Öffentliche Erziehung Kinder und ihre Erzieher in Kindergärten 3593322900

Öffentliche Erziehung Angesichts der steigenden Anzahl arbeitsloser Frauen und Mütter wird der Wert der Familie und die

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Öffentliche Erziehung Kinder und ihre Erzieher in Kindergärten
 3593322900

Table of contents :
Einleitung 11
I. Zur Entwicklung der öffentlichen Erziehung der Kinder vor der
Schule 14
1. öffentliche Kleinkinderziehung im gesellschaftlichen Zusammenhang 14
2. Ursachen der Erweiterung der öffentlichen Kleinkinderziehung 24
a. Frauenerwerbstätigkeit 25
b. Geburtenanreiz 32
c. Sozialisationsagentur Familie 33
d. Einsparung sozialer Folgekosten 39
e. Politische Legitimation 41
f. Qualifikationsveränderung 45
g. Vorbereitung auf die Schule 49
h. Zusammenfassung 52
II. Zur Situation der Erzieher in öffentlichen Kindertagesstätten . 56
1. Faktoren der Lebens-und Arbeitssituation 57
a. Allgemeine Faktoren 58
b. Spezifische Faktoren 59
Direkte Faktoren 60
Indirekte Faktoren 62
Einstellungen 65
82. Erzieher in Kindertagesstätten 67
a. Vorbedingungen der Erzieher 68
Soziale Herkunft 68
Schul- und Ausbildung . . 69
Berufs- und Lebenserfahrung 70
b. Lebensbedingungen 71
c. Einstellungen 72
Weltanschauung 72
Einstellungen zur Arbeit in der Kindertagesstätte 72
— Berufszufriedenheit 74
— Einstellungen zur Erziehungsarbeit 75
d. Arbeitsbedingungen 77
Räumlich-materielle Bedingungen 77
Rechtliche Bedingungen 78
Arbeitsorganisation 79
e. Arbeitsinhalt 79
Tagesablauf 8 0
Erziehung in der Kindergruppe 83
Elternarbeit 8 7
Kollegiale Zusammenarbeit 89
Außenkontakte und Schule 93
f. Zusammenfassung 94
3. Probleme und Zusammenarbeit in der Kindertagesstätte . . . 96
III.Kooperation von Erziehern 103
1. Kooperation als Prinzip gesellschaftlicher Verhältnisse . . . . 104
2. Kooperation in der bürgerlichen Gesellschaft 106
a. Kooperation als allgemeines Prinzip 106
b. Kooperation in der Arbeit 112
c. Kooperation außerhalb der Arbeit 114
d. Typologie der Kooperation 115
3. Kooperation der Erzieher 118
a. Erzieherarbeit als Lohnarbeit 118
b. Erzieherarbeit als Lohnarbeit beim Staat 125
9c. Erziehung und Erzieher . 129
d. Feminisierung 138
e. Struktur der Institution „Kindertagesstätte" . , 146
Institutioneller Praxisschöck — Anspruch und Wirklichkeit 148
Hierarchie und Leitung 152
Der Heimliche Erziehungsplan 155
f. Zusammenfassung und Typologie der Erzieher-Kooperation 158
Anmerkungen 165
Kommentiertes Literaturverzeichnis zur Kleinkinderziehung . . . 171
Literatur 173

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Kinder und ihre Erzieher in Kindergärten

Öffentliche Erziehung Angesichts der steigenden Anzahl arbeitsloser Frauen und Mütter wird der Wert der Familie und die schier unersetzbare Mütterlichkeit erneut propagiert und damit die außerfamilialen Erziehungsinstitutionen stärker in Frage gestellt. Der vorliegende Band versteht sich als Beitrag zu dieser Diskussion und weist viele Wege, die Möglichkeiten öffentlicher Erziehung zur vollen Entfaltung des Kindes zu nutzen. Entscheidend für den Lernprozeß des Kleinkindes ist das Bewußtsein der Erzieherinnen. Deshalb werden Lebens- und Arbeitsbedingungen, Interessen und Erziehungsziele von Berufserzieherinnen untersucht, gleichzeitig der Zusammenhang zwischen Praxisproblemen und der Zusammenarbeit der Erzieherinnen beleuchtet, um in einem abschließenden Teil Möglichkeiten für die Entwicklung kooperativer Arbeitsbeziehungen herauszuarbeiten.

ISBN 3-593-32290-0

Kurt Bader, Dipl. Ing. und Dr. phil., arbeitete nach einem Pädagogik-Studium in Berlin in öffentlichen Kindertagesstätten und als Dozent in der Erzieherfortbildung; derzeit Leiter einer Kindertagesstätte in Berlin. Veröffentlichungen: (zus. mit anderen), Handbuch für Kindertagesstätten (1977).

Paperbacks: Pädagogik herausgegeben von Hans-Jochen Gamm

Kurt Bader

Öffentliche Erziehung Kinder und ihre Erzieher in Kindergärten

Campus Verlag Frankfurt/New York

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Bader. Kurt Öffentliche Erziehung : Kinder u« ihre Erzieher in Kindergärten. - I.Aufl. - Frankfurt/Main, New York Campus Verlag, 1978 (Campus : Paperbacks Pädagogik) ISBN 3-593-32290-0

ISBN 3-593-32290-0

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Copyright © 1978 bei Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main Produktion: Buchteam Frankfurt Umschlaggestaltung von Eduard Warminski, Frankfurt unter Verwendung eines Fotos von Eckart Supp Satz: Henniger, Wiesbaden Druck: Beltz Offsetdruck, Hemsbach Bindung: Junghans, Darmstadt Printed in Germany

Editorial

Die Weiterentwicklung der Pädagogik zu einer funktionsgerechten Sozialwissenschaft ist mit vielen Schwierigkeiten verknüpft, die zum Teil dadurch entstehen, daß es keine Einigkeit über die Ziele des Lebens gibt. Geht es primär um die effektive Vermittlung verwertbarer Qualifikationen oder um das kritische Vermögen, deren soziale Verwertungszusammenhänge zu durchschauen, oder läßt sich gar beides verbinden? Die Entscheidung dieser Frage hat Einfluß auf das Didaktikverständnis und auf die Rolle der Schule. Der Emanzipationsbegriff und die Konzepte sozialen und politischen Lernens haben durch die Studentenbewegung gesellschaftliche Sprengkraft erhalten. Die Inhaber der staatlichen Gewalt zogen inzwischen sehr deutliche Grenzen. Die heute Studierenden sehen sich in ihrer beruflichen Zukunft bedroht, nicht nur durch die immer schlechter werdenden Aussichten auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch durch die auf Anpassung zielende Gesinnungsprüfungspraxis. Können schon diejenigen, die sich auf den Erwerb von Qualifikationen beschränken, nicht mehr sicher mit einem Arbeitsplatz rechnen, so sind jene, die öffentlich Kapitalismuskritik üben, auf jeden Fall von harten Sanktionen bis zum Berufsverbot bedroht. Damit die einstige Euphorie heute nicht in Resignation umschlägt, ist nach der schrittweisen Preisgabe vieler hochgesteckter pädagogischer Konzepte und Reformvorhaben stetig und nüchtern weiterzuarbeiten. Gerade die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und die ideologische Offensive gegen eine kritische Pädagogik erfordern eine offene Verständigung über die Ziele pädagogischer Praxis. Es reicht nicht aus, Konzepte für eine menschliche Schule zu entwickeln oder CurriculumModelle zu erproben. Es gilt vor allem, die gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Prozesse für die Betroffenen durchschaubar zu machen, Kritikfähigkeit zu entwickeln und Konfliktscheu abzubauen. Bildung ist das entscheidende Mittel, die Gesellschaft auf einen Weg zu führen, an dessen Ende freie Menschen ihre Beziehungen untereinander wie zu ihrer sozialen Umwelt vernünftig regeln. 5

„Die Veröffentlichungen in dem neuen Schwerpunkt Pädagogik bei Campus sollen Hilfsmittel sein für die Bewältigung der praktischen Aufgaben im pädagogischen Alltag. Es besteht nicht der Anspruch, die verwirrende Vielfalt unterschiedlicher Positionen zu repräsentieren, sondern aus dezidiert kritischer Sicht Orientierungen zu geben für die Probleme in den schulischen und auch außerschulischen Arbeitsfeldern von Pädagogen.

Zu diesem Buch: Der Deutsche Bildungsrat hat in seinem Gesamtplan von 1970 entschieden darauf hingewiesen, daß die Forderung nach Chancengleichheit nicht erst bei der Bildungsorganisation für die einzuschulenden Kinder bedeutsam sei, sondern daß sich gerade in dieser Phase der frühen Erziehung entscheide, wie differenziert das Weltverstehen der jungen Persönlichkeit angelegt werde. Der Bildungsrat hat damit in seinen Ausführungen zum „Elementarbereich" für die drei- bis fünfjährigen Kinder die wesentlichen Ergebnisse der Sozialisationsforschung umzusetzen versucht. Diese durchaus kühne Bestimmung zu verwirklichen wird es jedoch erheblicher Anstrengungen bedürfen. Verschiedene Umstände sind dafür verantwortlich. Zunächst erschwert die Familienkonstellation in der bürgerlichen Gesellschaft bildungspolitische Maßnahmen, die alle Kinder im Vorschulalter betreffen. Die grundgesetzlich geschützte Familiensphäre überläßt die einzelnen Erziehungsmaßnahmen der Einsicht und dem guten Willen der Eltern. Begleitende pädagogische Kontrollen der Öffentlichkeit finden nicht statt. Damit wird den Eltern eine Verantwortung aufgebürdet, der sie kaum gewachsen sind, weil es keine verpflichtende Ausbildung für angehende Eltern gibt. So reaktivieren sich vor allem Erfahrungen aus der eigenen Kindheit und Erziehungsziele der vorausgegangenen Generation werden wirksam. Zum anderen ist aber auch die Gesellschaft kaum in der Lage, Handlungsanweisungen für den Umgang mit kleineren Kindern zu geben. Strenge und Verhätschelung wechseln nicht selten innerhalb einzelner erzieherischer Maßnahmen. Sie müssen für Kinder als willkürliche Äußerungsformen einer konfusen Welt gelten, kaum anders als für die Erwachsenen die Schwankungen der unberechenbaren ökonomischen Verhältnisse im Kapitalismus. Dem Dilemma fehlender pädagogischer Untersuchungen zur öffentlichen Kleinkinderziehung stellt Kurt Bader einen Ansatz entgegen, der das Konzept einer traditionellen Kindergartenpädagogik kritisch prüft. 6

Die hier ermittelten Ergebnisse legen die Grundlage für die Entwicklung einer anderen, emanzipatorischen Erziehungspraxis, die der Generation von morgen Selbständigkeit und Kritikfähigkeit vermitteln kann.

Darmstadt, im November 1977

Hans-Jochen Gamm

7 f

Inhalt

Einleitung

11

I. Zur Entwicklung der öffentlichen Erziehung der Kinder vor der Schule

14

1. öffentliche menhang

14

Kleinkinderziehung

im gesellschaftlichen

2. Ursachen der Erweiterung der öffentlichen a. b. c. d. e. f. g. h.

Zusam-

Frauenerwerbstätigkeit Geburtenanreiz Sozialisationsagentur Familie Einsparung sozialer Folgekosten Politische Legitimation Qualifikationsveränderung Vorbereitung auf die Schule Zusammenfassung

II. Zur Situation der Erzieher in öffentlichen Kindertagesstätten 1. Faktoren der Lebens-und

8

24

Kleinkinderziehung

Arbeitssituation

25 32 33 39 41 45 49 52

.

56 57

a. Allgemeine Faktoren

58

b. Spezifische Faktoren Direkte Faktoren Indirekte Faktoren Einstellungen

59 60 62 65

2. Erzieher in Kindertagesstätten

67

a. Vorbedingungen der Erzieher Soziale Herkunft Schul- und Ausbildung Berufs- und Lebenserfahrung b. Lebensbedingungen c. Einstellungen Weltanschauung Einstellungen zur Arbeit in der Kindertagesstätte — Berufszufriedenheit — Einstellungen zur Erziehungsarbeit d. Arbeitsbedingungen Räumlich-materielle Bedingungen Rechtliche Bedingungen Arbeitsorganisation e. Arbeitsinhalt Tagesablauf Erziehung in der Kindergruppe Elternarbeit Kollegiale Zusammenarbeit Außenkontakte und Schule f.

. .

80

83 87

89 93

Zusammenfassung

3. Probleme und Zusammenarbeit

68 68 69 70 71 72 72 72 74 75 77 77 78 79 79

94 in der Kindertagesstätte

. . .

III.Kooperation von Erziehern

96 103

1. Kooperation

als Prinzip gesellschaftlicher

Verhältnisse

2. Kooperation

in der bürgerlichen Gesellschaft

a. Kooperation als allgemeines Prinzip b. Kooperation in der Arbeit c. Kooperation außerhalb der Arbeit d. Typologie der Kooperation 3. Kooperation der Erzieher a. Erzieherarbeit als Lohnarbeit b. Erzieherarbeit als Lohnarbeit beim Staat

. . . .

104 106 106 112 114 115 118 118 125 9

c. Erziehung und Erzieher . d. Feminisierung e. Struktur der Institution „Kindertagesstätte" . , Institutioneller Praxisschöck — Anspruch und Wirklichkeit Hierarchie und Leitung Der Heimliche Erziehungsplan f. Zusammenfassung und Typologie der Erzieher-Kooperation Anmerkungen Kommentiertes Literatur

10

Literaturverzeichnis

zur Kleinkinderziehung

...

129 138 146 148 152 155 158 165 171 173

Einleitung

„Die Reform der öffentlichen Kleinkinderziehung ist t o t . . . aber die öffentliche Kleinkinderziehung lebt weiter" — so oder ähnlich kann die derzeitige Situation der öffentlichen Kleinkinderziehung beschrieben werden. Stand die Erziehung der drei- bis vierjährigen Kinder (als Teil des Bildungswesens „Elementarbereich") noch 1972 an der Spitze vordringlicher Maßnahmen in der Bildungspolitik, so kann heute davon keine Rede mehr sein. Die Misere der Berufsausbildung, verbunden mit erschreckend hoher Jugendarbeitslosigkeit und Lehrstellenmangel, führt nunmehr die bildungspolitische Prioritätenliste an. Die zur Zeit laufenden länderübergreifenden curricularen Erprobungsprogramme im Elementarbereich scheinen vielen als das letzte Tageslicht, bevor sich die Nacht der Reformruhe über die öffentliche Kleinkinderziehung senkt. Nach einer Periode der raschen Erweiterung der Plätze in den öffentlichen Einrichtungen, vor allem für die Drei- bis Fünf]ährigen, nach einigen Versuchen an den pädagogischen Inhalten anzusetzen, macht sich nun langsam resignative Friedhofsruhe bei Erziehern und Eltern breit. Dies, obwohl gerade jetzt einige vielversprechende Möglichkeiten pädagogischer Sinnfüllung, Systematisierung und Zielsetzung der Erziehungsarbeit aufgezeigt und auch praktiziert werden. Diese Möglichkeiten und erhöhten Anforderungen brechen sich allerdings an den bestehenden mangelhaften Arbeitsbedingungen und lassen eine Reihe von Initiativen seitens der Erzieher und Eltern verebben. Allein die Zuordnung der Fünfjährigen, die Frage ob Vorklasse oder Kindergarten in Zusammenhang mit modellhaften Erprobungen der Eingangsstufe (d. h. die Klassen 0 und 1 zusammengefaßt als erste Stufe der Grundschule = Primarbereich) und der möglicherweise geplanten Vorlegung der Schulpflicht um ein Jahr bewegt noch die davon unmittelbar Betroffenen (einschließlich der konfessionellen Träger von vorschulischen Einrichtungen). Doch all dies ist nicht allein aus der öffentlichen Kleinkinderziehung abzuleiten, sondern resultiert aus dem veränderten Stellenwert des Erziehungs- und Bildungsbereiches in Abhängigkeit von der wirtschaft11

liehen Gesamtentwicklung. Führte 1969 der damalige Bundeskanzler Brandt in seiner Regierungserklärung noch an, daß Bildung und Ausbildung an der Spitze der Reformen zu stehen hätten — „Wir dürfen keine Gesellschaft der verkümmerten Talente werden. Jeder muß seine Fähigkeiten entwickeln können." (Texte zur Deutschlandpolitik, 17 u. 24) — so sprach sein Nachfolger Schmidt vor dem Deutschen Bundestag am 17.5.1974 nur mehr von einem „nüchternen Blick für das Mögliche" im Bildungswesen. Die Zuwachsraten im Bundeshaushalt für den Bereich Bildung verringern sich von Jahr zu Jahr, während dagegen Belange des „Inneren" und das Verteidigungsbudget beachtliche Mittelerhöhungen zu verzeichnen haben. Angesichts der derzeitigen Strukturkrise der Wirtschaft, in der sich die Zahl der Arbeitslosen in der BRD und Westberlin auf über 1 Million „einpendelt" und hunderttausende Werktätige zur Kurzarbeit gezwungen sind, stehen Investitionsanreize für die Industrie, deren Profite noch nie so hoch wie jetzt waren, aber auch Sparmaßnahmen vor allem im sozialen Bereich auf der Prioritätenliste der Regierung. Das betrifft unmittelbar den Bildungsbereich und hier auch die öffentliche Kleinkinderziehung, die knapp davor stand, als wesentlicher Bildungsbereich anerkannt zu werden. Es ist nicht überraschend, daß gerade in jüngster Zeit auch die bereits totgeglaubte Kontroverse „Familienerziehung oder Institutionenerziehung" wieder aufflammt. Angesichts einer immer größer werdenden Reservearmee arbeitsloser Frauen und Mütter wird der Wert der Familie und hier besonders die schier unersetzbare Mütterlichkeit als wesentlicher Erziehungsfaktor wieder entdeckt. Mit einem Wort: Die öffentliche Kleinkinderziehung scheint auf dem Rückzug zu sein. Dieses Buch will durch einen Einblick in die Situation der öffentlichen Kleinkinderziehung Informationen geben, die eine realistische Einschätzung ermöglichen, die nicht nach rückwärts, sondern verstärkt nach vorwärts gewandt ist. Damit soll ein Beitrag gegen die um sich greifende Resignation geleistet werden im Interesse einer gemeinsamen, von Erziehern, Eltern und anderen Betroffenen aktiv getragenen Verbesserung der gesellschaftlichen Erziehungsverhältnisse — dies als eine notwendige Bedingung für eine gesamtgesellschaftliche Emanzipation. Emanzipatorische Erziehung versetzt die zu Erziehenden in die Lage, ihren Anspruch auf Selbstbestimmung in kompetenter Weise zu vertreten; eine solche Erziehung ist nicht nur auf individuelle sondern vor allem auf „kollektive Autonomie" gerichtet. Durch die eindeutige Orientierung der Untersuchung auf den Erzieher soll dessen wichtige Funktion im Rahmen des Erziehungsprozesses betont werden. Die Arbeit ist somit auf folgende zentrale Thesen ausgerichtet: 12

1. Emanzipatorische — aus gesellschaftlich bedingten Abhängigkeiten befreiende — Erziehung kann nur von emanzipierten Erziehern durchgeführt werden. Eine Erziehung zur gemeinsamen Durchsetzung historisch entwickelter menschlicher Bedürfnisse kann daher nur durch Erzieher erfcolgen, die selbst ihre Bedürfnisse und Interessen als gemeinsame erkennen. Von entscheidender Bedeutung ist dabei die Entwicklung kooperativer Arbeitsbeziehungen, die allein erst ein schrittweises Aufbrechen gesellschaftlich erzeugter menschlicher Entfremdung ermöglichen. 2. Erziehung ist durch ein besonderes soziales Moment gekennzeichnet; über die allgemein gesellschaftlichen Bedingungen geschuldete Entfremdung der Arbeit von Lohnerziehern hinaus bietet dieses ausgeprägt soziale Moment der konkreten Seite der Erzieherarbeit wesentliche Möglichkeiten für die Entwicklung kooperativer Arbeitsbeziehungen. Im folgenden ersten Teil soll versucht werden, die Entwicklung der öffentlichen Kleinkinderziehung als einen Teil der gesellschaftlichen Entwicklung historisch darzustellen und daraus ursächliche Momente dieses Prozesses herauszufiltern. Im zweiten Abschnitt wird auf die spezifische Situation der Berufserzieher eingegangen, ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen. Abschließend, im dritten Teil, erfolgt eine Auseinandersetzung mit dem wesentlichsten Merkmal menschlicher Beziehungen überhaupt — der Kooperation im konkret geschichtlichen Zusammenhang und den Auswirkungen auf den Bereich der Kleinkinderziehung.

13

I. Zur Entwicklung der öffentlichen Erziehung der Kinder vor der Schule

Zunächst einige Begriffserklärungen: Der Bereich der öffentlichen Kleinkinderziehung betrifft die von öffentlichen Trägern (Staat, Land, Stadt, Kirchen, freie Verbände) gehaltenen Einrichtungen für die Erziehung und Bildung von Kindern von der Geburt bis zum Eintritt in die Pflichtschule. Die Betreuung der 0—5(6)jährigen Kinder erfolgt bis jetzt freiwillig und in der Regel kostenpflichtig. In der Krippe werden Kinder bis etwa zum dritten Lebensjahr betreut, im Kindergarten („Elementarbereich") die 3—4(5)jährigen. Je nach Bundesland verschieden gehen die Fünfjährigen entweder in Vorschul- oder Vermittlungsgruppen im Kindergarten oder Vorklassen an der Schule. Der Hort umfaßt jene schulpflichtigen Kinder bis zu etwa vierzehn Jahren, die neben der Schule eine zusätzliche sozialpädagogische Betreuung genießen. Diese verschiedenen Abteilungen sind zum Teil getrennt, zum Teil in Gesamteinrichtungen zusammengefaßt. Kindertagesstätten (kurz Kita's) bzw. Kinderheime/Kindertagesheime, bieten im Gegensatz zu Einrichtungen auf dem Lande, die zumeist nur halbtags geöffnet sind, in städtischen Ballungsräumen eine ganztägige Betreuung der Kinder an. In diesen Regionen ist sowohl der Anteil der berufstätigen Mütter weitaus höher als auch die soziale Isolierung der Familien insgesamt größer (Verwandte und Freunde wohnen in der Regel in anderen Stadtvierteln, so daß sie selbst für eine zeitweilige Betreuung der Kinder weitgehend ausfallen).

1. Öffentliche Kleinkinderziehung im gesellschaftlichen Zusammenhang Die Entwicklung der öffentlichen Erziehung bzw. Betreuung von Kindern kann nur in ihrer Beziehung zur gesellschaftlichen Gesamtsituation beurteilt werden. So entstanden die ersten „Bewahranstalten" für Kinder nicht zufällig zu Beginn der Industrialisierung und der Entstehung einer neuen gesellschaftlichen Klasse, der „freien" Lohnarbeiter. Früher waren die Kinder eingebettet gewesen in einen familialen Verbund, in dem sich 14

auch konkrete produktive Arbeitstätigkeiten entfalteten. Die aktive Teilnahme und Teilhabe der Kinder an den beruflichen Tätigkeiten der Erwachsenen enthielt neben der wirtschaftlich-materiellen Hilfe durch die Kinder für diese einen hohen pädagogischen Stellenwert. Sie waren nicht getrennt von den relevanten gesellschaftlichen Bezügen der Arbeit, sondern konnten sich diese in direkter Weise aneignen. So mußten nicht besondere „Spiele" entwickelt werden, um den Kindern die Welt der Erwachsenen zu vermitteln — die Kinder lebten mitten darin. Über der pädagogisch wichtigen Einbeziehung der Kinder in den Produktionsprozeß darf allerdings nicht vergessen werden, daß die Kinder oft bis weit über ihre körperlichen Grenzen hinaus beansprucht wurden. Mit der Trennung der Produzenten (Arbeiter) von ihren Produktionsmitteln (z. B. Arbeitsgegenständen) erfolgte auch die örtliche Trennung von Arbeit (in der Manufaktur und Fabrik) und Wiederherstellung der Arbeitskraft (in der Familie). Diese Trennung hatte für die Kinder zum einen die Auswirkung, nicht mehr an der Arbeit der Erwachsenen direkt teilhaben zu können. Zum zweiten wurde die Beziehung zwischen den Erwachsenen insofern reduziert, als die frühere Großfamilie auf die Zwei-Generationen-Kiein-Familie schrumpfte. Damit fielen wichtige Bezugspersonen für die Kinder aus dem unmittelbaren Erfahrungsbereich heraus. Darüber hinaus verringerte sich der Sinnzusammenhang zwischen Kindern und Eltern auf Verrichtungen, die, existentiell hochnotwendig, in kürzester Zeit und unter denkbar unzureichenden Bedingungen durchgeführt werden mußten. D. h. die Eltern hatten kaum mehr Zeit, den Kindern bestimmte Inhalte und Notwendigkeiten zu vermitteln. Zum dritten vollzog sich in dieser Phase aber auch ein derartiger Verschleiß der Arbeitskraft der Erwachsenen in den Betrieben, daß sie zu Hause in der Familie die häuslichen Verrichtungen nur unter Aufbietung der letzten körperlichen und psychischen Kräfte zu leisten imstande waren. Der früher sinnhafte, kooperative und arbeitsteilige Zusammenhang der Familie wurde so abgelöst durch einen familialen Zwangsverband, der notdürftig die Existenz aufrechterhielt. Aufgrund der miserablen Situation der Arbeiterfamilien, des hohen Verschleißes von Arbeitskraft in Manufaktur und Fabrik und des rapide steigenden Arbeitskräftebedarfs seitens der aufblühenden Industrie wurden auch die Kinder in die Produktion zwangsrekrutiert. Berichte über Kinderarbeit in dieser Zeit geben beredtes Zeugnis ab über die erschreckende Lage der Kinder (vgl. F. Engels, Die Lage der arbeitenden Klasse in England; Ch. Dickens, Oliver Twist). Durch die Zunahme der Kinder- und Erwachsenensterblichkeit war die Arbeiterklasse und vor allem ihr Nachwuchs existentiell bedroht. Dies war die eine Ursache für die Entstehung der ersten Bewahr15

anstaiten für Kinder. Zum anderen entstanden auch die ersten Arbeiterorganisationen, zu deren Forderungen auch die Verbesserung der Lage der Kinder zählte. Sozial und politisch engagierte Pädagogen nahmen die Situation der Kinder zum Anlaß, sich stärker mit inhaldichen Fragen der Kindererziehung auseinanderzusetzen. Aber auch das emporstrebende Bürgertum war zunehmend an einer besseren Erziehung seiner Kinder interessiert. Damit entwickelten sich die beiden wesentlichen Stränge der seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entstehenden öffentlichen Kleinkinderziehung — einerseits Bewahren, andererseits Erziehen und Fördern (vgl. Barow-Bernstorff u. a., 1971). Über ein zwischenzeitlich politisch begründetes Verbot der Fröbelschen Kindergärten begann im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung seit etwa 1860 die rasche Ausbreitung der Kindergärten. Erste Ansätze für eine umfassendere Ausbildung der Kindergärtnerinnen wurden staatlicherseits wohlwollend geduldet. Der überwiegende Großteil der Erziehungseinrichtungen lag aber weiterhin in privater bzw. kirchlicher Hand. 1908 wurden die „Kindergärtnerinnen-Seminare" staatlich anerkannt. Da aber Bewerberinnen mit Volksschulabschluß von dieser Ausbildung ausgeschlossen waren und Schulgeld bezahlt werden mußte, war der Beruf der Kindergärtnerin nur den Töchtern des bemittelten Bürgertums vorbehalten. Abgesehen von der erzieherischen Qualität war die Zahl der vorhandenen Kindergärten viel zu gering. So standen z. B. 1910 in Berlin 7.000 vorhandenen Kindergartenplätzen 75.000 Kinder gegenüber, die eine Unterbringung in solchen Einrichtungen dringend benötigten; eine Kindergärtnerin mußte oft bis zu 130 Kinder betreuen. Auf der 1920 einberufenen Reichsschulkonferenz sollte zwischen drei verschiedenen Formen des Kindergartens entschieden werden: 1. der staatliche, weltliche, obligatorische Kindergarten als eine Vorstufe der Einheitsschule; 2. der Vereinskindergarten, der auf freiwilligem Besuch beruht, als Ergänzung der Familienerziehung; 3. der konfessionelle Kindergarten. Ergebnis der Konferenz war, daß der Kindergarten als Einrichtung der Jugendwohlfahrt nicht in den Rahmen der Einheitsschule eingegliedert werden sollte. Das 1922 verabschiedete Reichsjugendwohlfahrtsgesetz legte endgültig die Zuordnung des Kindergartens zur öffentlichen Jugendhilfe fest. Versuche, ein Kindergartenpflichtgesetz durchzubringen, scheiterten in der Folgezeit. 16

Während des Faschismus wurden die Kindergärten von der staatlichen Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt übernommen. Nicht zuletzt auch im Sinne einer möglichst umfassenden Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts stieg die Anzahl der Kindergärten in Deutschland von 1928—39 auf das Doppelte. 1941 erfaßten in Deutschland allein die Dauereinrichtungen (Kindertagesstätten) 18—20 % aller Kinder im Kindergartenalter. Zwar wurde seit etwa 1937 auf die Aus- und Weiterbildung der Kindergärtnerinnen besonderes Gewicht gelegt, trotzdem aber erfolgte die Vermehrung der Kindergärten auf Kosten der Qualität; es fehlten vor allem ausgebildete Kindergärtnerinnen und materielle Mittel. Die Zeit nach dem 2. Weltkrieg war zunächst davon geprägt, den Bereich der öffentlichen Kleinkinderziehung materiell und organisatorisch wieder aufzubauen. Die inhaltliche Definition der Kindergartenarbeit blieb weiterhin durch eine Sozialpädagogik gekennzeichnet, die starke sozial-karitative und idealistisch-therapeutische Tendenzen aufwies. Von 1946 bis etwa 1960 vollzog sich in der Bundesrepublik und Westberlin ein überaus rascher Prozeß der wirtschaftlichen Restauration. Das vielgepriesene „Wirtschaftswunder" der 50er Jahre hatte, neben dem hohen Arbeitseinsatz der Arbeiter, seine Ursachen vor allem in der materiellen Unterstützung durch die USA (Marshallplan), die im Nachkriegsdeutschland einen starken kapitalistischen Brückenkopf wieder aufbauen wollten. Durch die 1961 durchgeführte Schließung der Grenzen durch die DDR wurde aber auch der Zustrom von teilweise hochqualifizierten Arbeitskräften gestoppt, deren Ausbildung die Bundesrepublik praktisch nichts gekostet hatte. Diese kostenlosen Qualifikationsgeschenke versiegten nach 1961 schlagartig. Gleichzeitig wurde erkannt, daß die bisherige wissenschaftlich-technische Überlegenheit der westlichen Industriestaaten gefährdet war. So löste der bekannte „Sputnikschock" z. B. in den USA eine intensive Suche nach Bildungssystemen aus, um der drohenden Qualifikationskrise zu begegnen. Die vorschulischen Headstart-Programme, in der Zwischenzeit wieder weitgehend zu den Akten gelegt, waren eine erste direkte Auswirkung dieses plötzlich akuten Bildungs- und Erziehungsdefizits. Die Bundesrepublik, die in der Zwischenzeit wirtschaftlich und technisch-wissenschaftlich mit den USA teilweise gleichgezogen hatte, geriet ebenfalls in den Sog dieser Entwicklung. Bildungskatastrophen wurden prognostiziert und vor allem dem Bereich der Kleinkinderziehung erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt. 1961 wurde das Gesetz für Jugendwohlfahrt verabschiedet, das u. a. die Zuständigkeit für die Erziehung der Kinder vor der Schule regelte. 17

1968 nahm sich die GEW des Bildungsnotstandes in den Kindertagesstätten für Kleinkinder an. Der 1965 gegründete Bildungsrat gab ein Gutachten über „Begabung und Lernen" in Auftrag, in dem erstmals eine umfassende Stellungnahme einer staatlich legitimierten Kommission zum Stand der Begabungsforschung erfolgte. 1 Nach der wirtschaftlichen Rezession um 1967 und dem Beginn der sozial-liberalen Koalition wurden als wesentliche bildungspolitische Dokumente der „Strukturplan für das Bildungswesen" und der „Bildungsbericht '70" der Bundesregierung veröffentlicht: Ausdrücklich wird auf die gewandelten pädagogischen Leitgedanken für den Kindergarten verwiesen. Aus der „Aufbewahrung", „einem Raum der Behütung" werde „eine Stätte für Reifen und Lernen", in der die Vermittlung von Erfahrungen „planmäßig" gegliedert sei. Die Situation des Kindergartens — bestimmt durch die zwei Aufgaben Entlastung der Mütter und pädagogische Förderung der Kinder — wird insgesamt als unzureichend erkannt. Neben einer „unsystematischen" Erziehung „ohne konkrete Zielvorstellung" werden auch das Platzangebot, die materielle Ausstattung und das Ausbildungsniveau der Erzieher als unzureichend bezeichnet: „Weder die freien Träger noch die Kommunen s i n d . . . gegenwärtig in der Lage, aus ihren Mitteln die Situation der Kindergärten wesentlich zu verbessern". (.Strukturplan für das Bildungswesen, 107) Durch die Einbeziehung des Kindergartens in das Bildungssystem soll hinsichtlich der Lern- und Erziehungsprozesse „Kontinuität" gewährleistet werden. Das wiederum heißt: drastischer Ausbau des Elementarbereiches. Anhand von Eckdaten wurde im Strukturplan eine — allerdings unverbindliche — Grobplanung bis 1980 angedeutet. Der „Bildungsbericht '70" der Bundesregierung war ein weiterer Beitrag für eine gemeinsame Bildungsplanung der Länder und berief sich auf die in der Regierungserklärung ausgesprochene Priorität für Reformen der Bildung: „Chancengleichheit", statt „privilegierende Auslese" und „Differenzierung der Bildungsziele" statt „Nivellierung" sind die Leitsätze der angestrebten Reform. Erstmalig wurde auch der Stellenwert der Reform der Elementarerziehung genannt: „Die Bundesregierung hält den Ausbau der Elementarerziehung für besonders wichtig und vordringlich und sieht darin den entscheidenden Ansatz für den systematischen Abbau von Milieusperren. Damit wird die Elementarerziehung zum ersten und wichtigsten Schritt in der Schulreform". (Bildungsbericht '70, 38) Im Juli 1970 erfolgte die Konstituierung der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (BLK) auf der Grundlage der Grundgesetzänderung (Art. 91 b). Aufgabe der BLK war es, bis Mai 1971 einen Bildungs18

gesamtplan und ein Büdungsbudget zu erarbeiten. Die endgültige Fassung des Bildungsgesamtplanes (BGP) wurde im Juni 1973 verabschiedet: Ausgehend von der Feststellung, daß das Angebot an Kindeigartenplätzen weit hinter der Nachfrage zurückbleibt, wird dem Elementarbereich als zukünftigen Teil des Bildungswesens vor allem die Aufgabe zugewiesen, „kompensatorische Maßnahmen" zum „Ausgleich individueller Benachteiligungen aller Art" zu ergreifen. Folgende Maßnahmen für den Elementarbereich sind u. a. vorgesehen:

— Ausbau der Plätze für 3-u.4jährige (in % der jeweiligen gleichaltrigen Bevölkerung)

1970

1975 1980 1985

27%

52% 70% 70%

Kinder je Erzieher

1970 20,4

1975 1980 1985 18 17 17

Verhältnis Fachkraft zu sonstiger (Hilfs-)Kraft

5,3: 6 6 : 6 8 : 6

— Personal Kind-Erzieher-Relation

12: 6

— Entwicklung von Curricula — Verbesserung der Sachmittelausstattung

Einrichtungen für die Fünfjährigen sollen so ausgebaut werden, daß möglichst alle Kinder dieser Altersgruppe versorgt werden können. Zwar soll ein gleitender Übergang in die Formen schulischen Lernens erreicht werden, dies darf jedoch nicht dazu führen, daß die Lerninhalte und Arbeitsformen der heutigen ersten Klasse der Grundschule vorverlegt werden. Offenbleiben soll zunächst, ob der Besuch der Einrichtungen für Fünfjährige im Planungszeitraum zur Pflicht gemacht werden soll, ebenso, ob dadurch das Ende der Grundschule um ein Jahr vorverlegt wird. Die im März 1973 verabschiedeten Empfehlungen der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates „Zur Einrichtung eines Modellprogrammes für Curriculum-Entwicklung im Elementarbereich" stellten einen Versuch dar, dem Programm für den quantitativen Ausbau ein Programm für die Verbesserung der Lernangebote und der Lernprozesse im Elementarbereich beizufügen. An dieser Stelle soll kurz auf die Rolle der Kirchen im Rahmen öffentlicher Kleinkinderziehung eingegangen werden. Der hohe Stellenwert der Kirchen im Bereich der Kleinkinderziehung ist historisch auf den Einfluß zurückzuführen, den die konfessionellen Träger in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf die Entwicklung der öffentlichen Kleinkinderzie-

19

hung gewannen. Mit der Verabschiedung der Jugendwohlfahrtsgesetze (1922 und 1961) blieb die Vormachtstellung der Kirchen im Kindergartenbereich weiterhin unangetastet. 1973 befanden sich in der BRD und Westberlin 30% der Kinderkrippen, 70% der Kindergärten und 49 % der Kinderhorte unter der Trägerschaft der freien Verbände, deren Kindergartenplätze zu fast 100 % von den beiden Kirchen unterhalten werden. Innerhalb der partei- und bildungspölitischen Stellungnahmen zur öffentlichen Kleinkinderziehung taucht der Aspekt der religiösen Erziehung aber ebensowenig als Problem auf wie im Bewußtsein der betroffenen Elternschaft. Während der religiöse Erziehungsanspruch der katholischen Kirche bei einem großen Teil der katholischen Eltern auf positive Resonanz stößt, empfiehlt die evangelische Kirche eine Einordnung des evangelischen Kindergartens in die staatlich geplanten Strukturveränderungen des Bildungssystems. Die Notwendigkeit einer rationellen Planung wird von den kirchlichen Verbänden prinzipiell anerkannt, vor allem aber die katholische Kirche bringt staatlichen Maßnahmen starkes Mißtrauen entgegen. Insgesamt kann festgestellt werden, daß die Kirchen in zunehmendem Maße mit dem Problem der Säkularisierung konfrontiert werden, d. h., daß sich immer mehr gesellschaftliche Aufgaben aus der Einflußsphäre religiöser Institutionen lösen bzw. eine Neuorientierung des kirchlichen Standpunktes fordern. Neben einer wachsenden Angleichung pädagogischer Zielsetzungen der Kirchen an jene des Staates, der Länder und der Kommunen ist auch ein relativer und absoluter Rückgang der Kindergartenplätze der Kirchen (und auch der anderen freien Verbände) festzustellen, was einer zunehmenden Vergesellschaftung der Kleinkinderziehung entspricht. Vor allem in städtischen Ballungsräumen ist der Einfluß der Kirchen auf die öffentliche Kleinkinderziehung verhältnismäßig gering bzw. sinkend. Es kann nur schwer eingeschätzt werden, inwieweit zukünftige Konzepte der Kirche zur religiösen Erziehung den staatlichen Reformversuchen entgegenstehen werden. Offensichtlich ist jedoch die starke Abhängigkeit der Kirchen von der finanziellen Unterstützung aus öffentlichen Haushalten. Auf der anderen Seite nehmen die Kirchen, vermittelt über die politischen Parteien zweifellos auch Einfluß auf die staatliche Bildungspolitik. Die letzte Veröffentlichung des Deutschen Bildungsrates (1975), in dem in Form einer „breit angelegten Zwischenbilanz" ein Bericht vorgelegt wird, wobei „kritisch und selbstkritisch die Reformmaßnahmen der letzten Jahre" dargestellt werden, gibt einen Überblick über den derzeitigen Stand der quantitativen Veränderungen im Kindetgarten20

bereich (Bericht '75 Entwicklungen im Bildungswesen). Neben der Bedeutung „frühen Lernens" werden die „veränderte Famüienstruktur" und die steigende Zahl erwerbstätiger Mütter als Motive für die Forderung nach einem verstärkten Ausbau des Elementarbereiches angeführt.

Kindergarteneinrichtungen und Trägerschaft - 1970, 1972, 1973, 1 9 7 4 Jahr

Insgesamt Anzahl

Trägerschaft öffentl. Hand freie Jugendhilfe

1970 1972 1973* 1974*

17 493 19 914 21 600 23 000

22 %(= 3 848) 24 % (=4 779) 25 % (=5 400) 26 % (=5 980)

74 % (=12 945) 72 % (=14 338) 71 %(= 15 336) 70 % (=16 100)

* Geschätzt Quelle: Strukturdaten, Ausgabe 1974, hrsg. vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, Bonn 1974.

Versorgung mit Kindergartenplätzen in der Bundesrepublik Deutschland - 1960, 1965, 1970, 1972, 1974 Kindergartenplätze Jahr

in 1 000

1960 1965 1970 1972 1974**

817,2 952,9 1 160,7 1 319,9 1 510,0

Drei- bis unter Sechsjährige in 1 000 2 495 2 915 3 013 2 902 2 423

Relativer Anteil der Kindergartenbesucher in %* 33 33 39 45 62

* Berechnung der Geschäftsstelle des Deutschen Bildungsrates • • Geschätzt Quelle: Grunddaten, Ausgabe 1974, hrsg. vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, Bonn 1974.

Die Fünfjährigen dürften nach Schätzungen die prozentual größte Gruppe der Kindergartenkinder stellen. Aus der folgenden Tabelle geht die regional unterschiedliche Vermehrung der Kindergartenplätze hervor: Kindergartenplätze (einschließlich Sonderkindergärten) in den einzelnen Bundesländern - 1964 und 1973: 21

1964

1973

Zuwachs in %*

Baden-Württemberg Bayern Berlin Bremen Hamburg Hessen Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Schleswig-Holstein

243 714 160 735 15 115 5 236 14 490 77 763 46 781 243 248 75 460 25 588 12 043

331 928 212 497 23 965 11 134 29 836 136 508 107 185 383 086 91 665 31 484 28 793

36,2 32,2 58,6 112,6 105,9 75,5 129,1 57,5 21,5 23,0 139,1

Insgesamt

920 178

1 388 081

50,8

Bundesland

Relativer Anteil der Kindergartenbesucher in % 1973 80 46 38 38 51 60 32 52 58 71 24 —

* Bezogen auf den Stand von 1964 Quellen: Statistisches Bundesamt, öffentliche Sozialleistungen, Öffentliche Jugendhilfe, Reihe 2, 1964 und 1973, Stuttgart 1966 und 1975. Kindergärten 1960 bis 1973, Zusammenstellung des Sekretariats der Kultusministerkonferenz, Februar 1975.

Der Deutsche Bildungsrat weist darauf hin, daß sowohl in ländlichen als auch großstädtischen Regionen noch ein erheblicher Nachholbedarf besteht, der aufgrund mangelnder Initiative der freien Träger stärkere öffentliche Initiativen erforderlich macht. Durch den seit 1968 einsetzenden Geburtenrückgang, der in einzelnen Gebieten bis zu 40 % beträgt, steht laut Bericht '75 des deutschen Bildungsrats die Erreichung des Zieles des Bildungsgesamtplanes — 70 %ige Versorgung der Drei- bis Vierjährigen im Elementarbereich 1985 — schon jetzt „außer Frage". Anläßlich der im Februar 1976 veröffentlichten bildungspolitischen Zwischenbilanz erklärte der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft Helmut Rohde: „Die Sorgen und Probleme im Bildungswesen haben heute ihre wesendiche Ursache darin, daß wir eine beachtenswerte Expansion des Bildungswesens ohne zureichende inhaldiche Reformen gehabt haben". Das Bildungswesen sei in den vergangenen Jahren vornehmlich im Rahmen der herkömmlichen Strukturen ausgebaut worden, „Organisation und Inhalt" seien nicht im notwendigen Umfang verändert worden: „Nicht zuviel, sondern zu wenig Reform liegt hinter uns. Der Expansion der Zahlen muß der Ausbau nach innen folgen. Innere Reform heißt Abbau von Ungleichgewichten zugunsten von mehr sozialer Gerechtigkeit". (Informationen Bildung Wissenschaft 2/1976) Dieses qualitative Manko, das das gesamte Bildungswesen betrifft, wird von Regierungsseite auch für den Bereich der Kleinkinderziehung fest22

gestellt: „Der Ausbau der Kindergärten in der Bundesrepublik Deutschland ist ein eindrucksvoller Beweis für erfolgreiche Bildungspolitik. Dennoch: Ausbau allein reicht nicht aus, Chancengleichheit herzustellen. Ebenso wichtig ist die Standortfrage und die Entwicklung neuer pädagogischer Angebote (hervorgehoben, K. B.)" (informationen bildung Wissenschaft 10/1975) Mit den curricularen Entwürfen aus den von der Bundesregierung (mit 26,5 MilL DM) unterstützten Modellversuchen im Elementarbereich, die ab 1975 länderübergreifend erprobt werden, sind die wichtigsten qualitativen Elemente der Bildungspolitik im Elementarbereich angeführt. Die Tatsache, daß damit das erste bundesweite Modellprogramm erfolgreich abgeschlossen wurde, weist auf den Stellenwert von Modellversuchen hin, die in der Tat Initialfunktion und vorwärtstreibenden Charakter für Strukturveränderungen haben können. Das unter der politisch-administrativen Verantwortung der Bund-Länder-Kommission durchgeführte Erprobungsprogramm im Elementarbereich wird von einer Projektgruppe des DJI, München (im Auftrag der BLK) unterstützt. Die dezentrale Struktur des Programms wird dagegen darin deutlich, daß die Länder hinsichtlich der Beteiligung, der inhaltlichen Ausgestaltung und Durchführung des Programms (einschließlich der wissenschaftlichen Begleitung) weitgehend autonom sind. Nach einer Phase des quantitativen Ausbaus und der intensiven curricularen Modellentwicklung im Bereich der öffentlichen Kleinkinderziehung ist die Tendenz erkennbar, nunmehr „eine Phase der Konsolidierung. . . und Überprüfung" einzuschieben. Diese beginnende Phase der Evaluation bezieht sich zum einen auf den qualitativen Zusammenhang der einzelnen curricularen Einheiten selbst, zum anderen vor allem auf die Rahmenbedingungen ihres Einsatzes. Darüber hinaus hat aber die Evaluation eine bildungspolitisch bestimmte entscheidungsorientierte und legitimatorische Funktion. Angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen Krisensituation und den damit verbundenen gebremsten Reformbemühungen im Bildungsbereich kommt der pädagogisch begründeten Evaluation im Sinne einer Effizienzüberprüfung besondere Bedeutung zu. Dies gilt in gleicher Weise für den gesamten Bildungsbereich (vgl. betrifft: erziehung 1/1976). Neben der qualitativen (= pädagogischen) Begründung dieser Überprüfungsphase rückt daher die notwendige „Ökonomisierung" der Bildung in den Vordergrund, d. h. konkret für den Bereich der Kleinkinderziehung die rechtzeitige und ausreichende Vorbereitung auf die Schule. Hinzuweisen ist hier auf die unterschiedliche Entwicklung des Bereichs der öffentlichen Kleinkinderziehung nach 1945 in der DDR. Unter völlig 23

anderen Voraussetzungen und auch Zielsetzungen wurden zum einen von Anfang an im Zuge des Aufbaus des Bildungssystems nicht nur der Kindergarten, sondern auch die Krippen in den Bildungs- und Erziehungsbereich integriert, um eine optimale Persönlichkeitsentwicklung der Kinder zu gewährleisten. Zum anderen ist die Gleichberechtigung von Frau und Mann erklärtes Strukturmerkmal der gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR, vor allem, was die Möglichkeit und Notwendigkeit der Berufstätigkeit der Frau betrifft. Hierzu werden wiederum Betreuungseinrichtungen für möglichst alle Kinder zur Verfügung gestellt. 1973 gab es in der DDR 672 205 Kindergarten- und 224 080 Krippenplätze. 1974 wurden bereits 80 Prozent der Kinder im Vorschulalter in Kindergärten betreut und erzogen. Für Kinder bis zu drei Jahren betrug die Versorgungsquote im gleichen Jahr 37 Prozent. Den hohen Stellenwert, der der öffentlichen Kleinkinderziehung zugewiesen wird, spiegelt auch die erziehungswissenschaftliche Auseinandersetzung wider. Untersuchungen und Erkenntnisse von Fachleuten in Anknüpfung an die sowjetische Psychologie haben hohen internationalen Rang und gehen in Form von Rahmenplänen, Curricula und praktischen Hinweisen kontinuierlich in die Erziehungspraxis ein. Zu nennen sind hier besonders die planvolle und systematische Förderung der Kleinstkinder in den Krippen durch hochqualifizierte Erzieher in Zusammenarbeit mit anderen Fachdisziplinen.

2. Ursachen der Erweiterung der öffentlichen Kleinkinderziehung Es ist offensichtlich, daß die beschriebenen bildungspolitischen Maßnahmen, insbesondere die zahlenmäßige Erweiterung des Platzangebotes in öffentlichen Einrichtungen der Kleinkinderziehung, in einem engen Zusammenhang mit der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklung in der BRD und Westberlin stehen. Ohne Klärung der wesentlichen Ursachen dieses quantitativen Ausbaus der öffentlichen Kleinkinderziehung ist es nicht möglich, die Diskrepanz zur qualitativen, d. h. inhaltlich-pädagogischen Stagnation zu erklären« Deshalb soll im weiteren versucht werden, die Ursachen der bisher vorwiegend quantitativen Verbesserung der öffentlichen Kleinkinderziehung aufzufinden. Zwei Schwerpunkte kristallisieren sich hier heraus: Zum einen die Situation der Frau in Familie und Wirtschaft (Beruf) und die damit verbundene Gebär- und Erziehungsfunktion. Zum anderen außerfamiliale Faktoren der allgemeinen Qualifikationsentwicklung sowie die Vorbereitung der Kinder auf die Schule. Zu unterscheiden ist in beiden Fällen 24

zwischen direkt ökonomisch bedingten Auswirkungen und Gesichtspunkten, die eher dem Bereich der Ideologie — der herrschenden Normen und Werte (hier im besonderen die Aufgabe der Frau und der Stellenwert der Familie) — zuzuordnen sind. a)

Frauenerwerbstätigkeit

Die Stellung der Frau in der Gesellschaft ist im wesentlichen bestimmt durch jene Aufgaben, die ihr aufgrund der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zugewiesen sind. Dabei spielen Leitbilder, Rollenerwartungen und -Zuweisungen eine wichtige Rolle. Für die Frage der Erwerbstätigkeit der Frau sind zunächst zwei Bereiche zu untersuchen: die Struktur der bürgerlichen Familie und die Dominanz des traditionellen Leitbildes der Frau. Menschik führt drei Punkte an, die den angestrebten Möglichkeiten der Erwerbstätigkeit der Frau (wirtschaftliche und soziale Unabhängigkeit und Sicherheit, soziale Kontaktaufnahme außerhalb des geschlossenen privaten Bereichs, Ausübung einer „sinnvollen Tätigkeit" usw.) entgegenstehen: 1. Die Schwierigkeit, Mutterschaft und Beruf in Einklang zu bringen, 2. Die „Altväterlichkeit" der sozialen Leitbilder, 3. Die „funktionale" Bindung vorgegebener Berufsmuster (Menschik 1971, 85). Die offensichtliche Spannung zwischen den mehrfachen, sich teilweise überlappenden, aber auch ausschließenden Funktionen der Frau in Familie und Beruf — als Hausfrau, Mutter und „Erwerbstätige" — beruht demnach auf einem Widersprach zwischen Ideologie und Basis — zwischen gesellschaftlichen „Leitbildern" und ökonomischen Notwendigkeiten. Es genügt also nicht, nur nach den konkret stattfindenden, materialisierten Abläufen zu fragen, wiewohl diese Grundlage auch ideologische Prozesse bilden; vielmehr ist es notwendig, auch die „in den Köpfen" verankerten Normen und Werte in die Betrachtung einzubeziehen. Exemplarischen Charakter haben hier politische Grundsatzerklärungen. Der 1966 veröffentlichte Bericht der Bundesregierung über die Situation der Frauen in Beruf \ Familie und Gesellschaft enthält bereits in seinem Titel die Funktionsaufsplitterung der Frau und ist daher typisch für die allgemeine politische Einschätzung dieses Sachverhaltes: Die soziale Stellung der „Hausfrau und Mutter" sei bestimmt durch die Mutter als „zentrale Figur, von der die Harmonie des Familienlebens abhängt", gewissermaßen einem „Urbild". Zwar sei „das Bild der Frau in einem bestimmten zentralen, insbesondere mütterlichen Bereich... ein für allemal festgelegt, im übrigen aber 25

Wandlungen zugänglich". Vorrang hätten aber in jedem Fall Familie und Haushalt. Das Selbstverständnis der „Frau als Mutter" sei „von den Veränderungen der Umwelt in den vergangenen hundert Jahren in seinem Kern unberührt geblieben . . . " Die Frau sei nach ihrer „körperlichen und geistig-seelischen Beschaffenheit auf die Mutterschaft hin angelegt..." Da aber „eine große Kinderschar nicht wie früher Kapital bedeutet und daher Selbstbewußtsein vermittelt", empfinde manche Frau den Verlust, den sie im Dienste der Mutterschaft leiste, „bewußter" als früher. Dieser ausdrücklichen „Familienbestimmtheit der weiblichen Rolle" stehe die Berufstätigkeit der Frau entgegen: „Der rasche Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft nach dem Kriege und die hohen Wachstumsraten des Bruttosozialproduktes wären ohne die absolut und relativ steigende Beschäftigung der Frauen in diesem Umfang nicht möglich gewesen" — das vor allem aufgrund von Leistungen, die den „spezifischen Eigenschaften und Fähigkeiten" der Frau gedankt seien. Als Modve für die Berufstätigkeit werden u. a. genannt: „Aufbau" (Haushalt, Wohnung oder Hausbau), „Befriedigung gestiegener Lebensansprüche", „Interesse an einer Tätigkeit". Erfolge die Erwerbstätigkeit aus wirtschaftlichen Gründen, so brächten diese Frauen „in aller Regel Einordnungsbereitschaft und Arbeitswillen m i t . . . Auch Frauen, die durch ihre Mitarbeit zur Steigerung des Lebensunterhaltes der Familie beitragen wollen, passen sich meist den gegebenen Möglichkeiten an". Insgesamt wird für die Zukunft ein eher zunehmender Bedarf an weiblichen Arbeitskräften angenommen — dies vor allem im Bereich der Dienstleistungen. Der Kritik, die Brandt u. a. an diesem Bericht leisten, ist zuzustimmen: „Die Lage der erwerbstätigen Frau wird ganz unter dem Primat der geschilderten Rollenzuweisung gedeutet und die freiwillige oder erzwungene Berufstätigkeit von 10 Millionen Frauen letztlich als bedauerliche Abweichung von der wünschenswerten Regel gesehen". (Brandt u. a. 1973, 55) Als Hauptfeld der Tätigkeit wird ihr, obwohl die wirtschaftlichen Tatsachen dem in vielen Punkten widersprechen, das der Familie zugeordnet. Damit wird die ideologische Funktion der Frauenenquite klar. Um der gesellschaftlichen Bedeutung der Frau im Beruf gerecht zu werden, bedarf es aber eines Blickes auf konkrete ökonomische Fakten. In den 50er Jahren stieg die Zahl der weiblichen Erwerbspersonen u m 1,45 Millionen (von 1950 8,486 auf 1961 9,932) und ging bis 1970 um 0,34 Mill. (auf 9,591) zurück. (1973 betrug die Zahl 9,763). Etwa die Hälfte aller erwerbsfähigen Frauen ist erwerbstätig. Die Anteile der weiblichen Angestellten verdoppelten sich von 20,1% (1950) auf 4 1 , 7 % (1971), ebenso die der Beamtinnen (1950 = 1,2 %; 1970 = 2,4%); die Anteile der Arbeiterinnen gingen von 4 0 , 4 % (1950) auf 35,7 % (1971) zurück. Das Wachstum des Angestelltensektors hat sich vor allem als Wachstum der entsprechenden Frauenbeschäftigung vollzogen. Die Zahl jener Frauen, die einer Teilzeitbeschäftigung nachgingen, wuchs von 1 9 6 0 - 6 9 um 13,2%. Der Anteil der weiblichen Teilzeitbeschäftigten der verschiedensten Bereiche lag 1969 bei ca. 48 % — jede 26

zweite lohnabhängige Frau war 1969 teilzeitbeschäftigt (1960 war es noch gut jede dritte Frau = 37,3 %): „Die Verbreitung der Teilzeitbeschäftigung selbst weist auf die fortlaufende Doppelbelastung der erwerbstätigen Frauen hin". (Statistisches Bundesamt 1975) Entscheidend für die Aufnahme einer Teilzeitarbeit ist in erster Linie die Arbeitsziifregelung, weniger das Lohnniveau. Denn es fehlen die gesellschaftlichen Einrichtungen, die den Frauen, vor allem den Müttern, volle Berufstätigkeit ermöglichen würden. In ähnlichem Maße sind die Heimarbeiterinnen den Konjunkturschwankungen ausgesetzt. Heimarbeit wird fast ausschließlich von Frauen betrieben. Der in amtlichen Statistiken geführte Anteil der Heimarbeiterinnen an allen weiblich Abhängigen von knapp 3 % (= rund 200.000 Frauen) entspricht mit großer Wahrscheinlichkeit nicht der Wirklichkeit; aufgrund der hohen Dunkelziffern ist vor allem in Perioden zwischen Wirtschaftskrisen mit einer mindest doppelt so hohen Zahl von Heimarbeiterinnen zu rechnen. Der Großteil dieser Frauen geht der Heimarbeit vor allem auch deswegen nach, weil allein so der existenznotwendige Beitrag zum Lohn des Mannes mit der ebenso notwendigen Beaufsichtigung der Kinder gekoppelt werden kann; dies allerdings um den Preis totaler Überlastung. Auch hier hat das Fehlen gesellschaftlicher Einrichtungen zur Erziehung (bzw. Aufbewahrung) der Kinder Konsequenzen. Unabhängig von der geringen Qualifikation ist eine absolute und relative Unterbezahlung der weiblichen Arbeitskräfte festzustellen. Nach Leistungsgruppen liegen die Frauendurchschnittslöhne zwischen 18 und 3 6 % unter den Männerlöhnen. Gegenüber 1951 hat sich die relative Lohnsituation der Frauen nur geringfügig gebessert. Seit 1950 ist vor allem die Zahl der verheirateten erwerbstätigen Frauen gestiegen (von 2,762 Mill. 1950 auf 5,402 Mill. 1970, das entspricht einem Zuwachs von 95 %); 1970 war mehr als jede zweite erwerbstätige Frau verheiratet. Etwa jede dritte verheiratete Frau ist heute erwerbstätig. Dies macht deutlich, daß das eigentliche Reservepotential an weiblichen Lohnarbeiterinnen und auch in starkem Maße an Lohnabhängigen überhaupt die verheirateten Frauen darstellen (vgl. IMSF 1974). Die Schere zwischen Familienideologie und ökonomisch notwendiger Berufstätigkeit der Frau klafft weit auf. Sie zerschneidet das Leben der erwerbstätigen Frau in zwei Bereiche, die aber mit ihren negativen Auswirkungen stark verflochten sind: „Die Rolle der Frau als „Herz der Familie" beeinträchtigt ihre Stellung im Berufsleben. Auch wenn sie die meiste Zeit ihres Lebens erwerbstätig ist, spielt sie ihre Hauptrolle in der Familie, sie ist erwerbstätig auf Widerruf. Sie ist die Mitverdienerin, die Gelegenheitsarbeiterin, die Heimarbeiterin". Und: „Sie (die Frauen, K. B.) sind die Arbeitskräfte-Reservearmee, sie arbeiten für weniger Lohn, sie tra27

gen ihre Konflikte nicht im Arbeitsbereich aust sondern in der Familie,... sie übernehmen in den Famüien Tätigkeiten, die gesellschaftlich wichtig sind (Erziehung der Kinder), für die die Gesellschaft aber kein Geld zur Verfügung zu stellen braucht". (ASF 1974, 22 u. 24) Als Hauptmotive für den (Wieder-)Eintritt in das Erwerbsleben gaben 94 % der verheirateten Lohnarbeiterinnen das unzureichende Einkommen der Ehemänner an; zu ähnlichen Ergebnissen kam eine Untersuchung der Gewerkschaft IG-Metall 1970 (vgl. Der Spiegel 5/1971). Berufsmotivation berufstätiger Mütter (Mehrfachnennungen); (Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit 1975, 159; vgl. auch Pross 1973): Einkommen des Mannes in DM unter 1200 1200-1600 1600-2000 2000 und mehr

finanzielle Gründe in % 87,4 85,1 79,0 43,5

Attraktivität des Berufs und der mit ihm verbundenen sozialen Möglichkeiten in % 47,0 65,2 71,5 75,7

In Familien mit Kindern reicht der Verdienst eines Elternteils für die Reproduktion in der Regel nicht aus. Ob der Lebensstandard der Famüie aufrechterhalten werden kann und, wie in vielen Fällen, ob das Absinken in die Armut vermieden werden kann, hängt wesentlich nicht von einem, sondern von zwei Erwerbstätigen in der Familie ab. Diese Entwicklung ist nicht rückgängig zu machen. Die Zugehörigkeit der Frau zur Masse der Lohnabhängigen hat den vorübergehenden Charakter verloren. Zur Müttererwerbstätigkeit: Die Zahl der erwerbstätigen (verheirateten) Mütter erhöhte sich zwischen 1957 und 1969 von 2,1 auf 2,6 Mülionen — das sind 13,5 %. 1969 stellten die Mütter 3 0 % aller erwerbstätigen Frauen (1965: 27 %), das sind 2 879 000. D. h.: Fast jede dritte erwerbstätige Frau hat Kinder zu versorgen. Bei den lohnabhängigen Frauen ist die Situation folgende: Fast die Hälfte der weiblichen Arbeitnehmer (44 %) hat keine — oder noch keine — Kinder. Jede sechste Arbeitnehmerin (16 %) muß für Kleinkinder (bis zu 6 Jahren) sorgen. Fast jede fünfte Frau in abhängiger Tätigkeit (18 %) hat schulpflichtige Kinder (6 bis 14 Jahre) (IMSF 1974). Wichtig für die Frage der Belastung erwerbstätiger Mütter durch Hausarbeit und Kindererziehung ist auch die Zahl der von ihnen zu versorgenden Kinder. Im Durchschnitt hatte 1969 jede verheiratete erwerbstätige Mutter 1,8 Kinder zu versorgen (1957: 1,6 28

Kinder). Die Teilzeitbeschäftigung verheirateter Mütter mit Kindern unter 18 Jahren stieg von 1964 bis 1971 von 617 000 auf 1 104 000, also nahezu u m das Doppelte (Brandt u. a. 1973). Sowohl in der Frauenquete 1966 (Bericht der Bundesregierung über die Situation der Frau in Beruf\ Familie und Gesellschaft) als auch im Bericht der Bundesregierung 1966 und 1972 werden Einrichtungen zur Betreuung von Kindern gefordert, um „den Arbeitnehmerinnen bei der Erfüllung ihrer Familien- und Berufspflichten zu helfen" bzw. es mehr Frauen zu ermöglichen, das Berufsangebot wahrnehmen zu können; d. h. „mehr und günstiger gelegene Kinderhorte und -gärten . . . " Das Dilemma wird offen ausgesprochen: „Der Staat subventioniert also letztlich auf diesem Wege die mütterliche Erwerbstätigkeit, die er andererseits einzudämmen sich bemüht." (Der Bundesminister für Familie und Jugend 1960, 464) Von Seiten der Mütter wird die bessere Betreuung ihrer Kinder als wichtigster Vorschlag zur Verbesserung der Lage der erwerbstätigen Mütter genannt. So wurden in einer 1973 durchgeführten Repräsentativerhebung Mütter nach den größten Problemen für Familien befragt (Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, 1972, 172). Das Ergebnis: in % (Mehrfachnennungen) alle Befragten Wohnungsprobleme/Mieten fehlende Einrichtungen für Kinder Geldprobleme (Preise) Probleme der Kindererziehung Probleme in der schulischen bzw. berufl. Erziehung der Kinder keine Zeit füreinander haben Ungewißheit über gesellschaftliche und politische Zukunft

64,4 61,6 52,9 42,6 38,2 37,4 16,1

Bisher wurde Müttererwerbstätigkeit als Problem der familialen Reproduktion diskutiert. Auf Seiten der Wirtschaft besteht darüber hinaus ein eindeutiges Interesse, Frauen (bzw. Mütter) in das Erwerbsleben (wieder) einzugliedern. 1. Frauen sind billige Arbeitskräfte. Obwohl die Frauen mehr als ein Drittel aller lohnabhängigen Erwerbstätigen stellen, empfangen sie nur knapp ein Viertel der gesamten Bruttolohn- und Gehaltssumme. Frauendurchschnittslöhne nach Leistungsgruppen — also für gleiche Arbeit — liegen zwischen 36 % (Facharbeiterinnen) und 18 % (Gruppen weiblicher technischer und kaufmännischer Angestellten) unter den Männerlöhnen. Es erfolgt somit eine klare Unterbezahlung der weiblichen Arbeitskräfte. 29

2. Frauen sind variabel einsetzbare Arbeitskräfte. Frauen können ebenso rasch in das Erwerbsleben eingegliedert wie auch ausgegliedert werden: „Die nicht berufstätigen Frauen bilden ein umfangreiches Arbeitskräftereservoir und stabilisieren durch ein zyklisches Verhalten während der Konjunkturphasen den Arbeitsmarkt". (Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen 1973, 4) So erfüllen sie die Funktion einer flexiblen industriellen Reservearmee und sind damit wesentlicher Bestandteil des sozio-ökonomischen Systems. Lenhardt(1975) greift angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Krisensituation den Zusammenhang zwischen beruflicher Qualifikation und Arbeitslosigkeit auf und kommt für die Berufstätigkeit der Frau zu folgenden Ergebnissen: Die berufliche Ausbildung ist eine relativ unbedeutende Determinante des Beschäftigungsrisikos. Bei gleicher Qualifikation sind Frauen häufiger arbeitslos als Männer. Das offensichtlich größere Beschäftigungsrisiko von Frauen gegenüber Männern läßt den Schluß zu, daß die Ursache dafür in ihrer besonderen gesellschaftlichen Lage und den sozialstrukturellen Gegebenheiten des Arbeitsmarktes zu suchen ist. Der Verlust des Arbeitsplatzes2 wird aber von Frauen nicht so sehr als Erschütterung ihrer biographischen Kontinuität erfahren wie von Männern: „Wenn ihre Arbeitskraft trotz niedrigerer Löhne nicht mehr zu verwerten ist, gelten sie ihrer Selbst- und Fremdeinschätzung zufolge weniger als Arbeitslose, sondern können als Ehefrauen, Hausfrauen oder Mütter definiert werden." (Lenhardt 1975, 382) 3. Frauen sind besonders angepaßte Arbeitskräfte. Dies gilt in besonderem Maße für verheiratete Frauen und Mütter. Schon Bebel hat auf diesen Umstand hingewiesen: „Als Arbeiterin ist die verheiratete Frau viel aufmerksamer und gelehriger* als die unverheiratete, die Rücksicht auf ihre Kinder nötigt sie zur äußersten Anstrengung ihrer Kräfte . .., und so läßt sie sich manches bieten, was sich die unverheiratete Frau nicht bieten läßt und erst recht nicht der Arbeiter. Im allgemeinen wagt die Arbeiterin noch selten, sich mit ihren Arbeitsgenossen zur Erlangung besserer Arbeitsbedingungen zu verbinden. Auch das erhöht in den Augen des Unternehmers ihren Wert, oft bildet sie sogar in seinen Händen einen guten Trumpf gegen widerspenstige männliche Arbeiter." (Bebel 1974 [1909], 244) Die offensichtlichen Vorteile für die Unternehmer sind, zugespitzt formuliert, folgende: „Sie (die Frauen, K. B.) arbeiten, ohne aufzumucken. Sie stehen am Fließband, hinterm Ladentisch, im Schalterraum. Sie sind schnell, geschickt und zuverlässig. Aber sie sind ebenso passiv, ängstlich und still." (Stern 9/197$) Diese Verhaltensmerkmale sind Ergebnisse einer Sozialisation und Lebenspraxis, die die Soige u m Familie und Haushalt an die Spitze der Aufgaben der Frau stellt. Es ist aber nicht nur eine psychisch-bedingte Unterwürfigkeit, Angepaßtheit, Duldsamkeit vorhanden. Ausgelaugt durch Mehrfachbelastung in Beruf, Haushaltsführung und Kinderversorgung sind Frauen derart beansprucht, daß ihnen kaum noch Energie zur Verfügung steht, gegen ihre Unterdrückung im außerhäuslichen Bereich zu rebellieren. Je größer die außerhäusliche Belastung, desto stärker identifizieren sich die Frauen mit der Primärrolle „Hausfrau" — damit wird die Erwerbstätigkeit als nur zweitrangig betrachtet, was sich wiederu m in Passivität und Duldsamkeit ausdrückt. Zusammenfassend ist also festzuhalten: Die Erwerbstätigkeit verheirateter Frauen und vor allem der Mütter ist eine existentielle Notwendigkeit für die durchschnittliche Arbeitnehmerfamilie. Die Wirtschaft ist aus einer Reihe von Gründen eben an dieser Erwerbstätigkeit interessiert; das 30

Problem der Kinderversorgung bedeutet jedoch für die (Wiedereingliederung der Frau in das Erwerbsleben ein großes Hemmnis. Festzuhalten ist jedoch auch, daß die Berufstätigkeit der Frau ein wesentlicher Schritt im Rahmen einer historisch notwendigen Emanzipationsleistung der Frau i s t Die angeführten Daten und die Diskussion über die Erwerbstätigkeit von Müttern (Frauen) lassen in der Tat den Schluß zu, daß der Zusammenhang zwischen Müttererwerbstätigkeit und vermehrter öffentlicher Kleinkinderziehung ein ursächlicher ist. Müttererwerbstätigkeit (bzw. Frauenerwerbstätigkeit) rückt somit als /fawpfursache der Erweiterung der gesellschaftlichen Kleinkinderziehung in den Vordergrund. Somit können folgende Aussagen hinsichtlich des Zusammenhanges zwischen der Frauenerwerbstätigkeit und der Erweiterung der öffentlichen Kleinkinderziehung formuliert werden: — Hinter der stagnierenden weiblichen Erwerbsquote verbirgt sich eine absolute und relative Zunahme der Erwerbstätigkeit von Müttern. — Diese Zunahme ist in erster Linie auf die notwendig erweiterte Reproduktion der Familie zurückzuführen, deren Kosten allein durch den Mann nicht mehr aufgebracht werden können. Dies betrifft vor allem Haushalte mit Kindern, für deren Aufzucht ebenfalls ständig höhere Beträge aufgewandt werden müssen. Diese Entwicklung auf der Reproduktionsseite wird verschärft durch ein relatives Stagnieren der Reallohnentwicklung. Die Erwerbstätigkeit der Frau, insbesondere der Mutter, wird somit zu einem festen Bestandteil der Reproduktionsstruktur. — Auf der anderen Seite besteht ein Interesse der Wirtschaft an weiblichen Arbeitskräften, sowohl aufgrund einer gesellschaftlich bedingten größeren Anpassungsbereitschaft, als auch dank der Tatsache, daß Frauen durchschnittlich niedriger bezahlt werden als Männer (dies auch für gleiche Tätigkeiten). — Die erwerbstätige Frau verkauft somit die Arbeitskraft unter ihren Kosten und kann daraus nicht ihre eigene bzw. die Reproduktion der Familie bestreiten (das güt insbesondere für verheiratete Frauen, aber auch ein großer Teil alleinstehender Frauen mit Kindern — sogenannte unvollständige Familien — sind auf öffentliche Unterstützung angewiesen). — Diese Situation zeigt sich auch in dem politisch vertretenen Bild vom jederzeit widerrufbaren „Beitrag" der Frau zum Haushaltseinkommen. Damit wird die Illussion genährt, es stünde in der Beliebigkeit der Frau, einer Berufstätigkeit nachzugehen oder auch nicht, ökonomische Notwendigkeit wird so durch „psychologische" Motivation, durch eine reine Veränderung der Bewußtseinslage von Frau und Gesellschaft kaschiert. — Die durch reproduktionelle und produktionelle Anforderungen veranlaßte Zunahme der Erwerbstätigkeit von Müttern bedarf aber einiger Voraussetzungen. Als wichtigster Hemmschuh für die Aufnahme einer Berufstätigkeit erweist sich das Problem der Kinderversorgung. — Die daraus abgeleitete Notwendigkeit der Vergrößerung des Platzangebotes im Bereich der Kleinkinderziehung stellt sich vor allem als quantitatives Problem. — Die Kosten aus dem Fonds des gesellschaftlichen Mehrwerts staadich zu verteilender Mittel für den quantitativen Ausbau der Kleinkinderziehung werden durch den Beitrag, den die Frauen in der Arbeitssphäre zur wirtschaftlichen Entwicklung leisten, mehr als wettgemacht. Die quantitative Erweiterung der öffentlichen Kleinkinderziehung hat demnach ihre Hauptursache in der zunehmend notwendigen Müttererwerbstätigkeit. 31

Die wachsende Erwerbstätigkeit der Mütter und verheirateten Frauen führt aber zu einer weiteren Frage: Wie läßt sich grundsätzlich die gesellschaftliche Aufgabe der Frau als Mutter mit ihrer Berufstätigkeit vereinbaren? Oder: Wenn die Berufstätigkeit der Frau nicht nur von der notwendigen und ausreichenden Versorgung ihrer Kinder abhängt, sondern ein Wandel der Frau in der Gesellschaft insgesamt — mag er ideologisch und/oder ökonomisch bestimmt sein — stattfindet — was veranlaßt die Frau dann, als Mutter insgesamt ungünstigere Reproduktions- und Produktionsbedingungen einzugehen? b)

Geburtenanreiz

In der Tat gehen die Frauen dieses Risiko in zunehmendem Maße nicht mehr ein: So ist die Zahl der lebendgeborenen Kinder im Bundesgebiet seit 1964 (1 065 437) um 40,3 % gesunken, (1973 - vorläufiges Ergebnis 635 634). 1974 wurde in der BRD das größte Geburtendefizit (— 101 814) in Friedenszeiten verzeichnet. Die Geburtenrate (die Zahl der Lebendgeborenen je 1000 Einwohner) der BRD ist mit 10,0 die tiefste aller Länder. (Frankreich = 16,4; Italien = 16,0; Schweden = 13,5) (vgl. Heinsohn/Knieper 1975, Statistisches Bundesamt und Der Spiegel 13/1975). Heinsohn/Knieper versuchen diese Entwicklung ökonomisch abzuleiten: Der Lohnarbeiter sei auf Nachwuchs nicht angewiesen, da er über kein vererbbares Eigentum verfüge. Kinder bedeuteten für ihn zusätzliche Arbeit, Erschwerung seiner Reproduktionsbedingungen; sie seien aber nicht nur „unnütze Fresser", vielmehr seien die aufgezogenen Kinder auch zukünftige Konkurrenten. Vor allem aber würden durch die Aufzucht der Kinder die Frauen in diesem Konkurrenzkampf um die maximale Nutzung von Einkommensquellen erheblich benachteiligt. Kinderkrippe und Kindergarten seien in diesem Zusammenhang „Risikosozialisierungsmaßnahmen". Sie verminderten das Risiko des Lohnausfalls der Mutter durch die Kinderpflegezeit. Der Schluß daraus: „Der obligatorische staatliche Kindergarten wird also nicht geschaffen, um Mütter in die Produktion zu holen, sondern um Frauen, die zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes.. . ohnehin erwerbstätig werden müssen und zudem imstande sind, Gratiserziehungsarbeit für die Gesellschaft durch Schwangerschaftsverhütung bzw. -Unterbrechung zu vermeiden, zur Mutterschaft anzureizen". (Heinsohn/Knieper 1975, 216) Heinsohn/Knieper setzen aber den zweiten Schritt vor den ersten, wenn sie die zunehmende Erwerbstätigkeit der Frau als etwas Selbstverständliches darstellen und zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen eben jene „ideologischen" Prozesse nehmen, die sich dann im Kopf der bereits arbeitenden Frauen abspielen. Denn noch liegt die Erwerbsquote der 32

Frauen weit unter jener der Männer, noch ist der Mann Hauptverdiener. Die erwerbstätige Frau stellt gerade aufgrund der von Heinsohn/Knieper aufgezeigten ungleichen Konkurrenzbedingungen auf absehbare Zeit einen wichtigen Bestandteil der Wirtschaftsentwicklung dar. Dazu deutet nichts darauf hin, daß eine „Veränderung des generativen Verhaltens", die sich im Geburtenrückgang äußert, tatsächlich auch systemgefährdend ist. Denkt man z. B. an die vielfach geforderte Mobilität, so bedeutet eine steigende Kinderzahl eine rapide Verminderung der Beweglichkeit. Für eine halbwegs abgesicherte Argumentation fehlt aber vor allem eine exakte Prognose der Geburtenentwicklung. Als eine Art „materialistische Spekulation" wirkt die Analyse von Heinsohn/Knieper durchaus diskussionsanregend. Der von ihnen behauptete direkte Zusammenhang von Geburtenrückgang und vergesellschafteter Kleinkinderziehung entspricht allerdings nicht der realen Entwicklung. Der Gesichtspunkt des staatlicherseits geförderten Gebäranreizes durch ein vergrößertes Angebot von Plätzen im Bereich der Kleinkinderziehung kann daher nur als Nebenursache eingestuft werden. c) Sozialisationsagentur

Familie

Die Funktion der bürgerlichen Famüie, ihre schichten- und klassenspezifischen Ausprägung, kann nur aus dem gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang erklärt werden. Hier stehen sich Ökonomie und Ideologie oft widersprüchlich gegenüber — auf der einen Seite „die Familie als kleinster Baustein (Zelle)" der Gesellschaft, auf der anderen Seite eine, mit den sich verändernden Produktionsverhältnissen einhergehende Funktionsänderung dieses Reproduktionsverbandes. Wesentlicher Faktor im Bedingungsgefüge der „Kleinfamilie" ist die Funktion der Frau und Mutter. So ist bei der Betrachtung gesellschaftspolitischer Programme eine weitgehende inhaltliche Übereinstimmung von Berichten zur Situation der Frau und Stellungnahmen zum Bereich Familie festzustellen. Gemäß § 1356 BGB haben z. B. die „ehelichen und familiären Pflichten" der Frau Vorrang gegenüber einer Erwerbstätigkeit; im Rahmen der familiären Pflichten ist die Erziehung der Kinder „vornehmste Aufgabe der Frau", denn „eine Familie entsteht durch das Kind". Insofern muß „Familienpolitik . . . deshalb vorrangig von den Interessen des Kindes her gesehen und entworfen werden". (Senat von Berlin 1971) So schließt sich der Kreis: „Frauenpolitik" und „Familienpolitik" gerinnen zu einer unlösbaren Einheit. Um Auswirkungen dieses „Haftungsverbandes" Familie auf die Entwicklung des Kindes zu erfassen, soll im folgenden das gesamte Sozia33

lisationsfeld einbezogen werden. Dabei ist vorrangig zu klären, in welcher Hinsicht sich Sozialisationsinhalte unterscheiden, die sich aus verschieden ökonomisch, sozial und kulturell geprägten Familien ergeben. Hier kann und soll nicht die sehr umfangreiche Diskussion über schichtenspezifische Sozialisation neu aufgerollt werden. Was jedoch kurz problematisiert werden soll, ist die These vom „Funktionsverlust der Familie" — im besonderen die daraus für die Kinderaufzucht und -erziehung resultierenden Folgen. Denn aus der Differenz zwischen den notwendig zu vermittelnden Inhalten — seien es Normen, Werte — motivationale, affektive oder kognitive Dimensionen — und dem tatsächlichen Sozialisationsablauf kann auch die Tendenz zur Vergesellschaftung der Kleinkinderziehung näher gedeutet werden. Zunächst wird die Frage untersucht, ob und welche Aufgaben der Reproduktionsverband „Kleinfamilie" nicht mehr erfüllen kann — dies bezogen auf das eigentlich familienstiftende Merkmal — die Kinder. Zwei Grobbereiche zeichnen sich ab: die Sicherung des Nachwuchses, die Befriedigung biologischer Bedürfnisse und die Erziehung, die Vermittlung der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Betrachtet man die Familie unter dem Aspekt der Privatheit, ihrer Abgehobenheit und Intimität gegenüber der Sphäre der Öffentlichkeit, so ist bereits bei der Sicherung von lebensnotwendigen Grundbedingungen eine zunehmende „Entfamilisierung" festzustellen: Steuererleichterungen, Kindergeld, Gesundheitskontrollen, Bereitstellung von Einrichtungen der Kinderversorgungen. Ein Teil dieser öffentlich verordneten Zuwendungen übt auch auf die Familiengründung einen kräftigen materiellen Anreiz aus. Zurückzuführen sind diese Eingriffe in die Privatheit der Familie weniger auf den zunehmenden Einfluß des Sozialstaates, als vielmehr auf die Tatsache, daß die Familie nicht imstande war und ist, die Aufzucht des Nachwuchses voll zu übernehmen. Allerdings kann nicht von einem „Funktionsz^r/wst" der Familie gesprochen werden; denn schon seit Beginn der Industrialisierung, der Entstehung des „freien" Lohnarbeiters und der damit verbundenen Trennung von Produktion und Reproduktion, stellte sich das Problem der Nachwuchsversorgung in verstärktem Maße. Zunehmende materielle Sicherungsmaßnahmen durch den Staat sind also nur konsequente Folge einer gesellschaftlich bedingten Defizit-Situation der Arbeiterfamilie. Diese materiellen Zwänge gelten für die bürgerliche Familie in der Tat (noch) nicht im gleichen Maße. So ist auch heute die Höhe des Einkommens Kriterium für die finanzielle Unterstützung der Familie, der politisch formulierte Gleichheitsgrundsatz verbietet aber von vornherein den generellen Ausschluß von Vergünstigungen für jene 34

Familien, die ihrer nicht bedürfen. Es scheint also zunächst so, als wäre die Familie wirklich ein „Nebeneinander aktiver, latenter oder in Ausbildung befindlicher Lohnarbeiter . . ., deren aufeinander bezogene materielle Fürsorglichkeit allein über staatliche Verordnung den Charakter von Notwendigkeit enthält", (vgl. Heinsohn/Knieper 1974, 124) — diese staatliche Verordnung stützt sich auf finanzielle Zuwendungen. Wie schon gezeigt wurde, ist die im Steigen befindliche Erwerbstätigkeit der Mütter direkter Ausfluß des materiellen Engpasses, den immer mehr Familien bei der Aufzucht der Kinder überwinden müssen. Dies wirkt sich als wachsende Überlastung für die Frau aus, die damit auch rein zeitlich ihre Erziehungstätigkeit erheblich einschränken muß und bringt eine Änderung der Position des Vaters mit sich, der in seiner früheren Alleinernährersituation Konkurrenz durch die berufstätige Frau „in seinen eigenen vier Wänden" erhält. Direkte Folge der Mehrfachbelastung der Frau ist zweifellos eine Verarmung des „Vermittlungsklimas" im Rahmen der familialen Erziehung: es steht einfach weniger Zeit für eine bewußte Auseinandersetzung mit den Kindern zur Verfügung. Von Wichtigkeit in diesem Zusammenhang ist aber der von Koch geführte Nachweis, daß sich die außerhäusliche Erwerbstätigkeit von Müttern auf die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Kinder im Gegenteil positiv auswirke. Weniger die Länge der Zeit, welche die Mutter mit dem Kind verbringe, sei entscheidend, sondern die Qualität ihres Verhaltens. Die Perspektivlosigkeit der Hausfrauenexistenz, ihrer Abgeschiedenheit von der Sphäre der gesellschaftlichen Arbeit als entscheidenden sozialen Bereich habe unter Berücksichtigung empirischer Befunde 3 insgesamt negative Auswirkungen auf die Mutter-Kind-Beziehung; so bestehe durch die ständige Anwesenheit der Mutter die Gefahr einer Überfürsorge und Überprotektion, wobei nicht nur das Kind von der Mutter, sondern auch die Mutter vom Kind abhängig sei: „Angesichts der nachgewiesenen Unzufriedenheit nicht erwerbstätiger, in ihrer Tätigkeit lediglich auf den Haushalt beschränkter Mütter, erscheint der Versuch ,ununterbrochene Innigkeit' zwischen Mutter und Kind von vornherein zum Scheitern verurteilt. Da aber nichterwerbstätige Mütter durch das gesellschaftlich vorherrschende Bewußtsein, d. h. von der .öffentlichen Meinung* darauf festgelegt werden, ,gute' und «liebevolle* Mütter zu sein, stehen gerade diese Frauen und Mütter unter einem besonderen Druck der Anpassung an die Mutterrolle, suchen aber andererseits* auch die permanente Bestätigung darin." (Koch 1975, 159) Insgesamt kommt Koch zu folgendem Ergebnis: „Bedingt durch die sachbezogene, ,kooperative* Form der Kommunikation, die die erwerbstätige Frau im Prozeß der gesellschaftlichen Arbeit zwangsläufig entwickelt, ergibt sich für sie als Mutter ein Erziehungsstil, der das Kind zu selbständigem Handeln ermutigt und in ihm Unabhängigkeit und Kritikfähigkeit, aber auch Durchsetzungsvermögen und Leistungsbereitschaft «fördert, vor allem aber die Erstarrung, diffuse Gefühlsambivalenz und Perspektivlosigkeit einer auf bloß ,private* Formen der Komniunikation reduzierten Beziehung überwindet* *. (161) 35

Koch ist zuzustimmen, wenn er auf die Arbeit als einen auch für die Erziehung wesentlichen Bereich, auf die Beschränktheit der Hausfrauenexistenz und die negativen Folgen für die Erziehung der Kinder hinweist. Die Aussagen hinsichtlich der Erziehungsvorteile von erwerbstätigen Müttern sind aber insofern zu relativieren, als dabei erstens der Inhalt und die Bedingungen der jeweiligen Frauenarbeit mit ihren auch negativen Auswirkungen ausgeklammert bleiben, zweitens die mit der Erwerbstätigkeit zumeist verbundene absolute Überbelastung der Frau nicht berücksichtigt wird; drittens ist darüber hinaus die notwendige erheischte Berufstätigkeit der Mutter in den meisten Fällen mit Lebensund Wohnverhältnissen verbunden (so z. B. beengte Raumverhältnisse, unzureichende Ausstattung, schlechtes und unzureichendes Spielmaterial für die Kinder etc.), die die Erziehungsmöglichkeiten bereits von vornherein einschränken. So wichtig also die gesellschaftliche Arbeit für die Emanzipation der Frau und der Erziehung ist, so gilt doch für eine große Zahl von Frauen, daß mit der Erwerbstätigkeit auch eine Belastung ihrer Erziehungsfunktion verbunden ist. Die relativ sinkende Bedeutung des Vaters als nunmehr nicht mehr Alleinverantwortlicher für den Lebensunterhalt der Familie hat neben den konkreten Auswirkungen auf die Funktion der Sicherung von biologischen Grundbedürfnissen der Kinder auch Konsequenzen für die Erziehungsverhältnisse: Betrachtet man z. B. die staatlicherseits zitierte Funktion der Familie der „Vermittlung des Erlebens von Autorität" und vergegenwärtigt man sich die früher meist unangetastete Autoritätsstellung des väterlichen Alleinverdieners, so wird klar, daß die zweifellos vorhandene autoritäre Vorbildfunktion des Vaters für das Kind schwer erschüttert ist (vgl. Raspe 1972). Damit relativiert sich aber auch das Bild von der Familie als „Mikrokosmos" der Gesellschaft: die Familie ist wohl eng mit der gesellschaftlichen Umwelt verwoben — sie ist aber keineswegs Modell im Kleinen, Miniaturnachbildung der gesellschaftlichen Struktur „draußen", sondern Teil des Gesamtsystems (vgl. Haensch 1969). Gerade das Betrachten der Familie als losgelösten Teilbereich der Gesellschaft führt zur These vom Funktionsverlust. Es handelt sich aber vielmehr um eine, stärker als früher, nach außen dringende Funktionsänderung, die nicht zuletzt auch der zunehmend erheischten Lohnarbeit der Mütter zuzuschreiben ist. Erziehung ist Privatsache — d. h. sie kann höchsten Dületantismus implizieren, hängt es doch von der Wülkür und der Intuition, vor allem aber auch von den materiellen Möglichkeiten der Eltern ab, welche Rolle die Kinder im familialen Reproduktionszusammenhang spielen und welchen moralischen und materiellen Anforderungen sie sich zu stellen 36

haben. Der Katalog familialer Aufgaben umfaßt aber eine große Zahl von Erziehungsinhalten, die grundlegende Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens — Zusammenhänge, Werte, Normen, Anpassungs- und Ausgleichsleistungen, Verkehrsformen — betreffen. Wenn diese Vorbereitung und Heranführung an die Welt der Erwachsenen von so großer, ja entscheidender Wichtigkeit ist, bleibt es zunächst unverständlich, weshalb gerade diese sehr schwierige Aufgabe dilletantischen, unvorbereiteten und unqualifizierten Nicht-Erziehern, wie es Eltern ja zumeist sind, überlassen bleibt. Diese Aufgabe wird ihnen sogar nicht nur überlassen, die Familie als Keimzelle des Staates wird darüber hinaus hoch bewertet. Es muß also neben oder gerade in diesem Dilletantismus ein Moment liegen, das die erfolgreiche Erfüllung zumindest eines Teils der Sozialisationsaufgaben ermöglicht oder gar besonders fördert. Milhoffer (1973, 106) führt hier die Legitimationsbedeutung der Familie an: „Die ihr von Soziologen zu Recht zugeschriebene ,Intimfunktion' offenbart unter politisch-ökonomischem Blickwinkel ihren zwieschlächtigen Charakter. Zum einen trägt die Familie den biologischen Grundbedürfnissen der Menschen, die aus seiner Nesthockernatur und seiner sozialen Abhängigkeit entspringen, Rechnung und entlastet damit das kapitalistische Gesellschaftssystem . . ., zum anderen täuscht sie in ihrem Zellencharakter Möglichkeiten und Chancen autonomer Lebensführung vor, die den Individuen den Klassencharakter ihrer sozioökonomischen Lage verschleiern und sie all ihre Glücksvorstellungen an die Familie binden lassen . . . " Dieser Charakter der Familie hat zweifellos unmittelbar Auswirkungen auf die Sozialisationsinhalte. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Verhaltensweisen die Familie in der bürgerlichen Gesellschaft schlechthin anerzieht. Denn auch in Familien der einkommensstarken Gruppen wird nach Milhoffer keine Erziehung betrieben, die eine absolute Entfaltung der menschlichen Gesamtpersönlichkeit zum Ziel und Resultat hat, (im Gegensatz etwa zur Arbeiterfamilie, deren Unterprivilegierung in der Erziehung ihre Fortsetzung und auch ihren Anfang findet). Beide gesellschaftlichen Gruppen erziehen in (und zum Großteil für) eine Gesellschaft, die durch eine Reihe struktureller Beschränkungen der menschlichen Entwicklung bestimmt ist. Insofern gibt es auch eine Reihe von allgemeinen Sozialisationsinhalten, die, gesellschaftlich bedingt, in einem großen Teil aller Famüien vermittelt werden: „Präferenzen in den Erziehungsprinzipien nahezu aller Eltern, die besagen, daß auf Verhaltensdispositionen wie Neugier und Wißbegierde in der Regel weniger Wert gelegt wird, als auf gute Manieren, Gehorsam, Rücksicht, auf Freiheit von Angst, Kreativität und Originalität weniger Wert als auf Ehrlichkeit, Verantwortungsgefühl 37

und Familienverbundenheit, kommen unabhängig von der Schichtzugehörigkeit zum Ausdruck, wenn sie auch in der Unterschicht noch stärker ausgeprägt sind als in der Mittelschicht... Konformistische Tendenzen sind in der Unterschicht deshalb häufiger zu finden, weil der individuelle Verhaltens- und Entfaltungsspielraum dort objektiv eingeschränkt ist." (ebd., 205) Auf der anderen Seite sind Ausprägungen des Sozialisationsverhaltens abhängig von den materiell-strukturellen Bedingungen des Erziehungsfeldes und den objektiven Interessen und Bedürfnissen der Beteiligten: D. h. eine auf der Ideologie sozialer Integration beruhende, sich subjektiv vollziehende Sozialisation steht einem Sozialisationsfeld gegenüber, das objektiv teilweise gegensätzliche Inhalte aufweist. Diese Spannung zwischen subjektiver Sozialisationsleistung und objektiver gesellschaftlicher Lage kann aber erst erfaßt werden im Rahmen einer bewußt sich vollziehenden Erziehung. In vielen Familien aber vollzieht sich die Sozialisation des Nachwuchses als Folge materiell, aber auch ideologisch gesetzter Zwänge ohne dieses klare Bewußtsein — entweder passiv angepaßt an von außen gesetzte Ziele oder als Identifikation und Vorantreibung derselben: „Es zeigt sich, daß diese Aufzuchtsinstanzen — ohne sich dessen bewußt zu sein (hervorgehoben, K. B.) — unnachsichtig nicht nur auf kulturell, sondern verwertungsmäßig wesentliche Verhaltensformen . . . des Nachwuchses hinarbeiten. Dabei ergibt sich das Maß des Druckes, den die Eltern auf ihren Nachwuchs ausüben, aus ihrer spezifischen Stellung in der Gesellschaft wie ihre Teilhabe an kulturellen Errungenschaften." (ebd., 104) Dieser Druck — individuell verbunden zumeist mit den besten Absichten — hat in seinem bewußtlosen Einsatz jedoch prägende Funktion — tatsächlich personenprägend und gesellschaftsbildend. Damit ist, wie Milhoffer es beschreibt, die Familie in ihrer gegenwärtigen Form als isolierte Kleinfamilie trotz ihrer partiellen Dysfunktionalität bisher immer noch die geeignete Instanz, um die Reproduktion sozial typischer und ökonomisch funktionaler Charaktere zu gewährleisten. Darüber dürfen aber nicht jene Sozialisationsmängel vergessen werden, die sich in der weiteren menschlichen Entwicklung als Defizite erweisen und die Eingliederung in die Gesellschaft erschweren. 4 Während in den Sozialisationsbereichen, deren Inhalte gesellschaftlich vorgegebenen Schemata entsprechen, bei einem großen Teil aller Familien tendenziell durchaus ähnliche Inhalte vermittelt werden, zeigt sich speziell in der Vorbereitung auf Schule und Beruf eine andere Situation: In jenen Familien, in denen der soziale und wirtschaftliche Druck, der auf sie ausgeübt wird, ebenso massiv weitergegeben wird, sind die genannten Mängel beträchtlich. J e geringer dieser Druck ist, desto geringer 38

erweisen sich auch die Sozialisationsschwächen. Hier erst setzen die gesellschaftlichen Ersatz- bzw. Ergänzungsinstanzen im Bereich der Sozialisation ein. Dies erfolgt aber zusätzlich und nicht im Rahmen eines generellen Versuches, die Kinder in ihrem prägnanten Alter den deformierenden Einflüssen der familiären Erziehung zu entziehen. Es soll gar nicht abgestritten werden, daß der blockierende Einfluß der Famüie die Vermittlung abstrakt-geistiger Fähigkeiten erschwert, nur steht die Vermittlung solcher Fähigkeiten für die überwältigende Mehrheit der Kinder nicht im Vordergrund. Gerade weil die Kinder bis zum Alter von sechs Jahren besonders „prägsam" sind, funktioniert die bürgerliche Familie noch in vielen Bereichen als Sozialisierungsinstanz für allgemein gesellschaftliches Verhalten. Die öffentliche Kleinkinderziehung ist und bleibt daher bis auf weiteres eine nur zusätzliche Sozialisierungsinstanz — dies vor allem für Kinder aus jenen Familien, deren „Funktionsverlust" bereits mit dem Frühkapitalismus einsetzte und erst jetzt in seiner spezifischen Ausformung wahrgenommen wird. d. Einsparung sozialer

Folgekosten

Zu den Erziehungsaufgaben der Familie gehört auch die Vermittlung gesellschaftlicher Normen. Kommt sie dieser Aufgabe nicht ausreichend nach, entstehen in Verbindung mit anderen Faktoren zumeist eine Reihe von Anpassungsproblemen, die sich jedoch erst nach der Phase der familialen (Primäi^)Sozialisation äußern. Damit ist auch die öffentliche Kleinkinderziehung in dieses Bedingungsgefüge einbezogen. Der Dritte Jugendbericht der Bundesregierung (1972, 99) nennt zwei Formen von Konflikten „zwischen Individuum und Gesellschaft" im Sozialisationsprozeß: 1. „Anpassungskonflikte" Jugendlicher beim Hineinwachsen in „komplizierte, hochentwickelte Gesellschaften" — gleichsam ein naturwüchsiger Prozeß. 2. Konflikte, die sich aus „Benachteiligungs- und Deklassierungsprozessen ergeben und sich in den verschiedensten Formen von Dissozialität und Kriminalität äußern." Diese werden als Folge „ausgefallener Sozialisationsprozesse' * gewertet. Offensichtlich steht das angeführte Defizit in engem Zusammenhang mit der familialen Sozialisationsleistung bzw. mit den entsprechenden Ersatzund Ergänzungseinrichtungen. Geht man zunächst nur von jenen Ausprägungen aus, die aktenkundig sind, von „Störungen" bzw. auffälligem gesellschaftsunkonformen Verhalten, so fällt es schwer, diese als „individuelle" einzustufen: 1,7 Millionen Jugendliche und Kinder sind verhal39

tensgestört bzw. auffällig, hiervon sind ca. 400.000 schwer erziehbar; 1973 wurden 280 768 Fälle von der Jugendgerichtshilfe bearbeitet; außerdem gibt es in der BRD etwa 500 000 lernberhinderte, 100 000 geistig behinderte und schwachsinnige und 120 000 sprachbehinderte Kinder. Addiert man die Summen der „verhaltensauffälligen Kinder", der „sozialen Problemkinder" und der „behinderten Kinder", so dürften von ca. 12,9 Mill. Kinder unter 15 Jahren zwischen fünf und sechs Millionen Kinder sozial derart massiv geschädigt sein, daß sie auch in Zukunft mit starken sozialen Diskriminierungen rechnen müssen (vgl. Roth 1974, 166 und Statistisches Bundesamt 1975). Jede individualisierende Betrachtung, die Verwahrlosung und Kriminalität vorrangig aus psychischen Prozessen im familiären Erziehungsfeld ableiten will, ignoriert die Gesellschaftlichkeit der Familie, die in der ihr zugesprochenen Privatheit eine besondere Ausformung findet. Die Famüie und die in ihr stattfindende „primäre" Sozialisation ist als ein „Vermittlungsglied zwischen gesellschaftlichen Widersprüchen, Klassenlage und individueller Genese bestimmter Verhaltensmuster" festzuhalten. Denn es sind weder Unwissenheit, autoritäres Verhalten oder Brutalität, noch frühkindliche Sozialisationsdefizite „an sich", die die Vorbedingungen auch für Verwahrlosung und Kriminalität schaffen, sondern in besonderem Maße die jeweüige sozio-ökonomische Situation (vgl. Autorenkollektiv 1972, 124). Fälle von Kriminalität sind häufig von nicht-intakten Famüienverhältnissen begleitet. Die Familie, „innerlich ausgehöhlt" und keinen Schutz gewährend, kann ihren Erziehungsaufgaben nur unzureichend nachkommen: „Die Anstrengungen werden sich folglich darauf richten müssen, die Familie in ihrer Erziehungsfunktion zu stärken und möglichst früh die Familienerziehung ergänzende Maßnahmen durchzuset«5 zen. Ausgehend von der Ansicht, daß optimale Sozialisationsbedingungen entscheidend dazu beitragen, Delinquenz entgegenzuwirken, ist das Autorenteam der Meinung, „daß der hohe Einsatz von Mitteln für eine Verbesserung der Sozialisationsbedingungen positive Auswirkungen auf das Leben in Familie und Gesellschaft haben wird; dafür werden auf lange Sicht in anderen Bereichen, wie z. B. Heimunterbringung und im Strafvollzug voraussichtlich Kosten gespart werden können (hervorgehoben, K. B.)" (Der Regierende Bürgermeister von Berlin 1974, 37). In diesem Zusammenhang soll ein Blick auf einen der Vorschläge geworfen werden — das Erziehungsgeld: „Durch die Zahlung von Erziehungsgeld soll erreicht werden, daß der Bau weiterer Krippenplätze in landeseigenen und anderen Kindertagesstätten nicht mehr 40

erforderlich wird, möglicherweise sogar die Zahl der vorhandenen Krippenplätze eingeschränkt werden kann und diese zu Kindergartenplätzen oder Hortplätzen umgewandelt werden können . . . " (ebd., 48) Die Rechnung lautet: Neubaukosten für einen Kita-Platz (1973) jährlicher Aufwand je Kita-Platz Erziehungsgeld für Kinder in Halbfamüie jährlich (DM 900,— monatlich) Erziehungsgeld für Kinder in Vollfamilie bis zu DM 1.000,— Monatseinkommen jährlich (DM 450,— monatlich) bis zu DM 1.250,bis zu DM 1.500,-

DM 18.000DM 4.500,DM 10.800,DM DM DM

5.400,4.200,3.000,-

Das heißt: bei allen Vollfamilien mit einem Monatseinkommen über DM 1.000,— käme die Zahlung eines Erziehungsgeldes billiger als ein entsprechender Kindertagesstättenplatz; gemäß dieser Rechnung spräche alles für das Erziehungsgeld, das obendrein noch flexibler zu handhaben wäre. Weshalb also werden Krippen-Plätze gebaut und nicht zu Maßnahmen wie dem Erziehungsgeld gegriffen? Die Realität sieht so aus, daß gerade im Krippenbereich eine starke Unterversorgung vorhanden ist — von hundert null- bis dreijährigen Kindern hat weniger als ein Kind einen Krippenplatz zur Verfügung. Erziehungsgeld wird bis jetzt ebenfalls nicht bezahlt — die Erziehungsleistung der berufstätigen Mutter erfolgt kostenlos. Das bedeutet weiter, daß der wirtschaftliche Druck für die Mutter so groß ist, daß er sich selbst über lebensnotwendig zu erstellende Versorgungspflichten hinweg durchsetzt. Eine Vermehrung von Krippenplätzen scheint somit vorab nicht notwendig. Anders beim Kindergarten in der Elementarerziehung: „Im Kindergarten muß der Versuch unternommen werden, die Ausbildung von kriminalitätsbegünstigenden Einstellungs- und Verhaltensmerkmalen zu verhindern." (ebd., 56) Wirtschaftlich ausgedrückt: DM 4.500,— jährlicher Aufwand für einen Kindergartenplatz sind weniger, annähernd gleich oder zumindest unbedeutend höher als die entsprechenden „Kriminalitäts-Folgekosten". Ein entscheidender Faktor, der in den aufgestellten Rechnungen aber nicht genannt wird, scheint jener Betrag zu sein, welcher der Wirtschaft durch die Berufstätigkeit der Mütter zufließt. e. Politische

Legitimation

Im Zuge einer zunehmenden Erwerbstätigkeit von verheirateten Frauen und Müttern vermindert sich auch die ideologisch-politische Abhängigkeit der Frau vom Mann; Frauen rücken als relativ selbständige Wählergruppe in das Blickfeld politischer Wahlagitation und mit ihnen auch 41

Maßnahmen und Einrichtungen, die sie entlasten: die Kindertagesstätte. Von rund 38,5 Mill. Wahlberechtigten bei der Bundestagswahl 1972 waren 20,8 Mill. Frauen, das sind 54,0 % aller Wahlberechtigten. Pross' Behauptung, Frauen seien „politisch notorisch desinteressiert und so uninformiert, daß die Wahlhandlung in vielen Fällen faktisch eine Farce ist4' geht zu weit, charakterisiert aber eine Situation, wie sie noch vor wenigen Jahren vielfach anzutreffen war. Die von Pross vorgelegten Untersuchungsergebnisse belegen dies (vgl. Pross 1970): Nur 10 bis 15 % der erwachsenen weiblichen Bevölkerung interessiert sich für Politik, 90 % lesen nie eine politische Zeitschrift, es besteht Aversion gegen Sendungen von Parteien und Gewerkschaften, nur etwa 5 % wissen Bescheid über die parlamentarische Arbeitsweise usw.: „Das Wahlrecht für Frauen . . . ist ein rein formales Recht geblieben . . . die Frauen haben es trotz des Zugangs zu den Wahlurnen und der Erlaubnis der Kandidatur nicht geschafft, politische Mündigkeit zu erreichen, ihre eigenen Interessen politisch zu artikulieren und damit Einfluß auf die gesellschaftlichen Verhältnisse zu nehmen". (Kunstmann 1971, 66) So haben etwa nur 0,5 % aller rund 8 800 SPD-Ortsvereine eine Frau als Vorsitzende, in den Länderparlamenten sitzen knapp 7 % Frauen; waren in der I. Legislaturperiode von 421 Bundestagsabgeordneten noch 38 Frauen, so sind es in der VII. Legislatur von 518 nur mehr 30 (SPD = 13, CDU = 12, FDP = 2); diese Aufzählung ließe sich beliebig lang fortsetzen. Neben einer allgemeinen gesellschaftlich bedingten „Frauenunterdrückung" ist eine konkrete Ursache für diese politische „Gesichtslosigkeit" der Frauen zweifellos oft ihre häusliche Abgeschiedenheit und Reduzierung auf die Reproduktion im Hause. Dadurch fehlen ihnen auch Kategorien und Informationen über gesellschaftliche Prozesse. Diese für die Situation der Frau typischen sozialen Faktoren werden von vielen Frauen in einer apolitischen Selbsteinschätzung weitergetrieben. Betrachtet man in diesem Zusammmenhang die Situation der Mütter, so ist diese von zwei Aspekten geprägt: Sind sie verheiratet und ist der Mann der Alleinernährer, so sind sie verstärkt ans Haus gefesselt; sie erleben die Sphäre der Arbeit nur in ihrer Begegnung im Konsum- und Dienstleistungsbereich im Rahmen der familialen Reproduktion oder vermittelt (und gebrochen) durch den Mann am Feierabend und Wochenende. Sind sie alleinstehend, ist ihre Belastung eine dreifache: Verdienerin, Erzieherin und Hausfrau. Durch die existentiell notwendige Erwerbstätigkeit wird ihre Erfahrung zwar erweitert und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben um die entscheidende Dimension der Arbeit vermehrt. In diesem Schritt liegt die Chance zu einer politischen Bewußtwerdung und einer aktiven gesellschaftlichen Auseinandersetzung; darin liegt aber auch die 42

Gefahr, aufgrund einer kaum erträglichen Überlastung und Alleinverantwortlichkeit sich passiv zu verhalten (unter Einsatz erheblicher Anpassungsleistungen); jede Veränderung des status quo, der als gerade noch ausreichend für die Reproduktion ihrer selbst und des Nachwuchses erfahren wird, beschwört die Angst vor einem Absinken unter das Existenzminimum herauf. Für die erwerbstätigen Mütter sieht die Situation ein wenig anders aus; wohl ist die Erwerbstätigkeit der Frau o f t ebenso ökonomisch erzwungen wie die der alleinstehenden Mutter, dennoch ruht die Beschaffung der notwendigen „Lebensmittel" auf zwei Verdienern; die „Gefährtenfamilie" löst die autoritäre Herrschaftsposition des Mannes in der Familie teilweise auf; was sich allerdings nach außen im Erwerbsleben als relative Gleichberechtigung (zumindest von der Möglichkeit und Notwendigkeit der beruflichen Tätigkeit) zeigt, kann sich in der Familie durchaus als Ideologie von der Partnerschaft entpuppen: „Die gesellschaftlich fundierten Belastungen werden so einer Scheinlösung im familialen Bereich zugewiesen und damit der gesellschaftlichen Auseinandersetzung entzogen." (vgl. Brandt u. a. 1973, 180) Gleichwohl stellt die Erwerbstätigkeit der verheirateten Mütter (bzw. auch jener Mütter, die in einer Lebensgemeinschaft mit ihrem Partner leben) einen Schritt in die Gesellschaft hinein dar, der aus der früheren politischen „Geschiehtslosigkeit" zur aktiven und selbständigen politischen Stellungnahme führen kann. Dies führt zur eingangs formulierten Problemstellung zurück. War, so die Behauptung, die Frau bisher weitgehend im politischen „Kielwasser" des Mannes, genügte es also für die politischen Parteien, den männlichen Wähler anzusprechen, um auch die „Zweitstimmen" der Frauen zu gewinnen, so wird das zunehmend dysfunktional. Ist die weitgehende ökonomische Unabhängigkeit der Frau Grundvoraussetzung für eine autonome Willensbildung, so reichte das bisher allein nicht aus; wichtig ist die mit der Zuspitzung der objektiven Widersprüche (auch im Reproduktionsbereich) einhergehende zunehmende Widersprüchlichkeit im Bereich der Ideologiebildung — augenfällig eben an der sich ausschließenden Hochhaltung der bürgerlichen Familie und der Erwerbstätigkeit der Frau. In den letzten Jahren ist ein wahlpolitischer Autonomisierungsprozeß der Frauen festzustellen. Das, so die weitere These, ist unter anderem auf die notwendig zunehmende Erwerbstätigkeit der Frau zurückzuführen. Denn betrachtet man z. B. die Stimmabgabe bei den Bundestagswahlen von 1953 bis 1972 so zeigt sich dreierlei: 1. Frauen wählen zunächst eher die Rechtsparteien CDU/CSU als die Parteien der Mitte und Mitte-links (FDP und SPD). 2. Es ist ein deutlicher Trend zugunsten der SPD zu beobachten. 43

3. Die früher eindeutige „Rechtslastigkeit" der Frauen bei Bundestagswahlen gleicht sich der durchschnittlichen Wahlentscheidung der Männer an, die auch den größten Anteü an Erwerbstätigen stellen. Wählten noch 1953 überproportional viel Frauen rechte Parteien, so ist dieses Wahlverhalten stark in Bewegung geraten, was auch den politischen Parteien nicht verborgen blieb. Damit rückt „die Frau" in den Blickwinkel wahlpolitischer Agitation und mit ihr Maßnahmen, die, ohne an tradierte gesellschaftliche Normen zu rühren (wie etwa die Diskussion um die Abtreibung), zur Entlastung der Frau beitragen — und dies im Interesse ihrer Kinder: die Kindertagesstätte. Es ist daher kein Zufall, daß in einem CDU-Flugblatt zu den Westberliner Wahlen zum Abgeordnetenhaus 1975 im „Jahr der Frau" finanzpolitische Maßnahmen im Rahmen der BRD-Außenpolitik durch einen Vergleich mit Kindertagesstätten akzentuiert werden; 6 die Kindertagesstätte als Wertäquivalent, versinnbildlicht neben dem Warencharakter politischer Wahlversprechungen auch die neue Zielgruppe der Frauen, die damit besonders angesprochen werden soll. Erhärtet wird diese These durch die Ergebnisse einer in den Jahren 1971, 1972 und 1974 vom infas — Institut durchgeführten repräsentativen Bevölkerungsumfrage: Unter den vorgegebenen acht bildungspolitischen Teübereichen wurde in zwei Befragungen der Bereich „Kindergarten, Vorschule" als wichtigste Aufgabe des Bildungswesens betrachtet, 1974 lag er an zweiter Stelle knapp hinter dem Bereich der beruflichen Bildung. Darunter lagen die Bevölkerungsgruppen mit Volksschulbildung (mit und ohne Lehre) sowie Fachschulabsolventen an der Spitze. Altersspezifisch schätzten vor allem die 25—34jährigen den Bereich der Kleinkinderziehung als wichtigsten ein. Zusammenfassend können also folgende Aussagen zur Sozialisationsfunktion der Familie genannt werden: — Die Famüie in der bürgerlichen Gesellschaft hat eine, über die reine Weitergabe von außen gesetzter Impulse hinausgehende, eigene, wenn auch widersprüchliche Funktion. Diese steht in engem Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Rolle der Frau und Mutter. — Die Veränderungen der Aufgaben der Familie sind nicht einem in jüngster Zeit entstandenen ¥\xakdonsverlust geschuldet, sondern sind entweder besondere Ausformung von Anfang an bestehender Defizite der bürgerlichen Familie oder aber Fuaktionsänderung (-Verlagerung) aufgrund zunehmender Widersprüche im Reproduktionsbereich. — Objektiv vorhandene Unterschiede zwischen der bürgerlichen und proletarischen Famüie spiegeln sich zumeist nicht vollständig in der subjektiv erfolgenden Sozialisierung wider. Dies ist in erster Linie einer Sozialisation geschuldet, die sich „bewußtlos" vollzieht und gesamtgesellschaftlich bestimmt ist. — Trotz teilweiser Dysfunktionalität bleibt die Famüie für viele Sozialisationsbereiche die gesellschaftlich funktionale Instanz. Es gibt aber einige „Arbeits44

und Gesellschaftstugenden", die in sozial und wirtschaftlich schwachen Familien nicht oder nur unzureichend vermittelt werden. — Die vergesellschaftete Kleinkinderziehung dient für diese Famüien als ersetzende bzw. ergänzende Sozialisierungsinstanz. — Die Famüie als Ort der primären Sozialisation spielt in der Vermitdung gesellschaftskonformen (nichtkriminellen) Verhaltens eine wichtige, aber keine ausschließliche Rolle. — Unter den Sozialisationsbedingungen sozial und wirtschaftlich unterprivilegierter Famüien ist die Kindesvernachlässigung in erster Linie den materiellen Zwängen geschuldet; dies begünstigt unter anderem auch die Ausbildung gesellschaftswidriger (= delinquenter) Verhaltensmerkmale. — Während dieser Aspekt für die Kleinstkinderziehung (0—3Jahre) vorab keine Rolle spielt, wird im Bereich der Elementarerziehung (3—5/6Jahre) der Faktor der Ausformung kriminalitätsbegünstigender Merkmale sichtbar; für die Hortbetreuung (7—12Jahre) gilt dies im Sinne direkter Verhinderung von Kinderverwahrlosung. — Die Erweiterung der Einrichtungen der vergesellschafteten Kleinkinderziehung ist daher auch auf den Versuch zurückzuführen, soziale Kriminalitäts- bzw. Verwahrlosungs-Folge kosten einzusparen. Neben dieser pädagogisch-ökonomisch bestimmten Veranlassung ist auch eine politisch-soziale vorhanden: sie besteht in der frühzeitigen Neutralisierung (bzw. Verhinderung) gesellschaftsunkonformen Verhaltens. Die Veränderung der Sozialisierungsagentur Familie steht somit meinem engen Zusammenhang mit der Erweiterung der öffentlichen Kleinkinderziehung; da die Familie aber (noch immer) große Bereiche der Sozialisation funktional abdeckt, kann dieser Aspekt nur als Afe&^wursache für die vermehrte gesellschaftliche Kleinkinderziehung gelten. /.

Qualifikationsveränderung

Die quantitative Entwicklung im Bereich der öffentlichen Kleinkinderziehung erfolgte, wie aufgezeigt, weitgehend ohne qualitative Entsprechung. Die bildungspolitischen Argumente, die sich vor allem auf das sozialpolitisch begründete Postulat der „Chancengleichheit" stützten, fanden in der Umsetzung der Maßnahmen nur geringen Niederschlag. Die quantitative, „äußere" Reform hatte Vorrang vor der qualitativen, „inneren" Veränderung. Es ist jedoch offensichtlich, daß erst im Rahmen dieser „inneren" Reform Chancengleichheit und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ansatzweise verwirklicht werden könnten. Auffällig an den bildungspolitischen Stellungnahmen ist aber auch die Enthaltsamkeit, die gegenüber Anforderungen der Produktion und Wirtschaft an das Bildungswesen gezeigt wird. Dies ist umso überraschender, als die angestrebte Integration des Elementarbereiches in das Bildungssystem (verbunden mit einer Vorverlegung der Schulpflicht um ein Jahr) den Stellenwert der Kleinkinderziehung als Stätte der Qualifikationsvermittlung, 45

d. h. der Vorbereitung auf eine spätere berufliche Tätigkeit, erhöht. Erst in bildungspolitischen Äußerungen neuester Zeit wird der Aspekt der Qualifikation und ihrer Verwertung genannt: „Ein reibungsloser Obergang vom Bildungswesen in die Arbeitswelt war weder für die Vergangenheit kennzeichnend, noch wird er das für die Zukunft sein können . . . Global wird ein weiteres Anwachsen der Qualifikationsanforderungen in der Arbeitswelt erwartet. Mobilität wird immer notwendiger . . . Das Bildungswesen kann sich deshalb nicht einfach an den Anforderungen des ersten Arbeitsplatzes orientieren, sondern muß vielfältig verwertbare Qualifikationen vermitteln und auf Korrektur-, Ergänzungs- und Aufbaumöglichkeiten angelegt sein. Dies trägt auch dazu bei, der Gefahr „gespaltener Arbeitsmärkte" entgegenzuwirken." (informationen büdung Wissenschaft 2/1974) Um diesen Aspekt genau analysieren zu können, ist es notwendig, zunächst kurz den derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Diskussion zu referieren: Betrachtet man die Aussagen zur weiteren Entwicklung der Qualifikationsanforderungen, so lassen sich grob drei Ansätze unterscheiden: a) Polarisierung der Qualifikationsanforderungen 1970 erstellten Kern/Schumann eine der bisher wichtigsten Untersuchungen der Industriearbeit, in der sie besonders den technischen Wandel und dessen Auswirkungen auf das Bewußtsein der Arbeiter analysierten. Die Ergebnisse widersprechen einer These der allgemeinen Höherqualifizierung; sie zeigen vielmehr eine zunehmende Polarisierung der Arbeitskräfte, die neben organisatorischen Umstellungen auch einem höchst unterschiedlichen Einsatz von technischen Neuerungen geschuldet ist (Kern/Schumann 1970).7 Auch im Dienstleistungsbereich wird eine ähnliche Entwicklung festgestellt: Einerseits also eine „Requalifizierung" der Arbeit verbunden mit einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen, andererseits eine Vermehrung von Hilfstätigkeiten, die überwiegend die Funktion von ,Lückenbüßern der Automation* übernehmen müssen. Im Vordergrund dieser Untersuchungen steht der unmittelbare Arbeitsplatz, im besonderen die technische Seite des Arbeitsvollzuges. b) Konstanz der Qualifikationsanforderungen Baethge/Gerstenberger u. a. dagegen üben Kritik an jenen Überlegungen, die gesellschaftliche Qualifikationsbedürfnisse ausschließlich aus der technischen Struktur des Produktionsprozesses ableiten. Die Entwicklung einer „relativen Stagnation der Qualifikationen" entspräche eher den gesellschaftlichen Realitäten und berücksichtige als wesentlichen Aspekt die Produktionsverhältnisse. Im Bereich industrieller Tätigkeiten, aber auch bei Büro- und Verwaltungsarbeiten, wird von Baethge u. a. als generelle Entwicklungstendenz eine, mit Prozessen der Dequalifizierung verbundene „Fraktionierung komplexer... Tätigkeiten, sowie Stereotypisierung einzelner Verrichtungen bzw. Verrichtungsfolgen" festgestellt. Eine Wende dieser Entwicklung wird nicht erwartet: erhöhte Anforderungen an das Qualifikationsniveau werden nur in äußerst beschränkten Maße auftreten. Daraus wird auf eine „strukturell nahezu völlige Invarianz" des Bildungssystems geschlossen (vgl. Baethge 1972 und Gerstenberger 1975).

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c) Erhöhung der Qualifikationsforderungen Eine dritte Gruppe von Autoren, hier vor allem die Projektgruppe Automation und Qualifikation, geht von der „wesentlichen Entwicklungstendenz der Produktivkräfte" aus. Sie verweisen darauf, daß parallel zur Zerlegung in immer einfachere Handhabungsfunktionen, „vor und über dem Produktionsprozeß .zunehmend die bewußte Planung und Verwissenschaftlichung der Arbeitstätigkeiten" träte: „Mit Automatisation verbunden ist deshalb eine umfassende Umwälzung in den Anforderungen an die Qualifikation der Arbeitskraft..." (1975, 22) Grundlage aller drei Ansätze ist die reale wirtschaftliche und soziale Entwicklung in der BRD seit etwa 1950; sie kann in zwei Abschnitte eingeteilt werden: In die Phase der vornehmlich extensiven Entwicklung von 1950—1960 (starke Zunahme der Beschäftigtenzahl). In diesem Abschnitt wirkten neben diesen „äußeren" aber auch „innere" (intensive) Entwicklungsfaktoren (z. B. Steigerung der Arbeitsproduktivität, Auslastung vorhandener Kapazitäten). Danach kam die Phase der vornehmlich intensiven Entwicklung seit i 9 6 0 . 8 Insgesamt sind seit 1950 folgende Tendenzen erkennbar: Verlangsamung des Produktionswachstums, Stagnieren des gesamtwirtschaftlichen Arbeitseinsatzes, Strukturwandel der Produktion und des Arbeitseinsatzes, Entwicklung der Arbeitsproduktivität, Freisetzung von Arbeitskräften. Hund u. a. (1972) stellen in diesem Zusammenhang fest, daß keine konkrete Qualität der Arbeitskraft gefragt ist, sondern allein die abstrakte Eigenschaft der freien Ersetzbarkeit am beliebigen Arbeitsplatz, die absolute Mobilität der Arbeitskräfte. Voraussetzung für diese Mobilität ist, wie Hund statistisch nachweist, die gering qualifizierte Arbeitskraft. Die Entwicklung der Produktivkräfte bedeute für die Produzenten zum einen erhöhte Mobilität, zum anderen höhere Qualifikation für bestimmte Gruppen; letzteres gelange aber nur dann zum Ausdruck, wenn es für die (technisch) veränderte Produktion unabdingbar notwendig sei: „Wesentliches Kennzeichen dieses Prozesses ist die Auflösung der Qualifikation der A r b e i t s k r a f t . . . in Mobilität und punktuelle S p e z i a l i s i e r u n g . . ( e b d . , 1091). Dabei handelt es sich aber nicht um eine Überqualifikation der Arbeitskräfte, wie es Heinsohn u. a. (1975) darstellen. Bezogen jeweils auf den einzelnen Arbeitsplatz scheinen die Qualifikationen tatsächlich überflüssig; bezieht man jedoch den gesamten, nicht nur inhaltlich unterschiedlichen Prozeß der Arbeitsentäußerung im raum-zeitlichen Zusammenhang mit ein, so erweisen sich diese „Überschußqualifikationen" als „gerade ausreichend". Der Aspekt der Mobilität und Flexibilität der Arbeitskräfte rückt somit zunehmend in den Vordergrund und ist auch für die Frage der Veränderung von Qualifikationsanforderungen von hoher Wichtigkeit. 47

Die Kritik an den drei vorgestellten Ansätzen zur Prognostizierung der Qualifikationsentwicklung setzt an unterschiedlichen Punkten an: Die These von der Polarisierung der Arbeitskräfte unter Zugrundelegung von Arbeitsplatzuntersuchungen ist insofern als funktionalistisch zu bezeichnen, als die Prozesse und Zusammenhänge von Technik, technischem Wandel und Qualifikationsveränderung von den Autoren als naturhaft und objektiv begriffen werden — geschuldet einem gleichsam abstrakten wissenschaftlich-technischen Fortschritt. Ausgeblendet bleiben dabei sowohl Aspekte der innerbetrieblichen Struktur, wie etwa Hierarchieund Kompetenzverteilungen, Entscheidungsbefugnisse und Abhängigkeiten, als auch entscheidende gesellschaftliche Bedingungen — so Bedingungen der abhängigen Lohnarbeit und des Verhältnisses zu den Produktionsmitteln. Qualifikation ist aber nicht allein technisch, sondern vor allem auch gesellschaftlich bedingt — d. h. durch die spezifisch gesellschaftliche Form des Verhältnisses zum Arbeitsprodukt, zur Arbeit, zu den anderen Arbeitern (und sich selbst). Während also von der einen Gruppe von Autoren die technische (stoffliche) Seite der Qualifikation überbetont wird, ist der Kritik an Baethge u. a. zuzustimmen, die von der Projektgruppe Automatisation und Qualifikation geübt wird: Zwischen einer sich entwickelnden Technik und Profitinteresse werde kein Widerspruch erkannt. Indem Baethge resignativ die Steuerung der Qualifikation in das subjektive Belieben des Kapitals gestellt sieht und eine Identität von Qualifikation und Systemintegration im Bildungswesen behauptet, verabsolutiere er die gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Verabsolutierung sowohl der technischen als auch der gesellschaftlichen Seite der Produktion ist jedoch undialektisch und führt zu verkürzten Schlußfolgerungen. Aber auch die dritte Gruppe, die in der Entwicklung der Automatisation die Aufhebung der Trennung von Hand- und Kopfarbeit, die Entfaltung der Persönlichkeit und die „Rückkehr des Inhalts in den Arbeitsprozeß" angelegt sieht, fetischisiert die Produktivkraftentwicklung zu einem sich selbst steuernden Prozeß. Für die Einschätzung der mittelfristigen Entwicklung ist darüber hinaus wesentlich zu beachten, daß die Automation — als „neue Produktionsweise" — sich nur sprunghaft und ungleichzeitig durchsetzt. Wohl ist der von Baethge formulierten Qualifikationsveränderung in Richtung einer Polarisierung, Dequalifizierung und Spezialisierung beizupflichten; dies ist jedoch nicht einseitige Folge von aufgeherrschten Verhältnissen, sondern Konsequenz einer zunehmenden Reduzierung von zusammengesetzter („komplizierter") Arbeit auf Detailarbeit („einfache" Arbeit) unter bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen — „ein Prozeß, der sowohl unter dem Gesichtspunkt der wertbildenden Potenz verschieden

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qualifizierter Arbeitskräfte betrachtet werden muß, als auch im Hinblick auf d i e . . . konkret nützliche Seite der Arbeit". (Gensior u. a. 1974, 332) Darin ist jedoch nicht eine naturwüchsige Dequalifizierung angelegt, sondern im Rahmen der fortschreitenden Arbeitsteilung wird zunehmend ein Arbeitsinteresse erheischt, das auf immer (umfangsmäßig) spezialisiertem Tätigkeitselemente gerichtet ist. In dieser Entwicklung kann sowohl eine Erhöhung der notwendigen Qualifikation angelegt sein — wie es für eine kleine Gruppe von Arbeitern auch tatsächlich zutrifft — als auch eine Verringerung; diese Möglichkeiten sind jedoch zunächst nur bezogen auf die konkrete Seite der Arbeit. Unter Berücksichtigung des gesamten Prozesses der Entäußerung der Arbeit geht gleichzeitig mit dieser Entwicklung in der Tat eine generelle Veränderung der allgemeinen Qualifikationsstruktur vor sich, die jedoch mit einer allgemeinen Höherqualifizierung nicht gleichzusetzen ist. Da die Stätten der öffentlichen Kleinkinderziehung am weitesten von allen Bildungseinrichtungen von jener Schwelle entfernt sind, über die die fertige Arbeitskraft in das Berufsleben eintritt, kann, eine historisch entwickelte Trennung von Bildung, Ausbildung und Produktion gesetzt, in diesem Zusammenhang ein Qualifikationsbegriff nur bedingt Verwendung finden, der ausschließlich an den Anforderungen der Produktion orientiert ist. Auch aus Gründen der bereits genannten zunehmenden Abstraktheit erheischter Qualifikationen, was ja eine mehrdimensionale allgemeine Anwendungsmöglichkeit derselben impliziert, erscheint eine Erweiterung des Qualifikationsbegriffs notwendig. D. h. umgekehrt: Die Situation der öffentlichen Kleinkinderziehung kann nicht über einen Qualifikationsbegriff ausreichend erfaßt und auch begründet werden, der, wie z. B. jener von Heinsohn verwendete, fast ausschließlich an den produktionellen Anforderungen ausgerichtet ist. Die zweifellos gegebene Veränderung der Qualifikationsanforderungen ist somit nur eine Nebenursache der Erweiterung der öffentlichen Kleinkinderziehung.

g. Vorbereitung auf die Schule Im Rahmen einer gesellschaftlichen Bestimmung der Qualifikationsstruktur ist für den Bereich der Kleinkinderziehung im besonderen der Zusammenhang zwischen Qualifikationsvermittlung und Sozialisationsfunktion herauszustellen: neben Fähigkeiten, den Anforderungen des unmittelbaren Produktionsprozesses gerecht zu werden, werden auch solche vermittelt, die für die Bewältigung von Lebenssituationen außerhalb der Arbeit notwendig sind. Mit Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten 49

werden auch Verhaltensweisen erworben, die der spezifischen Gesellschaftsform geschuldet sind. Diese Interaktionsmuster werden aber zumeist nicht gezielt an die zu Erziehenden herangetragen, sondern ihre Vermittlung vollzieht sich o f t vielmehr hinter dem Rücken der Erzieher — gleichsam als „heimlicher Lehrplan". Im Rahmen der Diskussion um den Stellenwert der öffentlichen Kleinkinderziehung wird oft der Bereich der Schule zugunsten eines Plädoyers für die Wichtigkeit der öffentlichen Kleinkinderziehung ignoriert. Dies ist nicht nur unzureichend angesichts des zweifellos hohen Gewichtes, das die Schule als allgemein verbindliche Bildungseinrichtung für die Vermittlung von Qualifikationen aber auch von Verhaltensmustern hat, sondern auch hinsichtlich der Beziehung zwischen Elementar- und Primarbereich. Denn die bildungspolitische und pädagogische Besonderheit der Kleinkinderziehung liegt nicht so sehr in ihrer Abgrenzung gegenüber dem schulischen Sektor, sondern gerade in der Tendenz, daß ihr zunehmend schulähnliche Strukturelemente zugewiesen werden: Als Teil des Bildungssystems, als vorschulische Instanz, hat sie Anpassungs- und Vorbereitungsfunktionen zu übernehmen. Berücksichtigt man ferner die Tatsache, daß Bildungsreformen bisher immer im Nachhinein, reaktiv, vorgenommen wurden, wenn der Bedarf an (veränderten) Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gedeckt werden konnte — und berücksichtigt man weiter die Tatsache, daß sie dann auch nur das Stückchen vorangetrieben (wurde), das notwendig war, um die Schere zwischen Berufsstruktur und Arbeitsplatzstruktur wieder zu schließen, so ist auf den ersten Blick nicht ganz einsichtig, weshalb gerade die Kleinkinderziehung diese Schranke durchbrechen sollte. Die Zweifel an der Qualifikationsargumentation werden noch verstärkt durch die Tatsache, daß gerade der Bereich der Kleinkinderziehung — am weitesten entfernt vom Produktionsprozeß — sich durch eine unerhört lange „Amortisationsspanne" auszeichnet. Damit würde, den Vorrang der Kleinkinderziehung tatsächlich vorausgesetzt, auch eine zweite bildungspolitische „Schallmauer" durchbrochen — die der Kurzfristigkeit von bürgerlichen Planungsversuchen. Zweifellos spielte der in der BRD und Westberlin um 1960 auftretende Mangel an höherqualifizierten Arbeitskräften eine Rolle im Rahmen der Entwicklung der Bildungsreform und der öffentlichen Kleinkinderziehung; dies hatte jedoch für die Vermehrung derselben nicht mehr als Initialfunktion. Die büdungspolitische Aufgabe vorschulischer Erziehung wird dagegen deutlich an der doppelten, widersprüchlichen pädagogischen Zielsetzung: Chancengleichheit und Auslese. Offensichtlich wird dies am Beispiel der Zuordnung der Vorklassen 50

(bzw. Vorschulgruppen): Während sich beinahe alle Pädagogen einig sind, daß das Ziel der Breitenförderung im Sinne von Chancengleichheit in den Vorschulgruppen der Kindertagesstätten derzeit erheblich besser erreicht werden kann als in Vorklassen, die den Grundschulen angeschlossen sind, plädiert der Großteil der (Bildungs-)Politiker für die Vorklasse, in der eine bessere Vermittlung schulischer Verhaltensweisen und gezieltere Vorbereitung auf schulische Leistungsnormen erfolgen kann (vgl. Deutsches Jugendinstitut 1973). In den im Juni 1975 veröffentlichten Gutachten des Deutschen Bildungsrates zur Eingangsstufe des Primarbereiches ist nur ein kurzer Absatz der Kooperation zwischen Elementarbereich und Schule gewidmet. Der Beriebt '75 des Deutschen Bildungsrates, der sich insbesondere mit Übergangsproblemen befaßt, weist auf die allgemeine Anforderungsstruktur der Schule hin. Als Hauptproblem des Übergangs vom Elementar- in den Primarbereich werden mangelnde Schulreife, NichtVersetzung am Ende der ersten Klasse sowie die damit oft verbundene Einweisung in die „Sonderschule" genannt: „Die Probleme des Übergangs vom Kindergarten in die Grundschule zeigen sich am augenfälligsten darin, daß Kinder wegen mangelnder Schulreife vom Schulbesuch zurückgestellt werden", (ebd., 53) Und: „Nach keiner anderen Klasse der Grundschule ist die Zahl der „Sitzenbleiber" größer als nach der 1. Klasse." Dies erhärtet noch die These, daß die qualitative Entwicklung der öffentlichen Kleinkinderziehung vor allem unter dem Aspekt zu sehen ist, den Anteü der Schulversager zu reduzieren und damit die personell und materiell sehr angespannte Grundschulsituation zu entschärfen. Die öffentliche Kleinkinderziehung ist somit in ihrer inhaltlichen Zielsetzung auf die nachfolgende gesellschaftliche Bildungsinstanz — die Grundschule — orientiert. Eine qualitative Verbesserung der Kleinkinderziehung hat also indirekt auch eine Veränderung der Schulsituation zur Folge. Welche der unterschiedlichen Zielsetzungen — „Chancengleichheit" oder „Auslese" — damit zuvörderst erreicht wird, kann jetzt noch nicht beantwortet werden; klar zu sein scheint jedoch, daß ohne eine strukturelle Veränderung auch des Schulbereiches eine generelle Verbesserung der Situation bisher benachteiligter Kinder — besonders aus Arbeiterfamilien — nicht erfolgen kann. Bis dahin bringt die qualitative Veränderung der Kleinkinderziehung im weiteren Verlauf des Bildungssystems keine entscheidende Verbesserung, sondern bleibt zunächst auf eine Verminderung der Konflikte im Bereich der Grundschule beschränkt. Zimmer weist darauf hin, daß angesichts der derzeitigen „Patt-Situation", in der sich Vertreter der „Kindergarten-Lösung" und der „SchulLösung" befinden, keine einheitliche Klärung der Grenzregelung zwi51

sehen Elementar- und Primarbereich zu erwarten sei: „Die Tendenz geht dahin, daß jeweilige Bundesländer zu unterschiedlichen Entscheidungen kommen werden." ( b e t r i f f t : erziehung 1/1976) Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die unterschiedlichen bildungspolitischen Vorstellungen der drei Regierungsparteien dabei ausschlaggebend sein. Hinsichtlich der Qualifizierung der Kinder für die Schule gelten somit für die Vorklasse (bzw. Vorschulgruppe in der Kindertagesstätte) — d. h. die Erziehung der Fünfjährigen — und den Elementarbereich — Drei- bis Vierjährige — sowohl hinsichtlich der pädagogischen Inhalte als auch der bildungspolitischen Reformbestrebungen zwar ähnliche Faktoren, aber mit unterschiedlicher Gewichtung. Durch die, für die Westberliner Situation charakteristische Einbeziehung von Krippe und Hort in die Kindertagesstätte ergibt sich eine weitere Differenzierung. Abschließend kann festgestellt werden, daß die Veränderung der Qualifikationsanforderungen der Produktion wohl als eine der Ursachen der Erweiterung der öffentlichen Kleinkinderziehung genannt werden kann, die alleinige Ausrichtung auf berufliche Qualifikationen aber dem spezifischen Charakter dieses Bereiches nicht entspricht. Im Vordergrund stehen hier vielmehr die qualifikatorische Vorbereitung auf die Schule und damit die Sozialisationsfunktion der öffentlichen Kleinkinderziehung (vgl. Bamme/Halling 1976).

h.

Zusammenfassung

Die Entwicklung der öffentlichen Kleinkinderziehung steht in einem engen Zusammenhang mit der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklung. Entsprechend dem Klassencharakter der kapitalistischen Gesellschaft ist dieser Bereich von Anfang an durch eine zweifache, widersprüchliche Zielsetzung gekennzeichnet: Aufbewahrung; Erziehung und Förderung. Die Ursachen der seit etwa 1968 in der BRD und Westberlin stattgefundenen quantitativen Erweiterung der öffentlichen Kleinkinderziehung sind daher auch an der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung festzumachen. Sie beziehen sich hauptsächlich auf zwei wesentliche Elemente der Gesellschaft — zum einen auf die Situation und Stellung der Frau, zum anderen auf außerfamiliale Bildungs- bzw. Produktionsinteressen. Als Hauptursache der bisher weitgehend nur zahlenmäßigen Platzerhöhung in Einrichtungen der öffentlichen Kleinkinderziehung ist die notwendig zunehmende Frauen- bzw. Müttererwerbstätigkeit zu nennen. Erwerbsorientierte Frauen bzw. Mütter sind ein wesentlicher Be52

standteil der für das gesamtgesellschaftliche System charakteristischen industriellen Reservearmee. Damit ist die eine Funktion der öffentlichen Kleinkinderziehung — die Aufbewahrung der Kinder — angesprochen. Im Zusammenhang mit dieser ökonomisch bedingten Hauptursache steht die sinkende Geburtenrate, gegen die staatlicherseits Maßnahmen, in diesem Fall die Schaffung von Betreuungskapazitäten, gesetzt werden. Viele Familien können sich Kinder einfach nicht mehr „leisten". Durch die wachsende Einbeziehung der Frauen in den Produktionsprozeß erweist sich auch eine zunehmende Berücksichtigung ideologischer Gesichtspunkte, welche ausdrücklich die Frau (und Mutter) betreffen, als wichtig. Diese politische Legitimation wird unter anderem deutlich an einer verstärkt frauenspezifischen Wahlagitation durch die politischen Parteien. Mit der zunehmend deutlich werdenden Funktionsänderung der Familie erhöhen sich auch die „Ausfälle", die aufgrund unzureichend gelungener Sozialisierung entstehen. Die dadurch zu erbringenden sozialen Folgekosten können teilweise durch eine rechtzeitige Erfassung der Kinder in öffentlichen Erziehungseinrichtungen verringert werden. Offensichtlich ist jedoch die Tatsache, daß, einmal abgesehen von oft familial bedingter Delinquenz, die Familie insgesamt die gesellschaftlich notwendigen Sozialisationsleistungen nur teilweise erbringen kann. Defizitäre Erziehung in der Familie reicht zwar noch aus, um bestimmte systemkonforme Verkehrsformen, Normen und Werte zu vermitteln, nicht jedoch, um eine adäquate Vorbereitung der Kinder auf die Schule zu garantieren. Die Entwicklung der öffentlichen Kleinkinderziehung ist durch einen gleichsam doppelten Qualifikationsfaktor beeinflußt: Zum einen die Vermittlung von Qualifikationen für die Schule, zum anderen die ansatzweise Schaffung von Grundelementen in späterer Berufstätigkeit erheischter Mobilitäts- und Motivationsqualifikationen. Anforderungen hinsichtlich Schul- und Pröduktionsqualifikationen sind daher als weitere Nebenursachen der Vermehrung der öffentlichen Kleinkinderziehung zu nennen. Während im Zusammenhang mit der Hauptursache — Frauenerwerbstätigkeit — rein ökonomisch bedingte Bewahraufgaben im Vordergrund stehen, sind die Nebenursachen der Erweiterung der öffentlichen Kleinkinderziehung — Geburtenanreiz, Funktionsänderung der Familie und unzureichende Familienerziehung, Einsparung sozialer Folgekosten, politische Legitimation und Vermittlung von Schul- und Produktionsqualifikationen mehr oder minder durch eine ideologische Ausrichtung geprägt, wobei hier auch die Erziehungs- und Förderungsaufgaben der öffentlichen Kleinkinderziehung stärker Berücksichtigung finden. Die zunehmende Vergesellschaftung der Kleinkinderziehung stellt 53

insofern eine Vorwärtsentwicklung dar, als die bisher durch „Laien" betriebene private (Familien-)Erziehung in wesentlichen Bereichen durch eine öffentliche, professionelle Erziehung ersetzt werden soll, die als Teil des Bildungswesens über einen eigenständigen Erziehungs- und Bildungsauftrag verfügt. Vermehrung des Platzangebotes, Professionalisierung der Erzieher und insgesamt entscheidende qualitative Verbesserung der materiellen Situation sind im Rahmen der Vergesellschaftung der Kleinkinderziehung, die in ihren Ansätzen auch einem pädagogischen Anliegen geschuldet ist, allerdings untrennbar miteinander verbunden, soll dieses Anliegen auch erreicht werden. Inwiefern die anstehenden Bestrebungen einer Ökonomisierung der öffentlichen Kleinkinderziehung einen „Implementationsdruck" ausüben werden, ist ungewiß: Denn die erhoffte „bildungspolitische Breitenwirkung in Form struktureller Verbesserungen" und der Professionalisierung der Erzieher, die schließlich einer Weiterverbreitung „neuer pädagogischer Inhalte" den Weg ebnen sollen, hängt nicht zuletzt von den politisch begründeten und zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln ab (vgl. betrifft: erziehung 1/1976). Die Durchsetzung von objektiven Notwendigkeiten der Kleinkinderziehung durch die verantwortlichen Politiker ist aber keine losgelöste Staats- oder Personalfunktion, sondern steht in direkter Beziehung zu der Stärke der Forderungen jener, die von den Erziehungsverhältnissen direkt betroffen sind. Darin ist auch die Möglichkeit angelegt, die bisher durchgeführte quantitative Entwicklung der öffentlichen Kleinkinderziehung durch qualitative Elemente entscheidend voranzutreiben. Direkt betroffen von den Erziehungsverhältnissen sind Erzieher, Eltern und Kinder. In diesem Zusammenhang ist nochmals mit Nachdruck auf die Notwendigkeit einer gegenseitigen Unterstützung von Erziehern und Eltern sowie einer selbstbestimmten, an kollektiver Autonomie orientierten Erziehung der Kinder hinzuweisen. Im weiteren soll das Schwergewicht der Diskussion die Person des Erziehers berücksichtigen. Zum ersten ist der Erzieher nicht zuletzt aufgrund seiner Multiplikatorenfunktion das entscheidende Element jeder Erziehung; zum zweiten ist er professionell in einer wichtigen gesellschaftlichen Erziehungseinrichtung tätig; zum dritten wurde er bisher in wissenschaftlichen Untersuchungen weitgehend vernachlässigt. Wenn hier versucht werden soll, diese Lücke zu schließen, so muß klargestellt werden, daß die Zielsetzung, den Erzieher gleichsam als Verhaltensträger einzuordnen und eine Verbesserung der Erziehungssituation eben dann von einer reinen Verhaltensänderung abhängig zu sehen eindeutig falsch ist. Vielmehr wird in diesem Kontext unter einer notwendigen „Professionalisierung" der Erzieher jener Prozeß verstanden, in welchem die 54

Erzieher selbst, in Zusammenarbeit mit anderen gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen, die Inhalte und Bedingungen der Erziehungsarbeit innerhalb der Praxis verbessern (vgl. Schräder 1975 und Keller 1977). Unter dieser Orientierung sind auch die weiteren Ausführungen zu sehen.

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II. Zur Situation der Erzieher in öffentlichen Kindertagesstätten

Betrachtet man die Ergebnisse sozialwissenschaftlicher Forschung zur Situation öffentlicher Kindertagesstätten, so ist folgendes festzustellen: 1. Die Zahl der Veröffentlichungen ist relativ gering. 2. Die Situation des Erziehers bleibt weitgehend unberücksichtigt — im Vordergrund steht „das Kind". 3. Bei jenen Untersuchungen, die vorwiegend den Erzieher betreffen, stehen Einstellungen und Sprachverhalten im Vordergrund der Interessen. 4. Die materiellen Bedingungen am Arbeitsplatz sowie die strukturellen Faktoren der Arbeit in der Kindertagesstätte werden kaum berücksichtigt. 5. Die behandelten Teilbereiche stehen zumeist beziehungslos nebeneinander oder es fehlt der Zusammenhang zur konkreten Situation in der Tagesstätte. Um die Situation von Erziehern in Kindertagesstätten hinreichend zu erfassen ist es aber notwendig, jene Faktoren zu berücksichtigen, die, von der sozialen Herkunft über Schul- und Ausbildung bis zu den Rechts- und Kompetenzstrukturen reichend, ein Geflecht sozialer, politischer, kultureller und ökonomischer Bedingungen bilden, die in ihrer Gesamtheit und wechselseitigen Abhängigkeit die Tätigkeit des Erziehers bestimmen. Im folgenden wird versucht, die dafür relevanten Kategorien theoretisch abzuleiten und zu gewichten, um daraus ein Schema zu entwickeln, das als Instrumentarium zur Analyse der Lebens- und Arbeitssituation von Erziehern dienen soll. Dieses Kategorienschema ist im weiteren Grundlage für die Realanalyse, welche die Ergebnisse einer Reihe zum Teil unveröffentlichter Untersuchungen in der BRD und Westberlin zusammenfaßt und zugänglich macht. Das Resultat dieser Zusammenfassung kann als Beschreibung der typischen Situation in öffentlichen Kindertagesstätten bezeichnet werden. 56

1. Faktoren der Lebens- und Arbeitssituation

Die wenigen Forschungsarbeiten, die sich mit den Erziehern im Bereich der Kleinkinderziehung beschäftigen, zeichnen sich meist durch eine starke Unstrukturiertheit der ausgewählten Faktoren bzw. durch das weitgehende Fehlen eines abgeleiteten und gewichteten Faktorenschemas aus. Demgegenüber liegen zur Funktion und Rolle des Lehrers und zur Frage der Einstellung und des Verhaltens von Lehrern eine Reihe von Untersuchungen vor. 9 Im besonderen ist hier der Ansatz von Schmidt zu nennen, die ausdrücklich die objektiven Faktoren, die das Arbeitsfeld prägen und deren Auswirkungen auf den Handlungsspielraum der dort Tätigen in den Vordergrund stellt (Schmidt 1973, vgl. auch Döring 1973, 1974). Dieser „arbeitsbezogene" Ansatz soll hier für die Tätigkeit des Erziehers weiter entwickelt werden. Darüber hinaus scheint aber gerade für die Arbeit im Erziehungs- und Bildungsbereich ein Merkmal wichtig zu sein — jenes der überaus engen Beziehung zur gesellschaftlichen Ideologie-Bildung. Erzieher sind nicht nur, wie alle anderen Mitglieder der Gesellschaft, den jeweils „herrschenden Gedanken" ausgesetzt und von diesen weitgehend beeinflußt, sie sind geradezu „Mitproduzenten" dieser Ideologie — als „Professionals" für die Identifikation des Nachwuchses mit den herrschenden Normen besonders disponiert: „Als Kopfarbeiter, die von der unmittelbaren gesellschaftlichen Produktion getrennt, ihre Erziehungsarbeit betreiben, sind sie dazu prädestiniert, Ideologien zu produzieren bzw. bestehende Ideologien.. . dem Nachwuchs der verschiedenen gesellschaftlichen Klassen und Schichten zu vermitteln." (Altvater/Huisken 1971, 411) Dieses doppelte Verhaftetsein mit der Ideologie hat aber auch entscheidende Auswirkungen auf das Bewußtsein dieser „Kopfarbeiter" und äußert sich entsprechend in Einstellung und Verhalten von Erziehern und Lehrern — dies o f t in Form sehr disparater Ziele und Inhalte. Insofern ist im besonderen dem Aspekt der allgemeinen, gesellschaftlich bedingten, wie auch konkreten, auf die spezifische Tätigkeit bezogenen, Ideologisierung der Erzieherarbeit Rechnung zu tragen. Ausgehend von diesen drei Kriterien Arbeitsbezogenheit, Handlungsrelevanz und Berücksichtigung der Ideologieanfälligkeit wird ein Untersuchungsansatz verfolgt, der sich an soziologische Studien zur Lebensund Arbeitssituation von produktiven Arbeitern anlehnt; diese Analysen weisen eine starke Orientierung auf den Arbeitsbereich auf, ohne allgemeine strukturbestimmende gesellschaftliche Aspekte zu vernachlässi-

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a. Allgemeine

Faktoren

Unter „Gesellschaft" wird im weiteren die Gesamtheit aller praktischen Verhältnisse verstanden, welche die Menschen auf einer bestimmten historischen Entwicklungsstufe eingehen; zu diesen „Verhältnissen" zählen zweifellos auch die Produktionsverhältnisse. Damit beeinflussen diese Verhältnisse alle Mitglieder der Gesellschaft, die Verkehrsformen zwischen den Menschen, die Beziehungen zwischen Menschen und Gegenständen (Dingen), die Eigentums- und Verteilungsverhältnisse, die politische und soziale Ordnung, das System der geistigen Werte u.a.m. Diese allgemeinen Faktoren wirken besonders tiefgreifend, indem sie sich in der einen oder anderen Form in der Gesamtheit der Lebensumstände niederschlagen, mit denen der Mensch in Berührung kommt. Sie wirken im täglichen Leben „mittelbar" — ihr Wirken läßt sich aber nur aufgrund ihrer Gesamtheit und ihrer allgemeinen Zielrichtung im Verlauf eines mehr oder weniger längeren Zeitabschnitts beurteilen. Die gesellschaftlichen Verhältnisse, die rechtlichen, politischen und ideologischen Organisationsformen des Arbeits- und Reproduktionsbereiches bilden den „allgemeinen" Rahmen der Untersuchung. Damit ist aber auch jener Ausgangspunkt benannt, der notwendig ist, damit die Untersuchung nicht dem Fehler der Voraussetzungslosigkeit verfällt (vgl. Deppe 1971, 132). Unter „Bewußtsein" wird ausdrücklich kein ideelles Konstrukt verstanden, das sich losgelöst von der Wirklichkeit des Lebens und unabhängig von gesellschaftlichen (= sozialen) Bezügen jeweils im Kopf des einzelnen Menschen entwickelt. Grundlage des „Bewußtseins" ist vielmehr «das Wissen um die objektive Welt, das Wissen des Menschen von sich und seinem Handeln, das Wissen von der eigenen psychischen Tätigkeit (siehe Klaus/Buhr 1972). Dieses Bewußtsein ist allerdings kein getreues Spiegelbild der Realität; es umfaßt das komplexe und widersprüchliche Verhältnis der Einstellungen und der Informationen, des Denkens und des Handelns der arbeitenden Menschen gegenüber seinen tatsächlichen Existenzbedingungen. „Die menschliche Psyche ist nicht einfach das Resultat der menschlichen Lebensbedingungen, sondern zugleich ein Faktor, der bei der Veränderung (oder auch Erhaltung, K. B.) dieser Verhältnisse mitwirkt." (Suchodolski 1972, 85) D.h.: Bewußtsein kann nicht von der objektiven gesellschaftlichen Lage der Menschen abstrahieren, welche durch die Strukturen des gesellschaftlichen Produktionsund Reproduktionsprozesses bestimmt ist. Insofern es gesellschaftliche Verhältnisse gibt, die die Basis darstellen und „allgemein" wirken, gibt es auch „gesellschaftliches" Bewußtsein — die ideologischen Verhältnisse, der ideologische Überbau. Der Zusammenhang m i t dem individuellen 58

Bewußtsein wird klar, wenn man sich vor Augen hält, daß dieses, neben besonderen, der spezifischen Lebenssituation geschuldeten Zügen, Gemeinsamkeiten aufweist, die es mit dem Bewußtsein anderer Individuen verbindet. Ähnliche Lebensumstände haben somit in der Regel auch ähnliches Bewußtsein zur Folge. Bewußtsein ist daher stets zunächst Lage- und Interessenbewußtsein. Auf den Begriff gebracht: Bewußtsein ist überhaupt nur in seiner Beziehung zur gesellschaftlichen Wirklichkeit adäquat zu erfassen. Die Voraussetzungen, an denen anzusetzen ist, sind wirklich gegeben: „Es sind die wirklichen Individuen, ihre Aktion und ihre materiellen Lebensbedingungen, sowohl die vorgefundenen wie die durch ihre eigene Aktion erzeugten." (MEW 3,20) Es ist somit auszugehen vom wirklichen Lebensprozeß der Menschen, von den „wirklichen lebendigen Individuen selbst". Abschließend ist zu diesem ersten Bereich der „allgemeinen" Faktoren festzuhalten, daß sie größtenteils außerhalb der unmittelbaren Reichweite empirischer Detailuntersuchungen liegen. In ihrer Wesensbestimmtheit reichen sie jedoch weit in den jeweiligen Bereich gesellschaftlicher Tätigkeit bis hin zum unmittelbaren Arbeitsplatz. b. Spezifische

Faktoren

Da die Bewußtseinsstruktur eines Menschen auf das engste mit der Struktur seiner Tätigkeit verbunden ist, gilt es, jene Tätigkeit zu bestimmen, die die entscheidende, für den Menschen als Gattungswesen typische ist. Dies ist die Arbeit — als solche zunächst „ein Prozeß zwischen Mensch und Natur" —; durch sie tritt der Mensch in Beziehung zu anderen Menschen: „Im planmäßigen Zusammenwirken mit anderen streift der Arbeiter seine individuellen Schranken ab und entwickelt sein Gattungsvermögen." (MEW 23, 192) Der „Schlüssel zum Verständnis" der gesamten Sozialstruktur ist die aus der Produktionsweise hervorgehende Gliederung der Sozietät. Entscheidend sind also die durch den Menschen geschaffenen Verhältnisse — die Art und Weise des Erwerbs, die Schaffung des materiellen Lebens und die dabei entstehenden sozialen Verhältnisse. „Die Arbeit ist die Grundlage der menschlichen Existenz, der Angelpunkt der menschlichen Geschichte". (Jadow u. a. 1971, 30) Die Arbeit ist neben ihrer Funktion als Quelle gesellschaftlichen Reichtums, also letztlich Existenzmittel, auch menschliches Bedürfnis. Dieses Bedürfnis wird über vielfältige materielle und geistige Bedürfnisse vermittelt; über den Charakter der Arbeit als entfremdete Tätigkeit kann allerdings dieses Bedürfnis ausgetrocknet 59

werden und verkehrt sich, orientiert an der abstrakten Lohnform, in ein „instrumentalisiertes" — ebenso entfremdetes — d. h. dem Wesen der menschlichen Arbeit fremdes Bedürfnis. Arbeit umfaßt zum Dritten aber auch eine persönlichkeitsbildende Funktion. Hierzu Volpert: „Beim entwickelten Handlungssystem der Persönlichkeit ist ein zentraler Tätigkeitsbereich auszugrenzen, welcher gegenüber allen anderen (peripheren) Bereichen grundsätzlich strukturbestimmend ist: Dies ist der Bereich des Arbeitshandelns, der Arbeitstätigkeit.u (Volpert 1975, 141) Da im Arbeitsprozeß die Art der Beziehungen zwischen Menschen (bzw. zwischen Menschen und Dingen) die entscheidende Rolle spielt, treten die „realen Persönlichkeiten" in den Vordergrund — die „lebendigen Personen". „Die Produktionsverhältnisse konstituieren keinen abgeschlossenen Bereich des gesellschaftlichen Lebens, demgegenüber die Individuen als stumme und passive Träger irgendwelcher Beziehungen fungieren". (Hahn 1968, 85) Die Produktionsverhältnisse sind in diesem Sinne die Verhältnisse der Individuen, ihr wechselseitiges Verhalten. Es ist eben das persönliche, individuelle Verhalten der Individuen, ihr Verhalten als Individuen zueinander, das die bestehenden Verhältnisse schuf und täglich neu schafft (vgl. MEW 3, 423). Diese Ausführungen zur generellen Einschätzung der Produktionsbzw. Arbeitssphäre als entscheidenden Bereich menschlichen Handelns sind auf den jeweiligen spezifischen Bereich der Arbeitstätigkeit auszurichten. Nach den bereits beschriebenen „allgemeinen" Faktoren sind dies nun „spezifische" Faktoren: kennzeichnend für den Charakter und Inhalt der betreffenden Tätigkeit, die Arbeitsbedingungen und die -Organisation. Die Arbeitstätigkeit wird jedoch nicht nur von den konkreten Bedingungen am Arbeitsplatz und im Betrieb (bzw. der Einrichtung) beeinflußt; die „spezifischen" Faktoren reichen über den Ort der Arbeit hinaus und berühren andere gesellschaftliche Bereiche, wie etwa die Familie und das System der Erziehung und (Aus-)Bildung. Jene Faktoren, die den Betrieb (die Einrichtung) betreffen, werden daher im weiteren als direkt spezifische, jene, die vornehmlich Bereiche außerhalb der Arbeit betreffen, als indirekt spezifische eingeordnet. Direkte Faktoren: Unter dem „Arbeitsinhalt" wird die Gesamtheit der sozialen Beziehungen verstanden, welche die spezifische Tätigkeit des Erziehers umfaßt. Obwohl Gegenstandsbeziehungen eine wichtige Rolle im Rahmen des Erziehungsprozesses spielen, sind diese stets in das soziale Feld eingebettet; d. h. daß stärker als bei anderen Tätigkeiten das Moment der sozialen Interaktion in den Vordergrund rückt. Das soziale Verhalten kann aber nicht losgelöst vom Arbeitsvollzug als individuelle

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Verhaltensausformung behandelt werden, sondern ist auf jene sozialen Bezüge ausgerichtet, die durch den Arbeitsvollzug selbst herbeigeführt werden. Folgende Fragen ergeben sich u. a. aus diesen Überlegungen: Inwieweit wird der Arbeitsinhalt durch die Arbeit anderer Personen determiniert und inwieweit beeinflußt die eigene Arbeit die Arbeiten anderer? Welche Möglichkeiten der direkten und indirekten Hilfeleistung und Zusammenarbeit bestehen zwischen den verschiedenen Arbeitsvollzügen? Welche Möglichkeiten und Notwendigkeit besteht hinsichtlich des Austausches von Informationen zwischen den Arbeitenden? Alle diese Fragen betreffen Aspekte, die sich im konkreten Arbeitsvollzug realisieren. Die raum-zeitliche Fassung der Arbeitsinhalte ist durch den Tagesablauf gegeben; an ihm sind klar Folge und Abhängigkeit der verschiedenen Abläufe, Situationen und Phasen abzulesen. Die Arbeitsinhalte vollziehen sich in unterschiedlichen sozialen Bezugsgruppen. Entsprechend dem vorliegenden Untersuchungsfeld Kindertagesstätte sind hier drei primäre Gruppen anzuführen, mit denen der Erzieher in der jeweiligen Einrichtung in einem Interaktionsverhältnis steht: Kinder, Eltern, Erzieher (Kollegen). Um auch die Beziehung zu Personen, Gruppen und Institutionen zu erfassen, die sich außerhalb der spezifischen Einrichtung befinden, ist als vierter Faktor jener der Außenkontakte hinzuzufügen. Die Arbeitsinhalte werden durch von außen gesetzte Arbeitsbedingungen bestimmt; diese Bedingungen sind Ergebnis ökonomischer, rechtlicher, politischer und ideologischer Verhältnisse. So sind die räumlich-materiellen Gegebenheiten einerseits Vergegenständlichung gesellschaftlicher Prioritäten im Sinne finanzieller Verteilungsverhältnisse; dies läßt Schlüsse auf die Umverteilungsstrategie gesellschaftlichen Reichtums zu. Andererseits kehren sich die materiellen „Äußerlichkeiten" als handfeste, inhaltliche Schranke nach innen. Sie wirken so gleichsam als Transformator der „herrschenden" politischen und ideologischen Zielsetzungen auf den Mikrobereich der jeweiligen Einrichtung. Ein weiterer wesentlicher Faktor ist das Arbeitsrecht — die „rechtliche Kodifizierung" bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse. Als Ausdruck einer Hierarchie von Über- und Unterordnung erfüllt es die Funktion des rechtlichen Überbaus materieller gesellschaftlicher Verhältnisse und definiert darüber hinaus konkret den Dispositionsspielraum der von ihm Betroffenen. Die Kategorie Arbeitslohn umfaßt mehrere Aspekte. Zum einen liegt in der Individualform des Lohnes schlechthin bereits die Isolierung der gleichermaßen für diesen Lohn Arbeitenden begründet. 11 Zum anderen steht nicht der Nutzwert der Arbeit, sondern die abstrakte Verding61

lichung in verschiedene Quanta Geldes im Mittelpunkt — Existenz und gesellschaftliche Anerkennung der geleisteten Arbeit machen sich an der individuellen Lohnhöhe fest, das Arbeitsprodukt rückt weitgehend aus dem Blickfeld. Werden für gleiche oder ähnliche Tätigkeiten unterschiedliche Löhne gezahlt, erfährt diese Situation eine weitere Verschärfung. Unterschiedliche Entlohnungsformen — Lohn und Gehalt — ändern zwar nichts an der objektiv vorhandenen grundsätzlichen Abhängigkeit, sind aber zweifellos Ausdruck gesellschaftlich unterschiedlichen Prestiges, was sich z. B. konkret in einer Reihe — wenn auch geringer — finanzieller und sozialer Vergünstigungen für „Angestellte" niederschlägt. So bilden Art, absolute Höhe und relative Unterschiede der Entlohnung wichtige Momente im Rahmen der Arbeitsbedingungen. Der Platz in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit ist neben den gesellschaftlichen Eigentums- und Verteilungsverhältnissen ein wesentliches soziales Bestimmungsmerkmal. Der auf innerbetrieblicher Ebene diesem Aspekt entsprechende Faktor ist die Arbeitsorganisation. Hier realisiert sich letztendlich die „hierarchische Befehlspyramide", das System der Arbeitsteilung, welches sich in einer scheinbar inhaltlich begründeten vertikalen Anweisungsstruktur darstellt und damit bereits einen entscheidenden Trennkeil zwischen die Arbeitenden treibt. Dabei ist in besonderer Weise den unterschiedlich arbeitsorganisatorischen Aspekten Rechnung zu tragen, durch welche die verschiedenen Mitarbeitergruppen in der Einrichtung in ebenso unterschiedlicher Stärke und qualitativer Ausprägung betroffen sind. Der Faktor der berufsbegleitenden Qualifikationsaneignung, der Fort- und Weiterbildung, gehört wohl wesensmäßig zum Bereich der Qualifikation. Aus analytischen Gründen wird letztere dem Bereich vor der Arbeit zugerechnet. Fort- und Weiterbildung erfolgt aber weitgehend zeitlich parallel zur Berufstätigkeit. Für die Zuordnung zu den Arbeitsbedingungen spricht nicht zuletzt auch die Tatsache, daß die Möglichkeit der Information über und auch Teilnahme an Veranstaltungen dieser Art in erster Linie von den organisatorischen Bedingungen am Arbeitsplatz und erst in zweiter Linie vom individuellen Bedürfnis der Erzieher abhängt. Insofern ist der Faktor Fort- und Weiterbildung schwerpunktmäßig dem Bereich der Arbeitsbedingungen, also den direkten Faktoren zuzuordnen. Indirekte Faktoren: Arbeitsinhalt sowie die Arbeitsbedingungsfaktoren Arbeitszeit und -lohn sind gleichsam die „konkrete Vermittlung" zwischen betrieblicher Arbeits- und außerbetrieblicher Nichtarbeitssphäre: „Die im geschichtlichen Produktionsprozeß wurzelnden Differenzen erweisen sich zugleich als solche der Reproduktion: Der Arbeitsinhalt, insbesondere die Arbeitsbelastung, verlangt die physisch-psy62

chische Wiederherstellung der verausgabten Arbeitskraft in der außerbetrieblichen Zeit." Der Lohn bestimmt in entscheidendem Maße die Summe jener „Lebensmittel", die „das arbeitende Individuum als arbeitendes Individuum in seinem normalen Lebenszustand erhalten. Die Relation Arbeitszeit — Nichtarbeitszeit schließlich erweist sich als der objektive zeitliche Spielraum, innerhalb dessen die gesellschaftliche wie individuelle Produktion und Reproduktion stattfindet." (Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen, 1973, 4) Damit ist jener Bereich genannt, der außerhalb der Arbeit liegt und welchem die indirekt spezifischen Faktoren entsprechen. Hier ist eine weitere Differenzierung in jene Faktoren notwendig, die zwar indirekt die Arbeitssituation beeinflussen, zeitlich aber vor der jeweiligen Berufstätigkeit liegen — also Vorbedingungen und jene, die parallel zur Arbeitstätigkeit die Reproduktionssphäre bestimmen und somit überhaupt die Möglichkeit der Entäußerung der Arbeitskraft schaffen, behindern oder aber auch unterbinden — die Lebensbedingungen. Vorbedingungen: Angesichts der Bedeutung der Primärsozialisation und auch der Funktion der familialen Erziehung in der sekundären Sozialisationsphase kommt dem Faktor der sozialen Herkunft eine wichtige Rolle zu — dies im besonderen aufgrund klassen- bzw. schichtenspezifischer Erfahrungen und damit verbundener Interessen, Normen und Werte, aber auch Problemlösungsstrategien, die gesellschaftlich unterschiedlich gratifiziert bzw. sanktioniert werden. Ergebnisse der Sozialisationsforschung zeigen sowohl schichtspezifisch höchst unterschiedliche Auswirkungen der familialen Sozialisation als auch tendenziell ähnliche, wenn auch verschieden stark akzentuierte Ausprägungen. Setzen sich allgemeine gesellschaftliche Bedingungen in der Sozialisation eines jeden Kindes durch, so kann doch festgestellt werden, daß z. B. in Familien mittlerer gesellschaftlicher Position eher individualisierte Normen und Werte vertreten werden, während in Arbeiterfamilien, vor allem aufgrund ökonomischer Faktoren, sich zumindest Keimformen kollektiver Dispositionen entwickeln. Treffen nun in der Kindertagesstätte bei Erziehern und betreuten Kindern unterschiedliche Erfahrungen und damit auch unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen aufeinander, so hat dies zweifellos relevante Konsequenzen für die Erzieherarbeit und die Erziehung der Kinder. Aufgrund von gesellschaftlich bedingter geschlechtsspezifischer Sozialisation, sowie Lebens- und Berufserfahrungen ist hier auch das Geschlecht der Erzieher von wesentlicher Bedeutung — dies vor allem angesichts der Feminisierung der Erziehungsberufe. Ein weiterer, die Arbeit wesentlich beeinflussender Faktor ist der der Qualifikation — die Gesamtheit jener Fähigkeiten, die für die erfolgreiche 63

Abwicklung des Arbeitsprozesses notwendig ist. Dabei ist sowohl die Schulbildung als auch die berufliche Fachausbildung zu berücksichtigen. Im engeren Sinn sind in diesem Zusammenhang jene Qualifikationen gemeint, welche die fachspezifische Ausbildung der Erzieher betreffen. Neben den Erfahrungen in der Bildungs- und Ausbildungsphase sind aber auch jene Vorerfahrungen zu berücksichtigen, die während der Berufstätigkeit entweder in anderen Bereichen oder in anderen Einrichtungen des gleichen Bereiches gesammelt wurden. Es liegt auf der Hand, daß berufsspezifische Erfahrungen die konkrete Tätigkeit entscheidend mitbestimmen; dabei spielen neben der Art auch die Länge dieser Arbeitstätigkeit eine wichtige Rolle. Selbst wenn es sich bei den beruflichen Vorerfahrungen aber um ganz andere Tätigkeiten handelte, beeinflußt die Sphäre der Arbeit — zumindest partiell — doch in ähnlicher Weise den Menschen. Die Strukturen in der Arbeit unterscheiden sich im allgemeinen erheblich von jenen außerhalb dieser Sphäre — mit anderen Worten: Berufstätige verfügen über substantiell andere Erfahrungen als Nicht-Berufstätige. Dabei sind die Berufserfahrungen nicht von anderen Erfahrungen zu trennen, sondern fließen in diese ein und bestimmen sie auch im wesentlichen. Berufs- und Lebenserfahrung sind daher als dritter Faktor der Vorbedingungen zu nennen. Lebensbedingungen: Der Bereich der Lebensbedingungen umfaßt alle Bedingungen der unmittelbaren Reproduktion. Dabei spielt die Struktur des häuslichen (familialen) Sozialzusammenhanges — die Familienstruktur — eine wichtige Rolle; dies im besonderen, wenn man die Mehrfachbelastung der berufstätigen Frauen in Familie (Haushaltsführung, Erziehung, Partner) und Beruf bedenkt. Der materielle Rahmen dieser Beziehungen in der Familie ist im engeren Sinn die Wohnung — weiter gefaßt das Wohngebiet, die Nachbarschaft. Die Wohnverhältnisse bestimmen nachhaltig die Möglichkeiten der (Wieder-)Herstellung der Arbeitskraft und haben auch Einfluß auf die Art der familialen Arbeitsteilung und somit auch die häusliche Arbeitsbelastung der verschiedenen Famüienmitglieder. Nicht zuletzt vollzieht sich in vielen Erzieherfamilien auch der Prozeß der Aufzucht und Erziehung von Kindern, womit wiederum eine enge inhaltliche Beziehung zur Berufstätigkeit gegeben ist. All diese Faktoren stehen in starker Abhängigkeit vom Familieneinkommen. Aus den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln resultiert auch der jeweüige Lebensstandard und Konsum. Zu differenzieren ist zwischen den existentiell notwendigen Gütern einerseits und Gütern der erweiterten Reproduktion andererseits; entsprechen diese den historisch entwickelten gesellschaftlichen Bedürfnissen, stellen sie ebenso notwendige Reproduktionselemente dar und sind zu unterscheiden von 64

jenen Produkten, deren Kauf durch die manipulativen Mechanismen der Werbung im Sinne einer Ideologisierung der Freizeit initiiert wird. Die Zeit außerhalb der Arbeit ist jene, die nicht nur durch private — d. h. auf sich selbst und auf kleine freizeitliche peer-groups beschränkte — Aktivitäten gefüllt wird, sondern auch im allgemeinen der öffentlichen, gesellschaftlichen und organisierten — d. h. z. B. gewerkschaftlichen und parteipolitischen — Tätigkeit offensteht. Es ist notwendig, wenn auch äußerst schwierig, den „institutionalisierten Einfluß" von Ideologien zu erfassen. Soweit Aktivitäten (und nicht nur „Mitgliedschaften") vorhanden sind, können sie unter bestimmten Bedingungen, die es zu erfassen gälte, als handlungsrelevante Konkretisierung politischen Bewußtseins begriffen werden. Die politische Position spiegelt auch den konkreten Arbeitsinhalt wider, denn die gesellschaftlichen Aktivitäten sind selbst bereits Ausdruck von Erfahrungen, die in der Arbeit gemacht wurden und werden. Insofern spielt die politisch-soziale Dimension des Verhaltens sowohl im Arbeitszusammenhang als auch in der „Freizeit" eine wichtige Rolle. Einstellungen: Aus den materialisierten gesellschaftlichen Verhältnissen im allgemeinen und den Verhältnissen der Arbeit im besonderen sowie aus dem Stand des gesellschaftlichen Bewußtseins ergeben sich die gesellschaftlichen Normen und Werte, letztlich also auch die individuellen Einstellungen der Menschen. Einstellungen entstehen aus den gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen und können daher nur daraus abgeleitet und erklärt werden. Die drei Komponenten von Einstellungen, die kognitive, die affektive und die verhaltensrelevante stehen miteinander in enger wechselseitiger Beziehung und können nur in ihrer Gesamtheit erfaßt werden. Die Kernfrage in diesem Zusammenhang ist jene nach der Beziehung zwischen Einstellungen und konkretem, „manifestem" Verhalten. Aus Einstellungen allein kann nicht auf ein bestimmtes Verhalten geschlossen werden. Denn wie die Menschen sich verhalten wollen hängt im weiteren sehr eng mit den sozialen Normen zusammen — das, was getan werden soll—, den Gewohnheiten — dem, was man üblicherweise tut — und den Verstärkungserwartungen die an die soziale Umwelt gerichtet sind. All diese Faktoren entstehen und entwickeln sich in sozialen Prozessen: die soziale Interaktion ist entscheidend für alle Verhaltens- und auch Einstellungsprägungen. Für jede Veränderung von Einstellungen ist insbesondere das jeweilige situative Umfeld maßgebend. Werden Einstellungsänderungen nicht von Personen, die in diesem Umfeld agieren, unterstützt, wird in der Regel die (angestrebte) Einstellungsänderung wieder revidiert und schlägt sich nicht in einem veränderten Verhalten nieder. Wesentlich dabei ist die Bedeutsamkeit individueller aber auch 65

gesellschaftlicher Art, die der Einstellungsänderung beigemessen wird. Entscheidend ist in jedem Fall aber, daß Einstellungen erworben werden und damit auch im Rahmen sozialer Zusammenhänge verändert werden können. Einstellungen von Erziehern richten sich zunächst auf Gesichtspunkte allgemein weltanschaulicher Zusammenhänge. Konkret geprägt sind sie jedoch im wesentlichen durch die spezifische berufliche Tätigkeit — die Erziehungsarbeit in der Kindertagesstätte. Einstellungen zur Erziehungsarbeit äußern sich zum einen in Form einer bestimmten Berufsmotivation. Diese Berufsmotivation wird in der Regel durch die Praxis im Berufsfeld verändert. Nach einer ersten Phase der Desorientierung beim „Eintauchen" in die Praxis erfolgt eine relative Stabilisierung, die mit dem Begriff der Berufszufriedenheit erfaßt werden kann. Die Einstellung zum Beruf, hier die Erziehungsarbeit, bezieht sich vorrangig auf konkrete Sozialbeziehungen zu verschiedenen Gruppen. Zweifellos ist sie aber auch durch eine Reihe institutioneller Faktoren materieller und organisatorischer Art beeinflußt. Die bisher beschriebenen Elemente und Zusammenhänge sollen im folgenden in einem Faktorenschema zusammenfassend veranschaulicht werden. Es muß jedoch einschränkend erwähnt werden, daß dieses Schema weder die Komplexität sozialer Beziehungen zum Ausdruck zu bringen vermag, noch einen Anspruch auf Vollständigkeit hat. Es stellt vielmehr den Versuch dar, ein Raster gesellschaftlicher Kategorien zur Lage und Bewußtsein von (Erziehungs-) Arbeitern zu entwickeln.

2. Erzieher in Kindertagesstätten Grundlage der folgenden Ausführungen sind sieben in Westberlin durchgeführte Untersuchungen: 1 2 Zielsetzungen, Zielgruppen, Zeitpunkt der Untersuchung, Umfang, Schwerpunkt und methodisches Vorgehen sind dabei unterschiedlich. Keine der Arbeiten genügt ausreichend strengen methodisch-statistischen Prüfkriterien; damit sind diese Untersuchungen auch Spiegelbüd des Standes der Sozialforschung im Bereich der Kleinkinderziehung, die den Erzieher zum Mittelpunkt hat. Aber auch die in der BRD durchgeführten Analysen (Kietz, Strang, Barres, v. Derschau, Tausch u. a.) greifen nur Teilbereiche heraus und lassen entweder die Gesamtsituation in der Kindertagesstätte unberücksichtigt oder aber ziehen vorschnelle und damit falsche Schlüsse. 13 Gerade deshalb scheint es notwendig, die in der BRD und Westberlin durchgeführten Untersuchungen, die zum Teü bisher der Öffentlichkeit

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Wesentliche Faktoren zur Analyse der Situation des Erziehers ALLGEMEINE FAKTOREN Sozial ökonomisches System Produktionsverhältnisse allg. Charakter der Arbeit Politische Ordnung Stand des gesellschaftlichen Machtverhältnisse, System Bewußtseins der Entscheidungsfindung Rolle in der gesellschaftlichen Verhältnis zu den Organisation der Arbeit Produktionsmitteln Historisch-konkrete Funktion in einem regionalen Teilbereich SPEZIFISCHE FAKTOREN Direkte Faktoren

Indirekte Faktoren

Arbeitsbedingungen Räumliche-materielle Arbeitsorganisation Bedingungen System der Arbeitsrecht Arbeitsentlohnung Fort- und Weiterbildung

Vorbedingungen Soziale Herkunft Schul- und Alter/Geschlecht Berufsausbildung Berufs- und Lebenserfahrung -

Arbeitsinhalte Tagesablauf Erziehung in der Kindergruppe (Erzieherverhalten, Gruppenerziehung Erziehungsplanung) Elternarbeit

Kollegiale Zusammenarbeit (Kommunikation/ Hierarchie, Information, Arbeitsbesprechungen Außenkontakte/ Schule)

Lebensbedingungen Familienstruktur Wohnverhältnisse Einkommensverhältnisse Lebensstandard/Konsum Aktivitäten privat

gesellschaftlich

Einstellungen Einstellung zur Arbeit Weltanschauung in der Kita (Motivation, Berufszufriedenheit, Aufgabe, Ziele, Erfolge der Arbeit, „Teamarbeit", Elternarbeit)

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kaum zugänglich waren, unter einer einheitlichen Fragestellung und auf der Grundlage theoretisch abgeleiteter Kategorien auszuwerten um daraus ein Bild der Situation des Erziehers im allgemeinen und der typischen Situation in Kindertagesstätten zu gewinnen. Die Situation in Westberliner Kindertagesstätten findet durch Untersuchungen in der BRD in fast allen Punkten Bestätigung. Dies gilt insbesondere für die Bereiche: Soziale Herkunft der Erzieher, Berufsmotivation, Ausbildung, Berufszufriedenheit, Fortbildung, Arbeitsinhalt (Organisation—Tagesablauf), Erziehungsmaßnahmen und Erziehungsverhalten der Erzieher. Die Ergebnisse haben damit auch für die BRD — dies allerdings vor allem für urbane Ballungsräume — durchaus exemplarischen Charakter. Zusammengefaßt sollen jene wesentlichen Aspekte genannt werden, die in ihrer Gesamtheit auf eine typische, durchschnittliche Kindertagesstätte zutreffen.

a. Vorbedingungen

der Erzieher

Soziale Herkunft: Der Großteil der Erzieherinnen kommt aus mittleren Angestellten- und Beamtenfamilien. Erzieher aus Arbeiterfamilien sind stark unterrepräsentiert. So liegt der Anteü jener Erzieher, deren Väter Arbeiter waren, in Westberlin bei knapp 40 Prozent (der Anteil bei den männlichen Erwerbstätigen lag 1970 für Arbeiter bei ca. 50 %, für Angestellte bei ca. 30 %). Deutlich wird diese Struktur auch durch die Tatsache, daß etwa zwei Drittel der Mütter von Erziehern Hausfrauen waren und nur ein sehr geringer Prozentsatz (8 %) Arbeiterinnen. Diese Ergebnisse aus Westberlin werden durch die Untersuchung von Strang in der BRD bestätigt:

Beruf des Vaters Angestellte Beamte Arbeiter Selbständige

Schülerinnen in % 44,5 24,0 16,3 15,2

Erwerbsgruppen in der BRD in % (1964) 22,0 7,0 50,0 14,0

Ähnliche Resultate ergab auch die Untersuchung von Derschau, die sich auf die Angaben von über 7000 Schülern aus 90 Erzieherfachschulen (1971/72) stützt:

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Beruf des Vaters freie Berufe, leitende Angestellte, höhere Beamte, wohlhabende Geschäftsleute mittlere und untere Beamte, selbständige Gewerbetreibende und Handwerker, selbständige Kaufleute und Handwerker Arbeiter und unselbständige Handwerker An- und ungelernte Arbeiter Sonstige

Schüler in % 11,9 55,4 22,8

6,2 3,7

Auch hier ist eine Unterrepräsentation der Arbeiter zu erkennen, allerdings ist in den letzten Jahren der Schüleranteil aus Arbeiter- und (unteren bis mittleren) Angestelltenfamilien gestiegen. Hierzu die Stellungnahme eines Erziehers: „Die Erzieher mußten erkennen, daß die Kinder eine andere soziale Erfahrung gemacht haben, in die sich die Erzieher, die aus der Mittelschicht kommen, erst hineinversetzen müssen, um dem Kind durch Erziehung (Förderung) gerecht werden zu können".14 Schub und Ausbildung: Der verhältnismäßig hohe Anteil von Erziehern, die aus dem Mittelstand kommen, spiegelt sich auch bei den Schulabschlüssen wider: So hat in Westberlin etwa ein Drittel der Erzieher Volksschulabschluß, ca. die Hälfte mittlere Reife. Die Durchschnittswerte (für die BRD) lagen 1960 bei Volksschule (einschl. Realschule ohne Abschluß) Mitdere Reife Abitur

72,5 % 17,9% 9,5%

Bezüglich der beruflichen Ausbildung ist folgendes festzustellen: Zählt man Säuglings- und Kinderkrankenschwestern zumindest zum unzureichend ausgebildeten Personal, so sind von 10 Erziehern in Westberliner Kitas sechs fachlich ausgebildet, vier mangelhaft ausgebildet bzw. überhaupt nicht. Gravierend ist diese Situation vor allem in der Krippe: Nur jeder 4. Krippenerzieher ist fachlich ausgebildet. Die verschiedenen Ausbildungen unterscheiden sich erheblich voneinander — so hinsichtlich Dauer (1—3 Jahre), Träger (staatlich, kirchlich, privat etc.), Art (Vollzeit, Teilzeit, berufsbegleitend, Sonderkurse) und Ort. Diesem Ausbildungskonglomerat steht eine verhältnismäßig einheitliche, schlechte Einschätzung der Ausbildungsinhalte durch die Erzieher gegenüber: Nur etwa ein Fünftel der Erzieher beurteilt die Ausbildung als gut, knapp zwei Drittel ordnen sie als schlecht bzw. unzureichend ein. 69

Als besonderes Hindernis wird die mangelhafte Ausbildung in der Elternarbeit erfahren; als notwendige Voraussetzung für eine sinnvolle und effektive Elternarbeit müßten pädagogische, psychologische und soziologische Kenntnisse vorhanden sein. Eine typische Situation: „Das Motiv, warum in unserer Tagesstätte die Elternarbeit plötzlich zu Ende war, war nicht... ein Motiv des Willens. Engagement war durchaus noch vorhanden, jedoch sahen wir uns an einem Punkt angelangt, an dem wir kein Weiterkommen sahen . . . Eine nahezu ausweglose Lage, da die Erzieher im allgemeinen in ihrer Ausbildung so gut wie gar nichts über Elternarbeit erfahren haben." — „Einen großen Teil des Erzieher-Fehlverhaltens führe ich auf Unsicherheit und Unwissen in theoretischen und praktischen Erkenntnissen zurück... Dieses Ausbleiben der praktischen Umsetzung der theoretischen Erkenntnisse zeigt die Schulsituation . . . — die Aussagen und Handlungsweisen der Lehrer als Fachautorität nehmen bei den Schülern einen bedeutenden Raum ein; — Individuelles Vorwärtsstreben und Lernen einzelner Schüler gehört noch überwiegend zum vertrauten Klassenbild." 44 .. .erschwert wird die Kommunikation zwischen den einzelnen Kolleginnen durch die verschiedene Art der Ausbildung... man spricht im wahrsten Sinn des Wortes keine gemeinsame Sprache... Es wird den Erziehern kein einheitliches Wissen vermittelt. Einige Kollegen haben gar keine Ausbildung oder eine Jahrzehnte zurückliegende ohne nennenswerte Fortbildung erhalten."

In der Bundesrepublik sind (laut Strang) nur knapp 9 % der Kindergärtnerinnen mit der Ausbildung zufrieden. In der bisher umfassendsten Analyse der Ausbildungssituation kommt die Marburger Studie von Derschau zu folgenden Ergebnissen: Seit 1970/71 ist die Zahl der Schüler an Erzieherfachschulen um 39 % gestiegen. Knapp die Hälfte der Lehrkräfte (49 %) beurteilt die Ausbildung als „weitgehend" bis „völlig" veraltet und fordert eine grundlegende Änderung des Ausbildungsganges: „Die derzeitigen äußeren und inneren Ausbildungsbedingungen sind vielfach nicht ausreichend, so daß sie eine professionalisierte und an den gesteigerten Anforderungen in der Praxis gemessene adäquate Erzieherausbildung nicht gewährleisten." Diese Kritik betrifft im besonderen den Theorie-Praxis-Bezug. Im Durchschnitt stehen in der Bundesrepublik aber noch immer nur ca. 43 % fachlich ausgebildete Kräfte für die pädagogische Arbeit in Kindergruppen zur Verfügung. „Solange eine vereinheidichte, höher qualifizierte Ausbildung auf Fachhochschulebene für Erzieher nicht erreicht ist, ist eine Befähigung zu den gestellten Aufgaben nicht zu erwarten . . . Gleichzeitig müßten die Ausbildungsgänge stärker als bisher auf die Belange der Praxis orientiert werden, um die Kluft zwischen ihr und der vermittelten Theorie nicht noch weiter zu vergrößern".

Berufs- und Lebenserfahrung: Laut Westberliner Senatsangaben zeigt die Altersstruktur der Erzieher in Westberliner Tagesstätten folgendes Bild:

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18-30 Jahre 31-40 Jahre 41-50 Jahre 51-65 Jahre

44,5% 26,0 % 18,9 % 10,6%

Knapp ein Viertel der Erzieher (23 %) hatte früher einen anderen Beruf; davon war wiederum die Hälfte in einem artgleichen Beruf tätig. Das durchschnittliche Dienstalter beträgt 11 Jahre; aufgegliedert nach Abteilungen: Krippe Kindergarten Vorschulgruppen Hort Leitung

b.

9 Jahre 9 Jahre 12 Jahre 8 Jahre 22 Jahre

Lebensbedingungen

Bedauerlicherweise liegen zu diesem Bericht fast keine Angaben vor. Bezüglich der Familienstruktur gilt für Westberlin, daß knapp die Hälfte der Erzieherinnen verheiratet ist, wobei der Großteil derselben einen Angestellten bzw. Akademiker zum Mann/Partner haben. Vier von zehn Erzieherinnen haben Kinder, davon die Hälfte eines. Hinsichtlich der Einkommensverhältnisse ist festzuhalten, daß Erzieher nach dem Bundesangestelltentarifvertrag entlohnt werden bzw. in konfessionellen Einrichtungen nach einem Vertrag, der dem BAT weitgehend angeglichen ist. Während der ersten sechs Monate nach dem Berufspraktikum besteht ein Anspruch auf VII BAT, danach auf VIb BAT; für leitende Tätigkeiten ist eine Höhergruppierung bis auf Vc BAT möglich. Damit liegt der Lohn von Erziehern einerseits über dem Durchschnittslohn für Frauen, die ja ansonsten gegenüber ihren männlichen Kollegen bei gleicher »Tätigkeit erheblich unterbezahlt werden, andererseits aber im Vergleich zu anderen, objektiv nicht höherqualifizierten pädagogischen Berufen wie der des Lehrers erheblich niedriger. Hinzu k o m m t noch, daß Erzieher Angestellte, Lehrer dagegen Beamte sind, womit auch eine ungleich geringere Arbeitsplatzsicherheit für Erzieher verbunden ist — angesichts der wirtschaftlichen und politischen Gesamtsituation, die auch durch hohe Arbeitslosenzahlen bei den Erziehern gekennzeichnet ist, ein wesentlicher Gesichtspunkt. Der Lebensstandard von Erziehern ist in der Regel an jenem der mittleren Angestellten orientiert, was sich auch bei der Wahl von Freizeitaktivitäten ausdrückt. So sind z. B. Opern-, Theaterund Museumsbesuche bei einem großen Teil der Erzieher ein fester Be71

standteil von privaten Aktivitäten, ebenso die Mitgliedschaft in Sport- u. ähnlichen Vereinen. Auch hinsichtlich der Urlaubsziele passen sich Erzieher den etwas gehobenen Wünschen mittlerer Angestellter an. Der gewerkschaftliche Organisierungsgrad von Erziehern ist verhältnismäßig gering; die meisten organisierten Erzieher finden sich in der Altersgruppe bis zu 25 Jahren — hier ist etwa jeder fünfte Erzieher in einer Gewerkschaft Mitglied. Dies sagt allerdings nichts über den Grad der Aktivität aus, mit dem Erzieher für gewerkschaftliche Forderungen eintreten bzw. gewerkschaftliche Maßnahmen mittragen. Auffällig ist die Tatsache, daß der Organisationsgrad von Krippenerziehern etwa nur halb so groß ist wie in anderen Abteilungen der Kindertagesstätten. Der Großteil der Erzieher sympathisiert tendenziell mit der SPD, nur ein unerheblicher Prozentsatz ist Mitglied einer politischen Partei. c.

Einstellungen

Weltanschauung: Außer den bereits gemachten Ausführungen zu Gewerkschaften und politischen Parteien kann hier noch die Einstellung zur Kirche bzw. zur religiösen Erziehung angeführt werden. Acht von zehn Erziehern sind konfessionell gebunden, aber nur knapp zwei von zehn Erziehern führen eine ausdrücklich religiöse Erziehung durch. Nur etwa ein Sechstel der Erzieher ist religiös überzeugt, der überwiegende Großteil steht der Kirche verhältnismäßig unentschieden, gleichgültig oder sogar ablehnend gegenüber. Angesichts des hohen Anteils konfessioneller Einrichtungen im Bereich der Kleinkinderziehung und der in letzter Zeit zunehmenden Bestrebungen der Kirchen, sich wieder verstärkt dem Auftrag der Glaubensverbreitung zuzuwenden — d. h. für den Bereich der Kleinkinderziehung die Entwicklung religionspädagogischer (Förder-) Programme — kann dieser Aspekt zukünftig an Bedeutung gewinnen. Einstellung zur Arbeit in der

Kindertagesstätte

Die Berufsmotivation von Erziehern ist primär geprägt durch die „Liebe zum Kind". So haben sich in Westberlin immerhin 40 % der Erzieher für ihren Beruf entschieden bevor sie 15 Jahre alt waren. Das Berufsbild ist (noch immer) gekennzeichnet durch Gesichtspunkte wie — Idealismus — Kindergarten als Fürsorgeanstalt — Mutter-Mythos beruhend auf der gleichsam „instinktiv" bedingten Erziehungsfunktion der Frau — Überbetonung von Gefühlswerten 72

und gleichzeitig einem hohen Maß an Unsicherheit bezüglich der eigenen Situation. Für die BRD gelten im wesentlichen die gleichen Aspekte. So kommt Strang (vgl. auch Kietz) zu sehr ähnlichen Ergebnissen: Motive Freude am Umgang mit Kindern Interesse am sozialen Beruf Vorliebe für einen fraulichen Beruf Vorbereitung auf die Erziehung eigener Kinder

Erzieher in % Mehrfachnennungen 83,1 36,1 14,5 10,4

Überraschend hoch ist der Anteil jener Erzieher, die vor Berufsbeginn über ihre spätere Tätigkeit nur unzureichend informiert waren; etwa die Hälfte der zukünftigen Erzieher wußte bei ihrer Berufswahl kaum etwasüber Aufstiegsmöglichkeiten, Besoldung oder Arbeitsumfang. Als wichtigste Gründe für die Wahl der Erzieherausbildung ermittelte Derschau: — Die Ausbildung entspricht dem Berufswunsch. — Die Schüler halten sich für eine weitere Schulbildung und ein eventuelles Studium nicht geeignet. — Der Beruf kann später auch dann ausgeführt werden, wenn eigene Kinder da sind (z. B. halbtags). — Die Schüler fühlen sich zum Erzieher berufen. — Die Ausbildung ist kürzer als der Besuch einer weiterführenden Schule mit evtl. anschließendem Studium. Offensichtlich lenkt die Idealisierung des Erzieherberufs von jenen Bedingungen ab, unter denen er in der Regel ausgeübt werden muß. Nach der Ausbildung betreten die Erzieher die Einrichtungen mit bestimmten Erwartungen — und sehen sich plötzlich mit einer Praxis konfrontiert, die diesen Erwartungen nicht entspricht: „Zu Anfang hatte ich den Eindruck, die Erzieherinnen seien einfallslos, phantasiearm, überängstlich, zu bequem, mit ihren eigenen Problemen überlastet... Ich war erschrocken über so wenig Idealismus. Durch Gespräche mit anderen . . . Erziehern aus Einrichtungen gleicher Art stellte sich heraus, daß dies kein Merkmal dieser einen, sondern ein vorherrschendes Phänomen fast aller Kindertagesstätten in West-Berlin ist". Auf der einen Seite „Idealismus" — eine Leiterin: „Wenn sie nicht den nötigen Idealismus für diesen Beruf aufbringen, sollten sie ins Büro oder als Verkäuferin arbeiten", — auf der anderen Seite eine Erziehungsarbeit, die oft unter der Devise steht: „Folgsame Gruppe gleich erfolgreiche Erziehung — „chaotische" Gruppe gleich erzieherisches Versagen". Und Tag für Tag die fast gleichen Erfahrungen und Situationen unter den gleichen unzureichenden Bedingungen: „Wie groß wird die .Abstumpfung sein, wenn man mehrere Jahre im Beruf i s t . . . Wie lange werde ich gegen Resignation und 73

Abgestumpftheit ankämpfen können, gegen Vorurteile, daß Kinder eben so sind. Nicht mehr versuchen, die Probleme zu erkennen und nicht nur die Symptome bestmöglich zu behandeln? Wann werde ich in meiner Isolation meinen, ich alleine hätte diese Probleme und nicht mehr die Zusammenhänge erkennen, daß alle Erzieher diese Schwierigkeiten haben, die einen mehr, die anderen weniger? Nicht mehr die jetzige Notwendigkeit sehen, sich zusammenzuschließen,... z. B. in der Gewerkschaft, um gemeinsam die schlechten Bedingungen zu verändern? " Ähnliches gilt auch für die BRD. Die ermittelten Zahlen weisen auf eine verstärkte Abwanderung der Erzieher nach dem vierten Berufsjahr hin, dies vor allem aufgrund zu hoher Arbeitsbelastung. (So hatten z. B. knapp die Hälfte aller Kindergärtnerinnen bereits im ersten Berufsjahr eine Praktikantin „anzuleiten"). Etwa die Hälfte der Kindergärtnerinnen wechselt den Arbeitsplatz am Ende des ersten Berufsjahres. Die Hauptmotive dafür sind zum einen der Wunsch, einen anderen Bereich kennenzulernen bzw. die Berufserfahrungen zu erweitern, zum anderen die Suche nach einem günstigeren Arbeitsplatz. Etwa ein Viertel der Kindergärtnerinnen plant eine weiterführende Ausbildung, ein Drittel aller, die am Berufsbeginn stehen, denkt bereits an eine baldige Weiterbildung für einen anderen Beruf. Hierzu Aussagen von Kindergärtnerinnen, die sich über ihren derzeitigen Beruf hinaus weiterbilden wollen: „Es ist kein Lebensberuf — ich möchte einen weiteren Wirkungskreis haben — die finanzielle Lage könnte besser sein — ich möchte den beruflichen Anforderungen besser gewachsen sein — der Beruf ist zu anstrengend — das soziale Ansehen ist zu gering". Etwa ein Viertel der Kindergärtnerinnen lehnt eine Weiterbildung aus Gründen einer baldigen Heirat ab, ein weiteres Fünftel deshalb, weil dadurch die Famüie vernachlässigt würde. Drei Viertel der Kindergärtnerinnen beklagt ein zu geringes Sozialprestige ihres Berufes, was auch Auswirkungen auf ihre Selbsteinschätzung hat. Die Hälfte der Kindergärtnerinnen würde ihren Beruf ein zweites Mal nicht mehr wählen! Berufszufriedenheit: Acht von zehn Erzieherinnen in Westberlin halten die derzeitigen Arbeitsbedingungen für unbefriedigend, nur jede 20. ist mit ihnen zufrieden. Die pädagogische Arbeit wird beeinträchtigt vorwiegend durch organisatorischmaterielle Bedingungen sowie durch Unstimmigkeiten mit Leitung und Träger. Besonders werden genannt: zu kleine Räume; zu große Gruppen; Personalmangel; mangelnde Zusammenarbeit mit Kollegen und Eltern; Materialmangel; Vordringliche Forderungen sind: Verringerung der Gruppengrößen; regelmäßige Fortbildung; bessere Räume und Ausstattung; längerer Urlaub; Vorbereitung innerhalb der Dienstzeit; Arbeitszeitverkürzung; Teamarbeit; bessere Bezahlung; mehr Aufstiegsmöglichkeiten; Abschaffung der Leiterinnenposition. Darüber hinaus werden noch als Probleme angeführt: unzureichende Ausbildung; isolierte Situation; geringe soziale Anerkennung. Berufswechsel- und Veränderung: Die durchschnittliche „Verweildauer" in einer Einrichtung beträgt in Westberlin in 74

Krippe 5,9 Jahre Kindergarten 3,6 Jahre Vorschulgruppe 4,9 Jahre Hort 3,2 Jahre Leitung 7,9 Jahre Bis zu drei Jahren bleiben in einer Einrichtung in Krippe 50 % der Erzieher 61 % der Erzieher Kindergarten 42 % der Erzieher Vorschulgruppe 62 % der Erzieher Hort Insgesamt ist also eine verhältnismäßig hohe Fluktuation vorhanden, wobei diese jedoch bei Erziehern mit sechs und mehr Dienstjahren wieder erheblich sinkt; so arbeitet immerhin ein Drittel aller Erzieher, die bis zehn Dienstjahre hinter sich haben, noch immer in einer (d. h. der ersten) Einrichtung. 25 % der Erzieher beabsichtigen, ihre Arbeitsstelle zu verlassen (13 % Ausscheiden aus dem Beruf, 12 % Wechsel der Einrichtung); unter den gegenwärtigen Bedingungen wird die Arbeit als „sinnlos" angesehen. Ein Viertel der Erzieherinnen hat den Wunsch, in einem anderen Beruf zu arbeiten, 4 1 % planen für die nächsten Jahre, ihre Tätigkeit als Erzieher aufzugeben. Einstellung zur Erziehungsarbeit: Neun von zehn Erziehern befürwortendie Famüienerziehung für Kinder bis zu drei Jahren: allgemein wird eine öffentliche Erziehung nur halbtags für gut befunden. Knapp die Hälfte der Erzieher würde auch die eigenen Kinder in einer Kindertagesstätte unterbringen. Erst mit wachsendem Alter der Kinder wird die außerfamüiäre Erziehung als sinnvolle Ergänzung angesehen, wobei das Infragestellen der Familienerziehung eine ausgesprochen selten vertretene Auffassung ist. „Die Kindertagesstätte als Teil der institutionalisierten öffentlichen Erziehung legitimiert ihren gesellschaftlichen Auftrag, indem sie ihre Arbeit als familienergänzend, schichtspezifische Bildungsunterschiede kompensierend, darstellt. Der ökonomische Aspekt ihres Auftrages, nämlich Frauen als billige Arbeitekräfte für den Produktionsprozeß freizustellen, bleibt in der öffentlichen Diskussion meist hinter der pädagogischen Rechtfertigungsideologie zurück . . . Es ist bestimmt kein Zufall, daß die sozialpädagogischen Einrichtungen eine bedrückende Ähnlichkeit mit Kasernen aufweisen . „ . Jede freie und eigene Regung ist verpönt. . . Nicht Selbstsicherheit sondern Verunsicherung ist das pädagogische Prinzip . . . Durch diese strukturellen Bedingungen wird das Verhalten der Erzieher bereits bestimmt bzw. eingegrenzt, ehe sie noch zu einer bewußten Erziehungshandlung angesetzt haben." Schwerpunkte der Erziehungsarbeit werden gesehen in den Bereichen: soziale Erfahrung; Spiel; musische Erziehung; Bewegungserziehung; schulisches Wissen. Die Kinder sollen an Verhaltensweisen lernen: Kritik-

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fähigkeit; Verwirklichung eigener Ideen; Anpassungsfähigkeit; solidarisches Verhalten; Ordnung; Sauberkeit. Immerhin strebt im Durchschnitt jeder dritte Erzieher das Erziehungsziel »solidarisches Verhalten' nicht an. Auffällig ist, daß im Krippenbereich nur 4 1 % der Erzieher dieses Ziel nennen (gegenüber 80—82 % in den anderen Abteilungen). Nur in etwa 40 % der Einrichtungen wird ein bestimmter Erziehungsstil praktiziert, 20 % der Erzieher bezeichnen ihn als „demokratisch", bei knapp 60 % ist die „Atmosphäre" in der Kindergruppe „wechselnd". Ebenfalls 60 % der Erzieher glauben, ihren Erziehungsstil in der Kita verwirklichen zu können. „So positiv sich mein Verhalten auf die Kinder auswirkt, so negativ und provokativ wirkt es auf meine Kolleginnen . . . Ich beging den Fehler, meine Erziehungsform an den Kindern zu praktizieren, ohne sie vorher mit meinen Kolleginnen zu besprechen. Durch meine Erfolge in der Arbeit mit den Kindern wurden meine Kolleginnen verunsichert und gezwungen, ihre Verhalten in Frage zu stellen. Daraus resultiert ihre ablehnende Haltung . . . " — Andere Äußerungen hierzu: „Hier bemühe ich mich, Verhalten abzubauen, das von den Kindern auf der anderen Seite von anderen Erziehern erwartet wird." „Was bei der einen erlaubt ist, ist bei der anderen verboten, wird wieder bei einer anderen stillschweigend geduldet und von anderen Erziehern „ausnahmsweise" erlaubt." Erziehungserfolge bei der ganzen Kindergruppe sehen 59%, bei einzelnen Kindern 64 % der Erzieher; besonders werden genannt die Aspekte Sozialverhalten; Sprachverhalten; Selbständigkeit; Aggressionsminderung; Sauberkeit. Etwa ein Drittel der Erzieher hält Teamarbeit für die Abstimmung von Erziehungszielen für sinnvoll. Auffallend in diesem Zusammenhang ist, daß hier der Anteil der Krippenerzieher sehr niedrig liegt, ebenso der Anteil der Leiterinnen. Zwar ist insgesamt die Bereitschaft feststellbar, mit Kollegen zusammenzuarbeiten, zumeist sind aber nur äußerst diffuse Vorstellungen über die Inhalte von Teamarbeit vorhanden, was zweifellos mit dem Begriff zusammenhängt, der in den letzten Jahren immer wieder in die Diskussion gebracht wurde, ohne jedoch konkrete Aspekte im Arbeitsvollzug entsprechend damit in Beziehung zu setzen. Die weitgehend unreflektierte Übernahme einiger (vor allem gruppendynamischer) Gesichtspunkte von Teamarbeit durch die Erzieher führte zu einer Fetischisierung des Begriffs und zu einiger Verwirrung bei der praktischen Umsetzung. So sind Fragen von Erziehern in der Praxis nach dem Unterschied von Zusammenarbeit und Teamarbeit keine Seltenheit. Etwa ein Drittel der Erzieher sind der Meinung, daß Zusammenarbeit in den Einrichtungen nur dann durchgeführt werden kann, wenn sich eine Reihe von strukturellen Veränderungen durchgesetzt haben.

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Fast von allen Erziehern wird Elternarbeit als Teil ihrer beruflichen Tätigkeit angesehen. Allerdings nur etwa ein Drittel der Erzieher stuft diesen Bereich auch als wichtig und nützlich ein. Folgende Gründe werden für die Notwendigkeit von Elternarbeit angeführt: — Information der Erzieher über familiale Erfahrungen und Konflikte der Kinder — Abstimmung von Familien- und Kindertagesstättenerziehung — Information der Eltern über die Erziehung in der Kindertagesstätte — Beeinflussung der elterlichen Erziehung — Unterstützung von Forderungen der Erzieher durch die Eltern. Als Hinderungsgründe für eine, in der durchschnittlichen Kita nicht vorhandene, organisierte Elternarbeit werden auf objektiver Ebene Mangel an zeitlichen, finanziellen und rechtlichen Grundlagen und mangelhafte Qualifikation der Erzieher genannt; auf subjektiver Ebene Angst der Erzieher vor einer Einmischung in die Kindertagesstätten-Erziehung durch die Eltern; allgemein negative Einstellung gegenüber den Eltern; grundsätzliche Angst vor Konflikten mit Eltern. Insgesamt gibt es wenig positive, eher resignative Äußerungen der Erzieher zur Elternarbeit.

d.

Arbeitsbedingungen

Räumlich-materielle Bedingungen: Die Westberliner Untersuchung der GEW zeigt auf, daß Bauten und Räume, Möbel und Ausstattung, Spielund Arbeitsmaterialien sowie Spielflächen in vielen Einrichtungen der öffentlichen Kleinkinderziehung weitgehend unzureichend sind und die Arbeit in den Kindertagesstätten unzumutbar belasten. Besonderes Ergebnis dieser Untersuchung ist die Tatsache, daß gerade Einrichtungen in Arbeiterbezirken die schlechtesten Bedingungen aufweisen. So halten zwei Drittel der Erzieher ihren Gruppenraum für pädagogisch ungeeignet; dies trifft vor allem für den Krippenbereich zu. Über zwei Drittel der Erzieher verfügen über keine ausreichenden Personal- und Aufenthaltsräume. Insgesamt sind die baulichen Gegebenheiten, abgesehen von wenigen Ausnahmen, so angelegt, daß Kontakte zwischen den einzelnen Kindergruppen und damit zwischen den Erziehern verhindert werden. Räumlichkeiten außerhalb der meist zu kleinen Gruppenräume (Durchschnittsgroße knapp unter 3 0 m 2 ) dürfen/können in der Regel von den Kindern in ihre Spielaktivitäten nicht einbezogen werden: „Die unpädagogische Anordnung der Räume hat zur Folge, daß jegliche Art der Kooperation oder wenigstens die notwendigen Absprachen zwischen Erziehern des Kindergartens und denen der Krippe nicht stattfinden."

77

Die Einrichtung der Räume ist zumeist starr und wenig flexibel, kann nur schwer multifunktional genutzt werden und erhöht somit den bewegungshemmenden Charakter der Raumstruktur. „Die Einschränkung der Kinder erfolgt also vom Raum her, von Seiten des unpädagogischen Verhaltens schlecht ausgebildeter und überlasteter Erzieher, aber auch durch das wenige vorhandene Spielmaterial. . . Das Spielmaterial entspricht oft nicht der Altersstufe der Kinder, ist in viel zu geringen Mengen vorhanden und wird oft recht willkürlich nach dem Geschmack der einzelnen Erzieherin ausgesucht... Als ich in der Tagesstätte anfing, erlebte ich, daß den Kindern außer Sandspielzeug und Reifen selten etwas anderes für das Spiel im Freien angeboten wurde . . . " Nur etwa vier von zehn Erziehern verfügen über ausreichendes Spiel- und Arbeitsmaterial, wobei hier die Vorschulgruppen aufgrund o f t ungleicher Mittelverteilung zumeist das beste und meiste Material haben — aber auch die Hälfte der Vorschulgruppenerzieher klagt über Materialdefizit. Durch den Mangel an Spielmaterialien wird sowohl eine Konkurrenz der Kinder untereinander als auch eine allgemeine Reglementierung begünstigt. Zwar haben fast alle Westberliner Kindertagesstätten einen eigenen Spielplatz, die Hälfte dieser Außenspielflächen sind jedoch pädagogisch ungeeignet. Vor allem aber in größeren Einrichtungen mit mehr als 100 Kindern ist der eigene Spielplatz in der warmen Jahreszeit ebenso hoffnungslos überbelegt, wie die meisten Spielplätze in der Umgebung. Ähnliche organisatorische Probleme treten auch in den Einrichtungen in der BRD auf. Über 4 0 % der Erzieher klagen über zu kleine Gruppenräume; viele Einrichtungen sind noch in alten, völlig unzulänglichen Gebäuden untergebracht. Rechtliche Bedingungen: Im allgemeinen herrscht Unwissenheit über die rechtliche Situation, gleichzeitig tritt aber immer wieder eine diffuse Angst gegenüber diesen sehr anonymen Bestimmungen auf. So wissen viele Erzieher nicht einmal Bescheid über Belange, die in ihrem Arbeitsvertrag festgehalten sind. Auch über Bestimmungen im BAT bezüglich Pausenregelung, Arbeitszeit, Freistellung u. ä. sowie über personalrechtliche Gesichtspunkte wie z. B. Einbeziehung und Funktion des Personalrates, aber auch über gewerkschafdiche Grunds^itzfragen wissen Erzieher sehr wenig. Ein besonderes Problem ist die Aufsichtspflicht. Mögliche Verletzung und Unfallgefahren hängen wie ein Damoklesschwert über den Erziehern und die äußerst schwammig ausgelegten Bestimmungen (sofern überhaupt welche bestehen) vergrößern noch die Unsicherheit. Mangelnde Information der Eltern bietet einen weiteren Nährboden für gegenseitiges Mißtrauen und Äußerungen der Erzieher wie: „Wir stehen jeden Tag 78

mit einem Fuß im Gefängnis" sind an der Tagesordnung. Aufgrund mangelnder Informationen über arbeitsrechtliche Belange wird diesem Gesichtspunkt von den Erziehern sehr viel mehr Bedeutung beigemessen, als er konkrete Auswirkungen hat. Arbeitsorganisation: Die Durchschnittsgröße der Westberliner Kindertagesstätten beträgt ca. 110 Plätze. Der Großteil der Kinder kommt aus Famüien, die dem Bereich der Hilfs- und Facharbeiter, des Handwerks und dem Dienstleistungssektor zuzurechnen sind. Nur etwa ein Fünftel der Kinder hat Eltern, die Beamte, mittlere und höhere Angestellte, Gewerbetreibende oder Akademiker sind. Nahezu alle Mütter sind berufstätig. Über 60 % der Erzieher haben Ausländerkinder in ihren Gruppen, wobei der Anteil dieser Kinder in den Krippen besonders hoch ist. Aufgrund des Personalschlüssels und der zwölfstündigen Öffnungszeit in Tageseinrichtungen, die einen Schichtdienst der Erzieher notwendig macht, können Ausfälle durch Krankheit, Schwangerschaft, Fort- und Weiterbildung, Krankheit der eigenen Kinder etc. kaum mehr aufgefangen werden. In der Regel ist damit zu rechnen, daß täglich zumindest eine Kindergruppe aufgrund des Fehlens der Gruppenbetreuerin auf andere Gruppen aufgeteilt werden muß, da auch zuwenig Vertretungskräfte zur Verfügung stehen. Mehr als die Hälfte der Erzieher hat z. B. im Frühdienst (meist von 6 bis 8 Uhr) mehr als 20 Kinder zu betreuen. „Die personelle Besetzung der Kita ist nicht ausreichend. Wenn eine Kollegin krank wird, geht das zu Lasten aller Erzieher. Das führt zu Konflikten der Erzieher untereinander und wirkt sich negativ auf das Betriebsklima und die Kooperationsmöglichkeit der Erzieher aus . . . Betrachtet man die Kindertagesstätte einmal ganz genau, wird man feststellen, daß bei den gegenwärtigen Arbeitsbedingungen keine ausreichende pädagogische Arbeit geleistet werden kann. Unzureichend ist die finanzielle und damit auch personelle Situation. Es sind zu wenig qualifizierte Erzieher und Vertretungskräfte vorhanden, hohe Kinderzahlen in den Gruppen zwingen die Erzieher dazu, Organisator und Verwalter zu sein. Der Erzieher verbraucht einen nicht unwesentlichen Teil seiner Kräfte für Aufgaben, die nicht in seinen Bereich gehören .. Die durch den Erzieherausfall, Früh- und Spätdienst bedingten Gruppenzusammenlegungen erzeugen eine erhebliche Mehrbelastung des Erziehers „Die Vertretungskraft kann im wesentlichen nur ordnend eingreifen ohne fruchtbare pädagogische Arbeit leisten zu können . . . Der Erzieher-Springer will zwar pädagogisch handeln, er muß dies jedoch tun, ohne den Stil des ausfallenden Erziehers zu kennen. Die Arbeit ist für ihn umsomehr frustrierend, als er den möglichen Erfolg seiner Arbeit kaum erfahren kann. Für die Kinder ist der Wechsel der Bezugsperson nicht weniger mit Belastungen verbunden." In der BRD haben etwa drei Viertel der Erzieher Gruppen mit mehr als 30 Kindern. Ein weiteres Problem ist der zumeist alljährlich stattfindende Gruppenwechsel: „Der ständige Wechsel zwischen Erziehern und 79

auch zwischen den Gruppenräumen ermöglicht es den Kindern nur schwer, feste Beziehungen aufzubauen . . . Dies gilt für den Wechsel von einer Abteüung in die andere — speziell von der Krippe zum Kindergarten." Nur wenig mehr als die Hälfte der Erzieher kann die gesetzlich vorgeschriebene Pause auch tatsächlich wahrnehmen. Nur in seltenen Fällen sind zusätzliche Fachkräfte wie etwa Logopäden, Heilpädagogen, Bewegungserzieher, Psychologen oder Sozialarbeiter vorhanden. Obwohl Praktikanten nach geltenden Bestimmungen keine eigenverantwortliche Erziehungsarbeit machen dürfen, übernehmen sie ebenso wie Aushilfskräfte eigene Kindergruppen. Grundsätzlich bereiten sich drei Viertel der Erzieher auf ihre Arbeit vor. In Westberlin besteht nach wie vor keine Vorbereitungszeit für Erzieher in der öffentlichen Kleinkinderziehung. Deshalb erfolgt die pädagogische Vorbereitung in den Pausen oder nach Feierabend. Die Möglichkeiten einer kontinuierlichen Fort- und Weiterbildung sind entweder sehr eingeschränkt oder können aufgrund von Personalmangel kaum genutzt werden (vgl. Keller 1977). So waren 1973 in Westberlin ein Fünftel der Krippenkräfte mehr als zehn Jahre berufstätig, ohne an einer einzigen Fortbildungsveranstaltung teilgenommen zu haben. Rein rechnerisch müssen bei dem derzeitigen Westberliner Fortbildungsangebot Krippenerzieher 12 Jahre, Kindergartenerzieher 11 Jahre und Horterzieher 6 Jahre auf eine einwöchige Fortbildung warten. In vielen Bereichen gibt es jedoch überhaupt keine Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten oder es finden Veranstaltungen statt, die völlig uneffektiv sind und vor allem Alibicharakter haben.

e.

Arbeitsinhalt

Der Tagesablauf unterteilt sich in bestimmte Organisationsphasen: Kommen bzw. Bringen der Kinder; Frühstück; Mittagessen; Mittagsschlaf (in Krippe und Kindergarten); Spielphasen; Besonderheiten (wie etwa Ausflüge o. ä.); Gehen bzw. Abholen der Kinder. Inhaltlich sind diese Phasen zu bestimmen nach: 1. Pflichtpbasen (mit eindeutiger Zuordnung zu bestimmten versorgenden Ordnungsphasen) Hierzu gehören: Frühstück, Mittagessen und -schlaf, sowie die einleitenden und abschließenden Aktivitäten, wie etwa Auf- und Abräumen, Tischdecken, Aus- und Anziehen, Waschen. Aufgrund unzureichender Einrichtungen und zu geringen Personals werden die organisatorischen Schwierigkeiten verstärkt.

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2. Spielphasen (Freispiel und gelenktes Spiel) Knapp 40 % des Kindertagesstätten-Tages stehen für Spielen zur Verfügung; davon ist der größte Teil dem Freispiel vorbehalten — dabei übt die Gruppenerzieherin weitgehend passive Aufsicht. Gelenktes Spiel bildet die Ausnahmesituation (ausgenommen die Vorschulgruppe), aber auch hier folgt nach dem Angebot durch die Erzieherin meist „technische Überwachung und passive Aufsicht" ohne aktive Integration in das Spielgeschehen. Spielangebote sind insgesamt eher als mehr oder weniger zufällige und planlose Maßnahmen zur Gewährleistung eines ordentlichen, gedämpften und disziplinierten Tagesablaufes zu erklären, sehr viel weniger als sinnvoller Bestandteil geplanter und bewußter Förderung der Erkenntnistätigkeit des Kindes. Diese Situation ist nicht nur bedingt durch magelhafte Ausbildung und unreflektiert reproduziertes Verhalten der Erzieher, sondern vor allem auch durch die äußeren Bedingungen. 3. Übergangsphasen mit abbruchartigem Charakter Abrupte Abbrüche von Situationen zeigen sich deutlich im Wechsel von Spiel- zu Pflichtphasen, welcher zumeist Häufungspunkt für Konflikte ist. Die Obergänge sind für die Kinder fremdbestimmt und bar jeder Flexibilität. 4. Ablösungsphasen — Wechsel des Erziehungsfeldes Der erste Wechsel erfolgt für die Kinder beim Betreten der Einrichtung, der zweite beim Obergang vom Frühdienst zum Gruppenerzieher; ähnliches wiederholt sich am Ende des Kindertagesstätten-Tages. 5. Sonderereignisse Diese finden in der Regel sehr selten statt — die Beziehung der Kindertagesstätte zu den umgebenden Verhältnissen und Gegebenheiten ist gering. Nicht allein die beschränkenden Bedingungen (keine Zeit, kein Personal, kein Geld), sondern auch die immer noch aktuelle Illusion einer ängstlich gehüteten realitätsfremden und neugierfeindlichen Kinderwelt wirken sich hier behindernd aus. Der Tagesablauf ist von der Organisationsstruktur der jeweiligen Abteilung bestimmt. Im folgenden sollen 3 Tagesabläufe in Krippe, Kindergarten und Hort exemplarisch die Situation darstellen (vgl. GEW, 1975 u. Autorengruppe Berliner Erzieher/innen 1977): i. Krippe: ab 6.00 Uhr — der Frühdienst nimmt die Kinder in Empfang 7.00 Uhr — mit der zweiten Betreuerin wird eine grobe Gruppeneinteilung vorgenommen, bis 8.00 Uhr können die Kinder spielen. 8.00 Uhr — Dienstantritt der dritten Betreuerin, neuerliche Aufteilung in Gruppen; Frühstück. 8.30 Uhr — Die Kinder werden nacheinander gewaschen und auf die Töpfe gesetzt. 9.00 Uhr — Dienstantritt der vierten Betreuerin; ein Teil der Kinder geht (wenn es das Wetter erlaubt) in den Garten (sofern vorhanden); Spülen der Windeln und Ordnungmachen im Waschraum durch die Erzieher sowie Erledigung anderer Aufräumarbeiten.

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10.30 Uhr - Vorbereitung der Kinder auf das Mittagessen 11.00 Uhr —Mittagessen 11.30 Uhr - Waschen und Töpfen der Kinder; Aufstellen der Liegen durch die Erzieherin; 12.00 -

14.00 Uhr - Mittagschlaf (das Einschlafen der letzten Kinder läuft parallel mit dem Aufwachen der zuerst Eingeschlafenen), Töpfen der schon erwachten Kinder. „Jetzt kann man sich kurze Zeit mit dem einzelnen Kind beschäftigen/' Mittagessen der Erzieherin. 14.00 Uhr — Wickeln und Ausziehen der anderen Kii\der, Bettenmachen, Liegen wegstellen, Vorbereitung der Kinder für das Essen; nach dem Essen wird „frei" gespielt, je nach Witterung im Raum oder draußen, bis die Kinder abgeholt werden. In der Zwischenzeit spült die Erzieherin die Windeln. 15.00 Uhr — Beendigung des Dienstes der ersten Betreuerin, die Kinder werden, ähnlich wie am Morgen, auf die noch diensthabenden Kollegen umverteilt. 17.00 18.00 Uhr - Der Spätdienst sammelt alle Kinder, die erst in letzter Minute abgeholt werden. 2. Kindergarten: ab 6.00 Uhr — der Frühdienst übernimmt die Kinder. ca. 8.30 Uhr — Frühstück der Kinder in ihren Gruppen mit der jeweiligen Gruppenerzieherin. 9.00 Uhr 11.30 Uhr — Gelenktes Spiel der Kinder im Raum — „Beschäftigung" — daraufhin Freispiel (soweit wettermäßig möglich im Hof). 11.30-

12.30 Uhr —Mittagessen, Vorbereitung für Mittagsschlaf, Aufstellen der Liegen. 12.30-

14.30 Uhr — versuchter Mittagsschlaf, nur ein Teil der Kinder kann einschlafen. ab 14.30 Uhr — Aufstehen der Kinder, Anziehen, dann folgt zumeist Freispiel. ab 15.30 Uhr - Die ersten Kinder werden abgeholt, der Gruppenerzieher wechselt einige Worte mit Eltern „zwischen Tür und Angel", Aufräumen des Gruppenraumes durch Kinder und Erzieher. 16.00 Uhr — Dienstende zumindest einer Erzieherin, Aufteilung der Kinder, die Gruppenerzieher bringen die Räume in Ordnung (Fegen, Stühle hochstellen). 17.00 18.00 Uhr — der Spätdienst sammelt alle Kinder, die erst spät abgeholt werden. 3. Hort: 6.00 -

7.30 Uhr — Frühdienst, in der Regel sind 25—30 Kinder in einem Raum anwesend. 7.30 Uhr - Nach und nach werden die Kinder in die Schule geschickt. 8.30 Uhr — Dienstantritt der Gruppenerzieherin.

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9.30 Uhr — Die letzten Hortkinder haben die Tagesstätte verlassen, Erledigung anfallender Sortierungsarbeiten, Materialvorbereitung o. ä.

10.00 -

14.00 Uhr — Wenn keiner bummelt, treffen von 10 Uhr an im Abstand von 1 Stunde bis 14 Uhr alle Kinder aus der Schule ein. 12.45 14.00 Uhr — Auftragen des Mittagessens, danach ist Mittagsruhe (Kindergarten!) einzuhalten — die Kinder dürfen weder in den Hof noch im Hause zu laut sein; während ein Teil der Kinder „ruhig" spielt, erledigt der andere (oft im gleichen Raum) die Schulaufgaben. 14.30 16.00 Uhr — Freispiel im Gruppenraum oder Hof (hier dominieren zumeist die älteren Hortkinder). ab 16.00 Uhr — Nach und nach verlassen alle Kinder den Hort, dem Erzieher bleibt noch die Aufräumarbeit wie Stühle hochstellen und den Raum ausfegen. Zusammenfassend ist festzustellen: Das erzieherische Geschehen in der Kindertagesstätte wird dem festgelegten Funktionsablauf eines Tages unterworfen.«Die Pflichtphasen stellen dabei die entscheidenden Orientierungspunkte des Tagesplanes dar. In erster Linie besteht damit die Funktion des Erziehers darin, den Organisationsplan des Tages einzuhalten zugunsten eines gedämpften konfliktlosen Tagesablaufes; der erzieherische Bezug erscheint weitgehend als Machtverhältnis, in dem das Kind eher als passives Objekt angesehen wird. Erziehung in der

Kindergruppe

Erzieherverhalten: Das Geschehen in der Kindergruppe ist gekennzeichnet durch ein restriktives, dirigistisch-lenkendes Sozialklima, die Kinder werden kaum als gleichwertige Kommunikationspartner anerkannt, der Erziehungsraum Kita ist allgemein als dialogarm zu bezeichnen. Der Zwang zur Einhaltung des Zeitplanes äußert sich in einem hohen Kontrollaufwand (d. h. eine Vielzahl auffordernder und maßregelnder Äußerungen), seitens der Kinder in einer hohen Anzahl ablehnender oder widerstrebender Handlungen und Äußerungen; dieser Zwangskreislauf wird schließlich zuungunsten der Kinder durchbrochen. Während des Spielgeschehens versucht die Erzieherin Konfliktzuspitzungen abzuschwächen, sie organisiert Materialien, regelt technische Schwierigkeiten — bleibt aber meist passiv und außerhalb des Geschehens. Entsprechend der immer noch häufigen Berufsmotivation — Liebe zum Kind — Eheersatz, Mutterideal — orientiert sich die Gruppenerzieherin in ihrer erzieherischen Wertskala nach dem Ausmaß der Anerken83

nung, Beliebtheit und Zuwendung, das die Kinder ihr gegenüber aufbringen. Das bedeutet, daß die Anerkennung des Kindes vornehmlich nach seiner möglichst konfliktlos zu erfolgenden Anpassung an den von außen gesetzten Tagesablauf bestimmt wird. So wird als Erziehungsziel vor allem die Anpassung an bestimmte Ordnungen und Prinzipien hervorgehoben, daneben „Sozialverhalten" — basierend auf einem sehr allgemeinen (und daher abstrakten) Gerechtigkeitsgefühl — und „Selbständigkeit" — dies äußert sich o f t in einer betonten „Nicht-Einmischungstaktik" der Gruppenerzieher bei Konflikten in der Kindergruppe (allerdings meist verbunden mit einem dirigistischen, nachträglichen Eingreifen). Da ein möglichst problemarmer Tagesablauf Ziel der Erzieher ist, ziehen Kinder, die sich nicht kritiklos und passiv den Anweisungen und Gegebenheiten anpassen, mehr restriktive Maßnahmen der Erzieherin auf sich, als andere Kinder. Damit wird eine passive Anpassung der Kinder in der Tagesstätte am höchsten durch Anerkennung und Zuwendung durch die Erzieherin belohnt. Sehr oft steht der Erzieher hilflos vor solchen und ähnlichen Problemen: „Die Situation ist auch wirklich schrecklich. In einem Raum, in dem sonst 6 Kinder sind, halten sich 13 auf. Kinder, die sich untereinander kaum kennen und ich dazwischen mit meinen Schwierigkeiten." Die Unsicherheit der Erzieher wird noch verstärkt durch die Frustration, eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden zu können und die Angst, sich vor anderen zu „blamieren": „Mir kommen langsam Bedenken und Gedanken schießen mir durch den Kopf wie: .. . wenn jetzt die Tür aufgeht und die Leiterin kommt,... hoffentlich kommen noch keine Eltern zum Abholen! . . . Völlig verunsichert greife ich jetzt in das Geschehen ein. Die Situation scheint gerettet zu sein, obwohl ich meine Haltung und Handlung ziemlich miserabel und mit meinem Wissen um die Sexualerziehung nicht für vereinbar halte." Es ist daher auch kaum verwunderlich, wenn die Erzieher bemüht sind, ihre Gruppen „unter Kontrolle zu bekommen", sie „mehr in Griff4 zu haben. Gruppenerziehung: Die Kindergruppe in der Kindertagesstätte besteht nur insofern als Gruppe, als die strukturellen Bedingungen der Kita es erfordern; die Kindergruppe ist kein Kollektiv, sondern „eine organisierte Menge von Einzelnen". Selbstbestimmte und entscheidungsverantwortliche Situationen, eine inhaltliche Beteiligung der Gruppe an der Tagesorganisation bleiben Ausnahmen. Einen wesentlichen Grund dafür bildet die Größe der Kindergruppe, die die Zersplitterung der Gesamtgruppe in Kleingruppierungen begünstigt; gruppenintegrative Prozesse werden von der Erzieherin nur selten eingeleitet, vielmehr greift sie in Geschehensabläufe der Gruppe zumeist negativ verstärkend ein, wenn z. B. Ruhe und Ordnung gefährdet erscheinen. Gesamtgruppenaktivitäten beschränken sich daher auf spontane Sympathiekundgebungen, eventuell Festvor-

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bereitungen; Gruppenspielangebote durch die Gruppenerzieherin haben eher den Charakter gemeinsam organisierter Einzelspiele, die sich an einer den Spielablauf bestimmenden Führungsrolle orientieren. Somit ergeben sich innerhalb der Kindergruppe Kleingruppierungen von 2—4 Kindern, gemeinsames Spiel von Jungen und Mädchen ist verhältnismäßig selten. Bezieht man den Gesamtrahmen der Kindertagesstätte ein, so ist offensichtlich erkennbar, daß die hierarchische Struktur der Erziehergruppe — die alleinverantwortliche Leitung — als soziales Vorbild und Lernmodell für die Kindergruppe fungiert; letztere steht wiederum in starker Abhängigkeit zur Führungsperson der Gruppenerzieherin. Die verbalen Ansprüche der Erzieher hinsichtlich der anzustrebenden Erziehungsziele Selbständigkeit und Sozialverhalten stehen dabei im Widerspruch zu ihrem eigenen Verhalten. Die Arbeit in der Kindergruppe wird von den Erziehern selbst sehr kritisch gesehen: „Die Kinder lernen, daß es darauf ankommt, eine angeordnete Aufgabe funktionsgerecht zu erfüllen, egal ob sie sinnvoll oder unsinnig ist. Die Kinder lernen weiterhin nicht in Gruppen zu arbeiten, sondern Einzelleistungen zu erbringen . . . Das isoliert die Kinder voneinander und bringt sie in eine Konkurrenzsituation . . . Derart gedrillt und isoliert, lassen sie sich gut in den späteren Arbeitsprozeß eingliedern." „Die Kinder erleben den Kindergarten als einen Ort, wo eine Person, die Erzieherin, plant, steuert, entscheidet, Lob und Strafe erteilt, Leistungen bewertet." „Die Kinder . . . erleben eine Welt, in der befohlen und gehorcht wird, in der Gehorsam belohnt und Ungehorsam bestraft wird. Kritisches Infragestellen findet nicht statt." Bei der Darstellung der Schwierigkeiten von (und mit) einzelnen Kindern, werden die Erziehungsinstanz Kindertagesstätte und das Verhalten der Erzieher als wichtige Faktoren genannt: „ . . . die Gruppen sind zu groß und die Erzieher können sich nicht intensiv genug mit dem einzelnen Kind beschäftigen. Sie sehen zwar die Störungen bei den Kindern, aber ihnen fehlt die Energie und die Ausdauer und oft auch die Nerven, um den Kindern wirklich zu helfen." „Ich spüre meine Ohnmacht, diesem dauernden Bedürfnis nach Zuwendung nicht nachkommen zu können . . . Meine anfänglichen Schuldgefühle werden durch die Grenzen des in der Kindertagesstätte zu leistenden aufgehoben." Dieses Einschätzen von realistischen Möglichkeiten ist die eine Seite der Medaille, die andere wird aber auch angeführt: das Erzieherverhalten ist oft von Vorurteilen bestimmt, die Beurteilungen der Kinder sind höchst unterschiedlich. „Nicht zuletzt sind die verschiedenen Erziehungsstile und das Verhalten des einzelnen Erziehers mit Schuld, daß es überhaupt zu einer Außenseiterstellung eines Kindes gekommen ist. Dazu wäre festzustellen, daß . . . ein .Prügelknabe* ohnedies von der Krippe bis zum Hort in dieser Position bleibt, auch beim derzeitigen Wechsel der Erzieher..." Die Gründe dafür sind vielfältig: „Bei älteren Kollegen ist sicherlich die überholte Ausbildung mit entscheidend. Aber auch jüngere Kolleginnen zeigen sehr oft eine falsche Grundeinstellung gerade zu verhaltensgestörten Kindern . . . ,So wird das Kind Jahr für Jahr in der Hoffnung weitergereicht, die nächste Kollegin würde etwas unternehmen . . . Es findet kein Erfahrungsaustausch zwischen den Erziehern über diese Problemkinder statt. . . . Was bleibt ist ein schlechtes Gewissen." 85

Anregungen für die pädagogische Arbeit erfolgen nur zu einem geringen Teil von außerhalb der Einrichtungen, Beeinträchtigungen vor allem durch die organisatorischen Bedingungen in den Institutionen. Insgesamt kann die Innovationsbereitschaft der Erzieher als gering bezeichnet werden. Mißerfolge, die zwangsläufig bei Versuchen pädagogischer und struktureller Veränderung entstehen, wirken diskriminierend auf die Erzieher zurück und dienen nachträglich zur Rechtfertigung bzw. Verfestigung bestehender Gewohnheiten und sinnentleerter Rituale. Insofern befinden sich Erzieher mit Veränderungsbereitschaft oft unter doppeltem Druck: zum einen durch die eigenen Probleme, die bei Veränderungsversuchen auftreten, zum anderen durch den Legitimationsdruck gegenüber den Kollegen. Erziehungsplanung: 41 % der Erzieher machen Arbeitspläne kurzfristiger Art, 16 % gehen nach längerfristigen ,,Rahmenplänen" vor. Dies muß jedoch insofern relativiert werden, als unter Arbeitsplänen oft auch zumeist am Wochenende angestellte Überlegungen verstanden werden, die schriftlich nicht festgelegt werden. In den meisten Kindertagesstätten besteht keine Konzeption für die pädagogische Arbeit; es kann davon ausgegangen werden, daß in etwa nur einem Drittel der Einrichtungen überhaupt Überlegungen zu diesem Aspekt angestellt werden. Die Vorbereitung der erzieherischen Arbeit beschränkt sich zumeist formal auf Bereitstellung von Material und organisatorische Maßnahmen. Erziehung ereignet sich in der Kita bisher ungeplant und unorganisiert. Aktivitäten, die vorbereitenden und planenden Charakter haben, bleiben zumeist auf Einzelinitiativen und zufällige didaktische Anregungen beschränkt. Initiiert werden solche Ansätze vor allem durch die Tatsache, daß in Vorschulgruppen durch Fortbildungen und in Westberlin das Vorhandensein eines — wenn auch pädagogisch sehr anfechtbaren — „vorläufigen Rahmenplan für die Vorklasse" — Erziehungsplanung versucht wird. Vor allem im Krippenbereich wird die in diesem Alter der Kinder unerhört wichtige Erziehungsarbeit in der Regel weitgehend ungeplant und unsystematisch durchgeführt. Anzumerken ist hier allerdings, daß, soweit es Westberlin betrifft, das Selbstbewußtsein und die Qualität der Krippenarbeit in den letzten Jahren einen großen Sprung nach vorne gemacht hat (vgl. Woerner, Krippen im Wandel und andere Filme). „Auf der Suche nach einem halbwegs verbindlichen Erziehungsrahmen oder einer gemeinsamen Erziehüngskonzeption einer Kita stößt man entweder auf eine Vielzahl von praktischen Ratschlägen wie „sie müssen die Kinder fesseln" oder wird auf Theoretiker verwiesen, die letztlich unverbindlich bleiben. So bleibt es dem Willen der einzelnen Erzieher über-

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lassen, innerhalb einer Tagesstätte gemeinsam eine Linie zu erarbeiten. Hinzu kommt, daß es im Ermessen der Leiterin liegt, eine solche Linie zu akzeptieren." „Die Erzieher arbeiten in einem pädagogischen Vakuum, die ganze Arbeit steht und fällt mit den persönlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten einzelner Erzieher, mit deren persönlichen Durchhaltevermögen." Aber es gibt auch Erfolge: „Manchmal war ich schon so weit, zu glauben, daß ich mit dieser Altersstufe überhaupt nichts anfangen könnte. Ich begann damit, mir nach und nach ein Konzept aufzustellen, was für die Kinder als Beschäftigung geeignet und wichtig wäre . . . Die Kinder meiner Gruppe gingen mit soviel Freude an eine Aufgabe heran, daß es mir persönlich auch sehr viel Spaß machte." Auch für die Elternarbeit ist der Aspekt der Planung und Konzeption sehr wichtig: „Ohne eine gute Zusammenarbeit muß jeder Versuch Elternarbeit zu bestreiten, scheitern. Deshalb halte ich es für unerläßlich, Zeit zur Verfügung zu stellen, um ein gemeinsames Konzept. . . erarbeiten zu können." Elternarbeit Zwei Drittel der Westberliner Erzieher stufen ihre Elternarbeit als eher negativ ein. Allein im Kindergarten ist die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Erziehern etwas befriedigender. Auf der einen Seite wird oft mangelndes Interesse der Eltern als Grund für die unzureichende Zusammenarbeit mit den Erziehern genannt, auf der anderen Seite die mangelnde Qualifikation der Erzieher für diesen Teübereich ihrer Arbeit. Beides führt (jeweils bei beiden Gruppen) oft zu Passivität und Resignation. Etwa zwei Drittel der Erzieher befürworten den Gruppenelternabend als geeignetste Form der Elternarbeit, gefolgt von Einzelgesprächen. Knapp die Hälfte aller Erzieher veranstaltet mehr als vier Gruppenelternabende pro Jahr, wobei ca. ein Drittel der Eltern regelmäßig daran teilnimmt. An Themen halten sich pädagogische und organisatorische Fragen die Waage. Zwischen der Bereitschaft von Erziehern, mit Eltern gezielte und intensive Einzelgespräche zu führen und der Zusammenarbeit zwischen beiden besteht eine hohe Abhängigkeit. Offensichtlich bietet das Einzelgespräch eine wertvolle Möglichkeit, sich gegenseitig über Erfahrungen und Probleme zu informieren und damit eine Grundlage für gegenseitiges Verständnis und Unterstützung zu schaffen. Allerdings scheitert die Motivation der Erzieher, Einzelgespräche mit den Eltern durchzuführen, oft 87

an der mangelnden Zeit; etwa die Hälfte der Erzieher bestätigt dies. Trotzdem gibt es bei mindestens drei Viertel der Erzieher die Möglichkeit, beim Bringen und Abholen der Kinder mit den Eltern zumindest einige Worte zu wechseln und damit den Kontakt aufrechtzuerhalten.

„Der enge Kontakt zwischen Eltern und Erziehern führte zu besserem Verständnis für die beiderseitigen Schwierigkeiten... Es kommt darauf an, die Eltern zu ermutigen, dem Erzieher ihre Probleme anzuvertrauen, mit dem weitgesteckten Ziel, eine pädagogische Zusammenarbeit in gleicher Richtung zwischen Eltern und der Tagesstätte zu erreichen . . . Die geringe Zusammenarbeit zwischen Eltern und Kindergärten trägt in nicht geringem Maße zur pädagogischen Isolation der Kindergärten bei. Eine ständige Bereitschaft zu Gespräch und Diskussion auf beiden Seiten könnte die Kindergärten aus ihrer Isolation befreien und Bestätigung für ihre Arbeit geben44.

Aufgrund der Berufstätigkeit beider Elternteile ist die konkrete Mitarbeit der Eltern an der pädagogischen Arbeit in der Einrichtung nur selten möglich. Immerhin beteiligen sich aber in einem Drittel der Fälle die Eltern doch hin und wieder an gemeinsamen Aktivitäten. Bedingt durch den häufigen Gruppenwechsel und das o f t unterschiedliche pädagogische Vorgehen der verschiedenen Erzieher in der Kindertagesstätte ergeben sich weitere Schwierigkeiten im Rahmen der Elternarbeit: ^

„Es wurde am Elternabend über Erziehung diskutiert, wobei ich feststellen mußte, daß die einzelnen Erzieher in der Tagesstätte zum Teil völlig gegensätzliche Vorstellungen davon hatten . . . Diese Unsicherheit auf unserer Seite wirkte sich naturgemäß auf die Eltern aus, die diese Zusammenkunft verunsicherter verließen, als sie sie besuchten.44 „Wenn die Elternarbeit in der Krippe beginnen und im Hort aufhören würde, sähen sich die Eltern im Laufe der Zeit vier oder mehr verschiedenen Erziehungsvorstellungen gegenüber. Ihre Verunsicherungen würden so eher verstärkt als abgebaut.4' D. h.: „Vorbedingung für Elternarbeit wäre es, daß innerhalb der Kita . . . zusammengearbeitet wird oder zumindest wesentliche Obereinstimmung in Erziehungsfragen erreicht werden kann.44 Einer der ersten Ansätze dafür sind gemeinsame Vorbereitung und Auswertung von Elternabenden: „Auf regelmäßigen Elternversammlungen müßten die Erzieher die Eltern auf die besonderen Probleme der pädagogischen Arbeit mit Kindern hinweisen. Auf Personalschwierigkeiten, räumliche Beengung, zu große Gruppenfrequenz und ähnliche Dinge . . . In Zusammenarbeit mit den Eltern kann man aber auch . . . Arbeitspläne entwickeln . . . Hier eröffnet sich auch für das Elternhaus im Zusammenwirken mit der Tagesstätte die Möglichkeit einer kontinuierlichen Arbeit. Durch dieses aktive Zusammenwirken hätten die Erzieher einen Rückhalt und die Möglichkeit, mit vereinten Kräften berechtigte Forderungen mit mehr Nachdruck durchzusetzen.44

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Kollegiale

Zusammenarbeit

Arbeitsklima — Kommunikation — Hierarchie: Möglichkeiten für Gespräche ergeben sich zumeist während der Mittagspause und des Freispiels auf dem Spielplatz. Anlässe sind o f t organisatorische Probleme. Gespräche über Einzelkinder haben eher episodischen Charakter, allgemeine pädagogische Themen betreffen o f t Disziplinierungsprobleme in der eigenen Gruppe. Unterschwellige Rivalität und die Angst vor Bloßstellung des „eigenen Versagens" verhindern weitgehend eine intensive und sachliche, objektivierte Auseinandersetzung. Der überwiegend privatistische Arbeitsraum (die Arbeit der Erzieher erfolgt zum Großteil mit „ihren" Kindern in nach außen abgeschlossenen Gruppenräumen) entspricht der privatistischen Orientierung in Fragen der Erziehung. Kontakte zwischen den Gruppen (und damit auch den Gruppenerziehern) gibt es nur bei gut der Hälfte der Erzieher. Etwa die Hälfte der Erzieher, und hier vor allem jene, die jünger als 25 Jahre sind, haben auch private Kontakte zu den Kollegen. Hinsichtlich der Kontakte werden sehr unterschiedliche Meinungen geäußert. Auf der einen Seite wird starke Kritik geübt und das Arbeitsklima insgesamt als sehr unbefriedigend bezeichnet: „Die Kontakte und Gespräche untereinander bestehen ausschließlich darin, sich in negativer Form über .schwierige' (als störend erlebte) Kinder zu unterhalten." „Ohne Ausnahme sind sämtliche Erzieher der Kita unsicher. Ihr Verhalten drückt Angst und Neid aus, wobei jeder einzelne von ihnen meint, das Richtige zu tun .. . Wenn überhaupt Kritik an . . . einer Kollegin geäußert wird, dann niemals im Beisein der Betreffenden . . . Jeder hat Angst vor Auseinandersetzungen, denen er nicht gewachsen ist, weil er schlecht informiert und daher verunsichert ist." Oder: „Das scheinbar gute Verhältnis der Erzieher untereinander führe ich nur darauf zurück, daß jeder jeden' in Ruhe läßt, um eventuellen Konflikten auszuweichen . . . Unzufriedenheiten kommen meist nur in versteckt ironischen Bemerkungen zum Ausdruck." Typische Aussagen über Kollegen: „(FrauY) reagierte immer so empfindlich. Eine sachliche Auseinandersetzung war nicht möglich. Frau X hätte viel zur Entspannung im Kindergarten beitragen können, wenn sie bereit gewesen wäre, ihrer Kollegin zu helfen und in kleinen Dingen entgegenzukommen." „Der Erfahrungsaustausch zwischen den Erziehern ist auf zufällige Begegnungen beschränkt." Was für die Erzieher gilt, trifft erst recht für die nicht-pädagogischen Mitarbeiter zu. Sie leiden unter „Minderwertigkeitsgefühlen" gegenüber den Erziehern, was oft tatsächlich auch auf das Verhalten der Erzieher zurückzuführen ist: „Die stellvertretende Leiterin pflegt zur Köchin einen Kontakt, der etwa dem einer Hausherrin eines großen Hauses zu ihren Dienstboten vergleichbar ist. Diese wiederum reagiert auf freundliche Worte mit Extraportionen oder einem besonders ergebenen und eifrigen Verhalten." Auf der anderen Seite reagieren die Erzieher z. B. nur versteckt auf Vorwürfe der Reinigungskräfte hinsichtlich Ordnung und Sauberkeit: „Sie nehmen zu Beschuldi89

gungen der Reinigungskräfte keine Stellung, sondern äußern ihren Unmut erst während deren Abwesenheit." Ein verhältnismäßig großer Teil der Erzieher dagegen benennt die Konflikte in der Tagesstätte ausdrücklich als gut: „Das Mitspracherecht eines jeden Kollegen garantierte ein harmonisches Arbeitsklima. . . Auftretende Meinungsverschiedenheiten wurden durchgesprochen, wobei die Leiterin eine vermittelnde und beratende Haltung einnahm." „Mit meinen Kolleginnen komme ich gut aus. Sie stehen mir mit Rat und Tat zur Seite." Dies gilt auch für Praktikanten: „Die Kollegen sind gut informiert und jederzeit zu Gesprächen bereit — fast täglich ist Zeit für eine Besprechung... Es herrscht eine offene Arbeitsatmosphäre, alle helfen sich gegenseitig... Jeder achtete die Aktivität des anderen,... es gab keine Kompetenzschwierigkeiten." Solch positive Kontakte zwischen den Erziehern führen auch zu konkreten pädagogischen Gemeinsamkeiten: „Ist die Beschäftigung gut abgelaufen, so überlegen die Kolleginnen, ob sie dieses Thema nicht auch einmal ihrer Gruppe anbieten sollen." Aber auch individuelle Probleme werden von der Erziehergruppe anerkannt: „Das Gruppenmitglied hat das Gefühl, sich auf die Gruppe verlassen zu können . . . Meine anfängliche Unsicherheit wurde bald durch die Unterstützung der Kolleginnen abgebaut." Die Reaktion der Erzieher auf die dominante Funktion der KitaLeitung ist eher als „passiv-opportunistisch" zu bezeichnen. Direkte Auseinandersetzungen zwischen Gruppenerzieher und Leitung mit sachlichen Argumentationen sind selten. Auftretende Empörung über Maßnahmen der Leitung wird entweder verbal mit vertrauten Kollegen bewältigt oder aber direkt in Kindergruppe oder Kollegium aggressiv verschoben. Entscheidend für die hierarchische Struktur in der Kindertagesstätte ist die Alleinverantwortung der Leitung gegenüber dem zuständigen Jugendamt und das Fehlen rechtlicher Grundlagen für kollegiale Entscheidungsprozesse. So schreibt die Leitung z. B. Dienstleistungsberichte über jeden Mitarbeiter, sie bestimmt schließlich in letzter Instanz über Erziehung und Organisation in der Einrichtung. — „An der Spitze des Mitarbeiterstabes steht die Leiterin . . . Der Einsatz der Leiterin erfolgt ,von oben', also durch das A m t . . . Im Gegensatz zu den übrigen Mitarbeiterinnen sind die Rechte und Pflichte der Leiterin durch die Behörde in Tätigkeitsmerkmalen festgelegt. . — Der Leiterin folgt mit weitem Abstand die stellvertretende Leiterin . . . Sie ist unauffällig in ihrem Auftreten und führt nur Aufträge der Leiterin aus. Sie übernimmt besonders solche Aufträge, die der Leiterin selbst unbequem sind . . . — Dem Range nach folgt nun die Vorschulgruppenleiterin. Ihre Stellung gewinnt an Gewichtigkeit, je mehr Bedeutung der Vorschularbeit beigemessen wird. Ihr Gehalt steht dem der Leiterinnen nahe . . . Sie setzt sich mehr als ihre Kolleginnen mit Fachliteratur auseinander, um ihre abgehobene soziale Position halten zu können. Sie wird eher von der Leiterin angehört als die übrigen Mitarbeiter. Frau Y fühlt, daß sie die Kolleginnen um ihre Sonderstellung beneiden . . . Sie verfügt über den größten Gruppenraum der ganzen Kita . . .

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— Die Kindergärtnerin und die Hortnerinnen stehen . . . auf derselben . . . Stufe . . . für pädagogische Kräfte, die länger als ein Jahr in der Tagesstätte tätig sind, ergibt sich eine Sonderstellung. In den Augen der Leiterin haben sie ,Treue' bewiesen . . . Sie erhalten vielfach die Aufsicht über eine neue Kollegin. — Die Krippenbelegschaft bildet eine . . . Gruppe für sich, wobei die Arbeit der Kinderpflegerinnen und Kinderschwestern von der übrigen Kita-Belegschaft als wenig schwer und verantwortungsvoll angesehen wird. Man erwartet nicht, daß sie Kenntnisse im pädagogischen Bereich haben . . . — Praktikanten unterliegen ähnlichen Zwängen wie neue Mitarbeiter . . . Neue Mitarbeiter werden solange unter Druck gesetzt, bis sie . . . sich . . . dem Rahmen der Kita anpassen . . . — (Springer) sind am wenigsten informiert, denn sie sind für keine Gruppe direkt verantwortlich . . . Selten wird ihre Arbeit von den Kolleginnen richtig eingeschätzt. Man macht die Springerkräfte für alle Unregelmäßigkeiten innerhalb der Gruppe während der Abwesenheit der Gruppenleiterin verantwortlich .. . — Auf der untersten Stufe . . . steht das technische Personal." Die Vermittlungsfunktion spielt zwischen Amt und Erziehern der Leitung eine wichtige Rolle: „Sie muß Zwänge von oben an die Erzieher weitervermitteln, ebenso wie sie Belange der Erzieher ans Amt weitergeben muß . . . Die Leiterin ist nicht... ein Vermittler, sondern hat eher die Funktion eines Aufsehers, der nicht einmal seine Stellung begreift". Der vom Amt eingesetzten Leitung mit ihren Kompetenzen entspricht auf Seiten der Erzieher eine gewisse Autoritätsgläubigkeit: „Nur selten erkundigt sich eine Erzieherin beim Amt nach den tatsächlichen Bestimmungen. Die meisten wundern sich nur über die oft unsinnigen Anordnungen und schaffen es nur selten, einen Gegenvorschlag zu entwerfen, der aber fast immer von der Leiterin, die sich aufs Amt beruft, abgelehnt wird. Mangelnde Solidarität, Obrigkeitshörigkeit, schwindendes Ansehen innerhalb der Kita und Angst vor einer Versetzung . . . verhindern jede wirksame Gegenmaßnahme." Obwohl sie zumeist pädagogisch nicht höher qualifiziert ist als die Erzieher, versucht sie doch, Inhalte und Ziele der Erziehung in der Tagesstätte zu bestimmen: „Die Leiterin sagte mir, daß sie großen Wert auf Sauberkeit und Ordnung lege, welche elementare Teile der Erziehung sind . . . Sie versteht sich in der Rolle der Leiterin, die ihren Posten als äußerst wichtig empfindet... Darüber hinaus legt sie großen Wert auf Sauberkeit und Ordnung sowie bedingungslose Disziplin, Unterordnung, kompromißlose Anpassung, verlangt Ruhe, Disziplin und Einschränkungen." Nach einem Konflikt: „Sie sagte mir erregt, noch wäre sie Leiterin und bestimme was gemacht wird." Oft greift sie auch direkt in die Gruppenarbeit ein: „Hier zeigt sich, daß die Leiterin, ohne mich überhaupt zu befragen und ohne die Situation zu kennen, eingriff. In diesem Fall nahm sie mir die Entscheidung ab, die sie mir vorher mit Verantwortung übertragen hatte. Von den Kindern verlangte sie absoluten Gehorsam und erwartet von mir die Anwendung des gleichen Prinzips." Die Hierarchie in der Kita hat aber auch Konsequenzen für die Arbeit in der Kindergruppe: „Auswirkungen der hierarchischen Struktur und der oft liberal verbrämten Unterdrückung des Erzieherkollegiums durch die Leitung macht sich in der entsprechenden Weitergabe der Unterdrückung durch die Erzieher auf die Kindergruppe bemerkbar, diese Macht- und Organisationstrukturen der Kita übertragen sich auf die einzelnen Gruppen." Es werden auch Beispiele angeführt, in denen die Leiterin mit „Diplomatie" und „Freundlichkeit" ein gutes Arbeitsklima schafft oder das Kollegium versucht, die Leiterin zu integrieren: „In dieser Phase zeigte sich mir, daß eine vom Amt ein-

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gesetzte Leiterin eigene Ängste und Unsicherheiten, die sich oft hinter ihrem autoritären Verhalten verbergen, abbauen kann . . . Natürlich können solche Ansätze nur Zwischenlösungen sein . . . Dennoch glaube ich, daß diese ersten Ansätze eines mehr solidarischen Verhaltens zwischen Leiterin und Mitarbeiterin dahin wirken könnten, nach „oben" und „unten" zu beweisen, daß . . . eine Amtsautorität abbaubar ist." Die „pädagogische" Isolation der allein in ihrer Gruppe agierenden Erzieher verstärkt noch das Kommunikationsdefizit in der Tagesstätte; der Erzieher findet sich permanent in einer Selbstbehauptungssituation abgegrenzt gegen den Kollegen. Bei Schwierigkeiten muß der Erzieher daher die Ursache dafür zunächst bei sich selbst vermuten: „Es möchte ja eigentlich jeder bei seiner Arbeit Erfolg sehen . . . Bleibt dieser Erfolg aus, oder ist er bei anderen größer, so erfolgt daraus häufig eine negative Einstellung der Kollegin gegenüber . . . Jeder hat seine Gruppe und beißt sich durch! Das fordert oft Konkurrenzkämpfe, z. B. wessen Gruppe „funktioniert" am besten? Dies treibt oft noch tiefer in die Isolation . .." Neben der Struktur der Kindertagesstätte spielt die unterschiedliche Höhe des Lohnes eine wichtige Rolle: „Um mit den Schwierigkeiten fertig werden zu können, gibt es für viele nur die Fluchtmöglichkeit in die Vereinzelung und ins Konkurrenzdenken, was durch die unterschiedliche und obendrein schlechte Bezahlung noch gefördert wird . .. jeder andere Erzieher wird häufig unbewußt als Feind betrachtet, denn welcher Erzieher kann es sich leisten, einzugestehen, daß er die anstehenden Probleme nicht allein lösen könnte." Ober diese (individuelle) Ebene hinaus stehen aber auch die Abteilungen untereinander in Konkurrenz; das wird weiter verstärkt durch die räumliche Trennung: „Die drei Gruppen (Krippe, Kindergarten, Hort) standen in einer Verteidigungsstellung zueinander." Weitere wichtige Faktoren, die Konkurrenz fördern, sind Unsicherheit und Angst: „Die Erzieher sind unzufrieden mit ihrer Situation. Aus Angst sind sie unfähig, sich zu solidarisieren . . . Vermutlich haben sie sehr selten Erfolgserlebnisse . . . Ein Wegfall des unbedingten Konkurrenzstrebens würde sich daher in einem sehr viel besseren Arbeitsklima und damit verbundener personeller Kontinuität bemerkbar machen . . . Das kann aber nur durch Aufbrechen der isolierten Situation der Erzieher erfolgreich angegangen werden." Informationsfluß: Neun von zehn Erziehern erhalten den Großteil aller Informationen über die Leitung, wobei hier allerdings Termine, Veranstaltungen und andere Organisationsfragen im Vordergrund stehen. Ca. ein Drittel der Erzieher ist unzureichend informiert — d. h. sie erhalten keine oder zu spät Informationen. Ein besonderes Problem stellt der jährliche Gruppenwechsel dar: Es werden kaum pädagogisch wichtige Informationen über die Kindergruppe an die Kollegen weitergegeben, Hinweise beschränken sich zumeist auf „Problemkinder" bzw. „Problemeltern" und haben eher episodischen Charakter. Eine inhaltlich ausgewiesene Kinderkartei wird nur selten geführt. „Im Laufe des Tages ergeben sich wenig Möglichkeiten miteinander zu sprechen . . . Informationen der Kolleginnen untereinander erfolgen hastig im Vorübergehen . . . Die Leiterin informiert immer individuell..." „Die Frühstücksgespräche gehen nicht über Privatangelegenheiten, Häkeln und Stricken und allgemeiner Ärger über die Kinder hinaus."

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Arbeitsbesprechungen, an denen wenigstens die Erzieher einer Abteilung teilnehmen, finden in gut der Hälfte der Einrichtungen statt — dies vorwiegend nach Feierabend; in einem Viertel der Kitas alle zwei Wochen. Wirtschafts- und Küchenpersonal nimmt bei einem Drittel häufig bzw. nach Bedarf daran teil. Inhaltlich stehen organisatorische Fragen im Vordergrund, pädagogische Themen treten zurück, ebenso aktuelle Probleme, die z. B. nur in zwei Drittel der Fälle mit allen Mitarbeitern diskutiert werden. Je häufiger Dienstbesprechungen stattfinden, desto mehr werden pädagogische Inhalte angesprochen. Entscheidungsprozesse verlaufen entsprechend der Kompetenzverteilung und der verhältnismäßig geringen kollegialen Zusammenarbeit weitgehend ohne Mitwirkung der Erzieher. Dies betrifft Einstellungen und Kündigungen, Aufnahme von Kindern, Fragen der Entlohnung u.a.m. Über die Verwendung der festgelegten Mittel für den Kauf von Spielmaterial wird o f t gemeinsam entschieden, ebenso über die Zusammensetzung der Kindergruppen. Die in den Arbeitspausen zur Verfügung stehende Zeit ist zu kurz, um Probleme inhaltlich zu diskutieren oder über pädagogische Fragen zu sprechen. „Meist kommt es nur zu leeren Gesprächen, BZ-Schlagzeilen, Neuigkeiten über die Eltern (ein Über-sie-Herziehen). Dienstgespräche sind äußerst selten.4' Entweder werden keine gemeinsamen Dienstbesprechungen abgehalten — „Falls sich die Notwendigkeit ergab, eine Aussprache zu führen, wurden sie nur mit der Leiterin als Einzelgespräche geführt", — oder diese fallen aus organisatorischen oder Kranheitsgründen (der Leiterin) aus, denn: „Wir sind alle nicht gewillt, ,Kaffeekränzchen* mit allgemeinen »Plaudereien* über die schlechte Zusammenarbeit (clie sich nur darauf beschränkt, wer bei Abwesenheit eines Erziehers welche Kinder übernimmt, wie die nächste Feier ausgestattet sein muß etc.) zu veranstalten/' Organisatorische und technische Themen stehen bei den Besprechungen oft im Vordergrund: „Was mit den Kindern in den einzelnen Gruppen erarbeitet wird, steht nicht zur Debatte. Spezielle Probleme, die sich in einer Gruppe ergeben, werden in diesen Dienstbesprechungen abgelehnt. Sie werden auf die Ebene des persönlichen Gesprächs verwiesen, zu dem sich wenig Zeit ergibt." In vielen Fällen werden Diskussionen und Themen von der Leiterin bestimmt: „Keinem der Mitarbeiter ist das Thema des jeweiligen Abends bekannt . . . Die Leiterin greift dann heftig ein, wenn die Diskussion nicht den von ihr gewünschten Verlauf nimmt. . . Hauptträger der Diskussion sind die Vorschulgruppenleiterin, die Leiterin der Kita und deren Stellvertreterin . . . Die übrigen Mitarbeiter schweigen überwiegend." Außenkontakte

und Schule

Die Außenkontakte der Erzieher sind verhältnismäßig gering. Zeit- und kräfteraubende Ausflüge oder Besichtigungen werden nur selten durchgeführt, gleichzeitig besteht auch wenig Beziehung zu anderen Einrich93

tungen bzw. sozialen Diensten wie etwa der Familienfürsorge, Erziehungsberatung, Säuglingsfürsorge u. ä.; aber auch Abenteuerspielplätze und Jugendfreizeitheime werden kaum besucht. In einigen Bereichen finden regionale Treffen von Leitungskräften und auch Erziehern statt oder Arbeitsgruppen zu bestimmten abteilungsspezifischen Themen wie z. B. Krippe oder Hort. Eine wichtige Funktion im Rahmen der überregionalen Information und des Erfahrungsaustausches bieten zentrale Fort- bzw. Weiterbildungsveranstaltungen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang auch die seit einigen Jahren in Westberlin arbeitenden Beraterteams für Kindertagesstätten, die jeweils bezirksweise die Einrichtungen ,vor Ort* betreuen; ihre Aufgabe reicht von der Einzelfallhilfe bis zur Unterstützung bei der Entwicklung pädagogischer Konzeptionen. Ein wesentliches Problem, insbesondere für den Hortbereich, bildet die Schule: „Leider habe ich wiederholt feststellen müssen, daß Hortkinder oft von den Lehrern abgelehnt werden. Die Lehrer wissen häufig sehr wenig über die Hortsituation." Die Kontakte zwischen Erziehern und Lehrern sind zumeist schlecht: ,»Meist ist es so, daß der Erzieher abgewiesen wird und es selten zu fruchtbaren Gesprächen mit dem Lehrer kommt... Dieser Kontakt bleibt der Initiative des Erziehers überlassen . . . Kontakte, die von den Lehrern ausgehen, sind überaus selten." So ergeben sich bei Hospitationen von Erziehern in der Grundschule oft nicht nur organisatorische Schwierigkeiten. „Eine Zusammenarbeit zwischen Hort und Schule bleibt weiterhin auf Beaufsichtigung der Hausaufgaben, auf Gespräche mit den Eltern und ganz gelegentliche Gespräche mit der Lehrerin beschränkt." Dabei stehen die Horterzieher vor einem grundsätzlichen Problem: „Soll ich mich sozusagen als verlängerter Arm* des Lehrers betrachten, oder ist es nicht vielmehr meine Aufgabe, eigenständig, erzieherische Arbeit zu leisten? 44 Die Hausaufgaben bilden ein großes Problem für die Hortarbeit; das wird durch die räumlichen Verhältnisse oft auf die Spitze getrieben: „Ein Schularbeitsraum fehlt in der Kita völlig . . . Die Kinder müssen wegen des Mittagessens ihre gesamten Hausarbeitssachen wegräumen . . . Die Enge an den Tischen führt bereits zu Reibereien, noch ehe die Hausaufgaben begonnen werden können . . . Ist es unter diesen Umständen schon schwer, sich zu konzentrieren, so kommt hinzu, daß die Kinder Aufgaben bekommen, die nicht genügend (oder gar nicht) vom Lehrer besprochen sind." Eine Abstimmung von Schule und Hort ist unbedingt notwendig: „Der Lehrer könnte — wenn er die Situation des Hortkindes besser kennen würde — sich auch besser auf die Bedürfnisse des Hortkindes einstellen. Der Erzieher müßte über Lehrmethoden und über den Lehrstil des Lehrers informiert sein. Eine wichtige Rolle für diese wechselseitige Information spielen gegenseitige Besuche, Hospitationen und gemeinsame Besprechungen."

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Zusammenfassung

Zusammenfassend sind somit folgende wesentliche Ergebnisse festzuhalten:

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Der Großteil der Erzieherinnen kommt aus mittleren Angestellten- und Beamtenfamilien; Erzieher aus Arbeiterfamilien sind stark unterrepräsentiert. Diese soziale Struktur spiegelt sich auch in einem teilweise höheren durchschnittlichen Schulabschluß wieder. Die berufliche Ausbildung ist nicht nur sehr unterschiedlich, sondern inhaltlich durch eine mangelhafte Theorie-Praxis-Beziehung gekennzeichnet. Sie wird mehrheitlich als unzureichend eingestuft; selbst über eine solche Ausbildung verfügt nur ein Teil der berufstätigen Erzieher. Neben einer fast 100 %igen Feminisierung sind jüngere Erzieherinnen überrepräsentiert. Nur ein geringer Teil der Erzieher ist gewerkschaftlich oder parteipolitisch organisiert. Die Berufsmotivation ist primär geprägt durch die „Liebe zum Kind"; die Vorstellungen über den Beruf decken sich nur wenig mit der späteren Praxis. Der überwiegende Großteil der Erzieher hält die gegebenen Arbeitsbedingungen, hier insbesondere die materiell-strukturellen, für weitgehend unbefriedigend. Die berufliche Fluktuation ist überdurchschnittlich hoch. Die Erzieher stehen der Erziehung in der Kita zum Teil skeptisch gegenüber. Allgemein werden durchaus ähnliche Erziehungsziele vertreten, in der konkreten Praxis allerdings ergeben sich erhebliche Unterschiede (so z. B. genanntes „Sozialverhalten" und praktizierte Gruppenerziehung). Bezüglich „Teamarbeit" herrschen sehr unterschiedliche und größtenteils diffuse Vorstellungen. Elternarbeit wird einerseits als notwendig angesehen, andererseits ist gerade in diesem Bereich Unsicherheit und Resignation bei den Erziehern festzustellen. Die räumliche Situation ist unzureichend; ähnliches gilt für Ausstattung, Spielmaterialien und Außenspielflächen. Erzieher verfügen über nur geringe arbeitsrechtliche Informationen. Die Entlohnung innerhalb der Einrichtung „Kita" ist äußerst unterschiedlich. Der Großteil der in den Kitas betreuten Kinder kommt aus sozial schwachen bis mittleren Familien; nahezu alle Mütter sind berufstätig; Kinder aus Ausländerfamilien sind vor allem in der Krippe stark vertreten. Der vorhandene Personalschlüssel ist zum einen regional sehr unterschiedlich, zum anderen insgesamt unzureichend. In der Regel zu große Kindergruppen führen zu einer Überlastung der Erzieher. Die Möglichkeiten einer qualifizierten und kontinuierlichen Fort- und Weiterbildung sind erheblich eingeschränkt. Der Tagesablauf in der Kita ist stark in bestimmte Organisationsphasen geteilt; diese sind abteilungsmäßig in Krippe, Kindergarten und Hort unterschiedlich — alle jedoch abhängig von zeitlich festgelegten „Pflichtphasen". Erziehung in der Kita vollzieht sich in einem restriktiven Sozialklima; Ziel dabei ist ein möglichst ruhiger, konfliktloser Ablauf. Die Kinder sind abhängig von der erzieherischen Wertskala der jeweiligen Gruppenerzieherin. Eine gezielte Gruppenerziehung wird in nur sehr geringem Maße versucht; hier spiegelt sich die hierarchische Struktur des Erzieherkollegiums in der pädagogischen Praxis bei der Kinderarbeit wider. Anregungen für die pädagogische Arbeit erfolgen zum geringen Teil von außen; die Innovations- und Veränderungsbereitschaft der Erzieher ist verhältnismäßig gering. Eine geplante Erziehung findet nur teilweise statt und bezieht sich dann nur auf einzelne Gruppen; insbesondere die Krippe ist durch ein erhebliches Planungsdefizit charakterisiert. Die Zusammenarbeit mit den Eltern wird mehrheitlich negativ beurteilt. Als besonders wichtig für die Verbesserung der Elternarbeit erweisen sich Einzelgespräche. Schwergewicht wird von den Erziehern den Elternabenden beige-

95t

messen, womit jedoch nur ein Teil der Eltern erreicht werden kann. Eine direkte Mitaibeit der Eltern in der Kita ist so gut wie nicht möglich. — Das Arbeitsklima in der Kita ist oft durch unterschwellige Rivalität gekennzeichnet. Konkurrenz und Isolierung der einzelnen Erzieher sind allgemeines Merkmal der beruflichen Tätigkeit in der Kita. — Die hierarchische Struktur in der Kita aktualisiert sich in Autoritätsproblemen (mit) der Leitung. Diese wiederum ist „Prellbock" zwischen Kollegen und Jugendamt, wobei letzteres Kontrollfunktion hat. — Der Informationsfluß ist weitgehend unzureichend. Auf den zum Teil regelmäßig stattfindenden Arbeitsbesprechungen werden vornehmlich organisatorische Belange diskutiert. Entscheidungen werden trotz ansatzweise vorhandener kollegialer Zusammenarbeit entsprechend der Kompetenzverteilung zumeist von der Leitung und dem Jugendamt getroffen. — Die Außenkontakte der Erzieher sind relativ gering. Nicht zuletzt darin zeigt sich der Isoliercharakter der gesamten Einrichtung. Die Kontakte zwischen Kindertagesstätte und Schule sind oft einseitig und mangelhaft.

3. Probleme und Zusammenarbeit in der Kindertagesstätte Das so skizzierte Bild der typischen Erzieherexistenz wird ergänzt durch Ergebnisse einer weiteren Untersuchung. 166 schriftliche Hausarbeiten von Erziehern an einer Westberliner Erzieherfachschule, die sich auf Erfahrungen im Rahmen des Praktikums in Kindertagesstätten beziehen, wurden hinsichtlich der in den Tagesstätten anfallenden Probleme und deren Zusammenhang zur kollegialen Zusammenarbeit analysiert. Die Kategorisierung beruht auf den bisher dargestellten Faktoren und wurde einerseits geringfügig reduziert, andererseits erfolgte eine inhaltliche Differenzierung. 15 Die Probleme wurden in „Haupt-" und „Neben 4 Probleme eingeteilt, darüberhinaus auch die positiven Erfahrungen der Erzieher („Positiva") erfaßt. Probleme treten in der Tagesstätte etwa vierzehn Mal so o f t auf wie Positiva. Offensichtlich spielen dabei die spezifischen Tätigkeiten in den verschiedenen Abteilungen eine erhebliche Rolle; Krippenerzieher nennen mehr Probleme und kehren erheblich weniger positive Aspekte ihrer Arbeit hervor als beispielsweise die Erzieher im Kindergarten; Erzieher, die in Vorschulgruppen tätig sind, führen mehr als doppelt so viele positive Aspekte an wie der Durchschnitt. Mehr als die Hälfte aller Probleme wird den Arbeitsinhalten zugeordnet, knapp ein Drittel den Arbeitsbedingungen; besonders stark ist diese Tendenz bei den Hauptproblemen, wo in vier von fünf Problemfallen die Arbeitsinhalte im Vordergrund stehen. Eine ähnliche Verteilung zeigen die genannten Positiva, hier wird allerdings den Vorbedingungen und Einstellungen kein einziger Fall zugeordnet. D. h. stark problemorien96t

tierte aber auch positive Sachverhalte werden konkreten Kategorien zugeordnet, die die Praxis der Erzieher unmittelbar betreffen; nur in geringem Maße werden allgemeine, vom direkten Konflikt (scheinbar) abgehobene Aspekte mit dem Sachverhalt in Beziehung gesetzt. Probleme insgesamt Basis 921 Qualifikation Reproduktion/Erfahrungen Weltanschauung Berufseinstellung Anlage/Räume/Ausstattung Spielmaterial Hierarchie Arbeitsrecht/Entlohnung Zeitlich-personelle Organisation Fort-, Weiterbildung Tagesablauf Kindergruppe Einzelkind Erz iehungs,, Stil" Erziehungsplanung Kontakt/Information Konkurrenz/Isolierung Feminisierung Arbeitsbesprechung Elternarbeit Schule Außenkontakte

HauptNebenprobleme probleme Basis 210 Basis 711 in %

5 3 3 4 6 4 5 1 7 4 4 12 5 8 3 7 3 1 4 8 2 1

1 0 3 3 0 0 7 1 5 0 2 27 13 12 2 4 1 1 0 9 5 0

6 3 3 4 8 8 4 1 8 5 5 7 3 7 4 5 3 1 5 8 1 1

100

96*

100

Positiva Basis 65

9 2 5 2 11 2 5 12 35 9 6 2 2 101*

* bedingt durch Rundung der Einzelzahlen

Bei der Zuordnung der Probleme und Positiva wird dementsprechend die „Kindergruppe", der „Erziehungsstil" der Kollegen und die „Elternarbeit" am häufigsten genannt; es folgen die „zeitlich-personelle Organisation" und die „Kontakte und Informationen" zwischen den Erziehern. Gerade letztere Kategorie, die umfassend das jeweilige Arbeitsklima betrifft, steht bei der Nennung von positiven Entwicklungen an der Spitze, gefolgt von eindeutig „pädagogischen" Kategorien wie „Kindergruppe" und „Erziehungsplanung". Angesichts der objektiv unzureichenden Arbeitsbedingungen überrascht es, daß z. B. der Anteil der positiven Feststellungen zu diesem Bereich höher ist als jener der Hauptprobleme. 97t

Differenziert man nach Abteilungen, so ergeben sich nur geringe Unterschiede bei den Dimensionen Arbeitsbedingungen und -inhalte; Probleme, die auf allgemeine Bedingungen zurückgeführt werden, werden im Kindergarten am seltensten genannt. In Krippe und Hort werden hinsichtlich der Arbeitsbedingungen keine positiven Anmerkungen gemacht. Auch bei der Zuordnung der Probleme insgesamt stehen bei den verschiedenen Erziehergruppen die gleichen Kategorien im Vordergrund: Kindergruppe; Anlage/Räume/Ausstattungen; zeitlich-personelle Organisation; Elternarbeit. Häufige abteilungsspezifische Probleme scheinen zu sein: In der Krippe die ,,Qualifikation", im Kindergarten der „Tagesablauf 4 , in den Vorschulgruppen der „Erziehungsstil" der Kollegen, im Hort werden Probleme mit „Einzelkindern" und der „Schule" angeführt. Bei Erziehern, die in der gesamten Einrichtung arbeiten, werden hierarchische Probleme und eingeschränkte Kontakt- und Informationsmöglichkeiten besonders häufig angeführt. Hauptprobleme machen sich durchgehend vor allem an der „Kindergruppe" und „Einzelkindern" fest. Als positive Sachverhalte werden hervorgehoben: In der Krippe „Erziehungsplanung", im Kindergarten und in der Vorschulgruppe das „Arbeitsklima", die Arbeit in der „Kindergruppe" und die „Ausstattung" (bzw. Spielmaterial), im Hort die Erziehung in der „Kindergruppe" und alternative Regelungen des „Tagesablaufes". Von den in allen Abteilungen tätigen Erziehern werden neben dem allgemeinen Arbeitsklima („Kontakte, Informationen") die „Arbeitsbesprechungen" und die „Elternarbeit" positiv beurteilt. Die Ausprägung der Zusammenarbeit von Erziehern bezogen auf die Gesamtzahl aller erfaßten Sachverhalte zeigt folgendes Bild: Beziehung zur Zusammenarbeit in % entscheidend wichtig mittelmäßig gering Probleme insgesamt davon Hauptprobleme davon Nebenprobleme Positiva

17 33 12 33

22 17 23 28

14 9 15 8

10 11 11 5

keine 37 = 100 30 39 26

Von allen ausgewiesenen Problemen wird nur bei 39 % ein enger Zusammenhang zur Zusammenarbeit erkannt, bei knapp der Hälfte der Probleme spielt diese eine untergeordnete Rolle. Zwischen Haupt- und Nebenproblemen besteht aber insofern ein Unterschied, als der Anteil der kooperativen Zusammenhänge, die als „entscheidend" angesehen werden, bei Situationen gravierender Problematik doppelt so hoch ist wie bei jenen durchschnittlicher Problematik. Dieses Verhältnis tritt in verstärkter Form bei den positiven Sachverhalten auf, in sechs von zehn

98t

Fällen wird die Zusammenarbeit der Erzieher als „entscheidender" (bzw. wichtiger) Faktor hervorgehoben. Während die Einschätzung der Zusammenarbeit bei den Gesamtproblemen im Bereich der konkreten Arbeitsinhalte am positivsten ist, ist die Beurteilung auf Arbeitsbedingungen orientierter Probleme ungünstiger als jene, die allgemeine Vorbedingungen und Einstellungen betreffen. Die Arbeitsbedingungen werden offensichtlich als weitgehend unveränderbar angesehen. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn bei den festgestellten Positiva hinsichtlich der „Arbeitsbedingungen" die negativste Einschätzung der Möglichkeiten von Kooperation, die überhaupt registriert wird, auftaucht; dies obwohl gerade die positiven Belange bei den konkreten „Arbeitsinhalten" eine überdurchschnittlich gute und enge Beziehung zur Zusammenarbeit ausweisen. Die Zahl derjenigen, die hinsichtlich der beschriebenen Nebenprobleme einen positiven bis neutralen Bezug zur Zusammenarbeit sehen, ist für den Bereich der Arbeitsbedingungen überzufällig niedrig. Auch dieses Ergebnis verstärkt den Eindruck, daß gerade bei Problemen, die auf Arbeitsbedingungen zurückgeführt werden, entweder resigniert wird oder individuelle Lösungen versucht werden. Hinsichtlich der Einschätzung von Problemen insgesamt sehen nur 5 % der Erzieher eine entscheidende Beziehung zur kollegialen Zusammenarbeit, 18 % eine wichtige, 22 % meinen, daß Zusammenarbeit eine Rolle spielt, 20 % sehen eine nur geringe und 35 % gar keine Beziehung zur Zusammenarbeit. Abteilungsspezifische Verteilung der unterschiedlich ausgeprägten Beziehung zur Zusammenarbeit hinsichtlich der Probleme insgesamt (Durchschnittswert je Text):

Basis Krippe Kindergarten Vorschulgruppe Hort Gesamtkindertagesstätte

entscheidend

in % wichtig mittelmäßig

gering

keine

13 39* 28 33

0 5 4 7

8 10 25 18

15 23 18 21

24 23 21 24

54 = 100 39 32 30

52

6

23

27

13

31

* Ein Text ohne Problemangabe Erzieher aus Vorschulgruppen und Hort sehen am ehesten einen Zusammenhang zwischen ihren täglichen Berufsproblemen und der Zusammenarbeit der Erzieher; die Krippenerzieher haben einen ausgeprägt negativen Bezug zur Zusammenarbeit. 99t

Von zehn Erziehern messen hinsichtlich der Gesamtprobleme der Zusammenarbeit etwa folgenden Stellenwert bei: — — — — —

kein Stellenwert geringer Stellenwert durchschnittl. Stellenwert wichtiger Stellenwert entscheidender Stellenwert

3 2 2 2 1

Insgesamt ordnen also sieben von zehn Erziehern dem Aspekt der Zusammenarbeit einen eher geringeren Stellenwert zu. Gesamtprobleme und deren Beziehung zur Zusammenarbeit:

Beziehung zur Zusammenarbeit (%): insgesamt entschei- wichtig mittel- gering keine Probleme dend mäßig absolut Qualifikation Reproduktion/ Erfahrungen Weltanschauung Berufseinstellung Anlage/Räume/ Ausstattung Spielmaterial Hierarchie Arbeitsrecht/ Endohnung zeitl.-personelle Organisation Fort-, / Weiterbildung Tagesablauf Kindergruppen Einzelkind Erziehungs„stil" Erziehungsplan Kontakte/Inform. Konkurrenz/Isol. Feminisierung Arbeitsbesprechung Elternarbeit Schule Außenkontakte

46

7

11

22

11

49=100*

24 27 33

4 22 18

29 22 24

33 0 6

8 11 9

25 44 42

60 42 43

5 2 30

7 10 26

10 17 12

17 2 12

62 69 21

13

15

15

23

0

46

69 35

10 6

14 17

25 20

9 17

42 40

41 108 50 75 30 45 27 8 37 75 22 11

2 18 4 32 30 49 26 13 32 15 18 18

20 21 10 23 33 38 48 13 49 16 27 64

27 11 12 7 13 36 19 0 11 8 14 0

20 6 16 12 3 9 4 0 3 19 23 0

32 44 58 27 20 2 4 75 5 43 18 18

* Da die Zahlen gerundet sind, ergibt die Prozentsumme bisweilen nicht 100.

100t

Positiva und deren Beziehung zur Zusammenarbeit:

Beziehung zur Zusammenarbeit (%): Positiva entschei- wichtig mittelgering keine insgesamt dend mäßig absolut Qualifikation Reproduktion/ Erfahrungen Weltanschauung Berufseinstellung Anlage/Räume/ Ausstattung Spielmaterial Hierarchie Arbeitsrecht/ Endohnung zeid.-personelle Organisation Fort-, / Weiterbildung Tagesablauf Kindergruppe Einzelkind Erziehungs„stil" Erziehungsplanung Kontakte/Inform. Konkurrenz/Isol. Feminisierung Arbeitsbesprechung Elternarbeit Schule Außenkontakte

0 0 0 0 6 1 3

0 0 33

0 0 33

0 0 0

0 0 33

0

100

0

0

0

14 0 33 50 43

0 100 0 13 43

0 0 0 0 13

14 0 33 0 0

71 0 33 38 0

50 0 100 100

50 25 0 0

0 50 0 0

0 0 0 0

0 25 0 0

100=100* 100 0

0 0 1 0 7 1 3 8 23 0 0 6 4 1 1

* Da die Zahlen gerundet sind, ergibt die Prozentsumme bisweilen nicht 100.

Zusammenfassend ist festzustellen: 1. Der Aspekt der Zusammenarbeit tritt nur bei einem kleinen Teil der in der Kindertagesstätte anfallenden Probleme in den Vordergrund; nur ein von fünf Erziehern erkennt, daß eine entscheidende oder wichtige Beziehung zwischen den auftretenden Praxisproblemen und der kollegialen Zusammenarbeit besteht. 2. Da davon ausgegangen werden kann, daß angeführte positive Sachverhalte aus der Kindertagesstätten-Praxis — zumindest teilweise — erfolg101t

reich verlaufene Problemlösungsversuche darstellen, kann angenommen werden, daß die Zusammenarbeit der Erzieher im Rahmen von Problemlösungen eine wichtige Rolle spielt. 3. Je stärker die Ausprägung eines Problems, desto eher wird auch die Notwendigkeit bzw. der Zusammenhang mit der kollegialen Zusammenarbeit erkannt. 4. Bei positiven Sachverhalten wird die Beziehung zur kollegialen sammenarbeit am engsten eingestuft. Je besser die Arbeit in einem stimmten Bereich (bzw. hinsichtlich eines spezifischen Aspekts der beitstätigkeit) in der Kindertagesstätte klappt, desto wichtiger wird Zusammenarbeit der Erzieher angesehen.

ZubeArdie

Für den Großteil der Erzieher gilt jedoch, daß sie zwischen den Problemen der Erzieherarbeit und der Zusammenarbeit von Erziehern keinen entscheidenden oder wichtigen Zusammenhang sehen. Um diesen Widerspruch zwischen problemhafter Arbeitssituation und der Enthaltung von problemlösenden, kooperativen Bezügen zu klären, ist es notwendig, über die Erscheinungsebene hinaus das Wesen der Kooperation, ihre gesellschaftliche Bedingtheit und die Spezifik kooperativer Zusammenhänge in der Arbeit von Erziehern theoretisch zu vertiefen. Erst diese verallgemeinernde Analyse eröffnet die Möglichkeit, wesentliche Ansätze zur Verbesserung der Kooperation von Erziehern im besonderen und der öffentlichen Kleinkinderziehung im allgemeinen zu entwickeln.

102t

III. Kooperation von Erziehern

1. Die Arbeitsbedingungen und die davon beeinflußte Praxis der Erzieher — erfaßt in den Arbeitsinhalten — sind als unbefriedigend und für eine effektive pädagogische Arbeit als unzureichend zu bezeichnen. Dabei spielt die Zusammenarbeit der Erzieher sowohl einstellungsmäßig als auch im direkten Handlungsvollzug eine wichtige Rolle. Auch eine über einen längeren Zeitraum (13 Monate) vom Verfasser durchgeführte teilnehmende Beobachtung in einer öffentlichen Kindertagesstätte zeigte, daß der kollegialen Zusammenarbeit sowohl im Bewußtsein der Erzieher als auch im konkreten Verhalten eine große Bedeutung zukommt. Der Aspekt der Zusammenarbeit stellt sich somit auf der Erscheinungsebene als ein wesentliches Moment in der Praxis von Erziehern dar. 2. Sowohl in den bildungspolitischen Programmen als auch weitgehend übereinstimmend von den Erziehern wird als ein wichtiges Erziehungsziel „solidarisches Verhalten" bzw. „Sozialverhalten" genannt; Diesem Anspruch steht aber eine Praxis gegenüber, die weniger gruppenintegrativ als vielmehr auf das Einzelkind gerichtet ist. Dies hängt zum einen mit den Erziehungsmaßnahmen der Erzieher zusammen, die ausgeprägt individualisierend sind. Wesentlich für diesen Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist hier aber auch die Struktur der Mitarbeiter, die sich in ihrem nicht-kooperativen Charakter unmittelbar in der Kommunikation Erzieher-Kind (bzw. Kindergruppe) niederschlägt: Der Erzieher als »soziales Lernmodeir bietet in seinem Verhalten gegenüber den anderen Kollegen den Kindern ein („unbewußt") anschauliches Beispiel für ein Sozialverhalten, dessen Gegenteil er als Erziehungsziel anstrebt. Aber auch aufgrund seiner individuellen Verhaltensdisposition ist er kaum in der Lage, die Kinder bewußt und systematisch an das verbal geäußerte Ziel kooperativen Verhaltens heranzuführen. Zusammenarbeit der Erzieher ist damit auch ein zentraler Aspekt um wesentliche pädagogische Ziele zu erreichen. 103t

3. Geht man davon aus, daß ein großer Teil jener Bedingungen, die die Arbeit in der Kita erschweren, nicht naturgegebene und festzementierte sind, so tritt die Möglichkeit und Notwendigkeit sie zu verändern in den Vordergrund. Dies erfordert aber zunächst sowohl das Erkennen als auch das Artikulieren von Interessen und Zielen, die den Erziehern gemeinsam sind; dann erst können, ebenfalls gemeinsam, entsprechende Forderungen und eine Strategie ihrer Durchsetzung entwickelt werden. Zusammenarbeit stellt somit als politischer Faktor einen wesentlichen und notwendigen Schritt für eine Verbesserung der Situation in Kindertagesstätten dar. 4. Der Bereich der Erziehung ist dadurch gekennzeichnet, daß das gesamte Geschehen sich nicht nur im Rahmen sozialer Interaktion abspielt, sondern das gemeinsame Tun geradezu Träger des Erziehungsvorganges ist. Erziehung umfaßt nicht nur die Zusammenarbeit mit Kollegen, den Mit-Arbeitern, sondern auch mit den Kindern — den „Arbeitsgegenständen" bzw. ,,-produkten". Erziehung ist somit durch eine „doppelte Kooperation" gekennzeichnet. 5. Zusammenarbeit ist aber nicht nur notwendige Voraussetzung für die Tätigkeit von Erziehern (= die Vermittlung der gesellschaftlichen Umwelt durch soziale Prozesse), sondern ein entscheidender gesellschaftlicher Aspekt und stellt das Wesen jeder menschlichen Tätigkeit dar: Der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen; die Veränderung seiner Umwelt (und seiner selbst) vollzieht sich in kooperativen, gesellschaftlichen Prozessen. Dieser entscheidende Stellenwert der Kooperation soll im weiteren theoretisch begründet werden.

1. Kooperation als Prinzip gesellschaftlicher Verhältnisse Der Arbeitsprozeß, als zweckmäßige Tätigkeit zur Herstellung von Gebrauchswerten ist eine „ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens". (MEW 23, 198) Die grundlegende Auseinandersetzung zwischen Mensch und Natur vollzieht sich aber nicht als individueller Akt und losgelöst von anderen Menschen, sondern als gemeinsamer: „In der Produktion wirken die Menschen nicht allein auf die Natur, sondern auch aufeinander. Sie produzieren nur, indem sie auf eine bestimmte Weise zusammenwirken und ihre Tätigkeiten gegeneinander austauschen. Um zu produzieren, treten sie in bestimmte Beziehungen und Verhältnisse zueinander, und nur innerhalb dieser gesellschaftlichen Beziehungen und 104t

Verhältnisse findet ihre Einwirkung auf die Natur, findet die Produktion statt". (Marx 1970, 35) Nur in Ausnahmesituationen handelt der Mensch also als einzelner; in der Regel steht er in einem überindividuellen Handlungszusammenhang (Volpert 1975), der, von Natur aus, planmäßig und systematisch vollzogen wird. Ebenso „natürlich" ist das gesellschaftliche Moment dabei, denn „die Gesellschaft besteht nicht aus Individuen, sondern drückt die Summe der Beziehungen und Verhältnisse aus, worin diese Individuen zueinander stehen". (Marx o. J.,176) Das menschliche Leben ist also insofern gesellschaftlich, als darunter das Zusammenwirken mehrerer Individuen verstanden wird: „Gesellschaftliche Arbeit ist als solche Zusammen-Arbeit zwischen Menschen: Kooperation."(Holzkamp 1973, 12) Mit der historischen Entwicklung und Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse verändert sich auch die Form der Kooperation — nicht jedoch ihr Wesen: Die Eigenart der Kooperation als zwischenmenschliches Grundverhältnis muß in besonderem Maße betont werden. Kooperation unterscheidet sich aber von einem bloßen Zusammenwirken. Die Besonderheit der Kooperation als Grundkennzeichen gesellschaftlicher Arbeit liegt nach Holzkamp in den drei Kriterien: Koordinierte Delegation von Teilaktivitäten, Bezogenheit auf Zwischenziele, Umverteilung von Aktivitätsergebnissen. Die menschliche Arbeit richtet sich dabei nicht primär auf „konsumatorische Aspekte", sondern auf die „gemeinschaftliche Herstellung und Nutzung von Gebrauchswert-Vergegenständlichungen". Erst dadurch hebt sich „Kooperation" — also Zusammen-Arbeit — entscheidend vom bloßen Zusammenwirken ab (Holzkamp 1973, 135). Insofern die gesellschaftlichen Strukturen objektive Kooperationsmöglichkeiten sind, stellen sie die Grundform der gesellschaftlichen Verhältnisse dar: „Die ,Natur4 des Menschen bedarf der Kooperation". (Hiebsch/Vorwerg 1971, 57) Historisch gesehen beruht das Zusammen-Arbeiten von Menschen auf der Teilung der Arbeit, worin sich auch die Entwicklung der Produktivkräfte ausdrückt — „d. h., die jedesmalige Stufe der Teilung der Arbeit bestimmt auch die Verhältnisse der Individuen zueinander in Beziehung auf das Material, Instrument und Produkt der Arbeit". (MEW 3,22) Die Art der gesellschaftlichen Arbeitsteilung — d. h. nicht nur was, sondern auch wie gearbeitet wird — ist somit ein Gradmesser gesellschaftlicher Verhältnisse — der jeweiligen Gesellschaftsform. Dies umfaßt aber keineswegs nur die materiellen Gegebenheiten und allgemeinen Strukturen, sondern hat entscheidende Auswirkungen auf die 105t

menschliche Psyche: „Im einzelnen Kooperationsakt vollzieht sich demnach die Außendetermination der menschlichen Psyche, und zwar in Form gesellschaftlicher Determination.. . Insofern ist der Kooperationsvorgang eine Bewegung, eine Auseinandersetzung zwischen äußeren und bereits verinnerlichten Lebensbedingungen, er ist der „Ausgangs"und der „Rückkehrpunkt" der menschlichen Wesenskräfte." (Hiebsch/ Vorwerg 1971, 32) Holzkamp weist darauf hin, daß gesellschaftliche Strukturen auch dann objektive Kooperationsmöglichkeiten bieten, wenn sie nicht in wirklicher Tätigkeit realisiert werden — d. h., daß Menschen, die raumzeitlich getrennt sind, auch in einer Kooperationsbeziehung miteinander stehen können. Diese Überlegung beruht darauf, nicht nur den Prozeß des Zusammenwirkens zu erfassen, sondern auch das Ergebnis. So gewinnt die gemeinsame Zielsetzung und Orientierung in Form einer „gemeinsamen Sache" neben der konkreten, raum-zeitlich vereinigten Zusammen-Arbeit an Wichtigkeit (vgl. Hplzkamp 1973, 137 u. 240). Damit wird auch die grundlegende Bedeutung der Kooperation deutlich. Zu nennen sind aber auch jene Kräfte, die durch den Akt der Kooperation freigesetzt werden. Zum einen erhöht sich die individuelle Produktivkraft des Menschen in der Zusammenarbeit mit anderen: Durch sozialen Kontakt entsteht ein „Wetteifern und eine eigne Erregung der Lebensgeister (animal spirits)" (MEW 23, 345) — die Anstrengungsbereitschaft und Motivation der einzelnen Menschen erfährt eine Steigerung. Zum anderen enthält aber die Kooperation eine ihr eigene Produktivkraft; sie liegt im gesellschaftlichen Gattungsvermögen des Menschen begründet, in der Synthese einer optimalen Koordination der Einzelleistungen. Die neue Produktivkraft (im Sinne einer Kollektivkraft) entsteht als eine zusätzliche Leistungs- und damit Lebenspotenz des Menschen in der Kooperation (Hiebsch/Vorwerg 1971). Kooperation erweist sich somit als jene entscheidende Beziehung, die letztlich die Entwicklung der Produktivkräfte, (= die materiellen Grundlagen gesellschaftlicher Verhältnisse) und damit zugleich die Gesellschaftlichkeit des Menschen bestimmt. 2. Kooperation in der bürgerlichen Gesellschaft a. Kooperation

als allgemeines

Prinzip

Das Grundprinzip der bürgerlichen Gesellschaft ist das der Ware in ihrem Doppelcharakter von Gebrauchswert — also konkrete Nützlichkeit — und Tauschwert — allgemeine, abstrakte Wertform. Dieser Doppelcharakter

106t

spiegelt sich im Herstellungsprozeß der Waren, der gleichzeitig Produktionsprozeß und Verwertungsprozeß ist — d. h. einerseits zweckmäßige Tätigkeit zur Herstellung von Gebrauchswerten, andererseits Wertbildungsprozeß, der über einen gewissen Punkt hinaus Verwertungsptozt& wird (vgl. MEW 23). Die Menschen treten sich als Warenproduzenten und Warenbesitzer gegenüber. „Das Geheimnisvolle der Warenform besteht also einfach darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eigenen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen." (MEW 23, 86) Die Beziehungen der einzelnen Arbeiten erscheinen den Arbeitern als das, was sie sind — „als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen". (MEW 23, 87) Die menschlichen Verhältnisse erscheinen so als Verhältnisse von Dingen. Diese „Verdinglichung" ist mit dem Begriff der „Entfremdung" aufs engste verknüpft. Zurückgeführt auf die gesellschaftliche Tauschwertorientierung kann dies nichts anderes bedeuten, als daß im Tauschwert jede Konkretion — Eigenheit — also auch Individualität und faßbare Gesellschaftlichkeit ausgelöscht ist: „Der gesellschaftliche Charakter der Tätigkeit, wie die gesellschaftliche Form des Produkts, wie der Anteil des Individuums an der Produktion erscheint hier als den Individuen gegenüber Fremdes, Sachliches . . . Der allgemeine Austausch der Tätigkeiten und Produkte, der Lebensbedingung für jedes einzelne Individuum geworden, ihr wechselseitiger Zusammenhang erscheint ihnen selbst fremd, (hervorgehoben, K. B.) unabhängig, als eine Sache." (Marx o. J., 75) Marx geht in den Pariser Manuskripten auf die „entfremdete Arbeit" ein und benennt vier Aspekte der Entfremdung des Menschen: 1. die Entfremdung vom „Produkt seiner Arbeit"; 2. die Entfremdung vom „Akt der Produktion", der Entäußerung seiner eigenen Arbeit; 3. die Entfremdung von sich selbst als „Gattungswesen", seiner eigenen Lebenstätigkeit („Gattungsleben") — „Selbstentfremdung"; 4. die Entfremdung „des Menschen von dem Menschen", (vgl. Marx 1966, 5 0 - 6 3 ) Insofern der Mensch von Natur aus ein soziales Wesen ist, entspricht die Entfremdung von sich selbst als Gattungswesen der Entfremdung vom anderen Menschen. Erscheint die Lebenstätigkeit dem Individuum nur als Mittel zur Lebenserhaltung (also nur als „Lebensmittel"), verliert 107t

der Mensch so das Verständnis für sein eigenes Wesen und macht sich falsche Vorstellungen davon, was er ist, bedeutet das letztendlich nichts anderes als die „Umkehrung seiner (menschlichen, K. B.) Individualität". (Suchodolski 1972, 164) Entfremdung ist aber kein Bewußtseinsphänomen, sondern resultiert aus der Warenproduktion und bedingt das gesellschaftliche Grundverhältnis der Menschen. Doppeldeutig wird der Entfremdungsbegriff dadurch, daß er Realität und Schein gleichermaßen als objektive Dimensionen enthält: „Konstituiert wird diese Identität von Schein und Realität immer wieder neu durch die menschliche Praxis, in der die Menschen dem Schein gemäß handeln und dadurch den Schein in Realität verwandeln". (Duhm 1975, 49) Es handelt sich also um einen realen Schein, der letztlich im Doppelcharakter der Warenform begründet ist. 16 Festzuhalten bleibt, daß die Entfremdung — und damit die Charaktermaske als Personifikation ökonomischer Verhältnisse — Teil der Grundsituation materieller Produktion in der bürgerlichen Gesellschaft ist — der Lohnarbeit: „Die Interaktions- und Kommunikationsform des Lohnarbeiters in der Produktion ist demgemäß die Grundkonstellation zwischenmenschlicher Beziehungsstrukturen, von der, wie immer vermittelt, die Möglichkeiten, Grenzen und Eigenarten der aktuellen Interaktions- und Kommunikationsweisen des Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft auch in Bereichen, die von unmittelbarer Produktion mehr oder weniger weit entfernt sind, abhängen." (Holzkamp 1973, 239) Der „allgemeinen" Entfremdung entspricht eine „besondere" im Rahmen der Arbeit. Bezogen auf die individuellen Handlungssysteme in der bürgerlichen Gesellschaft führt Volpert zwei strukturbestimmende Aspekte der „prinzipiellen Entfremdung" an: — zunehmende Vereinseitigung, d.h. die Handlungskomponenten spiegeln die gesellschaftlichen Möglichkeiten in immer geringerem Umfang wider, — Auseinanderfallen des allgemeinen (Erwerbs-)Motivs der Arbeitstätigkeit und des konkreten Inhalts und Ziels (Produkt) dieser Tätigkeit. Er nennt dies die „prinzipielle Partialisierung menschlichen Handelns". Bezogen auf den Arbeitsprozeß bedeutet dieser Prozeß: „Die völlige Trennung des Motivs der Arbeitstätigkeit vom Prozeß dieser Tätigkeit und die Ausschaltung des Individuums von der Regulation seiner eigenen Handlungen kennzeichnen die spezifische Partialisierung des menschlichen Handelns im Kapitalismus", sie ist wesentlicher Aspekt der geistigen Verelendung des Lohnarbeiters (Volpert 1975, 162). Ottomeyer spricht in diesem Zusammenhang von einer „Instrumentalisierung" bzw. „Selbstinstrumentalisierung". Diese Selbstinstrumentalisierung geht einher mit einer ebenso instru108t

mentellen und gleichgültigen Beziehung zum Mit-Menschen — also auch Mit-Produzenten. Daraus ist ersichtlich, daß auch die Kooperation der Menschen in entscheidender Weise davon beeinflußt ist. Den Arbeitern, deren Interesse voneinander isoliert sind, stellt sich die Arbeit als eine Totalität dar, wovon die einzelnen Bestandteile sich fremd sind — als ein Arbeitszusammenhang von „kombinierten" Produzenten, der ihnen nicht erlaubt, sich als Kombinierende zueinander zu verhalten (Marx o. J., 374). Das gesamte Ensemble der Arbeit steht ihnen fremd gegenüber — von fremden Willen geleitet. Die Arbeiter sind vereinzelt — „ihre Kooperation beginnt erst im Arbeitsprozeß, aber im Arbeitsprozeß haben sie bereits aufgehört, sich selbst zu gehören." (MEW 23, 352) Sie sind sich als Menschen fremd, da ihre Kooperation nicht durch ihre eigene Tat geregelt wird (vgl. Dechamps u. a. 1974). Als konkrete Ausformungen der durch Entfremdung charakterisierten gesellschaftlichen Grundsituation sind vor allem zu nennen: Gleichgültigkeit, Konkurrenz, Isolation, Angst/Unsicherheit. Die Gleichgültigkeit ist bereits im Tauschakt festgelegt, die Menschen stehen sich als Besitzer gleichwertiger abstrakter, gleichsam geronnener Arbeit gegenüber; etwaige individuelle Unterschiede sind in dieser Situation unwichtig: „Sie sind gleichgültig gegen alle ihre sonstigen individuellen Eigenheiten". Ebenso gleichgültig ist der Arbeiter aber auch gegen die konkrete Bestimmtheit seiner Arbeit: „Sie hat als solche nicht Interesse für ihn, sondern nur soweit sie überhaupt A r b e i t . . . " (Marx o. J., 154 u. 204) Der Gebrauchswert der Arbeit ist allein interessant für den Käufer, nicht für den Verkäufer. Der Gebrauchswert der Arbeitskraft ist die jeweilige Leistungsfähigkeit, die aber in keiner Beziehung zum geleisteten Produkt steht. Auch die objektiv gesellschaftliche Abhängigkeit und Verbundenheit der einzelnen Leistungen verschiedener Arbeiter ist nicht sichtbar. Leistungsfähigkeit reduziert sich so „scheinhaft auf eine jeweils dem einzelnen, individuellen Arbeiter naturhaft zukommende abstraktleere Leistungspotenz/* (Holzkamp 1973, 244) Ist der gesellschaftliche Aspekt — das Resultat der konkreten Leistung — einmal ausgeblendet, wird der Arbeitslohn zum subjektiven Zweck der Arbeit; dieser wird individuell erlangt. Steht aber der individuelle Lohn für eine bestimmte Leistung im Vordergrund, so stellt sich sofort die Frage nach der Angemessenheit der Lohnhöhe, nach dem Zusammenhang zwischen Leistung und Lohn. Gerade dieser Zusammenhang ist aber nicht angebbar, da die konkrete Leistung ja weitgehend uninteressant ist, was sich unmittelbar in Unsicherheit bezüglich des eigenen und Mißtrauen hinsichtlich des Lohnes der anderen äußert. 109t

Damit befinden sich die Arbeiter in einer konkurrentiellen Situation. Aber schon vor dem Verkauf ihrer Arbeitskraft stehen die Menschen in Konkurrenz um die optimale Verwertung ihrer Waren: „Der Zwang zur optimalen Selbstverwertung erzeugt unter den Lohnarbeitern eine ständige Konkurrenzsituation..." (Duhm 1975, 89) Je mehr nun die gesamte Persönlichkeit in diesen Konkurrenzkampf verwickelt wird, je mehr der Mensch sein „Innerstes" zu Markte trägt, desto umfassender ist er auch in seinen „innersten" Bezügen der Konkurrenz ausgeliefert — desto besser paßt die ökonomische „Charaktermaske" auf sein individuelles Gesicht. Je abstrakter die geforderte Leistung, desto größer die Angst vor Mißerfolg: Angst vor Mißerfolg ist Angst vor dem Konkurrenten, der schneller ans Ziel kommt. Das Ziel ist dabei nicht das optimale (= erfolgreiche) Zustandebringen eines konkreten Produktes, sondern allein der Sieg über den Konkurrenten, welcher erst die Möglichkeit der Tauschwertrealisierung bietet (vgl. Rumpf 1975). Die Widersprüchlichkeit der Lohnarbeit schlägt sich also auch darin nieder, daß im kooperativ organisierten Produktionsprozeß die Arbeiter untereinander konkurrieren; dieses prägende Moment des (Arbeits-) Lebens vollzieht sich gleichsam „außer" dem Arbeiter als gesellschaftliche Bedingung und hat damit objektiv bestimmenden Einfluß auf sein Bewußtsein. Unmittelbares Resultat dieser Konkurrenz ist die Vereinzelung der Menschen. Die Isolierung der Menschen voneinander beruht ebenfalls auf dem Tauschcharakter ihrer Beziehungen; es ist nicht die gemeinsame Sache, an der sie arbeiten, es ist nicht das allen gemeinsame Produkt, welches sie herstellen — dies alles ist ihnen fremd. Subjektiv gemeinsam ist ihnen nur das Interesse am Lohn, hier allein vergegenständlicht sich ihre Individualität. Soweit sie sich gegenübertreten, tritt aber ihre Individualität zurück hinter eine Gleichgültigkeit von bloßen Warenbesitzern. Ihre Beziehungen werden durch die Sache gesetzt, nicht durch die Personen selbst. Die Personen treten auseinander und gegeneinander auf, das allen Gemeinsame ist damit die Trennung — in der trennenden Konkurrenzsituation ist aber auch die Abgrenzung — Isolation — angelegt (vgl. Beck 1973). In den Regeln dieser Sach- (= Waren) Beziehungen liegt aber auch die Angst begründet, die Regeln nicht einhalten zu könnert — die Unsicherheit, erstens jemanden zu finden, der die (Tausch)-Beziehung aufnimmt und zweitens die Unsicherheit der Realisierung des Tauschwertes gegen andere Kokurrenten. Duhm nennt dies die „Realisierungsangst": „Es ist die Angst, daß die Verwertung nicht gelingt, daß die soziale Anerkennung, die man sich einhandeln will, nicht erfolgt, die Angst vor gesellschaftlichem Liebes- und Existenzverlust." (Duhm 1975, 94) 110t

Angst als gesellschaftliches Merkmal läßt sich je aus dem Aspekt der Gleichgültigkeit, der Konkurrenz und der Isolation ableiten. Entscheidend aber ist die allgegenwärtige Entfremdung, die letztlich als existentielle Bedrohung wahrgenommen wird: „Das Gefühl, ausgeliefert zu sein, wird zum Grundgefühl des entfremdeten Lebens. Ausgeliefert sein bedeutet Angst." (Duhm 1972, 47) Zusammenfassend sollen die in der bürgerlichen Gesellschaft herrschenden Grundbedingungen zwischenmenschlicher Beziehungen charakterisiert werden: — Der Doppelcharakter der Ware — zugleich Gebrauchs- und Tauschwert zu haben — spiegelt sich im Doppelcharakter der Arbeit als Produktions- und Verwertungsprozeß wider; hierin ist das Grundverhältnis sozialer und ökonomischer Beziehungen angelegt. — Die sich daraus ergebende Verdinglichung zwischenmenschlicher Beziehungen äußert sich in einer Entfremdung der Menschen voneinander und des Menschen von sich selbst. — Die Gesellschaftlichkeit der Menschen scheint über Dinge vermittelt — die Menschen treten sich als (ökonomische, soziale,...) Charaktermasken gegenüber. — Wesensmerkmal dieser Charaktermasken ist ihre generelle Gleichgültigkeit gegenüber allen Individualitäten. — Diese Gleichgültigkeit bezieht sich auch auf die Inhalte der Arbeitstätigkeit der Menschen; die Arbeitsleistung orientiert sich, entleert von jedem konkret qualitativen Aspekt, an der abstrakten, „individuellen" Lohnform. — Folge dieser gemeinsamen Lohnorientierung ist die Konkurrenz der Lohnarbeiter untereinander. — In ihrer Eigenschaft als private Warenbesitzer und individuelle Lohnempfänger ist auch eine Isolierung der Menschen angelegt. — Psychischer Ausdruck dieser objektiven Situation sind Mißtrauen, Unsicherheit und letztlich Existenz- bzw. Realisierungsangst. Diese Grundbedingungen menschlicher (Arbeits-)Beziehungen in der bürgerlichen Gesellschaft setzen sich jedoch nicht widerspruchsfrei und unkorrigierbar über die Köpfe der politisch Handelnden hinweg durch. Eine Verabsolutierung der Lohnarbeit und ihrer Auswirkungen würde ja gerade die immanente Widersprüchlichkeit ihres Charakters ignorieren und die damit befaßte Wissenschaft auf eine undialektische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Verhältnissen reduzieren. Die dahinter stehende funktionalistisch verstandene Vergesellschaftungslogik unterschlägt eben sowohl die historische als auch dialektische Dimension gesellschaftlicher Zusammenhänge (vgl. Erd-Kühler 1975, Barabas/Sachße 1975). Bezogen auf die „Machbarkeit" gesellschaftlicher Bedingungen bedeutet eine solche Vorgehensweise die weitgehende Ausklammerung von gesellschaftlichen Veränderungen durch die Menschen als historische Subjekte und damit ihre Beschränkung auf gesellschaftliche Objekte, die den ökonomischen Bedingungen hilflos und passiv ausgeliefert sind und über keine Handlungsmöglichkeiten verfügen.

111t

Die bisher angeführten Aspekte allgemein zwischenmenschlicher Beziehungen in der bürgerlichen Gesellschaft bedürfen einer weiteren Differenzierung; wohl setzt die Sphäre der Arbeit entscheidende Akzente für das Leben schlechthin, Produktion und Reproduktion können also nicht als unabhängige Bereiche angesehen werden. Es wäre jedoch ebenso kurzschlüssig, Entfremdung und die daraus resultierenden Prägungen der gesellschaftlichen Grundsituation (Gleichgültigkeit, Konkurrenz, Isolation und Angst) als hinreichende Bestimmungsmomente der Lohnarbeit zu begreifen, wie es falsch wäre, die Verhältnisse in der Arbeit linear auf die Sphäre „außer" der Arbeit zu übertragen und somit die Lohnarbeit und ihre ökonomische Funktion zu verabsolutieren. Es ist vielmehr notwendig, die Lohnarbeit hinsichtlich ihres widersprüchlichen Doppelcharaktere als Wertbildungs- und Verwertungsprozeß zu untersuchen, das Allgemeine menschlicher Arbeit in ihrer Funktion als Aneignung des menschlichen Wesens zu berücksichtigen und über materiell gesetzte Bedingungen hinaus den objektiven Faktor der Subjektivität zu erfassen. b. Kooperation in der Arbeit Betrachtet man jene Eigenschaften, die für den Arbeitsprozeß von Wichtigkeit sind, wird die eminente Bedeutung klar, die die Arbeitstätigkeit für die Entwicklung des Menschen hat. Zu nennen sind hier vor allem folgende notwendige Fähigkeiten: Aufstellen von Zielen, Vergleichen und Beurteilen einzuschlagender Wege und zu verwendender Hilfsmittel, Fassen von Entschlüssen, Verständigung mit anderen Arbeitern, Überwachung und Bewertung der Tätigkeit, Überwindung von auftretenden Hindernissen, bewußtes Erleben seines eigenen Verhältnisses zu Personen und Dingen der Umwelt (Karras 1958, 25). In der Tat nimmt die Arbeitstätigkeit im individuellen Gesamtsystem von Handlungen einen dominierenden Platz ein. D. h. aber weiter, daß sich der Mensch als Gattungswesen erst in der Arbeit voll entwickelt — entsprechende Handlungsstrukturen durch ihre alltägliche Realisierung erlernt werden. In der Arbeit wird der Mensch sozusagen „vom Rohling zum Endprodukt geformt". (Volpert 1975, 173) Vergegenwärtigt man sich das die Arbeit bestimmende Grundprinzip der Entfremdung und zieht man den Vergleich mit den für die Arbeit notwendigen menschlichen Eigenschaften so tut sich hier eine erhebliche Kluft auf. Fromm beschreibt den Menschen, der diese widersprüchliche Situation meistern soll: „ . . . Menschen, die sich für frei und unabhängig halten, keiner Autorität Untertan, keinem Prinzip, keinem Gewissensbefehl verpflichtet — und dennoch bereit, sich befehlen zu lassen, zu tun, was erwartet wird, 112t

sich reibungslos in die gesellschaftliche Maschine einzufügen." (Fromm 1960, 101; vgl. Gorz 1971) Es hat also den Anschein, als wäre der Arbeitsbereich solch diametralen Widersprüchen ausgesetzt, daß jede Möglichkeit eines bewußten „Miteinander", einer „menschlichen", gattungsmäßigen Kooperation ausgeschlossen sei. Hier soll nochmals auf die Gleichgültigkeit des Arbeiters, sein abstraktes Lohninteresse, rekurriert werden: Wohl hat die konkrete Arbeit für ihn an Interesse verloren, sein „Gattungsinteresse" ist auf ein bestimmtes Lohnquantum gerichtet. Trotzdem ist ein Interesse an der Arbeit, allerdings in quantifizierter Form, vorhanden. Das Bedürfnis, „Etwas zu machen", realisiert sich in der Form des „Geld Machens" auf abstrakte Art und Weise (Ottomeyer 1974). Trotz der vorhandenen Konkurrenz zeigt sich die Tatsache, daß der „Lohn der Gegenstand ist, an den sich die verbleibenden Reste menschlicher Fähigkeit, sich mit der gegenständlichen Welt solidarisch auseinanderzusetzen, anhaften". (Ottomeyer 1974, 107) Doch auch für die stoffliche Seite des Arbeitsprozesses ist eine instrumentell-gleichgültige Einstellung des Arbeiters dysfunktional: Das alleinige Interesse der Lohnarbeiter am Lohn würde die Grundlagen des Arbeitsprozesses selbst zerstören. Die Gleichgültigkeit gegenüber dem konkreten Arbeitsinhalt „erfährt eine beständige »Bremsung*. . . durch die Notwendigkeit, in der Produktion immer auch auf die besonderen stofflichen Eigenschaften des Produktionsprozesses einzugehen."(Dechamps u. a., 108) Ein, wenn auch eingeschränktes Interesse an konkret-nützlicher Tätigkeit ist also integraler Bestandteil auch der entfremdeten Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaft. Aber auch in der Tatsache, daß selbst die ausgefeilteste Organisation des Arbeitsvollzuges überraschend auftretende Konflikte und Probleme nicht voll ausschließen kann, liegt eine Notwendigkeit der direkten, qualitativen Auseinandersetzung der Arbeiter mit den Arbeitsmitteln — aber ebenso miteinander. Wie notwendig eine solche „informelle", dem Arbeiter oft gleichsam „augenzwinkernd" nahegelegte Kooperation und Identifikation ist, zeigen deutlich die Aktionen „Dienst nach Vorschrift", die meist den völligen Zusammenbruch des Arbeitsvollzuges zur Folge haben. Aus diesem Doppelcharakter der Ausrichtung auf den Arbeitsgegenstand — einerseits die Gleichgültigkeit, andererseits Identifizierung — ergibt sich somit eine Doppeldeutigkeit der sozialen Beziehungen — letztlich also auch ein Doppelcharakter der Kooperation. Trotz der Dominanz von Gleichgültigkeit und Isolierung kommt es demnach — in den „Poren" der Arbeit — zu sinnlich erfahrbarer, mit 113t

Bewußtsein der Produzenten vollzogener Kooperation. Solidarität als integraler Bestandteil einer qualitativ verstandenen Kooperation wird so zu einem unabdingbaren Aspekt des Arbeitsprozesses. Allerdings tritt sie nicht ,rein4 in Erscheinung, sondern in einer partikularen und brüchigen Gestalt (Dechamps u. a.). Im konkreten Arbeitsprozeß selbst liegen also Möglichkeiten der teilweisen Aufhebung der Entfremdung und ihrer Auswirkungen: „Die sinnliche Auffassung des anderen als eines Menschen in gleicher objektiver Lage, unter gleichen Lebensverhältnissen und Arbeitsbedingungen, in gleicher Position gegenüber dem Kapital, . . . kann der durch den übernommenen Verwertungsstandpunkt bedingten Vereinzelung, Isolation, Konkurrenz, Bedrohtheit durch den anderen etc. in Richtung auf erfahrene Verbundenheit mit dem anderen entgegenwirken." (Holzkamp 1973, 261) Die objektiven Verhältnisse der Arbeit sind jene Grundlage, auf der, wenn auch zunächst nur „informell" und „partiell", Kooperation erfolgen kann. Unterschieden werden muß hier jedoch von jener Kooperation, die verordnet, dem Arbeitsprozeß übergestülpt wird. Neben Arbeitstugenden wie Sparsamkeit, Verantwortlichkeit, Disziplin, Anpassungsbereitschaft und anderen zählt auch kooperatives Verhalten zu jenen Qualifikationen, die für eine reibungslose Anpassung an die betriebliche Sozialstruktur notwendig sind. Zweifellos fördert Kooperationsfähigkeit, verstanden als Kategorie der Anpassung und des Ausgleichs, die funktionslose Integration der Lohnabhängigen in den Arbeitsprozeß (vgl. Berg u. a. 1973). 17 c. Kooperation außerhalb der Arbeit Die Sphäre der Reproduktion steht in enger Beziehung zur Produktion — der Sphäre der Arbeit. Enthält nun diese, wie ausgeführt, kooperative Momente, so liegt der Schluß nahe, daß diese auch für den Reproduktionsbereich zutreffen. Und in der Tat, es hat den Anschein, als wäre der Mensch außerhalb der Arbeit erst wirklich Mensch — frei für sich selbst und andere. Erst im „Privatleben" — in der Muße, Freizeit — bieten sich für den Menschen Möglichkeiten, seinen Bedürfnissen entsprechend „sinnvoll" zu handeln. Hier, wo er sich scheinbar selbst gehört, ist er aber auf individuelle Konsumtion verwiesen — frei von gesellschaftlicher Produktion: „Der »Privatbereich' des Arbeiters, da er die abstrakte Negation der subjektiv sinnentleerten Arbeit im beruflichen Bereich darstellt, ist in der Perspektivlosigkeit bloß individueller Konsumtion befangen und deswegen genauso sinnentleert wie dieser". (Holzkamp 1973, 249) 114t

Was bedeutet das für die Beziehungen der Menschen? Wohl fällt die Konkurrenz weg, mit der die Sphäre der Arbeit behaftet ist, mit ihr zum Teil die Isolierung des Menschen vom Menschen. Das Gemeinsame des Konsums steht im Vordergrund; damit sind Elemente einer Kooperation vorhanden. Durch die Trennung vom eigentlich gesellschaftsstiftenden Bereich der Arbeit kann grundsätzlich diese Kooperation hier aber ebenso nicht hergestellt, wie die Isolierung aufgehoben werden. Die Beziehungen der „privaten" Menschen laufen nicht über Leistungen oder Arbeitsbezüge, sondern machen sich fest an sogenannten „rein menschlichen" Aspekten — man ist sich „sympathisch". Als Kriterien für Sympathie werden o f t äußerliche, „modische" Merkmale des anderen aufgeführt; Statussymbole spielen hier oft eine wichtige Rolle. Sympathie-Beziehungen sind aber, da in der Regel nicht auf einer Arbeitstätigkeit der Menschen basierend, ihrem Wesen nach kriterienlos und inhaltsleer. „Dies bedeutet, daß den auf wechselseitiger »Sympathie4 beruhender privaten Beziehungen zwischen Menschen genuin ein Moment der Unsicherheit und Unzuverlässigkeit anhaften." (Holzkamp 1973, 252) Die beliebige Aufkündigung der Sympathie und die damit jederzeit vollziehbare Beendigung der Beziehung charakterisiert die Konsumtionssphäre als einen Bereich, in dem der Anspruch auf Lebenserfüllung weitgehend vorgegaukelt wird. 1 8 Darüber hinaus ist eine „gemeinsame Sache", an der sich kooperative Beziehungen entfalten können, nicht vorhanden. Wenn also die Sphäre der Reproduktion, des privaten Konsums, als scheinbare Kompensation des in der Arbeit erlebten Unbills — als „Gegenmilieu" — verstanden wird, enthält sie geradezu diskooperative Strukturen. Erst in ihrer bewußten Verknüpfung mit dem Bereich der Arbeit, mit einer „gemeinsamen" Sache, kann ihr ein vorwärtstreibender kooperativer Charakter zugestanden werden. d. Typologie der

Kooperation

— Arbeit ist eine Naturbedingung des Menschen. — In der Arbeit treten die Menschen in (historisch) bestimmte Beziehungen und Verhältnisse zueinander. — Die Gesellschaft drückt die Summe der Beziehungen und Verhältnisse aus. — Gesellschaftliche Arbeit ist Zusammen-Arbeit zwischen Menschen — Kooperation. — Kooperation ist als Kennzeichen gesellschaftlicher Arbeit das zwischenmenschliche Grundverhältnis. — Im Kooperationsakt vollzieht sich die gesellschaftliche Determination des Menschen. — Kooperation umfaßt über die Form der direkten Zusammenarbeit hinaus auch die Dimension der Orientierung an einer „gemeinsamen Sache". 115t

— Kooperation erhöht nicht nur die individuelle Leistung, sondern stellt selbst eine neue Produktivkraft dar. — Arbeit in der bürgerlichen Gesellschaft ist durch ihren Doppelcharakter als Produktions- und Verwertungsprozeß gekennzeichnet. — Dadurch erscheinen die menschlichen Verhältnisse als Verhältnisse von Dingen. — Diese Verdinglichung ist mit der Entfremdung des Menschen von seinem Produkt, seiner Arbeit, sich selbst und anderen Menschen verknüpft. — In Form von Charaktermasken stehen sich die Menschen als Personifikation ihrer (ökonomischen) Verhältnisse gegenüber. Diese Gharaktermasken prägen allgemein das Verhalten der Menschen. — Als Folge der Entfremdung findet eine prinzipielle Partialisierung menschlichen Handelns statt. — Eine konkrete Ausformung dieser gesellschaftlichen Grundsituation ist eine instrumentalisierte Gleichgültigkeit gegenüber dem konkreten Arbeitsprodukt (und der Arbeit). — Über einen abstrakten Leistungsbegriff setzt sich die Gleichgültigkeit in der Individualform des abstrakten Lohnes durch. — Im individuellen Lohn ist die Konkurrenz angelegt, welche ebenso von Inhalten entleert ist. — Im abstrakten Tauschcharakter der menschlichen Beziehungen liegt auch die Isolierung der Menschen voneinander begründet. — In gleicher Weise beruhen Angst und Unsicherheit auf der gesellschaftlichen Grundsituation der Entfremdung. — Der Bereich der Arbeit ist aber insofern widersprüchlich, als er einerseits kooperativ organisiert ist, andererseits durch das diskooperative Element der Entfremdung gekennzeichnet ist. — Das Arbeitsinteresse (als Gattungsinteresse) des Arbeiters ist in quantifizierter Form auf den Lohn ausgerichtet. — Dieser Lohn-„Gemeinsamkeit" haftet, wenn auch in verstümmelter Form, der Aspekt der Solidarität an. — Auch für die stoffliche Seite des Arbeitsprozesses ist eine instrumentell-gleichgültige Haltung des Arbeiters dysfunktional. — Eine „informelle" Kooperation und zumindest teilweise Identifikation mit dem Arbeitsprodukt ist also notwendig. — Aus dieser Doppeldeutigkeit — hier Gleichgültigkeit, dort Identifikation — resultiert auch der Doppelcharakter der Kooperation. -1- In den objektiven Verhältnissen, der sinnlichen Erfahrung des anderen in gleicher Situation, liegt die Grundlage für eine erweiterte Kooperation. — Von ihrem Charakter her ist dagegen die verordnete Kooperation als Ideologie zu unterscheiden. Diese, als solche erkannt, birgt aber auch Möglichkeiten ihrer Durchbrechung. — Im Bereich der Konsumtion herrscht dagegen die Perspektivlosigkeit individuellen Konsums. — Aufgrund des Fehlens einer „gemeinsamen Sache" beinhalten die Beziehungen der Menschen, die zumeist nur auf Sympathie aufgebaut sind, ein Moment der Unsicherheit und Unzuverlässigkeit. — Nur durch das Herstellen eines bewußten Bezugs zur Sphäre der Arbeit kann diese diskooperative Grundstruktur durchbrochen werden.

Konsumtion, Markt und Produktion unterliegen dem gleichen Vergesellschaftungsprinzip; während jedoch die Konsumtionssphäre durch eine reine Individualisierung bestimmt ist, der Markt durch den beherr-

116t

sehenden Aspekt der Tauschbeziehungen kaum zu wirklicher Kooperation führen kann, bietet die Sphäre der Arbeit grundsätzlich Möglichkeiten ihrer Entwicklung.

TYPOLOGIE DER KOOPERATION Mensch

^Natur

Arbeit I gesellschaftliche Verhältnisse KOOPERATION Ware Gebrauchswert Wertbildungsprozeß

Tauschwert Verwertungsprozeß

Arbeit I Gesellschaftliche Verhältnisse I Verdinglichung Entfremdung von\ Produkt

Arbeit

sich selbst

anderen Menschen

Gleichgültigkeit

C

abstrakte Lohnform abstrakte Leistung

Konkurrenz / Isolierung / Angst — Unsicherheit

Gemeinsamkeit der Lohnform Gemeinsamkeit der Lage Identifikation mit der Arbeit „Gemeinsame Sache"

7/_JL_\V gesellschaftliche Arbeit

C

Kooperation als Ideologie

individuelle Konsumtion

Zirkulation Markt

Doppelcharkter der Kooperation

O

O

KOOPERATION

117t

3. Kooperation der Erzieher Auf der Grundlage der vorangegangenen Überlegungen, die den Versuch darstellen, Kooperation als wesentliches Prinzip gesellschaftlicher Verhältnisse auf allgemeiner Ebene zu erfassen, gilt es im weiteren, die Kooperation von Erziehern in öffentlichen Kindertagesstätten zu analysieren (vgl. Kokigei 1975). Dies umfaßt zumindest fünf Aspekte: 1. Erzieherarbeit ist Lohnarbeit. 2. Träger der hier behandelten öffentlichen Kindertagesstätten ist die öffendiche Hand; Erzieher in öffentüchen Kindertagesstätten sind daher Lohnarbeiter beim Staat. 3. Erzieher haben eine spezifische Arbeitstätigkeit. Professionell betriebene Kindererziehung im weitesten Sinn ist also konkreter Arbeitsinhalt, was auch Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Erziehers hat. 4. Im Gegensatz zu vielen anderen Berufen sind Erzieher im Bereich der Kleinkinderziehung fast ausschließlich Frauen. Die Feminisierung des Erzieherberufes kann somit als weiteres spezifisches Merkmal angeführt werden. 5. Die Arbeit des Erziehers vollzieht sich zum überwiegenden Teil in der Kindertagesstätte. Die äußeren und inneren Bedingungen der Kindertagesstätte — die Struktur der Institution — ist ein entscheidender Faktor der Erziehertätigkeit (vgl. Bader u. a. 1977). Im folgenden sollen diese fünf Aspekte in ihrer inhaltlichen Bestimmtheit und wechselseitigen Beziehungen dargestellt und hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Kooperation von Erziehern untersucht werden. Es ist bereits hier darauf hinzuweisen, daß sowohl die einzelnen Aspekte bereits in sich widersprüchliche Auswirkungen zeigen, als auch die verschiedenen Aspekte zueinander o f t in diametralem Gegensatz stehen. Damit sind sie aber kennzeichnend für die Situation der „Erziehungsarbeiter" und deren arbeitsspezifische Kooperation. In der Diskussion der einzelnen Faktoren wird versucht, im ersten Schritt die spezifische Ausformung gesellschaftlich bestimmender Verhältnisse in der Erzieherarbeit in ihren kooperations-beschränkenden Auswirkungen aufzuweisen. Im zweiten Schritt erfolgt dann die Beantwortung der Frage, inwiefern in diesen Faktoren selbst und den auftretenden inneren Widersprüchen Möglichkeiten enthalten sind, die Kooperation der Erzieher ansatzweise zu entwickeln bzw. zu verbessern.

a. Erzieherarbeit als

Lohnarbeit

Die bisher durchgeführte Ableitung des Stellenwerts und der Funktion von Arbeit im allgemeinen und der Arbeit in der bürgerlichen Gesellschaft im besonderen, die entscheidend durch die Entfremdung des 118t

Menschen (= Arbeiters) von seinen Produkten, seiner Arbeit, von sich selbst und von anderen Menschen bestimmt wird, ist von grundlegender Bedeutung. Sie reicht in ihrer Allgemeinheit aber nicht aus, spezifische Tätigkeiten von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen differenziert zu beschreiben, denn so wie sich die Berufe unterscheiden, so unterscheidet sich auch die damit verbundene „Moral" und die (gesellschaftlichen) Bewertungen der jeweiligen (individuellen) Tätigkeitsbereiche (vgl. MEW 21, 45 u. Volpert 1975, 151). Aus den Kriterien der Lohnarbeit wurden bereits vier wichtige Ausprägungen genannt, die die Arbeit, also damit auch die Zusammen-Arbeit, bestimmen: Gleichgültigkeit, Konkurrenz, Isolierung, Angst/Unsicherheit. Erzieherarbeit als Lohnarbeit ist zweifellos zunächst den gleichen Bedingungen unterworfen. Der Lohnerzieher verfügt nur über seine Arbeitskraft — es muß sein Ziel sein, diese Arbeitskraft so teuer wie nur möglich zu verkaufen. In der Arbeit hat er keinen Grund, sich mehr als notwendig einzusetzen; er versucht, mit dem geringsten Arbeitsaufwand über den Tag zu kommen. Arbeitsinhalte, Arbeitsorganisation, Arbeitsziele sind ihm ebenso vorgegeben und fremd wie er von den Arbeitsprodukten" — den zu erziehenden Kindern — entfremdet ist. Diese Kinder sind auch nicht einmal die eigenen, es sind fremde Kinder von ihm völlig fremden Menschen. Heinsohn's Fragen sind hier sicherlich berechtigt: „Warum soll er (der Lohnerzieher, K. B.) sich für fremde Kinder aufreiben? . . Warum aber sollte er fleißig sein, mehr tun, als die Kinder mit geringstem Kraftaufwand über die vorgeschriebenen Stunden zu bringen? " (Heinsohn/Knieper 1974, 227) Erziehung als Lohnarbeit im „Erziehungsbetrieb" Kindertagesstätte unterscheidet sich nicht allzusehr von der Arbeit in jenen Betrieben, in denen die Lohnarbeit auch offen als solche benannt wird. Denn auch in der Kindertagesstätte „versammeln sich unterbezahlte Frauen, gibt es Lohndrückerei gegen alle dort Tätigen, da der Staat gezwungen ist, die Kosten für die Aufzucht der zukünftigen Arbeitskräfte so gering wie möglich zu halten. Hier gibt es Aufstiegsstreben und Untergebenenverachtung . . . Hier atmet man auf, wenn Pause ist und läßt das Kind genauso fallen wie der Maurer seine Kelle". (Heinsohn/Knieper 1974, 232) Erzieherarbeit in der Kindertagesstätte ist also geprägt durch eine der Lohnarbeit geschuldete Gleichgültigkeit. Vor allem die Gleichgültigkeit gegenüber den Kindern und der Erziehungsarbeit macht aber den Lohnerzieher als Erzieher weitgehend unbrauchbar. Dieser Aspekt trifft auch für andere pädagogische Berufe zu, wobei der Beamtenstatus des Lehrers sich auch in einem spezifischen Bewußtsein widerspiegelt. Gerade die 119t

Kleinkinderziehung verlangt einen Erzieher, der flexibel sein muß, sensibel für soziale Abläufe und situative Ereignisse und der ein Minimum an „Persönlichkeit" in seine Kommunikation mit den Kindern einbringen muß; d. h. er muß sich wenigstens teilweise mit seiner Arbeit identifizieren können. Im weiteren wird aufzuweisen sein, ob und wie diese widersprüchliche Beziehung zwischen Lohnerziehergleichgültigkeit und Kindererziehung aufgelöst werden kann. Es soll aber schon an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß im Versuch der teilweisen Auflösung dieses Widerspruchs entscheidende kooperative Potenzen für die Erzieherarbeit in der Kindertagesstätte frei werden bzw. entstehen. Aber auch die Entfremdung von der „Totalität des Erziehungsprozesses", die Reduktion des Erziehers auf einen kleinen Teilbereich des gesamten Sozialisationsprozesses, bringt eine Gleichgültigkeit gegenüber seiner Arbeitstätigkeit mit sich. Die darin angelegte Gleichgültigkeit erfährt eine wesentliche Verstärkung durch die weitere Parzellierung der Kleinkinderziehung in, von der Entwicklung des Kindes und der Beziehung zwischen Erziehern und Kindern losgelöste, abstrakt-zeitlich bestimmte Verantwortlichkeiten (vgl. Bader 1977). Im überwiegenden Großteil aller öffentlichen Kindertagesstätten herrscht in konsequenter Entsprechung der Schichtarbeit ein rein organisatorisches Kinderübergabesystem. Dieses „Taktverfahren" wiederholt sich „im kleinen" im täglich wiederkehrenden Rhythmus der Weitergabe der Kinder (gleich Dingen) an den nächsten Erziehungsarbeiter und reproduziert sich „im großen" im zumeist regelmäßig zur Einschulungszeit erfolgenden abrupten Wechsel der Gruppenerzieher. So verstärkt dieses Prinzip der Arbeitsteilung die bereits der Lohnerziehung geschuldete Gleichgültigkeit erheblich. Die erheischte, gleichsam abstrakte Leistung der Aufbewahrung entspricht in ihrer konkreten Ausprägung der ebenso abstrakten Lohnform. Die dem „Produkt" und der Arbeit entgegengebrachte Gleichgültigkeit findet ihre Fortsetzung in den Beziehungen zwischen den Lohnerziehern. Arbeitsinhalte und soziale Beziehungen zwischen Erzieher und Kindern im Rahmen dieser Arbeit sind nur selten Themen der sozialen Interaktion der Erzieher. Erzieher stehen solchen pädagogisch-sozialen Informationen oft gleichgültig und desinteressiert gegenüber. Daraus ergeben sich Informationsblockaden oder zumindest Informationsverluste, die wiederum die pädagogische Arbeit erschweren; der Teufelskreis pädagogischer Gleichgültigkeit beeinträchtigt so aufs schwerste auch die „kooperative Kompetenz" der Erzieher. Denn die durchaus vorhandenen kooperativen Ansätze selbst innerhalb einer solchen „deformierten" pädagogischen Praxis werden in der Alltagsmühle der Gleichgültigkeit zerrieben und ermöglichen oft nur mehr Beziehungen zwischen den Erziehern, die 120t

lediglich auf einer jederzeit aufkündbaren Sympathie beruhen. Diese Kontakte, die quasi-privaten Charakter haben, sollen wohl die Entfremdung der Erzieherarbeit kompensieren helfen, wirken aber objektiv letztlich als trennendes Element. Kontakte dieser Art verfügen über keinerlei verbindende und verbindliche Grundlage kooperativen Handelns, ignorieren weitgehend die wirkliche Existenz der Erzieher, nämlich den Arbeitszusammenhang 19 und wirken so bloß als Verkleisterung für die Gleichgültigkeitsstrukturen der Lohnerziehung. Beruhen die quasi-privaten Kontakte der Erzieher auf dem — vergeblichen — Versuch, der herrschenden tendenziellen Gleichgültigkeit etwas entgegenzusetzen, so sind die „Arbeitskontakte" der Erzieher klar durch das Prinzip der Konkurrenz geprägt. Wie bereits dargelegt, setzt sich die Gleichgültigkeit über einen abstrakten Leistungsbegriff in der Individualform des Lohnes durch, in dem wiederum die Konkurrenz angelegt ist: Betrachtet man die vom Erzieher erwartete Leistung, so stellt man zweierlei fest: Erstens liegt es im Charakter der Erziehung, daß Auswirkungen sowohl zumeist erst nach längerer Zeit sichtbar werden, als auch verhältnismäßig schwer zu erfassen sind. Zweitens gibt es für den Bereich der Kleinkind- und Horterziehung bisher keine konkrete Tätigkeitsbeschreibung für Erzieher, keinen Katalog operationalisierter Erziehungsziele, keine allgemein verbindlichen Curricula. Die Erprobung der teilweise vom DJI entwickelten Curricula ist frühestens 1978 abgeschlossen. Mit einer Institutionalisierung dieser Curricula kann nicht vor 1980 gerechnet werden, wobei aber durchaus die Möglichkeit (Gefahr) einer politisch begründeten Umpolung von »offene4 auf ,geschlossene* Curricula besteht. In dieser Situation der „Freiheit" von spezifischen Tätigkeitsanweisungen und Zielen liegen wiederum zwei höchst unterschiedliche Aspekte: Zum einen bedeutet dies nichts anderes als das Fehlen konkreter Bestimmungen der Lohnerzieherarbeit in der Kindertagesstätte. Die erforderliche Leistung des Lohnerziehers ist in der Tat Undefiniert („abstrakt") und reicht letztlich nicht über eine organisatorisch gefaßte Bewahrfunktion hinaus. Darin ist aber auch ein konkurrenz-stiftendes Moment enthalten. Zum anderen bestehen offenbar Möglichkeiten der konkreten Füllung dieses abstrakten Leerraums. D. h. der defizitäre Charakter der Kleinkinderziehung läßt, paradoxerweise, die Chance, partiell die Leistung des Lohnerziehers auf einen inhaltlich-konkreten Begriff zu bringen. Da dies jedoch (bisher) die Ausnahme von der Regel darstellt, kommt dem konkurrenzstiftenden Aspekt der abstrakten Leistungserbringung weiterhin wichtige Bedeutung zu. 121t

Konkurrenz hat eine relative Gleichheit zur Bedingung — im anderen Fall — bei Ungleichheit — bestünde ja gar nicht die Notwendigkeit einer Konkurrenz, da durch die ungleichen (Macht-)Verhältnisse sich bereits eine eindeutige Herrschaftsstruktur durchsetzen würde. Diese relative Gleichheit besteht für die Lohnerzieher neben dem allgemeinen Kriterium der Lohnarbeit in objektiv ähnlichen Arbeitstätigkeiten. Obwohl gemäß der menschlichen Ontogenese verschiedene Persönlichkeitsmerkmale der Kinder in verschiedenen Entwicklungsphasen sich unterschiedlich stark entwickeln, kann dennoch nicht von ^ entscheidenden Erziehungsphase gesprochen werden. D. h. Kleinstkind-, Kindergarten- und auch Horterziehung haben objektiv auch einen zumindest ähnlichen Stellenwert. Diese Gleichwertigkeit wird in der Kindertagesstätte aber zugunsten einer starken Hierarchisierung durchbrochen. Die den verschiedenen Arbeitsbereichen zugesprochene Gewichtung hat als besonderes Merkmal, daß sie nach außen orientiert ist. D. h. sie entspringt nicht der konkreten Tätigkeit der Erzieher, sondern ist Ausdruck gesellschaftlicher Werturteile, die in der Kindertagesstätte ihren Niederschlag finden. 20 Sie kann auch nicht der Arbeitstätigkeit der Erzieher entspringen, steht doch das Moment der Abstraktheit, der inhaltlichen Nichtbestimmtheit der Erziehertätigkeit im Vordergrund. Damit erweisen sich jene Faktoren, welche — trotz relativ objektiver Gleichheit — verschiedenen Erzieherarbeiten unterschiedliche Wichtigkeit scheinbar aufgrund konkreter Inhaltsunterschiede der Arbeit zuweisen als von außen aufgestülpt. Sie entspringen nicht der konkreten Arbeit und verstärken damit nur die in der Abstraktheit der geforderten Lohnerzieherleistung begründete Konkurrenz der Erzieher untereinander. Als zweites, die Konkurrenz verstärkendes Element, ist aber auch die unterschiedliche Entlohnung für — objektiv — gleichwertige Arbeit zu nennen. Zweifellos spiegelt sich darin auch die gesellschaftliche Wertschätzung, die den verschiedenen Erzieherarbeiten entgegengebracht wird. Bei dieser gesellschaftlichen Wertschätzung scheint es sich aber um ein Moment zu handeln, das veränderten Situationen kaum Rechnung trägt. Wie ist es denn sonst zu erklären, daß seit etwa 1968, dem Jahr der (Wieder-)Aufnahme der öffentlichen Diskussion über den ungeliebten Sprößling der bürgerlichen Psychologie — der Sozialisationstheorie (früher Milieutheorie genannt), die im besonderen auf die Betonung der Wichtigkeit der frühkindlichen Erziehung abhebt, weder die institutionalisierte Kleinstkinderziehung im allgemeinen noch die Situation der in diesem Bereich tätigen Erzieher überdurchschnittlich verbessert wurden? Krippenerzieher sind nach wie vor schlecht qualifizierte Erzieher mit den schlechtesten Arbeitsbedingungen in der Kindertagesstätte. 122t

Offensichtlich besteht also ein Widerspruch zwischen wissenschaftlich diskutierter und öffentlich akzeptierter Relevanz und der gesellschaftlichen Honorierung, die sich in unterschiedlich hoher Entlohnung äußert. Diese unterschiedlichen Honorierungen entsprechen nicht im sozialen Inhalt unterschiedlichen Funktionen, sie stellen sich vielmehr dar als verknöcherte, historisch tradierte Kategorien. Fehlt das Gemeinsame konkreter Erzieherarbeit, handelt es sich also um eine vom Inhalt losgelöste Tätigkeit, die durch überstülpte Wertschätzungen ideeller und materieller Art verstärkt in eine Konkurrenzstruktur eingebunden ist, so ist damit auch die Kooperation auf ein Minimum reduziert. Das allen Gemeinsame ist die Konkurrenz*, diese hat aber generell trennenden Charakter — es gibt hier Verlierer und dort (relative) Sieger. Dem steht aber die Gemeinsamkeit der Lohnform gegenüber: Trotz unterschiedlicher Lohnhöhen sind Erzieher insgesamt absolut und relativ unterbezahlt. Insofern ist ihre (Lohn-)Lage eine gemeinsame. Daraus resultieren auch ähnliche Interessen. Hierin aber bereits Kooperation zu erkennen wäre falsch; richtig dagegen ist, daß eine solche Gemeinsamkeit eine Keimioxm für kooperatives Handeln sein kann. In diesem Zusammenhang erscheint der Bezug zu zwei weiteren Ausprägungen entfremdeter Arbeit notwendig: Der Isolierung und der mit Unsicherheit aufs engste verbundenen Angst. Konsequenz der Konkurrenzsituation in der Kindertagesstätte ist die Isolierung des Erziehers von seinen Kollegen. Diese Isolierung drückt sich sowohl aus im Mangel an informeller Kommunikation als auch im bereits erwähnten unzureichenden Informationsfluß. Isoliert ist jedoch auch die Arbeit des Erziehers. Er ist aber nicht nur von seinen Kollegen isoliert, sondern meist auch von den Erfahrungen, Bedürfnissen und Interessen der Kinder sowie der Eltern. Darüber hinaus erlebt er die Kindertagesstätte als eine relativ isolierte Institution, fern der gesellschaftlichen Umwelt. Sie stellt in dieser Hinsicht in der Tat ein „artifizielles Sondermilieu" dar (vgl. Fürstenau 1969, 16). Diese mehrfache soziale Isolierung ist insofern besonders schwer zu ertragen, als gerade der Erzieher in seiner Berufstätigkeit auf einen kontinuierlichen sozialen Bezug zu Menschen angewiesen ist. Eine ähnliche Isolierung trifft im übrigen auch für die Situation des Lehrers im Schulbereich zu: „Kommunikation aber gibt es praktisch nicht einmal unter den Lehrern; von Eltern, Lehrern, Schülern und anderen Gruppen ganz zu schweigen . . . Unterricht gilt in Deutschland immer noch als individuelle Sache. Schwierigkeiten, die dabei entstehen, werden sowohl von den Kollegen wie selbst vom Unterrichtenden überwiegend als persönliches Versagen empfunden und verschwiegen. Lehrer sind von123t

einander isoliert. Die Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit in den Kollegien ist minimal." (Gerbaulet u. a. 1972, 9) Der Erzieher erlebt die Isolierung in der Kindertagesstätte doppelt: Einmal im isolierten Erziehungsvollzug, darüber hinaus aber auch in seinen Versuchen, wenn nicht professionell, so doch „privat" Kontakte zu schaffen, die diese Isolation punktuell aufbrechen sollen. Bezogen auf die Erziehungsarbeit bedeutet dies: Hat der Erzieher — vermeintlichen oder auch tatsächlichen — Erfolg in seiner Erziehungsarbeit, so ist Abgrenzung die Folge, die Kollegen reagieren als Gegner mit Mißtrauen: „Auf diese Kollegen wirken die engagierten Erzieher wie ein Akkordbrecher auf seine Arbeitskollegen in der Fabrik. Paßt er sich nicht an, wissen sie ihn fertig zu machen und treffen damit zugleich, was ihn für die Erziehung der Kinder erst wertvoll erscheinen läßt". (Heinsohn/ Knieper 1974, 233) Stellen sich Mißerfolge und Probleme ein, so hat der individualisierte Erzieher keine andere Möglichkeit, als dies als individuelles Versagen zu begreifen. Auch hier vollzieht sich eine Abgrenzung gegenüber den Kollegen. Zugespitzt formuliert: Der isolierte Lohnerzieher kann es sich weder leisten, Erfolg zu haben, noch Mißerfolg. Im Bemühen um einen möglichst unauffälligen Ablauf läuft er Gefahr, seine Erzieheridentität zu verlieren und steht damit dem Mißtrauen der Kollegen noch ungeschützter als zuvor gegenüber. Eine solche Situation der Unsicherheit ist ebenso durch Angst geprägt, Unsicherheit und Angst sind aber nicht als rein psychisch bedingte Situationsmerkmale zu begreifen. Dabei spielen Faktoren wie Qualifikationsdefizite, materielle Existenzprobleme, familiäre Konflikte u.a.m. eine wichtige Rolle. In zunehmendem Maße kommt die Unsicherheit des Arbeitsplatzes — die Angst vor der Kündigung hinzu. Die durch Isolation und Angst hervorgerufene individuelle Betroffenheit als Folge der Lohnarbeitssituation steht aber objektiv, so zynisch dies auch klingen mag, einer derselben Situation gedankten Gleichgültigkeit entgegen. Müssen Gleichgültigkeit und Konkurrenz nicht unbedingt als negativ erfahren werden, 21 so ist mit der Isolierung und Unsicherheit untrennbar die Erfahrung von Leid verbunden. In sehr vielen Fällen wird dies entweder als unveränderlich und natürlich angesehen, in anderen Fällen individualisiert. Trotzdem liegt in der Möglichkeit des Erkennens der gemeinsamen, unbefriedigenden Lage durch einen wechselseitigen Erfahrungsaustausch ein Ansatz für die schrittweise Herausbildung kooperativer Strukturen in der Kindertagesstätte. Erzieherarbeit als Lohnarbeit ist demnach durch folgende Aspekte bestimmt: 124t

— Die in der Lohnerziehung angelegte Gleichgültigkeit gegenüber den Kindern und der Erziehungstätigkeit macht den Lohnerzieher als Erzieher tendenziell unbrauchbar. — Die Parzellierung der Erziehungstätigkeit im Sinne einer „taktmäßigen" Weitergabe der Kinder verstärkt noch den Grad der Gleichgültigkeit. — Auch die Beziehungen zwischen den Erziehern entbehren weitgehend einer pädagogischen, d. h. arbeitsspezifisch begründeten Gemeinsamekeit; quasi-private Beziehungen stellen letztlich untaugliche Kompensationsversuche dar. — Die Abstraktion (= Inhaltsleere) der geforderten Erzieherleistung äußert sich auch (über die generelle Schwierigkeit der Bewertung erzieherischen Bemühens hinaus) im Fehlen (curricularer) Bestimmungsraster. — Die unterschiedliche Bewertung verschiedener Erziehungstätigkeiten in der Kindertagesstätte ist nicht den Tätigkeitsinhalten geschuldet, sondern von außen als gesellschaftliches Werturteil übergestülpt. — Neben diesem, die Konkurrenz der Lohnerzieher verschärfenden Element ist die unterschiedliche Entlohnung objektiv gleichwertiger Tätigkeiten als (widersprüchliche) Form gesellschaftlicher Honorierung zu nennen. All diese Auswirkungen sind einer Kooperation von Erziehern entgegengesetzt. — Die Gemeinsamkeit der Lohnform der Erzieher kann ein Ansatz kooperativer Handlungen sein. — Isolierung und Angst (Unsicherheit) als Auswirkungen subjektiver und objektiver Defizite sind stets mit einer leidvollen Erfahrung verbunden; daraus kann ansatzweise die Bildung kooperativer Strukturen resultieren.

b. Erzieherarbeit als Lohnarbeit beim Staat Erzieher in öffentlichen Kindertagesstätten sind Lohnarbeiter beim Staat, 2 2 daraus resultieren eine Reihe von Auswirkungen auf Lage und Bewußtsein der Lohnerzieher. Im Staat nimmt das gemeinschaftliche Interesse eine „selbständige Gestaltung" an, die getrennt ist von den wirklichen Einzel- und Gesamtinteressen. Allgemeine Aufgaben des Staates sind vor allem die Herstellung materieller Bedingungen der Produktion — der „Infrastruktur"; die Setzung und Sicherung von Rechtsverhältnissen (neben der Setzung allgemeiner Bedingungen des Verhältnisses zwischen Rechtssubjekten und der Gesellschaft auch Arbeitsbedingungen); Regulierung von Konflikten zwischen gesellschaftlichen Gruppen. Wichtig für den hier behandelten Aspekt ist besonders der erstgenannte Punkt — die Erstellung infrastruktureller Vorleistungen. Für den Bereich der Sozial- und Bildungspolitik stellt die in Artikel 20 des Grundgesetzes verankerte Sozialstaatsklausel eine rechtliche Absicherung staatlicher Funktionen dar. Das Bewußtsein vom Staat als einer vorwiegend sozialen Instanz bestimmt auch weitgehend das politische Bewußtsein der Staatsbürger. Politisches Bewußtsein bezieht sich in dieser Begrifflichkeit weitgehend auf den Staat, auf die Politik. Für den Erzieher in der öffentlichen Kindertagesstätte bedeutet dies zweierlei: Zum einen hat 125t

der Staat als Träger der Einrichtung Arbeitgeberfunktion — die Beziehung ist also eine vorwiegend ökonomische und betrifft primär die Arbeitsbedingungen. Zum anderen ist der Erzieher angehalten, die vom Staat und den angeschlossenen Instanzen formulierten Erziehungs- und Bildungsinhalte im Rahmen seiner Erziehertätigkeit umzusetzen — es handelt sich dabei also um eine vor allem ideologische Beziehung, welche primär die Arbeitsinhalte betrifft. Zunächst zum ökonomischen Aspekt und zur Frage: Wodurch ist eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst gekennzeichnet? Schmidt weist in einer Analyse zur Situation im öffentlichen Dienst darauf hin, daß die Struktur des Staatsdieners äußert vielschichtig sei: Arbeitsbedingungen, Arbeitsinhalte, Arbeitsbelastungen, aber auch der rechtliche Status sind sehr unterschiedlich; so differieren Arbeitsplatzsicherheit und Einkommen von Arbeitern, Angestellten und Beamten erheblich (Schmidt 1975). Erzieher sind in der Regel Angestellte. Für sie gelten also die beamtenrechtlichen Regelungen nicht. Damit unterscheidet sich die Situation des Erziehers bereits entscheidend von jener des Lehrers. Denn gerade das Recht der Unkündbarkeit des Beamten ist das hervorstechende Merkmal im Vergleich zu privatrechtlich geregelten Arbeitsverhältnissen. Nur etwa ein Viertel der Angestellten im Staatsdienst sind darin den Beamten gleichgestellt. Dies ist für Krisenzeiten und Perioden hoher Arbeitslosigkeit ein entscheidender Aspekt. Zwar können Kindertagesstätten nicht so ohne weiteres geschlossen und die Kinder nach Hause geschickt werden, ohne daß neben dem »sozialen Frieden 4 nicht auch die Reproduktion der Arbeiter erheblich beeinträchtigt würde. Dennoch ist klar zu sehen, daß sich wirtschaftliche Krisen über eine Reduktion der Steuern negativ auf das zur Verfügung stehende Finanzvolumen des öffentlichen Dienstes auszuwirken. 23 Verschärft wird dieser Prozeß noch dadurch, daß gerade in Krisenzeiten die zu erbringenden staadichen Leistungen insgesamt erhöht werden müssen. Damit unterliegt der öffentliche Dienst immer mehr jener Rationalisierungsnotwendigkeit der materiellen Produktion, von der er bisher ausgenommen schien. Nur die Form, in welcher der Staat auf solche Entwicklungen gegenüber seinen Beschäftigungen reagiert, ist eine andere: ,,Die Formen, in denen sich wirtschaftliche Krisen auch im öffentlichen Dienst bemerkbar machen, sind nicht immer so offenkundig wie Massenentlassungen, Betriebsschließungen und Kurzarbeit in der materiellen Produktion, aber schwerwiegend genug, um das Bild vom optimalen Arbeitsplatz „öffentlicher Dienst" zu korrigieren." (Schmidt 1975, 4) Diese Entwicklung macht auch nicht vor der Kindertagesstätte halt. Die staatlichen Lohn126t

erzieher verfügen also schon aus dem Grunde nicht über besondere Privilegien hinsichtlich ihres Arbeitsverhältnisses, weil es die Privilegien des öffentlichen Dienstes nicht gibt bzw. die tatsächlich vorhandenen Vorteile für Erzieher in Kindertagesstätten nicht gelten. In ihrer ökonomischen Abhängigkeit stehen sie zwar nicht einem so eindeutigen (Ausbildungs- und) Anstellungsmonopol des Staates wie z. B. die Lehrer gegenüber, durch die zunehmende finanzielle Abhängigkeit der freien Träger von staatlichen Zuschüssen ist jedoch die Tendenz einer noch engeren Verflechtung von Staat und „freien" Trägern bereits angelegt. Dies kommt langfristig einer staatlichen Monopolisierung auch der Erzieherberufe gleich, was für den Bereich der Kindertagesstätten einer Vergesellschaftung der Kleinkinderziehung entspricht. Für den ökonomischen Aspekt der Situation des staatlichen Lohnerziehers bedeutet das eine weitreichende Abhängigkeit vom staatlichen Arbeitgeber bei durchschnittlichen Arbeitsbedingungen. Ein ökonomischen Krisen geschuldeter „Rationalisierungsdruck" macht sich hier ebenso bemerkbar wie in anderen privatwirtschaftlichen Bereichen, wenn auch in veränderter Form. Der für den gesamten Bereich des öffentlichen Dienstes zutreffende Ökonomisierungsdruck erfährt im Bereich der Kleinkinderziehung eine Verschärfung, da, wie zu Beginn dieser Arbeit ausgeführt, der Sektor Bildung und Erziehung im allgemeinen, der Kindertagesstättenbereich im besonderen, in der Prioritätenliste des Staates, der die Verteilung des Sozialproduktes regelt, weit unten rangiert. Nun zur ideologischen Beziehung zwischen Lohnerzieher und Staat: Die oben beschriebene ökonomische Abhängigkeit der Lohnerzieher vom staatlichen Arbeitgeber ist die Grundlage auch für die ideologische Abhängigkeit. Denn der Staat fungiert nicht nur als Arbeitgeber für die Lohnerzieher, sondern regelt auch die ideologischen Aspekte der Erziehung, die Inhalte gesellschaftlicher (= sozialer) Normen. Obgleich er sie nicht als eigenständige Instanz schafft, so ist er dennoch zumindest teilweise Organisator und Transformator der herrschenden Ideologie, indem er in Form von gesetzlichen Richtlinien, Rahmenplänen u. ä. Festlegungen auch Rahmen und Inhalt der pädagogischen Tätigkeit in den öffentlichen Institutionen (wenn auch für den Bereich der Kleinkinderziehung nicht klar ausgewiesen) bestimmt. Dieser Funktion kann er insofern gerecht werden, als er neben dem Kindertagesstättenbereich sowohl die Kontrolle über die Ausbildung und Fort- und Weiterbildung der Erzieher ausübt, wie auch über Institutionen verfügt, in denen die Verwissenschaftlichung der Erziehung vorangetrieben wird; die Produkte dieser Institutionen werden dann als Argumente einer wissenschaftlichen Bildungspolitikberatung eingebracht. 24 In dieser Doppelfunktion als In127t

stanz, die sowohl die Bedingungen als auch die Inhalte der Erzieherarbeit entscheidend beeinflußt, kommt dem Staat eine besondere Relevanz in der Lohnerzieherexistenz zu. Hierzu tritt als weiterer Faktor das bereits erwähnte Bewußtsein vom Staat als „Sozialstaat", das vor allem bei Arbeitern im staatlich veranstalteten Sozialbereich stark ausgeprägt ist. Der staatliche Lohnerzieher arbeitet im steten Bewußtsein, für das Interesse des „Allgemeinwohls" tätig zu sein; er hat den Eindruck, daß er und seinesgleichen zu jenen Mitgliedern der Gesellschaft zählen, die mit ihrer Arbeit keine individuellen Interessen verfolgen. Aber auch der kontinuierliche Funktionszuwachs des Staates ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung: Je mehr Funktionen der Staat übernimmt, desto größer wird der notwendige Legitimationsbedarf. Oder umgekehrt: Je mehr der Staat in die Poren der Gesellschaft eindringt, je mehr er das Leben der Menschen unmittelbar berührt, desto größer muß auch die Staatsloyalität der Menschen werden. Verläuft dieser Prozeß unsynchron, kommt es zu politisch-sozialen Konflikten. Offe spricht in diesem Kontext von einem „notorisch hohen Konsensbedarf im Infrastrukturbereich"; durch seine umfassende Trägerfunktion rücke der Staat gleichsam „sich selbst" in den Vordergrund (Offe 1972 u. 1975). Das daraus abgeleitete Verständnis des staatlichen Lohnerziehers von sich selbst und seiner Arbeit spiegelt sich in seiner Erziehungsarbeit wider. Als Vermittler von Ideologie ist er besonders „ideologieanfällig", d. h., daß ihm z. B. seine objektive Lohnabhängigkeit nur wenig bewußt ist. Dadurch entsteht ein, wenn auch ideologiebegründetes, Gegenmoment zur Gleichgültigkeit als wesentlichen Aspekt der Lohn(-erzieher)arbeit. Dies hat wiederum Auswirkungen auf die von ihm betriebene Erziehung, insofern der Erzieher versucht, ein sozial (emotionales) Moment zu betonen, das allerdings auf der kritiklosen Übernahme von sozialen Normen beruht, die in ihrer Formulierung als Erziehungsziele der Kindertagesstätte leere Hülse bleiben. Gerade das fehlende Hinterfragen der intendierten, tatsächlichen, möglichen und notwendigen Inhalte stellt ein wesentliches Dilemma des staatlichen Lohnerziehers dar. Der ideologische Aspekt der Situation des staadichen Lohnerziehers ist bestimmt durch die Kontrolle, die der Staat über den Bereich der öffentlichen Kleinkinderziehung ausübt, wobei auf gesamtgesellschaftlicher Ebene der kontinuierliche Funktionszuwachs des Staates eine wichtige Rolle spielt. Zwischen dem auch auf der 502^/Staatlichkeit seiner Arbeit beruhenden Selbstverständnis des Lohnerziehers und seiner konkreten Erziehungsarbeit besteht ein enger Zusammenhang, der zu einer ausgeprägten „Erziehungsideologie" beiträgt. Der die Kooperation von staatlichen Lo^werziehern betreffende öko128t

nomische Aspekt wurde bereits im Rahmen der Diskussion über die Auswirkungen der Lohnarbeit behandelt. Die sich aus dem ideologischen Aspekt ergebende Beeinflussung des Erzieherbewußtseins und deren Auswirkungen auf die Kooperation fällt in ihrer spezifischen Ausformung unter die Kategorie „Erziehung" und wird im folgenden Abschnitt diskutiert. Die Ausführungen zum Aspekt der staatlichen Lohnerziehung bilden so ein Gelenk zwischen den Kategorien der „Lohnarbeit" und der „Erziehung", ohne das aber die Genese einer Erziehungsttteo/og*> in ihrer Widersprüchlichkeit zur Lohnerziehung nicht verständlich wird. In diesem Erkennen liegt jedoch gerade einer der wichtigsten Ansätze für die Kooperation der Erzieher. Erzieherarbeit als staatliche Lohnarbeit ist somit durch folgende Aspekte bestimmt: — Das Bewußtsein vom Staat als soziale Instanz bestimmt als politisches Bewußtsein die Situation des im „Sozialbereich" tätigen staatlichen Lohnerziehers. — Auch der staatliche Lohnerzieher unterliegt einem wirtschaftlichen Krisen geschuldeten Rationalisierungsdruck im öffentlichen Dienst. — Berücksichtigt man die materielle Abhängigkeit der freien Träger von den staatlichen und kommunalen Instanzen so kann von einer weitgehenden staatlichen Monopolisierung der Ausbildung;- und Berufssituation der Erzieher gesprochen werden. Erzieher sind in ökonomischer Hinsicht vom Staat abhängig. — Da der Staat auch die ideologischen Aspekte der Erzieherarbeit regelt, tritt zu der ökonomisch-materiellen auch eine sozial-ideologische Abhängigkeit der Lohnerzieher vom Staat. Diese wird noch verstärkt durch die mit zunehmenden infrastrukturellen Aufgaben des Staates verbundene wachsende staatliche Legitimationsnotwendigkeit. — Als Vermittler von Ideologie ist der Erzieher selbst besonders „ideologieanfällig' c. Erziehung und Erzieher Ergebnisse von Erziehungsprozessen sind immaterielle Produkte, die sich während dieses Arbeitsprozesses durch bzw. vermittelt über den Erzieher auf die zu Erziehenden übertragen haben. Mit Recht weist Karras (1958, 30) darauf hin, daß dies ein äußerst schwieriger und komplizierter Vorgang ist: „Die Besonderheiten der Erziehung als Arbeitstätigkeit der Erzieher ergeben sich daraus, daß die Erziehung nicht, wie die sonstige Arbeit, auf die Umformung irgendwelcher unbelebter Naturgegenstände gerichtet ist, sondern . . . auf die Veränderung der Menschen. Die Menschen mit ihren besonderen psychischen Eigenschaften, ihren verschiedenartigen Reaktionen auf alle Einwirkungen der gesamten Umwelt, machen die auf ihre Entwicklung in einer bestimmten Richtung abzielende erzieherische Arbeit zur schwierigsten und kompliziesten aller Arbeiten, Planung und Vorausberechnung der Ergebnisse sind bei keiner anderen Tätigkeit derart schwer wie in der Erziehung."

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Gleichzeitig damit ist die Notwendigkeit aufgezeigt, Erziehung als zielbewußten, geplanten und systematischen Prozeß der Vermittlung der gesellschaftlichen Realität zu betreiben. Durch diese Charakterisierung ihrer wesentlichen Elemente entspricht die Erziehungsarbeit in ihren Grundzügen jeder anderen Arbeit. Programmatische Erklärungen staatlicherseits zu Erziehung und Bildung verweisen zuvorderst auf das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit; öffentlich^ Erklärungen zum Bereich der Kleinkinderziehung beziehen sich weiter auf das Recht jedes deutschen Kindes auf Erziehung. Klare Angaben zu Zielwerten dieser Erziehung in Verbindung mit operationalisierten Erziehungszielen, die erst ein bewußtes, geplantes und systematisches Vorgehen ermöglichen würden, fehlen jedoch oder haben nur fragmentarischen Charakter. Ähnliches gilt bisher für alle weiteren staatlichen Versuche, über Rahmenpläne, Kindergartengesetze oder vor-curriculare Überlegungen, einheitliche, inhaltlich bestimmte Ziele der öffentlichen Kleinkinderziehung zu definieren. Ausnahmen bilden dabei eine Reihe von Modellversuchen, denen jedoch gemeinsam ist, daß es sich um Versuche handelt, die in ausgewählten Einrichtungen unter Bedingungen durchgeführt werden, die als überdurchschnittlich gut zu bezeichnen sind. Das 1975 angelaufene Erprobungsprogramm im Elementarbereich ist der erste staatliche Versuch, zwischen bisher isoliert voneinander entwickelten Curricula eine überregionale qualitative Verbindung herzustellen. Mit einer Entscheidung darüber ist aber nicht vor 1980 zu rechnen. Von wesentlicher Bedeutung für eine mögliche Umsetung sind dabei vor allem die Qualifikation der Erzieher und die Arbeitsbedingungen in den durchschnittlichen Einrichtungen. Der überwiegende Großteil der Erzieher in Kindertagesstätten verfügt aber über keine verbindlichen und umsetzbaren Erziehungsziele. Desgleichen fehlen ausreichende Planungsqualifikationen und methodische Hilfen für eine systematische Erfassung der Erziehungsarbeit. D. h., daß den Erziehern fast alle notwendigen Voraussetzungen für eine effektive und verantwortliche Erziehung fehlen. Es überrascht deshalb nicht, daß der Beginn der Diskussion über eine notwendige „Professionalisierung" der Erzieher mit den ersten ernsthaften Versuchen zusammenfiel, Bausteine vorschulischer Curriculumentwicklung zu erarbeiten — mit den ersten Versuchen also, notwendige Voraussetzungen für eine zielbewußte, geplante und systematische Erziehung zu schaffen (Zimmer 1973). Professionalisierung der Erzieher ist damit gleichzeitig ein notwendiger Schritt im Zuge der Vergesellschaftung der Erziehung. Die Überlegungen von Schräder zur Erzieher-Professionalisierung gehen aber nicht nur von einer Veränderung des Praxisfeldes aus, sondern verstehen 130t

Professionalisierung selbst als Teil dieser angestrebten Veränderung. „Unter Professionalisierung wird der Kompetenzerwerb verstanden, den Erzieher im Verlauf von Veränderungen ihres Praxisfeldes zu verzeichnen haben. Die zentrale Fragestellung lautet, unter welchen Bedingungen Praktiker sich in ihrem Berufsfeld (hervorgehoben, K. B.) qualifizieren können, daß eine Verbindung zwischen der berufsspezifischen Wissensbasis und Handeln in der Praxis gelingt." (Schräder 1973, 286) Es ist zu betonen, daß Professionalisierung hier nicht als ein von außen gesteuerter Prozeß zu verstehen ist, sondern als eine Entwicklung, in welcher den direkt Betroffenen selbst die entscheidende Funktion zukommt: „Professionalisierung des Lehrerverhaltens — ohne eine Veränderung der derzeitigen defizitären Schulwirklichkeit zum Scheitern verurteilt — bedeutet vor allem, das Potential dieser Veränderung im Prozeß dieser Professionalisierung selbst (hervorgehoben, K. B.) hervorzubringen/ 4 (Döring/Kupffer 1972, 225) Gleiches gilt für den Erzieherberuf. Ähnlich der Professionalisierung der Lehrer ist die Professionalisierung der Erzieher auf Abbau pädagogischer Ideologien, die Entwicklung eines wissenschaftlich fundierten Selbstverständnisses und die weitreichende Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Kindertagesstätte gerichtet. Bezugnehmend auf das spezifische Berufsfeld der Kindertagesstätte ist Professionalisierung der Erzieher in diesem Sinne auch als eine Demokratisierung der öffentlichen Kleinkinderziehung zu verstehen. In diesem Prozeß kann der Erzieher nicht als „Störfaktor" angesehen werden, den es durch möglichst „erziehersichere" („teacherproof") Curricula auszuschalten gilt. Eine solche „Instrumentalisierung" von Erziehung und Erziehern kann einer Professionalisierung nicht gerecht werden, in deren Mittelpunkt die Veränderung der Praxis durch die Erzieher selbst steht (vgl. AG Fortbildung 1976). Insgesamt ist daher der von Keller (1977, 98) entwickelte Professionalisierungsbegriff zu vertreten, der neben den institutionellen Arbeitsbedingungen und der gesellschaftlichen Einbindung vor allem die notwendigen kooperativen Momente herausstellt: „Professionalisierung der Erzieherarbeit bedeutet somit das Erkennen von wesentlichen Widersprüchen der Erziehungssituation in Kindertagesstätten und die Motivation, diese Widersprüche aufzulösen in einem realistischen Verhältnis zu den jeweiligen Handlungsmöglichkeiten. Professionalisierung bedeutet auch die Erweiterung der pädagogischen und kooperativen Kompetenz als Fähigkeit zum Handeln im gemeinsamen Interesse. Darin enthalten ist die Berücksichtigung und Ausnutzung der institutionellen und organisatorisch vorgegebenen Strukturen, die als veränderbare wahrgenommen werden müssen und auch gemeinsam zu verändern sind.(< Betrachtet man nun diese Praxis hinsichtlich ihrer kooperativen Elemente, so zeigt sich folgende Situation: Die Tatsache, daß, wenn

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überhaupt, nur vage und unklar formulierte Erziehungsziele vorhanden sind, enthebt die Erzieher auch der Notwendigkeit, sich über solche zu verständigen. Die völlige Unverbindlichkeit der wenigen formulierten Erziehungsziele enthebt die Erzieher auch weitgehend jeder Verantwortung für die praktizierte Arbeit. Es steht ihnen „frei", Ziele, Inhalte und Resultate ihrer Arbeit individuell zu interpretieren und zu bewerten. Dieses privatistische Vorgehen wird noch durch die Tatsache verstärkt, daß die Qualifikationen, auf deren Hintergrund die Einschätzungen erfolgen, äußerst unterschiedlich sind. Aber selbst in den vorhandenen, sehr allgemein formulierten Erziehungszielen werden individuelle Aspekte zuungunsten sozialer bzw. kollektiver überbetont. D. h.: Art und Umsetzung der Erziehungsziele in der Kindertagesstätte ermöglichen und fördern ein individualistisches Vorgehen der Erzieher, das eindeutig diskooperativen Charakter hat. Allerdings besteht auf der anderen Seite das Faktum, daß Erziehung in der Kindertagesstätte sich weitgehend öffentlich vollzieht. Koch weist mit Recht darauf hin, daß die Erzieher ihre Arbeit nicht als private Sache begreifen können, sondern vielmehr gegenüber den Eltern legitimieren müssen (Koch/Rocholl 1976). Neben der in den meisten Fällen gegebenen Situation, daß Eltern und Erzieher gleichermaßen Lohnarbeiter sind, ergibt sich aus der zumindest teilweisen Interessenidentität an der Erziehung der Kinder (allerdings zum einen „eigener", zum anderen „fremder" Kinder) und dem o. a. Legitimationszwang somit ein weiterer Aspekt der „gemeinsamen Sache" von Eltern und Erziehern, der eine Kooperation in der Kindertagesstätte vorantreiben kann. Der Gesichtspunkt der Planung und Systematisierung ist ähnlichen Einschränkungen unterworfen wie jener der Erziehungsziele. Fehlen klare Ziele, die gemeinsam erreicht werden sollen, so fehlt sowohl die Grundlage jeder gemeinsamen Planung als auch der konkrete Inhalt, der systematisiert werden könnte. Erzieherarbeit ist, wie letztlich jede andere Arbeit auch, ein sozialer Prozeß; Planung als eine wesentliche Dimension der (Erzieher)-Arbeit ist ebenso sozial angelegt. Wird aber eine zutiefst sozial bestimmte Arbeit wie die der Erziehung, individuell „geplant", pervertiert eine solche Planung entweder zu einem bloßen Anhängsel der Arbeit oder wird zu einem Instrument autoritären Vorgehens. Das hat nicht nur Abgrenzung gegenüber anderen Erziehern zur Folge, sondern bringt auch die zu Erziehenden in eine verhängnisvolle Abhängigkeit vom allein-planenden Erzieher. Individuell betriebene Planung hat zur Folge, daß die Planung des anderen in der Regel als Gegenplanung erlebt wird. Übereinstimmung individueller Planungen ergibt sich nur selten und per Zufall. Wird aber völlig planlos vorgegangen und die Erziehung von der 132t

jeweiligen, zufälligen Eingebung des Erziehers geleitet, reduziert sich die Wahrscheinlichkeit einer auftretenden, inhaltlich ausgewiesenen Übereinstimmung praktisch auf Null. Gleiches trifft für den Aspekt der Systematisierung zu; diese kann nur Resultat einer gemeinsam erzielten Übereinkunft sein, welche aber in der Kindertagesstätte nicht erfolgt. Das allen Erziehern Gemeinsame stellt sich somit in der Privatisierung der Erzieherarbeit dar. Oder zugespitzt: Gemeinsam ist den Erziehern, daß sie nicht gemeinsam — also individualistisch — arbeiten. Die Tatsache, daß in der Kindertagesstätte Erziehung weitgehend ohne Ziel, planlos und unsystematisch betrieben wird, trägt erheblich dazu bei, daß die Erzieher nicht kooperieren, sondern unabhängig und getrennt voneinander eine Erziehungsarbeit betreiben, die — bewußtlos und anarchisch — ihrer wesentlichen Elemente verlustig ist. Zeichnet sich aber die Erzieherarbeit dadurch aus, daß die Ziele der Arbeit nur vage definiert sind, so heißt dies gleichzeitig, daß neben der Notwendigkeit einer konkreten Zielformulierung auch die Möglichkeit dazu besteht. Zwar sind die Grenzen dafür relativ eng gesteckt, trotzdem ist für die Erzieher die Chance (noch) vorhanden, den teilweise gegebenen pädagogisch-definitorischen Leerraum selbständig zu erfüllen. Geschieht dies nicht gegen-, sondern miteinander, nicht bewußtlos und zufällig, sondern bewußt und gezielt, wird also etwas Konkretes gemeinsam vollzogen, so kann daraus die Grundlage für eine Kooperation der Erzieher entstehen. Von zumindest ebenso großer Wichtigkeit wie dieser Aspekt, der einer — allerdings systembedingten — staatlichen Vernachlässigung geschuldet ist, ist auch die Tatsache, daß Erziehung von Natur aus ein sozialer Prozeß ist. Selbst in einem ziellosen, ungeplanten und unsystematischen Erziehungsprozeß handelt es sich konkret um das Zusammentreffen von Menschen. Selbst wenn sich diese Menschen als Fremde, sich selbst entfremdet, begegnen, wenn der Begegnungsprozeß selbst verdinglicht ist, bedarf es einer Kommunikation, eines Aktes der Verständigung. Selbst wenn die Kindertagesstätte ein pädagogisches „Vakuum" ist, ist sie dennoch nicht sozial entleert. D. h.: Erziehung bedarf eines sozialen Zusammenhanges. Dieser Zusammenhang zwischen Menschen ist im gesamtgesellschaftlichen Rahmen durch den Tauschcharakter der Beziehungen deformiert. Durch ihren betont sozialen Charakter unterscheidet sich aber Erzieherarbeit von anderer Arbeit; wohl gelten die bereits angeführten grundlegenden Bedingungen auch für sie, ihre spezifische Charakteristik steht diesen Bedingungen aber entgegen. Erziehung ist in doppelter Weise als kooperativer Prozeß bestimmt. Sie ist nicht nur Kooperation über den Gegenstand der Arbeit, sondern Kooperation mit ihm (Koch/Rocholl 1976, 82). Im Rahmen des kind133t

liehen Aneignungsprozesses hat der Erzieher nicht nur die Aufgabe der Hilfestellung, sondern der konkreten praktischen Zusammenarbeit, die wohl „asymmetrisch" zugunsten des Erwachsenen strukturiert ist, jedoch die Grundlage eines Verhältnisses bildet, in dem Kinder und Erwachsene über die Resultate menschlicher Kooperation in Beziehung treten: „Eine solche (Aneignungs)tätigkeit (des Kindes) stellt sich nicht von selbst ein, sondern entspringt dem praktischen und sprachlichen Umgang mit den Mitmenschen, der Zusammenarbeit (hervorgehoben, K. B.) mit ihnen." (Leontjew 1973, 454) Damit ist nicht nur ein Gesichtspunkt pädagogischer Ziele angesprochen, sondern auch jener Aspekt, der die Spezifik der Erzieherarbeit betrifft. Indem die Erzieher mit den Kindern in einen sozialen Zusammenhang treten, bringen sie über die gegenständlichen Bezüge der Arbeit hinaus ihre Person ein; indem sie sich aber selbst in den sozialen Rahmen des Erziehungsprozesses einbringen, erfolgt eine zumindest teilweise Identifikation mit ihrer Arbeit. Diese Identifikation personeller Art geht über jene stofflicher Art, die, wie ausgeführt, bei allen anderen Arbeitsvollzügen auftritt, hinaus, da nicht nur die Mit-Arbeiter, sondern auch die „Arbeitsgegenstände", die Kinder, in das soziale Geflecht der Arbeitsbeziehungen eingebunden sind. Erfolgt eine zumindest partielle Identifikation, so ist -dies der erste Schritt zu einer inhaltlichen Konkretion. Diese Konkretisierung, gemeinsam versucht mit anderen Erziehern, kann die erste Stufe zu einer weiterführenden Kooperation werden. Insofern ist trotz ihres defizitären und deformierten Charakters gerade in der Erzieherarbeit die Möglichkeit der Kooperation von Erziehern angelegt. Die gesellschaftliche Stellung des Erziehers, insbesondere des Kleinkind-Erziehers, ist dadurch charakterisiert, daß ihm nur eine sehr geringe gesellschaftliche Anerkennung zuteil wird: „Der Berufserzieher markiert einen weißen Fleck auf der Landkarte des gesellschaftlichen Bewußtseins von den bedeutenden Berufen." (Frister 1972, 38) So hielt sich auch die Berufsbezeichnung „Kindergärtnerin", kennzeichnend einen Frauenberuf, der nicht einer besonderen Qualifikation bedarf, sondern sich quasi „naturwüchsig" aus der gesellschaftlichen Arbeitsteilung ergab, hartnäckig bis 1971 in der berufskundlichen Terminologie. E. Frister, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), kennzeichnet die Stellung des Erziehers in der Gesellschaft als eine von einem „magischen Viereck" umgrenzte: „1. Keine gesellschaftliche Anerkennung; 2. Erziehen ist gleich Abrichten; 3. Das unerreichbare Idealbild; 4. Die Enttäuschung über den Erzieher." (1972, 37) Charakterisieren die ersten beiden „Seiten" die allgemein gesellschaftliche Komponente, so betreffen 3) und 4) jenes Mißverhältnis, das sich 134t

im Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit von Erziehung ausdrückt, der die individuelle Situation des Erziehers wesentlich bestimmt und sich damit auch in der Erzieherarbeit niederschlägt. Es scheint angebracht, hier noch etwas näher auf die psychischen Auswirkungen einzugehen, die in diesen Faktoren angelegt sind. Mit diesem Gesichtspunkt setzen sich besonders Vertreter eines psychoanalytischen Erklärungsansatzes auseinander. Aufgrund des beschränkten Rahmens sollen nur zwei davon bruchstückhaft zitiert werden: Bernfeld geht insbesondere von den von Kindheit an ungesättigten „Liebestrieben" der Erzieher aus, die sie nicht sättigen konnten und durften: „So drängen sie (die Erzieher, K. B.) den Wunsch nach Weib oder Mann, Kind, Liebe, Selbstsicherheit und Geliebtheit auf die fremden Kinder, die dieses nicht erfüllen können, selbst wenn sie wollten und jenes nicht einmal soviel dürfen, als sie vielleicht könnten. So trägt die scheinbar sublime Liebe des Erziehers den Keim zur tiefsten Unbefriedigung in s i c h . . . " (Bernfeld 1967 [1926], 138) Kann in diesem Zusammenhang der Aspekt der Triebsublimation nicht diskutiert werden, so macht diese Beschreibung doch eine Situation plastisch, die durch eine nur selten bewußte Erwartungshaltung des Erziehers charakterisiert ist und sich in der Tagesstätte letztlich in der bereits angedeuteten Konkurrenz um die Zuneigung der Kinder äußert. Richter beschreibt die Situation zwischen Lehrer und Schüler als einen „zeittypischen Grundkonflikt der zwischenmenschlichen Interaktion" (im folgenden Zitat ist »Lehrer* durch »Erzieher* und »Schüler* durch ,Kinder* ersetzt — damit fällt die Übereinstimmung mit ,,Grundkonflikten** in der Kindertagesstätte noch besser ins Auge): „Ein Erzieher — Er weiß nicht mehr richtig, ob das Sinn hat, woran er glaubt. Deshalb will er unbedingt, daß seine Kinder ihn in seinen Idealen bestätigen . . . Da er die Kinder so sehr zur eigenen Stützung braucht, fehlt es ihm an Kraft, sich hinreichend um die Wünsche der Kinder selbst zu kümmern. . .. Das bringt ihn in Konflikt mit dem ihm anerzogenen pädagogischen Ideal. Also verdrängt er. . . Der frustierte Erzieher beginnt nun, seine verdrängten Forderungen an die Kinder in maskierter Form als .pädagogische Methode* zu aplizieren:... Und schließlich fordert er ihren absoluten Gehorsam — als Surrogat für freiwillige Anerkennung seiner Bedeutung . . Diese System pflegt sich kreisförmig selbst zu verstärken/' (Richter 1972,71) Durch das Klammern an die Schwächeren, die Kinder, schützt sich der Erzieher gegen einen Zusammenbruch seiner eigenen Identität. Deutlich wird an den beiden Beispielen, daß zum Teil unbewußte Defizite menschlicher Existenz Auswirkungen auf die Erzieherarbeit haben, die über die meisten durchschnittlichen gesellschaftlichen Konsequenzen hinausgehen. Denn für den Ausgang von Erziehungsprozessen ist die 135t

psychische Belastung der Beziehung zwischen Erziehern und Kindern von nicht unerheblicher Bedeutung. Dies ist aber auch für die Kooperation der Erzieher relevant: Zum einen ist es offensichtlich, daß in der Zuneigungskonkurrenz der Erzieher ein starkes diskooperatives Element enthalten ist. Verdichtet wird die Situation noch dadurch daß diese Konkurrenz sowohl meist unbewußt ausgetragen wird, als auch nur Verlierer zum Ergebnis hat — denn es sind stets „fremde" Kinder, für die der Erzieher nur kurze Zeit verantwortlich ist. Zum anderen werden die Kinder zur Aufrechterhaltung der Erzieher-Identität benötigt; die Erzieher erleben daher im Kollegen nicht nur den Konkurrenten, sondern jemand, der ihre eigene (psychische) Existenz — ihre Identität — bedroht. Wellendorf bezeichnet diese Konstituierung von Identität in einer Analyse schulischer Sozialisationsprozesse als „Handel um Identität", dessen Ausgang von den jeweiligen Machtverhältnissen abhänge (Wellendorf 1973, 29). Konsequenz ist, daß die Kinder(gruppe) als Instrument der Abwehr gegen die anderen Erzieher eingesetzt werden, was einer Gemeinsamkeit der pädagogischen Arbeit weitgehend jede Grundlage entzieht. Zuneigungskonkurrenz und Identitätskonflikte stehen somit einer Kooperation der Erzieher entgegen. Hinsichtlich eines möglichen kooperationsstiftenden Aspektes gilt hier ähnliches wie für den Prozeß der Erziehung. Zuneigung wird wohl in der Konkurrenzsituation bis zur Unkenntlichkeit deformiert, ist aber von ihrer eigentlichen Genese her eine ausdrücklich soziale, menschliche Ausdrucksform. Wohl ist der Versuch der Erzieher, über die Kinder zu einer Identität zu gelangen fruchtlos. Allerdings kann die Bewußtwerdung eines solchen Versuches zu einem Erkenntnisgewinn über die eigene Entfremdungssituation führen und über den Bezug mit einer konkreten (Erzieher-)Arbeit ein erster Schritt in Richtung Kooperation der Erzieher sein. Abschließend soll noch auf einen Aspekt hingewiesen werden, der außerhalb der Kindertagesstätte liegt — die Schule. Der Erzieher erlebt die Schule als übergeordnete Instanz, für die er die Kinder vorbereiten muß, von der er jedoch keine Wertschätzung seiner Arbeit erfährt. Der höhere gesellschaftliche Stellenwert der Schule gegenüber dem „Kindergarten", das Übergewicht der „Schulpädagogik" gegenüber der „Sozialpädagogik" der Kindertagesstätte äußert sich objektiv in einer besseren materiellen und sozialen Position des Lehrers gegenüber dem Erzieher. Der ,Vorschulerzieher4 fühlt sich dem »Schulerzieher' (= Lehrer) unterlegen. D. h. umgekehrt, daß der Lehrer in seiner Autorität gegenüber dem Erzieher in der Kindertagesstätte Vorbildfunktion hat. Dies zeigt sich z. B. derzeit in Bemühungen von Erziehern, über vorbereitende Kurse die zumindest qualifikatorische Berechtigung zu erlangen, als Vorklassen136t

leiter in den Schuldienst aufgenommen zu werden, um sowohl bessere Arbeitsbedingungen zu erhalten, als auch am höheren sozialen Status der Lehrer zu partizipieren. Die Struktur der Schule ist den Erziehern aus der eigenen Schulzeit und auch durch berufliche Kontakte als zumeist autoritäre bekannt. Der frontalunterrichtende, für die Klasse alleinverantwortliche Lehrer hat sich als „pädagogischer Archetyp" tief in das Erzieherbewußtsein eingeprägt. Gleichzeitig ist dieser Lehrer aber auch Vorbild — es wird eine Tätigkeit in der Schule angestrebt. Damit erhalten die diskooperativen Strukturen der Schule erhöhtes Gewicht für die Erzieher, es besteht für sie kein Grund, ein anderes Verhalten zu zeigen als jene Personen, die sozial höher stehen als sie selbst, wobei die Erzieher mit diesem sozialen Gefälle in ihrer täglichen Arbeit konfrontiert werden. Aus dem autoritätsbehafteten Vorbüd, das die Institution Schule für die Erzieher in der Kindertagesstätte darstellt, wird auch die diskooperative Struktur der Schule verinnerlicht und behindert damit das Entstehen bzw. die Erweiterung kooperativer Beziehungen zwischen den Erziehern. Löst sich der Erzieher jedoch von diesem Vorbild und zieht einen Vergleich zwischen Kindertagesstätte und Schule, so wird er den rigiden Charakter der , Zwangsinstitution 4 Schule erkennen. Demgegenüber ist der Bereich der Kindertagesstättenerziehung weitaus offenbar und weniger einem so starren Regelsystem unterworfen als die Schule. Wohl ist damit in der Kindertagesstätte eine Verschleierung auch vorhandener autoritärer Züge verbunden, immerhin besteht aber die Chance, eine selbstbewußte sozialpädagogische Qualität der schulpädagogischen Rigidität entgegenzusetzen; darin liegt auch eine Möglichkeit eines kooperativen Selbstfindungsprozesses der Erzieher begründet. Der Aspekt „Erziehung und Erzieher" hat demnach folgende Auswirkungen auf die Kooperation der Erzieher: — Der Großteil der Erzieher in Kindertagesstätten verfügt über keine verbindlichen und klar formulierten Erziehungsziele; er verfügt weder über ausreichende Planungsqualifikation noch über Mittel und Wissen zur Systematisierung der Erzieherarbeit. Damit fehlen den Erziehern die wichtigsten Voraussetzungen für ihre Arbeit. Mit der Entwicklung von Curricula für die Kindertagesstätte entstand auch die Diskussion um die Professionalisierung von Erziehern, die hier als Teil der Veränderung des Praxisfeldes verstanden wird und die vor allem an der Erzieherwirklichkeit anzusetzen hat. — Vage und unklar formulierte Erziehungsziele, in denen individualisierende Aspekte im Vordergrund stehen, entheben die Erzieher eines kooperativen Vorgehens. — Dieser zieldefinitorische Freiraum bietet aber auch die Möglichkeit für die Erzieher, die Erziehungsziele gemeinsam und selbständig zu füllen. — Da Erziehung in der Kindertagesstätte öffentlich vollzogen wird, sind die Er137t

zieher zumindest den Eltern gegenüber zur Legitimierung ihrer Tätigkeit verpflichtet. Verstärkt noch durch die Gemeinsamkeit der Lohnarbeit von Eltern und Erziehern ergibt sich die Möglichkeit für Kooperation in der Kindertagesstätte. — Da in der Kindertagesstätte Erziehung nicht nur ohne Ziel sondern auch planlos und unsystematisch betrieben wird und damit keine Notwendigkeit (und Möglichkeit) der Abstimmung inhaltlicher Tätigkeiten gegeben ist, wird diskooperatives, individualistisches Vorgehen gefördert. — Erziehung bedarf jedoch eines sozialen Zusammenhanges; trotz des deformierten Charakters der Erziehung in der Kindertagesstätte ist in ihr die Möglichkeit einer Konkretisierung und damit der Kooperation der Erzieher angelegt. — Erziehung ist in doppelter Weise ein kooperativer Prozeß; sie ist nicht nur Kooperation über den „Arbeitsgegenstand" — den Kindern — sondern auch Kooperation mit ihm. — Der Beruf des (Kleinkind-)Erziehers erfährt nur eine geringe gesellschaftliche Anerkennung und ist einem äußerst widersprüchlichen Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit ausgesetzt; diese Tatsache äußert sich auch auf psychischer Ebene. — Aufgrund einer allgemeinen psychischen Defizitsituation sucht der Erzieher Zuneigung bei den Kindern; als Folge davon steht er in einer ausgeprägten Zuqeigungskonkurrenz zu den anderen Erziehern. — Darüberhinaus tendiert der Erzieher dazu, sich in Identitätskrisen auf die Schwächeren, die Kinder, zu stützen. (Kennzeichnend für die Konstituierung von Identität in der Kindertagesstätte ist ein „Handel um Identität"). Er erlebt dann den Zuneigungskonkurrenten als eine existentielle Bedrohung. Beide Aspekte stehen einer Kooperation entgegen. — Zuneigung als genuin menschliche (soziale) Ausdrucksform und der Versuch der bewußten Identitätsfindung können aber langfristig zu Kooperation führen. — Die Institution Schule, die dem Erzieher übergeordnet ist, dient mit ihrer autoritären Struktur als Vorbild und erschwert so die Kooperation in der Kindertagesstätte. — Die selbstbewußte Entwicklung einer sozialpädagogischen Qualität gegen eine autoritäre Schulpädagogik enthält — als gemeinsamer Prozeß der Erzieher — eine kooperative Potenz.

d.

Feminisierung

Erzieher in Kindertagesstätten sind beinahe ausschließlich Frauen. Dies hängt sicherlich mit der relativ niedrigen Endohnung zusammen. Der wesentliche Grund scheint jedoch zu sein, daß Erziehungsarbeit als „natürliche" Frauenarbeit angesehen wird — insbesondere die Erziehung von Kleinkindern. Dieser Umstand, in Verbindung mit der gesellschaftlichen Stellung der Frau im allgemeinen, bestimmt nicht nur den sozialen Status von Erziehern (und Erziehung), sondern beeinflußt auch entscheidend die praktizierte Erziehung selbst und damit auch die sozialen (Arbeits-) Bedingungen. Erzieherinnen in Kindertagesstätten kommen zum Großteil aus kleinen bis mittleren Angestelltenfamilien, in denen die Mütter zu einem überdurchschnittlichen Anteil nicht berufstätig sind. Zum einen wird in

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diesen Familien ein stark „sozial" orientiertes, zumeist tradierten Normen verpflichtetes, Bildungsbewußtsein vertreten, zum anderen, in enger Verbindung damit, wird großer Wert gelegt auf den familialen Zusammenhang als Kompensation für o f t enttäuschende berufliche Verhältnisse. Die entscheidende Funktion im Familienverband kommt dabei der Hausfrau und Mutter zu. Neben der existentiell notwendigen Organisierung der familialen Reproduktion ist die Mutter auch Haupterziehungsperson. Diese ihr gesellschaftlich zugewiesene Rolle wird noch dadurch verstärkt, daß sie im Rahmen der Sicherung und Aufrechterhaltung der Reproduktion von den Kindern in dieser wichtigen Funktion tagtäglich während des Großteils des Tages direkt erfahren wird. Frau, Hausfrau, Mutter und Erzieherin verschmelzen zu einer Einheit, die vor allem für die Mädchen prägenden Charakter hat, da die Mutter für sie das anzustrebende Identifikationsobjekt darstellt. Kietz formuliert diese „Erziehungstatsache" in ihren Auswirkungen auf die spätere Erzieherin auf eine Art und Weise, die geradezu beispielhaft für das gesellschaftliche Rollenstereotyp der mütterlichen Erzieherin ist: „Ein so mütterlicher Beruf wie der der Kindergärtnerin bedarf, um einem jungen Mädchen erstrebenswert zu erscheinen und überhaupt in das Blickfeld zu rücken, tiefer Eindrücke selbst erlebter Mütterlichkeit. Solche Erlebnisse können sich bei einem Kind natürlich leichter und häufiger einstellen, wenn die Mutter den ganzen Tag daheim ist — vorausgesetzt, daß sie es versteht, ihren Kindern einen Lebensraum zu schaffen, in dem sie sich sicher und geborgen fühlen können . . . Sie erleben in intensiver Weise das hausmütterliche Wirken und Schaffen ihrer Mutter in lebendiger Anschauung und Teilnahme mit." (Kietz 1966, 47) Diese Mütter hätten die Chance, „ihren Kindern die Geborgenheit zu schenken, soweit sie von der ungebrochenen Mütterlichkeit ausstrahlt^.. Die Mütterlichkeit bedarf also der Weckung bei den jungen Mädchen. Durch nichts aber kann sie so erweckt und gestärkt werden wie durch das Erlebnis eines froh erfüllten Wirkens der eigenen Mutter in Haus und Familie. . . Wollen wir also Kindergärtnerinnen haben, brauchen wir vor allen Dingen Mütter, die es verstehen, ihren Kindern eine frohe, glücklich geborgene Jugendzeit zu schenken und die in dieser Aufgabe eine wesentliche Erfüllung ihres Dasein .sehen." (Kietz 1966, 49 u. 52) Die Relevanz der Familie und Mutter als Sozialisationsfaktor wird noch dadurch verstärkt, daß bei Mädchen die Familie häufiger als normative Bezugsgruppe fungiert. Zur weiblichen Befangenheit in Familienkontakten tritt noch hinzu, daß besonders von weiblichen Jugendlichen die Mutter o f t als zentrale Bezugsperson genannt wird (Zinnecker 1972). Die Tatsache, daß junge Mädchen Einflüssen ausgesetzt sind, die in Richtung eines „sozialen Wartestandes" führen, macht sich auch in der Berufsmotivation bemerkbar. Zinnecker führt hier vier Funktionszu139t

sammenhänge an, die für die Beurteilung von Berufsausübung und -ausbildung entscheidend sind: 1. Eine angemessene und zufriedenstellende Überbrückung der Jugendzeit. 2. Die Verbesserung der Ausgangsposition für die bevorstehende Partnerwahl. 3. Der Beruf als sinnvolle und direkte Vorbereitung des künftigen Verheirateten-Status. 4. Die Absicherung gegen mögliche soziale Notsituationen in und außerhalb der Ehe (Zinnecker 1972, 195). So wird der Beruf für die spätere Erzieherin von vornherein als „Durchgangsstadium" eingestuft. Hauptlebensziel ist die Ehe, der Beruf ist eine Übergangsphase bis zur Heirat. Das für die Lehrerin typische „Karrieremuster" trifft auch auf die Erzieherin in der Kindertagesstätte zu: „ . . . sie werden unterrichten (= erziehen, K. B.), wenn sie nicht heiraten, bis sie Kinder haben, sobald alle Kinder im schulpflichtigen Alter sind, falls der Arbeitsplatz des Mannes sie in eine Gemeinde bringt, die einen attraktiven Lehrermangel (= Erziehermangel, K. B.) hat, etc." (Mason in Hänsel 1975, 142) Zusammen mit dieser auf zukünftiges Mutter- und Ehedasein ausgerichteten Lebensperspektive werden der späteren Erzieherin in ihrer schichtspezifischen Sozialisation Normen und Werte vermittelt, die einen stark ausgeprägten individualisierenden Aspekt haben. Hinzu tritt als geschlechtsspezifisches Moment, daß auch die (Leistungs-)Motivation von Frauen stärker individualisiert ist als die der Männer. Das trifft für die Motivation sowohl in ihrer positiven, als auch negativen, d. h. durch Angst vor Mißerfolg oder vor sozialer Isolierung bestimmten, Form zu. Eine Auswirkung dieser geschlechtsspezifischen Individualisierung ist das von Frauen stärker erlebte Leiden „ihrer" Schwächen. Mädchen werden eher dazu erzogen, ihre Gefühle offen zu zeigen und auch ihre Schwächen darzustellen: „Im Mittel erleben sich also die Frauen ängstlicher. . . als die Männer." Sie schätzen sich ein als „ehrgeizarm" und „uninteressiert daran, andere zu übertreffen. . . Sie meinen, daß sie dazu neigen, sich unterzuordnen. . . . " (Richter 1974, 35 u. 36) Zum internalisierten Rollenverhalten des weiblichen Geschlechts passen Merkmale wie Ängstlichkeit, Depressivität, Schwäche, Lenksamkeit und Konkurrenzverzicht. Diese, die Frau in ihrer Geschlechts„rolle" und ihrer Tätigkeit als Erzieherin entscheidend beeinflussenden Faktoren haben auch wesentliche Auswirkungen auf die Kooperation der Erzieherinnen. Indem die Erzieherinnen den Erzieherberuf nur als Übergangsphase bis 140

zur Ehe und damit verbundenen Rückzug auf Hausfrauen- und Mutterfunktion betrachten, haben sie auch objektiv eine ,, Gastarb eiterrolle" in der Berufssphäre. Ihre Perspektive liegt nicht in der Kindertagesstätte; sie sind, so scheint es ihnen zumindest, auf die Beziehungen zu den Arbeitskollegen langfristig nicht angewiesen. Jedes kooperative Engagement stellt sich ihnen als zusätzlich und überflüssig dar. Haben sie ihr Ehe- und Familienziel erreicht, verstärkt sich subjektiv das Gefühl der „Gastarbeit". Hinsichtlich ihrer familialen Pflicht erfüllt die Erzieherin die gesellschaftlich an sie gestellten Erwartungen. Sie kann sich also auf eine „doppelte Loyalität" gegenüber der privaten Reproduktion und dem vergesellschafteten Arbeitsprozeß berufen. Auch die Tatsache, daß sie über „eigene" Kinder verfügt, erlaubt ihr eine weitere Distanzierung vom Berufsfeld. Ihren mehrfachen Aufgaben in Familie und Beruf kann sie aber nur um den Preis der totalen Überlastung nachkommen. Ist sie, was in der Regel der Fall ist, objektiv zur Erhaltung der familialen Reproduktion auf ihren Beruf angewiesen, verstärkt sich noch die Notwendigkeit mit ihren Kräften sparsam umzugehen. Sie reduziert ihre Aktivitäten in der Kindertagesstätte auf ein noch mögliches Minimum. Diese Reduzierung geht mit einer Instrumentalisierung der Erzieherarbeit einher. Eine Folge davon ist eine erhöhte Anpassungsbereitschaft, die sich in einer größeren Unterordnungswilligkeit und Regeltreue äußert. Sind die Strukturen und Regeln in der Kindertagesstätte diskooperativ, so paßt die Erzieherin sich diesen Bedingungen an. Darüber hinaus gehen sie kaum kooperatives Engagement ein, um die Situation zu verändern. Die Unterwerfung unter die bestehenden defizitären Bedingungen der Kindertagesstätte vollzieht die Erzieherin umso leichter je besser es ihr gelingt, emotionale Befriedigung aus der Erzieherarbeit zu ziehen. Aufgrund der von ihr internalisierten „Rolle" der mütterlichen Erzieherin, die zu ihrem Lohnarbeiterstatus in Widerspruch steht, versucht sie, die Erziehungssituation als Mutter-Kind-Beziehung umzudefinieren. Damit tritt sie aber in Konkurrenz zu den anderen Erziehern. Die bereits beschriebenen „Zuneigungskonkurrenz" zwischen den Erziehern erhält durch eine solche „Mütterkonkurrenz" eine potenzierende Verschärfung. Die Auswirkungen dieser Konkurrenz sind unterschiedlich stark, treten aber vor allem bei kinderlosen, älteren Erzieherinnen in den Vordergrund. Die „Mütterkonkurrenz" betrifft jedoch nicht nur die Erzieherinnen, sondern umfaßt auch die Eltern der Kinder. So treten die Erzieherinnen oft in Wettstreit mit den „wirklichen" Müttern der Kinder, wer wohl die bessere Mutter sei. Hier spielen fast ausschließlich emotional-affektive 141t

Aspekte eine Rolle. Die Konkurrenz um das größte Wärme- und Geborgenheitsangebot, um das größte, dem Kind zuteil werdende Verständnis geht oft zuungunsten der Mutter der Kinder aus, da diese durch Berufstätigkeit, Haushaltsführung und private Kindererziehung eindeutig überlastet ist und die materiellen Wohnverhältnisse die häusliche Situation zusätzlich erschweren. Trotzdem bleibt die Erzieherin objektiv auf die Position der „Ersatz-(bzw. Zusatz-)Mutter" beschränkt, was ihre Frustration erhöht und sie zu neuen Anstrengungen um die Kinderliebe bewegt. Die Widersprüchlichkeit dieser Situation erfährt eine weitere Steigerung, hat die Erzieherin eigene Kinder, die sie, eben aufgrund der Überlastung berufstätiger Mütter, zugunsten „fremder" Kinder; nämlich der Kinder in der Kindertagesstätte, vernachlässigt. Sie ist damit in ein dichtes Netz der Mütterkonkurrenz verstrickt, das ihr nur schwer einen Zugang zu nichtkonkurrentiellen, kooperativen Verhaltensweisen ermöglicht. In der „Mütterkonkurrenz" ist aber auch ein Aspekt enthalten, der zur Ausbildung von Kooperation führen kann. Neben der Tatsache, daß Konkurrenz die relative Gleichheit der Konkurrenten, in diesem Fall Erzieherinnen und Eltern, zur Bedingung hat, ist der versuchte Aufbau einer Mutter-Kind-Beziehung zwischen den Erzieherinnen und den ihnen anvertrauten Kindern ein durchaus positiver und ernst zu nehmender Faktor der Erzieherarbeit. Bedeutet er doch den Versuch, die versachlichte Beziehung teilweise aufzuheben, in der ein geschlechtlicher Faktor, der objektive Auswirkungen auf das Erziehungsgeschehen hat, Berücksichtigung findet; dies geschieht allerdings in verzerrter Form, nämlich ausgehend von der falschen Gleichung Frau = Mutter. Ist die Übernahme der Mutterrolle von kinderlosen Erzieherinnen zumindest als Ausdruck eines zutiefst menschlichen Bedürfnisses zu verstehen, so bietet gerade die Tatsache, daß Erzieherinnen auch „wirkliche" Mütter sind eine Grundlage des Verständnisses für die erwerbstätigen Mütter der Kinder in der Kindertagesstätte. Sie ermöglicht aber auch das Zurücktreten innerhalb der Mütterkonkurrenz. Während dies ein ideologisches „Freischwimmen" aus den Fesseln der Mütterkonkurrenz zur Folge haben kann verfügen jene Erzieherinnen, die nicht der physischen und psychischen Überbelastung erwerbstätiger Mütter (wie es die Erzieherin als Mutter ja auch ist) ausgesetzt sind, einen relativen materiellen Vorteil. Aus der Möglichkeit einer gegenseitigen ideologischen und materiell-arbeitsentlastenden Unterstützung von Erziehern und Eltern kann somit der Aspekt der diskooperativen Mutter-Kind-Beziehung in der Kindertagesstätte auch positiv gewendet werden. Mütterlichkeit steht aber auch einer der Lohnerziehung geschuldeten Gleichgültigkeit gegenüber den Kinder entgegen. Mütterlichkeit ist sozial 142t

hergestellt und wird dadurch noch sozial überhöht, daß in der geschlechtsspezifischen Erziehung der Frauen ein soziales Argument traditionell stark gewichtet wird. Wenn auch dieser Begriff des » Sozialen" zu seiner richtigen Einschätzung eher mit dem Attribut „karitativ" versehen werden muß, enthält er doch Elemente, die einer auf instrumentalisierter Gleichgültigkeit basierenden Beziehung widersprechen. Da Kooperation ebenso nur auf der Grundlage sozialer Beziehungen praktiziert werden kann, ist auch im sozialen Moment der Mütterlichkeit ein kooperationsstiftender Ansatz enthalten. Aus der „hausmütterlichen" Sozialisation der Erzieherinnen resultieren aber noch mindestens zwei Aspekte, welche die Erzieherarbeit direkt betreffen. Im Vorbild der Hausfrau und Mutter ist eine doppelte Isolation angelegt: 1. Die Isolierung von Mit-Arbeitern, 2. Die Isolierung von gesellschaftlichen Bezügen. Im Rahmen ihrer hausfraulichen Tätigkeit arbeitet die „Hausmutter" allein und hat nur wenige soziale Kontakte innerhalb ihres Arbeitsbereiches. Die Erzieherin erfährt also in ihrer famüialen Erziehung Isolierung gleichsam als natürliche Komponente einer Arbeitstätigkeit. Da sie sich mit ihrer Hauptzielsetzung „Ehe" auf eine zumindest sehr ähnliche Arbeit orientiert, ist sie während der „Übergangsarbeit" in der Kindertagesstätte nicht nur an Kooperation desinteressiert — diese ist ihr vielmehr weitgehend fremd. Die in ihrer eigenen famüialen Erziehung erfahrene Arbeit der „Hausmutter" hat zwar privaten Charakter, ist aber, wie Hofstätter nachweist, durchaus einer ähnlichen Entfremdung unterworfen wie auch die gesellschaftliche Arbeit im außerhäuslichen Berufsbereich. Dies äußert sich z. B. in der Tatsache, daß die keiner Erwerbstätigkeit nachgehenden Hausfrauen in höherem Maße für neurotische und psychosomatische Störungen anfällig sind als erwerbstätige Frauen (Hofstätter in Koch 1975). Diese Tatsache ist nicht nur vom spezifischen Inhalt der Hausarbeit und dem Mangel an „wirklichen" kooperativen Arbeitsbezügen abhängig, sondern auch auf den innerfamüialen „Feudalismus" zurückzuführen d. h. der persönlichen Abhängigkeit der Familienmitglieder (insbesondere der Hausfrau) vom Alleinverdiener (Holzinger 1974). Es soll hier nachdrücklich auf die Ergebnisse der Analyse von Koch verwiesen werden, der den Nachweis erbringt, daß die hausmütterliche Existenz negative Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder hat (vgl. Koch 1975). Die Isolierung der Hausmutter von gesellschaftlich relevanten Bereichen der materiellen Produktion hat auch entscheidende Auswirkungen 143t

auf den Realitätsbezug der hauptsächlich von ihr durchgeführten Kindererziehung. Es ist nicht von der Hand zu weisen daß eine gewisse Realitätsferne in der Kindertagesstättenerziehung auf eine Erziehung der Erzieher selbst zurückgeführt werden kann, in der gesellschaftlich wesentliche Sachverhalte nicht oder unzureichend vermittelt wurden. Die „sprichwörtliche Weltfremdheit der Erzieherin" (so eine Erzieherin) führt aber dazu, entweder reale Bedingungen nicht zu erkennen, sie zu ignorieren oder falsch zu gewichten. Da Kooperation von einer realen, konkreten Gemeinsamkeit ausgehen muß und eine Veränderung dieser Realität zum Ziele hat, steht jede Weltfremdheit einer angestrebten Kooperation entgegen (ganz abgesehen von den anderen Auswirkungen auf die Erziehung der Kinder). Als letzter Faktor der Feminisierung der öffentlichen Kleinkinderziehung, der wesentliche Auswirkungen auf die Kooperation von Erziehern hat, ist der Aspekt der Individualisierung zu nennen. Gesellschaftlich angelegt, äußert er sich in der privaten Erziehung in der Alleinverantwortlichkeit der Mütter. In der Kindertagesstätte handelt es sich wohl um eine größere Kindergruppe bei jedoch gleichgebliebener Alleinverantwortlichkeit der Erzieherin. Auf dieser Grundlage vertritt nun die Erzieherin nicht nur ansozialisierte Normen und Werte, die stark individualisierenden Charakter haben mit der Ausrichtung auf ebensolche Erziehungsziele, sondern sie selbst, in ihrer Geschlechts„rolle", neigt dazu, soziale Konflikte zu individualisieren bzw. zu rein moralischen Problemen umzustilisieren. „Emotionalität" wird zuungunsten einer sachlich-rationalen Auseinandersetzung betont, arbeitsspezifische Probleme von Berufspädagogen treten zurück zugunsten „persönlicher" Probleme von Privatpersonen. Die der Lohnerziehung geschuldeten quasi-privaten Kontakte zwischen Erziehern, welche auf einer individuellen, jederzeit aufkündbaren Sympathie beruhen, werden durch die geschlechtsspezifische Individualisierung und Verprivatisierung noch in ihrem Charakter verstärkt. Aber auch Probleme, die von den Erzieherinnen als arbeitsspezifische und allgemeine erkannt werden, unterliegen einer Individualisierung und werden als rein individuelles Versagen erlebt, was wiederum die grundsätzlich vorhandene Isolierung verschärft. Die aus der Lohnerziehersituation entstandene und durch gesellschaftliche Normen und Werte verstärkte Isolierung der Lohnerzieherinnen im Rahmen von Erziehung erfährt durch diese geschlechtsspezifische Individualisierung eine weitere Zuspitzung. Dies hat eine Abgrenzung gegenüber den Kollegen zur Folge, was dem Entstehen von Gemeinsamkeiten in einem kooperativen Zusammenhang entgegensteht. Betrachtet man 144t

den Aspekt der Individualisierung aber im Sinne einer Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit und bringt dies in Verbindung mit der bereits erwähnten und empirisch festgestellten Tatsache, daß Frauen sich mehr mit ihren Gefühlen und Schwächen offen darstellen, so kann darin auch folgender Faktor enthalten sein: Frauen haben Mut, sich mit ihrer eigenen Verfassung zu konfrontieren. Dies kann als ein Vorsprung gegenüber den Männern interpretiert werden. So gewendet, liegt darin eine Möglichkeit der Bewußtmachung wesentlicher Bedingungen der eigenen Situation, die, eingebettet in einen Prozeß des Erfahrungsaustausches, zur generellen Verallgemeinerung und damit Herauslösung aus individualistischen Strukturen führen kann. Aber auch die Tatsache, daß Abgrenzung zumeist nicht aus einer Position der Stärke, sondern der Schwäche geschieht, kann dann zu partiellen Gemeinsamkeiten führen, wenn diese Gemeinsamkeiten aus der Situation der Schwäche hinausführen. Insofern sind im Aspekt der Individualisierung und des persönlichen Leidens auch Möglichkeiten enthalten, die zu einer stabilen Kooperation führen können. Darüberhinaus stellt die Berufstätigkeit der Frau und die damit verbundene Unabhängigkeit vom Mann und die Einbindung und Teilhabe an der gesellschaftlichen Arbeit einen entscheidenden Schritt im Rahmen eines geschlechtspezifischen Emanzipationsprozesses dar. Der Aspekt der Feminisierung der Kleinkinderziehung umfaßt somit eine Reihe zum Teü widersprüchlicher Auswirkungen auf die Kooperation der Erzieherinnen: — Die Internalisierung von primär individualisierten Normen und Werten sowie das Leitbild der mütterlichen Erzieherin ist vorwiegend der sozialen Herkunft der Erzieherinnen geschuldet. Von wesentlicher Bedeutung ist dabei die Funktion der Mutter als Hausfrau und Haupterziehungsperson. Der Beruf der Erzieherin wird auf dem Weg zur Ehe als Durchgangsstadium angesehen. Diese Einstellung führt zu Anpassung und Desinteresse im Beruf. — Bei bereits vollzogener Familiengründung verhindert die Arbeitsüberlastung in Beruf und Haushalt jedes überflüssig erscheinende Engagement in der Kindertagesstätte. Diese Arbeitsüberlastung und die daraus resultierende Unterordnung unter vorgegebene Regeln verhindern die Ausbildung kooperativer Gemeinsamkeiten. — Die Zuneigungskonkurrenz der Erzieher erfährt in der Mutterkonkurrenz ihre Zuspitzung. Diese Konkurrenz umfaßt nicht nur die Erzieherinnen, sondern bezieht die „wirklichen" Mütter der Kinder mit ein. — In der Mutterkonkurrenz ist aber neben dem Einbringen der Geschlechtlichkeit der Erzieherinnen ein zutiefst menschliches Bedürfnis enthalten, aus dem in gegenseitiger ideologischer und materieller Unterstützung von Eltern und Erzieherinnen ein gemeinsamer kooperativer Ansatz entwickelt werden kann. — Mütterlichkeit als sozial hergestellte Beziehung steht der der Lohnerziehung geschuldeten Gleichgültigkeit entgegen und enthält ein kooperationsförderndes Moment.

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— Aus der hausmütterlichen Sozialisation der Erzieherinnen resultiert ein Defizit kooperativer und gesellschaftlich relevanter Erfahrungen. Diese Tatsache behindert Kooperation. — Die gesellschaftlich bedingte Individualisierung der Erziehung wird durch eine geschlechtsspezifische noch verstärkt. Die daraus resultierende Abgrenzung gegenüber Kollegen verhindert Kooperation. — In einer Auseinandersetzung mit der eigenen Person und in der Möglichkeit, eine die Abgrenzung gegen andere begründende Schwäche durch gemeinsame Aktionen zu reduzieren, liegt eine Möglichkeit zur Kooperation. — Die Teilhabe der Frau an der gesellschaftlichen Arbeit ist eine entscheidende Voraussetzung jeder Emanzipation. e. Struktur

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Kindertagesstätte'

Staatlich veranstaltete und von Frauen betriebene Lohnerziehung findet in einem konkreten institutionellen Bereich statt — in der Kindertagesstätte. Die allgemeinen Faktoren der staatlichen Lohnarbeit, der gesellschaftlichen Kleinkinderziehung und der damit in enger Beziehung stehenden Feminisierung der Erzieherberufe erfahren dort ihre spezifische Ausformung. Diese Faktoren werden durch eine Reihe anderer ergänzt, die in der Institution selbst angelegt sind. Die Gesamtheit dieser Faktoren stellt auf der Ebene der Kindertagesstätte die institutionelle Struktur dar. Unter „Institution" wird ein räumlich und zeitlich faßbares Gebilde verstanden, das als zielorientiert, geplant, arbeitsteilig gegliedert und in seiner Aktivität auf Dauer gestellt aufgefaßt werden kann (Maikowski/ Rott 1976). In Abgrenzung zu einem Ansatz, der Institutionen als Gebilde auffaßt, die eine relativ isolierte Eigengesetzlichkeit besitzen soll darauf hingewiesen werden, daß im weiteren darunter raumzeitliche Gebilde verstanden werden, die materieller Ausdruck menschlicher Lebensverhältnisse sind, welche sich in gesellschaftlichen Teilprozessen (z. B. der öffendichen Kleinkinderziehung) zu konkreten Strukturen verdichten und Momente der Vergesellschaftung darstellen. Ausgehend von dieser Begriffsabgrenzung ist auch der Bereich der Schule (und Kindertagesstätten) als soziale Organisation (bzw. Institution) zu begreifen. Im folgenden sollen die Aspekte der organisationssoziologischen Analysen der Schule hinsichtlich ihrer Relevanz für den Bereich der öffendichen Kleinkinderziehung untersucht werden. Zunächst ist eine weitgehende Übereinstimmung zu erkennen: 1. Sowohl die Schule als auch die öffentliche Kindertagesstätte können grundsätzlich als soziale Institution bezeichnet werden; sie sind materielle, raum-zeitliche Gebilde und stellen Momente der Vergesellschaftung der (Kleinkind-)Erziehung und Bildung dar. 2. In beiden Institutionen spielen aufgrund des besonderen Charakters der Arbeit von Erziehern und Lehrern neben formalisierten Ordnungen vor allem auch 146t

informale, personengebundene und situationsbezogene Verhaltensweisen eine wesentliche Rolle. 3. Schule und Kindertagesstätte können als Dienstleistungseinrichtungen eingestuft werden; dieser Bezug auf „sich selbst" hat in der Kindertagesstätte eine weitgehende Ausklammerung wichtiger Bereiche der gesellschaftlichen Umwelt zur Folge. Damit verbunden ist auch eine unzureichende Einschätzung der Erzieher über die Grenzen der Kleinkinderziehung sowohl hinsichtlich der inhaltlichen Bedeutung als auch betreffend die von außen gesetzten Grenzen in Form der Arbeitsbedingungen, die von den Erziehern zumeist als gleichsam naturwüchsig akzeptiert werden. 4. Auch in der Kindertagesstätte erfolgt eine Trennung der Organisation in relativ unabhängige Einheiten: Krippe, Kindergarten, Hort, nichtpädagogische Mitarbeiter und Verwaltung (einschließlich der Leitung). 5. Ahnlich wie in der Schule ist die Arbeit in der Kindertagesstätte durch einen Mangel an Kommunikation, Konsultation, Hospitation und Kooperation gekennzeichnet. Auch der Erzieher sucht eine vermeintliche Sicherheit hinter den verschlossenen Türen des Gruppenraumes und isoliert sich von den Kollegen. Diese Situation ist aber nicht, wie in der Schule, zum Teil auf ein klassisches Bürokratiemodell zurückzuführen, sondern, wie dargelegt, vor allem auf Momente der Lohnerziehuiig sowie spezifische Faktoren der Erzieherarbeit (einschließlich der ausgeprägten Feminisierung des Erzieherberufes). 6. Weder in der Schule noch in der Kindertagesstätte kann eine tendenziell professionelle Erziehungsarbeit von der Spitze (= Leitung) kontrolliert werden. D. h. ein, wenn auch informelles, Zusammenwirken auf unterer Ebene ist für eine möglichst reibungslose Durchführung der Erziehung unumgänglich notwendig. 7. Die Lernsituation in der Kindertagesstätte ist zwar nicht direkt von der Verwaltungsorganisation abhängig; dennoch ist sie nicht so sehr durch pädagogische Überlegungen bestimmt, sondern durch eine Reihe rigide gehandhabter „Pflichtphasen" gekennzeichnet und ähnlich pädagogisch „entfremdet" wie die Schulsituation. 8. Auch die „Erzieherrolle" ist ähnlich „anomisch" strukturiert wie die „Lehrerrolle".25 Wie dem Lehrer, wenn auch nicht so stark ausgeprägt, wird dem Erzieher eine Sozialisationsfunktion zugewiesen, die er in seiner konkreten Praxis nicht erfüllen kann. Dieser Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist ein charakteristisches Moment der Erzieherarbeit. 9. Zwar ist der Charakter einer „totalen Institution" für die Einrichtungen der öffentlichen Kleinkinderziehung weniger stark gegeben als für jene der Schule; : dennoch stehen Zielvorstellungen von Disziplin, Ordnung und Konformität., wenn auch nicht so deutlich wie in der Schule im Vordergrund. Auch in der Kindertagesstätte ist mithin eine Zielverschiebung innerhalb der Institution festzustellen, die eine Ersetzung der ideologischen Ansprüche zugunsten der unter den gesellschaftlichen Bedingungen mit den Mitteln der Kindertagesstätte realisierbaren Zielen bedeutet. Diese Zielverschiebung hat neben pädagogischen Auswirkungen auch eine politische Neutralisierung von Erziehung und Erziehern zur Folge. 10. Die tendenzielle Innovationsfeindlichkeit der Erzieher ist, ähnlich wie jene der Lehrer, auch auf das Fehlen von Kriterien für erfolgreiches pädagogisches Handeln zurückzuführen. Diesen für Schule und Kindertagesstätte gleichermaßen zutreffenden Faktoren sind ergänzend jene gegenüberzustellen, die eine geringe oder überhaupt keine Übereinstimmung zeigen:

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1. Die Kindertagesstätte ist nicht wie die Schule durch eine „klassische" Bürokratisierung bestimmt, sondern stellt eher einen sozialpädagogisch orientierten, „offiziell" wenig formalisierten Erziehungsraum dar. 2. Die Kindertagesstätte hat kaum Amtscharakter und ist auch der spezifischen Verwaltungsorganisation weitaus weniger ausgeliefert als die Schule. Diese Distanz zur Verwaltung ist sowohl auf die historische Entwicklung der öffentlichen Kleinkinderziehung zurückzuführen, als auch bedingt durch die zumeist regionale Losgelöstheit von den zuständigen Verwaltungsstellen aufgrund notwendig dezentraler Standorte innerhalb der Wohngebiete, was auch Auswirkungen auf den Charakter der Einrichtung hat. Damit verbunden ist ebenfalls die weitaus geringere durchschnittliche Größe der Kindertagesstätten. 3. Die ähnlich der Schule vorhandene Hierarchisierung der Kindertagesstätte ist weniger auf „Amtsrollen" zurückzuführen, sondern setzt sich, ebenso wie die zweifellos gegebene Regelhaftigkeit der Handlungsvollzüge, nicht so sehr aufgrund formalisierter Regeln oder Kompetenzen, sondern vielmehr als „stumme Regeln" des Kindergarten-Alltags über den Köpfen der Erzieher durch. 4. Erzieher sind nicht wie Lehrer Beamte, sondern Angestellte des öffentlichen Dienstes. Die von Merton präzisierten Merkmale von Funktionsträgern in einer Bürokratie, auf welchen die Diskussion über die „Rolle" des Lehrers als „Unterrichtsbeamter" u. a. beruht, haben keine Geltung für die Erzieher in öffentlichen Kindertagesstätten, die vielmehr unter der .Bezeichnung von „Erziehungsangestellten" zu fassen sind, was auch ein verstärktes Lohnerzieher-Bewußtsein impliziert (Merton 1968, Rumpf 1971). Insgesamt ist jedoch eine in vielen Punkten gegebene Übereinstimmung der sozialen Organisationen Schule und Kindertagesstätte hinsichtlich organisationssoziologischer Aspekte festzustellen. Im weiteren soll auf einige spezifische Momente der institutionellen Struktur der Kindertagesstätte näher eingegangen werden.

Institutioneller

Praxisschock — Anspruch und

Wirklichkeit

Die Situation des Berufsanfängers ist (soweit er überhaupt fachlich aus gebildet ist) im wesentlichen beeinflußt durch die Qualität seiner Ausbüdung. Die von Koch (1972) für den Lehrerberuf festgestellten allgemeinen Defizite der Ausbildung — mangelnde Berücksichtigung Von Belangen der Berufspraxis und der Besonderheiten der Berufseintrittsphase — trifft auch für die Erzieherausbildung zu. Herausragende Mängel der Fachschulausbildung für Erzieher sind: — fehlender Bezug zwischen vermittelter Theorie und dem Praktikum; — Beschränkung des theoretischen Unterrichts auf Handlungsanweisungen; — Vermittlung der Theorie als „Fertigprodukt" — d. h. keine Möglichkeit einer kritischen Überprüfung; — keine Problematisierung mitgebrachter tradierter Berufs- und Erziehungsvorstellungen ; 148t

— keine Reflexion der gesellschaftlichen Bedingtheit und Funktion der zukünftigen pädagogischen Praxis (Derschau 1974). Die Struktur der Ausbildung ist bestimmt durch einen schulischen Zwangscharakter, wobei Demokratie weitgehend als „Umgangsform" gepflegt wird: „Das Zusammenwirken von Identifikation und Zwang, das auch die alte „Anstalt für Höhere Töchter" und ihre Relikte in der heutigen Fachschule prägte, setzt sich also mit neuen Methoden weiterhin fest." (Derschau 1974, 94) Bezieht die Ausbüdung die Bedingungen der Praxis nicht ein, so wird auch der zumeist erlebte „Praxisschock" beim „Eintauchen" in die Erziehungsarbeit in der Kindertagesstätte verständlich (AG Fortbildung und Erzieherinnen 1977). Allgemein ist dieser „Realitätsschock" in einem Bildungssystem angelegt, das auf eine „Bildungsgesellschaft" setzt. Die dabei aufgebauten ülusionären Erwartungen erfahren in der Konfrontation mit der Realität des Arbeits- und Berufslebens insofern eine abrupte Enttäuschung, als hier eben nicht Bildung und Qualifikation, so wichtig sie auch sind, entscheidende Kriterien darstellen, sondern die strukturellen Bedingungen des Arbeitsbereiches. 26 In dieser ersten Phase der Berufstätigkeit, auf die der Erzieher nur unzureichend vorbereitet ist, ist er nicht nur Angst und Unsicherheit ausgesetzt, sondern zumeist auch isoliert. Kollegiale Unterstützung für den Berufsanfänger ist durchaus keine Selbstverständlichkeit; die anderen Erzieher begegnen ihm oft sogar mit Mißtrauen und erwarten eine ähnliche Anpassung an die strukturellen Bedingungen der Kindertagesstätte, wie sie von ihnen bereits resignativ vollzogen worden ist. So verweist Kramp auf eine ähnliche Situation im Bereich der Schule: Auf der einen Seite wollen oder können die jungen Lehrer den (vermuteten) Erwartungen der Kollegen nicht entsprechen, die sich vor allem auf widerspruchsloses Einfügen in die sogenannte Schulgemeinschaft und ihre herkömmlichen Normen, auf Anpassung an einen gewissen Durchschnitt des Engagements zu richten scheinen, auf der anderen Seite zeigen ältere Lehrer nicht immer Hüfsbereitschaft, Toleranz, pädagogische Aufgeschlossenheit, kollegialen Umgangsstil (Kramp 1973, 163). Auch Hänsel zeigt einen ähnlichen Sachverhalt für die jungen Lehrer auf. Der Erzieher wird in der neuralgischen Phase der „primären Berufssozialisation" allein gelassen — mangelnde Bereitschaft der Kollegen zur Zusammenarbeit erhöhen noch den institutionellen Druck. Diese Erfahrung kann in Form eines „traumatischen" Erlebnisses Auswirkungen auf die weitere Arbeit des Erziehers haben und seine Bereitschaft für kooperative Arbeitsformen erheblich reduzieren. Der Erzieher betritt also die Kindertagesstätte mit einer bestimmten beruflichen Motivation 149t

und spezifischen Berufsvorstellungen, die in der Regel an Aspekten sozialer und fürsorgerischer Art orientiert sind — dies ist sein subjektiver Sinn. Er wird dort mit strukturellen Bedingungen der Erzieherarbeit konfrontiert, die seinem subjektiven Sinn entgegenstehen. Diese Bedingungen sind von außen gesetzt und gesellschaftlich festgelegt; in ihnen äußert sich der Stellenwert, welcher der Institution Kindertagesstätte gesellschaftlich zugewiesen ist — d. h. ihre objektive gesellschaftliche Bedeutung. Während der weiteren alltäglich vollzogenen Berufstätigkeit verhärtet sich dieser Widerspruch zwischen subjektivem Sinn und objektiver Bedeutung zu einem Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit: „Der objektive Inhalt der Tätigkeit deckt sich nicht. . . mit ihrem subjektiven Inhalt, das heißt mit dem, was die Tätigkeit für den Menschen bedeutet." (Leontjew 1973, 242) Damit beeinflußt ein „desintegratives" Moment von Anfang an die Erzieherarbeit in der Kindertagesstätte; diese Desintegration äußert sich (psychologisch) in einem widersprüchlichen Erzieherbewußtsein. Dieser Widerspruch, in seiner Entstehung wesensmäßig auf die Auswirkungen der Lohnarbeit zurückzuführen, wird in der spezifischen Ausformung als Diskrepanz zwischen Erziehungsanspruch und -realität zuerst an der primären beruflichen Konfrontation mit den defizitären Bedingungen der Institution Kindergarten erfahren. Aus einer Reihe von strukturbildenden, institutionellen Faktoren sollen im weiteren die materiellen Bedingungen und die Organisation der Arbeit herausgegriffen und in ihren Auswirkungen auf die Kooperation der Erzieher untersucht werden. Die Auswirkungen der materiellen Bedingungen auf den kontinuierlichen Arbeitsvollzug in der Kindertagesstätte hinsichtlich der kooperativen Beziehungen der Erzieher sind vielschichtig. Die Erzieher arbeiten in meist zu kleinen, in sich abgeschlossenen Gruppenräumen, die jede raumübergreifende Kommunikation verhindern und den einzelnen Erzieher auf „seine" Gruppe verweisen. Die Begrenzung dieser Räume ist unverrückbar, eine Veränderung der Raumgröße, die Koppelung mit anderen Räumen ist unmöglich. Damit ist aber auch zumeist die innere Funktion der Raumeinheiten ein für allemal festgelegt und der Raum oft personell einer bestimmten Erzieherin zugewiesen, was die abwechselnde und/oder gemeinsame Nutzung durch verschiedene Erzieher erheblich erschwert. Sonderräume (wie z. B. Werkräume) sind oft so klein, daß kaum eine Kindergruppe ihn nutzen kann und die gemeinsame Gestaltung einer Aktivität durch mehrere Erzieher gleichzeitig ausgeschlossen ist; Pausen- und Aufenthaltsräume für die Erzieher sind oft gar nicht vor150t

banden. Arbeitsbesprechungen müssen z. B. deshalb in eiligst umfunktionierten Gruppenräumen durchgeführt werden. Die verschiedenen Abteilungen sind etweder geschoßweise voneinander getrennt oder liegen räumlich separiert in einem anderen Baukörper. Die bauliche Struktur der Kindertagesstätte erschwert durch die nicht aufhebbare Trennung und Abgeschlossenheit der Räume jede Art der Kooperation der Erzieher. Aber auch Spielmaterial ist in so geringen Mengen vorhanden, daß im Mangel bereits die Konkurrenz der Erzieher angelegt ist. Jedes für sich (und „seine4, Gruppe) gewonnene Stück wird sorgsam bewahrt und gegen andere Erzieher (und Kindergruppen) abgesichert. Selbst der Standort der Kindertagesstätte ist oft schon räumlich von anderen gesellschaftlichen Bezügen derart isoliert, daß eine nach außen gerichtete Kooperation zwischen den Erziehern und Menschen, die in anderen (relevanten) Bereichen tätig sind, nur sporadisch erfolgen kann. Die unzureichende Raumsituation sowie Ausstattungs- und Materialmangel stehen somit einer Kooperation entgegen; diese Situation wird noch dadurch erschwert, daß eine Kontaktnahme nach außen nur beschränkt möglich ist. Die Arbeitsorganisation der Erzieherarbeit in der Kindertagesstätte ist zu differenzieren nach den betroffenen Gruppen der Kinder, Erzieher und anderen Mitarbeitern. Obgleich für die Erzieherarbeit von großer Wichtigkeit, kann der die Kinder (und Eltern) betreffende Aspekt über die Ergebnisse der empirischen Untersuchung hinaus im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter vertieft werden. Im folgenden soll auf zwei Problembereiche verwiesen werden, welche die Erzieherarbeit in der Kindertagesstätte erheblich erschweren: unzureichender Personalschlüssel und Fehlen jeder Vorbereitungszeit. 27 Der unzureichende Personalschlüssel, d. h. letztlich die Zahl der zur Verfügung stehenden Erzieherplanstellen, drückt sich in einer Erzieher-Kind (bzw. Erzieher-Kindergruppe)- Relation aus, womit die Öffnungszeit der Kindertagesstätte (als Ganztagseinrichtung) zwar abgedeckt ist, Ausfälle aufgrund von Krankheiten, Fort- und Weiterbildung u. ä. jedoch zu Lasten der Erzieher gehen. Das hat eine chronische Überbelastung der Erzieher zur Folge, was sich wiederum z. B. in höheren Krankheitsquoten niederschlägt. So gefährdet jede zusätzlich auftretende Störung in der Kindertagesstätte die Aufrechterhaltung einer minimalen Betreuung der Kinder. Aber selbst in Perioden relativer Konfliktfreiheit sind die Erzieher strikt an die Erfüllung weitgehend organisatorisch definierter Bewahraufgaben gebunden, die jeweils individuell erfüllt werden müssen. Zwar ist eine Abstimmung der verschiedenen Verantwortlichkeiten unumgänglich notwendig, dieses „Zusammen-Wirken" geschieht aber in 151t

Konsequenz einer von außen aufgeherrschten Zwangssituation. Damit fehlt auch ein kooperatives Moment, das nicht auf einer organisatorischquantitativen, sondern inhaltlich-qualitativen Gemeinsamkeit beruht. Trotzdem liegt in der Notwendigkeit der Abstimmung einzelner „Arbeitstakte" und einer damit verbundenen Mindestkommunikation eine Möglichkeit, eine darüber hinausgehende Arbeitsform zu entwickeln. Damit könnte die rigide organisationstechnische Abstraktheit des bloßen Zusammenwirkens in einem ersten Schritt zugunsten einer qualitativ bestimmten Kooperation der Erzieher gesprengt werden. Das Fehlen jeglicher Vorbereitungszeit ist ebenso in der finanziellen Defizitsituation des Kindertagesstättenbereiches begründet wie der unzureichende Personalschlüssel und ist direkte Auswirkung des allgemeinen Planstellenmangels. Dieser Mangel hat zur Folge, daß die Mehrzahl der Erzieher ihre tägliche pädagogische Arbeit ohne rechtlich abgesicherte Vorbereitung durchführen müssen; damit ist eine geplante Erziehung weitgehend ausgeschlossen, was auch die Möglichkeit einer gemeinsamen Vorgehensweise der Erzieher erheblich einschränkt. Wird der Versuch einer Vorbereitung unternommen, so kann dies nur entweder während der Betreuung der Kindergruppe unter denkbar ungünstigen Bedingungen erfolgen oder aber in der arbeitsfreien Zeit. In beiden Fällen ist der einzelne Erzieher jedoch auf sich (und „seine" Gruppe) verwiesen und eine gemeinsame Abstimmung der geplanten Arbeitsinhalte kaum möglich. Gemeinsamkeiten zwischen Erziehern ergeben sich nur punktuell und zufällig. Die Entwicklung gemeinsam vollzogener Arbeitsvorbereitung kann in der ersten Phase nur um den Preis zusätzlicher Arbeitsbelastung erfolgen; in der Erfahrung, der damit verbundenen Erleichterung der (individuellen) Arbeit liegt jedoch eine Möglichkeit der Entwicklung kooperativer Ansätze begründet. Hierarchie und Leitung Das institutionelle Strukturmerkmal der Hierarchisierung ist insofern von großer Wichtigkeit, als es die sozialen Beziehungen innerhalb der Kindertagesstätte entscheidend beeinflußt und jenes Moment darstellt, das, sozial und arbeitsrechtlich kodifiziert, einer Kooperation der Erzieher diametral entgegensteht. In diesem Zusammenhang spielt die Leitungsfunktion eine wesentliche Rolle. Erzieherarbeit in der Kindertagesstätte ist nicht nur „innerlich" getrennt, sondern auch „äußerlich". Sie stellt sich nicht dar als arbeitsteiliges Vorgehen in einem zusammenhängenden gesellschaftlichen Bereich, sondern als Neben- und zum Teil sogar Gegeneinander von unterschiedlichen und unterschiedlich bewerteten Arbeiten. 152t

Wie bereits angeführt, äußert sich eine gesellschaftlich bedingte, der Kindertagesstätte „übergestülpte" Bewertung der verschiedenen Tätigkeiten auch in einer unterschiedlich hohen finanziellen Honorierung. Neben einem Widerspruch zwischen der gesellschaftlichen Einstufung von Erziehungsteilarbeiten und der öffentlich akzeptierten Relevanz derselben, zeigt sich hier auch ein Widerspruch zwischen aufgebauschter Partialisierung und grundlegender Gleichheit von Erziehungsarbeiten. Die Hierarchisierung des relativ kleinen und (objektiv) inhaltlich weitgehend homogenen Bereichs der Kindertagesstätte wird aber noch dadurch zugespitzt, daß die Durchlässigkeit zu anderen Bereichen kaum gegeben ist. So schwinden z. B. angesichts der bildungspolitischen Situation auch die letzten Aufstiegsmöglichkeiten von Erziehern in den Schulbereich. Ebenso ist ein Hochschulstudium nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Verschärfung der Zulassungsbedingungen und auch der materiellen Situation der Erzieher ausgeschlossen. Neben dieser „vertikalen" Abschnürung haben die Erzieher aber auch nur geringe Möglichkeiten einer „horizontalen" Berufsveränderung. 28 Zu diesen drei Aspekten des Kindertagesstättenbereiches: Kleiner Umfang, Homogenität der Arbeitsinhalte, Undurchlässigkeit nach außen, tritt der der Hierarchisierung. In der Verknüpfung dieser vier Punkte zu einem institutionellen Strukturelement der Erzieherarbeit wird die Hierarchie in der Kindertagesstätte zu einem entscheidenden Faktor. Die Rangordnung innerhalb der Kindertagesstätte — Leiterin, Stellvertretende Leiterin, Vorschulgruppenerzieherin, Kindergartenerzieherin, Horterzieherin, Krippenerzieherin, Berufspraktikantin, Küchenpersonal, Reinigungspersonal —, die sich als Abgrenzung der verschiedenen Abteilungen ausdrückt, wird noch durch die höchst unterschiedlichen Einstufungen und Qualifikationen der einzelnen Erzieher innerhalb der Abteilungen verschärft. Die hierarchische Struktur innerhalb der Einrichtung findet ihre Fortsetzung in der übergeordneten Kontroll- und Weisungsinstanz der jeweiligen Jugendbehörde. Innerhalb dieser hierarchischen Rangfolge hat die Leitung der Kindertagesstätte Gelenk- und Vermittlungsfunktion. Über sie werden die im Rahmen von »harten4 hierarchischen Verwaltungsstrukturen geregelten Weisungen in das institutionelle System der Kindertagesstätte eingegeben und verfestigen so in einem wechselseitigen Prozeß wiederum die Hierarchisierung der Erzieherarbeit. Da in der täglichen Erzieherarbeit die Leitung eine sehr entscheidende Rolle spielt, soll im weiteren vor allem die Beziehung zwischen Erziehern und Leitung vertieft diskutiert werden. Erzieherarbeit als LoZ?»erziehung hat entfremdeten Charakter. Darin ist eine „Zwieschlächtigkeit" der Arbeit angelegt, die sich auch in der 153t

Funktion der Leitung dieser Arbeit niederschlägt. Das äußert sich nicht nur in der Person des Leiters (bzw. der Leiterin) selbst, sondern auch in der ambivalenten Einstellung des „einfachen" Lohnerziehers gegenüber dem Träger der Leitungsfunktion: Auf der einen Seite erfährt er die Notwendigkeit der Leitung, Kontrolle und Vermittlung hinsichtlich der konkreten Arbeit, auf der anderen Seite ist er der Leitung, die gleichsam als Vertreter des Arbeitgebers auftritt, unterstellt und damit auch den Auswirkungen eines Subordinationsverhältnisses unterworfen. Darüber hinaus ist er mit der Kontrolle seiner pädagogischen Tätigkeit einer Leitung ausgesetzt, die oft über eine geringere fachliche Kompetenz verfügt als er selbst. Der Erzieher in der Kindertagesstätte steht damit zur Leitung der Einrichtung in einem widersprüchlichen, geradezu krampfhaften Verhältnis. Die Leitung selbst befindet sich in einer durchaus ähnlichen Situation: Zum einen ist sie dem Arbeitgeber verpflichtet, muß für die Umsetzung erfolgter Weisungen Sorge tragen und trägt die Verantwortung für das reibungslose Funktionieren des „Erziehungsbetriebes", zum anderen soll sie Erzieher (und Eltern) pädagogisch „beraten" und die Zusammenarbeit im Erzieherkollegium fördern, wofür sie auf das Wohlwollen und die Loyalität der Erzieher zumindest hinsichtlich ihrer Person angewiesen ist. Bei unterschiedlichen Interessen und Anforderungen von vorgesetzter Dienststelle und Erziehern gerät die Leitung in eine immanent konflikthafte Situation, in der sie zu einem dauernden „sozialen Balanceakt 4 gezwungen ist. D. h. die Leitung, als in der Regel ehemaliger Erzieher, muß sich abwechselnd mit den Erziehern und dem Arbeitgeber identifizieren, wobei sie in letzterer Situation in Widerspruch zu ihrer eigenen „Arbeitnehmer—Position gerät. Im Verlaufe dieser Schwierigkeiten hat sie innerhalb der Kindertagesstätte jedoch die Möglichkeit, hinter ihre „Berufsrolle" zurückzutreten und sich von ihr zu distanzieren, ohne auf den effektiven Vollzug ihrer objektiven Funktion verzichten zu müssen: Denn „eine demonstrativ gebrochene Identifizierung" mit der ihr zugewiesenen Leitungsfunktion, ein „informelles Bedauern der ,von Amts wegen' durchgeführten Maßnahmen" können auch durchaus einer reibungsloseren Anpassung der untergebenen Erzieher an Weisungen des Arbeitgebers dienlich sein (Ottomeyer 1974). Mit der arbeitsvertraglich übernommenen Alleinverantwortlichkeit für die Einrichtung wird die Leitung der Kindertagesstätte auch rechtlich auf ihre Funktion festgelegt, wofür sie finanziell honoriert wird. Durch diese rechtliche Kodifizierung unterscheidet sich die Funktion der Leitung aber von jener der Erzieher, deren Hierarchisierung sich „nur" in unter154t

schiedlichen sozialen und finanziellen Honorierungen und unterschiedlichen Arbeitsbedingungen ausdrückt. So hat auch die Konkurrenz der Erzieher untereinander einen anderen Stellenwert als jene zwischen Erziehern und Leitung, da für letztere nicht die Bedingung der (relativen) Gleichheit gegeben ist. Die stellvertretende Leitung befindet sich dabei in einer Zwischenposition: Einerseits macht sie oft die gleiche pädagogische Arbeit wie die Erzieher, andererseits übernimmt sie bei Ausfall der Leitung deren Funktion bzw. ist in ihrer Anwesenheit davon abhängig, wie weit diese Aufgaben, die in ihrer Kompetenz liegen, abgibt. Oft spielt die stellvertretende Leitung „das Zünglein an der Waage", da trotz der Tatsache, daß die Leitung über die größte Kompetenz und rechtliche Reichweite in der Kindertagesstätte verfügt, sie isoliert ist und einem gemeinsam ausgeübten Druck der Erzieher nur schwer standhalten kann. Für die ersten Schritte in Richtung einer „kollegialen" Leitung ist daher das Verhalten der stellvertretenden Leitung von Wichtigkeit. Sowohl durch die Tatsache, daß die Leitung der Kindertagesstätte rechtlich festgelegte Kompetenzen zugewiesen sind, als auch durch den Inhalt dieser Kompetenzen wird die sozial und finanziell begründete und sich auch in der spezifischen Tätigkeit der Erzieher niederschlagende Hierarchisierung verstärkt. Darüber hinaus ist eine weitgehende Abhängigkeit der Ausprägung der hierarchischen Struktur in der Kindertagesstätte von der Art und Weise gegeben, wie die Leitungsfunktion ausgefüllt wird. Dabei sind jedoch der Leitung relativ enge Grenzen gesetzt. Da die Hierarchisierung der Erzieherarbeit aber der Kooperation von Erziehern entgegensteht, ist auch die der Leitung geschuldete Hierarchisierung ein wesentlicher diskooperativer Aspekt. Werden Ansätze der Zusammenarbeit versucht, kann die Leitung durch die Verteilung von Teilverantwortlichkeiten innerhalb der Einrichtung diese Versuche in der ersten Phase fördern; aufgrund der ihr rechtlich zugewiesenen „Führungsaufgaben" hat die Leitung, bei Aufrechterhaltung der derzeit gegebenen Rechtssituation, aber nur geringe kooperative Möglichkeiten. Das weiterreichende kooperative Potential liegt daher eindeutig bei den Erziehern. Der Heimliche

Erziehungsplan

Der „heimliche Lehrplan" ist keine neue Erkenntnis der Erziehungswissenschaft und wurde bereits in den 20er Jahren von den Pädagogen einer sozialistischen Kinderbewegung genannt — hier vor allem von Hoernle und Bernfeld: „Die Tätigkeit des einzelnen Lehrers, sein Unterrichten ist bloß ein Faktor in dem Ganzen dieser Wirkungen. . . Das Schulwesen hat offenbar 155t

Wirkungen, die über den eigentlichen Unterricht weit hinaus reichen. Die Schule — als Institution — erzieht. Sie ist zum wenigsten einer der Erzieher der Generation" (Bernfeld 1957 [1926], 27). Bezogen auf das vorliegende Erkenntnisinteresse heißt dies: Die Kindertagesstätte — als Institution — erzieht. Zinnecker weist ausdrücklich darauf hin, daß, im Gegensatz zur personenbezogenen Psychologie der Sozialisation, sich der „heimliche Lehrplan" explizit auf situative und institutionelle Momente bezieht: „Er betrachtet Sozialisation nicht unter dem Gesichtspunkt individuellen Lernens, sondern unter dem der gesellschaftlich organisierten (hervorgehoben, K. B.) Übertragung von Persönlichkeitsmustern." (Zinnecker 1974, 31) Diese Zusammenhänge der Sozialisation in der Kindertagesstätte betreffen aber nicht nur die Kinder, auch die Erzieher sind in den Regelkreis des „heimlichen Lehrplans" eingebunden. Jackson's Beschreibung der Verkehrsformen im Klassenzimmer zeigt deutliche Übereinstimmungen mit den Verkehrsformen im Gruppenraum der Kindertagesstätte: — Hier wie dort wacht der Lehrer (bzw. der Erzieher) über den Sprachverkehr zwischen den Schülern (Kindern). — Hier wie dort fungiert der Lehrer (Erzieher) als „Proviantmeister", der die knappen Materialien gerecht auf die Schüler (Kinder) zu verteUen hat. „Am Posten des Proviantmeisters hängt auch die Aufgabe, verdienten Schülern (Kindern, K. B.) besondere Vorrechte einzuräumen." — Hier wie dort hat der Lehrer (Erzieher) die Aufgabe des „Zeitnehmers". — Hier wie dort ist es Aufgabe des Lehrers (Erziehers), „Schüler-(Kinder-, K. B.) aktivitäten anzukurbeln und wieder abzustellen." — Hier wie dort ist das Schulleben (Kindertagesstättenleben) u. a. durch drei Merkmale gekennzeichnet: Verzögerungen, Versagungen und Unterbrechungen (Jackson 1973, 18 u. 19). Dieser Lehr- bzw. Erziehungsplan ist nicht offiziell oder wird bewußt von den Erziehern erfüllt, sondern setzt sich „hinter dem Rücken" der Erzieher durch und ist bedingt durch eine Reihe von gesellschaftlichen Faktoren, zu denen auch die institutionellen Bedingungen zählen. Wellendorfs Analyse schulischer Sozialisationsprozesse, die „,über die Köpfe der Beteiligten hinweg 4 durch das szenische Arrangement der Schule impliziert sind" gilt tendenziell auch für die Kindertagesstätte: 1. Indem die Erfahrungen der Kinder, die sie außerhalb der Institution machen, von den Erziehern in der Kindertagesstätte kaum aufgegriffen werden, besteht für die Kinder die latente Situation eines Identitätsverlustes. 2. Durch eine Reihe institutionalisierter Rituale, wie etwa die Situation des Mittagessens, des Mittagschlafs, aber auch oft nach dem gleichen Schema ablaufende Feiern wird der Zwangscharakter der Verhaltenserwartungen und Normen der Kindertagesstätte im Sinne einer gleichsam situationsunabhängigen Instanz ver-

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stärkt. Rituale sollen durch symbolische Darstellung des Bedeutungszusammenhangs des szenischen Arrangements dieses als ganzes von Veränderungen in ihnen selbst und in der Umwelt relativ unabhängig machen. 3. Durch die dominierende Funktion des Erziehers werden eine Reihe von Verhaltensmustern des Erziehers auf die Kinder übertragen (Wellendorf 1973). Es würde hier, über diese Ausführungen hinaus, einer differenzierten Analyse des heimlichen Erziehungsplans in der Kindertagesstätte bedürfen, wobei vor allem die Situation der Erzieher zu untersuchen wäre. Es scheint aber offensichtlich zu sein, daß alle beteiligten Gruppen (Kinder und Erzieher) dabei in einer wechselseitigen Beziehung stehen und letztlich die Erzieher selbst zu einem Teil der institutionell bedingten Faktoren des heimlichen Erziehungsplans werden. Wenn sich Erziehung in der Kindertagesstätte in einem derartigen Feld verzerrter und isolierter Kommunikation vollzieht, so kann allein die gemeinsame Bewußtmachung dieser Prozesse, die sich zum Teil hinter dem Rücken der Betroffenen abspielen, einen Schritt in Richtung kooperativer Beziehungen darstellen. Abschließend sollen die Aspekte der institutionellen Struktur der Kindertagesstätte hinsichtlich der Kooperation von Erziehern zusammengefaßt werden: — Eine Reihe von Bedingungen der sozialen Institutionen Schule und Kindertagesstätte zeigen eine weitgehende Obereinstimmung. — Diese Obereinstimmung betrifft vor allem den besonderen Charakter informaler „Rollen" im Rahmen von Erziehungs- und Bildungsprozessen; den Charakter der isolierten Dienstleistungseinrichtung; die Aufsplitterung der Organisation in relativ autonome Einheiten; das grundlegende diskooperative Merkmal der Arbeit; die ineffiziente Kontrolle durch die Leitung und die daraus abgeleitete Notwendigkeit informellen Zusammenwirkens; die pädagogisch „entfremdete" Grundsituation der Erziehungsverhältnisse; die „anomische" Struktur der Erzieherrolle und die mit dem Prozeß der „ZielVerschiebung" in engem Bezug stehende politische Neutralisierung von Erziehung und Erziehern; die auf das Fehlen inhaltlicher Kriterien der Erzieherarbeit zurückführende Innovationsfeindlichkeit der Erzieher. — Dagegen ist die Kindertagesstätte nicht so wie die Schule durch eine „klassische" Bürokratisierung bestimmt, sondern stellt einen sozialpädagogisch orientierten relativen Freiraum dar. Ebenso hat sie nur eingeschränkten Amtscharakter und die Regelhaftigkeit der Abläufe ist weniger formalisierten „Rollen" als vielmehr „stummen Regeln" des alltäglichen Arbeitsvollzuges zuzuschreiben. Schließlich sind die Erzieher im Gegensatz zum Beamtentum der Lehrer Angestellte im öffentlichen Dienst und haben dadurch ein stärker ausgeprägtes Lohnarbeiterbewußtsein. — Die strukturellen Faktoren der Kindertagesstätte werden vom Erzieher primär beim Berufseintritt und sekundär im länger andauernden beruflichen Alltag erfahren. — Wohl begünstigt die unzureichende Ausbildung der Erzieher einen bei Berufseintritt entstehenden Praxisschock, entscheidend jedoch sind die strukturellen Bedingungen des Praxisfeldes; in Form eines „traumatischen" Erlebnisses kann 157t

die damit verbundene Isolierung der Erzieher prägenden Einfluß gewinnen und die Bereitschaft für das Eingehen kooperativer Arbeitsformen erheblich verringern. — Durch den Widerspruch zwischen subjektivem Sinn und objektiver Bedeutung der Erzieherarbeit — Anspruch und Wirklichkeit — entsteht von Berufsbeginn an ein „desintegratives" Erzieherbewußtsein, was sich zunehmend verstärkt. — Die räumlichen Bedingungen in der Kindertagesstätte erschweren die Kooperation der Erzieher in ähnlicher Weise wie der Mangel an Spielmaterialien. Auch das Defizit an Außenkontakten erhöht den diskooperativen Charakter der Arbeitsbedingungen. — Mangelnde Planstellen tragen entscheidend zur Überlastung der Erzieher bei, deren Zusammenwirken auf organisatorische Aspekte beschränkt bleibt. — In der Notwendigkeit der minimalen Abstimmung von Organisationsproblemen liegt allerdings die Möglichkeit der ansatzweisen Entfaltung von kpoperativen Arbeitsformen. — Das Fehlen von Vorbereitungszeit verweist den Erzieher auf individualistisches, zumeist planloses Vorgehen. — In der Erfahrung, daß gemeinsam vollzogene Planung der Erzieherarbeit letztendlich eine Arbeitserleichterung zur Folge hat, liegt eine Möglichkeit der Entwicklung kooperativer Ansätze. — Die Hierarchisierung der Erzieherarbeit wird u. a. dadurch zu einem entscheidenden strukturellen Faktor, daß der Kindertagesstättenbereich von relativ kleinem Umfang ist, eine objektive Homogenität der Arbeitsinhalte aufweist und nach außen nicht durchlässig ist. Die Hierarchisierung steht einer Kooperation der Erzieher diametral entgegen. — In der Funktion der Leitung ist sowohl ein ambivalentes Verhalten der Erzieher gegenüber der Leitung, als auch ein ähnliches Verhalten der Leitung gegenüber Erziehern und Arbeitgeber angelegt. — Die Leitung der Kindertagesstätte kann sich von ihrer Berufsfunktion zugunsten einer reibungsloseren Anpassung der Erzieher an Weisungen des Arbeitgebers zeitweilig distanzieren. — Durch die rechtlich kodifizierte Kompetenz der Leitung fällt sie aus der Konkurrenz der Erzieher weitgehend heraus. — Die stellvertretende Leitung befindet sich in einer stark von der Leitung abhängigen „Zwischenposition" zwischen Erzieher und Leitung. — Die Ausformung der Hierarchie in der Kindertagesstätte ist auch abhängig von der Art und Weise, wie die Leitungsfunktion ausgefüllt wird. — Für die erste Phase der Ausbildung kooperativer Strukturen in der Erzieherarbeit kann die Leitung durch den Versuch einer kollegialen Leitung einen gewissen Beitrag leisten. Das entscheidende kooperative Moment liegt aber eindeutig bei den Erziehern. — Der „heimliche Erziehungsplan" der Kindertagesstätte umfaßt sowohl Kinder als auch Erzieher und setzt sich gleichsam „hinter dem Rücken" der Betroffenen durch. — Die Aufdeckung dieses heimlichen Erziehungsplanes kann nur gemeinsam erfolgen.

f . Zusammenfassung

und Typologie der

Erzieher-Kooperation

Im Rahmen der Analyse wesentlicher Faktoren der Erzieherarbeit in öffentlichen Kindertagesstätten — Lohnarbeit, Staat, Erziehung und Erzieher, Feminisierung, institutionelle Struktur — in ihren Auswirkun-

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gen auf die Kooperation der Erzieher wurde eine Reihe von Fakten diskutiert, die nur in ihrer Gesamtheit betrachtet werden können und die zueinander in einem wechselseitigen, o f t gegensätzlichen Verhältnis stehen. Für eine zusammenfassende Darstellung wie auch für die perspektivische Fassung des Problembereiches ist es notwendig, zum einen die Gewichtung der einzelnen Faktoren, zum anderen die Bestimmung der „Richtung" der einzelnen Faktoren im Hinblick auf die Kooperation der Erzieher vorzunehmen. Bezugnehmend auf die Ausführungen in Abschnitt III.l zur Kooperation als Prinzip gesellschaftlicher Arbeit ist dem Aspekt der Lohnarbeit der Erziehertätigkeit ursächliche Bedeutung zuzuordnen; damit in Beziehung steht der Staat als Veranstalter der Lohnerzieherarbeit. In ihrer spezifischen Ausformung handelt es sich hierbei um die Arbeit der Erziehung, die von professionellen Erziehern durchgefühlt wird. Aufgrund gesellschaftlicher Normen wird diese Tätigkeit fast ausschließlich von Frauen betrieben. Vollzogen wird Erzieherarbeit im Bereich der Kleinkinderziehung in der Institution Kindertagesstätte. Diese Darstellung entspricht in ihrer Abfolge auch der allgemeinen Wichtigkeit der verschiedenen Faktoren. Für die Bestimmung der Richtung der verschiedenen Faktoren hinsichtlich ihres kooperativen bzw. diskooperativen Charakters zeigt sich folgendes Bild: Während sich die Faktoren der »Lohnarbeit* und der »institutionellen Struktur 4 eher in diskooperativer Hinsicht ergänzen bzw. verstärken, sind jene der Kategorien »Erziehung und Erzieher 4 und »Feminisierung* dadurch charakterisiert, daß sie trotz Übergewichts der diskooperativen Faktoren doch eine Reihe kooperativer Momente aufweisen, die sich auch wechselseitig entsprechen. Der »Staat4 als gesellschaftliche Instanz und »Organisator4 gesellschaftlicher Normen und Prioritäten in sozialer, kultureller, ökonomischer und ideologischer Hinsicht beeinflußt diese vier Aspekte mittelbar. Die Widersprüchlichkeit der Erzieherarbeit die in den Beziehungen der verschiedenen Faktoren, aber auch in ihnen selbst zu Tage tritt, kann in fünf hauptsächlichen Punkten auf den Begriff gebracht werden: 1. Der Widerspruch zwischen der Gleichgültigkeit des Lohnerziehers gegenüber den Kindern und seiner Arbeit und der Tatsache, daß Erziehung ein genuin sozialer Prozeß ist. 2. Der Widerspruch zwischen gesellschaftlich organisierter Erziehung und der Vereinzelung der Erzieher. 3. Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Erzieherarbeit. Dies äußert sich in spezifischen Widersprüchen zwischen: — verordneter Kompetenz in der konkreten Tätigkeit und verordneter NichtKompetenz in der Bestimmung seiner Tätigkeit (Brüggemann/Kerber-Ganse 1975, 15); — der Vorbereitung auf die Praxis (= Ausbildung) und der Praxis selbst; 159t

— pädagogischer Verantwortung, beruflichem Selbstverständnis und den Arbeitsplatzbedingungen; — gesellschaftlich zugewiesenem individullen Selbstverständnis und ebenso gesellschaftlich bestimmten Bedingungen der Arbeit, deren Konflikte dann aber individualisiert werden. 4. Der Widerspruch zwischen Hierarchisierung und Parzellierung der Erzieherarbeiten und dem objektiv gleichwertigen Charakter derselben. 5. Der Widerspruch zwischen der, einer mittelständischen und hausmütterlichen Sozialsiation der Erzieher geschuldeten Erzieher-Mutter-Ideologie und einer auch gemäß dem Vergesellschaftungsgrad der Erziehung notwendigen Professionalisierung der Erzieher. Diese allgemeinen Widersprüche der Erzieher arbeit enthalten aber auch in der Verklammerung von Wichtigkeit und kooperativen Möglichkeiten jene Ansätze, die, bewußt aufgenommen, zu einer Qualität der kooperativen Arbeit von Erziehern führen können: „Der Erzieher, der die Erfahrung der Widersprüche seiner Tätigkeit nicht abwehrt, sondern... seine Arbeit so anlegt, daß er sie notwendig in sie hineinträgt, befindet sich in einem Prozeß, in dem er gezwungen ist, seine widersprüchlichen Erfahrungen in einem widersprüchlichen Handlungsfeld politisch zu reflektieren. . . Der Erzieher wird so in einen Prozeß geraten, in dem er seine Vereinzelung am Arbeitsplatz praktisch aufhebt und seine Probleme als kollektive Probleme (hervorgehoben, K. B.) der im Erziehungsbereich Tätigen erkannt hat". (Brüggemann/ Kerber-Ganse 1975, 38) Aus jenen Faktoren, die die staatlich organisierte, von Frauen betriebenen Erziehung in der Kindertagesstätte bestimmen, sollen jene nochmals herausgegriffen werden, die vermutlich wesentlich für die Erweiterung bzw. Entstehung von Erzieher-Kooperation sind. Sie stellen die spezifische Konkretisierung jener drei Faktoren dar, die im Bereich gesellschaftlicher Arbeit grundsätzlich kooperations-stiftenden Charakter haben (können): Gemeinsamkeit der Lohnform, Identifikation mit der Arbeit, Gemeinsamkeit der Lage. — Erzieher in Kindertagesstätten sind Lohnerzieher und haben als Gemeinsamkeit die Form ihrer Entlohnung; diesen Aspekt haben auch Erzieher und Eltern gemeinsam. — Erziehung bedarf notwendig der sozialen Interaktion, d. h. auch seiner zumindest partiellen Identifikation mit der Arbeit; sie ist ein doppelt kooperativer Prozeß. — Erziehung in der Kindertagesstätte ist potentiell eine gesellschaftliche Qualität und ist öffentlich. — Der Erziehungsprozeß bedarf einer (gemeinsamen) Planung, die im Vergleich zu einem zufällig bestimmten Vorgehen letztlich eine Arbeitseffektivierung und -erleichterung zur Folge hat. — In der Kindertagesstätte bestehen (noch) Möglichkeiten der Definition und Operationalisierung von Erziehungszielen und der Entwicklung einer sozialpädagogischen Qualität. 160t

— Die Organisation der Erzieherarbeit in der Kindertagesstätte bedarf eines Minimums an Abstimmung; die Verbesserung einer gemeinsamen getragenen Organisation bedeutet eine klare Arbeitserleichterung. — Erziehung in der Kindertagesstätte ist als „gemeinsame Sache" von Erziehern, Kindern und Eltern zu begreifen (vgl. AG Fortbildung 1976). Zur Ausformung kooperativer Strukturen aus der leidvollen Erfahrung der gemeinsamen Lage können darüber hinaus die bewußte Auseinandersetzung mit der Erzieherpersönlichkeit, mit der der Gleichgültigkeit entgegenstehender Mütterlichkeit (Geschlechtlichkeit) der Erzieher und konkrete Versuche der Durchführung einer kollegialen Leitung beitragen. Gemäß der jeweiligen Praxissituation und dem Stand entwickelter Kooperation müssen die oben genannten Faktoren gemeinsam mit den betroffenen Erziehern hinsichtlich ihrer Bedeutsamkeit überprüft werden, um, darauf aufbauend, den kooperativen Charakter der Erzieherarbeit handlungsrelevant zu entwickeln bzw. zu vertiefen. Der Zusammenhang zwischen den in Kapitel II, 3 beschriebenen Problemen und der Kooperation der Erzieher stellte sich wie folgt dar: 1. Nur bei einem kleinen Teil der Probleme in der Kindertagesstätte steht der Aspekt der Zusammenarbeit im Vordergrund. 2. Die Zusammenarbeit der Erzieher spielt aber offensichtlich bei Positiva bzw. Ansätzen von Problemlösungen eine wichtige Rolle. 3. Je stärker die Ausprägung eines Problems ist, desto größer ist auch die der Zusammenarbeit zugeordnete Bedeutung. Setzt man diese Ergebnisse in Beziehung zur Typologie der ErzieherKooperation, so sind folgende wesentliche Feststellungen zu treffen: 1. Dem konkreten Inhalt der Erzieherarbeit kommt entscheidende Wichtigkeit zu. Bezüglich der Arbeitsbedingungen ist eine eher resignative Anpassung festzustellen. 2. Seitens der Erzieher besteht ein großes Bedürfnis, die isolierte Situation durch eine Intensivierung der sozialen Kontakte zu verbessern. Die angestrebte Verbesserung der Erzieherarbeit hat demnach vom Aspekt der konkreten Arbeitsinhalte auszugehen (vgl. Seve 1973). Den in der Typologie der Erzieherarbeit dargestellten kooperativen Faktoren, die schwerpunktmäßig der Kategorie »Erziehung/Erzieher 4 zugehörig sind, ist dabei gesamtheitlich Rechnung zu tragen. Zwar können entsprechend der jeweiligen Situation in der Einrichtung bzw. Region einzelne Aspekte besonders hervorgehoben werden; diese Gewichtung darf jedoch nicht zur völligen Ausklammerung anderer Faktoren führen: So wäre es z. B. falsch, über der Auseinandersetzung mit pädagogischen Problemen Faktoren der institutionellen Struktur der Einrichtung zu negieren. Die Kategorien der Lohnarbeit, der Erziehung, der Feminisierung und der institutionellen Struktur sind vielmehr als dialektische Einheit zu sehen. 161t

Die Verbesserung der Erzieherarbeit im Bereich der öffentlichen Kleinkinderziehung ist daher allgemein auf folgende drei Ziele auszurichten: 1. Reduzierung der Ideologie durch verstärkten Bezug auf konkrete inhaltliche Aspekte; diese ,Entmystifizierung4 der Erziehung entspricht einer anzustrebenden Professionalisierung der Erzieher. 2. Verstärkung des sozialen Momentes als spezifischen Aspekt der an einer „gemeinsamen Sache" orientierten Erzieherarbeit. 3. Schrittweise Aufhebung der Isolation; dieser Versuch gilt sowohl für den einzelnen Erzieher innerhalb der Einrichtung, als auch für den Bereich der öffentlichen Kleinkinderziehung im Sinne einer Öffnung nach außen und Einbeziehimg relevanter gesellschafdicher Bereiche. Diese mögliche und notwendige Entwicklung kann nur als dialektischer Prozeß verstanden werden. Mit der Setzung von Zwischenzielen und einer Veränderung der „kleinen Schritte" im Sinne „strategischen Handelns" erfolgt nicht nur eine Veränderung des Arbeitsinhaltes, sondern es werden auch jene Grenzen erfaßbar und als veränderbare erkannt, die durch die Bedingungen der Arbeit gegeben sind. Mit der Veränderung der Arbeit geht aber auch eine bewußtseinsmäßige Veränderung einher; für die Veränderung der Einstellungen, der sozialen Normen und Werte spielen sowohl die situativen Determinanten des sozialen Feldes Kindertagesstätte und der sich darin vollziehenden sozialen Interaktion als auch die individuelle Bedeutsamkeit der jeweiligen Arbeitsaspekte eine wichtige Rolle. Erziehung in der Kindertagesstätte ist als „gemeinsame Sache" von Erziehern, Eltern und Kindern zu begreifen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Wichtigkeit gewerkschaftlicher Organisation hervorzuheben. Erst die organisierte Vertretung von Forderungen ist die Basis für deren erfolgreiche Durchsetzung. Dies betrifft zum einen Forderungen hinsichtlich der Entlohnung, deren hierarchische Abstufung in der Kindertagesstätte nicht dem objektiven Erziehungsverhältnis entspricht und die im Vergleich zu anderen Erziehungsberufen unterdurchschnittlich ist. Zum anderen sind aber auch Forderungen einzuschließen, die qualitativ darüber hinausgehen und die Bedingungen der konkreten Arbeit betreffen, wie etwa die Forderung nach Vorbereitungszeit, mehr und besserem Spielmaterial, der Verbesserung der räumlichen Situation, der Verkleinerung der Gruppengröße, der Mitbestimmungsmöglichkeiten von Erziehern und Eltern u.a.m. Diese Forderungen betreffen nicht nur die Interessen der Erzieher sondern auch jene der Eltern und Kinder, die in den Einrichtungen der öffentlichen Kleinkinderziehung betreut werden. Bezogen auf die Hauptthese der vorliegenden Arbeit, daß für die Verbesserung der öffendichen Kleinkinderziehung vor allem die auf der Ent162t

wicklung kooperativer Arbeitsbeziehungen beruhende gemeinsame Aktion der unmittelbar betroffenen Erzieher entscheidend ist, bedeutet dies hier eine qualitative Ausweitung: Von der auf konkrete Inhalte bezogenen Zusammenarbeit in der einzelnen Einrichtung erfolgt eine notwendige, damit in enger Beziehung stehende Erweiterung der Kooperation nach außen, die unter Berücksichtigung der derzeitigen politischen und pädagogischen Situation der Erzieher zur gewerkschaftlichen Organisierung führt. Dadurch kann sowohl eine breite Basis innerhalb der Erzieherschaft erreicht, als auch die solidarische Aktion mit den Eltern und anderen Werktätigen vorangetrieben werden, was letztlich die Schaffung einer politischen Öffentlichkeit für die Belange der „öffentlichen" Kleinkinderziehung möglich macht. Darüber hinaus bietet die gewerkschaftliche Organisierung auch die Grundlage für die Einordnung spezifischer Forderungen in den gesamtpolitischen Rahmen. Kooperation in der Arbeit von Erziehern, die am konkreten Arbeitsplatz ansetzt, findet so ihre gesellschaftliche Ausweitung und ist auch Voraussetzung für eine weitergehende politische Organisierung. Diese Einschätzung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß einer gewerkschaftlichen Organisierung derzeit noch erheblich Vorbehalte seitens der Erzieher entgegenstehen, die in Vorstellungen der Unvereinbarkeit „sozialer Berufe" mit Maßnahmen der Interessenvertretung begründet sind. 29 Damit rückt der Aspekt der gewerkschaftlichen Organisation in den Bereich einer begrifflich weit gefaßten Professionalisierung der Erzieher, die an der konkreten Arbeit in der Kindertagesstätte ansetzt. Wenn auch eine definitive Prognose der weiteren Entwicklung der Erzieherarbeit hier nicht geleistet werden kann, so ist abschließend doch darauf zu verweisen, daß vor allem in der zunehmenden handlungsrelevanten Konkretisierung und Bewußtwerdung der Arbeitsinhalte im Sinne einer „gemeinsamen Sache" kooperative Ansätze angelegt sind, die Möglichkeiten der Erweiterung der kooperativen Kompetenz von Erziehern enthalten; dies umfaßt sowohl die pädagogische als auch politische Dimension. Hier vor allem liegt auch die Chance einer Verbesserung der öffentlichen Kleinkinderziehung — der Arbeitsbedingungen von Erziehern und der Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder im Interesse einer gesellschaftlichen Veränderung.

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Anmerkungen

1 Bereits ca. 200 Jahre zuvor hatte R. Owen auf die Wichtigkeit der Umwelt für die Entwicklung der Kinder hingewiesen. Angesichts der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung verschwanden diese Überlegungen aber wieder in der Schublade, um dann in den 60er Jahren als „neue" Erkenntnisse der Sozialisationstheorien wieder ans Tageslicht geholt zu werden. 2 Die tatsächliche Arbeitslosenquote der Frauen liegt aber weit über der amtlich ermittelten, denn arbeitslose Frauen machen häufig nicht von ihrem Recht Gebrauch, Arbeitslosengeld zu beantragen; diese Beantragung ist jedoch Grundlage für die amtlichen Arbeitslosenstatistiken. Aber auch das Prüfungsverfahren der Arbeitsämter veranlagte z. B. Vertreter des DGB zu Protesten: Immer häufiger streichen die Arbeitsbehörden erwerbslosen Müttern die Arbeitslosenunterstützung mit dem Hinweis, sie stünden dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, da die Versorgung der Kinder während der beruflichen Tätigkeit nicht sichergestellt sei. 3 So haben die Kinder erwerbstätiger Mütter ein großes Maß an Selbstvertrauen, sind stärker leistungsorientiert und zeigen bereits im Vorschulalter eine größere Unabhängigkeit als die Kinder von Hausfrauen. 4 Z.B.: — Defizite aufgrund geschlechtsspezifischer Erziehung — mangelnde Vorbereitung auf den Beruf, d. h. zu geringe Leistungsmotivation und ungenügende Förderung kognitiver Fähigkeiten. 5 Die nachfolgenden Ausführungen stützen sich im wesentlich auf den Abschlußbericht einer vom Senat von Westberlin eingesetzten Expertenkommission. Ziel dieses Berichts war, „nicht nur Analysen zu liefern, sondern auch .präzise Kostenrechnungen' einzureichen, um das Maß «sozusagen* vermeidbarer Kriminalität" in unserer Gesellschaft zu reduzieren". 6 „Berliner CDU: . . . Allein die Zinsgewinne der DDR durch den Überbrückungskredit betragen jährlich etwa 80 Mill. DM. Dafür könnten in Berlin etwa 20 Kindertagesstätten im Jahr geplant werden. Eine Übernahme der Eintrittsgelder für unsere Rentner hätte übrigens uns nur ca. 5 Mill. DM (eine Kindertagesstätte) gekostet..." (hervorgehoben, K. B.) 7 „Die Arbeitsplatzstruktur ist durchweg „konservativer" als der Mechanisierungsgrad. Jede neue Mechanisierungsstufe bringt neue Formen industrieller Arbeit, gleichzeitig perpetuiert sie aber auch einen Teil der konventionellen Arbeitsformen . . . Nach unseren Ergebnissen impliziert die technische Entwicklung demzufolge nicht nur eine Differenzierung der Gesamtgruppe der Industriearbeiter, sie führt gleichzeitig auch zu einer Polarisierung der Belegschaften an den technisch fortgeschrittenen Aggregaten. . . Die einfachen Handarbeiten und repetitiven Teilarbeiten, die in der Industrie schon seit langem im Vordergrund stehen, sind trotz der Automatisierungsprozesse weiterhin wichtig. . . Diejenigen Formen der Automatisationsarbeit, die sich durch relativ hohe Dispositionschancen, umfangreiche Qualifikationen, geringe Belastungen und

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gute Kontaktchancen auszeichnen, prägen bis heute noch recht wenige Arbeitsplätze in der Industrie". (Kern/Schumann 1970, 138) Die beiden Abschnitte unterscheiden sich in folgenden wesentlichen Punkten: — Der Zuwachs der industriellen Nettoproduktion (ähnlich auch wie im produzierenden Handwerk, Baugewerbe und im Verkehrsbereich) verlangsamte sich von 150 % (1950/60) auf 72 % (1960/1970). — Der Zuwachs der Zahl der Beschäftigten in der Industrie verringerte sich beträchtlich von 58 % (1950/60) auf 6,5 %. Dies gilt auch für die anderen Produktionsbereiche. — Dagegen stieg die industrielle Arbeitsproduktivität von +60% (1950/60) leicht auf 62 % (1960/70). — Insgesamt kann das industrielle Produktionswachstum für 1950/60 zu ca. 40 %, für 1960/70 nur zu etwa 10 % auf die Zunahme der Beschäftigtenzahl zurückgeführt werden. — Die Veränderungen in der Zweigstruktur der Beschäftigung ging 1950/60 angesichts einer stark anwachsenden Gesamtbeschäftigtenzahl vor sich, 1960/70 dagegen stagnierte die Beschäftigungsentwicklung. Daraus folgt u. a., daß die Veränderungen der Zweigstruktur zwischen 1960 und 1970 in stärkerem Maße als zuvor durch soziale Mobilität — durch den Wechsel von Beschäftigten zwischen den Wirtschaftszweigen — vonstatten ging (MSF 1974). Dies ist sicherlich nicht zuletzt dem höheren gesellschaftlichen Stellenwert geschuldet, welcher der Lehrerschaft — diese allerdings hierarchisiert vom „Volks"-Schullehrer bis zum Gymnasiallehrer — im Vergleich zum Kindergarten-Erzieher zugeordnet wird. Zu nennen sind hier vor allem die Arbeiten von Schuh, Kratzsch (u. a.) und Hitpass zur Situation des Grundschullehrers, von Schefer und Zeiher über den Gymnasiallehrer sowie die, den Lehrerberuf insgesamt behandelnden Ansätze von Combe, Niemann, Koch, Müller-Fohrbrodt, Schmidt und Döring. Vgl. hierzu auch die differenzierte Analyse von Hänsel 1975. In diesem Zusammenhang ist aber gleichzeitig klarzustellen daß damit nicht von einer Gleichstellung von Industriearbeitern und Erziehern ausgegangen wird, sondern vielmehr der analytische Ansatz als geeignet erscheint, die Situation auch anderer gesellschaftlicher Teilarbeiter adäquat zu erfassen. Im weiteren werden vor allem Ergebnisse der Situation zur politischen Soziologie des Arbeiterbewußtseins von Deppe (1971) sowie der empirischen Untersuchung von Jadow (u. a. 1971) Raum gegeben. Der individuelle Lohn ist aber bereits Folge der Tatsache, daß Lohnarbeiter „frei" und einzeln ihre Arbeitskraft anbieten — der Vertrag über den getätigten Verkauf ebenfalls individuell abgeschlossen wird, „Kollektivverträge" stecken nur den Rahmen ab. Zoch 1974; hierzu auch GEW-Fachgruppe Sozialpädagogen 1974; Nolte, u. a. 1974; Dräger, u. a. 1974; Otte, Stoklossa 1973; Stoklossa 1973; Der Senator f. Familie, Jugend und Sport 1974; Arbeitsgruppe „Teamarbeit" 1973. Ähnlich wie bei den Westberliner Untersuchungen, zeigen sich auch bei den Arbeiten aus der BRD erhebliche Unterschiede in den Schwerpunkten: Der Großteil der Analysen vernachlässigt weitgehend die materiell-strukturellen Bedingungen. Im Mittelpunkt steht die Erzieherin mit ihrer individuellen Praxis und subjektiven Einstellungen. Berücksichtigt man aber ausdrücklich diesen individualistisch-phänomenologischen Ansatz der Untersuchungen — d. h. nimmt man die beschriebenen Situationen als das was sie sind — nämlich als Teil der Wirklichkeit auf der Wirkungsseite — und nicht selbst als Ursachen der Handlungs- und Einstellungsprozesse, so sind sie durchaus geeignet, die Bedingungen der Erziehung in der Kindertagesstätte zu veranschaulichen.

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14 Dieses und ähnliche folgende Zitate sind Auszüge aus Praxisberichten von Erziehern, die sie im Rahmen ihres Studiums an einer Westberliner Erzieherfachschule in Form von schriftlichen Hausarbeiten verfaßt haben. Insgesamt wurden vom Verfasser 166 Texte einer Inhaltsanalyse unterzogen, wobei zum einen die in der Kindertagesstätte anfallenden Probleme, zum anderen deren Zusammenhang mit der Zusammenarbeit der Erzieher Gegenstand der Untersuchung waren. 15 Differenzierung der in der Inhaltsanalyse verwendeten Kategorien: A. Vorbedingungen und Einstellungen 1. Qualifikation: Schulbildung und Schulabschluß; Berufsausbildung, -Art und -Inhalt, Ein* Schätzung (z. B. mangelndes Theorie-Praxis-Verhältnis, unzureichende Vorbereitung auf die Praxis), Konsequenzen für die Kindertagesstättenpraxis;. . . 2. Erfahrungen/Reproduktion: Soziale Herkunft (auch im Vergleich mit jener der betreuten Kindern); Lebens- und Berufserfahrungen; private und gesellschaftliche Aktivitäten — Mitgliedschaft und Aktivität in einer beruflichen (Gewerkschaft) und/oder politischen (Partei) Organisation; Familien- und Wohnverhältnisse (Betreuung der Kinder, Beruf des Partners);... 3. Weltanschauung: Einstellung und Aktivitäten zur Frage der Konfession; allgemeine politische Einstellung; Vertretung bestimmter gesellschaftlicher Normen und Werte; Einstellung zum gesamtgesellschaftlichen System im allgemeinen und dem Bereich Bildung und Erziehung im besonderen (einschließlich der öffentlichen Kleinkinderziehung);.. . 4. Berufseinstellung: Berufsmotivation und Berufserwartung — „Praxisschock4'; Berufszufriedenheit — Wechsel der Einrichtungen und Berufswechsel; berufliches Selbstverständnis — Selbsteinschätzung, gesellschaftliche Anerkennung; Sozialprestige des Erziehers;... B. Arbeitsbedingungen 1. Anlage, Räume, Ausstattung: Zustand, Struktur, Übersichtlichkeit der Anlage; Beziehung zu anderen gesellschaftlichen Bereichen (z. B. Arbeit, Verkehr, Wohnen, Einkaufen, . ..); Störung und Gefährdung durch Verkehr u. ä.; Vorhandensein und Eignung eigener Spielflächen, Nutzungsmöglichkeiten anderer Spielplätze; pädagogische Eignung und Nutzungsmöglichkeit von Standard- und Sonderräumen, sowie der Möbel und anderer Ausstattungselemente;... 2. Spielmaterial: Menge Art und Einsatzmöglichkeiten; Verbrauchsmaterialien und Hofspielzeug; abteilungsspezifischer Etat/Kind für Spielmaterialien; Sportgeräte, AV-Medien, etc.;... 3. Hierarchie (als Teil eines Herrschaftsgefüges mit unterschiedlichen Ausformungen): Kompetenz- und Aufgabenverteilung; Arbeitsteilung und Rangfolge der verschiedenen Abteilungen und Mitarbeitergruppen (Leitung, Erzieher, Wirtschaftspersonal); Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb des KindertagesstättenBereichs; Durchlässigkeit nach außen; Verantwortlichkeiten und Mitbestimmungsmöglichkeiten; . . . 4. Arbeitsrecht/Entlohnung (als Kodifizierung von bereits bestehenden Sachverhalten): Aufsichtspflicht; Arbeitszeit- und Pausenregelung; Information über arbeitsrechtliche Belange; Weisungsbefugnis des Jugendamtes; Inhalte des Bundes-

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Angestellten-Tarifes (BAT); unterschiedliche Entlohnungen; Überstundenvergütung; . . . 5. Zeitlich-personelle Organisation: Innere Arbeitszeitregelung (Früh- und Spätdienste, Springerkräfte); Öffnungszeit; Überstundenregelung; Einspringen bei Fehlen von Kollegen; Zahl, Größe und Zusammensetzung der Gruppen; Gruppenwechsel; Erzieher-Kind-Relation; Größe der Einrichtung;. .. 6. Fort- und Weiterbüdung: Fort- und Weiterbildungsangebot; Teilnahmemöglichkeiten und -kriterien; daraus entstehende Probleme bei der Betreuung der Kindergruppen (Aufteilung der Kinder); Art und Inhalte der Veranstaltungen; Informationen über besuchte Veranstaltungen und Umsetzung der Erkenntnisse;. . . C. Arbeitsinhalte 1. Tagesablauf: Organisationsfixpunkte (Frühstück, Mittagessen, Schlafenszeiten); inhaltlich unterschiedliche Phasen (Freispiel, gelenktes Spiel, Sonderereignisse);... 2. Kindergruppe: Erziehungsmaßnahmen und -verhalten als Gruppenerzieher, Erziehungsziele und -erfolge; Abhängigkeit der Kindergruppe von der Gruppenerzieherin („meine Gruppe"); Mitbestimmung der Kinder; Gruppenerziehung; Berücksichtigung und Einbeziehung der Erfahrungen der Kinder (Kinder aus Arbeiterfamilien, ausländische Kinder);. . . 3. Einzelkind: Individuelle Förderung; Lieblingskinder; „Problemkinder" (Verhaltensauffälligkeiten und -„Störungen");. . . 4. Erziehungs„stil": Erziehungsmaßnahmen der Kollegen; Vergleich der Einstellungen, Erfahrungen und Vorgehensweisen; Vergleiche der Erziehungs,, Stile", -ziele und -erfolge;.. . 5. Erziehungsplanung: Verwendung eines Arbeitsplanes oder eines längerfristigen Erziehungskonzeptes, individuelle Planung bzw. Planung auf Abteilungsebene; Entwicklung einer Konzeption für die gesamte Einrichtung; Verwendung von anderen planerischen Vorschlägen (Curricula); Bestimmung und Operationalisierung von Erziehungszielen;... 6. Kontakte/Informationen: persönliche (berufliche und/oder private) Kontakte zwischen den Erziehern; emotionales Arbeitsklima; Bevorzugung bestimmter Kollegen (Cliquenbildung); Weitergabe von Informationen; kollegiale Unterstützung; Ansätze von „Teamarbeit";. . . 7. Konkurrenz/Isolierung: Abgrenzung gegenüber Kollegen; Eigen- und Fremdanspruch; Rivalität und Konkurrenzverhalten; Schuldgefühle; Versagensängste; Unsicherheiten;.. . 8. Feminisierung: Eingeschlechtlichkeit des Arbeitsfeldes (z. B. geprägt durch Emotionalität und Unsachlichkeit); Gesprächsthemen und geschlechtsspezifische Vorurteile; sozial-karitatives Leitbild der Erzieherin als „Ersatzmutter";.. . 9. Arbeitsbesprechungen: Häufigkeit; Einberufung und Teilnehmer; Bestimmung und Art der Themen; Diskussionsverlauf; Art der Entscheidungsfindung und -Umsetzung; . . . 10. Elternarbeit: Beziehung Erzieher-Eltern; Formen der Elternarbeit (Einzelgespräche, Elternabende, Elternmitarbeit); Schuldgefühle und Leistungserwartung der

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Eltern; Vorwurfs- und Erwartungshaltung der Erzieher, Rivalität zwischen Erziehern und Eltern; private Kontakte zwischen Erziehern und Eltern; „Problemeltern"; Auswirkungen des alljährlichen Gruppen wechseis. Möglichkeiten der Zusammenarbeit und Unterstützung von Elterninitiativen; gemeinsame Erzieher-Eltern-Gremien; Konzeption für Elternarbeit;... 11. Schule: Stellung der Vorschulgruppe und deren Leiterinnen innerhalb der Kindertagesstätte; Beziehung zu (Vor-)Klassen der Grundschule; Vermittlung von „Schultugenden" (im Sinne frühzeitiger Anpassung oder Vorbereitung); Leistungsdruck der Eltern und Erzieher; Verwendung eines Rahmenplans in den Vorschulgruppen; „Spielen oder Lernen"; gemeinsame Einschulung der Vorschulgruppen; gegenseitige Besuche und Hospitationen von Erziehern und Lehrern; gegenseitige soziale Anerkennung von Erziehern und Lehrern; Hausaufgabenprobleme;.. . 12. Außenkontakte: Gremien und Kontakte auf Bezirksebene (Erzieherfachkonferenz, Leiterinnenbesprechungen); Kontakte zu anderen Kindertagesstätten; Mitarbeit in regionalen Gremien und Arbeitsgruppen; Zusammenarbeit mit sozialen Diensten (Famüien- und Säuglingsfürsorge, Erziehungsberatung, schulpsychologischer Dienst etc.); Kontakte zu Jugendfreizeitheimen, Sportvereinen, Büchereien, etc.; . . . 16 Es scheint angebracht, hier den Begriff der gesellschaftlichen „Charaktermaske" zu definieren, da in ihm der Aspekt der Entfremdung und Verdinglichung besonders deutlich wird. Marx versteht unter den (ökonomischen) Charaktermasken der Personen die „Personifikation der (ökonomischen) Verhältnisse", als deren Träger sie sich gegenüberstehen — also ein Verhältnis zwischen gesellschaftlichen „Verhältnissen" und „Personen". (MEW 23, 100) Die Widersprüchlichkeit des Entfremdungsverhältnisses findet sich in allen Beziehungen (-Verhältnissen) der Menschen wieder: „Die individuelle Aktion, die den Widerspruch aufheben soll, erzeugt bzw. reproduziert ihn gerade. Diese ganze Widersprüchlichkeit ist festgehalten in der Charaktermaske. Als Charak1 termasken sind sich die Menschen fremd, aber als Charaktermasken haben sie auch Kontakt zueinander. Drastischer: Indem sie sich fremd bleiben, haben sie Kontakt zueinander, und indem sie Kontakt zueinander haben, bleiben sie sich fremd". (Duhm 1975, 151) Charaktermasken als Personifikation ökonomischer Verhältnisse sind ebenso unterschiedlich wie es unterschiedliche ökonomische Beziehungen gibt — oder anders ausgedrückt: Verhältnisse von Menschen, die durch ökonomischen Prozeß miteinander vermittelt sind. Die Charaktermaske umschreibt das Verhalten der Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft, das, durch ökonomische Verhältnisse in seiner Grundstruktur, sich in konkreten Handlungsformen ausdrückt. Entsprechend der „inneren" Differenzierung ökonomischer Verhältnisse kann dieses Verhalten jedoch innerhalb bestimmter Grenzen ebenso unterschiedlich sein. 17 Die Ausführungen eines Beauftragten in der Führungskräfteschulung eines internationalen Großkonzerns zum Begriff des „Teams" zeigen deutlich den ideologischen Charakter einer solchen Kooperation: „Unter einem Team verstehen wir eine Gruppe, in der zwischen Gruppenmitgliedern ein guter, sachbezogener (hervorgehoben, K. B.) und klar auf die Zielsetzung hin orientierter Kontakt vorhanden ist. Als „Clique" gilt hier eine Gruppe, die ebenfalls durch einen engen Kontakt gekennzeichnet ist, sich aber zielkonträr oder mindestens passiv gegenüber den von der Führungskraft gesetzten Plänen (hervorgehoben, K. B.) verhält... Von hier aus sieht man leicht, daß jede Führungskraft genötigt ist,

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die Teambildung zu fördern, ja zu forcieren, und daß sie gleichzeitig entstandene Cliquen aufzulösen hat". (Wiedemann in Berg u. a. 1973, 59) „Hierarchie" und „Team" schließen sich in einer solchen Argumentation keinesfalls aus, sondern ergänzen sich vielmehr. Ziel einer so verstandenen „Psycho technik" kann nur sein, einseitige betriebswirtschaftliche Anforderungen mit der Motiverfüllung des einzelnen in Obereinstimmung zu bringen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß zumindest partielles Durchbrechen dieser eng gesetzten Grenzen im Rahmen von „privaten" Beziehungen ausgeschlossen ist. In der Arbeit liegt die wirkliche Existenz begründet, und nicht, wie es Heinsohn/Knieper darlegen, in den „privaten" Interessen der Erzieher am familialen Haushalt. (Vgl. Heinsohn/Knieper 1975; kritisch hierzu AG Fortbüdung 1977) Als bezeichnendes Beispiel sei die Hervorhebung der Vorschulgruppe in ihrer Ausrichtung auf die Schule angeführt; vor der schulischen Anforderungen geschuldeten Entwicklung vorsdbw/ischer Programme bestand innerhalb der Kindertagesstätte kein Grund, die Erziehung der Fünf- bis Sechsjährigen besonders zu betonen. Gleichgültig kann eher kompensiert oder überrationalisiert werden, die Konkurrenz kennt neben vielen Verlierern auch Gewinner. Es ist bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen worden, daß in der BRD knapp drei Viertel aller Einrichtungen der öffentlichen Kleinkinderziehung unter kirchlicher Trägerschaft stehen. Aufgrund der zunehmenden Säkularisierung und der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Kirche vom Staat gelten eine Reihe wesentlicher Faktoren, die durch den Staat bedingt sind, auch für konfessionelle Einrichtungen. Damit soll keineswegs der noch immer spezifische Charakter kirchlicher Sozialinstitutionen negiert werden. Für die vorliegende Einschätzung kann m. E. dieser Aspekt jedoch vernachlässigt werden. Dies zeigt sich z. B. in der Regelung, zunächst für ein halbes Jahr (November 1975 — April 1976) jede zweite freiwerdende Stelle im öffentlichen Dienst in Westberlin nicht zu besetzen, sowie in Sparmaßnahmen, die vorrangig öffentliche Sozial- und Bildungsleistungen betreffen. Zu diesen Einrichtungen zählen neben dem Büdungs- und Wissenschaftsrat eine Reihe anderer staatlicher, halbstaatlicher oder staatlich unterstützter privater Institute — spezielle pädagogische „Konstruktionsbüros." Hansel geht von zwei zentralen Momenten des Lehrerverhaltens aus: 1. „Die anomische Struktur der Lehrerrolle (hervorgehoben, K. B.) ist Ausdruck des objektiven Widerspruchs, der zwischen der Sozialisationsfunktion klafft, die dem Lehrer in der spätkapitalistischen Gesellschaft zugeschrieben wird, und seiner unter den bestehenden gesellschaftlichen Bedingungen und mit den Mitteln der Institution Schule realisierbaren Sozialisationsfunktion." (Hansel 1975, 86) 2. In der Schule vollziehe sich ein Prozeß der Zielverschiebung, „indem die den institutionellen Bedingungen der tendenziell totalen Institution Schule adäquaten Zielvorstellungen von Disziplin, Ordnung und Konformität an die Stelle jener ideologischen, unter den Bedingungen kapitalistischer Gesellschaft unerreichbaren Ziele gesetzt werden, die dem institutionellen Bereich keine Stütze finden und finden können." (Hänsel 1975, 102) In Beziehung damit stehe eine permanente Verunsicherung des Lehrers, der ständig an der „offiziellen" Definition seiner Aufgabe gemessen werde, wobei der latente Konflikt zwischen Anspruch und Wirklichkeit seiner Sozialisationsfunktion jederzeit akut werden könne: „Im Prozeß ihrer beruflichen Sozialisation arbeiten junge Lehrer dann die Lücke zwischen angesonnener und realer Sozialisationsfunktion auf, indem sie typischerweise die innerhalb der Organisation entwickelten Zielsetzungen internalisieren, wobei ihre erfahrenden Kollegen als Lernmodell dienen." (Hänsel 1975, 124)

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26 So zeigt z. B. die Untersuchung von Koch über Einstellungen von Lehrern die durchschlagende Wirkung der strukturellen Bedingungen der Schulwirklichkeit gegenüber einer eher episodenhaft wirkenden Ausbildung (Koch 1972). 27 Damit unterscheidet sich die Arbeitssituation des Erziehers wesentlich von jener des Lehrers, dessen Vorbereitung knapp die Hälfte seiner Vollarbeitszeit umfaßt. 28 Ein Wechsel in den Heimbereich z. B. bringt schon durch die veränderten zeitlichen Arbeitsbedingungen (Dienst ,rund um die Uhr') erhebliche Probleme für die zumeist vorhandenen familialen Aufgaben der Erzieherinnen. 29 Diese Ausführungen weisen auch auf einen notwendigen Schwerpunkt sozialwissenschaftlicher Forschung, der Aspekte der Interessenvertretung von lohnabhängigen Arbeitern verschiedener Berufsgruppen im Zusammenhang mit Fragen der gewerkschaftlichen Organisierung zum Gegenstand hat. Neben der weitgefaßten Frage der Politisierung von Erziehung und Erziehern sind als weitere, für die Praxis der öffentlichen Kleinkinderziehung relevante Themen sozial wissenschaftliche Forschung u. a. zu nennen: — Entwicklung praxisorientierter curricularer Einheiten — Entwicklung einer situationsorientierten Erziehungskonzeption — Analyse des Zusammenhanges zwischen Arbeitsinhalten und Arbeitsbedingungen — Klärung von Obergangsproblemen anläßlich des Wechsels der Kinder zwischen unterschiedlichen Erziehungsfeldern (Familie, Kindertagesstätte, Schule, etc.) — Entwicklung eines praxisorientierten Aus- und Fortbildungscurriculums — Möglichkeiten und Grenzen von Erzieher-Fort- und -Weiterbildung als Aspekt der Erwachsenenbildung einschließlich der Umsetzungsproblematik in den Einrichtungen (vgl. AG Fortbildung 1976 u. Keller 1977).

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Kommentiertes Literaturverzeichnis zur Kleinkinderziehung

Arbeitsgruppe Vorschulerziehung; Anregungen III; Didaktische Einheiten im Kindergarten, München 1976 Anhand vieler Beispiele werden in verständlicher Form Fragen beantwortet zu: — was sind und wie entwickelt man didaktische Einheiten? — wie sind solche Einheiten und Projekte zu verwenden? — wie können Eltern und andere Erwachsenen einbezogen werden? Arbeitsgruppe Fortbildung und Erzieherinnen, Bausteine für die Planung der pädagogischen Arbeit in Kindertagesstätten, Elternarbeit, Filme in Kindergruppen, Hrsg. Der Senator für Familie, Jugend und Sport, Berlin, 1976 Diese beim Senator für Familie, Jugend und Sport, Berlin kostenlos zu beziehenden Broschüren sind ein aus der Fortbildung entstandener Beitrag für die praktische Arbeit in der Kindertagesstätte. Wesentliche Gesichtspunkte für die pädagogische Arbeit sind in sehr anschaulischer Form zusammengestellt. Wichtig besonders für Erzieher/innen! Autorengruppe, Und wenn der Kranfahrer mal pinkeln muss? Lernen in der Kindertagesstätte, Berlin 1975 Anhand des Tagesablaufes eines Arbeiterkindes wird deutlich, wie sich die Unterschiede zwischen der Kita und Zuhause für die Kinder darstellen und welche vermeidbaren Fehler Erzieher und Eltern machen. Außerdem werden wichtige Planungsschritte für die pädagogische Arbeit aufgezeigt. Autorengruppe, Psychologie der Persönlichkeit und Tätigkeit des Vorschulkindes, Berlin(DDR) 1971 In diesem Buch sind Beiträge von verschiedenen Autoren zu folgenden Themen enthalten: — Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit — Bedeutung des kindlichen Spiels — Unterschied zwischen Spiel und Arbeit — Lernen im Vorschulalter, Entwicklung von Gefühlen — Entwicklung des kindlichen Willens Bader, K., G. Otte, P. Stocklossa, Handbuch für Kindertagesstätten, Reinbek 1977 Ausgehend von der Kita-Praxis werden hier in verständlicher Sprache verschiedene Bereiche der Arbeitssituation von Erziehern behandelt: — gesellschaftliche Entwicklung der Kita — Arbeitsbedingungen und Zusammenarbeit — Pädagogische Arbeit in der Kindergruppe — Elternarbeit — Aus-, Fort- und Weiterbildung — Gewerkschaft

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Neben einer Darstellung der Ist-Situation werden vor allem praktische Vorschläge für notwendige und mögliche Verbesserungen der Kita-Erziehung gemacht. Barow-Bernstorff, E., u. a., Beiträge zur Geschichte der Vorschulerziehung, Berlin(DDR) 1974 Die Entwicklung der Erziehung vor der Schule wird hier deutlich in ihrer gesellschaftlichen Abhängigkeit dargestellt. Die sehr plastische Beschreibung wird durch historische Quellen dokumentarisch ergänzt. Koch, R., Berufstätigkeit der Mutter und Persönlichkeitsentwicklung des Kindes, Köln 1975 Von wesentlicher Bedeutung für die Kinder-Erziehung ist die gesellschaftliche Aufgabe und Rollenzuweisung der Frau. Der Mythos von der Unersetzlichkeit der Mutter-Kind-Beziehung ist dabei von enormer Wichtigkeit. Der Autor weist sehr überzeugend den Ideologiecharakter dieses Mythos auf, der die Frau an ihr isoliertes Hausfrauen-Mutter-Dasein bindet. Wichtig vor allem für Mütter und Krippenerzieherinnen! Koch, R. u. G. Rocholl (Hrsg.), Kleinkinderziehung als Privatsache?, Köln 1977 Gegen die mancherorts vertretene Meinung, die Erziehung in der Familie sei doch das Beste, werden in diesem Reader von verschiedenen Autoren Argumente entwickelt, die klar für die Notwendigkeit einer Vergesellschaftung der öffentlichen Kleinkinderziehung sprechen. In diesem Zusammenhang werden wesentliche Abhängigkeiten und Beziehungen analysiert und hinsichtlich praktischer Umsetzung überprüft. Kokigei, M., Kooperation zwischen Erzieherinnen, Kinderzentrum Berlin 1975 Probleme und Ursachen der Kooperation von Erzieherinnen werden anhand praktischer Beispiele dargestellt und analysiert. Wichtige Faktoren sind dabei u. a. Konkurrenz, Hierarchie, eigener Anspruch und die äußeren Bedingungen der staatlichen Erziehungsinstitution Kita. Ottomeyer, K., ökonomische Zwänge und menschliche Beziehungen, Reinbek 1977 In anschaulicher Weise wird beschrieben, wie zwischenmenschliche Beziehungen direkt und oft hinter dem Rücken der Betroffenen durch gesellschaftliche Zwänge und Abhängigkeiten bestimmt werden. Durch diese Analyse können auch praktische Handlungsmöglichkeiten entwickelt werden. Colberg-Schrader, H. u. M. Krug, Arbeitsfeld Kindergarten, München 1977 Auf der Grundlage durchgeführter Modellversuche werden eine Reihe von praktischen Anregungen für die Arbeitsweise im Kindergarten gegeben.

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