Fern ragt ein Land ...: Eine Auswahl aus den Dichtungen [2. Aufl., 6. - 8. Tsd. Reprint 2019]
 9783111481098, 9783111114231

Table of contents :
Im Frühjahrssturm
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Aus „Fatthüme"
Aus „Don Juans Tod"
Aus „Judas in Gethsemane"
Genrebild
Sommerfest
Der schwarze Hanns
Erscheinung
Nach dem Gewitter
Der Feldweg
Böse Heimkehr
Lied des Gefangenen
Vom Scheiden
Gretchen im Winde
Desdemona
Auch du!
Lied der Ghawaze
Meeresleuchten
Künstlerroman
O Deutschland!
Bitte
Daheim
Traum
Herbstreise
Aus der Jugendzeit
Aus „Westwärts"
Sulamith
Aus „Hans Habenichts"
Sonnenuntergang
Die Kiesgrube
Des Bettlers Weihnachtsgabe
Märzabend
Die Hütte
Über dem Leben
Neben Gewittern
Glück und Ende
Siegesleid
Beim Lebensfest
Tiefblaue Veilchen
Hugenottenlied
Die Ketzertaufe
Im Frühjahrssturm
Weihnachtsreise
Hochgewitter
Feldeinwärts
Der säumige Landsknecht
An Arnold Böcklin
Allerseelen
Legende
Aus alter Zeit
Frühlingöopfer
Trost
Ver sacrum
Brausender Lenzwind

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Fern ragt ein Land..

Fern ragt ein Land... Eine Auswahl aus den Dichtungen

des Prinzen

Emil von Schoenaich-Carolath

Zweite Auflage (Sechstes bis achtes Tausend)

Leipzig G. I. Gvschen'sche Verlagshandlung 1910

Alle Rechte von der Verlagshandlung vorbehalten

Spamersche Buchdruckerei, Leipzig

Im Frühjahrssturm. Das Der Wir Wir

ist ein Südsturm schlimmer Art, uns zum Spiel ersah; trotzen dem Schiffbruch, wir wagen die Fahrt, wollen nach Ithaka.

Wir spielen mit der See Versteck, Der Schoner rollt und stampft, Indessen schaumend übers Heck Die weiße Sturzsee dampft. Fern ragt ein Land aus Duft und Traum; Wer diesem Ziel geglaubt, Dem schüttet der griechische Meeresschaum Unsterbliche Jugend ums Haupt. Verloren ist, wer wankt und weicht, Bis er den Sturm bestand. Gewagt und gewonnen! Die Segel streicht! Wir grüßen dich, Götterstrand.

Vorwort. Diese Auswahl gilt einem Dichter, der nur wenig ge­ kannt ist und doch zu den größten unter den lebenden gehört. Mit reicher Hand hat er seinem Volke gespendet. Es schlägt sein Herz mit unstillbarer Sehnsuchtsgewalt für alles, was groß und schön ist, doch lauter noch pocht es für die Not der Menschheit. Unerbittlich gegen die satte, hartherzige Selbstgerechtigkeit, fühlt es tief mit dem

elenden Bettelweib und dem gehetzten Vagabunden; denn der leidende Mensch ist Gott am nächsten. Carolaths Kunst ruht ganz auf heimatlichem Boden; das deutsche Volkslied hat Pate gestanden und das deutsche Vaterland ist eines ihrer letzten Worte. An die deutsche Jugend wendet sich daher in erster Linie die vorliegende Auswahl mit dem Wunsche, daß sie sich mit dem edlen Geiste seiner Dichtung er­ füllen möge: der Reinheit seines Empfindens, dem hohen Fluge seiner Ideen und der Tiefe seiner reli­ giösen Weltanschauung. Vieles Schöne konnte in die Auswahl ausgenommen werden, mehr aber noch bleibt zurück. Wer daher den Dichter ganz kennen lernen will, der greife zu seinen Werken, der lese auch seine größeren Schöpfungen, be­ sonders den erschütternden „Heiland der Tiere".

Heinrich Goebel, Hildesheim.

Inhaltsverzeichnis Aus „Fatthüme": IV. Wenn Toren sich mit deinem Tun befassen ...

11

V. Nun will ich dich tragen.............................................. 11 IX. Ja, du bist schön............................................................is XVI. Sang des Türmers............................................................is

XVII. Aus eines Kerkers schwülen Finsternissen.

...

14

Aus „Don Juans Tod": In schwulem Traume

—erlöse».................................. 16

Die Fürstin schwieg —Gnaden................................... 18

Aus „Judas in Gethsemane": So durch den Sturm —bleiben.................................. 19

Genrebild............................................................................ si Sommerfest......................................................................... 22 Der schwarze Hanns..........................................................24 Erscheinung......................................................................... 82 Nach dem Gewitter.......................................................... 32 Der Feldweg..................................................................... 33 Döse Heimkehr................................................................. 34 Lied des Gefangenen......................................................35 Bom Scheiden ................................................................. 37 Gretchen im Winde..........................................................3» Desdemona.........................................................................40 Auch du!............................................................................. 41 Lied der Ghawäze........................................................ 42

Meeresleuchten Künstlerroman

O Deutschland! Bitte Daheim . . . . Traum .... Herbstreise. . . Aus der Jugendzeit:

III. V. XIV. XVI.

Waldvogel über der Heide....................................... 52 Es ragt die Stadt.................................................. 52 Es gehen vom Campanile....................................... 53 Es rollt so trage.................................................. 54

Aus „Westwärts":

II. IV. V. VI. VII.

Des Jagens müd.................................................. 55 Ihr habt verkündet.................................................. 56 Daheim ist's Festtag.............................................. 57 Die schwarzen Berge treiben................................... 58 Der Tag erwacht.................................................. 61

Sulamith......................................................................... 62 Aus „Hans Habenichts":

II. III. VIII. X. XI. XIV. XVI.

Nun wag ich selig.................................................. 67 Die Kaufstadt bläht sich....................................... 68 In Deutschland steht einLindenbaum...................... 70 O Sonne, die heut.................................................. 71 Mein Kaiser......................................................... 73 Dort ruhst du, goldne Stadt............................... 74 Der Tag erwacht.................................................. 75

Geile

Sonnenuntergang. Ein Romankapitcl.................... 77 Die Kiesgrube ................................................................. 84 Des Bettlers Weihnachtsgabc..................................... 102 Märzabend.......................................................................110 Die Hütte.......................................................................... 111 Über dem Leben............................................................... 113 Neben Gewittern........................................................... ns Glück und Ende............................................................... 117 Siegesleid .......................................................................11s Beim Lebensfest............................................................... 120 Tiefblaue Veilchen ....................................................... 122 Hugenottenlied ............................................................... 12s Die Ketzertaufe............................................................... iss Im Frühjahrssturm........................................................iss Weihnachtsreise............................................................... 12s Hochgewitter ................................................................... 130 FeldeinwärtS................................................................... isi Der säumige Landsknecht............................................ iss An Arnold Döcklin....................................................... 134 Osterwasser.......................................................................13s Allerseelen ...................................................................... 13« Legende.............................................................................. is? AuS alter Zeit............................................................... 139 Auf letzten Bergen........................................................141 Frühlingsopfer............................................................... 144 Trost.................................................................................. 147 Ver sacrum.......................................................................us Brausender Lenzwind.................................................... 151

Aus „Fatthüme". IV.

Wenn Toren sich mit deinem Tun befassen. Sollst du des Wegs gehn und sie schelten lassen. Sieh: es ist Nacht, die Geisterstunde schlug, ES schläft das Dorf, da naht ein Kaufherrnzug, Im Sande waten sacht die Dromedare. Da plötzlich wittern eine seltne Ware Die Hunde rings, und hämisch von den Schwellen Auffahren sie mit Heulen, Schnappen, Bellen, Und eifern grimmig kläffend, bis sie schwach Und heiser sind, dem fremden Gute nach. Doch still im Sattel wiegen sich die Reiter, Die Tiere schwanken hochbeladen weiter. Nicht Stock noch Steinwurf lohnt dem Geiferzahne. Hund bleibt stets Hund. Was tut es, daß er bellt. Wenn schweigend deines Lebens Karawane Nach Mekka zieht durch Staub und Lust der Welt? V.

Nun will ich dich tragen, mein Glück, mein Traum, Mein Lieb, hoch über das Weltenall, Wie einst der Adler die Nachtigall

Barg unter weichem Schwingenflaum.

Ich will dich wiegen im Sonnenschein, In goldnem Frieden, weltentrückt,

Und du sollst singen, tiefbeglückt. Dein Liebeslied für mich allein.

IX. Ja, du bist schön! Dein Lächeln scheucht die Sorgen So sieghaft fort, als unsre Heermacht fegt Speerwerfend Volk an einem Siegesmorgen. Und du bist stolz! Der Scheich, der rings gebeut. Wirft sich vom Nacken seiner besten Stute Und kniet im Staub, wenn ihn dein Gruß erfreut.

Und Zwölf Schön Allein

deinen Schmuck — den schleppt ein Lastkamel, Sklaven spähn den Willen dir vom Munde, bist du, Herrin, stolz und ohne Fehl — dein Herz ? ? ! Da gähnt die tiefe Wunde.

XVI.

Sang des Türmers. Ihr Schläfer! Wollt ihr meiden Schmerz und Spott,

So bindet eure Stuten an. Erst dann Befehlt sie Gott. Wer sich den Mund verbrüht hat, bläst zur Not Auf kalte Milch. Schlaf birgt mehr Glück denn Wachen. Dein bester Freund heißt Tod. Vernehmt, ihr Gläubigen, was ich zur Stunde Verkünden soll vom Rand des Minaretes: Nach Allahs unerforschlichem Befunde Ward gestern, um die Zeit des Nachtgebetes, Der Welt entrückt die Sultanin Fatthüme, Des Großherrn Stolz, des Harems Lieblingsblume. Wär' euch bekannt, was mir an Wissenssachen Geoffenbart, enthüllt und angestammet, Ihr würdet weinen und gar wenig lachen; Mög Allah segnen euch. So spricht Mohammed. — Ein müdes Schiff, das seine Segel dehnt. Ein Menschenherz, das sich nach Frieden sehnt.

Ob sie das Ziel verfehlten oder fanden, Im gleichen Hafen werden stets sie landen. In jedem Herzen zittert ein Magnet, Der rastlos sich zur erogen Heimat dreht. Ein Weg, daran mit kurzer Pause Der Schmerz als Meilenzeiger steht. Führt rasch nach Hause.

XVII. Aus eines Kerkers schwülen Finsternissen Jur Freiheit, die kein Goldgeflecht ummauert. Hob sich dein Herz und hat den Strick durchrissen; Der Vogler stumm am leeren Käfig trauert.

Du riefst den Tod. So flieht vertraute Stätten Im Trotz ein Kind, gelockt von Abenteuern. Ach, daß dich Engel sanft geleitet hätten Iu ferner Heimat hellen Hirtenfeuern!

Wo weilst du jetzt? Von welchem Flammensterne Blickst erdenwärts du, zwischen Traum und Wachen, Auf mich herab? In welcher Sonnenferne Wiegt sich dein goldnes, schwermutvolles Lachen?

Vorbei — dich bringt kein Erdenfrühling wieder. Doch folgen wird dir bis zur Strahlengrenze Der tiefe Nachhall meiner Liebeslieder, Sich zu vermählen deinem neuen Lenze.

Uns trennt kein Tod.

Wenn im Posaunenstoße

Des Weltgerichts die Gräber sich bewegen. Wird auch dein Auge, das verweinte, große. Neu auf mich schütten seinen Strahlenregen.

Dem Dichter ist ein leuchtend Los gefallen: Wer Großes schuf, reißt aus der Nacht der Zeiten

Ein sterblich Weib, das er geliebt vor allen. Zum Sonnenstrom versöhnter Seligkeiten.

So will auch ich in Liedern ewger Dauer,

Du stolze Tochter der Abencerragen,

Das Weh um dich, die Weltlast meiner Trauer, Als Büßer Atlas zu den Sternen tragen.

Aus „Don Juans Tod".

— In schwülem Traume banger Jugendnacht Geschah es mir, daß aufwärts, aus dem Leben Gelöst, ich schwebte. Tief, in letzter Pracht Der Abendsonne grüßten Tal und Matten Purpurgesättigt aus dem Ozean.

Auf Engelsflügeln fühlt ich rauschend heben Mit weichem Fittigschlag mich himmelan.

Mein Haupt umbrauste frischer Morgenwind, Da plötzlich drang ein Ruf aus Erdenschatten: Erbarm dich meiner, lichtumstobnes Kind. Ach, Gott und Engel haben mich verlassen. Bleischwer zieht niederwärts zum ew'gen Leid Mich daS Gericht! O laß dein weißes Kleid Am Saum die Hand des Fluchbeladnen fassen. Und rettend hilf aus Qual und ew'ger Pein Dem Reuigen zum Lebenssonnenschein. So hallt der Ruf, den ich entsetzt gehört. Und meine Hand erfaßt mit wildem Griffe Ein bleicher Mann. So, da beim Sturm zum Schiffe Der Heiland trat, hielt Petrus sich, verstört. Grabtief sein Auge, drüber spannt die Braue

Sich schwarz und schmal. Wie jenen ich erschaue. Flammt auf in mir als jähes Machtgebot: Du rettest ihn aus Untergang und Tod. An deine Hand, in dein Gebet, dahin An deine Brust — kein Himmel ohne ihn! Schon türmt sich auf, lichttriefend, riesengroß Das goldne Tor, doch eh' dies Ziel erreicht, Der Sünder, strauchelnd, in die Leere weicht. Und stürzend, klammernd, aus der Engel Armen

Zieht er mich abwärts. Ein Posaunenstoß Zerreißt die Luft; Nacht deckt des Himmels Tor, Und Nacht umfängt mich, doch ein Engelchor Singt in der Höhe feierlich: Erbarmen.

Seit jener Traum, prophetisch, mit Gewalt Und Schrecknis kam, das Herz mir zu belasten, Verfolgt mich des Vervehmten Nachtgestalt. Ich fühle, daß sein Schatten um mich lebt, Oft, nebelhaft, an meiner Seite schwebt. Nur flüchtig bannen ihn Gebet und Fasten. Er kehrt zurück nach traurig langer Pause, Bei Prunk und Fest, im lauten Volksgewühl Folgt er mir nach; im dunkeln Chorgestühl Der Kirche nickt er, geisterhaft und stumm, Streift mir das Haar mit seiner Spitzenkrause, Und blättert sacht das bunte Meßbuch um. Er nickt mir zu; wenn er ins Herz mir schaut Mit seinen Augen, seinen qualvoll tiefen, Schoenaich-Carolath, Auswahl.

2

Ist mir, als ob viel tausend Stimmen riefen: Er bleibt dem Herr, du bist ihm angetraut. Finstres Gebild, mit Ängsten, heißen, großen. Enthüllt sich mir: du bist von Gott verstoßen. Du bist kein Lichtgeist, und vom Paradies Treibst du stromabwärts ohne Kampf, noch Hoffen. Wohlan — dein Sturz hat meine Bahn getroffen. Ich will umfassen dich mit voller Kraft Gläubigen Herzens; deine Schuld bekennen Will ich dereinst und sie die meine nennen, Mein Heil für deines geb' ich voll in Haft. Ja, fesselt an die Höllenmacht des Bösen Gelübde dich, Trieb und Blutsbrüderschaft, Ich will dich retten, werde dich erlösen. —

Die Fürstin schwieg. Gesenkt war, glutdurchflossen Ihr feines Köpfchen. In den Scheiben blaute Ein jäher Blitz, durchleuchtend das Gemach. Ein Wetter kam auf fahlen Wolkenrossen Aus Süd geritten, doch Diava sprach Mit weichem Blick und mitleidvollem Laute: So hast du niemals betend und bewegt In Mutterhände deine Stirn gelegt? Und hast du nie — des Sonntags müßt es sein — Zur Junizeit, wenn weit die Felder wogen. Bei Orgelklang im Sommersonnenschein Ein Weib auf ewig an dein Herz gezogen? Es hat der Mann, sein müdes Haupt zu betten.

Awei Orte nur, die ihn vor Stürmen retten. Dahin er still nach jedem Schiffbruch kehrt: Der Das Und Die Aus

Mutter Herz, die beten ihn gelehrt. Herz der Frau, die still im Jugendschimmer Jugendliebe sein ward, sein für immer. Liebe beut mit läuternder Gewalt weißer Frauenhand den Kelch der Gnaden ...

f Aus „Judas in Gethsemane". So durch den Sturm, bekämpfend dessen Wucht, Lief der Verruchte mit erhobnen Händen, Nach Knechten schreiend, daß sie Jesum bänden. Schon sprühten Fackeln, durch den Olhain drangen Bewaffnete, sie trugen Spieße, Stangen; Da wandte der Verräter sich zur Flucht.

Doch Jesus schwieg, vor seinem Auge brach Ein Leidensblick, es folgten in die Ferne Dem irrenden, verlornen Kinde nach Des Heilands dunkle, stille Augensterne. Dereinst, wenn uns die letzte Stunde tagt, Wenn uferlos der große Abgrund offen. Darin versinkt jedwedes Erdenhoffen, Daraus errettend keine Insel ragt.

Wenn Todesschauer foltern unsre Seelen, Um unser Sterbebett die Kerzen schwelen. Und ruft uns blutend das Gewissen zu: Was Judas tat, das hast getan auch du. Auch du hast oft, wenn nicht durch Wort und Taten, So in Gedanken deinen Herrn verraten — Dann soll der Blick, der voller Mitleid galt Der Kreatur, die in der Nachtgestalt Jschariots empört zu Gott geschrieen. Und all ihr Leiden, ihren Haß und Groll, Durch eine Fluchtat, groß und schreckensvoll. Dem Menschensohn ins Angesicht gespieen — Dann soll der Blick uns Sterbenden auf Erden Zum hellen Stab, zur Himmelsleiter werden. Und brausen soll durch unsre Sterbensnacht Wie Jubelruf der Botschaft Donnergrollen, Daß droben wir mit bessren Waffen sollen Noch einmal ausziehn zur Entscheidungsschlacht. Wohl, ob durchmessner, finstrer Lebensbahn Türmt Sünde sich, verklagend, himmelan Und will die Schatten bis ins Jenseits treiben.

Des Heilands Blick auf Judas aber spricht: Ob groß die Schuld, ob groß auch das Gericht, Die Liebe wird am allergrößten bleiben.

Genrebild. Herr Holger am Kamine sitzt. Sein Brackhund bei ihm wacht, Nacht ist's, die Flamme knistert, blitzt

Und der Klotz in der Lohe kracht. Herr Holger in Sinnen versunken ist,

Er wirrt des Bartes Flaum. Es streckt die Bracke den Widerrist, Und beide sinken in Traum. Es denkt der Hund an einen Tag, Da die Heide hilfefern. Da der Keiler über Herrn Holger lag

Und er befreit den Herrn — Herr Holger doch martert seine Stirn In Sinnen schwer und stumm: Wie er zu Willen einer Dirn Den Blutsfreund brächte um.

Sommerfest. Ins helle Land das Bergschloß droht. Es rauschen von seinen Zinnen Die Seidenfahnen leuchtend rot, Trompeten schmettern drinnen. Die schöne Braut am Söller steht: „Hilf, Mutter, spähn in die Runde" — «Mein Kind, der Staub in Schwaden geht, Im Dorfe bellen die Hunde.'

„Ach Mutter, ich sah den Tod als Gast! Er kam um Festesmitten, Vom roten, flatternden Fahnendamast Gelockt, herbeigeritten.

Die knöchernen Glieder erzumstarrt

Und wölfisch witternd nach Beute" ... .Mein Kind, dich hat ein Traum genarrt. Genieße das lachende Heute.

Den Toten gönne das finstre Reich, Sie fordern Seelenmetten, Dich aber umschlingen voll und weich Des Lebens Rosenketten.'

„Siehst, Mutter, den Reiter du sprengen im Hag, Gefolgt von schnappenden Doggen?" -Ich sehe nur flimmern den Nachmittag, Und im Windstoß wogen den Roggen.'

„Ach, Mutter, der grinsende Tod sprengt an Auf klappernden Rosseshufen" ... .Mein Kind, dich täuscht ein Brausen im Tann Und des Türmers Stundenrufen.' Ls stürzen die Gäste den Goldpokal, Die Blicke lachen und flammen; Da flieht die schöne Braut zum Saal, Erbleicht und bricht zusammen.

Aufschreien Herren wie Gesind', Ium Tor die Gäste drängen.

Das Schloß wird leer; der Sommerwind Singt in den öden Gängen. Es ragt, von brütender Schreckenslast

Erstarrt, das Schloß aus den Eiben; Die Fahnen senken sich halbmast. Der Abend brennt in den Scheiben.

Der schwarze Hanns. Ein Försterhaus. Herbstabend. Um die Giebel Stößt der Novemberwind. Im niedern Saal, Dem rauchgeschwärzten, saßen am Kamine Mein Freund und ich. Das derbe Jägermahl War just beendet, durch das Zimmer zog Schon blauer Duft, und in den Gläsern blinkte Das Kirschenwasser. Am Getäfel stand Der alte Förster, aus dem Maserkopfe Ingrimmig dampfend, dann und wann ein Wort Süll vor sich brummend. Lächelnd schob mein Freund Das Glas ihm hin: „Trink, Alter, laß die Grillen Für heute ruhn! Du hast kein Recht zu schmollen Nach solchem Jagdglück. Grad' im letzten Triebe Den starken Wolf! Er blieb im Feuer, nicht? Ja, Blattschuß — Grabschuß. Kam er durchs Gehege Dir flüchtig an? Nun, Kunde gib uns endlich. Wie war's damit?"

„Womit? Ah — mit dem Wolf? — Ach, gnäd'ger Herr, den hat die Kugel leider Zu gut gefaßt, denn gerne hätt' das Vieh

Ich erst gewürgt und ihm mit meinem Messer Rasch ein paar Löcher in den Balg gemacht — So war's zu spät. Der Teufelsbraten rollte Im Knall kopfüber, schnellte sich durchs Laub Blutübergossen, sah mich nahen, heulte Zehn Worte noch und streckte sich und starb.

Eh ich herankam."

„Was? Ein Wolf... zehn Worte? Vernehm ich recht? Plagt, Alter, dich das Fieber? Ein Wolf — zehn Worte!" — „Gnädiger Herr, verzeiht,

ES ist die Wahrheit." — „Gut, so laß uns wissen: WaS sprach der Wolf?"--------

Der Greis griff nach der Stirne Und schwieg und sann. Sein wetterbraun Gesicht Durchlief ein Schimmer. „Als einst jung ich war," Begann er leise, „stand im Waldrevier Noch eine Mühle. Wo der Glimmerbach Zum Teich sich breitet, war's. Jetzt wuchert Schilf Und Unkraut drüber. An der Mühle lag Ein Blumengärtchen, frisch von Wasserstaub Und Quellgeriesel. In dem Gärtchen blühte Manch Rosenstrauch, doch schöner blühte noch Des Müllers Gretchen ... Ja, das war ein Kind, Fromm, brav und herzig! Zöpfe hatte sie

Dick wie mein Arm, und was für Augen! Tief, Ganz voller Sonne. Und wie lachte sie So herzlich gern, wie klang ihr Lachen silbern Und glücklich-hell! Kurzum — sie war mir gut. Denn, gnäd'ger Herr, nicht immer war ich mürrisch Und krumm wie jetzt! 's gab eine Zeit, da schauten Die Mädchen mich nicht eben ungern an; Ich aber lachte, denn im Herzen hielt Ich Müllers Gretchen.

Damals lag ein Krug Hart an der Straße, die den Wald durchschneidet. Ein Krug, wo Grenzer, Händler, fahrend Volk Oft Einkehr suchten. Ein verrufnes Weib Führte die Wirtschaft, in der Schenke half Ein Sohn ihr aus. Man nannte ihn im Lande Den »schwarzen Hanns'. Herr, einen schlimmren Wildrer Gab es noch nie. Schlau wie die Wildkatz, tückisch Wie hundert Marder, grausam, feig, ohn' Ehre Und ohn' Gewissen. In der grünen Saat Fing er das Rebhuhn samt der Brut, der jungen. Die noch nicht flügge. Auf die Wechsel warf Er Draht und Schlingen, daß sich elend würgte Au Tod das Rehwild, sei es Bock, sei's Geiß; Das Muttertier, das hochbeschlagne, knallte Er ruhig nieder, beutegierig, einzig Auf Geld bedacht. Dabei unfaßbar, listig, Den Jägern Freund, die eignen Raubgenossen,

Wenn's immer ging, für guten Sold verratend. Den Burschen fing ich nun, als einen Bock Im Morgengraun er aus der Schlinge löste. Und lieferte, wie's meine Schuldigkeit, Ihn ohne Mitleid auf das Landgericht. So weit war's gut, doch in den Städten sitzen Am grünen Tische Herren, die das Recht AuS Büchern lesen; die den größten Schuft Oft schuldlos sprechen, und den Armen, der Vor Hunger stiehlt, im Zuchthaus faulen lassen; Die so viel fragen, daß ein klares Ding Zuletzt zum Wirrsal wird voll Kniffen, Pfiffen; Die'S so weit bringen, daß zum 3E das U Und zum Maulesel eine Müllerskuh — Die schickten richtig auch nach ein paar Wochen Den Hanns zurück. Seit jenem Tag begann Ein stummer Krieg. Da fand ich meine Hunde Im Stall vergiftet; da die Roggensaat Auf meinem Acker über Nacht zertreten! Da glimmte Jündschwamm im Gebälk am Haus; Da pfiff durchs Fenster einmal eine Kugel Mir hart vorbei, daß ich den warmen Hauch Zu spüren meinte. Und dann endlich kam. Was ich geahnt — im eigenen Reviere Ein Hinterhalt. Die Hunde schnürten mich An Kiefernäste, so, daß wie ein Kreuz Gestreckt ich schwebte. Tage gingen so. Bis man mich fand, doch lange Wochen schwanden,

Eh ich erwacht. Ein Glutball zuckte kreisend Mir im Gehirn, in den verrenkten Adern

Kochte das Blut.

Doch ich war jung und nervig.

Kurz, ich genas. An einem Nachmittag, Es war schon Herbst, schlich mühsam ich am Stabe Hinab zur Mühle. Von den Bäumen fiel Rotgelb das Laub. Das Gärtchen, drin so oft Ich glücklich war, sah mich verwildert an, Das Haus war still — kein Laut — die Räder standen

Schlafend im Bach. Am Tore kauerte Der Müller selbst. Ein Lodenrock umfloß Die hagren Glieder. Stumpf sah er mich an. Ich aber lallte: .Gretchen — wo ist Gretchen — ?‘ Da sprang er auf: .Verflucht! mein einzig Kind ... Der schwarze Hanns ... geh weiter, Fremder, weiter Und bet für sie... ‘ So, gnäd'ger Herr, so hat Sich Hanns gerächt. Wo einst die Mühle ragte. Liegt jetzt ein Teich. Verdorben und gestorben Ist, was ich liebte. Ich ward zeitig alt Und mürrisch drum. Griesgrämig und langweilig Ward ich dazu. Verzeiht mir, gnäd'ger Herr, Haltet's zu Gnaden." In dem Schlote fing Sich jäh ein Windstoß. „Alter, laß die Sorgen

Begraben sein.

Nicht wußt' ich, daß dein Leben

So trübe war. Doch komme weiter nun. Besinne dich — du wolltest von dem Wolf Uns ja erzählen. Hier, trink noch einmal Und komm zur Sache." — „Herr, ich blieb dabei. Laßt mich nur reden. Seht, ich glaub' daran. Daß jeder Mensch gewisser Art von Tieren Genau entspricht. Es herrscht geheimes Band, Herrscht Blutverwandtschast, die sich nie verleugnet.

So glaub' ich fest an Seelenwanderung Und an Vergeltung. Kühne Menschen waren Wohl Löwen einst. Feiglinge wurden Mäuse, Die sich verkriechen. Schlaue Winkelschreiber Werden zu Füchsen. Keiner macht mir weiß. Daß unser Propst, der fett auf seiner Pfründe, Nicht einst ein Dachs war. Kommt der Beitel mir. Der Betteljude, furchtsam greinend an. So ruf' ich: ,Hase!' Hase — ja, fürwahr Ich wär' kein Jäger, kennt' ich nicht den Blick Auf Schrotschußweite, den gehetzten Blick Des Vagabunden! Keine Ruhe hat Der Heimatlose. Stündlich frischgehetzt Von groß und klein, verhöhnt, verjagt, verschrieen Ohn' Rast, ohn' Obdach, ist die beste Wehr, Sich still zu ducken. Doch umsonst — die Ohren,

Die schlotternden, trübselig großen Ohren, Verraten ihn. Seht euch den Beitel an. Gnädiger Herr, und sagt..."

„Beim Himmel, Alter, Kommt nun zum Ziel! Dom Wolfe sprachen wir. Hört Ihr, vom Wolf! Was tat er, als die Kugel Das Fell ihm schlitzte? Fürder wollt vom Weg Nicht nutzlos schweifen." — „Gott behüte, Herr, Das tat ich nimmer. Just bin bei dem Wolfe Ich angelangt. Fürwahr, es gibt kein Tier, Das feig, so elend feig trotz seiner Stärke Als solch ein Wolf. Tags schleicht er durch den Wald, Blinzelnd und scheu, kaum daß an eine Ratte Er frei sich wagt. Was tut das Teufelsvieh? ES spioniert! Wohin zur Rast sich setzte Ein müdes Reh, das merkt er sich — wo immer Ein wehrlos Wesen weilt, da kreist im Bogen Er rastlos hin. Und ist die Nacht gekommen. Wird er zum Mörder. Lautlos hingestreckt Am nassen Boden, kriecht er, schweißbegossen Vor Angst und Gier, bis arglos er, im Bette, Sein Opfer findet. Und er tötet still. Der schmutz'ge Würger! Kommt es, daß der Schrei Der wunden Hinde jäh den Platzhirsch weckt. Den braven Wächter, klemmt er scheu die Rute Und läuft davon. Er mordet nur, was schüchtern Und wehrlos ist. Hat er sich mal verritten In blinder Gier, und droht ihm die Gefahr, Wird seine Feigheit kläglich offenbar.

So ging es heut'; nach einer langen Hetze Saß unser Wolf, gefangen wie im Netze, Ich sah ihn ratlos auf und nieder schleichen, DaS Haar gesträubt auf seinen magren Weichen Ich sah, wie er ins HeidegraS sich drückte Und wie verzweiflungsvoll er um sich blickte. Dicht hinter ihm mit Knütteln alle Treiber, Er wagte nicht, sich über ihre Leiber Den Weg zu bahnen, und nach meiner Buche Nahm er den Weg, als ob er Gnade suche; Er sah mich an, so demutsvoll, so fragend. Mit trüben Augen, die ganz menschlich klagend, Und wedelnd wies er, wie ein Hund, die Zunge — Ich aber schoß ihn mitten durch die Lunge, Und warf mich auf ihn mit gezücktem Messer, Damit er rascher stürbe, nur nicht besser. Doch kam zu spat mein ungestillter Eifer, Kopfüber ging er, ganz voll Blut und Geifer, Und starb und sprach zehn Worte, zehn an Zahl: »Ich bin der schwarze Hanns, der dir die Grete stahl/"

§

Erscheinung. Ium Fenster drängen sich erschrocken Die dunklen Bäume bei Iwielichtschimmer; Die tote Braut schwebt still durchs Zimmer, Im Sterbekleide, mit dunklen Locken.

Im Glase duftet Kirchhofsflieder; Sie spricht: ich habe nicht Ruh' im Grabe Und muß allnächtlich kehren wieder Weil ich dich einst verraten habe.

Nach dem Gewitter. Nun zucken verlodernd, versunken. Die Blitze vom Waldesrand, Es regnet, sattgetrunken Hat sich das brünstige Land.

Ein Eichbaum am Hügelkamme Derknistert im Wetterschein; Um Höhen buhlt die Flamme, Das Tal nur birgt Gedeihn.

Den goldnen Weizenschobern Schuf kein Gewitter Harm — Schon bricht in frohem Erobern Dom Dorf ein Schnitterschwarm.

Es muß, ein Brand im Regen, Auch der Poet verglühn. Der Dichtung Feuersegen Durchs dunkle Land zu sprühn.

$ Der Feldweg. Vom Ulmenwald, dem dunklen, schwermutvollen. Der Schierlingduft und ew'ge Kühlung haucht. Dehnt flammengelb, in Sommerluft getaucht. Das Kornfeld sich, glutzitternd, weltverschollen. Am Wegrain dort — es war zum letztenmal — Verlornes Lieb, schritt ich an deiner Seite, Viel Engel gaben fteundlich uns Geleite,

Sie blieben dir — mein Weg sank rasch zu Tal. Nun geh' ich einsam durch die Mittagsstunde Dein denkend hin, und mir am Wege blüht So reich der Mohn, als hab' mein Herz versprüht Achtlos das Blut aus tiefgeheimer Wunde. Ach, bringen wird kein künft'ger Sommertag Zurück mir je, was folgend deinen Schritten

Still mit dir selbst zur Dämmerung geglitten — Nachtwandelnd geh' ich durch den heißen Hag. Echoenaich-Carolath, Auswahl.

Das Leben lacht, auf fremden Feldern schimmert Halmschwer das Korn; Gott geb' ihm gut Gedeihn. Bald bringen sie den Erntesegen ein, Durch goldnen Staub schon fern die Sichel flimmert. Ich aber will mit leergebliebner Hand Dich segnen. Glück, das einem andern reifte, Und will die Stirn, die finstre, blitzgestreifte.

Aufrichten still zum ew'gen Ernteland.

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Böse Heimkehr. Ihr Gassen, ihr Giebel, du mürrisches Tor, Euch grüß' ich betrübt und gemach — Schon krächzen die Dohlen, schon liegt mir im Ohr Der Basen Weh und Ach. Als froher Geselle zog ich hinaus. Hab' keck gelärmt und gelacht; Nun schleich' ich durchs Seitenpförtlein nach Haus, Hab's nicht zum Meister gebracht.

Ich habe nur eins gelernt und erkannt Nach manchem verträumten Jahr: Daß der Himmel dort unten im Süderland Iu blau, zu lachend war.

Daß die Menschen zu froh und zu leicht von Sinn, Die Blumen zu reich an Duft — Nun pfeift mir gar frostig um das Kinn Die deutsche Regenluft. Das Herz ist müde, die Wange braun, Zerrissen mein Wanderrock; Ruh aus am ersten besten Zaun, Du treuer Knotenstock.

Ich hab' gezählt mein fahrend Gut Und fand, daß nichts mir blieb. Als ein welker Jasminstrauß am alten Hut Und in Welschland ein falsches Lieb.

Lied des Gefangenen. Als mir die Base prophezeit, Groß' Ehr würd' ich gewinnen. Schuf ich den Eltem Herzeleid, Lief aus der Stadt zur Frührotzeit, Ließ auch Feinslieb darinnen.

Der Lanzknecht rafft viel Geld und Gut,

Jagt in den Tod sein Leben, Die Rabenfeder schwankt am Hut, Das tote Trumpfaß deutet Blut, Herzdame schlägt daneben. Und über einer Spanne Frist Werd' ich gar hoch geehret... Ach, daß der Base Trug und List Mich armen Christ Das Fliegen hätt' gelehret. Ich flög' mit Kunst und Zauberein Empor zur Morgenwende, Gen Straßburg durch Sturm und Wetterschein,

Ein flatternder Wicht; Feinslieb, laß ein — Jed Herzleid nähm' ein Ende. Da wach' ich auf — der Morgen loht. Die Glocken gellen und läuten. Die Stube starrt vor lauter Rot; Maria, Helferin der Not,

Der Traum will Arges deuten. Der Würfel fiel, der Krug zersprang. Und aus dem Wachtverließe Geht's morgen ftüh den letzten Gang Bei Pfeifenklang Und Trommelschlag in die Spieße.

w

Vom Scheiden. Wenn dir ein Mägdlein recht gefällt Und sie nimmt einen andern. Dann heißt es, in die weite Welt Zu wandern.

Da draußen viele Mädchen sind. So viele blond und braune. Als Rosen blüh'n im Maienwind Am Zaune.

Mit neuem Glück am neuen Ort Zufrieden sind die mehrsten. Oft treibt ein zweiter Nagel fort Den ersten. Doch wenn die Kur dir schlecht gelingt. So werde Kapuziner, Und wenn kein Ablaß Frieden bringt. Trink Valtelliner.

Trink aus, und würfle bei Morgenrot Um Dirnen mit blankem Messer — Stäch' dich vorher ein Landsknecht tot, Wär's besser.

Und tut er's nicht, so zeche fort.

Doch wirf hinaus auf die Gasse

Die Menschen mit ihrem Krämerwort,

Daß Liebe sich heilen lasse... Wenn dir ein Mägdlein recht gefällt Und sie nimmt einen andern.

Dann ist's am besten, aus der Welt

Iu wandern.

Gretchen im Winde. Ein Mädchen süß, ein Mädchen flink. Dabei den Namen Gretchen, Als Schmetterling, den keiner fing.

Fliegt sie durch Busch und Beetchen. Die Veilchenaugen minniglich Und hell wie Hochzeitskerzen, Im Köpfchen einen Sonnenstich, Aprilwind tief im Herzen. Die Stimme silbern und gesund Wie eines GlöckleinS Klingeln,

Ein Lächeln um den Kirschenmund Wie eines Schlängleins Ringeln. In ihrem Garten vor dem Tor In Treuen rauscht die Linde, Auf allen Beeten blüh'n davor Vergißmeinnicht im Winde,

Doch wenn man ihr von Liebe spricht. Pflückt lachend unterdessen Vergißmeinnicht das Schelmgesicht; Mich hat sie längst vergessen. —

Desdemona. In Sommernächten löst sich aus dem Schatten Gesunkner, meerbespülter Prachtportale Oft eine Gondel treibend im Kanäle Mit Ruderschlägen, leisen, sterbensmatten.

Drin eine Frau, den Leib, den farbensatten, Aurückgelehnt, reglos im Mondenstrahle, Indes die Hand, die weiße, wunderschmale, Im Wasser schleift, dem dunklen, spiegelglatten.

Und plötzlich wirft sie, gleitend auf dem Meere, Zurück des Schleiers schwarzgezackte Spitzen Und blickt dich lieb mit toten Augen an. Dann schlägt das Kreuz, entsetzt, dein Gondoliere; Sie zieht, indes die Ruder bläulich blitzen. Vorüber auf der dunklen Wasserbahn.

Auch du! Nun hast auch du gelassen

Von Groll und edlem Streit, Du fandest goldne Gassen Der Weltzufriedenheit. — Mich mahnt dein Herz, das helle, Nun frei von Kampf und Weh,

An eine Riesenwelle, Die müde ward der See

Die sich im Überborden Einst aus dem Meer gewiegt Und nun, zum Teich geworden. Tiefblau im Walde liegt.

Wohl deckt mit Blütenflocken Mitsommers sie das Rohr, Wohl tönt's wie ferne Glocken Aus ihrem Grund hervor; Wohl nicken grüne Erlen Darüber, schlummerschwer — Doch hat sie keine Perlen Und keine Stürme mehr.

Lied der Ghawaze. Seidne Gewänder, Spangen von Gold Kann es nicht ändern. Hab's so gewollt.

Bunt sind die Kleider, Falsch das Geschmeid, Falsch meine Liebe, Echt nur mein Leid. Was ist mein Leben? Tolles Gewirr, Lachende Lüge, Schellengeklirr.

Keiner hat lieb mich Auf dieser Welt, Tanzen und singen Muß ich für Geld. Einmal noch blicke Freundlich mich an — Weißt ja nicht morgen. Daß du's getan.

Bin eine Flamme, Die, windgewiegt. Lodert und leuchtet Und früh verfliegt.

Meeresleuchten. Das Meer die grünen Wellen hob, Der Tag ging früh zur Neige, Der Wind in schwülen Stößen schnob Durchs sausende Myrtengezweige. Heißdunstig flogen von Süden her Die Wolken, die jagenden, feuchten. Es pflügte der Sturm das donnernde Meer,

Die Wellen begannen zu leuchten. Da sank dein windumstobnes Haupt An meine Brust, bezwungen. Dein Herz, daS ich erstarrt geglaubt. Hat Auferstehung errungen, Es kam in seinem tiefsten Grund DeS Trotzes Kern zu brechen.

Dein herber, rotgesäumter Mund Begann von Liebe zu sprechen.

44 Dein Herz will wie die weite See Kühl und großatmend branden, Einsam im Glücke, stolz im Weh, Unnahbar, unverstanden. Und nur bei Stürmen großer Art Wird jäh im Weltgetriebe Das seltne Leuchten offenbart. Das Leuchten deiner Liebe.

% Künstlerroman. Als tot auf schlechtem Gasthofbette lag Sein junges Weib bei Unschlittkerzenflammen, Da schob Papier, verstreutes, er zusammen. Und schrieb darauf bis an den grauen Tag.

Es ward an Inhalt und an süßem Schalle Ein also großes, ewiges Gedicht, Daß die Genossen es verstanden nicht Und schweigend wichen, tiefergriffen alle.

Er aber blieb allein mit einem Sarg, Darin begrub er seine Jugendliebe — Und jenes Buch, das ew'gen Ruhm verbarg. Und das kein Denker leichthin nach ihm schriebe.

Er schob es unters fahle Goldgelock Als Ruhekissen für die schöne Tote Und riß sich aus den Hecken einen Stock Und schritt hinaus ins Morgenlicht, das rote.

$

O Deutschland! Mondschein und Giebeldächer In einer deutschen Stadt — Ich weiß nicht, warum der Anblick Mich stets ergriffen hat. Dort drüben beim Lampenscheine Ein Jüngling starrt ins Licht, Und schwärmt und schluchzt und empfindet Sein erstes, sein bestes Gedicht. Dort sitzt eine junge Mutter, Die wiegt ihr Kind zur Ruh, Sie lächelt und sinnt und betet Und singt ein Lied dazu.

Es blickt auf die mondhellen Giebel Tiefsinnend ein Greis hinaus. Er hält in der Hand eine Bibel, Drin liegt ein welker Strauß.

46 Die Bäume rauschen, es funkeln Die Sterne ab und zu; Dort unten liegen die dunklen Häuser in tiefer Ruh. Es plätschert in alter Weise Am Simonsplatze der Born, Von weitem tutet leise Der Wächter in sein Horn ...

O Deutschland! mir tat's gefallen In manchem fremden Land, Dir aber hat Gott vor allen Das beste Teil erkannt.

Du lebst und schwärmst und dämmerst In tiefer Seelenruh, Wenn du dein Eisen hämmerst. Erklingt ein Lied dazu. O lasse dir niemals rauben Die alte Schwärmerei Für Frauen, Freiheit und Glauben — Bleib unentwegt dabei!

Daß du vom Born der Sage Mögst schöpfen Frömmigkeit Und Kraft zu wuchtigem Schlage Nun und in Ewigkeit.

Bitte. Wenn einst das Kirchlein offen steht Im Lindengrün im Maienstrahl, Wenn über dich hinbrausend geht Sieghaft der Orgel Schlußchoral, Wenn dir vereint auf ewig ward Der Mann, des Liebe dich beglückt. Wenn alle dich, nach frommer Art, Gesegnet und ans Herz gedrückt.

Dann schreite still vom Gotteshaus Ium Friedhof hin — weit ist es nicht — Und leg aufs Grab mir einen Sttauß Vergißmeinnicht.

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Daheim. Ein Weg durch Korn und roten Klee, Darüber der Lerche Singen, Das stille Dorf, der Helle See, Süßes Wehen, frohes Klingen,

Es wogt das Korn im Sonnenbrand, Darüber die Glocken schallen — Sei mir gegrüßt, mein deutsches Land, Du schönstes Land vor allen.

w Traum. Es war vorbei. — Das letzte Zucken, der letzte Schrei Verhallt zu nichts. Verschmerzt und versunken das Leben, Es durfte schauernd entschweben

Die Seele zum Quell des Lichts. Erlöster Erdenpilger lange Züge Wallten zum Endziel; feiertäglich klang Und friedevoll ihr hoffnungsfrohes Beten.

Sie zogen hin, als ob sie aufwärts trüge Ein großes Sehnen, Greise neben Bräuten Mit stillen Stirnen. Die Gewänder wehten Im frischen Winde, von der Erde drang Es wirr herauf wie fernes Glockenläuten. Auch dich sah ich zur ew'gen Heimat schweben. Abseits der Menge, im weichbraunen Haar Den halbverblühten Totenkranz; Dein Auge Von Abschiedstränen noch verdunkelt war. Du sahst mich an und sprachest leis: vergib. Ich habe dich so endlos endlos lieb.

Vergiß, daß ich dir Schmerz einst schuf und Qual, Ich hab' geirrt in jenem Nebeltal, Nun ist's verkämpft.. Dein eigen ward ich doch... Ein Windstoß braust. In meines Zimmers Raum Dämmert der Morgen, kalt, entsetzlich fahl.

Ich schrecke auf — und alles war ein Traum — Ich lebe noch!

Schoenaich-Carolath, Auswahl.

4

Herbstreise. So will ich denn noch einmal fahren Den Rhein hinab zur grauen Stadt; Die Heimat grüß' ich, wo vor Jahren Mein Herz geliebt, geblutet hat.

Rauch hüNt die Dächer, in den Scheiben Spätsommersonne sinkend loht. Mit süßem Laut die Schwalben treiben Den schrägen Flug durchs Abendrot. Es steigt des Domes Schattenmasse Mit Blumenzier und Turmesknauf Weltflüchtend aus dem Lärm der Gasse, Verleuchtend flammt der Tag darauf. Von Liebchens Haus im Abendschimmer Das rote Weinlaub fliegt und nickt. Allein der Sonne Glutgeflimmer In fremde Frauenaugen blickt.

Auch keine Freunde gilt's zu finden. Sie schlafen längst wie's Gott gewollt. Auf ihren Grabstein schütten Linden Der braunen Blätter Rascheigold.

Und fremde Kinder jubeln, lachen, Ein neues, wachsendes Geschlecht,

Nicht hab ich Träumer unter Wachen Und Lebensfrohen Heimatrecht.

Studenten zechen vor den Lauben In hellen Haufen, buntgereiht, Schon rötet früher Frost die Trauben, Bald naht die große Wanderzeit,

Gen Süden lenkt im Heimwehtriebe Ein Kranichheer den Fluch gemach; Auch du, mein Herz, ziehst deiner Liebe Und deinem ew'gen Lenze nach.

Aus der Jugendzeit.

in. Waldvogel über der Heide, Der klagend die Heimat mied. Ich glaube, wir beide, wir beide Haben dasselbe Lied. Dir hat ein Sturm aus Norden Zerstört das heimische Nest; Auch mir ist entrissen worden. Was mein ich wähnte so fest.

Wir wollen zusammen singen

Das Lied vom verlornen Glück,

Und wollen uns weiter schwingen Und nimmer kehren zurück.

V. Es ragt die Stadt, am Strom gelegen. Das Endziel meiner Wanderfahrt, Auf allen bunten Erdenwegen Hab ich kein Scherflein Glück erspart.

Mir lebt ein Lieb, das ich verlassen. Bis heim ich käm, die Taschen schwer; Nun pfeift der Tauwind durch die Gassen Ein Lied von schlimmer Wiederkehr.

Es gab ein hartes Wandern Breit schwoll der Strom, fern Der Regen saust, es sagen die Daß mich mein Lieb vergessen

heute. lag die Stadt; Leute, hat.

XIV. Es gehn vom Campanile Die Glocken bang und matt. Dem Frühlingssturm zum Spiele Ward die Lagunenstadt.

Stoß ab von der Piazetta, Mein wackrer Schiffersmann, Führ mich zu Luisetta, Leg tausend Ruder an. Sorg nicht, daß im Canale Die hohle Sturzsee grollt. Noch daß die Flut, die fahle. Auf Marmorstufen rollt. Sorg nicht, daß von den Türmer Der Warnungswimpel fliegt; Die Jugend trotzt den Stürmen, Die Liebe wagt und siegt.

54

XVI. Es rollt so träge das graue Meer, Der Mond wird trüber und trüber, Die «Sterne sanken, von Capri her Zieht ein Gewitter herüber.

Nachtfalter flattern mit leisem Geschwirr Um unsre bunte Laterne, Durch der Veranda Rankengewirr Stößt Südwind aus schwüler Ferne. Vergebt, daß der Falernerwein Verperlt in den Kristallen, Vergebt, daß Jugendträumerein Beim Festmahl mich befallen. Ihr sangt in heimatlichem Chor Vom Mühlrad im kühlen Grunde; Nun klingt das alte Lied im Ohr, DaS Scherzwort stirbt im Munde.

Spät ist's, der rechte Frohsinn schied; Wie konnte das geschehen? Im fremden Lande das deutsche Lied. Kommt, laßt uns schlafen gehen.

Aus „Westwärts". ii. Des Jagens müd will ich die Nacht verträumen, DaS Feuer loht, dank einem trocknen Stamme, Du lichtes Bild aus kerzenhellen Räumen, Was willst du hier, bei einer Lagerflamme? Es rast der Tanz. Rings Blumen, Seide, Lichter, Zu groß die Lust für dieses Festsaals Enge, Gelöste Locken, glühende Gesichter — Auch du, mein Lieb, ziehst leuchtend durch die Menge.

Du schwebst dahin, dein Aug, das glanzesfrohe. Blitzt hell vor Glück, die Paare schweben, fliehen, Dein Haupt, umzuckt von Diamantenlohe, Wiegt sich im Takt der Walzermelodien. Kennst du mich noch? O nein, das wär vermessen! Die Lust ist groß, die Pauke dröhnt und hämmert. Sei Weib, doch wahr: Du hast mich längst vergessen — Die Geige kreischt, der Morgen graut und dämmert,

Das Fest ist aus. Der Marschall hilft dir tragen Den Schwanenflaum und deiner Blumen Fülle, Dein Herr Gemahl küßt zärtlich dir im Wagen Das schmale Händchen in der weißen Hülle.

ES träumt sich gut bei halb verlöschten Kohlen; Der Schnee rinnt eisig über meine Backe, Jur Gutenacht leckt mir die Hand verstohlen Mit rauher Junge schmeichelnd meine Bracke.

IV. Ihr habt verkündet, Denker aller Zeiten, Des Menschen Jiel, das höchste, heißt Alleinsein; Bleib fern der Welt, sei Fürst der Einsamkeiten, Du mußt allein sein, willst du nicht gemein sein.

Oft hab den Spruch ich grübelnd nachgelesen. Mein Haupt umwehten schwere Winterschauer.

Philosophie, wer mag an dir genesen. Du bittrer Born, des Bodensatz die Trauer?

Wohl bin auch ich zur Einsamkeit gekommen. Mein Erntefeld hat Sturmflut überbrandet,

DaS beste Saatgut hat mir Gott genommen, Mir blieb ein Herz, das ftüh und tief versandet.

Verloren ist's für diese Welt voll Schimmer, Für Hoffart, Prunk, für trügerische Bronnen, Es fröstelt mich, den Wandernden, für immer Im Winterglanz der kargen Lebenssonnen.

Doch eine blieb, in der ich Hoheit wähne. Die Strahlen beut und köstlich ist vor allen. Der Daseinstrost, zu trocknen eine Träne, Die heiß und schwer aus fremdem Aug gefallen.

Das Glück, zu gehn durch finstre Großstadtgassen

Und einem Kind, das bettelnd steht im Regen, In beide Hände, die durchfrornen, blassen. Der Liebe Goldschatz stumm und reich zu legen.

V. Daheim ist's Festtag. Fern am Waldessaums Hab einen Platz zur Wegrast ich erkoren, Iu Häupten mir singt süß, wie tief im Traume, Ein Frühlingsvogel, im Geäst verloren.

Was ist es, daß die Sinne mir vergehen. Daß Heimatbilder luftig mich umranken. Die Vaterstadt, darüber Linden wehen. Das Kirchlein mit dem Glockenturm, dem schlanken?

Die Kirche steht, vom Morgenglanz umflossen, Spätastern blühn am schmalen Friedhofssteige Tiefbunt und starr. Von Herbstglanz übergossen Rinnt Raschelgold vom müden Ulmenzweige.

Und plötzlich rauscht die Orgel, sieghaft, mächtig. In Jubelsturm, in Auferstehungswogen, Diel Frohgestalten, zünftig, ehrenprächtig.

Erfüllen bunt des Kreuzgangs Pfortenbogen.

Im Sonnenglanz gehn tief und hell die Glocken, Ein Mädchen tritt ins festliche Getriebe, Den jungen Mund voll Jubel und Frohlocken, Den frommen Blick verttäumt, voll heißer Liebe —

Verrausche, Saat, die ftemden Feldern prangte.

Es kam ein Sturm, es ward ein Schwert geschwungen; Längst ist das Glück, danach mein Herz verlangte,

Beweint, gesegnet und zu Grab gesungen.

Dem Manne Heil, der irdisch Gut verloren. Nur Blitzstrahl löst ein Herz, das tief gekettet Dem Eigenglück. Es steigt aus Siegestoren Dereinst dies Herz, ein Brand, zu Gott gerettet.

VI. Die schwarzen Berge treiben ihre Festen Weit ins Nebraskaland, das wilde, leere. Der Oregon schäumt frühlingsgrün gen Westen, Der Kolorado zieht zum großen Meere.

In jenem Bergland, jenem sturmerfüllten.

Erklommen wir, entschlossne Höhenmesser, Ein schroffes Grat; tief in den Schluchten brüllten

Befreiter Gletscher fahle Sturzgewässer.

Hand fest in Hand, so zwang den Weg ein jeder.

Gewagten Sprungs aufklimmend am Gelände, Im nerv'gen Arm den Strang von Büffelleder, Den Nagelschuh einwetzend dem Gewende. Dort bot ein Fels die graue Brust den Weiten, Ein Obelisk, den Steinschutt überschrägend. Wir fällten Holz, um Hütten zu bereiten. Und hielten Rast, ein Werk, ein ernstes, wägend. Wir huben an, quer durch den Fels zu schreiben Im Sonnenschein, als Frühlingsstürme wehten. Ein Jubelwort von Glanz und großem Bleiben,

Ein Wort, das Gott geredet dem Propheten:

„Spräch ich mit Menschen- und mit Engelzungen, Hätt' Wissen ich und alle Glaubenshelle, Wär also von Erkenntnis ich durchdrungen,

Daß einen Berg ich höbe von der Stelle, Wär alles mein, und hätt' ich nicht der Liebe, Ich glich der Schelle, die geschwätzig tönend, Ich wär ein Nichts, das ewig nichtig bliebe. Ich wär ein Erz, das leer und qualvoll dröhnend."

Vier Monde fügten in des Felsens Adern Wir breit wie Mitzspur die gewalt'gen Lettern,

Vier Monde pflügten emsig wir die Quadern, DaS Lebenswort tief ins Gestein zu schmettern. Doch eines Tages brachen wir die Zelte; Im dunklen Osten hub es an zu dämmern. Der Morgen trieb, der frische, winddurchwellte. Die Wolken heim, gleich roten Opferlämmern.

Und über uns, ein Weiser, aufwärts ragend. Hob sich der Fels, getaucht in Frührotschauer, An seiner Stirn die Gottesbotschaft tragend. Das Wort der Liebe, die von ew'ger Dauer. Der Blitzschlag wird den Felsgrat übersausen, Schnee wird begürten jener Inschrift Zeichen, Es werden Lenze blühen und »erbrausen. Die Liebe bleibt, es mögen Berge weichen.

Den Erdball werden ringend überschreiten Cäsaren, Büßer, Glaubensprozessionen;

Der Menschheit Los bleibt ew'ges Flügelspreiten, Bleibt Kampf um Licht mit feindlichen Dämonen. Geschlechter, Völker werden auferstehen, Ihr zeitlich Gut zu hüten, zu begraben,

Vieltausend Jahre werden kommen, gehen, Die Liebe mag und wird kein Ende haben.

VII. Der Tag erwacht. Befreit, in Jubelchören, Bricht Frühlingsflut die letzten Gletscherschollen, Ein Windstoß braust tief in den Edelföhren, Die neigen sich in Schauern, andachtsvollen. Herr, gib, daß mir ein Festtagsmorgen leuchte. Doll Heimwehsturm, voll also starkem Strahle, Daß meine Seele, die von Gram gescheuchte. Dein Antlitz suche, flüchtend aus dem Tale.

Die Menschheit geht, nach weisem Maß beladen. In Sorgenlast, in Hoffnung, Groll und Beten, Doch wen du rufst abseits von Alltagspfaden, Mit Sichelblitz ihn zeichnend zum Propheten,

Dem nimmst du, was an Erdenglück ihm inne. Und sendest ihn, ein Feuer zu bereiten, Des Opferrauch, von hoher Tempelzinne,

Ium Himmel steigt, wegweisend aus den Ieiten. Des Dichters Amt ist Opfertat auf Erden;

Herr, laß auch mich an deinem Glutscheit schüren. Laß mich ein Volk, ein Bruchteil deiner Herden, Iu Sehnsucht, Dichtung, Überwindung führen. Die Liebe doch, die du mir früh zerschlagen. Weil ihre Bahn auf Eigenglück gerichtet, Iur Menschheit, Herr, laß sie mich heimwärts tragen. Dann hab' auch ich dereinst gelebt, gedichtet.

Sulamith. Auf einem Felsen im Judäerland, Den Oleanderbäume rot umblühten. Hielt Rast ein Wandrer. Lässig lag sein Haupt,

Zurückgelehnt, an einem breiten Stamm, Der schattenvoll des Astwerks starre Krone Emportrieb in die regungslose Luft. Der Tag war heiß, das Meer lag glanzumflossen. Blau, blendend, still; den weißen Ufersand Im Mittagsschlaf traumatmend überbrandend Mit müdem Schaumblitz. Dann entstand ein Hauch, Der strich unhörbar durch die regungslosen Baumkronen hin und streifte kühl die Stim Des stillen Wandrers. Der hob sacht das Haupt Und schlug zurück die schlafbefangnen Lider, Als wollt umfassen er daS schöne Land Mit einem tiefen, dunklen Herrscherblick. Des Fremden Antlitz war vernichtend schön. Doch also stolz, alö ob die Stirn, die schmale. Sich abgeschüttelt, jäh, ein Diadem Und trotzig, friedlos in das Weltall rage. Fahl wie die Wüste, überflammt vom Zug Offner Empörung. Auch sein Auge lag So sonnenleer, als hab' es einst geschaut Gehennas Glanz und sei dann jäh erstarrt Zu schwarzer Lava. Sein tiefroter Mund War hohngesträubt, als lache hart und gern

Er über Unglück. Welkend krümmten sich Vor ihm die Gräser; Sterben überspann Die Stätte, wo des Fremden Fuß geruht. Denn er hieß Satan. über Gottes Erde

Lag Feierglanz.

Es war zur Osterzeit,

Boni Berge Karmel bis nach Askalon Floß Glockenklang, der tönte süß und leise Gleich Himmelsgrüßen durch das stille Land, Im Tal erklangen ferne Wallfahrtlieder Und Weihrauch dampfte, das Palladium

Umflogen Fahnen, gen Jerusalem Zog, Psalmen singend, eine Prozession. Da plötzlich, wo die Straße scharf sich wendet, Stockte der Festzug. Quer im Wege lag Erschöpft ein Bettler. Hingestreckt im Sand, Rief jammernd er: Laßt mich nicht Durstes sterben. Erbarmt euch meiner, reicht den Wasserschlauch Um Jesu Willen. Zitternd schleppte sich Der Greis, kniefällig, mit gelungnen Händen Hin zu den Priestern. Die doch riefen laut: Auf nach Jerusalem! Den Kleidersaum Aufschürzten sie, des Bettlers hagern Leib Hochüberschreitend. Ihres Weges zog Die Prozession, indessen Weihrauch wallte Und hundertstimmig sich zum Himmel schwang Der OsterhymnuS: Christ ist auferstanden.

Aus Satans Augen aber brach ein Blitz Wilden Triumphes; seinen Mund umkam Ein langes Lächeln, das war satt von Hohn,

Satt von Verachtung. Seine Hände beide Hob er empor, sie griffen gierig, weit Hinaus ins Leere. Große Jubelstürme Durchbrausten ihn; er sprach: Welt, du bist mein. Ich bin dein Fürst, ich bin der Herr der Erde. Als ich das Haupt gewandt von Gottes Thron, Und nach Empörung schrie, so daß ein Riß

Dein Lebenswerk, die Schöpfung wild durchklaffte. Nicht trieb mich Stolz. Nein, ich erkannte nur. Mein hoher Feind, wie tief verfehlt das große. Undenklich große Werk, das du getan. Ich sah den Stoff, nach Satzung ew'ger Schöne Kunstvoll getürmt, doch in des Riesenleibes Feinstem Geäder sah mein Blick den Tod Bleifarbig schleichen, und ich hob den Hammer, Schlug deinen Irrtum und zerschlug dein Werk.

Nimm, Schwergetäuschter, dir vom Haupt die Krone, Du schufst Verfehltes. Söhne riefest du, Doch Knechte kamen. Liebe war und ist Au schade für die Menschheit. Dieses Volk, Dem du bestimmt der Freiheit Diadem, Mißlang dir tief. Es war ein Erdenkloß, Darauf du bliesest, und aus falschem Ton Schufst du den Menschen. In die Masse kamen

Selbstsucht und Knechtssinn. Sieh, die Menschheit wälzt In geiler Lebensgier sich von Geschlecht Hin zu Geschlechtern, glaubensmüder stets

Und greisenhafter; deine Liebe ward In ihrer Hand ein Gut, gewürdigt nie. Verpraßt wie Schaumgold. Abgelohnter Gott, Rauf dir das Haar! Haltlos rollt deine Schöpfung

Hinab zum Abgrund. Ich doch schmettre ihr Des Hasses Felsen krachend in die Speichen, Ich sehe lachend sie zugrunde gehn. Und juble laut: Du ließest von der Liebe, Verlorne Welt — bald bist, bald bleibst du mein. Er schwieg. Bleigraues, zitterndes Gewölk Bezog den Himmel, Schatten streiften schnell Das lichte Land, ein Windstoß grollte heiß.

Der hob den Sand, der an den Wegen ruhte, Iu Wirbeln auf, und tief im Staube lag Der Bettler noch, der Mensch, still und gekrümmt. Weitoffnen Auges, schaurig, regungslos. Ein Fragezeichen. Sieh, des Weges kam Ein Maronitenweib. Es trug ihr Haupt Ein Bündel Brennholz, ihr im Arme lag Ein schlafend Kindlein. Schwer erschien die Last, Doch rüstig schritt die Wandelnde des Weges, Der Hütte zu. Da sah am Grabenrande Den Greis sie liegen. Ihre Bürde tat Srboenaich-Carolath, Auswahl.

Sie von der Schulter, kniend sank sie hin

Und nahm das Haupt des Kranken in den Schoß. Der Bettler sprach: hilf, ich verdurste, Weib. Und rings kein Quell! Versengte Gräser neigten Den scharfen Halm; soweit das Auge sah, Klaffte der Boden, rissig, reich an Staub, Lechzend nach Labung. Doch der Bettler streckte Ium Sterben sich. Da überlief ein Rot, Ein tiefes Rot, des Weibes schöne Züge, Erbebend löste, sacht, sie das Gewand Und bettete das wüste Greisenhaupt An ihre keusche, sanft geschwellte Brust. So blieb sie lang. Dann endlich griff zum Stabe, Gestärkt, der Bettler. Abgewandt und stumm Wies sie den Weg ihm, und er taumelte Hin an den Hecken. Sie doch wandle sich Zu ihrem Kind, und weinte. Stille ward. Zuweilen scholl fern über braunem Gras Ein Wachtelruf. Die Luft war kühl und klar. Der Abend kam mit dunklem Flammenglanze Über Judäa, in den Tälern lag Tiefblauer Duft. Sulamith aber ging Ins Abendrot hinein. Die Sonne sank Und wob ein letztes wundersames Glühen Um jene hohe, wandelnde Gestalt. Doch Satan blickte regungslos ihr nach Aus götterleeren, abgrundtiefen Augen.

Aus „Hans Habenichts" ii.

Nun wag' ich selig ohne Maßen Ins weite Land den jungen Schritt. Das Leben lacht, Staub deckt die Sttaßen, Drei Weggenossen wandern mit.

Der eine zieht mir schief die Tasche, Doch ist nicht immer Gold, was sprüht; Mir ward der Freund an Herdesasche Im kargen Vaterhaus geglüht. Ihm wird bei Hoffest und Turneien

Ein zarter Kranz kaum je beschert; Den Unterdrückern Feuer speien

Und Armut schützen soll mein Schwert. Wollt' ich beim Habezählen weilen. Ich fände leicht das zweite Gut, Viel Tausend sind, die froh es teilen: Dem deutschen Reiche Leib und Blut. Doch fragt ihr, wo die letzte bliebe. Die beste Habe von den drei'n?

Ein starker Fels ist meine Liebe Und über ihr steht Gott allein.

III. Die Kaufstadt bläht sich blank und frech, Der Krämer Augenweide, Sie handeln drinnen mit Tran und Pech, Mit Weizen und Geschmeide.

Sie frachten auf den geduldigen Hals Uns Waren aus welschem Zolle, Indessen vom Neckar bis zur Pfalz Brach liegt die deutsche Scholle.

Sie pfänden der Witwe letzte Kuh Und lassen vom Fisch die Gräten, Sie wuchern und borgen aus voller Truh Den kaiserlich römischen Räten.

Sie sammeln das Geld aus Süd, aus Nord In diebessichre Kemnaten, Sie preisen Krieg und Völkermord Als göttliches Recht der Staaten.

Ein edles Iornwort deutschen Stamms, Man prüft es mit peinlicher Schere, Schon gilt ein buntes Höflingswams Viel höher denn Mannesehre.

Sie schlugen das Volkslied tot und still. Es ist verstummt, verstoßen. Und wehe der Kunst, die nicht dienen will Dem Ruhmgelüst der Großen. Sie fällen den Forst, sie stückeln das Land, Sie machen den Bauern zum Knechte, Schon freit ein Vater aus Freiherrnstand Die Tochter dem Geldsackgeschlechte; Sie haben mit Würfeln und Malvasier Betäubt des Vaters Gewissen, Sie haben von Spinnrad und Brevier Ein fügsames Kind gerissen.

Sie haben auf Gold und Beuteteil Ein adelig Wappen gewogen. Sie haben um sein ewiges Heil Ein junges Herz betrogen —

Der rote Mittwoch kommt und tagt. Da fallen euch ab die Seiden, Daß ihr in Asche sitzt und klagt. Ich will euch die Krallen schneiden.

VIII. In Deutschland steht ein Lindenbaum, Darunter sind viele gesessen. Die haben den großen Herzenstraum Von Lenz und Liebe vergessen.

Sie trugen ihr Los mit stillem Sinn Und sangen sacht an der Krücke Am Feierabend vor sich hin DaS Lied vom verlorenen Glücke.

Vielleicht hat Gott ihr Lieb gemäht Gleich Blumen im Lebenswinde, Dann träumt sich's gut des Abends spät Im Schatten der Kirchhofslinde —

Doch Schmerzen gibt's von hellem Klang Und Pfeile von Falkengefieder; Den Schlag, der mich zum Sprühen zwang. Ich gebe der Welt ihn wieder.

Mir nahmen die Reichen das letzte Gedeihn, Das einzige Schäflein vom Bache,

Nun leg' ich das gleißende Schlachtschwert ein Für der Enterbten Sache.

Bald reit' ich, ein Rächer, ins Land hinaus. Vor Heeressäulen jagend. Gestorbener Liebe schwarzen Strauß

Am raubenden Schilde tragend.

X. O Sonne, die heut' in Deutschland schien. Du wandernde, wissende, sage. Ob meines Liebchens Glück gediehn Seit unsrem Scheidetage?

Du schweigst. Ein leiser Winterhauch Deckt tief das gute Schwaben,

Dort liegen im friedlichen Giebelrauch So still die Herzen begraben.

Die Ratsherrn prunken bei Schlittengeläut In weichen Ottermützen; Die Stadt wär leicht zu nehmen heut'. Gefroren sind Strom und Pfützen.

O Sonne, daß deine große Bahn Nur einmal gerastet hätte Und stilles Segenswerk getan An meiner Lebenöstütte!

Du sähest ein schlichtes FreiherrnhauS In magerem Föhrenbestande, Doch blitzte hell aus den Scheiben heraus Ein großes Glück in die Lande. Ein treues Weib — ob schlimm die Zeit, Wir wollten das Leben schon zwingen; Im Schranke das Brot, im Ofen das Scheit, Wir teilten gern den Geringen.

Ein schirmendes Dach, ein Krug voll Met, Ein Feuer in gastlicher Halle,

Die Arbeit heilig und stark das Gebet: Herr Gott, wir loben dich alle. Ich sah das Schloß im Traume nur. Die Frau gehört einem andern; O Sonne, du mußtest auf heiliger Spur Jur großen Fremde wandern.

Und wo die Bahn du scheidend senkst, Verflammend am südlichen Meere, Reit' ich auf lauerndem Edelhengst Getrost durch Feindesspeere.

XL Mein Kaiser, nun hab' ich manche Nacht Gelegen vor deinen Gezelten, Hab' Mannen, hab' Rosse dir zugebracht, Mein Kaiser, übe Vergelten. Wir ritten in stechendem Sonnenblitz Viel Heidenvolk kopfüber;

DeS Mohrenpackes Pfeilgeflitz, Uns schor es keinen Stüber. Mein Kaiser, schlag mich zum Rittersmann, Gib mir die goldnen Sporen, Dann zög' ich beglückt daheim, hindann. Ich wäre neu geboren. Ich ritte, das Herz voll Lust und Weh,

Durch des deutschen Hochwalds Raunen; O blutender Mohn, o blühender Klee, Ihr würdet träumen und staunen. Ich ritte zum herrlichsten Sommerfest, Gefolgt von Vielgetreuen, Die jubelnde Brust in Stahl gepreßt. Den Schild voll roter Leuen.

Schlag, Kaiser, mir die Sporen an.

Die goldnen Rittersporen, Dann reit' ich zurück in den schwäbischen Tann; Die Reichsstadt wäre verloren.

XIV. Dort ruhst du, goldne Stadt. Von deinen Türmen Hallt feiernd, dumpf, der Abendmette Schlag, Die Gassen doch füllt buhlendes Gelag. Zeit ist's zu stürmen. Es zecht der Rat. Die Jungfernkränzlein flattern Läßt keck manch Bürgerkind. Der Lebensrausch macht blind. Sie sehen nicht, wie nah den Gattern Der Tod Verderben spinnt. Süß ist der Wein und schwarz die Nacht. Wallauf Wälzt Schrecknis sich, das Südertor kracht auf; Fahrt hin bei Weib und Bechern, Schon schrillt das Sünderglöcklein blechern. Rennt an, rennt an, Sturmlauf zu Häuf, Hie Krämer, hie Rittersmann, Wir heben zu tanzen an. Ihr Reiter, greift die Trense, Der rote Gockel kräht, Ihr Schnitter, schleift die Sense, Viel Goldsaat wird gemäht. Die Torwacht liegt erstochen. Die Mauern sind gebrochen. Heut wird manch Muttersohn Auf grünem Feld begraben. Sie wollten's nicht besser haben.

Gebt nicht Pardon. Den Krämer lohnt, der Frauen schont. Die Gasse starrt, glutbebend; DaS Rathaus loht, schlagt tot, schlagt tot. Den Ratsherrn bringt mir lebend. Durch Rauch und Qualm, Stadt, die du stolz vor allen. Sprich deinen Sterbepsalm. Sankt Hans, Sankt Hans!

Im Schwerterglanz Lobe dich, Gott, meine Seele ganz. Die Kaufstadt ist gefallen.

XVI. Der Tag erwacht in starkem Schein, Das Schwert sprach zur Genüge, Tief durch die Fluren treibt der Rhein Die schwellenden Wogenzüge. Der frohe Werktag braust und lärmt. Der Pflug zieht glänzend, eilig. Und deutsches Segensgut erwärmt Den Herd, dem Arbeit heilig. Ein Lichtblick küßt nach schwerer Nacht Das Land, das frisch durchsonnte; Mein Leben, gleich ferner Gewitterpracht, Versinkt am Horizonte.

76 Ich streife das schwarze Lorbeerlaub

Dom Helm nach gewonnenem Kriege, Und presse mein jubelndes Herz in den Staub; Bald tagen ewige Siege. Ich selbst war eine kurze Kraft, Aus Gottes Hand gefallen. Ich habe von Prunk und Krämerschaft Gesäubert die Tempelhallen,

Ich habe Hoffart, hab' Verrat Gestraft mit Feuerruten; Nun hilf mir, Herr, zur letzten Tat, Laß mich als Büßer, als Soldat, Fürs deutsche Reich verbluten.

*



*

Jungfrau Maria, mein müdes Herz Jubelt nach dir im Panzererz.

Laß mein Glück, das ich verlor. Auferstehn im Rosenflor,

Lebensscherben heilst du ganz. Fügst darüber Liebesglanz. Kurz war mein Weg; nach GotteS Rat Eine rasche Schnittertat.

über die schwäbischen Hügel fern Zieht ein großer fallender Stern;

Nimm ihn sacht in deine Hand, Führe zur Heimat Hans Fahrinsland.

Sonnenuntergang. Em Romankapitel au« dem XII. Jahrhundert.

In den ersten Stunden des Tages war die Reichs­ stadt überfallen und nach kurzer Gegenwehr genommen

worden. Die aufgehende Sonne beschien keine sonder­ liche Verwüstung an Gebäuden und Eigentum, doch lagen die Ringmauern, der Stolz der Stadt, gebrochen, und in den Gossen floß Kaufherrenblut. Der Feind war rasch abgezogen, und die bestürzten Städter standen

ratlos, denn nur einer war es, mit dem sie in Fehde lebten. Diesen einen aber wähnten sie im Morgen­

lande, denn es war umS Jahr des Herrn 1190, und die gesamte Ritterschaft Deutschlands hatte daS Kreuz genommen und stritt gegen die Heiden. Am Tore, wo die letzten Häuser standen, verengte sich der Weg und führte zum Tal. Hohe Buchen um­ schlossen die Wiese mit dem rauschenden Bach; weiter hinauf, wo die Berge zusammentraten, wurden die Stämme dichter und dichter, zwischen mächtigen Schiefer­ blöcken wucherte Farnkraut und Belladonna, dann kam ein weiter, wilder Wald, endlich, von Felsen und schwarzen Tannen umsäumt, der See. Es war Herbst, ein kühler nebeliger Duft lag über der Gegend. Am Himmel zogen Kraniche, die übten sich zur Reise; aus dem Walde tönte zuweilen der scharfe Schrei des Hähers. Ein Rudel Edelwild stand am Wasser, in ihrer Mitte der Leithirsch. Plötz-

lich nahmen sie sich auf und zogen langsam über die Hügel dem Walde zu. DeS Weges kam ein Reiter auf hohem, schwarzem Pferde.

Er trug volle Rüstung, nur das Visier war

zurückgeschlagen. Daß er ein Ritter sei, konnte man an der Helmzier erkennen, in größerer Nahe auch an den kostbaren Gewaffen, an dem Wappen im Schilde, das von purpurner Fürstenkrone gedeckt war. Das Panzerhemd wies klaffende Risse, der Schild trug Spuren von manch hartem Stoß und Schlage, auch schien der Reiter ermattet zu sein, wie von schwerer Wunde, denn er saß lässig zu Roß, und sein Gesicht schaute unter der Sturmhaube ernst und blaß hervor. Unweit des Sees stand eine uralte Buche, die sturm­

trotzend ihre Wurzeln in den felsigen Grund gezwungen hatte. Es schien, als ob die mächtige Krone alles er­ stickt habe, was in ihrem Bereich; denn schwache, ver­ kümmerte Stämme allein gediehen in der Nähe des Waldriesen. Der aber kündete wieder, daß sein Dasein ein Kampf gewesen, und daß die Stürme der Jahr­ hunderte nicht spurlos über ihn hingebraust. Dichtes Moos bedeckte die geschützteren Stellen des Stammes, während die Windseite Risse zeigte, Knorren und tiefe Narben. Zwei Wunden trug der Baum vornehmlich sichtbar: eine frische, wenig über der Erde — vielleicht

hatte ein Wisent sein Horn daran gewetzt —, und eine alte, höher am Stamm, aber tödlich tief. Ein Frauen-

name war es, dessen Züge ein Schwert mit so furcht­ barer Gewalt eingetrieben haben mußte, daß die Zeit sie nicht hatte heilen, der Stamm nicht verwachsen

können. Dorthin lenkte der Reiter sein Pferd, sprang aus dem Sattel und begann ein seltsames Werk. Mit der Streitart fällte er die benachbarten geringeren Stämme, schleppte sie zu der Buche und häufte sie um den Baum, einen schmalen und langen Raum jedoch, in Art einer Gasse, freilassend. Das Pferd weidete indessen die späten Wiesenblumen ab. Die Fugen des Baus verschloß er mit Reisig und dürrem Grase. Als er damit zu Ende war, führte er das Pferd in die Gasse und drückte wie übermüdet das Haupt in die schwarze Mähne. So ver­ weilte er lange, plötzlich aber war es, als nähme er seine ganze Kraft zusammen — er zuckte auf und erschlug das Tier mit dem Schwerte. Dann entledigte er sich seiner Rüstung und warf sie nebst allen Waffen auf das tote Schwarzroß, nur den Dolch Misericordia behielt er am Gürtel, über das Ganze türmte er neue Stämme, ent­ zündete eine Fackel und warf sie in den ungeheuren Scheiterhaufen. Als die Flammen emporloderten, wandte er sich dem See zu, setzte sich auf einen Fels­ block und schaute hinaus über die regungslose Fläche. Auf sie fielen die Strahlen der Nachmittagssonne. Zuweilen schnellte ein Fisch den glitzernden Leib aus

dem Wasser, dann liefen noch lange nachher zitternde Kreise über die spiegelnde Fläche, bis sie wie ein Hauch

Einmal wollte ein verspäteter Sommer­ falter über den See, allein er war wohl zu müde, denn er flatterte langsam dahin und kam dem Wasserspiegel immer näher, bis er verschwand. Es lag tiefes Schweigen über allem, denn die Luft war still, und die Flammen des brennenden Baumes stiegen hochrot und lautlos zum Geäste, kaum daß mit leisem Knistern das feuchte Laub erstarb, wenn die Lohe bis in die Krone schlug. Der Rauch kam auch nicht empor, sondern ruhte auf dem Walde, als sei der in feinen Nebel gehüllt. Durch die Wipfel der Bäume lief ein Rauschen, die verrannen.

Vögel zirpten süß und leise, als ob es Frühling wäre.

— Aus dem Dunkel des Waldes trat eine weiße Ge­ stalt und schritt langsam dem See zu. Sie warf einen kurzen Blick auf den brennenden Baum, dann stand sic plötzlich vor dem Fremden und sah ihn mit dunklen Kinderaugen an. Der hob das blasse alte Gesicht, und als er die schöne Gestalt sah, wurde eö jung und sonnig. „Bist du ein Engel?" fragte er. „Nein," versetzte sie ernsthaft — „ich bin ein schlichtes Fräulein, des Burgherrn von Schwarzachs Tochter, warum fragst du also?" „Weil du schön bist," sagte der Fremde einfach, „und

weil du mir kurz vor dem Tode erscheinst." „Vor deinem Tode?" Sie legte die Stirn in ihre Hand. „Du willst sterben? Warum? Die Welt ist so wunderschön, und du willst sterben? Seltsam! Du bist ja noch jung, nur krank

wohl, sehr krank ... Komm mit auf Vaters Burg;

wir sind nicht reich, aber wir wollen dich herzlich pflegen, und du wirst gewiß wieder genesen. O bitte. Fremder, willst du? Du machst uns Freude, wenn du

es tust!" In seine starren Augen kam ein Schimmer. „Du bist doch ein Engel," sagte er, „allein du kannst mir nicht helfen. Wohl ist die Erde wunderschön und das

Leben reich und groß, allein in mir ist etwas gestorben, und ich kann nicht mehr einstimmen in das hohe Lied der Natur, nicht mehr mitklingen in der ewigen Har­ monie des Weltalls. Geh du zurück ins schöne Leben und werde glücklich, wie du es verdienst, mich aber laß vollenden und sei nicht gut zu mir, denn ich sehne mich zu schlafen, tief und traumlos." Sie stand unbeweglich. „So hast du keine Heimat auf Erden und kein Vaterland? Keinen Freund, keine Seele, die dich liebt?" Er deutete schweigend auf den Baum, den ein Flam­ menmeer umwogte. „Dort geht alles zu Ende," sprach er mit tiefer Stimme,

„was mein war. Es soll verwehen wie Rauch und kein Gedenken haben. Leb wohl!" Sie hob plötzlich das Haupt. „Jetzt kenne ich dich," sagte sie, „du bist Herzog Eudos Sohn, und einst..." Eine jähe Röte schoß über die Züge des Mannes. „Der Name gehört einem Toten. Laß ihn vergessen sein und gönne ihm den ewigen Frieden." Dchoenaich-Carolath, Auswahl.

6

„Ich hörte viel von Euch, Herr", sagte sie schüchtern. „Fahrende Leute aus Burgund kamen auf Vaters Schloß, und alle sangen von Eurer Liebe zu des Kaufherrn schönem Kinde. Eine Weise war holdselig vor allen, sie besagte, ein Adler habe einst eine Nachtigall geliebt..." „Die sein gespottet" — unterbrach der Ritter ernst. „Und weiter meldet das Lied, daß der Adler hinaus­ geflogen ist in die Welt, um Vergessen zu lernen. Das hat er aber nicht vermocht, sondern ist früh zurück­ gekehrt, um über dem Haine der Nachtigall ungesehen zu kreisen, ungesehen über ihrem Neste zu wachen. Des Liedes Sinn bedeutet, daß nichts auf Erden heiliger ist und größer als Treue, Treue bis zum Tode." Das Mädchen strich wie verwirrt das Haar aus der Stirn. „So endet das Lied", fuhr er fort. „WaS es aber nicht kündet, ist das: Es kam ein Tag, da hatten die Krämer meine Nachtigall geblendet und auf ihr totes, kleines Herz einen schweren Stein gelegt mit einem frommen Sprüchlein darauf... Da aber schoß der Adler von seiner Höhe herab, lautlos wie ein Blitz, zu würgen alle, die ihr ein Leids getan. Er badete seine Fänge in Kaufherrenblut und ging vernichtend über die Spur, die seine Liebe auf Erden gelassen — dann aber breitete er die dunklen Schwingen, hob sich auf von der Erde und flog hinaus in die Nacht, in die sternenleuchtende Nacht, dem großen Erwachen ent­

gegen."

Sie hatte atemlos zugehört, ein Sturm ging durch ihre Brust. „Und wenn", sagte sie mit bebenden Lippen, „Gott nun ein Wunder tun wollte, um dich zu retten, und zu dir spräche: Hier ist ein junges gläubiges Herz, das dich

geliebt hat aus deinen Liedern, das dich umfassen will mit seiner ganzen Kraft, mit allem, was gut und groß in ihm ist... das soll dein eigen sein und soll dich lieben aus seiner tiefsten Tiefe, ohn' Wanken und ohn' Ende, in alle Ewigkeit... würdest du dann noch ein­ mal glauben, noch einmal, zum letztenmal, lieben können?" Er schaute hinaus auf den See, in dem die Sonne versank. Ihre letzten Strahlen lagen gluttot auf den dunklen Bäumen. „Nein", sagte er sehr fest. „Es ist mit einer großen Liebe wie mit der Abendsonne — ehe sie untergeht, ist sie schöner als je und herrlicher als jedes Himmels­

licht." „Ich will beten gehen," sagte das Mädchen tonlos, „für Euch und auch ... für mich." Sie wandte sich ab und wankte dem Walde zu, ohne einmal zurückzuschauen. Es wurde ganz dunkel, und ein Sturm erhob sich; da riß der Fremde die Misericordia aus der Scheide und schritt zur Buche, auf das Flammen­ meer zu. In die Stimme der Vernichtung, in daS Grollen des Sturmes hinein rief er laut das Totengebet. Dann verschwand er in der roten Lohe. —

Die Kiesgrube. Es war ein Tag zwischen Loire und Jura. Fern hinter welligen Hügelketten schob sich daS neugebildete franzö­ sische Korps in Stellung, dessen Flanke deckten zwei Halb­ brigaden, hier auf Vorposten lagerte, in leicht ansteigen­ dem Gelände, ein Bataillon. Die Sonne schien warm auf die nassen, räderdurch­ furchten Felder, in den Hohlwegen sackte sich zusammen­ schmelzender Schnee mit braunen, krustigen Rändern. Drunten, am Kreuzpunkt der Straßen, lag ein Wirts­ haus, dahinter, in seichter Talmulde, das Dorf. Vor der Kirche hatte man die Nußbäume gefällt, so daß sie als

Verhau den Dorfeingang sperrten. Sonst bot das Gelände ein Bild des Friedens, nichts schien auf nahe Kriegsgefahr zu deuten, es gingen sogar Gerüchte, daß die Deutschen irgendwo, zwischen Belfort und der Lisaine, eine Niederlage erlitten hätten. Vom Feinde sei nichts zu befürchten, und Ruhetage ständen in

Aussicht. Des freuten sich die Leute des dritten Bataillons, denn die meisten waren kriegsmüde, und ihre vernachlässigten Monturen, ihre lärmende, schlechte Haltung zeugten reich­ lich davon, daß der Feldzug bisher für sie aufreibend, un­ heilvoll gewesen war. Oben am Feldsaum lag eine Kiesgrube, die Abfallstätte des Dorfes. Dort scharten sich Mannschaften, Mobil­ garden und Liniensoldaten im Durcheinander. Seitwärts,

noch eben zwischen den zertrümmerten Rädern hängend, stand ein gestrandeter verlassener Marketenderkarren. Den hatten die Soldaten erbrochen und beraubt; weitumher lagen Sardinenbüchsen, Kistendeckel, fettige Papierreste. Ein halbgefülltes Fäßchen erfreute sich des regsten Zu­ spruchs, doch hatten sich des Schatzes ein paar energisch aussehende Kerle bemächtigt, die eine Art Schenkpolizei ausübten. Jetzt war ein beliebtes, volkstümliches Spiel im Gange; mit verbundenen Augen kniete einer und gab seine Kehr­ seite preis, auf diese schlugen einzeln, in Reihenfolge die Kameraden, natürlich in derber Weise. Der Blinde hatte zu raten, von wem der Schlag gekommen: nannte er den Täter, so mußte der die Stelle des Geschlagenen ein­ nehmen. Jetzt fiel ein Hieb von besonderer, klatschender Wucht;

der Getroffene sprang empor und rieb wutschnaubend seine krapproten Hosen. DaS war Betrug, schrie er, in­ dessen die andern vor Wonne brüllten, ihr habt nicht mit der Hand gehauen, sondern mit einem Riemen! Ja, mit deinem Leibriemen, du verdammter Hund, fügte er hinzu, einem hageren, grinsenden Infanteristen sofort an die Kehle springend. Andere suchten wegzureißen, zu vermitteln; im Um­ sehen entstand eine erbitterte Prügelei. Hundert Schritte davon schlenderte, im Kapuzmäntelchen und rotem goldverschnürten Käppi, ein Leutnant. Als er den Lärm vernahm, zog er eine Landkarte aus der

Tasche und begab sich, eifriges Terrainstudium vor­ schützend, aus der Nähe der Streitenden. Auf einmal erhob sich unfern des gestürzten Marke­ tenderkarrens hinter einem Schutthaufen ein schmutz­ bedecktes Tier. Es war ein großes, abgezehrtes Pferd, das infolge seiner schrecklichen Magerkeit noch größer als gewöhnlich erschien. Unter dem schäbigen Fell zeichneten sich die Rippen wie Tonnenreifen, am Vorderbein trug es eine große unförmige Geschwulst, die von Schlägen oder von vernarbendem Knochenschuß herrührte. Jutunlich und wohl halb verhungert schleppte es sich bis zu den Stteitenden und begann die zerbrochenen Kisten nach etwas Stroh zu durchsuchen. Die Erscheinung war eine derart unvermutete, kläglich komische, daß sich der Jank legte und ein allgemeines Ge­ lächter entstand. Die schlechtesten Witze wurden laut.

Der sieht ja aus, hieß es, als ob Mittfasten und Kar­ freitag zusammenfielen. Das ist des Teufels Rosinante, schrie ein anderer, die schickt unS Satan zum Spazierenreiten. „Paßt mal auf", sprach ein kleiner, stämmiger Kerl, in­

dem er den Leibgurt lockerte und die Mütze in den Nacken

schob. Er nahm einen Anlauf und sprang von hinten auf das Tier, das gesenkten Kopfes dastand. „Hü, Alter!" rief er, indem er die mageren Weichen mit den Hacken be­ arbeitete. „Linksgalopp, marsch!" Das alte Geschöpf, seines Jeichens offenbar ein aus-

gedientes Militärpferd, verstand zum Jubel der An­ wesenden die Aufforderung und versuchte willig, trotz

seines geschwollenen Beines, ein paar humpelnde Galopp­

schritte zu tun. „Wir wollen mitreiten," riefen einige, als das Ge­ lächter sich gelegt hatte, „auf dem Kamel baden wir alle Platz." „Wartet mal," sprach einer, „wir wollen Faschings­ umzug halten." Er holte aus dem Marketenderkarren eine schmutzige Frauenhaube mit flatternden Bändern und stülpte sie über die trübseligen, baumelnden Pferdeohren. Unter­ dessen hatten drei, vier andere den Rücken des Pferdes

erklettert. „Brrr, Alter — hü, nun vorwärts!" Aber das kranke Tier bewegte sich nicht, nur seine Beine zitterten unter der Last. DaS Stillstehen erregte Hohnrufe und Iorn. „Spaßverderber, willst du oder willst du nicht?" Hiebe begannen zu hageln. Das Pferd tat eine letzte Anstrengung und stand aber­ mals still. Nun sprangen etliche erbittert hinzu, Fußtritte polterten zwischen die hageren Weichen. „Laßt doch das Tier in Frieden", bat ein kleiner Rekrut, der die Quälerei nicht mehr ansehen mochte. „Was ist gefällig, Monsieur Schnetz, Monsieur Pierre Schnetz", höhnte ein langer Moblot. „Sollten Sie viel­ leicht in Ihrer Heimat zu den Ehrenmitgliedern des Tier­ schutzvereins zählen, hochgeehrter Monsieur Schnetz?"

Und alle wiederholten imChor: „MonsieurSchneeeets"— Dem kleinen gehänselten Elsässer war vor Erregung das Weinen nahe. „Man quält doch Geschöpfe nicht ohne Grund zu Tode, das da hat sein Lebtag schwer gearbeitet — und dann hat das alte Tier ja doch auch schließlich ein­

mal eine Mutter gehabt —" Der einfaltsvolle Einwand weckte eine brüllende Lach­ salve. „Sollte man nicht meinen," rief der hagere Moblot, „daß ihr elsässisches Bauernpack mit euren Haustieren aus einem Troge freßt? Wenn du nicht mitmachen willst, so scher dich zum Teufel, dummer Rekrut. Geh in den Stall und trink Brüderschaft mit den Ochsen. Ihr andern vor­ wärts — hü, Schindmähre!" Aber die Mähre war nicht vom Fleck zu bringen. „Holt einen Knüppel und schlagt vor die Schienbeine", riet einer, der früher Sandfuhrmann gewesen war. Gesagt, getan, doch die Kreatur rührte sich nicht; aus dem schmierigen Fell brach dicker Schweiß, die Augen wurden gläsern, trübe. „Was geht hier vor sich?" rief eine zornheisere Stimme. „Seid ihr französische Soldaten oder feiges Marodeur­ gesindel?" Bor den Überraschten stand ein ältlicher, untersetzter Herr in bürgerlicher Kleidung. Ihm folgte, säbellos, das Reitstöckchen im Stiefel tragend, ein Verwaltungsoffizier. Man merkte es ihm an, daß er trotz seiner Epauletten sich nur ungern in die Nähe der Soldaten gewagt hatte.

Das Erstaunen der anfangs überraschten legte sich gar

bald; den Offizier beachteten sie nicht, um so mehr wid­ meten sie dem alten Herrn ihren Spott. „Was verschafft uns die Ehre Ihres Besuchs?" rief einer, sich breitspurig auf seinen Knüttel stützend. „Guten Tag, Herr Bürgermeister", sprach ein anderer mit tiefer Verbeugung. „Sie wollen uns wohl wegen Störung der Sonntagsruhe belangen, und der Mehlsack dort hinter Ihnen soll das Protokoll aufnehmen, he?" „Sie tragen Offiziersabzeichen", herrschte der alte Herr seinem Begleiter zu, „und wissen nicht, sich Respekt zu ver­ schaffen? Mein Gepäck blieb zurück, und ich habe Aivilkleider am Leibe, sagen also wenigstens Sie der Bande, woher wir kommen, und daß —" „Wäre gegenüber dieser Stimmung der Leute und in diesem Augenblick völlig unnütz", entgegnete der andere achselzuckend, leise. Dann, als er bemerkte, daß immer mehr Soldaten sich scharten und die Kiesgrube füllten, ließ er seine Stimme anschwellen. „Das sind übrigens brave Troupiers und gute Kameraden", rief er im Brustton väterlichen Wohl­ wollens. „Nur manchmal etwas ausgelassen, im ganzen aber wirklich brave, gute Kinder. Sie wissen und fühlen eS, der Stolz und die Hoffnung Frankreichs ruhen auf ihnen —" Ein johlendes Gelächter lohnte die Redewendung. „Wir verbitten uns dein Lob, du Speckmade. Halte den Mund und spare deine Mühe. Was habt ihr übrigens hier

zu suchen? Macht, daß ihr fortkommt und haltet uns nicht auf. Gleich geht der Schnellzug weiter. Einsteigen, meine

Herrschaften, einsteigen." Der lange schwarze Kerl hatte den Ruf getan, indem er sich gleichzeitig wieder dem ermatteten, keuchenden Pferde näherte. Doch auch der alte Herr trat dichter heran. „Wer die Hand noch einmal gegen dieses Geschöpf hebt," rief er, dem Moblot fest ins Gesicht sehend, „ist kein Soldat mehr, sondern ein Schuft und ein Feigling."

„Feigling du selbst", schrie der Hagere haßerfüllt. „Und weil dir an dem Tier gar so viel zu liegen scheint, so sollt ihr beide eure Bescherung kriegen. Da —" Er hatte rasch eine Zaunlatte erhoben, sprang auf das Tier zu und schlug es mit voller Wut zweimal über den Kopf. Es warf den Hals matt in die Höhe und blieb noch auf­ recht stehen, auf zitternden Knien. Ein Auge lief ihm, ausgeschlagen, langsam über den hängenden Kopf; es

starb noch immer nicht. Der alte Herr hatte sich aufgereckt, die Adern schwollen ihm in den Schläfen, in seiner Hand lag plötzlich ein schwerer Armeerevolver. Erst schien es, als wolle er dem

Schurken, der den Schlag getan, einen Schuß ins Gesicht brennen, dann aber wandte er sich zu dem alten Pferde, streichelte es und jagte ihm kurzweg die Kugel durchs Gehirn. Es fiel zusammen und streckte sich. Jetzt waren es die Schreier, die mit offenen Mäulern dastanden. Etliche drückten sich und rissen ehrenhalber ein

paar erzwungene Witze; die schlimmsten jedoch, die für den enttäuschten, wutfahlen Mobilgardisten Partei gegenommen, rafften Zaunlatten auf und wollten dem Fremden zu Leibe. Da erschien, von den Offizieren abgesandt, ein alter, mit

Denkmünzen bereihter Sergeant, ein Auvergnate. Unter gräßlichen Flüchen trieb er seine Leute auseinander. Dann die Backen aufblasend, maß er den Angekommenen. „Verhaftet, folgen Sie mir zum Kommandanten!" sprach er barsch. Aus den Straßengräben hinter den Scheuntoren reckten Mannschaften die Hälse empor, betrachteten neugierig den Vorgang. Sie bildeten Reihe, die Hände in den Kapotttaschen, die Zigarette im schlaffen Mundwinkel. Etliche Spaßvögel tauschten in langgezogenen Diskanttönen ihre Bemerkungen. Plötzlich steckte einer die Finger in den Mund und tat einen gellenden Pfiff. Die Andeutung ward sofort be­ griffen. Achtung, ein Spion! Ein verkleideter Preuße! Ja, wenn wir stets verraten werden, was hilft dann aller Mut? Armes Frankreich! Durch die dunkelnden Dorfgassen wälzte sich, fort­ wachsend, der häßliche Ruf: „Spion! Spion!" Der kleine Gefangenentransport erreichte den Gasthof, über dem Treppengang machte der Sergeant Halt und klopfte mehrfach. Nach kurzem Harren öffnete sich die Tür; eine dralle Schenkmagd, ein paar Teller nebst ge­ leerten Flaschen tragend, floh kichernd aus dem Zimmer.

Drinnen stand, vor einem halb abgedeckten Tisch und einer von vergossenem Rotwein fleckigen Feldkarte, der Kommandant. Er schnob den Unteroffizier an, bedeutete ihn, sich nebst seinem Begleiter davonzuscheren; der alte Herr jedoch drängte den Sergeanten gegen die Tür, zog eine Brief­ tasche und erzwang sich, mit dem Fuß aufstampfend. Ge­ hör: „Bisher Kommandant der Marineinfanterie zu Brest. Durch Befehl des Diktators einberufen und mit folgendem Kommando betraut —" Ein Knittern von Papieren, das Umstürzen eines heftig zurückgeschobenen Stuhles, dann aufsteigende, kurze Aus­ einandersetzung, beherrscht durch eine zornige, scharf klingende Stimme, die jede Entgegnung zurückwies. Unten rasselten und hielten ein paar Gepäckwagen. Begleitung energisch zurückweisend, verließ der alte Herr das Gasthaus, nahm aus der Hand eines Trainsoldaten blaulibellierte Papiere, las sie beim Schein aufflammen­ der Streichhölzer und bestieg eines der Gefährte. Dann verschwand der kleine Aug eilig, auf holperigen Wegen, mit schwankenden Laternen, in der Nacht. Droben, gestiefelt über dem Bett liegend, schlief der Kommandant einen wüsten Schlaf. Bei den Feldwachen herrschte Getöse, Flammenstöße lohten winddurchfacht. Auf dem brandroten Hintergrund hoben sich die Umrisse tanzender, mimender Soldaten. Die Kiesgrube war verlassen, in ihr lag die riesenhafte, beulenbedeckte Gestalt des verendeten Pferdes. Wohlig,

wie glücklich, endlich rasten zu dürfen, streckte es die un­ förmlichen geschwollenen Beine. Der Mond war auf­ gegangen, bestrahlte die Ackerschollen, streifte jede Kuppe. Er kroch endlich langsam über das tote Tier und weckte in dessen glasigem Augenwinkel ein grünes, tückisches Leuchten.

*

*

*

Der Morgen dämmerte bleifarbig; der Schrei ver­ sprengter Hähne scholl von den Gehöften. Plötzlich ent­ stand links in den Feldern ein flackerndes, jäh abreißendes Gewehrfeuer. Daß dort etwas nicht in Ordnung, könnte ein Laie wissen. Doch die Schläfer im Dorf denken nicht an Gefahr; der Feind ist noch weit, wir haben Ruhetag. Sie recken sich, schimpfen über falschen Alarm. Doch schon ist das Dorf voller Feinde. Ulanen preschen durch die Hauptgasse, stechen und schlagen auf alle ein, die

halbbekleidet aus den Quartieren stürzen. Dann ver­ schwinden sie spurlos wie toller Spuk, nur am Dorfsaum, in den Häusern, hat sich eine starke Abteilung eingenistet und knattert aus trefflicher Deckung ihre zähe Morgenreveille. Zum Straßenkampf ist's nicht Zeit, die über­ fallenen Kompagnien hasten und fluten dem entgegen­ gesetzten Ausgang des Dorfes zu. „Sammeln!" tönt das Kommando. „Hinein in die Kiesgrube! Sammeln!" In die Kiesgrube drängt sich die Menge, doch drinnen sieht es nicht schön aus. Zwischen den Überresten der

gestrigen Feier, zwischen Sardinenbüchsen und Flaschen­ scherben liegt das lote Pferd. Es erscheint, steifknochig hingestreckt, manchem noch riesiger, als es bei Lebzeiten gewesen. Auf seine erstarrten Lefzen, aus denen die langen Zähne hervortreten, hat der Tod einen halb fürchterlichen, halb befriedigten Zug geprägt, als wolle es sagen: „Seht her, ihr andern. Mein Teil an Lebens­ not habe ich überstanden. Ihr aber wißt nicht, was noch kommen kann. Ich habe Ruhe und bin gut daran. Besser vielleicht als ihr." Ist es die frühe Morgenstunde, ist es die Nähe des Feindes — manchen befällt würgendes Unbehagen. Fern im Vorlande werden kurze graue Linien sichtbar, die sich schußlos heranschieben, auftauchend und ver­ sinkend. „Die Kiesgrube halten!" schreien die Offiziere. Aus der Mulde fluten Schützenschwärme und hüllen sich sofort in ein heftiges, weitstreichendes Chassepotfeuer. Gegenüber, auf morgenhellem Hügelzug bewegen sich kleine dunkle Häuflein, durch Zwischenräume getrennt. Von denen steigt plötzlich eine Trichterwolke auf. Herüber, doch hoch über die Stellung, viel zu hoch, kommt eine Granate. Im Waldsaum zwischen den schwarzen Fichten­ zweigen verstirbt sie mit Prasselschlag, in kupferfarbiger

Lohe. „Schlechtes Zeichen", urteilt der alte Sergeant, der neben seiner Flügelrotte liegt. „Die drüben sind uns näher am Leibe, als sie's wissen."

„Teufel, die saß!" Ein Kompagniechef, der abends vorher vergnügt dem Spionenfange zugesehen, fliegt vom Eisenschimmel,

bleibt als hingespritzter Farbenfleck zwischen den Lehm­ schollen liegen. Aus der Schützenkette zurück rennt einer der ärgsten Schreier von gestern; er rennt wie irrsinnig,

die zerschmetterte, baumelnde Kinnlade mit den Händen stützend. Zwei andere Granaten folgen in sekundenscharfem Intervall; beide sind bösartige Treffer. Ein Halbzug taumelt, durch Luftdruck und Splitterschlag zersprengt, durcheinander; aufgestörte Schützenschwärme weichen ttichterförmig nach rückwärts. Die feindliche Batterie, von Gegenfeuer unbelästigt, nutzt ihren Vorteil aus. Jetzt feuert sie Schrapnells; hoch am Himmel, Gewitterwölk­ chen gleichend, platzen die Geschosse, senden den Bleihagel

schräg niederwärts, das Gelände scherend, Deckungen durchschlagend, Bäume schrammend. Immer rascher hüllen sich die deutschen Geschütze in Dampf, immer regelmäßiger, mit unheimlicher Sicher­ heit, kommen die Treffer herüber. Das fällt den Ver­ teidigern auf die Nerven. Iu dumm, vor einer Batterie zu liegen, die sich eingegabelt hat, wie auf dem Übungs­ feld! Hastig, viel zu voreilig wird die Kiesgrube geräumt. Im toten Winkel, hinter schußsicherem Höhenzug, sammelt

sich das Bataillon. — Es kam in rasch hergestellten Truppenverband, die Auf­ nahmebrigade ordnete sich zum Vormarsch.

Ihre Front entlang ritt der Stab. Adjutanten, ein Signalflaggenträger, von Dragonern umgeben. Allen voran ein kleiner untersetzter Herr in goldstrotzendem Käppi. Als er vor das dritte Bataillon kommt, grüßt er nicht, sondern zügelt sein Pferd. „Gibt's unter euch einen an­ ständigen Burschen, der Pierre Schnatz heißt?" Die Führer riefen die Frage weiter, der Name lief rückwärts durch die Kompagnien.

Aus der Front hastete, hochbepackt, ein kleiner Rekrut; er wußte nicht, ob er belobigt oder ob er vor ein Kriegs­ gericht gestellt werden sollte. Mit angefaßtem Gewehr, im Innersten erzitternd, blieb er vor dem Befehlshaber stehen. Der musterte ihn kurz, freundlich. „Hast du Eltern? Ja. Nun wohl. Du meldest dich beim Furier und fährst sofort mit den Brigadeakten nach Lyon. Wenn du dann später — vielleicht bald — nach Hause kommst, so bleib ein braver Mensch und grüße die Alten

von deinem General." Er trieb sein Pferd senkrecht auf das Bataillon zu, wendete dann, und ritt langsam, dicht vor den Gliedern, die Front ab. Er tat es wortlos, doch während er vorbei­ ritt, wurde er von den Meuterern erkannt; manchem be­ gannen die Knie zu schlottern, manche Hand löste sich schlaff vom Gewehrkolben. Als er vorbei war, ging ein Wispern durch die Reihen. Viele wandten sich mit Gesichtern, die käsebleich geworden

waren, dem Nebenmann zu.

Doch schon hielt der Stab seitwärts auf einem Hügel. Der General hob nicht einmal das Fernglas, ein einziger Blick zeigte ihm die drohende Gefahr. Da war ein schwerer Flankenstoß im Werke, ja noch Schlimmeres. Südöstlich, meilenfern, ballten sich kleine Traubenwölkchen, in der klaren Luft verfliegend. Kein Zweifel, dem aufmar­ schierenden, zusammengeschobenen Armeekorps drohte Umfassung; auch am rechten Flügel hatte der Feind an­

gepackt. Doch das war nicht eigene Sache, dort mochten andere sorgen; hier hieß es einsetzen, rücksichtslos. Schon wand sich links, durch Terrainwellen, eine zweite deutsche Batterie, auftauchend und verschwindend wie der Rücken einer kurzgegliederten Schlange. Schräg vom Dorfsaum her fegte der Dampf feindlichen Gewehrfeuers. Im Vor­ gelände sprangen Schützenschwärme heran, sich gefährlich verstärkend. „Die Kiesgrube halten," entschied der General; „hier müssen wir stehen oder fallen." Er atmete auf. Hinter ihm, endlich, kam hilfbereite Artillerie, die Geschütze im Sturzacker schlenkernd und schleudernd, die Pferde in den Sielen keuchend. Zwei bange Minuten, dann brach Schnellfeuer los, aufwütend, den deutschen Angriff niederzwingend, die gefährliche Lücke für kurze Zeit schließend. Und doch zu spät — wahrscheinlich zu spät. Den Rand des Bruches umklammem, im Steinschutt liegend, die ersten dünnen Schwärme der feindlichen Schützen; die ringen nach Atem, keuchend hingestreckt, sich duckend unter Schoenatch-Carolath, Auswahl.

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der Wucht des nahen, rasenden Geschützfeuers, dabei doch kaltäugig nach Schußfeld für die Klappenvisiere spähend. Hinter ihnen, wie aus der Erde gewachsen, aufgelöste Kompagnien, unter Hurra mit dem Bajonett anlaufend. „Die Kiesgrube!" schreit der General mit wetterleuch­ tenden, Unglück ahnenden Augen. „Die Kiesgrube wieder nehmen, sonst geht, Gott schütze uns, das Gefecht ver­

loren." „Sie Kiesgrube? Herr General," gibt der Adjutant barsch zurück, „dort holt uns alle der Teufel. Das wird

ein Massengrab —" Ein Höfling war der brave Offizier niemals gewesen. Jetzt scheidet er, durch den Kopf geschossen, mit tiefer, spitzer Hofmarschallverbeugung vom Pferde. Wie der General sich betroffen umsieht, gewahrt er leere Sättel und angeschossene, wild bockende Gäule. „Ja so! Iündn rdelfeuer auf vierhundert Meter? Dann frei­ lich —" Er wendet sich und reitet, um seinen Befehl selbsteigen zurückzutragen. Das dritte Bataillon, soviel weiß er, hat den Schlüssel der Stellung, die Kiesgrube, preisgegeben. Daß dieses, gerade dieses Bataillon die Kiesgrube wieder­ nehmen soll, ist nicht mehr als billig, ist ihm unumstöß­ licher Entschluß. Freilich glaubt er nicht mehr an ein Ge­ lingen. Gleichviel; wie er über den Sturzacker galoppiert und wie sein Säbel in der Scheide schüttelt, gefällt er sich in dem Vorgefühl naher Vergeltung. Er weiß, daß jenes viehisch hingemarterte Pferd von gestern bald Gesellschaft

bekommen, daß es zugedeckt werden wird mit den Leibern seiner Peiniger. Dieses steht zweifellos fest. Im übrigen ist eS, da Blut doch einmal fließen muß, durchaus logisch, daß die Ungerechten zuerst an die Reihe kommen, früher als viele Gerechte, viele arme Teufel dort hinten. Aber wie? Denkt der General daran, das Tier rächen zu wollen durch Menschenblut? Im Grunde, nein. Dennoch erfüllt es ihn mit Ge­ nugtuung, daß der Zufall zum Strafgericht gleichsam

drängt. Die Freveltat erscheint ihm als schwerwiegend und bedeutungsvoll. Nicht als Einzelausbruch, als An­ stifterin zu schlimmeren Folgetaten, sondern als Offen­ barung des schlechten, ehrlosen Geistes, der von jener

Truppe Besitz ergriffen hatte. Bekümmert, doch mit geschärften Blicken sieht er, der

warme Patriot, neben den glänzenden, bewunderungs­ würdigen Eigenschaften seines Volkes auch dessen Erb­ fehler, die Ruhmsucht, die Grausamkeit, den Mangel an Selbstzucht, den spöttelnden, nicht umzubringenden Läster­ trieb, in jenen Schuldigen verkörpert. Er sieht alle schäd­ lichen Stoffe, alle verderblichen Keime, das dürre, sieche Dekadententum in jenem zuchtlosen Haufen dort drüben greifbar versammelt. Jene Beule auszudrücken, die Menschheit vor der Fortzeugungskraft solchen Abschaums zu bewahren, würde eine nützliche, einwandsfreie Tat sein. Früher pflegte man Meuterer zu dezimieren; dieses Verfahren werden die Preußen entbehrlich machen, übrigens dezimieren? Gutenacht! Aus der Kiesgrube, 7*

dem Höllenschlund, kehrt keiner lebendig wieder. Wie sagte doch der erschossene Offizier soeben? „Ein Massen­ grab!" Der General hat einen kurzen Weg zu durchmessen. Während sein Pferd die Ackerfurchen überquert, fesselt ihn

eine Wolkenbildung seltsamer Art, die man zuweilen bei Gewittern, bei Schiffbrüchen und Feldschlachten wahr­ nimmt. über den willenlosen Scharen, die ein Herrscher­ wort in den Krieg, ein Befehlsruf in den Tod sendet, ballt sich ein sturnwoller Himmel mit finsteren Wolken­ säumen. AuS denen zuckt erdenwärts, gleich einem Henkerschwert, ein breiter, fast gleißender Strahl. Es ist die apokalyptische Verbildlichung des Gesetzes, daß ohne

Blutvergießen es keine Vergebung der Lebensschuld, ohne Brandopfer keine Versöhnung, keine Wiedergeburt gibt.

Doch jener Strahl ändert sich plötzlich, wird glänzender, breiter. Aus nachtverschleiertem Grunde, auf hohem Stamm hebt sich ein Kreuz, wächst heran über die Wolken­ schatten, streckt seine bleichen, leuchtenden Arme weit über Himmel und Erde. Dereinst, du heiliges Zeichen, kommt dein SiegeStag. Es wird die Menschheit, irre geworden an ihren Götzen und an sich selbst, nach Versöhnung schreien. ES werden die Völker erkennen, daß nur ein friedlicher Wettkampf in Arbeit und Nächstenliebe ihrer würdig ist, daß eS nur einen berechtigten, gottgewollten Krieg gibt: den Krieg gegen Selbstsucht und Sünde.

Via crucis — via lucis!

Noch leuchtet, verheißend, kein Regenbogen; am Himmel ziehen wetterschwangere Schneewolken, darüber gleißt die stechende südfranzösische Wintersonne. Jetzt ist der Befehlshaber zur Stelle gekommen; einem meldenden Truppenführer nimmt er das Wort vom Munde, zeigt auf das dritte Bataillon. „Wir greifen an, Herr Oberst; Ihr Regiment folgt als Reserve. Jetzt an

den Feind mit denen da! Und sollten die Herren nach rückwärts durchgehen, so lassen Sie feuern — doch nicht zuerst auf die Preußen!" Er zieht den Säbel und setzt sein Pferd in kurzen Trab. ,Aas dritte Bataillon en avant! Aum Sturm auf die

Kiesgrube!"

Des Bettlers Weihnachtsgabe. An dem Strome, der schwarze, Treibeis führende Wassermassen durch die Winternacht wälzte, hoben sich

ragende Mauern, düstere Speicher, finstere Mühlenweh' e;

hinter diesen lag, in einen trüb rötlichen Dunstkreis ge­ hüllt, die Großstadt.

Flackernde, windgequälte Gas­

flammen überquerten in Reihen den Strom, scharf ge­ dehnte Umrisse mächtiger Brücken bezeichnend, vor deren

Schutzpfeilern die Schollenmassen sich knirschend auf­ stauten.

Um die Ecken der Straßen flogen kalte, mit

Schneeflocken vermischte Regenschauer, über die triefen­

den Dächer schnob in gewaltigen Stößen der Wasserwind. Er wirrte das tiefe Geläut der schwingenden Weihnachts­ glocken und führte in brausender Flucht die flatternden,

vielstimmigen Akkorde hinaus in die schwarze Christnacht.

Hinter den hellen Fensterscheiben strahlte Silberlicht

von großen und kleinen Bäumen, durch alle Häuser be­

gann der Weihnachtsengel zu wandern. Im Palaste des Börsenfürsten hellte elektrisches Licht den Bescherungs­ saal, auf damastschimmernder Tafel lag breit, wie durch­

tränkt von der weißen Glut seiner lichtsprühenden, ei­ förmigen Funkelsteine, ein schwerer Brillantschmuck. Er

erschien vortrefflich geeignet zur Belastung eines behäbigen,

reifen Frauenhalses. Daneben befanden sich Teller mit ge­ schlossenen Briefkuverten, diese enhielten Sichtwechsel zu

hohem Betrage und waren für die Söhne des Hauses be­

stimmt. Auf solche Art blieb das lästige Forschen nach passen-

den, dem Verlangen des einzelnen entsprechenden Fest­ geschenken erspart, dafür stand einem jedem es frei, seine jeweiligenWünsche auf eigeneHand zu befriedigen. Es war dieses eine vorzügliche, wirklich praktische Bescherungs­ methode, zumal sie nicht viel Zeit in Anspruch nahm und dem Familienoberhaupte Gelegenheit bot, sich zeitig in seine Gemächer oder seinen Klub zurückziehen zu können. Weiter drüben, am Markte, lag die Front eines Patri­ zierhauses in breitem Lampenschimmer; der Türsteh-r, mit dichtem, vermummendem Mantel angetan, hatte die Torflügel, anfahrender Wagen harrend, geöffnet. Oben durchzuckte Kaminglut ein weites, durch Aufstellung kleiner Tische zum Spielzimmer eingerichtetes Gemach. Der Hausherr, wehrhaft von Gestalt, mit breiten Zügen, die ein kurzer, eisgrauer Bart umschloß, erhob sich vom Stuhle, indessen sein Gegenüber, ein Prediger in schwar­ zem Summar, mit allen Merkmalen gespanntester Er­ wartung zu dem Redenden emporsah. „Wie bereits ich bemerkte, lieber Herr Pfarrer schloß der Kaufherr seine Rede, „steht meiner Firma, dank des Zusammentreffens tief angelegter, weit verzweigter Kom­ binationen, deren Erörterung nicht hierher gehört, ein besonders günstiger Jahresabschluß bevor. Da zudem — hier wurde das Antlitz des Sprechers abstoßend hart — meine Söhne, weil sie sich frühzeitig der Autorität ihres Vaters zu entziehen gewußt, an meinem Vermögen keinen Anteil mehr besitzen, so erscheint es der Stellung meines Hauses nur angemessen, daß ich einen Teil vor-

erwähnter Überschüsse zu gemeinnützigen Zwecken sowie zur Verschönerung unserer allgeliebten Vater- und Han­ delsstadt anzuwenden gesonnen bin. Empfangen Sie

somit, Herr Pastor, gegen gefällige Quittierung des Be­ trages, einliegende Summe, welche zum Ausbau der neuen Gemeindekirche bestimmt ist. Ich hoffe, daß dieses Weihnachtsgeschenk Ihnen die Möglichkeit gewähren wird, alle zu besagtem Zweck ein wenig aufdringlich be­ triebenen Sammlungen nunmehr abzuschließen." Und während der Pastor laut preisend mit erhobenen Händen dem reichen Manne folgte, schritt dieser, seinen eintreffen­ den Gästen entgegenstrebend, dem Saale zu. Es kamen ältere Herren, die an Würde, an Formen, ja selbst ein wenig an äußerer Gestalt, ganz ohne Zweifel jedoch an kaufmännischer Bedeutung dem Gastgeber verwandt er­ schienen. Dieser nahm Platz an der reichbesetzten Tafel, deren Silberpracht, deren Orchideenflor in die Augen stach, aber obwohl der Pastor den Ehrenplatz einnahm und der Saal prächtig geschmückt war, fehlte im Hause nur eines: der Christbaum. Dafür brannte dieser um so heller in anderen, weniger prunkvollen Wohnungen, deren lichte Fensterreihen in allen Stockwerken der einander kreuzenden Straßen und Stadtviertel von herzlicher, froher Familienfeier sprachen. Freilich waren die Gaben keineswegs kostbar zu nennen, bestanden sogar in den meisten Fällen nur aus nützlichen, zum täglichen Gebrauche bestimmten Gegenständen, allein höheren Wert erhielten sie dadurch, daß sie von

sorgsam erspartem Gelde angeschafft waren, daß liebe­ volle Fürsorge den Einkauf geleitet und oftmals nur heimliche Entziehung kleiner Lebensgenüsse diesen er­ möglicht hatte, über den einfachen Stoffen, dem dauer­

haften Hausgerät, dem bescheidenen Spielzeug lachten dennoch rote Apfel, braune Weihnachtskuchen in reicher

Fülle, und überall, bis in die Küchen, die Dienstboten­

kammern hinein gab es Lichterglanz, Tannenduft und frohe Gesichter. Der warme, beseligende Drang, anderen Liebes zu erweisen,erfüllte heute die nüchternen Herzen, die Freude am Schenken trieb die Menschen lebhafter zueinan­

der, und gleichsam, als seien die hellen Häuser für ihn zu klein geworden, pflanzte sich dieser Drang aus ihnen fort auf die

Straße, sich überall dort betätigend, wo Menschen im Trei­ ben der unwirtlichen Winternacht aufeinander trafen.

Es war ein Vagabund, in schäbigem, mit Flicken be­ decktem Rocke, der gebeugten Ganges einherkam. Seine Erscheinung ließ deutlich erkennen, wie wert ihm eine

Gabe gewesen wäre, allein er mochte nicht betteln, und weil er wüst, elend, abstoßend aussah, dachte keiner daran,

ihm eine Münze zu reichen. Auch wurden die Vorüber­

gehenden seltener, neue Regenschauer überwuschen das

schwarzglänzende Pflaster, und der ziellos dahinwankende Mann schauerte heftiger in seinem fadenscheinigen Wamse. Aus einer Kellertür drang rotes Laternenlicht trüb durch den Nebel, vor dem Eingänge stand eine führerlose

Droschke, das abgetriebene Pferd ließ den plumpen Kopf regungslos hängen.

Unten im Schenkkeller zechte der

Kutscher mit einem angetrunkenen Fahrgaste, ein paar einsame, schäbig aussehende Gesellen saßen stumpfsinnig hinter ihrem Glase. Der Vagabund näherte sich und sog gierig den fetten Speisegeruch ein, der aus der Küche in das Schenkzimmer drang. Er griff sorgsam in die Tasche und zog einige Kupfermünzen hervor, allein ihr Betrag mochte wohl nicht ausreichen zur Beschaffung einer Mahlzeit, denn der Wirt schüttelte auf eine vermut­ lich in diesem Sinne gestellte Anfrage mit dem Kopfe. Da holte der Abgewiesene eine platte Flasche hervor, ließ diese mit Branntwein füllen und verließ die Schenke. Draußen angelangt, setzte er die Flasche an den Mund und schluckte krampfhaft, hastig — das tat gut. Der Fusel rann ihm heiß durch den müden, frieren­ den Körper. Um das Wärmegefühl länger festzuhalten, setzte er sich auf einen Haufen Bretter und zog die Knie unter das Kinn hinauf. Es war spät geworden, ihm gegenüber in einer Marktbude bereitete ein Händler, der noch vereinzelter Kunden harren mochte, seinen Kindern die ärmliche Bescherung. An einemTannenzweigeprangten fünf Lichterneben vereinzeltenÄpfeln und Nüssen, darunter lagen Fragmente einiger Pfefferkuchenmänner. Dennoch

waren dieKinder zufrieden und fröhlich. DerVagabund sah von weitem der bescheidenen Feier zu; seine Gedanken flogen zurück zur Vergangenheit, und sein Kopf senkte sich tiefer herab auf die spitzen, frostbebenden Knie. Er hatte sich seinen Weihnachtsbaum durch eigene Schuld ausgelöscht. Einst war er ein fleißiger, geschickter

Arbeiter, ein glücklicher Gatte und Vater gewesen. Schlechte Gesellen hatten ihn zu Müßiggang und Spiel verleitet, auch waren es wohl verborgene Sündenkeime, die plötzlich in ihm zum Durchbruche gelangen sollten. Er beging eine schwere Verirrung, für welche die mensch­ liche Gesellschaft ernste Sühne fordert. Die Tat ward

entdeckt, er selbst aus den Armen seiner entsetzten Frau in Untersuchungshaft geführt. Nach Monaten peinvollen Bangens erging über ihn der Apparat einer öffentlichen Gerichtsverhandlung; sie endigte mit seiner Verurteilung zu mehrjähriger Haft. In der Gefängniszelle erfuhr der Gebrochene, daß sein Kind gestorben sei, und daß die Frau, unfähig, dem Verbrecher zu verzeihen, ihre Schei­ dung eingeleitet habe. Dem endlich Entlassenen blieb trotz redlichen Strebens das Glück abhold. Er erkrankte, verfiel in Trunk und Elend; sehr tief empfand er, wie schnell es mit ihm abwärts gegangen war. Nun blickte er still hinüber auf den fremden Christ­ baum, dessen ärmliche Lichter niederzubrennen begannen. Der Regen hatte nachgelassen, und daher geschah es wohl, daß eine spärliche Zahl eilender, verspäteter Käufer noch einmal die matt erleuchteten Budenreihen belebte. Vor diesen und den übriggelassenen armen Herrlichkeiten, die sie bargen, standen mit verlangenden Blicken Kinder, denen es deutlich anzusehen war, daß ihrer daheim keine Bescherung warte. Sie betrachteten sehnsüchtig die warmen Tücher, die Pfefferkuchen und die hölzernen, steifen Dreierschäfchen. So spät es war, und so eilig

die Menschen es haben mochten, schien doch die echte Weihnachtsstimmung noch einmal Platz greifen, die Gebelust noch einmal aufflammen zu wollen. Vorüber­ gehende, die wohl jubelnde Kinder im eigenen Heim wußten, neigten sich freundlich zu den kleinen Enterbten und ließen ihnen eine Gabe, die auf den leidvollen Ge­ sichtchen jenen Freudenschimmer wachrief, welcher an seligen Abglanz der großen, über allen Menschen walten­ den Gottesliebe gemahnt. Der müde Mann freute sich des Glückes der Beschenkten und lohnte von seinem Platze aus den Gebern, als hätten sie es bemerken können, mit schwachem, beifälligem Kopfnicken. Könntest auch du schenken, dachte er still bei sich, einmal noch jemandem ein Gutes tun! Ach, auch dieses Recht hast du dir ver­ scherzt gleich allem übrigen. Und Hochmut plagt dich obendrein; willst schenken, derweil du selbst der aller­ ärmste, elendeste Tropf bist. Möcht' wohl ein jeder zu stolz sein, von dir etwas anzunehmen. Wenn eS nur nicht so bitter kalt wäre, unterbrach er sich, von seinem Sitze herabgleitend. Auch mit dem Hunger ist's gar so arg heute, fast nicht mehr zum Ertragen. Er ging eine Strecke weiter und gelangte an das Ende der Budenreihe. Dort verlor sich die Straße zwischen öden Bauplätzen und Lattenzäunen; in einer Schutzecke der hohen, verwitterten Gartenmauer stand ein steinernes Bildwerk. Es stellte die Gottesmutter mit dem Jesus­ knaben dar; vor ihm brannte die letzte Gaslaterne der Vorstadt. In ihrer Helle hemmte der Vagabund den

109 Schritt und zog seine Schnapsflasche hervor; er wollte

den Hunger täuschen, den Frost umbringen, für ein paar Stunden seines Elends ledig werden. Hastig hob sich die Flasche zum Munde, allein ehe die verklammten Finger ihre Arbeit vollbracht, hielt er auf halbem Wege inne. Sein müdes Gehirn hatte unbewußt nicht auf­ gehört, der Vorstellung des Schenkens nachzuhängen, an ihr festzuhalten, sich in sie zu vertiefen mit einer eigen­

artigen, hellseherischen Kraft. Dem Bettler blieb es Vor­ behalten, zu der Erkenntnis durchzudringen, die den meisten satten und reichen Leuten der Großstadt abging, der Erkenntnis, daß Schenken ein Opfer bedeute, daß

es Liebe vereinen müsse mit Entsagung. Frierend drückte der Bettler unter einem neuen Regengüsse sich an die Mauer; während er die Füße mit dem durchlöcherten Schuhwerk abwechselnd in die Höhe zog, um sich vor Nässe zu schützen, hielt er die verführerische Flasche un­ schlüssig umklammert. Deutlich, zwischen Bangen und Freude schwankend, erkannte er, daß es ein Geschenk noch, ein Opfer gebe, welches auszuüben ihm nicht be­ nommen sei; er wußte auch mit einem Male, wer nicht zu stolz sein werde, die Gabe anzunehmen. Während drüben in der Großstadt die Weihnachtslichter nieder­ flammten, brachte auch der Bettler sein Geschenk dar und schüttelte mit einem scheuen, demütigen Blicke den Branntwein, sein letztes Labsal, vor dem Bilde des Christkindes in den Schnee. R

KHKKKKKKKKKZ» 110

Märzabend. Aus Schollen und feuchtem Torfe Steigt langsam über den Tann Der dunstige Mond; zum Dorfe Kehrt müde das Ackergespann.

Wir haben der Saat gewaltet. Der Arbeitstag verloht. Nun seien die Hände gefaltet: Herr, segne daS tägliche Brot.

Es schlummern die Felder, die blauen. In schweigender Vollmondpracht, Darüber halten zwei Frauen,

Hoffnung und Liebe, Wacht.

§

Die Hütte. Der Wintersturm brauste durchs weite Land, Trieb stäubenden Schnee zu Schwaden; Am Weg die Köhlerhütte stand, In Armut und klaffendem Schaden.

Der Wind in die Fensterlücke schlug. Der Herd des Reisigs harrte. Und Rauhreif umspann den tönernen Krug, Der auf dem Tisch erstarrte. Dort lag auf spärlichem Strohgebund Ein Weib mit ihrem Kinde, Es hielt der Säugling im hungernden Mund Ein Stücklein trockner Rinde. Vorüber zur Messe zog wohlverwahrt Ein Kaufherr mit stattlichen Pferden: „Gib, Himmel, Gewinn und gedeihliche Fahrt, Das Holz wird teurer werden."

Des Weges ritt der Dorfkaplan: „Die Not hält harte Reise, Da bleibt gestrenges Auchtvermahn Fürs Volk die beste Speise."

Ein Hochzeitszug fuhr hell ins Glück Mit Schellen und Peitschenknallen, Doch keiner wandte den Kopf zurück Aum Hüttlein, vergessen von allen.

Die Hütte verstoben im Walde stand. Ein Wandrer trat an die Schwelle, Er blies sich den Schnee vom braunen Gewand, Warf ab seine Reisigwelle.

Er sprach: „D Weib, der Tag verflog. Schräg strahlt die Wintersonne. Der Menschen kurzes Mitleid log; Ich bringe dir Ruhewonne. Es höhnt die Nacht, und wölfisch streunt Der Nordwind um die Türen, Ich bin der Tod, dein bester Freund, Weib, laß dich heimwärts führen. Ich lege dir hungerndem Bettlerweib Trotz Armut und klaffendem Schaden Ein Königsgewand um den siechen Leib, Du bist zum Fest geladen."

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Über dem Leben. Im Schlafgemache, während trüb und fahl Die Schatten um zerwühlte Kissen glitten. Verstarb ein Mann; und als er ausgelitten. Hob seine Seele sich vom Erdental. Er hatte stets, hochachtbar, vielbeneidet, Ium Wohl der Stadt manch Ehrenamt bekleidet;

Drum riefen laut in windzerrissnem Klang Bald dumpf, bald hell, vom finstern nebelnassen Gewirr der Türme, Schlote, Giebel, Gassen Die Trauerglocken. Allgemach versank Des Erdballs Brausen. Schon, auf starken Schwingen

Begann ein großer goldner Ton zu klingen. Schon wuchs ein Weg, ein fremder, weitgebahnter. Schon kam ein Duft, ein frischer, ungeahnter Vom Wellenschaume junger Küstenränder, Dem Wiegenflaume neu geborner Länder; Da stand am Weg, in heißem Felsenspalt Ein schwarzer Seraph, reglos wie Basalt, Der sprach: Nicht ziemt dir Friede, Herzensweide, Es geht dein Pfad zu langem Büßerleide.

Und es ward Schweigen. Scheu begann der Tote: Ich hielt doch willig Satzung und Gebote, Hab Gottesfurcht gepflogen und beteuert, Ium Kirchenbau manch Scherflein beigesteuert. War stets ein Freund der Obrigkeit und Sitte, Grbvenaick-Carolatl), Auswahl.

Hielt stets das Maß, des Lebensweges Mitte,

Half manchem Werk zu Wachstum und Genesen, Bin selbst beim Kaiser angenehm gewesen, Mn besser nicht noch ärger als manch andrer, Was schmälerst du den Ruhelohn, der mein? Gib frei den Weg, verlaß mich, trüber Wandrer, Ich kenn' dich nicht. Nein, sprach der Seraph, nein. Du kennst mich nicht, du hast mich nie gekannt. Ich bin die Not, der Menschheit Not benannt. Wohl stand ich oft mit kummerfahlen Wangen Im Marktgewühl; du bist vorbeigegangen. Da hilflos ich, verachtet, unbekleidet, Hast du dein Herz im Schauspielhaus geweidet, Als mich gewürgt des Hungers hagre Kralle, Hast du, für mich, gespeist beim Armenballe, Demütig saß ich, zitternd, frostbereift Vor deinem Tor; kein Blick hat mich gestreift. Und wagt ich es zu stören deine Ruh, Fiel zögernd mir ein Kupferheller zu. Du warst kein Held des Liebens noch des Hassens, Du warst der Mann des lauen Unterlassens, Drum ziemt dir nicht das bunte Feierkleid, Es führt dein Pfad seitab zu langem Leid, Du hast gehört der Menschheit Jammerschrei Und gingst vorbei.

Neben Gewittern. Im sonnengleißenden Erdbeerhag Die Kupfernatter geringelt lag. Auf dürres Moos und verkrüppeltes Holz Der Mittag sengend niederschmolz. Am Horizont aus Dunst und Hitze Wuchs schweres Gewölk im Sonnenblitze. Ein Krater schien es, dessen Rachen Von Brausen schwoll, von dumpfem Krachen, Wie Donner klang es rastlos grollend. Wie Knattern und Brodeln, in Stößen rollend. Dort drüben rangen, verhüllt von,Dampf, Iwei Heere den Vernichtungskampf, Es schnürte sich ein stählernes Netz Um das bekannte, verlorene Metz. Doch freundlich schien die Sonne hier; Auf Posten stand ein Grenadier, An Wuchs ein Riese, hell von Haar, Ein Kerl, mit dem nicht zu spaßen war. Der sperrte den Weg und rief sein Halt. Vor ihm, kaum sechzehn Winter alt. Barfüßig, ein Mädchen, im Kleid voll Fücken, Maß den Prussien mit bösen Blicken. Und wie er schweigend rückwärts wies. Schlich sie beiseit durch Heid und Kies, Wollt' Beeren sammeln in einen Krug, Den mühsam ihr Arm, der magre, trug,

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Doch tief im sonnengleißenden Hag

Die Kupfernatter geringelt lag, Die hat, zu züngelndem Sprunge gezückt, Den Aahn in des Mädchens Ferse gedrückt. Aufschreit das Opfer, sinnberaubt — Da senkt der Feind sein behelmtes Haupt, Und niederknieend hält er, fest,

Den Mund auf die bläuliche Wunde gepreßt. Aufsaugend das Gift, errettend das Kind. Es hob sich kühl der Abendwind, Auf zwei gesenkte Menschenstirnen Fiel Liebesgruß von ew'gen Firnen. Sie schieden; die Sonne sank heiß und sacht,

Im Blutrausch vertobte die Sommerschlacht, Ein Völkerkampf brach dort sich Bahn, Hier ward ein Liebeswerk getan, Und welches der Werke größtes war, Macht einst das Jenseits offenbar. Denn nur die Liebe kann erlösen Von Haß, von Krieg, vom Fluch des Bösen.

Glück und Ende. Von bibelfestem Stamme

War meiner Eltern Haus, Am Herd sang hell die Flamme,

Kein Bettler am Straßendamme Ging unbeschenkt hinaus.

Die treuen Alten saßen Bei Mosis Testament, Der Jugend sie vergaßen. Nun zieh' ich auf stürmischen Straßen Zu Karl dem Kaiser nach Gent.

Zwei Linden bräutlich wanden Ihr brausendes Geäst, Zwei Herzen jung sich fanden; Fahr, schöne Welt, zuschanden. Eh eins vom andern läßt.

Ein Krieg war hoch erglommen. Verloren ging die Schlacht, Es ist ein Sturm gekommen. Der hat mein Glück und Frommen Der Erde gleichgemacht.

Die Meinen ruhn, vergessen;

Der Liebsten roter Mund Singt hell auf Markt und Messen, Singt hell — am Herzen wessen? Singt noch zur Sterbestund.

Diel schwarze Wolken schweben. Die Sonne sticht darein.

Ein Schauer jagt durchs Leben. Dereinst muß viel Vergeben, Muß große Tröstung sein.

Der Blitz hat eingeschlagen. Ich fahre, woher? wohin?

Die Welt steht voller Fragen;

Weiß keiner mir zu sagen. Weshalb ich noch fröhlich bin.

Siegesleid. Erbebend blickt das Volk, doch mit Behagen, Den Kämpfern nach, die bleich, im Schollentanz, Ihr Dreigespann schräg durch die Rennbahn jagen.

Die schwarzen Hengste, die gleich Ungewittern So zügelfremd und wild durchs Leben gehen. Daß Frauen jubeln, Männerherzen zittern,

Sie sind des Dichters Eigengut, Ideen. Doch wer sie lenkt, rafft sich vom Haupt den Glanz,

Denn lähmend schleift am besten Siegeswagen Der Nichterfüllung schattenvoller Kranz.

DHMAKKKKKtzHK 120

Beim Lebensfest. Im Wirtschaftsgarten in der Pfalz, Dort strebt zum kühlen Kellerhals Der Sonntagsgäste Welle. Der Weg war weit, heiß sticht der Staub, Hier stehn im jungen Buchenlaub Schießbuden, Karusselle. Es poltert von der Kegelbahn, Hell kreischen, wenn der Wurf getan, Nähmädchen, Dorfesschönen; Der Wirt hat schwarz-weiß-rot geflaggt,

Ein Droschkenzug naht, hochbepackt Mit flotten Musensöhnen.

Die Militärkapelle blitzt. Der Stabstrompeter, goldbelitzt. Kramt in den Partituren; Ein Marsch verklang, ein Walzer schwieg. Dazwischen lärmt der Spatzenkrieg Frechfroh nach Krümelspuren. Und plötzlich steigt ein Lied empor. So voll, so fest wie Männerchor,

Der Freiheit zugesungen; Ein Schwur, dem Vaterland geweiht. Dem Lieb, der Vurschenherrlichkeit, Ein Gruß von Flammenzungen.

Die Sonne hinter Pappeln sank. Ein Bravo schallt von ferner Bank, Die Teller klappern weiter. Laßt, Liesel, und du, Gretelein — Mr fiel ein Falter in den Wein, Die Welt ist allzu heiter. Die Weise hab ich einst erdacht. Als mir in heißer Liebesnacht Nach Ruhm die Schläfen brannten. Der Ruhm ist hin, mein Lieb ist tot. Nun fiedeln das Lied im Abendrot Beim Bier die Musikanten. Bald steigt vom kahlen Rebenberg

Ein vielbegehrtes Feuerwerk. Ich gleiche der Rakete,

Die kurz bestaunt, im Funkenschlag, An einem sinkenden Sommertag Hoch über den Massen verwehte.

Tiefblaue Veilchen. Ich seh' es wie gestern. Ein Sommertag Verblutend auf den Giebeln lag, Sie barg, erschreckt, am Elternhaus Ins Haar den welkgeküßten Strauß Don blauen Veilchen. Wir kamen vom ersten Stelldichein, Sie sprach: Dein eigen will ich sein. Wart nur ein Weilchen. Da griff in die Speichen ich jubelnd dem Glück, DaS warf mich zum Straßenrand zurück. In Mädchenherzen liest wer's kann — Sie nahm den andern, den reichen Mann.

Jetzt geh' ich, wann ich Muße hab', Dors Tor hinaus an ihr grünes Grab; Die Schwalben zwitschern im Abendgold, Ein Kinderlachen schallt fremd und hold. Die Welt steht voller Veilchen. Ich male mit des Krückstocks Rand Der Liebsten Namen sacht in den Sand; Wart' noch ein Weilchen.

Hugenottenlied. Der Staub bedeckt die Hügel, Antraben Heeresflügel, Bataille ward heut' angesagt. In großer Morgenkühle

Steht brennend eine Mühle; Ihr Funkenschopf zum Himmel ragt.

ES rückt beim Trommelstreiche Das Heer zum Scheldedeiche, Der Feind im Rottenfeuer steht; Der Brände Schwaden schmauchen.

Und durch den Wind ein Rauchen Verkohlter Ketzerknochen geht. Drei Sünden tun mich brennen. Die will ich frei bekennen, Sind Würfel, Wein, sind Weib genannt. Auf, Feldchoral, ertöne. Die Drachenbrut, o Herr, gewöhne, Iu fressen zahm aus deiner Hand. Am Brückenkopf der Schelde Ballt sich zuhauf im Felde Feindlich gesinnte Reiterei. Stückknecht, greif frisch zur Lunte Und triff ins Herz die bunte Hispanisch-röm'sche Kumpanei.

Nun fällen wir die Speere, In unsre blanke Wehre Einlaufe Welscher und Papist. Heut lernen Knecht wie Fürsten, Daß es um Ruhm und Länderdürsten Ein böses Kegelschieben ist.

Jetzt schmettern die Kartaunen, Im Stoße der Posaunen Verschläng' uns gern der Fürst der Welt; Ein Dunstgewölk voll Panzerblitzen, Ein Wettersturm voll Pallaschspitzen An unsrer Lanzenfront zerschellt. Die Seidenfahnen schweben. Gar vielem jungem Leben Ist bitt'res Sterben nah. Fahr, Welt, fahr, Gut, von hinnen, Herr Christ, hilf uns gewinnen Die Schlacht in Ehr und Gloria.

Die Ketzertaufe. Der Tauwind streicht durch Böhmen, Die Frühlingswasser strömen Gen Prag, zur Moldaubruck, Dort schaut zum Flutentanze Aus seinem Sternenkranze Der steinerne Sankt Nepomuk. Von Pragas Rebenhängen Scholl Lärm, kam wüstes Drängen, Ein fürnehm Mägdlein ward geschleift. Das zücht'ge Kleid zerrissen Gleich wie von Wolfsgebissen, Die schmalen Hände strickumstreift. Es zog mit Mann und Rossen Ein Ritter, fahrtverdrossen, Der hob das Haupt, schob sacht den Sporn. Gebt Raum, ihr Straßenhocker, Sonst wird die Hand mir locker; Was tat dies Weib um euren Zorn? Die Dirne hat gefrevelt. Die Here wird geschwefelt. Hat nicht gekniet vor der Monstranz; Nun gilt es Ketzertaufe! Zur Moldau trieb der Haufe, Im Schlitzaug tückevollen Glanz.

Der Ritter zwang den Schimmel Ins fauchende Gewimmel. Ich bin nicht Böhm noch Hugenott; Papst oder Martin Luther Ist gleiches Seelenfutter, Dies Weib gebt frei, sonst straf euch Gott.

Ins Herz sind ihm gefunkelt Zwei Augen gramverdunkelt. Doch hell von Hoffnungsttänensaat. Helft Herr, der Tod ist bitter; Deutsch sind die Meinen, Ritter, Hier ruht all meine Missetat. Da hob sich, stürzte, blitzte Das Ritterschwert und schlitzte Der grimmen Wenzel Zottelschopf. Zu spät — denn, stoßbegleitet. Von Goldhaar mild umspreitet. Das Mägdlein flog vom Brückenkopf.

Ein Hufblitz auf der Brüstung, Um Mann, um Roß und Rüstung Aufklatschend brach der Moldaustrom. Vom wutentbrannten Volke Schwoll eine Flucheswolke, Dumpf scholl der Mette Schlag vom Pragerdom.

&&&&&&&&&&&& 127 Die Wellen wirbeln, schießen. Mein Lieb, laß dich umschließen. Wie sind wir still gesinnt;

Uns Königskinder beide Kein tiefes Wasser scheide. Der Tod den Sieg nicht obgewinnt. Die Wellen wandern, flimmern. Die Uferweiden schimmern, DaS starke Schlachtroß stampft und schwimmt; Fahr wohl, o Flutgerinnsel, Auf ufernaher Insel Mein Lieb zum Leben neu erglimmt.

Am Ufer sprengen Knappen, Die Lanzenfähnlein floppen. Der Ritter heimwärts lenkt die Bahn.

Auf bunten Roßschabranken Führt er sein Lieb nach Franken, Den Segen spricht der Burgkaplan.

Der Ritter schirmt sein Krönlein, Er hebt gar bald ein Söhnlein Dem greisen Roß zum Widerrist. Schwarz streicht der Haß durch Böhmen, Laß Kraft und Treue strömen Aufs Deutsche Reich, Herr Jesus Christ.

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Im Frühjahrssturm. Das ist ein Südsturm schlimmer Art, Der uns zum Spiel ersah; Wir trotzen dem Schiffbruch, wir wagen die Fahrt, Wir wollen nach Ithaka. Wir spielen mit der See Versteck, Der Schoner rollt und stampft. Indessen schäumend übers Heck Die weiße Sturzsee dampft.

Fern ragt ein Land aus Duft und Traum; Wer diesem Ziel geglaubt. Dem schüttet der griechische Meeresschaum Unsterbliche Jugend ums Haupt. Verloren ist, wer wankt und weicht. Bis er den Sturm bestand. Gewagt und gewonnen! Die Segel streicht! Wir grüßen dich, Götterstrand.

Weihnachtsreise. Venedigs Spätherbstfeier Ist letzter Lese nah. Schon hüllt sich in Nebelschleier Die Herrin der Adria. Es triefen die weißen Arkaden, Die Sonne trägt bleichen Schein; Nicht mag ich mein Herz mehr baden Im finstern Fiumerwein. Venedig, du sonnenumstreute Laguneserin, Mich zieht ein Weihnachtsgeläute Jur deutschen Heimat hin.

Thüringens Berge liegen In Schneelast tief und weich, Frau Holle läßt fröhlich fliegen

Die Schwanendaunen durchs Reich.

Ich höre die Glocken schallen Don Fuldas Bischofsdom, ES zieht aus den Häusern allen Lobsang und Lichterstrom.

Es funkeln die Sternenheere Der Heimat als Liebespfand; Gott in der Höhe sei Ehre Und Friede dem deutschen Land.

Schoenaich*Carola tb,

Auswahl.

Hochgewilter. Die Felder duften kleedurchwürzt. Die Nacht ist schwarz, der Regen stürzt.

Am Hügelkamm ein Wetter braut. Grell schießt der Blitz ins Heidekraut.

Dom Giebel uns, um Christi Leid, Wend ab, o Herr, das Feuerkleid.

Nimm, Frau, vom Tisch daS Linnentuch Und hol das alte Bibelbuch,

Ich bin der Herr, steht's in der Schrift, Ob dich ein jäher Tod auch trifft. DaS war ein Knattern, bretterhohl, Den morschen Birnbaum ttaf eS wohl.

DaS Fenster klirrt, voll roten Lichts, Herr, sei mit uns, wir fürchten nichts.

Die Diele schwimmt in Schwefelschein; Herr, ich bin dein, und du bist mein.

Den ew'gen Lebensworten lauscht — Der Blitz verloht, der Regen rauscht. Nun stehen wir feiernd vor dem Tor, Der milde Vollmond taucht empor.

UnS hat die böse Wetternacht Den Glauben wetterfest gemacht.

Feldeinwärts. Dort, wo durch Felder schneidet Der Gräben Binsenschof, Ragt rohrdachüberkleidet Der stattliche Marschenhof.

Den Dachfirst, in gastlichem Zeichen, Bekrönt ein Storchennest, Den Giebel beschirmen Eichen Vor Blitzschlag und Westnordwest.

Das Gärtlein hinter den Scheunen Steht duftend, sonnenwarm. Darüber, in wohligem Streunen, Zieht summend ein Bienenschwarm.

Es wogen, es rauschen die Wiesen;

Don Grasflut halb versteckt. Hinwaten, gleich schlaftrunknen Riesen,

Marschkühe, bunt gescheckt.

Doch über die fruchtbaren Felder Zieht schweigsame Werktagsfron, Dort ruhen gewichtige Gelder, Versenkt von Vater zu Sohn.

5*

Der Erde Soll und Haben Verbrüdert Herrn und Knecht;

Das feierliche Graben Ist Lust dem Marsengeschlecht.

Sie sind vom Sachsenstamme, Sie schauen nicht gern vom Pflug Jur Sonne, der wandernden Flamme; Die Heimat beut Glücks genug.

Der säumige Landsknecht. Der Trommler schlägt Parade, Die Seidenfahnen wehn, Nun heißt's auf Glück und Gnade Marschieren gehn. Das Korn reift auf den Feldern, Es schnappt der Hecht im Strom, Der Wind streicht heiß durch Geldern Hinauf gen Berg op Zoom.

Wer weiß, wer dort den Himmel, Wer hier das Feld gewinnt — Herab vom Fliegenschimmel Grüßt Herr Carolus Quint. Wir schlucken Staub beim Wandern, Uns hängt der Säckel hohl, Der Kaiser schluckt ganz Flandern. Bekommt ihm ewig wohl.

Er weilt beim Länderschmause, Bis er die Welt erwürb; Mir lebt ein Lieb zu Hause, Das weinte, wenn ich stürb.

An Arnold Böcklin. Aus Myrtenhainen, wildverschlungnen, heißen. Bricht Flötenschall, rauscht auf ein Taubenflug, Und hell ins Land, mit Hufgeblitz und Gleißen, Wälzt sich, frohlockend, ein Erobrerzug. Centaurenvolk, rauh lachend, raubbeladen. Auf breitem Bug lustjauchzende Najaden, Rasch hinterdrein, im Pantherfell, Bacchanten,

Der Weinschlauch quillt von purpurfarbnem Seim, Don tausend Lippen, jungen, lenzentbrannten. Steigt Jubelruf: Die Götter kehren heim. Beladen schwankt der Dionysoskarren, Im Wespenschwarm, schweifpeitschend, stürmen Farren, Ins Muschelhorn stößt laut der große Pan. Heimkehr, gewalt'ge, ward der Welt beschieden. Taucht aus den Syrien, blonde Nereiden, Für Hellas brach ein Siegesmorgen an. Ein Schönheitssturm in leuchtendem Gefieder Braust durch die Welt, die Götter kehren wieder. Dies, Meister, war das Werk, das du getan. Du trügest heim in eine Welt voll Trauer Der Griechenschönheit Offenbarungsschauer, Du gabst der Kunst, im Zeichen jungen Ruhms, Zurück den Lichtbrand des Hellenentums, Du riefest Lenze, die voll Glanz und Dauer.

135 Ein Grabmal — dir? Du schufst es selber weiland. Wer sah es nicht im Wachen und im Traum, Dem Meer entsteigt ein dunkles heil'ges Eiland, Von Sturm umraunt, umkost von Wellenschaum. Dort flüstert ihr, schwarzschattende Zypressen, Dem Schläfer zu: Gestorben — nicht vergessen. Dort wird die Welt, wo Sehnsuchtsländer blaun. Von Jos Meer in ew'gem Lenz umtrieben Dir Tempel weihen, die nur jungem Lieben Und großen Toten wir erbaun.

$ Oberwasser. Der starke Frühling bläst mit Macht Die Sturmposaune vor sich her. Die Tauflut schwillt, die Scholle kracht, Im Strome wankt das Mühlenwehr.

Wildschwäne segeln überS Land, Mit heimwehstarkem Schwingenstreich, Befreit, am bunten Wiesenstrand,

Die braunen Wellen bricht der Teich. Laß schmelzen, Herz, was schmelzen soll. Des Zweifels letzten Schollenrest, Und trag dein Hoffen, jubelvoll, Empor zum ew'gen Frühlingsfest.

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Allerseelen. Ein zarter Duft von letzten gelben Rosen Zieht durch den Park. Des Herbsttags leiser glimmer

Umspinnt das Haus; vor deinem Gartenzimmer, Im Sonnengolde, starren Skabiosen. Käm' jener Duft aus deinem blonden, losen Geliebten Haar, stieg' deines Lachens Schimmer

Mit süßem Laut noch einmal, wie einst immer. Aus Gartentiefen, dunklen, regungslosen. Dürft' ich noch einmal jenem Goldklang lauschen. Kämst du zurück, gleich Kindern, wegesmüden. Die weit gewandert in die Sonntagsferne — Es war ein Traum. Die Kirchhofslinden rauschen Auf deinem Grab; du weilst im ew'gen Süden,

Und über mir stehn groß der Sehnsucht Sterne.

Legende. Vom Dreißigjährigen Krieg berannt, DaS Deutsche Reich lag leergebrannt. Verkohlte Mühlen, Schutt und Stein, Dazwischen bleichendes Pferdegebein,

Rauch, Kirchenschatzung, Heeresstaub, An jedem Hohlweg Mord und Raub, Das Brachland wüst und unbestellt — Iwei Wandrer schritten, stumm gesellt.

Gelb stob wie Flammensaum ihr Haar; Sankt Gabriel der eine war.

Sankt Michael der andre hieß. Sein Hüftschwert kurzes Glänzen stieß.

Der erste sprach: Herr, röte. Der zweite sprach: Herr, töte. Töte den Werwolf, den Iwietrachtsgeist, Der Deutschland in blutende Stücke reißt. Röte die Wangen vor Grimm und Scham, Daß in Deutschland abhanden die Treue kam.

Da hob sich am Weg in zerschossenem Wams

Ein sterbender Landsknecht schwäbischen StammS;

Der rief: Ihr Herren sprecht törlich drein. Mit euch wird nicht zu rechten sein.

Viel lieber in Deutschland Schmach und Not

Als in der Fremde weißes Brot. Ich müßte zehnmal zugrunde gehn

Und würde zehnmal auferstehn. Ich riefe von frischem alsogleich:

Gott segne, Gott schütze das Deutsche Reich.

Aus alter Zeit. Gruß dir, o Weihnachtsgabe, Schatz voll Geheimnisspruch, Den einst empfing der Knabe,

Gruß dir, mein Märchenbuch.

Im Winkel mit heißem Gesichte Den Schatz ich zu heben begann. Indes von der Christbaumfichte Das letzte Wachslicht rann.

Und unter Tannenzweigen Voll Duft und Flitterflor Stieg mir in seligem Schweigen Ein Offenbaren empor.

Das erste, das heil'ge Gemahnen An Dichtung, an Melodie, Ein schauerndes Erstlingsahnen Des Glückes, das reich gedieh.

Was später ich stürmend und staunend Ermessen im Lebenslauf, Wuchs flüsternd und frühlingsraunend Aus schaurigen Märchen herauf.

Dort hetzte vor fliegender Meute Ein Ritter im Stahlgewand Ein weißes Reh als Beute, Bis er im Jrrwald stand. Dort hausten die Drachen mit Schnappen, Dort herrschte des Unrechts so viel. Daß mir auf die Bildermappen Des Ingrimms Träne fiel.

Der Ritter griff wetternd zum Schwerte, Wollt' alles werfen zugrund; Je wilder er einhieb und wehrte.

Sich selbst nur schlug er wund.

Der Ritter wollte nicht weichen. Er schlug mit letzter Gewalt Ein Kreuz — da stand in den Eichen Dor ihm eine Huldgestalt. Sie sprach: Es sei dir gewiesen Der Weg aus Waldesnacht; Ich scheuchte die Heren, die Riesen, Hab' alles zu Glück gebracht. Da wußt' ich, es ward vergeben Der Ritt nach dem weißen Reh; Der Jrrwald war das Leben, Der Ritter fand seine Fee.

Nun lehnt in späten Jahren Mein Weib an mir, im Traum, Und Kinder blond von Haaren Umjubeln den Lichterbaum,

Die Feierglocken klingen Tief durch die heilige Nacht; O Herr, mein kleines Vollbringen,

Du hast es groß gemacht.

Auf letzten Bergen. Ein Bergzug von wildem Gemäuer An südlichem Meere ragt. Darüber blinkendes Feuer

Allnächtlich ein Leuchtturm jagt.

An jene Felsenschranke Wirft, haltlos, der Ozean Manch golddurchzimmerte Planke, Manch morschen Hoffnungskahn.

Das ist Berg Lebensende, Kap Finisterr genannt, Dort flutet, in Augenblende, Das Weltmeer in Wechsel und Wende Zu Küsten unbekannt. An steiler Absturzstelle Auf Trümmern von braunem Basalt Winkt eine Gedächtniskapelle Als Gruß und letzter Halt. ES schirmen buntdüstre Scheiben Ein Bildnis, goldumstrahlt, DaS hat zu Sein und zu Bleiben Ein fahrender Künstler gemalt.

Barhäuptig steht ein Ritter, Hält Harfe, hält Eisenschild; Ein Himmel voll Sturm und Gewitter Verdämmert tief im Bild.

Den Ritterfuß umzingelt Dampfschnaubend, blutbefleckt. Ein Drache, sprunggeringelt, Dom Schwerte hingestreckt. Des Ritters Augen blinken Weit in die Ferne hinaus. Sacht ruht in seiner Linken Ein dürftiger Ahrenstrauß.

143 In Meißelschrift, erhaben. Läuft um des Bildes Rand Der Spruch, aus Stein gegraben: „Ich fall' in Gottes Hand.

Ich hab' mein Schwert geschwungen Hoch über den Drachen der Zeit, Es fuhr mit feurigen Zungen Mein Lied zur Ewigkeit; Ich brach mein Brot den Armen, Den Schwachen schuf ich Lehn, Gib, Herr, auch mir Erbarmen, Gib trostvoll Auferstehn.

Dann rauscht aus Staub und Winden Ein ftischer Sensenstreich, Dann werd' ich Garben binden; Herr, dir sei Kraft und Reich."

Frühlingöopfer. Umbrisches Mädchen, dein düstres Haar Flattert am heißen Rain, Deiner Ziegen scheckige Schar Weidet im Tempelhain, Flammende Lippen, sprühender Zorn, Sprachen von Abschied heut' — Hast mir ein heiliges Samenkorn Tief ins Leben gestreut.

Schmerzend gekeltert in Kerkerhaft Blutet die Rebe; zum Tausch Steigen vom Becher in lodernder Kraft Träume, Vergessenheit, Rausch. Nur aus berstendem Feuerstein Zuckt entfesseltes Licht, Nur aus brechendem Herzensschrein Flammt ein großes Gedicht.

Rote Rosen, draus duftend quillt Letzter Freudenrest, Herzenswünsche, die früh gestillt, Feiern kein ewiges Fest; Dich nur, heiligem Opfertag Eingesenktes Gut, Hebt des Ruhmes Triremenschlag

Leuchtend aus finstrer Flut.

Junge Liebe, die sattgeküßt. Sinkt in die rauschende Zeit, Nur unstillbares Strahlengelüst

Findet Unsterblichkeit. Lieder, deren goldnem Strom

Schmerz sich beigesellt. Tragen ihr bittres Lorbeerarom Sieghaft durch Zeit und Welt.

Tief, wo Götter an lauschigem Ort Teilten den Liebesraub, Schläft ein Dichter. Sein Geist lebt fort, Goldend den umbrischen Staub. Mädchenlippen und Meeresschaum Logen ihm rinnendes Glück, Er doch sang den verschollenen Traum Seinem Jahrtausend zurück.

Deiner Liebe Seelenblut Schenktest du Stolze nie. Ließest mir dennoch dein Ahnengut, Weltflucht, Elegie. Leih mir den letzten, den herrlichsten Flug,

Herbe Göttergestalt, Laß meines Lebens Aschenkrug Bersten vor Sehnsuchtsgewalt. Dchoenaich-Larolath, Auswahl.

Deine Lippen küßt ich nicht;

Was du bestes hast, Trauer, Schwermut, Liebesverzicht,

Gabst du deinem Gast.

Wandre heimwärts, unberaubt... Lächle, doch an mein Herz

Einmal noch bette dein träumend Haupt, Tochter des Properz.

Trost. DaS Trauern gib auf Um verfehlten, verlorenen Lebenslauf, Es bleibt kein Suchen vergebens. Dereinst kommt Kraft; Das Wollen schafft Vollendung ewigen Lebens. Was sehnend erdacht, Ob nie vollbracht, Nicht sinkt es zum Unerfüllten.

Im Marmorblock Schläft das Sonnengelock Der Schönheit, der sacht verhüllten. Ein Meißelschlag, Ein durchfieberter Tag Kann deinen Tempel bauen. Der Nebel weicht, Noch heut' vielleicht Wirst Gott du schauen.

§

Ver sacrum. Wir saßen am Strande der Syrien, Es rollte und grollte das Meer, Ein Duft von Norden und Myrten Jog tief aus Süden her.

Die Wellen brausen und funkeln. Doch bäumt sich mein Herz vor Weh, Wenn ich das große Verdunkeln Unsres Lebens seh'.

Wir haben die weißen Paläste Der Träume hochgetürmt. Wir haben, zwei jubelnde Gäste, Den Himmel des Glücks erstürmt.

Das mahnt mich an sündige Städte

Voll Lichtgewirr und Samt, Wo reich aus goldnem Geräte Der Weihrauch der Lust geflammt.

Da wurde vergeudet, zerrüttet Der Arbeit Segenstat, Da wurde der Weizen verschüttet.

Der Jugend heilige Saat.

Da wurde von trunkener Zunge Manch Hosianna gelacht. Bis plötzlich mit Raubtiersprunge

Einbrach die Mut bei Nacht.

Versunken im rächenden Meere Die Städte hochbenannt.

Die Tempel, drin einst Cythere Im thyrsischen Reigen stand. Verschwunden die Marmorlöwen, Die Meisterhand einst schuf — Nur weiße, raublüsterne Möwen Kreisen mit hungrigem Ruf. Die Stadt voll Tempeln und Türmen, Darüber die Wellen ziehn. Ist unsre Jugend, in Stürmen Versunken, wie einst Julin.

Wir wollen vom Haupt uns streifen Der Kränze sengenden Saum, Das fiebernde Lustergreifen, Den großen Griechentraum. Wir wollen die Hand erfassen Des Schiffsherrn von Nazareth, Der, wenn die Sterne verblassen Nachtwandelnd auf Meeren geht.

Der tief in Wellen und Winden

Verlorenen Stimmen lauscht.

Um Städte wiederzufinden. Darüber die Sintflut gerauscht.

Der aus dem brausenden Leben,

Drin unser Gut verscholl.

Versunkene Tempel heben Und neu durchgöttern soll.

Brausender Lenzwind. Aus Süden braust der Wind heran. Läßt Schnee, läßt Schollen tauen. Es wellt der See, die Saat hub an Zartgrün zum Licht zu schauen. Kosewind, der vom Werden spricht, Tosewind, der auf Erden bricht Dunkles Eis im Gemüte, Lege zu Grabe, was morsch, was still. Segne, was leben, was rauschen will. Fülle den kümmernden Herzensschrein Tief mit Schönheit, mit Sonnenschein, Streif uns, die Pflüger im Arbeitstag, Mit der Ewigkeit Fittichschlag, Künde: des Wollens Kummersaat Wächst durch Glauben zur Kraft, zur Tat, Herz, weil du bangst, Herz, weil du weinst, Wirst du jubelnd schauen dereinst Lenze voll ewiger Blüte.

Die Werke des Dichters sind in folgenden Ausgaben zu haben:

Prinz Emil von Schoenaich-Larolath,

Gesammelte Werke 7 Bande

Broschiert M. 10.—, gebunden M. 15.—

Inhalt: 1. Dichtungen I. 2. Dichtungen II. 3. Gedichte.

4. Tauwaffer. 5. Geschichten aus Moll. 6. Der Freiherr.

Regulus.

Der Heiland der Tiere.

7. Bürgerlicher Tod. Lichtlein sind wir. Die Kiesgrube.

Die Wildganse. Weihnachtsgabe.

Des Bettlers

Einzelausgaben: Dichtungen 10. Auflage, broschiert M. 3.—, gebunden M. 4.—

Gedichte 6. Auflage, broschiert M. 3.—, gebunden M. 4.—

Geschichten aus Moll 3. Auflage, broschiert M. 3.—, gebunden M. 4 —

Tauwaffer 3. Auflage, broschiert M. 3.—, gebunden M. 4.—

Der Freiherr. Regulus. Der Heiland der Tiere 3. Auflage, broschiert M. 3.—, gebunden M. 4.—

Lichtlein sind wir. Die Kiesgrube. Die Wildgänse 3. Auflage, broschiert M. 1.80, gebunden M. 2.50

Bürgerlicher Tod gebunden M. 1.—

Neue Ausgabe

Verlag der

G. I. Göschen'schen Verlagshandlung Leipzig

Außerdem erschien im Verlage der

G. I. Göschen'schen Verlagshandlung in Leipzig:

Prinz Emil von Schoenaich-Larolath als Mensch und Dichter Eine Biographie von

Gustav Schüler Mit Bildern und Handschriftproben Broschiert M. 2.—, gebunden M. 2.50