich dann die Hauptregierung wird, durch die kolossale Machtbefugnis des Verwaltungsgerichtshofs und der Municipien geschaffen werden. Jetzt soll ein Sieg über die Krone demonstriert werden und späterhin unter dem Deckmantel der Gesetzlichkeit dem Herrscher jede Macht genommen und jedes energische Auftreten zum dringendsten Wohle des Landes unmöglich gemacht werden.“

Zweifellos handelte es sich bei dem Gesetz, das infolge der Deeskalation der Beziehungen zwischen Wien und Budapest im Oktober 1907 verabschiedet wurde, um eine gegenüber dem ursprünglichen Entwurf abgeschwächte Version. Franz Ferdinand hatte das vorausgesehen und meinte, dies würde nicht viel ändern: „Und selbst wenn die Sache nochmals umgearbeitet und allenfalls angeblich noch mehr abgeschwächt werden sollte, so wird es die herrschende Clique in Ungarn nie abschrecken, das Gesetz entsprechend zu verdrehen und nach ihrer Weise schamlos auszunützen, zum Schaden des monarchischen Prinzips, wie es zahlreiche Fälle von Gesetzes- und Rechtsverdrehungen und Brüche in den letzten Dezennien […] beweisen und dokumentieren.“98

Franz Ferdinand setzte sich bei Franz Joseph für eine andere Politik als die verfolgte Linie ein, die mit einem entschiedenen Akt beginnen sollte. Sie lief darauf hinaus, die Verfassung in Ungarn auszusetzen und Ungarn unter eine Ausnahmeregierung zu stellen. Ein oder zwei Vertrauensleute sollten damit beauftragt werden, Maßnahmen zu setzen, um den Einfluss der Zentralmacht zu vergrößern: „So müßten 1 oder 2 ganz verläßliche Leute (aber unter gar keiner Bedingung Ungarn) nach Ungarn gesendet werden, mit dem Befehl, mit gewissen energischen Leuten (welche aber wie gesagt nicht zu den Leuten der jetzigen Clique gehören) in Verbindung zu treten und ihnen das Ministerportefeuille anzubieten mit der strikten Bedingung, alle Wünsche der Krone, z. B Erhöhung des Rekrutenkontingents, Ausgleich, allgemeines Wahlrecht,Verstaatlichung der Verwaltung durchzuführen. Der Betreffende erhält plein pouvoir zur Auflösung des Hauses, zur Besetzung der Obergespanstellen etz, aber gar keine sogenannten Konzessionen, sondern wird nach getaner Arbeit ad personam entsprechend entlohnt.“99 147

Auf dem Weg zu einer Gegenregierung?

Es war völlig undenkbar, dass Franz Joseph sich diesem radikalen Programm anschloss. Einmal mehr muss man von Ohnmacht sprechen. Franz Ferdinand wetterte vergebens. Die Verantwortlichen setzten die vom Kaiser vorgegebene Politik um, der sich in einer schwierigen Situation bemühte, die Beziehungen zu Ungarn aufrechtzuerhalten. Um das zu tun, musste er jedes brachiale Vorgehen vermeiden, das zum gefürchteten Bruch führen könnte. Zur Stunde blieb Franz Ferdinand nichts anderes, als öffentlich seinen Unmut kundzutun. Gelegenheit dazu bot sich, als er im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten 1908 Franz Joseph die Glückwünsche der kaiserlichen Familie überbringen sollte. Als er sich an den alten Herrscher in der Hofburg wandte, änderte er eigenmächtig die übliche Anrede „Allergnädigster Kaiser und König“ in „Allergnädigster Kaiser und Herr“, eine Provokation, deren Sinn klar war. Mit diesem Eklat wollte Franz Ferdinand zu verstehen geben, dass er dem Dualismus keine Legitimität zubilligte. Damit aber nicht genug. Franz Ferdinand wollte, dass die Wiener Zeitung, das offizielle Organ der Monarchie, seine Formulierung unverändert wiedergeben sollte. Entsprochen wurde diesem Wunsch nicht. Der im Kriegsministerium für die Presse zuständige Offizier, der zukünftige Feldmarschallleutnant Julius von Lustig-Prean, setzte umgehend General Bolfras, den Chef der Militärkanzlei von Franz Joseph, in Kenntnis, der die Anrede in die korrekte Form bringen ließ. Lustig-Prean war jedoch gewarnt worden, was er riskierte, wenn er sich dem Willen des Thronfolgers widersetzte: „Seine kaiserliche Hoheit“, schrieb ihm Brosch, „läßt Dir sagen, daß die Rede so zu verlautbaren ist, wie sie schriftlich niedergelegt ist. Ich habe Dir aber im Auftrag des Erzherzogs auch bekanntzugeben, daß er Deine widerspenstige verletzende Haltung nicht vergessen wird.“100 Diese verdeckten Drohungen zeigten keine Wirkung, Lustig-Prean stellte die Loyalität gegenüber dem Kaiser vor jede andere Überlegung. Dieser Zwischenfall zeigt nicht nur, welche Mittel einzusetzen Franz Ferdinand bereit war, um zu versuchen, die Störrischen zum Einlenken zu bringen. Er zeigt auch, dass der Thronfolger, wenn ihm kein Handlungsspielraum blieb, auf seinem Standpunkt beharrte und das Handeln auf die Zukunft verschob.

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Für eine Modernisierung der Armee

FÜR EINE MODERNISIERUNG DER ARMEE Franz Ferdinand hatte in zwei Bereichen versucht, seine ganze Macht in die Waagschale zu werfen, aber wiederholt Niederlagen erlitten. Weder die Annahme des allgemeinen Wahlrechts in Österreich noch die Erneuerung des Ausgleichs mit Ungarn konnte er verhindern. Diese Enttäuschungen waren schon schlimm für sein Selbstwertgefühl, mehr noch, sie führten ihm die Grenzen seines Einflusses vor Augen und trugen zu seiner Verbitterung bei. Aber nicht alles war schwarz, zur selben Zeit punktete er in militärischen Fragen. Der Unterschied ist leicht erklärt. Franz Joseph war von seiner schon immer vertretenen Position nicht abgewichen. Ein Thronfolger war seiner Meinung nach nicht automatisch berechtigt, sich auf politischem Gebiet zu betätigen; dort wollte Franz Joseph nach wie vor die Zügel selbst in der Hand halten. Diese Grundeinstellung wurde durch tief greifende Meinungsverschie­denheiten mit Franz Ferdinand in höchst sensiblen Fragen noch verstärkt. Für militärische Belange galt das Prinzip nicht in derselben Strenge; hier wurde das Engagement des Thronfolgers anerkannt. Nach Wiederherstellung seiner Gesundheit wurde Franz Ferdinand auf einen eigens für ihn geschaffenen Posten berufen. Dort konnte er sich ein Gesamtbild der Armee machen, eine Meinung bilden und sie unter Wahrung seiner Kompetenzen dem Kaiser unterbreiten. Franz Ferdinands Meinung über den österreichisch-ungarischen Militärapparat zu Beginn des Jahrhunderts könnte nicht unnachsichtiger sein. Seit dem Tod Erzherzog Albrechts im Jahr 1895 wurde die Armee von General Graf Friedrich Beck-Rzikowsky befehligt. Er wurde 1881 an die Spitze des Generalstabs berufen, davor hatte er den Schlüsselposten eines Vorstands der Militärkanzlei des Kaisers inne und erwarb sich dort das Vertrauen des Kaisers. Der Beck nahestehende Feldmarschallleutnant Heinrich Ritter von Pitreich wurde – als Bestätigung dieses Einflusses – an die Spitze des Kriegsministeriums berufen. Franz Ferdinand hielt weder von dem einen noch von dem anderen viel, wobei er Ersteren als „vollkommenen Trottel“, Zweiteren als „altes Weib ohne Rückgrat“ abqualifizierte.101 Nach Meinung des Thronfolgers sprach vor allem ihr Alter gegen sie, Beck war im Jahr 1906 76. Zweifelsohne stand der alte Radetzky bis über 149

Auf dem Weg zu einer Gegenregierung?

sein 90. Lebensjahr hinaus an der Spitze der Armee und war auch noch in diesem biblischen Alter überaus populär, mehr noch, ein Mythos. Doch Beck verfügte nicht über das Charisma seines berühmten Vorgängers. Um das Alter geht es auch im zweiten Vorwurf Franz Ferdinands gegenüber Beck: den Rückstand, den die österreichisch-ungarische Armee in diesen Jahrzehnten im Vergleich zu den Armeen der meisten europäischen Großmächte einfuhr. Zum einen stiegen zwischen 1895 und 1906 die Militärausgaben wesentlich weniger rasch als in Deutschland, Frankreich, England und selbst Italien. Zum anderen lag Österreich-Ungarn bei den jährlichen Rekrutierungszahlen weit hinter den anderen Mächten zurück, mit lediglich 103 100 Mann gegenüber 280 000 in Deutschland, 250 000 in Frankreich und 335 000 in Russland. Die veraltete Ausrüstung war ein weiterer Grund zur Sorge, sie galt insbesondere der Feldartillerie. Zu einem Zeitpunkt, als die französische Armee nach und nach mit der neuen 75-mm-Kanone ausgerüstet wurde, hatte die österreichisch-ungarische Armee veraltetes und weniger leistungsstarkes Material. Ihr Verhalten in der Ungarnkrise diskreditierte Beck und Pitreich schließlich in den Augen des Thronfolgers. In Umsetzung von Franz Josephs Vorgaben bemühten sich beide um ein Abkommen, mit dem Ziel, den Bruch zu verhindern, der den Plan U einer Besetzung Ungarns auszulösen drohte. Damit zogen sie sich den Zorn Franz Ferdinands zu. Die Manöver im September 1906 in Teschen versetzten Beck den ­Todesstoß. Als es Fehler im Ablauf gab, wem anderen als dem General­ stabschef sollte man sie anlasten? Die Sache wurde umso kritischer, als Beck während des Manövers vom Pferd fiel, eine unangenehme, um nicht zu sagen: peinliche Situation. Sie stärkte die Argumente jener, für die Beck entschieden zu alt für seine Funktion war. Franz Ferdinand setzte noch eins drauf, als er Beck am Ende der Manöver nicht grüßte. Dieses Verhalten bewies nicht nur, wie hart, ja, grob er sich bisweilen benahm, es war auch bedeutungsvoll. Franz Joseph selbst kehrte unzufrieden über die bei den Manövern zutage getretenen Mängel aus Teschen zurück. Er stellte sich nicht schützend vor seinen alten Gefährten, als Franz Ferdinand dessen Kopf forderte. Nicht überraschend traf Pitreich das gleiche Schicksal. Die Frage des jeweiligen Nachfolgers war schnell gelöst. Für die beiden Posten akzeptierte Franz Joseph die von seinem Neffen empfohlenen Ge150

Für eine Modernisierung der Armee

neräle. Reichskriegsminister sollte der General der Infanterie Franz von Schönaich werden, der schon in der zisleithanischen Regierung den entsprechenden Ministerposten bekleidete. Auch wenn er nicht zum engsten Kreis Franz Ferdinands zählte, erfreute er sich doch des Wohlwollens des Thronfolgers. Diesem gefiel sein Eintreten für eine Modernisierung der Armee, eine Aufgabe, der in den nächsten Jahren Priorität eingeräumt werden sollte. Auf den Posten des Generalstabschefs berief der Kaiser General Franz Conrad von Hötzendorf. Man konnte sich kaum einen größeren Kontrast zum alten General Beck vorstellen. Conrad war erst 54 Jahre alt, als er seinen Posten antrat. Durch seinen Unterricht an der Kriegsschule zwischen 1888 und 1892 hatte er sich einen Ruf als Taktiker erworben. Seine Vorlesungen fanden Eingang in die Abhandlung Zum Studium der Taktik, die zu einer wahren Bibel der Armee wurde. Franz Ferdinand, der schon vor einigen Jahren auf Conrad aufmerksam geworden war, sah ihn als geeigneten Chef, der die notwendigen Reformen für eine Modernisierung des österreichisch-ungarischen Militärapparates erfolgreich vornehmen konnte. Die Bestätigung hatte er im Jahr zuvor bei den in Tirol abgehaltenen Manövern erhalten, wo Conrad ein Kommando in Innsbruck innehatte. Auch dass er der Technik große Bedeutung beimaß, sprach für ihn. Indem er mit der in der vergangenen Ära waltenden Vorsicht brach, bewährte sich Conrad – eine weitere Übereinstimmung mit Franz Ferdinand – als Verfechter einer Offensivstrategie. Doch über welch große Qualitäten er auch verfügt haben mochte, seine Ernennung war eine Überraschung. Andere Namen für Becks Nachfolge hatten die Runde gemacht, angefangen mit Feldmarschallleutnant Oskar Potiorek, seinem engsten Mitarbeiter. Er sollte es Conrad nie verzeihen, ihn ausgestochen zu haben, und hegte immer einen gewissen Groll gegen den Thronfolger. Franz Ferdinand rechnete damit, dass die beiden neuen Verantwortlichen in gutem Einvernehmen miteinander arbeiten würden. Er hoffte auch, über sie Einfluss auf den Staatsapparat nehmen zu können, denn er erwartete von beiden, dass sie seine Denkweise getreulich verbreiten und seinen Zielen dienen würden. Bleibt offen, ob er damit nicht allzu optimistisch war. In einem monarchischen System wie der Doppelmonarchie galt die Loyalität des Soldaten in erster Linie dem Herrscher. Sollte es zu einem Konflikt zwischen Hofburg und Belvedere kommen, war nicht sicher, ob sich die 151

Auf dem Weg zu einer Gegenregierung?

beiden Männer zur Treue gegenüber Franz Ferdinand verpflichtet sähen. Hinsichtlich des erhofften Einflusses auf die militärischen Angelegenheiten war Franz Ferdinand überzeugt, diesen auch in der Außenpolitik geltend machen zu können. Aber konnte er davon ausgehen, dass seine beiden Protegés immer die gleiche Linie vertreten würden wie er?

DIE BOSNIEN-KRISE Franz Ferdinand glaubte sicher, sein Netz mit der Ernennung von Freiherr von Aehrenthal im Oktober 1906 an die Spitze der österreichisch-ungarischen Diplomatie weiter ausbauen zu können. Er freute sich über das Ausscheiden von Graf Gołuchowski, den er schon in der Zeit seiner Krankheit verdächtigt hatte, seinen Bruder Otto in den Vordergrund geschoben zu haben, dessen Verhalten bei den vorbereitenden Verhandlungen für seinen Verzichtsakt er nicht goutiert hatte. Zu diesen Gründen – offenkundig maßgeblich genug für jemanden, der Beleidigungen nur selten entschuldigte – kam noch ein weiteres Motiv der Genugtuung. Franz Ferdinand beschuldigte Gołuchowski, als Pole antirussische Gefühle zu schüren und zu versuchen, die Politik der Monarchie in diesem Sinne auszurichten. Aehrenthal hingegen wollte das Bündnis zwischen Österreich-Ungarn und Russland zu einer Achse seiner Politik machen.Vor seiner Ernennung an die Spitze des Außenministeriums hatte er als Botschafter in St. Petersburg die Annäherung der beiden Höfe betrieben, die schließlich 1903 mit dem Abkommen von Mürzsteg abgesegnet worden war. Seine Bestellung zum Nachfolger Gołuchowskis zeigte auch, dass Franz Joseph dem Aufbau enger Beziehungen zwischen Wien und St. Petersburg Priorität einräumte. Ob dieses Ziel so einfach zu erreichen war? Wie konnte man außer Acht lassen, dass die Niederlage gegen Japan Russland dazu veranlassen könnte, sich wieder dem Balkan zuzuwenden? Würde es möglich sein, den Geist der Verständigung aufrechtzuerhalten, der die österreichisch-russischen Beziehungen seit den 1890er-Jahren bestimmte? Dies war mehr als ungewiss. Wie hehr die Absichten der einen wie der anderen Seite auch gewesen sein mochten, die Logik der Macht schien die Oberhand zu gewinnen. Die Frage wurde umso dringlicher, als Aehrenthal danach trachtete, die Grenzen im Balkanraum zu verschieben. Auch wenn Wien auf den 152

Die Bosnien-Krise

Machtwechsel in Belgrad nicht reagiert hatte, zeigte der Staatsstreich bald Auswirkungen. Serbien wollte sich nicht nur aus dem österreichisch-ungarischen Kielwasser lösen, es erwies sich immer mehr als Piemont der Südslawen. Die 1905 gegründete Vereinigung Slovensky Jug (Der Südslawe) entfaltete von Belgrad aus eine intensive proserbische Propagandatätigkeit in Bosnien-Herzegowina. Der Einfluss Serbiens begann sich sogar auf den Raum der Doppelmonarchie auszuweiten, wo die südslawischen Ideen als Zeichen wachsender Unzufriedenheit an Boden gewannen. Trotz großer Tradition des gegenseitigen Misstrauens, ja, der Feindseligkeit, kam es zu einem Annäherungsprozess zwischen Kroaten und Serben. Im Oktober 1905 unterzeichnete eine Mehrheit der in den dalmatinischen Landtag gewählten Kroaten und Serben eine gemeinsame Erklärung. Drei Jahre später brachten die Wahlen in den Sabor von Agram einen Sieg der Verfechter der kroatisch-serbischen Union. Auch wenn mehrere politische Kräfte der Kroaten wie die Bauernpartei von Stjepan Radić und die Rechtspartei von Josip Frank dieser Koalition nicht beitraten, klang ihr Erfolg wie eine Warnung. Aehrenthal war entschlossen, dieser Entwicklung einen Riegel vorzuschieben. Sich der Schwere des Übels bewusst und überzeugt, dass es immer nur größer werden konnte, würden keine energischen Schritte unternommen, setzte er sich die Neutralisierung Serbiens zum Ziel. Aus diesem Grund schlug er Franz Joseph die Annexion von Bosnien-Herzegowina vor, das seit 1878 unter österreichisch-ungarischer Verwaltung stand, ohne dass die osmanische Oberhoheit offiziell abgeschafft war. Aehrenthal hoffte, ohne militärische Operation auszukommen, die eine Verschlechterung der Beziehung mit Russland zur Folge haben könnte. Zur Rechtfertigung dieses Schrittes konnte Wien das Argument der Jungtürkischen Revolution vorbringen. Gab es denn keine Anzeichen dafür, dass die neuen Machthaber in Istanbul die Absicht hegten, im gesamten Reich, und damit zweifellos auch in Bosnien-Herzegowina, Wahlen abzuhalten? Die Annexion konnte diese Gefahr bannen. Der Vorwand diente allerdings nur dazu, die wahren Motive hinter Aehrenthals Plan zu verbergen. Es ging darum, Österreich-Ungarn dauerhaft in Bosnien-Herzegowina zu installieren, und zwar nicht nur die provisorische Regelung für das Gebiet zu beenden, die der Berliner Kongress getroffen 153

Auf dem Weg zu einer Gegenregierung?

hatte, sondern vor allem, die Verteidigungslinie der Monarchie gegen expansionistische Gelüste Serbiens zu verstärken. Im Unterschied zu seinem Vorgänger vertrat Aehrenthal keinen statischen Konservatismus. Abgesehen vom Abschluss des 1878 eingeleiteten Prozesses, sah der neue Außenminister in der Annexion einen Schritt hin zur Regelung des Gesamtkomplexes der quälenden Frage der Südslawen. Er bezog sie in einen Plan ein, der darauf abzielte, die Südslawen der Monarchie unter einer Autorität zu vereinen. Die Bildung eines großräumigeren Zentrums, bevölkerungsreicher als das kleine Serbien, würde sie davon abhalten, ihren Blick über die Grenzen hinaus zu richten. So würde Serbien seiner Anziehungskraft beraubt und all seine Hoffnungen zunichtegemacht, zum Piemont der Südslawen zu werden. Vielleicht böte die Neuverteilung der Karten sogar die Möglichkeit, sie in den Einflussbereich der Doppelmonarchie zu bringen. Die Risiken von internationalen Komplikationen, die die Annexion hervorrufen könnte, schätzte Aehrenthal als minimal ein. Serbien würde sich nicht mit Waffengewalt widersetzen, wenn es nicht auf Unterstützung von außen zählen konnte. Und es ist zweifelhaft, ob Russland, die Belgrad nächstgelegene Macht, das Wagnis einginge. Noch kaum von der Niederlage gegen Japan und den revolutionären Erschütterungen des Jahres 1905 erholt, hatte es keine Ressourcen für einen militärischen Gegenschlag. Mehr noch, Aehrenthal rechnete damit, mit seinem russischen Amtskollegen Iswolski ein Abkommen schließen zu können. Im Gegenzug für die Anerkennung der Annexion würde Wien sich dafür einsetzen, dass Russland vom Konzert der europäischen Mächte das Recht zur Durchfahrt der Dardanellen erhielte, um seinen Schiffen einen Zugang zum Mittelmeer zu sichern. Auf dieser Grundlage schien das Abkommen von den beiden Ministern geschlossen worden zu sein, und zwar bei ihrem Treffen Mitte September in Buchlau, der Residenz des damaligen österreichisch-ungarischen Gesandten in St. Petersburg, Graf Berchtold. An diesem Punkt geriet die Angelegenheit außer Kontrolle. Der Zu­ sicherung – oder was er dafür hielt – gewiss, kündigte Aehrenthal am darauffolgenden 5. Oktober die Annexion an. Wie überrascht muss er wohl gewesen sein, als auf die Proklamation umgehend ein Protest seitens Iswolskis im Namen Russlands folgte. Das Abkommen von Buchlau schien auf einem Missverständnis zu beruhen. Die beiden Minister hatten sich auf die 154

Die Bosnien-Krise

Abhaltung einer internationalen Konferenz der Signatarmächte des Berliner Kongresses verständigt, offenkundig aber ohne die Tagesordnung genau festzulegen.Wie sich später zeigte, hatten sie unterschiedliche Auffassungen über deren Rolle. Während Iswolski davon ausging, dass die Annexion im Vorhinein von den Mächten bewilligt werden sollte, sah Aehrenthal nur vor, sie von diesem Areopag bestätigen zu lassen. Die Folge war, dass die Interpretation Iswolskis eine rasche Ankündigung der Annexion ausschloss, während Aehrenthal sich frei fühlte, umgehend zu handeln. Die Uneinigkeit zwischen Österreich und Russland artete rasch zu ­einer europäischen Krise aus, mit der die Kanzleien mehrere Monate lang beschäftigt waren. Sie trat die Nachfolge der Marokkokrise an, die ihr vorläufiges Ende zwei Jahre zuvor mit der Konferenz von Algeciras gefunden hatte. Das Schicksal von Bosnien-Herzegowina ließ die beiden antagonistischen Blöcke, in die Europa von nun an geteilt war, einander gegenüberstehen. Frankreich und England unterstützten Russland diplomatisch, während Deutschland sich trotz der Irritation, über den Annexionsplan nicht informiert worden zu sein, auf die Seite seines Verbündeten stellte. Serbien wiederum, das entschlossen war, die Verwirklichung des österreichischungarischen Planes zu verhindern, ordnete militärische Vorbereitungen an, wobei es auf die Unterstützung Russlands zählte. So weit sollte es nicht kommen. Franz Joseph und Aehrenthal wollten verhindern, dass die Meinungsverschiedenheiten mit Russland in einer militärischen Konfrontation endeten. Die Krise hatte eine Wendung genommen, dennoch waren sie immer noch überzeugt, Russland würde einen bewaffneten Konflikt scheuen, außer es würde dazu gezwungen. Gefährlich wäre es, eine Strafexpedition gegen Serbien zu unternehmen. Über den Ausgang gab es keinen Zweifel, aber Russland würde eine Vernichtung Serbiens nicht zulassen können. Der Ausgang der Krise gab der Zurückhaltung der österreichisch-ungarischen Verantwortlichen recht. Am Höhepunkt der Spannungen richtete Deutschland ein, man könnte fast sagen, Ultimatum an St. Petersburg. Die Vorgangsweise war zweifellos rüde, aber nachdem Österreich-Ungarn sich davor gehütet hatte, Serbien anzugreifen, konnte Russland darauf verzichten, zu den Waffen zu greifen, ohne das Gesicht zu verlieren; darüber hinaus war es aus Paris und London informiert worden, dass außer diplomatischer Unterstützung kein weiteres Engagement 155

Auf dem Weg zu einer Gegenregierung?

zu erwarten war. Serbien blieb nichts anderes übrig, als sich zu fügen. Der Hoffnung auf ein militärisches Kräftemessen beraubt, stand es vor vollendeten Tatsachen und musste sich um gutnachbarliche Beziehungen mit Österreich-Ungarn bemühen. Franz Ferdinand betrachtete die Pläne einer Annexion zunächst zurückhaltend. Die Beziehungen zu Aehrenthal verschlechterten sich umgehend. Die Episode des Besuches in Konopischt war nicht vergessen, zweifellos ein sehr prägender Zwischenfall. Mit der Zeit waren neue Vorwürfe zu seinem Ressentiment hinzukommen. Insbesondere Aehrenthals Weigerung, einige seiner Protegés auf diplomatische Posten zu berufen, missfiel dem Thronfolger. Dieser Groll war aber nicht die Ursache seiner anfänglichen Zurückhaltung gegenüber dem Plan einer Annexion. Er lehnte sie nicht grundsätzlich ab, doch er hielt es für wenig zielführend, sich auf ein sehr riskantes außenpolitisches Abenteuer einzulassen, bevor die Lage im Inneren nicht gefestigt war: „Im allgemeinen bin ich überhaupt bei unseren desolaten inneren Verhältnissen gegen alle solche Kraftstückeln. Meiner Ansicht nach kann sich solche Sachen nur ein konsolidierter, kräftiger Staat erlauben; da wir aber, dank dem Kampf der beiden Reichshälften, der künstlich mit Dampf betriebenen Abschaffung der Gesamtheit und dem Chaos weder konsolidiert noch kräftig sind, würde ich eher zuwarten.“102

Allerdings änderte sich Franz Ferdinands Einstellung. Brosch konnte ihn überzeugen, seine Vorbehalte aufzugeben. Im Übrigen war er nicht unempfänglich für die Entschlossenheit des Ministers, die sich so sehr von der Passivität der vergangenen Jahre abhob. Wie hätte er auch dessen Absicht nicht gutheißen sollen, die Stellung der Monarchie als Großmacht erneut zu unterstreichen? Franz Ferdinand teilte auch Aehrenthals Anliegen, den expansionistischen Gelüsten Belgrads einen Riegel vorzuschieben. Und schließlich war der Plan einer Zusammenführung der Südslawen der Monarchie eine Antwort auf seine Besorgnis. Noch war das letzte Wort nicht gesprochen. Die Wendung der Ereignisse veranlasste den Thronfolger ein weiteres Mal, seine Meinung zu ändern. Auf die Zeit der Zustimmung folgte eine Zeit der Besorgnis. Franz Ferdinand war beunruhigt, dass diese Krise die Beziehungen zwischen Wien und St. Petersburg ernsthaft belasten könnte. Was 156

Die Bosnien-Krise

brachte ein Gebietsgewinn, wenn der Preis die bleibende Feindschaft Russlands war? Als entschiedener Verfechter eines Bündnisses der drei großen Monarchien Mittel- und Osteuropas konnte Franz Ferdinand nicht anders, als die Entwicklung zu bedauern, die sich diesem Ziel in den Weg zu stellen drohte. Bei all diesen Spannungen legte er Wert darauf, Nikolaus II. über dessen Militärattaché in Wien wissen zu lassen, dass, „was immer vorgefallen, seine Freundschaftsgefühle unverändert geblieben seien“103. Sein Bemühen, die Beziehungen zu Russland nicht so weit zu gefährden, dass ihnen der Todesstoß versetzt werden könnte, ließ Franz Ferdinand den Plan eines Krieges gegen Serbien noch mehr verwerfen. In dieser Schlüsselfrage vertrat er dieselbe Position wie Franz Joseph, was eine Erwähnung verdient. Umgekehrt war er uneins mit Conrad, der mit Unterstützung zahlreicher militärischer Verantwortlicher nach einem Präventivkrieg rief. Das vom Generalstabschef vorgebrachte Argument war einfach. Man müsse die Schwächung Russlands ausnützen, um Serbien zu schlagen, dessen Ambitionen seit 1903 im Widerspruch zu den wichtigsten Interessen der Monarchie standen. Sich für Passivität zu entscheiden, ließe die Bedrohung wie ein Krebsgeschwür anwachsen, wobei ein Schlag gegen Serbien immer schwieriger würde. Durch den Aufschub dieses unausweichlich kommenden Tages würde sich die Monarchie auf eine Konfrontation mit Russland einlassen. Wieder erstarkt, könnte es einem Serbien, das Opfer einer ­Aggression würde, zu Hilfe eilen. Noch war die Situation günstig für Österreich-Ungarn, doch diese Konstellation würde nicht ewig anhalten. Es lag an Wien, die kurze Zeitspanne zu nützen, in der es möglich war, Serbien unschädlich zu machen, ohne einen militärischen Gegenschlag St. Petersburgs fürchten zu müssen. Conrads Plädoyer beeinflusste Franz Ferdinand nicht. Er schenkte ihm zwar weiterhin sein Vertrauen, hoffte aber, er würde sich zügeln. Brosch wurde gebeten, bei Conrad zu intervenieren und zu versuchen, ihn zu überzeugen, dass er auf dem falschen Weg war: „Bitte bändigen Sie mir Conrad. Er soll diese Kriegshetze aufgeben. Es wäre so großartig und sehr verlockend, diese Serben und Montenegrer in die Pfanne zu hauen, aber was nützen diese billigen Lorbeeren, wenn wir dadurch eine allgemeine europäische Verwicklung hinaufdividieren und dann womöglich mit zwei bis drei Fronten zu kämpfen haben und das nicht aushalten können.“104 157

Auf dem Weg zu einer Gegenregierung?

Conrad ließ sich nicht erweichen. Überzeugt, recht zu haben, ließ er in seinen Bemühungen nicht locker. Er empfahl sogar, eine weitere Front zu eröffnen, mit der Zielscheibe Italien. Wie Franz Ferdinand hielt er Italien des Vertrauens für unwürdig, das ihm die Monarchie durch den Abschluss eines Bündnisses entgegengebracht hatte, und wollte ihm das gleiche Schicksal bescheren wie Serbien. Mit dem Vertrag von 1882, so meinte Conrad, hätte Wien ein schlechtes Geschäft gemacht. Sobald sich eine günstige Gelegenheit böte, so sagte er vorher, würde sich Italien gegen Österreich-Ungarn wenden, um sein irredentistisches Programm zu verwirklichen. Misserfolge in den Kolonien und die kürzlich erfolgte Annäherung an die Staaten der Entente erhöhten die Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios. Man musste Rom an der Verwirklichung seiner Pläne hindern, und dazu gab es kein anderes Mittel als einen Präventivkrieg. Ihre militärische Überlegenheit verhieß der Monarchie beste Chancen auf einen Sieg. Das Argument war immer dasselbe: In einigen Jahren würde Wien Gefahr laufen, seinen Vorteil verspielt zu haben. Wie im vorhergehenden Fall würden wohl auch die diplomatischen Gegebenheiten weniger günstig sein. Daher galt es unverzüglich loszuschlagen. Franz Joseph und Aehrenthal lehnten den Plan kategorisch ab. Sie waren darauf bedacht, die Büchse der Pandora nicht leichtsinnigerweise zu öffnen, was unausweichlich die Konsequenz eines Präventivschlags gegen Italien wäre – umso mehr, als sie nur allzu gut wussten, dass der deutsche Verbündete ein solches Vorgehen nicht unterstützen würde. Franz Ferdinand teilte diese Ablehnung. Man wird ihm sicher keine Sympathien für Italien nachsagen können. Zweifellos würde die Zeit kommen, da man dem dreisten Verbündeten eine Lektion erteilen müsste. Derzeit galt die Priorität der Klärung der inneren Fragen.Vorrangig war es, die Monarchie wieder auf eine stabile Basis zu stellen und die notwendigen Reformen durchzuführen. Sobald diese Voraussetzung erfüllt war, wären die Bedingungen für eine neue, aktive Außenpolitik geschaffen, die unbedingt ein Überdenken der Bündnisse beinhalten müsste. Es war klar, dass Franz Ferdinand die seit 1882 bestehende Bindung der Monarchie an Italien nicht erneuern würde. Er war entschlossen, sie gegen ein Bündnis mit Russland zu tauschen, um die Front der konservativen Monarchien gegen die subversiven Kräfte wiederzuerrichten. Die Entscheidung für den Frieden – das muss wohl kaum hervorgehoben werden – bedeutete keineswegs, dass man nicht für jede Eventu158

Die Bosnien-Krise

alität gerüstet sein musste. Franz Ferdinand schenkte Conrad trotz aller Meinungsver­schiedenheiten weiterhin sein Vertrauen. Ihm war nach wie vor bewusst, dass er der fähigste Mann war, um die Monarchie mit jenem militärischen Apparat auszustatten, den sie für ihre innere wie äußere ­Sicherheit benötigte. Das gute Einvernehmen zwischen Franz Ferdinand und Aehrenthal war nur von kurzer Dauer, den persönlichen Groll des Thronfolgers gegenüber dem Außenminister konnte es nicht zerstreuen. Franz Ferdinand ertrug die Unabhängigkeit, die Aehrenthal ihm gegenüber zeigte, nur schlecht. Auch wenn er gegenüber Wilhelm II. einräumte: „Aehrenthal hat seine Sache sehr gut gemacht“105, veranlassten ihn die Entwicklungen in der BosnienKrise zu dem Vorwurf, dieser würde die Beziehungen mit Russland auf das Gröbste gefährden – eine Kritik, die für ihn den Kern der Sache traf. Seinen Zorn auf Aehrenthal löste eine andere Angelegenheit aus. Franz Ferdinand war felsenfest davon überzeugt, dass ihm im Falle eines Konfliktes das Oberkommando über die Armee übertragen würde, doch das war mehr als unwahrscheinlich. Franz Joseph hatte sicher keine Eile, seinem Neffen diese wichtige Position zu übertragen, der nur allzu bereit war, sich von ihm freizuspielen. Und Aehrenthal ließ wissen, er würde eine solche Entscheidung ablehnen. Als Franz Ferdinand von diesem Widerstand erfuhr, schäumte er. Er wollte darin die Bestätigung einer Verschwörung gegen seine Person sehen. Nach Wien zurückgekehrt, ließ er seiner Wut Conrad gegenüber freien Lauf: „Wenn ich Armee-Kommandant werde, dann mache ich, was ich will; wehe wenn jemand etwas anderes tut; die lasse ich alle fusillieren.“106 Nicht verwunderlich, dass Aehrenthal sich dadurch zu Franz Ferdinands Todfeind machte. Dieser ließ in Hinkunft nichts unversucht, ihn zugrunde zu richten. Am Ende dieser innen- wie außenpolitischen Krisen war eines klar: Franz Joseph hielt die Zügel fest in der Hand. Einige wollten zwar eine Diarchie an der Spitze des Staates erkennen. Bekannt ist der Ausspruch von Koerber: „Wir haben nicht nur zwei Parlamente, sondern auch zwei Kaiser.“107 Brosch spricht von einer „Nebenregierung“ rund um Franz Ferdinand. Dieser wolle Einfluss auf Franz Josephs Entscheidungen nehmen und sich mehr und mehr als das wahre Machtzentrum durchsetzen – zweifellos arbeitete Brosch in diesem Sinne. Aber weit gefehlt. Es genügt ein Blick 159

Auf dem Weg zu einer Gegenregierung?

auf den Ausgang der Krisen in der Geschichte der Monarchie von 1906 bis 1909, um sich davon zu überzeugen. In jeder einzelnen setzte Franz Joseph seine Politik durch. Franz Ferdinand hingegen erlitt in den beiden inneren Krisen eine Niederlage (Einführung des allgemeinen Wahlrechts in Österreich und der Ausgleich mit Ungarn). Was die Bosnien-Krise betrifft, hatte er den Plan einer Annexion zunächst unterstützt, ohne eingebunden zu sein. Als die Beziehungen zu Russland dadurch gefährdet schienen, distanzierte er sich davon. Franz Ferdinand glaubte, auf die neuen Verantwortlichen zählen zu können, die 1906 in Funktionen berufen worden waren, in denen sie ihm – so dachte er – behilflich sein würden, die Politik der Monarchie in seinem Sinne auszurichten. Der Schock war groß, als er verblüfft erkennen musste, dass sie sich der Aufgabe entzogen, die er ihnen zugedacht hatte. Man konnte darauf wetten, dass er, einmal auf dem Thron, Ungehorsam nicht dulden würde. Als glühender Verteidiger des monarchischen Prinzips scheint Franz Ferdinand dieses nicht mit derselben Strenge ausgelegt zu haben, wenn es um Franz Joseph ging. Er empörte sich über jene, die er als seine Vasallen sah und die sich seiner Ansicht nach darauf beschränken sollten, seinen Interessen zu dienen. Er konnte nicht anerkennen, dass sie sich durch eine übergeordnete Treue gebunden fühlten, und sah in ihnen Verräter, die sofort ausgeschaltet werden mussten. Auch in seinem Druck auf Aehrenthal, den zugrunde zu richten er sich geschworen hatte, ließ er nicht nach. Beck, der „untreue“ Lehrer, wurde ebenso angeprangert. Mit Zustimmung Franz Ferdinands intrigierte Brosch immer stärker gegen ihn. Als die Position des Ministerpräsidenten 1908 schwächer wurde, schien die Zeit gekommen, „jetzt das Feuer zu schüren“. Konkret ging es darum, die Christlichsozialen aus der Regierungskoalition herauszulösen, um Becks Sturz zu provozieren: „Aus diesem Grunde habe ich Veranlassung“, berichtet Brosch dem Erzherzog-Thronfolger, „dass – vorläufig als ballon d’essai108 – ein scharfer Artikel in der morgigen Reichspost erscheint, welcher Br. Beck seine Doppelzüngigkeit […] vorhalten und womit dem Regierungschef gleichzeitig die Freundschaft der Christlichsozialen gekündigt wird.“109 Aus dem nächsten Brief geht klar hervor, dass Franz Ferdinand die Anweisung gegeben hatte, die Hunde loszulassen: 160

Die Bosnien-Krise

„Ich werde den höchsten Befehlen gemäß daher sofort mit den Führern der Christlichsozialen Fühlung nehmen, damit sie die Kompromissvorschläge des Br. Beck zurückweisen; vielleicht gelingt es bei diesem Anlasse den österr. Ministerpräsidenten, gegen den sich ohnehin schon genug Unmut aufgesteigert hat, zu Fall zu bringen.“110

Diesmal misslang das Manöver, denn die Christlichsozialen waren noch nicht bereit, einen Ministerpräsidenten fallen zu lassen, dem sie die Einführung des allgemeinen Wahlrechts verdankten. Alles deutete jedoch darauf hin, dass das Belvedere noch nicht das letzte Wort gesprochen hatte und wieder darauf zurückkommen würde, sobald sich die Gelegenheit dazu böte. War der Thronfolger tatsächlich jener Maulheld, der er so oft zu sein schien? Tatsächlich geriet er stets etwas außer Fassung, wenn er von Franz Joseph in Audienz empfangen wurde. Es war für ihn immer eine Prüfung, diesem einschüchternden Mann von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen. Ihre Begegnungen in den Jahren vor dem Verzichtsakt hatten Spuren hinterlassen. Das Problem aber saß tiefer. So sehr er sich auch dagegen wehrte: Die vom alten Kaiser ausgehende Majestät beeindruckte ihn. Da die Unterredungen selten länger dauerten, fand Franz Ferdinand kaum die Zeit, Franz Joseph seine Beweggründe darzulegen. Wie auch immer eine Unterredung endete, sie hinterließ beim Thronfolger einen bitteren Nachgeschmack, der seinen Ärger immer wieder hochkommen ließ. Es gab nur zwei Möglichkeiten, so Bardolff, entweder: „So hörte Franz Joseph kühl zu und erklärte, er werde sich die Entscheidung überlegen. In vielen Fällen folgte dieser Überlegung nichts weiter.“ Oder:„Ließ sich der Kaiser auf den Gegenstand ein, so kam es oft zu schweren Meinungsverschiedenheiten. Nach einer gewissen Zeit richtete sich plötzlich der Monarch mit der Autorität des Familienoberhauptes steil auf und mit der Unterredung war es zu Ende.“111

Am Ende dieses Jahrzehnts hatte Franz Joseph das Heft weiterhin fest in der Hand.

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KAPITEL VII

Arbeit und Alltag Es ist an der Zeit, etwas innezuhalten. Franz Ferdinands Persönlichkeit erschöpft sich nicht in seinem politischen und militärischen Engagement. Es gilt auch, ihm in sein Alltagsleben zu folgen, ihm in der Intimität der Residenzen in Wien und den Kronländern der Monarchie zu begegnen. Sein Bild als Ehemann und Vater ist ganz anders als jenes steife, manchmal an eine Karikatur grenzende Bild, zu dem sein politisches Verhalten beigetragen hat. Privat zeigt er Interesse, Begeisterung und Leidenschaft, was sein Porträt ergänzt oder nuanciert. Franz Ferdinand hat sich kaum verändert, er war nur ein klein wenig stärker geworden. Über drei Jahre mit dem Thronfolger vertraut, hinterließ Bardolff eine sehr gute Beschreibung: „Seine äußere Erscheinung war die eines sehr gepflegten, wohlgestalteten Mannes. Er war groß, etwas beleibt, hatte ein volles Antlitz, helle, stahlblaue Augen. Die braunen, nicht sehr dichten Haare trug er hochgestellt, den braunen Schnurbart in mäßiger Länge. Seine Gelenke waren fein, seine Bewegungen natürlich und sehr elegant, seine Stimme tönte angenehm, voll und klar.“112

DIE RESIDENZEN Ob durch Erbe, Schenkung oder Kauf in seinen Besitz gelangt, hatte Franz Ferdinand in Wien und verschiedenen Kronländern (Niederösterreich, Böhmen, Kärnten, Salzburg) mehrere Residenzen. In jeder nahm er sowohl äußere Umbauten als auch Renovierungen oder Veränderungen im 163

Arbeit und Alltag

Inneren vor. Dabei ließ er den Architekten keineswegs freie Hand. Er studierte ihre Pläne genau, verlangte Änderungen und forderte manchmal sogar, noch einmal von vorne anzufangen. Während seiner Aufenthalte in Wien residierte Franz Ferdinand lange Zeit im Palais Modena in der Beatrixgasse. Als Franz Joseph erkannte, dass der Thronfolger seine Krankheit überwunden hatte, beschloss der Kaiser, ihm das Schloss Belvedere zu übertragen, eine seiner Stellung als Thronfolger würdige Residenz. Die Entscheidung war auch von der Sorge getragen, Franz Ferdinand gegenüber seinem Bruder Otto nicht nachstehen zu lassen, der sich kurz zuvor im kaiserlichen Palais Augarten eingerichtet hatte. Das Belvedere, von Johann Lukas von Hildebrandt für den Prinzen Eugen errichtet und dann in kaiserlichen Besitz übergegangene Juwel der ­Barockkunst, beherbergte seit 1811 die Sammlungen von Schloss Ambras, die nach Wien gebracht wurden, als Tirol unter bayerische Oberhoheit kam. Sie blieben dort bis zur Errichtung des Kunsthistorischen Museums in den 1880er-Jahren, in das sie verlegt werden sollten. Noch bevor Franz Ferdinand im Belvedere seine Wiener Residenz aufschlug, hatte er Gelegenheit, sich vertraut zu machen. Nach der Rückkehr von seiner Weltreise hatte er dort die 60 Kisten mit den unterschiedlichsten Gegenständen zwischengelagert, die er mitgebracht hatte. Ab April 1894 wurden sie der Öffentlichkeit im Rahmen einer Sonderausstellung präsentiert, die nicht weniger als 17 Räume im ersten Stock umfasste. Als das Belvedere in seinen Besitz überging, beschloss Franz Ferdinand, einige Umbauten im Inneren vornehmen zu lassen, wie den Bau einer Kapelle und die Eröffnung einer Bibliothek. Er ließ auch wichtige Renovierungsarbeiten durchführen, um das Schloss des Prinzen Eugen zu einer das ganze Jahr hindurch bewohnbaren Residenz zu machen. Der neue Eigentümer der Liegenschaft sollte sich jeglichen modernen Komforts erfreuen. Ein Netz von Wasser-, Gas- und Stromleitungen wurde installiert, eine Zen­ tralheizung eingebaut und die Sanitäreinrichtungen wurden modernisiert, schließlich erhielt das Belvedere sogar Aufzüge. Bei der Einrichtung und Ausstattung wandte Franz Ferdinand ein Prinzip an, das ihm zur Regel wurde: Einheit des Stils. Er wählte Möbel und Gemälde in Einklang mit dem Barockstil des Schlosses. Nach Beendigung der Arbeiten zog Franz Ferdinand im Sommer 1899 ins Belvedere um, ein Jahr vor seiner Hoch164

Die Residenzen

zeit, nach der das Paar dort seine Wiener Residenz aufschlug. Franz Ferdinand hielt sich mehr als die Hälfte des Jahres – niemals weniger als 200 Tage – nicht in Wien auf, wo er selten mehr als eine Woche in einem Stück verbrachte. Außerhalb der Hauptstadt standen ihm mehrere Residenzen zur Auswahl. Schloss Artstetten in der Nähe von Melk an der Donau war das der Hauptstadt nächstgelegene und am längsten im Familienbesitz stehende Schloss. 1861 von dessen Vater auf Karl Ludwig überschrieben, wurde es vom Erzherzog und seiner Familie vorwiegend als Sommerresidenz genutzt. Sein Vater hatte es 1889 Franz Ferdinand geschenkt, der allerdings nur selten dorthin kommen sollte. Erst 1913 entschloss er sich zu Renovierungsarbeiten, die am Tag nach der Tragödie von Sarajewo ein­gestellt wurden. Einige Monate später wurden sie wieder aufgenommen und abgeschlossen. Dass das Schloss im Juni 1914 noch ohne Möbel war, lässt sich durch Franz Ferdinands Entscheidung erklären, für die Zukunft vorzu­ sorgen, wenn er einmal nicht mehr war. Da er nicht einen Augenblick lang daran dachte, dass Sophie vor ihm sterben könnte, sah er vor, dass Artstetten an sie fiel und sie sich dort nach seinem Tod niederlassen sollte. Er traf auch Vorkehrungen, dass das Ehepaar zum gegebenen Zeitpunkt in der nach Plänen von Ludwig Baumann errichteten Krypta bestattet werden sollte. Am längsten von allen Residenzen hielt sich Franz Ferdinand jedenfalls auf Schloss Konopischt in Südböhmen auf. Er hatte es mit der dazugehörigen Herrschaft 1887 Fürst Franz Lobkowitz für die Summe von 2,5 Millionen Gulden abgekauft, von denen Franz Joseph ihm einen Teil vorgestreckt hatte. Es war ein geschichtsträchtiger Ort, was seine Anziehungskraft noch erhöhte. Die Herrschaft hatte zunächst Tobias von Benešov gehört, der Anfang des 14. Jahrhunderts ein Schloss nach dem Vorbild französischer Burgen errichten ließ, und ging dann auf Zdenko von Sternberk (Sternberg) über. Trotz aller im Lauf der Zeit vorgenommenen Umbauten bewahrte das von vier Ecktürmen flankierte und von einem höheren, massiveren Mittelturm beherrschte Schloss das Aussehen einer Festung. Konopischt erhebt sich inmitten einer ausgedehnten Herrschaft von nicht weniger als 6 842 Hektar. Bei der Übernahme befand es sich in sehr baufälligem Zustand, daher ließ Franz Ferdinand Renovierungsarbeiten vornehmen. Mit der Leitung betraute er Josef Mocker, einen Prager Architekten, dem schon die Renovierung von Schloss Karlstein zu verdanken war. Nach der vom 165

Arbeit und Alltag

Eigentümer der Liegenschaft aufgestellten Regel erhielt er die Anweisung, nichts an der Fassade zu ändern. Im Inneren des Schlosses hingegen wurde umfassend umgebaut, auf der riesigen Baustelle – das Schloss hatte nicht weniger als 200 Räume – waren bis zu 300 Handwerker beschäftigt. Es war alles andere als einfach, in dem alten Gemäuer Heizung und Elektrizität zu installieren, Badezimmer und Toiletten einzubauen und die Wege durch hydraulische Aufzüge zu verkürzen, alles Umbauten, die wie im Belvedere den Komfort der Bewohner erhöhen sollten. Ein beträchtlicher Teil der Möbel stammte aus dem Erbe von Modena, das auch den Grundstock einer sehr reichen, auf 4 618 Stücke geschätzten Waffen- und Rüstungssammlung bildete. Sie schmückte vor allem das zu diesem Zweck umgestaltete ehemalige Theater. Das Schloss beherbergte auch eine beeindruckende Sammlung diverser dem hl. Georg geweihter Gegenstände, darunter ein Sammelsurium an Einrichtungsgegenständen, Waffen, Geschirr, Büchern,Teppichen und Münzen, die alle das Bildnis des heiligen Kriegers zierte. Hinzu kamen noch ungefähr 200 St.-Georg-Plastiken als Glanzpunkt der Sammlung. All diese Stücke – 3 750 an der Zahl – wurden im Laufe der Jahre von Franz Ferdinand zusammengetragen, der sich beim Ankauf auf ein Netz von Antiquitätenhändlern stützte. Der Wert, den er der Sammlung beimaß, lässt sich an seiner Entscheidung erkennen, 1911 die ehemalige Reithalle des Schlosses zu einem Museum umzubauen, um die Schätze dort entsprechend zur Geltung zu bringen. Als Franz Ferdinand die Herrschaft übernahm, fand er in Konopischt eine Reihe von Gebäuden vor, die seinem Plan im Wege standen, in Verlängerung des Schlosses einen weitläufigen Park anzulegen. Er beschloss, sie abreißen zu lassen, so verschwanden eine Brauerei, eine Zuckerraffinerie, ein Gasthof und einige Bauernhäuser. Der Gasthof wurde nach Benešov verlegt, wo er erst zehn Jahre später wiedereröffnet werden sollte. Es überrascht nicht weiter, dass sich der neue Herr über die Proteste gegen die Zerstörungen hinwegsetzte, die gleichbedeutend mit dem Verlust von Arbeitsplätzen waren. Auf dem frei gewordenen Gelände legte er auf 340 Hektar einen Park an, um dessen Pflege er sich selbst kümmerte. Er wurde Franz Ferdinands ganzer Stolz und es war für ihn immer wieder eine Freude, eine Runde durch den Park zu drehen, um Bäume und Blumenarrangements zu betrachten. Es gab keinen neuen Baum, den er nicht selbst ausgewählt und 166

Die Residenzen

dessen Platz er nicht bestimmt hätte. In diesem prachtvollen Ganzen galt seine besondere Aufmerksamkeit dem Rosengarten. Mit Tausenden Exemplaren der unterschiedlichsten Spielarten war dies ein Ort, an den Franz Ferdinand seine hochrangigen Gäste gern führte.Vom Park gelangte man in einen ausgedehnten Wald, durch den neue Alleen geschlagen wurden. Als dritte Komponente umfasste die Herrschaft auch einen bewirtschafteten Teil. Kurz gesagt: Wäre Franz Ferdinand nicht Thronfolger gewesen, hätte seine Lebensweise jener der böhmischen großgrundbesitzenden Aristokraten geähnelt, von denen einige in seiner nächsten Umgebung wohnten. Franz Ferdinand besaß in Chlumetz eine weitere Herrschaft von noch größeren Ausmaßen. Er ließ zwar auch diese renovieren, hielt sich dort aber seltener auf. Ein Grund war zweifellos die Nähe zu Konopischt, außerdem war der Erwerb von Chlumetz, das zum Erbe des Herzogs von Modena zählte, nicht seine persönliche Entscheidung. Ganz anders lag die Sache bei Blühnbach. In der Nähe von Salzburg gelegen, stand diese Herrschaft – ein der Jagd vorbehaltener Besitz der Fürsterzbischöfe – nicht in Konkurrenz zu einem anderen nahe gelegenen Gut. Wie bei Konopischt war Franz Ferdinand auch hier in den Erwerb eingebunden. Seine Aufmerksamkeit wurde 1898 geweckt, als er nach einem für seine Gesundheit förderlichen Ort suchte, nachdem er die schweren Prüfungen hinter sich gebracht hatte. Zweifellos wurde er auch durch den majestätischen Rahmen inmitten der Salzburger Alpen verlockt. Das Anwesen war damals an eine Gruppe von mehreren Aristokraten, die „hohe Jagdgesellschaft“, verpachtet, deren Mitglied er 1902 wurde. Die Sache endete schließlich mit dem Kauf des Gutes durch den „kaiserlichen Familienfonds“, eine Formel, die zur Folge hatte, dass Franz Ferdinand Nutznießer war, ohne Eigentümer zu sein. Franz Ferdinand bestimmte Blühnbach für die Jagd, eine Entscheidung, die zwar in einer langen Tradition stand, dennoch heftigen Widerstand hervorrief. Dieser wurde in der Presse geäußert und in Form von Interpellationen sogar bis in den Reichsrat getragen. Nützte der Erzherzog-Thronfolger nicht die Armee – wenn auch auf eigene Kosten –, um das Gut durch die Errichtung entsprechender Zufahrtswege besser anzubinden? Eine weitere Klage wurde vorgebracht, nämlich dass er die durch den Besitz führenden Wege während der Jagdsaison für die Öffentlichkeit schließen ließ.Vielen erschien Franz Ferdinand wie ein großer Feudalherr, den die lokale Bevöl167

Arbeit und Alltag

kerung nicht interessierte und der nur seinen Leidenschaften frönen wollte. Und er unternahm auch nichts, um diesem Eindruck entgegenzuwirken. Nach dem Brand, der 1909 den nahe gelegenen Ort Werfen verwüstete, beschränkte sich seine Wiederaufbauhilfe auf die sehr bescheidene Summe von 250 Gulden, während Erzherzog Eugen 3 000 Gulden spendete. Mit dieser Aufzählung ist die Liste der Residenzen, in denen sich Franz Ferdinand und seine Familie im Laufe des Jahres aufhielten, noch nicht erschöpft. Auch wenn die beiden wichtigsten Stützpunkte das Belvedere in Wien und Konopischt in Böhmen waren, führte er doch so etwas wie ein Wanderleben. Das bestätigt auch eine Aussage seiner Tochter, Gräfin Sophie Nostitz-Rieneck: „Im Januar und Februar waren wir meistens in Wien, aber immer wieder mit kurzen Zwischenaufenthalten in Konopischt. Hierauf, im März und April, reisten wir gewöhnlich nach dem Süden […] entweder ins Schloß Miramar bei Triest […] oder auf die adriatische Insel Brioni, wo wir in einem Hotel lebten. Zuweilen aber fuhren wir auch in die Alpen, nach St. Moritz zum Beispiel, wo wir uns ebenfalls in einem Hotel einmieteten. Mai und Juni wurden normalerweise wieder in Konopischt verbracht, wenn auch mit ständigen Ausflügen nach Wien im Juni, um an den großen Pferderennen im Prater sowie am Blumenkorso teilzunehmen. Im Juni reisten wir auch öfters nach Donaueschingen, um mit den Fürstenbergs Rehböcke zu jagen. Im Juli ging es manchmal für einige Wochen in einen Kurort an der belgischen Küste. Den August verbrachten wir in Lölling in Kärnten oder in Blühnbach und blieben öfters bis zur Hirschjagd im Oktober, wenn auch mein Vater von dort aus immer wieder Besuche abstattete, wo der Kaiser während des Sommers ständig weilte. Gelegentlich, gegen Ende September, ging es zur Hirschjagd nach Eckartsau, einem anderen Habsburger Familienbesitz. Schließlich wurden, um das Jahr abzurunden, November und Dezember hauptsächlich in Konopischt verbracht.“113

Obzwar sehr detailliert, ist diese Liste nicht vollständig. Hinzu kommen noch die mit den militärischen Verpflichtungen Franz Ferdinands in Zusammenhang stehenden Reisen, insbesondere die Land- und Seemanöver, sowie die Auslandsaufenthalte, bei denen er den Kaiser zunehmend vertrat, den sein fortgeschrittenes Alter an allzu langen Reisen hinderte. 168

Ein feindseliger Hof

EIN FEINDSELIGER HOF Wo immer sie sich aufhielten, wohin sie auch reisten, Franz Ferdinand und Sophie boten das Bild eines harmonischen und trauten Ehepaares. Noch mehrere Jahre nach der Hochzeit pries der glückliche Ehemann im gleichen spontanen Tonfall wie am ersten Tag die Frau, mit der er sein Leben teilte. Erinnern wir uns, was er Maria Theresia anvertraut hatte: „Das Allergescheiteste was ich je in meinem Leben gemacht habe war, daß ich meine Sophie geheiratet habe. Sie ist für mich alles, meine Frau, meine Ratgeberin, mein Doctor, mein Kamerad, mit einem Wort mein ganzes Glück.“114

Kálmán von Széll gegenüber sprach er in ähnlichen Worten und mit der gleichen Wärme: „Meine Soph ist mein alles auf der Welt. Sie ist meine Freude und meine Zukunft, ein Leben ohne sie kann ich mir gar nicht vorstellen.“115 Das Ehepaar war dadurch besser gegen die Feindseligkeiten gewappnet, denen es weiterhin ausgesetzt war. Sie schlugen ihnen schon in den ersten Tagen entgegen und ließen von da an nicht nach. Sie kamen auch in dem Namen zum Ausdruck, den man Sophie in abschätzigem Ton gegeben hatte: die „Morganatische“. Die kaiserliche Familie blockte ihr gegenüber, die man immer für einen „Eindringling“ hielt, weitgehend ab. Franz Joseph erwies ihr bei ihren seltenen Begegnungen natürlich seine übliche Höflichkeit. Ja, mehr noch, wie einst den Titel Prinzessin verlieh er ihr im Oktober 1909 den Titel Herzogin von Hohenberg mit dem Prädikat „Hoheit“. Diese Aufwertung – und darum ging es im Wesentlichen – änderte jedoch nichts an ihrer untergeordneten Stellung innerhalb der kaiserlichen Familie. Franz Joseph hätte es zweifellos in der Hand gehabt, die Regeln zu lockern, unter denen Sophie zu leiden hatte. Seine Ablehnung dieser Heirat, die ihn wie ein Schuldgefühl begleitete, bot aber wohl nicht die Voraussetzungen dafür. Und gerade weil er einmal nachgegeben hatte, wollte er diesen Spalt nicht noch weiter öffnen. Trotz dieses Risses verstand er es, die Ordnung aufrechtzuerhalten, die ihm anvertraut war. Dies zeigte sich auch, als er sich 1909 weigerte, Franz Ferdinands Wunsch nachzukommen, Sophie sollte ihn zur Hundertjahrfeier der Erhebung Tirols gegen die bayerische Besatzung 169

Arbeit und Alltag

begleiten. Die Antwort konnte nur negativ ausfallen, ging es doch um eine offizielle Veranstaltung. Die Argumentation duldet keine Widerrede: „Was Deine Frau anbelangt, über deren Teilnahme an den Festlichkeiten Du mich befragst, so betrachte ich zwar deren Einladung als eine natürliche Selbstverständlichkeit des Tyroler Landecomites, bin ich aber der Meinung, daß die Fürstin zu dieser ganz offiziellen Feier nicht kommen sollte. Es ist mir, wie Du ja weißt, principiell feststehend, daß Deine Frau in unseren Familienkreis gehört und ich sehe sie mit großer Freude im engen verwandtschaftlichen Verkehr mit uns, aber bei offiziellen Gelegenheiten ist die Anwesenheit der Fürstin mit den Ceremoniellvorschriften schwer vereinbar.“116

Diese Einstellung teilten auch die meisten Erzherzöge und Erzherzoginnen. Franz Ferdinands Brüder unternahmen keinen Versuch, wieder Kontakt mit ihm aufzunehmen. Muss man erwähnen, dass auch er selbst nie irgendeine Geste in ihre Richtung setzte? Von den Erzherzoginnen zeigte sich Elisabeth, die Tochter Rudolfs, besonders aufgebracht gegen Sophie. Sie empörte sich lauthals, wenn diese das Wort an sie richten wollte. Zweifellos warf sie tief in ihrem Inneren Franz Ferdinand vor, ihrem geliebten Vater den Platz weggenommen zu haben.Wenig überraschend, zählte auch Erzherzogin Isabella zu jenen bei Hof, die Sophie mit Vorliebe schlechtmachten. Zu dieser keineswegs vollständigen Liste kam noch Katharina Schratt, die Herzensfreundin Franz Josephs, die klarerweise dessen Vorbehalte übernahm. Nur wenige bekundeten Franz Ferdinand und Sophie ihre Sympathie. An der Spitze steht natürlich Erzherzogin Maria Theresia. Hinzuzufügen ist auch Rudolfs Witwe, Erzherzogin Stephanie. Aber konnte man Letztere noch zur kaiserlichen Familie zählen, nachdem man ihr deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass sie große Verantwortung rund um die Tragödie von Mayerling trug? Die Ausgrenzung erklärt vielleicht, dass sie Franz Ferdinand und Sophie ohne zu zögern – und dabei erwies sie sich toleranter als ihre Tochter – ihre Sympathie zeigte. Nach ihrer neuer­lichen Heirat mit Graf Elemér Lónyay, die zu ihrem diesmal offiziellen Ausschluss aus der kaiserlichen Familie führte, empfing sie die beiden auf ihrem Schloss Oroszvár. Franz Ferdinand durfte sich auch noch über die Loyalität des ältesten Sohnes seines Bruders Otto freuen, des jungen 170

Ein feindseliger Hof

Erzherzogs Karl, der ihm nach dem Tod Franz Josephs in seiner Position als Thronfolger nachfolgen sollte. Als wachsamer Hüter des Feuers unter der Autorität Franz Josephs wachte Fürst Montenuovo peinlich genau über die Einhaltung der Vorschriften, die der morganatischen Ehefrau vom Hofzeremoniell auferlegt waren. In seinem Amt als Obersthofmeister bestimmte er über das Protokoll und duldete, des kaiserlichen Vertrauens gewiss, keine Lockerung. Bei jeder Reise, jedem Auftreten oder jeder Veranstaltung mit offiziellem Charakter wurde der Unterschied in der Stellung deutlich unterstrichen. Sophie war es nicht erlaubt, gemeinsam mit ihrem Gemahl in einen Wagen einzusteigen, wenn dieser das kaiserliche Wappen trug. Sie musste ihm in einer anderen Equipage folgen. In den Hoftheatern, ob Oper oder Burgtheater, war Franz Ferdinand angehalten, in der Kaiserloge Platz zu nehmen, zu der seine Gemahlin keinen Zutritt hatte. Diese Vorschrift galt auch für Privattheater: Die Eheleute mussten dem Schauspiel getrennt folgen. Solche Erniedrigungen wiederholten sich bei Festen bei Hof, wo das Protokoll jedem seinen Platz vorschrieb. Sophie kam immer erst hinter der letzten Erzherzogin. Auch beim Hofball erging es ihr nicht besser. Dieser wurde von Franz Joseph eröffnet, der seinen Arm entweder Erzherzogin Josepha oder einer der in Wien zu Besuch weilenden ausländischen Prinzessinnen reichte. Ihm folgte der lange Zug der Erzherzöge und Erzherzoginnen, angeführt von Franz Ferdinand in seiner Eigenschaft als Thronfolger, begleitet von seiner Schwester, Erzherzogin Maria Annunziata, während Sophie am Ende des Zuges am Arm eines Hofkammerherrn einzog. Dem gleichen Prinzip folgend, saß Sophie bei offiziellen Essen am Ende der Tafel. Es kam auch vor, dass sie zu Veranstaltungen nicht eingeladen wurde.Vergesslichkeit allein ist hier keine Erklärung. Erzherzogin Elisabeth unterließ es bewusst, sie zu ihrer Hochzeit mit Fürst Windischgraetz zu bitten. Andererseits erstaunt es nicht weiter, dass Erzherzogin Isabella – immer noch unter dem Eindruck der einige Jahre zuvor erlittenen Demütigung – davon Abstand nahm, Sophie auf die Gästeliste für die Hochzeit ihrer Tochter Marie-Christine zu setzen. Franz Ferdinand kochte vor Wut über die Behandlung, die Sophie zuteil wurde, über die Demütigungen, die über die Person seiner Frau auch ihn selbst trafen. Er hätte sich natürlich bei Franz Joseph beklagen können, 171

Arbeit und Alltag

aber was hätte das gebracht? Franz Ferdinand wusste nur zu gut, dass seine Beschwerden kein Gehör finden würden. Aber wer diese Vorschriften verletzte und Sophie mit Achtung entgegenkam, konnte seiner Anerkennung und Freundschaft sicher sein. Seine Beziehung zu Wilhelm II. ist ein gutes Beispiel dafür. Der Hof in Berlin hatte zunächst Vorbehalte gegenüber der Heirat. Die Nachricht von der Zustimmung Franz Josephs hatte Wilhelm den von Herzen kommenden Ausruf entlockt: „Donnerwetter! Eine Chotek die Nachfolgerin Maria Theresias!“117 Noch am Vorabend einer offiziellen Reise nach Wien im Jahr 1903 signalisierte er seine Absicht, die Gemahlin des Thronfolgers zu ignorieren, doch bei seiner Ankunft in der österreichischen Hauptstadt änderte er seine Ansicht. Seinem Kanzler Fürst Bülow war es gelungen, ihn davon zu überzeugen, welch schwerwiegendes politisches Risiko es in sich barg, den zukünftigen Herrscher des österreichisch-ungarischen Verbündeten zu beleidigen. Unter Überwindung seiner Vorurteile wandte er sich mit einem Lächeln an Franz Ferdinand: „Wann kann ich die Ehre haben, Deiner Frau Gemahlin meinen Kratzfuß zu machen?“118 Dieser Wunsch wurde sogleich erfüllt. Dem Programm wurde ein Besuch im Belvedere hinzugefügt, um Wilhelm die Gelegenheit zu geben, der morganatischen Gemahlin Franz Ferdinands seine Aufwartung zu machen. Durch diese Geste allein hatte er die unvergängliche Dankbarkeit Franz Ferdinands gewonnen. Nicht dass damit alle politischen Meinungsverschiedenheiten ausgeräumt wurden: Franz Ferdinand sollte es nie gelingen,Wilhelm von der Notwendigkeit zu überzeugen, Ungarn zur Vernunft zu bringen. Umgekehrt erging er sich in Dankes­bezeugungen, nachdem die Intervention Deutschlands einen Schlussstrich unter die Bosnien-Krise gezogen hatte. Die beiden Männer sollten sich im Laufe der nächsten Jahre wiederholt begegnen, sowohl im privaten Rahmen als auch bei offiziellen Anlässen. Noch im Juni 1914, kurz vor ihrer Abreise nach Bosnien, besuchte Wilhelm Franz Ferdinand und Sophie in Konopischt. Die Geste Wilhelms brachte den Stein ins Rollen. Ihm folgten weitere Herrscher. Im Juli 1909 kamen Franz Ferdinand und Sophie einer Ein­ ladung des Königs und der Königin von Rumänien zu einem Besuch in ihrer Sommerresidenz Schloss Peleș nach. Sie war zu einem Gutteil Königin Elisabeth zu verdanken, auch unter dem Dichterinnenpseudonym Carmen Sylva bekannt. Ihr leidenschaftliches Wesen veranlasste sie, Sympathie für 172

Ein feindseliger Hof

Sophie zu empfinden, wogegen der pragmatischer veranlagte König Carol überlegte, welchen politischen Vorteil das Treffen bringen konnte.Wie auch immer, eine weitere Schwelle war überschritten. Dem Besuch Wilhelms II. im Belvedere konnte man noch privaten Charakter zuschreiben, doch diesmal handelte es sich um eine offizielle Reise. Franz Joseph hätte sich der Teilnahme Sophies widersetzen können, sah aber davon ab, aus Sorge, einen mit Österreich-Ungarn verbündeten Fürsten zu beleidigen. Abgesehen von allen politischen Überlegungen, ging es Franz Ferdinand bei dieser Einladung in erster Linie um die offizielle Anerkennung von Sophies Stellung. Der König war in seinem Brief übrigens sehr deutlich: „Meine Frau und ich sind glücklich, endlich die Bekanntschaft Deiner teuren Gemahlin zu machen, die ebenso wie Du, geliebter Vetter, mit offenen Armen von uns aufgenommen werden wird.“119  Das rumänische Protokoll sah entsprechend aus. Beim Galadiner saß Sophie rechts vom König, ein Platz, den sie in der Hofburg noch nie eingenommen hatte. Da ein Glück nie allein kommt, wurden Franz Ferdinand und die Herzogin von Hohenberg im November desselben Jahres mit großem Pomp von Wilhelm II. in Berlin und Potsdam empfangen. Sophie hatte Anteil an den Ehrenbezeugungen gegenüber dem Thronfolger des österreichischungarischen Verbündeten. Beim Diner, das im für Friedrich II. errichteten Neuen Palais in Potsdam gegeben wurde, saß sie neben dem Hausherrn. Drei Jahre später folgte der Besuch am Hof von St. James. Die Sache hatte allerdings schlecht begonnen, war es Franz Ferdinand doch nicht gelungen, im Mai 1910 die Erlaubnis zu erwirken, dass die Herzogin ihn zu den Begräbnisfeierlichkeiten für Edward VII. begleitete. Die Weigerung erzürnte ihn, wie auch aus seinem Bericht über die Feierlichkeiten hervorgeht, den er Franz Joseph nach seiner Rückkehr vorlegte und in dem er seiner Verbitterung hemmungslos freien Lauf ließ. Aber auch da gab es Bewegung, denn die „Aufnahme“ erfolgte in zwei Schritten. Im Mai 1912 unternahm das Ehepaar inkognito eine zweiwöchige Reise nach England. Im Laufe dieses Aufenthaltes wurden sie von König Georg V. und Königin Mary zum Mittagessen in den Buckingham Palace geladen. Die Frage des Protokolls konnte umgangen werden, da Sophie unter dem Namen Gräfin von Artstetten reiste. Der erste Schritt fällt immer am schwersten. Der nächste 173

Arbeit und Alltag

wurde im November 1913 anlässlich eines neuerlichen Englandbesuchs von Franz Ferdinand gesetzt, wieder von Sophie begleitet. Sie waren Gäste des Herzogs von Portland, der sie zur Jagd eingeladen hatte. Davor war ein mehrtägiger Aufenthalt auf Schloss Windsor ebenfalls zum Teil der Jagd gewidmet. Muss eigens darauf hingewiesen werden, dass Franz Ferdinand, nachdem er seine Vorurteile überwunden hatte, nicht müde wurde, Lobeshymnen auf England zu singen? Sophies Stellung hatte sich nach und nach konsolidiert. An drei europäischen Höfen wurde sie empfangen, als wäre nichts gewesen. Natürlich war sie nicht immer davor gefeit, eine Abfuhr zu erleben. Im April 1914 musste Franz Ferdinand angesichts der Weigerung der Königin, Sophie zu empfangen, allein nach Bayern reisen. Aber es waren nur mehr Kämpfe auf verlorenem Posten. Unweigerlich näherte sich der Tag, an dem Franz Ferdinand den Thron besteigen würde.

EIN GEMÜTLICHES ZUHAUSE Nach all dem ist es nicht erstaunlich, dass die Aufenthalte des Ehepaars in Wien immer seltener wurden. Franz Ferdinand schränkte seine Beziehungen zum Hof ein und übernahm nur jene Verpflichtungen, denen er sich aufgrund seiner Position nicht entziehen konnte. So meinte er gegenüber dem Primas von Ungarn, Kardinal Csernoch, er schätze nichts mehr als sein gemütliches Zuhause, den Zufluchtsort, den er bei Sophie und den Kindern fand: „Wenn ich nach meiner langen und lastvollen Tagesarbeit in den Kreis meiner Familie zurückkehre und meine Frau inmitten meiner spielenden Kinder an einer Handarbeit sehe, dann lasse ich meine Sorgen hinter der Tür und kann kaum all das Glück aufnehmen, das mich umgibt.“120

Am 24. Juni 1901 brachte Sophie in Konopischt ein Mädchen zur Welt, das auf Wunsch Franz Ferdinands nach seiner Mutter genannt wurde. Am 29. September des darauffolgenden Jahres wurde ein Sohn geboren, der in Erinnerung an einen großen Kaiser den Namen Maximilian erhielt. Zwei Jahre später, im Mai 1904, wuchs die Familie um einen weiteren Buben, dem man den Vornamen Ernst gab. Die Geschichte hielt aber nicht 174

Ein gemütliches Zuhause

nur Freuden bereit. Erneut guter Hoffnung, hatte Sophie im November 1908 eine Totgeburt. Die Ärzte warnten sie nach diesem Zwischenfall vor den Risiken einer neuerlichen Schwangerschaft, und so sollte es bei drei Kindern bleiben, obwohl das Ehepaar gerne noch mehr gehabt hätte. So leidenschaftlich, wie Franz Ferdinand seine Frau liebte, so sehr vergötterte er seine Kinder – ein sympathischer Zug seiner Persönlichkeit. Wie sehr er auch von militärischen und politischen Aufgaben in Anspruch genommen war, fand er doch immer Zeit, sich an der Seite von Sophie, die eine ebenso perfekte Mutter war, seinen Kindern zu widmen. „Die Kinder sind unser alles“, pflegte er gerne zu sagen. Und seine Tochter knüpfte, als sie schon Gräfin Nostitz-Rieneck geworden war, daran an: „Unsere Eltern sorgten sich persönlich um uns Kinder, um unsere Ausbildung und unsere Gesundheit.“121 Wo immer sie sich aufhielten, ob im Belvedere oder in Konopischt, den Kindern blieb das strenge Zeremoniell erspart, dem sie unweigerlich unterworfen gewesen wären, hätten sie in der Hofburg leben müssen. Das hatte Franz Ferdinand entschieden, der mit ihnen ein entspanntes Verhältnis haben wollte.Wann immer es ihm möglich war, begann er den Tag mit einem gemeinsamen Frühstück im Familienkreis. Es kam nicht selten vor, dass er im selben Zimmer blieb und wichtige Akten durchging, während die Kinder um ihn herum spielten. Die gleiche Unkompliziertheit herrschte auch bei den Mahlzeiten, die im Familienkreis in entspannter Atmosphäre eingenommen wurden. Die Gerichte wurden ohne besondere Formalität serviert. Die kulinarischen Vorlieben Franz Ferdinands gingen in Richtung einer Küche, die man als „bürgerlich“ bezeichnen könnte: ein köstlicher Tafelspitz – die Vorliebe dafür teilte er mit Franz Joseph –, Geselchtes auf Sauerkraut oder ein Schweinsbraten.Vor der Hauptspeise gab es üblicherweise eine Suppe. Zu den Mahlzeiten trank Franz Ferdinand ein Glas Bier oder Wein. Nur selten nahm er zum Abschluss eine Tasse Kaffee. Hingegen gönnte er sich einen Augenblick der Entspannung, um eine Zigarre zu genießen. Es versteht sich von selbst, dass es mit dieser Ungezwungenheit vorüber war, wenn Franz Ferdinand und Sophie hochrangige Gäste hatten. Für diese wurde der erforderliche Pomp entfaltet und, wie es sich gehörte, aßen die Kinder an diesen Tagen nicht mit ihren Eltern. Solche Gelegenheiten waren zwar nicht außergewöhnlich, kamen aber nicht allzu oft vor. 175

Arbeit und Alltag

„Die Kinder wuchsen in der besten Atmosphäre auf, die für sie überhaupt denkbar war“122, unterstreicht Graf Alfons Clary-Aldringen in seinen Erinnerungen, ein Cousin Sophies, der oft zu Gast im Belvedere oder in Konopischt war. Das Bemühen Franz Ferdinands, seinen Kindern nahe zu sein, trug dazu bei, eine für ihre Entwicklung günstige Atmosphäre zu schaffen. Das unterstreicht auch das Zeugnis von Sophie, der Ältesten, als Gräfin Nostitz-Rieneck. Zumindest bis zum Drama von Sarajewo hätten sie eine glückliche Kindheit gehabt: „Er war ein wundervoller Vater für uns Kinder“123, erinnert sie sich. Es gibt viele Fotos von den Kindern in Begleitung ihrer Eltern. Manche vermitteln in den damals üblichen Posen zweifellos ein sehr konventionelles Bild. Andere wiederum fangen die Spontaneität flüchtiger Augenblicke ein, Momente wahren Familienglücks. Anders könnte man eine 1912 in Sankt Moritz aufgenommene Foto­grafie kaum beschreiben, auf der Franz Ferdinand und Sophie den kleinen Maximilian an der Hand halten, der Eislaufen lernt. Franz Ferdinand hat die Uniform gegen eine wohl ebenso wenig passende Kleidung getauscht: Panamahut, Stadtsakko, Krawatte, Kniehose und Wollstrümpfe. Gemäß der Tradition seines Hauses vertraute er die Ausbildung seiner Kinder Hauslehrern an.Wie sein Vater verfolgte auch er die Studien genau. Auch wenn er seinen Kindern nahestand, war er doch streng, wenn er es für notwendig erachtete. „Er war streng mit uns“, fährt die Gräfin fort, „aber niemals barsch oder ungerecht.“124 Er ist ihnen gegenüber nie aufbrausend, seine Wutausbrüche behält er sich für andere vor. Zur Ausbildung, die Franz Ferdinand und Sophie ihren Kindern angedeihen ließen, passte es nicht, sie in einer geschützten Welt aufwachsen zu lassen, in der sie nur selten Gelegenheit hatten, in Kontakt mit Kindern aus anderen Kreisen zu kommen. Die Söhne der Aristokratie begannen damals, höhere Schulen zu besuchen, die hohes Ansehen genossen und von geistlichen Orden geführt wurden; in Wien war das etwa das Schottenstift der Benediktiner oder das Jesuitenkollegium in Kalksburg. Innerhalb der kaiserlichen Familien war das natürlich undenkbar, doch aufgrund ihrer Stellung fielen die Kinder von Franz Ferdinand aus diesem Rahmen. So beschlossen Franz Ferdinand und Sophie, dass die Buben ihre Ausbildung im Schottenstift fortsetzen sollten. Beim Tod der Eltern hatte Maximilian gerade die Aufnahmsprüfung bestanden. 176

Ein gemütliches Zuhause

War den Kindern trotz ihrer Jugend die schwierige Beziehung der Eltern mit dem Hof bewusst? Wussten sie um die Erniedrigungen, die ihre Mutter zu erleiden hatte? Bemerkten sie, dass sie abseitsstanden? Das Gespräch, das Sophie Nostitz-Rieneck Gordon Brook-Shepherd gewährte, gibt Antwort auf diese Fragen. Ihre Eltern, so sagte sie, hüteten sich davor, die Kinder ins Vertrauen zu ziehen. Insbesondere untersagten sie es sich, vor ihnen über diese Themen zu sprechen. Das Schweigen verhinderte allerdings nicht, dass die Kinder vage verstanden, dass es ein Problem gab, auch wenn sie die näheren Umstände nicht kannten. Sie empfanden auch immer ein gewisses Unbehagen, wenn sie ihre Eltern in die Hofburg begleiten mussten, was nicht nur der ihrem Alter angemessenen Schüchternheit entsprach. Wie sehr Franz Ferdinand sich auch bemühte, seiner Rolle als Vater in jeder Hinsicht gerecht zu werden, war er natürlich auch zur Abwesenheit gezwungen. Die tägliche Obsorge für die Kinder lag also bei Sophie, und sie war von früh bis spät zur Stelle. „Unsere Mutter“, sagte ihre Tochter später, „war der Mittelpunkt, der ruhende Pol unserer Familie.“125 Ganz allgemein nahm Sophie ihrem Mann die Last häuslicher Sorgen ab und erfüllte diese Aufgabe mit höchster Effizienz. Man muss auch sagen, dass sie gut darauf vorbereitet war. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie die Führung des väterlichen Haushalts übernommen und sich um ihre jüngeren Geschwister gekümmert. Sophie war diese Mission – wohl das passende Wort – offensichtlich ein großes Anliegen. Als tief gläubige Frau ging sie jeden Morgen zur Messe. Franz Ferdinand stand ihr, was seine religiöse Überzeugung betraf, in nichts nach, hatte sich früher aber mit dem Sonntagsgottesdienst begnügt. In Hinkunft passte er seine Praxis an Sophie an. Damit nicht genug, wurde das Personal ebenfalls angehalten, dem Beispiel der Herzogin zu folgen. Bleibt noch zu untersuchen, welchen Einfluss Sophie auf Franz Ferdinand ausüben konnte. Die Meinungen darüber waren geteilt. Für all jene, die Sophie als Auslöserin des Skandals sahen, war die Sache klar. Sie bezeichneten sie als femme fatale, und es fiel ihnen leicht, ihr die düstersten Absichten zu unterstellen. Einmal in die Falle getappt, sei Franz Ferdinand in ihrem Netz gefangen gewesen. Ein Beispiel dafür ist das von Monsignore Marschall gezeichnete Porträt:

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Arbeit und Alltag

„Die Aspirationen dieser Frau sind himmelstürmend! Jawohl, sie sagt, gerade ihr persönlich sei eine große Sendung für das Habsburgische Reich von der Vorsehung zugedacht.“126

Diese Unterstellung ist übertrieben. Sophie war nicht die Judith von Klimt. Aber fehlte es ihr ganz an Ehrgeiz? Ich würde nicht darauf schwören. Für die junge Frau, die nicht aus den Reihen des Hochadels kam, lag sicher etwas Faszinierendes, wenn auch Einschüchterndes und Beängstigendes in der Vorstellung, wenn schon nicht Kaiserin, so doch erste Dame der Monarchie zu werden. Nicht in ihren kühnsten Träumen hatte sie sich das wohl vorgestellt. Mit Blick auf dieses Ziel erwies sich Sophie als charakterstarke Frau, die darüber hinaus über einen starken kämpferischen Geist verfügte. Nur selten entschuldigte sie eine Beleidigung gegenüber Franz Ferdinand. Und alle, die wie Weihbischof Marschall versuchten, sich ihrer Ehe in die Quere zu stellen, bekamen ihren Groll zu spüren. Ehrgeizig, das war Sophie zweifellos, aber für ihren Mann. Sie war getrieben von der Kraft der Liebe, die sie für ihn empfand. Die Liebe ließ sie auch die geeigneten Worte der Aufmunterung für Franz Ferdinand finden, als seine Krankheit ihn niederzustrecken drohte. In allen schwierigen Augenblicken, die sie gemeinsam durchlebten, stand sie an seiner Seite. Sie verstand es auch, mit Franz Ferdinand umzugehen, wenn er sich von einem Wutausbruch fortreißen ließ. Noch lange Zeit später sollte sich Kaiserin Zita an den mäßigenden Einfluss erinnern, den Sophie auf ihn hatte: „Sie war die ideale Partnerin für einen so reizbaren Mann und wußte gut, wie sie mit ihm umzugehen hatte. Sie konnte ihn fast immer beruhigen, und wann auch immer er einen seiner ärgerlichen Ausbrüche hatte, so beruhigte sie ihn ganz einfach dadurch, daß sie ihn in ihre Arme nahm und nur ‚Franzi, Franzi‘ sagte.“127

Muss man davon ausgehen, dass Sophie versucht haben könnte, ihren Gemahl auf politischem Gebiet zu beeinflussen? Dieser Vorwurf war einst gegen Kaiserin Elisabeth erhoben worden, die Franz Joseph 1867 zu der – glücklichen oder unglücklichen – Entscheidung des Ausgleichs mit Ungarn überredet haben soll. Tatsächlich hatte sie sich zur glühenden Verfechterin der ungarischen Causa gemacht – mit dem Vorbehalt, dass Franz Joseph keiner Intervention seiner Gemahlin bedurfte, um von der Notwendigkeit 178

Der Jäger

eines Ausgleichs mit Ungarn überzeugt zu sein. Dessen Grundstein hatte er bereits 1865 gelegt und der Abschluss wurde durch Königgrätz beschleunigt. Im Falle Sophies gibt es keinen Hinweis, dass sie versucht hätte, bei gewissen Themen zu intervenieren. Offenkundig war, dass die beiden Eheleute einander großes Vertrauen entgegenbrachten. Diese Feststellung allein genügt aber nicht, um Sophie politischen Einfluss nachzusagen. Franz Ferdinand war nicht der Mann, der sich Entscheidungen in sensiblen Fragen diktieren ließ, nicht einmal von der Frau, die er anbetete.

DER JÄGER Von Jugend an – man denke an die Einladungen von Rudolf! – hatte Franz Ferdinand eine Vorliebe für die Jagd, die bald zur Leidenschaft wurde. Im monarchischen und aristokratischen Europa jener Zeit war dies nichts Besonderes und schon gar nicht abnormal. Davon abgesehen, gehörte die Jagd zu einer alten Tradition, die weit in die Geschichte der Habsburger und auch der meisten, wenn nicht aller regierenden Familien auf dem Kontinent zurückreicht. Die Habsburger verfügten über mehrere Besitzungen, deren Hauptzweck die Jagd war. Franz Ferdinand selbst hatte Blühnbach in dieser Absicht erworben. Jagdeinladungen zählten zu den strukturierenden Ereignissen des gesellschaftlichen Lebens der Aristokratie. Auf jede angenommene Einladung folgte eine Gegeneinladung. Als Franz Ferdinand nach Sarajewo aufbrach, konnte er sich dazu beglückwünschen, die Zusage Wilhelms II. und Georgs  V. erhalten zu haben, seine Jagden im kommenden Herbst durch ihre Anwesenheit zu ehren. Wie wichtig dieser Hinweis auch sein mag, bleiben wir damit doch nur an der Oberfläche der Dinge. Auf sein ganzes Leben gerechnet, belief sich die Jagdbeute Franz Josephs auf 48 345 Stück, eine für den Laien beeindruckende Zahl. Sie verblasst, vergleicht man sie mit den Trophäen von Franz Ferdinand: 274 889 Stück, und das in wesentlich kürzerer Zeit. Der Unterschied lag darin, dass Franz Joseph die Jagd als Sport praktizierte, vor allem in den Bergen während seiner Sommeraufenthalte in Bad Ischl, während Franz Ferdinand einer Leidenschaft frönte, die fast einer Sucht gleichkam. Schon sehr früh erwies er sich als exzellenter Schütze und ließ kaum eine Gelegenheit aus, egal in welchen Breiten, diese Kunst unter Beweis 179

Arbeit und Alltag

zu stellen. Als Handschrift jedes großen Jägers vervielfachte er seine Glanzleistungen in der Hochwildjagd. Im Oktober 1912 erlegte er seinen tausendsten Gamsbock, im November des folgenden Jahres seinen sechstausendsten Hirsch. Ebenso stolz war er, seiner Erfolgsbilanz große Raubvögel hinzuzufügen. Im Mai 1911 schoss er seinen hundertsten Adler. Und er schmückte seine Residenzen gerne mit Trophäen. Bis dahin nichts Außergewöhnliches, dies alles war in Adelskreisen durchaus üblich. Aber Franz Ferdinand ging darüber hinaus. Mit dem gleichen Heißhunger, mit dem er seine Sammlungen erweiterte, tapezierte er mehrere Zimmer und sogar die Gänge von Schloss Konopischt mit Trophäen, bis es kaum mehr einen Zentimeter Freiraum auf den Mauern gab. Auch die Felle großer Raubtiere sind dort zu sehen (Bären, Löwen, Leoparden, Panther), die er bei Jagden in den Karpaten und Asien erlegt hat. Es ist nicht übertrieben, in dieser Zurschaustellung die Bestätigung eines Charakterzuges zu sehen. Seiner Persönlichkeit haftete eine gewisse Gewalttätigkeit an, ohne die sich viele seiner Aussprüche und Verhaltensweisen nur schwer erklären lassen. Daher rührt auch offenkundig seine Beziehung zur Jagd. Er fand in ihr ein Ventil für die Gewalt, die er in sich trug. Es handelte sich hier um etwas ganz anderes als den von Franz Joseph in den Bergen Oberösterreichs oder der Steiermark ausgeübten Sport. Ähnlich Rudolf, seinem ersten Jagdgefährten, lebte Franz Ferdinand ihm innewohnende Triebe bei der Jagd aus. Josef Redlich sollte in diesem Zusammenhang von einer „krankhaften ­Tötungslust“ reden, „die er am Wilde ausließ, was man längst nicht mehr Jagd nennen könnte“128. Die Gesten der europäischen Höfe gegenüber der Herzogin von Hohenberg waren natürlich auch in Wien nicht unbemerkt geblieben und hatten dort wohl zu einigem Zähneknirschen geführt. Für den Wiener Hof stand sicher außer Frage, dem Beispiel Folge zu leisten und die Stellung der Herzogin zu revidieren, dennoch gewährte man ihr nach und nach in kleinen Schritten Erleichterungen. Ab 1910 sollte Sophie auf Anweisung von Franz Joseph in Hinkunft das Recht haben, dass die Waffen vor ihr präsentiert wurden. In der Folge erhielt sie die Genehmigung, an militärischen Feierlichkeiten teilzunehmen. Auch wenn sich an ihrem Platz bei den in der Hofburg eingenommenen Mahlzeiten nichts änderte, hatte sie zumindest die Genugtuung, dort am Arm eines Erzherzogs zu erscheinen. Einige 180

Der Jäger

weitere Aufmerksamkeiten Franz Josephs signalisierten, dass sich die Grenzen zu bewegen begannen.Während eines Aufenthaltes in Miramar konnte das Paar die kaiserliche Jacht Lacroma benützen. Ja, mehr noch, 1912 wurde die Familie in der Hofburg untergebracht. Zweifellos aus einem durchaus praktischen Grund, da das Belvedere aufgrund von Renovierungsarbeiten unbewohnbar war. Noch einige Jahre zuvor hätte das für ein derartiges Arrangement nicht ausgereicht. Als eine bis vor Kurzem noch undenkbare Ehre erhielt ein Schiff den Namen Sophie von Hohenberg. Gunstbezeugungen wie diese waren sicher Balsam auf Sophies Seele. Hatte sich die Einstellung Franz Josephs geändert? Wahrscheinlich nicht, doch mehr als jeder andere wusste er, dass sich der Augenblick näherte, in dem Franz Ferdinand den Thron besteigen würde. Daraus schloss der Kaiser, ohne die Sache im Wesentlichen infrage zu stellen, dass Anpassungen erforderlich waren. Bleibt eine Frage: Würde Franz Ferdinand, einmal auf dem Thron, auf die Verpflichtungen zurückkommen, die er unterschrieben hatte, um Sophie Chotek heiraten zu können? Wohl befürchteten das einige. Eines war sicher: Franz Ferdinand hätte seine Gemahlin nicht in der Position belassen, die ihr zugeschrieben worden war. Das 1911 ausgearbeitete Programm zum Thronwechsel ist sehr präzise zu diesem Thema. Sophie würde den Titel „Kaisers- und Königsgemahlin“ erhalten und in den Rang der „ersten Dame am Ah. Hofe“ erhoben werden, was einmal mehr heißt, dass die Titel „Kaiserin“ und „Königin“ nicht verliehen würden.129 Franz Ferdinand ließ selbst wissen, dass er den auf das Evangelium abgelegten Eid nicht zu brechen gedachte. Albert Gessmann, einem Vertreter der Christlichsozialen Partei, der ihn für den Fall, dass er seinen Eid doch brechen sollte, der Unterstützung seiner politischen Freunde versicherte, hatte er in einer Deutlichkeit geantwortet, die keinen Zweifel an seinen Absichten ließ: „Die Habsburgerkrone ist eine Dornenkrone, und niemand, der nicht in sie hineingeboren wurde, soll nach ihr verlangen. Eine Rücknahme der Renuntiation wird niemals in Betracht kommen.“130

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KAPITEL VIII

Franz Ferdinand und die Moderne Die Frage des Verhältnisses Franz Ferdinands zur Moderne geht über seine künstlerischen Ambitionen hinaus. Sie bezieht sich auf eine Konzeption des Menschen und der Gesellschaft, die den religiösen wie den politischen Bereich umfasst. Franz Ferdinands heftige Abneigung des Liberalismus und des Progressismus spiegelte sich in seinen ästhetischen Vorlieben wider. Sie veranlasste ihn zu allergischen Reaktionen auf Strömungen in der modernen Kunst, sowohl in der Malerei als auch in der Architektur. Es blieb nicht bei häufig heftig geäußerten Urteilen, vielmehr bemühte er sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit, die Zielscheiben seines Zorns auch die Folgen seiner Feindseligkeit spüren zu lassen. Mehrere von ihnen konnten davon ein Lied singen. Franz Ferdinand beschränkte sich allerdings nicht auf diese negative Rolle. In seiner Eigenschaft als Protektor der Zentralkommission für Denkmalpflege beschäftigte er sich damit, Bauwerke vergangener Jahrhunderte vor dem Verfall zu retten oder restaurieren zu lassen. Dabei setzte er sich für den Schutz eines reichen kulturellen Erbes ein und öffnete neue Wege.

GEGEN DIE „SECESSION“ Im Laufe seiner Studienjahre erhielt Franz Ferdinand keine echte Einführung in die Kunst, mit dem Ergebnis, dass seine Bildung in dieser Hinsicht Lücken aufwies. Er nahm daher die Gewohnheit eines Autodidakten an, doch das Fehlen solider Anhaltspunkte führte dazu, dass es ihm sowohl in seinem Benehmen als auch in seinem Urteil oft an Augenmaß und Stichhaltigkeit mangelte. 183

Franz Ferdinand und die Moderne

Zumindest in seinem Verhältnis zur Bildhauerkunst zeigte er eine Leidenschaft, die ihm bei Literatur oder Musik fehlte. Der Entrüstung nach zu urteilen, die ihn anlässlich der Einweihung der Goethe-Statue auf dem Ring erfasste, dürfte Belesenheit auf seiner Werteskala keinen sehr hohen Platz eingenommen haben: „Goethe und Schiller bekommen ihre Denkmäler“, protestierte er, „und viele Generäle, die sich mehr um unser Vaterland verdient haben, gehen leer aus.“131 Franz Ferdinand stürzte sich jeden Tag in die Zeitungslektüre. Auch mit Werken, die von Schlössern oder Gärten handelten, beschäftigte er sich gern. Gelegentlich las er auch Unterhaltungsromane, in dieser Sparte standen Schriftsteller wie Gustav Freytag, Felix Dahn oder Ludwig Ganghofer in seiner Gunst. Es muss wohl kaum hinzugefügt werden, dass die Autoren der jungen Wiener Literatur, von Hofmannsthal bis Schnitzler, auf seinem Nachttisch nicht zu finden waren. Auch stand Franz Ferdinand ebenso wenig wie Franz Joseph in der Tradition der musikbegeisterten Habsburger, die bis Franz I. reichte. Er konnte sich nicht für die Oper oder symphonische Musik begeistern, sondern zog volkstümliche Musik und Operetten vor. Einige seiner Zeitgenossen priesen dennoch den Geschmack von Franz Ferdinand, wie Ottokar Czernin, der ihm ohne zu zögern „ein Kunstverständnis wie wenige Menschen“ attestierte und noch hinzufügte, „er hatte ebensoviel Geschmack als Verständnis“132. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, tat er sich bei dieser Einschätzung nicht schwer, teilte er doch mehr oder weniger denselben Geschmack und dieselben Abneigungen. Diese Bemerkung gilt auch für Heinrich von Angeli, der sich ebenso überschwänglich „über seine treffenden Bemerkungen und sein richtiges Urteil erstaunt“133 zeigte. Als guter Porträtmaler stand er in den höheren Gesellschaftskreisen und bei der Aristokratie sicher hoch im Kurs, aber er tat sich nie durch malerische Gewagtheiten hervor. Es ist daher wenig erstaunlich, dass er sich eins fühlte mit den Urteilen des Thronfolgers. Das Fehlen einer kulturellen Grundlage zeigte sich auch in der Ankaufspolitik Franz Ferdinands. Wie bei der Jagd verfiel er in einen Rausch – ein Charakterzug, der auch hier alles andere als neutral ist. Man denke daran, welche Unmengen an sehr unterschiedlichen Gegenständen er aus den verschiedenen Ländern mitbrachte, die er auf seiner Weltreise besuchte. 184

Gegen die „Secession“

Und auch in Hinkunft geizte er nicht bei der Menge, ohne wirklich zwischen echten Kunstwerken und Objekten von wesentlich unsichererem Wert zu unterscheiden. Seine eingeschränkte Ausbildung ließ Franz Ferdinand zum Gefangenen seiner Vorurteile, sprich: seiner Phobien, werden. Da er sich in vorgefassten Meinungen gefiel, hatte er einen fixen Geschmack, meist ohne Nuancierungen.Während er die Gotik und die Volkskunst bewunderte, verabscheute er alle Manifestationen der modernen Kunst und tat dies auch lautstark kund. In den 1890er-Jahren brach eine neue Ära an, die im Allgemeinen mit dem Überbegriff „Wien des fin de siècle“ bezeichnet wird. 1890 und 1891 hatten zwei Schriften von Hermann Bahr, Zur Kritik der Moderne und Die Überwindung des Naturalismus, den Grundstein für die junge österreichische Literatur gelegt, in der sich schon bald Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, Stefan Zweig und andere einen Namen machen sollten. 1895 brach Otto Wagner mit seinem Manifest Moderne Architektur mit dem Historismus, der sich seit den 1860er-Jahren mit dem Bau der Ringstraße identifizierte. Im Jahr 1897 schließlich spaltete sich eine Gruppe von ­Malern rund um Gustav Klimt von der offiziellen Vereinigung der österreichischen Maler ab, dem Künstlerhaus. Franz Ferdinand hätte mildernde Umstände für die moderne Kunst finden können. Sahen die Maler der Secession es nicht als Aufgabe der Kunst, Österreich neu zu gestalten? Demnach wäre es nicht absurd gewesen, wenn sich Franz Ferdinand trotz des fehlenden ästhetischen Gefühls empfänglich für den großösterreichischen Akzent des Vorhabens gezeigt hätte. Schließlich arbeiteten diese Künstler an der Stärkung der Einheit, wenn sie sich bemühten, die gleichen Formen in der gesamten Monarchie zu verbreiten. Im Übrigen trug gerade diese Zielsetzung der Secession schließlich das Wohlwollen der Obrigkeit ein. Franz Joseph willigte ein, die erste Ausstellung zu eröffnen, auch wenn bezweifelt werden darf, dass ihm die Werke gefielen. Als weiteres deutliches Zeichen kann die Befürwortung des Unterrichts­ministers angesehen werden, Klimt mit den für die Aula der Universität Wien bestimmten Wandgemälden zu beauftragen. Angesichts der Abscheu, die Franz Ferdinand überkam, wenn er vor den Werken der Vertreter dieser Strömung stand, fallen solche Argumente nicht ins Gewicht. Wenig erstaunlich, trennte ihn doch alles von den Ideen, die 185

Franz Ferdinand und die Moderne

diese neue Wiener Kultur inspirierten. Sie berief sich eindeutig auf die Moderne: Die Kunst durfte keine früheren Vorbilder wiederholen, sondern machte es sich im Gegenteil zur Aufgabe, in einer Sprache zu sprechen, die für den Menschen von heute gedacht war. Das war die Quintessenz des ersten Artikels des Programms der Secession, „Der Zeit ihre Kunst“, der daraus die Ablehnung von Formen ableitete, in denen der Historismus seine Inspiration gefunden hatte. Innerhalb der überschäumenden Ideen- und Formenvielfalt, die für das Wien des fin de siècle charakteristisch ist, nahm die Secession einen symbolischen Platz ein.Vereinigte sie zunächst auf Veranlassung von Klimt eine Gruppe von Malern, die sowohl mit der historisierenden als auch mit der naturalistischen Tradition gebrochen hatten, erschöpfte sie sich nicht in einer Strömung der Malerei. Sie erhielt Konkurrenz von mehreren Architekten, Schülern von Otto Wagner. Josef Olbrich errichtete das Secessionsgebäude, auf dessen Giebel das Programm steht: „Der Zeit ihre Kunst Der Kunst ihre Freiheit“

Josef Hoffmann, der regelmäßig in Ver Sacrum schrieb, der Zeitschrift der Secession, war ein weiterer aufsteigender Stern. Die Innenraumgestaltung der Ausstellung, bei der Klimt sein Beethovenfries 1902 vorstellte, trug seine Handschrift. Auf enge Zusammenarbeit stoßen wir auch in der Wiener Werkstätte, einer der größten künstlerischen Initiativen der Zeit, die von Josef Hoffmann gemeinsam mit Koloman Moser, einem weiteren Maler der Secession, ins Leben gerufen wurde. Dennoch lässt sich die Wiener Moderne nicht auf die Secession reduzieren. Es gab andere, ebenso innovative Künstler, die ihr nicht beitraten, wie zum Beispiel Adolf Loos. Als Verächter des Ornaments, von dem – wenn man ihm Glauben schenken darf – Wagner und seine Schüler gefangen waren, errichtete Loos gegenüber der Hofburg ein Gebäude mit einer ganz schlichten Fassade, das bald als „Haus ohne Augenbrauen“ bezeichnet wurde. Sich der Secession anzuschließen, war für die Künstler im Allgemeinen nur ein Schritt in ihrer Karriere, wie wichtig er auch sein mochte. Franz Ferdinand scheint nicht sehr empfänglich für solche Spitzfindigkeiten gewesen zu sein. Auf die Secession fixiert, schrieb er ihr jeden Künstler und 186

Gegen die „Secession“

jedes Werk zu, der oder das auch nur im Entferntesten den Geist des Jugendstils atmete. Folglich gab es aus seiner Feder oder seinem Mund keine schlimmere Beleidigung als „secessionistisch“. Diese Anprangerung blieb nicht theoretischer Natur, Franz Ferdinand äußerte sie auch öffentlich auf ganz unterschiedliche Weise. Am eindrucksvollsten war wohl sein Wutausbruch angesichts der Bilder von Oskar ­Kokoschka im Rahmen einer Ausstellung des Hagenbunds im Februar 1911. Berta Zuckerkandl, die allerdings im Ruf steht, keine Freundin des Erzherzogs gewesen zu sein, erzählt die Szene in ihren Erinnerungen: „Langsam musterte er Bild um Bild. Er sprach kein Wort, aber die Spannung, die von ihm ausging, teilte sich den Anwesenden mit. Dann stand er in der Mitte des Saals und rief eiskalt und doch wutentbrannt: ,Schweinerei!‘ Er wandte sich an die jungen Künstler und wiederholte noch gehässiger: ,Schweinerei!‘ Dann verließ er das Local ohne Gruß und ohne sich um den hinausbegleitenden schlotternden Präsidenten zu kümmern.“134

Eine andere Version des Vorfalls berichtet, das sich Franz Ferdinand wutentbrannt zu dem Ausspruch hinreißen ließ: „Dieser Mann verdiente es, daß man ihm alle Knochen im Leibe bricht.“ In beiden Fällen zeigt sich nicht nur die chronische Unfähigkeit Franz Ferdinands, sich zu beherrschen. Seine Abneigung wird auch von der Überzeugung genährt, der Jugendstil sei das Produkt einer Perversion. Franz Ferdinand hat zwar nicht den Begriff „entartete Kunst“ geprägt, aber es besteht kein Zweifel, dass er so dachte. Diese Ablehnung beschränkte sich nicht auf eher beeindruckende als gefährliche Wutausbrüche. Es hatte auch kaum Folgen, dass Adolf Loos der Zutritt zu Konopischt verwehrt wurde, als er den Thronfolger besuchen wollte. Schwerer wog schon, dass Franz Ferdinand jede Gelegenheit nutzte, hemmungslos gegen Jugendstil-Künstler oder auch Künstler, die nur im Verdacht standen, „secessionistische“ Neigungen zu hegen, vorzugehen. Er warf seinen Einfluss in die Waagschale, um zu verhindern, dass sie einen öffentlichen Posten bekamen, der ihnen Einfluss ermöglicht hätte. Das gelang natürlich nicht immer. Alfred Roller, Mitbegründer der Secession und enger Mitarbeiter Gustav Mahlers an der Hofoper, vereinigte in sich alles, um Franz Ferdinands Missfallen zu provozieren. Und so nimmt es nicht 187

Franz Ferdinand und die Moderne

wunder, dass sich dieser über die Absicht erregte, Roller 1909 an die Spitze der Kunstgewerbeschule zu berufen. In dem Fall aber scheiterte er mit seinem erbitterten Widerstand. Bei anderen Gelegenheiten hatte Franz Ferdinand mehr Glück. So etwa, als er sich bei den Berufungen von Gustav Klimt und Albin Egger-Lienz an die Akademie der bildenden Künste querlegte; beide waren sozusagen natürliche Zielscheiben für den scharfen Kritiker der Moderne. Klimt war schon als Initiator der Secession zur Galionsfigur der neuen österreichischen Malerei geworden – ein Makel, der ausreichte, um sich den Zorn Franz Ferdinands zuzuziehen. Noch dazu gehörten Egon Schiele und Oskar Kokoschka zu Klimts Schülern. Albin Egger-Lienz war für den Thronfolger ebenso verrufen. Unter Millets Einfluss begann er wie sein Lehrer zunächst die bäuerliche Welt zu malen, bevor er sich dem Expressionismus zuwandte – in den Augen Franz Ferdinands ein weiterer Ausdruck von abscheulicher Trostlosigkeit. Dieser blieb sich also selbst treu, wenn er alles daran setzte, beiden Malern die Tore der Akademie zu verschließen und zu verhindern, dass sie dort unterrichteten. Für Egger-Lienz war das nicht das Ende. Was Wien verweigerte, wurde ihm in Weimar angeboten. Der Großherzog, dessen Familie eine lange mäzenatische Tradition hatte, hielt ihn sehr wohl für würdig, an der Hochschule der bildenden Künste zu unterrichten, an der Egger-Lienz 1913 ein Jahr lang tätig war. Zu dieser Geschichte gibt es noch einen Nachtrag. Dreimal sollte die Wiener Akademie nach dem Zerfall der Monarchie an Egger-Lienz herantreten. Vergeblich – jedes Mal lehnte er die Einladung ab. Auch die Affäre Plečnik im selben Jahr illustriert auf ihre Weise die Verbissenheit, jegliche Bestellung von Vertretern des Jugendstils in einflussreiche Posten zu vereiteln. Diesmal ging es um die Nachfolge Otto Wagners – ein rotes Tuch für den Thronfolger – auf dem Lehrstuhl für Architektur an der Akademie der bildenden Künste. Das Professorenkollegium schlug die Wahl des slowenischen Architekten Josef Plečnik vor, eines anerkannten Künstlers, der in Wien bereits wichtige Bauten sowohl im Bereich der religiösen (Pfarrkirche zum Heiligen Geist) als auch der zivilen (Zacherl-Haus) Architektur errichtet hatte. Seine Erfahrung als Lehrender – er war Professor an der Kunstgewerbeschule in Prag – sprach ebenfalls für ihn. Dieses Argument wurde auch vom Professorenkollegium aufgegriffen, das die glühende Frömmigkeit des 188

Gegen die „Secession“

Kandidaten unterstrich, um die Zustimmung des Thronfolgers zu erlangen. Es hätte mehr bedurft, um Franz Ferdinand davon zu überzeugen, die Berufung zu bestätigen. Plečnik hatte einen großen Fehler: Nicht nur war er ein Schüler Otto Wagners, sondern er hatte mit ihm auch bis zum Beginn des Jahrhunderts zusammengearbeitet, insbesondere beim Bau der Pavillons der Wiener Stadtbahn. Ein solches Naheverhältnis konnte ihn in den Augen des Erzherzogs nur disqualifizieren, umso mehr, als er mit seinem Werk eindeutig in dieser Kontinuität stand. Für Franz Ferdinand war die Sache klar: Es bestand nicht der leiseste Zweifel daran, dass Plečnik zum secessionistischen Lager gehörte, und daher konnte er auf keinen Fall zur Lehre an der Akademie zugelassen werden, da die Gefahr bestand, das Denken seiner Schüler zu verderben. Die Professoren der Akademie nahmen noch zweimal einen Anlauf, doch es war nichts zu machen. Unbeugsam, wich Franz Ferdinand nicht von seinem Veto ab. Als Unterrichtsminister Max von Hussarek ihm den Vorschlag der Akademie unterbreitete, bekam er einen Tobsuchtsanfall. Er zog den Minister zu einem Fenster, von wo aus man die Fassade des von Loos errichteten Hauses sehen konnte, und ließ seinem Zorn freien Lauf: „Und Sie wollen“, schrie er, „daß ich jemanden hier zum Lehrer der Baukunst bestellen lasse, der Gebäude von dieser Art seinen Schülern als Muster darstellen würde.“135 Eine Reaktion ganz im Stil des Thronfolgers, die aber auch die Unzulänglichkeit seiner künstlerischen Bildung zeigte. Nachdem Loos kritisiert hatte, die Architektur der Secession räume dem Ornament zu viel Platz ein – er sollte sogar sagen, „das Ornament ist ein Verbrechen“ –, brach er die Brücken ab und bekannte sich zu seiner Unabhängigkeit, wie dies eben die Fassade des „Hauses ohne Augenbrauen“ zeigte. Das Problem der Nachfolge Otto Wagners blieb damit ungelöst. Würde sich Franz Ferdinand unter diesen Umständen mit der Wahl Leopold Bauers zufriedengeben, eines Architekten, der in der Schule Wagners ausgebildet worden war, sich in der Folge aber von ihm getrennt hatte und in JugendstilKreisen sogar als Abtrünniger galt? Franz Ferdinand genügte das nicht. Schon der Umgang mit Otto Wagner hatte unauslöschliche Spuren hinterlassen: „Die Bauten und Projekte Bauers sind entsetzlich verschlechterter und falsch verstandener Wagner.“136 189

Franz Ferdinand und die Moderne

So extrem die Schmähungen Franz Ferdinands auch scheinen mögen, sie müssen relativiert werden. In der Tat spiegeln sie eine weitverbreitete Meinung wider. Die Kühnheit des Jugendstils irritierte im mindesten Fall, schockierte und skandalisierte aber auch oft, so sehr stand er im Gegensatz zum konventionellen Geschmack der Mehrheit. Als Wortführerin des Wiener Kleinbürgertums machte die Christlichsoziale Partei Angriffe auf die Moderne zu ihrer Spezialität. Sie prangerte nachdrücklich die Freiheiten an, die sich die Künstler gegenüber dem Akademismus herausnahmen, und geißelte die Anschläge auf die guten Sitten, die für manche jegliches Schamgefühl vermissen ließen. Mit einem Wort: Die Verteidiger der Tradition und der Moral vermeinten hier die Züge einer dekadenten Kunst zu erkennen. In Wahrheit stießen die Schöpfer der neuen Ästhetik nur bei einer Minderheit auf Verständnis und Unterstützung, vor allem in den Reihen des Großbürgertums, vom dem sie zahlreiche Aufträge erhielten. Nicht weiter überraschend, brachte Franz Ferdinands offen zur Schau getragene Ablehnung ihm eine ebenso offene Antipathie in den Kreisen der an der Moderne orientierten Künstler ein. Otto Wagner sollte auf den Tod des Erzherzogs mit den Worten reagieren, dass damit „für Österreich das größte Hindernis der letzten 15 Jahre für die Betätigung der modernen Architektur überwunden sei“137. Muss man sich der Ansicht anschließen, dass Franz Ferdinand der modernen Kunst in Österreich solches Unrecht angetan hat? Er hätte diesem Urteil sicherlich zugestimmt, umso mehr, als es von jemandem kam, den er zu den führenden Köpfen der Secession zählte. In Wirklichkeit müssen die Auswirkungen seines Widerstands relativiert werden, denn bei näherem Hinsehen sind sie marginal. Natürlich konnte Franz Ferdinand einige Ernennungen in Einrichtungen verhindern, die unter der Autorität des österreichischen Staates standen. Was er nicht vermochte, war, einer Bewegung Einhalt zu gebieten, die von einem dynamischen Kollektiv getragen wurde und mehr oder weniger Teil eines europäischen Phänomens war. Es ist nicht übertrieben, zu behaupten, dass dieser Kampf für Franz Ferdinand schon verloren war, bevor er überhaupt begonnen hatte. Auch die Inbrunst, mit der er sich in die Auseinandersetzung stürzte, änderte daran nichts.

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Ein Verteidiger des Erbes

EIN VERTEIDIGER DES ERBES Mit Franz Ferdinands Ablehnung der „Secession“ und seinen wiederholten Interventionen gegen Galionsfiguren der neuen Ästhetik ist noch nicht alles gesagt. Es gibt auch eine andere, wenn man so will: positivere, Seite seiner Beziehung zur Kunst. Parallel zu diesen Kämpfen und Auseinandersetzungen setzte er sich mit aller ihm zur Verfügung stehenden Energie für den Erhalt des österreichischen kulturellen Erbes ein. Mit Datum 22. Januar 1910 wurde Franz Ferdinand auf Entscheidung von Franz Joseph zum „Protektor der Zentralkommission für Denkmalpflege“ ernannt. Diese ehrenwerte, 1850 am Beginn des neoabsolutistischen Jahrzehnts gegründete Einrichtung erlebte damals eine Krise, die sich nicht nur aus dem nahezu kanonischen Alter ihres Präsidenten erklärte, des illustren Baron Alexander von Helfert. Er begann seine Karriere als Mitarbeiter des Grafen Leo Thun-Hohenstein im Ministerium für Kultus und Unterricht in den 1850er-Jahren. Das Problem lag auch darin, dass die auf eine beratende Funktion beschränkten Kompetenzen ungenau definiert waren. Diese fehlende Klarheit führte letztlich regelmäßig zu persönlichen Konflikten. 1904 hatte Helfert den Wunsch geäußert, Franz Ferdinand solle in Würdigung seines „seltene[n] werktätige[n] Interesse[s] an der Erhaltung der vaterländischen Kunst- und historischen Denkmale“138 zum Ehrenmitglied der Zentralkommission ernannt werden. Fünf Jahre später wurde die Latte eine Stufe höher gelegt. Diesmal wurde vorgeschlagen, Franz Ferdinand solle den Titel „Ehrenpräsident“ oder „Protektor“ übernehmen. Schließlich einigte man sich auf letztere Option. Wie Baron Helfert hervorhob, hatte Franz Ferdinand – schon vor seiner Ernennung zum Protektor – wiederholt sein Interesse an der Verteidigung der Denkmäler und historischen Stätten bekundet. Dieses Engagement äußerte sich in zahlreichen Interventionen bei den zuständigen Behörden, angefangen vom Ministerium für Kultus und Unterricht in Wien bis zu den verschiedenen Verantwortlichen in den Kronländern. Um zu erreichen, was er wollte, scheute Franz Ferdinand sich auch nicht, sie hart anzupacken. Seine Anweisungen an Oberleutnant Krauss-Elislago in Bezug auf eine Intervention bei Wilhelm August von Hartel, dem damaligen Minister für Kultus und Unterricht, ließen daran keinen Zweifel: 191

Franz Ferdinand und die Moderne

„Sagen Sie speziell dem Hartel, daß wenn man für so etwas wie die Klimtische Medizin139 20 000 fl. von Staats wegen geben könne, so sei man andererseits verpflichtet, die alten Denkmäler der Kunst zu erhalten und nicht verschleudern zu lassen!!!“140

Die Absicht dahinter war klar, mit der Einschränkung, der junge Offizier sollte sich etwas dezenter ausdrücken, um dem Minister sein Anliegen vorzutragen. Städtebauliche Pläne in Salzburg boten Franz Ferdinand vor 1910 weitere Gelegenheiten zur Intervention. Seine Aufenthalte in Blühnbach machten ihn hellhörig für die Diskussionen in der benachbarten Stadt. So verwehrte er sich 1907 gegen den Plan der Stadtverwaltung, einen Tunnel durch den Friedhof St. Peter zu schlagen, der durch dieses Bauvorhaben unweigerlich verunstaltet worden wäre. Er setzte all seine Kräfte gegen das gottlose Projekt ein, in dem er ein Bündnis von Liberalismus und Moderne sah. Der Stadtverwaltung warf er vor, aus Salzburg „eine modern scheußliche secessionistische Stadt“141 machen zu wollen und dabei nicht vor „Vandalismus der schlimmsten Sorte“ zurückzuschrecken. Brosch, der mit dieser Akte betraut war, nahm die Argumente auf. Auch er geißelte den Vandalismus an dem „altehrwürdige[n] historische[n] Cachet der Stadt Salzburg, welches jährlich Hundertausende von Fremden anzieht“142. Franz Ferdinand wiederum informierte die verschiedenen staatlichen Behörden – vom Statthalter des Landes Salzburg bis zum Minister für Kultus und Unterricht – in der Meinung, sie würden die Stadtverwaltung in Salzburg zur Vernunft bringen. Seine Kampagne trug schließlich Früchte. Die Interventionen lösten eine Reihe von Reaktionen aus und letztlich wurde das Projekt fallen gelassen. Noch musste der Posten des Protektors definiert werden, da er für Franz Ferdinand ad personam geschaffen worden war. Würde er sich mit der klassischen Funktion der Schirmherrschaft zufrieden geben oder eine aktivere, maßgebliche Rolle in der Leitung der Zentralkommission spielen? Alle Zweifel wurden rasch ausgeräumt. Baron Helfert hatte die Güte, zwei Monate später seine Seele Gott anzuempfehlen. Sein Tod machte den Weg frei für eine Neuorganisation der Zentralkommission. Dafür wurden neue Statuten ausgearbeitet, unter die Franz Joseph im Juli 1911 seine Unterschrift setzte. Demnach kam dem Protektor „ein wesentlicher Einfluß auf 192

Ein Verteidiger des Erbes

die Geschäftsführung und auf die Ernennung der Beamten und sonstiger Funktionäre“143 zu. Eigentlich wurde damit nur die rechtliche Situation den Fakten angepasst, denn Franz Ferdinand hatte die kaiserliche Billigung der neuen Statuten nicht abgewartet, sondern sich diese Vorrechte schon vorher herausgenommen. Zusammenarbeiten sollte er mit einem Triumvirat, bestehend aus einem Präsidenten und zwei Vizepräsidenten. Der Posten des Ersteren wurde Fürst Franz von und zu Liechtenstein anvertraut. Die Wahl der Vizepräsidenten fiel auf Graf Karl Lanckoroński-Brzezie und Graf Vinzenz Baillet de Latour. Im Bemühen um größere Effizienz durch bessere Kompetenzverteilung wurde die Zentralkommission reorganisiert. Für jedes Kronland sollten zwei Landeskonservatoren ernannt werden, wobei der eine für die künstlerischen Fragen und der andere für die technische Seite der Projekte zuständig sein sollte. Die Verlagerung des Machtzentrums ins Belvedere hatte eine zumindest sonderbare Auswirkung. Wie groß Franz Ferdinands Engagement für die Verteidigung des architektonischen Erbes auch sein mochte, verfügte er doch nicht über die nötige Zeit, die Akten eingehend zu studieren. Die zu bearbeitenden Unterlagen gingen an seine Militärkanzlei, und es gehörte zu den Aufgaben der zweifellos hervorragenden, dafür aber nicht ausgebildeten Offiziere, den Fragen nachzugehen und die Korrespondenz mit der Verwaltung der Zentralkom­mission zu führen. Das Archiv der Militärkanzlei Franz Ferdinands enthält nicht weniger als 16 Kisten allein über diesen Themenkomplex. Er wurde von zwei Offizieren bearbeitet, Major Hummel und Hauptmann Barger, die beide zunächst Brosch und dann Bardolff unterstanden. Auch wenn die Letztgenannten die Aufgaben loyal erfüllten, die Franz Ferdinand ihnen übertrug, waren die Akten im Vergleich zu militärischen und politischen Fragen für sie doch von zweitrangiger Bedeutung. Es ist anzunehmen, dass Brosch sein mangelndes Interesse nicht zu verhehlen suchte, denkt man an die Bemerkung von Maximilian Bauer, einem hohen Beamten der Zentralkommission, in einem Brief an Fürst Liechtenstein: „Brosch ist natürlich die Denkmalpflege gleichgiltig und er hätte sie schon längst aus dem Agendenkreise der Militärkanzlei entfernt, wenn er nicht wüßte, welches besondere Interesse sein höchster Herr daran 193

Franz Ferdinand und die Moderne

nimmt, und daß er mit günstigen Nachrichten seitens der Zentralkommission den Erzherzog auch für seine militärischen und politischen Angelegenheiten günstig stimmen kann.“144

Mehr noch als Brosch war Bardolff versucht, bei der Zentralkommission die strenge militärische Disziplin anzuwenden. Umso mehr, als er gegen Beamte die von vielen Soldaten geteilten Vorurteile hegte. Er warf ihnen vor, dass es zu viele von ihnen gäbe, sie ihre Mühen genau abwogen und sogar so dreist seien, Sondervergütungen für zusätzliche Arbeiten oder außerordentliche Aufgaben zu verlangen: „Das Bezahlen jeder Minute Arbeit mehr“, kritisierte er, „disqualifiziert den Fleiß eines Beamten zur ambitions- und pflichtgefühlbaren Überstundenleistung. Man sieht, was in Beamtenkreisen vielfach für Ansichten in dieser Beziehung herrschen, und dabei verlangen sie die Gleichstellung mit dem Offizier.“145 Bardolff empfahl daher, das der Zentralkommission zugeteilte Budget zu reduzieren, was vor allem die Ausgaben für die in seinen Augen unnötigen wissenschaft­ lichen Arbeiten treffen sollte. Bardolff zog alle Register gegen die Beamten, die er regelmäßig als „Bürokraten“ abstempelte. Damit gewann er Franz Ferdinands Zustimmung, der nie ein Hehl daraus machte, wie wenig er die Beamten schätzte. Die Zentralkommission machte da keine Ausnahme. Selbst nachdem er Protektor geworden war, ließ Franz Ferdinand es sich nicht nehmen, Spitzen gegen seine Mitarbeiter zu äußern, deren Fahr­ lässigkeit er ständig bemängelte. Die Verantwortlichen in Wien würden die Dinge treiben lassen. Sie würden die Zügel bei den Konservatoren schleifen lassen, die auf lokaler Ebene nach ihrem Gutdünken schalten und walten könnten, was für viele von ihnen hieß, dass sie sich auf die faule Haut legten, ohne fürchten zu müssen, von ihren Vorgesetzten in der Hierarchie zurechtgewiesen zu werden. Diese intervenierten nur, um „diese faulen Beamten zu avancieren und zu erhöhen, statt ihrer Tätigkeit auf die Finger zu schauen“146. Franz Ferdinand warf den Beamten der Zentralkommission von den höchsten bis zu den niedrigsten Rängen vor, ihren Verpflichtungen gegenüber der Einrichtung, die sie bezahlte, nicht nachzukommen. Daher empfahl er, bei den Aufnahmeverfahren besondere Sorgfalt walten zu lassen. Kein Angestellter der Zentralkommission dürfe aufgenommen werden, ohne eine Probezeit absolviert zu haben. Anschließend müssten die 194

Ein Verteidiger des Erbes

Aufgaben präzise festgelegt werden, die der Betreffende zu erledigen habe, anderenfalls bestünde die Gefahr schwerwiegender Sanktionen, im Klartext: hinausgeworfen zu werden. Es sei unerlässlich, so Franz Ferdinand, dass „gleich zum Anfange nicht bloß seine Rechte, Bezüge, Diäten, Titeln (!), Quinquennien und Gott weiß was alles, sondern auch seine Pflichten genau fixiert werden, damit man ihn dann auch fallweise packen kann und nicht immer nur der Herr Niemand bei der ZK schuld ist“147. Der Protektor sah es als oberste Aufgabe der Zentralkommission, die entsprechenden Behörden zu veranlassen, die notwendigen juristischen Verfügungen für die Einrichtung einer strengen Kontrolle des Kunstmarktes zu treffen. Vorrangig ging es um die Verteidigung des kulturellen Erbes Österreichs, indem eine Ausfuhr von Kunstwerken untersagt werden sollte. Weiters müsse der Markt im Inneren saniert werden, zeichne er sich doch nicht immer durch Praktiken von hoher Transparenz aus. Die Absichten waren sicher zu begrüßen, aber einmal mehr verdarb Franz Ferdinand die Sache durch seine Ungeduld, wobei er sich über die Regeln des Verwaltungsapparates hinwegsetzte.Wirksam werden konnten diese Verfügungen erst nach Gesprächen mit den zuständigen Stellen im Ministerium für Kultus und Unterricht, das für die Zentralkommission zuständig war, und dem Handelsministerium, das von der Angelegenheit ebenfalls betroffen war. Franz Ferdinand setzte sich darüber hinweg. Die Wünsche der Zentralkommission, mit anderen Worten seine eigenen, waren Befehle und die Ministerien hatten sie auszuführen. Als der Handelsminister sich für befugt erachtete, Anmerkungen vorzubringen, reagierte Franz Ferdinand brüsk: „Alle Forderungen der ZK waren ohne Änderungen durchzusetzen! Die Gründe des Handelsministers sind ganz unstichhaltig und triefen von bürokratischer Angstmeierei.“148

Gegenüber dem Minister für Kultus und Unterricht war das Argument dasselbe: „Zu was (!) noch einmal Stellung nehmen? Nur Vielschreiben und Hinausziehen. So rasch als (!) möglich durchführen …“149 Dieser Maximalismus erwies sich als kontraproduktiv. Da Franz Ferdinand ein Gespräch verweigerte, in dem rechtlich stichhaltige Regelungen entwickelt werden sollten, wurden diese letztlich nicht ausgearbeitet. Mangels solcher Vorschriften forderte er von der Zentralkommission eine stren195

Franz Ferdinand und die Moderne

ge Überwachung des Antiquitätenhandels. So kam es vor, dass er aufgrund seiner Informationen und seines weitreichenden Einflusses so manches zweifelhafte Geschäft stoppte. Franz Ferdinands Position wurde allerdings durch offenkundige Widersprüche geschwächt. Es war bekannt, dass er selbst ein leidenschaftlicher Sammler war. Nun kam es nicht selten vor, dass er mit Händlern Geschäfte machte, die er sonst öffentlich anprangerte, indem er sie als Schwindler bezeichnete. So gab er etwa beim Kupferschmid Cesare Moranduzzo im Juni 1913 eine Bestellung auf, obwohl dieser erst kurz zuvor gerichtlich verurteilt worden war. Für seine Ankäufe bediente sich Franz Ferdinand regelmäßig der Dienste von Mittelsleuten, hinter denen er sich zu verstecken suchte, was nicht immer gelang. Die Identität des wahren Auftraggebers wurde oft aufgedeckt und schlug sich natürlich auf die Transaktionen nieder. Franz Ferdinand scheute sich auch nicht, die Zentralkommission bei Geschäften einzuschalten, worin man ohne Übertreibung eine Vermischung von unterschiedlichen Bereichen sehen konnte. So wies er sie insbesondere an, sich an Auktionen zu beteiligen, bei denen Objekte angeboten wurden, die seine Aufmerksamkeit erregt hatten. In manchen Fällen übte er sogar Druck aus, um die Besitzer zu zwingen, auf seine Bedingungen einzugehen. Zitiert wird das Beispiel des Maximilian Windhagen, eines Verwaltungsbeamten der Eisenbahn in Böhmen. Er stellte sich taub für die Interventionen der Zentralkommission sowie seiner Vorgesetzten und verkaufte einem Berliner Museum einen Zinnbecher, mit dem Argument, er könne frei über die Güter in seinem Besitz entscheiden. Als Franz Ferdinand von dieser Weigerung erfuhr, ließ er seiner Wut freien Lauf: „Impertinenz. Sozialdemokrat! Moderner Beamter“150, notierte er am Rand. Auch wenn er manche Niederlage einstecken musste, darf eines nicht vergessen werden: Er wollte vor allem verhindern, dass Kunstwerke aus der Monarchie ausgeführt werden. Dieses anhaltende Bemühen zeitigte auch unleugbare Erfolge, für die Österreich Franz Ferdinand zu Dank verpflichtet ist. Zudem behielt er nicht alle Erwerbungen für sich, sondern stellte sie zum Teil den kaiserlichen Sammlungen zur Verfügung. Der wichtigste Beitrag Franz Ferdinands zur Verteidigung des kulturellen Erbes bleibt aber sein unermüdlicher Kampf gegen die Zerstörung von Bauwerken der Vergangenheit. Mit der gleichen Energie setzte er sich dafür 196

Ein Verteidiger des Erbes

ein, nicht detailgetreue Restaurierungen und verfälschende Hinzufügungen an Gebäuden zu verhindern. Die Entschlossenheit, mit der er sich gegen das Tunnelprojekt durch den Friedhof von St. Peter in Salzburg stellte, lieferte einen ersten Beweis. Umso bemerkenswerter, erreichte er doch, was er wollte, wobei er allerdings nicht mit Mitteln geizte. Da er nun über die Ressourcen der Zentralkommission verfügte, konnte er diesen Kampf noch ausweiten, der offenkundig in seinem tief verankerten Konservatismus wurzelte. Es ging darum, Denkmäler zu retten, die – jedes auf seine Weise – die Vergangenheit und die Größe Österreichs zum Ausdruck brachten. Franz Ferdinand war klar, dass frei werdende Räume zwangsläufig mit moderner Architektur bebaut würden, die er verabscheute. Außerdem sah er hinter einem Abbruch immer sehr rasch Immobilienspekulationen, die er zutiefst missbilligte. Nachdem Wien ab 1857 das Beispiel vorgegeben hatte, wurden im Rahmen von Urbanisierungsplänen, die mit einer Stadterweiterung einhergingen, in der Regel die Stadtmauern samt der dazugehörigen Tore und Bastionen geschleift. Das Paradoxon will es, dass sich Franz Ferdinand bei seinem Engagement bewusst oder unbewusst zum Verfechter einer modernen Causa machte: der Achtung des monumentalen und künstlerischen Erbes. Die Devise lautete, dieses Erbe in seiner Gesamtheit zu bewahren, angefangen mit der Forderung, die Kunstwerke (Skulpturen, Gemälde, Altäre) in situ zu erhalten. Erforderte der Zustand von Gebäuden eine Renovierung, war es wichtig, sie in ihrem ursprünglichen Stil und ihren ursprünglichen Formen wiederherzustellen, ohne den Versuchungen der Mode nachzugeben. Diese heute weitgehend anerkannte Auffassung hatte sich damals noch keineswegs durchgesetzt. Franz Ferdinand lag damit auf einer Linie mit Max Dvorak, Professor für Kunstgeschichte an der Universität Wien, der sich zum Theoretiker der Verteidigung des kulturellen Erbes gemacht hatte und als solcher Aufnahme in das Organigramm der Zentralkommission fand, wo er eine zunehmend bedeutende Rolle spielte. Wie Monsieur Jourdain aus Molières Der Bürger als Edelmann hatte Franz Ferdinand seinen Erfolg vielleicht dem Zufall zu verdanken, doch brachte er moderne Regeln des Denkmalschutzes zur Anwendung. Auf diese Dualität weisen auch mehrere Historiker hin. Robert Hoffmann, der Verfasser einer bahnbrechenden Studie über Franz Ferdinands Interventionen in Salzburg, spricht in diesem 197

Franz Ferdinand und die Moderne

Zusammenhang von „rückwärtsgewandte[r] Fortschrittlichkeit“151. Theodor Brückler unterstreicht, „daß der katholisch-konservative Thronfolger in Belangen von Theorie und Praxis von geradezu unglaublicher Modernität war“152.  Wie gewohnt, wendete Franz Ferdinand all seine Energie auf, um – wie er es nannte – „Vandalenakte“ zu verhindern. Die Affäre Pago – eine Kleinstadt an der dalmatinischen Küste – bietet ein beredtes Beispiel. Dieses venezianische Kleinod aus dem 15. Jahrhundert war zwar vor den Demolierungen der modernen Zeit nicht verschont geblieben, doch die Altstadt war praktisch noch intakt, während die Stadtmauern schon zum Teil niedergerissen waren. Nun aber wurde ein Projekt zum Abriss der restlichen Stadtmauern genehmigt, um an ihrer Stelle ein Gerichtsgebäude zu errichten, dessen moderne Architektur in schrecklichem Missklang mit dem Stil der Altstadt stehen würde. Als der Erzherzog davon erfuhr, bekam er einen Tobsuchtsanfall und erteilte umgehend seine Befehle: „Bitte die Angelegenheit auf das Schnellste und das Energischste angehen, wenn nötig telegraphisch. Pago ist ein hochinteressanter, reizender Ort, und ich verstehe gar nicht, wie man so dumm sein kann dort ein Gerichtsgebäude zu bauen!! Erst der Stumpfsinn unserer Beamten.“153

Franz Ferdinand hatte zunächst das Schlimmste befürchtet, schließlich konnte er jubeln. Als Ergebnis seiner allseitigen Interventionen setzte sich eine vernünftige Lösung durch. Das Gerichtsgebäude sollte zwar errichtet werden, aber an einem Ort, wo das Flair der Stadt nicht gefährdet schien. Natürlich musste Franz Ferdinand auch Niederlagen hinnehmen, sei es, dass er auf Widerstand stieß, sei es, dass die Akten zu spät angenommen wurden. Umgekehrt fuhr er dort Erfolge ein, wo andere unfähig gewesen wären, zu erreichen, was sie wollten. Er war der Einzige – mit Ausnahme des Kaisers –, der an jedem Ort und gegenüber jeder Person die Verwaltungsmaschinerie in Gang setzen konnte. Außerdem wusste jeder Angesprochene genau, dass die Anfrage vom Thronfolger kam, der Franz Joseph aller Wahrscheinlichkeit nach in nächster Zukunft nachfolgen würde. Bei der Beantwortung war klar, dass es nicht sehr klug wäre, sich seinen Groll zuzuziehen. Nicht weiter überraschend, verfolgte Franz Ferdinand die Restaurierungsarbeiten an Gemälden, Fresken und Glasfenstern in Kirchen und 198

Ein Verteidiger des Erbes

­ apellen unterschiedlicher österreichischer Kronländer aus nächster Nähe. K Sehr auf die Auswahl der Künstler bedacht, die mit den Aufgaben betraut wurden, hatte er eine deutliche Vorliebe für Hermann Ritschl. Dieser gehörte nicht nur der Akademie an, sondern hatte auch Titel und Funktion eines k. u. k. Restaurators der Gemäldegalerie des Allerhöchsten Hauses inne – Auszeichnungen, die Qualität garantierten. Im Übrigen beschäftigte Franz Ferdinand ihn auch als Restaurator für seine eigenen Sammlungen. Da Ritschl nicht überall gleichzeitig sein konnte, musste man stellenweise andere Experten hinzuziehen, allerdings nicht, ohne Franz Ferdinand um Rat gefragt zu haben. Muss betont werden, dass es ihm nicht in den Sinn kam, dass auch eine Frau als Malerin für die Zentralkommission arbeiten konnte? Genau diese Frage stellte sich allerdings, als Ady Werner, eine Künstlerin aus Trient, ihre Dienste bei der Restaurierung von Gemälden anbot. Die ebenso trockene wie lapidare Antwort Franz Ferdinands ließ durchblicken, dass ihn wohl kaum Zweifel plagten: „Dieses Weib darf absolut nicht zu Restaurierungsarbeiten verwendet werden.“154 Man könnte glauben, er ließ seine Intervention dabei bewenden, doch weit gefehlt. Er hatte auch sehr klare Vorstellungen bezüglich der Verwendung von Farben, entweder reintönig oder in Kombination. Besonders aufgebracht war er, was bestimmte Gelbtöne betraf, die von ihm als „gräulich“ oder „abscheulich“ eingestuft wurden. Das waren aber nicht nur theoretische Bemerkungen, kaum ausgesprochen, waren sie von den Künstlern vor Ort umzusetzen! Josef Redlich merkte in seinen Tagebüchern Franz Ferdinands „geschmacklose Kunstsammlerei“155 negativ an. Die Formulierung ist schroff und zweifellos übertrieben. Man könnte eher sagen, Franz ­Ferdinand verfügte über die Qualitäten und Fehler eines Autodidakten, vor allem aber über einen sehr festgelegten Geschmack, der kaum über Gotik und Renaissance hinausging. Sein ganzer Charakter veranlasste ihn, alles zu verdammen, was nicht in diesen Rahmen passte, wobei er sich insbesondere den Strömungen der modernen Kunst verschloss. Nach all dem wäre es wohl erstaunlich gewesen, wenn Redlich, Hofmannsthals Freund, zumindest in dieser Hinsicht mit ihm sympathisierte. Vielleicht ist ein Vergleich mit Franz Joseph durchaus angebracht. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass ihm die Werke der Secession, die er zu sehen bekam, nicht mehr gefielen als seinem Neffen. Aber er hielt sich zurück, 199

Franz Ferdinand und die Moderne

seine persönliche Meinung öffentlich zu äußern. Mehr noch, er eröffnete die erste Ausstellung der Secession und ließ es dabei auch gegenüber den anwesenden Künstlern nicht an seiner legendären Höflichkeit fehlen. Dieser Geist der Toleranz, den Franz Joseph sich im Laufe der Zeit erworben hatte, stand Franz Ferdinand gänzlich fern. Damit noch nicht genug der Unterschiede, denn die erste Feststellung hat Konsequenzen. Franz Joseph hat nie versucht, die Kunstpolitik zu beeinflussen. Die einzigen Pläne, die er näher verfolgte, betrafen die Gebäude des Hofes, die seit den 1860er-Jahren entlang der Ringstraße errichtet wurden. Auch wenn man sich angewöhnt hat, von einem „franzisco-josephinischen Stil“ zu sprechen, bedeutet dies nicht, dass der Kaiser ihm seinen Stempel aufgedrückt hätte, vielmehr traf dieser Stil mit einem Teil von Franz Josephs Regierungszeit zusammen. Ganz anders bei Franz Ferdinand. Seine Leidenschaft für die Kunst war echt, und sein bedingungsloser Einsatz ermöglichte es ihm, zahlreiche gefährdete Meisterwerke der Kunst zu retten. Auch der Nachdruck seines Engagements bereitete nicht wenige Probleme. Andere hätten ihre Aufgabe als Protektor der Zentralkommission anders verstanden. Statt sich voll einzubringen, hätten sie sich vor allem in der Rolle eines „Anstoßgebers“ gesehen und ihren Mitarbeitern großen Handlungsspielraum gelassen. Franz Ferdinand verstand seine Funktion nicht so. Es entsprach nicht seinem Temperament, seine Befugnisse nur halbherzig auszuüben. Beweis dafür ist, dass er die Akten bis ins kleinste Detail verfolgte. Diese Angewohnheit kann nicht von einem umfassenderen Bild getrennt werden. Franz Ferdinand hatte den Ehrgeiz, von seiner Position aus über einen Teil des künstlerischen Lebens in Österreich zu bestimmen, ein Wunsch, der zweifellos Erfüllung fand. Franz Ferdinand konnte verhindern, dass gewisse Galionsfiguren der modernen Kunst Lehrstühle bekamen und ihnen daher öffentliche Aufträge versperrt blieben. Diese waren konformistischeren Architekten wie Ludwig Baumann vorbehalten, dem die Errichtung der Neuen Hofburg sowie später des neuen Kriegsministeriums am Ring anvertraut wurde. Man kann verstehen, dass die Künstler, die Opfer dieser Diskriminierung waren, Franz Ferdinand nicht nachtrauerten. Der Ausfall des Staates wurde durch Aufträge (Wohngebäude,Villen, Gemälde) ausgeglichen, die sie von großbürgerlichen Familien erhielten. 200

Ein Verteidiger des Erbes

Aus diesem Engagement lässt sich noch eine weitere Lehre ziehen. Noch bevor Franz Ferdinand dem Kaiser nachfolgte, begann er gewisse Machtbereiche zu kontrollieren, die er auch als Experimentierfeld nützte. Seine Form der Machtausübung kündigte bereits die Art und Weise an, wie er die Monarchie zu regieren gedachte. Mitarbeiter und Beamte der Zentralkommission wurden wie einfache Untertanen behandelt, die kein anderes Recht hatten, als seine Befehle auszuführen. Sein stets waches Misstrauen sowie seine inneren Triebe veranlassten Franz Ferdinand, ihnen nur minimalen Handlungsspielraum zuzugestehen, was ihn dazu brachte, alles überwachen und kontrollieren zu wollen. Im Grunde hätte er am liebsten die in der Armee geltenden Kommandostrukturen im zivilen Bereich umgesetzt. Auch Franz Joseph hatte das zu Beginn seiner Herrschaft versucht, war aber rasch wieder davon abgekommen. Ein solches System mag für einen Augenblick täuschen. Bleibt aber die Frage, ob es, auf die gesamte Gesellschaft angewandt, nicht wie einst an seine Grenzen stoßen würde.

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KAPITEL IX

In Wartestellung Seit 1906 suchte Franz Ferdinand immer wieder der Politik der Monarchie seinen Stempel aufzudrücken. Mit unterschiedlichem Erfolg. Natürlich besetzte Franz Joseph einige Schlüsselstellen mit Personen, von denen der Erzherzog glaubte, sich auf sie verlassen zu können. In der Folge zeigte sich allerdings, dass der alte Kaiser bei den Staatsgeschäften die Zügel sehr wohl in seinen Händen behielt. Auch wenn er in Anerkennung der Kompetenzen seines Neffen in militärischen Belangen dessen Bitten nachkam, ließ er nicht zu, dass Franz Ferdinand seinen Einfluss über dieses Gebiet hinaus ausweitete. Ebenso wenig wie einst gegenüber Rudolf war Franz Joseph bereit, dem Thronfolger ein Mitspracherecht einzuräumen, weder bei der Führung der Innenpolitik noch der Außenpolitik. Die Einrichtung einer Doppelherrschaft an der Spitze des Staates stand nicht zur Diskussion, sie hätte im Übrigen unausweichlich eine Machtverschiebung zugunsten Franz Ferdinands zur Folge gehabt. Stattdessen musste dieser zu seinem größten Leidwesen zusehen, wie die Logik des Systems seine Ambitionen konterkarierte. Jene, auf die er gesetzt hatte, um durch einen Mittelsmann zu regieren, ließen ihn im Stich, wenn sie sich zwischen der Loyalität gegenüber dem Kaiser und ihren Beziehungen zum Thronfolger entscheiden mussten. Indem sie ihren Verpflichtungen gegenüber Franz Joseph den Vorrang gaben, rückten sie von Franz Ferdinand ab und zogen sich seinen Hass zu. Mit Unterstützung von Brosch widersetzte er sich ganzen Bereichen von Franz Josephs Politik, was er selbst nach seiner Thronbesteigung vom neuen Thronfolger sicher nicht dulden würde. Ohne Gewissensbisse zu 203

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haben, wie sie einst Rudolf gequält hatten, hielt Franz Ferdinand dieses Vorgehen angesichts der Gefahren, die der Monarchie drohten, für gerechtfertigt. Wenn ihm schien, dass Regierungen Franz Josephs eine gegen seine Interessen gerichtete Politik verfolgten, hielt er es für seine Pflicht, sie zu Fall zu bringen. Bislang hatte er eine Reihe von Enttäuschungen einstecken müssen, auf die er mit der festen Absicht reagierte, die Schuldigen büßen zu lassen. Diese Enttäuschungen steigerten noch seine Ungeduld. Die Jahre vergingen und nichts änderte sich: Franz Ferdinand wartete verzweifelt, endlich an die Macht zu kommen, und befürchtete, die verlorene Zeit könnte seine Chancen schmälern, Österreich wieder aufzurichten. Doch näherte sich unausweichlich der Augenblick, in dem er das Steuerruder der Monarchie in die Hand nehmen würde. Je näher dieses Datum rückte, desto größer war der Schatten, den Franz Ferdinand warf. Welche Gefühle auch ausgelöst wurden, jedem war bewusst, dass sich Änderungen ankündigten. Und Franz Ferdinand nützte die Situation, um seinen Druck zu erhöhen.

DIE SPANNUNGEN NEHMEN ZU Das Ende der Regierung Beck zeigte, wie groß Franz Ferdinands Einfluss war, aber auch, welchen Schaden er anrichten konnte. Für ihn kamen die Erfolge jenes Mannes einer Schmach gleich, der lange Zeit hindurch sein wichtigster Mitarbeiter gewesen war, aber den unverzeihlichen Fehler begangen hatte, sich von ihm zu lösen. Broschs Bemühungen, die Christlichsozialen zum Verlassen der Regierungskoalition zu bewegen, blieben zunächst fruchtlos. Letzten Endes machte sich seine Beharrlichkeit bezahlt. Im Oktober 1908 zogen sich die Christlichsozialen aus der Regierung zurück, und Beck blieb keine andere Wahl, als seine Demission einzureichen. Gewiss, das Kabinett war seit über zwei Jahren im Amt, und in dieser Zeitspanne hatten sich fast unausweichlich Abnützungserscheinungen bemerkbar gemacht. Dadurch war es schließlich möglich, dass die Machenschaften des Belvedere der Regierung den Todesstoß versetzten. Beck hegte im Übrigen keinen Zweifel, wer der Urheber des Schlages gegen ihn war: „Wenn meiner Tätigkeit ein vorzeitiges Ende bereitet wurde“, schrieb er einige Tage später an Graf Coudenhove, „so bin ich nur das Opfer – um mich klar 204

Die Spannungen nehmen zu

auszudrücken – eines bestellten politischen Meuchelmordes, der sich als der Endeffekt eines wohlorganisierten Komplotts darstellt, dessen letzte Fäden in einer hohen Hand – ich brauche sie nicht näher zu bezeichnen – lagen und das, unvorsichtig genug, sehr deutlich in Erscheinung getreten ist.“156 Für Franz Ferdinand hatte der Sieg den süßen Geschmack der Rache, und da ein Glück nie allein kommt, konnte er noch einen weiteren Erfolg auskosten: Für die Nachfolge Becks fiel Franz Josephs Wahl auf Baron Bienerth, einen Kandidaten, der auch seine Unterstützung hatte. Becks Reaktion war sicher zum Teil auf Verbitterung zurückzuführen, doch sie traf einen zentralen Punkt: Ergriff ein Thronfolger in einer politischen Diskussion Partei, verließ er seine Rolle. Das versprach eine gefährliche Zukunft, insbesondere wenn sich jemand so exponierte wie Franz Ferdinand. Der Gewinn war übrigens minimal. Die Regierung Bienerth sollte zwar fast drei Jahre Bestand haben, aber es ereignete sich nichts Herausragendes und die großen Fragen blieben weiterhin offen. Das allgemeine Wahlrecht hatte noch nicht alle Folgen gezeitigt, doch es schien nicht das erhoffte Allheilmittel. Es war nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, eine kohärente Mehrheit in einer Volksvertretung zu erreichen, die in 28 Gruppierungen aufgespalten war, die sich in der Mehrzahl an nationalen Linien orientierten. Folglich beherrschten die nationalen Leidenschaften weiterhin die parlamentarische Szene und Obstruktionsmaßnahmen legten immer wieder das Unterhaus des Reichsrats lahm. Die auf 1911 vorverlegten allgemeinen Wahlen brachten nicht die erwünschte Besserung. Die beiden für eine supranationale Sicht der Zukunft der Monarchie offensten Parteien verzeichneten sogar Stimmenverluste. Durch den Tod Luegers im Jahr zuvor ins Trudeln geraten, konnten die Christlichsozialen nicht weiter zulegen. Die Sozialdemokraten wiederum waren durch interne Streitigkeiten zerrissen. Die Mehrheit der tschechischen Sozialdemokraten, die sich nicht mehr mit einer Aufteilung der Partei in nationale Sektionen zufrieden gaben, trennte sich von der Wiener Zentrale. Alle Auseinandersetzungen bestätigen, wie schwer die böhmische Frage auf dem politischen Leben in Österreich lastete. Ein Ministerpräsident nach dem anderen bemühte sich, Bedingungen für einen Ausgleich zu finden, um diese Hypothek aufzuheben, aber kein Versuch führte zum Ziel. Jeder scheiterte an der Unnachgiebigkeit der beiden Parteien. Nicht, dass es keine Gemäßigten 205

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mehr im einen wie dem anderen Lager gegeben hätte, aber ihre Stimme wurde von jener der Extremisten übertönt. Außerdem verschärften sie selbst oft den Ton, um in der öffentlichen Meinung nicht der Schwäche geziehen zu werden. Die Regierungen erschöpften sich in ihren Bemühungen, die offensichtlich widersprüchlichen Forderungen in Einklang zu bringen: einerseits das einheitliche Staatsrecht, in dessen Namen die Tschechen die Einheit des Königreiches verteidigten, wobei dieser Wille durch ihre zahlenmäßige Überlegenheit und den wachsenden Einfluss sowohl im wirtschaftlichen als auch im kulturellen Bereich verstärkt wurde, andererseits die Forderung nach einem Autonomiestatut für die mehrheitlich von Deutschen bewohnten Gebiete. Die Wahlrechtsreform des Jahres 1906 war für die Landtage nicht übernommen worden, daher blieben die Großgrundbesitzer der dritte Akteur im politischen Leben Böhmens, ohne dass es ihnen gelang, eine Vermittlerrolle zu übernehmen, die sie aufgrund ihrer Verankerung in beiden Lagern durchaus hätten spielen können. Die Auseinandersetzungen wurden im Reichsrat fortgesetzt, wo die tschechischen und deutschen Abgeordneten ihre Streitigkeiten ausfochten. Diese Verkrampfung des deutsch-tschechischen Konflikts spiegelte sich auch in der aus den Wahlen des Jahres 1911 hervorgehenden parlamentarischen Versamm­lung wider. Die tschechischen Sozialdemokraten stimmten mit den nationalen Parteien; die Christlichsozialen, die für die multinationale Aufgabe der Monarchie am offensten waren, konnten keinen Durchbruch bei den Deutschen in Böhmen erzielen, während die Pangermanisten dort ihre besten Ergebnisse einfuhren. Die parlamentarischen Mechanismen, ein Abbild dieser Antagonismen, wurden weiterhin regelmäßig durch Verhinderungsmanöver beeinträchtigt, die so weit gingen, dass die Handlungsfähigkeit der Regierung in Gefahr geriet. Zweifellos verfügte die Exekutive mit Artikel 14 der Verfassung über eine Waffe, die es ihr erlaubte, ohne Zustimmung des Reichsrats über Notverordnungen zu regieren. Ursprünglich sollte dieser Artikel nur unter außerordentlichen Umständen angewendet werden, doch mit zunehmender Lahmlegung des Parlaments hatten sich die österreichischen Regierungen immer häufiger seiner bedient. Graf Karl Stürgkh, seit November 1911 Ministerpräsident, ging noch einen Schritt weiter. Um aus dieser vermeintlichen Sackgasse herauszukommen, vertagte er im März 1914 das Abgeord206

Die Spannungen nehmen zu

netenhaus und regierte ab diesem Zeitpunkt durch Notverord­nungen. Die Entscheidung war völlig verfassungskonform, etablierte aber eine Praxis der Machtausübung, die einem De-facto-Absolutismus gleichkam. Auch wenn Franz Ferdinand dies vehement bestritt, zeichnete sich in diesen Jahren eine Entspannung in den Beziehungen mit Ungarn ab. Die von der Unabhängigkeitspartei beherrschte Koalition erlitt bei den Wahlen 1910 eine gewaltige Niederlage, womit die Macht auf die liberale Partei überging, den großen Sieger des Votums. Ihr Chef István Tisza, für den dieses Ergebnis eine triumphale Rückkehr bedeutete, bestätigte sich bald als starker Mann Ungarns. Zunächst Vorsitzender des Landtags, wurde er 1913 erneut Ministerpräsident. Obwohl er als strenger Kalvinist ein strikter Verteidiger der ungarischen Interessen war, so war er doch auch für Wien ein loyaler Partner, wie unbequem er manchmal auch sein mochte. In der Überzeugung, dass Ungarn angesichts eines feindlichen Umfelds keine andere Wahl hatte, als sich Österreich anzuschließen, war dieses Postulat für Tisza Richtschnur seines Handelns. Ein deutliches Zeichen gab er 1912, als er eine Aufstockung des ungarischen Kontingents in der k. u. k. Armee beschließen ließ, die schon seit Langem von der militärischen Führung gefordert wurde. Das drückende Problem der Dominanz Budapests über die Nationalitäten des Königreiches hingegen blieb ungelöst. Zweifelsohne wollte Tisza 1913 die Spannungen mit den Rumänen Siebenbürgens abbauen, als er Verhandlungen mit ihrer Partei aufnahm. Aber der Aufruhr, für den dieser Vorstoß unter der magyarischen politischen Klasse sorgte, zwang ihn, diesen Weg nicht weiter zu verfolgen. Abgesehen von diesem schon bald wieder aufgegebenen Versuch, wurde die Politik der Magyarisierung auf Hochtouren weiterverfolgt. Mit Ausnahme der Kroaten, die durch den Ausgleich von 1868 etwas geschützt waren, zielte sie auf alle Minderheiten ab – mit überzeugenden Ergebnissen, wenn man den Angaben der alle zehn Jahre durchgeführten Volkszählungen Glauben schenken darf. So stieg der Anteil der Magyaren an der Bevölkerung des Königreiches zwischen 1880 und 1914 von 41,2 auf 48,1 Prozent, wobei die Kehrseite der Medaille nur schlecht verdeckt wurde. Es lag in der Natur dieser Politik, dass die Feindseligkeit der Völker größer wurde. Verstärkt wurde das Phänomen durch ihre Ohnmacht, sich auf parlamentarischem Gebiet Gehör zu verschaffen. 207

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In dem aus den Wahlen von 1913 hervorgegangenen Abgeordnetenhaus stellten die Nicht-Magyaren – abgesehen von der Vertretung der Kroaten, die ihnen im Ausgleich von 1868 zugesichert worden war – lediglich 18 gewählte Vertreter. Aufgrund der Unnachgiebigkeit der Ungarn verhärteten sich die Fronten. Es gärte in den Reihen der Minderheiten unter der magyarischen Oberhoheit. In Kroatien machte sich dieser Widerstand sogar durch Gewaltausbrüche Luft. Attentate richteten sich gegen den Ban, den von der Regierung in Budapest ernannten obersten Verwalter. Die Kroaten fühlten sich wohl wirklich zum Äußersten gedrängt, wenn sie sich sowohl in Agram als auch in Dalmatien für eine Allianz mit den Serben, ihren feindlichen Brüdern, entschieden. Man darf daraus allerdings nicht den Schluss ziehen, diese Situation sei unumkehrbar gewesen. Noch hatte der Separatismus nicht die gesamte Minderheitenbevölkerung ergriffen, weit gefehlt. Außerdem gehörten einige ihrer Vertreter zur Umgebung von Franz Ferdinand. Offensichtlich hatten sie den Glauben an die Zukunft der Monarchie noch nicht verloren, sonst hätten sie ihre Hoffnungen nicht auf den Thronfolger gesetzt. Es gilt nur herauszufinden, auf welche Weise er eine Neuorganisation der Monarchie vorgenommen hätte.

FÜR EIN „GROSS-ÖSTERREICH“ Eines ist sicher: Franz Ferdinand hätte sich nicht mit dem Status quo zufriedengegeben. Dies vorausgeschickt, bewegen wir uns in einem Bereich, in dem Hypothesen auf Gewissheiten stoßen. Die Pläne, um Österreich neuen Aufschwung zu verleihen, variierten mit der Zeit. So unterschiedlich sie in ihren Modalitäten auch sein mochten, drehten sich alle doch um einen gemeinsamen Nenner: den Wunsch nach der Errichtung eines GroßÖsterreich, das sich auf eine starke Zentralmacht stützte. In den 1890er-Jahren neigte Franz Ferdinand zunächst zu einem Regierungs­system, das vom Oktoberdiplom inspiriert war. Dieses hatte 1860 mit dem Neoabsolutismus gebrochen und wollte die Grundlagen für einen historischen Föderalismus legen, der sich auf den Adel stützte. Allerdings wurde es schon wieder aufgehoben, bevor man mit der Umset208

Für ein „Groß-Österreich“

zung begonnen hatte. Dem böhmischen Adel nahestehend – eine Bindung, die durch seine Beziehung und spätere Heirat mit Gräfin Chotek noch verstärkt wurde –, sah Franz Ferdinand im Adel in seiner Gesamtheit eine Säule der monarchischen Ordnung. In jenem Österreich, dessen Führung er schon bald übernehmen würde, wollte er ihm eine größere Rolle einräumen, erklärte er Graf Czernin: „Der Herrscher muss sich in erster Linie auf den geeinigten Adel stützen und wenn auch leider die Zeiten des Feudalismus und des Absolutismus vorbei sind, so muß doch der Adel, mit dem Kaiser an der Spitze, die erste Rolle spielen und in allen Angelegenheiten des Reiches bestimmend wirken.“157

Ohne diese Rolle je wieder zur Sprache zu bringen, befürwortete Franz Ferdinand eine trialistische Organisation der Monarchie, mit Kroatien an der Seite Österreichs und Ungarns. Kroatien sollte um Dalmatien erweitert und mit den slowenischen Ländern vereinigt werden. Ein Hauptgrund lag für Franz Ferdinand zweifellos in der Treue der Kroaten, die sie den Habsburgern seit so langer Zeit erwiesen. Dank seiner militärischen Ausbildung war ihm bewusst, welchen Anteil sie an der Verteidigung der Grenzen der Monarchie gegenüber den Osmanen hatten. Er vergaß auch nicht, welche Rolle Jelačić im Kampf gegen den Aufstand der Ungarn 1848 und 1849 gespielt hatte. Und er wusste, dass es viele kroatische Offiziere in der ­Militärhierarchie Österreich-Ungarns gab. Ein weiterer Hauptgrund für sein Bekenntnis zu einem trialistischen Projekt war, es als Antwort auf die völlig neue Situation in Südosteuropa zu sehen, die sich durch den Sturz der Obrenović in Belgrad im Jahr 1903 und die daraus resultierende feindselige Haltung Serbiens gegenüber der Doppelmonarchie ergab. Konnte es angesichts dieser Bedrohung eine bessere Antwort geben, als ein slawisches Zentrum an der Südflanke der Monarchie als Bollwerk gegen den serbischen Expansionismus zu bilden? Wie sehr Franz Ferdinand auch mit der trialistischen Option liebäugeln mochte, war er doch nicht darauf fixiert. Das Zusammenspiel mehrerer Faktoren veranlasste ihn, davon abzurücken. Zunächst war er enttäuscht über die Entscheidungen der wichtigsten kroatischen Partei sowohl in Kroatien als auch in Dalmatien. Nach dem geflügelten Wort divide ut imperes 209

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hatte die ungarische Verwaltung die serbische Minderheit immer wieder gegen die Kroaten unterstützt. Nun zeigte sich, dass Kroaten und Serben wider alle Erwartungen 1905 als Ergebnis der Beschlüsse von Fiume und Zadar ein Bündnis geschlossen hatten und sich – was in den Augen Franz Ferdinands vielleicht noch schwerer wog – für den Weg eines Vergleichs mit Budapest entschieden, wo die Regierung damals von der Unabhängigkeitspartei angeführt wurde. Noch schlimmer machte die Sache, dass sie in Dalmatien nach demselben Prinzip vorgingen. Es ist zwar richtig, dass die übrigen kroatischen Parteien, darunter die Partei des Rechts, diesem Abkommen nicht beitraten, aufgrund des Zensussystems konnten sie im Landtag aber nicht mit der kroatisch-serbischen Koalition konkurrieren. Das Vertrauen Franz Ferdinands gegenüber den Kroaten war nach Abschluss dieses Bündnisses natürlich erschüttert.Wie konnte man sicher sein, dass sich die Südslawen im Fall einer Teilung der Monarchie in drei große Einheiten nicht mit Ungarn gegen Wien verbündeten? Bestärkt wurden seine Zweifel durch den kühlen Empfang, den ihm die Bevölkerung von Ragusa (Dubrovnik) anlässlich seines Besuches im September 1906 bereitete. Und schließlich hegte Franz Ferdinand den Verdacht, die Serben Kroatiens würden Verbindungen zu Belgrad unterhalten. Die Bosnien-Krise von 1908/09 gab ihm noch mehr Grund zur Beunruhigung. Zuletzt darf man nicht vergessen, auf welches Unverständnis dieses Projekt bei den Freunden Franz Ferdinands in den Reihen des böhmischen Adels stieß. Sie waren nicht grundsätzlich gegen einen Trialismus – unter der Bedingung, dieser käme Böhmen zugute. Das war der tiefere Sinn der Fundamentalartikel, des Kernstücks des Ausgleichsversuchs von 1871 zur Überwindung des Dualismus und dessen Ersatz durch einen Trialismus, bei dem Böhmen der Partner Österreichs und Ungarns gewesen wäre. Brosch vermochte Franz Ferdinand zu überzeugen, von der trialistischen Lösung abzugehen. Das zeigt, welchen Einfluss er mittlerweile über den Thronfolger gewonnen hatte. In einem mit 17. Juni 1910 datierten Brief führt er Argumente dagegen an: „Mit dem Schlagwort des ,Trialismus‘, wenn er von unten ausgehen wird, soll nicht gespielt werden, weil dies sehr unliebsame derzeit kaum vorauszuzeichnende Konsequenzen hätte. Wer garantiert übrigens dafür, 210

Für ein „Groß-Österreich“

daß das neue Staatengebilde Croatien, Bosnien, Dalmatien und Krain, das Österreich von der See abschneidet, wirklich loyale und kaisertreue Politik machen und gerade die österreichischen und dynastischen Interessen stützen wird? Und würde Böhmen ruhig zusehen, wenn im Süden ein eigenes Staatengebilde entstehen würde, während das alte selbständige Königreich eine Provinz bliebe? Ich muß aufrichtig gestehen, ich halte den Trialismus für äußerst gefährlich, denn in 3 Parlamenten Steuern und Rekruten durchbringen ist gewiß noch schwerer als jetzt. Das Schlagwort ,Trialismus‘ ist ganz gut, die Madjaren zu schrecken, zu mehr dürfte es aber ernstlich nicht kommen.“158

Die Abkehr vom Trialismus heißt nicht, dass Franz Ferdinand in Hinkunft sein Interesse an den Kroaten verloren hätte. 1909 forderte er Graf Bombelles auf, sie wissen zu lassen, dass er immer noch die Absicht habe, ihr Problem in Angriff zu nehmen, sobald er einmal den Thron bestiegen hätte: „Sagen Sie Ihren Kroaten, sie mögen noch diesmal ihre traditionelle Treue bewahren, sobald ich auf den Thron komme, werde ich all das Unrecht, das ihnen widerfahren, gutmachen.“159

Diese Worte waren sicher aufrichtig gemeint, aber es sei darauf hingewiesen, wie allgemein sie gehalten sind. Abgesehen von einer Absichtserklärung, führte Franz Ferdinand nicht aus, wie er die Kroaten zu entschädigen gedachte. Noch im Februar 1913 kam er in einem Brief an Berchtold auf dieses Thema zurück und zeigte die gleiche Zuversicht: „Ich kenne diese 2 Länder […], nämlich Kroatien und Dalmatien ganz genau und stehe gut, daß ich in 48 Stunden dort Ruhe, Ordnung und Anhänglichkeit zur Monarchie schaffen könnte!“160

Wie schon vier Jahre zuvor äußerte er sich jedoch nicht zur Lösung, mit der er die Bindung dieser Länder an das Herrscherhaus zu festigen gedachte. In der Folge interessierte sich Franz Ferdinand für die Vorschläge Aurel Popovicis zur Umgestaltung der Monarchie. Der aus Siebenbürgen stammende Rumäne war schon mit der Bewegung rund um das Memorandum des Jahres 1894 in Verbindung gestanden. 1906 veröffentlichte er eine Schrift, deren Titel Die Vereinigten Staaten von Groß-Österreich für sich allein schon ein Programm war. Er lehnte sowohl den Dualismus als auch den 211

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historischen Föderalismus ab und trat für eine Umgestaltung der Monarchie nach dem Nationalitätenprinzip ein. Auf dieser Grundlage sollte Österreich in 15 „Gliedstaaten“ mit weitgehender Autonomie geteilt werden. Popovicis Plan sah gleichzeitig eine Stärkung der Zentralmacht vor, wobei er zu den im Ausgleich festgelegten pragmatischen Zuständigkeiten noch die dem Reichsrat von der Dezemberverfassung 1867 zugestandenen Kompetenzen hinzufügte. Die Konsolidierung sollte durch die Ernennung eines Staatskanzlers an die Spitze der Zentralregierung unterstrichen werden. Damit würde ein Posten reaktiviert, der kurz nach Einführung des Dualismus abgeschafft wurde, mit dem er nicht vereinbar war. Diese Exekutivgewalt sollte eine Form annehmen, die es seit den fernen Tagen des Vormärz nicht mehr gegeben hatte. Sie sollte aus einem Gremium aus fünf Ministern für die folgenden Bereiche bestehen: Inneres, Außenpolitische Angelegenheiten, Armee und Marine, Finanzen und Bosnien. Diese Struktur sollte die Verbindung herstellen zwischen dem Zentrum und den Gliedstaaten, den 42 Mitgliedern dieser Kollegien, die dort die föderalen Staaten vertraten, von denen sie entsandt wurden. Das Regierungssystem sollte ein zentrales Parlament umfassen mit einem Abgeordneten- und einem Herrenhaus, wie es schon in der damaligen Organisationsstruktur existierte, mit einem kleinen, aber wesentlichen Unterschied: Es wäre für die Gesamtheit der Monarchie zuständig, also auch für Ungarn. Popovici war zu realistisch, um zu glauben, ein solcher Plan hätte auch nur die geringste Chance, auf dem Weg der Gesetzgebung realisiert zu werden. Es war klar, dass er auf erheblichen Widerstand stoßen würde, insbesondere seitens der Magyaren und Tschechen. Für Erstere würde er nicht nur das Ende des Dualismus bedeuten, sondern auch ein Auseinanderbrechen des alten Königreiches der Stephanskrone, für Zweitere das Ende der Einheit Böhmens – für die einen wie die anderen inakzeptable Perspektiven. Hinzu käme unaus­weichlich die Ablehnung Polens angesichts einer Teilung Galiziens, dessen östlicher Teil unter die Kontrolle der Ruthenen käme. Zur Umgehung dieses Widerstands gäbe es keinen anderen Weg als eine erzwungene Durchsetzung. All diese Erwägungen machten Franz Ferdinand auf die von Popovici entwickelten Ideen aufmerksam, dessen Buch er über Alexandru Vaida-Voevod erhalten hatte, einen Rumänen, der im Belvedere verkehrte. Schon allein, dass er die Schrift entgegennahm, zeugte von Franz Ferdinands 212

Das Programm zum Thronwechsel

Interesse. Dem Erzherzog war klar, dass dieser Plan der Vereinigten Staaten von Groß-Österreich der Absicht entsprang, den entscheidenden Einfluss der Magyaren zu beseitigen, den ihnen der Ausgleich von 1867 zugestanden hatte. Auch die Stärkung der Zentralmacht, die ganz in seinem Sinne war, konnte er nur begrüßen. Und schließlich würde ihn der Rückgriff auf die Oktroyierung dieser umfangreichen Reform weder erschrecken noch entrüsten. So verlockend einige dieser Argumente Franz Ferdinand auch scheinen mochten, hielt er sich nicht länger bei dem von Popovici vorgeschlagenen Plan auf, warf er doch ebenso viele bzw. mehr Probleme auf, als er löste. Einer der größten Nachteile des entworfenen Regierungssystems war die Schwerfälligkeit der Regierungsmaschinerie. Sie resultierte zweifellos aus dem sehr lobenswerten Bemühen, alle Gliedstaaten an der Regierung der Monarchie zu beteiligen. Das mochte legitim sein, dennoch drohte die Komplexität der Struktur die Effizienz der Regierungsarbeit stark zu beeinträchtigen. Ebenso schwer wog, dass sich die Aufteilung der Monarchie nach dem Nationalitätenprinzip als höchst problematisches Unterfangen erweisen könnte. Nur selten lebten die Völker in Gebieten, die im Hinblick auf die Nationalität homogen waren. Die Realität im habsburgischen Gesamtreich war wesentlich komplexer: Sie bestand vor allem aus einem Nebeneinander, einer Vermischung und aus Enklaven. Popovicis Plan drohte noch mehr Spannungen und Konflikte heraufzubeschwören, denen nur mit dem Erlass strenger Regelungen zum Schutz der Nationalitäten begegnet werden konnte. Da für Franz Ferdinand die Grenzen der Kronländer außer Diskussion standen, kam Popovicis Vorschlag in seinen Augen nicht infrage. Er musste also nach einer anderen Formel suchen.

DAS PROGRAMM ZUM THRONWECHSEL Diese Lösung wurde in einer Schrift entwickelt, die unter dem Titel Programm zum Thronwechsel bekannt wurde.161 1911 von Brosch verfasst, trug sie fraglos dessen Handschrift. Sie war auch das Ergebnis von Beiträgen mehrerer der engsten Ratgeber des Thronfolgers wie Professor Heinrich Lammasch oder Edmund Steinacker. Es ging nicht darum, den Dualismus abzuschaffen, sondern ihn eines Großteils seiner Substanz zu entleeren. Dafür müsste Franz Ferdinand die 213

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Zeitspanne von maximal sechs Monaten nutzen, die dem neuen König von Ungarn zugestanden wurde, bevor er seinen Eid auf die Verfassung des Königreiches leistete. Nach diesem entscheidenden Ereignis würde er seine Handlungsfreiheit verlieren, wenn er sich nicht schon zuvor den nötigen Aktionsspielraum verschafft hatte. Angesichts der anstehenden Aufgabe könnte es notwendig sein, diese Frist zu verlängern. Das Programm empfahl eine Reihe von Maßnahmen, um die politische Vormachtstellung der Aristokratie, ja mehr noch: des magyarischen niederen Adels zu brechen. Ihm wurde vorgeworfen, die Verbindung zwischen Ungarn und Österreich auf eine reine Personalunion reduzieren zu wollen. Die erste und wichtigste Reform sei die Einführung des allgemeinen Wahlrechts, in dem das Programm die „Grundbedingung zur Sanierung der Verhältnisse in Ungarn“ sah.162 Damit würde die Voraussetzung für eine echte Neuverteilung der Karten geschaffen, indem es den Nationalitäten die Mehrheit im ungarischen Landtag sicherte. Um genau zu sein, sah das Programm für sie 247 Sitze gegenüber 206 für die Magyaren vor. Der Einfluss der magyarischen Eliten würde durch die Zulassung neuer Schichten der ungarischen Gesellschaft zur politischen Willensäußerung weiter geschwächt. Ebenfalls noch vor Ablegung des Eides wäre es wichtig, das Gesetz über die Nationalitäten um Garantien zu erweitern – als Sicherstellung der strikten Anwendung – sowie die von Andrássy ausgearbeiteten „verfassungsmäßigen Garantien“ abzuschaffen und die Verwaltung der Komitate unter königliche Autorität zu stellen. Unerlässlich sei auch eine Überarbeitung der ungarischen Verfassung, um jene Punkte abzuschaffen, die im Widerspruch zur österreichischen Verfassung stünden. Und schließlich müssten die von Ungarn im militärischen Bereich abgerungenen Konzessionen rückgängig gemacht werden. Kurz: eine gewaltige Aufgabe, die zweifellos mehr als sechs Monate in Anspruch nehmen würde. Die Verhandlungen sollten von beiden Ministerpräsidenten geführt werden, dem zisleithanischen und dem ungarischen. Ohne dass dies schwarz auf weiß festgehalten wurde, war es mehr als wahrscheinlich, dass Franz Ferdinand in Ungarn einen neuen Regierungschef ernennen würde: „Speziell der ungarische Ministerpräsident muß das volle Vertrauen der Krone genießen und ein frischer, durchaus entschlossener und energi214

Das Programm zum Thronwechsel

scher Staatsmann sein, der vor anfänglichen Schwierigkeiten nicht zurückschreckt.“

Ein Bild, dem von Ferenc Kossuth bis István Tisza keiner der bekannten ungarischen Verantwortlichen entsprach.163 Es war also nicht auszuschließen, dass die Ungarn sich weigern würden, sich unter das Joch zu beugen, denn genau das würde letztlich von ihnen verlangt. Angesichts der in dem Programm vorgesehenen Maßnahmen gäbe es keine andere Wahl, als die Sache durch einen Autoritätsakt zu beenden und Ungarn die Reformen aufzuzwingen. Zur Unterstützung sollte die Armee den Befehl erhalten, Ungarn zu besetzen. Im Falle des Widerstandes wäre der Strafe damit noch nicht genug: Ungarn würde dann auf den Rang eines einfachen Kronlandes degradiert und als ein Teil unter vielen im Rahmen einer einheitlichen Verfassung behandelt: „Nach der Unterdrückung der revolutionären Bewegung“, so hieß es ganz klar in dem Manifest, „hätte die Krone zu erklären, daß das Volk infolge dieses Aufruhres die Verfassung verletzt und daher verwirkt habe und in Konsequenz alle Vorrechte Ungarns, als da sind: Staatsgebiet, eigenes Ministerium, Reichstag, eigene Landwehr usw abgeschafft werden.“164 Vermutlich wollte Brosch dieses Damoklesschwert nur als Druckmittel gegen die Ungarn einsetzen, damit sie sich „vernünftig“ verhielten. Dennoch wäre es ein gefährliches Unterfangen, denn nichts garantierte, dass sie wirklich nachgeben würden. Selbst wenn man davon ausgeht, dass sich der neue Regierungschef fügsam zeigen sollte, musste man immer noch mit der möglichen Obstruktion des Landtags rechnen, der noch nicht erneuert wäre. Auch dieser Fall war vorgesehen. Der Landtag würde aufgelöst und Neuwahlen würden abgehalten. Natürlich auf Grundlage des geltenden Wahlrechts, aber das Programm wollte glauben, die Regierung würde als Sieger aus der Krise hervorgehen, weil sie sich selbst die Mittel dazu gegeben hätte: „Die Neuwahlen“, hieß es nachdrücklich, „müssen mit aller Energie von Regierungswegen gemacht und auch finanziell unterstützt werden.“165 Würden diese Schachzüge ausreichen, um Franz Ferdinand und seiner Regierung die Mehrheit zu sichern? Beschwören wollte das wohl niemand. Auch bei Beibehaltung des Dualismus wäre diese korrigierte Form für Ungarn eine diminutio capitis. Die Monarchie hätte wieder eine einheit­ 215

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liche Organisation, besiegelt mit ihrem Namen, der wieder Kaisertum ­Österreich lauten sollte. Franz Ferdinand würde mit großem Pomp in Wien als Franz II. gekrönt. Diese Zeremonie würde vor jener in Budapest stattfinden, die auch nicht den gleichen Prunk entfalten sollte. Der neue Herrscher würde anschließend in Prag zum König von Böhmen gekrönt.Wenn man damit auch eine alte Tradition wieder aufnahm, so ging es vor allem darum, „die Königskrönung ihrer bisherigen Bedeutung zu entkleiden“166. Die Stärkung der Zentralmacht würde noch durch die Ernennung eines Kanzlers unterstrichen, der das Amt eines Ministerpräsidenten ausüben sollte. Seine Aufgabe wäre vor allem die Koordinierung der von der österreichischen und der ungarischen Regierung verfolgten Politik, ein Bereich, der im derzeitigen System fehlte. Die Zusammenführung der beiden Delegationen, die nicht mehr nur zweimal im Jahr tagen sollten, konnte nur das Ziel der Bildung eines zentralen Parlaments haben. Alles Maßnahmen, die – wie vorherzusehen – in Ungarn schlecht aufgenommen würden, da sie als im Widerspruch zum Geist des Ausgleichs stehend empfunden würden, zumindest jenseits der Leitha. Als weiterer wichtiger Punkt sollte Deutsch zur Staatssprache werden und diese Entscheidung für die gesamte Monarchie gelten. Die Privilegierung der deutschen Sprache wurde von den deutsch-nationalen Parteien mit Nachdruck gefordert. Handelte es sich also um einen leidenschaftlichen Nationalismus? Sicher, Franz Ferdinand hatte sich wiederholt als deutschen Fürsten bezeichnet. Nicht zu vergessen, im Gegensatz zu seinem Onkel beherrschte er die anderen Sprachen der Monarchie nur schlecht bzw. gar nicht. Dennoch ginge es wohl zu weit, darin die Erklärung für diese Entscheidung zu sehen. Franz Ferdinands Motive waren ähnlich jenen, die einst Josef II. inspiriert hatten. Hier überwog die Sorge um die Effizienz alle anderen Überlegungen. Das von allen Eliten gesprochene Deutsch war die koine der Monarchie. Der Zusammenhalt des habsburgischen Gesamtreiches verlangte nach einer gemeinsamen Sprache, daher war es nur legitim, diese Rolle dem Deutschen zuzuschreiben und gesetzlich festzulegen. Und doch gibt es allen Grund zur Annahme, diese Entscheidungen hätten unter den anderen Nationalitäten feindselige Reaktionen hervorgerufen. Das Argument der Vernunft konnte die Ungarn schon zur Zeit Josefs II. nicht überzeugen. Es war sehr unwahrscheinlich, dass sie diesmal emp216

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fänglicher sein würden. Was die anderen Völker betraf – warum sollten sie anders denken? Seit Ende des 18. Jahrhunderts gab es unter ihnen allen, in unterschiedlicher Abfolge, Bewegungen des nationalen Erwachens oder Wiedererwachens, die sie zu einer politischen Organisation veranlassten. Die einen wie die anderen würden in dieser Maßnahme unweigerlich ein unwiderlegbares Zeichen für den Wunsch sehen, die Vorrangstellung der Deutschen im Reich zu festigen. In Ungarn bereitete Franz Ferdinand die Situation der Minderheiten Sorgen. Die Verbesserung ihres Schicksals war eines der vom „Programm zum Thron­wechsel“ angepeilten Ziele, und eben auch eines der Einführung des allgemeinen Wahlrechts. Aber, so beeilte sich Brosch hinzuzufügen, das müsse nicht so weit gehen, den bislang unter Vormundschaft gehaltenen Völkern die Macht zu übergeben. „Die Nationalitäten brauchen nicht Regierungspartei zu werden“, schrieb er Franz Ferdinand. Er empfahl hingegen, dieses „Schreckmittel“ einzusetzen, um die Ungarn gefügig zu machen: „Vor Besorgnis um die wankende Vorherrschaft werden die Magyaren dann demütig zu Kreuze kriechen und bei der Krone demütig um die Gunst betteln. Sie werden durch die Verhältnisse gezwungen lieb Kind spielen und sich in Loyalitätskundgebungen überbieten.“167

Mit anderen Worten: Brosch erwartete vom allgemeinen Wahlrecht eine Stärkung der Position der Krone. Konkret sollte der neue Herrscher die Hände frei haben, um die in seinen Augen für den Wiederaufschwung der Monarchie notwendigen Lösungen durchzusetzen. Die Fürsorge des ­Königs sollte darüber nicht hinausgehen. Sie würde sich „unter Zurückstellung aller übrigen Forderungen“168 zeigen, führte Brosch weiter aus. Es ging nicht darum, die politischen Reformen durch soziale Maßnahmen zu begleiten, etwa in Form einer Agrarreform, ungeachtet der Tatsache, dass genau darin eine Dimension des nationalen Problems in Ungarn lag. Aber Franz Ferdinand war immer schnell bereit, hinter jeder sozialen Sorge erste Anzeichen des Sozialismus zu sehen. Bis ins kleinste Detail ausgearbeitet, glich das Programm zum Thronwechsel einem Schlachtplan, nicht weiter überraschend für einen Generalstabsoffizier. Es wäre erstaunlich, sollte Brosch sich im weiteren Verlauf der Ausführungen 217

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mäßigen. Dennoch schien er gemäßigt im Vergleich zu Graf Ottokar C ­ zer­nin, einem anderen engen Vertrauten und Ratgeber Franz Ferdinands. Czernin hatte zunächst eine diplomatische Karriere begonnen, die ihn nach Den Haag und später nach Paris führte, schlug dann aber eine andere Richtung ein. Er beschloss, sich der Verwaltung seiner Güter zu widmen und sich in der böhmischen Politik zu engagieren. 1903 wurde er in den Prager Landtag gewählt, wo er einer Gruppe verfassungstreuer Großgrundbesitzer angehörte. Abgesehen von diesem Engagement, eröffneten ihm seine Heirat mit einer Gräfin Kinsky und mehr noch seine Freundschaft aus Kindertagen mit der jungen Gräfin Sophie Chotek Zugang zu Franz Ferdinand, dessen Nachbar er im Übrigen auch war, lag sein Gut Winar doch unweit von Konopischt. Gänzlich unbefangen vertrat Czernin eine entschieden unnachgiebige Linie und brachte sie in aller Klarheit in einer Schrift zum Ausdruck, die er 1905 unter dem Titel Österreichs Wahlrecht und Parlament veröffentlichte. Inmitten der voll entbrannten Diskussion über das allgemeine Wahlrecht in Zisleithanien entwickelte er Theorien, die Franz Ferdinand gefallen mussten. Er zeigte sich als Befürworter des Zentralismus, der unter dem Deckmantel, die Gleichheit zwischen den Nationalitäten sicherzustellen, in Wirklichkeit die Deutschen bevorzugen würde. Nachdem Czernin Eingang in die Umgebung des Thronfolgers gefunden hatte, verfasste er mehrere Memoranden, in denen er seine Meinung kundtat, insbesondere was die Strategie betraf, die man gegenüber Ungarn verfolgen sollte. Er riet Franz Ferdinand schließlich auch, keinen Eid auf die Verfassung zu leisten, solange die Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn nicht auf neue Grundlagen gestellt seien. An die Spitze der ungarischen Regierung sollte ein unerschütterlich loyaler General berufen werden, „ein schwarz-gelber General“. Dieser würde Minister mit einer soliden politischen Erfahrung um sich scharen, die man aus der Krone treu ergebenen Magyaren und Vertretern der Nationalitäten rekrutieren sollte. Was die Magyaren betraf, so setzte Czernin auf Kristóffy, der – wie er meinte – über die erforderlichen Eigenschaften verfügte: „Kristoffy ist, wie mir scheint, der Typus jener gescheiten, geschickten aber ganz charakterlosen Männer, die nur unter einer eisernen Hand Gutes schaffen, dann auch sehr verwendbar sein können.“169 218

Das Programm zum Thronwechsel

Die Erwähnung eines negativen Punkts – die angebliche Charakter­ losigkeit Kristóffys – passte ganz zur Art Czernins. Er war immer rasch bereit, Kritik an Personen aus der Umgebung des Erzherzogs zu üben, die ihn irgendwann einmal in den Schatten stellen könnten. Diese Passage zeigt auch seinen Zynismus. Seiner Auffassung nach gab es keine echten Mitarbeiter, nur Instrumente, derer man sich entledigte, wenn sie ausgedient hatten. Ebenfalls eigen war dieser Zynismus Czernins Hang zu gewaltsamen ­Lösungen. Hier sprach er von der Notwendigkeit einer „eisernen Hand“. Im gleichen Memorandum wurde er noch deutlicher: „Die ersten Jahre der Regierung Eurer Kaiserl. Hoheit muß sich die Politik auf die Bajonette stützen, wenn sie reussiren will.“170 Ein andermal nahm er die Haltung Bismarcks ein und erklärte entschieden: „Dieser Kampf wird nicht mit Worten oder mit der Feder ausgefochten werden, sondern mit Blut und Eisen und je energischer er durchgeführt und je schneller er beendet wird, desto besser für Kaiser und Reich.“171

Czernins Vorliebe für Lösungen, bei denen man die Muskeln spielen ließ, zeigte sich auch in seinen Empfehlungen an Franz Ferdinand. Rasch sah er in den vorbereitenden Verhandlungen eine Tarnung, um die Oktroyierung der Refor­men mit dem Argument besser zu rechtfertigen: „Die den Herrschern von Gott auferlegte Pflicht ist ihre Völker zu führen und wenn die Völker – wie in unserer Monarchie – nicht reif sind selbst Vernunft anzunehmen, so müssen sie dazu gezwungen werden. Der Oktroi und die Gewalt sind berechtigt, auch wenn sie eine Einschränkung der Volksrechte bringen.“172

Czernin schlug ein Szenario vor, das ebenfalls von seinem Zynismus geprägt war. Auch wenn er für die Einführung des allgemeinen Wahlrechts eintrat, forderte er doch, dessen Anwendung zu begrenzen und einzuschränken. Der Zweck rechtfertige die Mittel und die Regierung würde vor keiner Maßnahme zurückschrecken, sei sie noch so drastisch, sich im Landtag einer Mehrheit zu versichern, die der Aufstockung des ungarischen Kontingents in der gemeinsamen Armee zustimmte. Sobald dieses Ergebnis unter Dach und Fach wäre, würde Franz Ferdinand keine Samt219

In Wartestellung

handschuhe mehr brauchen. Wenn der Landtag seine Aufgabe erfüllt hätte, könnte er seine Auflösung bekannt geben. Im Klartext war für Czernin der Rückgriff auf das allgemeine Wahlrecht nie etwas anderes als ein Behelf, der wieder beiseitegelegt wurde, sobald die Umstände aus der Welt geschafft waren, die ihn notwendig gemacht hatten. Sein grundlegender Widerstand blieb aufrecht: Auf welcher Seite der Leitha auch immer das allgemeine Wahlrecht eingeführt wurde, blieb es eine demokratische, schlimmer noch: eine sozialistische, kurz gesagt: eine dämonische, Erfindung. Um seinem Vorschlag Nachdruck zu verleihen, führte er die Medizin an: „Das allgemeine Wahlrecht mit seinem socialdemokratischen Beigeschmack“, betonte er, „ist eine giftige Medizin, die notwendig ist um die magyarischen Bazillen zu töten, die aber schwerlich eternisiert werden kann, weil Niemand à la longue von Medizin leben kann.“173 Nach diesen Worten erstaunt auch die Schlussfolgerung nicht. Zum Teufel mit der Demokratie, zum Teufel mit dem Liberalismus, die einzig wahre Regierungsform in Österreich sei ein „cäsarischer Absolutismus“. Und wie nahm Franz Ferdinand die Vorschläge auf? Czernin rechnete zweifellos damit, dass sie Franz Ferdinands Zustimmung finden würden, so sehr schienen sie in Einklang mit dessen Charakter und dessen Hang zu ­radikalen Lösungen zu stehen. Franz Ferdinand sympathisierte tatsächlich allmählich mit diesen Ideen, die seiner innersten Natur entsprachen. Aber er verfügte auch über genügend politischen Instinkt, um sich darüber im Klaren zu sein, dass derartige Übertreibungen Gefahr liefen, das gegenteilige Ergebnis zu bringen. Auch der Einfluss einiger seiner Berater, allen voran Brosch und Lammasch, trug vermutlich dazu bei, ihn davon zu überzeugen. Lange Zeit glaubte Czernin, zu jener Gruppe zu gehören, mit der sich Franz Ferdinand nach seiner Thronbesteigung umgeben würde. Mehr noch, er sah sich auf dem Posten des Ministers für das kaiserliche und königliche Haus. Verwechselte er seine Wunschvorstellungen mit der Realität? Oder hatte Franz Ferdinand ihm Zusicherungen gemacht? Sicher ist, dass solche Gerüchte in den politischen Kreisen Wiens zirkulierten, wie Redlich in seinen Tagebüchern berichtet, und sie kamen sogar Franz Joseph zu Ohren. In einem seiner Berichte, in denen er die Kompetenzen dieses zukünftigen Ministers auflistete, spannte Czernin den Bogen sehr weit, bis hin zur Außenpolitik. Von hier war es nur mehr ein kleiner Schritt bis zu dem 220

Das Programm zum Thronwechsel

Gedanken, er würde der wichtigste Minister dieser Regierungsmannschaft werden. Anfang 1913 informierte Franz Ferdinand Czernin, er werde ihn nicht in seine Regierung aufnehmen. Mehrere Faktoren scheinen zusammengekommen zu sein, die ihn zu dieser Entscheidung veranlassten. Letztlich dürfte es Franz Ferdinand irritiert haben, dass Czernin sicher war, auf dieser Liste zu stehen, ließ er sich doch seine Entscheidungen nicht gerne vorschreiben. Die politischen Meinungsunterschiede zwischen den beiden Männern dürften zweifellos noch schwerer gewogen haben. Die Ansichten einiger Nahestehender, darunter wieder Brosch und Lammasch, taten ein Übriges. Czernin bestätigte in seinen Erinnerungen, dass unterschiedliche Erklärungsansätze sie in Widerspruch zueinander gebracht hätten, ohne näher darauf einzugehen. Man kann daraus allerdings nicht ableiten, dass er in Ungnade gefallen wäre. Ein Beweis dafür war, dass er noch vor Ende des Jahres zum österreichisch-ungarischen Botschafter in Bukarest ernannt wurde, und dies auf Drängen des Thronfolgers. Eine nicht unerhebliche Entscheidung, war die Botschaft in Bukarest doch nach dem Ende der Balkankriege ein besonders sensibler Posten. Darüber hinaus sah Franz Ferdinand in Rumänien ein wichtiges Glied für die Politik der Monarchie im Südosten Europas. Diese Ernennung war also kein Zeichen einer Missbilligung. Kurz gesagt: Sobald Czernin von Wien weg war, gehörte er zwar nicht mehr zum innersten Kreis Franz Ferdinands, zählte aber immer noch zu seinem Gefolge und weiterhin zu seinen Günstlingen. Vielleicht waren es dieselben Gründe, die Franz Ferdinand veranlassten, Graf Czernin fernzuhalten, die schließlich dazu beitrugen, den Plan fallen zu lassen, um dessen Ausarbeitung er Baron Eichhoff ersucht hatte. Brosch hatte ein Programm ausgearbeitet, das die dualistische Struktur zwar beibehielt, sie aber eines Gutteils ihres Inhalts beraubte. Die von Kristóffy unterbreiteten Vor­schläge gingen in die gleiche Richtung.174 Er unterstrich, wie wichtig es sei, in Ungarn vor allem auf die konstitutionelle Schiene zu setzen, um einen Reformplan umzusetzen, der jenem von Brosch sehr nahekam. Es durfte nicht darum gehen, die bestehende Ordnung völlig umzustürzen, sondern sie sei zum Wohl der Monarchie umzugestalten. Eichhoff ging viel weiter. Beeinflusst von den Ideen Popovicis, zog er einen Schlussstrich unter den Dualismus und entwarf ein System von weitgehend autonomen Einheiten, die nach dem ethnischen Prinzip or221

In Wartestellung

ganisiert waren. Konnte sich Franz Ferdinand zunächst vorstellen, diesem Plan zuzustimmen, so nahm er nach den Balkankriegen davon Abstand. Als a­ ußenpolitisch Wolken aufzogen, wäre es höchst riskant gewesen, die Monarchie einer solch radikalen Reform zu unterziehen. Franz Ferdinand schien geneigt, auf das Programm von Brosch zurückzugreifen. Es bewegte sich noch im Rahmen des Dualismus, auch wenn nicht auszuschließen war, dass es Spannungen mit Ungarn heraufbeschwören könnte. Franz Ferdinand glaubte aber, über die Mittel zu verfügen, aus dieser Auseinandersetzung siegreich hervorzugehen, wenn es überhaupt dazu kommen sollte. Abschließend stellt sich die Frage, ob die Feindseligkeit Franz Ferdinands gegen die Magyaren nicht manchmal verzerrt dargestellt wurde. Er selbst bemühte sich über verschiedene Kanäle zu vermitteln, dass er in keiner Weise ein „Ungarnfresser“ war und ganz klar zwischen einer von schwärzesten Gedanken motivierten Oligarchie und dem ungarischen Volk zu unterscheiden verstand. Kristóffy sollte später berichten, Franz Ferdinand habe ihn gebeten, der Wahrheit zu ihrem Recht zu verhelfen: „Sagen Sie in Ungarn, daß es eine niederträchtige Lüge ist, als ob ich die Ungarn nicht liebte oder gar haßte. Alle Völker der Monarchie sind mir ans Herz gewachsen und hauptsächlich gilt dies vom ungarischen Volke, dem ich vermöge seiner dynastischen Treue und seiner vorzüglichen ­Eigenschaften besonders zugetan bin.“175

Die Geschichte ist zu schön, um nicht zu erstaunen. Sie kann die zahllosen Ausfälligkeiten Franz Ferdinands gegenüber den Ungarn im Allgemeinen nicht vergessen machen. Typisch in dieser Hinsicht bleibt sein Brief aus dem Jahr 1904 an Beck, in dem er – weit davon entfernt, einen Unterschied zwischen der Elite und der breiten Masse zu machen – alle gleichermaßen aburteilt. Diese Ablehnung ohne jegliche Nuancierung veranlasste Franz Ferdinand zu Haltungen, die zumindest anfechtbar waren. So weigerte er sich hartnäckig, entgegen der nachdrücklichen Aufforderung Franz Josephs, entgegen dem Rat von Czernin, der diesmal besonnener war, István Tisza zu treffen, die Schlüsselfigur des politischen Lebens in Ungarn vor 1905 und erneut nach 1910, und dies zu einem Zeitpunkt, als er seine Bindung an die Doppelmonarchie so sehr betonte. Auch wenn er nach seiner Thron222

Die anderen Fronten

besteigung notgedrungen mit Tisza zu tun haben würde, stellte er ein für alle Male fest, dieser sei ein „Mistvieh“. Abgesehen von der Derbheit dieses Ausdrucks, lässt die Sturheit Franz Ferdinands seine Weigerung ahnen,Tisza als Partner anzuerkennen, und kann als Bestätigung seiner Absicht gelten, ihn so bald wie möglich zu entfernen, auch auf die Gefahr hin, rasch auf eine Konfrontation zuzusteuern.

DIE ANDEREN FRONTEN Nach Ungarn ist es vor allem das verzweifelt nach einem Ausgleich strebende Böhmen, das Franz Ferdinands Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Seit dem Scheitern des Ausgleichs von 1871 waren alle österreichischen Regierungen mit der heiklen Akte hinsichtlich des Zusammenlebens der beiden Völker des Königreiches konfrontiert. Seit der Krise, die durch die Sprachenverordnungen der Regierung Badeni ausgelöst wurde, hatte die Angelegenheit eine neue Dimension bekommen, wobei die Entfesselung der Leidenschaften jeden Ausgleich noch schwieriger machte. Eine Regierung nach der anderen verausgabte sich bei dem Versuch, Verhandlungen zustande zu bringen, um eine Formel zu finden, auf die sich die Parteien verständigen konnten.Vergebens, kaum wähnte man sich einem Erfolg nahe, scheiterte das Abkommen. Franz Ferdinand neigte dazu, das heikle Problem mit den Augen der zahlreichen Aristokraten in seiner Umgebung zu sehen. Die häufigen Aufenthalte in Konopischt, die Beziehungen Sophies in diesem Milieu gaben ihm regelmäßig Gelegenheit zu Begegnungen, bei denen immer wieder politische Fragen angeschnitten wurden. Wie gewohnt, deckte der unvermeid­liche Czernin den Thronfolger mit Berichten ein. Andere, wie sein Schwager Graf Jaroslav Thun und Fürst Karl Schwarzenberg, nützten ihre Korrespondenz, um eine für die Interessen der Großgrundbesitzer günstige Botschaft zu vermitteln, eine ebenso partielle wie partei­liche Sichtweise. Offen bleibt, ob die große Nähe zum Hochadel nicht ein Handicap war, für die Gegenwart wie die Zukunft, umso mehr, als Franz Ferdinand nur sehr lose Beziehungen, wenn überhaupt, zu Vertretern anderer Akteure der politischen Bühne in Böhmen unterhielt, sowohl in den deutschen als auch in den tschechischen Parteien. 223

In Wartestellung

Es ist schwierig, abzuschätzen, welche Politik Franz Ferdinand gegenüber Böhmen verfolgt hätte. Die Forschung kann sich dabei nicht auf ein dem Programm zum Thronwechsel vergleichbares Dokument stützen. Mit Ausnahme des böhmischen Hochadels, allen voran Czernin, der sich sehr weitschweifig darüber auslässt, bereitete die ungarische Frage seiner Umgebung ganz offensichtlich größere Sorge, und ihre Vorschläge zielten auf eine rasche Lösung ab. Unbestritten ist, dass Franz Ferdinand die Vereinigung der beiden Gruppen der Großgrundbesitzer im Landtag anregte. Ein Plan, der schon oft aufgegriffen und 1910 schließlich verwirklicht wurde. Czernin, sein Vertrauensmann in dieser Angele­genheit, berichtete ihm regelmäßig von den verschiedenen Wendungen. Wie auch immer der Plan ausgesehen hätte, zweifellos wäre dem Adel eine zentrale Funktion zugekommen. Hätte Franz Ferdinand diesem ein Vetorecht bei den vom Landtag verabschiedeten Vorlagen eingeräumt, wie Czernin es ihm nahelegte? Hier kommen wir in den Bereich der Spekulation. Diese Unsicherheit betrifft auch die widersprüchlichen Gerüchte, die damals über die Präferenzen und Absichten Franz Ferdinands kursierten. Die Deutschen in Böhmen verdächtigten ihn, Sympathien für die Tschechen zu hegen. Sonderbar, gab es doch nicht das geringste Anzeichen für den Beweis dieses Vorwurfs, auch seine freundschaftlichen Beziehungen zu Aristokraten wiesen keineswegs darauf hin. Brosch bemühte sich, vor dieser Situation zu warnen, die Franz Ferdinand Nachteile bringen könnte: „Ich kann Eurer kaiserlichen Hoheit nicht verschweigen, daß die Stimmung im deutschen Nationalverband gegen Eure kaiserliche Hoheit nicht günstig ist. Man fürchtet ein absolutistisches, klerikales und cechenfreundliches Regime und die Feinde Eurer kaiserlichen Hoheit sind bestrebt diese Meinung zu verstärken.“176

Es handelte sich hier um ein umfassenderes Problem, auch wenn die angeblichen Sympathien des Thronfolgers für die Tschechen ein wesentlicher Teil waren. Und genau das Bemühen, diesen Eindruck zu korrigieren, veranlasste Franz Ferdinand, sich Baernreither anzuvertrauen, einem Wortführer der Deutschböhmen, der davon in seinem Tagebuch berichtete:

224

Die anderen Fronten

„Ich bin ein Deutscher, sagte er, meine Sympathien sind auf der Seite der Deutschen […] Man sagt, ich sei ein Ceche, das ist nicht wahr. Ich spreche deutsch und bin deutsch. Darauf machte er eine Bemerkung, die besagen wollte, daß ihm alle Nationalitäten am Herzen liegen, daß er aber ein Deutscher sei.“177

Franz Ferdinand hegte offenkundig die Hoffnung, seine Worte würden durch diesen politisch einflussreichen Mann zu den entsprechenden Adressaten gelangen. Allerdings ist nicht sicher, ob diese Klarstellung ausgereicht hätte, die Vorbehalte der Deutschen ihm gegenüber auszuräumen. Aufseiten der Tschechen lauteten die Beschwerden umgekehrt. In ihre Richtung gab es keine Gesten, die auf besonderes Wohlwollen hinwiesen. Kein Tscheche gehörte zum Belvedere-Kreis, denn Hodža konnte nicht als einer ihrer Vertreter gezählt werden. Zwar sollte er später Ministerpräsident der Tschechoslowa­kischen Republik werden, doch damals vertrat er die Interessen des slowa­kischen Volkes im Königreich Böhmen, und in dieser Eigenschaft fand er Eingang ins Belvedere. Auf Vorschlag von Beck, der damals noch sein wichtigster Berater war, empfing Franz Ferdinand 1903 Karel Kramář, eine herausragende Persönlichkeit unter den Jung­tschechen. Diese Begegnung brachte allerdings keine konkreten Ergebnisse. Franz Ferdinand schimpfte im Übrigen weiter gegen die Jungtschechen, denen in seinen Augen zwei Grundübel anhafteten: ihr Nationalismus und ihre liberale Überzeugung. Seine Beziehungen mit den Tschechen wurden auch durch die Ablehnung jeglicher Art von Trialismus belastet, der Böhmen auf die gleiche Stufe mit Ungarn gestellt hätte. Franz Ferdinands beschwörende Worte von 1901 an den damaligen Ministerpräsidenten Ernest von Koerber schufen einige Klarheit. Jede Konzession an die Tschechen, so versicherte er, würde das bereits durch den Dualismus erschütterte Gebäude mit dem Einsturz bedrohen. Er forderte Koerber also auf, „den Cechen absolut nicht nachzugeben! Wir wissen, wie wir mit dem Dualismus bereits unsere Monarchie an den Rand des Grabes gebracht haben, jetzt soll eine zweite, ebenso eminente Gefahr durch die Cechen entstehen! Jetzt gilt es,wenn man jetzt nachgibt und mit den Cechen paktiert und ihnen nationale Zugeständnisse macht, so ist Alles verloren und wir züchten uns künstlich einen Trialismus, der das ohnehin so gelockerte Gefüge der Monarchie ganz ruiniert!“178 225

In Wartestellung

Das Tagebuch von Baernreither gibt vielleicht Aufschluss über die Absichten Franz Ferdinands. In dem weiter oben angeführten Gespräch soll dieser sich gegen eine Aufgliederung in Kreise nach Nationalitäten, eine der Hauptforderungen der Mehrheit der Deutschen in Böhmen, ausgesprochen haben. Eine solche Entscheidung würde die nationalen Konflikte keineswegs beschwichtigen, sondern nur die Spannungszonen verschieben. Im Landesaus­schuss, dem böhmischen Exekutivorgan, sah Franz Ferdinand hingegen das geeignete Organ, um das Prinzip der nationalen Autonomie anzuwenden, ohne die Einheit des Königreiches infrage zu stellen, ein für die Tschechen nicht verhandelbares Postulat.Vielleicht waren seine Überlegungen vom Erfolg des 1905 zwischen den Tschechen und Deutschen in Mähren abgeschlossenen Ausgleichs beeinflusst. Dieser zeigte zum einen, dass man nicht immer mit dem Schlimmsten rechnen musste. Zum anderen bot er ein Modell, um die nationale Autonomie erfolgreich mit der persönlichen Autonomie zu verbinden. Angenommen, dies wäre Franz Ferdinands Plan gewesen, unternahm er doch nichts, um ihn vor seiner Thronbesteigung voran­zubringen. Zudem war er darauf bedacht, jeden Versuch eines Ausgleichs vor diesem Zeitpunkt zu vereiteln, war er doch überzeugt, ein solcher Erfolg würde ihm die Hände binden. Einen Beweis dafür lieferte er Anfang 1913, als sich der böhmische Statthalter Graf Franz von Thun-Hohenstein bemühte, die beiden Lager einander anzunähern, um endlich die Formulierungen für einen Ausgleich zu finden. Als geachtete Persönlichkeit hätte er eine Chance auf Erfolg haben können, wo so viele vor ihm gescheitert waren. Angesichts dieser Aussichten wies Franz Ferdinand Bardolff an, alles zu unternehmen, um zu verhindern, dass diese Bemühungen Erfolg hätten. Baron Eichhoff, der im Innenministerium mit diesen Belangen betraut war, wurde ein Wunsch übermittelt, der als Befehl zu verstehen war: „Man muß sehr auf der Hut sein, und Seine kaiserliche Hoheit lassen Sie, Verehrtester, durch mich bitten, mich in meiner Wacht am Nichtzustan­ dekommen der Thunschen Krönung zu unterstützen.“179

Mit anderen Worten: Franz Ferdinand bemühte sich, alles zu tun, um den Erfolg eines Unternehmens zu vereiteln, das sich der kaiserlichen Rückendeckung erfreute. Wie schon zuvor, als er am Sturz der Regierung Beck arbeitete, der das Vertrauen Franz Josephs besaß. 226

Die anderen Fronten

Bleibt eine nicht unbeträchtliche Unbekannte:  Welchen Plan hätte Franz Ferdinand verfolgt und wie hätte er ihn durchsetzen wollen? Hätte er sich für ein parlamentarisches Vorgehen entschieden oder die radikale Lösung einer Zwangsdurchsetzung bevorzugt? Czernin redete ihm eindringlich zu, alle legalistischen Skrupel beiseitezulassen. Die Versuchung, eine Durchsetzung zu erzwingen, entsprach vielleicht dem wahren Temperament Franz Ferdinands. Eine Garantie, dass er sich tatsächlich dafür entschieden hätte, gibt es natürlich nicht. Die Polen erwähnte Franz Ferdinand nur ganz selten. Sie waren in seiner Umgebung ebenso wenig vertreten wie die Tschechen, was bereits als wenig ermutigendes Zeichen gelten kann. Seine mangelnden Sympathien rührten zweifellos daher, dass er sie verdächtigte, nach einer Wiederherstellung eines unabhängigen Polen zu streben. Diese Absicht würde sicherlich rechtfertigen, in ihnen wenig zuverlässige Untertanen zu sehen. Allem Anschein nach dürfte sich Franz Ferdinand im Konflikt zwischen Polen und Ruthenen in Galizien auf die Seite der Letzteren gestellt haben, eine nicht ganz risikolose Position. Seit Einführung des Dualismus hatten die Polen stets die verschiedenen Regierungen in Wien unterstützt. Mehr noch: Sie gewannen dort allmählich immer mehr Einfluss. Zunächst beschränkte sich dieser auf das für Galizien zuständige Ministerium, seit den 1880er-Jahren hatten sie ihre Regierungsbeteiligung auf andere Agenden ausgeweitet, insbesondere auf das Ministerium für Finanzen. Auch gab es in der gemeinsamen Regierung mit Graf Agenor Gołuchowski einen Polen an der Spitze der österreichisch-ungarischen Außenpolitik. Nun war es das gemeinsame Ministerium für Finanzen, im Übrigen auch für Bosnien-Herzegowina verantwortlich, das unter der Leitung eines Polen stand, Graf Leon von Biliński. Diese Loyalität – dieses Wort ist keineswegs usurpiert – entsprang weniger dem Gefühl als eher der Vernunft. Seit der Niederschlagung der Erhebung von 1863 im russischen Teil des alten Königreiches war den Polen Galiziens klar geworden, dass die Teilung für längere Zeit festgeschrieben war. Davon ausgehend, entwickelten sie ihre hinkünftige Strategie: sich mit dieser Situation abzufinden, in der Hoffnung, das Beste daraus zu machen, um die Interessen der Polen zu fördern. Diese Aufgabe gebot es insbesondere, sich an der Regierungsverantwortung in Wien zu beteiligen, um 227

In Wartestellung

sich im Gegenzug die Kontrolle über Galizien zu sichern. Das Instrument dieser Politik war der Polenklub, die Gruppierung polnischer Abgeordneter in der unteren Kammer des Reichsrats. Er unterstützte stets die Regierung, gleichgültig, ob liberal oder konservativ. Franz Ferdinands Befürchtungen waren somit unbegründet. Die Treue der Polen gegenüber der Monarchie glich vielleicht einer Vernunftehe, war aber gerade deshalb umso solider. Häufiger äußerte sich der Thronfolger zur italienischen Causa. Seine Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf Tirol, dessen italienische Bevölkerung, mehrheitlich im Trentino, dem südlichen Teil der Provinz, nach ­einem Autonomiestatut strebte. Nicht weiter überraschend, sprach sich Franz Ferdinand gegen alle Konzessionen aus und beschwor die Verantwortlichen der Monarchie, nicht von dieser Linie abzuweichen. Im Juni 1901 intervenierte er bei Koerber, als es Gespräche zwischen Deutschen und Italienern gab. Er drängte ihn, standhaft zu bleiben: „Mit kleinen Conzessionen beginnt man und mit der vollkommenen Trennung hört man auf.“180 Er drängte ihn weiters, unverzüglich Monsignore Endrici zu entfernen, den Fürstbischof von Trient, in dem er den Urheber der nationalistischen Agitation sah. In seiner Antwort versuchte Koerber, dem aufbrausenden Erzherzog zu verstehen zu geben, dass bei einem Kirchenfürsten kein so rasches Vorgehen möglich sei. Wie es seine Gewohnheit war, konnte Franz Ferdinand nicht umhin, einen Vergleich mit Ungarn zu ziehen. Es sei hoch an der Zeit, ließ er wissen, daraus zu lernen, um solche Irrtümer zu verhindern. Jede Konzession würde eine weitere nach sich ziehen, was schließlich das Gebäude der Monarchie zu erschüttern drohte: „Dieser Kampf“, so meinte er gegenüber dem Statthalter von Tirol, „gleicht im Kleinen dem Kampfe mit Ungarn; im Jahre 67 glaubte man auch, daß jetzt Alles geordnet ist, und Jahr für Jahr kamen immer wieder unverschämtere Forderungen, die man Alle erfüllte, bis jetzt Ungarn ein losgerissener selbständiger Staat, eine Republik mit einem König an der Spitze ist. Jetzt ein Nachgeben in Süd-Tirol würde und wird nicht als Gnaden-Akt sondern lediglich als Schwäche der Regierung aufgefaßt und als ein Ansporn, weitere Concessionen, welche das Ansehen und die Macht der Monarchie und der Dynastie untergraben, abzutrotzen.“181 Letztlich wurde dieser Plan nicht verwirklicht, ebenso wenig wie die später ins Auge gefasste Gründung einer italienischen Universität 228

Die anderen Fronten

in Innsbruck. Beide Vorhaben stießen auf zunehmenden Widerstand der Deutschen in Tirol, sowohl der Konservativen als auch der Liberalen. Auch wenn die Interventionen Franz Ferdinands sicherlich nicht entscheidend waren, stärkten sie die Deutschen wohl in ihrer Entschlossenheit. Wie bei den früheren Fällen wirft auch das Beispiel Italien ein Licht darauf, aus welchem Blickwinkel Franz Ferdinand die nationalen Bewegungen beurteilte: Bedrohten sie die Einheit der Monarchie? Wenn er eine Gefahr vermutete, bekämpfte er sie auf das Entschiedenste. Dazu kam in diesem Fall die Angst vor dem Irredentismus. Hinter jedem Autonomiestreben argwöhnte Franz Ferdinand einen Separatismus, mit dem Ziel, die italienisch-sprachigen Gebiete der Monarchie an das Königreich Italien anzugliedern. Schlussendlich bestätigte ihn dieser Fall in seiner Überzeugung, eine Verbindung zwischen der Nationalitätenfrage und dem Engagement der Monarchie auf der europäischen Bühne zu schaffen.

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KAPITEL X

„Wir schauen in der Loge zu“ In diesen Jahren, die bereits durch das Aufkommen von Spannungen im Inneren gekennzeichnet waren, verschlechterten sich auch die außenpolitischen Positionen der Monarchie. Mehr denn je richtete sich die Aufmerksamkeit auf den Balkan als wichtigsten Schauplatz. Konnte die Monarchie 1908 noch die Initiative ergreifen, musste sie nun den Ereignissen weitgehend ihren Lauf lassen. Die Befehlskette hatte sich nicht geändert. Franz Joseph gab weiterhin die Ausrichtung vor, die Umsetzung oblag den Außenministern – zunächst Graf Aehrenthal, später Graf Berchtold. Mit der Offensivpolitik war es vorbei, die österreichisch-ungarische Diplomatie setzte sich die Verteidigung des Status quo zum Ziel. Franz Ferdinand blieb kein passiver Zuschauer. Seine zunehmende militärische Verantwortung verlieh ihm seiner Ansicht nach ein Kontrollrecht über die Außenpolitik. In Anerkennung seines wachsenden Einflusses erhielt er am 26. Juli 1913 den Titel „Generalinspektor der gesamten bewaffneten Macht“, wodurch er im Kriegsfall zum Oberkommandierenden wurde. Zudem konnte er vorbringen, dass die Grenze zwischen dem diplomatischen und dem militärischen Bereich immer mehr verschwamm, je größer die Gefahr eines bewaffneten Konflikts für die Monarchie wurde.

VERSCHÄRFUNG DER KRISEN Die mit der Annexion von Bosnien-Herzegowina eröffnete Krise wurde durch einen Sieg der österreichisch-ungarischen Diplomatie beige231

„Wir schauen in der Loge zu“

legt, wobei die Monarchie dank der Unterstützung Deutschlands ihre In­ teressen wahren konnte. Es war allerdings ein trügerischer Erfolg, wie sich bald zeigen sollte. In Wirklichkeit war die durch die Annexion ausgelöste Schockwelle nicht verebbt, sondern Österreich-Ungarn stand aufgrund der Umstände, unter denen sie erfolgt war, als Beschuldigter am Pranger der Staaten. In dieselbe Kerbe hieben alle Staaten, die sich in unterschiedlicher Weise durch die Lösung der jüngsten Krise übervorteilt fühlten. Der Gegenschlag zeichnete sich mit dem am 24. Oktober 1909 in Racconigi geschlossenen Abkommen zwischen Russland und Italien ab. Die beiden Vertragspartner verständigten sich darauf, jedem Versuch einer Änderung des Status quo auf dem Balkan Widerstand zu leisten. Auf wen sonst als Österreich-Ungarn zielte dies ein Jahr nach der Annexion Bosnien-Herzegowinas ab? Russland war in seinem Element bei dem Versuch, seinem Rivalen zu kontern, der ihm soeben eine schwere diplomatische Niederlage zugefügt hatte. Italien wiederum bestätigte mit diesem Abkommen die Entwicklung, die sich seit 1900 abgezeichnet hatte. Es zog ebenfalls die Konsequenzen aus der Krise, hatte es doch eine territoriale Entschädigung erwartet, die ihm nach Ansicht der römischen Führung aufgrund des Vertrags zwischen den beiden Staaten nach der Annexion von Bosnien-Herzegowina durch ÖsterreichUngarn zustand. Dieses Abkommen fachte erneut die Diskussion um die Haltung an, die man gegenüber Italien einnehmen sollte. Aehrenthal, der an seiner neuen Politik festhielt und sich der Risiken eines Bruchs durchaus bewusst war, wollte jede Initiative vermeiden, die Italien der Entente in die Arme treiben könnte: „Italien als einwandfreien Freund zu betrachten, geht wohl nicht an“, gestand er ein, „aber es ist im Interesse der Monarchie gelegen, diesen Staat bis auf weiteres als Bundesgenossen an der Seite zu erhalten.“182

Conrad hingegen, der sich in seiner Analyse bestätigt sah, forderte Maßnahmen zum Schutz der Monarchie vor einer Bedrohung durch Italien. Er verfasste unzählige Berichte, in denen er Aehrenthal vor militärischen Vorbereitungen seitens Italiens warnte, gleichzeitig trat er für eine Verstärkung der Truppen an der Südflanke der Monarchie ein. Mehr noch: Als 232

Verschärfung der Krisen

Italien im September 1911 den Kampf gegen die Türkei eröffnete und den Großteil seiner Streitkräfte dafür mobilisierte, schien ihm der Zeitpunkt für einen Präventivkrieg gekommen. Nie sei die Gelegenheit so günstig gewesen, Italien zu treffen und diese Gefahr auszuschalten. Sie drohte sonst immer größer zu werden, bis man sie nicht mehr unter Kontrolle halten konnte. Aehrenthal empfand die wiederholten Interventionen als untragbare Einmischung in seine Kompetenzen und meinte, sie würden der österreichisch-ungarischen Diplomatie schaden. Er wusste auch, dass eine aggressive Politik gegenüber Italien, umso mehr ein Präventivkrieg, keineswegs von Deutschland unterstützt würde. Im Gegenteil, darauf bedacht, das Bündnis mit Rom nicht zu gefährden, wurde Wien gedrängt, das Bündnis schon jetzt zu erneuern, mehrere Jahre vor seinem Auslaufen. Der Konflikt war an einem Punkt angelangt, an dem nur mehr der Kaiser entscheiden konnte. Unabhängig von den beteiligten Personen, musste es um eine politische Entscheidung zwischen zwei entgegengesetzten Ansätzen gehen. Der eine orientierte sich an der Aufrechterhaltung des Friedens, der andere drängte auf einen Präventivkrieg. Sah man die Frage so, konnte Franz Joseph nur seinem Außenminister recht geben, der – wie alle Vorgänger – eine Politik verfolgte, deren große Züge der Kaiser selbst vorab festgelegt hatte. Franz Joseph erinnerte Conrad trocken daran, als er ihn am 15. November 1912 in Audienz empfing: „Diese fortwährenden Angriffe, besonders die Vorwürfe wegen Italiens und des Balkans, die sich immer wiederholen, die richten sich gegen Mich; die Politik mache ich, das ist Meine Politik.“183

Mit dieser Erklärung, die den Nagel auf den Kopf traf, lieferte Franz Joseph den Schlüssel für seine Politik: „Meine Politik ist eine Politik des Friedens. Dieser Meiner Politik müssen sich alle anbequemen. In diesem Sinne führt Mein Minister des ­Äußern Meine Politik.“184

Franz Joseph nährte allerdings keineswegs Illusionen über Italien. Es entging ihm auch nicht, dass die Beziehungen zu Rom in eine turbulente Phase eingetreten waren. Er wusste, dass sich Italien den Ländern der Entente angenähert hatte, und er wusste auch, dass es den Balkan und die ir233

„Wir schauen in der Loge zu“

redentistischen Gebiete im Visier hatte. Natürlich durfte die Monarchie ihre Sicherheit nicht vernachlässigen, daher musste die Armee in die Lage versetzt werden, der Bewährungsprobe eines Krieges standzuhalten. Gleichzeitig war es die Aufgabe seiner Diplomatie, sich für die Aufrechterhaltung des Friedens einzusetzen. Mit anderen Worten: Im Falle Italiens musste der Kaiser darüber wachen, dass die Bande seines Bündnisses mit den Mittelmächten nicht gekappt wurden. Eine Zielsetzung, die bewusst jede aggressive Initiative ausschloss, dafür aber von den österreichisch-ungarischen Verantwortlichen Vorsicht und Fingerspitzengefühl forderte. Diese Regel galt auch für den Balkan. Hier musste sich die Monarchie bemühen, einen mäßigenden Einfluss auszuüben. Es galt zu verhindern, dass die Verletzung von Interessen und ein Anfachen der Leidenschaften einen Aufruhr auslösten, in den früher oder später hineingezogen zu werden gefährlich war. Der Wunsch nach Frieden war auch eine Konsequenz der Lektionen, die Franz Joseph aus der Erfahrung gelernt hatte. War der Krieg schon für jeden Staat eine schreckliche Erschütterung, so kam im Falle der Habsburgermonarchie noch ein zusätzliches Risiko hinzu. Ihre Fragilität, die von internen Spannungen aufgedeckt wurde, verlangte, sich vor der Versuchung der Gewaltanwendung zu hüten. Aufgrund der zunehmen­den Verflechtung der Interessen der Staaten und der Teilung Europas in antagonistische Bündnissysteme würde ein Konflikt, in den Österreich-Ungarn verwickelt war, nicht lange örtlich begrenzt bleiben. Und wer konnte mit Sicherheit behaupten, die Monarchie würde einer solchen Erschütterung standhalten, wenn sich ein Krieg ausweitete? Franz Josephs Entscheidung fand ihre logische Folge in der Entlassung Conrads, der einige Tage nach dieser Audienz seines Postens enthoben wurde. Obwohl dieser natürlich keine andere Wahl hatte, als sich zu ­fügen, fand er sich damit nur schwer ab, hatte er doch keine andere Erklärung als die Unfähigkeit Franz Josephs, sich den Ereignissen gewachsen zu ­zeigen. In einem kurz danach an Walburga von Sonnleithner geschriebenen Brief warf Conrad dem Kaiser vor, dass es ihm an „Mut [mangele], der kommenden Gefahr in’s Auge zu blicken und ihr mit der Tat zuvorzukommen“. Er scheute sich auch nicht, eine Wiederholung der Politik anzuprangern, „welche uns von Magenta über Solferino nach Königgrätz geführt hat“185. 234

Verschärfung der Krisen

Das Problem, ausgelöst durch diese Differenzen, blieb allerdings bestehen. Die Politik des Sich-bedeckt-Haltens war nicht ohne Risiko. Sie konnte von den der Monarchie feindlich gesinnten Staaten als Zeichen der Schwäche interpretiert werden und diese zu Initiativen verleiten, wodurch die Situation auf dem Balkan destabilisiert werden könnte. All die Jahre hindurch sah sich die Monarchie einem Dilemma gegenüber: ihre Stärke zu zeigen, mit dem Risiko, einen Prozess auszulösen, der schließlich in einen Krieg münden würde, oder sich zur Vorsicht zu entschließen, mit der Gefahr, den Ereignissen ihren Lauf zu lassen und jenen Staaten freie Bahn zu verschaffen, die auf Erniedrigung oder sogar Zerstörung des Habsburgerreiches hinarbeiteten. Der Wille zum Frieden wurde schon bald auf die Probe gestellt. Eine erste ernsthafte Warnung war der italienisch-türkische Krieg. Sein Ausgang, die Niederlage der Türkei, musste zur Folge haben, dass die seit der Bosnien-Krise gezügelten Gelüste erneut aufkamen. Einige Balkanstaaten nutzten die Gelegenheit, die mazedonische Frage erneut aufs Tapet zu bringen, und versuchten in weiterer Folge, die Türkei aus Europa hinauszudrängen. Der italienisch-türkische Konflikt beschleunigte die Bildung einer gleichzeitig gegen Wien und Istanbul gerichteten Balkanfront. Serbien und Bulgarien gingen mit ihrem Beispiel voran, indem sie am 13. März 1912 ein Bündnis schlossen, dem kurz darauf Griechenland und Montenegro beitraten. In Artikel III des Vertrags verpflichteten sich Belgrad und Sofia, sich jeglichem Vorstoß einer Großmacht zu widersetzen, der darauf abzielte, sich einen Teil des osmanischen Gebietes anzueignen. Der Vertrag war unter der Schirm­herrschaft Russlands unterzeichnet worden, also ÖsterreichUngarn die einzige Großmacht in der Region, auf die sich diese Klausel beziehen konnte. Auch wenn sich die Vertragspartner nach außen hin dazu bekannten, den Status quo verteidigen zu wollen, lag in ihrer Absicht doch das genaue Gegenteil. Der Abschluss dieses Abkommens bereitete eine Aufteilung der Überreste des Osmanischen Reiches in Europa vor. Darüber hinaus schwebte der Schatten St. Petersburgs bzw. Russlands über diesem Vertrag.Vorausgegangen war ein Militärbündnis, mit dem Bulgarien wieder in den Bannkreis von St. Petersburg kam. Parallel dazu hatte Russland die Annäherung zwischen Belgrad und Sofia – gestern noch feindliche Brüder – angeregt, bevor es deren Bündnis unterstützte. Man erkennt, wie sehr 235

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sich das Kräfteverhältnis seit Ende der 1880er-Jahre umgekehrt hatte, als der Einfluss Österreich-Ungarns in dieser Region auf seinem Höhepunkt war. Innerhalb weniger Jahre war Russland wieder zur bestimmenden Kraft geworden. Österreich-Ungarn war praktisch isoliert, von seinem früheren System blieb nur das Bündnis mit Rumänien. In Bezug auf Bukarest gab es trotzdem Sorgen. Wenn der alte König Carol auch an seinem Bündnis festhielt, hatte es doch nur wenige Befürworter unter der Bevölkerung. Sie war infolge der von der ungarischen Führung in Siebenbürgen verfolgten Politik immer mehr gegen die Doppelmonarchie eingenommen. Zunächst nahmen die Ereignisse ihren Lauf, ohne dass Wien Einfluss nehmen konnte. Graf Berchtold, der im Februar 1912 auf den an Leukämie gestorbenen Aehrenthal folgte, sah sich bald der Bedrohung durch einen Krieg ausgesetzt. Nach der türkischen Niederlage schien die Gelegenheit nur allzu günstig für die Staaten des Balkanbundes. Berchtold konnte in Abstimmung mit Russland in den betroffenen Hauptstädten vorsprechen, um sie davon abzuhalten, den Kampf zu eröffnen. Diese schenkten dem Vorgehen allerdings wenig Aufmerksamkeit, wussten sie doch um die wahre Einstellung Russlands. Als im Oktober der Konflikt ausbrach, beschloss Berchtold, mit Rücken­ deckung durch Franz Joseph, nicht einzugreifen. Es gab genügend Argumente, diese Passivität zu rechtfertigen: Bevor man das Gewicht der Monarchie in die Waagschale werfe, gebiete es die Vernunft, abzuwarten, welche Wendung der Krieg nähme. Der Balkanbund würde den Sieg nicht überleben, sobald es zur Aufteilung der Siegesbeute käme, würde ein Streit unter den Siegern entfacht. Da sich die Monarchie zuvor zurückgehalten hatte, würde sie gestärkt die Rolle des Schiedsrichters übernehmen können, wie Graf Alexander Hoyos, der engste Mitarbeiter Berchtolds, Redlich gegenüber erklärte: „Öster­reich bleibt in der ‚Hinterhand‘ und wird sich rüsten, um im richtigen Augenblick das entscheidende Wort zu sprechen.“186 Die Ereignisse schienen den Prognosen Berchtolds zum Teil recht zu geben. Als nach der Niederlage der türkischen Armeen die neuen Grenzen festgelegt werden sollten, brach die alte serbisch-bulgarische Rivalität wieder auf. Das Aufeinanderprallen entgegengesetzter Interessen spitzte sich derart zu, dass die Kämpfe im Juni 1913 erneut aufflackerten, dies236

Verschärfung der Krisen

mal jedoch mit anderen Fronten. Serbien, Griechenland und Rumänien schlossen sich gegen Bulgarien zusammen, das auch von der Türkei in der Hoffnung auf die Rückeroberung eines Teils der verlorenen Gebiete angegriffen wurde. Die Argumentation Graf Berchtolds markierte dennoch einen Bruch. Die abwartende Haltung verdeckte auch, was sehr nach einem Rückzug der österreichisch-ungarischen Diplomatie aussah. Für die Monarchie bedeutete diese Entscheidung eine wesentliche Änderung ihrer Politik: Sie verzichtete darauf, den Status quo zu verteidigen, und fügte sich in eine Neugestaltung der Balkankarte. Nicht, dass Wien die Sprache der Entschlossenheit verlernt hätte. Die Aufrechterhaltung des Status quo war zwar nicht mehr das wichtigste Wort in seiner Politik, doch Wien war nicht bereit, alles zu akzeptieren. Österreich-Ungarn setzte sich vor allem die Schaffung eines albanischen Fürstentums zum Ziel. Es sollte sozusagen einen Damm bilden, um Serbien den Zugang zur Adria zu verwehren. Entschlossen, den Meereszugang zu verhindern, sah Wien darin einen casus belli. Die Serben mussten die leidvolle Erfahrung machen, dass dies keine leeren Worte waren. Als ihre Truppen im Oktober in Albanien eindrangen, gab Wien seine Zurückhaltung auf und forderte Belgrad zum unverzüglichen Abzug auf. Da Russland die Angelegenheit keinen europäischen Krieg wert war, hatte Serbien keine andere Wahl, als der Weisung Wiens Folge zu leisten. Die österreichisch-ungarische Diplomatie durfte sich beglückwünschen, Serbien zum Nachgeben bewogen zu haben. Der Erfolg konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bilanz dieser Jahre für die Monarchie überwiegend negativ war. Durch die Fixierung auf die albanische Frage hatte sie zugelassen, dass Serbien sich in andere Richtungen ausweitete. Am Ende der Balkankriege war Serbien nicht mehr der kleine Staat, den viele für eine vernachlässigbare Größe hielten. Ein Großserbien war geboren, das seine Siege in der Überzeugung von seiner Mission gestärkt hatte. Kein Zweifel: Sein Gewicht an der Südflanke der Monarchie wurde immer größer. Ganz allgemein hatte sich die Position der Monarchie auf dem Balkan so verschlechtert, dass es vernünftig schien, die Grundpfeiler zu überdenken, auf denen ihre Politik bislang geruht hatte. Wien müsste mit verstärkter Kampfeslust Serbiens rechnen, das es Österreich-Ungarn nicht verziehen 237

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hatte, seine Absichten durchkreuzt zu haben, und in ihm mehr denn je seinen Erzfeind sah. Als Berchtold den Vorschlag machte, Serbien könnte für seinen Handel einen der Häfen an der adriatischen Küste Österreichs benützen, interpretierte der serbische Ministerpräsident Pašić das sofort als den Wunsch Wiens, Serbien in seinen wirtschaftlichen Einflussbereich zu ziehen. War es nicht auch angebracht, sich im Lichte der Ereignisse von 1913 die Frage nach der Festigkeit des Bündnisses mit Rumänien zu stellen? Zweifellos, Rumänien hatte 1912 den Vertrag mit Österreich-Ungarn verlängert, doch sich nicht daran gehindert gefühlt, sich im zweiten Balkankonflikt Serbien anzuschließen. Wäre die Monarchie nicht besser beraten, die Politik auf dem Balkan auf einem Bündnis mit Bulgarien zu gründen? Der bulgarische König Ferdinand genoss beim Hof in Wien kein hohes Ansehen, doch die beiden Staaten verfolgten gemeinsame Interessen. Im Zweiten Balkankrieg hatte Bulgarien dem Angriff der vereinten Streitkräfte nicht standgehalten. Nach seiner Niederlage sah es sich gezwungen, den Siegern den größten Teil seiner Gebietsgewinne aus dem vorangegangenen Konflikt abzutreten, Verluste, zu denen noch der südliche Teil der Dobrudscha an Rumänien hinzukam. So teilten Österreich-Ungarn und Bulgarien das traurige Schicksal, die großen Verlierer der Balkankriege zu sein: Ersteres, weil es einen diplomatischen Rückschlag erlitten und eine Vergrößerung Serbiens zugelassen hatte, Zweiteres, weil es an der Verwirklichung seines territorialen Expansionsprogramms gehindert worden war. Ihr Scheitern und ihre Feindschaft gegenüber Serbien schufen die Voraussetzungen für ein Bündnis zwischen den beiden Staaten. Eine Sorge aber bremste Wien vor zu großen Schritten in diese Richtung: Eine zu offenkundige Annäherung an Sofia könnte Rumänien endgültig in die Arme Russlands und der Entente treiben. Anfang 1914 schwankte die österreichisch-ungarische Diplomatie zwischen widersprüchlichen Optionen, wollte man doch die Verbindung mit Sofia stärken, ohne mit Bukarest zu brechen. Dieses Zögern war nur ein Spiegelbild der wachsenden Ratlosigkeit angesichts der Gegebenheiten auf dem Balkan. Sie gewannen immer mehr an Komplexität, da sich die Ambitionen der regionalen Akteure und die Interessen der Großmächte dort immer stärker kreuzten. Auch wenn das Risiko einer großen Krise bislang 238

Ein Friedensapostel

vermieden werden konnte, waren doch alle Zutaten vorhanden. Die Doppelmonarchie steckte in einem Pulverfass, das schon ein Funke zur Explosion zu bringen drohte.

EIN FRIEDENSAPOSTEL Während des Ersten Weltkriegs kam in den Reihen der Entente eine „schwarze Legende“ auf, die nach dem Zerfall der Monarchie, vor allem in den Nachfolgestaaten, weite Verbreitung fand. Demnach soll Franz Ferdinand ein Kriegstreiber gewesen sein, was auch nachvollziehbar ist. Ein Mann, dessen Ermordung am Beginn des Umsturzes stand, musste wohl ein Kriegshetzer sein. Beweis dafür sei sein Treffen mit Wilhelm II. Mitte Juni 1914 in Konopischt, bei dem die beiden Prinzen einen teuflischen Anschlag auf den europäischen Frieden ausgeheckt hätten. Daran ist jedoch nichts wahr, das Gerücht scheint vielmehr konstruiert worden zu sein. Franz Ferdinand war sicherlich niemand, den man schon damals und mehr noch nach dem Krieg als Pazifisten bezeichnen konnte. Er war alles andere als ein Schüler von Bertha von Suttner. Doch wenn die Monarchie in Konflikte verwickelt war, sprach er sich immer gegen ein militärisches Vorgehen aus oder bekämpfte ein solches sogar vehement. Einiges schien jedoch für diese These zu sprechen. Sein oft ungehobeltes Benehmen mochte den Eindruck erwecken, er sei sowohl außen- als auch innenpolitisch ein Anhänger radikaler Lösungen. Sein Gehabe schien den Verdacht des Militarismus zu rechtfertigen. In der Haltung, die Franz Ferdinand bei den großen diplomatischen Fragen jener Jahre einnahm, deutete jedoch nichts darauf hin. In jeder einzelnen vertrat er entschlossen die Partei des Friedens, wobei dies keineswegs philosophisch begründet war. Es resultierte vielmehr aus einer grundsätzlichen Überlegung zur Lage der Monarchie, die es ihm, so seine Schlussfolgerung, untersagte, die Initiative für einen Krieg zu ergreifen. Das Engagement für den Frieden stellte den Thronfolger also in eine Linie mit dem Kaiser. Es gab so wenige Übereinstimmungen zwischen den beiden Männern, dass diese – wo es noch dazu um so viel ging – hervorgehoben werden muss. Dennoch ging es auch in diesem Bereich der ­Diplomatie um Themen, bei denen sie unterschiedliche Ansichten vertraten. 239

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So attackierte Franz Ferdinand Aehrenthal ohne Unterlass, während Franz Joseph ihm trotz dieser ständigen Angriffe unerschütterlich sein Vertrauen schenkte. Franz Ferdinand warf Aehrenthal zunächst vor, die Beziehungen zu Russland durch die Annexion Bosnien-Herzegowinas erheblich kompromittiert zu haben, für ihn ein schwerwiegender Kritikpunkt angesichts der Bedeutung, die er in seiner Vision von Europa einem engen Einverständnis zwischen den beiden Monarchien beimaß. Allem Anschein nach war Franz Ferdinand von der Angst vor einem Krieg besessen, in dem die beiden Staaten einander gegenüberstehen könnten, dem schlimmsten aller Szenarien, das für beide Seiten fatale Folgen zu haben drohte: „Ich werde nie einen Krieg gegen Rußland führen“, vertraute er Spitzmüller an. „Ich werde Opfer bringen, um ihn zu vermeiden. Ein Krieg zwischen Österreich und Rußland würde entweder mit dem Sturze der Romanows oder mit dem Sturze der Habsburger – vielleicht von den beiden – enden.“187 Der Wunsch, die österreichisch-russischen Beziehungen zu klären, zielte auf das französisch-russische Bündnis ab. Für Franz Ferdinand gab es keinen Zweifel: ein unnatürliches Bündnis. Was hatten denn Russland, die Mutter der Autokratie, und die französische Republik,Tochter der Revolution und von den Freimaurern beherrscht, tatsächlich gemeinsam? „Durch sein Bündnis mit den französischen Freimaurern zerbricht Nikolaus selbst sein eigenes Standbild“188, so sah er voraus. Franz Ferdinand hielt dieses Bündnis auch für überaus fragil. Aufgerieben durch unüber­ windbare Gegensätze, konnte es nicht lange halten. Ein Grund mehr, jedes ungeschickte Vorgehen zu vermeiden, das nichts anderes bewirken würde, als es künstlich zu verlängern. In diesem Punkt zeigte Franz Ferdinands Scharf­blick eine Schwachstelle. Noch ganz der Logik der ehemaligen Heiligen Allianz verhaftet, überschätzte er in seiner Analyse das Gewicht des ideologischen Faktors als Grundlage für Bündnisse zwischen Staaten. Das zaristische Russ­land und das republikanische Frankreich waren ihr Bündnis 1892/93 in voller Kenntnis ihrer unterschiedlichen politischen Systeme eingegangen. Seit damals widerstand Russland allen Versuchungen, vor allem seitens des Deutschen Reiches, sich von Frankreich zu lösen. St. Petersburg stellte das Bündnis mit Frankreich auch nicht infrage, nachdem die französische Regierung 1909 wissen ließ, dass die Bosnien-Krise für Frankreich kein casus belli sei. 240

Ein Friedensapostel

Franz Ferdinand ging noch einen Schritt weiter, wenn er hinter dem französisch-russischen Bündnis eine groß angelegte Verschwörung sah, deren Fäden von den französischen Freimauern gezogen wurden. Sie hätten eine teuflische Waffe konzipiert, um den Sturz beider Monarchien herbeizuführen: „Der Krieg gegen Rußland muss vermieden werden“, erklärte er Conrad, „weil er von Frankreich geschürt wird, und zwar von den französischen Freimaurern und Antimonarchisten, die einen Umsturz herbeiführen wollen, wodurch die Monarchien vom Throne gestoßen werden sollen.“189 Hier ging es nicht nur um eine vereinfachende Interpretation der Realität, sondern um ein simples Trugbild. Man muss keine dunklen Machenschaften vermuten, um die Entscheidung von Paris zu erklären. Frankreich suchte eine Annäherung an Russland und schloss sich diesem schließlich mit dem alleinigen Ziel an, seine Sicherheit gegenüber Deutschland – damals seine oberste Priorität – zu gewährleisten. Diese Sicherheit war nicht gewährleistet, solange Deutschland nicht aus der Isolation ausbrach, in die es die Bismarck’sche Diplomatie seit der Katastrophe von 1871 hinein­ manövriert hatte. Ein weiteres Angriffsziel für Franz Ferdinand war die Politik Aehrenthals gegenüber Italien. Nicht weiter überraschend, empfand er sie als zu nachgiebig. Einen Beweis dafür sah er unter anderem in der wohlwollenden Haltung des Ministers zu dem Plan, in Triest eine italienische Universität zu errichten. Es versteht sich von selbst, dass Franz Ferdinand dies ebenso kategorisch ablehnte, wie er nichts von der Errichtung einer Universität in Innsbruck wissen wollte. Seine Reaktion war typisch für seine Neigung, Themen zu vermischen, die nichts miteinander zu tun hatten. Im Klartext schwebte hinter Aehrenthal der Schatten der Magyaren. Da sie nicht aufhörten, die Monarchie zu schwächen, sah er in ihnen die natürlichen Verbündeten der Italiener, die das gleiche Ziel verfolgten: „Ich bin entsetzt. Echt Aehrenthal, Minister des Äußern“, so tobte Franz Ferdinand „[…] Es ist unerhört, was Ae treibt, um Italien und Ungarn gefällig zu sein. Diese Universität darf absolut nicht in Triest errichtet werden […] Diese feige Politik Aehrenthals ist schon scheußlich, aber sehr begreiflich, wenn man weiß, wie ja Ungarn in allen dortigen Ministerien kommandiert.“190 Seine Besessenheit machte Franz Ferdinand blind für ein grundlegendes Faktum: Österreich-Ungarn würde ein großes Risiko eingehen, wenn 241

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es sich für eine Politik des entschlossenen Widerstands gegenüber Italien entschied. Dies hieße, sich auf eine schwere Krise mit dem deutschen Verbündeten einzulassen, der sich im Gegensatz dazu für eine schonende Haltung entschieden hatte und Wien drängte, dieser Linie zu folgen. Noch ein letzter Grund untermauert die Ablehnung Franz Ferdinands gegenüber Aehrenthal, der ihm die Stirn bot, ohne es je an Respekt für den Thronfolger fehlen zu lassen. Als er in Konopischt empfangen wurde, mochte Franz Ferdinand gegen seine Italienpolitik wettern, so viel er wollte, diese Tirade, deren Argumente er im Übrigen schon alle kannte, beeindruckte Aehrenthal nicht. Er weigerte sich weiterhin, die Beziehungen der Monarchie zu Italien zu überdenken.Wie sollte Franz Ferdinand, der nichts mehr hasste, als wenn man sich ihm widersetzte, in dieser Hartnäckigkeit etwas anderes als ein Zeichen unentschuldbarer Unverschämtheit sehen? Aus diesen Gründen unternahm Franz Ferdinand alles in seiner Macht Stehende, um die Entlassung dieses Ministers zu erreichen, den er schließlich ebenso schlechtmachte wie Beck, was viel hieß. Für Josef Redlich, den scharfsinnigen Beobachter der politischen Bühne in Österreich, war der Druck zu groß, um nicht schließlich zum Sieg zu führen: „Ich glaube, Aehrenthal wird sich nicht halten können“, schrieb er am 13. Jänner 1912 in sein Tagebuch. „Er kann auf die Dauer nicht die Geschäfte führen mit dem Thronfolger im Rücken als unbarmherziger Gegner.“191 Hier irrte Redlichs Scharfblick. Nur die Krankheit besiegte Aehrenthal, der am 18. Februar 1912 an den Folgen einer Leukämie starb, zu diesem Zeitpunkt aber immer noch seinen Posten als Minister auf dem Ballhausplatz innehatte. Bis zum Schluss hatte Franz Joseph ihm sein Vertrauen und seine Unterstützung geschenkt. Dem entsprach auch sein Schiedsspruch einige Monate zuvor gegen Conrad. Der Kaiser war kein Mann, der nach einem solchen Machtwort seine Meinung änderte. Die Entscheidung hatte aber noch eine andere Bedeutung. Sie machte mit aller Deutlichkeit klar, dass Franz Joseph immer noch die Kontrolle über die Diplomatie in Händen hielt. Auch wenn er im militärischen Bereich, in dem Franz Ferdinand sich bewährt hatte, die Kompetenzen des Thronfolgers vergrößert hatte, bestimmte er allein die Außenpolitik und gedachte auch nicht, sich diese Befugnis nehmen zu lassen. „Mein Minister des Äußeren führt Meine Politik“, hatte er Conrad erinnert. Franz Ferdinands Bemühungen waren zum Scheitern verurteilt. 242

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Zum Tod Aehrenthals schreibt Redlich in sein Tagebuch: „Er war vielleicht der letzte, der die großen Seiten des Altösterreichertums in sich verkörperte: den Glauben an die Dynastie, in der sich für ihn die höchste Lebensaufgabe darstellte.“

Nachdem er unterstrichen hatte, dass Aehrenthal „der treueste Diener seines Herrn“, gewesen war, bemerkte er abschließend: „Mit ihm ist der letzte bedeutende Mann gestorben, der Franz Josephs­ Epoche auszeichnet […] Er ist der Mann gewesen, der mir das alte Österreichertum in seiner vollen Lebenskraft besser repräsentirt hat, als irgendeiner der anderen Männer der franzisko-josephinischen Zeit.“192

Als Christ war es Franz Ferdinand untersagt, Aehrenthal den Tod zu wünschen, doch diese leidenschaftliche Lobeshymne hätte er nie unterschrieben. Es dauerte im Übrigen nicht lange, bis er seine Angriffe auf den Verstorbenen wieder aufnahm. In einem Brief an dessen Nachfolger bezeichnet er Aehrenthal in Bezug auf seine Politik als „Löcherstopfer et après moi le déluge [Anm.: im Orig. Französisch]“193. Sein Tod schien ihm günstige Perspektiven zu eröffnen. Schon in der Ernennung des neuen Außenministers sah er ein ermutigendes Zeichen. Obwohl Graf Berchtold sich als Schüler Aehrenthals gab, dem er auf dem Posten in St. Petersburg nachgefolgt war, unterschied er sich in seiner Persön­lichkeit doch sehr von ihm. Nach der unnahbaren Strenge im Umgang, an die Aehrenthal die Kanzleien gewöhnt hatte, zeigte Berchtold eine Umgänglichkeit, die nicht nur von Gewandtheit diktiert war. Auch wenn er loyal hinter Aehrenthals Russland-Politik gestanden war, betrachtete er sie doch mit einer gewissen Reserviertheit. Das konnte eine ­Voraussetzung für eine Verständigung mit Franz Ferdinand sein. Berchtold empfand es als notwendig, eine möglichst entspannte Beziehung mit dem Thronfolger zu unterhalten. Vielleicht rührte daher sein Bemühen um ­einen respektvollen Umgang. Und er war nicht der Einzige, der überzeugt war, dass ein gutes Funktionieren des monarchischen Systems das Bemühen um diese Beziehung erforderte, umso mehr, als der entscheidende Tag immer näher rückte.

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Franz Ferdinand war natürlich empfänglich für diese Zuvorkommenheit, die sich so sehr von den Umgangsformen seines Vorgängers unterschied. Er war Berchtold dankbar, dass er ihm zuhörte: „Exzellenz sind der Erste der dies tut und ich glaube es ist nicht zum Schaden der Monarchie, sondern schlägt eher in das Gegenteil um.“194 Er rechnete also auch damit, die Offenheit zu nutzen, um die Außenpolitik der Monarchie zu beeinflussen. Aber dieses Kalkül stieß einmal mehr an seine Grenzen. Nicht nur, weil Berchtold trotz aller Zuvorkommenheit Anschauungen hatte, die sich nicht immer mit jenen des Erzherzogs deckten, er wusste wie seine Vorgänger – so wünschenswert eine gute Beziehung zu Franz Ferdinand auch war –, dass er vor allem der Minister des Kaisers war, und er gedachte sein Verhalten an dieser Priorität auszurichten. Jedenfalls standen die beiden Männer in regelmäßiger Korrespondenz, die natürlich sehr wertvoll ist, wenn man sich mit Franz Ferdinand in der Zeit von 1912 bis 1914 auseinandersetzt. Als die Staaten des Balkanbunds kurz vor einem Angriff auf die Türkei standen, trat Franz Ferdinand für eine vorsichtige Politik ein. Die Monarchie, so riet er Berchtold, müsse darauf achten, sich nicht in einen Krieg hineinziehen zu lassen: „Sollen sich diese Kerle die Schädel einhauen; wir schauen in der Loge zu; nur die Albaneser soll man in der Hand behalten und ja nicht den italien. Einfluß groß werden lassen.“195

Diese Reaktion bestätigte seine Zustimmung zu der vom Ballhausplatz verfolgten Politik des Abwartens vor Kriegsausbruch. Sie unterstrich aber auch die Bedeutung, die Franz Ferdinand der albanischen Frage beimaß. Die österreichisch-ungarische Diplomatie war darauf bedacht, Serbien daran zu hindern, sich das noch unter osmanischer Oberhoheit stehende Gebiet einzuverleiben und sich so einen Zugang zur Adria zu verschaffen. Aber die Angelegenheit hatte noch eine andere Seite: Auch Italien war an Albanien interessiert, das gegenüber seiner Küste lag. Offenkundig war es dieser Aspekt – die österreichisch-italienische Rivalität um die Kontrolle der Adria –, den Franz Ferdinand gerne in den Vordergrund rückte. Der Krieg nahm tatsächlich einen unerwarteten Verlauf. Man hatte in Wien wie in den meisten europäischen Hauptstädten mit einer langen kriegerischen Auseinandersetzung gerechnet. Nun war das Gegenteil der 244

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Fall, in weniger als einem Monat schien alles gelaufen. Die Türken, die an mehreren Fronten angegriffen wurden, zogen sich überall zurück. Der rasche Sieg nährte die Begehrlichkeiten. Mit dem Zusammenbruch des Widerstands der osmanischen Armeen drangen Serben und Montenegriner nach Albanien vor. Erstere nahmen am 11. November Durazzo ein, während Zweitere auf Scutari marschierten. Damit wurde die von Wien in dieser Region gezogene rote Linie überschritten, also erhob sich für die österreichisch-ungarische Diplomatie die Frage, ob nicht der Augenblick für ein militärisches Eingreifen gekommen war. Schon kurz vor Ausbruch der Kampfhandlungen hatten die militärischen Verantwortlichen auf nachdrückliche Entschiedenheit gegenüber Serbien gepocht, sollte dieses die Generalmobilmachung verkünden. In den letzten Septembertagen übermittelte der neue Generalstabschef General Schemua Franz Joseph einen Bericht in diesem Sinne. Er empfahl darin, die in Bosnien und Dalmatien stationierten österreichisch-ungarischen Truppen in Bereitschaft zu versetzen und – um dieser Maßnahme die nötige Glaubwürdigkeit zu verleihen – durch zusätzliche Truppen zu verstärken.Von Franz Joseph um seine Meinung zu diesem Ansuchen befragt, trat Berchtold dafür ein, dem nicht Folge zu leisten. Sich hier zu engagieren, so meinte er, würde die Monarchie unausweichlich in die Position des Aggressors bringen und auf der europäischen Bühne isolieren. Selbst Deutschland würde seinem österreichisch-ungarischen Verbündeten auf diesem gefähr­lichen Weg nicht folgen. Sein Treffen mit Reichskanzler Bethmann-Hollweg in den ersten Septembertagen in Buchlau hatte Berchtold davon überzeugt. Nachdem sich Franz Joseph erneut der Meinung seines Außenministers angeschlossen hatte, glaubte man die Sache erledigt. Sollten die serbischen Siege diese wohlbegründete Vorsicht Lügen strafen? Bestärkt durch den Lauf der Ereignisse, bohrten die Militärs weiter. Nur schien Franz Ferdinand diesmal zu schwanken. Mitte November nützte er einen Besuch bei Wilhelm II. und die gleichzeitige Anwesenheit des General­stabschefs in Berlin, um den deutschen Verbündeten auf den Ernst der Lage hinzuweisen. In den vorhergehenden Tagen waren die Bezie­hungen zwischen Wien und St. Petersburg in eine gefährliche Abwärtsspirale eingetreten. Russland unterstützte die Forderung Serbiens nach einem Adria­hafen und verweigerte gleichzeitig die Befürwortung eines un245

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abhängigen Albanien. Auf beiden Seiten der Grenze begannen die beiden Monarchien,Truppen zusammenzuziehen, während Österreich-Ungarn im Süden seine Militärpräsenz gegen Serbien verstärkte. Anfang Dezember ließen die Spannungen aufgrund einer Reihe von Ereignissen etwas nach: Ein Waffenstillstand beendete die militärischen Auseinander­setzungen, und in der Folge sollte eine Botschafterkonferenz in London zusammentreten, um eine politische Lösung der Krise zu finden. Als Zeichen seines guten Willens zog Russland seine Unterstützung Serbiens für einen Adriazugang zurück und überdachte seine Position zu Albanien. Die Entspannung konnte die Militärs aber nicht davon abbringen, auf eine bewaffnete Lösung zu drängen. Wie immer oblag die Entscheidung Franz Joseph, nachdem er am 11. Dezember mehrere zivile und militärische Verant­wortliche in Schönbrunn empfangen hatte. Franz Ferdinand hatte Berchtold am Morgen im Belvedere wissen lassen, dass er nun für ein militärisches Vorgehen gegen Serbien sei, da das Risiko einer russischen Intervention abgewendet schien. Zweifellos war er seit der jüngsten Begegnung mit Wilhelm II. auch sicher, Deutschland würde seinen Verbündeten im Falle eines russischen Angriffs unterstützen, weshalb Russland angesichts dieser Bedrohung wohl davon Abstand nähme, sich also das Szenario von 1909 wiederholen könnte. In seinen Erinnerungen beschrieb Berchtold die Haltung seines Gastgebers: „Der Thronfolger war durch die vielfachen Provokationen, die sich Serbien und Montenegro der Monarchie gegenüber zu Schulden kommen ließen, von seiner früheren ganz auf den Frieden gerichteten Orientierung abgelenkt worden und immer mehr in eine Stimmung verletzten Ansehens, stolzen Selbstgefühls und erkannter Gefahr geraten, die keine widersprechende Auffassung dulden, verstehen oder gar hinnehmen wollte.“196

Verstärkung erhielt das Lager der Kriegsbefürworter mit der Rückkehr Conrads, der vier Tage zuvor zum Generalstabschef ernannt worden war. Franz Ferdinand war es gelungen, seinen Onkel zu überzeugen, dass die Monarchie angesichts der schwerwiegenden Bedrohungen weder auf Conrads Geschick noch seine Energie verzichten konnte. Obwohl der Druck daraufhin zunahm, konnten die Kriegsbefürworter ihr Ziel nicht erreichen. 246

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Bei ihrem Treffen am Nachmittag sprachen sich die Minister, allen voran Berchtold, gegen die militärische Option aus, womit Franz Ferdinand isoliert war. Danach entschied sich Franz Joseph wie gewöhnlich für den Frieden. Diese Episode war letztlich nur ein Zwischenspiel. Hatte der Schiedsspruch Franz Josephs Franz Ferdinand zunächst verbittert, so vertrat er bald wieder die gewohnte Position und sollte davon nicht mehr abweichen. In Hinkunft wiederholte er mit schöner Regelmäßigkeit seine Ablehnung jeglichen Krieges gegen Serbien, eine Position, in der er sich mit Franz Joseph einig war: „Führen wir einen Spezialkrieg mit Serbien“, schrieb er Berchtold, „so werden wir es in kürzester Zeit über den Haufen rennen, aber was dann, und was haben wir davon? Erstens fällt ganz Europa über uns her und betrachtet uns als Friedensstörer.“197 Aus der Bemerkung geht hervor, dass Franz Ferdinand mit dem Widerstand nicht nur der Mächte der Entente, sondern auch Deutschlands gegenüber einer politischen Offensive der Doppelmonarchie auf dem Balkan rechnete. Und von einer Annexion Serbiens wollte er erst recht nichts hören, sah er dieses doch als „ein total verschuldetes Land gepfropft mit Königsmördern und Spitzbuben“198. Wie konnte man überhaupt daran denken, war es doch noch nicht einmal gelungen, Bosnien-Herzegowina nachhaltig in die Monarchie einzubinden? Dies würde zweifellos eine schwere finanzielle Krise auslösen. Mit einer solchen Annexion würde Österreich-Ungarn unausweichlich eine irredentistische Bewegung erben, die – wie ein Krebsgeschwür – alle Südslawen der Monarchie zu vereinnahmen drohte, mit dem Risiko, dass diese sich schließlich jeder Kontrolle entzögen. Angesichts der Entwicklung der Ereignisse (Ende des Kriegs, erneute Kampf­handlungen, diesmal mit umgekehrten Fronten, Niederlage Bulgariens) entwarf Franz Ferdinand eine Strategie, die hinsichtlich des Machtzuwachses Serbiens die Interessen der Monarchie seiner Meinung nach am besten wahrte. Nachdem er sich immer als vehementer Befürworter des Bündnisses mit Rumänien gezeigt hatte, machte er aus dieser Einstellung heraus Rumänien zum Stütz­pfeiler jenes diplomatischen Systems, um dessen Aufbau sich Wien im südeuropäischen Raum bemühen musste, um die Absichten Serbiens zu durchkreuzen. Seine Denkweise veranlasste 247

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ihn zu einer Beurteilung der Staaten, je nachdem, wie er deren Herrscher einschätzte. Zugunsten Rumäniens sprach zunächst, dass König Carol „ein Ehrenmann und eine Leuchte unter den Herrschern“199 war. Noch ein weiteres Argument sollte Wien davon über­zeugen, Rumänien die Stellung eines bevorzugten Partners in der Region zuzuerkennen. In einem überwiegend von Slawen beherrschten Gebiet bot es den Vorteil, innerhalb seiner Landesgrenzen keine oder zumindest so wenige Slawen zu beherbergen, dass es offenkundig nicht anfällig für den Sirenen­gesang des Panslawismus war. Serbien konnte sich also nicht auf diesen entscheidenden Spielstein stützen und ihn in seine Absichten einbeziehen. Das gleiche Argument galt für Griechenland, das Franz Ferdinand in das diplomatische System einbinden wollte, um Serbien einzukreisen. Wie bei Rumänien maß er der Persönlichkeit des Königs entscheidende Bedeutung bei. Für ihn sprachen seine Verbindungen zu Deutschland durch die Ehe mit einer Tochter Wilhelms II. Franz Ferdinand hatte zwar Bedenken gegenüber dem griechischen Volk, das er unumwunden als „feige“ bezeichnete, doch wurden diese durch die Eigenschaften Constantins aufgehoben, „ein anständiger Herr, der ganz deutsch denkt und wie ein deutscher General erzogen wurde“200. Dass Griechenland im Besitz einer Flotte war, machte ein Bündnis umso interessanter. Wenn Österreich-Ungarn Griechenland dabei unterstützte, stärker zu werden, könnte es sich als wertvolle Hilfe gegen Russland erweisen und mehr vielleicht noch gegen Italien, das der Erzherzog nie aus den Augen verlor. Zunächst musste Griechenland von einem Bündnis mit Wien überzeugt werden. Für diese Problematik hatte Franz Ferdinand eine einfache Antwort: „Man gebe dem König von Griechenland noch einige Quadratmeter Albanien und ein paar Inseln.“201 Ganz anders der Ton Franz Ferdinands über König Ferdinand von Bulgarien. Ihm warf er, kurz gesagt, alle Fehler, wenn nicht alle Verbrechen vor. Wie konnte man einem Land vertrauen, dessen Herrscher, man glaubt es kaum, seine erste Gemahlin ermordete? In der Folge wurde es nicht besser, da er „die 2te wie ein Abwaschweib behandelt, die Religion wie einen Handschuh wechselt und immer nur lügt und betrügt“202. Mit einem Wort: Dieser König „ist und bleibt ein falsches Mistvieh“203. Franz Ferdinand zog daraus den Schluss, dass man auf eine solche Persönlichkeit nicht bauen konnte, deren Politik im Übrigen ein ständiger Balanceakt zwischen Wien 248

Ein Friedensapostel

und St. Petersburg war. „So ist er“, schlussfolgerte er, „kein Bundesgenosse für einen altwürdigen Staat.“204 Berchtold nahm die Empfehlungen des Thronfolgers zwar zur Kenntnis, doch wäre es zu viel gesagt, dass er sich daran hielt. Er konnte die durch den Zweiten Balkankrieg im südeuropäischen Raum geschaffenen Tatsachen nicht ignorieren. Nach der Niederlage Bulgariens waren Wien und Sofia in ihrer Feindseligkeit gegenüber Serbien einig. Nun war die Zeit gekommen, die Antipathie gegenüber König Ferdinand zu überwinden, die im Übrigen nicht allein der Thronfolger empfand. Ohne die Abneigung mit so harten, manchmal groben Worten zum Ausdruck zu bringen, war auch Franz Josephs Einstellung dem König gegenüber nicht viel besser. Die gemeinsamen Interessen geboten den beiden Hauptstädten eine Annäherung, doch die Angelegenheit schien nicht einfach zu werden. Berchtold wollte das rumänische Bündnis nicht zugunsten eines Bündnisses mit Bulgarien aufgeben, obwohl das Eintreten Bukarests im Zweiten Balkankrieg aufseiten Serbiens ganz klar aufzeigte, das dort der Doppelmonarchie feindlich gesinnte Kräfte am Werk waren. Forcierte man die Annäherung an Bulgarien zu sehr, lief man Gefahr, Rumänien in die Arme der Entente zu treiben. Nachdem Franz Ferdinand lange Zeit hindurch gegen Bulgarien und seinen König gewettert hatte, musste auch er sich im Lichte der jüngsten Ereignisse die Notwendigkeit eingestehen, auf eine Verbesserung der Beziehungen zu Sofia hinzuarbeiten. Er äußerte sogar den Wunsch, Bulgarien solle in ein Bündnis mit Österreich-Ungarn und Rumänien eintreten, auch wenn die alten Vorurteile nicht vergessen waren. Bulgarien lag darnieder, also bedurfte es keiner Samthandschuhe im Umgang. Man sollte es zwingen, sein traditionelles Wechselspiel aufzugeben. Dafür gab es kein besseres Mittel, als Bulgarien in einem Bündnis festzunageln, in dem ihm Hände und Füße gebunden wären: „Nur möchte ich“, führte er aus, „nach meiner Meinung, den für uns so günstigen Moment benützen, wo Bulgarien total darniederliegt, um es jetzt nicht nur moralisch sondern effektiv zu zwingen mit dieser infamen Schaukelpolitik zu brechen und es zwingen mit dem Dreibund resp. mit uns und Rumänien in ein fixes Bündnis, in eine auf lange Zeit vertragsmäßig festgelegte Allianz zu treten.“205 Allerdings war dies ein mehr als unwahrscheinliches Szenario. Tat­ sächlich schien es mehr als zweifelhaft, dass Bulgarien und Rumänien in 249

„Wir schauen in der Loge zu“

einem Bündnis vereint werden könnten, so schwer wogen die Streitigkeiten zwischen den beiden. Für Franz Ferdinand blieb Rumänien bis zum Schluss der privilegierte Partner. In demselben Brief, in dem er seine Einstellung gegenüber Bulgarien ab­schwächte, wiederholte er nachdrücklich, Rumänien und Griechenland seien die beiden Säulen, auf die sich die Monarchie in Südosteuropa stützen sollte. Nicht, dass er nicht anerkannt hätte, dass der Zweite Balkankrieg auch bei Bukarest Spuren hinterlassen hatte. Berchtold wurde 1912 gedrängt, eine Reise nach Rumänien zu nützen, um seine Gesprächspartner für eine Erweite­rung des Bündnisses um ein militärisches Abkommen zu gewinnen, doch nun räumte Franz Ferdinand ein, dieses Ziel sei nicht mehr aktuell. Durch sein Eintreten in den Krieg aufseiten Serbiens hatte Rumänien einen Schritt in Richtung der Entente gemacht. Bislang hatte es sich aus Feindseligkeit gegenüber Russland auf die Seite der Monarchie gestellt, jetzt schien es nicht mehr unempfänglich für die Versuchungen seitens Russlands. Hatte nicht der Zar – bis vor Kurzem undenkbar – Rumänien im Juni 1914 einen offiziellen Besuch abgestattet? Somit standen den Rumänen zwei Optionen offen, doch während Franz Ferdinand kaum Worte fand, die hart genug waren, um Bulgariens Wechselspiel anzuprangern, räumte er ein, dass der von den Rumänen versuchte Balanceakt nur allzu verständlich sei: „Die Rumänen sind Realpolitiker, sie wollen 2 Eisen im Feuer halten und spitzen ob ihnen in ferner Zukunft Bessarabien oder Siebenbürgen zufällt.“206

Noch war nichts Unwiderrufliches geschehen. Noch bedurfte es des Verhand­lungsgeschicks in einer schwierigen Situation. Die Ungeschicklichkeit war zu vermeiden, Rumänien zu drängen, sich jetzt für ein Lager zu entscheiden; dieses Drängen könnte sich als kontraproduktiv erweisen. Damit distanzierte sich Franz Ferdinand von Czernin, der – seitdem er den Posten in Bukarest innegehabt hatte – eine Verschärfung des Tons empfahl. Er freute sich, dass Berchtold, der diesen Aufforderungen kein Gehör schenkte, bemüht war, die Zukunft nicht durch ungeschickte Initiativen zu kompromittieren:

250

Conrad

„Nur um Gottes Willen jetzt nicht weiter bohren und die guten Leute noch stutziger und hinterhändiger zu machen. Solange die Verhältnisse so stehen und nicht ein vollständiger Wandel in politicis eintritt, werden die Rumänen nicht Farbe bekennen und uns nicht mehr entgegenkommen.“207

Die Anspielung ist klar. Die Thronbesteigung Franz Ferdinands würde einen radikalen Wandel mit sich bringen. Die Gleichschaltung Ungarns würde es ihm erlauben, sich um die Frage der Rumänen in Siebenbürgen zu kümmern, da sie die Beziehungen mit dem Königreich belastete. Sobald die rumänische Führung sehen würde, dass der neue Kaiser seinen guten Willen in die Tat umsetzt, würde das derzeitige Dilemma zweifellos zugunsten der Monarchie gelöst werden. Bis zu diesem letzten Brief an Berchtold unterstrich Franz Ferdinand die enge Beziehung zwischen den inneren und äußeren Fronten, eine Verbindung, die einmal mehr die Bedeutung der ungarischen Frage hervorhob. Andererseits bewies er sich bis zum Schluss als Befürworter des Friedens, ohne das Risiko eines Krieges ganz auszuschließen – wer hätte dies schon können? In seiner Einstellung lag nicht ein Funken Ideologie. Auch wenn die Monarchie sich natürlich darauf vorbereiten musste, jeder Aggression standzuhalten, deren Opfer sie werden sollte, musste sie sich andererseits jegliche offensive Politik untersagen, die sie der Gefahr eines bewaffneten Konflikts aussetzen könnte. Wie Franz Joseph befürchtete auch Franz Ferdinand, dass die Monarchie als Ganzes zu fragil sei, um den Prüfungen eines Krieges die Stirn bieten zu können. Deshalb musste Reformen im Inneren Priorität eingeräumt werden. Waren diese einmal abgeschlossen, wäre es der Monarchie wieder möglich, eine ambitioniertere Außenpolitik zu verfolgen. In der Zwischenzeit war es entscheidend, den Versuchungen eines Präventivkrieges nicht nachzugeben, wobei Franz Ferdinand mit dieser Forderung eindeutig im Widerspruch zu Conrad stand.

CONRAD Conrad verdankte seine Ernennung zum Generalstabschef der Armee zu einem guten Teil der Intervention Franz Ferdinands. Ohne dessen Unterstützung wäre die Wahl Franz Josephs wohl kaum auf ihn gefallen. Der 251

„Wir schauen in der Loge zu“

Erzherzog erwartete von Conrad eine Reform des Militärapparates, der unter seinem Vorgänger nach und nach immer mehr verkrustet war. Franz Ferdinand scheint Conrad indes nicht mit Zähnen und Klauen verteidigt zu haben, als dieser im November 1911 aus seinem Amt abberufen wurde. Die Entlassung Conrads war gleichzeitig Glied und Ende in den Verkettungen einer Krise, die zwei Monate zuvor mit dem Abschied von Kriegsminister General Freiherr von Schönaich begann. Dieser war schon lange die Zielscheibe gemeinsamer Angriffe von Franz Ferdinand und Conrad, die ihm vorwarfen, den Ungarn gegenüber zu konziliant zu sein. Die Diskussion drehte sich um die immer wiederkehrende Frage der Konzessionen, die den Ungarn in der k. u. k. Armee eventuell zu gewähren seien. Zunächst 1903 und dann 1906 ins Auge gefasst, waren sie immer noch nicht in Kraft. Aber damit nicht genug.Von der Lösung dieser Frage hing die Zustimmung Budapests zur Anhebung des alljährlich in Österreich und Ungarn ausgehobenen Kontingents ab. Nach dem Prinzip, eine mittelmäßige Einigung sei besser als gar keine, wäre Schönaich zu einer Geste gegenüber Ungarn bereit gewesen, was Franz Ferdinand und Conrad im Namen der Einheit der gemeinsamen Armee kategorisch ablehnten. Ständig den Störmanövern der beiden hochgestellten Persönlichkeiten ausgesetzt, die für seine Absetzung eintraten, konnte sich Schönaich nur aufgrund des Vertrauens von Franz Joseph halten. Nachdem der Kaiser lange Widerstand geleistet hatte, gab er schließlich nach und stimmte dem Vorschlag seines Neffen für die Neubesetzung des Kriegsministeriums zu. Als Nachfolger hatte Franz Ferdinand General Ritter Moritz von Auffenberg vorgeschlagen, damals Kommandant des XV. Armeekorps in Sarajewo. Wenn man Bardolff Glauben schenken darf, schloss er sich damit dem Urteil Broschs an, der enge Beziehungen zu Auffenberg unterhielt. Welche Rolle der für Franz Ferdinands Militärkanzlei Zuständige auch immer gespielt haben mag, eines darf man nicht vergessen: Der neue Minister hatte 1904, während der Krise mit Budapest, den Plan für einen Einmarsch in Ungarn entworfen und auch dem Thronfolger vorgelegt, der ihn aufmerksam verfolgte. Ganz zu schweigen von den verschiedenen Berichten, die ihm Auffenberg in den letzten Monaten zukommen ließ. Die Entlassung Schönaichs war nur der erste Akt in diesem zweiaktigen Schauspiel. Nachdem Franz Joseph den Kandidaten seines Neffen für den Posten des Kriegsministers berück252

Conrad

sichtigt hatte, meinte er, freiere Hand bei der Abberufung von Conrad zu haben, der immer wieder die Politik seines Außenministers infrage stellte. Tatsächlich unternahm Franz Ferdinand nichts zu dessen Verteidigung.Vielleicht hielt ihn eine richtige Einschätzung des Machtverhältnisses davon ab, weitere Zugeständnisse zu suchen. Das ist aber nicht der einzige Schlüssel zu seinem Verhalten, es spielten wohl auch andere Gründe eine Rolle. Die Beziehung zwischen Franz Ferdinand und Conrad war allmählich abgekühlt. Zunächst verurteilte der Thronfolger das ausschweifende Privatleben des Generalstabschefs aufs Äußerste. Mit über 50 Jahren hegte Conrad eine glühende Leidenschaft für eine verheiratete Frau, Gina von Reininghaus, mit der er sich sehr zur Empörung des erzkatholischen Franz Ferdinand brüstete. Noch schwerer wog, dass die beiden Männer in der sehr sensiblen Frage von Krieg oder Frieden uneinig waren. Franz Ferdinand hielt die kriegstreiberischen Pläne Conrads, seine Machinationen, die Monarchie in einen Präventivkrieg sowohl gegen Italien als auch gegen Serbien hineinzuziehen, für unverantwortlich und ließ ihn das auch wissen. Man erinnere sich, dass Franz Ferdinand sich schon 1908 bemühte, den kriegstreiberischen Eifer Conrads zu bremsen, der damals Verfechter eines Präventivkriegs gegen Serbien war. „Bitte bändigen Sie mir Conrad. Er soll diese Kriegshetze aufgeben“208, hatte er Brosch angewiesen. Offenkundig hatte die Lektion nichts gefruchtet, denn Conrad kam im Herbst 1911 erneut darauf zurück. Man müsse den italienisch-türkischen Krieg nützen, um Italien zu schlagen. Wie groß die Antipathie auch war, die Franz Ferdinand für das Königreich jenseits der Alpen empfand, hielt er solche Pläne dennoch für abwegig. Die Meinungsverschiedenheit veranlasste ihn zweifellos, nicht zu intervenieren, um Conrad vor der drohenden Sanktion zu retten. Noch war das letzte Wort nicht gesprochen. Angesichts der Verschlechterung der Situation auf dem Balkan fühlte sich Conrad in seiner Haltung bestätigt, die er seit Jahren verteidigte.Vielleicht war es noch nicht zu spät. Der Flächenbrand in dieser Region ab Oktober 1912 bot der Monarchie die Gelegenheit, den entscheidenden Schlag gegen Serbien zu führen. Als Conrad Franz Ferdinand die Botschaft im Februar 1913 über Bardolff überbringen ließ, handelte er sich immer dieselbe Antwort ein: „Conrads Idee ist ein Wahnsinn […] Sagen Sie Conrad, daß ich weitere Vorstellungen in dieser Richtung entschieden ablehne.“209 253

„Wir schauen in der Loge zu“

Um genau zu sein, bedarf dieses Bild einer kleinen Korrektur. Kommen wir auf die sehr kurze Zeitspanne Ende 1912 zurück, in der sich Franz Ferdinand mit der Idee eines Krieges gegen Serbien angefreundet zu haben schien. Gleichzeitig wurde Conrad wieder in Gnaden aufgenommen. Schemua hatte sich zwar nichts zuschulden kommen lassen, aber sein Vorgänger schien für den Fall, dass sich die Monarchie den Prüfungen eines Krieges stellen musste, über die besseren Eigenschaften für den Posten des Generalstabschefs zu verfügen. Franz Joseph schloss sich dieser Meinung an, als Franz Ferdinand ihn ersuchte, Conrad wieder in die Funktion zu berufen, aus der er kaum mehr als ein Jahr zuvor abberufen worden war. Sozusagen zum Ausgleich wurde Auffenberg, den der alte Kaiser nie wirklich geschätzt hatte, zum Rücktritt aufgefordert. Er wurde durch General Alexander Krobatin ersetzt, der sich, was selten genug vorkam, des Vertrauens sowohl des Onkels als auch des Neffen erfreute. Es dauerte nicht lange, bis Franz Ferdinand wieder von seiner Position abrückte, dass die Differenzen mit Serbien durch einen Krieg entschieden werden sollten. Im Jänner 1913 war Franz Ferdinand erneut zum Befürworter des Friedens geworden, während Conrad weiterhin unverändert für die ultima ratio eintrat. Nun waren alle Voraussetzungen gegeben, dass es abermals zu Spannungen zwischen den beiden Männern kam. Bald brach der Konflikt erneut aus und warf einen Schatten auf ihre Beziehung. Ausgangspunkt war die ­Affäre Redl, benannt nach dem Oberst des Generalstabs, der bis 1912 für die österreichisch-ungarische Gegenspionage verantwortlich war. Unter Ausnützung dieser Position hatte er den russischen Geheimdiensten jahrelang strengste Militärgeheimnisse verraten, um einerseits sein Luxusleben und andererseits seinen Geliebten finanzieren zu können. Als dies am 24. Mai 1913 aufgedeckt wurde, ließ Conrad Redl keine andere Wahl als Selbstmord. Der Generalstabschef hatte sich dazu entschlossen, um einen Skandal zu vermeiden, der der Armee unausweichlich geschadet hätte. Damit zog er sich aber den Zorn Franz Ferdinands zu, der allein schon darüber verärgert war, nicht vor Ende der Affäre informiert worden zu sein. Conrad hatte sich mit den Zuständigen des Evidenzbüros in Verbindung gesetzt, ohne den Thronfolger einzubinden. Aber es gab noch andere Gründe für Franz Ferdinands Zorn. Wie konnte Conrad vergessen, dass Selbstmord den Geboten der katholischen Lehre zuwiderlief? Andererseits hatte der vorzeitige Tod Redls verhindert, dass dieser 254

Conrad

einem Verhör unterzogen wurde, um das genaue Ausmaß des Schadens für die Sicherheit der Monarchie zu ermitteln. Natürlich wurden die österreichisch-ungarischen Schlachtpläne gegenüber Russland geändert, aber nur unzureichend, um die Niederlagen der ersten Wochen des Weltkriegs an der Ostfront zu verhindern. Die Vorwürfe häuften sich, der Weg für neuerliche Zwischenfälle stand offen. Dazu kam es anlässlich der Manöver im September 1913 in Chotovin in Böhmen. Es begann damit, dass Franz Ferdinand Conrad vorwarf, nicht an der Sonntagsmesse teilgenommen zu haben. Auch wenn dieser als überzeugter Freidenker nicht gedacht hatte, dieser Verpflichtung nachkommen zu müssen, sah der Thronfolger darin zweifellos eine Provokation. Es kam zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen den beiden. Auf Conrads Bemerkung, „er sei hier, um Manöver zu machen, nicht um in die Messe zu gehen“, erwiderte Franz Ferdinand: „Ihre religiösen Anschauungen kenne ich ja, aber, wenn ich in die Kirche gehe, haben Sie auch zu gehen.“210 Noch schwerwiegender war, dass Franz Ferdinand sich in die Kompetenzen des Generalstabschefs einmischte und den von Conrad für die Manöver ausgearbeiteten Plan abänderte. In seiner Eigenschaft als „Generalinspektor der gesamten bewaffneten Macht“ hielt er sich dazu für berechtigt. Die Änderungen waren zuvor nicht abgesprochen worden, Conrad wurde vor vollendete Tatsachen gestellt, fühlte sich gedemütigt und ließ seiner Wut freien Lauf. In seiner Korrespondenz mit Gina von Reininghaus bezeichnet er den Erzherzog-Thronfolger wiederholt als „Despoten“. „Ich bin eine viel zu stolze und selbständige Natur“, schrieb er ihr, „als daß ich mich den Wutausbrüchen eines Despoten fügen würde.“211 Nach dieser Reihe von Vorfällen bestand für Conrad kein Zweifel mehr – es war ihm unmöglich, weiterhin mit Franz Ferdinand zusammenzuarbeiten: „Die Unstimmigkeiten mit dem Erzherzoge dauern fort und mehren sich“, berichtete er seiner Freundin. „Der deutliche Verkehr hat Formen angenommen, die es mir unmöglich machen, weiter noch in dieser widerwärtigen, schiefen Stellung zu verbleiben.“212

Diese Aussicht war nicht nach dem Geschmack von Franz Ferdinand. Es entging ihm nicht, dass der Abgang – sollte es dazu kommen – nicht die 255

„Wir schauen in der Loge zu“

gleiche Bedeutung hätte wie die erzwungene Demission zwei Jahre zuvor. Im November 1911 war Conrad von Franz Joseph von seinem Posten enthoben worden, der diesmal gar nichts mit der Sache zu tun hatte. Wie immer man es auch wenden mochte, es würde nicht verborgen bleiben, dass die Demission ihren Ursprung in Differenzen mit dem Thronfolger hatte, auf die Gefahr hin, sein Ansehen ziemlich zu beschädigen. So wurde zunächst Brosch zu Conrad geschickt, mit dem Auftrag, ihn zu bewegen, seinen Entschluss rückgängig zu machen. Die Demission, so legte Brosch ihm nahe, würde in der Hofburg als Sieg begrüßt werden, doch dieses Argument reichte nicht aus. Jetzt war die Reihe an Franz Ferdinand, der Conrad zu einer Unterredung empfing, bei der er sich ganz honigsüß zeigte. Wie konnten sie sich trennen, da sie doch gemeinsam die Manöver von 1914 vorbereiten sollten? Offenbar fiel Conrad auf diese Verführungsversuche nicht herein. Bei seiner Rückkehr nach Wien übergab er erneut sein Demissions­schreiben. Franz Ferdinand musste sich schließlich bei ihm entschuldigen, damit er dieses zurücknahm. Zweifellos entschloss er sich dazu auf den Rat Broschs hin, und hier zeigt sich einmal mehr, welchen Einfluss dieser noch immer auf den Erzherzog hatte. Kaum beigelegt, flammte die Krise erneut auf. Im darauffolgenden Oktober kam es am Rande der Gedenkfeierlichkeiten anlässlich des 100. Jahrestages der Völkerschlacht von Leipzig, an denen sowohl Franz Ferdinand als auch Conrad teilnahm, zu einem neuerlichen Zwischenfall, als Wilhelm II. Conrad ersuchte, ihm die Offiziere seines Generalstabs vorzustellen. Außer sich drängte ihn Franz Ferdinand mit den Worten zur Seite: „Wie können Sie es wagen, sich über Ihren Oberbefehlshaber hinwegzusetzen?“ Dieser Ausbruch war wohl weniger auf eine überlegte Reaktion zurückzuführen als auf einen unbändigen Eifersuchtsanfall. Gedemütigt musste sich Conrad fügen. Der Respekt vor der monarchischen Gewalt untersagte ihm eine Antwort an den Thronfolger, dennoch war es für ihn ein folgenschwerer öffentlicher Affront vor Kaiser Wilhelm und Feldmarschall von Moltke, seinem deutschen Gegenpart, der ihm privat seine Sympathien bekundete. Obwohl Conrad nicht mit Demission drohte, war die Trennung diesmal vollzogen.

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Franz Ferdinand und die Marine

FRANZ FERDINAND UND DIE MARINE Franz Ferdinand hatte Conrad sowohl als „Generalinspektor der gesamten bewaffneten Macht“ als auch in seiner Stellung als Thronfolger eine Abfuhr erteilt und ihn daran erinnert, dass er sich seiner Person unterzuordnen hatte. In Ausübung ersterer Funktion erstreckte er seine Autorität auch auf die Marine, der er schon viel Jahre eng verbunden war, wobei seine Liebe zum Meer wohl von seiner Weltreise 1892/93 herrührte. Schon lange interessierte er sich für die Waffengattung der Marine und wies ihr in seinen strategischen Vorstellungen eine Sonderstellung zu. Als Ausdruck der Bindung und des Interesses trug Franz Ferdinand gerne die Admiralsuniform, ein Kleidungsstück, das Franz Joseph hingegen nie wählte. Da die Habsburgermonarchie auf den Kontinent konzentriert war, war sie nie eine Seemacht. Karl VI. hatte zwar, nachdem er in den Besitz der Niederlande gelangt war, die Ostende-Compagnie gegründet. Sie war als Konkurrenz zu den großen holländischen, englischen und französischen Handelskompanien gedacht, aber das Unternehmen scheiterte. Und der Erwerb von Besitzungen in Italien hatte Österreich zweifelsohne zum Aufbau einer Flotte veranlasst – vor allem in der Adria –, die bislang nur eine Nebenrolle gespielt hatte. Der Sieg, den Admiral Tegetthoff im Juli 1866 bei Lissa errang, mit dem er eine ruhmreiche Episode in der Militärgeschichte der Monarchie schrieb, hatte keinerlei Auswirkung auf den Ausgang des Krieges. In den Jahren nach dem Krieg blieb Italien der potenzielle Feind, wie schon die Namen andeuten, die man den Schiffen in dieser Zeit gab: Lissa, Erzherzog Albrecht, Custozza. Die Bildung des Dreibunds machte es erforderlich, die Aufgaben der österreichisch-ungarischen Marine neu zu überdenken. Das änderte jedoch nichts an der Notwendigkeit, ein Gleichgewicht auf See in den Gewässern der Adria aufrechtzuerhalten. Auch als Verbündeter durfte sich Italien dort keine Vorrangstellung sichern. Diese Forderung war für Franz Ferdinand wesentlich, und daran änderte sich auch nach Abschluss des russisch-französischen Bündnisses nichts, das die Präsenz der österreichisch-ungarischen Flotte im Mittelmeer verstärkte. Gegen Ende des Jahrhunderts wendete sich das Blatt erneut, als Italien eine Annäherung an Frankreich suchte, ohne 257

„Wir schauen in der Loge zu“

deshalb mit den Mittelmächten zu brechen. Auf Veranlassung von Admiral Graf Rudolf Montecuccoli degli Erri wurde 1909 ein Programm für den Bau von vier Großkalibergeschützschiffen beschlossen, den berühmten Dreadnoughts. Das erste lief im Juni 1911 in Anwesenheit von Franz Ferdinand vom Stapel und sollte zum Flagschiff der österreichisch-ungarischen Flotte werden. Der Name, den dieser Gigant der Meere erhielt, war kein Zufall. Die Übernahme des Wahlspruchs des Reiches, Viribus Unitis, sollte mit aller Deutlichkeit unterstreichen, dass dieses gewaltige Schiff wie die gesamte Armee im Dienste der Einheit der Monarchie stand. Franz Ferdinand verabsäumte es auch nicht, den Feierlichkeiten eine gewisse antiitalienische Note zu geben. So wurde als Datum nicht zufällig der Jahrestag des Sieges von Custozza im Juni 1866 gewählt. Durch die Balkankriege wurden die Karten teilweise neu verteilt. Die Monarchie und Italien hegten die gleiche Sorge gegenüber den Ambitionen Serbiens, vor allem dessen Vorstoß Richtung Adria. Die gemeinsame Sorge begünstigte eine gewisse Annäherung, obwohl die Hintergedanken von gestern immer noch galten. Die Zeit für eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Marinen schien gekommen. Zu Diskussionen darüber trafen einander Admiral Haus, der Nachfolger Montecuccolis, und sein italienischer Gegenpart, Admiral Thaon di Revel, im Dezember 1913 in der Schweiz. Das geheim gehaltene Treffen erzürnte den Thronfolger, dessen Misstrauen gegenüber Italien sich keineswegs abgeschwächt hatte. Diese Geschichte unterstreicht die Grenzen der Macht Franz Ferdinands. Das wiederholte sich, als er 1912 den Posten eines Flotteninspektors schuf, mit dem Ziel, die Funktionen in Kommando und Verwaltung zu trennen und so seinen Einfluss auf die Marine zu vergrößern. Der Coup misslang. Admiral Haus, der erste Träger dieses Titels, wurde bald zum Nachfolger Montecuccolis berufen. Als neuer Marinekommandant hatte er nichts Eiligeres zu tun, als den Posten, den er soeben verlassen hatte, in seiner Substanz auszuhöhlen. An der Grundtendenz änderte sich nichts. Die Verantwortlichen für die Flotte wussten, dass die Marine Franz Ferdinand für sein Engagement zu danken hatte. Die Unterstützung beschränkte sich nicht auf das Tragen der Uniform. Der Thronfolger war das erste Mitglied der kaiserlichen Familie seit Erzherzog Ferdinand Maximilian, das der Marine so großes Interesse 258

Franz Ferdinand und die Marine

entgegenbrachte. Außerdem hatte er beobachtet, dass der Faktor Marine in der Politik mehrerer europäischer Mächte zunehmend an Bedeutung gewann.Wie hätte ihn insbesondere der Wunsch Wilhelms II. nicht überraschen sollen, Deutschland mit einer Flotte auszustatten, die es mit der britischen Navy aufnehmen konnte? In seiner Überzeugung, dass die Marine im Falle eines Krieges eine wichtige Rolle spielen würde, bemühte sich Franz Ferdinand immer wieder um mehr Budget sowie um die Umsetzung des Bauprogramms für die großen Schlachtschiffe. Mit einem Wort: Die Marine wusste, dass man in ihm einen glühenden Verteidiger der eigenen Interessen hatte. Im Laufe der Jahre gewann Franz Ferdinand immer größeren Einfluss auf die militärischen Agenden, wobei es natürlich auch Zeiten gab, die von Spannungen geprägt waren. Franz Joseph zeigte sich immer noch sowohl vom Charakter als auch von den Ambitionen seines Neffen bisweilen unangenehm berührt, andererseits war die Beziehung zu Conrad schließlich dauerhaft belastet. Und der Kaiser ließ dem Thronfolger auch nicht freie Hand bei der Wahl der hohen militärischen Amtsträger. Der Abschied Schönaichs wurde durch die Entlassung Conrads kompensiert. Dessen Rückkehr erfolgte um den Preis des Rückzugs von Auffenberg. Welche Zweifel auch immer Franz Joseph hinsichtlich der politischen Entscheidungen Franz Ferdinands hatte, anerkannte er doch dessen Verdienste im militärischen Bereich und gab ihm dies auch deutlich zu verstehen. Abgesehen von einem kurzen Augenblick, in dem Franz Ferdinand zu zaudern schien, war er im Kielwasser Franz Josephs immer ein entschiedener Befürwor­ter des Friedens. Insofern verstand es die Monarchie stets, ihre Macht zu demonstrieren, um sich ihrer nicht bedienen zu müssen, was auch gelang. Serbien wurde von der Adria ferngehalten, wo es Fuß zu fassen versucht hatte. Aber es gab noch eine andere Lesart der Ereignisse. Serbien war aus den beiden Balkankriegen gestärkt hervorgegangen. Es hatte im Süden und Osten neue Gebiete dazubekommen, die das Kräfteverhältnis auf dem Balkan veränderten. Die Zurückhaltung Russlands verhinderte für dieses Mal das Schlimmste. Der Frieden war gesichert. Aber für wie lange? War der Tag der Entscheidung nicht nur verschoben? Die Bedrohung durch Serbien konnte vorübergehend gebannt werden, doch war sie immer noch akut, und die 259

„Wir schauen in der Loge zu“

Stimmen mehrten sich, dass man Belgrad nichts mehr zugestehen sollte. Wer konnte garantieren, dass Russland sich nicht einmischte, wenn es zu einer bewaffneten Auseinandersetzung kommen sollte? Anfang 1914 war die Ruhe trügerisch. Die Wolken, die sich über dem Balkan zusammengeballt hatten, waren nicht zerstreut worden. Ein Funken würde genügen, dann fing die Balkanfront Feuer und eine Kriegslogik setzte sich durch.

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KAPITEL XI

Sarajewo Die kommenden Monate versprachen einen dornigen Weg. Die Balkankriege hatten die politische Geografie Südosteuropas neu geschrieben und dabei Linien verschoben, auf die sich lange Zeit die Außenpolitik der Monarchie gestützt hatte. Sollte man diese Ausrichtung überdenken? Auch wenn die letzte Entscheidung immer noch bei Franz Joseph lag, betraf diese Frage vor allem auch Franz Ferdinand: zunächst aufgrund seiner Stellung an der Spitze der Armee. Jedem war aber bewusst, dass er von einem Augenblick auf den anderen den Thron besteigen konnte. Der alte Kaiser konnte sich nie wieder ganz von der Bronchitis erholen, die er sich 1911 zugezogen hatte. Im April 1914 erlitt er einen schweren Rückfall, sodass Franz Ferdinand, der damals in Konopischt weilte, auf das Zeichen wartete, in aller Eile nach Wien zurückzukehren. Seine legendäre Robustheit half dem Kaiser aber, die Krise zu überwinden. Aber für wie lange noch? Franz Ferdinand bereitete sich seit Langem auf den Augenblick vor, da er die Geschicke der Monarchie in die Hand nehmen würde. Er hatte einen Reformplan ausgearbeitet, der vom Beginn seiner Herrschaft an sein Handeln bestimmen sollte. Außerdem musste er bereit sein, auf eine internationale Lage zu reagieren, die sich seit dem Zweiten Balkankrieg nicht stabilisiert hatte.

DIE MATSCHEKO-DENKSCHRIFT Am 12. und 13. Juni hatte Franz Ferdinand Wilhelm II. in Konopischt empfangen, am nächsten Tag folgten Berchtold und dessen Gemahlin. Im Laufe ihrer Unterredung verständigten sich die beiden Männer darüber, dass es 261

Sarajewo

notwendig war, der Außenpolitik der Monarchie einen offensiveren Ton zu geben. Konkret bedeutete diese Zielsetzung, einer Isolation Serbiens Priorität einzuräumen. Nach seiner Rückkehr nach Wien beauftragte Berchtold einen seiner engsten Mitarbeiter im Ministerium, Franz von Matscheko, eine Denkschrift zu verfassen. Sie sollte die großen Linien einer neuen Politik gegenüber dem Balkan darlegen. Allem Anschein nach war Matscheko nicht untätig, da er die Denkschrift bereits am 24. Juni vorlegte. Er begann sie mit einer Bilanz der Balkankriege und einer Analyse der Entwicklungen auf der europäischen Bühne seit dem Vertrag von Bukarest. Davon ausgehend, leitete er Korrekturen ab, die von der Monarchie bei ihrer internationalen Vorgehensweise vorgenommen werden sollten. Die von der Londoner Konferenz im Mai 1913 anerkannte Schaffung eines unabhängigen Albanien war für Österreich-Ungarn ein unleugbarer Erfolg. Wie es das vorrangige Ziel des Ballhausplatzes war, wurde Serbien damit der Zugang zur Adria verwehrt. Nur wenige Monate nach dieser Anerkennung verdunkelte sich der Himmel deutlich. Es dauerte, bis der albanische Staat Gestalt annahm. Der Träger der Krone des neuen Fürstentums, Prinz zu Wied, war nicht mehr als ein Schattenherrscher. Er vermochte seine Herrschaft gegenüber den Intrigen von Essad Pascha, dem ehemaligen türkischen Statt­halter von Skutari, nicht durchzusetzen. Dieser war bereit, sich an den Höchst­bietenden zu verkaufen, und wurde so zu einem Gefolgsmann Italiens. Das österreichisch-italienische Bündnis, das geschlossen worden war, um Serbien an einem Vorstoß auf die Adria zu hindern, zerfiel, nachdem diese Gefahr abgewendet war. Italien trat nun ganz klar als Rivale Österreich-Ungarns in diesem Gebiet auf. Es würde sich nicht mehr mit der Errichtung eines Kondominiums der beiden Mächte zufriedengeben, sondern wollte sich den Löwenanteil sichern, mit anderen Worten: den neuen Staat in seinen Einflussbereich bringen. Schon immer von der Doppelzüngigkeit Italiens überzeugt, fühlte sich Franz Ferdinand durch dieses Verhalten in seiner Kritik am italienischen Verbündeten bestätigt, zumal diese Frage nicht von der serbischen Frage getrennt werden konnte. Wer konnte sagen, ob die feindselige Haltung gegenüber Österreich-Ungarn Rom nicht morgen veranlassen würde, der serbischen Regierung die Hand zu reichen? Matscheko forderte daher die Bildung eines neuen Balkan­bunds, diesmal jedoch mit umgekehrten 262

Die Matscheko-Denkschrift

Fronten, der sich – bestehend aus Bulgarien, Griechenland und Rumänien – den Mittelmächten anschließen sollte. Einen solchen Zusammenschluss zustande zu bringen, wäre allerdings einem Wunder gleichgekommen. Die Interessen der drei Staaten waren zu widersprüch­lich, um nicht zu sagen: gegensätzlich. Eine entsprechende Stimmung drängte die österreichischungarische Diplomatie, einem Bündnis mit Bulgarien den Vorzug zu geben. Tisza und die Ungarn unterstützten diese Option bereitwillig, war es doch in ihren Augen vor allem ein Vorteil, dass die Beziehungen zu Rumänien abkühlen würden. Das rumänische Bündnis wurde durch den Zweiten Balkankrieg tatsächlich geschwächt. Seit damals hatte Bukarest seine Annäherung an die Entente-Mächte vorangetrieben, ohne allerdings mit seinen deutschen und österreichisch-ungarischen Verbündeten zu brechen. Sie wollten glauben, dass noch Zeit war, dem Prozess Einhalt zu gebieten und Rumänien im Bündnis mit den Mittelmächten zu halten. Dieses Bemühen hielt Deutschland davon ab, allzu deutliche Signale in Richtung Sofia zu senden. Wien seinerseits brachte durch die Berufung Czernins, der Franz Ferdinand nahestand, zum Botschafter in Bukarest klar seinen Wunsch zum Ausdruck, sich seine Beziehungen zu Rumänien nicht stören zu lassen. Trotz der in die Entsendung von Czernin gesetzten Hoffnungen scheiterte die Mission. Angesichts des schwächelnden Bündnisses hätte es sowohl der Vorsicht als auch der Geduld bedurft, zwei Eigenschaften, die Czernins Naturell fremd waren. Außerdem zeitigten seine Ungeschicklichkeit und seine Impulsi­vität das Gegenteil dessen, worum man sich bemüht hatte. Seine erste Ungeschicklichkeit war, dass er sich in einem Interview für die ungarische Zeitung Az Est dazu hinreißen ließ, die Lage der Rumänen in Siebenbürgen zu kritisieren. Wie begründet die Feststellung auch gewesen sein mag, war sie dennoch ungeschickt. Tiszas Bemühungen um ein Abkommen mit der nationalen rumänischen Partei waren zunichtegemacht, da der Wirbel, den die Affäre in Budapest auslöste, seinen ohnedies geringen Handlungsspielraum weiter einengte. Ungeschicklichkeit und fehlende Kaltblütigkeit zeigte Czernin auch, als er um die Ermächtigung ansuchte, König Carol mit der Veröffentlichung des Geheimabkommens vom August 1883 zu drohen. Statt eines solch brüsken Vorgehens zog Berchtold es vor, Carol die Garantie Wiens, an diesem Vertrag festzuhalten, im Aus263

Sarajewo

tausch gegen eine öffentliche Bekanntgabe anzubieten. Der Köder, dass die Doppel­monarchie bereit war, sich gegen Bulgarien zu engagieren, reichte jedoch nicht. Der rumänische König ging nicht auf dieses Angebot ein. Als er einige Wochen später Nikolaus II. in Constanza empfing, teilte er ihm seinen Entschluss mit, nicht aufseiten Österreich-Ungarns zu den Waffen zu greifen. Das kam nicht überraschend, umso mehr, als sich Wilhelm II. und Franz Ferdinand bei ihrem Treffen in Konopischt ausführlich mit der rumänischen Frage befasst haben dürften. Von Serbien war praktisch nicht die Rede. Dieses Schweigen durfte aber nicht zu Illusionen verleiten, Serbien blieb der Hauptfeind der Monarchie. Die drohende Gefahr war seit dem Vertrag von Bukarest nur noch größer geworden. Viel war die Rede von einem Zusammenschluss von Serbien und Montenegro, wodurch Belgrad den Widerstand Wiens gegen einen Adria-Zugang umgehen könnte. Auch der Schatten Russlands schwebte mehr und mehr über Serbien. Der dortige russische Botschafter Nikolaus Hartwig hatte es verstanden, sich einen Einfluss zu sichern, mit dem kein Vertreter der übrigen Mächte konkurrieren konnte. Seiner Intervention verdankte auch der serbi­sche Regierungschef Nikola Pašić seine Rettung, der mit einem Teil der Armee in Konflikt stand, was keineswegs unbedeutend war. Dass er sein politi­sches Überleben dem russischen Botschafter schuldete, schränkte seinen Handlungsspielraum in der Folge während der Juli-Krise deutlich ein. Schon Pašić’ Besuch in St. Petersburg Anfang 1914 trug zur Stärkung der Bande zwischen den beiden Ländern bei, während umgekehrt Berchtolds Bemühungen um eine Entspannung kein Ergebnis brachten. Sein Angebot eines Wirtschaftsvertrags als Kompensation für die Verweigerung eines Meereszugangs war nicht auf Interesse gestoßen. Nicht ganz ohne Grund sahen die serbischen Verantwortlichen dahinter ein Manöver, das Königreich an die Doppelmonarchie zu binden. Kurz gesagt: Im Juni 1914 ging Franz von Matscheko davon aus, dass Russland sowohl in Belgrad als auch in Bukarest seine Hände im Spiel hatte. Zur Feindseligkeit, die Serbien immer mehr zur Schau trug, gesellte sich die immer größere Gefahr, dass Rumänien abtrünnig werden könnte. Sollte es den Vermittlungsbemühungen sowohl von Berlin als auch von Wien nicht gelingen, Rumänien wieder in das Bündnis zurückzuholen, musste diese Verbindung durch ein neues Bündnissystem rund um Bulgarien und 264

Bosnien-Herzegowina

die Türkei ersetzt werden. Die Verstärkung der russischen Präsenz auf dem Balkan und die daraus resultierende Bedrohung für die Meerenge der Dardanellen sollte Konstantinopel dafür empfänglich machen. 1913 hatte sich Russland angesichts der Gefahr eines allgemeinen Umsturzes noch zurückgehalten. Seit damals hatte es diese Vorsicht aber aufgegeben und befleißigte sich eines neuen, gefährlichen Aktionismus. Die Zeit war vorbei, da man sich auf eine Defensivstrategie verlegte und die Ereignisse an sich herankommen ließ. Angesichts dieses Drucks drängte Matscheko die Monarchie, gestützt auf Deutschland, die Initiati­ve zu ergreifen und Bewegung in ihre Diplomatie zu bringen. Eile war geboten, denn der Frieden konnte jeden Augenblick durch einen Funken beendet werden.

BOSNIEN-HERZEGOWINA Neben der Forderung nach einem Meereszugang blieb Bosnien-Herzegowina der größte Zankapfel zwischen Wien und Belgrad. Solange Serbien im Windschatten der Doppelmonarchie gefahren war, hatte es sein Interesse an dieser Provinz nicht vorantreiben können. Dies änderte sich ab 1903. Die neue Regierung scheute sich nicht, ihre Ambitionen zu zeigen, und unterstützte die Verfechter der serbischen Causa in Bosnien-Herzegowina. Mit der Entscheidung für eine ständige österreichisch-ungarische Präsenz in dieser Region wollten Franz Joseph und Aehrenthal die Verteidigungslinie der Monarchie gegen die expansionistischen Gelüste Serbiens verstärken. Sicher, nach Beilegung der Krise musste Serbien die Annexion anerkennen und sich um gute nachbarschaft­liche Beziehungen mit Österreich-Ungarn bemühen. Bald aber zeigte sich, dass sich das gedemütigte Serbien nicht mehr an ein Wort gebunden fühlte, von dem es meinte, es sei ihm unter Zwang abgerungen worden. Die Balkankriege hatten die Stimmung unter der serbischen Bevölkerung weiter gegen Österreich-Ungarn aufgebracht, in dem sie das Haupthindernis für die Verwirkung der großserbischen Pläne sah. Bosnien-Herzegowina, das als letzte Besitzung unter habsburgische Oberhoheit gekommen war, hatte zwar seine Besonderheiten, aber auch Merkmale, die es nicht zu einem Fremdkörper innerhalb der Monarchie machten. Es herrschte dort die gleiche nationale und religiöse Vielfalt wie in vielen anderen Kronlän­dern. 265

Sarajewo

Die Bevölkerung teilte sich in drei Gruppen, definiert nach religiösen Kriterien, im Unterschied zu den österreichischen Ländern und Ungarn, wo die Bevölkerung nach der Volkszugehörigkeit erfasst wurde. Die Orthodoxen, also die Serben, zählten 1910 825.000 Personen, das waren 43,49 Prozent und damit die wichtigste Gruppe. Die Katholiken, unter denen die Kroaten zu verstehen waren, stellten lediglich 22,9 Prozent der Bevölkerung. Und die 612.000 Moslems machten 32,25 Prozent aus. Die heterogene Herkunft der Bevölkerung erklärt, warum die bei Volkszählungen üblichen Kriterien auf Bosnien-Herzegowina nicht angewandt werden konnten. Unter den Moslems stammte eine Minderheit von Nachfahren der Türken ab, die sich nach der Eroberung in der Provinz niedergelassen hatten. Sie wurden von den Begs beherrscht, den Großgrundbesitzern, die noch zu Anfang des Jahrhunderts den größten Teil von Grund und Boden ihr Eigentum nannten. In der Mehrzahl waren die Moslems Nachfahren von Slawen, die im Zuge der Eroberung zum Islam konvertiert waren. Die Konfession beantwortete aber nicht immer die Frage nach der Entscheidung für eine Nationalität. Während viele einer religiösen Solidarität den Vorzug gaben, identifizierten sich einige auch mit ihrer serbischen Herkunft. Diese Gruppen waren ungleichmäßig über Bosnien-Herzegowina verteilt, wobei es keine wirklich homogene Gegend gab. Am wenigsten urbanisiert war die serbische Bevölkerung. Nur 20 Prozent der Serben lebten 1910 in Städten, gegenüber 54 Prozent der Moslems und 26 Prozent der Kroaten. Die Serben stellten auch die Mehrheit der Kmeten, der Bauern, die immer noch einem von den Begs beherrschten Feudalsystem unterworfen waren. Ein Gesetz aus dem Jahre 1911 eröffnete ihnen zwar die Möglichkeit, sich von den Abgaben an die Großgrundbesitzer loszukaufen, am Vorabend des Krieges kam dieser Prozess jedoch erst langsam in Gang. Weniger als zehn Prozent der Kmeten machten von diesem Recht Gebrauch, trotz der finanziellen Unterstützung, die ihnen von der österreichisch-ungarischen Verwaltung für den Loskauf gewährt wurde. Die am Berliner Kongress beschlossene Installierung Österreich-Ungarns in Bosnien-Herzegowina stieß zunächst auf heftigen Widerstand. Bevor die Kontrolle der Provinz übernommen werden konnte, musste 1882 ein Aufstand niedergeschlagen werden. Er wurde im Wesentlichen 266

Bosnien-Herzegowina

von Moslems getragen, die fürchteten, zum großen Verlierer des Abzugs der Osmanen zu werden. Dennoch beschlossen die österreichisch-ungarischen Verantwortlichen, die Ord­nung, die sie vor Ort vorgefunden hatten, nicht auf den Kopf zu stellen, sondern sich vielmehr auf die moslemischen Eliten zu stützen, die deren Rückgrat waren. Die Moslems hatten sich bislang an Konstantinopel orientiert, wandten ihren Blick nun aber nach Wien oder Agram. Nach der Niederschlagung des Aufstands ging die Monarchie daran, in Bosnien-Herzegowina eine moderne Verwaltung aufzubauen, die ebenso streng wie effizient war. Diese Aufgabe ist mit dem Namen Benjamin von Kállay verbunden. Zunächst Diplomat, dann hoher Beamter und guter Kenner Serbiens, wo er auf Posten gewesen war und dessen Sprache er sprach, war er von 1882 bis 1903 für Bosnien-Herzegowina verantwortlich, eine Funktion, die er neben dem Ministeramt für die gemeinsamen Finanzen ausübte. Die lange Zeit­spanne sicherte eine Kontinuität und ermöglichte es ihm, die österreichisch-ungarische Anwesenheit in diesem Gebiet zu konsolidieren und stillschweigend die Annexion vorzubereiten. Er nahm auch die Zukunft vorweg, indem er ein Auge auf die serbische Gefahr hatte. Ergebnis dieser Beunruhigung war, dass die Einfuhr von Publikationen aus Belgrad in die Provinz nach und nach verbo­ten wurde. Im Sinne der Schaffung einer bosnischen Nation, die er als Bollwerk gegen die serbischen Ambitionen sah, förderte Kállay außerdem die Bildung einer kroatisch-moslemischen Koalition. Durch dieses Bündnis gerieten die serbischen Vertreter im 1910 per Statut geschaffenen Landtag in die Minderzahl. Die schon vor 1908 aktive serbische Nationalbewegung, während derer sich die Moslems und Kroaten mehrheitlich hinter Wien stellten, erhielt durch die Annexionskrise neuen Aufwind. Die Serben hatten zunächst für ein religiöses sowie schulisches Autonomieprogramm gekämpft, eine Forderung, die 1905 erfüllt wurde. Als Folge der Annexionskrise forderten jedoch immer mehr Serben einen Anschluss von Bosnien-Herzegowina an Serbien. Speerspitze der Bewegung war die Organisation Mlada Bosna („Junges Bosnien“). Von dieser Forde­rung ausgehend, sprach sie vor allem die serbische Jugend an, insbesondere Schüler und Studenten, die von den Schriften Mazzinis, aber auch der russischen Anarchisten Bakunin und 267

Sarajewo

Kropotkin oder der russischen Sozialisten wie Herzen begeistert waren. Im Sog dieses geistigen Gärungsprozesses wurden die Verbindungen zu Belgrad verstärkt. Schon seit mehreren Jahren unternahmen in Belgrad beheimatete Verbände, insbesondere Slovenski Jug („Slawischer Süden“) und Narodna Odbrana („Volksverteidigung“), Propagandafeldzüge unter der serbischen Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina. Die Identität und das Schicksal der Provinz waren Gegenstand einer intensiven intellektuellen Auseinandersetzung, in der sich Wissenschaftler und Gelehrte leidenschaftlich engagierten. Der berühmte serbische Geograf ­Jovan Cvijić veröffentlichte 1909 unter dem Titel Die Annexion Bosniens und der Hercego­vina und die serbische Frage eine in mehrere Sprachen übersetzte Abhandlung, die großen Staub aufwirbelte. Nach der Definition Bosnien-Herzegowinas als „Kernlandschaft“ Serbiens fuhr er fort: „Als unbestreitbares Minimum des Nationalitätsprinzips soll gelten, daß man einem fremden Staat nicht die Kernlandschaft und daher das Herz eines Volkes überlassen kann: Eben dies ist Bosnien-Herzegowina für das serbische Volk. Beide Länder sind für Serbien und das serbische Volk nicht nur was Elsaß-Lothringen für die Franzosen,Trient und Triest für die Italiener oder die österreichischen Alpengebiete für Deutschland, sondern was für Rußland die Moskauer Region, für die Deutschen und Franzosen die reinsten Teile Deutschlands und Frankreichs sind, das heißt jene Teile, die am besten die deutsche und französische Rasse verkörpern.“213

Auf dieses Plädoyer folgten von kroatischer Seite genau entgegengesetzte Thesen. Die Partei des Rechts von Starčević feierte in der moslemischen Elite Bosniens „einen reinen kroatischen Adel“. Franz Milobar rechtfertigte die Anne­xion: Sie sei „kein Akt des Faustrechtes, sondern aufgrund einer historischen, unanfechtbaren Rechtsbasis vollzogen“214. In Bosnien-Herzegowina selbst konnte sich die Mehrheit der Kroaten keine andere Option vorstellen als eine gemeinsame Zukunft mit den Kroaten in Österreich und Ungarn. Einen Schritt weiter gingen einige junge Serben, die für den Sieg ihrer Ideen zum Äußersten bereit waren und auch vor Gewaltanwendung nicht zurück­schreckten. Es wurde Verbindung zur Geheimgesellschaft „Vereinigung oder Tod“ (Ujedinjenje ili Smrt) aufgenommen, besser bekannt unter 268

Bosnien-Herzegowina

dem Namen „Schwarze Hand“ (Crna ruka), die 1911 in den Reihen des Generalstabs der serbischen Armee gegründet worden war. Ihr Anführer, Oberst Dragutin Dimitrijević, genannt Apis, gehörte zu jenen, die das Komplott angezettelt hatten, das im Juni 1903 zur Ermordung von König Alexander und zur Auslöschung der Familie Obrenović geführt hatte. Seit 1913 leitete er den Nachrichtendienst des Generalstabs. Ziel der Schwarzen Hand war die Konzentration auf Persönlichkeiten, die sich auf die eine oder andere Weise den Plänen für eine Vereinigung der Südslawen unter der Führung Serbiens in den Weg stellten. Seit September 1911 wurde eine Zeitschrift veröffentlicht, deren Titel Pijemont („Piemont“) allein schon ein Programm war. In Verfolgung dieses Zieles entwi­ckelte die Schwarze Hand eine autoritäre Ideologie im Widerspruch zu den Grundsätzen der serbischen parlamentarischen Demokratie, die sich weitgehend am französischen Vorbild orientierte. Bislang hatte es hauptsächlich ein Kräftemessen mit der Regierung Pašić gegeben, die von der Schwarzen Hand der Halbherzigkeit gegenüber Österreich-Ungarn bezichtigte wurde. Nach außen hin hatte die Schwarze Hand noch keinen großen Coup gelandet. Andere hatten sich daran versucht, aber erfolglos. Ein erstes Attentat, dessen Zielscheibe Franz Joseph anlässlich seines Besuches in Sarajewo im Jahr 1910 hätte sein sollen, wurde abgeblasen. Der junge Bogdan Žerajić hingegen schritt zur Tat und feuerte am 2. Juni 1910 fünf Schüsse auf den Chef der bosnischen Landesregierung ab, General Varešanin, die jedoch alle ihr Ziel verfehlten. Angesichts dieses Misserfolgs behielt er die sechste Kugel für sich selbst vor und wurde durch sein Opfer umgehend zu einem Märtyrer der serbischen Causa. Die Attentatsversuche auf die kroatischen Bane hatten ebenso wenig Erfolg. Luka Jukić, ein bosnischer Kroate, verfehlte 1912 Slavko Cuvaj; nicht viel mehr Glück hatte Stjepan Dojčić, als er Cuvajs Nachfolger zur Zielscheibe nahm, den Ungarn Iván Skerlecz. Der Plan, General Oskar Potiorek zu beseitigen, den neuen Landeschef und Kommandanten des XV. Armeecorps in Bosnien-Herzegowina, kam kaum über ein erstes Stadium hinaus. Seit seinem Amtsantritt hatte er sich als Mann erwiesen, der entschlossen war, die Agitation zu beenden, die auf die Provinz übergegriffen hatte. Zu diesem Zweck setzte er das Statut von 1910 teilweise außer Kraft und ergriff eine Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung des serbischen Nationalismus, der für die Spannungen 269

verantwortlich gemacht wurde. Die Belgrader Presse wurde in Hinkunft verboten und serbische Kulturverbände wurden hart unterdrückt.

DAS ATTENTAT Die Idee, den Thronfolger zu töten, kam nicht von der Schwarzen Hand. Sie stammte von drei jungen bosnischen Serben, Gavrilo Princip, Nedjelko Čabrinović und Trifko Grabež. Sie waren bereit, ihr Leben hinzugeben, um in der Person Franz Ferdinands das verfluchte Geschlecht der Habsburger zu treffen. Die Beseitigung des Erben der Doppel­monarchie hätte eine über das rein Symbolische hinausgehende Bedeutung. Seine Ermordung würde Österreich-Ungarn destabilisieren und eine Schock­welle auslösen, die sich über den Balkan verbreiten würde und die Serbien zur Verwirklichung seiner Pläne nützen könnte. Nun bot sich die Gelegenheit, zur Tat zu schreiten. Franz Ferdinand hatte zugesagt, den Manövern in Bosnien Ende Juni 1914 beizuwohnen, die kurz nach dem Ende des Zweiten Balkankrieges unterbrochen worden waren. Weiters war vorgesehen, dass der Erzher­zog im Anschluss daran am 28. Juni Sarajewo besuchen sollte. Und diesen Tag wählten die Verschwörer für den Mordversuch. Da der Thronfolger sich in Begleitung von Potiorek befand, planten sie einen doppelten Anschlag. Für die Umsetzung dieses Plans fehlten noch die notwendigen Mittel und die logistische Unterstützung. Es gelang den drei jungen Männern, Dimitrijević über Vermittlung von Major Tankosić, einem Helden der Balkankriege, ihren Plan zu unterbreiten. Dieser zögerte seine Antwort zunächst hinaus. Da er über die Situation in Österreich-Ungarn nicht auf dem Laufenden war, wollte er vor einer Entscheidung Rade Malobabić zurate ziehen, einen Serben aus Kroatien, den er zu seinem Vertreter in den südslawischen Ländern der Donaumonarchie gemacht hatte. Dieser machte unmissverständlich klar: Die Schwarze Hand musste Princip und seinen Freunden die erbetene Unterstützung gewähren. Franz Ferdinand war tatsächlich eine ideale Zielscheibe. Es mangelte nicht an Argumenten für die Entscheidung, die zum Teil logisch waren, zum Teil auf irrigen Analysen, ja reinen Hirngespinsten beruhten. Ein erstes sah im Thron­folger die Seele der Partei der Kriegsbefürworter in Wien, wodurch er eine große Bedrohung für Serbien darstellte. Dimitrijević erklärte später: 270

Das Attentat

„Ich fühlte, daß Österreich einen Krieg gegen uns plante, daß durch das Verschwinden des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand die Clique der Militärs, deren Haupt er war, ihre Macht einbüßen würde und so die Kriegsgefahr aufgehoben und verschoben werden würde.“215

Die Teilnahme Franz Ferdinands an den Manövern schien diese These zu bestätigen. Andere gingen noch weiter. Und wenn Wien die Zusammen­ ziehung von Truppen nutzen sollte, um eine Strafexpedition gegen Serbien zu unternehmen? Für jene, die im Erzherzog den Chef der Kriegspartei sahen, war die Schlussfolgerung vielleicht verlockend, doch war sie ebenso falsch wie der erste Teil der Unterstellung, der in vollem Widerspruch zu Franz Ferdinands zahllosen Friedensinterventionen stand. Die Manöver waren zweifellos als Demonstration der Stärke an die Adresse des benachbarten Serbien gedacht, damit Belgrad klar war, dass die Monarchie in ihrer Wachsamkeit nicht nachlassen würde. Doch war nie geplant, sie durch einen Einfall in Serbien zu verlängern. Außerdem wären die mobilisierten Truppen, insgesamt höchstens 20 000 Mann, für eine Operation dieser Größe völlig unzureichend gewesen. Darüber hinaus sollten die Manöver nicht die alljährlich im September stattfindenden Manöver ersetzen, für die viel mehr Truppen zusammengezogen wurden. Wie konnte man andererseits vergessen, dass die Südslawen der Monarchie in den Plänen Franz Ferdinands einen zentralen Platz einnahmen? Eine begründete Feststellung, auch wenn man seinen Verzicht auf die Einführung einer trialistischen Formel dabei vielleicht nicht berücksichtigt. Wie weit er auch gehen mochte, so beabsichtigte er sicher, die Bande der Solidarität dieser Bevölke­rungsgruppen mit der Monarchie zu stärken. Sollte er Erfolg haben, würde den Plänen Serbiens, zum Piemont der Südslawen zu werden, ein Riegel vorgeschoben. Für Serbien schien die Aussicht auf eine Annäherung an Russland ebenso gefährlich. Franz Ferdinand hatte nie ein Hehl aus seinem Wunsch gemacht, mit Russland wieder eine Vertrauensbeziehung aufzubauen und – wenn möglich – die Grundlagen für ein neuerliches Bündnis zu legen. Serbien, dessen internationale Position zum Teil auf der Unterstützung durch St. Petersburg beruhte, musste befürchten, ein solches Abkommen ginge auf seine Kosten. Und die Erfahrung erhärtete diese Sorge. Jedes Mal, wenn die beiden Monarchien ein Abkommen schlossen (1877–1885 271

Sarajewo

– 1903), erreichte Wien von Russland, dass man ihm freie Hand auf dem Westbalkan ließ. Franz Ferdinand würde keine Ausnahme von der Regel machen. Die Befürchtungen entbehrten nicht einer gewissen Grundlage, obwohl das Risiko, Franz Ferdinand könnte ein neues Bündnis mit St. Petersburg zustande bringen, angesichts der kontinuierlichen Verschlechterung der Bezie­hungen zwischen den beiden Monarchien sehr gering war. Auch wenn man davon ausging, dass Russland einem solchen Plan zustimmte, würde es nicht zulassen, dass Serbien dafür den Preis zahlen müsste, indem es der Rache Wiens preisgegeben würde. Der Besuch des Erzherzogs war für Sonntag, den 28. Juni, festgesetzt, ein keineswegs beliebiges Datum. Es war der St.-Veits-Tag, an dem alljährlich der Schlacht auf dem Amselfeld im Jahr 1389 gedacht wurde, nach der Serbien zunächst den Kosovo, seine Wiege, und schließlich auch seine Unabhängigkeit verloren hatte. Genau an diesem Trauertag für die serbische Nation sollte sich Franz Ferdinand nach Sarajewo begeben. Dass diese Entscheidung von vielen Serben als Provokation empfunden wurde, ist klar. Mit großer Wahrscheinlichkeit war die Bedeutung dieses Datums weder Franz Ferdinand noch der militärischen Führung bewusst. Wie ungeschickt die Entscheidung auch gewesen sein mag, war sie doch keineswegs eine bewusste Provokation, genauso wenig, wie man darin die Ursache für das Attentat sehen darf. Nach der Zustimmung des Anführers der Schwarzen Hand auf Grundlage der von Rade Malobabić überbrachten Informationen erhielten die drei jungen Leute in Belgrad eine Ausbildung. Anfang Juni gingen sie nach Bosnien, bevor sie in Sarajewo mit den anderen Attentätern zusammen­ trafen, um die Gruppe zu vervollständigen. An dieser Stelle lässt sich die Frage nach der Verantwortung der serbischen Regierung nicht umgehen. Schließen wir von vornherein aus, dass sie an der Idee und Planung des Attentats beteiligt war. Pašić wollte Franz Ferdinand nie ermorden lassen. Auch wenn Serbien siegreich aus den beiden Balkankriegen hervorgegangen war, hatte es sich doch verausgabt, und er wollte es, zumindest in nächster Zukunft, sicherlich nicht in eine neue bewaffnete Auseinandersetzung hineinziehen. Seine Priorität galt der Integration der erst kürzlich annektierten Gebiete, eine Aufgabe, die schwierig zu werden ver­sprach, hatte sich die Ausdehnung des Königreiches doch 272

Das Attentat

fast verdoppelt. Da Pašić große Probleme mit der Schwarzen Hand hatte, ist auszuschließen, dass diese ihm die Attentatspläne vorlegte. Die serbische Regierung war in diesen Wochen außerdem ganz von der schweren Krise aufgrund der Diffe­renzen mit der Schwarzen Hand in Anspruch genommen. Sie konnte erst einer Lösung zugeführt werden, als der alte König Peter I. die Führung der Amtsgeschäfte am 24. Juni an seinen Sohn Alexander übergab, der auf der Seite Pašić’ stand und den Titel des Regenten annahm. Darüber hinaus befand sich das Land nach der Auflösung der Skupština, des Abgeordnetenhauses, im Wahlkampf. Man muss aber auch davon ausgehen, dass die Regierung dank der in die Organisation eingeschleusten Agenten von den Vorbereitungen erfahren hatte. Pašić hätte die österreichisch-ungarischen Verantwortlichen auf diplomatischem Weg oder durch sonstige Kanäle über das geplante Attentat auf Franz Ferdinand informieren können. Der serbische Botschafter in Wien, Jovan Jovanović, behauptete später gegenüber Graf Leon von Biliński, dem gemeinsamen Finanz­minister und Gouverneur von Bosnien-Herzegowina, Befürchtungen geäußert zu haben, dass Franz Ferdinands Leben bei seinem Besuch in Sarajewo gefährdet sein könnte. Vorausgesetzt, er hat dies wirklich gesagt, so war die Andeutung wohl zu vage, als dass sein Gesprächspartner dies weiterverfolgt hätte. Nach der Katastrophe hingegen interpretierten einige die fehlende Reaktion anders. Tief gekränkt, weil er nicht in die Organisation der Sicherheitsmaßnahmen rund um den Besuch Franz Ferdinands eingebunden worden war, habe Biliński sich zurückgehalten, um nicht als übereifrig angesehen zu werden. Pašić blieb dennoch nicht tatenlos. Er wies die Grenzwachen an, die Verschwörer abzu­fangen, der Befehl kam aber erst an, als diese schon nach Bosnien gelangt waren. Die Verschwörer waren am 28. Mai, jeder mit einer Browning-Pistole und zwei Bomben bewaffnet, in Belgrad aufgebrochen und am 4. Juni in Sara­jewo angekommen, wobei ihnen der befehlshabende Offizier der serbischen Grenzwache geholfen hatte, nach entsprechenden Anweisungen von der Schwarzen Hand. Nach diesem Versuch unternahm Pašić jedoch nichts mehr, um der tödlichen Maschinerie Einhalt zu gebieten. Die Passivität erklärt sich vielleicht vor allem aus seiner Sorge, eine neuerliche Konfrontation mit der Schwarzen Hand zu vermeiden. Zweifellos setzte er auch darauf, dass das Attentat scheitern würde.Warum sollte der Attentats­versuch 273

Sarajewo

dieser jungen Leute ohne jegliche Erfahrung auch erfolgreicher sein als alle vorherigen, die bisher gegen hochgestellte österreichisch-ungarische Persönlichkeiten unternommen wurden? All diese Vorbereitungen wären natürlich vergebens gewesen, hätte Franz Ferdinand im letzten Augenblick auf eine Teilnahme an den Manövern verzichtet. Allem Anschein nach dürfte er sehr gezögert haben, nach Bosnien zu reisen, vielleicht fürchtete er, die in dieser Gegend zu dieser Jahreszeit sehr häufige große Hitze nicht zu vertragen. Andererseits begannen bereits Gerüchte zu kursieren, das Leben des Thronfolgers könnte in Gefahr sein. Franz Joseph, den Franz Ferdinand um Rat fragte, überließ die Entscheidung seinem Neffen. Dieser wollte nicht den Eindruck erwecken, vor den Drohungen zu kapitulieren, und beschloss, seine Pläne nicht zu ändern.Vielleicht drängte ihn auch ein anderer Vorteil, den er sich von der Reise versprach. Es war vorgesehen, dass Sophie ihn nicht nur begleiten sollte, sondern dass ihr in Sarajewo auch die offiziellen Ehrungen entgegengebracht werden sollten, was ihr bislang auf ihren Reisen in der Monarchie verwehrt geblieben war. Obwohl Bosnien-Herzegowina eine Sonder­stellung innerhalb der Habsburgermonarchie einnahm, durfte Franz Ferdinand, der sich darum bemüht hatte, auf ein Überdenken der Vorschriften im Umgang mit seiner Gemahlin hoffen. Als die nähere Umgebung von Franz Joseph Kenntnis vom Programm erhielt und empört war, erkannte der Kaiser, dass sein Neffe ihn unter Zugzwang setzte, aber für einen Rückzug war es zu spät. Bevor Franz Ferdinand nach Bosnien aufbrach, empfing er am 12. und 13. Juni Wilhelm II. in Konopischt. Was wurde nicht alles über diese Begegnung geschrieben! Die während und nach dem Ersten Weltkrieg in den Ländern der Entente weit verbreitete Version lautete, die beiden Männer hätten den Plan ausgeheckt, der Europa einige Wochen später in einen Krieg führen sollte. Sie seien über ein prinzipielles militärisches Vorgehen gegen Serbien einig geworden, um zu verhindern, dass von dort größerer Schaden ausginge. Diese Auslegung folgt in vielem der Logik der Propaganda. In Wirklichkeit drehten sich die Gespräche vor allem um Rumänien, das im Begriff stand, von den Mittelmächten abzufallen, während die Frage Serbien kaum angeschnitten wurde. Aber Franz Ferdinand musste als Kriegstreiber erscheinen, und dieses Bild von ihm sollte noch lange vorherrschen. 274

Das Attentat

Vor ihrer Abreise machten Franz Ferdinand und Sophie Station in Chlumetz, wo die Kinder bis zu ihrer Rückkehr bleiben sollten. Nur Max war in Wien, um die Aufnahmsprüfung für das Schottengymnasium abzulegen, eine bekannte, von Benediktinern geführte Schule. In Wien trennten sich die Wege des Ehe­paares. Nach einer Reise über unterschiedliche Routen trafen sie vor Beginn der Manöver in Bad Ilica wieder zusammen, einem wenige Kilometer von Sarajewo entfernt gelegenen Kurort, wo sie Quartier nahmen. Sophie war über Ungarn nach Bosnien gelangt, während die Reise Franz Ferdinands förmlicheren Charakter hatte. Er schiffte sich auf der Viribus Unitis ein, dem Flaggschiff der österreichisch-ungarischen Flotte, das ihn bis zur Mündung der Naretva brachte, von wo es weiter nach Bad Ilica ging. Noch am selben Tag unternahm das Paar einen Spaziergang in Sarajewo. Ohne unmittelbaren Schutz gingen Franz Ferdinand und ­Sophie durch den Bazar, wo sie Einkäufe machten. Sie erwarben vor allem Geschenke für ihre Kinder, an die sie immer dachten, wie die zahlreichen Telegramme beweisen, die sie ihnen von den einzelnen Etappen der Reise schickten. Der 26. und 27. Juni waren den Manövern gewidmet, die zur Zufriedenheit Franz Ferdinands abliefen. Während dieser Zeit besichtigte Sophie die Stadt Sarajewo. Überall wurde ihr in offensichtlich entspannter Atmosphäre ein herzlicher Empfang bereitet. Was sollte man daher noch auf Gerüchte geben, die von einem möglichen Attentat sprachen? Und doch war alles für die Tragödie vorbe­reitet, als Franz Ferdinand in Begleitung seiner Gemahlin am Sonntagvormittag, dem 28. Juni, in Sarajewo eintraf. Nachdem die Verschwörer einige Tage zuvor ihre Waffen erhalten hatten, postierten sie sich an unterschiedlichen Stellen des Appell-Kais entlang der Miljacka, die durch Sarajewo fließt. Um dem Erzherzog keine Chance zu lassen, war die Gruppe um drei weitere, von Danilo Ilić rekrutierte junge Männer vergrößert worden. Nun waren also sechs Männer auf 300 Metern der Strecke verteilt, die der offizielle Zug nehmen sollte. Die Tatsache, dass das von den Behörden vorgesehene Sicherheitsaufgebot nicht allzu groß war – zweifellos um die Bevölkerung durch eine exzessive Zurschaustellung von Streitkräften nicht zu verstimmen –, erleichterte ihre Aufgabe. Zu einem ersten Attentat kam es auf dem Weg zum Rathaus, wo der Erzherzog und die Herzogin von hochgestellten Persönlichkeiten der Stadt 275

Sarajewo

und der Provinz empfangen werden sollten. Nachdem die weiter vorne postierten Verschwörer keine Anstalten gemacht hatten, warf Nedeljko Čabrinović seine Bombe auf den dritten Wagen des Konvois, in dem Franz Ferdinand und Sophie mit General Potiorek Platz genommen hatten. Die Bombe schlug auf dem Verdeck des Wagens auf, rollte auf den Boden und explodierte, als der nachkommende Wagen vorbeifuhr, wobei Oberstleutnant von Merizzi, der Flügeladjutant von General Potiorek, verletzt wurde. Franz Ferdinand hingegen hatte das Attentat unverletzt überlebt. Noch einmal war das anvisierte Ziel der Hand seines Mörders entkommen. Im Rathaus angekommen, wandte sich Franz Ferdinand an den Bürgermeister, der natürlich nichts für den Anschlag konnte: „Das ist recht hübsch! Da kommt man zu Besuch und wird mit Bomben empfangen.“216 Die ursprünglich geplante Route durch die Altstadt wurde nun als zu gefährlich eingestuft und aufgegeben. Franz Ferdinand hielt es für seine Pflicht, Oberst­leutnant von Merizzi, der nach dem Attentat sofort in das Militärspital gebracht worden war, vor seiner Abreise aus Sarajewo einen Besuch abzustatten. Um einem neuerlichen Attentat vorzubeugen, wäre noch Zeit gewesen, die Stra­ßen von den Truppen evakuieren zu lassen. Potiorek aber gab keinen dies­bezüglichen Befehl. Man überlegte auch, ob die Herzogin nicht direkt zum Bahnhof fahren sollte, doch sie lehnte kategorisch ab, als Franz Ferdinand ihr das vorschlug. Sie wollte ihren Gemahl keine Minute allein lassen, solange die Gefahr nicht gebannt war. Die in aller Eile getroffenen Vorkehrungen sollten den Erfolg eines neuerlichen Attentats verhindern. Um zum Militärspital zu gelangen, sollten die Wagen des Konvois mit hoher Geschwindigkeit entlang der Miljacka fahren. Gavrilo Princip hatte sich an der Ecke Quai und Franz-JosephStraße postiert. In der ursprünglichen Fahrtroute war vorgesehen, dass die Autos dort ihre Geschwin­digkeit verlangsamten, um die Kurve zu nehmen und in das Straßengewirr der Altstadt einzutauchen. Dies wäre sicherlich der beste Platz gewesen, um auf Franz Ferdinand zu schießen. Die neuen Anordnungen hätten Princip einen Strich durch die Rechnung gemacht, da ihm nun keine Zeit geblieben wäre. Hier kommt der Zufall ins Spiel, ein Akteur der Geschichte, der nur allzu oft heruntergespielt wird, in diesem Fall aber unberechenbare Folgen haben sollte. Franz Ferdinand, die Herzogin und Potiorek hatten in ihrem Wagen Platz genommen, dessen 276

Das Attentat

Chauffeur die Anweisung erhalten hatte, dem Wagen des Bürgermeisters zu folgen. Hatte man in der Aufregung dieser spannungs­geladenen Augenblicke vergessen, dem Fahrer des Fahrzeugs an der Spitze die neue Route bekannt zu geben, oder hatte er die Nachricht falsch verstanden? Jedenfalls folgte er der ursprünglichen Route und bog auf Höhe der Franz-JosephStraße ab, um in die Altstadt zu gelangen. Graf Franz Harrach, der aufrecht auf dem Trittbrett links vom Thronfolger stand, um ihn zu schützen, berichtete, was dann geschah: „Wir fuhren bis zur Lateinerbrücke und bogen gegen die Franz-JosephGasse. In dem Moment erteilte Landeschef Potiorek […] dem Chauffeur den Auftrag zu reversieren, um geradeaus den Appelquai weiterzufahren. Naturgemäß blieb das Auto während der Prozedur des Schaltens circa 2–3 Sekunden stehen, da ertönte von rechts aus dem Menschenspalier ein Schuß und einen Augenblick darauf aus unmittelbarer Nähe. Während das Auto zurückstieß, spritzte ein dünner Blutstrahl aus dem Munde Seiner Kaiserlichen Hoheit auf meine rechte Backe. Ich zog mein Taschentuch heraus, um das Blut vom Munde des Erzherzogs zu wischen, da sagte die Herzogin: ,Um Gottes Willen, was ist Dir geschehen?‘ Ihr Körper rutschte vom Sitz und sie legte ihr Gesicht auf die Knie ihres Gatten. Ich ahnte nicht, daß sie getroffen war und glaubte, sie sei vor Schreck ohnmächtig geworden. Den Erzherzog hörte ich dann sagen: ,Sopherl, Sopherl, stirb mir nicht, bleib für meine Kinder.‘ Um das Vorsinken des Kopfes zu verhindern, packte ich den Erzherzog beim Rockkragen und richtete an ihn die Frage: ,Leidet Eure kaiserliche Hoheit sehr?‘ Deutlich antwortete er: ,Es ist nichts.‘ Er verzog ein wenig sein Gesicht und wiederholte sechs- oder siebenmal, das Bewußtsein verlierend, immer leiser die Worte: ,Es ist nichts.‘ Darauf begann er zu röcheln, zuerst schwach, dann heftiger.“217

Hatte Franz Ferdinand diese letzten Worte noch so deutlich artikulieren können? Die Ärzte bezweifeln es. Man wollte es indes glauben, so sehr waren sie in diesen letzten Augenblicken eine Zusammenfassung seines Lebens und seiner Persönlichkeit. Nach Ankunft des Wagens in der Residenz des Gouverneurs (dem Konak) nur einige Minuten später wurden Franz Ferdinand und Sophie in den ersten Stock getragen, um von den Ärzten untersucht zu werden. Diese konnten nur feststellen, dass nichts mehr zu machen war. Die Verletzungen 277

Sarajewo

waren tödlich gewesen. Im Tod wie im Leben vereint, lagen die beiden Seite an Seite und starben im Abstand von nur wenigen Augenblicken. Gegen elf Uhr war alles vorüber. Ein Attentat, das nie hätte gelingen dürfen, war vollbracht. In der ersten Stunde danach herrschten vor allem Bestürzung und Erregung. Doch man muss wohl nach der Verantwortung fragen, mit anderen Worten: nach den Unzulänglichkeiten und Fehlern, die diese Tragödie ermöglicht hatten. Die Verantwortung von Potiorek scheint klar. Für ihn handelte es sich bei der Reise des Erzherzogs um eine rein militärische Angelegenheit. Er war darauf bedacht, die zivilen Behörden von den Vorbereitungen des Besuches fernzuhalten. Bis zu jenem verhängnisvollen 28. Juni traf er eine Reihe unglücklicher Entscheidungen. Statt sich am vorangegangenen Besuch von Franz Joseph im Jahr 1910 zu orientieren, für den ein beeindruckendes Sicherheitsaufgebot aufgebracht wurde, entschloss er sich für das Gegenteil. Vor allem aber wäre es noch nach dem ersten ­Attentat möglich gewesen, die Route zu räumen, die der Zug nehmen sollte. Man hätte gewiss etwas Verspätung im Programmablauf in Kauf nehmen müssen, aber was zählte eine solche Überlegung angesichts dessen, was auf dem Spiel stand? Natürlich, das Potiorek sofort zur Verfügung stehende Kontingent beschränkte sich auf 150 Mann (es hätte mehrerer Stunden bedurft, um die Truppen herbeizu­schaffen, die an den Manövern etwa 20 Kilometer von Sarajewo entfernt teilgenommen hatten). Allerdings hätte das bei Weitem genügt, um die Operation durchzuführen und die Route zu sichern. Der Tod des Erzherzogs und Thronfolgers und der Herzogin von Hohenberg waren ein sehr hoher Preis für diese Unfähigkeit. Und wer konnte mit Sicherheit behaupten, dass sie nicht noch weit tragischere Folgen haben würde? DIE REAKTIONEN

Es war noch nicht Mittag, als Franz Joseph von seinem Generaladjutanten Graf Paar – er hatte schon 16 Jahre zuvor die schwere Aufgabe gehabt, ihm die Nachricht vom Tod der Kaiserin zu überbringen – von der Ermordung Franz Ferdinands und der Herzogin Hohenberg in Kenntnis gesetzt wurde. Darf man Freiherrn von Margutti glauben, einem anderen seiner Adjutanten, soll die erste, für Franz Josephs Denk- und Wertesystem auf278

Die Reaktionen

schlussreiche Reaktion gewesen sein: „Entsetzlich“, habe er gemurmelt. „Der Allmächtige läßt sich nicht herausfordern. Eine höhere Gewalt hat wieder jene Ordnung hergestellt, die ich nicht zu halten vermochte.“218� Diese Worte wären die Bestätigung, dass sich Franz Joseph, auch 14 Jahre später, in seinem tiefsten Inneren noch immer nicht mit dem Kompromiss abgefunden hatte. Natürlich hatte er sich gefügt, sah aber darin immer noch einen Makel auf der Ehre seines Hauses. Als Hüter einer höheren Ordnung, die ihm von seinen Vorfahren zur Bewahrung übergeben worden war, deren Ursprung aber über diese hinausging, fühlte er sich schuldig, eine Übertretung zugelassen zu haben. Man konnte nicht erwarten, dass Franz Joseph von dieser neuerlichen Prüfung ebenso erschüttert war wie nach dem Selbstmord Rudolfs sowie später der Ermordung Elisabeths. Noch am Tag der Tragödie sah Marie-Valerie ihn unter dem Eindruck der Nachricht, ahnte aber, dass er nicht litt. Als sie ihn am nächsten Tag wiedersah, waren sein Gesicht und seine Worte ernst, die Emotion des Vorabends aber war gewichen. Das hieß keineswegs, ihm wäre nicht bewusst gewesen, welch schwerwiegende Folgen die Ermordung des Thronfolgers des Hauses Öster­reich nach sich ziehen konnte. Die Reaktionen der Öffentlichkeit waren sicher nicht von diesen Überlegungen gelenkt. Für diejenigen, die ihre Hoffnungen auf Franz Ferdinand gesetzt hatten, dass er eine Erneuerung der Monarchie vornehmen würde, war sein Tod wie ein Donnerschlag und eine Totenglocke. Nach seiner Rückkehr aus Sarajewo vertraute Bardolff Friedrich Funder an: „Funder, lieber Funder, es ist alles verloren.“219 Brosch war von der Nachricht wie vor den Kopf gestoßen: „Ich bin, wenigstens geistig, ein ebenso toter Mann wie mein früherer Chef, dessen Ableben mich auf das tiefste erschüttert hat. Halb irrsinnig, bin ich nicht imstande, einen vernünftigen Gedanken zu fassen, geschweige denn jemand zu sehen und zu sprechen.“220 Und er fügte sogar hinzu: „Das Glauben an eine göttliche Weltordnung habe ich gänzlich verloren.“221 Conrad hingegen reagierte in einem Brief vom 28. Juni an Gina von Reininghaus hitzköpfig. Von einer fixen Idee besessen, sah er in dem Attentat die Bestätigung seiner Annahmen. Die Geschichte hätte eine andere Wendung nehmen können, wäre 1909, wie er vorgeschlagen hatte, die Entscheidung für einen vernichtenden Schlag gegen Serbien gefallen, als 279

Sarajewo

eine solche Operation noch ohne Risiko möglich war: „Ein energisches Handeln im Jahre 1909 hätte dieser ganzen Entwicklung eine ganz andere Richtung gegeben – so straft sich Entschlußlosigkeit und Versäumnis.“222 Für die Zukunft prophezeite er nach der Ermordung des Thronfolgers düstere Tage für die Monarchie. Brosch, der lange Zeit Vorbehalte gehegt hatte, kam zu derselben Schlussfolgerung. Am 1. Juli vertraute er General von Auffenberg an: „Endlich weiß ich noch, daß es die tragische Schuld des Erzherzogs war, im Jahre 1908/09 den Krieg gegen Serbien zu verhindern.“223 Die überwiegende Mehrheit schien die Nachricht mit relativer Gleichgültigkeit aufzunehmen, zumindest solange es noch keine internationalen Auswirkungen der Ermordung gab. In seinem Schmerz glaubte Funder allerdings, in der Bevölkerung eine Ergriffenheit ähnlich der eigenen zu erkennen: „In den großen Massen der Bevölkerung mischten sich lähmendes Entsetzen und ehrlicher Schmerz“224, schrieb er in seinen Erinnerungen. Das Zeugnis von Josef Redlich, er schrieb es noch ganz unter dem Eindruck der Nachricht nieder, scheint die Situation besser wiederzugeben: „In der Stadt herrscht keine Trauerstimmung. Im Prater und hier draußen bei uns in Grinzing an beiden Tagen überall Musik.“225 Stefan Zweig, damals in Baden, machte die gleiche Beobachtung. Bei der Bekanntmachung des Todes des Thronfolgers hörte die Blaskapelle zu spielen auf, aber: „... immer mehr Menschen scharten sich um diesen Anschlag. Einer sagte dem anderen die unerwartete Nachricht weiter. Aber um der Wahrheit der Ehre zu geben: keine sonderliche Erschütterung oder Erbitterung war von den Gesichtern abzulesen. Denn der Thronfolger war keineswegs beliebt gewesen […] Zwei Stunden später konnte man kein Anzeichen wirklicher Trauer mehr bemerken. Die Leute plauderten und lachten, spät abends spielte in den Lokalen wieder die Musik.“226

Der Schock, den der Tod Rudolfs bei der Wiener Bevölkerung ausgelöst hatte, war in keiner Weise vergleichbar mit jenem nach Franz Ferdinands Tod. Das ist nicht weiter erstaunlich. Für die Wiener war Rudolf kein Fremder, hatte er doch den Großteil des Jahres in ihrer Stadt gelebt. Man sah ihn nicht nur bei offiziellen Anlässen, sondern auch sonst. Von seiner Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen bis hin zu seinen Ausfahrten in 280

Die Reaktionen

den Prater war er den Facetten des Wiener Lebens verbunden, und diese Nähe brachte ihm eine Popularität ein, die Franz Ferdinand fehlte. Die Wiener hatten nur wenig Gelegenheit, den Thronfolger kennenzulernen. Er wohnte nur eine begrenzte Zeit im Jahr in der Hauptstadt der Monarchie, auch zeigte er sich während seiner Aufenthalte kaum. Ganz anders als Franz Joseph, der täglich in der Kutsche von Schönbrunn in die Hofburg fuhr. In dem Bild, das Karl Kraus Anfang Juli von Franz Ferdinand in der Fackel veröffentlichte, unterstreicht er diesen Charakterzug: „Er war kein Grüßer. Nichts hatte er von jener ,gewinnenden‘ Art, die ein Volk von Zuschauern über die Verluste beruhigt. Auf jene unerforschte Gegend, die der Wiener sein Herz nennt, hatte er es nicht abgesehen.“227

Die missverstandene Distanziertheit war Anlass für zahlreiche Gerüchte. Franz Ferdinand verstand es nicht, manche Charakterzüge zu nützen, die ihm durchaus die Sympathie seiner künftigen Untertanen hätten einbringen können – seine Liebesheirat oder seine Freude am Familienleben. Stattdessen sahen viele in seiner Distanziertheit ein Zeichen für Arroganz; ein Kritikpunkt, zu dem sich die Vorwürfe von Bigotterie und autokratischen Tendenzen gesellten. Mit einem Wort: Franz Ferdinand war nicht beliebt. Er war es auch bei der Mehrheit der Ungarn nicht, die sich, um seine Einstellung wissend, vor seiner Thronbesteigung fürchteten. Wem kommt da nicht die berühmte Szene im Radetzkymarsch von Joseph Roth in den Sinn? Als während dem von Graf Chojnicki gegebenen Empfang am 28. Juni Gerüchte von einem Attentat in Sarajewo auftauchen, bei dem der Thronfolger getötet worden sein soll, bringt Benkyö zum Ausdruck, was alle ungarischen Offiziere dieses an der Ostgrenze der Monarchie stationierten Regiments denken: „Wir sind übereingekommen, meine Landsleute und ich, daß wir froh sein können, wann das Schwein hin ist.“228 Eine frei erfundene Geschichte, könnte man sagen, zweifellos. Doch es gibt Schriftsteller, die, besser als ein Augenzeuge, das Talent haben, in einem literarischen Werk Befindlichkeit und Stimmung in einer Gesellschaft angesichts eines historischen Augenblicks wiederzugeben. Joseph Roth gehört in diese Kategorie. Natürlich sahen nicht alle Ungarn im Thronfolger 281

Sarajewo

ein „Schwein“. Abgesehen davon, dass die Bezeichnung übertrieben ist, zeigt die Szene doch sehr gut, wie tief der Graben zwischen Franz Ferdinand und dem ungarischen Volk war. DAS BEGRÄBNIS

Franz Ferdinand hatte schon einige Jahre zuvor Verfügungen für sein eigenes Begräbnis und das seiner Gemahlin getroffen. Ohne auch nur im Traum daran zu denken, dass der Tod sie gemeinsam ereilen könnte, ging er davon aus, dass er naturgemäß früher zu Gott gerufen würde als Sophie. Die nicht dem kaiserlich-königlichen Hause angehörende Herzogin von Hohenberg konnte nicht in der Kapuzinergruft bestattet werden. Franz Ferdinand hätte die Macht gehabt, das Verbot nach der Thronbesteigung aufzuheben, doch entschloss er sich für eine gemeinsame Grabstätte in einer der Residenzen, wo er fernab von Wien und dem Hof glücklich gewesen war.Vereint, wie sie im Leben waren, sollten sie auch im Tode sein. Aus diesem Grund hatte Franz Ferdinand in Schloss Artstetten eine Krypta errichten lassen, die einst ihre sterblichen Überreste aufnehmen sollte. Die Leichname von Franz Ferdinand und Sophie sollten also nach dem Willen des Verstorbenen in Artstetten beigesetzt werden. Da die Feierlichkeiten wie einst bei der Hochzeit privaten Charakter haben würden, gab es keine Einmischung der Stellen bei Hofe. Diesen oblag es aber, die Ehrenbezeugungen zu organisieren, die den Verstorbenen in Wien dargebracht werden sollten. In einer ersten Etappe wurden die sterblichen Überreste auf der Viribus Unitis nach Triest gebracht, wo sie ein Sonderzug übernahm. Mit der Ankunft in Wien kamen sie unter die Oberhoheit des Fürsten Montenuovo, dem in seiner Eigenschaft als Obersthofmeister die Aufgabe oblag, die Zeremonie bis ins kleinste Detail festzulegen. Zu Lebzeiten von Sophie wandte er die Regeln des Hofes auf das Strikteste an und hatte keine Gelegenheit ausgelassen, sie fühlen zu lassen, dass sie durch ihre Heirat nicht zu einer Habsburgerin geworden war; gleichzeitig traf er damit auch Franz Ferdinand. Der Tod machte ihn nicht nachsichtiger. Nach Ankunft des Zuges am Südbahnhof in den Abendstunden des 2. Juli wurden die Särge in die Hofburgkapelle gebracht; dort war ein Katafalk errichtet worden, um sie aufzunehmen. Fürst Montenuovo wachte 282

Das Begräbnis

darüber, dass durch eine Reihe von Verfügungen der Unterschied in der Stellung zwischen den Eheleuten gewahrt blieb. So wurden die Särge nicht auf gleicher Höhe aufgestellt, und während auf dem Sarg von Franz Ferdinand sein Erzherzogshut, seine Prinzenkrone, sein Säbel und seine Orden als Insignien seines Ranges lagen, war jener von Sophie lediglich mit einem einfachen Paar Handschuhe und einem Fächer geschmückt. Am nächsten Tag hatten die Wiener nur vier Stunden Zeit, sich vor den Särgen zu verbeugen, bei der Verabschiedung von Rudolf waren es eineinhalb Tage. Am Nachmittag wurde ein Trauergottesdienst gefeiert, an dem Franz Joseph, die kaiserliche Familie, das diplomatische Corps, die Minis­ter und Generäle anwesend waren. Obwohl einige Herrscher, insbesondere Wilhelm II., den Wunsch geäußert hatten, an den Feierlichkeiten teilzunehmen, hatte der Hof von einer Einladung der gekrönten Häupter des monarchischen Europa Abstand genommen. Als Argument wurde vorgebracht, man wolle den alten Monarchen schonen. Aufgrund seines hohen Alters und seiner gebrechlichen Gesundheit müsse man ihm allzu große Strapazen ersparen. Diese wären unausweichlich gewesen, hätte er die zu erwartenden Herrscher begrüßen müssen. Hinzu kam aber noch, dass man eine Einladung an König Peter I. von Serbien vermeiden wollte, erhärtete sich doch der Verdacht, sein Land sei in das Attentat verwickelt. Blieb noch die Überführung der Särge zum Westbahnhof, die spät am Abend stattfand. Fürst Montenuovo hatte ursprünglich keine Militäreskorte als Begleitung für den Leichenzug vorgesehen. Als dies bekannt wurde, war man in Adelskreisen darüber empört. Innerhalb weniger Stunden wurde auf Initiative von Fürst Starhemberg eine Riposte organisiert. Auf Anweisung von Franz Joseph wurde das von Montenuovo vorgesehene Programm ­allerdings geändert. Den ganzen Weg entlang erwiesen Soldaten der Wiener Garnison dem Zug die militärischen Ehren und ein Sonderkommando von Ulanen eskortierte den Konvoi bis zum Westbahnhof. Erzherzog Karl, der neue Thronfolger, der bei diesem letzten Akt auch den Kaiser vertrat, folgte dem Leichenzug zu Fuß. Er wurde von mehreren Erzherzögen und mehr als hundert Vertretern der höchsten Adelshäuser begleitet. Die Organisation des Zeremoniells von der Ankunft der Särge in Wien bis zu der Weiterfahrt nach Artstetten löste umfangreiche Kritik aus, die sich auch in der Presse niederschlug. Alles drehte sich um dasselbe Leit283

Sarajewo

motiv: Der Vorwurf lautete, man habe den Erzherzog-Thronfolger und darüber hinaus Generalinspektor der gesamten bewaffneten Macht in einer seiner Stellung nicht entsprechenden Weise behandelt. Die Erregung muss so groß gewesen sein, dass Franz Joseph es für notwendig erachtete, einzuschreiten und Fürst Montenuovo durch ein öffentliches Zeichen seine Zufriedenheit über die Art und Weise zu bezeugen, wie er die schwierige Mission erfüllt hatte. Dies geschah in Form eines am 7. Juli in der Wiener Zeitung veröffentlichten Briefes: „Lieber Fürst Montenuovo! Im Vollbesitz Meines Vertrauens seit einer Reihe von Jahren an der Spitze Meines Hofstaates stehend, haben Sie, stets in Übereinstimmung mit Meinen Intentionen, unermüdlich und mit ganzem Erfolg Ihres verantwortungsreichen Amtes gewaltet. In den jüngsten Tagen hat das Hinscheiden Meines geliebten Neffen, des Erzherzogs Franz Ferdinand, mit welchem Sie andauernd vertrauensvolle Beziehungen verbanden, ganz außerordentliche Anforderungen an Sie, lieber Fürst, herantreten lassen und Ihnen neuerlich Gelegenheit gegeben, Ihre aufopfernde Hingabe an Meine Person und an Mein Haus in hohem Maße zu bewähren. Gerne ergreife ich den Anlass, Sie Meines wärmsten Dankes und Meiner vollen Erkenntlichkeit für Ihre ausgezeichneten treuen Dienste zu versichern. Wien, am 6. Juli 1914. Franz Joseph.“229

Auch wenn dieser Brief mit der Wahrheit recht frei umging, sollte seine Veröffentlichung die Kritiken, die bis in die Hofburg vorgedrungen waren, zum Verstummen bringen und allen zu verstehen geben, dass Fürst Montenuovo nur den Willen des Kaisers umgesetzt hatte. Bei Ankunft des Zuges in Pöchlarn gegen zwei Uhr morgens stimmte die Natur in die Trauer ein. Ein gewaltiges Gewitter entlud sich. Kinder,Verwandte und Freunde, die diese Reise für ein letztes Abschiednehmen von den Verstorbenen unternommen hatten, suchten Schutz in dem kleinen Bahnhof. Trotz der entfesselten Elemente musste man die Donau überqueren, um nach Artstetten zu gelangen, wo die Beisetzung stattfinden sollte. Der gesamte Leichenzug wurde auf ein Schiff verladen. Die weitere Geschichte mutet dantesk an. Während der Überfahrt scheute ein durch einen Donnerschlag in Panik geratenes Pferd und die Särge drohten in die Fluten der Donau zu stürzen. Das Ungeheuerliche wurde gerade noch 284

Das Begräbnis

verhindert, doch die Szene war wie eine prophetische Vorankündigung der nahenden Katastrophe, in der ganz Europa versinken und die Monarchie untergehen sollte. Die Messe wurde um neun Uhr in der Schlosskapelle gefeiert. Erzherzog Karl wollte durch seine Anwesenheit die enge Beziehung zu seinem Onkel bekunden. Zu den Teilnehmern zählte auch Ferdinand Karl. Nach seiner Heirat mit Berta Czuber war er aus der kaiserlichen Familie ausge­ schlossen und aus der Monarchie verbannt worden. Nur auf die drängende Bitte von Erzherzogin Maria Theresia hatte er eine Sondererlaubnis erhalten, aus München anzureisen und seinen Bruder auf dem letzten Weg zu begleiten. Wer ihn seit etwa zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte, erkannte ihn kaum wieder. Nachdem er sich geweigert hatte, sich der von Eisenmenger vor seiner Abreise aus Wien vorgeschlagenen Behandlung zu unterziehen, war er von der Tuberkulose gezeichnet und hatte nur mehr einige Monate zu leben. Nach Ende der Messe war der letzte Akt der Zeremonie gekommen. Die beiden Särge wurden von Männern durch das von Verwandten und Freunden gebildete Ehrenspalier von der Kapelle in die Krypta getragen, über eine schmale Stiege, über die sich Franz Ferdinand einst lustig gemacht hatte. Nach dem letzten Abschied der Gäste senkte sich die Stille der Ewigkeit über die Verblichenen. Franz Ferdinand und Sophie ruhen Seite an Seite, wie sie es auch im Leben getan haben, eine Verbindung, auf die auch die Inschrift auf dem Grabstein hinweist: JUNCTI CONNUBIO FATIS JUNGUNTUR EISDEM. Nach Ende der Zeremonie kehrten die meisten Gäste nach Wien zurück, darunter auch die drei Kinder der Verstorbenen, die Franz Joseph in Schönbrunn empfangen wollte. Nach diesem Treffen kehrten sie nach Kono­pischt zurück, wo sie in der Obhut ihres Onkels Graf Jaroslav ThunHohenstein und unter dem wachsamen Auge des treuen Janaczek die nächsten vier Jahre verbringen sollten. Sie nahmen dort auch ihre Studien wieder auf; die beiden Knaben absolvierten bis zur Matura die jähr­ lichen Prüfungen am Schottengymnasium. Obwohl sie nicht dem Hause Habsburg angehörten, wachte Franz Joseph über ihre Zukunft und sicherte ihnen eine jährliche Apanage von 400.000 Gulden zu. Diese Summen wurden in Liegenschaften und Grundbesitz vorwiegend in Wien und im 285

Sarajewo

Gebiet des heutigen Österreich investiert. Nach 1918 sollte sich zeigen, wie klug diese Entscheidung war. Da der tschechoslowakische Staat die Hohenbergs den Habsburgern zurechnete, verloren sie alle Besitzungen, damit auch Konopischt und Chlumetz. Die Republik Österreich hingegen nahm Rücksicht auf ihre Sonderstellung. So behielten sie dort ihre Besitzungen und durften sie auch bewohnen. Nach dem Begräbnis in Artstetten war das letzte Wort noch nicht gesprochen, nun waren die Politiker, Diplomaten und Militärs am Zug. Die Ermordung Franz Ferdinands hatte die Büchse der Pandora geöffnet. Auf den Tag genau einen Monat später ließ sich Österreich-Ungarn auf einen Krieg ein. Man glaubte, ihn örtlich begrenzt halten zu können, stattdessen wurde er in Windeseile international. Innerhalb weniger Tage hatte der Flächenbrand den Großteil des europäischen Kontinents erfasst. Es wurden Kräfte freigesetzt, die bislang – wenn auch mühsam – zurückgehalten werden konnten, jetzt aber alle Dämme zum Bersten brachten. Schnell geriet der Auslöser der Tragödie in Vergessenheit, wie man einst rasch vergessen hatte, dass am Beginn des Deutsch-Französischen Krieges von 1870 die Nachfolge auf dem spanischen Thron gestanden war. Unter den Soldaten in den Schützengräben gab es nur wenige, die auch nur den Namen des österreichischen Erzherzogs kannten, dessen Tod diese Katastrophe ausgelöst hatte. Die anderen Akteure des Dramas von Sarajewo waren nur mehr Randfiguren der großen Erschütterung, die sie ausgelöst hatten und die nun einen nach dem anderen zermalmte. Wer interessierte sich nur wenige Wochen nach dem Attentat noch für Gavrilo Princip und seine Gefährten? Am Ende des Prozesses, der im Oktober 1914 stattfand, ersparte ihm sein jugendliches Alter – er stand kurz vor seinem 20. Geburtstag – nach österreichischem Recht den Galgen. Er wurde zu 20 Jahren Festungshaft verurteilt. Da er doch Potiorek treffen wollte, brachte er sein Bedauern darüber zum Ausdruck, die Herzogin von Hohenberg getötet zu haben. Aus dem gleichen Grund wurden Nedeljko Čabrinović und Trifko Grabež zur selben Strafe verurteilt. Weiters wurden vier Todesstrafen verhängt, von denen allerdings nur zwei vollstreckt wurden. Den drei jungen Männern war dasselbe Schicksal beschieden. In Festungshaft im böhmischen Theresienstadt, wo sie strengsten Inhaftierungsbedingungen unter­worfen waren, erkrankten sie 286

Das Begräbnis

an Tuberkulose und starben alle drei in Haft. Gavrilo Princip als Letzter am 28. April 1918. Auch Oberst Dimitrijević starb vor Ende des Krieges. Er wurde Opfer jenes Konfliktes, der in den ersten Monaten des Jahres 1914 zwischen der Schwarzen Hand auf der einen Seite und dem im Juni 1914 zum Regenten proklamierten Thronfolger sowie Nikola Pašić auf der anderen Seite ausgebrochen war. Dieser Konflikt erreichte nach dem Rückzug der serbischen Armee im November 1915 sogar Griechenland. Beschuldigt, ein Attentat gegen Fürst Alexander geplant zu haben, wurde Dimitrijević wegen Anzettelung einer Verschwörung gegen den Regenten verurteilt und im Juni 1917 in Saloniki hingerichtet. Nach dem Krieg wurden die sterblichen Überreste von Princip aus der Tschechoslowakei zurückgeholt und mit großem Pomp in Sarajewo beigesetzt.Was Oberst Dimitrijević betrifft, war es dem Jugoslawien Titos eine Genugtuung, dem Andenken der untergegangenen Monarchie zu schaden. 1953 organisierte man einen Prozess zu seiner Rehabilitierung, in dem er vom Vorwurf freigesprochen wurde, ein Attentat gegen Fürst Alexander vorbereitet zu haben. Aus seiner Rolle bei der Ermordung in Sarajewo, die immer noch als erster Akt der Befreiung der Südslawen vom österreichischungarischen Joch gefeiert wurde, machte man kein Geheimnis. In Österreich hatte die jüngst errichtete Republik andere Sorgen als die Ehrung des Andenkens an einen Erzherzog des Hauses Habsburg. Franz Ferdinand nahestehende Persönlichkeiten (Leopold von Chlumecky, Theodor von Sosnosky,Victor Eisenmenger) sollten sich bemühen, ihm ein positives Image zu verlei­hen. Ganz anders tönte es bei den Siegern: Vae Victis! Wie es in der Natur der Sache lag, verbreiteten sie das Bild eines kriegstreiberischen Fürsten, der mit seinem Mittäter Kaiser Wilhelm II. die schlimmsten Pläne gegen den Frieden in Europa ausgeheckt hätte. Es galt abzuwarten, bis die Leidenschaften im Laufe der Jahre abgekühlt waren, um eine Neueinschätzung Franz Ferdinands in Angriff nehmen zu können.

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KAPITEL XII

Der Mann, der die Monarchie hätte retten können? Princips Revolverschuss hatte ein Schicksal besiegelt, das noch hätte ge­ schrieben werden müssen. Rudolf erlitt 25 Jahre zuvor dasselbe Schicksal. Er war gestorben, ohne Gelegenheit gehabt zu haben, sein Können unter Beweis zu stellen. Auf die militärische Laufbahn beschränkt, war er noch weit vom Gipfel der Hierarchie entfernt. Franz Ferdinand war etwas älter und hatte die höchste militärische Stellung erreicht. Von dieser Position aus versuchte er, die Entscheidungen Franz Josephs und seiner Regierungen sowohl im innenpolitischen als auch im außenpolitischen Bereich zu beeinflussen. Mit mäßigem Erfolg. Obwohl sie von sehr unterschied­lichen Voraussetzungen ausgingen, hatten Rudolf und Franz Ferdinand eine strikte Meinung zur Organisation der Monarchie. Beide waren überzeugt, sie müsste dringend reformiert werden. Und schon kam die Theorie auf, dass beide – einer nach dem anderen – die letzte Chance für die Monarchie gewesen seien, die zum anderen „kranken Mann Europas“ geworden war. Wenn wir davon ausgehen, dass sich die Frage so stellt, was keineswegs unumstritten ist, dann ist sie für Rudolf schnell beantwortet. Aufgrund der Krankheit, unter der er litt, hatte er keine Aussicht, bis 1916 zu leben. Bei Franz Ferdinand sind die Gegebenheiten offenkundig andere, da er ohne das Attentat von Sarajewo Franz Joseph höchstwahrscheinlich nachgefolgt wäre. Sollen wir also glauben, dass er, wie Graf Carlo Sforza in einem im Juni 1930 in der Revue de Paris erschie­nenen Artikel ausführt, „der Mann war, der Österreich hätte retten können“?

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Der Mann, der die Monarchie hätte retten können?

EIN KOMPLEXER CHARAKTER Die Feststellung, dass die Monarchie ausgelaugt und vom Zerfall bedroht war, wäre eine eigene Studie wert. Gehen wir behelfsweise davon aus, um uns besser mit der Hypothese von Franz Ferdinand als mögli­chem Retter Österreichs befassen zu können. Allein die Beschäftigung mit seinem Charakter hilft, eine Antwort zu skizzieren. Besonders wertvoll sind in diesem Zusammenhang die Zeugnisse, die Brosch und Bardolff hinterließen, die engsten Mitarbeiter in den letzten Jahren. Zwei Persönlichkeiten, die kom­ plexer kaum sein könnten. Franz Ferdinand duldete zwar keinen Widerspruch, war aber selbst voller Widersprüche. Er verfügte über einen unbeugsamen Willen, den er unter Beweis stellte, als er – unter schmerzlichen Umständen – Franz Joseph die Zustimmung abrang, Sophie Chotek heiraten zu dürfen. Beharrend auf seinen Überzeu­gungen, um nicht zu sagen: Besessenheiten, duldete er keinen Wider­stand. Jeder, der sich ihm in den Weg stellte, musste damit rechnen, von seinem Zorn verfolgt zu werden. Seine Wutausbrüche, seine verbalen Entgleisungen weisen sowohl auf die tief in ihm verankerte Aggression als auch auf seine Unfähigkeit hin, diese im Zaum zu halten. Auch wenn diese Seite seiner Persönlichkeit am sichtbarsten zutage trat, darf sie nicht jene andere verdecken, durch die Erstere etwas korrigiert oder zumindest in ihren Auswirkungen abgeschwächt wird. „Dem Eh. wird große Energie nachgesagt und mit Recht, leider wirkt sie eher explosiv wie impulsiv“230, meinte Brosch. Bardolff äußerte sich nicht viel anders: „Seine Energie war, wie vieles andere seines Charakters mehr abstoßig als stetig.“231 Daraus resultierte die Schwierigkeit, sich auf eine Vorgangsweise festzulegen, bzw. die Gefahr, dass Franz Ferdinand vor den Folgen einer wichtigen Entschei­dung zurückschreckte: „Dabei ist die Besorgnis nicht ungerechtfertigt“, fuhr Brosch fort, „daß der Eh., nachdem er eine Sache mit übergroßer Energie angegangen vor den letzten Konsequenzen im entscheidenden Moment zurückschreckt und nicht durchhält“232. Ist dieser Charakterzug tatsächlich, wie Brosch zu meinen scheint, unter den Habsburgern verbreitet? Vielleicht ist es berechtigt, ihn auch als Zeichen mangelnder Selbstsicherheit zu sehen, was ein Schlüssel zur Erklärung der Persönlichkeit Franz Ferdinands sein könnte. Seine Entgleisungen und 290

Ein komplexer Charakter

Gewaltausbrüche wären dann eine Art Kompensation für seine Selbstzweifel. Eine Konsequenz dieser Zweifel war, dass sie bei Franz Ferdinand eine übertriebene Reizbarkeit auslösten gegenüber Persönlichkeiten in der staatlichen Verwal­tung und der Armee, die umfangreichere Kompetenzen hatten als er selbst und über die Dreistigkeit verfügten, sich ihm nicht unterzuordnen. Er verabscheute nichts mehr, als wenn man ihm eine Lektion erteilte oder ihm ganz einfach die Stirn bot. Daher musste es zu einem Konflikt mit starken Persön­lichkeiten kommen, die sich ihres Wertes bewusst waren und ihren Standpunkt vertraten, auch wenn er mit dem Franz Ferdinands nicht übereinstimmte. Das erklärt zum Teil auch die Verschlechterung seiner Beziehungen zu Aehrenthal und Conrad. War es also unmöglich, wirklich Einfluss auf Franz Ferdinand zu gewinnen? Das Beispiel Brosch beweist das Gegenteil. Als er sein eigenes Porträt zeichnete, meinte er, dass es viel Geduld brauchte, um das Vertrauen Franz Ferdinands zu erringen. Und vor allem durfte der Thronfolger nicht den Verdacht hegen, sein Gesprächspartner suchte ihn zu beeinflussen: „Weiß man also Aufrichtigkeit in eine genehme Form“, so erklärte er, „die den Widerspruch aus dem Weg geht, zu kleiden, so kann man beinahe alles durchsetzen. Freilich gehört dazu viel Geduld, Geschick und die Wahl des richtigen Zeitpunktes; es ist also mühsam.“233 War dies erreicht, konnte man Einfluss auf Franz Ferdinand gewinnen, umso mehr, als er im Unterschied zu Franz Joseph kein Mann der Akten war. Im Laufe des Jahres verbrachte er nur wenige Wochen in Wien. Abgesehen von seinen Aufenthalten im Belvedere, hielt er sich in seinen verschiedenen Residenzen auf, wenn er nicht auf Erholungs­reisen war. Darüber hinaus pflegte er das Familienleben, widmete sich seinen Sammleraktivitäten und frönte der Jagdleidenschaft. Es fehlte einfach die Zeit zum eingehenden Studium von Akten. Auch bildete sich Franz Ferdinand seine Meinung meist nicht nach reiflicher Über­ legung, sondern aus einem Impuls heraus, wobei häufig ein beträchtlicher Teil an Vorurteilen mit einfloss. Damit gab es auch Raum für jemanden, der es unter strikter Wahrung der Form verstand, ihn zu lenken, ihm die Analyse eines Problems vorzulegen und Lösungen vorzuschlagen. Brosch verfügte unbestreitbar über diese Gabe. Er „ist entschieden als bedeutsamster Wegbereiter und zugleich als Mentor des Erzherzogs zu betrachten“, 291

Der Mann, der die Monarchie hätte retten können?

stellte Glaise-Horstenau fest. Er war aber auch der Einzige, der über dieses Talent verfügte und diese Position erreichte. Müssen wir also Bardolff beipflichten, wenn er bei der Analyse der Persönlichkeit Franz Ferdinands in seinen Erinnerungen schrieb: „Dieser Zug in seinem Wesen ließ manche an seiner Führerberufung für die Zukunft nicht mit Unrecht zweifeln“234? Man darf dabei nicht außer Acht lassen, dass diese Ein­schätzung 30 Jahre nach dem Tod Franz Ferdinands niedergeschrieben wurde. Zunächst sehr in der deutsch-nationalen Bewegung engagiert und dann dem Nationalsozialismus nahestehend, distanzierte sich Bardolff vom Erbe jenes Mannes, dessen engster Mitarbeiter er am Vorabend von 1914 gewesen war. Daher rührt auch der manchmal kritische Ton in seinen Erinnerungen. Außer­dem ist es vielleicht nicht besonders angebracht, eine allzu betonte Lobesrede auf den früheren Thronfolger zu halten, während dessen beide Söhne in einem Konzentrationslager dahinvegetierten. Man sollte sich aber hüten, diese Bemerkung einfach vom Tisch zu wischen. Brosch und Bardolff sahen beide bei Franz Ferdinand eine Neigung zur Unent­schlossenheit, die sich im entscheidenden Augenblick als lähmender Faktor hätte erweisen können.Verfolgte man dies weiter, wäre es verlockend, einen Be­weis dafür in der Tatsache zu sehen, dass er am Vorabend seiner Thronbe­steigung immer noch keinen Aktionsplan festgelegt hatte. Die Analyse sollte aber nicht zu weit in diese Richtung weiterbetrieben werden. Hätte Franz Ferdi­nand seine Absichten schon im Vorhinein im Detail bekannt gegeben, wären ihm die Hände damit unnötigerweise gebunden gewesen. Es stand ihm daher zu, sich seine Entscheidungsfreiheit zu bewahren. Auch lag es in seinem Interesse, seine Absichten mit einem gewissen Geheimnis zu umgeben. Es war wichtig, sich den Vorteil der Initiative zu sichern, den er natürlich verloren hätte, wären seine Absichten vorzeitig bekannt geworden. Die Sorge, seine Karten nicht zu früh auf den Tisch zu legen, bedeutete nicht unbedingt, dass Franz Ferdinand noch unsicher war. Mehrere Hinweise legen nahe, dass er seine Entscheidung zwischen den beiden ihm unterbreiteten Optionen bereits getroffen hatte: Unnachgiebigkeit zu zeigen, wie dies zuletzt von Eichhoff und Bardolff gefordert wurde, oder eine weniger radikale Vorgangsweise zu verfolgen, wie sie in ihren groben Zügen 292

Eins Spiel mit Hypothesen

Brosch schon 1910 skizziert hatte. Franz Ferdinand soll sich schon in den Monaten vor Sarajewo entschieden haben. Wenn er den von Eich­hoff entwickelten Plan gekannt hat, so deutet nichts darauf hin, dass er ent­schlossen war, diesen zu unterstützen. Andererseits scheint er im Begriff gestanden zu sein, sich von Bardolff zu trennen, von dessen deutsch-nationalen Sympathien er erfahren haben soll, und Brosch an seine Seite zu holen. Auch seine Entscheidung, Czernin, einen erklärten Befürworter einer radikalen Lösung, aus seinem engeren Kreis auszuschließen, kann man nicht einfach beiseitelassen. Man muss es nicht so interpretieren, dass er in Un­gnade gefallen war, doch kommt man nicht umhin, dieser Ablöse politische Bedeutung beizumessen. Diese Indizien legen nahe, dass Franz Ferdinand eine gewaltsame Auseinander­setzung mit Ungarn nicht oder nicht mehr bevorzugte, auch wenn sie nicht ganz ausgeschlossen werden kann. Unter dieser Annahme musste sich Franz Ferdinand mit zahlreichen weiteren Fragen auseinandersetzen, auf die er kaum oder keinen Einfluss hatte: Wann würde er den Thron besteigen? Wie würde die Konstellation auf der politischen Bühne sowohl in Österreich als auch in Ungarn zu diesem Zeitpunkt aussehen? Würden die internationalen Beziehun­gen ihm freie Hand lassen? All diese Fragen eröffneten eine Vielzahl von Mög­lichkeiten, die er für seine endgültige Entscheidung in Betracht hätte ziehen müssen.

EIN SPIEL MIT HYPOTHESEN – WAS WÄRE GEWESEN, WENN? Die Frage des Historikers „Hätte Franz Ferdinand die Monarchie gerettet?“ ist wenig sinnvoll, wenn sie rein theoretisch gestellt wird. Der Lauf der Geschichte folgt von Natur aus der Kontingenz und nur vor diesem Hintergrund kann eine solche Fragestellung untersucht werden. Dies vorangestellt, lassen sich zwei Möglichkeiten diskutieren. Die erste geht von der Hypothese aus, Franz Ferdinand hätte im Verlauf des Frühjahrs 1914 den Thron bestiegen, was durchaus plausibel ist, gab doch der Gesundheitszustand Franz Josephs damals Anlass zu großer Sorge. Wenn Franz Ferdinand sich in Konopischt aufhielt, wartete immer ein Zug abfahrbereit, um ihn umgehend nach Wien zu bringen, sollte das Unvermeid293

Der Mann, der die Monarchie hätte retten können?

liche eintreten. Hätten die Ereignisse diese Wendung genommen, wäre die Wahrscheinlichkeit nur gering gewesen, dass der neue Herrscher an den Manövern in Bosnien teilge­nommen hätte. In diesem Fall hätte die Reform der Monarchie seine Aufmerksam­keit und seine Zeit voll und ganz in Anspruch genommen. Der Lauf der Geschichte hat sich in Sarajewo entschieden. Es bedurfte jedoch einer besonderen Konstellation, dass dem Attentat von Princip Erfolg beschie­den war. Die andere Möglichkeit geht von der Hypothese aus, dass Franz Ferdinand den zweiten Attentatsversuch überlebt hätte, was kei­ neswegs absurd ist. Das wäre aller Wahrscheinlichkeit eingetreten, wäre das Fahrzeug des Erzherzogs wie vorgesehen den Kai entlanggefahren, ohne auf Höhe der Stelle anzuhalten, an der Princip postiert war. Meist geht man von der ersten Möglichkeit aus, wenn man die Frage stellt, ob Franz Ferdinand die Monarchie hätte retten können oder nicht. Vor allem darf man bei dieser Analyse nicht außer Acht lassen, dass sein Regierungsantritt von schweren Hypotheken belastet gewesen wäre. In der Bi­lanz, die Joseph Redlich nach dem 28. Juni 1914 im Hinblick auf Franz Ferdi­nand zog, wies er zunächst auf die mangelnde Popularität hin, die dem Thronfolger von weiten Teilen der Bevölkerung entgegenschlug. Er war nicht nur der Mehrheit der Ungarn verhasst, was allein schon schwer wog. Hinzu kamen noch die Po­len, für die er immer nur sehr harte Worte fand. Diese Feindschaft durfte man nicht auf die leichte Schulter nehmen, da schon lange keine österreichische Re­gierung mehr ohne Unterstützung des „Polenklubs“ gebildet worden war. Die Beziehung Franz Ferdinands zu den Tschechen war nicht viel besser. Unter den Deutschen in Österreich hätte er mit der Unterstützung der Christlichsozialen rechnen können. Seine Beziehung zu den liberalen Kreisen hingegen wäre wohl gespannt gewesen. Sein tatsächlicher oder vermeintlicher Klerikalismus machte ihn in deren Augen nicht sympathisch. Ganz zu schweigen von seinen auto­ krat­ischen Neigungen. Daraus folgt, dass ihm eine genügend breite Basis gefehlt hätte, um zu regieren.Vielleicht schenkte er dem keine Beachtung, weil er der Meinung war, ein Herrscher sei fehl am Platz, wenn er sich um Popularität bemühte: „Was heißt Popularität?“, sagte er zu Andrássy bei ihrem berühmten Treffen in Konopischt. „Darum kümmere ich mich nicht. Ich bin der An294

Eins Spiel mit Hypothesen

sicht, daß die Pflicht des Herrschers ist, in jedem Fall das zu tun, was er für gut hält, ohne daran zu denken, ob das gefällt oder nicht.“235 Davon war er fest überzeugt und meinte, falls notwendig, die Prinzipien und Regeln der Militärführung auf die österreichische Regierung anwenden zu können. Dabei vergaß er, dass die Zeit des Absolutismus schon lange vor­bei war. Franz Joseph hatte dieser Illusion zunächst nachgegeben. Unter dem Eindruck der Niederlagen von 1859 kam er jedoch bald zur Erkennt­nis, dass er sich mit einer konstitutionellen Regierungsform abfinden musste. Auch wenn es vorkam, dass er Artikel 14 anwandte, der es seinen Regierungen erlaubte, Gesetze per Dekret zu erlassen, änderte dies nichts an der Grundströmung der Zeit. Mit der Einführung des allgemeinen Wahl­rechts 1906 war Österreich definitiv in das demokratische Zeitalter eingetreten, auch wenn die monarchische Gewalt noch einiges an Munition dagegen in ihren Händen behalten hatte. „Vielleicht ist Gott aber überhaupt viel ,demokratischer‘ und viel ,weniger klerikal‘ gesinnt, als die Kreaturen am Hofe Franz Ferdinands in ihrer Art von Gottesglauben vermeinen“236, meinte Joseph Redlich in seinem Tagebuch. Im Klartext: Hätte Franz Ferdinand dies außer Acht gelassen, wäre er Gefahr gelaufen, auf heftigen Widerstand zu stoßen und eine Zeit großer Spannungen mit breiten Schichten der Bevölkerung sowie mit den einzel­nen Nationalitäten einzuläuten. Dies wäre sehr ungelegen gekommen, da ein Kräftemessen mit Ungarn gedroht hätte. An der ungarischen Front hätte für Franz Ferdinand die Stunde der Wahrheit geschlagen. Seit Jahren bereitete er sich auf diesen Tag vor. Die Causa Ungarn, von der in seinen Augen alles abhing, hatte für ihn oberste Priorität. Man kann davon ausgehen, dass er die Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn, wie sie im Ausgleich von 1867 festgelegt wurden, neu regeln und dafür den Zeitraum von sechs Monaten nutzen wollte, der dem neuen Herrscher gewährt wurde, bevor er den Eid auf die Verfassung leistete. Kernstück des Planes sollte die Einführung des allgemeinen Wahl­rechts sein, der Rest sollte nach dieser wichtigen Reform folgen. Franz Ferdinand hoffte sicherlich, eine Einigung zu erzielen. Aber was wäre geschehen, wenn sie ihm nicht gelungen wäre? Eine keineswegs unwahr­ scheinliche Hypothese angesichts der Feindseligkeit der großen Mehrheit der ungarischen Politiker. Hätte man es in diesem Fall wie 1848/49 zu einer bewaffneten Konfrontation kommen lassen? Hätte die Armee Ungarn 295

Der Mann, der die Monarchie hätte retten können?

wieder zurück­erobern müssen, wie sie das Ungarn Kossuths zurückerobert hatte? Franz Ferdinand und Brosch waren sicher überzeugt, dass sich diese Frage ein halbes Jahrhundert später nicht in derselben Weise stellen würde. Die ungarische Gesellschaft war insbesondere aufgrund der Entwicklung des Bürger­tums und des Aufkommens einer Arbeiterklasse vielfältiger geworden. Diese Vielfältigkeit, aus der unterschiedliche und oft gegensätzliche Interessen resul­tierten, hätte die Mobilisierung der ungarischen Nation erschwert. Damit rech­nete zumindest Franz Ferdinand. Dies war ein mögliches, jedoch keineswegs sicheres Szenario. Redlich schreibt in seinem Tagebuch, dass sich Tisza darauf vorbereitete, „den modernen Rakoczy zu spielen“237. Der Mann, den Franz Ferdinand als „Mistvieh“ bezeich­nete, versprach ein unnachgiebiger Gegner zu werden, auch wenn Franz Ferdinand ihn umgehend entlassen sollte, wie zu beabsichtigen man ihm nachsagte. Wie könnte man ausschließen, dass es Tisza nicht gelungen wäre, die große Mehrheit der Nation mit einem Aufruf zum Widerstand und zur Verteidigung der ungarischen Freiheiten hinter sich zu bringen? Und noch einen letzten Faktor hätte Franz Ferdinand nicht außer Acht lassen dürfen. Bei ihren Treffen hatte Wilhelm II. kein Hehl daraus gemacht, dass er die feindselige Haltung gegenüber den Ungarn nicht verstand. Erst kurz davor hatte Wilhelm ein weiteres Zeichen gesetzt, indem er Tisza anlässlich eines kurz­fristigen Besuchs in Wien empfangen hatte – eine umso symbolträchtigere Geste, als Franz Ferdinand ein Treffen immer beharrlich verweigert hatte. Wilhelm II. erhielt einen günstigen Eindruck von dieser Unterredung mit dem ungarischen Ministerpräsidenten. Es war also vorherzusehen, dass er Franz Ferdi­nand von jeder Gewaltaktion gegen Ungarn abgeraten hätte. Hätte dies zu einem, wenn auch freundschaftlich formulierten,Widerstand des wichtigsten Verbün­deten der Monarchie führen können? Die zweite Möglichkeit birgt noch wesentlich mehr Unbekannte. Bei dieser Hypothese hätte Franz Ferdinand erst im November 1916 den Thron bestiegen. Die Wartezeit hätte mehr als zwei Jahre betragen, Zeit genug für eine völlige Änderung der Gegebenheiten. Auch wenn die Attentate in Sarajewo gescheitert wären, wären sie nicht aus der Welt geschafft. Die Mordversuche gegen den Thronfolger der Donaumonarchie wären nicht ohne diplomatische Folgen geblieben. Wäre Franz Josephs und Franz Fer­ 296

Eins Spiel mit Hypothesen

dinands Engagement für den Frieden angesichts des Affronts gegen die Dynastie derart erschüttert worden, dass es zu einem ähnlichen Szenario gekommen wäre wie jenem, das zum Krieg geführt hat? Im zutreffenden Fall hätte Franz Ferdinand, wäre er Franz Joseph mitten im Krieg nachgefolgt, andere Prioritäten gehabt, als eine interne Front zu eröffnen. Das Gebot der Stunde wäre für ihn gewesen, alle Kräfte zur Verteidigung der Monarchie zu bündeln. Geht man davon aus, dass sich die Krise nicht bis zu einem Kriegs­ausbruch zugespitzt hätte, dann hätte es sich im besten Fall um einen bewaffneten Frieden gehandelt. In diesem Fall hätten die gleichen Überle­gungen geboten, mit Zurückhaltung gegenüber Ungarn vorzugehen, um eine Schwächung der Monarchie zu vermeiden, die sich mit schwerwiegenden äußeren Bedrohungen hätte auseinandersetzen müssen. Weiter darf der Historiker die Untersuchungen nicht vorantreiben. Und sei es auch zu seinem Leidwesen, muss er sich in einem derartigen Fall jede kategorische Antwort untersagen. Bestenfalls kann er Vermutungen anstellen. Jedenfalls hätte Franz Ferdinand bei der Ausübung seiner Macht seine charakterlichen Defizite überwinden müssen – eine nicht ganz einfache Aufgabe. Zudem hätte er es, mit welcher Situation auch immer er konfrontiert gewesen wäre, sowohl mit großen innenpolitischen als auch außenpolitischen Zwängen zu tun gehabt, die seine Handlungsfreiheit extrem eingeschränkt hät­ten. Angesichts dieses engen Handlungsspielraums hätte er sich mit der Realität abfinden müssen. Sein Stolz hätte vielleicht gelitten, daran wäre aber nichts Ehrenrühriges gewesen. Im Gegenteil, es gibt keine vernünftige Politik, die nicht von der Realität ausgeht. Und hier endet die Aufgabe des Historikers. Es ist, wie es ist, und die Folgen, wäre es anders gewesen, stehen für immer auf einem unbe­schriebenen Blatt.

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Zeittafel

Zeittafel 1863

18. Dezember: Geburt von Erzherzog Franz Ferdinand, Sohn von Erzherzog Karl Ludwig und Erzherzogin Maria Annunziata, geborene Prinzessin von Bourbon-Neapel 1866 preußisch-österreichischer Krieg 1867 österreichisch-ungarischer Ausgleich 1870–1871 deutsch-französischer Krieg 1871 4. Mai: Tod von Maria Annunziata 1873 Hochzeit Karl Ludwigs mit Prinzessin Maria Theresia von Braganza 1875 24. November: Franz Ferdinand nimmt als Erbe Franz’ V. von Modena den Namen „Österreich-Este“ an 1875–1878 Balkankrise, an deren Ende der Kongress von Berlin ÖsterreichUngarn ermächtigt, Bosnien-Herzegowina zu besetzen und zu verwalten 1879 7. Oktober: deutsch-österreichischer Bündnisvertrag 1882 April: Eintritt Franz Ferdinands in die Armee 20. Mai: Bündnisvertrag mit Italien, Entstehung des Dreibunds 1883 30. Oktober: geheimer Bündnisvertrag zwischen Österreich-­ Ungarn und Rumänien 1887 Kauf von Schloss Konopischt 1889 30. Jänner: Tod Erzherzog Rudolfs in Mayerling 1892 18. August: Unterzeichnung des französisch-russischen Militär­ abkommens 1892–1893 Weltreise Anfang 1894 erste Begegnung von Franz Ferdinand und Gräfin Sophie Chotek 1895–1898 Erholungsaufenthalt aus gesundheitlichen Gründen 1896 19. Mai: Tod Erzherzog Karl Ludwigs, Franz Ferdinand wird zum offiziellen Thronerben 1897 8. April: Lueger wird Wiener Bürgermeister Gründung der Secession 1898 29. März: Franz Ferdinand nimmt wieder den aktiven Dienst auf und wird zur „Disposition“ des Kaisers bestellt

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Zeittafel

1900

1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907

1908 1909 1910

Franz Joseph überträgt Franz Ferdinand das Belvedere 28. Juni: Verzichtserklärung, mit der die zukünftigen Kinder Franz Ferdinands und Gräfin Sophie Choteks von der Nachfolge ausgeschlossen werden 30. Juni: Hochzeit in Reichstadt, Franz Joseph erhebt Gräfin Sophie Chotek in den Rang einer Prinzessin von Hohenberg April: Franz Ferdinand wird Schirmherr des Katholischen Schulvereins 24. Juni: Geburt des ersten Kindes, Sophie von Hohenberg 29. September: Geburt von Maximilian von Hohenberg Juni: Ermordung König Alexanders von Serbien, Thronbesteigung von Peter I. Karageorgevich 17. September: Tagesbefehl von Chlopy 3. November: Bildung der ersten Regierung unter Graf István Tisza 27. Mai: Geburt von Ernst von Hohenberg Jänner: Wahlniederlage der ungarischen liberalen Partei Juni: Bildung der ungarischen Regierung unter General Géza von Fejérvary Aurel Popovici veröffentlicht „Die Vereinigten Staaten von GroßÖsterreich“ Major Alexander Brosch von Aarenau wird Chef der Militärkanzlei Franz Ferdinands 8. April: Bildung einer ungarischen Koalitionsregierung unter Alexander Wekerle 2. Juni: Max Wladimir Freiherr von Beck wird Ministerpräsident Zisleithaniens 24. Oktober: Alois Lexa Freiherr von Aehrenthal wird zum ­Außenminister ernannt 18. November: General Franz Conrad von Hötzendorf wird zum Generalstabschef ernannt 28. Jänner: Franz Joseph erlässt in Zisleithanien das Gesetz zur Einführung des allgemeinen Wahlrechts, wogegen Franz Ferdinand sich eingesetzt hatte 5. Oktober: Annexion von Bosnien-Herzegowina 7. November: Rücktritt der Regierung Beck Franz Ferdinand wird Protektor der Zentralkommission für Denkmalpflege Sieg der liberalen Partei bei den ungarischen Wahlen 299

Zeittafel

1911 1912 1913 

1914  1918

Programm zum Thronwechsel Februar: Rücktritt von Brosch als Leiter von Franz Ferdinands Militärkanzlei, Nachfolger wird Oberst Carl von Bardolff Ende November: Entlassung Conrad von Hötzendorfs 17. Februar: Tod von Aehrenthal, sein Nachfolger wird Graf ­Leopold Berchtold 13. März: Bildung der Balkanliga 8. Oktober: Beginn des Ersten Balkankriegs 7. Dezember: Conrad von Hötzendorf wird wieder in seine Funktion als Generalstabschef eingesetzt 11. Dezember: Franz Joseph entscheidet sich entgegen der Meinung Franz Ferdinands gegen einen Krieg 24. Mai: Selbstmord Oberst Redls Juni: Bildung der Regierung Tisza 25. Juni: Beginn des Zweiten Balkankriegs 10. August: Ende des Zweiten Balkankriegs 17. August: Franz Ferdinand wird zum Generalinspektor der gesamten bewaffneten Macht ernannt Oktober: Zusammenstoß zwischen Franz Ferdinand und Conrad anlässlich der Gedenkfeierlichkeiten zum 100. Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig 12.–13. Juni: Besuch Wilhelms II. in Konopischt 28. Juni: Ermordung Erzherzog Franz Ferdinands und der Herzogin von Hohenberg in Sarajewo durch Gavrilo Princip 4. Juli: Beisetzung von Franz Ferdinand und Sophie in Artstetten 24. April: Tod von Gavrilo Princip in Theresienstadt

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Bibliografie HANDSCHRIFTLICHE QUELLEN Österreichisches Staatsarchiv Haus-, Hof- und Staatsarchiv (HHStA) Nachlass Franz Ferdinand: Briefe Selekt Kronprinz Rudolf Nachlass Berchtold Kriegsarchiv Militärkanzlei des Erzherzog-Thronfolgers Franz Ferdinand Verwaltungsarchiv Nachlass Beck Nachlass Eichhoff Klopp-Archiv (Privatarchiv) Nachlass Onno Klopp ERINNERUNGEN UND ZEITZEUGENBERICHTE Josef M. BAERNREITHER, Fragmente eines politischen Tagebuches. Die südslawische Frage und Österreich-Ungarn vor dem Weltkrieg, hg. von Joseph REDLICH, Wien, Verlag für Kulturpolitik, 1928 Carl Freiherr von BARDOLFF, Soldat im alten Österreich, Jena 1938 Alfons CLARY ALDRINGEN, Geschichten eines alten Österreichers, Frankfurt am Main – Berlin – Wien, Ullstein, 1977 Ottokar Graf CZERNIN, Im Weltkrieg, Berlin – Wien, Ullstein, 1919 Franz CONRAD VON HÖTZENDORF, Aus meiner Dienstzeit, 6 Bde., Wien 1921–1925 Friedrich FUNDER, Vom Gestern ins Heute. Aus dem Kaiserreich in die Republik, Wien, Herold, 1952 Milan HODŽA, Schicksal Donauraum: Erinnerungen, Wien – München – Berlin, Amalthea, 1995 Gina Gräfin von HÖTZENDORF, Mein Leben mit Conrad von Hötzendorf. Sein geistiges Vermächtnis, Leipzig 1935

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Anmerkungen

Anmerkungen 1 Rudolf SIEGHART, Die letzten Jahrzehnte einer Großmacht, Berlin, 1932, S. 114 2 Rudolf zu Latour, Prag, 8. Oktober 1878, ÖStA (Österreichisches Staats­ archiv), HHStA, Selekt Kronprinz Rudolf, Karton 16 3 Brief von Karl Ludwig an Georg V., 14. Januar 1876, Klopp-Archiv, Nachlass Onno KLOPP, Band III, S. 228 4 Brief von Georg V. an Onno Klopp, 22. Januar 1876, ibid., S. 227 5 Onno KLOPP, Notiz über den Geschichtsvortrag bei Franz Ferdinand, Ende 1880, ibid., Band IV/Teil 1, Lfd. Nr. 870 6 Franz Ferdinand an Onno Klopp, Semmering, 7. Mai 1901, ibid., Band IV/Teil 2, Lfd. Nr. 1144, S. 264 7 Johann Christoph ALLMAYER-BECK, Ministerpräsident Baron Beck. Ein Staatsmann des alten Österreich, Wien 1952, S. 28 8 Graf Degenfeld an Franz Ferdinand, 2. Oktober 1883, HHStA, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 13, fol. 821–822 9 Onno KLOPP, Notiz zur Charakteristik des Grafen Degenfeld, Penzing, 15. März 1892, Nachlass Onno Klopp, Band IV/Teil 2, Lfd 1097, S. 107–108 10 Rudolf an Franz Ferdinand,Wien, 18. Dezember 1883, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 5, fol. 66 11 Rudolf an Franz Ferdinand, Laxenburg, 26. November 1884, ibid., fol. 78 12 Erzherzog Albrecht an Franz Ferdinand, Wien, 10. Februar 1887, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 2, fol. 221–222 13 Franz Ferdinand an Rudolf, 7. Februar 1888, Selekt Kronprinz Rudolf 14 Erzherzog Albrecht an Franz Ferdinand, Wien, 10. November 1888, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 2, fol. 236-237 15 Erzherzog Albrecht an Franz Ferdinand, Wien, 8. Mai 1889, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 2, fol. 237–239 16 Erzherzog Albrecht an Franz Ferdinand, Wien, 14. August 1889, ibid., fol. 243–245 17 Erzherzog Albrecht an Franz Ferdinand, 8. Mai 1889, ibid., fol. 237–239 18 Franz Ferdinand an Beck, Nervi, 12. Februar 1894, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 8, fol. 8 19 Graf Degenfeld an Franz Ferdinand, 7. Juni 1890, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 13, fol. 857–867 306

Anmerkungen

20 Ibid. 21 Ibid. 22 Zitiert in: Roland KRUG VON NIDDA, Der Weg nach Sarajewo, Wien – München – Zürich, Amalthea, 1964, S. 35 23 Max Wladimir von Beck an seine Schwester Theresia, 4. Juli 1894, zitiert in: J. C. ALLMAYER-BECK, op. cit., S. 31 24 Zitiert in: R. KRUG VON NIDDA, op. cit., S. 38–39 25 Franz Ferdinand an Beck, zwischen Calcutta und Singapore, 30. März 1893, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 8, fol. 3–5 26 R. KRUG VON NIDDA, op. cit., S. 39–40 27 Tagebuch meiner Reise um die Erde 1892–1893, 2 Bde.,Wien, Holder, 1895/96, Bd. 2, S. 536 28 Franz Ferdinand an Beck, zwischen Calcutta und Singapore, 30. März 1893, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 8, fol. 3–5 29 Viktor EISENMENGER, Erzherzog Franz Ferdinand, Zürich – Leipzig – Wien, Amalthea, 1930, S. 10 30 Franz Joseph an Franz Ferdinand, Ischl, 2. August 1895, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 1, Nr. 46 31 Zitiert in: V. EISENMENGER, op. cit., S. 19 32 Franz Ferdinand an Beck, Mendel Pass bei Bozen, 19. August 1895, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 8, fol. 10 33 Name des ägyptischen Schiffes 34 Franz Ferdinand an Beck, Assuan, 4. Jänner 1896, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 8, fol. 15 35 Zitiert in: Theodor von SOSNOSKY, Erzherzog Franz Ferdinand, Wien – München 1929, S. 18 36 Franz Ferdinand an Graf Nikolaus Szécsen, Lussinpiccolo, 25. November 1895, zitiert in: Robert A. KANN, Erzherzog Franz Ferdinand Studien, München, R. Oldenbourg, 1976, S. 118 37 Franz Ferdinand an Franz Joseph, 25. Oktober 1895, Nachlass Franz Ferdinand, II, Karton 1, Nr. 48 38 Zitiert in: V. EISENMENGER, op. cit., S. 28 39 Franz Ferdinand an Franz Joseph, 17. März 1896, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 1 40 Ibid. 41 Rudolf an Franz Ferdinand, Laxenburg, 22. Juli 1886, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 5, fol. 88

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Anmerkungen

42 Franz Ferdinand an Marie von Thun-Hohenstein, Konopischt, 6. Juni 1896, zitiert in: Ernst RUTKOWSKI, „… ein schneeweißer Rehbock mit hellblauen Lichtern …“ Aus den Briefen des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand an die Gräfin Marie von Thun und Hohenstein, geb. Gräfin Chotek, Mitteilungen des österreichischen Staatsarchivs, Bd. 52, 2007, S. 271 43 Zitiert in: V. EISENMENGER, op. cit., S. 114 44 Franz Joseph an Franz Ferdinand, Wien, 7. April 1897, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 1, Nr. 59 45 Carl Freiherr von BARDOLFF, Soldat im alten Österreich, Jena 1938, S. 117 46 Josef Graf von STÜRGKH, zitiert in: Hans FLESCH-BRUNNINGEN, Die letzten Habsburger in Augenzeugenberichten, Düsseldorf, Rauch, 1967, S. 228 47 Franz Joseph an Franz Ferdinand,Wien, 29. März 1898, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 1, Nr. 66 48 Franz Ferdinand an Marie von Thun-Hohenstein, Budweis, 27. Juli 1894, ­zitiert in: E. RUTKOWSKI, op. cit., S. 257 49 Ibid., S. 259 50 Zitiert in: Karl Hans STROBL, Franz Ferdinands Lebensroman, Stuttgart 1919, S. 43 51 Zitiert in: V. EISENMENGER, op. cit., S. 18 52 V. EISENMENGER, op. cit., S. 18 53 Franz Ferdinand an Beck, Konopischt, 2. Dezember 1904, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 8, fol. 61 54 Franz Ferdinand an Beck, 14. April 1900, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 8, fol. 30 55 Becks Tagebuch, 8. April 1900,Verwaltungsarchiv, Wien, Nachlass Beck 56 Franz Ferdinand an Beck, 20. Mai 1900, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 8, fol. 31 57 Franz Ferdinand an Beck, 11. Mai 1900, Verwaltungsarchiv, Nachlass Beck, Telegramme, Karton 26 58 Franz Ferdinand an Beck, Bruck, 12. Juni 1900, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 8, fol. 32 59 Beck an seine Eltern, 4. Juli 1900, zitiert in J. C. ALLMAYER-BECK, op. cit., S. 53 60 Zitiert in: T. v. SOSNOSKY, op. cit., S. 34–35 61 Neue Freie Presse, 1. Juli 1900 62 Zitiert in: Friedrich WEISSENSTEINER, Franz Ferdinand. Der verhinderte Herrscher, Wien 1994, S. 138 63 Zitiert in: T. v. SOSNOSKY, op. cit., S. 35–36 64 Ibid., S. 140 308

Anmerkungen

65 Zitiert in: Georg FRANZ, Erzherzog Franz Ferdinand und die Pläne zur Reform der Habsburgermonarchie, Brünn – München – Wien 1943, S. 16 66 Schicksalsjahre Österreichs 1908–1919. Das politische Tagebuch Josef Redlichs, Fritz FELLNER (Hg.), Graz – Köln, Böhlau, 1953, 2 Bde., 18. Februar 1912, Bd.1, S.126. Eine Neuausgabe in drei Bänden mit einem erweiterten wissenschaftlichen Apparat wurde 2011 vom selben Verleger veröffentlicht. 67 T. v. SOSNOSKY, op. cit., S. 237 68 Franz Joseph an Franz Ferdinand, Ofen, 20. April 1901, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 1, Nr. 99 69 Conrad von Hötzendorf an Walburga von Sonnleithner, Wien, 9. Februar 1912, in: Kurt PEBALL, „Briefe an eine Freundin. Zu den Briefen des Feldmarschalls Conrad von Hötzendorf an Frau Walburga von Sonnleithner“, Mitteilungen des österreichischen Staatsarchivs, Bd. 23, 1972, S. 501 70 Franz Ferdinand an Franz Joseph, 1909 (ohne näheres Datum), Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 2, Nr. 10 71 Zitiert in: Rudolf KISZLING, Fürst Felix zu Schwarzenberg: der politische ­Lehrmeister Kaiser Franz Josephs, Graz – Köln 1952, S. 169–170 72 Franz Ferdinand an Beck, Lölling, 30. Juli 1904, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 8, fol. 57–58 73  Zitiert in: Robert A. KANN, Erzherzog Franz Ferdinand Studien, München, R. Oldenburg, 1976, S. 116 74 Zitiert in: Jean-Paul BLED, Franz Joseph. „Der letzte Monarch der alten Schule“, Wien – Köln – Graz, Böhlau, 1988, S. 482 75 Franz Ferdinand an General Graf Friedrich Beck-Rzikowsky, 6. Mai 1896, zitiert in: Edmund von GLAISE-HORSTENAU, Franz Josefs Weggefährte, ­Zürich – Leipzig – Wien 1930, S. 475 76 Zitiert in: Oskar von MITIS, Das Leben des Kronprinzen Rudolf, Leipzig, Insel, 1928, Neuaufl., Wien – München, Herold, 1971, S. 353 77 Franz Ferdinand an Graf Szécsen, 25. November 1895, Nachlass Franz Ferdinand, II, Karton 20 78 Franz Ferdinand an Fürst Franz Liechtenstein, 14. November 1897, zitiert in: V. EISENMENGER, op. cit., S. 113 79 Franz Ferdinand an Rudolf, Enns, 7. Februar 1888, Kronprinz Rudolf Selekt, Karton 18 80 Joseph REDLICH, Kaiser Franz Joseph von Österreich, Berlin 1928, S. 427 81 Zu diesem Thema siehe Johann Christoph ALLMAYER-BECK, „Die Militärkanzlei des Erzherzog-Thronfolgers Franz Ferdinand“, Militär, Geschichte und Politische Bildung, Wien – Köln – Weimar, Böhlau, 2003, S. 358–369 309

Anmerkungen

82 Brosch an Franz Ferdinand, 23. September 1910, Nachlass Franz Ferdinand, Karton 11 83 MKSM (Militärkanzlei seiner Majestät), sep. Fasz. 78/42, Nr. 22 84 Franz Ferdinand an Beck, Chlumetz, 26. Oktober 1906, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 8, fol. 73 85 Franz Ferdinand an Beck, Nizza – Marseille, 15. März 1906, fol. 68 86 Beck an Franz Ferdinand, Wien, 4. Februar 1906, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 9, fol. 60–63 87 Zitiert in: J. C. ALLMAYER-BECK, op. cit., S. 141 88 Ibid., S. 143 89 Franz Ferdinand an Beck, Konopischt, Juni oder Juli 1906, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 8, fol. 77 90 Stenographische Protokolle, HHStA, XVII. Sess., S. 1388 91 Zitiert in: Georg FRANZ, op.cit., S. 61 92 Zitiert in: Edmund von GLAISE-HORSTENAU, Franz Josephs Weggefährte Graf Beck, Zürich – Leipzig – Wien 1930, S. 403 93 Franz Ferdinand an R. Freiherr von Biegeleben, 6. Jänner 1909 94 Major Brosch an Franz Ferdinand, Wien, 29. April 1907, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 10, fol. 426–431 95 Brosch an Franz Ferdinand, Wien, 17. Juni 1907, ibid., fol. 445–448 96 Zitiert in: G. FRANZ, op. cit., S. 60. G. FRANZ gibt den Bericht dieser Unterredung mit Franz Ferdinand wieder, wie Andrássy in seinem Tagebuch schrieb, ibid., S. 58–62. 97 Zitiert in: Milan HODŽA, Federation in Central Europe, Reflections and Reminiscences, London 1942, dt. Übersetzung: Schicksal Donauraum. Erinnerungen, Wien – München – Berlin, Amalthea, 1995, S. 73 98 Franz Ferdinand an Franz Joseph, 1909 (ohne näheres Datum), Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 2, Nr. 10 99 Ibid. 100 Österreichisches Kriegsarchiv, B/5, n. 1, Feldmarschallleutnant Julius von LUSTIG-PREAN, Aus den Lebenserinnerungen eines alten k.u.k. Offiziers, S. 63–66 101 Franz Ferdinand an Beck, Göllinger Joch, 20. August 1903, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 8, fol. 52 102 Zitiert in: Leopold von CHLUMECKY, Erzherzog Franz Ferdinands Wirken und Wollen, Berlin 1929, S. 98 103 Zitiert in: Hugo HANTSCH, Leopold Graf Berchtold. Grandseigneur und Staatsmann, 2 Bde., Graz – Wien – Köln 1963, Bd. 1, S. 182

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Anmerkungen

104 Zitiert in: L. v. CHLUMECKY, op. cit., S. 99 105 Zitiert in: R. A. KANN, op. cit., S. 64. 106 Franz CONRAD VON HÖTZENDORF, Aus meiner Dienstzeit, 6 Bde., Wien 1921–1925, Bd. 1, S. 158 107 Zitiert in: F. WEISSENSTEINER, op. cit., S. 153 108 Im Text auf Französisch; übers.: Versuchsballon 109 Brosch an Franz Ferdinand,Wien, 14. Mai 1908, Nachlass Franz Ferdinand, II, Karton 8, fol. 574–577 110 Brosch an Franz Ferdinand, Wien, 18. Mai 1908, fol. 586–589 111 C. Fhr. v. BARDOLFF, op. cit., S. 146–147 112 C. Fhr. v. BARDOLFF, op. cit., S. 116 113 Gräfin Sophie Nostitz-Rieneck an Gordon Brook-Shepherd in: Gordon BROOK-SHEPHERD, Victims at Sarajevo, London, William Collins Sons & Co, 1984, dt. Übers.: Die Opfer von Sarajevo, Stuttgart, Engelhorn, 1988, S. 134 114 Zitiert in: Erika BESTENREINER, Franz Ferdinand und Sophie von Hohenberg, München, Piper, 2004, S. 137 115 Zitiert in: T. v. SOSNOSKY, op. cit., S. 37–42 116 Franz Joseph an Franz Ferdinand, Bad Ischl, 31. Juli 1909, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 2, Nr. 17 117 Zitiert in: Gerd HOLLER, Franz Ferdinand von Österreich-Este, Wien, Ueberreuter, 1982, S. 111 118 Gordon BROOK-SHEPHERD, Victims at Sarajevo, London, William Collins Sons & Co, 1984; dt. Übers.: Die Opfer von Sarajevo, Stuttgart, Engelhorn, 1988, S. 229 119 Zitiert in: G. HOLLER, op. cit., S. 108 120 Reichspost, 30. Juni 1914, S. 4 121 Zitiert in: F. WEISSENSTEINER, op. cit., S. 146 122 Alfons von CLARY-ALDRINGEN, Geschichten eines alten Österreichers, Berlin – Wien, Ullstein, 1977, S. 187 123 Gräfin Sophie Nostitz-Rieneck an Gordon Brook-Shepherd in: G. BROOKSHEPHERD, op. cit., S. 143 124 Ibid. 125 Ibid. 126 Zitiert in: Albert Freiherr von MARGUTTI, Kaiser Franz Joseph. Persönliche Erinnerungen, Wien – Leipzig, Manz, 1924, S. 132 127 Kaiserin Zita an G. BROOK-SHEPHERD, op.cit., S. 125 128 Schicksalsjahre Österreichs 1908–1919. Das politische Tagebuch Josef Redlichs, 28. Juni 1914, Bd. 1, S. 235 311

Anmerkungen

129 G. FRANZ, op. cit., S. 125. 130 Zitiert in: Friedrich FUNDER, Vom Gestern ins Heute. Aus dem Kaiserreich in die Republik, Wien, Herold, 1952, S. 496 131 Zitiert in: V. EISENMENGER, op. cit., S. 146 132 Ottokar Graf CZERNIN, Im Weltkriege, Berlin – Wien, Ullstein, 1919, S. 46 133 Zitiert in: V. EISENMENGER, op. cit., S. 138 134 Lucian O. MEYSELS, In meinem Salon ist Österreich. Berta Zuckerkandl und ihre Zeit, Wien – München, Herold, 1985, S. 125 135 Max von HUSSAREK-HEINLEIN, „Erinnerungen an Erzherzog Franz ­Ferdinand“, Neue Freie Presse, 24. Juni 1934 136 Österreichisches Kriegsarchiv, MKFF, Karton 165, 1913/KNr. 8612 (35-1-25) 137 Zitiert in: Heinz GERETSEGGER – Max PEINTNER, Otto Wagner 1841– 1918. Unbegrenzte Großstadt. Beginn der modernen Architektur, München 1980, S. 31 138 Bundesdenkmalamt, Personen, Karton 10, Faszikel „Franz Ferdinand“, Zl, ZK 31/Präs/1904 139 Franz Ferdinand macht hier eine Anspielung auf eines der großen Wandgemälde, die den Festsaal der Universität schmücken sollten. Es wäre im Übrigen untertrieben, zu sagen, dass er keinerlei Sympathien für Hartel hegte, den er gelegentlich als „verballhornten Secessionisten“ bezeichnete. 140 Franz Ferdinand an Krauss-Elislago, 6. Mai 1901, zitiert in: Robert HOFFMANN, Erzherzog Franz Ferdinand und der Fortschritt. Altstadterhaltung und bürgerlicher Modernisierungswille in Salzburg, Wien – Köln – Weimar, Böhlau, 1994, S. 51–52 141 Franz Ferdinand an Brosch, 17. Juli 1907, ibid., S. 77 142 Ibid., S. 80. 143 Zitiert in:Theodor BRÜCKLER, Thronfolger Franz Ferdinand als Denkmalpfleger. Die „Kunstakten“ der Militärkanzlei im Österreichischen Staatsarchiv (Kriegs­ archiv), Wien – Köln – Weimar, Böhlau, 2009, S. 16 144 Zitiert in: ibid., S. 24 145 Österreichisches Kriegsarchiv, MKFF, Karton 165, KNr. 6990 (35–5/26–2) 146 Österreichisches Kriegsarchiv, MKFF, Karton 166, 1913/KNr. 1193 (35–14/4) 147 Österreichisches Kriegsarchiv, MKFF, Karton 165, KNr. 1823 (35–5/6) 148 Österreichisches Kriegsarchiv, MKFF, Karton 170, NKr. 3225 (35–26) 149 Österreichisches Kriegsarchiv, MKFF, Karton 164, NKr. 191 150 Österreichisches Kriegsarchiv, MKFF, Karton 157, 1910/KNr. 308 151 R. HOFFMANN, op. cit., S. 112 312

Anmerkungen

T. BRÜCKLER, op. cit., S. 43 Österreichisches Kriegsarchiv, MKFF, Karton 170, 1914/KNr. 3918 (35-6, 12-4) Österreichisches Kriegsarchiv, MKFF, Karton 158, 1911/KNr. 3 Schicksalsjahre Österreichs 1908–1919. Das politische Tagebuch Josef Redlichs, 28. Juni 1914, Bd. 1, S. 235 156 Beck an Graf Karl Coudenhove, 12. November 1908, Verwaltungsarchiv, Nachlass Beck, Karton 27 157 Zitiert in: G. FRANZ, op. cit., S. 22 158 Brosch an Franz Ferdinand, 17. Juni 1910, Wien, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 11, fol. 526–529 159 Zitiert in: G. FRANZ, op. cit., S. 45–46 160 Franz Ferdinand an Berchtold, Konopischt, 1. Februar 1913, HHStA, Nachlass Berchtold, Karton 4, Nr. 9 161 Der Text des Programms zum Thronwechsel findet sich in: G. FRANZ, op. cit., S. 123–149. Er ist auch abgedruckt in: T. v. SOSNOSKY, op. cit., S. 78–102 162 Ibid., p. 128 163 Ibid., pp. 140–141 164 Ibid., p. 145 165 Ibid., p. 141 166 Ibid., p. 145 167 Brosch an Franz Ferdinand,Wien, 11. November 1910, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 11, fol. 526–529 168 Ibid. 169 Zitiert in: R. A. KANN, op. cit., S. 181–182 170 Ibid. 171 Graf Ottokar CZERNIN, Die Grundgedanken einer Verfassung für die Habsburger Monarchie, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 13 172 Zitiert in: R. A. KANN, op. cit, S. 186 173 Ibid., S. 187 174 G. FRANZ, op. cit., S. 156–161 175 Zitiert in: R. A. KANN, op. cit., S. 124–125 176 Brosch an Franz Ferdinand, Wien, 29. Oktober 1911, Nachlass Franz Ferdinand, Briefe, Karton 11, fol. 193–195 177 Nachlass Baernreither, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien, Fasz.V, Tagebuch 10 178 Zitiert in: R. SIEGHART, op. cit., S. 462 179 Bardolff an Johann Freiherrn von Eichhoff, 15. Jänner 1913,Verwaltungsarchiv, Nachlass Eichhoff, Fasz. 2 152 153 154 155

313

Anmerkungen

180 Zitiert in: Rainer EGGER, „Erzherzog Franz Ferdinand und die Trientiner Autonomie-Frage“, Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Bd. 31, 1978, S. 343–344 181 Ibid. 182 Zitiert in: Erwin MATSCH (Hg.), November 1918 auf dem Ballhausplatz. Erinnerungen Ludwigs Freiherrn von Flotow 1895–1920, Wien – Köln – Graz 1982, S. 302 183 Zitiert in: Egon Caesar CORTI – Hans SOKOL, Der alte Kaiser Franz Joseph I. bis zu seinem Tode, Graz – Wien 1950, S. 363 184 Ibid. 185 Conrad von Hötzendorf an Walburga von Sonnleithner, 23. Dezember 1911, zitiert in: Kurt PEBALL, „Briefe an eine Freundin“: Zu den Briefen des Feldmarschalls Conrad von Hötzendorf an Frau Walburga von Sonnleithner während der Jahre 1905 bis 1918, Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Bd. 25, 1972, S. 501 186 Schicksalsjahre Österreichs 1908–1919. Das politische Tagebuch Josef Redlichs, 3. Oktober 1912, Bd. 1, S. 154 187 Zitiert in: R. KRUG VON NIDDA, op. cit., S. 177 188 Ibid., S. 185 189 Ibid., S. 220 190 Ibid., S. 194 191 Schicksalsjahre Österreichs 1908–1919. Das politische Tagebuch Josef Redlichs, 13. Jänner 1912, Bd. 1, S. 119 192 Ibid., 18. Februar 1912, S. 125 193 Franz Ferdinand an Graf Berchtold, Konopischt, 16. Jänner 1913, Nachlass Berchtold, Karton 4 194 Franz Ferdinand an Berchtold, Prag – Wien, 21.Oktober 1913 195 Franz Ferdinand an Berchtold, Schloss Blühnbach, Salzburg, 1. Oktober 1912 196 Zitiert in: H. HANTSCH, op. cit., Bd. 1, S. 360 197 Franz Ferdinand an Berchtold, Konopischt, 1. Februar 1913 198 Ibid. 199 Franz Ferdinand an Berchtold, Konopischt, 16. Jänner 1913 200 Franz Ferdinand an Berchtold, Blankenberghe, 6. Juli 1913 201 Ibid. 202 Franz Ferdinand an Berchtold, Blankenberghe, 6. Juli 1913 203 Franz Ferdinand an Berchtold, Konopischt, 16. Jänner 1913 204 Franz Ferdinand an Berchtold, Blankenberghe, 6. Juli 1913 205 Franz Ferdinand an Berchtold, Blühnbach, 8. August 1913 314

Anmerkungen

206 207 208 209 210 211

Franz Ferdinand an Berchtold, Miramare, 12. April 1914 Ibid. Zitiert in: L. v. CHLUMECKY, op. cit., S. 99 Zitiert in: C. Fhr. v. BARDOLFF, op. cit., S. 177 C. G. v. HÖTZENDORF, op. cit., Bd. 3, S. 436 Conrad von Hötzendorf an Gina von Reininghaus, Chotovin, 14. September 1913, zitiert in: Gina Gräfin von HÖTZENDORF, Mein Leben mit Conrad von Hötzendorf. Sein geistiges Vermächtnis, Leipzig 1935, S. 70 212 Conrad von Hötzendorf an Gina von Reininghaus, Chotovin, 16. September 1913, Ibid., S. 75–76 213 Zitiert in: Helmut RUMPLER, Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie, Wien, Ueberreuter, 1997, S. 567 214 Ibid., S. 568 215 Zitiert in: Friedrich WÜRTHLE, Die Spur führt nach Belgrad. Die Hintergründe des Dramas von Sarajevo 1914,Wien – München – Zürich, Fritz Molden, 1975, S. 17 216 Ibid., S. 13 217 Kommissions-Protokoll, 28. Juni 1914 (Entwurf im Heeresgeschichtlichen Museum Wien) 218 Zitiert in: Albert Freiherr von MARGUTTI, Vom alten Kaiser, Leipzig – Wien 1921, S. 147 ff. 219 F. FUNDER, op. cit., S. 485 220 Brosch an Sosnosky, 1. Juli 1914, zitiert in: T. v. SOSNOSKY, op. cit., S. 114 ff. 221 Ibid. 222 Conrad von Hötzendorf an Gina von Reininghaus, Karlowitz, 28. Juni 1914, zitiert in: C. G. v. HÖTZENDORF, op. cit., S. 113 223 Brosch an General Auffenberg, Bozen, 1. Juli 1914, in: Ludwig JEDLICKA, „Alexander Brosch von Aarenau und Moritz von Auffenberg“, Festschrift für Otto von Habsburg zum fünfzigsten Geburtstag, Wien – München, Herold, 1965, S. 101 224 F. FUNDER, op. cit., S. 482 225 J. REDLICH, op. cit., 29. Juni 1914, S. 235 226 Stefan ZWEIG, Die Welt von Gestern, Stockholm, Bermann-Fischer, 1942, neue Aufl. Berlin – Frankfurt am Main, S. Fischer, 1968, S. 185 227 Karl KRAUS, Die Fackel, Juli 1914 228 Joseph ROTH, Der Radetzkymarsch, Berlin, Kiepenheuer, 1932, neue Aufl., München, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1982, S. 285. 315

Anmerkungen

229 Wiener Zeitung, 7. Juli 1914 230 Zitiert in: Martha SITTE, Alexander von Brosch. Der Flügeladjudant und Vorstand der Militärkanzlei des Thronfolgers Franz Ferdinand, Diss. phil. Fakultät, Wien 1961, S. 33 ff. 231 C. Fhr. v. BARDOLFF, op. cit., S. 129 232 Zitiert in: M. SITTE, op. cit., S. 33 ff. 233 Ibid. 234 C. Fhr. v. BARDOLFF, op. cit, S. 129 235 G. FRANZ, op. cit., S. 59 236 Schicksalsjahre Österreichs 1908–1919. Das politische Tagebuch Josef Redlichs, 28. Juni 1914, Bd. 1, S. 235 237 Ibid., 28. April 1914, S. 227

316

Register A Adler,Viktor: 24, 25 Aehrenthal, Freiherr, dann Graf Alois Lexa von : 103, 135, 146, 152–156, 158–160, 231–233, 236, 240–243, 265, 291 Albrecht, Erzherzog: 48–52, 53–55, 127, 257 Alexander, Fürst von Bulgarien: 31, 32 Alexander I., König von Serbien: 119, 269 Alexander II., Zar von Russland: 29 Alexander III., Zar von Russland: 31 Alexander, Regent von Serbien: 273, 287 Allmayer-Beck, Johann Christoph: 45, 134 Andrássy, Graf Gyula: 10, 12, 27 Andrássy, Graf Gyula jr.: 145, 146, 214, 294 Angeli, Heinrich von: 184 Auffenberg, Ritter Moritz von, General: 252, 254, 259, 280 B Badeni, Graf Kasimir: 115, 136 Baernreither, Josef Maria: 224 Bahr, Hermann: 185 Baillet de Latour, Graf Vinzenz: 193 Bakunin, Mikhail: 267 Bardolff, Carl von, Oberst: 73, 134, 144, 161, 163, 193, 194, 216, 252, 253, 279, 290, 292, 293 Barger, Hauptmann: 193 Bauer, Maximilian: 193

Baumann, Ludwig: 165, 200 Beck, Max Wladimir von: 45, 55, 56, 61, 62, 64, 66, 87–90, 102, 124, 132, 135, 137–139, 145, 160, 161, 204, 205, 225, 242 Beck-Rzikowsky, Graf Friedrich, General: 149–151 Benešov, Tobias von: 165 Berchtold, Graf Leopold: 154, 211, 231, 236–238, 243–247, 249–251, 261–264 Beust, Freiherr, dann Graf Friedrich Ferdinand von: 27 Bienerth, Freiherr Richard von: 204 Biliński, Graf Leon von: 227, 273 Bismarck, Graf, dann Fürst Otto von: 27, 29, 30, 32, 42, 43, 119, 129, 219, 241 Bolfras, Graf, später Baron Artur von, General: 75, 93, 134, 148 Bombelles, Graf: 211 Brosch von Aarenau, Alexander, Major, dann Oberst: 120, 123, 132–134, 143, 144, 148, 156, 157, 159, 160, 192–194, 203, 204, 210, 213, 215, 217, 220–222, 224, 252, 253, 256, 279, 280, 290–293 Brook-Shepherd, Gordon: 177 Brückler, Theodor: 198 Bülow, Fürst Bernhard von, deutscher Kanzler: 172 C Čabrinović, Nedeljko: 270, 276, 286 Carol, König von Rumänien: 32, 33, 126, 173, 236, 248, 263, 264 317

Register

Cavour, Graf Camillo Benso: 37 Chlumecky, Leopold von: 133, 287 Chotek, Familie: 79, 88, 93 Chotek, Graf Bohuslav: 78–80 Chotek, Graf Karl: 93 Clam-Martinic, Graf Heinrich: 60 Clary-Aldringen, Graf Alfons: 176 Conrad von Hötzendorf, Franz, General: 102, 124, 135, 151, 157–159, 232–234, 241, 242, 246, 251–257, 259, 279, 291 Constantin I., König von Griechenland: 248 Coudenhove, Graf: 204 Croy-Dülmen, Familie: 81 Csernoch, János, Kardinal: 174 Cuvaj, Slavko: 269 Cvijić, Jovan: 268 Czernin, Graf Ottokar: 184, 209, 218–224, 250, 263, 293 Czuber, Berta: 285 D Dahn, Felix: 184 Deák, Ferenc: 10, 13, 16 Degenfeld, Graf Ferdinand: 40, 42, 47, 57 Dimitrijević, Dragutin, alias Apis: 269, 270, 287 Disraeli, Benjamin: 27 Dojčić, Stjepan: 269 Dvorak, Max: 197 E Edward VII., König von England: 173 Egger-Lienz, Albin: 184 Eichhoff, Baron: 221, 226, 292 Eisenmenger,Victor: 64–66, 69, 74, 78, 82, 285, 287 Elisabeth, Kaiserin von Österreich und

Königin von Ungarn: 9, 59, 77, 78, 86, 178 Elisabeth, Erzherzogin, Tochter von Rudolf: 170, 171 Elisabeth, Erzherzogin: 36, 79 Elisabeth, alias Carmen Sylva, Königin von Rumänien: 172 Endrici, Coelestin, Msgr.: 228 Ernst von Hohenberg: 174 Essad Pascha: 262 Eugen, Erzherzog: 66, 168 Eugen, Prinz von Savoyen: 164 F Fejérvary, Géza: 141, 143 Ferdinand I., Fürst, dann König von Bulgarien: 31, 248, 249 Ferdinand II., König von Neapel: 37, 130 Ferdinand Karl, Erzherzog: 36, 39, 66, 85, 93, 285 Ferdinand Maximilian, Erzherzog: 258 Ferstel, Heinrich von: 41 Frank, Josip: 144, 153 Franz I., Kaiser von Österreich: 38, 184 Franz II., König von Neapel: 37 Franz V., Herzog von Modena: 45 Franz Joseph I.: 9–11, 13–18, 26–28, 30–32, 35, 37–40, 42, 53, 56, 59, 60, 65, 68–73, 75–78, 82, 84, 87–92, 94, 95, 99, 112–114, 116–118, 122–126, 129–134, 136, 137, 140–142, 144–150, 155, 158–161, 164, 165, 169, 171–173, 175, 178, 180, 181, 184, 185, 191, 192, 199–201, 203, 220, 222, 226, 231, 233, 234, 236, 239, 240, 242, 243, 245–247, 249, 252–254, 256, 259, 261, 265, 269, 274, 278, 279, 281, 283–285, 289‑291, 293, 295, 297 Frantz, Constantin: 42 Franz Salvator, Erzherzog: 77 318

Eine Doppelmonarchie

Freytag, Gustav: 184 Friedrich, Erzherzog: 81 Friedrich II., König von Preußen: 173 Funder, Friedrich: 123, 134, 279, 280

I Ilić, Danilo: 275 Isabella, Erzherzogin: 81, 83, 170, 171 Iswolski, Alexej: 154, 155

G J Galen, Msgr.: 121 Ganghofer, Ludwig: 184 Gautsch, Freiherr Paul von: 137 Georg V., König von Hannover: 42 Georg V., König von England: 173, 179 Gessmann, Albert: 181 Giers, Baron Nikolai: 31 Glaise-Horstenau, Edmund von: 292 Goethe, Johann Wolfgang: 184 Gołuchowski, Graf Agenor: 72, 88, 91, 118, 152, 227 Grabež, Trifko: 270, 286 Gruscha, Anton, Kardinal: 90

Janaczek, Franz: 60, 81, 285 Jelačić, Freiherr Josip, General: 209 Josef II., Kaiser: 123, 216 Josepha, Erzherzogin: 77, 78, 171 Jovanović, Jovan: 273 Jukić, Luka: 269 K

H Harrach, Graf Franz: 277 Hartel, August von: 191 Hartwig, Nikolaus: 264 Haus, Anton, Admiral: 258 Heidler von Egeregg und Sygerstein, Freiherr Karl: 69, 70 Helene, Prinzessin von Orleans: 77 Helfert, Baron Alexander von: 191, 192 Herzen, Alexander: 268 Hildebrand, Johann Lukas von: 164 Hodža, Milan: 144, 146, 225 Hoffmann, Josef: 186 Hoffmann, Robert: 197 Hofmannsthal, Hugo von: 184, 185, 199 Hoyos, Graf Alexander: 236 Hummel, Major: 193 Hussarek, Max von: 189

Kállay, Benjamin von: 267 Kálnoky, Graf Gustav: 31, 117, 118 Karl, Erzherzog, dann Thronfolger: 283, 285 Karl V., Kaiser: 39 Karl VI., Kaiser: 257 Karl Ludwig, Erzherzog: 9, 35, 37–40, 42, 53, 66, 67, 92, 98, 165 Karl Salvator, Erzherzog: 50 Katharina II., Zarin von Russland, 28 Klimt, Gustav: 165, 185, 186, 188, 192 Klopp, Onno: 42–44, 47 Koerber, Ernst von: 88, 89, 120, 159, 225, 228 Kokoschka, Oskar: 187, 188 Kossuth, Ferenc: 117, 141, 215 Kossuth, Lajos: 117, 124, 296 Kramar, Karel: 225 Kraus, Karl: 281 Krauss-Elislago, Ritter Heinrich von: 132, 191 Kristóffy, Jozsef: 143, 144, 218, 219, 222 Krobatin, Alexander: 254 Kropotkin, Pierre: 267 Kugler, Mila: 80

319

Register

L Lanckoroński-Brzezie, Graf Karl: 193 Leopold I., Kaiser: 120 Liechtenstein, Fürst Franz: 72, 193 Lobkowitz, Fürst Franz: 165 Loos, Adolf: 186, 187, 189 Lorenz von Liburnau, Ludwig: 60 Löwenstein, Fürst Aloys von: 93 Lueger, Karl: 23–26, 116, 122, 205 Lustig-Prean, Julius von: 148 M Mahler, Gustav: 187 Malobabić, Rade: 270, 272 Maniu, Juliu: 144 Margarete, Fürstin von Sachsen: 36 Margaretha, Herzogin von Württemberg: 93 Margutti, Freiherr Albert von, General: 278 Maria Annunziata, Erzherzogin, Mutter von Franz Ferdinand: 36–39, 42, 134 Maria Annunziata, Erzherzogin: 36, 92, 171 Maria Beatrice d’Este, Herzogin von Modena: 45 Maria Christina, Erzherzogin: 83, 171 Maria Theresia, Königin von Böhmen und Königin von Ungarn: 172 Maria Theresia, Erzherzogin, geborene Braganza: 36, 39, 41, 42, 66, 86, 92–94, 98,169, 170 Marie Valerie, Erzherzogin: 35, 77, 127, 279 Marschall, Godfried: 44, 45, 86, 87, 177, 178 Marterer, Ferdinand, Oberst: 134 Mary, Königin von England: 173 Matscheko, Franz von: 262, 264, 265

Maximilian, Fürst von Hohenberg: 174, 176, 275 Merizzi, Erik von, Oberstleutnant: 276 Metternich, Fürst Klemens Lothar: 28, 128 Michael, König von Portugal: 41 Milan, Fürst, dann König von Serbien: 32, 33 Millet, Jean-François: 188 Milobar, Franz: 268 Möcker, Josef: 165 Moltke, Hellmut von, Feldmarschall: 256 Montecuccoli, Graf Rudolf, Admiral: 258 Montenuovo, Fürst Alfred: 86, 171, 282, 284 Moranduzzo, Cesare: 196 N Napoleon I., Kaiser der Franzosen: 128 Napoleon III., Kaiser der Franzosen: 27 Natalja, Königin von Serbien: 33 Nikolaus II., Zar von Russland: 118, 137, 147, 240, 264 Nostitz-Rieneck, Gräfin Sophie: 174–177 O Olbrich, Josef: 186 Otto, Erzherzog: 36, 39, 41, 54, 67, 71, 72, 77, 80, 93, 152, 164, 170 P Paar, Graf Eduard, General: 278 Palacký, František: 16 Pašić, Nikola: 238, 264, 269, 272, 273, 287 Pernerstorfer, Engelbert: 24

320

Eine Doppelmonarchie

Peter I., König von Serbien: 119, 273, 283 Pitreich, Heinrich Ritter von, General: 149, 150 Plečnik, Josef: 188, 189 Plener, Ernst von: 114 Popovici, Aurel: 144, 211–213, 221 Portland, Herzog von: 174 Potiorek, Oskar, General: 151, 269, 270, 276–278 Princip, Gavrilo: 106, 270, 276, 286, 287, 289, 294

Radetzky, Graf Josef, Feldmarschall: 149 Radić, Stjepan: 143 Redl, Alfred, Oberst: 254, 255 Redlich, Josef: 120, 121, 133,180, 199, 220, 236, 242, 280, 294–296 Reininghaus, Gina von: 253, 255, 279 Rieger, Freiherr František Ladislav: 21, 114 Ritschl, Hermann: 199 Roller, Alfred: 187, 188 Roth, Joseph: 281 Rudolf, Erzherzog, Thronfolger: 9, 34, 35, 47–52, 54, 67, 71, 72, 76, 78, 93, 113, 120, 123, 127, 128, 130, 170, 179, 180, 203, 204, 280, 283, 289

Schönerer, Georg von: 21, 23–26, 116, 122, 123 Schratt, Katharina: 170 Schrötter, Leopold: 64 Schwarzenberg, Fürst Felix: 10, 124 Schwarzenberg, Fürst Karl: 125, 223 Sforza, Graf Carlo: 289 Siegestern, Edler Carl Czelb: 132 Sieghart, Rudolf: 13 Skerlecz, Stjepan: 269 Sonnleithner, Walburga von: 234 Sophie, Erzherzogin: 36–39, 41 Sophie, geborene Gräfin Chotek, Fürstin, dann Herzogin von Hohenberg: 78, 80–84, 86, 91–95, 99, 105, 106, 108, 110, 112, 165, 169–180, 209, 218, 225, 274–277, 282, 283, 286, 296 Sosnosky, Theodor von: 120, 287 Spitzmüller, Alexander: 240 Starčević, Ante: 283 Starhemberg, Fürst: 283 Steinacker, Edmund: 213 Stephanie, Erzherzogin: 77, 78, 93, 170 Sternberk, Zdenko von: 165 Stürgkh, Graf Josef: 73 Stürgkh, Graf Karl: 206 Suttner, Bertha von: 239 Sybel, Heinrich von: 43 Szécsen, Graf Nikolaus: 68 Széll, Kálmán von: 88, 89, 169

S

T

Schemua, Blasius, General: 245, 246 Schiele, Egon: 188 Schiller, Friedrich: 184 Schlauer, Lorenz, Kardinal: 90 Schmerling, Anton von: 17 Schnitzler, Arthur: 184, 185 Schönaich, Graf Franz, General: 135, 151, 252, 259

Taaffe, Graf Eduard: 15, 16, 18, 23, 114, 136 Tankosić,Vojislav, Major: 270 Tegetthoff, Wilhelm von, Admiral: 257 Thaon di Revel, Admiral: 258 Thun-Hohenstein, Graf Franz: 78, 93, 139, 226

R

321

Register

Thun-Hohenstein, Graf Jaroslav: 223, 285 Thun-Hohenstein, Graf Leo: 191 Thun-Hohenstein, Graf Oswald: 138 Thun-Hohenstein, Gräfin Marie: 72, 76 Tisza, Graf Istvan: 141, 207, 215, 222, 223, 263, 296 Treitschke, Heinrich: 43 V Varešanin von Vareš, Marijan, General: 269 Vetsera, Mary: 80 Victoria, Königin von England: 76 Vogelsang, Freiherr Karl von: 26 Voida-Voevod, Alexandru, 144, 212 W

Werner, Ady: 194 Wied, Fürst Wilhelm von: 262 Wilhelm I., König von Preußen, deutscher Kaiser: 25, 28 Wilhelm II., deutscher Kaiser: 119, 159, 172, 173,179, 245, 248, 256, 259, 261, 264, 274, 283, 287, 296 Windhagen, Maximilian: 196 Windischgraetz, Fürst: 171 Wittek, Johann von: 40 Wurmbrand-Stuppach, Graf Leo: 60, 74, 78, 82 Z Žerajić, Bogdan: 269 Zichy, Graf János:143 Zita, Kaiserin: 178 Zuckerkandl, Berta: 187 Zweig, Stefan: 185, 280

Wagner, Otto: 185, 186, 188–190 Wekerle, Alexander: 142, 145

322

MANFRIED RAUCHENSTEINER

DER ERSTE WELTKRIEG UND DAS ENDE DER HABSBURGERMONARCHIE 1914–1918

Die Geschichte von der Entfesselung des Ersten Weltkriegs, von der Rolle Kaiser Franz Josephs, vom Verhalten der Nationalitäten der Habsburgermonarchie bis zum Zerfall eines 630-jährigen Reiches liest sich wie ein spannender Roman. Es geht um Politik und Krieg, das Bündnis mit Deutschland, Krieg als Ausnahmezustand und als Normalität. Das Buch, von einem der führenden Historiker Österreichs, ist eine mitteleuropäische Enzyklopädie des Ersten Weltkriegs. 2013. 1222 S. 32 S/W-ABB. UND 2 KARTEN. GB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-78283-4

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CHRISTA HÄMMERLE (HG.)

DES KAISERS KNECHTE ERINNERUNGEN AN DIE REKRUTENZEIT IM K. (U.) K. HEER 1868 BIS 1914 (DAMIT ES NICHT VERLORENGEHT ..., BAND 66)

Schriftliche Aufzeichnungen von Mannschaftssoldaten der österreichischungarischen Armee sind nur selten überliefert. Die in diesem Band erstmals veröffentlichten autobiografischen Texte schildern das Militär als eine »totale Institution«: Beschrieben werden vor allem der übermäßige Drill, Willkür, Schikanen und Soldatenmisshandlungen, endloses Exerzieren und militärische Lotterwirtschaft im k.(u.)k. Heer. Die gemeinen Soldaten erlebten den Rekrutendienst als eine Zeit der Erniedrigung und des Männlichkeitsverlusts. Mit all dem wird in diesen Texten abgerechnet, ungeachtet eines späteren militärischen Aufstiegs ihrer Autoren. Mehr oder weniger übereinstimmend zeichnen sie ein äußerst negatives Bild der Rekrutenzeit von 1868 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, für den die Allgemeine Wehrpflicht gefügige Soldaten – des Kaisers Knechte – fabriziert hat. 2012. VI, 204 S. 11 S/W-ABB. BR. 120 X 200 MM | ISBN 978-3-205-78872-0

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ALEXANDER WILL

KEIN GRIFF NACH DER WELTMACHT GEHEIME DIENSTE UND PROPAGANDA IM DEUTSCH-ÖSTERREICHISCHTÜRKISCHEN BÜNDNIS 1914–1918

Im November 1914 rief der mit Deutschland verbündete osmanische Sultan den Heiligen Krieg aller Muslime gegen die Entente (Großbritannien, Frankreich, Russland) aus. Das wurde von diesen Mächten – aber auch von vielen Historikern – als ein vom Kaiser inszenierter Griff nach der Weltmacht verstanden. Im Gegensatz dazu wird in diesem Buch der Aufruf als asymmetrische Besonderheit des Krieges interpretiert, die aus einer Schwäche der Mittelmächte (Deutschland, Österreich-Ungarn, Türkei) resultierte. Die Revolutionierungsstrategie war demnach eher ein Notbehelf. Der Autor schildert die Geschichte geschickt agierender deutscher Agenten und zeichnet darüber hinaus das Bild eines selbstbewussten Österreich-Ungarn, dessen kreative Propaganda im Orient sich vor allem gegen den deutschen Verbündeten richtete. 2012. 340 S. BR. 170 X 240 MM | ISBN 978-3-412-20889-9

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EdGArd HAIdEr

Wien 1914 AlltAg Am RAnde des AbgRunds

Der Historiker und Publizist Edgard Haider nimmt den Leser mit in das Wien des Jahres 1914 , auf Bälle und Feste , ins Theater , auf Straßen und Plätze , in Wohnhäuser und Paläste – in eine Stadt , deren Bewohner nicht wahrhaben wollen , dass auch Wien kurz vor dem Abgrund steht. Im Bewusstsein geblieben ist die verblüffende Euphorie über den Ausbruch des Krieges im Sommer , doch was sonst geschah in diesem Schicksalsjahr ist weitgehend vergessen. Haider hat zahlreiche Dokumente zusammengetragen , die einen Blick in die Welt vor hundert Jahren offenbaren. Prophetisch wirkende Analysen der politischen Lage , die eine neue Ordnung erahnen lassen , sind hier ebenso zu lesen wie grobe Fehleinschätzungen. Die Spurensuche führt zu heute skurril anmutenden Bräuchen und Moden , bringt aber auch überraschend Modernes zutage. Ein Tanz auf dem Vulkan , dessen Ausbruch wie eine lang ersehnte Erlösung bejubelt wird , in Wahrheit aber der Anfang vom Ende der alten Welt ist. 304 S. 141 S/W-ABB. GB. 135 X 210 MM | ISBN 978-3-205-79465-3

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Jean-paul BleD

Kronprinz rudolf

Der Historiker und Erfolgsautor Jean-Paul Bled hat hier eine fesselnde und einfühlsame Biographie des Kronprinzen geschrieben. Rudolfs schillernde Persönlichkeit, sein tragisches Schicksal und sein Tod haben den ausgefallensten Gerüchten und Legendenbildungen Nahrung gegeben und bis heute nichts an Faszinationskraft verloren. Für Liberalismus und Demokratie, für die Rechte der Minderheiten in der Donaumonarchie und gegen Nationalismus und Antisemitismus: Mit diesen Überzeugungen stand Rudolf im Gegensatz zu den herrschenden Strömungen seiner Zeit, zu seiner unmittelbaren Umwelt und in gewissem Sinn auch zu sich selbst als Erbe des Reiches. Die Versuche des Hofes, auf ihn Einfluss auszuüben, trieben ihn weiter in innere und äußere Isolation, der er auch durch ein ausschweifendes Leben nur vorübergehend entrinnen konnte. Seine Sensibilität, seine hohe Bildung und Intelligenz erzeugten in ihm das Bewusstsein eines persönlichen Scheiterns, und das Drama von Mayerling war das letzte Kapitel eines physischen und psychischen Zusammenbruchs, dessen Wurzeln bis in die traumatische Kindheit Rudolfs zurückreichten. Stationen waren dabei das Scheitern seiner Ehe, Krankheit und eine lange Reihe politischer Misserfolge gewesen. 2006. 260 s. Zahlr. s/W-aBB. GB. 170 x 240 mm. | isBn 978-3-205-05238-8

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WolFdIeTeR BIhl

DER ERSTE WELTKRIEG 1914–1918 CHRONIK – DATEN – FAKTEN

Der Erste Weltkrieg, „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts, hat rund 10 Millionen Kriegstote gefordert. In der knapp gefassten Monografie werden übersichtlich innen- und außenpolitische, militärische, sozioökonomische, psychologische, mentalitäts- und kulturgeschichtliche Aspekte dargestellt. Berücksichtigt werden auch alle Fronten inklusive des See- und Luftkrieges sowie die innere Lage aller kriegsführenden Staaten zwischen 1914 bis 1918. 2010. 351 S. 8 FARB. KART. BR. 135 X 210 MM. | ISBN 978-3-205-78379-4

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