Evangelium und Deutschtum in Portugal: Geschichte der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Lissabon [Reprint 2019 ed.] 9783111547831, 9783111178967

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Evangelium und Deutschtum in Portugal: Geschichte der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Lissabon [Reprint 2019 ed.]
 9783111547831, 9783111178967

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsübersicht
I. Einleitung
II. Vorgeschichte der Gemeinde
III. Die Gründung der deutschen lutherischen Gemeinde, 1761
IV. Die Gemeinde unter dem Schutze ausländischer Mächte, 1761—1810
V. Die selbständige evangelische Gemeinde, 1817—1856
VI. Unter königlich preußischem und kaiserlich deutschem Protektorat bis zum Eintritt Portugals in den Weltkrieg, 1856—1916
VII. Der Wiederaufbau nach dem Kriege, 1922—1936
Anmerkungen
Beilage 1—3
Verzeichnis der Familiennamen
Verzeichnis der Mitglieder der Gemeinde aus dem Jahre 1914
Verzeichnis der gegenwärtigen Mitglieder der Gemeinde
Zeittafel

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LIC. PAUL WILHELM GENNRICH

Evangelium und Deutschtum in Portugal Geschichte

der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Lissabon

1936

Berlin und Leipzig

Verlag Walter de Gruhter & Co. vormals G. I. Göschen'sche Verlagshandlung / I. Guttentag, Verlagsbuchhandlung / Georg Reimer Karl I. Trübner / VeitLComP.

Archiv.Nr. 63 0197 Printed in Germany

Meiner Gemeinde

zu ihrem 175 jährigen Jubiläum

Vorwort „Die mehr als hundertjährige Entwicklung unserer Gemeinde ist so reich an Wechselfällen, daß sie einer Aufzeichnung wohl wert ist. Dann aber ist es auch gut, die hochherzige Liberalität der Vorfahren für kirchliche Zwecke den Nachkommen vor die Augen zu stellen." So schrieb Pfarrer Wilhelm Rothe im Jahre 1865 und begann auf Grund der damals vorhandenen Dokumente aus der Geschichte der Gemeinde eine „Chronik der Deutschen Evangelischen Ge­ meinde zu Lissabon" zu verfassen. Pfarrer Garlipp gab zum 150jährigen Gemeindejubiläum im Jahre 1911 eine Festschrift heraus, die im wesentlichen auf Rothes Aufzeichnungen beruhte. Manches aus den Anfängen der Gemeinde blieb unbekannt, und die seinerzeit vorhandenen Dokumente sind während des Weltkrieges verschollen. Durch ausgedehnte Nachforschungen gelang es aber, neues Material zu sammeln und auch die Vorgeschichte der Gemeinde, vor allem aus den Jnquisitionsakten, aufzuhellen. Hierbei bin ich für freundliches Entgegenkommen und Unterstützung zu besonderem Dank verpflichtet: dem Direktor des Nationalarchivs zu Lissabon in der „Torre do Tombo", Herrn Dr. Antonio Baiao, ferner Herrn Archivar Bijlsma im Haag, der mir ein­ gehende Auskünfte gab aus den Akten der alten niederländischen Gesandtschaft zu Lissabon im Allgemeenen Rijksarchief und dem früheren Königlich Dänischen Gesandten für Frankreich, Spanien und Portugal in Paris, jetzigen Direktor des Außenministeriums in Kopenhagen, Sr. Exzellenz Kammerherr F. A. Bernhoft sowie Madame van der Hude, die auf seine Veranlassung in den im Kgl. Archiv zu Kopenhagen befindlichen Akten der alten dänischen Gesandtschaft Nachforschungen anstellte und mir ausführliche Aktenauszüge übermittelte; sodann Herrn Universitätsdozent a. D. Oberpfarrer Carl G. Freiherr von Lagerfelt in Hallsta (Schweden), der in den schwedischen Gesandtschaftsakten zu Stockholm für mich forschte. Bon mancher andern Seite noch erfuhr ich freundliche Auskünfte und Hinweise, die in den Anmerkungen im einzelnen genannt sind. Das Lesen der Korrekturen übernahm gütigst mein Vater, Generalsuper­ intendent i. R. D. Gennrich in Wernigerode. Endlich sei vor allem gedankt für die Ermöglichung der Drucklegung des Werkes dem Kirchlichen Außenamt und seinem Leiter, Herrn Bischof D. Theodor Heckel, der durch persönliche Anregung und Anteilnahme die Arbeit förderte.

Die Gemeinde aber, der das Buch gewidmet ist, möge es als einen Dienst an ihr selber hinnehmen!

Lissabon, im Februar 1936. Paul Wilhelm Gennrich

7

Inhaltsübersicht I. Einleitung Geschichte deSDeutschtums in Portugal bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts

11

Beteiligung deutscher Kreuzfahrer an der Vertreibung der Mauren S. 11. — Erste deutsche Ansiedlung und Gründung der Bartholomäus-Kapelle S. 12. — Teilnahme Deutscher an den Portugiesischen Entdeckungsfahrten S. 13. — Entstehung der BartholomüuSbrüderschaft S. 13. — Die deutsche Kolonie zur Reformationszeit S. 14.

II. Vorgeschichte der Gemeinde 1. Im Banne der Inquisition, 1540—1640 .................................................

15

Auswirkung der Reformation auf die Deutschen in Liffabon S. 15. — DamiZo de GoeS, der portugiesische Humanist S. 15. — Einführung der Inquisition S. 16. — Die Lage der deutschen Protestanten S. 16. — Erste Denunziationen S. 16. — Erste Prozeffe S. 18. — Maßnahmen der Inquisition gegen Ausländer S. 21. — Nieder­ gang Portugals unter der Jesuitenherrschaft S. 22. — Besitzergreifung Portugals durch Spanien S. 22. — Neue JnquisitionSprozesie S. 23. — Erster evangelischer Gottesdienst im Hause des Kaufmanns EggerS S. 25.

2. Im restaurierten Königreich bis zum Erdbeben von 1755........................

26

Verträge ausländischer Mächte mit Portugal S. 27. — Lutherische Gottesdienste im Hause des schwedischen Gesandten S. 28. — Holländische GesandtschastSprediger S. 29. — Der Briefwechsel des Hamburger Bürgermeisters Schulte mit seinem Sohn in Lissabon S. 29. — Der schwedische Prediger Andreas Silvius S. 32. — Der letzte holländische Gesandtschaftsprediger S. 34.

3. Das Erdbeben und seine Folgen...............................................................

34

Das Erdbeben S. 35. — Verluste der Deutschen S. 37. — Die Folgen des Erdbebens S. 38. — Auslösung der holländischen Gesandtschaftsgemeinde S. 39.

III. Die Gründung der deutschen lutherischen Gemeinde, 1761................

40

Wiederaufbau Lissabons S. 40. — Abkommen der deutschen Lutheraner mit dem holländischen Gesandten S. 40. — Der erste Pfarrer der Gemeinde, Schiving S. 41. — Die ersten Kirchenvorsteher S. 44. — Deutsche Offiziere in Portugal S. 45.

IV. Die Gemeinde unter dem Schutze ausländischer Mächte, 1761—1810

1. Unter holländischem Schutz.........................................................................

47

Berufung des ersten deutschen Pfarrers, Müller S. 47. — Reaktion in Portugal S. 49. — Reges Leben unter Müllers Amtsführung S. 51.

2. Unter dänischem Schutz.............................................................................. Uebernahme des Protektorats der Gemeinde durch Dänemark S. 53. — Unter­ stützung der evangelischen Gemeinde in Vrünn S. 54. — Müllers Amtsniederlegung und Eintritt in den portugiesischen Staatsdienst S. 58. — Berufung Pfarrer DoseS S. 61. — Begräbnisse auf dem englischen Friedhof S. 62. — Dienst DoseS an den Truppen der englischen Hilfsarmee in Portugal S. 62. — Konflikt mit der BartholomäuSbrüderschaft S. 64. — Neubegründung der Gemeinde S. 66. — Erste Gemeindeordnnng S. 67. — Kriegszeiten unter Napoleon S. 71. — Einzug der französischen Truppen in Lissabon S. 73. — Die kgl. deutsche Legion S. 74. — Auflösung der Gemeinde und Heimkehr DoseS S. 75.

52

V. Die selbständige evangelische Gemeinde, 1817—1856 .........................

76

Dienst deutscher und englischer Feldprediger S. 76. — Wiederaufbau der Gemeinde unter Führung A. Lindenbergs S. 77. — Errichtung der Kapelle S. 78. — Pfarrer Bellermann S. 78. — Stiftung des Friedhofs S. 79. — Pfarrer Bachmann S. 80. — Revolution in Portugal S. 82. — Ankunft Pfarrer Schützes S. 83. — Die deutsche Kolonie um 1836 S. 85. — Verhandlungen mit Preußen S. 89. - Gründung des deutschen HilsSvereinS S. 96. — Gründung der Gemeindeschule S. 99. — Schützes Theologie S. 101. — Pfarrer Schmettau S. 103. — Verhandlungen mit der BartholomäuS-Brüderschaft S. 104. — Unterstützung durch den Gustav Adolf-Berein S. 107. — Neue Verhandlungen mit Preußen S. 109.

VI. Unter königlich preußischem und kaiserlich deutschem Protektorat bis zum Eintritt Portugals in den Weltkrieg, 1856—1916 ..................... 111 Der erste preußische Gesandtschaftsprediger, Lüdecke S. 111. — Verfehlte Maß. nahmen zur Kirchenzucht S. 112. — Stiftungen für den Neubau der Kirche S. 113. — Pfarrer Bötticher, Einweihung der neuen Kirche S. 114. — Vergrößerung des Fried« Hofs S. 117. — Bötticher auf Madeira S. 118. — Hilfsprediger Baxmann und Rothe S. 118. — Die Gemeinde in Oporto S. 123. — Gesangbuchfragen S. 124. — Der demsch.oesterr. Krieg 1866 S. 127. — Entwicklung der Schule S. 128. — Pfarrer Meier S. 135. — Der Krieg 1870/71 S. 137. — Die evangelische Bewegung in Portugal S. 139. — Pfarrer Wernicke S. 141. — Trennung der Röderschen Schule von der Gemeinde S. 145. — Wernickes Wirken für den ProtestanttSmuS in Portugal S. 148. — Pfarrer vindseil S. 151. — Günstige Entwicklung der Gemeindeverhält« nisse S. 155. — Parteikampfe in Portugal und Staatsbankerott S. 156. — Pfarrer Boit S. 157. — Die deutsche Arbeitergemeinde in Amora S. 158. — Gründung der deutschen Schule S. 160. — Gründung einer Station für SeemannSmisfion S. 161. — Gründung der Gemeinde Oporto S. 163. — Jahrhundertwende S 166. — Anschluß an die preuß. Landeskirche S. 168. — Pfarrer Garlipp S. 168. — Die Gemeinde in Amora S. 169. — Die deutsche Schule S. 169. — Besuch Kaiser Wilhelms in Lissabon S. 170. — Wieder Unruhen in Portugal S. 171. — Anstellung einer Krankenschwester S. 172. — 150jahrigeS Jubiläum S. 173. — Baupläne S. 174. — Kriegsausbruch S. 175.

VII. Der Wiederaufbau nach dem Kriege, 1922—1936............................... 177 Rückkehr aus der Verbannung S. 177. — Rückgabe des Friedhofs S. 178. — Erste Gemeindeversammlung nach dem Kriege S. 178. — Wiederaufbaupläne der Kolonie S. 179. — Pfarrer Arlt S. 180. — Anschluß an den Deutschen Evangelischen Kirchen« bund S. 180. — Deutscher Frauenbund, Anstellung einer Gemeindeschwester S. 181. — Gründung des deutschen KrankenheimS S. 182. — Die Filial­ gemeinden S. 183. — Erwerb eines neuen Kirchengrundstückes S. 184. — Der« Mögensteilung der Kolonie S. 185. — Pfarrer Gennrich S. 186. — Einführung. eines Gemeindeblatts S. 186. — Erweiterung des Kirchenvorstandes S. 187. — Ueberstedlung in die neue deutsche Schule S. 187. — Kulturelle Deutschtumsarbeit S.188. — Die Diasporagemeinden S. 189. — Die Krankenpflege S. 190. — Grün« düng einer Ev. Frauenhilfe S. 191. — Die Gemeinde und das Dritte Reich S. 191. — Trauerseier für Hindenburg S. 193. — Baugeschichte S. 195. — Grundsteinlegung S. 196. — Einweihung der neuen Kirche S. 199. — Kirchliches Leben im neuen Gotteshaus S. 202.

Anmerkungen..................................................................................................... 206 Beilage 1—3........................................................................................................222 Verzeichnis der Familiennamen................................................................... 230 Verzeichnis der Mitglieder der Gemeinde aus demJahre 1914............. 238

Verzeichnis der gegenwärtigen Mitglieder derGemeinde......................... 239

Zeittafel............................................................................................................. 241

I.

Einleitung Geschichte des Deutschtums in Portugal bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts Die Geschichte des Deutschtums in Portugal') ist fast so alt wie die Ge­ schichte Portugals selbst. Sie beginnt bereits im ersten Jahrhundert der portu­ giesischen Geschichte. Es war die Zeit des großen Kampfes, den das christliche Abendland gegen die mohammedanischen Eroberer führte, als das eigentliche Portugal entstand. Im Jahre 1095 hatte der König von Leon und Kastilien, Affonso VI., den Grafen Heinrich von Burgund zum Dank für seine Teilnahme am Kampf gegen die marokkanischen Almoraviden mit der Grafschaft Portucalia belehnt. Ein Jahr später begann der erste Kreuzzug. Die Regierungszeit des jungen Grafen von Portucalia war nun mit Kriegen gegen die auch im Westen der iberischen Halbinsel eingedrungenen Mohammedaner ausgefüllt, in denen er sein kleines Herrschaftsgebiet nach Süden und Südosten zu erweitern suchte. Zu größeren Erfolgen gegenüber den Mauren kam es jedoch erst unter dem ersten König von Portugal, Affonso I., dem Sohn Heinrichs von Burgund. Dieser erfuhr eine unerwartete Hilfe durch eine Kreuzfahrerflotte, die während des zweiten Kreuzzuges, auf der Fahrt nach dem heiligen Lande begriffen, am Himmelfahrtstage 1147 durch einen Sturm an die Küste von Galicien ver­ schlagen wurde und schließlich die Mündung des Douroflusses bei Oporto an­ lief. Dabei befanden sich neben englischen und flandrischen Schiffen auch solche vom Niederrhein mit Kreuzfahrern aus Köln und Westfalen. Der Bischof von Oporto, vom König beauftragt sie dort zu empfangen, bewog die Kreuzfahrer zur Teilnahme an der Eroberung Lissabons, worauf die Ritter gerne eingingen. Konnten sie doch auf diese Weise sobald schon den Zweck ihrer Reise, gegen die Ungläubigen zu kämpfen, erfüllen, noch ehe sie in das ferne heilige Land gelangt waren. Das Verdienst war hier nicht geringer als in Palästina, da der König klugerweise den Papst Innozenz II. und dessen Nachfolger zu bestimmen gewußt hatte, den Krieg gegen die Mohammedaner in Portugal für heilig und den Kreuzzug gegen sie dem gegen die Sarazenen in Palästina für gleichwertig zu erklären. Auf diese Weise kamen zum ersten Male Deutsche nach Portugal.

Die Kreuzfahrer liefen in die Mündung 28. Juni 1147 bei Lissabon an. Hier nahmen der Stadt teil, die ihnen nach vielen Mühen am 25. Oktober des Jahres in die Hände fiel. fallenen deutschen Ritter, namens Heinrich von

des Tejo ein und legten am sie sogleich an der Belagerung und großen Verlusten endlich Das Grab eines der dabei ge­ Bonn, befindet sich noch heute

in der Kirche S. Vincente im Osten der Stadt, die den Kreuzfahrern als Begräbnisstätte angewiesen worden war. Der Besitz dieser Stadt zog den Fall der umliegenden Ortschaften bald nach sich, wie Cintra, wo die Ruinen des Maurenkastells noch heute von jener Zeit zeugen. Im Frühjahr 1148 segelte die Flotte wieder ab, ihrem endgülttgen Ziele im heiligen Lande zu. Derselbe Vorgang wiederholte sich jedoch in der nächsten Zeit noch öfters. Mehrmals wurden Kreuzfahrerflotten an die portugiesische Küste verschlagen und suchten im Hafen von Lisiabon Zuflucht, wo die Portugiesen sie dann zum Aufenchalt veranlaßten, um an der weiteren Vertreibung der Mauren teil­ zunehmen. So gelang es König Sancho I. 1189 mit Hilfe von dänischen, friesischen, deutschen und nordfranzösischen Kreuzfahrern — es war der dritte Kreuzzug, bei dem Kaiser Barbarosia ums Leben kam —, die Hauptstadt von Algarbien im Süden Portugals, Silves, zu gewinnen. Zur Zeit des vierten Kreuzzuges, unter der Regierung des Königs Affonso II., wurde 1217 auf die­ selbe Weise Alcacer do Sal erobert, der wichtigste Ort des südlichen, jenseits des Tejo gelegenen Esttemadura. Manche dieser Kreuzfahrer zogen es nun vor, anstatt die lange und ge­ fahrvolle Reise nach Palästtna fortzusetzen, in dem wirtlichen Portugal zu bleiben, wo sie nach den bald erworbenen Lorbeeren die Aussicht auf ein be­ quemes Leben lockte. Sie siedelten sich in Lissabon oder seiner schönen Umgebung an, wo man ihnen als Belohnung für ihre Dienste reichlich Land zur Ver­ fügung stellte. Als dann ruhigere Zeiten eintraten und sich Handel und Verkehr entfalten konnten, kamen später auch deutsche Kaufleute und Handwerker hinzu, so vor allem unter der Regierung des Königs Diniz (1279—1325), unter dem das Land einen allgemeinen kulturellen Aufschwung nahm. Handel und Schiffahrt blühten auf, der Ackerbau entwickelte sich, Recht und Verwaltung wurde aus­ gebildet und der Hof des Königs zu einer Pflegestätte von Wissenschaft und Dichtkunst. Zu dieser Zeit betrieb ein hanseatischer Kaufmann, mit Namen Overstädt») — portugiesisch Sobrevilla genannt — in Lissabon ein Holzgeschäft. Er besaß in den achtziger Jahren des 13. Jahrhunderts in der damals noch unmittelbar am Tejo gelegenen Gegend des heutigen Rathauses, am Praca do Municipio, einen Lagerplatz, auf dem er sich ein Wohnhaus und eine dem hl. Bartholomäus geweihte Kapelle erbaute. Bald jedoch wünschte der König, an derselben Stelle eine größere Kirche zu errichten, da ihm der Platz dafür offenbar besonders geeignet schien. Overstädt überließ ihm das Grundstück gegen Tausch, bat aber darum, daß die Bartholomäuskapelle in der neuen Kirche als Seitenkapelle erhalten und sein Eigentum bliebe. Der König ging darauf ein. Im Jahre 1291 wurde der Neubau vollendet und dem hl. Julian geweiht*). Die Bartholomäuskapelle wurde im Laufe der Zeit die gottesdienst­ liche Stätte auch der übrigen in Lissabon ansässigen Deutschen, denen Overstädt in Zukunft als Stifter der Kapelle galt. Im 15. Jahrhundert besaß die deutsche Gemeinde einen eigenen Begräb­ nisplatz und zeitweise sogar ein eigenes Krankenhaus, das „Bartholomäus12

Hospital". Denn die Anzahl der Deutschen in Lissabon vergrößerte sich mehr und mehr. Es kam das Zeitalter der Entdeckungen, in dem die Portugiesen die erste Rolle spielten und die kühnsten Seefahrten unternahmen. Dabei leisteten wiederum deutsche Söldner werwolle Dienste. Deutsche Seeleute verstärkten die Besatzungen der Schiffe und deutsche Bombardiere, vor allem von König Johann II. (1481—1495) angeworben, dienten auf ihnen als Artilleristen und Büchsenschützen. So waren sie neben deuffchen Matrosen und Steuerleuten mit dabei, als Bartholomäus Diaz 1486 das Kap der Guten Hoffnung erreichte und damit die Ausdehnung Afrikas nach Süden feststellte, als Basco da Gama um das Kap herumsegelte und 1498 den Seeweg nach Indien entdeckte, oder als Pedro Alvarez Cabral 1500 an die Küste von Südamerika, dem späteren Brasilien, gelangte und sie unter dem Namen Santa Cruz für Portugal in Besitz nahm. Ein Deutscher war es auch, der den Portugiesen überhaupt erst das Mittel an die Hand gab, das sie befähigte, sich aufs offene Meer hinauszuwagen: der berühmte Nürnberger Kosmograph Martin Behaim'). Bisher war die See­ fahrerei mehr oder weniger lediglich Küstenschiffahrt gewesen, da man sich auf offener See nicht zu orientieren verstand. Martin Behaim, ein Schüler des seinerzeit berühmtesten Mathematikers und Astronomen Johannes Müller aus Königsberg in Franken — genannt Regiomontanus —, übermittelte den Portugiesen den Jakobsstab oder Gradstock, ein Instrument zur Berechnung der Meridianhöhe, aus der man die geographische Breite des Standortes auf offenem Meere errechnen konnte. Behaim war von König Johann II. in eine neu gegründete Kommission zur Verbesserung der nautischen Hilfsmittel berufen worden und nahm an der entscheidenden Entdeckungsfahrt des Portu­ giesen Diogo Cao zur afrikanischen Westküste in den Jahren 1484 und 1485 teil, deren Ergebnisse erst die Umschiffung des Kaps der Guten Hoffnung mög­ lich machten'). Behaim baute auch den ersten richtigen Erdglobus, und seine Heimatstadt Nürnberg lieferte die besten Kompasse. Damals schon half die deutsche Wissenschaft die großen Entdeckungen durch ihre gewissenhafte Arbeit vorbereiten, ohne einen andern als ideellen Nutzen davon zu haben, während die übrigen Völker die Welt unter sich aufteilten. Behaim starb nach einem schicksalsreichen Leben, schließlich vom Unglück verfolgt, arm und verkannt am 29. Juli 1507 im Bartholomäus-Hospital zu Lissabon. Die Bartholomäuskapelle befand sich damals vorwiegend im Besitz der deutschen Bombardiere, die nach Art der im Mittelalter in Verbindung mit dem Zunft- und Jnnungswesen üblichen Brüderschaften zu einer „Confraria dos alemaos bombardeiros“ zusammengeschlossen waren. Ihnen wurde mit der Bartholomäuskapelle der siebente Teil der S.-Julian-Kirche durch den Erzbischof zugesprochen. Die Brüderschaft hatte für die Unterhaltung der Kapelle zu sorgen. Dafür fiel der Nachlaß verstorbener Bombardiere, wenn keine gesetzlichen Erben vorhanden waren, an sie. Auch mußten die Bombardiere zur Strafe für unehrbare Worte oder Handlungen bestimmte Beträge an die Kapelle entrichten. Für die Verwaltung der Brüderschaft hatten vier Mitglieder zu sorgen, ein Konstabel'), zwei Majordomi und ein Escrivao (Schreiber).

Von den früher zur Bartholomäuskapelle gehörenden deutschen Kauf­ leuten hielten sich auch jetzt noch einige dazu und bildeten mit den Bombardieren zusammen die Bartholomäusgemeinde, so daß die Brüderschaft der Bombardiere auch einfach Bartholomäus-Brüderschaft (Confraria de 8. Bartholomen) genannt wurde. Ms solche blieb sie nach der Auflösung des Korps der Bom­ bardiere im Anfang des 17. Jahrhunderts fortbestehen und hat sich bis auf den heutigen Tag als „Bartholomäus-Brüderschaft der Deutschen in Lissabon" in der säkularisierten Form einer interkonfessionellen Wohltätigkeitsinstitution der deutschen Kolonie erhalten. Sie wird uns daher noch oft in der Geschichte der evangelischen Gemeinde begegnen. Ms die Bartholomäuskapelle in die Hände der Bombardiere überging, trennte sich die Mehrzahl der deutschen Kaufleute von ihr und bildete eine eigene kirchliche Gemeinde, der die Sebastianskapelle in derselben S.-JulianKirche als gottesdienstliche Stätte diente. Die ungeschliffene Art der Söldner, die den ansässigen deutschen Kaufleuten wohl nicht Paßte, mag diese Trennung veranlaßt haben. Denn die kriegsgewohnten und abenteuerlustigen Soldaten führten offenbar ein recht zügelloses Leben, so daß die Geistlichkeit ihren Pfarr­ kindern wegen „ihres schändlichen Benehmens, ihrer Ausgelassenheit und Un­ mäßigkeit im Essen und Trinken verbot, an ihren festlichen Veranstaltungen teilzunehmen"'). Nach der Auflösung des Korps der Bombardiere vereinigten sich die beiden Gemeinden wieder, und die Bartholomäusbrüderschaft übernahm auch den Unterhalt der Sebastianskapelle. Neben den norddeutschen hanseatischen Kaufleuten hatten die großen süd­ deutschen Häuser in Lissabon ihre Niederlassungen. Die mächtigen Augsburger Fugger und Welser gründeten nach der Entdeckung des Seeweges nach Indien in Lissabon Filialen für den Handel mit ostindischen Gewürzen. Ebenso die Hochstätter, Imhof, Hirsvogel und andere mehr. Diese oberdeutschen Kaufleute gehörten aber nicht zur Bartholomäusbrüderschaft, vielmehr bildeten sie eine eigene, die Hl. Kreuz- und St. Andreasbrüderschaft, zu der sich auch die Flamen hielten, die damals noch zum Deutschen Reiche zählten. Ihre Kapelle befand sich in der Kirche des Dominikanerklosters S. Domingos. Außer den Kaufherren, Seeleuten, Soldaten, Büchsenmachern und Waffen­ schmieden lebten damals auch zahlreiche Handwerker in Lissabon, Baumeister, Steinmetze, Buchdrucker, Gold- und Silberschmiede, Weber, Schuster u. a. m. Denn hier herrschte ein reges Leben auf allen Gebieten. Aus den neu er­ worbenen Kolonien strömte Geld in Massen in die Kassen des Königs Emanuel des Glücklichen (Manuel I. 1495—1521), der sie in verschwenderischer Weise zu glänzender Ausgestaltung des Hofstaates sowie für Riesenbauten verwandte und für die Pflege von Kunst, Literatur und Wissenschaft hergab. Portugal, das zu einer Weltmacht geworden und dessen Hof der glänzendste in ganz Europa war, erlebte den Höhepunkt seiner kulturellen Entwicklung. Die Lehrmeister der Portugiesen aber kamen aus dem Ausland und waren vorwiegend Deutsche. So finden wir am Anfang des 16. Jahrhunderts eine zahlreiche und be­ deutende deutsche Kolonie in Lissabon vor, als die Reformation in der Heimat auch hierher ihre Wellen schlug. Damit beginnt die Vorgeschichte der evan­ gelischen Gemeinde.

II.

Vorgeschichte der Gemeinde 1. Im Banne der Inquisition, 1540—1640

Als am 31. Oktober 1517 mit dem Anschlag der 95 Streitsätze Martin Luthers gegen den Mißbrauch des Ablasses zu Wittenberg die reformatorische Bewegung begann, ging es wie ein Erwachen durchs deutsche Volk. Gott schenkte den Deutschen sein Evangelium von Jesus Christus aufs neue, und wie ein Lauffeuer lief die seligmachende Botschaft durch die deutschen Gaue. Bon Wittenberg breitete sich die Bewegung wunderbar aus; bald schlugen ihre Wellen bis nach Tirol und Vorderösterreich, Mähren und Ungarn, Preußen und Livland, bis in die Niederlande und in die deutsche Schweiz. Ganz Nord­ deutschland mit Hamburg und Lübeck, den bedeutendsten Hansestädten, wurde evangelisch. Da war es nur natürlich, daß die Deutschen, die von dort ins Aus­ land gingen, die neue Lehre mitbrachten und auch in der Fremde ihres evan­ gelischen Glaubens leben wollten. So befanden sich denn auch unter den Deutschen in Lissabon bald nach der Reformation Protestanten. Besonders die Mitglieder der Bartholomäusbrüderschaft fielen durch ihre protestantische Gesinnung auf1). Zunächst verbargen die Evangelischen noch nicht so ängstlich die Aeußerungen ihres Glaubenslebens. Sie lasen in ihrer Lutherbibel, sangen lutherische Lieder daheim oder bei der Arbei?), und wenn einer in die römische Kirche ging, so nahm er sein lutherisches Kommunionbüchlein mit, um darin vor der Predigt zu lesen8). Die ihnen fremden römischen Sitten beobachteten sie schlecht und kümmerten sich wenig um die Vorschriften der Papstkirche. Wurde es doch in ihr selber nicht allzu streng genommen. Die Macht und das Ansehen der Priester war bedenklich ins Wanken geraten.

Auch hatten in Portugal humanistische Bestrebungen Boden gefunden mit ihrer Kritik an der Kirche und dem Verlangen nach Erneuerung des Lebens. Der größte Humanist, Erasmus von Rotterdam, hatte hier einen Schüler und Freund, den bedeutenden Gelehrten und Geschichtsschreiber des portugiesischen Königshauses, Damiao de Goes8). Dieser bereiste als Diplomat Johanns II. von Portugal ganz Europa und besuchte nicht nur fast sämtliche Fürstenhöfe der Zeit, sondern kannte auch alle hervorragenden Vertreter des Humanismus und Führer der Reformation in Deutschland, mit denen er zum Teil in leb­ haftem Briefwechsel stand. Albrecht Dürer porträtierte ihn. So war er auch in Wittenberg gewesen und hatte die persönliche Bekanntschaft Luthers und

Melanchthons gemacht, ja später sogar noch Briefe von den Reformatoren empfangen. Er scheint dem lutherischen Glauben stark zugeneigt gewesen zu sein. Nach Lissabon im Jahre 1545 zurückgekehrt, widmete er sich der Förde­ rung des Humanismus in seiner Heimat und sammelte in seinem Hause Gleichgesinnte aller Nationen um sich, darunter besonders Deutsche und Niederländer. Da Damiao de Goes auch ein nicht unbedeutender Musiker war, wurde nach dem Effen Musik getrieben, auf Instrumenten (Orgel) gespielt und gefungcn5). Vielleicht sind dabei auch lutherische Lieder erklungen. Jedenfalls hatte man solche Musik, wie sie aus Goes' Hause schallte, in Lisiabon noch nicht gehört*). Bald aber wurde es gefährlich, so zu singen, und die Zusammen­ künfte der Ausländer in Goes' Wohnung sollten ihm noch teuer zu stehen kommen. Das alles diente später als belastendes Material in dem Prozeß, der ihm von der Jnquisitton gemacht und in dem er 1572 schließlich als Lutheraner verurteilt wurde. Ein Jahr später aus dein Kerker des Klosters Batalha, schwer krank, körperlich und seelisch zerbrochen, entlassen, starb er eines unaufgeklärten Todes. Die Jnquisitton war nach dem spanischen Borbilde 1536 in Portugal ein­ geführt worden und erhielt in den seit 1540 im Lande auftretenden Jesuiten ihre mächttgen Vorkämpfer und Stützen. Diese brachten in kurzer Zeit die ganze nationale Erziehung in ihre Hände und unterdrückten jegliche Regung freieren Geistes. Die Folge war, daß „mit unglaublicher Schnelligkeit die Wisienschaften in Portugal zurückgingen"?) und das hoffnungsvoll aufblühende kulturelle Leben völlig erstarrte. „Neben dem vollkommensten Absoluttsmus des Staates und der römischen Kirche herrschte der Mystizismus. Aberglaube, Wunderglaube, rohester Fetischismus und polytheisttscher Heiligenkultus griffen in der ganzen Bevölkerung des portugiesischen Reiches in erschreckender Weise unter der Herrschaft der Jnquisitton und der Jesuiten um sich*)". Nun änderte sich natürlich auch die Lage der deutschen Protestanten in Lisiabon. Aengstlich mußten sie ihr Glaubensleben verbergen. Denn jede Aeußerung ihrer evangelischen Gesinnung konnte für sie gefährlich werden. Was blieb ihnen anderes übrig, als sich äußerlich den Vorschriften der Papst­ kirche zu fügen und sich dem Beichtzwang der Priester zu unterwerfen! Welche Gewisiensnot mag da so mancher ausgestanden haben! Ein deutscher Gold­ schmied z. B. gesteht einmal vor dem Jnquisitionsgericht, wie er bei der Beichte immer verschwiegen habe, daß er Lutheraner sei, dabei aber ständig in Angst geschwebt habe, daß der Priester einmal danach fragen könnte"). So wird es auch andern gegangen sein. Auf die Dauer aber konnte ihre evangelische Gesinnung doch nicht ver­ borgen bleiben. Durch unbedachte Aeußerungen Portugiesen gegenüber, man­ gelnde Beteiligung an den römischen Zeremonien aus Unkenntnis oder aus Gewisiensgründen oder sonstwie auffallendes Benehmen wurde ihr Protestanttsmus offenbar und der Jnquisittonsbehörde durch eifrige Zuträger angezeigt. Das Denunziantentum wurde durch die Inquisition ja geradezu großgezüchtet. Wenn auch nicht jede „Denunziatton" böswillige Angeberei war, sondern zu­ nächst einfach die strafrechtliche Anzeige der Jnquisitionsbeamten bedeutete, so daß jeder Prozeß mit einer Denunziatton beginnt, so häuften sich doch bald

Lissabon ((Snbc des 17. Jahrhunderts)

Palast der Inquisition in Lissabon (Nach alten Stichen, aus der Sammlung Carl Georges in Lissabon)

auch Anzeigen, die von privater Seite in hinterlistiger Weife aus persönlichen Gründen ergingen. So finden wir einerseits den Priester der Bartholomäuskapelle") und die Beamten der Inquisition unter den Denunzianten, andererseits aber Dienstboten, Arbeitskollegen, klatschsüchtige Frauen, ja sogar Lands­ leute, die aus Brotneid, persönlicher Feindschaft oder um sich selbst bei der Inquisition in ein gutes Licht zu setzen, einander denunzieren. Ihre eigenen Landsleute denunzieren vor allem Untersuchungsgefangene, die durch die Ver­ höre und Drohungen des Gerichts so mürbe geworden sind, daß sie keine Zurück­ haltung mehr kennen und alles sagen, was sie irgend wisien, um nur den Prozeß zu einem baldigen und möglichst günstigen Ende kommen zu lassen. Schließlich kommen auch Denunziationen vor, die aus Angst und Cha­ rakterschwäche zu erklären sind. Man wollte sich dadurch von vornherein vor jedem möglichen Konflikt mit der Inquisition, der so unangenehm werden und unabsehbare Folgen haben konnte, bewahren. Märtyrer waren jene schlichten Glaubensgenossen nicht. Sie waren vielmehr wie arme, schwache, verstreute und verängstigte Schafe einer Herde ohne Hirten. Deshalb haben sie doch um ihres evangelischen Glaubens willen gelitten und gehören der Geschichte der evangelischen Gemeinde an, auch wenn sie im allgemeinen keine Glaubens­ helden waren, sondern äußerlich sich dem römischen Zwang fügten. Die erste Denunziation eines Deutschen datiert vom 1. April 1541"), und zwar sagt ein portugiesischer Priester aus, daß er von einem Deutschen, namens Albert Lieber, gehört habe, der Steinhauer oder Goldschmied Ottomar sei mit einer Nonne verheiratet, die Martin Luther aus dem Kloster befreit und mit ihm getraut habe, wie es oft durch chn geschehen sei. Dasselbe wird am 13. Juli 1549 sogar von dem Konnetabel der Bom­ bardiere und Vorsteher der Bartholomäusbrüderschaft Antonio Bispo (wahr­ scheinlich auf deutsch: Bischof) behauptet"). Eine Portugiesin will es von einer anderen gehört haben. Dieser Führer der deutschen Söldner war schon früher mehrfach denunziert") worden; einmal von einem portugiesischen Schuhmacher, weil er ihn gesehen habe, wie er bei der Erhebung des Kelchs während der Messe in eine Ecke der deutschen Kapelle gegangen sei, und weil er ihn für einen schlechten Christen halte, wie überhaupt alle Bombardiere der deutschen Brüder­ schaft in der S.-Julian-Kirche. Das bestätigt auch der portugiesische Pfarrer von Sankt Julian, der den Konnetabel oftmals in der Kirche ein- und aus­ gehen sah, ohne daß er sein Barett zog oder vor einem Helligen oder vor dem heiligen Sakrament die Ehrenbezeugung machte. Auch sah er ihn häufig in der Kirche spazierengehen, während er, der Priester, die Messe las. Ferner nahm er auch keine andere Haltung ein, noch kniete er nieder beim Erheben des heiligen Sakraments, wie einer, der nicht an das heilige Sakrament glaubt. Vielmehr trat er, umhergehend, an die Leute heran, die kniend das Sakrament anbeteten. Oft sah er ihn auch in Begleitung von anderen Deutschen, die gerade aus Deutschland gekommen waren, wo die Ketzereien gegen das heilige Sakrament im Schwange wären. Verschiedene Zeugen bestätigten die Aus­ sagen über Anton Bischof, darunter auch der Kaplan der Bombardiere, ein Franziskanerpater. Nach Aussage eines der Zeugen befanden sich verschiedene Lutheraner in der Stadt. 2

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Ein flämischer Weber war im Hause eines deutschen Webers Robert"), der während der Fastenzeit Fleisch atz, da Gott es ja nicht verboten habe. Sie kamen darüber wohl auf religiöse Fragen zu sprechen, wobei der Deutsche äutzerte, datz es bei der Beichte genüge, die Augen zu Boden zu schlagen und Gott seine Sünden zu bekennen, datz das geweihte Wasser nicht mehr wert sei als gewöhnliches Fluhwasser und datz es kein Fegefeuer gäbe. Der Nieder­ länder berichtet davon seinem Beichwater. Der aber erteilt ihm die Absolution nur unter der Bedingung, datz er davon der Jnquisiüon Mitteilung mache, und zwingt ihn somit zur Denunziatton. Derselbe Webermeister Robert wird auch von seinem Lehrling denunziert"), der ebenfalls beobachtet hat, datz er nicht zu fasten Pflegte. Autzerdem habe er gesagt, der Mensch sei dumm, wenn er beichten gehe, und Gott habe niemals geboten, datz es Mönche geben soll; die sollten lieber arbeiten, anstatt zu betteln. Ein portugiesischer Kollege bestätigt die Aussagen gegen den Deutschen ebenfalls. Ein Kammerdiener des Königs denunziert einen gewissen Hans"), weil er ihm in der Unterhaltung versichert habe, datz nicht, was zum Munde herein­ gehe, die Menschen schlecht mache, sondern was aus dem Munde herausgehe (nach Jesu Wort, Matth. 15, 11), ferner datz der Papst keine Macht habe, die Sünden zu vergeben. Bon dem deutschen Kaufmann Luis Lima wird behauptet, datz er in Deutschland Priester gewesen sei"). Ein Niederländer wird angezeigt, weil er vor einem Kruzifix das Barett nicht gezogen habe"). Der Diener eines Deut­ schen, namens Tilman, zeigt zwei Flamen an, weil sie zum Kruzifix hin „figas" gemacht hätten, d. h. den Daumen zwischen dem Zeige- und Mittelfinger hindurchsteckten, als Zeichen der Geringschätzung"). Ein anderer hat etwas gegen das Rosenkranzbeten gesagt; man solle nur zu Gott beten"). Ein Stein­ metz, namens Reinhold, wird denunziert, weil er das Leben der Verheirateten besser als das der Mönche bezeichnet habe"). Ein Schneidermeister Peter hat sich über die Verbrennung eines Lutheraners empört und unter anderen Ketze­ reien behauptet, der verbrannte Lutheraner habe die Wahrheit gesagt. Seine Frau hat es einer getauften Jüdin erzählt, die ihn daraufhin denunziert). Die Frau eines deutschen Uhrmachers, namens Wilhelm, zeigt den Schuhmacher Kaspar an, weil er Fleisch geniesst an Tagen, an denen es verboten ist"). — In dieser Weise gehen die Denunziattonen fort. Nicht alle Anzeigen werden gleich weiter verfolgt und führen zu Prozessen. Vielmehr stellte man zunächst weitere Untersuchungen an, um die Richtigkeit der Anzeige nachzuprüfen und sich darüber zu vergewissern, ob es sich um einen Ketzer handelte oder nicht. Der erste Deutsche, der mit dem Jnquisittonskerker Bekanntschaft machte, war der 35jährige Goldschmiedemeister Wilhelm Burcelis aus Köln"), der in Lissabon zeitweise am Turm von Belem beschäftigt war. Am 27. Februar 1556 wurde er verhaftet, nachdem ihn ein Landsmann wegen ketzerischer Aeusse­ rungen denunziert hatte. Acht Tage nach der Verhaftung fand das erste Verhör statt. Meister Wilhelm bekennt, dass er sein Gewissen in keiner Sache gegen den Glauben belastet fühle, datz der Denunziant vielmehr sein Hauptfeind sei, den er nun selbst wieder anklagt. Sein einziges Vergehen sei, dass er vor etwa zehn

Jahren auf Anstiften eines französischen Kollegen an einem Fastentage Fleisch aß, was er jedoch dem deutschen Franziskanerpater, der Kaplan der Bom­ bardiere in der S. Julian-Kirche sei, gebeichtet habe. Obgleich es sich im Ver­ lauf des Verhörs herausstellt, daß der Delinquent kacholisch ist und das Ave Maria sowie das Salve Regina usw. beherrscht, wird er mit der Ermahnung, sein Gedächtnis nach lutherischen Ketzereien zu erforschen, unter Versprechungen einer barmherzigen Behandlung wieder in den Kerker entlassen. So verlief regelmäßig die erste Audienz vor dem Jnquisitionsgericht. Nach weiteren Ver­ hören kommt schließlich nach drei Monaten das Urteil, die sog. Sentenz, zu­ stande. Darin wird festgestellt, daß der Angeklagte zu jemandem, der ihm erzählt habe, er sei in der Kirche gewesen, um die Predigt zu hören, um sich Gott zu befehlen und den Heiligen, damit sie für ihn bitten sollten, geantwortet habe, daß er in seinem Hause zu Gott bete, daß man nicht die Heiligen zu bitten brauche, die selbst Sünder seien, sondern unmittelbar zu Gott gehen müsse, der mit ausgebreiteten Armen uns zu empfangen bereit sei. Solche Sätze seien lutherische Ketzereien und verdammt. Da der Angeklagte zweifellos lutherischer Ketzer sei, müsse er schuldig gesprochen und zur verdienten Strafe sowie zu den Kosten des Prozesses verurteilt werden. Da der Schuldige sich jedoch nicht als hartnäckiger Ketzer erwiesen hatte, sondern der römischen Kirche treu ergeben zu sein versprach, wurde er rekonziliiert, d. h. wieder mit der Kirche ausgesöhnt und nach etwa drei weiteren Monaten entlassen. Eingehender ist schon der Prozeß gegen den Goldschmied Ulrich Pülcher (zu deutsch Schoen), der am 2. Mai 1558 ins Untersuchungsgefängnis ein­ geliefert toirb25). Zwei Jahre dauert es, bis er aus den Zangen der Inquisition wieder frei kommt. Er ist von einem ebenfalls in Haft befindlichen flämischen Kollegen Hans van Münster denunziert worden, der in Gesprächen während der gemeinsamen Arbeit über die Reformation in Deutschland ketzerische Aus­ sagen von ihm gehört hat. Meister Ulrich bittet um Audienz, um seine Schuld zu bekennen. Er erzählt ausführlich seinen Lebenslauf. Aus München stam­ mend, kam er nach Augsburg in die Lehre, wo alle Lutheraner gewesen seien. Die lutherischen Glaubensstücke weiß er wiederzugeben. Ueber Antwerpen kam er nach London, wo das ganze Land lutherisch wäre, wieder über Antwerpen nach Lissabon, wo er seitdem bei dem Kaplan der Flamländer in der Bartholomäuskapelle zu S. Julian regelmäßig gebeichtet und kommuniziert habe, was er früher nie getan hätte. Doch, daß er Lutheraner sei, habe er immer ver­ schwiegen, in ständiger Angst, daß der Priester einmal danach fragen könne. Da er nun weder guter Lutheraner noch guter Katholik sei, wünsche er sich der lutherischen Irrtümer zu entledigen, wolle immer ein guter Christ sein und bitte um Vergebung und Barmherzigkeit. Nach einem Verhör über weitere Lutheraner in der Stadt wird er mit der üblichen Ermahnung in den Kerker zurückgeschickt. Nach ein paar Tagen erscheint er wieder, um „sein Gewissen zu erleichtern", ohne daß er wesentlich Neues zu sagen hat. Nach zwei Wochen erneutes Verhör und Mahnung zur Wahrheit. Er aber kann sich an nichts weiter erinnern, bereut seine Sünden und Irrtümer, will Buße tun, verspricht nie wieder derartige Irrtümer zu wiederholen und bittet, daß man ihn unter­ richte, damit er wisse, was er tun müsse, um ein guter Christ zu sein. Nach 2»

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fünf Monaten erst wird er wieder verhört. Immer noch ist er nicht mürbe genug. Den ganzen Winter über sitzt er im Jnquisitionskerker, um über seine Sünden nachzudenken. Im März des folgenden Jahres erneutes Verhör. Wieder ergebnislos. Schließlich bekennt er, da die Inquisitoren immer wieder auf ihn eindringen, daß er mit Hans von Münster zusammen manchmal lucherische Lieder gesungen habe, z. B. „Wir sind frei vom Papst, dem Mörder unsrer Seele", wie man's in der Heimat gesungen hätte. Wieder bittet er um Erbarmen und ist bereit, alles was man will, zur Buße zu tun, um nur erlöst zu werden aus seiner peinvollen Lage. Wer die Inquisition hat Zeit. Ein gerichtliches Gutachten entscheidet zwar, der reuige Sünder sei zu rekonziliieren mit der „Penitencia ordinaria" (gewöhnliche Strafe). Das bedeutet jedoch noch lange nicht die Freiheit. Ein halbes Jahr vergeht zunächst noch, bis das Schlußurteil gefällt wird. Inzwischen glaubt der Unglückliche, seine Sache zu beschleunigen, indem er noch einmal um Audienz bittet, um durch ein Geständ­ nis „sein Gewisien zu erleichtern". Er erinnert sich, in der Kapelle der Flam­ länder in S. Domingos gewesen zu sein und dort einen deutschen Steinmetzen getroffen zu haben, der ein lutherisches Beichtbüchlein mit den sieben Buß­ psalmen, wie er viele derart in Deutschland gesehen, besaß, worin er bis zum Beginn der Predigt las. Auch erinnert er sich noch einiger Landsleute, von denen er einen in der lutherischen Kirche zu Augsburg gesehen habe. Im Herbst des Jahres kommt der Prozeß endlich zum Wschluß und das Urteil zur Voll­ streckung. Bei dem nächsten AutodafL, wobei öffentlich vor allem Volk nach feierlicher Zeremonie die Urteilssprüche über die verschiedenen Delinquenten verlesen wurden, mußte er, durch einen Strick um den Hals nach der Art seines Vergehens gekennzeichnet, als Büßer erscheinen und seine Ketzerei abschwören, worauf er einem Priester „zur Unterweisung in den Dingen des Glaubens" überwiesen wurde. Erst nach genügender Instruktion und bei allen „Anzeichen guter Konvertion" wurde der Unglückliche nach Wlauf eines weiteren Jahres auf Grund eines besonderen Gesuchs des Priesters aus dem Kerker entlassen. Aehnlich erging es dem Kaufmann Hans Koch (Quoque) aus Lüneburgs). Ein Franzose, mit dem er in Gesellschaft von anderen Deutschen oftmals an Fastentagen Fleisch gegessen hatte, und der selbst bereits im Kerker saß, hatte ihn denunziert. Koch hatte geäußert, es sei doch keine Sünde, an verbotenen Tagen Fleisch zu essen, denn Christus habe nicht geboten, daß man in Speisen einen Unterschied machen solle. Diese Bemerkung kostete ihm drei Monate Aufent­ halt im Jnquisitionskerker, aus dem er durch offenes Bekenntnis seiner Irr­ tümer und seiner Reue möglichst milde zu entkommen suchte. So finden wir denn in seiner „Confessäo" das ganze Sündenregister der lutherischen Ketzerei aufgezählt. In Deutschland hat er das Wendmahl nach lutherischer Art ge­ nossen. Damals glaubte er, „daß Gott nicht im Sakrament des Altares sei, daß es kein Fegefeuer gäbe, daß Gebete für Tote keinen Zweck hätten, weshalb er niemals den Rosenkranz für sie gebetet habe, daß man dem Priester nicht zu beichten brauche, sondern nur Gott selber, daß man Heiligenbilder nicht ver­ ehren dürfe und daß man an allen Tagen Fleisch essen könne." Ferner glaubte er, daß der Papst keine Sünden vergeben noch Ablaß verleihen könne, weshalb er niemals Ablaß genommen habe, weil es ihm zwecklos schien; daß die mensch-

lichen Einrichtungen der Kirche keine erlösende Macht hätten, daß das geweihte Wasser nichts nütze sei, daß die Menschen vielmehr allein durch den Glauben gerecht würden. Diese Irrtümer habe er von Vater und Mutter sowie von seinen Lehrern, die er noch mit Namen zu nennen weiß, gelernt. Nun aber bittet er für alles um Vergebung und Barmherzigkeit. In einem weiteren Verhör wird festgestellt, daß er sich nicht richttg bekreuzigt, nur das Vaterunser und den Glauben hersagen kann, aber nicht das Ave Maria und Salve Regina, weil man diese in der Heimat nicht spricht, sonst weiß er nur noch die 10 Gebote. Schließlich wird er, da er sich als reumütiger Sünder zeigt, in derselben Weise wie sein Münchener Leidensgefährte rekonziliiert. So verliefen die Prozesse in der Regel. Die oben beschriebene Form der Bestrafung war das gelindeste Urteil der Inquisition, abgesehen vom Frei­ spruch, der jedoch kaum in Betracht kam. Immerhin war es unangenehm ge­ nug, mit der Inquisition auch nur die leiseste Bekanntschaft zu machen. Man kann sich denken, wie ängstlich sich unsere Landsleute davor hüteten und ihren Glauben im Herzen verbargen. Daß sie durch die Inquisition zur römischen Kirche wirklich bekehrt wurden, auch wenn sie äußerlich sich ihr unter­ warfen, um Brot und Leben nicht zu verlieren, war gewiß nicht der Fall. Manchem wird es zu Mute gewesen sein wie dem holländischen Kaufmann Johann Bet, der seiner Stimmung auf drastische Weise in dem Augenblick Luft machte, als das Boot, mit dem er sich auf einem heimallichen Segler zur Flucht einschiffte, sich genügend weit vom Ufer entfernt hatte. Da rief er den zum Abschied am Ufer versammelten Landsleuten mit lauter Stimme zu, er werde, so wie er könne, in seiner Heimat die Mönche an demselben Sttick aufhängen, den er hier beim Autodafs um den Hals hätte tragen müssen, und andere Drohungen. Er, der mit Hans Koch zusammen im Untersuchungsgefängnis gesessen und diesem als Dolmetscher hatte dienen müffen, war als mit der römischen Kirche „wiederausgesöhnt" von der Inquisition entlassen toorben17). Alle Maßnahmen der Inquisition gegen die Ketzerei im eigenen Lande erwiesen sich als ungenügend, solange nicht verhindert wurde, daß die luthe­ rische Seuche immer wieder von auswärts hereingeschleppt wurde. Darum kam 1561 eine Verordnung betreffs der in den portugiesischen Häfen ein­ laufenden Schiffe heraus-*). Für die Engländer, Deuffchen, einschließlich der Niederländer und Franzosen, wurde je ein Jnquisitionsbeamter (familiär) be­ stellt, der jedes Schiff nach Ketzern oder ketzerischen Büchern genau zu durch­ suchen hatte. Der Visitator der deuffchen Schiffe war der Kaplan der Bartholomäusbrüderschaft, als welcher zu der Zeit ein Pater Arnaldus (Arnold?) mehrfach auftritt-*). Die Kapitäne waren bei strenger Strafe verpflichtet, alle der Inquisition verdächtigen Personen oder Sachen auszuliefern und die Namen der im Hafen an Land gehenden Passagiere anzugeben. Ebenso waren auch die Gast- und Schankwirte verpflichtet, alle bei ihnen verkehrenden Aus­ länder zu melden, deren Namen dann — genau wie heute bei der internationalen Polizei — in einer Liste der Ausländer in Portugal geführt wurden. So behielt man die Ausländer ständig im Auge, und ein ausgedehntes Spionageund Spitzelsystem brachte jede ketzerische Aeußerung oder Handlung der In­ quisition sofort zur Kenntnis.

Ms z. B. der flämische Gastwirt Franz Jans in Verdacht kam, ein luthe­ risches Buch zu besitzen, wurde er von dem damaligen flämischen Kaplan der Barcholomäuskapelle in S. Julian, Tudo Politanus, denunziert"). Acht Tage später erklärte der vorgeladene Delinquent, daß er das betreffende Buch auf dem Fußboden unter lauter Kehricht gefunden habe und gab drei weitere flämische Wirte an. Dabei nannte er auch Hermann Tilmann (Arman Tilmao) als flämischen Konsul. 1575 lagen einmal zwei Danziger Schiffe int Hafen. Der Inquisition war gemeldet worden"), daß sie, in Fäffern mit Zwieback und in Tonnen versteckt, verbotene Bücher mitgebracht hätten. Sofort wurde eine Untersuchung angestellt. Der Kapitän des Seglers „Weißes Pferd", Hans Meyer, erklärte, daß er Waren für den deutschen Kaufmann Kaspar Kunertorff gebracht hätte. Alles wurde durchforscht. Als schließlich noch einige Roggenund Mehlfässer von der Ladung übrigblieben, die bereits in einem Geschäft abgeladen worden waren, wurden auch sie noch durchsucht, aber ohne Erfolg. Das zeigt, mit welcher Gründlichkeit man hier verfuhr. So wurde denn bald jegliche Regung evangelischen Glaubens erstickt. Nur wenige Prozesse") noch zeugen von ernsteren Konflikten mit der Inquisition, und auch die Denunziationen gegen Deutsche werden immer seltener. Inzwischen war Portugal selbst unter der skrupellosen Herrschaft der Jesuiten mehr und mehr heruntergekommen. Der minderjährige Thronfolger D. Sebastiao wurde von Jesuiten erzogen. Unter deren Einfluß stand auch die Regentin, seine Mutter Johanna, eine Tochter Kaiser Karls V. 1562 über­ nahm der Bruder des verstorbenen Königs, der Kardinal und Großinquisitor Don Henrique die Regentschaft. Nach seiner Großjährigkeitserklärung unter­ nahm der junge König, „ein romantischer, wundergläubiger, in Mystizismus versunkener Träumer und religiöser Fanatiker""), den unsinnigen, abenteuer­ lichen Kreuzzug nach Marokko, in dem er fast mit seinem ganzen Heere am 4. August 1578 bei Alkazar Kebir den Tod fand. Unter seinen Söldnern be­ fanden sich zahlreiche Deutsche"), die so im Dienste des verrückten königlichen Abenteurers nach den furchtbarsten Strapazen elendiglich in der Fremde zu­ grunde gingen. Während der umständlichen Vorbereitungen des unglücklichen Feldzuges lagen sie längere Zeit in Lissabon unter traurigen Verhältnissen"). Kaum einer von ihnen wird die Heimat wiedergesehen haben. Deutsches Söldnerlos! Noch manchmal wird es uns in der Geschichte Portugals begegnen. Als nach Sebastiaos Tod der einzige Thronerbe, der alte Kardinal-Groß­ inquisitor, nach zwanzigjähriger Regierungszeit 1580 starb, war die Dynastie des Hauses Aviz erloschen. Den darauf folgenden Thronfolgestreitigkeiten machte der Oheim Sebastiaos, König Philipp II. von Spanien, ein Ende, indem er Herzog Alba mit 20 000 Mann — darunter 3500 deutsche Söldner —”) nach Portugal schickte und das Land einfach dem spanischen Reiche einverleibte. Dadurch wurde das noch vor kurzem so mächtige und glänzende portugiesische Königreich zu einer unbedeutenden Provinz Spaniens. Portugals riesigen Kolonialbesitz betrachteten nun die mit Spanien verfeindeten, neu empor­ gekommenen Seemächte England und Holland als freie Beute. Die Küsten­ städte des schutzlosen und von der spanischen Regierung vernachlässigten Landes wurden geplündert, seine Kauffahrteischiffe gebrandschatzt und gekapert,

ohne daß die Portugiesen sich dagegen wehren konnten. Denn ihre einst so mächtige Flotte war mit der spanischen Armada untergegangen. Die Spanier saugten das Land durch Steuerlasten nur in maßloser Weise aus. Unter diesen Umständen ging die deutsche Kolonie natürlich auch mehr und mehr zurück. Eins der großen Handelshäuser nach dem andern ging ein. Doch verblieben in Lissabon immer noch genügend deutsche Kaufleute, Hand­ werker und Soldaten. Im Schloß war eine deutsche Leibwache des spanischen Königs stationiert17); wahrscheinlich galten die deutschen Hatschiere als die treuesten und zuverlässigsten.

Zu Anfang des neuen Jahrhunderts scheinen die Protestanten sich erneut hervorgewagt zu haben. Die erste Welle der Vernichtung war über die Gläu­ bigen der Reformationszeit in Portugal dahingegangen und, jede Regung evangelischen Lebens erstickend, verebbt. Eine neue Generation war gekommen, neue Protestanten waren aus der Heimat zugewandert, und wieder begann sich evangelisches Leben unter den Deutschen zu regen. Zunächst waren es seit der Zeit der spanischen Invasion nur ganz ver­ einzelte Fälle, in denen Deutsche mit der Inquisition, die in ihrer Organi­ sation ganz unverändert blieb, in Konflikt kamen. 1582 ist es ein junger, aus Amberg i. Bayern stammender deutscher Soldat aus der spanischen Besatzungs­ armee, der infolge von Klatschereien der portugiesischen Frau eines Kameraden denunziert in den Kerker wandert, aus dem er erst nach fast zwei Jahren, „im Glauben unterrichtet", wieder herauskommt11). Er hatte sich im Hause seines Kameraden über die Heiligen lustig gemacht, als dessen Frau vor den Bildern der Heiligen Antonius und Franziskus Lichter anzündete. Die Inquisitoren ent­ deckten in ihm einen lutherischen Ketzer, der nur den lutherischen Katechismus, aber nicht die römischen Lehren und Gebräuche kannte, da er zu Hause nichts anderes gelernt hatte. Jedoch in anbetracht seiner besseren Einsicht und seiner Jugend wurde er „rekonziliert". Lange genug aber mußte er noch auf seine Befreiung warten, bis er, nach Veröffentlichung des Urteils und feierlicher Abschwörung seiner Ketzerei auf dem Autodafe vom 6. Mai 1584 schließlich auf Grund des Zeugnisses des ihn unterrichtenden Kaplans am 4. August des Jahres entlassen wurde11). 1601 wird der 16jährige Schusterjunge Jan Ottens aus Emden (geb. in Groningen) in Setubal denunziert41) und nach Lissabon gebracht, wo ihm der flämische Jesuitenpater Jakob Nerius vom Kloster San Roque vor dem Jnquisitionsgericht als Dolmetscher dient. Er hatte sich geweigert, das Bild des hl. Johannes Baptista zu küsien und dabei allerlei Aeußerungen getan, die seine lutherische Gesinnung offenbarten. Er wird dem Jesuitenpater im Kloster San Roque zur Instruktion in den zum Heile seiner Seele notwendigen Dingen überwiesen. Interessanter ist der Prozeß des deutschen Arztes Dr. Natan Arnaldo aus Bernburg bei Straßburg im Jahre 160241). Von seinem Schwiegervater, einem Portugiesen, dessen Tochter er erst vor drei Monaten geheiratet hatte, wurde er denunziert. Seine eigene Frau bestätigt die Aussagen gegen ihn; dazu treten die ganze portugiesische Verwandtschaft und einige Patientinnen als Zeugen

auf. Bon katholischen Eltern, war er als Knabe nach Basel gekommen und dort kalvinistisch erzogen worden. Dort hatte er auch als Kalvinist studiert und war dann in Italien und Oesterreich gewesen. Mit 33 Jahren hatte er sich nun in Portugal niedergelasien. Wenn er auch nach römischem Ritus geheiratet hatte, so hielt er doch mit seinen protestantischen Anschauungen nicht zurück und sprach sich im Hause seines Schwiegervaters freimütig gegen all den römischen Werglauben aus. Ja in seinem eigenen Hause wollte er die Rosen­ kränze, die es da gab, verbrennen, ebenso die Heiligenbilder in der Hauskapelle. Diese hatte er bereits fortgenommen und die Haare des Bildes der hl. Jung­ frau zu verbrennen begonnen! Wenn er sich bekreuzigte, machte er das Kreuz überm Herzen und sagte, er bete zum Vater, Sohn und hl. Geist; das sei genug. Seit Christus für uns gestorben ist, sei es nicht nötig, noch mehr Buße zu tun. Man brauche auch nicht zu fasten oder irgendeine andere Bußübung zu machen. Dafür mußte er fünf Vierteljahre im Jnquisitionskerker zubringen, was chn bald zur „heilsamen Einsicht bringt, so daß er seine Schuld bekennt und unter Anzeichen und Beweisen der Reue um Erbarmen bittet. So wird er denn rekonziliiert und muß auf dem AutodafL im Büßergewand öffentlich ab­ schwören. Ein Vierteljahr mußte er noch in Haft zur Glaubensinstruktion verbleiben. Endlich wurde er am 13. November 1603 entlasten, mit dem Ver­ bot, ohne Erlaubnis außer Landes zu gehen. — Seine letzte Unterschrift in den Prozeßakten ist ganz unsicher und zitterig geworden. Die letzten Prozesse betreffen zwei einander ganz ähnliche Fälle aus den Jahren 1608 und 1618, die zur Freisprechung führen. Sie geben zugleich ein Beispiel von der damaligen Unsicherheit auf den Meeren. Der eine Fall ist der eines Hamburger Schiffsjungen, namens Lorenz"). Auf einem ham­ burgischen Salzschiff wurde er bei Kap Vincente von einem spanischen Schiff gefangengenommen und an einen der aus Granada vertriebenen Mauren als Sklave verkauft, der ihn wiederum an einen schwarzen Mohammedaner weiter­ verkaufte. Dieser wollte ihn zum Islam bekehren. Als er sich dem wider­ setzte, hängte der Schwarze den armen Hamburger Jungen mit dem Kopf nach unten an den Beinen auf und folterte ihn. Schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als ein „Türke" zu werden, wenn er auch „im Herzen ein guter Christ blieb". Er erhielt einen neuen Namen, bekam mohammedanische Kleidung angezogen und wurde in die Gebräuche des Islams eingeweiht. Bald aber wurde das Schiff seines schwarzen Herrn von einem Engländer wieder gekapert. Alle Mohammedaner wurden enthauptet und ins Meer geworfen, die euro­ päischen Sklaven aber begnadigt und auf ihren Wunsch zum nächsten christlichen Hafen, nach Lissabon, gebracht. Zehn Jahre später erging es genau so dem Bremer Albert Meier"). Sein flandrisches Schiff wurde ebenfalls bei Kap San Vincente von marokkanischen Seeräubern gekapert und die Besatzung als Sklaven verkauft. Der junge Lutheraner aus Bremen wurde gewaltsam be­ schnitten und zum Mohammedaner gemacht. Schließlich wurde er durch die spanische Armada wieder befreit und, zunächst als Gefangener, auf dem spani­ schen Admiralsschiff nach Lissabon gebracht, wo er von einem Inquisitions­ beamten gleich in Gewahrsam genommen wurde. Als Dolmetscher diente der, von jetzt ab mehrfach auftretende Beichtvater der „Flamengos" vom Domini-

kanerkloster, Hieronimus Valuarius. Da der junge Bremer wie auch sein hamburgischer Leidensgenosse versprachen, gute katholische Christen zu sein, was man ihnen nach all den schrecklichen Erlebnissen nicht verübeln kann, wurden sie nach genügender priesterlicher Instruktion entlassen. 1616 begegnen wir einem Schneider, Peter Trappe"), der sich mit einem Landsmann aus Hamburg, der vor langer Zeit nach seiner Heirat mit einer Portugiesin zur römischen Kirche übergetreten war, über das Rosenkranzbeten sowie die Marienverehrung unterhält und seinen lutherischen Glauben dabei geschickt zu verteidigen weiß. Der Hamburger berichtet das Gespräch einem Dominikanermönch, der ihm aufs Gewissen legt, daß er verpflichtet sei, der Inquisition Anzeige zu machen. Das tut er denn auch „zur Erleichterung seines Gewissens". Er hält seinen Landsmann für einen lutherischen Ketzer, der nur äußerlich sich den Anschein eines katholischen Christen gibt. Solcher nur äußerlichen Katholiken, die innerlich evangelisch waren, scheinen es nun immer mehr zu werden. 1626 denunziert der schon erwähnte Beichwater Hieronimus einen jungen Hamburger Kaufmann als Ketzer, der in Lissabon das Luthertum sogar zu propagieren scheine. Denn er habe ihm erzählt, daß er nach Art der Ketzer das Abendmahl genommen §ätte4B). Bald kommt es auch heraus, wo dies Verbrechen stattfindet: im Hause des reichen und angesehenen Hamburger Kaufmanns Johann Eggers. Am 20. März 1627 erscheint auf dem Jnquisitionsgericht der Konsul der Deutschen und Flamen, Juan Canjuel, ein Niederländer aus Antwerpen, und deckt das ganze Ketzer­ nest auf"). Eggers sei, wie er aussagt, „ein großer lutherischer Ketzer" und besitze eine Lutherbibel, in der er fortlaufend lese, ja dazu noch andere unter­ richte und sie zu denselben Irrungen ermuntere! Er beichte nie, gehe nicht in die Kirche und gebe durch sein Leben ein sehr schlechtes Beispiel. Die Beicht­ bescheinigung, die jeder aufwcisen mußte, verschaffe er sich durch einen seiner Diener, die ebenfalls Ketzer seien. Verschiedene Zeugen gibt er dafür an, darunter auch den Leutnant der deutschen königlichen Leibwache. Der Denun­ ziant hatte selbst gesehen, wie Eggers in der Bibel las, die, in deutscher Sprache gedruckt, auf seinem Tische liege. Er scheine sie so zu verehren, als ob es sein werwollstes Stück sei. Es sei dringend notwendig, sofort dagegen einzuschreiten. Denn es sei zu fürchten, daß dieser Herd der falschen Lehre weiter geschürt werde. Schon gebe es viele Schüler dieses großen Ketzers, der sich längst als solcher erwiesen habe, der tausend Gotteslästerungen den Lauf lasse, der die Katholiken Heuchler schimpfe, der die Rosenkränze in den Händen der Gläu­ bigen höhnisch ansehe und das Gebet zur hl. Jungfrau und den Heiligen ver­ werfe. Seine Nachbarn würden noch viel mehr sagen können. Die Zeugen werden vorgeladen. Andere Landsleute werden denunziert, die im Hause Eggers verkehren und bei allen Deutschen als Lutheraner bekannt sind. Im Mai erscheint der Konsul wieder, um noch mehr „zur Erleichterung seines Gewissens" zu sagen, und denunziert weitere Deutsche, alles Hamburger, dar­ unter den Verwalter der Bartholomäuskapelle in S. Julian! Alle wohnen in Lissabon, wo sie sich als Katholiken ausgeben, und haben vertrauten Umgang in Eggers Hause, wo viele andere Lutheraner zusammenkommen. Von Tag zu Tag vermehre sich das Uebel, zum Verderben ihrer Seelen und unseres

heiligen Glaubens, zum Schaden des Dienstes seiner Majestät und des Wohles des Königreichs. Was aus der Sache geworden ist, wissen wir nicht, da ein Prozeß gegen Eggers nicht auffindbar ist. Vielleicht war seine Stellung als reicher aus ländischer Kaufmann so mächtig, daß man ihm nichts anhaben oder er sich rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte. Jedenfalls haben wir hier zum erstenmal einen unzweifelhaften Beweis und ein deutliches Beispiel für gemein­ schaftliches Glaubensleben evangelischer Deutscher zur damaligen Zeit in Lissabon. Sie sammelten sich um die Bibel und feierten das heilige Abendmahl! Da war also eine lebendige Gemeinde, ein Stück Kirche, auch ohne Priester und Hierarchie. Denn wo Gottes Wort und Sakrament ist, da ist nach luthe­ rischer Erkenntnis die Kirche, und Johannes Eggers hat sich, indem er die Bibel lehrte und das Abendmahl in seinem Hause mit den Glaubensgenossen feierte, als rechter evangelischer Priester erwiesen, wie es alle Christen ein­ ander sein sollen. Die Denunziation zeigt, daß die Inquisition auch jetzt noch, fast hundert Jahre nach ihrer Einführung in Portugal, jede freiere Glaubensäußerung un­ möglich machte. Mer ausrotten ließ sich der evangelische Glaube nicht, so wenig, wie man das Evangelium Christi unter Menschenlehren und Gesetzes­ zwang der Papstkirche begraben konnte. So schwelte denn das Feuer des Glaubens bei einzelnen Gläubigen im Verborgenen weiter, bis es sich dann einmal in gemeinsamem gottesdienstlichem Leben der ganzen Gemeinde zur hellen Flamme entfalten durfte. Bald sollte die Zeit dazu kommen. Die politische Entwicklung brachte für die evangelischen Ausländer nach und nach Schutz ihres Glaubens und Freiheit der Ausübung ihres Gottesdienstes, wenigstens in beschränktem Maße, mit sich. Unter der immer stärkeren Steuerbelastung durch die Spanier raffte sich das portugiesische Volk nach 60 Jahren der Fremdherrschaft endlich auf, um dem unwürdigen Zustand ein Ende zu machen. Am 1. Dezember 1640 erlangte Portugal durch eine sorgfältig vorbereitete und glücklich durchgeführte Revo­ lution seine Unabhängigkeit wieder. Am 2. Dezember zog der Kronprätendent, der Herzog von Braganza, in Lissabon ein und wurde als König Johann IV. ausgerufen. Er war ein Nachkomme der letzten rechtmäßigen Thronerbin, der Herzogin Katharina von Braganza, einer Enkelin Emanuels d. Gr. Das „restaurierte" Königreich stand bald in sich gefestigt da, und die ver­ schiedenen auswärtigen Mächte erkannten Portugal als unabhängigen Staat an. Nacheinander schlossen sie Verträge mit Portugal ab, in denen sie nicht versäumten, das Recht freier Ausübung der Religion für ihre Untertanen zu sichern. Damit beginnt eine neue Epoche auch für die Geschichte des evan­ gelischen Deutschtums in Portugal.

2. Im restaurierten Königreich, bis zum Erdbeben von 1755 In dem neu begründeten portugiesischen Königreiche herrschte nach wie vor die Inquisition. Niemand durfte es wagen, mit seinem evangelischen Glauben öffentlich hervorzutreten. Im Jahre 1644 erklärt ein deutscher

Tischlermeister einem katholischen Landsmann, daß er nur, um der äußeren Pflicht zu genügen, beichte und kommuniziere. Man sei ja dazu gezwungen, um in diesem Lande das Leben fristen zu können. Jener Landsmann hatte ihm Vorhaltungen gemacht wegen respektloser Aeußerungen über die römische Kirche, die Mönche und Pfaffen. Er hatte ihn im Hause eines anderen Deut­ schen getroffen, des königlichen Organisten Meister Wilhelm, bei dem der Tischlermeister Hans wohnte. Beide geben sich äußerlich als römische Katholiken, sind aber in Wirklichkeit Lutheraner, wie der andere, ein Uhrmacher, in seiner Denunziation „zur Erleichterung seines Gewissens" auSfagt47). Von einem Prozeß gegen Ausländer findet sich jetzt jedoch nichts mehr. Vielmehr hatte Portugal ein Interesse daran, sich mit den protestantischen auswärtigen Mächten gut zu stellen, um im Kampf um seine Unabhängigkeit gegen Spanien Bundesgenossen zu haben.

Nachdem zunächst mit Frankreich ein Bündnis zustande gekommen war, schloß Portugal 1641 auch mit Schweden einen Vertrag ab48), ebenso im nächsten Jahre mit England. Dabei wurden u. a. den Konsuln der be­ treffenden Nationen besondere Rechte und den Angehörigen der protestantischen Mächte Religionsfreiheit zugesichert. Diesen wurde die freie Ausübung ihrer Religion in ihren Häusern oder auf ihren Schiffen gestattet. Aber das betraf anscheinend nur das persönliche Glaubensleben der einzelnen. Religiöse Ver­ sammlungen und richtige Gottesdienste werden in Zukunft nur unter dem Schutze des Konsuls oder des Gesandten der betreffenden Nation abgehalten. Nur auf einem ausländischen Schiffe im Hafen durfte das sonst noch geschehen, aber nicht in einem Privathause.

Immerhin hatten nun doch die romfreien Engländer, die lutherischen Schweden und bald auch die kalvinistischen Holländer die Möglichkeit, ihres Glaubens frei zu leben und auch zum Gottesdienst zusammenzukommen. Wo aber blieben die Deutschen? Sie hatten kein Vaterland, mit dem Portugal einen Vertrag hätte abschließen können oder wollen! Während die anderen Nationalstaaten sich entwickelten, lag Deutschland zerrissen und ausgeplündert ant Boden, und die andern bereicherten sich auf seine Kosten. Noch war der Dreißigjährige Krieg nicht beendet, und in den Friedensverhandlungen zu Münster und Osnabrück feilschten die Feinde des Reiches um deutsches Land, und die deutschen Fürsten erleichterten ihnen ihr räuberisches Spiel durch Eigennutz und Mißgunst gegeneinander. Habsburg, das die deutsche Kaiser­ würde trug, kannte nur die Interessen seines Hauses. Wer sollte da die Deutschen im Auslande schützen? Gott sei Dank aber gab es noch eine über nationale Grenzen und politische Schranken hinausgreifende Gemeinschaft — die Gemeinschaft des Glaubens auf dem gleichen Boden des Evangeliums Jesu Christi! In Deutschland hatte aus dieser Gemeinschaft heraus der große Schwedenkönig Gustav Adolf vor kurzem sein Leben eingesetzt für die Freiheit des Evangeliums. Nach seinem Tode freilich verheerten daheim die schwedischen Söldner entgegen der edlen Gesinnung und dem reinen Wollen ihres königlichen Führers die deutschen Lande. Zu derselben Zeit aber fanden sich in Lissabon Deutsche und Schweden

in glaubensbrüderlicher Gemeinschaft im Hause des schwedischen Gesandten zum Gottesdienst zusammen. Der schwedische Resident I. F. von Friesendorff hatte offenbar einen Prädikanten, namens Andres, mit nach Portugal gebracht und veranstaltete in seinem Hause Gottesdienste"). In einem Bericht an die königlich schwedische Regierung vom 10. November 1649 schreibt er: „Die Gemeine in meinem Hause vermehret sich Gott Lob von Tag zu Tage, und kommen zu ihr viele auch hier gesessene Bürger aus der Stadt mit großem Eifer." Unter den „ge­ sessenen" Bürgern sind gewiß die in Lissabon ansässigen deutschen lutherischen Kaufleute gemeint. Friesendorff bediente sich ja der deuffchen Sprache, und der Prediger Andres war dem Namen nach auch von deutscher Herkunft"). Die Bartholomäusbrüderschaft trug Friesendorff im Jahre 1650 sogar das Pro­ tektorat an, worüber er jedoch berichtet"): „Ich habe die gefähr- und hochprejudicierliche Kirchenschützung der teutschen Capelle S. Bartholomei alhier abgelehnet." Daraus sieht man jedenfalls, daß die deutsche Kaufmannskolonie in Lissabon schon damals vorwiegend protestanttsch war und der Charakter der Bartholomäusbrüderschaft nicht im geringsten mehr durch ihren ehemals katholischen Ursprung besttmmt wurde. Daß sich die deutschen Lutheraner an den Gottesdiensten in der schwe­ dischen Gesandtschaft beteiligten, wird auch dadurch bewiesen, daß eine Ham­ burgerin ebendeswegen von einem katholischen Landsmann im Jahre 1652 denunziert wurde"). Um nicht als Ketzerin aufzufallen, ging sie auch in die römische Kirche und schließlich gar nicht mehr in das Haus des schwedischen Gesandten. Aber die katholischen Predigten hörte sie nur, wie sie dem Denun­ zianten versichert hatte, um dabei mit Vergnügen allerlei Gründe für die Bestätigung ihres lutherischen Glaubens zu finden. Der Prediger Andres hatte dem Denunzianten, einem deutschen Arzt namens Gabriel Grisley, auch von dem Besuch eines lutherischen Ausländers mit einer ausländischen Katholikin erzählt und sich erkundigt, ob die katholischen Pattes, die von dem Fall schon wüßten, ihnen wegen dieser Heirat wohl etwas antun könnten. So wissen wir also um diese Zeit zum erstenmal von regelrechten lutherischen Gottes­ diensten in Lissabon, und Andres dürfte der erste lutherische Prediger in Portugal gewesen sein. Näheres wissen wir von ihm nicht. Auch von weiteren schwedischen Gesandtschaftspredigern ist nichts bekannt. Erst 60 Jahre später werden wir noch einmal einem solchen begegnen. Inzwischen aber war Portugal auch mit den neuaufstrebenden Nieder­ landen nach erbitterten Kämpfen und langwierigen Stteitigkeiten um die Kolonien 1661 zum Frieden gekommen. Auch hier bestimmte der Friedensverttag: „Den Holländern soll in ihrer Religion von der Jnquisitton kein Einttag geschehen, freier Gottesdienst in ihren Häusern und Schiffen gestattet sein und zur Beisetzung ihrer Toten ein eigener Ort angewiesen werden")." Wenn der Verttag auch im nächsten Jahre ratifiziert wurde, so kam es jedoch erst 1669 zur endgültigen Beilegung aller Streittgkeiten und zur Regelung des Verhältnisses zwischen Portugal und den Niederlanden. Ein Jahr vorher war auch mit Spanien nach 26jährigem Krieg Frieden geschlossen worden, der Portugal seine Selbständigkeit und Unabhängigkeit

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endgültig sicherte. Nicht zum wenigsten verdankten das die Portugiesen einem deutschen Protestanten, dem Grafen Schömbergs), der das portugiesische Heer­ wesen reorganisiert hatte. In französischen Diensten, hatte chm Ludwig XIV. den Marfchallstab verliehen. Als Führer der vereinigten portugiesischen, eng­ lischen und französischen Truppen erfocht er glänzende Siege über die Spanier, so daß diese es schließlich endgültig aufgaben, Portugal wiederzugewinnen. Der zweite Geschäftsträger der Niederlande in Portugal, Johan Wolfsen, brachte nun 1675 einen eigenen Gesandtschaftsprediger mit55). Dieser, mit Namen Abraham Messu, war also der erste kalvinistische Prediger in Portu­ gal. Er amtierte hier bis 1678. Auf ihn folgt eine lückenlose Reihe von weiteren zehn Gesandtschaftsprädikanten bis zur Gründung der deutschen lucherischen Gemeinde55). Es waren: Johannes 's Gravenhage (1678—1680), Johannes van Lodensteijn (1680—1681), Godefridus Huchting (1682—1688), Johannes van Haaten (1690—1698), Simon Petrus van Thol (1699—1716), Johannes Martinus Themmen (1720—1724), Rembt Tobias Courcampt (1725—1730), Hendrik van Limburgh (1730—1742), Johan Hendrik Bellenheim (1743—1748), Willem de Rochemont (1753—1759 [1767]). Da die holländischen Prediger kalvinisch waren, scheinen die lutherischen Deutschen sich zunächst nicht zu ihnen gehalten zu haben. Herrschte doch damals noch die Orthodoxie mit ihrer außerordentlich strengen Betonung der kon­ fessionellen Gegensätze, die im deutschen Luthertum sich zuweilen bis zu der Parole gesteigert hatte: „Lieber katholisch als kalvinisch!" So ist es wohl zu verstehen, daß der Sohn des Hamburger Bürgermeisters Schulte in dem aus Gustav Freytags „Bildern aus der deutschen Vergangenheit" bekannten Briefwechsel mit seinem Vater in den Jahren 1680—1685 nichts von dem reformierten Prediger erwähnt und von mancherlei Gewissensnöten in dem fremden, katholischen Lande berichtet. Da er ein frommer evangelischer Christ und zu Hause ein regelmäßiges kirchliches Leben gewöhnt war, schreibt ihm der Vater: „Ich glaube wohl, daß es Dir anfangs sehr befremdlich vorkommen wird, daß Du an den Sonntagen nicht zur Kirche wirst gehen können." Da in den Antworten des Vaters auf die treuen Berichte des Sohnes und in seinen guten Ratschlägen, die sie begleiten, neben einem schönen Familienleben auch die damalige Lage der Protestanten in Lissabon und die Stimmung der neu Hinzukommenden sich lebendig widerspiegelt, seien hier längere Auszüge daraus mitgeteilt: „In Verlesung Deines Schreibens habe ich angemerkt" — so antwortet der Vater —, „daß Dir der Ort Lissabon und die Einwohner, so geistliche als weltliche, noch nicht allerdings anständig seien und Du Dich in Deinen jetzigen Stand noch nicht recht finden könnest, daher ich denn noch einige Ungeduld von Dir verspüre. Aber das kann nicht wohl anders sein, daß Dir die Veränderung zwischen Hamburg und Lissabon, jener und dieser Einwohner und Sitten, jener und dieser Gebärde und sonsten, nicht sollte mit Befremden, ja fast mit Be­ stürzung und Alteration auffallen) aber Du mußt wissen, daß Du in diesem passu alldorten und andern Orten gar viele Vorgänger gehabt hast, denen es ebenso ergangen und denen die große Veränderung in allen Dingen und in Religionssachen sehr befremdlich vorgekommen. Im lateinischen Sprichwort

pflegt man zu sagen: post nubila Phoebus; das ist, auf übel Wetter pflegt ein Heller und angenehmer Sonnenschein zu folgen, welches der grundgütige Gott an Dir in Gnaden erfüllen und geben wolle, daß, nachdem Du in der See ungemeine Gefahr und Leibesschwachheit sattsam empfunden und aus­ gestanden, die Tage und Zeit, welche Du in Portugal zubringen wirst, die vorigen sauren und bittren Tage verzuckern und versüßen und Du allgemach die bösen Tage vergessen und der guten Dich getrosten und erfreuen mögest, welches der Allerhöchste Dir aus Gnaden beständig geben, gönnen und ver­ leihen wolle. Amen. — Es sagte Schwager Gerdt Buermeister dieser Tage zu mir, es würden Dir zwar bei Deiner Ankunft in Lissabon viele Dinge etwas befremdlich Vor­ kommen, insonderheit auch wenn Du allerhand Gesichter von weißen, schwarzen, grauen Mönchen und anderen Personen sehen würdest; allein es wäre eine Sache von etwa drei bis vier Monaten, so würde man desien und anderer Dinge altgewohnet. Schwager Gerdt Buermeister sagte, er wäre zwölf Jahre gewesen, wie er nach Lissabon gekommen, und er könnte nicht genug sein Miß­ vergnügen beschreiben, welches er empstmden; und wie er die Mönche an­ sichtig geworden, hätte er gemeinet, daß es Teufel wären, hätte sie auch von oben herab mit Wasser begosien. Aber darüber hätte er bald Händel gekriegt; er sagte, wenn er hätte ausgehen sollen, so hätte ihm dafür gegrauet; aber es wäre ein Angewöhnes für eine kleine Zeit. —

Was die Religion betrifft, so wirst Du vernünftig sein und so viel immer möglich alle Heuchelei und alle Okkasion vermeiden und mit niemanden, auch nicht einmal mit Deinem Kompagnon von Religionssachen reden oder Diskurs führen, sondern für Dich zu rechter Zeit lesen (nämlich in der Bibel), auch morgens und abends Dein Gebet zu Gott mit Andacht tun und das feste Ver­ trauen zu Gott haben, daß, weil er Dich an den Ort so wunderbar berufen, er auch Dein gnädiger Vater und Schutzherr wider alle vorkommende Wider­ wärtigkeit sein und verbleiben werde. — Du meldest, daß Du allbereits einmal aus Not daselbst gesündigest, als man die gesegnete Hostie dahergetragen — man pflegt es sonsten das Venerabile zu nennen —, und hast Du wohl getan, daß Du für Dich ein Gebet getan, und wird der gütige Gott das wohl erhöret und Dir die Sünde vergeben haben ... Ich bin sonsten in Frankreich und sonderlich zu Orleans des Sonntags Nach­ mittags öfters in den kacholischen Kirchen gewesen und habe eine gute Musik gehört, und haben mir weder Arme noch Beine gebebet, wie Du schreibest, daß Dir widerfahren. Man muß so kein Banghase sein, sondern allemal ein be­ ständiges standhaftes Herz haben. Du meldest, daß in Lissabon viel Pfaffen, auch viel Kirchen und Klöster seien. Wohl! laß da noch so viel sein, das gehet Dich nichts an; laß nochmal so viel Pfaffen da sein, sie werden Dich nicht beißen; warte Du das Deinige ab. In die Messe zu gehen und in die Kirche, dazu nötigt man niemanden, und wenn Du um die Osterzeit einen Zettel von einem Geistlichen haben kannst, als ob Du gebeichtet und kommuniziert hättest, so hast Du um die Geistlichkeit Dich nicht mehr zu bekümmern. Wenn Dir aber von ferne die

Pfaffen mit der gesegneten Hostie werden begegnen, wirst Du alle Vorsichtigkeit gebrauchen und einen Umweg nehmen oder in ein Haus gehen ... Vermahne Deinen jungen Heinrich zur Gottesfurcht und michin zum Beten und Lesen (nämlich der Hl. Schrift), und laß ihn Sonntags Vormittags Dir des Molleri postilla" (ein damals gebräuchliches Predigtbuch) „auf Deiner Kammer vorlesen .. ."')". Johann Schulte berichtet, daß er diesen guten Ratschlägen gefolgt ist, und der Vater drückt ihm darauf seine Zufriedenheit aus: „Im Uebrigen ist mir lieb Dein Bericht davon, was am Grünen Donnerstag und Stillen Freitag bei euch sich begeben (anscheinend eine Passionsandacht), auch daß Du den Sonn­ tag mit Singen, Beten und (Bibel-)Lesen sowohl anfangest und dabei fortfährst; desgleichen, daß Du mit Deinem confrater so friedlich und vergnügst lebest, wie auch, daß es wegen der Religion keine Schwierigkeiten habe und daß Du Dich vor Disputen vorsehen und hüten und darin für Dich allein sein wollest) dieses alles gefällt mir sehr und wirst Du wohl tun, wenn Du dabei bleibst.. ."se) 1683 schreibt er: „Betreffend, daß Du des Sonntags vormittag nicht aus­ gehst, sondern Deine Andacht zu Hause hältst und Dein Gebet zu Gott tust, das ist christlich, rühmlich und zu loben; allein weil Du an einem solchen Ort jetzt lebest, da ein jeder des Sonntags zur Kirchen und in die Messe geht, so kannst Du leicht auch euerm Gesinde dadurch Aergernis geben, indem Du zu Hause bleibst. Gerdt Buermeister sagte, er hätte mit Joh. Gulen am Sonntag Vormittag einen lustigen Spaziergang gemacht und ihr Gesinde hätte vermeinet, sie wären nach der Kirchen und in die Messe gegangen, womit sie alle Aergerniffe ver­ mieden hätten. Ich gebe Dir hierbei zu bedenken, ob Du nicht Wohl tun wirst, wenn Du diesem Beispiel folgen würdest"')." Man sieht also, welche Vorsicht und Geschicklichkeit es erforderte, unter den römisch-katholischen Verhältnissen in Lissabon ein treuer evangelischer Christ zu bleiben. Immer noch war es nötig, den äußeren Anschein eines Katholiken zu wahren und sich die Beichtbescheinigung von einem Priester zu beschaffen, was von diesen gegen eine enffprechende Bezahlung auch ohne Beichte und Kommunion offenbar ohne Schwierigkeit zu erlangen war. Daß Schulte seinem evangelischen Glauben treu blieb, geht aus seinem Bericht von den Andachten in seinem Hause, vom Bibellesen und Gebet im Kämmerlein, deutlich hervor. Andererseits scheint er es aber auch verstanden zu haben, sich bald den Verhältnissen des Landes anzupassen und hatte sich Wohl eine angesehene Stellung erworben. Denn schon im dritten Jahre nach seiner Uebersiedlung nach Lissabon wurde er gemeinsam mit dem hanseatischen Konsul Alexander Heusch zum Vorsteher der Bartholomäusbrüderschaft gewählt. So nennt ihn seine Mutter im Scherz „Kirchgeschworener der St. BartholomäusKirche in Lissabon"'"). Das Amt des Majordomo, wie der Titel des Vorstehers lautete, war eine Ehre, die mit ziemlichen Unkosten, schätzungsweise 100 Taler, verbunden war; es wurde deshalb nicht erstrebt, konnte aber auch nicht gut abgelehnt werden"'). Die Wahl zum Vorsteher der Brüderschaft richtete sich hiernach lediglich nach dem Ansehen und der Bedeutung des Betreffenden innerhalb der deutschen Kolonie, ohne Rücksicht auf seine Konfession. Denn, daß Schulte Protestant

war, wird seinen Landsleuten und den Mitgliedern der Brüderschaft nicht un­ bekannt, sowie er selbst auch nicht der einzige lutherische Deutsche gewesen sein. Die Bartholomäusbrüderschaft war eben weniger eine rein kirchliche Institu­ tion, als eine autonome soziale Einrichtung der deutschen Kolonie, die sich mit der Befteiung des Gesamtlebens von der Bevormundung der römischen Kirche auch mehr und mehr von dieser löste. Damit wird sie auch immer starker mit dem Leben der evangelischen Gemeinde verknüpft. Die politischen Verhältnisse des Landes hatten sich unter der glücklichen Regierung Don Pedros H. (1683—1706) gebessert. Jedoch geriet Portugal, in den spanischen Erbfolgekrieg hineingezogen, infolge seines Anschlusses an Eng­ land durch den Methuenvertrag (1703) in völlige wirtschaftliche Abhängigkeit von den Engländern, und unter Pedros Sohn, Don Joao V. (1706—1750), ging es auch im Innern wieder schnell bergab. Selber ein Jesuitenzögling, überließ er sich ganz der Führung der Geistlichkeit und der Jesuiten. Er opferte unter schwerer Belastung des Volkes in verschwenderischster Weise Riesen­ summen für kirchliche Zwecke und erkaufte sich vom Papst die Gunst, das Patriarchat von Lissabon einzurichten, desien übermäßig glänzende Ausstattung die Finanzen noch mehr verschlechterte. Zu allem Ueberfluß ließ er, als Gegen­ stück zu dem spanischen Escorial, das riesige, schloßartige Kloster Mafta er­ bauen. Die Baumeister waren die deutschen Meister Johann Friedrich Ludwig und sein Sohn Johann Peter Ludwig von Regensburg. Es war ja die Zeit der großen deutschen Barockbaumeister, da ein Fischer von Erlach in Salzburg seine herrlichen Bauten schuf, ein Balthasar Neumann in Würzburg, Daniel Poeppelmann in Dresden u. a. m. Für die deutschen Protestanten in Lissabon war diese Zeit natürlich wenig erfreulich. Denn „Portugal war fast zu einem geistlichen Staat unter jesuiti­ scher Herrschaft geworden""). Ihren Einfluß und ihre Macht sollte der lutherische Prediger bald zu spüren bekommen, der damals als schwedischer Gesandtschaftspfarrer in Lissabon wirkte. Der schwedische Konsul in Lissabon, Joachim de Besche"), hatte sich 1712 nämlich an den Bischof Svedborg") in Skara mit der Bitte um einen Seel­ sorger für seine Familie und die in Portugal lebende lutherische Gemeinde gewandt. Svedborg fand bald in Andreas Silvius „einen ganz würdigen und geeigneten Mann", der gegen Ende 1712 die Reise nach Lissabon antrat, wo er im Frühjahr 1713 nach wechselvoller Fahrt endlich eintraf. Hier wurde er sehnlichst erwartet und mit offenen Armen, ja „mit den zärtlichsten Ehren­ bezeigungen" von seinen Landsleuten, besonders vom Konsul und seiner Familie empfangen. Gerne schlossen sich auch die deutschen Lutheraner der schwedischen Gemeinde an, ja, Silvius begann sogar bald auf Deutsch zu predigen, da die meisten Lutheraner eben Deutsche, und zwar größtenteils Hamburger Kaufleute waren. Zu ihnen gewann er ein freundschaftliches Ver­ hältnis, und durch ihre Vermittlung ließ er in Hamburg einige Erbauungs­ schriften, z. T. in deutscher Sprache, drucken"). Silvius war ein sehr eifriger Seelsorger und muß ein tüchtiger Prediger gewesen sein. Denn bei seinen Gottesdiensten sollen in der Regel hundert und mehr Personen anwesend gewesen sein! Zum ersten Male hören wir bei dieser

Lissabon kurz Vor dem Erdbeben

Lissabon während des Erdbebens um 1. November 1755 (Nach allen Stichen, aus der Sammlung Carl Georges in Lissabon)

Gelegenheit von Glaubensgenossen in Oporto. Denn auch dorthin reiste Silvius von Lissabon zu einem seclsorgerlichen Besuch. Bald aber wurden die Jesuiten auf Silvius' rühriges Wirken aufmerksam und begannen gegen ihn zu arbeiten. Konsul Besche mußte Silvius warnen und zur größten Vorsicht mahnen. Da die Jesuiten ihm zunächst nichts anhaben konnten, erreichten sie es schließlich auf dem Wege über den Hof, daß es dem schwedischen Konsul bei Verlust von Eigentum und Leben verboten wurde, den Prediger im Amte zu belassen. Gegen diese unerhörte Anmaßung protestierte der schwedische Konsul natürlich energisch. Er berichtete an seine Regierung, worauf ein diplomatischer Notenwechsel zwischen Stockholm und Lissabon erfolgte. Die nachdrücklichen Vorstellungen der schwedischen Regierung beim portugiesischen Hof konnten nicht unbeachtet bleiben. Gehörte doch Schweden, wenngleich der Niedergang des Reiches nach der Niederlage Karls XU. bei Poltava im Jahre 1709 bereits eingesetzt hatte, immerhin noch zu den Großmächten der Zeit, deren Freund­ schaft Portugal nicht gleichgültig war. So konnte denn Silvius noch einige Jahre in Lissabon weiterwirken, wenn auch unter wachsenden Schwierigkeiten infolge der Intrigen der Jesuiten gegen ihn. Seine Pfarrkinder hielten treu zu ihm und ermunterten ihn, fortzufahren in der Verkündigung der Wahr­ heit"). Sie selbst wollten sich darum bemühen, die Feinde durch großmütiges Handeln in der Nachfolge Christi zu überzeugen, auf daß ihr Licht leuchte an allen Orten. Aber die Jesuiten gaben keine Ruhe. Sie brachten es schließlich dahin, daß er öffentlich geächtet wurde. Am ersten Fastensonntag 1721 wurde Silvius von allen Kanzeln in Lissabon mit Vor- und Zunamen aufs Schmäh­ lichste ausgerufen und für vogelfrei (friedlos) erklärt. Da war denn Silvius seines Lebens nicht mehr sicher. Auf den Rat seiner Freunde entfloh er der Todesgefahr. „Nach herzlichem Abschied von seiner Gemeinde, die sich mit großer Trauer von ihrem treuen Lehrer trennte, segelte er an Bord eines holländischen Schiffes von Lissabon ab, wo er acht Jahre lang das Zeugnis der Wahrheit gepredigt hatte")". So mußte die Herde wieder ohne Hirten bleiben. In den folgenden Jahren aber scheinen sich die deutschen Lutheraner mehr und mehr der holländisch-reformierten Gemeinde angeschloffen zu haben. Die Zeiten waren ja auch andere geworden. Die strenge Orthodoxie war über­ wunden, und die Aufklärung hatte weit und breit an Boden gewonnen. Beson­ ders auch in Hamburg hatte sie um sich gegriffen und eine freiere Stellung zu den Bekenntnissen bewirkt. Zudem gab es in Hamburg, als einem schon damals internationalen Markt, längst Kalvinisten neben Lucheranern, da die Stadt Religionsflüchtlinge aus allen Gegenden und Ländern in der Zeit der Gegenreformation in großzügigem Geiste die Tore geöffnet und Gewissens­ freiheit in ihren Mauern eingeführt hatte. So haben denn auch die in Lissabon wohnenden Hamburger Lutheraner, deren Sinn vorwiegend aufs Praktische gerichtet und um konfessionelle Lehrstreitigkeiten unbekümmert war, sich mit den reformierten Holländern vereinigt und sich lieber zu deren Prediger und Seelsorger gehalten, als überhaupt keinen zu haben. Denn nachdem Andreas Silvius sie verlassen mußte, werden sie einen Seelsorger doppelt entbehrt haben. Als der letzte holländische reformierte Gesandtschaftsprediger, Willem de Rochemont, berufen wurde, war es bereits feststehende Tatsache, daß die luthe3

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rischen Deutschen sich zur holländisch-reformierten Gemeinde hielten, ja ihren Hauptbestandteil bildeten. Der damalige holländische Gesandte, Charles Francois Bose de la Calmette, bittet 1752 um einen Prediger, der außer niederländisch auch französisch predigen könne, da von den Holländern außer dem Konsul und seiner FamUie nur ganz wenige reformiert, dagegen viele Schweizer und Angehörige anderer Nationen da seien, die nur französisch ver­ stünden*^). Mjährlich wurde dem Pfarrer zu Neujahr eine Gabe geschenkt, an der sich vor allem die Hamburger Kaufleute und andere Deutsche beteiligten, die sämtlich lutherisch waren**). Die Prediger wohnten bei dem betreffenden holländischen Gesandten oder Geschäftsträger, in dessen Hause auch die Gottes­ dienste stattfanden. Verließ ein Gesandter Lissabon, so blieb der Pfarrer in seinem bisherigen Hause wohnen, für das bis zur Ankunft eines neuen Ge­ sandten dann die Gemeinde die Miete zahlte, damit die Gottesdienste unter dem Schutze des holländischen Wappenschildes weiter abgehalten werden konnten. Daß der letzte Gesandtschaftsprediger, Willem de Rochemont, jedenfalls deutsch verstand, ist daraus zu schließen, daß er später von Lissabon nach Kassel zog. So war die Frage der Seelsorger für die deutschen Lutheraner, solange sie selbst keine eigene Gemeinde bilden konnten, glücklich gelöst.

Die Lage der deutschen Kolonie hatte sich in den letzten Jahrzehnten bedeu­ tend gehoben. Mächtige deutsche Handelshäuser waren aufgeblüht, deren In­ haber eine führende Rolle im portugiesischen Wirtschaftsleben spielten"). Vor allem ragte der reiche Konsul Stockler hervor, der diplomatische Geschäftsträger des Reiches, der Hansestadt Hamburg und des Großherzogtums Toskana am Lissaboner Hof, ferner Felix von Oldenburg (kath.), der preußische Konsul Joh. Thomas Stadtmiller, Splittgeber und der holländische Konsul Gildemeester. Das aufsteigende Preußen suchte den Handelsverkehr mit Portugal, besonders unter Friedrich dem Großen, der neben Getreide eine Steigerung der Ausfuhr von preußischen Wollstoffen und schlesischem Leinen nach Portugal wünschte. Da zeigte es sich, was ein starker Staat mit einem weitblickenden Führer für die Deutschen im Ausland bedeutet! In Portugal selbst war seit der Regierung Josss I. 1750 unter seinem allmächtigen Minister Marquis de Pombal ein völliger Umschwung eingetteten. Von den freigeisttgen Ideen der englischen Aufklärung erfüllt, suchte dieser den klerikalen Einfluß mehr und mehr auszuschalten und ließ die Jesuiten, nach­ dem sie sich an einem Attentat gegen ihn beteiligt hatten, am 3. September 1759 aus Portugal und seinen Kolonien ganz ausweisen. Das Inquisitions­ gericht wurde in einen öffentlichen, den Staatsgesetzen unterworfenen Gerichts­ hof umgestaltet. So konnte denn die holländisch-deutsche evangelische Gemeinde frei und ungestört ihres Glaubens leben.

3. Das Erdbeben und feine Folgen In diese Zeit des allgemeinen Aufschwunges aber fällt das furchtbare Ereignis, das fast die ganze Stadt in Schutt und Asche legte, das Erdbeben vom 1. November 1755.

Es war am Tage Allerheiligen. „Keinen schöneren Morgen konnte man gesehen haben als den des ersten Novembers")." Um MO Uhr begann plötzlich der Erdboden zu zittern, was sich bald zu einem gewaltigen Beben verstärkte, das sämtliche Häuser erschütterte. Was sich nun begab, sei am besten mit der anschaulichen Schilderung eines Augenzeugen wiedergegeben"). „Es war den ersten dieses, da ich des Morgens einige Verkaufrechnung auszoge auf unserem Contor, und nichts als Hosen, Strümpfe und Pantoffeln anhatte und einen alten Schlafrock; damit aber keinen Heller noch Pfennig: da hörte ich auf ein­ mal ein entsetzliches Prasseln: Ich loff hinaus zu sehen, was da wäre, und kam glücklich mit den übrigen in unsern Hof, allwo wir fast die ganze Stadt über­ sehen können. Ewiger Gott, wie betrübt war das anzusehen! die Erde ging Ellen hoch auf und nieder. Die Häuser allerorten fielen mit einem entsetzlichen Prasseln alle über einander. Die Karmelita, so auf dem Berg über uns wohnten, Kirche und Kloster, so sehr groß, ging hin und her, sodaß wir besorgten, alle Augenblicke davon bedeckt oder von der Erde lebendig verschlun­ gen zu werden. Es war die Sonne so verfinstert, daß wir einander nicht sahen. Wir glaubten und waren gänzlich beredt, daß das letzte Gericht herbei kommen. Diese entsetzliche Bewegung dauerte was über eine achtel Stunde: alsdann war es wieder ein wenig stille; da wir unsere Flucht nahmen, ein jeder in seinen Nachtkleidern, wie oben beschrieben, nicht weit von uns auf den großen Platz, allwo wir über die zerfallene Häuser und Menschen mit größter Lebensgefahr angelangt. Wir blieben allda etwa drei Stunden und waren über 4000 Menschen schon versammelt, einige in bloßen Hembdern, andere ganz nackend, der Tod auf allen Gesichtern gemalt; mit unzähligen vielen Blessierten, welche alle um Gottes Barmherzigkeit anruften, und Ware das Geschrey erbärmlich. Einige Geistliche kamen herbey, sprachen zu und gaben die Generalabsolution, welches einigen Trost gäbe; und empfing jeder männiglich solche Absolution mit Eifer und gläubigem Herzen. Hier kam wieder die Erdbebung, so ungefähr noch eine achtel Stunde dauerte. Darauf war etwann eine Stunde Ruh, bis das Gerücht von der See kam, daß das Wasser über alle Maßen gestiegen, und wenn wir nicht flüchteten, wir untergehen würden. Gedenken Euer Excellenz, wie es uns hier zu Mute war! Alle Gassen waren verstopft durch den Umfall der Häuser; jedennoch wagte ich alles mit etlichen Freunden. Wir klammerten über die Steine und todte Menschen; und solches über eine Viertelstunde lang, allwo wir endlich, dem Höchsten zu Dank! unter vieler Todesgefahr auf das freie Feld gerathen. Ich habe viele Todesnoth ausgestanden. Gott sei gelobt! daß er mir bis anhero geholfen. Es wird mir diese Strafe des allmächtigen, die wir mit unseren Sünden verdient, nimmer aus dem Gedächtnis kommen; auch werde meine Seligkeit mit mehrerem Ernst zu suchen wissen. Wir sind die ersten Nächte unter freiem Himmel fast ganz nackend und bloß gelegen. Nunmehr haben wir eine Zelte, die uns wenigstens den Winter durch, ein wenig vor Regen und Frost befreyet. Dem lieben Gott sei für seine gnädige gütige Vorsorge gedankt! Den ersten Abend gegen 11 Uhren kam Feuer an allen Orten aus; und was noch übrig vom Erdbeben wurde durch die Flammen verzehrt. Alle Gebäude und Mauern, so noch stehen geblieben, müssen nun­ mehr von unserer Citadelle, so mitten in der Stadt auf einem Berge liegt, 3*

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abeanonieret werden, damit von diesen, weil Mes baufällig nicht etwann die Menschen, so daran zu arbeiten beordert werden, nicht auch noch erschlagen werden. Also ist die schöne große Stadt, so die reichste in Europa, und bei 500 000 Menschen in sich hatte, zu einem Steinhaufen geworden. Gott erbarme sich über dieses große Elend, so wir verdient, und womit er uns gestrafet! Der Palast, wo so viele und entsetzliche Preciosen, ist verbrennet. Unser Zollhaus, mit vielen Millionen Waaren aus allen Orten der Welt, ist thells verbrennet, theils mit einem großen Platz in die See gesunken. Die mehreste Schiffe, deren wir bei 300 in unserem Haven hatten, sind ankerlos geworden, einige ver­ sunken, andere beschädigt. Ein Holländisches, der Capitän namens Roclos, ist in die Stadt geschmiffen worden, und stuhnde das Schiff auf trocknem Lande. Jedoch hat solches der liebe Gott wunderlich erhalten, bis daß eine andere Fluche kam, und das Schiff vom trocknen wieder Wegnahme, und ohne Unglück in die See setzte. Es wiegt ein solches Schiff 18—20 000 Zentner"). Die Capitäns, so von allen Orten herkamen, haben es bis 60 Meilen von hier auf eine so starke Weise erfahren, und können nicht von Wunder genug sagen, wie sie erhalten worden. Jhro Majestädt der König logiren selbst, uns zu Hülfe und Trost, auf dem Felde mit Zelten. Unsere schönen Kirchen, dergleichen in Rom nicht prächtiger noch größer, sammt allen Klöstern sind zerstört, worin man bei 20 000 Geistliche rechnet, davon beynahe die Hälfte unter dem Ruin geblieben. Wie viele tausend Menschen hat man unter dem Ruine hören rufen und schreyen, ohne daß man ihnen konnte zu Hülfe kommen, so daß diese noch lebende unglückselige verbrennen mußten. Mein Gott, das Elend ist zu groß, und erwecket in der ganzen Christenheit Mitleiden. Denn wer sich an solchem Exempel nicht spiegeln will, muß kein Christ, ja kein Mensch sehn . . ." Die Zahl der Toten schätzt man auf 60 000! „Seit der Zerstörung Jerusa­ lems ist wohl kein größeres Elend erlebt worden", schreibt ein anderer Augen­ zeuge"). Ein Landsmann trifft in der Stadt einen anderen in der unglücklichsten Situation") (seinen Namen verschweigt der Herausgeber des Briefes, „da er von bekannterem Namen und Familie, und Mißdeutungen enfftehen könnten"). „Ich fand den jungen Herren — so erzählt der andere — auf der Erde sitzen. Er war zwar nicht verwundet, aber die Füße waren ihm von den herabfallenden Steinen verrenkt worden, daß er nicht gehen konnte. Seine Sinne waren ver­ wirrt, daß er mich nicht einmal kannte. Inzwischen waren die Priester und Mönche sehr geschäftig, ihn zu taufen und das heilige Oel zu geben, und es kostete ihnen dann freilich in der Tat wenig Mühe, ihn zu überreden, daß er die Religion veränderte, weil er seinen Verstand nicht mehr hatte, und alle Augen­ blicke in Ohnmacht sinken wollte. Ich ging weg und hatte nicht Lust, etwas zu sagen, noch den jungen Menschen mit mir fortzuschleppen. Denn hätte ich mir es einkommen lassen, den Eifer der Geistlichen in diesem Stück zu tadeln, so glaube ich, daß sie mich gesteinigt hätten." Bon der Stimmung gibt auch folgendes Erlebnis eines deutschen Protestan­ ten am Tage nach dem Unglück ein Bild"). „Gestern Bormittag um 9 Uhr — so schreibt er — kam unser gewesener Nachbar, der Priester Castro, in seinem Pontifikalhabit in meinen Garten auf dem Campo mit einem Gefolge von mehr als 300 Personen. Ich schwitzte vor Angst, weil ich mir einbildete, daß

das abergläubische Volk sich in den Kopf gesetzt hätte, dies traurige Schicksal sei um der Ketzer willen über sie verhängt worden, und daß die gemeinen Leute sich hin und wieder versammelt und den Geistlichen, des besseren Scheins halber, zum Führer genommen hätten, um uns Ketzer, deren eine gute Anzahl bei mir versammelt war, entweder zu bekehren, oder einen Aufruhr wider uns zu erregen, uns entweder zu steinigen oder aus dem Lande zu jagen." Es stellte sich jedoch heraus, daß der Priester nur Pferd und Wagen des Deutschen ausbitten wollte, um seine Familie fortzuschaffen. Dieser Landsmann wohnte, wie manche andern wohlhabenden Kaufleute, außerhalb der Stadt auf dem Lande und geriet deshalb in keine Lebensgefahr. Offenbar hatten sich, wie aus dem Schreiben hervorgeht, auch andere Glaubens­ genossen auf sein Landgut hin geflüchtet. Einige retteten sich an Bord von Schiffen. Andere, die nicht mehr rechtzeitig aus der Stadt flüchten konnten, wurden von den zusammenstürzenden Häusern erschlagen oder verwundet. Die Familie von Gens hatte ein besonders tragisches Schicksal. Die Tochter war bis an den Hals von Steinen verschüttet. Vergeblich versuchte der Vater sie zu befreien. Schon drang aber das inzwischen ausgebrochene Feuer immer näher und drohte den Ausgang zu versperren. Um nun nicht mit der ganzen Familie in den Flammen umzukommen, mußte er die unglückliche Tochter, unter den Trümmern begraben, in dem brennenden Hause zurücklassen und mit der übrigen Familie sich retten. Zwei andere Familien wollten aus ihrem brennen­ den Hause noch einige Güter retten, kamen aber nicht mehr zurück77). Besonders schwere Verluste hatte der katholische Teil der deutschen Kolonie zu beklagen, da die Katholiken gerade in der Bartholomäuskapelle derS.-JulianKirche zur Allerheiligen-Messe versammelt waren, als das Erdbeben die Kirche zum Einsturz brachte und die Anwesenden unter ihr begrub71). Ueber das Schicksal der in Lissabon ansässigen Hamburger wurde der Senat genau unterrichtet durch Berichte des hansischen Agenten zu Madrid und des holländischen Konsuls, sowie durch Briefe von Hamburgern, die durch den Ex­ pressen des französischen Gesandten befördert wurden. Diese Berichte wurden in der Stadt öffentlich verlesen, wo die Angehörigen und Freunde der Be­ troffenen sehnlichst auf Nachricht warteten. Danach scheinen nur acht bis zehn umgekommen zu sein. „Unter den Geretteten werden folgende Hamburger und einige in deren Gesellschaft lebende Ausländer genannt71): Süderkrub, Höckel, Till, Hinsch, Schuback, Klefeker und von Spreckelsen, Werner Löning, Johann Büs, Rudolf Burmester mit seinen zwei Bedienten (Comptoiristen) Dannecker und Tönnies, Caspar Krochmann, Thompsen, welcher damals die St. Bartholomäusstiftung, eine deutsche Comptoir-Kasse, verwaltete; I. Hingstmann, Hein­ rich Wilhelm Prale, Jacob Haacke, welcher sehr beschädigt, während sein Com­ pagnon Jacob I. Öftermann ums Leben gekommen war; Borchers, in dessen Hause der junge Bötefeuer und Schutt gleichfalls tot sein sollten; der junge Brauer sehr beschädigt, Jllius und Meyer, Johann Gerhard Burmester, Jo­ hann Friedrich Otte, Johann Friedrich Carstens hatten sich etwas beschädigt an Bord der Schiffe zurückgezogen. Ferner waren gerettet: Schriever, Mäs und Vogelbusch, Poppe und Petersen, Hey und Winken, Renner und seine Bedien­ ten (Comptoiristen) Holz und Petersen, Tönnies, der alte Thor-Laden, Bostel-

mann, Rademien mit seinen Bedienten Cramer und Lenz, Strauß, George und Brockelmann, Cluver und seine Familie, Metzener und Poppe. Die Gebrüder Moller, Capelle und Carstens hatten sich mit Lebensgefahr gerettet. Do(o)rmann mit seiner Frau war todt; von Thor-Ladens Hause, von Dietz und Münder, von Mollwo und seinen Bedienten hatte man nichts erfahren. Aus dieser zahlreichen Liste von Namen, unter denen nicht wenige zu Ham­ burg guten Klang hatten, läßt sich die Aufregung ermessen, welche die Nach­ richten aus Lissabon hier erregten. Dennoch scheinen in derselben einige Kaufleute zu fehlen, welche vermutlich jene Katastrophe dort erlebten. Dazu gehören Joh. Vincent Krieger, welcher etwa zehn Jahre später daselbst starb und sein Vermögen von gegen 18 000 $ Bco den Armen zu Hamburg hinter­ ließ; Heinrich Ahlers, welcher eine Abhandlung von den Kometen schrieb und die Gebrüder Rameyer, von denen Peter R. eine vorzügliche Uebersetzung der Bibel in die portugiesische Sprache angefertigt hatte und dessen Sammlungen portugiesischer Literatur zu den wertvollen Schätzen (unserer) der Hamburger Stadtbibliothek gehören. Auch wird in jenen Berichten des hansischen GeneralConsuls Stoqueler (Stockler) nicht gedacht, welcher gleich vielen anderen ge­ retteten Personen einige Zeit auf dem Lande ferne von Lissabon verweilte." Hier haben wir die erste Aufzählung von Mitgliedern der evangelischen Gemeinde — als Hamburger werden sie wohl alle evangelisch gewesen sein —, worunter wir bereits Namen finden, die uns im Lauf der Geschichte der Ge­ meinde noch oft begegnen werden. Die Folgen des Erdbebens, das sich weit über Lissabon hinaus bemerkbar machte und die ganze damalige Welt in Atem hielt*"), waren für die Lissaboner Kaufleute katastrophal. Zahllose Geschäftshäuser waren in Trümmerhaufen verwandelt und die Warenlager am Tejo vollständig vernichtet. Viele Firmen überstanden den ungeheuren Verlust nicht. Die Filialleiter einer ganzen Reihe großer hanseatischer und preußischer Handelshäuser mußten nach Deutschland ihren vollkommenen Ruin berichten. Selbst der reiche Konsul Stockler war fast ruiniert"'). Der Verlust der ausländischen in Lissabon ansässigen Kaufmann­ schaft überstieg den der Portugiesen bei weitem""). Lange noch saß allen, die das Erdbeben miterlebt hatten, der Schreck in den Gliedern. Ein halbes Jahr danach berichtet ein Deutscher über die Stim­ mung in der Gesellschaft""). „Inzwischen fängt man schon an — so heißt es da — Assembleen (Versammlungen) zu halten und Gesellschaften zu besuchen. Oft aber kömmt mitten in der größten Lustbarkeit eine kleine Erschütterung, und die ganze Gesellschaft wird blaß und verzagt vor Schrecken. Bei hohen Spielen ist man weit hitziger als ehedem, und in Gesellschaften weit besser als vordem, Stolz und Uebermut regiert nicht mehr so, wie vor dem Erdbeben, denn jeder hält sich für arm, oder weiß doch zum wenigsten noch nicht, wieviel von seinen ausstehenden Schulden einläuft, und ist daher ungewiß, wie viel er in der Welt Eigenes besitzt und übrig hat." Der holländische Gesandte Bose de la Calmette hatte sich mit seiner Familie gerettet, obwohl sein Palais auch eingestürzt war""). Ob das Gesandschaftsgebäude bald wieder aufgebaut wurde, oder der Gesandte ein anderes Haus bezog, ist nicht bekannt. Jedenfalls aber blieb er noch drei Jahre nach dem Erd-

beben in Lissabon, und der evangelische Gottesdienst wurde nach wie vor von dem Prediger Rochemont in der Gesandtschaftskapelle abgehalten. Als der Ge­ sandte im Juli 1758 Lissabon verließ, blieb Rochemont jedoch noch in dem Hause wohnen und versah unter dem Schutze des holländischen Wappens weiter seinen Dienst. Die Miete wurde in der Zeit von der Gemeinde gezahlt88). Im nächsten Jahre aber erbat sich Rochemont von der Regierung Urlaub und reiste in per­ sönlichen Angelegenheiten nach Kassel. Von dort ist er nicht mehr zurückgekehrt, erhielt aber noch bis 1767 sein Gehalt als Gesandtschaftspredigerb*). Wahrscheinlich kehrte Rochemont nicht mehr zurück, weil außer der Familie des Konsuls, Daniel Gildemeester, nur noch zwei reformierte holländische Kauf­ leute in Lissabon lebten"). Der im November 1759 eingetroffene neue Gesandte Hendrik van Kretschmar berichtet Anfang Januar 1761 an seine Regierung, daß kein Pfarrer für den Gottesdienst in der Gesandtschaftkapelle da fei88). Das Abendmahl nehme er darum gelegentlich auf einem holländischen oder anderen Schiff im Hafen, das einen reformierten Prediger mit sich führt88). Somit hatte die holländische Gemeinde zu bestehen aufgehört und die zahlreichen deutschen Protestanten sahen sich wieder ohne Seelsorger.

in.

Die Gründung der deutschen lutherischen Gemeinde, 1761 Aus dem Trümmerhaufen des alten Lissabon erstand eine neue Stadt, die der allmächtige Minister Marquis von Pombal mit rastloser Energie aufbauen ließ. Zu einem geflügelten Wort wurde seine lakonische Antwort, als der König, völlig erschüttert durch den Anblick der zerstörten Stadt, ihn verzweifelt fragte: „Was sollen wir tun?" — „Die Toten begraben, den Lebenden Häuser bauen!" Deutsche Baumeister und Handwerker halfen ihm dabei. Mit Mut und Tatkraft waren auch die deutschen Kaufleute darangegangen, ihre Verhältnisse zu ordnen und ihre Geschäfte von neuem aufzubauen. Als nun der holländische Prediger Lissabon verlassen hatte, und seine Regierung ihn weder zur Rückkehr veranlaßte noch einen Nachfolger sandte, sahen sich die deutschen Kaufleute selber nach einem Seelsorger um. Sollten sie gerade jetzt, noch in frischer Erinnerung des erschütternden Erlebnisses menschlicher Ohnmacht, da die Erde sich vor ihnen gleichsam aufgetan und tausende ver­ schlungen hatte, den Trost des göttlichen Wortes entbehren? Jetzt mag ihnen das Wort des Propheten erst recht nahe gekommen sein: „Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen; aber meine Gnade soll nicht von euch weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr dein Erbarmer"! Das Verlangen nach diesem Wort der Gnade war in ihnen nun doppelt lebendig, während sie um den Wiederaufbau ihrer Existenz rangen. So suchten sie denn bald wieder einen Prediger des Evangeliums zu erlangen. Sie waren bereit, die Mittel für seinen Lebensunterhalt selber aufzu­ bringen, nur brauchten sie auch fernerhin den Schutz einer ausländischen Macht. Sie wandten sich darum durch Vermittlung des Konsuls Daniel Gildemeester an den damaligen Gesandten der Niederlande, Hendrik van Kretschmar, mit der Bitte, in seinem Palais ihren Prediger ebenso wie früher den Gesandtschafts­ prediger aufzunehmen und die Ausübung des Gottesdienstes der lutherischen Gemeinde dortselbst zu gestatten. Die Gemeinde verpflichtete sich dafür, als Gegenleistung dafür die Miete für das Haus des Gesandten zu zahlen. Die Verwaltung der in jenem Hause befindlichen und auf Kosten der Gemeinde erbauten Kapelle sollte dabei jederzeit frei und unbehelligt der Gemeinde über­ lassen bleiben'). Da die Gemeinde fast ganz, ja soweit sie die Deutschen um­ faßte, ausschließlich lutherisch war, sollte der Prediger nun auch demselben Bekenntnis angehören. Der Gesandte ging darauf ein und ließ sich die von ihm dazu gegebene Zustimmung auch von seiner Regierung bestätigen.

Das Verhältnis der lutherischen Gemeinde zum holländischen Gesandten beruhte jedoch auf rein privater Abmachung, so daß der lutherische Prediger nun nicht mehr, wie die früheren reformierten, Gesandtschaftsprediger war. Vielmehr war er jetzt Pfarrer der selbständigen, unabhängigen lutherischen Gemeinde, deren Gottesdienste und Pfarramt nur unter dem Schutze des holländischen Gesandten ftanben2). Nun reisten zwei Beauftragte der Gemeinde nach Holland, um einem geeigneten Mann die Predigerstelle in Lissabon anzutragen. Ihre Wahl fiel auf Johannes Schiving2), Prediger in Wildervank, der den völlig unerwarteten Ruf als göttliche Berufung betrachtete und ihm unverzüglich Folge leistete. Zwar war er noch Holländer, aber er wurde doch berufen mit dem Auftrag, in holländischer und deutscher Sprache zu predigens. Da Wildervank dicht an der deutschen Grenze liegt, wird er gewiß auch beider Sprachen mächtig gewesen sein. So trat Schiving denn sein neues Amt in der Lissabonner Gemeinde alsbald an und hielt am 31. Mai 1761 seine Antrittspredigt. Mit diesem Tage beginnt also die eigentliche Geschichte der deutschen evangelischen Gemeinde zu Lissabon. Mit herzlicher Freundlichkeit an seinem neuen Wirkungsort empfangen, predigte er vor der vollzählig versammelten Gemeinde, die mit „erhobenen Zügen auf den leuchtenden Angesichtern"2) lauschte, über den Text aus der Apostelgeschichte Kap. 16, V. 9 und 10, jene denkwürdige Stelle, wo Paulus das Evangelium nach Europa zu bringen sich anschickt, da er zu Troas im Traume von einem Mann aus Mazedonien gerufen wird: „Komm herüber und hilf uns!" So fühle auch er sich — führte er in der Predigt aus — durch die Lissabonner Gemeinde innerlich von Gott gerufen, um ihnen in ihrem Ver­ langen nach der Wahrheit des Evangeliums zu Hilfe zu kommen, da sie wie Schafe ohne Hirten wären. Nach einer ausführlichen Auslegung wendet er den Text in allen Einzel­ heiten auf seine Berufung nach Lissabon an und weiß in ermunternden und mahnenden Worten die Herzen seiner Gemeinde für sich zu gewinnen. Er bekennt von sich, nie daran gedacht zu haben, daß er jemals nach Lissabon kommen werde, aber die innere Gewißheit der göttlichen Berufung gebe ihm Trost und Kraft für sein schweres Amt. „Der Herr hat mich gerufen", so sagt er unter anderm, „um euch mit seinem heiligen Wort und Rat dienen zu können; sehet, da bin ich nun, zu hören und zu verrichten, was der Herr von mir will, daß ich tun soll!" Er bittet seine Gemeinde, nicht so sehr auf die Wenigkeit, die Jugend und geringen Fähigkeiten seiner Person zu sehen, die ihnen heute als ihr Lehrer und Helfer vorgestellt werde, weil er weder ohne den Willen Gottes, noch aus eigenem Antrieb diese Ehre auf sich nehme, son­ dern von Gott, ebenso wie Aaron, dazu berufen sei. „Sehr wohl weiß ich", so fährt er fort, „daß ich aus mir selber nichts bin, nichts kann, noch etwas zu tun vermöge von alledem, was der große Gott von meinen Händen verlangt; daß meine Schultern zu schwach sind für die mir auferlegte Bürde, um einst­ mals die Verantwortung für eure Seelen zu tragen. Darum bitte ich euch auch heute, mehr euer Augenmerk auf die Kraft und die Allmacht Gottes zu lenken, als auf mein Unvermögen, und eure hilfeflehenden Seufzer mit den

meinigen zu Vereinen — so werden wir gemeinsam die niedergeschlagenen Gemüter aufrichten und uns helfen, um weiterzuschreiten zur Kraft . .. Wohl­ auf, empfehlen wir getrost Anfang, Mitte und Ende unseres Lebens dem getreuen Vater; laßt uns untereinander wirken in Liebe und guten Werken und nicht bei unseren Versammlungen fehlen. Denn ich bin überzeugt, daß Er, der mit seiner Gnade bei uns angefangen hat, der wird es auch vollführen bis auf den letzten Tag. Lasset uns festhalten an dem Glauben und nicht verzagen, denn Gott ist getreu in allen seinen Verheißungen. Ihm sei Lob, Ehre und Herrlichkeit von jetzt an bis in Ewigkeit! Amen." So schließt die erste Predigt, die in der neu gegründeten deutschen lutherischen Gemeinde zu Lissabon gehalten wurde. Ein guter Grund war gelegt. Denn „einen anderen Grund kann niemand legen, außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus"! Dem anwesenden holländischen Minister, Baron von Kretschmar, brachte Schiving in der Predigt seine Ehrerbietung als Protektor der Gottesdienste zum Ausdruck. Dann aber erwähnt er besonders den „Generalkonsul des holländischen Handels", Herrn Daniel Gildemeester, der rühmend genannt werden müsse im Zusammenhang mit den lobenswerten Bemühungen um die Einstellung eines Lehrers für unsere werten Glaubensgenossen. Diejenigen, die ihren rechtschaffenen Gottesdienst liebhaben, müßten solche Fürsorge für das Heil ihrer Seelen mit dankbarem Herzen preisen. „Bon Ihnen", so wendet er sich an GUdemeester, „verspreche ich mir einen weisen und treuen Mithelfer in der Sache unseres Herrn zum Schutze und zur Aufrechterhaltung unserer teuren Gottesdienste. Gott verleihe dazu seine tatkräftige Hilfe und lasse Sie als Vorbild zur Nachfolge anderer dienen, damit wir alle einmütig glauben und Jesum Christum bekennen, auf daß wir die Kraft und die Früchte des Evangeliums reichlich erfahren und ihrer teilhaftig werden."

Daniel Gildemester hatte indessen wohl mehr nur die Vermittlerrolle in seiner Eigenschaft als Konsul übernommen. Die eigentliche Seele der neuen Gemeindebildung aber war sein Bruder Thomas Gildemeester. Obgleich er wie sein Bruder selber reformiert und Holländer war, verhalfen sie doch den deutschen Lutheranern zu einem eigenen Seelsorger ihres Bekenntnisses, und Thomas Gildemeester wurde sogar Vorsteher der Gemeinde. Das mag viel­ leicht aus der in Holland damals frühzeitig entstandenen Toleranz zu erklären sein oder gar aus dem Einfluß der Ideen der Aufklärung. Mehr aber ist dafür wohl der vorwiegend auf das Praktische gerichtete Sinn der Kaufleute bestim­ mend gewesen, die sich über dogmatische Unterschiede hinweg in der Not der Diaspora auf das Gemeinsame ihres evangelischen Glaubens besannen und, bei aller Wahrung der Bekenntnisse, doch zu gemeinschaftlichem Gottesdienst sich zusammenfanden*). Schiving scheint auf die Verschiedenheit der Bekenntnisse in seiner Gemeinde Rücksicht genommen zu haben. Denn er erwähnt in seiner Antrittspredigt weder Luther noch Calvin, sondern spricht nur allgemein von der „protestan­ tischen Religion" und dem „protestantischen Gottesdienst". Gleichwohl bringt er in dieser „Antrittspredigt über das heilige Lehramt" echte lutherische

Gedanken über das kirchliche Amt zum Ausdruck. Der Pfarrer ist der mittels der Gemeinde von Gott berufene Lehrer des Evangeliums. Die Amtsträger — so sagt Schiving in lutherischem Sinne — sind „Gottes Werkzeuge und seine Mitarbeiter, um das Verlorene zu suchen, Wunden zu heilen und die Schwachen zu stützen". Nichts andres der Gemeinde zu bringen ist er sich bewußt, als Jesu Christi heiliges Evangelium. Fern liegt ihm jeder fanatische Bekehrungseifer. Vielmehr leitet er aus der Betrachtung der Bekehrung des Paulus, des einstigen Verfolgers der Christen, die Mahnung her, „daß wir das Beste zu erhoffen lernen von der Liebe zu unseren Feinden und zu allen, die nicht bekehrt sind, weil wir nicht wissen können, was Gott der Herr durch seine große Barm­ herzigkeit daraus noch gestalten wird, und daß es deshalb besser ist, mit unserem Urteil zurückzuhalten, stets daran gedenkend, daß wir die rechte Liebe zu Jesus nicht verlieren. Der große Gott schafft selbst aus einem Menschen, von dem nichts zu erwarten ist, ein auserwähltes Gefäß." Das entspricht ganz der Auf­ fassung Luthers. Auch das ist ein echt lutherischer Gedanke, daß Gott die Gnade des Evangeliums wegen der Undankbarkeit der Menschen wieder fortnehmen kann. Denn „es ist für den Herrn ein Geringes, anstatt des hellen Lichts des Tages eine dichte Finsternis zu senden und die Erde wiederum mit Dunkelheit zu bedecken infolge schnöder Undankbarkeit gegen sein heiliges Wort". So stellt sich Schiving seiner Gemeinde vor als ein rechter evangelischer Prediger, der die ihm anvertrauten Seelen tröstet und mahnt mit allem Ernst und doch mit der Milde dessen, der weiß, daß nicht von ihm allein der Bestand der Kirche abhängt, sondern daß Gott im Regiments sitzt und führet alles wohl. Als solcher zeigt sich Schiving auch in einer Bußpredigt, die er ein halbes Jahr später an einem von der portugiesischen Regierung angeordneten allgemeinen Bußtag in Portugal zum Gedächtnis des großen Erdbebens am 1. November 1761 gehalten hat. Nach einer allgemeinen naturwissenschaftlichen Abhandlung über Art und Ursachen der Erdbeben, wobei er sich als ein Kenner der neusten Theorien der damaligen Naturforscher zeigt, ruft er noch einmal die Ereignisse des 1. November 1755 in Erinnerung, „der wohl mit eisernem Griffel ins Gedächtnis eingegraben sein dürfte" bei allen Einheimischen und Auswärtigen, die den Tag miterlebt haben. Dann fragt er seine Gemeinde: „Wie habt ihr bis heute über diesen Tag nachgedacht?" Und weiter, herzandringender: „Wie hat der Tag dich vorgefunden? Wie standest du damals mit deinem Gott, der jetzt plötzlich als Richter erschien? Hätte jener Tag nicht dein letzter Tag sein können?" Wohl kenne er all die Einwendungen und Ansichten der Aufklärer und Gottesleugner, die alles natürlich zu erklären wissen. Aber hinter allem natürlichen Geschehen stehe doch Gottes unsichtbares Wirken, dessen tiefstes Wesen uns unbegreiflich und dessen Gerichte unergründlich seien. Entscheidende Dinge blieben uns deshalb unbekannt, und die menschliche Vernunft reiche nicht hin zur Erfassung der göttlichen Geheimnisse. Hier ist noch das Wissen um den verborgenen Gott, den „deus absconditus“ eines Luther lebendig, das die oberflächlichen Gedanken der Aufklärungszeit zu überwinden vermag. So widerfuhr der neugegründeten lutherischen Gemeinde das Glück, als ihren ersten Pr^iger einen Mann von ausgezeichneten Gaben, einen aufrechten Zeugen lutherischen Glaubens erhalten zu haben').

Zu der Gemeinde gehörten etwa 50 Häuser*); nach einer anderen Quelle „zählten die Hamburger, Lübecker und anderen lutherischen Kaufleute ungefähr 80 Personen"'). Der Name der Gemeinde lautete auf holländisch „Gemeente van de Onveranderde Augsburgse Geloofs Belydenis te Lixboa“; Schiving selbst bezeichnete sich als „Predikant van de belyders der onveranderde Augsburgsche Geloofs belydenis Onder de Protectie van Haare Hoogmogende de Heeren Staaten Generaal van de Vereenigde Nederlanden Minister en derselfs Capelle te Lixboa.“ Denn er war ja niederländischer Nationalität und holländisch seine Muttersprache, wie er denn auch das erste Kirchenbuch 1761 in holländischer Sprache anlegte und führte. Die Leitung der Gemeindeverwaltung hatte Thomas Gildemeester") zu­ nächst allein inne. Im Februar 1765 jedoch wurde von der versammelten Ge­ meinde eine Art Gemeindeordnung beschlossen"). Darin werden Gildemeester drei Mitglieder als Kirchenrat zur Seite gestellt, der alle drei Jahre neu ge­ wählt wird. Die Namen der ersten Kirchenvorsteher sind Caspar Krochmann, Franz Hendrich Hoppe und Johann Thomas Stadtmiller. Thomas Stadtmiller, ein aus Lindau gebürtiger wohlhabender Kaufmann, gehörte als preußischer Konsul zu den führenden Mitgliedern der deutschen Kolonie. Das Kirchenbuch rühmt ihn als „sehr verdienten vieljährigen Vorsteher der evangelischen Ge­ meine". Ein besonders ausführlicher Nachruf ist Caspar Krochmann gewidmet, der in dem hohen Alter von 83 Jahren 1799 starb. Ueber ihn sagt das Kirchen­ buch: „Gebürtig aus Hamburg, war er seit vielen Jahren hier ansässig und Kaufmann dieser Börse. Ein in vieler Hinsicht vortrefflicher Mann, sowohl von feiten seines edlen Herzens, als seiner — seinem Stande — seltenen Kenntnisse in Sprachen und Wissenschaften. Man war es gewohnt, wegen seiner tiefen Einsichten und vieljährigen Erfahrungen in dem gesamten Geschäfte des Hand­ lungswesens in schwierigen Fällen sich seinen Rat zu erbitten und diesem zu folgen. Damit verband er die größte Uneigennützigkeit und Rechtschaffenheit. Auch unsere Gemeinde, der er ehedem als Vorsteher viele Dienste geleistet und ihr immer treu beigestanden hat, verliert eine Stütze an ihm.... Sein An­ denken bleibe bei uns in Segen!" Von dem dritten der drei ersten Vorsteher, dem Kaufmann F. H. Hoppe, ist nichts weiter überliefert, als daß er in Ham­ burg gestorben ist. Alle drei gehörten jedenfalls zu den hervorragendsten und angesehensten Deutschen in Lissabon, wie es auch bei ihren Nachfolgern im Amte des Kirchenvorstandes von jetzt ab die Regel war. Hier kommt ein bedeutsames Stück der Eigenart der Gemeinde zur Dar­ stellung, das sich bis in die Gegenwart hinein erhalten hat, nämlich ihr Frei­ willigkeitscharakter. Die Gemeinde gründet sich in ihrem äußeren Bestand aus den freiwilligen Zusammenschluß ihrer Mitglieder und verwaltet sich selbständig. Sie beruft auf eigenen Entschluß ihren Pfarrer, der ihr als Prediger das Evangelium zu verkündigen hat, aber an der äußeren Verwaltung der Ge­ meinde nicht beteiligt ist und daher anfänglich auch dem Kirchenvorstande nicht angehört, infolgedessen auch nicht sein Vorsitzender ist. Wir werden sehen, wie sich der Pfarrer die Mitgliedschaft im Vorstand seiner Gemeinde erst allmählich erwirbt, den Vorsitz jedoch führt er noch heute nicht. Diese Selbständigkeit der Gemeinde weckt ihre Aktivität und Opferbereitschaft. Das Prinzip der Frei-

Willigkeit schließt ein totes Mitläufertum aus und fordert zum Bekenntnis und zur Tat heraus, vor allem in Zeiten, in denen die Kirche im Kampf und der Bestand der Gemeinde in Frage steht. Die Notwendigkeit der Selbsterhaltung und die selbständige Verwaltung der Gemeinde hält zugleich das Bewußtsein des Wertes der kirchlichen Einrichtung lebendig und erfüllt ihre Träger mit einem gewissen Stolz auf ihre Gemeinde und mit Befriedigung, ihr anzu­ gehören. Andererseits aber fordert diese Aktivität der Gemeinde von dem Pfarrer eine reine und krafwolle Darstellung des geistlichen Amtes, wenn anders er nicht bloß Beauftragter eines religiösen Vereins und Angestellter seiner Brot­ herren sein will, worin das Verhältnis zum Pfarrer zu betrachten den Kauf­ leuten naheliegt. In diesem SpannungsverhAtnis zwischen dem Pfarrer als Träger des geistlichen Amts und der selbstverfaßten sowie sich selbst verwalten­ den Gemeinde liegt ein wesentliches Moment für das Leben der Gemeinde, wie es sich im Lauf ihrer geschichtlichen Entwicklung ausprägen wird. Bon hier aus läßt sich die Gestalt der Auslandsgemeinde in der Tiefe erkennen und manches in ihrer Geschichte erst recht verstehen. Dem Freiwilligkeitscharakter der Gemeinde entsprechend, wurden nun die Mittel zum Unterhalt des Kirchenwesens durch Subskription aufgebracht. Der Pfarrer erhielt zunächst ein Gehalt von 480$000 Reis, was jedoch bald erhöht werden konnte. Auf Grund eines Beschlusses der erwähnten Gemeindeversamm­ lung im Februar 1765 wurde eine neue Subskription unternommen, die jähr­ lich 1200$000 Reis ergab, so daß das Gehalt des Pfarrers auf 640$000 Reis erhöht werden konnte. Auch ein Küster war vorhanden, der 48P000 Reis bekam. Auf Grund alten Brauchs") bestand wohl auch noch die Sitte, daß die den Hafen von Lissabon anlaufenden Hanseschen Schiffe für die deutsche Kapelle eine Abgabe entrichteten. Jedenfalls wird bei derselben Versammlung auch be­ schlossen, außer den deutschen ebenfalls dänische und schwedische Schiffe zu Bei­ trägen für die Kirchenkasse heranzuziehen. Ob das tatsächlich möglich war und ausgeführt wurde, läßt sich nicht mehr ersehen. Ein Zwang aber konnte auf die Schiffe gewiß nicht mehr ausgeübt werden. Als Begräbnisplatz diente der Gemeinde zunächst der englisch-holländische Friedhof, der sich heute in englischen Händen befindet. Zur Gemeinde hielten sich auch die damals in Lissabon anwesenden zahl­ reichen deutschen Offiziere, die Pombal zur Reorganisation des Heerwesens her­ angezogen hatte, vor allem der bis dahin in englischen Diensten stehende Graf Friedrich Wilhelm zu Lippe-Bückeburg, den England, das der Minister um Hilfe angegangen war, als Instrukteur gesandt hatte. Sein Verdienst war es, wenn die Spanier, die 1762 in Portugal eingefallen waren, rasch vertrieben wurden und der Friede wiederhergestellt werden konnte. Neben dem Grafen von Lippe, der den Oberbefehl über die gesamten portugiesischen Truppen führte, erwarb sich der Prinz Karl von Mecklenburg-Strelitz als Instrukteur der Artil­ lerie um das Heerwesen große Verdienste. In ihrem Gefolge befanden sich der Generalleutnant Johann Heinrich von Boehm und manche andere Offiziere"). Sie waren meistens Protestanten und scheinen in dem fremden Lande gerne an den deutschen Gottesdiensten teilgenommen zu haben. Denn der holländische Gesandte berichtete seiner Regierung von der besonderen Befriedigung der vielen

mit dem Grafen Lippe und dem Prinzen von Mecklenburg-Strelitz nach Lissabon gekommenen Offiziere über das Fortbestehen der Gottesdienste in der Gesandt­ schaftskapelle. Sie werden sich in der deutschen Gemeinde um so heimischer gefühlt haben, als sie im Lande überall vom Volke als Ketzer mißtrauisch an­ gesehen und gemieden wurden. Der Graf von Lippe erzählt in seinen „Denk­ würdigkeiten"'^) folgendes anschauliche Beispiel dafiir: „Man hatte dem Volke ben bloßen Namen der ftemden Ketzer so furchtbar gemacht, daß, als ein Bückeburgischer Offizier die Grenzen zu messen mit einem Detachement Dragoner ausgeschickt war, aus allen Dörfern, wohin er kam, die Einwohner entflohen und erst auf die heiligsten Versicherungen ihrer Geistlichen zurückkehren wollten." Aus Schivings Amtstätigkeit berichtet das Kirchenbuch von zwei Taufen im ersten Jahre, und zwar in den Familien Bruyntz und Giesler. Unter den Paten finden sich die Namen Vogelbusch, Hintz und die beiden Gildemeesters. Im nächsten Jahre, 1762, waren es drei Taufen, in den Familien Moller, Poppe und Giesler; 1763 zwei Taufen in den Familien Popper und Metzener; 1764 vier Taufen in den Familien Moller, Hökel, Poppe und Ziedenburg; 1765 fünf Taufen in den Familien Giesler, Hoppe, Wys, Burger van Bern, Krieger; 1766 sechs Taufen in den Familien Möller, Hökel, Poppe, Ziedenburg, Giesler, Hoppe; 1767 vier Taufen in den Familien Heeren, Poppe, Möller, Hoppe und 1768 eine Taufe in der Familie Krieger. Unter den Paten kommen ferner u. a. die Namen vor: Thorbeke, Wieneke, Buller, Broekelmann, Burmeester, Bor­ chers, Hazenclever, Rocks, Clattenburg, Wagner, Bostelmann, Hempel, Meyer, Regemann, Eggers, von Dinklagen, von Boehme — alles Namen, denen wir zum Teil noch öfters in der Geschichte der Gemeinde begegnen werden. Der Nationalität nach waren von den 27 getauften Kindern 23 Deutsche, 3 Hollän­ der und 1 Schweizer; drei Kinder stammten aus konfessionellen Mischehen. Getraut wurde während der Amtsführung Schivings nur ein Paar, Franz Heinrich Hoppe aus Bamberg und Anna Sophie Wagner aus Amsterdam. Begraben hat Schiving im ganzen 28 Personen, von denen bei sieben ihre hamburgische Nationalität besonders erwähnt ist. Am 19. Juni 1769 wurde Schiving aus seinem Amt in Lissabon „ehren­ voll" entlassen und am 6. September des Jahres nach Paramaribo (nieder­ ländisch Guayana) berufen, wo er am 27. August 1772 gestorben ist15).

IV.

Die Gemeinde unter dem Schutze ausländischer Mächte, 1761—1810 1. Unter holländischem Schutz

Ueber die Zeit von 1769 bis 1772, aus der im Kirchenbuch nichts ver­ zeichnet ist, liegen keine Nachrichten vor. — Um einen Nachfolger für Schiving zu gewinnen, wurde der damalige Vorsteher Albert Meyer, ein angesehener Kaufmann aus Bremen, beauftragt, sich darum zu bemühen'). Man wollte jetzt einen rein deutschen Prediger haben — ein Beweis für den deutschen Charakter der Gemeinde und ihre Selbständigkeit gegenüber dem holländischen Protektorat. Meyer wandte sich an seinen Bruder in Bremen, der das Gesuch an den derzeitigen Rektor der Universität Göttingen, Dr. Miller, weiterleitetes. Dieser empfahl Johann Wilhelm Christian Müller, einen jungen Gelehrten, der, aus einer Gelehrtenfamilie stammend^), ebenfalls Universitätslehrer zu werden vorhatte. Den Ruf nach Lissabon nahm er gern an, zumal da er sich nur für drei Jahre zu verpflichten brauchte, nach deren Ablauf er, bereichert in seinem Wissen und an Sprachkenntnissen, nach seiner Heimat zurückzukehren gedachte. Der Bruder des Lissabonner Kirchenvorstehers in Bremen fertigte auf Grund der ihm von der Gemeinde übertragenen Vollmacht einen Kontrakt aus, der am 25. Oktober 1772 von Müller nebst dem Vermittler Miller unter­ zeichnet wurde und folgendermaßen lautete4): „Im Namen der heiligen Dreyeinigkeit, Amen. Nachdem mir Endesunterschriebenem vom Hrn. Albert Meyer, Kaufmann in Lissabon, und Vorsteher der lutherischen Gemeine daselbst, die Vollmacht erteilt worden, einen geschickten Lehrer und Prediger für gedachte Gemeine zu erwählen; so habe ich dieserwegen mich an Se. Hochw. den Herrn D. Miller in Göttingen gewendet, und ihn gehorsamst ersuchen lassen, mir die ihm fähig scheinenden Subjects geneigt bekannt zu machen. Die Bedingungen die ich damals beygefügt, und hiemit nochmals bekräftige, waren folgende: 1. Der berufene Prediger kann ungehindert den freyen Predigerdienst wahrnehmen, und verrichten in der Capelle, und unter der Protection Sr. Wohleolen, Gestrengen Herrn Philip Saurin, Ministers von Ihrs Hochmögenden Herren Generalstaaten der vereinigten Niederlande an dem Hofe von Portugal!. 2. Daß der berufene Prediger sich verbindlich mache, drey Jahre zu Lissabon in seinem Dienste feste $u bleiben; dagegen aber, wenn Se. Ehrwürden die Pflichten des heiligen Predlgtamts, m Lehre und Leben, getreu erfüllt haben, auch nach Verlauf der dreh Jahre nicht werden dimittiret werden. 3. Habe, zufolge der von Lissabon mir ertheilten Vollmacht, den berufenen Prediger nachstehendes Honorarium accordieret, nemlich: fürs erste Jahr ......................... 480 Milreis ürs zweyte Jahr 600 Milreis fürs dritte Jahr ........................ 640 Milreis Und zwar geht das Solarium des ersten Jahres von der Zeit an, da sich der erwählte Prediger auf die Reise begibt.

4. Es soll der Transport von Sr. Ehrwürden Person und Sachen von Hamburg, oder Amsterdam nach Lissabon, auf einem bequemen Schiffe besorgt werden. Unter Einwilli­ gung jetzt eben bestimmter Punkte habe ich Unterschriebener, Kraft vorgemeldeter Voll­ macht und Mitaarantie, unter denen von Sr. Hochwürden dem Hrn. D. Miller mir voraeschlagenen uno empfohlenen Subjecten im Namen Gottes, zum Prediger der lutherischen Gemeine in Lissabon gewählt den Herrn Johann Wilhelm Christian Müller, aus Göt­ tingen, daß er sich vorhero gehörigen Orts examiniren, und zum Predigtamt ordiniren lasse, und sich anheischig mache: 1. Seiner künftigen Gemeine das reine und lautere Wort Gottes, aus der heiligen Schrift zu lehren, und nichts vorzutragen, das dem Augspurgischen Glaubensbekenntnisse, und den übrigen symbolischen Buchern der lutherischen Kirche zuwiderlaufe. 2. Alle Sonn- und Festtage in der Capelle des woblgemeldeten Herrn Ministers einmal zu predigen, die heiligen Sakramente, Taufe und Abendmahl, und im Nothfalle auch die Nothlaufe zu administriren, und zwar dies alles nach den in der lutherischen Kirche gebräuchlichen Formularen. 3. Die Jugend in der Woche zu catechisiren. 4. Der Gemeine, durch ein gesittetes Leben und christlichgottseligen Wandel, ein her­ vorleuchtendes Beyspiel zu seyn. 5. Sich auf dreh nach einander folgende Jahre fest zu dem Dienste dieser Gemeine zu verbinden, und sich sogleich zur Reise anzuschicken, damit Se. Ehrwürden gegen den 1. November in Bremen eintreffen, und von mir alsdann die fernere Instruction, zur Fortsetzung der Reise nach Lissabon, empfangen könne. Dagegen verspreche ich Endesunterschriebener, Kraft meiner Vollmacht und Garantie, daß Se. Ehrwürden von der dortigen Gemeine alle Achtung und Liebe werden zu erwarten haben, und daß die vorangezeigten Honoraria, für die dreh ftipulirten Jahre, alle Viertel­ lahre ohne Verzug sollen ausgerahlt werden. Und gleichwie Se. Ehrwürden, wenn Sie, wie ich nicht zweifle, Sich, in Lehre und Leben, werden unsträflich beweisen, auch nach Verlauf der drey Jahre, nicht sollen dimittiret werden; so soll es doch Ihrem freyen Willen überlassen sehn, sich länger zu verbinden. Urkundlich ist solches hiemit in duplo ausgefertigt und von Se. Ehrwurden, an einem und mir, als Bevollmächtigten und Mit­ garant, am andern Theile, eigenhändig unterschrieben, und beide Exemplare gegen einander ausgewechselt worden. So geschehen Bremen, den löten Oktober und Göttingen, den 25ten Oktober 1772." (L. S.) Franz Meyer. (L. S.) Johann Christ. Wilh. Müller.

Sogleich am folgenden Tage trat Müller die Reise an, zunächst nach Bremen, wo er auf Wunsch Meyers, der ihn vor seiner Abreise gerne einmal hören wollte, im Dom Predigte. Müller war jedoch noch nicht ordiniert worden. Zu dem Zweck begab er sich in eiliger Nachtfahrt zu seinem Konsistorium nach Stade, wo er sofort examiniert und am folgenden Tage ordiniert wurde, nach­ dem ihm die Probepredigt erlassen worden war auf Grund folgenden Zeugnisses des Domkollegiums über seine Predigt in Bremen: „Obgleich Herr Müller als berufener Prediaer der lutherischen Gemeine in Lissabon durch das einstimmige Zeugniß seiner Lehrer in Göttingen, ein gewisses und vortreffliches Vorurteil von seinen Kanzelgaben von sich erweckt hatte, so freue ich mich doch, daß ich solches desto mehr bestätigen kann, da ich ihn nicht nur selbst gehört, sondern auch die hiesigen Herren Prediger ersucht, ihn mit ihrer Gegenwart zu beehren, welche denn ins­ gesamt bestätigen, daß sein Vortrag sehr erbaulich und angenehm, und den Lehren unserer Kirche gemäß gewesen sey, welche solches, dahero auch dieses mit ihrer Unterschrift ver­ sichern." Franz Meyer, als Bevollmächtigter der lutherischen Gemeine in Lissabon. W. Bogt. Ex animo attestor. Et ego I. G. Olbers. Item. Jo. Gotth. Schlichthorst.

Schon wartete das Schiff in Hamburg auf ihn, um bei dem ersten günstigen Ostwinde die Anker zu lichten. Unterdes hatte die lutherische Gemeinde in Lissabon mit dem inzwischen neu eingetroffenen holländischen Gesandten Philippe Saurin vereinbart, daß

unter denselben Bedingungen wie früher in seinem Hause die lutherischen Gottesdienste stattfinden und der Prediger unter seinem Schutze stehen sollte, was ja jeweils eine private Abmachung der Gemeinde mit dem betreffenden Gesandten war, vorbehaltlich der Genehmigung durch dessen Regierung. Die deutschen Lutheraner ließen sich von dem Gesandten erneut das uneingeschränkte Verwaltungsrecht über die auf ihre eigenen Kosten erbaute Kapelle bestätigen und verpflichteten sich dafür auch ihm gegenüber zur vollen Zahlung der Miete für das Haus'). Gegen Ende des Jahres — oder in den ersten Tagen des Januar 1773 — traf Müller in Lissabon ein. Mit ihm bekam die Gemeinde ihren ersten deutschen Pfarrer. Im Kirchenbuch zieht nun auch die deutsche Sprache ein, um bis heute nicht wieder daraus zu verschwinden. Müller lebte sich in seinem neuen Wirkungskreis bald ein. Er lernte schnell die portugiesische Sprache und studierte die Geschichte des Landes. Als die drei Jahre seines Kontraktes herum waren, gefiel es ihm so gut in Lissabon, daß er nicht daran dachte, in die Heimat zurückzukehren, vielmehr den Kontrakt auf unbestimmte Zeit verlängern ließ. Ja, im Jahre 1779 heiratete er sogar in die Gemeinde ein, und zwar die Tochter des angesehenen hanseatischen Kaufmanns Heinrich Moller, Anna Elisabeth, die er bald nach seinem Amtsantritt, 1773, als erste Konfirmandin der Gemeinde konfirmiert hatte'). Dieser Ehe entsprossen mehrere Kinder. Zwei Söhne traten später in portugiesische Heeresdienste. Von seinen Töchtern vermählte sich die ältere, Dorothea, mit Georg Peter Moller, und die jüngere, Wilhelmine, mit Adolf Friedrich Lindenberg, dem späteren bedeutenden Führer der Gemeinde. Beider Nachkommen treten häufig in der Geschichte der Ge­ meinde hervor und leben noch heute in der vielfachen Generation inmitten der Gemeinde. Die politischen Verhältnisse in Portugal hatten nach dem Tode des Königs Jose I. im Jahre 1777 einen völligen Umschwung erfahren. Da der König keinen männlichen Nachkommen hinterlassen hatte, bestieg seine älteste Tochter Maria, die mit ihrem Onkel Don Pedro verheiratet war, den Thron. Die eigentliche Leiterin der Regierung aber war ihre Mutter, die Witwe König Josös, eine fanatische Katholikin. Sie haßte den liberalen Staatsmann Pombal und entsprach gerne den Wünschen des Adels linb des Klerus, die verlangten, daß dem greisen Minister der Prozeß gemacht würde. Pombal wurde aller seiner Aemter entkleidet und von Lissabon auf eins seiner Güter verbannt. Die Königin aber überließ sich ganz der Leitung der römischen Prälaten und Jesuitenfreunde, die nun wieder zur Allmacht gelangten und der Kirche wie der Geistlichkeit einen unumschränkten Einfluß verschafften. Es begann eine schroffe Reaktion. Das meiste, was Pombal geschaffen hatte, wurde beseitigt. Seine liberalen Gesetze und Verordnungen wurden aufgehoben, ja die Volks­ schulen und sonstigen Bildungsinstitute als gefährliche Herde des ketzerischen, modernen Zeitgeistes aufgelöst und verschwanden allmählich. Unter diesen Um­ ständen kam das Land in kultureller Hinsicht arg herunter und das Ansehen Portugals schwand sehr rasch wieder dahin'). Die Hetze gegen die protestantischen Ketzer begann aufs neue, und die Proselytenmacherei wurde eifrig betrieben, wobei man, besonders bei ärmeren 4

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Ausländern, dadurch Erfolg hatte, daß die Königin selbst die Patenstelle bei den Umgetauften übernahm und eine Pension für sie aussetzte. Ein englischer Offizier erzählt in einem Brief an seinen Bruder in London von dem Besuch einer Kirche in Lissabon*), wo ein Dominikanerpater in seiner Predigt anläßlich einer Proselytentaufe sagte: „Seit der Zeit des hl. Dominikus habe kein Fürst oder Monarch so vielen Eifer in Bekehrung der Irrgläubigen bewiesen als Ihre allergetreueste Majestät, die jetzt regierende Königin, wofür Gott und die heilige Maria sie reichlich belohnen und ihr Friede und Heil in diesem Leben und die Krone der Herrlichkeit in jenem bescheren würden. Die Wahr­ heit dessen was ich sage, beweisen die unzähligen Bekehrungen an diesem glänzenden Hofe seit Ihrer Majestät Gelangung zum Throne. Dies bezeugen die hartnäckigen französischen Hugenotten, die verworfenen englischen Ketzer, die deutschen Anhänger des grausamen Calvin und gottlosen Luther, welche in so großer Anzahl in diesen Mauern, in den Schoß der wahren Kirche aus­ genommen werden, daß sich schwerlich entscheiden läßt, ob die Frömmigkeit oder Freigebigkeit Ihrer Majestät mehr dazu beigetragen, sie auf die Gedanken zu bringen, ihren gottlosen Irrlehren zu entsagen und sich als demütige und ge­ lehrige Söhne der einzigen untrüglichen Kirche auf Erden zu bekennen." Derselbe Offizier gibt auch von den Verhältnissen und der Lage mancher armen Deutschen folgende anschauliche Schilderung: „Wir schlossen inzwischen mit einem Fuhrmann, der eine Kalesche hatte, einen Handel, uns nach Santarem zu bringen, hatten aber nichts zu essen, und wären beinahe für Hunger gestorben, wenn uns nicht ein langer hagerer Offizier angeredet hätte. Er höre, sagte er, daß wir Engländer wären, und wüßte, daß wir im Wirts­ hause nichts zu essen finden würden. Er wäre gerade im Begriffe, sich mit seiner Frau zu Tische zu setzen, und bäte uns, ihm die Ehre unserer Gesellschaft dabei zu gönnen. Wir nahmen dieses Anerbieten ohne Umstände herzlich gerne an und gingen zu Tische. Aus den Kleidern, aus den Augen, aus der weißen Gesichtsfarbe und den schönen Haaren sahen wir gleich, daß seine Frau keine Portugiesin war, und wurden darin bestärkt, als sie anfing zu sprechen. Sie redete französisch, aber mit einer harten deutschen Aussprache, so daß man sie nicht leicht verstand. Auf des Lords Befragen, ob sie englisch oder die Landes­ sprache rede, antwortete sie mit Nein. ,Jch bin eine Deutsche, mein Herr, und Gott hat mich für meine Sünden in dies häßliche Land kommen lassen. Ein alter Domherr zu Braga und die Priester in der Stadt, wo unser Regiment lag, überredeten uns, daß ich eine ansehnliche Pension erhalten würde, wenn ich zur katholischen Religion überträte, wie es jetzt in Lissabon Mode ist. Ich bin auch dahin gegangen und die Königin hat die Patenstelle vertreten. Wer ich habe nichts bekommen, und kaum hat mein Mann den Sold auf zween Monate, da er vom Regiments abwesend gewesen, erlangen können.' .Was haben Sie da für einen artigen Knaben?' fiel der Lord ein. ,Ach, mein Herr, das kommt daher, weil er in Deutschland geboren ist; wie alt glauben Sie, daß er ist?' .Zwischen vier und fünf Jahren', erwiderte jener. ,Er ist nur 22 Monate alt', schrie sie. In meinem Leben sah ich kein so artiges Kind von diesem Alter. .Ach, mein Herr, wenn Sie noch nicht verheiratet sind, so nehmen Sie ja keine Portugiesin. Es ist nicht viel an ihnen, sie taugen nicht zum

Kinderzeugen, sondern bloß zur Galanterie; heiraten Sie eine Deutsche oder eine Engländerin.' Bei der ferneren Unterredung fanden wir, daß die Frau mit ihrer Lage sehr unzufrieden war. Ihr Mann war ein Portugiese, der eine Zeitlang in Deutschland gedient und sich dort verheiratet hatte. Weil man sich in Deutschland einbildet, daß Portugal eine Goldgrube sei, so sah sich die gute Frau sehr betrogen, als sie herkam, und fand, daß eine Kapitänsfrau sich so schmal behelfen müsse, und daß ihr ihre Religionsveränderung nicht das Ge­ ringste geholfen, da doch zu gleicher Zeit verschiedene Leute in Lissabon, an denen nicht viel war, eine Pension erhielten, weil sie katholisch geworden. Die Hauptursache war, daß die fromme Königin es satt war, schlechte Menschen zu besolden, weil sie schlecht sind. Und daß sie weislich entdeckte, daß alles an­ gewandte Geld, um Proselyten zu machen, so gut wie weggeworfen wäre." Die Königin, die, ohnehin nicht mit sehr starken Geisteskräften ausgestattet, nach dem Tode ihres Beichwaters, von dem sie sich völlig hatte leiten lassen, sowie ihres Gemahls und des Kronprinzen bereits stark erschüttert war, wurde schließlich, 1792, ganz wahnsinnig und mußte ihrem zweiten Sohn, Don Joao, die Regentschaft überlassen. Was jener englische Hauptmann berichtete, wird das Gewöhnliche gewesen sein, nämlich, daß nur äußere Gründe des pekuniären Vorteils einzelne un­ bemittelte Protestanten bewogen haben, den Lockungen der geisteskranken Königin nachzugeben. Demgegenüber war das kirchliche Leben der lutherischen Gemeinde unter dem Wirken des begabten und gelehrten jungen Predigers Müller um so reger. Oft predigte er viermal in der Woche, noch dazu in ver­ schiedenen Sprachen"). Der Besuch der Gottesdienste war sehr stark, wobei die kleine Gemeinde noch dadurch vermehrt wurde, daß auch „der große Haufe des ab- und zufahrenden armen Seevolks"'") gern an den Gottesdiensten teilnahm. Vierteljährlich wurde Kommunion gehalten. Manche fremden Seeleute, von holländischen, dänischen, schwedischen, norwegischen und russischen Schiffen, hat der deutsche lutherische Pastor begraben, oft ohne ihre Namen zu wissen. Häufig vertrat er auch den englischen Pfarrer. Das Kirchenbuch führte Müller sehr ausführlich, mit vielen interessanten Bemerkungen über die betreffenden Personen. Merkwürdig und bezeichnend für die Zeit ist die Taufe eines zwölfjährigen indischen Knaben, eines armen Findelkindes aus Kalkutta, das ein braunschweigischer Juwelenhändler in Ost­ indien als Sklaven gekauft hatte und bei seiner Rückkehr nach Europa nun bei der ersten besten Gelegenheit evangelisch, wie er selbst es war, werden lassen wollte. Da der Täufling nur portugiesisch verstand, taufte Müller ihn nach dem ins Portugiesische übersetzten lutherischen Formular. Müller bemerkt aus­ drücklich dazu, daß der Taufakt der portugiesischen Nation nicht zum Aergernis als anmaßliche Proselytenmacherei gereichen konnte, da er in der Stille voll­ zogen wurde und Herr und Sklave am folgenden Tage ihre Reise fortsetzten. Später hat Müller noch einmal einen jungen Inder, den ein Engländer als Sklaven mitbrachte, in der Stille getauft. Seine Eintragungen im Kirchenbuch zeugen von der äußerst gewissenhaften Führung seiner Amtsgeschäfte. Zum Beispiel wünschte einmal ein Paar aus bestimmten Gründen ohne vorheriges Aufgebot im Geheimen getraut zu 4*

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werden. Der Ungesetzmäßigkeit einer solchen „Winkelehe" bewußt, prüfte er mit großer Sorgfalt alles Für und Wider, um zu dem Schluß zu kommen, daß er in diesem besonderen Falle eine Ausnahme machen dürfe und die Trauung vollziehen müsse. Auf drei Seiten des Kirchenbuches legt er alle Gründe aus­ führlich dar und stellt am Schluß die für seine Amtsauffafsung charakteristische Frage: „Ob nun bei so gestalteten Sachen es nicht für einen Lehrer der evan­ gelischen Kirche, den die heiligsten Gelübde verbinden, für die Ausbreitung des Glaubens, den er predigt, zu sorgen und um seinetwillen weder gute noch böse Gerüchte zu scheuen, in diesem Falle — zumal wenn er nicht unmittelbar von einem geistlichen Gerichte abhängt und an keine andere Kirchenordnung als die Symbolischen Bücher seiner Kirche gebunden ist — schicklich und recht ist, sich von einigen durch bloß menschliche Verordnungen bestimmten Formalitäten, von denen die Obrigkeit sonst zu dispensieren Pflegt, dispensiert zu halten?" Er schließt das ausführliche Dokument, das er „zu seiner Rechtfertigung und zur Sicherheit der Vermählten aufgesetzt" hat, mit den Worten: „Der allmächtige Gott, vor dessen herzenskündigendem Gerichte ich mich nicht als einen gewissenlosen Begünstiger leichtfertiger Winkelehen verdammt zu werden fürchte, versiegele diesen Bund zu seiner Gnade." Ein andermal wiederum lehnt er eine Trauung ab, obwohl das Paar ordnungsgemäß aufgeboten worden war, weil doch noch gewichtige Gründe dagegen sprachen. Diese Beispiele einer gewissensernsten evangelischen Haltung seien hier ausdrücklich mitgeteilt, um der Würdigung der Persönlichkeit Müllers willen, dessen weiterer Lebensgang eine so eigenartige Wendung nehmen sollte. Vorher aber trat noch unter Müllers Amtszeit ein Ereignis ein, das die Gemeinde plötzlich vor die Existenzfrage stellte. Im März 1779 starb der niederländische Gesandte Philippe Saurin. Zunächst blieb hinsichtlich der lutherischen Gottesdienste noch alles beim alten. Das niederländische Wappen­ schild blieb an dem Hause des verstorbenen Ministers hängen und unter dem Schutze dieses ausländischen Hoheitszeichens durfte die Gemeinde fortbestehen. Müller selbst blieb in dem Hause wohnen und ordnete mit Hilfe Gildemeesters den Nachlaß des $t>tenu). Wenn der neue Gesandte käme, würde es — so nahm man an — wieder werden, wie es immer gewesen war: der Gesandte würde in das Haus, das die lutherische Kapelle enthielt, einziehen und das Protektorat über die Gemeinde übernehmen. Aber es kam anders.

2. Unter dänischem Schutz Der neue niederländische Gesandte Balthasar Constantijn Smissaert, der 1780 in Lissabon eintraf, lehnte die Uebernahme des Protektorats über die lutherische Gemeinde ab und weigerte sich, in das Haus, das seine Vorgänger bewohnt hatten, einzuziehen. Ueber die näheren Gründe dieses Verhaltens ist nichts bekannt. Es scheint ihn jedoch seine orthodox-reformierte Einstellung dazu veranlaßt zu haben. Denn er drohte sogar damit, den lutherischen Pfarrer zu verweisen und an seine Stelle einen reformierten Prediger aus Holland zu berufen"). Das ging natürlich über seine Befugnisse hinaus und fand auch

bei niemandem Zustimmung. Schließlich „ging er so weit, daß er, zur großen Erbitterung aller, selbst der Katholiken, und trotz des untertänigen Bittens jener bedrängten Leute, das Wappen der Republik entfernte, wodurch die Glaubensbrüder sich gezwungen sahen, ihren Gottesdienst einzustellen""). Was sollten sie nun tun? Ohne Schutz einer auswärtigen Macht durften sie es immer noch nicht wagen, sich zu Gottesdiensten zu versammeln, zumal in Portugal die römische Reaktion wieder zur unbeschränkten Herrschaft gelangt war. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich nach einem neuen Protektor umzusehen, den sie in dem dänischen Gesandten Chrisüan Gottfried von Johnn fanden. Dieser berichtet hierüber und über seine Stellungnahme dazu am 17. Oktober 1780 an den dänischen Minister des Aeußern folgendermaßen"): „In ihrer äußersten Not und nach solchem Aufsehen nahmen sie ihre Zuflucht zu mir, den Schutz des Königs, unsers Landesherren, erflehend und, nachdem ich die berichteten Sachen wohl untersucht und gesehen hatte, daß die Bittsteller völlig im Stiche gelassen worden waren, fühlte ich mich verpflichtet, auf ihr Anliegen einzugehen trotz aller Unannehmlichkeiten, die mir, einem so kränk­ lichen Mann, daraus erwachsen würden, gewiß, daß S. Majestät, nach dem Beispiel ihrer hohen Ahnen, die allezeit Beschützer der um ihres Glaubens willen verfolgten Protestanten waren, es an seiner Einwilligung zu einer Sache nicht fehlen lassen wird, die ich nicht zurückweisen konnte, ohne mich dadurch vor aller Öffentlichkeit dem Vorwurf des Mangels an Humanität und Religion auszusetzen, wie es jetzt bei Mr. Smissaert der Fall ist. Dieser Grund würde schon genügen, um meinen Entschluß zu rechtferttgen. Indessen, ich gestehe Ew. Exzellenz, daß es gleichzeitig noch eine andere Polittk ist, die für mich stark bestimmend dabei gewesen ist, nämlich jetzt habe ich doch alle die Herren in meiner Hand, und die Abhängigkeit, in der sie sich mir gegenüber befinden, wird jedenfalls, wie man sich vorstellen kann, unsern hier landenden See­ fahrern, deren höchstes Ziel es ist, ohne viel Verzögerung gut und schnell laden zu können, nicht schaden. Außerdem scheint es mir ehrenhaft für unsere Nation und aus diesem Grunde auch schicklich für den Minister des Königs, die schönste und am zahlreichsten besuchte Kapelle in Lissabon unter seiner Protektion zu haben, und das ohne jegliche Kosten, weder für den König, noch für ihn selber. Schließlich hoffe ich, indem ich Gott diene, zugleich auch meinen Landsleuten nicht schlecht gedient zu haben." Vierzehn Tage später, am Allerheiligenfest, den 1. November 1780 — genau 25 Jahre nach dem furchtbaren Erdbeben, durch welches am gleichen Tage die ganze Stadt zerstört worden war — nahm der dänische Gesandte von dem Haus") und der Kapelle im Namen des Königs Besitz. Jedenfalls faßte er es als eine Besitzergreifung auf, wenn auch die lutherische Gemeinde die Miete für das Gebäude zahlte und die Kapelle auf eigene Kosten errichtet hatte. Was früher eine rein private Abmachung der Gemeinde mit den jeweiligen holländischen Gesandten war, wurde jetzt zu einer offiziellen An­ gelegenheit der dänischen Regierung. Der Gesandte berichtet an das Auswärtige Amt mit Genugtuung von dem Vorgang an jenem „denkwürdigen Tage, da er die Ehre hatte, im Namen seines Königs und Herrn von der hier eingerich­ teten Kapelle der deutschen, holländischen und französischen Protestanten Besitz

zu nehmen. Der große Andrang der Menge, die trotz des schlechten Wetters über vierhundert Personen zählte, ebenso wie die unendliche Aufmerksamkeit, die man mir gegenüber erwies, überzeugten mich vollkommen von ihrer Zu­ friedenheit und wie erfreut man ist, sich unter dänischem Schutze zu befinden." Der Gesandte bittet nun noch darum, daß der König geruhen möge, dem Pfarrer eine Bestallungsurkunde als Legattonsprediger kostenlos ausstellen zu lassen, was unter den augenblicklichen Verhältnissen einen besonders günstigen Eindruck auf die Gemeinde machen würde. Er empfiehlt Müller aufs beste und meint, seine Auszeichnung als dänischer Legationsprediger würde die deutschen Kaufleute derart verpflichten, daß er das eigentliche Ziel, das er bei der ganzen Angelegenheit in Wirklichkeit im Auge gehabt habe, ohne Mühe erreichen würde, nämlich den künftig in Lissabon einlaufenden Schiffen dadurch Vorteile zu verschaffen. Es sei nicht zu befürchten, daß der Krone durch die Ernennung des Geistlichen zum Legationsprediger irgendeine Belastung erwachse. Denn Müller habe jetzt schon die Zusage eines Postens als Superintendent der Regentschaft von Hannover. Er gestehe, daß er schon im voraus die Freude spüre, die die Nachricht bei der Versammlung seiner Glaubensgenossen Hervor­ rufen, und die Gefühle des Dankes, die sie insbesondere dem Pastor einflößen werde, der seine Herde nach seinem Belieben führe und sie zu allem bestimme, was er für angebracht halte. Die Bestätigung der Regierung ließ lange auf sich warten, so daß der Gesandte zur Beruhigung der Kirchenvorsteher, die schon an der Gültigkeit des Protektorates zu zweifeln begannen, noch einmal im nächsten Frühjahr einen Bericht absandte. Endlich — bezeichnend für die damaligen Postverhältnisse — Ende Juni traf die Antwort der Regierung ein zugleich mit dem Diplom des Legationspredigers, das auf königlichen Erlaß vom 16. März am 2. Mai 1781 ausgestellt worden war. Die Ernennung Müllers zum Legationsprediger war jedoch nur als Charakter anzusehen, so daß das Indigenatsrecht, nach dem nur Staatsbürger Aemter erhalten konnten, auf ihn keine Anwendung fmtbie), besaß doch Müller nicht die dänische Nationalität. „Sichtlich gerührt von solchen Zeichen königlicher Güte" nahmen die Kirchenvorsteher und der Pfarrer diese Nachricht entgegen. So war denn der peinliche Zwischenfall, der die Gemeinde schutzlos gemacht hatte, glücklich erledigt, und die deutschen Lutheraner konnten wieder unangefochten ihres Glaubens leben. Von der Lebendigkeit ihres evangelischen Glaubens und wahrhaft glaubens­ brüderlicher Gesinnung zeugt eine hochherzige Tat, die sie einer armen, ihnen selbst unbekannten Gemeinde in dem fernen Mähren erwiesen — vielleicht auch als einen Ausdruck ihrer Dankbarkeit dafür, daß sie sich selbst nun in glücklichen und gesicherten Verhältnissen befanden und ihr kirchliches Leben geschützt wissen durften. Auf Grund des Toleranzpatents Kaiser Josephs II. vom 13. Oktober 1781 wollte, wie viele andere österreichischen Gemeinden, auch die evangelische Gemeinde zu Brünn sich eine Kirche erbauen, wozu sie von auswärtigen Glaubensgenossen Unterstützung erbat. Die weitaus größte Summe, die zu diesem Zweck gestiftet wurde, kam von der Lissabonner Gemeinde. Wie es dazu kam, berichtet eine kleine in Brünn gedruckte Schrift mit dem Titel: „Zwo zu

Lissabon gehaltene Gelegenheitspredigten. Von I. W. C. Mueller, königl. dänischen Legationsprediger und Pfarrer einer Evangelischen Gemeinde")." Darin heißt es im Vorbericht: „Lissabonner Predigten zum Besten eines deut­ schen Bethauses? und zwar in Mähren? — Es ist der Mühe werth, die gerechte Neugier des Lesers durch folgende historische Aufschlüsse zu befriedigen. Einer unserer vorzüglicheren Gönner, Herr Matth. Bernhard Schlösser von Aachen, bemühte sich die Bedürfnisse unseres Bethauses auch seinen Korrespondenten in Lissabon zu empfehlen, und übersendete ihnen außer unsern allgemeinen Kollektenbriefen auch das vortreffliche Lied"), das der von Seiten seines wohl­ wollenden Herzens nicht weniger als dichterischen Kopfes verehrungswürdige Jacobi zu unserer Empfehlung hatte cirkulieren lassen; und siehe — unsere Cirkularien hatten das unerwartete Glück, in die Hände zweier protestantischer Handelshäuser, die sich beneidenswert durch Wohlthätigkeit und Menschenliebe auszuzeichnen scheinen, und das beigelegte Lied in die eines sehr würdigen (dänischen Gesandtschafts-) Predigers zu geraten, der von Jugend auf ein großer Verehrer der Jacobischen Muse war, ihr auch noch in Zeiten, wo er wenig mehr zum Vergnügen lesen kann, sehr vieles verdankt, und dem der Name des Lieblingsdichters der Deutschen volle Bürgschaft für die Rechtmäßig­ keit der Sache, die er der Welt empfahl, zu leisten schien. Beider Name, die weder uns noch unsern Nachkommen aus dem Gedächtnis kommen sollen! nennen wir der Welt mit der dankbarsten Freude. Jene heißen Metzener u. Comp. und Thomsen Krochmann u. Comp., dieser C. W. Müller. Als Herr Müller kurz vor dem vorletzten Osterfeste (1785) nach einer überstandenen schweren Krankheit (denn warum sollten wir nicht auch alle Nebenumstände dieser für unser Bethaus ewig unvergeßlichen Tat, so viele uns bekannt geworden sind, anmerken?) zum erstenmal wieder sein Amt bei der Leiche eines seiner Gemeindeglieder verwaltete, baten ihn jene menschenfreundlichen Kauf­ leute, auf die ihnen von Aachen her eingelaufenen Empfehlungsbriefe und Lieder hin eine Kollekte zu veranstalten. Welche Aufforderung war dem wohl­ wollenden Manne angenehmer, als diese seiner besten Freunde? was ihm erwünschter als die Gelegenheit, Gutes zu stiften? und welches Fürwort rüh­ render und gültiger als das eines Jacobi? Aber um Hindernissen, Schwierig­ keiten und Weitläufigkeiten, die sich allen menschlichen Unternehmungen in den Weg zu legen Pflegen, auszuweichen, um allen Schein einer parteiischen Gefälligkeit zu vermeiden, um sich (wir bedienen uns größtenteils seiner eigenen Worte) von ähnlichen Aufträgen in weniger seinem Herzen so völlig verant­ wortlichen Fällen zu befreien — beschloß er die Sammlung für das Bethaus in Brünn zu einer groß und klein, reich und arm interessierenden Angelegen­ heit zu machen, und bereitete die Gemeinde gelegentlich auf sein Vorhaben vor, indem er sich hier und dort äußerte: ,daß ob er gleich, seinem Grundsätze treu, daß Predigten gehalten und gehört, aber nicht (sie wären denn entschiedene Muster) gedruckt und gelesen werden müßten — dem allgemeinen Verlangen, Predigten drucken zu lassen, hundertmal widerstanden habe, er nun doch willens sei, einige in Druck zu geben, in welchen er seinen Freunden eine besondere Angelegenheit vorzutragen, und ein öffentliches Denkmal ihrer christlich patrio­ tischen Gesinnungen zu stiften gedenke'. Die Erfüllung dieses Versprechens ent-

halten die beiden zum Besten unseres Bethauses am Karfreitag und Ostersonn­ tage von Herrn MMer gehaltenen, von Herrn Jacobi uns zugesendeten, und von uns in Druck gegebenen Predigten." Die erste, am Karfreitag 1785 gehaltene Predigt hatte als Text 1. Kor. 11, 26 und handelte „von der Kraft des heiligen Wendmahls, uns zu einer wahren und herzlichen Feier des Andenkens unserer Erlösung zu reizen". Die Gedanken ordnete er dabei folgendermaßen: „1. werde ich Eure Gemächer mit einigen Begriffen und Empfindungen von unserer Fähigkeit und Beruf zu solch einer dankbaren Feier des Andenkens unsrer Erlösung zu erfüllen suchen; 2. zeigen, daß andere sehr vernünftige, christliche und nützliche Andachts­ übungen nicht so feierliche, kräftige und wirkliche erkenntliche Erinnerung an die göttliche Wohltat der Erlösung durch Jesum befördern würden, wie Wend­ mahlsgenuß bisher befördert hat; 3. einige Winke geben, deren Befolgung uns die zur Beurtheilung der Kraft des hl. Abendmahls zu der mehr erwähnten Msicht nöthige Erfahrung schafft." Die zweite Predigt am 1. Ostertag 1785 über 1. Kor. 5, 6 handelte „von gewissenhafter Aufmerksamkeit auf die Güte unsers Christenrufs", mit folgender Disposition: „1. Was könnte und müßte hauptsächlich jedem Christen solch eine Aufmerksamkeit einflößen? 2. Was wagt der dabei, der sie sich nicht einflößen läßt? 3. Eine Anwendung des Beherzigten auf einen besonderen Fall." „Der Erfolg der Predigten" — so heißt es in dem Vorbericht weiter — „war über alle unsere Hoffnungen und Wünsche weit erhaben und erwarb unserm Bethaus einen Beitrag, dergleichen wir noch keinen aus irgendeinem Staat oder Stadt Deutschlands erhalten haben: ungeachtet der eigentlich an­ sässigen Protestanten in Lissabon kaum einige sind, hingegen der große Haufe in der dänischen Gesandtschaftskapelle aus lauter ab- und zufahrendem armem Seevolk besteht. Wie betroffen, wie durchdrungen unsere Herzen über dieser höchst unvermutheten Hilfe waren, läßt sich durchaus nicht beschreiben, stünde uns auch noch so große Beredsamkeit zu Gebot. Wie überraschend die erste Nachricht in aller Ohren tönte! Den meisten deuchte sie anfangs ein Mährchen, ein süßer Traum, man zweifelte — las — traute kaum seinen Augen — las wieder — glaubte — berechnete — verstummte vor dem Uebermaß der sich drängenden Ideen und Empfindungen — die allgemeine Verwunderung endigte sich in frohem Dank und Lob des Gottes, der so oft in Sandwüsten, wo niemand Wasser vermutete, Quellen für die Dürstenden fließen macht. Wohltäter am Tagusstrande! Im Angesichte des deutschen Publikums zollen wir Euch aus der Fülle des Herzens unsern lebhaftesten wärmsten Dank! Wie sollen wir Euch vergelten, was Ihr Gutes an fernen, Euch ganz un­ bekannten Glaubensgenossen thatet? Indessen soll Euer gutes Gerücht, Euer Lob nie aus unserm Munde kommen, nie wollen wir aufhören, Gottes sieben­ fachen Segen über Euch und Eure Gemeinde herabzuflehen. Möchtet Ihr Euch durch Eure so edle, so echt christliche Unterstützung des hierländischen Protestan­ tismus mit uns gleiche Gewissensfreiheiten im Lande der Inquisition vom Allvater verdient haben! Kennen und sehen wir uns gleich in diesem Erden­ leben nicht: o welche unnennbare Wonne wird es einst sein, wenn wir aus allen Gegenden des Erdbodens am gemeinschaftlichen Ziele Zusammentreffen, unter

den tausenden, die aus Mittag und Wend kommen werden, unsere Lissabonner Wohltäter mit spähendem Blicke suchen, Euch an diesem oder jenem Kennzeichen Eurer edlen That erkennen, dann in Eure Umarmungen eilen, Euch alles das, was Eure Wohltätigkeit unter uns fruchtete, erzählen, und im Angesichte der ganzen Schöpfung vor Engel und Menschen das für Euch und uns unaus­ sprechlich süße Bekenntnis ablegen: Heil Euch! auch Ihr habt das Leben, die Seele uns gerettet! Ihr. Und Du, edler Mann, fürchtest, daß Dich .Exulanten am fernen Atlantischen Meer' Dein Vaterland vergesse? Verdienste verkennen, ist Gottlob! nicht deutsche Sitte. Allenthalben wollen wir immer rühmen, was und wie vieles Dir das Bethaus der Brünner Protestanten verdankt, und dann werden die Bekkers, die Fedderhans, die Fröbings usw. gewiß Sorge tragen, in ihren Jahrbüchern weiser und guter Thaten Dein Andenken zu verewigen. Noch weniger kann unter uns selbst Dein Gedächtnis umkommen. Wie Geld und Kleinodien verwahren wir nebst allen Briefen und andern Aktenstücken, die dahin einschlagen, das Manuskript Deiner Predigten in seinem Seereise­ mantel, verehren es wie eine Reliquie . . . Auch glänzt Dein Name schon in unsern Kirchenbüchern, macht in der Geschichte unseres Bethauses Epoche, wird von Zeit zu Zeit an Toleranz- und Stiftungsfesten dem Volk genannt. Wie, wenn nun Deine gute That, die, wie wir hoffen, schon durch unsere so nach­ drücklich unterstützten Kirchenanstalten unter uns der Weisheit und Moralität und daher auch aller Art der Glückseligkeit mehr macht — vielleicht noch nach Jahrfünfzigen manchen, der sie rühmen hört, Edelmuth und Menschenliebe lieber gewinnen hilft, und ihn so zu gleich gemeinnützigen Bemühungen reizt: welche Freude muß unter derlei Ansichten der Deinigen gleichen, muß über alle Deine Lebenstage Heiterkeit und Ruhe verbreiten, muß Dich noch in der Todes­ stunde trösten und mit süßen Hoffnungen des Lohns, den wir Dir vom Ver­ gelter alles Guten erflehen, vor Gottes Richterstuhl begleiten!" Aus den anfänglichen drei Jahren, die Müller sich für Lissabon seinerzeit verpflichtet hatte, waren mittlerweile achtzehn geworden. Die Beziehungen zur Heimat hatten sich mehr und mehr gelockert, während er in Portugal um so fester Wurzeln gefaßt hatte. Eine glänzende Gelehrtenlaufbahn, die ihm in seinem Vaterlande bevorstand, hatte er aufgegeben, um sich neben dem Dienst an der Gemeinde, dem er sich mit aller Treue hingab, der portugiesischen Wissenschaft zu widmen. In den gelehrten Kreisen der portugiesischen Haupt­ stadt war er eine bekannte und geachtete Persönlichkeit, ja 1787 sogar zum vor­ läufigen Mitglied der Lissabonner kgl. Akademie der Wissenschaften ernannt worden"). Als erstes Werk hatte er eine Denkschrift über die portugiesischen Medaillen geschrieben, nachdem ihm die Leitung und Ordnung der Medaillen­ sammlung im Museum der Akademie übertragen worden war. Seine zweite Arbeit war eine Abhandlung über die orientalische Abstammung portugiesischer Wörter und Anmerkungen zu einem etymologischen Wörterbuch über die portu­ giesischen Wörter und Namen arabischen Ursprungs, wozu ihn die Kenntnis der arabischen Sprache befähigte. Ferner hatte er eine Abhandlung über die kirchliche Literatur der portugiesischen Juden geschrieben. Alle diese Arbeiten waren in den Sitzungen der Akademie verlesen worden. Im Jahre 1790 be­ dauerte er in Briefen an die Akademie") die ständigen Verpflichtungen seines

undankbaren Berufs, die ihn daran hinderten, sich mit mehr Muße der Fort­ setzung seiner literarischen Arbeiten zu widmen. Der wissenschaftliche Trieb erfüllte ihn so stark, daß er seine Amtspflichten geradezu als Sklaverei empfand. Hinzu kamen häusliche Sorgen, die ihn als Vater einer zahlreichen Familie bedrückten, da seine wirtschaftliche Lage nicht die beste war. Eine Teuerung im Lande ließ ihn mit seinem Gehalt nicht auskommen. Die Gemeinde aber konnte ihm nicht mehr geben21). Alle diese Umstände lassen es verständlich erscheinen, daß er das ehren­ volle Angebot, in portugiesische Dienste zu treten, gerne annahm; wurde ihm doch damit die Möglichkeit eröffnet, sich ganz einer seinen Kenntnissen und seiner Neigung entsprechenden Tätigkeit widmen und seine reichen Gaben voll entfalten zu können, bei einer äußerlich gesicherten und geachteten Lebens­ stellung. Er sollte sogar kgl. Prinzenerzieher werden; der bedeutende Marine­ minister Don Rodrigo de Sousa Coutinho, der frühere portugiesische Gesandte am Turiner Hof, war sein besonderer Freund und Gönner. So legte er denn am 10. Mai 1791 nach 18jährigem treuem Dienst und gesegnetem Wirken in der Gemeinde sein Pfarramt nieder, um dem Ruf der portugiesischen Regierung Folge zu leisten. Er erhielt eine lebenslängliche Rente, die ihm laut kgl. Dekret vom 29. Dezember 1790 zugesichert wurde. Zunächst wurden ihm keinerlei Bedingungen damit auferlegt. Aber in seiner Stellung als portugiesischer Staatsbeamter war es für ihn gewiß eine Unmöglichkeit, Protestant zu bleiben. Es hatte sich schon seit längerer Zeit das Gerücht verbreitet, daß er sich mit der Absicht trage, katholisch zu werden. Jedoch solange er noch im Amte der evangelischen Kirche stand, protestierte er von der Kanzel herab öffentlich gegen jenes Gerücht, so daß niemand mehr daran glaubte22). Aber nachdem er sein Amt aufgegeben hatte und bereits in portugiesischen Diensten stand, hat er dann doch offiziell den Uebertritt voll­ zogen. Es mag für ihn wohl nur eine Formsache gewesen sein, zu der er unter den besonderen Umständen gezwungen war. Jedenfalls ist er niemals irgend­ wie als Renegat aufgetreten. Seine ehemalige Gemeinde blieb von dem Ueber­ tritt unbeeinflußt. Mündliche Ueberlieferung — wie die 1865 abgefaßte Chronik des Pfarrers Rothe berichtet — bestreitet diesen überhaupt, und der um 1800 in Lissabon weilende schwedische Legationsprediger C. I. Ruders schreibt in seinen Erinnerungen22): „Freilich mußte er es sich gefallen lassen, daß man ausbreitete, er sowohl als seine Söhne (die später in portugiesische Heeresdienste traten) wären zur katholischen Religion übergegangen." Jedoch steht sein tatsächlicher Uebertritt außer Zweifel, da dieser vor dem Bischofinqui­ sitor, dem Beichwater der Königin, in feierlicher Sitzung am 25. November 1791 vollzogen tourbe24). Zeitweilig22) war ihm sogar die portugiesische Zensur anvertraut, so daß das alte Brockhaus Konversationslexikon in dem Artikel über die portugiesische Literatur die Tatsache besonders hervorhebt, daß in Lissabon 1805 die Zensur in der dritten und letzten Instanz bei der Meza do Desembargo do Paco größten­ teils abhängig war von dem Urteil eines deutschen Gelehrten, welcher Gelehr­ samkeit mit Welt und Philosophie glücklich zu vereinigen wisse, des Obersten Müller22).

Nach unruhigen Jahren erhielt er 1806 das ehrenvolle Amt eines Sekre­ tärs der Akademie der Wissenschaften. Denn „mit einer vielseitigen Bildung ausgerüstet, frei von sonstigen öffentlichen Aemtern, die nicht in direkter Be­ ziehung zu den Wissenschaften standen, bewandert in allen Sprachen des kulturellen Europas, wurde er mit Recht als der Geeignetste betrachtet, nicht nur allein unserer Literatur Vorzustehen, sondern auch um die abgerissenen Fäden mit den Gelehrten der ausländischen Akademien wieder aufzunehmen"*'). In einer Zeit, in der ein starker Wechsel unter den Mitgliedern der Akademie stattgefunden hatte und manche Veränderungen vor sich gegangen waren, war es besonders wichtig, daß die Versammlungen von einem Manne geleitet wurden, der von allen anerkannt wurde und einen einheitlichen Kurs des Instituts gewährleistete. Und das war — so urteilt einer seiner Kollegen in einem ehrenden Nachruf, der auf einer Akademiesitzung nach seinem Tode verlesen wurde — Herr Müller. „Er vertrat in jeder Hinsicht", so heißt es da, „den ursprünglichen Geist unseres Instituts, bezeugte in der Beratung aller seiner Interessen eine unparteiische und gleichzeitig versöhnende Gesinnung; ohne sich irgendwelche Ueberheblichkeit anzumaßen, wußte er durch irgendein witziges Wort oder mit seiner unerschütterlichen Geistesruhe jedes Aufkommen eines Zwistes, der auch nur leichthin unsere gegenseitige Eintracht zu stören suchte, zu verhindern." In zahlreichen literarischen Arbeiten**) bereicherte und förderte er die portugiesische Wissenschaft und wurde 1812 schließlich, obgleich er schon schwer leidend war und in den Sitzungssaal getragen werden mußte, in Anerkennung seiner Verdienste zum Direktor der Klasse für portugiesische Literatur gewählt, konnte jedoch nicht mehr in der Akademie erscheinen. Sein körperlicher Zustand verschlimmerte sich zusehends. Aber, körperlich völlig ge­ brechlich, war sein Geist doch immer noch lebendig und von unermüdlichem Fleiß. Während er die Feder nur noch mittels einer geistvollen Erfindung zwischen den Fingern zu halten vermochte, arbeitete er bis zuletzt an wissenschaftlichen Studien zur portugiesischen Geschichte. Am 15. Oktober 1814 wurde er von seinem qualvollen Leiden**) im Alter von 62 Jahren erlöst und auf dem portu­ giesischen Friedhof in Lissabon begraben. Seine Frau war ihm schon vor 17 Jahren, nur 40 Jahre alt, im Tode vorangegangen und auf dem Friedhof der evangelischen Gemeinde beigesetzt worden. Sie war also protestantisch geblieben, wie auch seine Töchter. Eine von ihnen war, wie oben erwähnt, verheiratet mit dem späteren Führer und Neubegründer der Gemeinde, deren Nachkommen noch heute Mitglieder der Gemeinde sind. Bei ihrer Trauung im Jahre 1800 hatte Müller als „Kapitän in portugiesischen Diensten" noch ein­ mal in der lutherischen Kapelle, zusammen mit dem dänischen Gesandten von Warnstedt, als Trauzeuge fungiert, während Pfarrer Dose die Handlung voll­ zog. Auch hatte er mehrmals die Patenschaft bei Taufen seiner Enkel über­ nommen, was beweist, daß er jedenfalls kein fanatischer Katholik geworden war. Als ein schöner Charakterzug Müllers sei noch seine Wohltätigkeit erwähnt. So heißt es in dem genannten Nekrolog auf ihn: „Zweifellos übertrafen seine Einkünfte seine Ansprüche als die eines bescheidenen Gelehrten. Jedoch ver­ schenkte er zeitweilig einen großen Teil seiner Güter mit einer ganz außer­ gewöhnlichen Mildtätigkeit an unglückliche Familien, von denen einige ganz

und gar von ihm abhängig waren ... So groß und herzlich war seine Mild­ tätigkeit", so schließt der Nekrolog, „jedoch die Eigenschaft, die chn neben seinem außerordentlichen Wissen am meisten dieser Akademie wert machte, ist die Liebe, die ihn immer beseelte. So zeigt sich dieselbe denn auch seinem Andenken dank­ bar, indem wir heute diese Blumenlese über sein Grab ausschütten und seinen Namen der Nachwelt in Ehren überliefern." Auch wir werden ihm diese Ehrung nicht versagen, als einem echten deut­ schen Gelehrten, der in leidenschaftlicher Hingabe an die Wisienschaft sich bis zur Selbstaufgabe in den Dienst einer fremden Nation stellte, auch wenn wir die Aufgabe seines Pfarramtes bedauern und den Wechsel seines Bekenntnisies nicht gutheißen können. Ueber die Gemeinde waren inzwischen schwere Stürme dahingegangen. Zunächst erfreute sie sich nach Müllers Abgang noch einer günstigen Entwick­ lung. Müllers Schritt hatte auf sie, wie gesagt, keinen Einfluß gehabt und war ohne jegliche schädlichen Folgen gewesen, wenn auch sein Vorgehen natürlich eine gewisse Erregung bei den Evangelischen Hervorrufen und manche Miß­ billigung finden mußte"). Wegen eines Nachfolgers für Müller hatte sich die Gemeinde durch Ver­ mittlung des Geschäftsträgers von Kaas an die dänische Regierung gewandt, worauf sie am 4. Oktober 1791 den Bescheid erhielt, „daß Seine Majestät mit Rücksicht auf die Beschützung, welche höchstdieselbe einmal seinen Glaubens­ genossen in Portugal zugestanden hat, nicht abgeneigt ist, unter den von der Gemeinde angeführten Bedingungen, sobald es die Umstände erlauben, einen Legationsprediger zu ernennen, welcher in der deutschen Sprache den Gottes­ dienst in Uebereinstimmung mit unserm Glaubensbekenntnis und den in unserer Kirche üblichen Gebräuchen verrichten kann""). Die Regierung ließ sich noch einmal versichern, daß der dänischen Krone durch die Ernennung eines neuen Legationspredigers keine Kosten entstehen würden, weder für die Ueberfahrt nach Lissabon noch für die Besoldung, sowie, daß für seine Wohnung gesorgt sei, auch während kein Gesandter wieder in Lissabon residiere; denn der bisherige Minister von Johnn war 1790 gestorben"). Das alles bestätigte für die Gemeinde der dänische Konsul Steenberg. Er er­ klärte, „daß der Prediger außer dem festgesetzten jährlichen Gehalt von 1600 £ Lübsch nicht auf andere Akzidentien rechnen könne als die, welche bei Trauungen abfallen, und eine freiwillige Gabe zu Neujahr von den Aeltesten und den Reichsten der Gemeinde". Das Reisegeld ferner sei für ihn bereits in Kopen­ hagen angewiesen worden, und für die Miete des Hauses, in dem der ver­ storbene Gesandte gewohnt hatte und wo die Kapelle sich befände, stehe die Gemeinde bis Ende Juli des Jahres ein. Man hoffe jedoch, daß der neue Gesandte beauftragt werde, den Prediger mit den notwendigen Räumen für sich und für die Kapelle zu versehen. Konsul Steenberg fügte noch einen Bericht hinzu"), in dem er auf das Vorhandensein verschiedener lutherischer Kaufleute hinwies, die nichts zum Unterhalt der Kapelle beigetragen hätten, weil sie der deutschen Sprache nicht mächtig seien, die jedoch ebenfalls die Kapelle benutzen möchten und deshalb einen Prediger wünschten, der zwei- oder dreimal in eng­ lischer oder französischer, am liebsten in englischer Sprache Gottesdienst halten

würde, wofür sie ihm jedesmal eine Vergütung von gegen 80—100 Banken­ mark zugestehen wollten. Schließlich wurde unter mehreren Bewerbern Georg Christian ©ofe34) vorgeschlagen, „welcher sieben Jahre als Konrektor bei der Stadtschule zu Rendsburg gestanden und mit rühmlichen Zeugnissen versehen ist und gute Kanzelgaben besitzt". Am 20. April 1792 wurde seine Bestallung unterzeichnet. Diesmal war der Prediger der deutschen lutherischen Gemeinde also dänischer Untertan, wenn er auch deutsch sprach und schrieb33). Am 25. Juli 1792 traf er in Lissabon ein33), und am Sonntag, den 12. August, hielt er seine Antritts­ predigt zur größten Zufriedenheit aller Zuhörer. Die Gemeinde nahm ihn sehr freundlich auf. Einige Mitglieder schlugen sogleich vor, sein Gehalt, das zum notwendigen Unterhalt nicht ausreiche, zu erhöhen, dem man anscheinend all­ gemein zustimmte3'). Dose wohnte in dem bisherigen Gesandtschaftsgebäude, auch ohne daß dort ein Gesandter residierte. Ein solcher kam erst im Frühjahr 1796 mit H. W. Warnstedt wieder nach Lissabon. In seinem ersten Bericht an seine Regierung33) finden sich folgende interessanten Bemerkungen über das Haus. „Von Herrn von Kaas begab ich mich nach meinem Hause, das in einer sehr entlegenen und nichts weniger als angenehmen Gegend der Stadt in einer sehr engen Gasse liegt und so verfallen ist, daß es ohne eine Generalreparatur nicht bewohnt werden kann, und hierzu soll der Eigentümer nicht zu bewegen sein, weil es ihm an Mitteln dazu fehlt. Es sollte mir leid tun, wenn ich die Gemeinde in Unkosten und Ungelegenheiten durch Umziehen bringen sollte. Denn in diesem Falle wäre sie nach ihrem Kontrakt verpflichtet, die Kapelle wieder in verschiedene Wohnungen zu verwandeln, was viele Unannehmlich­ keiten zur Folge haben würde. Die Kapelle ist groß, einfach und schön." Wie diese Angelegenheit geregelt wurde, ist nicht bekannt. Jedenfalls aber blieb die Kapelle und die Wohnung des Predigers in jenem Hause bestehen. Die deutsche Kolonie war damals stark angewachsen. Sie wurde auf etwa tausend Seelen geschätzt, wovon drei Viertel Protestanten waren, darunter fünfzig angesehene Kaufleute33). Eine ganze Reihe deutscher Handelshäuser hatten sich zu blühendem Wohlstand entwickelt, so die Firmen Lang & Hasenklever, Thomson & Krochmann, W. Moller & Co., B. H. Metzener & Co., Peters Schlick Hintze & Lindenberg, Ficke, I. & B. Elius u. a. m. Dose lebte sich schnell in seine neue Gemeinde ein, so daß der später eintreffende Gesandte berichten konnte43): „Herr Dose ist ein hier sehr beliebter junger Mann." Rach kaum einem Jahre war er bereits imstande, eine Taufe in portugiesischer Sprache zu vollziehen. Auch hielt er Amtshandlungen auf englisch und vertrat häufig den englischen Pfarrer. Die Tochter des schwedischen Gesandten, Baron von Oxenstierna, wurde von ihm getauft. Groß war damals auch die Zahl der in Lissabon ansässigen Schweizer, denen er, obgleich jene reformiert waren, doch als Seelsorger diente, ebenso wie nach wie vor auch den Holländern. Im Zusammenhang der kriegerischen Verwicklungen mit Frankreich und Spanien waren ferner wiederum zahlreiche deutsche Offiziere nach Lissabon gekommen, die zur evangelischen Kirche gehörten. Der Prinz Christian von

Waldeck wurde 1797 von England als Befehlshaber über die portugiesischen Truppen entsandt. Er erhielt den Titel eines Feldmarschalls. Ihm wurde während seines Aufenthaltes in Portugal der ehemalige Pastor Müller zum Begleiter beigegeben. Sein Adjutant war der Oberst Bernhard Wilhelm von Wiederholdt, von dem im Lauf der folgenden Jahre sechs Kinder in der deut­ schen lutherischen Kapelle getauft wurden. Schon nach einem Jahre aber starb der Marschall auf dem Schloß zu Cintra im Alter von nur 54 Jahren. „Der Verlust dieses Mannes als großer General und guter Mensch wurde sehr bedauert", so heißt es im Kirchenbuch. Die gesamte portugiesische Generalität und Diplomatie, der hohe Adel und Tausende von Menschen aller Klaffen nahmen an dem Begräbnis, das mit „allen dem hohen Charakter des Prinzen gemäßen militärischen Ehrenbezeugungen" stattfand, auf dem protestantischen Friedhof teil. Die Art, in der die Begräbnisse auf dem in englischen Händen befindlichen Friedhof vor sich zu gehen pflegten, beschreibt der schwedische Legationsträger Ruders in seinen Erinnerungen folgendermaßen. „In einem Grabchor wird die Leiche auf eine Erhöhung gestellt. Am Begräbnistage wird der Sarg mit einem prächtigen Leichentuch bedeckt. Das Trauergefolge versammelt sich in ein paar Zimmern dieses Chors. Bor dem Anfang der Prozession werden an alle Anwesende weiße Handschuhe ausgeteilt; es wäre denn, daß die Armut des Sterbehauses erwiesen wäre. Der Prediger bedient sich bei dieser Amts­ verrichtung keines Kragens. Er trägt ein Meßgewand, wie es auch in Schweden gebräuchlich ist, um den Hals aber eine sog. Stola oder einen quartierbreiten doppelten Streifen von Seidenzeug, dessen beide Enden vorne bis auf die Füße herabhängen. Die Trauernden bekommen gleichfalls seidene Streifen auf ihre dreieckigen Hüte. Diese sind nämlich bei allen feierlichen Gelegenheiten gebräuch­ lich. Soll die Beerdigung vor sich gehen, so wird der Sarg entblößt, der übrigens immer verschlossen ist, und die Trauernden tragen ihn nach dem auf­ geworfenen Grabe. Langsamen Schrittes geht der Prediger vorauf und liefet unaufhörlich solche Abschnitte aus der Bibel, worin Todesbetrachtungen ent­ halten sind. Wenn die Leiche eingesenkt wird, beginnt ein zweites Lesen. Bei gewissen Worten des Predigers nehmen alle Anwesende mit den Händen Erde auf und werfen sie auf den Sarg. Der Prediger ist der einzige, der sich damit nicht befasset. Nach geendigter Ceremonie fährt jeder nach Hause oder wohin er sonst will . . . Der deutsche Prediger hat den Gebrauch der englischen Kirche völlig angenommen, und bedient sich der englischen Liturgie in einer deutschen Uebersetzung, indem diese keineswegs gegen die lutherische Orthodoxie streitet." Den zahlreichen ausländischen Hilfstruppen, die in diesen Jahren von Portugal im Kampf gegen Frankreich aufgeboten wurden, als Bonaparte Portugal, das der Seeherrschaft der Engländer zum Stützpunkt in Europa diente, in seine Gewalt zu bringen versuchte, hat Pastor Dose in vielen Fällen in selbstloser Weise als Seelsorger gedient. Zeitweise wurde er dadurch geradezu mit Arbeit überhäuft"), die er trotz schwacher Gesundheit unermüdlich leistete. Als im Herbst 1800 ein englisches Korps von 5000 Mann unter dem Befehl des Generals Pulteny in Lissabon eintraf, waren viele der Leute am Skorbut erkrankt. Da der englische Pfarrer abwesend war, hat Dose innerhalb von vier

Monaten 150 englische Soldaten, Soldatenfrauen und Kinder begraben und auch sonst alle Amtshandlungen bei den Engländern versehen. Ein für den wahrhaft ökumenischen Charakter der deutschen lutherischen Gemeinde bezeichnendes Ereignis hat Dose im Kirchenbuch in folgendem „Memorandum" für die Geschichte festgehalten: „Als einen in meiner Amts­ führung hieselbst außerordentlichem und sehr bemerkenswerthen Fall führe ich hier noch dieses an und halte es einer besonderen Anfügung Werth in mehr als einer Hinsicht: An verschiedenen malen hatte ich Sonntags einige Offiziere, Unteroffiziere und Gemeine von dem in Ajuda liegenden Schweizerregiment de Rolle, in unserer Kirche bemerkt, und bald darauf wurde ich durch einen dieser Offiziere im Namen des Chefs — der selbst ein Katholik war — und vieler in diesem Regiment befindlicher Protestanten ersucht, ihnen das Hl. Abendmahl zu ertheilen. Ein ähnliches Gesuch war an den Prediger der eng­ lischen Gemeinde, Herrn Hill, ergangen, dem es eigentlich zukam, weil dieses Regiment sowohl, als alle andern fremden gegenwärtig hier befindlichen im englischen Solde stehen. Da aber Herr Hill in der deutschen Sprache zu ihnen nicht reden konnte, so ersuchte auch er mich darum. Ich übernahm dieses Ge­ schäft, und am Sonnabend nach Ostern 1798 hielt ich lutherischer Prediger mehr als 200 reformierten Zuhörern, und zwar in einer in den Baracken daselbst befindlichen portugiesischen Kapelle"), die vorhin dem dort gelegenen portugiesischen Regiment ,de Lippe'") zum Gottesdienst diente, die Vor­ bereitungsrede und ertheilte ihnen am folgenden Sonntage auf die unter Reformierten gebräuchliche Weise das Hl. Abendmahl.

Eben dieses that ich auch um dieselbe Zeit im Jahre 1799 und ich werde immer an die Stille, ungemeine Ordnung, Aufmerksamkeit und Andacht mit Rührung gedenken, sowie ich mir die angenehme Hoffnung zu dem, der alles Gute segnet, nicht versagen kann, daß meine Arbeit nicht ganz ohne Nutzen gewesen sei." Der genannte schwedische Legationsprediger erwähnt auch diesen „in seiner Art merkwürdigen Gottesdienst" besonders und schreibt dazu: „So theilte ein lutherischer Prediger in einer römisch-katholischen Kirche das Abendmahl an reformierte Glaubensgenossen aus. — Wie wird man haben räuchern und zaubern und beschwören müssen, um diesen entweihten Tempel wieder zu heiligen!" In der Gemeinde selbst vollzogen sich um diese Zeit tiefgreifende Wand­ lungen, und die wirtschaftlichen wie sozialen Verhältnisse der Kaufmannskolonie änderten sich mehr und mehr. Die alten Gründer und Stützen der Gemeinde starben dahin. Von den ersten drei Vorstehern war als erster der preußische Konsul Stadtmiller bereits 1787 heimgegangen, ihm war 1799 Krochmann gefolgt und Hoppe war in Hamburg gestorben. Ferner waren tot die beiden Gildemeesters, Bernhard Heinrich Metzener, der ebenfalls „rechtschaffener Vor­ steher der evangelischen Gemeinde" gewesen war, der dänische Konsul Martin Jacob Steenberg, ein Freund und Förderer der Gemeinde „von bestem und edelstem Herzen", der Kirchenvorsteher David August Giese, außerdem manche alten treuen Mitglieder wie Johann Christoph Regemann, Johann Daniel Frikke und Johann Gerard Burmester, von dem Pfarrer Dose im Kirchenbuch

besonders bemerkt: „Sein Herz war gut, seine Denkungsart christlich, voll Hoch­ achtung für Gott und Religion. Er hinterläßt von seinem ansehnlichen Ver­ mögen 350 000 Reis unserer Kapelle, damit sein bisheriger Beitrag auch nach seinem Tode könne fortgesetzt werden. Mögen ihm Andere darin nachahmen!" Aber leider fand dieses Beispiel wenig oder gar keine Nachahmung. Eine andere Generation war herangewachsen, eine andere Zeit heraufgezogen. „Unter den vermögenden älteren deutschen Kaufleuten sieht man es vielen an Rock und Sitten an, daß sie zur vorigen Generation gehören", schreibt Ruders"). In den Köpfen der Jugend spukten die Ideen der französischen Revolution. Der Geist der Aufklärung drang auch in die Gemeinde ein. Teils ein trockener Rationalismus, teils ein nur aufs Materielle gerichteter Sinn beherrschte das Denken vieler Gemeindeglieder und verdrängte den ursprüng­ lichen Geist des Glaubenseifers und der Opferbereitschaft mehr und mehr. Die jungen kaufmännischen Angestellten lebten vielfach in Unkirchlichkeit und Mangel an geistigen Interessen dahin. Es mag für die allgemeine Lebens­ haltung weiter Kreise der deutschen Kolonie bezeichnend gewesen sein, wenn Ruders berichtet: „An dem Platze Corpo Santo ist ein Bierhaus, wo sich abends viele Deutsche, größtenteils Handlungsbediente, versammeln, um zu schwatzen, Porter zu trinken und Tabak zu rauchen. Die vorbeigehenden Portugiesen bekommen mehrenteils einen Anfall von Husten, indem der er­ schreckliche Rauch in dicken Wolken aus den offenen Fenstern emporsteigt")."

Schlimmer aber war es, daß innerhalb der Gemeinde selbst ein Streit ausgebrochen war, der das kirchliche Leben zeitweise völlig lahmlegte. Der Gegensatz betraf das Verhältnis der Bartholomäusbrüderschaft zur evan­ gelischen Gemeinde. Was war aus der Brüderschaft im Laufe der Zeit ge­ worden? Wir waren ihr zum letztenmal begegnet, als Joh. Schulte, obgleich Protestant, ihr Vorsteher geworden war, und hatten damals schon gesehen, daß sie weniger eine kirchliche Institution, als eine autonome soziale Ein­ richtung der deutschen Kolonie darstellte. Als solche hatte sie sich weiter er­ halten, trotzdem ihre Mitglieder jetzt größtenteils Protestanten waren; ja in der Gründungszeit der lutherischen Gemeinde, nach dem Erdbeben, waren von 30 Mitgliedern außer dreien alle evangelisch")! Daß die Brüderschaft fort­ bestand, war somit in erster Linie das Verdienst der lutherischen Kaufleute, die ständig Beiträge für sie zahlten und ihre Verwaltung in Händen hatten. Nach Begründung der Kirchengemeinde waren die angesehensten und wohlhabendsten ihrer Mitglieder gleichzeittg Mitglieder der Bartholomäusbrüderschaft. Im Jahre 1801 war der Vorsteher der Gemeinde, Jacob Hinrich Burchardt, zu­ gleich Präsident der Brüderschaft, Adolf Friedrich Lindenberg, ebenfalls ein führendes Mitglied der Kirchengemeinde, ihr Kasiierer, und Bromley Jllius, ebenfalls Protestant, Schriftführer. Burchardt machte nun den Vorschlag"), daß „in Anbetracht dessen, daß die große Mehrzahl der beitragenden Mitglieder Protestanten seien und daß für die wenigen Katholiken kirchliche Anstalten vor­ handen wären", die Brüderschaft ohne die jetzt votierten Ausgaben für den katholischen Kultus zu vermindern, bei den vorhandenen hinreichenden Mitteln die evangelische Gemeinde als der Brüderschaft einverleibt betrachten, deren

Johann Wilhelm Christian Müller

Christian Friedrich Bellerinann

Pfarrer der Gemeinde von 1773 — 1791

Pfarrer der Gemeinde von 1818 —1825

Adolf Friedrich Lindenberg

Johann Friedrich Bachmann

Vorsteher der Gemeinde von 1818 — 1830

Pfarrer der Gemeinde von 1825 —1828

Prediger besolden und die übrigen Ausgaben der Gemeinde bestreiten sollte. Brüderschaft und Gemeinde sollten also ineinander aufgehen, und zwar zum Vorteil der Gemeinde. Dieser Vorschlag wurde von der Mehrzahl der Mitglieder der Brüder­ schaft angenommen. Konnten sie doch eine Vereinfachung der Verwaltung und Verbilligung der Unterhaltung der deutschen Institutionen darin erblicken! Die Gemeinde war arm und konnte nur mit Schwierigkeit erhalten werden; die Brüderschaft dagegen besaß ein bedeutendes Vermögen — warum nicht dieses der Gemeinde nutzbar machen, wo doch Brüderschaft und Gemeinde ohne­ hin sich fast miteinander deckten? Da war es jedoch Lindenberg, der dagegen protestierte. Er hatte erkannt, daß jede der beiden Institutionen ihr besonderes Wesen besaß und behalten mußte. Denn die Brüderschaft war ein unabhängiger weltlicher Wohltätigkeitsverein oder vielmehr nur der Berwaltungsrat eines Gemeinvermögens, der nicht mit konfessionellen Interessen verquickt werden durfte; die Kirchengemeinde andererseits eine Gemeinschaft, die sich durch die Opferwilligkeit ihrer Mitglieder aus sich selbst heraus erhalten mußte, wenn sie eine lebendige und ihrem Wesen entsprechende Einrichtung bleiben sollte. Sie ist eben nicht gleichsam eine Aktiengesellschaft, die von den Zinsen eines Ver­ mögens lebt, sondern eine lebendige Gemeinde, die sich auf Grund der Frei­ willigkeit und immer neuen Entscheidung der einzelnen Glieder erhält. Das schließt freilich nicht aus, daß sie von der Brüderschaft unterstützt und finanziell gefördert wird, aber grundsätzlich mußte beides getrennt bleiben. Lindenberg drang mit seiner Ansicht jedoch zunächst nicht durch. Darauf weigerte er sich, die in seinen Händen befindlichen Fonds und Papiere auszuliefern und drohte, das ganze Eigentum der Brüderschaft dem hanseatischen Konsul (damals Baron von Stocqueler) zu übermitteln. Der Konflikt wirkte sich schließlich dahin aus, daß die Gottesdienste ein­ gestellt werden mußten. Jedenfalls ist es wohl darauf zu beziehen, wenn Dose im Kirchenbuch berichtet: „Den 20. Juni 1802 predigte ich zum letzten Male in der Kapelle, die unsere Gemeinde an dem Hause des Königl. Dänischen Ministers zu St. Martha wohnhaft, bis dahin zum gottesdienstlichem Hause gebrauchte, und die unter königl. dänischer Direktion beinahe 22 Jahre stand. Die unter der Gemeinde herrschende Lauigkeit in Rücksicht auf öffentliche Gottes­ verehrung und die unter ihnen entstandene und leider! noch herrschende Un­ einigkeit lassen eben keine große Hoffnung zur langen Fortsetzung unserer protestantischen Kirchenanstalten Hierselbst. Der Königl. Dänische Minister, Herr Kammerherr von Warnstedt — der jetzt zurückberufen ist —, ließ aber der Gemeinde an diesem Tage durch mich bekanntmachen, daß, «solange dieselbe hier noch verbliebe, dero Zimmer zum Gottesdienste offenstünden'. — Was das fernere Schicksal unserer Deuffchen Protestantischen Gemeinde seyn wird, das allein weiß Gott, dessen Schutz sie herzlich empfohlen sei. Uebrigens war mir und allen Anwesenden dieser Tag so feyerlich als merkwürdig. Zehn Jahre hatte ich darin die Religion Jesu verkündigt und that dies nun zum letzten Male! Oft das Heilige Abendmahl darin ausgetheilt und selbst genossen und that es nun an diesem Tage mit der Gemeinde zum letzten Male! Die Rührung war allgemein, die Wehmuth groß." 5

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Unter diesen traurigen Umständen wurde Pfarrer Dose seines Amtes in Lissabon müde. Er wandte sich an seine Heimatkirche mit dem Wunsche, nach seinem Vaterlande zurückkehren zu können. Er stehe schon über zehn Jahre im Amte, und seine Lage in Lissabon werde immer lästiger, da seine Gemeinde abgenommen habe und in derselben Zwistigkeiten herrschten"). Da nun in seiner Heimat das Pastorat zu Brügge, Amt Bordesholm in Holstein, im selben Jahre frei wurde, brachte der Generalsuperintendent Adler ihn in Vorschlag, was auch die deutsche Kanzlei unterstützte, da sie „Empfehlungen wegen seiner Geschicklichkeit und seines Charakters" erhalten hatte und nach einer zehn­ jährigen Amtsführung das Bedürfnis nach Verbesserung seiner Lage an­ erkannte. Unterdessen aber änderte sich die Lage in Lissabon wieder. Während Dose vorläufig noch in seiner Gemeinde blieb und nach wie vor Amtshandlungen vollzog, bemühte man sich um eine Verständigung der streitenden Parteien und eine Neubegründung des Kirchenwesens. Durch Vermittlung des zum Nach­ folger von Warnstedts ernannten Gesandten, Kammerherrn von Kaas, kam diese auch schließlich zustande. Am 6. April 1803 fand auf dessen Veranlassung und in seinem Hause eine Gemeindeversammlung statt, auf der die Neu­ ordnung der Gemeindeverhältnisse beschlossen wurde"). Der bisherige Kirchen­ vorsteher Burchardt hielt „als letzter gewesener Vorsteher unserer lutherischen Gemeinde in der Ueberzeugung, daß ein jedes Mitglied die Einrichtung der­ selben für sehr anständig und nützlich halten und die Fortdauer davon wünschen wird", folgende Ansprache. „Sie wissen, meine Herren und Freunde, daß Sr. König!, dänische Majestät, unter dessen allerhöchstem Schutz sich unsere Lutherische Gemeinde hier befindet, allergnädigst geruhet hat, auf unterthänigstes Anhalten derselben uns mit einem Prediger in der Person seiner Ehr­ würden des Herrn Dose zu versehen, und da derselbe durch einen ruhmvollen Wandel sich bis jetzt besonders ausgezeichnet hat und daher von der Gemeine sehr geliebt und geschätzt wird, so hat selbe auch die Verpflichtung, solange es seiner Ehrwürden gefällt, bey uns zu bleiben, seiner Ehrwürden auf eine an­ ständige und der Gemeine zur Ehre gereichende Art zu honorieren, und dessen Lage so angenehm wie nur immer möglich zu machen. — Während mein Vor­ steheramt habe ich durch Sterbefälle den Abgang verschiedener Beyträge er­ fahren, und zu dessen nöthige Ersetzung die Nation Vorschläge gemacht, welche zwar durch die Mehrheit der Stimmen, aber nicht unanime genehmigt wurden: wodurch unter die Mitglieder einige Mißhelligkeiten entstanden, die aber durch die gütige und freundschaftliche Vermittlung Sr. Exzellenz des Herrn Chevalier von Kaas gänzlich sind gehoben worden, und hat sich die Gemeine nun wieder eine brüderliche Eintracht zu erfreuen." Burchardt machte sodann einen vom Gesandten von Kaas selbst ent­ worfenen Plan zur Neuordnung der Gemeinde bekannt. Dieser bestand darin: „daß wir heute unter uns zwey Vorsteher erwählen, wovon der eine für 1 Jahr die Hebung der Beyträge und Bezahlung der Gehalte und andere kleine Un­ kosten der Gemeine angehend übernimmt; nach Ablauf des Jahres wird in eine zu haltende Versammlung der Gemeine dieses Geschäfte dem bleibenden Vorsteher übertragen, und an die Stelle des ausgehenden Vorstehers ein an-

derer erwählt. — Der Ueberschuß von den jährlichen Beyträgen wird zum Sparfonds gemacht, wozu auch Rs. 320$000, welche der selige Johann Ger­ hard Burmester der Gemeine nachgelassen hat, kommen werden. Dieser Spar­ fonds wird sich dann mit der Zeit durch gute Verwaltung ansehnlich ver­ mehren, besonders da Sr. Exz. der Herr Chevalier von Kaas sich gütigst be­ mühen will, es wo möglich dahin zu bringen, daß sowohl die dänischen als holländischen Schiffe künftig auch eine kleine Abgabe zum Besten unserer Lutherischen Gemeine zu entrichten haben, und kann alsdann eine oder andere abgehende Contribution ohne neue Beschwerden der Gemeine aus dem Spar­ fonds ersetzt werden." Burchardt tritt darauf als Vorsteher zurück, um „die Wahl der 2 neuen Vorsteher nicht zu beschweren, so haben sich die Herren Adolph Friedrich Lin­ denberg und Bromley Jllius freiwillig und ruhmwürdig angeboten, das Vor­ steher Geschäft auf sich zu nehmen, welches Anerbieten die Gemeine ohne Zweifel mit Dank genehmigen wird, und Sie werden es, meine Herren" — fügt Burchardt hinzu — „mit mir unnöthig halten, benannte beyden Mitglieder das Wohl und Beste der Gemeine am Herzen zu legen, weil wir von ihre bekannte Thätigkeit und Rechtschaffenheit alles löbliche erwarten dürfen." Der neue Vorstand schloß nun mit Pfarrer Dose, „um zu gegenseitiger Sicherheit und Befestigung des guten Vernehmens zwischen der Evangelischen Gemeine zu Lissabon und dero theuer geschätzten Prediger, Sr. Hochehrwürden dem Herrn Pastor Dose, die eingegangenen Verabredungen zu beurkunden", folgenden Vertrag ab. „Von Seiten Sr. Hochehrwürden des Herrn Pastor Dose erwartet und verspricht sich die Gemeine 1. daß derselbe alle Sonn- und Festtage, die in den königl. dänischen Landen gefeiert werden, die Verwaltung der bisher üblich gewesenen gottesdienstlichen Handlungen wahr­ nehme. Zu dem Ende 2. an oberwähnten Tagen predige, und in seinen Predigten die Lehre der unver­ änderten Augsburgischen Confession vorzutragen sich befleißige. 3. Die heiligen Sakramente an dem zu den gottesdienstlichen Versammlungen der Gemeinde bestimmten Orte, in allen Fällen, wo die Umstände keine Ausnahme rathsam machen, verwalte: Das heilige Abendmahl an den dazu bestimmten Tagen, nach vorer öffentlicher Anzeige, aber auch außer denselben, wenn solches aus hinlänglichen en verlangt wird, austeile, die Kinder taufe und konfirmiere. 4. Die Jugend in der Woche katechisiere. 5. Die Kranken gehörig besuche, berathe, tröste, und mit den heiligen Sakramenten versehe, und sich zu dem Ende keines Hospitalbesuches weigere. 6. Bey Leichen der Begräbniß beywohne, und die Beerdigungs-Ceremonie verrichte. 7. Den jedesmaligen Küster unter seine Aufsicht nehme, und ihn anhalle, seiner Schuldigkeit durch Reinigung des Versammlungsortes und der Altargerätschaft, die Aus­ richtung der nöthigen Bestellungen, Ansagen, Einkassierungen etc. etc., nachlebe. Dagegen verpflichtet sich die Gemeine 1. Sr. Hochehrwürden als ihrem Pfarrer, Lehrer und Seelsorger mit aller gebührenden Achtung und Liebe zu begegnen. 2. Demselben ein jährliches Honorarium ausschreiben von Acht Hundert Tausend Reis, in gangbarer Landesmünze, und in vierteljährigen Zahlungen ausrusetzen: und außerdem noch die Bemühung des Hospitalbesucks mit Ein Hundert Tausend Reis in obbemeldeter Münze zu vergelten, ohne eine sernerweitige Verpflichtung wegen der Wohnung und Beköstigung Sr. Hochehrwürden über sich zu nehmen. 3. Für den Inhalt dieses Contraktes drei Jahre zu haften, unter dem Beding, daß derjenige der kontrahierenden Theile, der die Aufhebung desselben wünscht, dem andern im Anfänge des dritten Jahres davon die gehörige Anzeige thue."

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Dieser Vertrag wurde von Lindenberg und Bromley Jllius einerseits und Dose andrerseits am 1. Juli 1803 unterzeichnet. Am gleichen Tage wurde auch mit dem dänischen Gesandten von Kaas folgender „Plan der erneuerten Einrichtung der Evangelischen Gemeine zu Lissabon" durch die Kirchenvorsteher beschlossen. 1. Dem Herrn Prediger Dose laut dem mit demselben geschlossenen Contract jährlich Acht Hundert Tausend Reis, nebst einer Zulage von Ein Hundert Tausend Reis für Hospitalbesuch zuzustehen. 2. Einen, die Reinigung und Ausräumung des zu den gottesdienstlichen Versamm­ lungen bestimmten Zimmers, und andere den Dienst des Predigers und der Gemeine angehenden Beschickungen wahrnehmenden Küster anzustellen, und denselben mit jährlich Sechzig Tausend Reis zu besolden. 3. Zur Bestreitung dieser unumgänglich nötigen, und andrer zufälligen, unmöglich genau im voraus anzugebenden Unkosten, wird jährlich eine Summe von Dreh Tausend Crusaden erfordert, dre jedes mal im Voraus hergeschossen werden müßte, damit der nicht vorherzusehende Abgang einiger Mitglieder durch Todesfälle keine Stockung in den Zahlun­ gen und Verlegenheit den Verwaltenden verursache. 4. Zur Aufbringung dieser Summe läßt sich kein anständigeres, der Lage der Gemeine unter fremden Religions-Verwandten, angemesseneres Hülfsmittel ausfündig machen, als die freywilligen Beiträge ihrer Mitglieder, wodurch sie bisher bestanden. 5. Um zu erfahren, wie weit sie auf dieselben rechnen könne, und eine ordentliche Gemeindekasse zu formieren, sehen sie sich genöthigt, die sämtlichen Gemeine-Glieder zu einer Subscription eirnuladen, und tragen oieserwegen denenselben ihr Gesuch vor: daß jedes derselben nach Einsicht und Erwägung des Gehaltes gegenwärtigen Plans mit eigenhändiger Unterschrift erkläre, wie viel er nach seinem Vermögens-Zustande beyzutragen gesonnen sey. 6. Da es den gegenwärtigen Vorstehern der Gemeinde, so wenig als allen ihren künftigen Nachfolgern, zuzumuthen ist, länger als eine bestimmte Zeit einer mühsamen Geschäftsverwaltung sich zu unterziehen, so ist vorgeschlagen und festgesetzt worden, daß die Bedienung der Gemeine im Borsteher-Amte unter den bemitteltern Gliedern der­ selben umgehen müsse, dergestalt, daß jährlich einer von den beiden jedesmaligen Vor­ stehern, und zwar der älteste, abgehe, der bleibende in seine Stelle, und in die Ver­ waltung der von ihm besorgten Geschäfte rücke, und ein neuer zur Ersetzung der Stelle des fortgerückten erwählt werde. 7. Dem Ältesten dieser Vorsteher liegt die Verwaltung der Kassa ob, von deren Zustande er jährlich Rechnung abzulegen verpflichtet sein muß, dem Zweiten ihn bey allen im Namen der Gemeine zu verhandelnden Geschäften an die Hand zu gehen, und bey vorfallende Hindernisse seine Arbeit zu übernehmen. 8. Die Gemeine versamlet sich im Anfänge jedes Jahres, und nimt die obbestimte Wahl vor. 9. Der Versammlungsort der Gemeine ist in dem Hotel der Dänischen Gesandt­ schaft und Ihre Exzellenz der gegenwärtige Gesandte Ihrer Königl. Dänischen Majestät geruhen ein dazu hinlänglichs geräumiges Zimmer anzuweisen und einzuräumen. 10. Um Sr. Exzellenz für die Ungemächlickkeit, die dies verursachen möchte, einiger­ maßen schadlos zu halten, werden die Vorsteher der Lissabonschen Evangelischen Ge­ meinde beflissen seyn, diesen Plan dahin zu erweitern, daß diese Gemeine als eine Allgemeine, aller nach Lissabon Seefahrenden, Handelnden, und Portugal bereisenden der Evangelischen Kirche zuaethanen Fremden angesehen werden könne, und die Mit­ wirkung Sr. Exzellenz zu diesem Zweck ehrfurchtsvoll und inständigst ersuchen: damit derselbe an seinen Hof die Vorstellung ergehen lasse, daß derselbe die Erhebung einer geringen Abgabe von allen Dänischen Schiffen gleichsam als eine Kirchensteuer zugestehe. Dadurch den Schiffern der andern Nationen ein nachahmungswürdiges Beyspiel gegeben werde, sich zu einer gleichen Beisteuer willfährig finden zu lassen, wie solches würklich die unter hanseatischer Flagge fahrenden schon langst gethan, und die respectiven Herrn Consuls protestantischer Machte zu einer gefälligen Verwendung dieserwegen einjuladen. Aus diesen Beiträgen einen Kirchenfonos zu formieren, aus welchem die Unkosten einer zahlreichern Versammlung bestritten, und aus welchem des Herrn Gesandten Exzellenz etwa die Hälfte der Miethe eines geräumigen Hotels mit Zwei Hundert Vierzig Mil Rers bis Drei Hundert Mil Reis vergütet werden könne, der Ueberschuß aber zu einem Fonds geschlagen werde, dessen Existenz die Dauer des Instituts auch bey Ab­ sterben oder sonstigem Abgang eines Theils der jetzigen Contribuenten sichert.

11. In dem Versammlung-Orte selbst wird eine verschlossene Armen-Büchse be­ findlich seyn, worin jeder, durch Einlegung seines Schärfleins, seine Mildtätigkeit zu beweisen Veranlassung haben wird; einer der jedesmaligen Vorsteher verwahret den Schlüssel derselben und legt von der Verwendung des Eingekommenen der Gemeine Rechnung mit den übrigen Kirchen-Rechnungen ab."

Die Urkunden sind hier vollständig wiedergegeben, da sie die erste regel­ rechte Gemeindeordnung darstellen und in vielem grundlegend für alle weiteren wurden. Entscheidend ist der Freiwilligkeitscharakter der Gemeinde, ihre Selbst­ verwaltung und ihre ökumenische Weite, die jetzt auch dadurch besonders zum Ausdruck gebracht wird, daß sie nicht mehr „Lutherische", sondern „Evangelische Gemeine" heißt, indem sie, selbst fest auf dem Boden des lutherischen Bekennt­ nisses Augsburgischer Konfession stehend, doch allen Evangelischen ungeachtet ihrer Nation oder Konfession dienen will. Die Beilegung des Konfliktes inner­ halb der Gemeinde im Sinne dieser Vereinbarungen bedeutete zugleich einen Sieg Adolf Friedrich Lindenbergs"'), des Schwiegersohns des ehemaligen Pastors Müller, der fortan der unbestrittene Führer der Gemeinde wurde und später nach dem Zusammenbruch ihren Wiederaufbau tatkräftig in die Hand nahm. Für die Geschichte der Bartholomäusbrüderschaft aber ist es bedeutsam, daß sie es den führenden Protestanten in Lissabon verdankt, wenn sie in der ihrem Wesen entsprechenden Gestalt erhalten blieb, wie sie ja überhaupt schon längst nicht mehr bestehen würde, wenn nicht die protestantischen Kaufleute für ihre Erhaltung und weitblickende Verwaltung gesorgt hätten.

Merkwürdig ist, was von dem gottesdienstlichen Raum in der Gemeinde­ ordnung gesagt wird, da nicht mehr von einer der Gemeinde gehörenden Kapelle, sondern nur von Zimmern im Gesandtschaftsgebäude die Rede ist, die der Gesandte zur Verfügung stelle und einräume. Vielleicht war das alte Haus, in dem ja schon vor mehr als 40 Jahren die Kapelle eingerichtet worden war, inzwischen so baufällig geworden, daß es aufgegeben werden mußte, was ja schon der Gesandte von Warnstedt seinerzeit tun wollte. Das Hospital, von dem oben die Rede ist und zu dessen Besuch Pfarrer Dose verpflichtet wurde, war Ende 1799 für deutsche Matrosen von der Bartho­ lomäusbrüderschaft als „Hanseatisches Hospital" gegründet worden. Anfangs benutzte man ein gemietetes Haus""), im Jahre 1804 jedoch wurde am Largo das Cortes as Necissidades, dem heutigen Largo do Rilvas, ein Haus für 3500 Milreis gekauft und als Hospital eingerichtet. Bald aber wurden die Ausgaben dafür so groß, daß man sie nicht mehr bestreiten konnte, zumal da infolge der bald eintretenden Kriegswirren die für das Hospital gezahlten Bei­ träge fast ganz aufhörten. 1808 wurde es deshalb wieder geschloffen. 1810 wurden die meisten noch darin befindlichen Möbel gestohlen""). An der Subskription beteiligten sich folgende Gemeindeglieder, die damit als die Hauptvertreter der damaligen Gemeinde zu betrachten sind: Jacob Heinrich Burchardt, W. Moller und Sohn, Thom. M. Jacobsen, Albert Meyer, Arnold Hinrich Metzener, Bernhard Hinrich Metzener, I. Chr. Finckensieper, I. C. Stichling, Joh. G. Schultze, Peters Schlick Hintze & Lindenberg, Ficke, I. & B. Jllius, I. H. Moller, Colonel Brendle (Brenle?), Carl August

Busch, B. G. W. Klingelhöfer, Frederik Oom, Olde Christiansen, Nicolas Rocks, Barandon, Carl Ludwig Ahrends, Schindler Söhne, Jacob Dohrmann Comp., Christian Masolf, Christian Hinrich Vermehren, I. Mahre (?), Chri­ stian Daniel Wenck, Johan Friederich Lahmeyer, Johann Friederich Depenau, Jean Daniel Frick, Rebeca Magdalen Olsen, Jacob Bernard Haas, Oberst von Wiederhold, Joh. Heinrich Ulrich, Johan Henry Poppe, H. D. Dircks, Johan Peters, C. F. W. Heinson, Archibald Giesler, B. H. Obermann, I. Juvalta, Caspar Block. Die höchsten, alle andern um ein Vielfaches über­ steigenden Beiträge zeichneten B. H. Metzener & Co., Peters Schlick Hintze & Lindenberg und Ficke, I. & B. Jllius. Nun mußte sich die neubegründete Evangelische Gemeinde noch des wei­ teren Protektorats der dänischen Regierung versichern und die Genehmigung der Gemeindeordnung einholen, wozu die Vorsteher ein förmliches Gesuch an den Gesandten richteten. Inzwischen war Pfarrer Dose die erwähnte Stelle zu Brügge (Amt Bordesholm) angeboten worden. Jetzt aber, nachdem eben wieder eine Ver­ einbarung zustande gekommen und der Friede in seiner Gemeinde wieder­ hergestellt war, wollte er Lissabon doch nicht verlassen. Er hatte an seine Be­ hörde das Gesuch gerichtet, noch einige Jahre in Lissabon bleiben zu dürfen, jedoch „ohne dadurch die Hoffnung auf eine vorteilhafte Anstellung in seinem Vaterlande für die Zukunft zu verlieren". Die Regierung war bereit, den Wunsch Doses auf ein entsprechendes Gesuch der Gemeinde hin zu erfüllen. Als aber daraufhin der Gesandte von Kaas ein solches Gesuch von den Kirchen­ vorstehern einforderte, verweigerten sie dieses, da sie es nach ihrem bereits eingereichten ersten Gesuch um Genehmigung der neuen Kirchenordnung für überflüssig hielten. Beinahe wäre an diesem Zusammenstoß des freien, selbst­ bewußten Kaufmannsgeistes mit dem Bürokratismus eines gewissenhaften Beamten die ganze Sache gescheitert, und die eben zustande gekommene Ver­ ständigung wieder zunichte geworden. Der Gesandte berichtet über die Ver­ zögerung der Angelegenheit^'). „Um diese Sache in Ordnung zu bringen, sind mir zahllose Schwierigkeiten begegnet und begegnen mir solche noch immer, dic in einem querköpfigen Widerstand bei einigen Mitgliedern der Gemeinde, die sich mit jenen Personen vereinigt haben, die zuerst die neuaufgekommene Zwistigkeit und Zersplitterung stifteten, ihren Ursprung haben." Schon wollte Dose sein Gesuch wieder rückgängig machen und Lissabon doch verlassen, um die Stelle in Brügge anzunehmen^), als das dänische Auswärtige Amt erklärte, daß ein förmliches Gesuch der Gemeinde an den König gar nicht nötig wäre und auf feiten des Gesandten ein Mißverständnis vorliege"). Denn ein Gesuch um Genehmigung des Plans der erneuerten Einrichtung der Gemeinde er­ übrige ein solches um Genehmigung eines längeren Verbleibens Doses in Lissabon. Nachdem so die neu entstandenen Schwierigkeiten glücklich überwunden waren, konnte das Departement für auswärtige Angelegenheiten endlich, am 23. März 1804, die Genehmigung der Neuordnung der Lissabonner Gemeinde­ verhältnisse dem Könige empfehlen, mit Ausnahme einer Besteuerung der dänischen Schiffe. Am folgenden Tage wurde die Bestätigung des Königs, von

den Ministern C. und I. Bernstorff unterzeichnet, an den Gesandten in Lissa­ bon ausgefertigt. Lange jedoch sollte sich die Gemeinde des wiederhergestellten Friedens und der Neuordnung ihrer Verhältnisse nicht freuen dürfen. Die politische und wirtschaftliche Lage Portugals wurde immer trauriger. In dem Krieg zwischen England und Frankreich war Portugal ein Spielball in der Hand der feind­ lichen Mächte. Napoleon wollte es als einen Stützpunkt seines gefährlichsten Gegners, England, ganz in seinen Besitz bringen. Portugal andererseits war selbst in völliger Abhängigkeit von England. Ungeheuer waren im Laufe des englisch-französischen Krieges die Verluste der Portugiesen in Handel und Schiffahrt, und das Leben in Lissabon wurde immer teurer. Unter diesen Umständen verschlechterte sich auch die Lage Pastor Doses mehr und mehr. Dazu nahm seine Gesundheit, die dem Klima auf die Dauer nicht gewachsen war, immer mehr ab, so daß er sich nach Ablauf der neuen dreijährigen Kontraktszeit im März 1806 folgenden Brief an den Kirchen­ vorstand zu richten gezwungen sah"). „Mit einem namenlosen Gefühle ergreife ich jetzt die Feder, um mit Ihnen, meinen hochzuehrenden Herrn Vorsteher, über eine Sache zu reden, deren Erwähnung und Beendigung noch länger aus­ gesetzt zu sehen, meine Hoffnung, mein Wunsch war. Zeitumstände, Lage und persönliche Zufälle bringen sie schneller herbei, als ich erwartete. Meine so ganz isolierte Lage hieselbst für die Gegenwart, die ungewisse für die Zukunft, aber vorzüglich und hauptsächlich meine in diesem Klima zerrüttete Gesundheit, die immer häufiger und bedeutender werdenden Krankheitsumstände, meine heftigen Augenzufälle und die so äußerst beunruhigende Abnahme des Gesichts, erschweren mir sehr meine Amtsführung und vorzüglich die nötige Vor­ bereitung zu meinen sonntäglichen Borträgen, indem ein anhaltendes Schreiben und Lesen mir fast unmöglich wird, und ich bei Licht gar nicht mehr arbeiten kann. Und sie erfordern mehr Sorgfalt, Pflege und Wartung, als ich mir hier zu verschaffen imstande bin. Ich sehe mich daher genöthigt, meinem Amte zu entsagen, welches ich jetzt 14 Jahre schon — ich wünsche mit Nutzen — unter Ihnen geführt habe, und nun in mein Vaterland, in den Schooß der mir übrig gebliebenen Meinigen mich zurückzubegeben." Dose entschuldigt sich, daß er den in dem Kontrakt abgemachten Zeitpunkt für eine Kündigung bereits über­ schritten habe und fährt fort: „Daß diese Anzeige nicht früher geschah, lag nicht in dem Wunsche, nicht noch länger hierzubleiben, sondern liegt einzig in meinem seit der Zeit immer mehr verschlimmerten Gesundheitszustände. Um jedoch der Gemeinde hinlängliche Zeit zu geben, sich einen anderen Prediger in meiner Stelle zu verschaffen, erkläre ich noch überdies hiermit, daß ich von künftigem Aprill-Monat dieses gegenwärtigen Jahres 1806 bis zum Aprill oder wenn sie es verlangt — selbst bis zum Johanni des künftigen Jahres 1807 hier ver­ bleiben und — so viel mir möglich ist — mit derselben Gewissenhaftigkeit und Treue, als bisher geschah, meine Amtspflichten bei ihr zu erfüllen mich be­ streben werde." Die Vorsteher aber wollen noch versuchen, Dose zu halten und fordern ihn auf, etwaige besondere Wünsche an die Gemeinde zu äußern. Darauf antwortet Dose: „Ja, der Prediger hat Wünsche, die aber bisher bei ihm nur unter die

Klasse der stillen, verschlossenen Wünsche gehörten, jetzt aber glaubt er diese gütige Erklärung als eine Aufforderung ansehen zu können, deren Absicht und Wert er verkennen würde, wenn er das, was er bisher nicht laut werden ließ, nunmehr länger verschwiege, so wie es ihm auf der andern Seite auch eine Pflicht zu sein scheint, die Gemeinde mit allen Motiven, die ihn zu der am 24. Dieses eingesandten Anzeige und Erklärung bestimmten, ganz bekannt zu machen. Dieselben erlauben mir also zugleich zu einer Auseinandersetzung derselben zu schreiten. Die Herrn Vorsteher sowohl, wie ein jedes einzelne Mit­ glied der Gemeinde werden es durch eigene Erfahrung wissen, zu welcher Höhe seit einigen Jahren die Preise sowohl der notwendigsten Lebensbedürfnisse, als aller andern Artikel gestiegen sind, und wie sehr diese Teuerung vorzüglich den­ jenigen lästig und drückend sein müsse, die eine bestimmte Einnahme genießen, welche für andere Zeiten, als die gegenwärtigen leider! sind, berechnet waren, und die michin mit dem gegenwärtigen Preise der Bedürfnisse und dem jetzigen Werte des Geldes in keinem Verhältnisse stehen, ist in die Augen springend — Daher auch selbst einige angesehene Mitglieder der Gemeinde zu verschiedenen malen ihre Verwunderung gegen den Prediger bezeigt haben, wie er unter diesen ungünstigen Umständen mit seinem Gehalte ausreichen könne. Diese Erfahrung haben alle Personen, die bestimmtes Gehalt empfangen, mit dem Prediger der hiesigen Deutschen Evangelischen Gemeinde gemeinschaftlich und die Stimme aller dieser ist nur Eine, nämlich .Wunsch nach der Einführung eines mehr gleichförmigen Verhältnisses': und dieser Wunsch ist so recht­ mäßig und billig, daß er auch schon an verschiedenen Orten erfüllt worden ist." Nach einer Darlegung seiner Gehaltslage fährt er fort: „Die Teuerung wurde indessen immer größer, der Preis aller Sachen immer mehr erhöht und der Prediger hat sich genötigt, um anständig — so wie es seine Lage erfordert — zu leben, von dem ©einigen zuzusetzen, und um zugleich mit der äußeren An­ ständigkeit eine genaue Oekonomie zu verbinden, eine Aufopferung zu machen, die sein einzigstes Vergnügen in diesem Lande ausmachte, so wie sie für seine Gesundheit ihm fast unentbehrlich geworden ist. Er hat es jedoch getan, hat dieses Opfer gebracht, um der Gemeinde, mit der er für die jährl. Summe von 900 000 Rs. kontrahiert hatte, während der Dauer des Kontraktes keine be­ schwerdende Vorstellungen zu machen. Ja, er würde noch weiter geschwiegen haben, weil sein Gefühl es ihm sehr erschwert, über diesen Punkt zu reden, der nach der Verschiedenheit der Erziehung, Bildung und Vorstellung auch so ver­ schieden gedacht und beurtheilt wird und so leicht Mißdeutungen ausgesetzt ist. Er würde geschwiegen und sich lieber im Stillen zurückgezogen haben. Daß dieses seine Denk- und Handlungsart sey, wissen diejenigen Personen, die ihn näher kennen, und dies bewahrheitet seine Anzeige vom 24. Dieses, indem hiervon mit keiner Silbe Erwähnung geschieht. Allerdings aber werden lange verhaltende Gefühle desto stärkere und diese Wirkung konnte nicht anders, als nachteiligen Einfluß auf Geist und seine ohnehin schwächliche Körperkonstitution haben und daher der zum Theil mit wirkende Stoff zu seiner Kränklichkeit werden. Von dieser meinte er sich zu befreyen, wenn er theils das Klima ver­ ändere, theils diese Ursache durch seine Entfernung von dem bisher bekleideten Posten aufhöbe, dessen Gehalt nicht allein nicht hinreichend ist, sondern — wie

schon gesagt — sogar jährliche Zulagen und Opfer von seiner Seite nöthig, und, wenn seine Lage so bleibt — nichts als traurige Aussichten für die Zukunft und den Rest seiner Lebensjahre übrig lassen." Als zwei seiner hauptsächlichsten Wünsche bezeichnet Dose sodann erstens die Erhöhung seines Gehaltes auf mindestens 3000 Crusaden jährlich, um standesgemäß und sorglos „in dieser theuersten aller theuren Städte Europas" leben zu können; zweitens bei seiner etwaigen Rückkehr in sein Vaterland ein Reisegeld. Daraufhin beschloß die Gemeinde in einer „Zusammenkunft ihrer an­ gesehensten Glieder", eine neue Subskription zu veranstalten, um Doses Wün­ schen entsprechen zu können. Das Ergebnis war über Erwarten gut, so daß die Vorsteher — gegenwärtig waren Bromley Jllius und Bernhard Heinrich Metzener an der Reihe — dem Pfarrer die gewünschte Gehaltserhöhung für die nächsten 3 Jahre zusagen konnten. Betreffs des Reisegeldes vermochten die Vorsteher keine bestimmten Zusicherungen zu geben. Doch könne er ver­ sichert sein, „daß es an ihnen nicht liegen solle, wenn nicht auch diesem Ver­ langen gewillfahret und völliges Genüge geleistet würde, so wie sie überhaupt es an nichts würden ermangeln lassen, was die ausgezeichnete Hochachtung ihm gegenüber beweise". So entschloß sich denn Dose, weiter in Lissabon zu bleiben, jedoch wollte er sich jetzt nicht mehr für einen bestimmten Termin binden, sondern es bei einer jederzeitigen halbjährlichen Kündigung bewenden lassen, für den Fall, daß sein Gesundheitszustand eine Veränderung des Klimas notwendig mache oder ihm eine günstige Pfarrstelle in seiner Heimat angeboten würde, die er zum zweiten Male nicht ausschlagen dürfe. Längere Zeit aber, als er gedacht und gewünscht hatte, wurde Dose in Lissabon festgehalten, und es waren keine glücklichen Jahre, die ihm nun bevorstanden. Die Lage in Lissabon wurde immer schwieriger. In demselben Jahre begann die Kontinentalsperre, durch die Napoleon England zu vernichten hoffte. Portugal suchte er völlig in seinen Besitz zu bringen und verlangte von ihm, alle Beziehungen zu England abzubrechen und diesem den Krieg zu erklären. Andererseits traf er ein Geheimabkommen mit Spanien, nach dem Portugal einfach zwischen Frankreich und Spanien auf­ geteilt werden sollte. Demgemäß drang der französische Marschall Junot mit einem spanischen Heere im November 1807 in Portugal ein und rückte gegen Lissabon vor. Der portugiesische Prinzregent schiffte sich darauf mit seinem gesamten Hofstaat, nachdem er einen Regentschaftsrat eingesetzt hatte, auf englischen und portugiesischen Schiffen ein und segelte unter dem Schutze einer englischen Flotte am 30. November 1807 nach Brasilien ab, während Junot am gleichen Tage in Lissabon seinen Einzug hielt und unter der Erklärung: „Das Haus Braganza hat aufgehört zu regieren" von Portugal im Namen Frank­ reichs Besitz ergriff. Die diplomatischen Vertretungen der ausländischen Staaten am portugiesischen Hofe siedelten gleichfalls nach Brasilien über. Der dänische Gesandte wurde abberufen. Infolgedessen verlor die lutherische Gemeinde ihren Schutz. Trotzdem aber blieb das Kirchenwesen noch bestehen, und nach wie vor fanden sonntäglich die Gottesdienste statt. Mer die Zustände in Lissabon waren traurig. Eine Kon-

tribution von 2 Millionen Franken wurde der unglücklichen Stadt auferlegt. Willkürlich herrschten die fremden Eindringlinge. Grausam wurde jede Regung vaterländischen Geistes unterdrückt. Die wohlhabenderen Einwohner wanderten in Menge aus. Jeder Reichtum schwand dahin. An die Stelle von Wohlhaben­ heit und Luxus traten Armut und bitterste Not. Unter solchen Umständen bat Pastor Dose im Frühjahr 1808 seinen König um die Erlaubnis, in sein Vaterland zurückkehren zu dürfen und ihm für die Reisekosten eine Unterstützung zu gewähren nebst einem Wartegeld zu seinem ferneren Unterhalt in Rücksicht auf seinen hilflosen Zustand, seine geschwächte Gesundheit und die 24jährige treue Verwaltung seines Amtes sowohl in seinem Vaterlande als auch an seinem jetzigen Aufenthaltsort. Die Gemeinde sei nicht mehr imstande, ihm das Rückreisegeld zu zahlen. Unter den weggezogenen Kauf­ leuten befänden sich auch einige beitragende Mitglieder der Gemeinde, und die Existenz der Gemeinde drohe aufzuhören. Dose sah sich vor einer „bedauerns­ werten Lage, ohne Beschützung, ohne das geringste Vermögen und an einem überaus teuren 8e6en§ort"58). Das dänische Auswärtige Amt befürwortet die Rückkehr Doses, zumal da die königlich dänische Protektion der Gemeinde, welche die Anwesenheit einer dänischen Gesandtschaft in Lissabon zur Voraussetzung habe, nunmehr, nach deren Auslösung, nicht mehr in Geltung sei, und schlägt 400 Reichsthaler als Reiseunterstützung vor, die aus dem Gehalt der vakanten Lissabonner Gesandt­ schaft gezahlt werden sollen. Der König bewilligte das Gesuch und das Reise­ geld wurde in Kopenhagen eingezahlt88), ist aber nie nach Lissabon gelangt. Dose mußte auch wegen kriegerischer Wirren auf der Halbinsel seine Heimreise wiederum aufschieben. Der Widerstand gegen die französische Gewaltherrschaft war von Tag zu Tag gewachsen. Zuerst brach in Spanien der Aufstand los, und bald schloß sich Portugal dem Befreiungskrieg gegen Frankreich an. Eng­ land schickte 1808 den General Wellesley, den späteren Herzog von Wellington, mit einem Hilfskorps, das die Franzosen schlug und Junot zum Abzug aus Portugal zwang. Da alle Häfen von englischen Schiffen gesperrt waren, war es unmöglich, das Land zu verlassen. Unter dem englischen Hilfskorps befand sich die kgl. Deutsche Legion, die sich hauptsächlich aus Hannoveranern — auf Grund der damaligen Personal­ union Englands mit Hannover — zusammensetzte. Unter den Offizieren waren auch preußische, wie der Baron Friedrich von Eben. In den Befreiungskriegen, in denen sie Seite an Seite mit den portugiesischen Soldaten kämpfte, verlor die Deutsche Legion im ganzen 5600 Tote und 6000 Verwundete88). Die Legion führte ihre eigenen Feldprediger mit, aber manchmal hat auch Pfarrer Dose den deutschen Soldaten als Seelsorger gedient. Zum Beispiel taufte er 1809 zweimal Kinder von Sergeanten der Legion, die offenbar auch ihre Frauen mitführten. Das Häuflein der Gemeindeglieder schmolz immer mehr zusammen. Die Unruhe des Krieges nahm kein Ende. Am 1. August 1810 rückte Napoleons General Massena gegen Portugal vor. Lissabon wurde durch Lord Beresford, den England zur Reorganisation des portugiesischen Heeres nach Portugal entsandt hatte, in Verteidigungszustand gesetzt. Noch Ende Juli hielt Dose

unermüdlich regelmäßig Gottesdienst in der alten Kapelle. Aber Beiträge gingen kaum noch ein. Die einen mußten ihre Subskriptionen zurückziehen, die anderen verließen die Stadt. Schließlich erklärten die wenigen Zurückgebliebenen, jetzt nichts mehr für ihren Prediger tun zu können"). Da mußte Dose denn sein Amt niederlegen — es war der 13. September 1810. Am folgenden Tage schloß er das Kirchenbuch ab, übergab es dem damaligen Kirchenvorsteher Caspar Schindler und beeilte sich, über England nach Helgoland zu gelangen, von wo er mit dem Ende des Jahres in sein langersehntes Vaterland als kranker und armer Mann endlich heimkehrte. Das Reisegeld hatte er noch selber irgendwie zusammenbringen müssen. Aber auf eine Vorstellung des Ministers Rosenkranz an den König wurden ihm im Januar des folgenden Jahres noch einmal die damals verlorengegangenen 400 Thaler bewilligt, und zwar zum gegenwärtigen Kurs, da der dänische Thaler seit 1808 stark gesunken war, außerdem ein Wartegeld für 2 Jahre in Höhe von 400 Thalern (600 waren beantragt), das aus dem vakanten Lissabonner Gesandtschaftsgehalt ge­ zahlt wurde. Dose wurde 1815 Pfarrer zu Neuenbrook in Holstein, wo er am 28. Ok­ tober 1821 im Alter von 61 Jahren, unverheiratet, starb. Oft schon war er in den letzten Jahren durch ein schweres Leberleiden an der Ausübung seiner Amtsgeschäfte gehindert worden. Doch wird er als vorzüglicher Kanzelredner gerühmt"). Mit großer Anhänglichkeit gedachte er stets an seine alte Lissa­ bonner Gemeinde, in der er manch treuen Freund gelassen hattet') und be­ wahrte eine dankbare Erinnerung an Portugal, das ihm ans Herz gewachseir war. Als einmal in einer Zeitung allerlei Unrichtiges über Lissabon berichtet wurde, schrieb er in demselben Blatt eine Entgegnung"), wobei er mit den Worten schloß: „Diese Berichtigungen glaubte ich den .Nachrichten über Lissa­ bon' beifügen zu müssen. Ich bin sie der Wahrheit schuldig, und ein inneres Gefühl fordert mich dazu auf, ein warmes Dankgefühl für das viele Gute, welches die Vorsehung mir in diesem einst so ruhigen und glücklichen Lande und dessen Hauptstadt widerfahren ließ, woselbst ich den — unstreitig besten Teil meines Lebens — (beinahe 19 Jahre) — in so angenehmen Verhältnissen verlebt habe, denen ich stets mit dankbarer Rührung mich erinnern werde."

V.

Die selbständige evangelische Gemeinde, 1817—1856 Nachdem Pfarrer Dose Lissabon verlassen hatte, ruhte das Gemeindeleben für 8 Jahre. Bei gelegentlichen Taufen und Beerdigungen vollzogen die kirch­ lichen Handlungen zunächst die Feldprediger bei der Deutschen Legion, Heinrich Meyer') und Georg Heinrich ©ünbeH2). Einmal, bei der Beerdigung des Ober­ sten von Wiederholdt, im Jahre 1810, amtierte auch der englische Feldprediger Thomas Dennis. Bei Abwesenheit der Feldprediger und später dann überhaupt, nach Abzug der Deutschen Legion, übernahmen die Amtshandlungen die eng­ lischen Geistlichen Robert Marratt Miller und Lewis Buckle. Natürlich war das nur ein sehr ungenügender Notbehelf. Die geringe Anzahl der in dieser Zeit vollzogenen Amtshandlungen deutet darauf hin, daß wohl nur einige wenige hervorragende Gemeindeglieder die fremden Geistlichen in Anspruch nahmen, wie Lindenberg, der jetzt hanseatischer Generalkonsul war, Moller u. a. Der Mangel eines geordneten Kirchenwesens und geregelten Gemeinde­ lebens wirkte sich in der Allgemeinheit doch sehr schädlich aus. Da die Herde des Hirten entbehrte, verloren sich viele Glieder. Noch nach 20 Jahren berichtete der Pfarrer Dr. Schütze, daß die Folgen davon — 1836 — schmerzlich empfunden wurden: Ein großer Teil der Gemeinde sei katholisch geworden. Die in jenen Jahren Geborenen seien vielfach durch katholische Priester ge­ tauft2). Es wird sich dabei vornehmlich um die ärmeren, vereinsamten und in Abhängigkeit von den Portugiesen lebenden Deutschen gehandelt haben.

Noch lange dauerten die unglücklichen Verhältnisse in Portugal an. Nach Vertreibung der Franzosen war das Land verwüstet, Handel und Schiffahrt völlig heruntergekommen und die Landwirtschaft in einem kläglichen Zustand. Den äußeren Kämpfen folgten innere Unruhen. Volk und Heer lehnten sich gegen die anfangs als Bundesgenossen freudig begrüßten, dann aber durch ihr anmaßendes Auftreten verhaßt gewordenen Engländer auf, vor allem gegen den mit unbeschränkter Willkür waltenden Oberstkommandierenden Lord Beres­ ford. Der preußische Baron von Eben beteiligte sich an einer Verschwörung gegen ihn und wurde des Landes verwiesen*). Als 1816 die wahnsinnige Königin Maria gestorben war, ging die Krone Portugals auf den bisherigen Regenten, Joäo VI., über, der jedoch nicht daran dachte, aus Brasilien zurück­ zukehren und selbst die Regierung seines Landes zu übernehmen, vielmehr dort seinen Regentschaftsrat in einer reaktionären Weise wirtschaften ließ, die alle liberalen Portugiesen gegen ihn aufbrachte. So kam das Land nicht zur Ruhe, und die deutsche Kaufmannskolonie konnte sich nur langsam wieder erholen.

Von den inneren Unruhen des Landes freilich wurde sie unmittelbar nicht be­ rührt. Denn die deutschen Kaufleute beteiligten sich im allgemeinen niemals an dem politischen Leben und mischten sich in die inneren Verhältnisse des Gastlandes nicht ein. Darum wurden sie von den Portugiesen auch immer gern gesehen und mit zuvorkommender Freundlichkeit behandelt. Wenn das Gemeindeleben in dieser Zeit wieder neu begonnen werden konnte, so verdankte das die Gemeinde der Initiative Adolf Friedrich Linden­ bergs. Wohl war es längst der Wunsch und das Bedürfnis vieler Gemeinde­ glieder gewesen, die erledigte Predigerstelle wieder besetzt zu sehen. Aber alle Bemühungen hatten bisher zu keinem Erfolge geführt. Als nun Lindenberg für seine Kinder einen Hauslehrer aus Deutschland berief, hatte er zugleich im Auge, daß diesem auch das Pfarramt der Gemeinde übertragen würde. Da der Betreffende sein Lehrergehalt bekam und außerdem freie Station im Hause Lindenbergs hatte, konnte das Pfarrgehalt geringer sein, und sah sich somit die verarmte Gemeinde in der Lage, wieder einen Pfarrer anzustellen. Zu Weih­ nachten 1817 erließ Lindenberg ein Rundschreiben, in dem er mitteilt, daß der bei ihm als Hauslehrer eintretende Doktor der Philosophie und Lehrer bei dem Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin, Christian Friedrich Beller­ mann, bereit sei, auch das Pfarramt zu übernehmen, wenn die Gemeinde ihn dazu berufen würde. Lindenberg schlägt dieses der Gemeinde vor und fordert die Begüterten gleichzeitig zu einer Subskription auf. Lindenbergs Vorschlag wurde gerne angenommen. 29 Personen zeichneten zusammen 965 Milreis. Es waren: N. B. Schlick, G. D. Hintze, Wwe. Moller & Sohn, Wegener & Brodermann, G. Schindler, E. Meuronn, A. F. Linden­ berg, I. Schaum, A. Hasenclever, C. D. Peters, Baronesse von Wiederholdt, Baronesse de Rieben, Nicolas Röks, D. H. Overmann, Caspar Block, I. B. Haas, Olde Christiansen, I. C. Stichling, I. F. Lahmeyer, C. L. Ahrens, B. Jllius, Jean Daniel Frick, Archibald Giesler, Gaspar Winteler, B. G. W. Klingelhöfer, Hermann Fricke, George Poppe, Helena Sophia Bohlmann, L. Brunnenmann. Manche alten Namen, wie Metzener und Burchardt, fehlten; dafür waren neue hinzugekommen. — Ms Kassierer der Bartholomäusbrüderschaft bestimmte Lindenberg aus der Brüderschaftskasse jährlich 1OO$OOO Reis als Zuschuß zum Pfarrgehalt'). Nun fehlte nur noch die Kirche. Was aus der alten Kapelle geworden war, ist nicht bekannt. Jedenfalls stand das Haus nicht mehr zur Verfügung. Eine dänische Gesandtschaft bestand in Lissabon seit der Uebersiedlung des portu­ giesischen Hofes nach Brasilien nicht mehr. Somit war die Gemeinde auf sich selber angewiesen. Mer jetzt bedurfte sie des Schutzes einer fremden Macht auch nicht mehr. Die Zeiten waren andere geworden. Das Zeitalter der In­ quisition war vorbei. 1820 wurde sie endgültig abgeschafft. Wenn auch die römische Kirche noch große Macht besaß und die Jesuiten weitgehenden Ein­ fluß hatten, so vermochten sie doch die protestantischen Ausländer an der freien Ausübung ihres Glaubens nicht mehr zu hindern. Nur durfte es nicht in aller Oeffentlichkeit geschehen und im Stadtbild sichtbar in Erscheinung treten*). Die Gemeinde beschloß nun, die Gottesdienste bis auf weiteres in einem für diesen Zweck herzurichtenden Zimmer des ehemaligen hanseatischen Hospitals

zu halten. Lindenberg jedoch ließ im Hof hinter dem Hospital aus Mitteln der Barcholomäusbrüderschast eine kleine Kapelle errichten. Als Dr. Beller­ mann im Juni 1818 sein Amt in Lissabon antrat, konnte die Gemeinde wieder in einer eigenen Kapelle zum Gottesdienst zusammenkommen. Die Führerschaft Lindenbergs wurde von der Gemeinde rückhaltlos an­ erkannt und ihm auf einer Gemeindeversammlung am 8. September 1818 einstweilen die alleinige „Verwaltung und Direktion der Kirchenangelegen­ heiten" übertragen, ferner die Vollmacht erteilt, mit Paswr Bellermann einen Kontrakt auf Grund des früher mit Pastor Dose abgeschlossenen einzugehen, wobei das Gehalt auf 480$000 Reis festgesetzt wurde, sowie einen Küster für jährlich 48$000 Reis anzustellen. Dr. Bellermann') war am 19. April 1818 in der Nikolaikirche zu Berlin ordiniert worden. Nach den Empfehlungen, die Lindenberg „über den Charakter, Aufführung und Talente" Bellermanns erhalten hatte, erwartete ihn die Ge­ meinde in der frohen Hoffnung, „daß selbiger die Pflichten eines evangelischen Pfarrers nach bisherigem Gebrauch nicht nur treulich erfüllen, sondern sich auch noch besonders wird angelegen sein lassen, die Jugend in der Religion zu unterrichten und zur Konfirmation vorzubereiten". Denn hierin stand es schlimm, da sich bei der Jugend der lange Mangel eines Seelsorgers und Lehrers natürlich besonders schädlich ausgewirkt hatte. „Es war anfangs viel nachzuholen", berichtete Bellermann später8). „In vielen Familien verstanden die Kinder nicht Deutsch. Der Geistliche mußte den Sprachlehrer machen und lernte von den Kindern wiederum Portugiesisch. Oft mußte der Religions­ unterricht auch in portugiesischer Sprache gegeben und in gemischten Ehen in dieser Sprache die Taufen verrichtet werden. Anwesende Portugiesen ver­ wunderten sich dann nicht wenig darüber, daß auf so feierliche Weise auch die Kinder der Protestanten die christliche Taufe empfingen." Man sieht, daß Bellermann sich bald in sein Lissabonner Amt eingearbeitet hatte und schon nach kurzer Zeit die portugiesische Sprache beherrschte. Er ist ein Mann der Wissenschaft, der einen offenen Sinn für alle Erscheinungen des Lebens mitbringt und aus einer gläubigen Haltung heraus Natur und Ge­ schichte als Urkunden des göttlichen Waltens betrachtet. „Er ist des Glaubens, daß alles, was das Leben der Völker und ihre geistigen wie sittlichen Kultur­ zustände betrifft, am wenigsten denen fremd bleiben dürfte, deren Beruf es ist, auch in den irdischen Erscheinungen, in der Natur wie in der Geschichte, das ewige Walten Gottes und seine großen Offenbarungen nachzuweisen." Die Worte des frommen Petrarca hat er sich zu eigen gemacht, der in seinen Be kenntnissen sagt: „Ich weiß wohl, daß man ohne Wissenschaften ein heiliger Mensch werden kann, aber ich weiß auch, daß sie kein Hindernis der Heiligkeit sind, wie man uns glauben machen möchte. Man muß sich wohl hüten, eine unwissende Andacht mit einer von den Wissenschaften erleuchteten Frömmig­ keit zu vergleichen8)." Von solchem Geiste beseelt, beschäftigte sich Bellermann neben seinen Amtsgeschäften eifrig mit portugiesischer Geschichte und Literatur und veröffentlichte die Früchte seiner Studien später in einer gelehrten Ab­ handlung über „Römische Altertümer in Portugal"'8), ferner in Schriften über „Die alten Liederbücher der Portugiesen" und „Portugiesische Volkslieder

und Romanzen". Jedoch vernachlässigte er seine Gemeindearbeit darüber keineswegs und gewann zu seiner „geliebten Gemeinde" ein inniges „Herzens­ verhältnis". In Abwesenheit des englischen Pfarrers vollzog Bellermann, der des Englischen mächtig war, auch häufig englische Amtshandlungen. Nichtsdestoweniger wurde eines Tages dem deutschen Geistlichen das Amtieren auf dem englischen Friedhof untersagt. Der Grund dafür scheint in persönlichen Streitigkeiten des englischen mit dem dänischen Konsul gelegen zu haben"). Sachlich war dieses Vorgehen jedenfalls nicht berechtigt. Als infolgedessen im April des Jahres 1821 ein junger Deutscher nicht durch Bellermann beerdigt werden konnte, schreibt dieser ins Totenregister: „Es ver­ dient, bemerkt zu werden, daß ihn der englische Geistliche zum Grabe begleitete, nicht ich, — da seit kurzem der englische Konsul H. Jeffery uns Deutschen das hier bisher ununterbrochen genossene, niemals angetastete Recht, unsere deut­ schen Glaubensbrüder von dem deutschen Geistlichen begleiten zu lassen, streitig machen will und diese Sache zur Zeit noch nicht zur Entscheidung gediehen ist." Die Angelegenheit scheint zunächst zugunsten der Deutschen entschieden worden zu sein. Denn im Laufe desselben Jahres wurden wieder durch Beller­ mann auf dem englischen, wie früher als „unser Kirchhof" bezeichneten Be­ gräbnisplatz verschiedene Gemeindeglieder beerdigt, darunter der preußische Geschäftsträger und Kaufmann Christian Daniel Peters aus Lübeck, wobei „ein zahlreiches Gefolge von Ausländern und Portugiesen die Leiche dieses edlen, hochgeachteten Mannes bis an ihre Ruhestätte begleitete", ferner die Witwe des Barons von Wiederholdt. Um aber in Zukunft alle weiteren Streitigkeiten wegen des Friedhofs aus der Welt zu schaffen, faßte ein Gemeindeglied, der Lübecker Kaufmann Nicolaus Verend Schlick, den hochherzigen Entschluß, der Gemeinde einen eigenen Begräbnisplatz zu schenken, wovon folgende Urkunde ein rühmliches und zugleich rührendes Zeugnis gibt12): „Mit dem größten Bedauern hat Unterschriebener die Unannehmlichkeiten erfahren, welche eine hochlöbliche deutsche Gemeinde allhier wegen eines Begräbnisplatzes und der freyen Offizierung ihres verehrten Predigers bey Leichenbegängnissen gehabt. Beseelt von dem aufrichtigen Wunsche, alles von ihm Abhängende zum Besten seiner Mit­ bürger und Glaubensgenossen beyzutragen, wagt er die Hoffnung, daß die Anerbietung eines anständigen Begräbnisplatzes und die Benutzung desselben als deren alleiniges Eigenthum unter der Leitung des hanseatischen GeneralKonsuls nicht unwillkommen und als ein schwacher Beweis angesehen werde, wie sehr die Ruhe und Wohlfahrt derjenigen geschätzten Personen ihm am Herzen liegt, mit denen er die mehrsten und schönsten Tage seines Lebens zu­ gebracht hat und in deren Nähe auch seine irdischen Reste einst ruhen mögen. Nicolaus Verend Schlick." „Am 25. Januar 1822" — so berichtet Bellermann — „wurde der neu­ errichtete Kirchhof der deutschen Nation, auf dem Largo do Patrocinio gelegen, in Gegenwart einer achtbaren Versammlung, unter welcher sich der Königl. Preußische Chargö d'Affaires, Herr von Olfers, der Generalkonsul der Hanse­ städte, Herr Lindenberg, und der Generalkonsul der vereinigten Niederlande, Herr Pilner, befanden, feierlich eingeweiht. — Durch den edlen, nachahmungs-

Werthen Gemeinsinn des hiesigen Kaufmanns und Mitgliedes der deutschen protestantischen Gemeine, Herrn Nicol. B. Schlick, ward zu Ende des vorigen Jahres der Grund zu diesem der gesammten Deutschen Nation protestantischen Glaubens gewidmeten Kirchhofe angekauft, und zugleich wurden von demselben auch zur gänzlichen Einrichtung dieses Platzes die nötigen Mittel dargereicht. Die Deutsche Nation verdankt auf solche Weise diesem edlen Manne ein un­ bestreitbares Eigenthum und eine schön gelegene Stätte für chre abgeschiedenen Landsleute und Angehörigen. — Möge der würdige Sttfter sich seines durch viele schöne Werke der Liebe ausgeschmückten Lebens noch lange mit ungetrübter Heiterkeit erfreuen!" — Nach 9 Jahren wurde der edle Stifter selbst nach einem 83jährigen arbeits­ reichen Leben dort begraben, und ihm an seiner letzten Ruhestätte von Linden­ berg ein würdiges Denkmal gesetzt. Sein Bild, in Oel gemalt, ziert die Kapelle des bis heute im Besitz und Gebrauch der Gemeinde befindlichen Friedhofs"). Einer der ersten Deutschen, die auf dem neuen Friedhof begraben wurden, war Wilhelm Christtan Gotthilf von Feldner, ein schlesischer Pfarrerssohn, der es bis zum Oberstleutnant in kgl. portugiesischen Diensten und Direktor der Gold­ minen in Porto Brandao gebracht hatte. Neben einer großen Freundesschar „begleitete das 18. Infanterie-Regiment die Reste dieses rechtschaffenen und von allen, die ihn kannten, geliebten Mannes". Nach fast siebenjährigem Wirken in Lissabon riefen zu Ende des Jahres 1824 Bellermann seine heimatlichen Familienverhältnisse nach Deutschland zurück"). Noch ehe er aber die Gemeinde verließ, schlug er selbst ihr zu seinem Nachfolger Johann Friedrich Bachmann vor, den er durch Vermittlung seines Vaters in Berlin, dessen Schüler im Grauen Kloster jener gewesen war, dafür gewonnen hatte, so daß „mithin die seit einer langen Reihe von Jahren, zur Ehre des deutschen Namens, hier bestehende evangelische Kirchengemeinschaft, deren Fortgang jedem mit Liebe und Achtung für seine Religion beseelten Deutschen Wünschenswerth und in unserer hiesigen isolierten Lage doppelt nothwendig erscheinen muß, nicht als gestört oder aufgelöst angesehen zu werden braucht". Als Bachmann") der Ruf nach Lissabon traf, war er Lehrer am Schindlerschen Waisenhause zu Berlin. „Nicht ohne schweren Kampf")" nahm er diesen Ruf an und meldete sich auf Grund dessen zum ersten theologischen Examen, das er so gut bestand, daß ihm die zweite Prüfung erlassen wurde. Darauf wurde er am 19. Juni 1825 ordiniert und trat am 6. Juli die Reise über Hamburg nach Lissabon an. Hier hatte die Gemeinde erneut eine Subskription zur Aufbringung des Pfarrgehalts für die nächsten drei Jahre und der Reisekosten veranstaltet, woran sich diesmal folgende Mitglieder beteiligten: N. B. Schlick, W. Moller & Sohn, B. G. W. Klingelhöfer, Andreas Wegener, G. Schindler, Meuron, Fricke, F. Hanewinkel (katholisch!), Madame Siffien, F. Schloesser, G. Winteler, C. L. Ahrens, Heinrich Moser, Caspar Block, Johann Friedrich Lahmeyer, George Seidel, Madame Bohlmann, A. F. Lindenberg, G. D. Hintze, I. B. Haas, Carl Diederichs, Ludwig Herold, I. Ludewig Hinckeldey, Jean Daniel Frick, H. G. Scholtz, Barso d'Eschwege, Gust. Lindström, — wieder eine Anzahl neuer Namen. G. Lindström war der kgl. schwedisch-norwegische

Vizekonsul; Baräo d'Eschwege war der hannöversche Ingenieur Wilhelm Lud­ wig von Eschwege"), der als Grubeningenieur damals in Portugal tätig war und später den Titel eines „Generalleutnants und Oberberghauptmanns des Königreichs Portugal" erhielt. In den vierziger Jahren wurde er der Er­ bauer des berühmten portugiesischen Königsschlosses „Pena" in Cintra. Ins­ gesamt zählte die Gemeinde nur etwa 150 Seelen. Wenn Bachmann auch bei Lindenberg von Anfang an die „treueste und tatkräftigste Unterstützung" fand, so traf er in Lissabon doch in mancher Be­ ziehung schwierige Verhältnisse an. Nicht alle Deutschen hatten wirklich kirch­ lichen Sinn. Manche waren von dem Geist einer religionsfeindlichen Auf­ klärung erfüllt und dem Materialismus ergeben. Oft wird dem Pfarrer wohl auch Unverständnis und Ablehnung begegnet sein. Dem aber trat Bachmann mit dem Entschlüsse entgegen: „Das alles bestärkt mich desto mehr in meinem Vorsatze, recht fleißig meine Predigten auszuarbeiten und recht kräftig evan­ gelisches Christentum zu predigen. Mag ich mir dadurch Feinde zuziehen, soviel ich will. Der Herr wird mich gegen sie schützen. Mag er mir nur Kraft geben, recht viele Seelen zu gewinnen")!" Er selbst hatte sich nach schweren Zweifeln und Glaubenskämpfen in der Studienzeit, in der er von dem Hallenser ratio­ nalistischen Theologen Wegscheider zu Schleiermacher geführt worden war, zu einem stark konfessionell gerichteten lutherischen Christentum hindurchgerun­ gen"). Bei seinem Wirken in Lissabon trat ihm auch die ökumenische Aufgabe des deutschen Protestantismus in dem römisch-katholischen Lande deutlich vor Augen. Er erkannte die große Verantwortung der evangelischen Gemeinde innerhalb einer andersgläubigen Umwelt. Da die Protestanten hier ständig mit der katholischen Bevölkerung ihres Gastlandes zusammenkamen, die vielfach mit Interesse das religiöse Leben jener beobachtete und zum Teil selbst ge­ legentlich an ihren Gottesdiensten und kirchlichen Handlungen teilnahm, so „konnte es nicht fehlen" — schreibt Bachmann?") — „daß die Kenntnis des Ernstes und der Würde unserer Gottesdienste, die Einsicht, daß wir so vieles mit ihnen gemein haben, die engen Verbindungen, die durch Heiraten oder Dienstverhältnisse zwischen Katholiken und Protestanten stattfanden, dann auch insonderheit das Anschauen des Lebens der Protestanten, dem sie in gar mancher Rücksicht den Vorrang vor ihrem eigenen nicht ableugnen können, und so manches wahre Wort, das sie im täglichen Umgänge, oder bei einzelnen beson­ deren Gelegenheiten, über Religion und Christentum hörten: ich sage: es konnte nicht fehlen, daß dadurch und durch manches andere viele nicht nur zu ndp tigern Begriffen über die Nichtkatholiken gelangten, und diese doch unn auch wenigstens für Christen gelten ließen, sondern daß so manche selbst die Vorzüge des Christentums der Fremden oder Engländer (estrangeiros oder Jnglezes heißen gewöhnlich alle Ausländer) anerkennen, und so auf das Falsche in ihrem eigenen Bekenntnis hingewiesen werden mußten. — Und wahrlich groß, unzu­ berechnend groß würden die Folgen für diese ganze westliche Halbinsel Europas sein, wenn ein recht lebendiger, echt christlicher Geist der beiden hiesigen evan­ gelischen Gemeinden, die der Deutschen und der Engländer ergriffe und erfüllte, und sie so zum durchdringenden Salz und belebenden Sauerteige der starren Masse dieses Volkes machte. Nun, wir heben auch deshalb betende Hände zu 6

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dem Herrn der Kirche auf, und harren seines Rathes indessen in Glauben und Geduld". Leider sollte die Zeit des Wirkens in Lissabon für Bachmann allzu kurz bemessen sein. Er selbst hatte es sich anders gedacht, und auch die Gemeinde hatte alles dazu getan, um ihn in Lissabon zu halten. Er erhielt in dem ehe­ maligen hanseatischen Hospital, auf dessen Hof sich die Kapelle befand, eine eigene Wohnung, zunächst nur in dem oberen Stockwerk, nebst Küchenraum und Kellerzimmer für einen Bedienten. Im ersten Stock wohnte die Witwe des Barons von Rieben, der Hauptmann in portugiesischen Diensten und Kommandant von Jerominha gewesen war. Die Baronin verwaltete das Haus. Nach ihrem Tode im Jahre 1826 wurde das ganze Haus mit Ausnahme des Versammlungssaales dem Pfarrer zur Verfügung gestellt und blieb fortan bis zum Weltkrieg das Pfarrhaus der Gemeinde. Nach Ablauf der dreijährigen Kontraktzeit im Januar 1828 wurde der Kontrakt verlängert, das Gehalt von 600 Milreis auf 900 Milreis erhöht — da N. B. Schlick jährlich 300 Milreis mehr beizutragen versprach — und für die Rückreise die Summe von 120 Milreis zugesichert, ferner ausdrücklich das Wohnhaus und der Garten, mit Ausnahme des Versammlungssaales, ihm zur alleinigen Benutzung gänzlich überlassen. Da somit die Voraussetzungen zu einer Verehelichung Bachmanns gegeben waren, fuhr er am 4. Mai 1828 nach Berlin, um sich mit seiner Verlobten") zu verheiraten und dann mit ihr nach Portugal zu ziehen. Schon hatte die Trauung stattgefunden und waren die Möbel nach Hamburg vorausgesandt, als ein Umsturz in Portugal erfolgte und die völlig unsicheren politischen Verhältnisse des Landes die Rückreise Bach­ manns mit seiner jungen Frau verhinderten. Bachmann mußte sich zu seinem Bedauern von seinen Lissabonner Verpflichtungen entbinden lassen. Er wurde dann zweiter Prediger an der Luisenstadt-Kirche in Berlin, wo ihm noch ein langes gesegnetes Wirken beschieden sein sollte"). In Portugal waren tolle Zustände! Die andauernden Kämpfe zwischen Konstitutionellen und Absolutisten hatten damit geendet, daß Don Miguel, der Stiefbruder des rechtmäßigen Thronerben, Don Pedros, des Kaisers von Brasilien, die bestehende Verfassung umstürzte und sich am 30. Juni 1828 von den einberufenen Cortes zum König ausrufen ließ. „Eine Periode der rohesten Gewaltherrschaft setzte nun ein, die auch der römischen Kirche, dem Klerus, den Jesuiten und geistlichen Orden wieder zu unumschränkter Macht verhalf. Zu Tausenden wurden die Liberalen unter der Schreckensherrschaft Miguels in die Kerker geworfen, während man ihre Führer, soweit man ihrer habhaft werden konnte, hinrichten ließ")." Infolge dieser traurigen Verhältnisse erlitt auch die Gemeinde schwere Einbuße an Vermögen und Bestand ihrer Mitglieder. Viele siedelten nach Brasilien über, das sich 1825 von Portugal unabhängig erklärt hatte. Unter den Zurückgebliebenen starben gerade in dieser Zeit eine Reihe der bedeutendsten Mitglieder der Gemeinde, wie G. P. Moller, Romley Jllius, N. B. Schlick, der preußische Generalkonsul und Schweizer Konsul de Meuron. Sie wurden von den englischen Geistlichen I. H. Siely und Christopher Nevile begraben, die nach Bachmanns Heimkehr die Amtshandlungen übernahmen. Der schwerste

Verlust aber war der Tod Wolf Friedrich Lindenbergs, der am 14. September 1830 im Alter von 62 Jahren starb. Mit ihm verlor die Gemeinde ihre stärkste Stütze und ihren anerkannten Führer. Er war die Seele des Ganzen gewesen. Bolle zwölf Jahre, bis zu seinem Tode, hatte er die unbeschränkte Leitung der Gemeindegeschäfte in Händen gehabt. Oft hatte er die Geschicke der deutschen Kolonie in Lissabon entscheidend bestimmt. Von seiner ungeheuren Arbeits­ kraft, die er neben den Verpflichtungen seines eigenen Geschäfts in den Dienst der Allgemeinheit stellte, zeugt die Zahl seiner Aemter, indem er in seiner Person die Leitung der evangelischen Gemeinde und der Bartholomäusbrüderschaft, die Verwaltung des Friedhofs und des hanseatischen Generalkonsulats vereinte. Die letzte Eintragung im Totenregister, einen Monat vor seinem eigenen Tode, stammt noch aus seiner Hand. Unmittelbar unter seiner mit fester Hand gezeichneten energischen Unterschrift folgt sein eigener Totenschein! Es entspricht seinem rastlosen, schaffensfreudigen Wesen, wenn er, in seinem Wagen sitzend, durch einen Schlagfluß plötzlich mitten aus der Arbeit heraus­ gerissen wurde. Auch für die Zukunft der Gemeinde hatte er noch kurz vor seinem Heimgang gesorgt, indem er Pfarrer Bachmann in Berlin beauftragte, wieder einen Seelsorger für Lissabon zu berufen und in seinem Namen einen Kontrakt mit ihm abzuschließen. Bachmann gewann durch Vermittlung seines Gönners, des Hofpredigers Strauß, einen von dessen Schülern, den Berliner Dr. phil. Karl Friedrich Schütze") zu seinem Nachfolger in Lissabon und schloß mit ihm zu Berlin am 2. Juni 1830 auf drei Jahre einen Kontrakt ab. Lassen wir ihn von seiner Reise, seiner Ankunft und den ersten Eindrücken sowie den Verhältnissen in Lissabon selbst erzählen"): „Am 25. August 1830 reiste ich nach Neustrelitz ab, und nachdem ich Tags darauf vor dem Großherzoglichen Konsistorium ein 6stündiges Examen zur Zufriedenheit bestanden hatte, auch die pflichtmäßigen Besuche bei den respectiven Ministern nicht versäumte, ward ich am 29. August in der Schloßkirche zu Neustrelitz, nachdem ich vorher in der vollgedrängten Kirche gepredigt hatte, in Gegenwart des Großherzogs und seines ganzen Hofes auf eine sehr feierliche Weise von dem Superintendenten des Landes, dem Hof­ prediger und Oberkonsistorialrat Dr. Glader, unter Mithilfe der beiden Konsistorialräte Visbeck und Becker ordiniert. 40 Tage später predigte ich zum letztenmal in Berlin in einer großen Kirche, die die Zuhörerzahl kaum zu fassen vermochte; denn da ich in dem Berliner Kirchenanzeiger schon als Prediger von Lissabon aufgeführt wurde, so mochte vielleicht die Neugierde manchen zu jener Kirche geführt haben. Meine Angelegenheiten in Berlin waren bald geordnet, und so begab ich mich denn in Gottes Namen in der zweiten Hälfte September auf die Reise. In Hamburg wurde mir die Reise über Brüssel wegen der da­ maligen Unruhen sehr widerraten, und so ging ich denn statt über Paris mit dem englischen Dampfschiffe nach London. Die Fahrt dauerte etwa 60 Stunden und kostete 40 Thaler. In London blieb ich 8 Tage, die hinreichten, um die Merkwürdigkeiten jener ungeheuren Nebelstadt kennen zu lernen. Dann reiste ich nach Falmouth, von wo wöchentlich eine Kgl. Fregatte nach Lissabon abgeht. Es traf sich gerade so, daß ich noch etwa 5 Tage bis zur Abfahrt der nächsten Fregatte zu warten hatte; diese Zeit benutzte ich zu einem kleinen Abstecher

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nach Dublin in Irland. Gern hätte ich mich in England länger verweilt, wenn die Zeit und die Rücksicht auf den über alle Maßen teuren Aufenthalt in Eng­ land mich nicht zur Elle veranlaßt hätten.... Nach 14tägigem Aufenchalt in England schiffte ich mich nun von Falmouth nach Lissabon ein, und befand mich nach einer 6tägigen z. T. sturmvollen indeß doch glücklichen Seereise gegen Ende Oktober am Ziele meiner Reise. Diese Ueberfahrt kostete jeden Passagier eingerechnet die Beköstigung und diverse Trinkgelder die enorme Summe von 120 Thaler. Merkwürdig berühren den Ankommenden die Sitten, Gewohn­ heiten und Gebräuche des Volkes, die z. T. so lächerlich, sonderbar und veraltet sind, daß wir Nordländer längere Zeit bedürfen, um uns daran zu gewöhnen." Dann kommt er auf seine persönlichen Verhältnisse zu sprechen, die — so fährt er fort — „im Ganzen angenehm, in Bezug auf die äußere Stellung und Lage der Gemeinde indeß in dieser unglücklichen Zeit sehr mißlich zu nennen sind. Fürs Erste ist diese fast nur aus Kaufleuten bestehende Gemeinde von 100 z. T. ausgezeichnet reichen Familien allmählig bis auf 20 Familien herab­ gesunken, aus denen die Gemeinde gegenwärttg besteht. Dieses Abnehmen hat im Handel zumeist seinen Grund, der vor Jahren, als Brasilien noch zu Portugal gehörte, und alle brasilianischen Produkte von hier, als dem Stapel­ platze, geholt werden mußten, außerordentlich blühend war und viele Fremde zur häuslichen Niederlassung besttmmte. Seit 25 Jahren aber, seitdem Bra­ silien unabhängig von Portugal gemacht, und der Handel frei gegeben wurde, hat sich der Handel mit vielen deutschen Familien zugleich von hier nach Amerika hinübergesiedelt; in diesen letzten 4 Jahren, seit welchen der Unmensch D. Miguel seine Tyrannei übt, sind viele deutsche Familien, um ihr Leben und Eigentum zu retten, nach England oder Deutschland zurückgekehrt, z. T. mit der Absicht freilich, nach hier zurückzugehen, sobald sich die Verhältnisse würden geändert haben. — Dann hatten die Gemeinde noch überdies Verluste betroffen, die sich sehr fühlbar gemacht haben. Nämlich wenige Wochen vor meiner An­ kunft hieselbst waren kurz nach einander gerade die bedeutendsten Mitglieder und Vorsteher derselben gestorben, die allein im Stande waren, das Bestehen der Gemeinde innerlich und äußerlich zu sichern; unter diesen Gestorbenen befanden sich sonderbarer Weise faste alle Konsuln, namentlich der hanseatische Generalkonsul und würdige Vorsteher der Gemeinde, Lindenberg." Hinsichtlich seiner Amtsgeschäfte — zu denen er besonders bemerkt: „Taufschmäuse, Hochzeitsschmäuse u. bergt kennt man hier nicht" — berichtet er: „Meine Pastoral-Wirksamkeit beschränkt sich fast nur auf die sonntägige Predigt. Indeß bin ich durch den Unterricht der Jugend fast über die Kräfte in Anspruch genommen, und da ich mich genötigt sehe, den Kindern der Deutschen (die wohl portugiesisch, englisch und französisch, nicht aber deutsch sprechen) vor Allem erst deutsche Sprache zu lehren, so ward das Unterrichten für mich um so schwieriger, da ich nun selber, um unterrichten zu können, erst portugiesisch lernen mußte. Die meisten deutschen Familien nämlich sind schon in Portugal geboren und reden daher auch als Muttersprache mehr portugiesisch als deutsch, das sie erst mühsam durch Privat-Unterricht erlernen mußten. Denn eine deutsche Schule hat und kann es hier wegen des stundenweiten Auseinanderwohnens der Fa­ milien nicht geben. Jeder sucht seine Kinder daher durch Privatunterricht

unterweisen zu lassen so gut es gehen will. An einer Erziehungsanstalt, wo die Knaben völlige Aufnahme finden, hat es immer gefehlt, und wie sehr man mich zur Errichtung einer solchen Anstalt auch schon aufgefordert hat, so sehe ich mich dazu doch außer Stand, weil die Mitlehrer fehlen und eine große häusliche Einrichtung notwendig ist, wozu alles fehlt." Ueber seine eigenen häuslichen Verhältnisse teilt er mit: „Mein Haus­ personal besteht aus einem Bedienten und einer alten Haushälterin, die das Essen bereitet. Ich muß notwendig 2 Menschen halten, so teuer mir das auch zu stehen kommt, einmal um immer jemanden im Hause zu habeit und so vor Einbruch und Diebstahl am Tage gesichert zu sein: denn die 20 000 Diebe, die sich hier umhertreiben, räumen am Hellen Tage ganze Häuser aus, und ich bewahre sämtliches silberne Kirchengerät bei mir, wohne überdies mitten unter sehr verdächtigem portugiesischen Volke zwischen zwei ordinären Weinschenken, wo sich mancher Gauner einfindet und mir über die Mauern gukt.... Dann muß ich fürs andere meiner persönlichen Sicherheit wegen, wenn ich etwa Nachmittags oder Abends auszugehen habe, immer Begleitung bei mir haben." Endlich einige Bemerkungen über die allgemeinen Lebensverhältnisse in Lissabon: „Hier ist alles ohne Ausnahme, selbst die geringsten Lebensbedürf­ nisse ... so unbeschreiblich teuer ... Leinwand teurer als in Deutschland die Seide... weshalb auch Niemand Hemden aus Leinwand, sondern aus Baum­ wolle trägt... Betten hat man in Portugal der Hitze wegen nicht, nur Ma­ tratzen. .. Mit einem Gehalt von entsprechend 700 Preuß. Kour. reiche ich nicht weiter, als wenn ich in Greifswald etwa 300 hätte... Um nun meine Einnahme erhöhen zu können und dadurch zugleich meine Lage zu verbessern, hatte ich tagtäglich in mehreren Häusern 6—8 Stunden Unterricht gegeben... sodaß meine Einnahme im 1. Jahre auf 1000 Thaler zu rechnen ist und noch mehr hätte betragen müssen, wenn auch die zu meiner Gemeinde gehörenden deutschen Familien mir meinen Unterricht bezahlt hätten, den ich zumeist ihren Kindern gegeben, und wozu ich keineswegs verpflichtet bin. Wer diese scheinen dies anzusehen, als wenn es mit zu meinem Amt gehöre, denn keiner derselben hat mir bis jetzt weder ein Geschenk noch ein Honorar in Geld zukommen lassen; die Sache ist zu delikat, fordern kann man nicht*')." Nach seinem Kontrakt mit der Gemeinde war Schütze nur dazu verpflichtet, den Kindern Religionsunterricht als Vorbereitung auf die Konfirmation zu erteilen, nicht jedoch allgemeinen Schulunterricht. Mein, da die Kinder über­ haupt erst deutsch lernen mußten, um dem Religionsunterricht folgen zu können, so wuchs sich der Unterricht des Pfarrers schließlich zu einem regel­ rechten Schulunterricht aus. So hatte Schütze von Anfang an mit wachsenden Schwierigkeiten zu kämpfen. Dabei starben immer mehr der alten Mitglieder der Gemeinde dahin. Infolge des Generationswechsels innerhalb der deutschen Volksgruppe vollzog sich eine vollständige Umwandlung in der Zusammen­ setzung der Gemeinde. Nur einige wenige aus der alten Generation waren noch vorhanden, wie Joh. Heinrich Moller, B. G. Klingelhöfer, Hasenclever. Unter den anhaltenden politischen Wirren im Lande wurde ferner die wirtschaft­ liche Lage immer ungünstiger, worunter auch Schütze sehr zu leiden hatte. Sein Einkommen verminderte sich von Jahr zu Jahr. Er war auf die Gaben

einzelner noch wohlhabender Gemeindeglieder angewiesen, was ihn in ein „unangenehmes und die Würde seines Amtes beeinträchtigendes Abhängigkeitsverhältnis zu jenen" brachte").

Infolge der erwähnten Abwanderung vieler nach Amerika oder Deutsch­ land war die Gemeinde schließlich so zusammengeschmolzen, daß nur noch 6 Familien zum Unterhalt des Pfarrers beitragen konnten. „Alle die Armen aus früheren Zeiten, die nichts zu verlieren oder zu gewinnen hatten, sind in Lissabon geblieben und leben z. T. ein trauriges, im tiefsten Elende vergehendes Dasein; viele dieser Unglücklichen fristen ihr Leben einzig durch die Wohltätig­ keit ihrer Landsleute. Sonst würden sie umkommen, da der Erwerb gering, die Armut aber in diesem Lande grenzenlos und jeden Glauben übersteigend ist." Manche von den armen deutschen Protestanten fielen der römischen Prose­ lytenmacherei zum Opfer, da ihnen wirtschaftliche Vorteile und Geschenke ge­ boten wurden. Sechs von Wien entsandte deutsche Jesuiten betätigten sich hierin mit Erfolg. Allein Schütze verlor den Mut nicht und bemühte sich trotz aller nieder­ drückenden Verhältnisse mit Eifer um eine Hebung des Gemeindelebens. Die Gottesdienste suchte er durch Einführung liturgischer Neuerungen zu bereichern. Offenbar waren sie bisher — ob immer, ist nicht festzustellen — in einfachster Weise gestaltet und bestanden nur in Schriftverlesung, Gebet und Predigt. Einen Gemeindegesang gab es nicht, weil — wie Schütze berichtet — den Protestanten früher das Singen verboten gewesen sei. Statt dessen pflegte der Prediger die Kirchenlieder der Gemeinde vorzulesen. Schütze führte nun die von Friedrich Wilhelm III. geschaffene preußische Agende, neben dem Berliner Gesangbuchs), ein und bildete 1834 mit vieler Mühe einen kleinen Kirchenchor, um die Gemeinde mit den Melodien der Kirchenlieder bekannt zu machen. Orgel oder Harmonium waren nicht vorhanden. Die politische Lage in Portugal änderte sich mit dem Jahre 1834. Don Miguels Stiefbruder, Don Pedro, hatte der Kaiserkrone Brasiliens entsagt und war in das Land zurückgekehrt, um dem Treiben des Usurpators ein Ende zu machen. Nach einer vernichtenden Niederlage bei Thomar am 15. Mai 1834 wurde Miguel gezwungen, der Krone Portugals für immer zu entsagen. Damit begann eine ruhigere Zeit. Don Pedro führte die revidierte, konstitutionelle Verfassung von 1826 — die den ausländischen Protestanten in beschränktem Maße Religionsfreiheit gebracht hatte — wieder ein und bemühte sich das unter den jahrzehntelangen inneren Wirren und Kriegen schwer mißhandelte und tief heruntergekommene Land aus dem Elend wieder zu erheben.

Er starb jedoch noch in demselben Jahre, und wieder folgten endlose Ver­ fassungskämpfe. Thronfolgerin wurde Maria II. da Gloria, die 1835 den Prinzen von Leuchtenburg und nach dessen kurz darauf erfolgtem Tode 1836 den Prinzen Ferdinand von Sachsen-Coburg-Gotha heiratete. In dessen Ge­ folge befanden sich manche Deutsche, vor allem der kgl. Leibarzt Dr. Friedrich Keßler (aus Calbe a. d. Saale), der uns noch des öfteren in der Entwicklung der Gemeinde begegnen wird. Im Kampf gegen Don Miguel auf feiten Don Pedros hatten auch wiederum verschiedene deutsche Offiziere gefochten, die

dann z. T. in Lissabon geblieben waren, unter ihnen der Major Ernst von Weyhe, der auch noch eine Rolle in der Gemeindegeschichte spielen sollte. Er heiratete 1836 Julie Moller, deren Mutter Dorothea die Tochter des ehemaligen Pastors Müller war. Sie führte in ihrem Landhaus zu Bemfica bei Lissabon einen berümten „Salon", der den Mittelpunkt des damaligen gesellschaftlichen Lebens der Kolonie bildete. Bon Weyhes Tochter Julie wurde später die Stammutter des für die Gemeindegeschichte bedeutsamen Daehnhardtschen Geschlechts. Ein anschauliches Bild aus der damaligen deutschen Kolonie und dem gesellschaftlichen Leben in Lissabon zeichnet uns ein Reisebericht des Barons Gustav von Heeringen-'), der im Frühjahr 1836 Lissabon besuchte. In ihm heißt es: „Der Oberst von E(schwege) war keineswegs der einzige Deutsche, den ich in Lissabon antraf, es gab deren in der That noch viele — denn wo wären nicht Deutsche! und unter ihnen sehr würdige und angenehme Männer, deren Bekanntschaft mir stets eine werthvolle und freudige Erinnerung bleiben wird. Im Auslande finden sich Landsleute schneller zusammen. Sie haben in der Regel einen Versammlungsort, wo sie sich täglich zu treffen pflegen, wenigstens war dies hier der Fall; denn auf dem Romulares-Platz in der Hospedaria No. 3 war ein Billardsaal, den nur Fremde besuchten, und neben diesem zwei kleine Zimmer, wo ich jeden Abend mitten unter Deutschen sein konnte, wenn es mir gefiel. Die Aufnahme, die sie mir in ihrem Kreise gewährten, war eine ausgezeichnete, was ich vielleicht meiner Beziehung zu dem Hofe zu verdanken hatte. Es waren lauter hübsche, angenehme junge Männer, Offiziere, die unter den Fahnen Don Pedros gedient hatten und nun wegen Pensionen und anderer versprochenen Vortheile mit der Regierung in Verhandlung standen; junge Kaufleute von den Comptoiren der nordischen Handelshäuser, ein schweizer Arzt und Andere. Eines protestantischen Geistlichen, der von zwei der ersten dieser Handelshäuser besoldet und zugleich Vorstand eines hanseatischen Matrosenhospitals ist, muß ich noch erwähnen, der heißt Schütze und ist ge­ borener Preuße. Ihn suchte ich einige Male in seiner Wohnung in Alcantara, nahe bei Necessidades, auf, und hatte das Vergnügen, einen vielfach gebildeten, freundlich gesinnten Mann an ihm kennen zu lernen. Er war schon seit 7 Jahren in Portugal und sprach mit jener Umsicht über die Verhältnisse des Landes, welche den überschauenden Beobachter verrieth. Durch ihn machte ich die Bekanntschaft des Majors von W(eyhe), eines geborenen Hannoveraners, der soeben in Begriff stand, die auf dem Feld des Krieges errungenen Lorbeeren mit den Rosen der Liebe zu umflechten und sich mit der Tochter einer sehr reichen Kaufmannswitwe zu vermählen, bereit verstorbener Gatte ebenfalls Deutscher und Hannoveraner gewesen war (Georg Peter Moller). Er wohnte bereits in der Quinta dieser Dame in Bemfica, wo auch der Pastor zuweilen ganze Tage zubrachte.... Eines Tages fand ich auf meinem Schreibtisch auf einem Streifen Papier Folgendes von einer fremden Hand: .Ich war hier, ohne Sie zu treffen. Es würde mir ein Vergnügen machen, Sie zu Bemfica in dem Landhaus meiner künftigen Schwiegermutter, der Quinta Moller, zu empfan­ gen. Pastor Schütze ist jetzt auch bei uns, Major von W(eyhe).' Diese Ein­ ladung teilte ich meinem Freunde, dem guten Doktor (Keßler) in Necessidades

(kgl. Palais) mit, und da derselbe bereits mit jener Dame in ärztlichem Rap­ port stand, so beschlossen wir, in den nächsten Tagen eine gemeinschaftliche Partie nach Bemfica zu machen. Dieser Entschluß kam zur Ausführung; in einer königlichen Seja fuhren wir dahin. Bemfica ist etwa 2 Stunden von der Hauptstadt entfernt und liegt auf der Straße nach Cintra, ganz nahe beim Thal von Alcantara. Es ist ein ansehnlicher Ort, nur aus großen Gärten und Landhäusern bestehend.... Da ich ungern öffentlich über Familienkreise rede, die mich gütig in ihrer Mitte aufnahmen, so werde ich über den sehr liebens­ würdigen, den wir hier trafen, schnell hinwegeilen. Doch kann ich nicht Unter­ lasten, anzuführen, daß von den Damen, welche deutsch redeten, nicht Eine je­ mals in Deutschland gewesen war. Natürlich hatte ihre Aussprache daher alles Andere als echt deutschen Accent, und portugiesische Worte stahlen sich wol mitunter hinein. Es ist etwas Eigenes um die Sprache eines Landes; man athmet sie mit der Luft ein, und lebt man irgend eine Zeit in einem und demselben, so wird man sie allmälig annehmen, sie sei, wie sie sei. In dem Familienkreise befanden sich ein paar alte Damen, die schon manchen politischen Wechsel in Portugal erlebt hatten. Sie waren die Ersten, mit denen ich mich ausführlicher über das Erdbeben vom Jahre 1755 unterhielt, dessen Vorgänge und Einzelheiten sie aus sehr genauen Relationen zu kennen schienen!... Es war schon 9 Uhr Abends, als mein Doktor und ich uns von den freundlichen Bewohnern der Quinta Moller verabschiedeten, unsere Seja wieder bestiegen und Bemfica verließen. Wir hatten uns, ohne es zu wollen, und gegen unsere Absicht so verspätet; man lud uns ein, die Nacht über zu bleiben, um das Ge­ fährliche der späten Rückfahrt zu vermeiden. Mer der Leibarzt konnte nicht wol eine Nacht außerhalb der Residenz zubringen, und da er noch heute zurückkehren mußte, so begleitete ich ihn natürlich. Es war vollkommen dunkel und die Fahrt in der That schauerlich und unangenehm. Mit unsern gezogenen Stockdegen saßen wir nebeneinander in dem engen Wagen, gespannten Ohres auf jedes Geräusch lauschend, und vergebens bemüht, die dunkeln Umrisse der Gestalten, die sich uns näherten oder uns begegneten, genauer zu unterscheiden. Von unserm portugiesischen Bolhero hörten wir nichts als zuweilen das mit ge­ dämpfter Stimme ausgesprochene: ,Guardate (Aufgepaßt)!' Dazu waren wir noch über das bei einem Anfall zu beobachtende Verfahren nicht einig und unschlüssig. Vertheidigung bei der herrschenden Dunkelheit war höchst unsicher und konnte nur allzuleicht Ermordung zur Folge haben; sich nicht zu verthei­ digen, war indessen ebenso schlimm. .Nun steh', flüsterte mir der Doktor zu (wir dutzten uns), .nun sieh! welch ein verdammtes Land; — um einer Tasse Thee willen setzt man sein Leben aus! Und hier soll ich Jahre lang sein!' — .Mein Doktor', entgegnete ich, .der Teufel soll es holen, dieses Land; aber morgen, wenn ich die Sonne wieder scheinen sehe, liebe ich es dennoch wieder.' Wir erreichten glücklich die Porta — den Chafariz von Andalusien —, die Höhen von Alcantara, und ich sah sie wieder scheinen, diese liebe Sonne, und war mit dem Lande versöhnt." — Da die Zahl der Gemeindeglieder sich in den letzten beiden Friedensjahren wieder um 20 Personen vermehrt hatte und auf eine Besserung der Verhältnisse zu hoffen war, gedachte Schütze zur Sicherung des dauernden Fortbestandes

der Gemeinde einen Kirchenfonds zu schaffen, der eine feste wirtschaftliche Grundlage für sie bilden sollte. Er hoffte damit die finanzielle Abhängigkeit des Pfarrers von einigen wenigen wohlhabenderen Gemeindegliedern zu beseitigen. Dadurch sollte auch eine längere Amtszeit der Prediger gewährleistet werden, während jetzt immer nur für 3 Jahre die Besoldung des Geistlichen durch jedesmalige Subskription gesichert wurde. Einen häufigen Wechsel der Pfarrer empfand er als einen besonderen Uebelstand. Denn der Geistliche brauche Jahre, um sich die Kenntnis des Portugiesischen soweit anzueignen, daß er imstande sei, der portugiesisch-deutschen Jugend die Kenntnisse des Deut­ schen beizubringen sowie deutsche Sprache und Gesinnung in die durch Sprache und Sitten halbportugiesisch gewordenen Landsleute zu bringen. Um solch einen Fonds zustande zu bringen, wandte sich Schütze am 15. Februar 1836 mit einem Gesuch um Bewilligung eines Gnadengeschenkes gleichzeitig an die Könige von Preußen und Dänemark. Für den Fall, daß die beiden Majestäten die Bitte erfüllten, hatte auch der damalige Kirchenvorsteher G. W. Klingelhöfer ein Vermächtnis für den Gemeindefonds in seinem Testament zugesagt. „Wäre ich im Stande, in wenigen aber beredten Zügen ein Bild der Verlassenheit und der Not dieser Gemeinde aufzustellen, es würde gewiß Ihr Königliches Herz rühren" heißt es in der Bittschrift, und sie beruft sich darauf, daß „der Ruf weithin gedrungen sei, daß S. M. sich stets aller armen bedrängten evangelischen Christengemeinden in der Fremde angenommen haben'")." Das Ministerium in Berlin befragt daraufhin zunächst einmal die letzten Lissabonner Pfarrer Bellermann und Bachmann in Berlin um ihre Ansicht, die jedoch in manchen Punkten von den Gemeindeverhältnissen eine andere Auf­ fassung haben, z. B. betreffs einer von Schütze als notwendig bezeichneten Er­ weiterung des Friedhofs. Sodann läßt man auf diplomatischem Wege durch den preußischen Vizekonsul in Lissabon, Poppe, Erkundigungen einziehen. Dieser kann die Angaben Schützes nur bestätigen, ebenso wie auch der die Kirchenkasse verwaltende derzeitige Vorsteher, der hannöversche Generalkonsul Scholtz. Trotz­ dem lehnte Friedrich Wilhelm III. das Gesuch ab, „da die Hilfsbedürftigkeit stärkere Mittel erforderte, als er bei den Ansprüchen der einheimischen Gemein­ den an die Staatskasse dem Auslande gewähren könne""). Mehr Erfolg hatte das Gesuch an den dänischen König. „Eingedenk der früheren Beziehungen zur Gemeinde" stiftete König Friedrich VI. ein Gnadengeschenk"), das die Ge­ meinde wenigstens fürs erste über die schlimmste Notlage hinwegbrachte. Im nächsten Jahre, am 25. Februar 1837, bat die Gemeinde den preußi­ schen König erneut um ein kleines Gnadengeschenk, damit wenigstens die Kapelle eingerichtet und erhalten werden könne. Denn sie befand sich mittler­ weile in einem stark baufälligen Zustand. Das Holzwerk des Fußbodens war gänzlich verfault. Das Dach übte infolge schlechter Bauart und zunehmender Fäulnis einen solchen Druck auf die Vorder- und Hintermauer aus, daß diese bedeutend nach außen getrieben waren und einzustürzen drohten. Auch das Pfarrhaus war einer Ausbesserung dringend bedürftig, und die Gebäude auf dem Friedhof befanden sich „in einer die Gemeinde entehrenden Ver­ fassung""). Das Gesuch der Gemeinde blieb ohne jede Antwort. Nach zwei Jahren stellte es sich heraus, daß der Generalkonsul Pilaer das Gesuch gar nicht

weiterbefördert hatte, angeblich, weil er keinen versiegelten Brief befördern dürfe, in Wahrheit jedoch, weil er katholisch war und sich auch schon früher aufs unfreundlichste gegen das Gesuch ausgesprochen hatte").

Ms die Gemeinde so in eine immer bedrängtere Lage geriet, machte sich ihr Pfarrer im Herbst 1837 selber auf den Weg nach Berlin, um persönlich beim König vorstellig zu werden. Es wurde ihm wirklich eine Audienz gewährt, und es gelang ihm durch seine lebhaften Schilderungen der bedrängten Lage der Liffabonner Gemeinde, den König zu einem Geschenk von 1000 Thalern zu be­ wegen"). Dadurch war die Gemeinde vor dem Zusammenbruch gerettet. Im Januar — am 2. Januar war der Erlaß des Königs zur Bewilligung des Geschenks herausgekommen — begab Schütze sich von Berlin wieder auf die Rückreise nach Lissabon. Ueber Emmerich — wo er den Eltern seines Lissabonner Nachbarn und Freundes, des kgl. Leibarztes Dr. Keßler, Grüße über­ brachte —, Brüssel — hier predigte er auf Bitten des dortigen protestantischen Hofpredigers Dr. Bent —, Gent, Brügge, Ostende, Dover führte ihn die Reise zunächst nach London. Hier predigte er in der deutschen Kirche. Durch den deutschen Pfarrer Dr. Steinkopf wurde er dem Vorstand der Bibel- und Trak­ tat-Gesellschaft vorgestellt und von beiden Gesellschaften zu ihrem Hauptagenten und Korrespondenten für Portugal gewählt. Somit wurde der Pfarrer der deutschen evangelischen Gemeinde in Lissabon der erste Vertreter der britischen und ausländischen Bibelgesellschaft in Portugal. Damit beginnt das Wirken der deutschen Pfarrer für die langsam in Portugal aufkommende protestantische Bewegung. Wir werden später noch davon hören. Schütze berichtete an seinen Bruder hierüber"): „Ich hoffe durch die Verbreitung der Bibel und religiöser Schriften in allen hier gangbaren Sprachen recht viel Segne zu wirken. Bon Seiten der Bibelgesellschaft wird jetzt eine portugiesische Bibel in neuer Uebersetzung besorgt, woran auch ich tätigen Anteil nehmen werde."

Von Falmouth ging die Reise dann zu Schiff weiter über Vigo nach Lissa­ bon, wo der mit Segeln unterstützte Dampfer nach der für damalige Verhält­ nisse außerordentlich kurzen Zeit von 48 Stunden am 29. März im Tejo ein­ lief. Bezeichnend für die damaligen Zustände in Portugal ist Schützes Ankunft in der Stadt. „Am nächsten Morgen" — so erzählt er — „ward ich mit an­ deren Reisenden ins Zollhaus geführt, und nachdem die Sachen untersucht, fuhr ich mit einem Boot den Fluß hinab meiner Wohnung zu. Für diese Strecke pflegt man hier gewöhnlich nach preußischem Gelde 6 Groschen zu bezahlen. Ich gab diesen Bootsknechten das Doppelte; diese unverschämten Menschen, in mir einen Fremden erkennend, glaubten mehr fordern zu dürfen, und ver­ langten nicht weniger denn 2 Thaler 12 Groschen. Ich weigerte mich natürlich das zu bezahlen und so fielen denn diese Taugenichtse, zu denen sich ein dritter Bösewicht hinzugesellt hatte, mit gezogenen Messern über mich her. Während nun mein Dummkopf von Bedienter feig davongelaufen war, um die nächste Wache zu rufen, kämpfte ich allein gegen dreifache Uebermacht, mit meinem tüchtigen Reisestock immer feste dreinschlagend. Denn es galt hier einen ernsten Kampf. Da ich den Rücken frei hatte, so gelang es mir allmählich die Treppe zu gewinnen, die in die Gasse vom Strande hinaufführte. Die Stiche, die ich

bekam, wurden vom Mantel glücklich genug aufgefangen. Endlich erreichte ich einen Platz, wo die Bootsleute meiner Nachbarschaft sich aufzuhalten pflegen. Da alle mich kannten — denn ich war mit allen zum Oeftern in die Stadt ge­ fahren — und sie meine Not sahen, zogen sie ebenfalls stracks ihre Messer und stürzten sich auf meine Verfolger, die dann schnell gezwungen waren ihren Rückzug anzutreten. Auch die Wache war inzwischen angekommen. Dies war nun mein erster Eintritt wieder in Portugal." Während seiner fast achtmonatlichen Abwesenheit war auch nicht eines der Gemeindeglieder gestorben. Dagegen waren 8 Kinder geboren. Nach seiner Rückkehr kam Schütze auch gleich wieder in politische Unruhen hinein. Er schreibt darüber: „Das hiesige politische wilde Treiben scheint in der letzten Revolution vom 13. März, in der 100 Menschen ihren Tod fanden und 200 verwundet wurden, seinen Wendepunkt gefunden zu haben. Die kämpfenden Parteien ver­ söhnen sich allmählich. Am 19. Geburtstage der Königin, den 4. April, wurde die neue Constitution von 1837 unter großen Feierlichkeiten von dem Könige und der Königin im Saale der Cortes beschworen. Die Stadt war 3 Abende hindurch illuminiert; zugleich wurde eine allgemeine Amnestie für alle poli­ tischen Flüchtlinge oder Gefangenen erlassen. Solche allgemeinen Amnestien werden hier leider auch auf sämtliche Verbrecher und Mörder ausgedehnt. Am 4. April öffnete man alle Gefängnisse. Eine natürliche Folge davon sind die Mordtaten und Räubereien, die täglich am Hellen Tage in den Straßen Lissa­ bons vorfallen. Man kann nicht ohne große Gefahr ausgehen." Das Erlebnis der Heimat nach so langen Jahren in der Fremde und die immer gleich schwierigen Verhältnisse in Lissabon erfüllten ihn mit Sehnsucht nach seinem Vaterlande und dem Verlangen nach endgültiger Heimkehr. Wie so manche seiner Vorgänger und Nachfolger im Lissabonner Amte befiel ihn eine gewisse Müdigkeit. Auch litt er stark unter der Einsamkeit auf seinem schweren und abgeschlossenen Posten. Zwei Jahre nach seiner Rückkehr aus Deutsch­ land schreibt er an seinen Onkel''): „Mein hiesiges Leben ist dasselbe geblieben; es ist unter den gewöhnlichen Beschäftigungen dahingegangen. Nur ist, seit ich Deutschland wieder gesehen habe mit seinem frischen geistigen Leben, mit seinen freundlichen, gemütlichen Menschen, unter denen man sich überall heimisch fühlt, nur ist seitdem der Wunsch, in die Heimat zurückzukehren, in mir noch ernster und unerschütterlicher geworden ... Zu den mancherlei äußeren Gründen, die in der Unsicherheit meiner hiesigen Stellung, in der weiten Ent­ fernung vom Vaterland, Verwandten und Freunden, in der ewigen Unruhe dieses von beständigen Revolutionen erschütterten Landes liegen, gesellten sich noch gewichtigere innere Gründe, die, abgesehen von allem Aeußeren, wichtig und dringend genug sind, um jenen Wunsch vernünftig, ja notwendig erscheinen zu lassen. ... wie geistig einsam und verlassen ich mich oft in meiner hiesigen Stellung fühlen mußte. Ihnen wird es klar genug sein, wie es für den Geist­ lichen besonders ein unentbehrliches Lebenselement ist, mit Amtsgenossen und Gleichgesinnten befreundeten Umgang zu haben, um durch Nehmen und Geben sich gegenseitig zu fördern und fortzubilden in seinem geistlichen und wissen­ schaftlichen Leben. Bücher sind nur ein geringer Ersatz für diesen Mangel eines lebendigen und bildenden Verkehrs."

Bei seiner Anwesenheit in Berlin wollte er sich bereits beim geistlichen Ministerium um eine Anstellung in Deutschland bewerben, was ihm indessen Neander und Strauß abrieten, indem sie meinten, es würde für ihn vorteil­ hafter sein, etwa nach einem Jahre sich von Lissabon aus wegen einer An­ stellung zu melden. Das hatte er denn auch im Mai 1839 getan. Jedoch infolge des Todes des Königs und seines Ministers Mtenstein wurde die An­ gelegenheit hingezögert. Im Okwber 1840 reichte er ein zweites Gesuch ein und hoffte, daß besten Erfolg ihn „bald wieder in die geliebte Heimat zurück­ führen möge, der er mit großer Sehnsucht entgegenharre und die er mit um so größerer Innigkeit liebe, je mehr der Jahre geworden sind, die er nun schon von ihr getrennt lebe". Aber noch 8 Jahre sollten hingehen, ehe er in die Heimat zurückkehren konnte! Sein Gehalt wurde zunächst noch von dem Ge­ schenk des Königs bestritten. Auch hatte der König der Niederlande, Wilhelm I., 1839 der Gemeinde auf Grund ihrer alten Beziehungen zu den Niederlanden ebenfalls ein Gnadengeschenk gewährt. Bald aber auch gingen diese Mittel wieder zur Neige, und die Gemeinde sah sich in derselben Notlage wie vorher. Als nun im Jahre 1840 Friedrich Wilhelm IV. den Thron bestieg, von allen Hoffnungen und Wünschen seines Volkes unter hohen Erwartungen be­ gleitet, faßte auch die Gemeinde in Lissabon wieder neuen Mut. Schütze wandte sich 1842 mit der Bitte um Vermittlung an den neuen preußischen Gesandten in Lissabon, Graf von Raszynski"). Dieser berichtete auch am 5. Dezember des Jahres an das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, indem er Schützes Gesuch befürwortete und Vorschläge zur Uebernahme des Protektorates durch Preußen machte. Denn „wenn nichts geschähe, so sei es wahrscheinlich, daß der kirchliche Verband recht bald zu Grunde gehe")". Zur Ausschmückung der Kapelle wurden in dem Gesuch eine kleine Orgel und einige alte Gemälde beantragt. Davon erhoffte Schütze eine Belebung des Kirchenbesuchs. Denn um diesen war es allerdings kläglich bestellt. Der Gesandte berichtete, daß der Pfarrer sehr oft den Gottesdienst ohne andere Zeugen als den Küster verrichte. An dem Tage, als er selbst in der Kirche war, seien nur 6 Personen anwesend gewesen. Dr. Alexander Wittich wohnte einmal — wie er in seinen „Erinne­ rungen an Lissabon" berichtet — 1838 einem Gottesdienst bei, bei dem außer ihm und dem Küster nur noch 3 Personen gegenwärtig waren"). Als er­ klärende Gründe dafür gibt Schütze in begleitenden Bemerkungen zu dem Be­ richt des Gesandten an: 1. Indifferenz, die beim Kaufmannsstand, der vor­ wiegend auf das Materielle gerichtet ist, besonders naheliegend fei; 2. die große Entfernung der Kapelle vom Mittelpunkt der Stadt; 3. die halborientalischen Sitten des weiblichen Geschlechts, die den anständigen Frauen das öffentliche Erscheinen und so weite Fußwanderungen nicht gestatten; 4. die klimatischen Verhältnisse, indem im Sommer unerträgliche Hitze und im Winter ein alles durchdringender Regen, bei Trockenheit wiederum furchtbarer Staub herrschten. Eigene Wagen besäßen nur 4 Familien, und die Miete für fremde sei sehr hoch. Hinzu komme, daß die Kapelle sehr feucht sei, so daß schon dreimal Frauen, die von dem langen Weg zur Kirche erhitzt waren, in der Kapelle ohnmächtig geworden seien. Darum kämen die meisten nur an den Festtagen zur Kirche: am Karfreitag etwa 80, wobei 60 am Abendmahl teilnehmen, und an anderen

Festtagen 30 bis 40; sonst selten mehr als 12. Ein einziges Mal im Jahre aber — das bestätigt auch Wittich —, wenigstens am Karfreitag, will keines der Gemeindeglieder beim Gottesdienst fehlen"). Die Gesamtzahl der Protestanten wird um diese Zeit mit 321 angegeben, die der deutschen Katholiken mit 70 bis 80. In ganz Portugal lebten etwa 500 Deutsche. Interessant ist folgende Liste der bedeutendsten Mitglieder der deutschen Kolonie"). Als „die reichsten Kaufleute in Lissabon" werden betrachtet: Wwe. Moller & Sohn, Schindler & Sohn (Schweizer), Biester & Co., H. G. Scholz, Franz Krus, Friedr. Schlösser. Es folgen als „noch andere angesehene oder bekannte Namen": Linderberg (zwei Brüder), Lublink (Holländer), Herold & Co., F. A. Driefel & Co., Carl P. Schäffer, Georg Seidel, Janke Rautenstrauch & Co., Carl Bretschneider, Carl Ludwig Ahrens, Friedr. Thilo, Carl Gerstblacher, Franz Kreidig, S. I. Wetzlar (Jude), Herrn. Moser, Caspar Block (aus Bremen), S. Samter, Klingelhöfer, Anderson. Ferner „nicht dem Handelsstande angehörig": Konsul Poppe, Baron Eschwege (Obrist), Rat Dietz, Privatsekretär des Königs, Dr. med. Keßler, Leibarzt des Königs, Dr. phil. Schütze, Prediger, Dr. med. Wellwitsch, Inspektor des botanischen Gartens, Rosenfelder, Gärtner beim Herzog von Palmella, Staufinger, Gehilfe des vorigen, C. Lindemann, Gastwirt, C. Hentze, Eigen­ tümer, Kuchenbuch, Gesang- und Musiklehrer, Futtscher, Fortepiano-Fabrikant, Stillpflug, Schuhmachermeister, Sander, Schuhmachermeister, Meyer, Schreiner­ meister, Wepler, Schneidermeister, Meyer, Lehrer. Sodann „einige größten­ teils auf halbem Sold stehende deutsche Offiziere der portugiesischen Armee": Meyer, Major, v. Weyhe, Major, v. Treskow, Major, Melsdorf, Capitän, Herman, Lieutnant, Montesimbri, Lieutnant, Tomb, Sergeant. Gesondert auf­ geführt sind „Baierische Untertanen in Lissabon": Dr. Friedrich Kunstmann, Lehrer bei S. M. der Kaiserin, katholischer Geistlicher, Heinrich Janzen, Haus­ hofmeister im Dienste S. M. der Kaiserin, Valentin Ziegler, Musikhandlung, Joh. Peter Schenk, Musiker, Joseph Schreyer, Kutscher im Dienste S. M. der Kaiserin, Christian Bauer, Kutscher. Ferner „Württembergische Untertanen": Chr. Fr. Barth, Hausknecht, Joh. Georg Reinhart, Bierbrauersknecht. Die Vorstellungen und Bitten Schützes durch Vermittlung der Gesandt­ schaft an die preußische Regierung blieben erfolglos. Die Lage der Gemeinde wurde immer bedrohlicher. Auch von außen her wurde zudem seit 1842 die Stellung der Protestanten in Portugal wieder erschwert). Infolge der Wiederherstellung der Beziehungen Portugals zu Rom traten ein ganz ver­ änderter Geist und eine feindselige Stimmung im Volke gegen die Protestanten hervor. Die portugiesischen Zeitungen waren voller Verunglimpfungen und Schmähungen der evangelischen Lehre und Kirche. Proselytenmacherei wurde mit großem Eifer betrieben und oft die schmählichsten Mittel angewandt, schwache Protestanten abtrünnig zu machen. Eine gehässige Rede des Bischofs von Elvas im November 1844 in der Priorskammer zu Lissabon vor sämtlichen portugiesischen Bischöfen, Erzbischöfen und Staatsministern, in der er die völlige Vertreibung aller Protestanten und Wiederherstellung der Inquisition verlangt und der Regierung als Gesetz empfiehlt, brachte diese Stimmung zum Ausdruck. Die Maßregeln gegen Portugiesen, die zum Protestantismus hin-

neigten, wurden außerordentlich verschärft, und aufkommende evangelische Bewegungen mit allen Mitteln unterdrückt. Unter diesen Umständen war die armselige Lage der evangelischen Gemeinde doppelt bedauerlich. Als alle Bemühungen um eine Unterstützung von außen her erfolglos blieben und schon seit drei Jahren das Pfarrgehalt nicht mehr aufgebracht worden war, reiste Schütze schließlich im Herbst 1845 wiederum nach Berlin, um die Sache persönlich zu betreiben. Der Vorstand hatte ihn dazu bevollmächtigt, wenn er die Reisekosten selber bestreite. Er wird nun beim Ministerium vorstellig und reicht auf Aufforderung des Kultus­ ministers Eichhorn erneut ein Gesuch ein. Sein Ton wird immer dringender, die letzten Sätze lauten: „Ich habe der Gemeinde dieses schwere Opfer gebracht, bin den weiten Weg hergekommen und möchte nicht gerne ohne ein günstiges Resultat wieder nach Lissabon zurückkehren, da sonst die Gemüter ganz dar­ niedergeschlagen und die Auflösung der Gemeinde die nächste Folge sein würde. In einem solchen Ereignisse läge aber für immer ein stiller Vorwurf und eine Anklage gegen die, welche hätten helfen können, und nach wenigen Jahren würde diese jetzt noch kräftig dastehende evangelische Gemeinde von der katho­ lischen Kirche völlig verschlungen sein und auch die 80 evangelischen Christen in Oporto und die 20 in Setubal wären des Trostes ihres Glaubens beraubt." Als notwendig stellt Schütze hin: 1. das Protektorat des preußischen Staates über die Gemeinde; 2. Ausbesserung oder Ausschmückung der Kapelle; 3. Ein­ führung des Kirchengesangs, wozu eine Orgel erforderlich sei — offenbar hatten die bisherigen Bemühungen in dieser Hinsicht zu keinem Erfolge geführt; 4. ein Organist, der zugleich Schullehrer sei, denn ohne Schule würde die Gemeinde allmählig absterben. Zum allgemeinen Unterhalt schließlich wären 500 Thaler jährlich erforderlich. Schütze scheint auf den Minister — von Eichhorn war als orthodox mit stark pietistischem Einschlag bekannt — persönlich keinen günstigen Eindruck gemacht zu haben. Vielleicht kam er ihm zu freigeistig angehaucht vor. War er doch ein Schüler des ihm verhaßten Hegelianismus. Vielleicht auch hatte er ein wenig einnehmendes oder allzu freimütiges Auftreten. Jedenfalls faßte der Minister ein gewisses Mißtrauen gegen Schütze, den er für sein Amt wohl nicht für recht geeignet hielt. Denn während dessen Abwesenheit von seiner Ge­ meinde setzte er sich mit dem Vorstand wegen einer eventuellen Rückberufung Schützes in Verbindung. In vornehmer Gesinnung aber lehnten es die Vor­ steher ab, hinter dem Rücken ihres Pfarrers darüber zu verhandeln. Im Namen des Vorstandes erwiderten C. D. Lindenberg — der Sohn Adolf Friedrich Lindenbergs — und Scholtz mit aller Deutlichkeit: „Wir persönlich als auch die ganze evangelische Gemeinde haben seit vielen Jahren mit ihrem bisherigen Prediger Dr. Schütze im besten Einverständnis gelebt und haben in der Tat durchaus keine Ursache, mit ihm unzufrieden zu sein. Darum wollen wir in dieser Angelegenheit, welche seine persönlichen Verhältnisse betrifft, keinen entscheidenden Schritt tun ohne ihn selbst")." Trotzdem hielt man Schütze in Berlin nicht für geeignet, was auch die Ansicht des Königs war. Man glaubte, „den hauptsächlichsten Grund des Ver­ falls des kirchlichen Lebens in der von vornherein nicht ganz zweckmäßigen

Amtsführung und namentlich in dem unvorsichtigen Auftreten dieses übrigens von lobenswertem Eifer für seinen Beruf beseelten Geistlichen" suchen zu müssen. Solange Schütze in Lissabon bleibe, sei nach Ansicht des Ministeriums — ungeachtet seiner Pflichttreue — keine Hebung des kirchlichen Zustandes in Lissabon zu erwarten. Grundsätzlich jedoch war der König gegen die Ueber­ nahme des Protektorats über die Gemeinde nicht abgeneigt und wollte auch zum Gehalte des Pfarrers 300 Thaler zuschießen, falls dieser Gesandtschafts­ prediger würde. Da hierzu aber Schütze jedenfalls nicht der geeignete Mann sei, solle er in Lissabon ersetzt und in der Heimat angestellt werden"). Um indessen wenigstens die Kapelle vor dem Verfall zu bewahren, empfiehlt Eichhorn die Gemeinde dem Gustav-Adolf-Berein zur Unterstützung, der darauf auch 200 Thaler für diesen Zweck gewährt"). Nachdem der König in einem Erlaß vom 1. Mai 1846 sich ausdrücklich zum Gehaltszuschuß für einen Gesandtschaftsprediger in Lissabon bereit erklärt hatte unter der Bedingung, daß die Ernennung ihm überlassen bliebe oder zum mindesten seine Genehmigung eingeholt würde, und daß alle andern Mittel von der Gemeinde aufgebracht würden, äußerte der Kultusminister in einem Votum dazu doch Bedenken gegen das Protektorat, da dann bei etwa zunehmen­ dem Notstand der Gemeinde eine Erhöhung des Zuschusses schwerlich abgelehnt werden könne. Auch solle nicht nur Schütze, sondern die Gemeinde selber den Antrag stellen. Die Gemeinde aber will nach Unterhandlungen mit dem Ge­ sandten sich nur für drei Jahre auf Bedingungen einlassen, worauf Raszynski natürlich nicht eingeht. Er selbst erklärt es für das Wünschenswerteste, ent­ weder nur hin und wieder mit einem Geldbeiträge für kirchliche Zwecke der Gemeinde zu Hilfe zu kommen oder einen Prediger bei der Gesandtschaft an­ zustellen, auf keinen Fall aber sich auf ein Protektorat oder Patronat einzu­ lassen, und am wenigsten mit der Gemeinde oder den sogenannten Vorstehern zu verhandeln und sich gegen sie zu verpflichten. Denn der Vorstand verträte nicht die ganze Gemeinde, sondern sei nur ein Ausschuß einer geringen Anzahl von beisteuernden Mitgliedern und könne keinerlei Garantie übernehmen. Ein Protektorat sei deshalb abzulehnen, weil man nur eine Einmischung der Regierung wünsche, um dann möglichst bald die ganze Last von sich auf diese abzuwälzen. Schütze, der inzwischen nach Lissabon zurückgekehrt war, fügte dem Bericht des Gesandten u. a. die Bemerkung hinzu: „Findet übrigens Preußen keinen Grund, mehr als die obige Summe (300 Thaler) zu bewilligen — dann bin ich der Erste, der dafür stimmen würde, diese Gemeinde lieber sich auflösen und zu Grunde gehen zu lassen. Denn in so unwürdiger Weise kann und darf ihr armseliges Kirchenwesen nicht länger fortbestehen. Es ist eine Beleidigung für die Würde der evangelischen Kirche, es ist ein Vorwurf für die gesamte protestantische Welt und für den Geistlichen ein fruchtloses entmutigendes Arbeiten und Bemühen." — Solche Sprache hörte man im preußischen Ministerium gewiß nicht gern! Ein Erlaß des Königs vom 3. Mai 1847 erklärte Schütze erneut für nicht geeignet zum Gesandtschaftsprediger und bestimmte, daß die in Aussicht ge­ stellte Unterstützung so lange auszusetzen sei, bis Schütze anderweitig angestellt

wäre. „In diesem Falle aber" — so lauteten die Worte des Königs — „werde ich keinen weiteren Anstand nehmen, der Gemeinde, ungeachtet der Zeit­ beschränkung, unter welcher die Vorsteher sich den Bedingungen unterwerfen wollen, den verheißenen Gehaltszuschuß zu bewilligens."

Da inzwischen seit dem letzten Bericht des Gesandten mit den begleitenden Bemerkungen Schützes ein ganzes Jahr verstrichen war, ohne daß etwas Positives erfolgt war, und auf eine endgültige Regelung keine Aussicht zu be­ stehen schien, sandte die Gemeinde am 8. Mai 1847 erneut ein Gesuch an den König mit der Bitte, „daß Allerhöchst Sie geruhen möchten, wie einst vor 10 Jahren Allerhöchst Ihr in Gott ruhender Herr Vater, dieser Gemeinde einstweilen ein freies Gnadengeschenk huldvollst zu gewähren, damit dieselbe vor einer gänzlichen Auflösung bewahrt bleibe". Der den unterdes zurück­ berufenen Gesandten vertretende Geschäftsträger Graf Pourtaläs befürwortete das Gnadengeschenk mit der Begründung: „Dieses würde hauptsächlich Schütze zu Gute kommen, der in jeder Hinsicht desselben wert ist, indem seinem Eifer fast allein es zuzuschreiben ist, wenn die hiesige Gemeinde noch besteht, außerdem aber seine vielsorgende Wohltätigkeit stets einen bedeutenden Teil seines Ge­ halts absorbiert hat. Daß er übrigens zum 1. Juli von hier fortgehen will, kann man ihm nicht verargen. Denn die Stellung des hiesigen Geisüichen ge­ hört keineswegs zu den beneidenswerten, vielmehr muß er sich einigermaßen sein Gehalt von Haus zu Haus zusammen betteln, indem ihm die Sorge über­ lasten ist, dasselbe einzukassieren." — So weit also war es bereits gekommen! Trotzdem wurde das Gnadengeschenk abgelehnt, da es nach Ansicht des Königs „hauptsächlich dazu dienen würde, die Auseinandersetzungen mit dem Prediger Schütze zu befördern""). Er wolle indessen abwarten, wie sich die Verhältnisse nach Schützes Weggang gestalten würden. Für Schütze jedoch ließ sich nicht so bald eine geeignete Pfarrstelle in der Heimat finden, da er nur in eine größere Stadt zu gehen wünschte. Er blieb vorläufig noch in Lissabon, was durch einen Zuschuß des Gustav-Adolf-Vereins von 100 Thalern er­ möglicht wurde.

Trotz aller widrigen Umstände verlor Schütze nie den Mut und die Arbeits­ freudigkeit. Unermüdlich wirkte er neben seinen Amtsgeschäften auch zum Besten der allgemeinen deutschen Kolonie. Auf seine Anregung hin wurde im Jahre 1846 ein deutscher Hilfsverein ins Leben gerufen zur Unterstützung verarmter Landsleute und zur Fürsorge für arme Reisende sowie kranke und sittlich verwahrloste Kinder. Die Bartholomäusbrüderschaft unterstützte aus­ schließlich Angehörige des Kaufmannsstandes. Da sollte der Hilfsverein eine notwendige Ergänzung darstellen. Die Brüderschaft war übrigens damals durch schlechte Verwaltung völlig heruntergewirtschaftet, so daß Schütze bei der Gründung des Hilfsvereins zugleich die Idee hatte, daß „der Verein vielleicht bestimmt sein möchte, die Trümmer der Bartholomäusstiftung in sich auf­ zunehmen"").

Ueber den näheren Anlaß für die Gründung des Hilfsvereins berichtet die „Augsburger Allgemeine Zeitung" vom 2. April 1865 folgende interessante Einzelheiten"): „Da traf es sich, daß im Jahre 1846 ein deutscher Virtuos —

Major (Ernst von Weyhe

Anton Hermann .liöder

Vorsteher der Gemeinde von 1848—1853

Erster Lehrer und Organist der Gemeinde

Photo bester

Blick auf die Deutsche Schule vom Turm der Kirche aus

F. Liszt — nach Lissabon kam und auch hier von dem Beifall, der seinem seltenen Talent reichlich gezollt ward, wohlthätigen Anstalten in großem Um­ fange zu gute kommen ließ. Fünf deutsche Männer kamen auf den Gedanken, den berühmten Landsmann um ein Konzert zum Besten der hilfsbedürftigen Deutschen zu bitten. Leider war der menschenfreundliche Mann durch ein­ gegangene Verpflichtungen zu sofortiger Abreise genöthigt und konnte zu eigenem herzlichen Bedauern der an ihn ergangenen Bitte nicht entsprechen. Als nun jene 5 mit traurigen Gedanken zurückgingen, wurde die Frage auf­ geworfen, ob denn nicht auf andere Weise geholfen werden könne. Und sie gingen nicht auseinander, ohne einen Aufruf verabredet zu haben, der die Deutschen in Lissabon zur Gründung eines Hilfsvereins einlud. Wer die da­ maligen Verhältnisse innerhalb der kleinen deutschen Kolonie kannte, mußte den Mut jener Männer ehren, die zu einem so wenig erfolgversprechenden Schritt sich entschlossen. Aber ihr Vertrauen wurde über Erwarten belohnt." Außer Mitgliedern der deutschen Kolonie stifteten auch Außenstehende be­ deutende Beträge. „Hochherzige Menschenfreunde waren der König Ferdinand von Portugal (gemeint ist Ferdinand von Sachsen-Coburg-Gotha, der Gemahl der Königin Maria II. da Gloria), dessen weitreichender Einfluß allem, was es in Portugal von deutschen Bestrebungen gibt, stets in der thatkräftigsten Weise zugewandt ist, und die Kaiserin-Witwe von Brasilien, der regierende Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha, die Gesandten von Preußen und Oesterreich, Freunde in Hamburg, London und Elberfeld hatten mit offener Hand bei­ gesteuert." Daß Pfarrer Schütze die treibende Kraft und das Haupt des Ver­ eins war, beweist auch die Stellung, die in den Statuten dem Pfarrer zuerkannt wurde, in denen es hieß (§ 9, Anm.): „Da der hiesige deutsche Prediger am besten mit den Verhältnissen und der Not der hiesigen deutschen Armen bekannt sein muß, indem es die Erfahrung lehrt, daß Hilfsbedürftige sich jederzeit zu­ erst an ihn wenden, und indem ferner sich das Amt eines Predigers mit dem eines Almosenpflegers am besten vereinigt, so wird dieser jederzeit zum Prä­ sidenten vorgeschlagen und erhält bei Gleichheit der Stimmen den Vorzug." Trotz der Leitung durch den evangelischen Pfarrer wurden Protestanten, Katholiken und Juden ohne Unterschied unterstützt. Schütze selbst berichtet^') im folgenden Jahr nach der Gründung des Vereins über die günstigen Folgen seiner Wirksamkeit, daß „1. die Haus- und Straßenbettelei deutscher Armer fast gänzlich aufgehört hat, 2. das Betragen und die Aufführung vieler Unterstützter sich bedeutend gebessert hat und 3. daß die Anhänglichkeit an Deutschland und die Dankbarkeit gegen ihre ihnen wohltuenden Landsleute sehr gewachsen ist bei diesen Armen, wie man denn überhaupt immer Dank erntet, wo man mit Liebe säet". Neben der sozialen Fürsorge aber nahm Schütze sich auch der kulturellen Pflege des Deutschtums in Lissabon an. Ihn erfüllte ein lebendiges Gefühl für die Schönheit der deutschen Sprache. Im Bewußtsein der Verantwortung für dieses hohe Gut des Volkstums bemühte er sich tatkräftig um die Pflege und Erhaltung der Muttersprache bei den deutschen Kindern sowie um ihre Förde­ rung und Verbreitung unter den Portugiesen. In einer Zeit des erwachenden völkischen Bewußtseins in Deutschland, nach den Freiheitskriegen, erkannte er 7

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die Wichtigkeit des inneren Zusammenhanges der Volksdeutschen im Ausland mit dem Reich. Um dieser „geistigen Gemeinschaft mit dem deutschen Vater­ lande"") willen schuf Schütze einen allgemeinen deutschen und einen besonderen kirchlichen Leseverein. Durch die Beziehungen der gebildeten Deutschen zu maß­ geblichen portugiesischen Kreisen wurden dadurch auch Portugiesen für deutsche Literatur interessiert, so daß es auf Schützes Wirken zurückzuführen ist, wenn damals an den Universitäten in Lissabon, Oporw und Coimbra Lehrstühle für deutsche Sprache errichtet wurden. Die betreffenden Lektoren wurden auf Wunsch der Regierung von Schütze öffentlich geprüft. In alledem kommt die Bedeutung der evangelischen Kirche und die Leistung ihrer Pfarrer für die Bolkstumsarbeit im Ausland deutlich zum Ausdruck. Nicht nur, daß sie an sich schon immer durch die Predigt von Gottes Wort und den Religionsunterricht in der Muttersprache zur Pflege und Erhaltung des Volks­ tums gewirkt haben. Sie betrachteten es überdies jetzt auch als ihre unmittel­ bare Aufgabe, in völkischem Sinne tätig zu sein. Die evangelische Kirche war ja das Zentrum des Deutschtums überhaupt in Lissabon. Einen deutschen Verein sowie sonstige gesellige oder kulturelle Einrichtungen innerhalb der Kolonie gab es damals nicht, und die Heimat überließ ihre Kinder in der Fremde völlig sich selber. Die deutsche katholische Gemeinde hatte sich 1833 aus Mangel an Gliedern aufgelöst. Bereits seit 1824 beteiligten sich deutsche Katholiken an dem Unterhalt des evangelischen Predigers. Das ganze folgende Jahrhundert hindurch schlossen die katholischen Volksgenossen sich der evan­ gelischen Gemeinde an und nahmen gelegentlich an ihren Gottesdiensten teil. Sonst gingen sie bald im Portugiesischen unter, wie denn auch die deutschen Protestanten, die römisch-katholisch wurden, für das Volkstum gewöhnlich ver­ loren waren — ein Beweis für die volkserhaltende Kraft des Protestantismus! Ein rührendes Zeugnis für Schützes Liebe zu seiner Muttersprache gibt uns der damals studienhalber in Portugal weilende, bereits erwähnte Dr. Alexander Wittich"). Dieser erzählte dem Pfarrer, wie er sich ganz von seinen Landsleuten ferngehalten habe, um das Portugiesische recht kennen zu lernen. Da entgegnete Schütze: „Während Sie so eifrig bemüht waren sich die portugiesische Sprache anzueignen, empfand da Ihre Seele nichts von dem so allgemeinen und natürlichen Wunsche die süße Stimme, den vielwillkommenen Ton der Muttersprache zu vernehmen? Auch ich bestrebte mich, das Portu­ giesische zu erlernen; aber aus Liebe zu dieser Sprache der unsrigen auch nur eine Woche lang mich zu entschlagen, wäre mir geradezu unmöglich gewesen. Und hätte mir die Gelegenheit ganz gefehlt, deutsch zu reden oder reden zu hören, ich glaube, ich wäre am gebrochenen Herzen gestorben. Mir ist kein Tag ohne Unterhaltung mit einem Landsmann dahingeflossen, und dennoch sehnte ich mich auch schon deshalb so unendlich nach dem deutschen Vaterlande, weil ich dort den süßen Klang der Muttersprache von jedermann vernehmen würde. Ich versichere Ihnen selbst auf die Gefahr hin von Ihnen belächelt zu werden, ich war entzückt und unbeschreiblich glücklich, als ich im vorigen Jahre nach langer Abwesenheit zum ersten Male wieder den deutschen Boden betrat, und die Musik unserer herrlichen Sprache nun wieder von allen Seiten in meine Seele drang."

Das wichtigste kulturelle Werk zur Erhaltung des Volkstums aber war die Gründung einer deutschen Schule im Jahre 1848. Daß dieses Werk trotz der armseligen Lage der Gemeinde begonnen werden konnte, ist das Verdienst des Gustav-Adolf-Bereins, dem von jetzt ab bis heute die Gemeinde so viel ver­ danken sollte. Der „Evangelische Verein der Gustav-Wolf-Stiftung" war gerade im Jahre 1842 entstanden durch die Bereinigung der im Anschluß an das 200jährige Gedächtnis des Todes Gustav Adolfs im Jahre 1832 durch den Leipziger Superintendenten Großmann ins Leben gerufenen „Gustav-AdolfStiftung" mit dem neun Jahre später, zum Reformationsfest 1841, durch den Darmstädter Hofprediger Zimmermann gegründeten „Verein für die Unter­ stützung hilfsbedürftiger protestantischer Gemeinden". Unermeßlicher Segen ist fortan von der Arbeit dieses lebendigen Denkmals für den königlichen Glaubens­ helden auf die notleidenden Glaubensbrüder in aller Welt ausgeströmt, und zu den ersten, die von seinem Liebeswerk bedacht wurden, gehörte die Lissabonner Gemeinde. Als die Verhandlungen mit der preußischen Regierung zunächst zu keinem Ergebnis führen wollten, wandten sich Schütze und der Kirchenvorstand (H. G. Scholtz und C. D. Lindenberg) am 12. August 1844 hilfesuchend an den Gustav-Adolf-Verein. „Es ist einmal Zeit", schrieb Schütze, „daß die zunächst unter katholischen Bevölkerungen zerstreuten evangelischen Gemeinden aus ihrer verlassenen und ärmlichen Lage herausgerissen werden, daß ihnen die äußeren Mittel, ohne welche kein kirchliches Leben denkbar ist, reichlicher ge­ boten werden, um der katholischen Kirche mit mehr Würde entgegenzutreten, und den evangelischen Gottesdienst in seiner einfachen, aber wenigstens voll­ ständigen Form erscheinen zu lassen. Das Morgenroth dieser besseren Zeit ist endlich mit der Gründung des Gustav-Adolf-Bereins angebrochen")." Seine erste Gabe waren 200 Thaler zur Instandsetzung der Kapelle. In­ sonderheit aber nahm er sich dann des Wunsches nach einem Organisten und Lehrer an. Als solcher wurde Anton Hermann Röder aus Borna im König­ reich Sachsen ausersehen, der mit großer Freudigkeit dem Ruf zum Dienst in die ferne Diaspora folgte. Er war erst 18 Jahre alt, als er zu Grimma bei Leipzig am 22. März 1847 seine Lehrerprüfung mit „sehr gut" ablegte, der der Vorsitzende des Gustav-Adolf-Bereins, Großmann, persönlich beiwohnte. Am 28. September 1847 wurde die Berufungsurkunde zum Lehrer der Lissa­ bonner Gemeinde ausgestellt, zunächst für drei Jahre, wobei aber zugleich be­ stimmt wird, daß er später auch Organist der Gemeinde werden solle. Das Reisegeld bezahlte der Gustav-Adolf-Verein und bewilligte einen jährlichen Beitrag von 400 Thalern zum Unterhalt des Lehrers. Im Frühjahr 1848 traf Röder in Lissabon ein. Seine Aufgabe war, die Schule erst zu gründen und sie von Anfang an aufzubauen. Da man in Lissa­ bon die Schule von vornherein, obgleich die evangelische Kirche ihre Ein­ richtung überhaupt erst ermöglicht hatte, nicht als eine konfessionelle, sondern „als eine allgemein deutsche Angelegenheit" betrachtete, lud der Kirchenvorstand alle in Lissabon wohnenden Deutschen zu einer „allgemeinen Versammlung am 20. Juni in der Wohnung des Herrn F. Schloefser, Rua da Madalena 45", ein, in der die Angelegenheit besprochen werden sollte. Wer nicht kommen könne,

so hieß es in der Einladung, solle doch wenigstens zum Zeichen der Zustimmung zu dem Gründungsplan das Rundschreiben unterzeichnen. 43 Personen unter­ schrieben und 15 erschienen zur Versammlung. Hierbei wurde nach Verlesung eines Schreibens des Zentralvorstandes des Gustav-Adolf-Bereins auf Antrag eines Gemeindegliedes ausdrücklich einstimmig festgestellt, „daß die Schule für alle Deutschen ohne Unterschied der Konfession errichtet werden sollte". Schließ­ lich wurde ein besonderer Schulvorstand gewählt, und zwar: Major v. Weyhe, Raphael Futscher und F. M. Kreibig, sowie als Stellvertreter Konsul Poppe und Carl Bretschneider. Dieser Vorstand erließ darauf ein Rundschreiben mit der Aufforderung zu Beiträgen zwecks Aufbringung der Kosten für die Ein­ richtung der Schule. Es wurden darin zugleich „die leitenden Grundsätze für die zu errichtende Schulanstalt" hinsichtlich des Lehrplans bekanntgegeben. Nachdem Lehrer Röder bereits in einzelnen Familien den Unterricht aus­ genommen hatte, wurde am 1. August 1848 die neue Schule in der Rua Larga de Sao Roque Nr. 86 mit 6 Schülern eröffnet, zunächst nur für Knaben. Eine selbständige Abteilung für Mädchen kam erst 20 Jahre später hinzu®®). Das Verhältnis der Schule zur Kirchengemeinde wurde — um dies hier schon vorwegzunehmen — nach zwei Jahren, im Oktober 1850, vom Kirchen­ vorstand unter Führung des Majors v. Weyhe „in Erwägung der Verantwort­ lichkeit, welche die Gemeinde durch Annahme der ihr vom Gustav-Adolf-Berein jährlich zu verleihenden 400 Thaler für die deutsche Schule übernommen hat, und in Erwägung der Schwierigkeiten und Konflikte, welche der Gemeinde durch einen besonders zu bildenden Schulrat überkommen können", dahin fest­ gelegt, daß „1. die Gemeinde und in deren Namen der Kirchenvorstand die Oberaufsicht der deutschen Schule übernimmt und der Lehrer dessen Instruk­ tionen befolgt; 2. dem Prediger der Gemeinde die Pflicht obliegt, die deutsche Schule wenigstens zwei Mal jährlich zu besuchen und dem Vorstände einen genauen Bericht über deren Zustand schriftlich einzureichen; 3. der Prediger aber ohne ausdrücklichen Auftrag des Vorstandes auf keine Weise in das Lehr­ amt eingreifen darf, sondern in betreffenden Fällen notwendiger Verbesserun­ gen selbiges dem Vorstände zur Begutachtung vorzulegen hat". Nachdem das wichtige Werk der Schulgründung noch durch seine Vermitt­ lung zustande gekommen war, verließ Pfarrer Schütze endlich seine Lissabonner Gemeinde, der er 18 Jahre lang gedient hatte. Am 16. Juli 1848 hielt er seine Abschiedspredigt. Gleichzeitig hatte es sich glücklich gefügt, daß er seinen Nach­ folger ordinieren konnte. Wenn es auch eine wehmütige Stunde des Abschieds für Schütze bedeutete, so war die Gemeinde doch mit neuer Hoffnung für die Zukunft erfüllt, und in dem Gesang von „Nun danket alle Gott" klang der Gottesdienst quS®6). „Als den schönsten Gewinn meines vielseitigen Wirkens in Lissabon" — so berichtet Schütze, nach Berlin zurückgekehrt, in einem Gesuch um Unter­ stützung, bis er eine andere Pfarrstelle gefunden habe, an das Ministerium sich wendend®^) —, „wozu auch die Gründung eines deutschen Lesezirkels, eines allgemeinen deutschen Hilfsvereins und einer deutschen Schule gehörte, deren Leitung mir oblag, habe ich die Liebe und Achtung meiner bisherigen Gemeinde mit hinweggenommen und darin zugleich einen Ersatz und Trost dafür ge-

funden, daß dieselbe bei der überaus großen Beschränktheit ihrer finanziellen Lage nicht im Stande war, mir ihre Liebe auch auf andere Weise zu betätigen." Gewiß hat Schütze mit allem Eifer gewirkt, und wir werden es ihm glauben, wenn er einmal schreibt^): „Ich darf von mir bekennen, daß ich in den Jahren meiner hiesigen Amtsführung wenigstens unablässig und gewissen­ haft gestrebt habe, mich für das geistliche Lehramt immer tüchtiger zu machen, daß ich dem erhabenen Ideale eines wahrhaften Geistlichen unverdrossen nach­ gerungen habe, und daß ich endlich für meinen hohen Beruf mit einer Liebe erfüllt bin, welche die lebendigste Begeisterung nur zu geben vermag. Wie hätte ich sonst auch alle die eigentümlichen Hindernisse und Schwierigkeiten bewälti­ gen können, die sich mir unaufhörlich in meiner geistlichen Wirksamkeit ent­ gegenstellten?" Und doch werden wir ihn nicht als vorbildlichen Vertreter lutherischer Lehre ansehen können. Denn bei aller Begeisterung und Liebe für seinen Beruf fehlte ihm doch das rechte Verständnis für das Wesen seines Amtes; und ein Mangel an echt lutherischem und biblischem Gehalt seiner theologischen Anschauungen hinderte ihn, seine Aufgabe als Verkündiger des Evangeliums in der Diasporagemeinde voll zu erfüllen. Er war zu sehr selbst ein Kind seiner Zeit, um der Verweltlichung alles Daseins und Entkirchlichung des völkischen Lebens wehren zu können, die zu seiner Zeit einsetzte. Seine theologische Bildung hatte ihre Grundlegung erhalten durch den Rationalismus seiner Rostocker Professoren. Von da war er nach Heidelberg und zu der „speku­ lativen Theologie" der dortigen Hegelianer Daub und Marheinecke geführt worden, die das kirchliche Dogma inhaltlich mit der philosophischen Spekulation zu identifizieren suchten. Göttliches und Menschliches wurde hier schließlich in eins gesetzt und der Heilige Geist mit dem Geist des Menschen verwechselt. Der Einfluß dieser Theologie tritt deutlich zutage in einer Taufrede, in der er seine Grundanschauung vom Christentum darstellt und die deshalb wohl des Druckes für wert gehalten tourbe”). Das Christentum bedeutet nach ihm hier „eine Pflanzstätte der besseren Menschheit", in der der göttliche Funke, der in jedes Menschen Brust schlummert, entfacht ist. Aber nur in einer kleinen Zahl von Ausgezeichneten kommt der verborgene Funke zur Entzündung. Das sind die „Kinder des Lichts". Die große Masse der Menschheit lebt wie die Tiere dahin. Das sind die „Kinder der Welt". Um aber jenen besseren Teil zu sich einzu­ laden, ist Jesus Christus gekommen, ein Kind des Lichts im höchsten Grade. Der hatte — und wie konnte er anders! — das Vertrauen zur Menschennatur, daß es nichts weiter bedürfe, als daß der verborgene Funke des Göttlichen im Menschen nur angefacht und hervorgezogen werde. Die Wahrnehmung des Vorhandenseins der Kinder des Lichts in der Menschheit führte ihm, der selbst in so hohem Grade ein Kind des Lichtes war, der ganz Geist war, an dessen Dasein das Irdische so geringen Anteil hatte! — zuerst den schönen Gedanken in die Seele, jene Auserwählten in einem Bunde zu sammeln, der sich wie das Feuer immer mehr ausbreiten sollte. Dieser Bund der Auserwählten war das Christentum, und der erweiterte und allmählich das ganze Menschengeschlecht umfassende Bund das Reich Gottes. Wer nun in diesen Bund treten wollte, den nahm Jesus auf durch die Taufe, so wie es bei jedem Verein eine feierliche, an gewisse Gebräuche gebundene Aufnahme gibt. Wer aber wollte nicht gerne

in einen Verein eintreten, der die höchsten menschlichen Ideale zum Zweck hat? Auch die Kinder können wir nicht höher ehren, als wenn wir, was allein den Menschen ehrt, ihnen aneignen. Außerdem gewinnen wir dabei für uns selbst das Verdienst, Pflanzer, Pfleger und Förderer des Besten zu sein, was es auf Erden und im Himmel geben kann. Schütze bittet für das Kind, daß sein Herz ein Boden werde, worauf alles Schöne und Edle von selbst aufsprießt, und jede lebenserheiternde Tugend leicht anwurzelt, damit es die Freude der Eltern sei und sie vollkommen in ihm sich selber wiederfinden; daß sie gewiß sein können, in ihm, ganz wie sie selber sind, fortzuleben! Noch ist es ein unversehrtes Ge­ bilde der göttlichen Schöpferhand. Wer so kann es auch immer bleiben, wenn es schuldlos und rein und ein Kind am Herzen bleibt. „Und wenn einst" — so schließt die Taufrede — „alle weiblichen Tugenden im schönen Bunde seine Stirn mit einem Kranze umschlingen, der sein eigenes Dasein beglückt und die Freude und Erhebung Mer ist, welche es umgeben: so müsse die Religion jeder dieser Tugenden eine höhere Weihe geben und sie auf einen Boden hin­ überpflanzen, wo sie keine verwelkliche Pflanze mehr ist. Ja, diese Religion, die das Endliche vermählt mit dem Unendlichen, sie sei die bessere Sonne seiner Tage!" Diese Religion hat aber kaum noch etwas mit dem christlichen, biblisch­ reformawrischen Glauben gemein! Sie bedeutet int tiefsten Grunde eine Ver­ gottung des Menschen. Der Vereinsgedanke, der aus der Aufklärung stammt, übertragen auf das Reich Gottes, schließt alle Keime einer liberalistischen Zer­ setzung der Gemeinschaft in sich und ist ein völliges Mißverständnis des Wesens der Kirche. Daß in ihr Gott nicht die edelsten Geister unter den Menschen auserwählt, sondern die Sünder zur Buße ruft, um sie unter Gericht und Gnade zu neuen Menschen in Christus zu schaffen, die aus der Kraft des Heili­ gen Geistes allein leben und durch die Barmherzigkeit Gottes in die Gemein­ schaft des Lebens eingepflanzt werden — das weiß man hier nicht mehr. Bon dem Geist des lutherischen Katechismusglaubens weht kein Hauch mehr in dieser Theologie. Der Bankerott dieses Glaubens an den Menschen und eines das Reich Gottes mit innerweltlichen Zielen gleichsetzenden Fortschrittsopti­ mismus ist erst in unseren Tagen ganz offenbar geworden. Heute sehen wir klar die Folgen solcher liberalisttschen Verfälschung der christlichen Botschaft. Damals nahm es schon seinen Anfang: wir sehen die Auflösung der wahren Gemeinde sich anbahnen. Sie zeigt sich darin, daß die Kirche mehr und mehr zu einem „religiösen Verein" wird, der neben anderen Vereinen besteht, die, je nachdem, kulturelle, soziale, nationale Zwecke verfolgen. In Schütze vereinigt sich gewissermaßen noch alles in einer Person, wobei jedoch das Kulturelle schon stark überwiegt. Bald aber tritt es mehr und mehr auseinander — Ge­ meinde und Kolonie bilden nicht mehr eine Einheit. Das Religiöse ist nicht mehr das Uebergreifende, in dem alles völkische, soziale und kulturelle Leben seine letzte Begründung und Sinngebung empfängt. Damit aber sinkt die Kirche neben den andern kulturellen Gebieten bald zur Bedeutungslosigkeit herab. Wer lebendige Gemeinde ist dann nicht mehr vorhanden. Wahrhafter Opfersinn und Liebe, die aus dem Glauben stammt, fehlen. Und das „Kirchen­ wesen" leidet unter ständigen finanziellen Nöten, in denen man den Staat um

Hilfe anruft und ihm am liebsten die Sorge für die Erhaltung der Kirche ganz überläßt. Der Gesandte Graf Raszynski hatte gewiß nicht Unrecht, wenn er meinte, die Gemeinde wünsche die Einmischung der preußischen Regierung bloß, um dann möglichst bald die ganze Last von sich auf die Regierung abzu­ wälzen. Schützes kulturelle Leistung für das Deutschtum in Lissabon soll damit keineswegs unterschätzt oder mißachtet werden. Sie gehörte zweifellos auch zu seinen Aufgaben als Auslandspfarrer. Mer darüber darf nicht das eigentliche Wesen des Amtes vergessen werden, das allein in der Verkündigung des Wortes Gottes und des gemeindeschaffenden unverkürzten Evangeliums von Jesus Christus besteht. Sonst wird der göttliche Auftrag an die Welt verraten. Dar­ über zerfallen schließlich auch die irdischen Ordnungen selbst. Die Volksgemein­ schaft löst sich auf in Klassen und Jnteressentengruppen, weil sie nicht mehr unter dem göttlichen Worte steht, das Gericht und Gnade zugleich ist und sie mit wahrhaftem Leben erfüllt. Das alles werden wir in der folgenden Ent­ wicklung der Gemeindegeschichte beobachten können, wenn es auch zunächst nur im Verborgenen eine Rolle spielt und äußerlich noch nicht in Erscheinung tritt. Zeitweise beweist die Gemeinde sogar wieder stärkere Lebenskraft, und eine Gemeinde der Stillen im Lande ist schließlich immer vorhanden, solange Gottes Wort und das Evangelium noch da ist. Auch hat die Gemeinde immer wieder treue, verantwortungsbewußte Prediger des Worts gehabt. Der Herr selber schafft sich letztlich die Gemeinde des Glaubens. Diese aber ist unbekannt und ungenannt; ihre Geschichte geht neben und unter der äußeren Geschichte der Gemeinde her — und geschrieben steht sie bei Gott allein. — Der Nachfolger, den Schütze bei seinem Abschiedsgottesdienst gleichzeitig ordiniert hatte"), war der Kandidat der Theologie Dr. Hermann Schmettau"). Er war damals Hauslehrer in der englischen Familie O'Neill in Setubal. Zu­ nächst wurde er noch nicht als Pfarrer der Gemeinde fest angestellt, sondern er kam nur an den Festtagen und einigen Sonntagen, im Jahre mindestens achtmal, von Setubal nach Lissabon herüber und übernahm auch die Amts­ handlungen, außer den Beerdigungen, die Lehrer Roeder vollziehen sollte. Da Schmettau in seiner Hauslehrerstelle verblieb, konnte er den Dienst an der Gemeinde unentgeltlich verrichten. Denn diese war ja auch nicht in der Lage, ihm ein Gehalt zu zahlen. Auch nach Schützes Abgang kam die verheißene Unterstützung durch die preußische Regierung noch nicht zustande. Wohl hatte das Ministerium für geistliche Angelegenheiten bereits einen Kandidaten, namens Wegener, für Lissabon ausersehen, der als Nachfolger Schützes mit einer Unterstützung von 300 Thalern angestellt werden sollte. Aber inzwischen traten in der Heimat Ereignisse ein, die die Regierung mit eigenen Sorgen so überhäufte, daß sie sich der fernen Auslandsgemeinde im Augenblick nicht weiter annehmen zu können glaubte. Die Revolution von 1848 erschütterte die Grundfesten des Staates, und das Ministerium für geistliche Angelegenheiten schrieb an den Außenminister von Arnim, „daß nach der durch die mächtigen politischen Bewegungen der neuesten Zeit herbeigeführten wesentlichen Veränderung der ganzen Sachlage und der Verhältnisse des Preußischen Staates eine definitive

Ueberweisung des früher in Aussicht gestellten Gehaltszuschusses für den neuen Geistlichen bei des Königs Majestät nicht eher zu beantragen sein wird, als bis ruhigere und geordnetere Zustände zurückgekehrt sein werden." Von Arnim war ganz derselben Meinung und hatte durch den Gesandten in Lissabon unterm 7. Mai 1848 diese Entscheidung der Gemeinde mitteilen laffen. Das war für die Gemeinde ein schwerer Schlag. Um so dankbarer begrüßte sie es darum als eine „Fügung des Himmels", daß Schmettau den Gemeindedienst als Pfarrvikar übernehmen konnte. Denn Schütze vermochte auch aus Gesund­ heitsrücksichten seine Rückkehr in die Heimat nicht länger aufzuschieben. Wenn nun auch vorläufig ein Ersatz für ihn gefunden war, so stand doch die Gemeinde, die soeben erst durch die Einrichtung der Schule den Grund zu einer neuen Entwicklung gelegt hatte, vor einer völlig ungewisien Zukunft. Roeder be­ richtete darum an den Zentralvorstand des Gustav-Adolf-Vereins"): „Die letzte protestantische Gemeinde im Westen Europas betritt eine neue Bahn! Es muß sich entscheiden, ob die letzte kräftige Erhebung derselben ihr Untergang sein oder ob den jüngeren unter ihren Gliedern das Erbe der Väter nicht ver­ kümmert wird, wenn das Gotteshaus bald in Trümmern zusammensinkt und die letzte Warte des Evangeliums vom Feinde gefährdet ist! Die Schwachen vermögen viel durch des Herrn Hilfe! Darum auf ihn geharrt und mutig ge­ arbeitet! Dies sei unser Losungswort!" Um aber hinsichtlich der Instandsetzung der kirchlichen Gebäude und der Ordnung der finanziellen Verhältnisse etwas zu unternehmen, riefen die Vor­ steher H. G. Scholtz, F. Schloesser und C. D. Lindenberg alle evangelischen Deutschen zu einer Versammlung zusammen, indem sie gleichzeitig bestimmte Vorschläge machten. Die Kapelle drohe zusammenzustürzen, wenn sie nicht sofort repariert werde. Eine Liste der beitragenden und nichtbeitragenden Gemeindeglieder solle im Pfarrhause zur beliebigen Einsicht niedergelegt werden. Regelmäßige Gemeindeversammlungen müßten stattfinden. Mit dem Friedhofsverwalter müsse eine Friedhofsordnung vereinbart werden betreffs der Reinigung des Begräbnisplatzes, ferner Einrichtungen, durch welche ge­ hörige Anständigkeit der Leichenbegängnisse bewirkt würde, als: saubere Leichen­ tücher und saubere Kleidung der Begräbnisgehilfen — die womöglich ärmere Deutsche sein dürften) ferner Anstellung eines Friedhofwärters und schließlich Anfertigung eines genauen Planes zur Uebersicht über die Gräber. Weiter sollten die Kirchenämter neu verteilt werden; — seitdem der eigene Friedhof hinzugekommen war, setzte sich der Vorstand nach A. F. Lindenbergs Tode aus drei Mitgliedern zusammen, von denen eins, zunächst Lindenbergs Sohn, den Friedhof zu verwalten hatte, — Lehrer Roeder solle neben der Besorgung der Begräbnisse vorläufig auch die Pfarramtsgeschäfte führen. Endlich sollten Ge­ bühren für kirchliche Handlungen festgelegt werden"). Offenbar war die Ver­ waltung und Organisation der Gemeinde in letzter Zeit völlig vernachlässigt worden, wie aus diesem umfassenden Programm hervorgeht. Zu der Versammlung, die im Juni 1849 stattfand, erschienen außer den Vorstehern und dem Lehrer noch 10 Gemeindeglieder. Es waren: C. Schindler, G. Seidel, Major v. Weyhe, H. Moller, R. Futscher, G. Schloesier, H. Koenig, Pieterszen, C. Ahrens, C. Card. Pieterszen, der Architekt war, hatte einen

Entwurf zum Neubau der Kapelle mitgebracht. Aber es kam noch nicht zu weiteren Beschlüssen. Am 15. Juni fand eine zweite Versammlung statt. Neue Schwierigkeiten waren aufgekommen mit der Frage des Eigentums von Kirche und Pfarrhaus, da diese auf dem Grund und Boden der Bartholomäusbrüderschaft erbaut waren, die deshalb auf sie Anspruch machte. H. G. Scholtz, der Kirchenvorsteher und zugleich Vorsteher der Brüderschaft war, vertrat in diesem Sinne die Rechte der Brüderschaft. Die Gemeindeversammlung aber erhob dagegen Protest und erklärte, in dem bisher unangefochtenen Besitzstände verharren zu wollen, bis die Brüderschaft genügende Beweise für ihre Ansprüche beibringen könne. Vor Einberufung einer Versammlung der Brüderschaft konnte indessen betreffs der Instandsetzung der kirchlichen Gebäude nichts unter­ nommen werden. Auch die Unterstützung von 200 Milreis, die die Brüder­ schaft bisher an die Gemeinde bezahlt hatte, hatte nach Schützes Wgang auf­ gehört und sollte nicht wieder gewährt werden. Hierüber kam es zu schweren Auseinandersetzungen — eine Folge davon, daß die Verwaltung der Gemeinde und der Brüderschaft jahrelang in denselben Händen gelegen hatte und nicht immer getrennt gehandhabt worden war. Im November wurde auf Verlangen einer Anzahl Mitglieder wiederum eine Gemeindeversammlung einberufen. Der bisherige Vorstand legte sein Amt nieder. Dafür wurden gewählt: Major v. Weyhe, der Tischlermeister und Möbelhändler Rafael Futscher und der Kaufmann Otto Herold, an dessen Stelle jedoch, da er die Wahl ablehnte, Justus Finger trat. Lehrer Roeder wurde noch als beratendes Mitglied und Schriftführer hinzugewählt. Der neue Vorstand wurde nun mit der schwierigen Aufgabe betraut, sich mit der Bartholomäusbrüderschaft zu verständigen. Die Verwaltung des Friedhofs, die nach dem Testament des Stifters dem hanseatischen Generalkonsul übertragen worden war, übergab der damalige Generalkonsul F. Krus der Gemeinde selber. Für die Instandsetzung des Friedhofs wurde eine Kommission eingesetzt, be­ stehend aus: Koenig, C. D. Lindenberg, Roeder und Stegner. Der neue Vorstand griff seine Aufgaben tatkräftig an. Major v. Weyhe übernahm den Vorsitz und die Oberleitung, Justus Finger die Kasse und Rafael Futscher die Friedhofsverwaltung. Der zahlreich besuchte Weihnachts­ gottesdienst des Jahres 1849 ermunterte sie in ihrer Arbeit. Denn sie sahen, daß doch noch Interesse für die Kirche vorhanden war. Zum neuen Jahre richteten sie an die Gemeinde einen Aufruf zur Mitarbeit und Unterstützung ihrer Bemühungen um die Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse, worin sie zugleich ihre eigenen Absichten darlegten. Zur Klärung des Verhältnisses zwischen Gemeinde und Bartholomäusbrüderschaft wurde zunächst eine Tren­ nung in der Verwaltung beider herbeigeführt, die seit zehn Jahren allein in den Händen von H. G. Scholtz gelegen hatte. Auf vielseitiges Drängen wurde Scholtz bewogen, endlich einmal eine Generalversammlung der Brüderschaft einzuberufen. Diese fand im April 1850 statt. Als neuer Vorstand der Brüderschaft wurden Friedrich Biester, Friedrich Schloesser und Franz Adolf Driefel gewählt"). Schloesser, als Kassenführer, war das wichtigste Amt zugefallen. Da er selbst vornehmlich auf Klärung der Verhältnisse gedrungen und als Mitglied

der Gemeinde bisher auch stets deren Ansprüche lebhaft vertreten hatte, so glaubte sich der Kirchenvorstand am besten an chn persönlich wenden zu sollen, um ihm seine Vorschläge zu einem gemeinsamen Uebereinkommen vorzulegen. Nachdem jedoch Schloesier sein Amt als Barcholomäusvorsteher übernommen und sich in die Sache durch das Studium ihrer Urkunden und ihrer Ueber­ lieferung eingearbeitet hatte, trat er vollkommen auf die Seite der Brüder­ schaft. Denn er kam zu der Erkenntnis, daß seine früheren Ansichten über die Kirchen- und Bartholomäusangelegenheiten „nicht wohl anders als irrig sein konnten, solange er gleich allen seinen Landsleuten in Barcholomäusmysterien noch ganz im Finstern tappte""). Er vertrat jetzt die, freilich nicht unbegrün­ deten Ansprüche und Rechte der Brüderschaft gegenüber der Gemeinde mit einer Schärfe und Feindseligkeit, die die Kirchenvorsteher um so mehr beftemdete, als sie in chm bisher einen Freund gesehen hatten und sich diese Sinnesänderung gar nicht erklären konnten. Jegliche Forderungen und Bitten der Gemeinde wurden von Schloesier glatt abgewiesen, dem Prediger nichts bewilligt und so­ gar die Erhebung einer Miete für Pfarrhaus und Kirche in Aussicht gestellt. Es folgte nun ein sehr gereizter Briefwechsel, der die beabsichttgte Ver­ ständigung immer weiter hinausschob und statt desien einen offenen Zwiespalt und Unftieden in die Gemeinde brachte. Es war zu einer „denkwürdigen Ver­ sammlung" der Brüderschaft am 22. Oktober 1850 gekommen, zu der die Kirchenvorsteher ausdrücklich eingeladen worden waren, um alle Reklamattonen der Gemeinde vorzutragen, in der diese indessen drei Stunden lang ander weitige Erörterungen anhören mußten. Als sie schließlich mit allem Ernst darauf bestanden, gehört zu werden, wurde ihnen erwidert, in dieser Sitzung sei keine Zeit mehr dazu. So spitzten sich die Gegensätze immer mehr zu. Wie schon einmal, vor 50 Jahren, drohte die Gemeinde daran auseinanderzubrechen. Vermittlungsversuche des Pastors Schmettau scheiterten — bis schließlich, drei Jahre nach dem Ausbruch der Gegensätze, der Kirchenvorstand sein Amt nieder­ legte, wobei ihm „für seine Wirksamkeit dankbare Anerkennung gezollt wurde" und in Gegenwart der neuen Kirchenvorsteher Dr. Keßler, H. Moller und Moser die beiden stteitenden Parteien am 21. Januar 1853 sich die Hand zur aufrichtigen Versöhnung reichten. Nach einer im Protokollbuch niedergelegten Erklärung, daß, „falls etwa einzelne Ausdrücke (in dem gegenseitigen Schrift­ wechsel) anscheinend verletzend sein sollten, sie auch nicht entfeint daran dachten, den mindesten Zweifel an der Ehrenhaftigkeit der Gesinnungen und des Cha­ rakters der betreffenden Personen (Weyhe, Finger und Futscher) und Person (Schloesier) zu hegen — mithin eine Beleidigung irgend einer Art nicht beabsichtigt werden konnte".

Diese Aussöhnung war hauptsächlich durch die Vermittlung des Kgl. Leib­ arztes Dr. Keßler zustande gekommen, der jetzt die Führung der Gemeinde übernahm. Um eine Vereinbarung zwischen Gemeinde und Brüderschaft durch den Eintritt von Mitgliedern in diese, die das Wohl der Gemeinde vertreten würden, fernerhin noch zu bekräfttgen, wurden die drei Kirchenvorsteher, außer­ dem Lehrer Röder und noch einige andere Protestanten, in die Brüderschaft ausgenommen. Dieser neue Einfluß wurde bald ersichtlich. In der General-

Versammlung vom April 1853 bestimmte der Borstandsbericht, daß, da die Mittel der Brüderschaft es nunmehr gestatteten, für den deutschen Prediger wieder ein jährlicher Betrag von 100 Milreis gegeben werde. Auch wurden Küster und Türsteher der Gemeinde aus dem Armenfonds der Brüderschaft besoldet (als Unterstützung der beiden mit diesem Posten als Gegenleistung be­ trauten armen Deutschen). Das Grundstück des früheren hanseatischen Hospitals aber wurde der Gemeinde auf 99 Jahre überlassen gegen eine jährliche Miete von 40 Milreis. Denn das Eigentumsrecht der Brüderschaft an den Gebäuden war von feiten der Gemeinde anerkannt worden. Der bisherige Borstand hatte inzwischen auch wieder mit der preußischen Regierung Verhandlungen anzuknüpfen versucht und mit dem preußischen Ge­ schäftsträger von Canitz mehrere Besprechungen deswegen gehabt. Dieser hielt jedoch „die Zeitumstände nicht für geeignet, seiner Regierung diese Angelegen­ heit mit Erfolg vorzutragen". Noch waren die Unruhen von 1848 nicht überwunden. Der Pfarrvikar Dr. Schmettau, der im Februar 1850 ganz nach Lissabon in das Pfarrhaus übergesiedelt war und den die Gemeinde gerne zum Pfarrer behalten wollte, mußte nun aber an seine Zukunft und, wiewohl er der Ge­ meinde auch weiter zu dienen bereit war, an die Rückkehr in seine Heimat denken. Denn von gelegentlichen Gratifikationen konnte er auf die Dauer nicht leben. So sah der Vorstand denn wiederum die letzte Rettung im Gustav-AdolfBerein, und wandte sich im Juni 1850 nach Leipzig mit der Bitte um eine Unterstützung zur Aufbringung des Pfarrgehaltes, außer der zum Unterhalt der Schule. Ohne Zögern bewilligte der Zentralvorstand die erbetenen 300 Thaler für den Pfarrer und sagte auch fernerhin zur Erhaltung der Schule 400 Thaler zu. Es war nicht nur das Geld, das die Gemeinde vor dem Untergang be­ wahrte. Wichtiger noch war der innere Segen, der in der äußeren Gabe glaubensbrüderlicher Liebe beschlossen lag. Etwas davon kommt in dem Brief­ wechsel der von echt christlichem Geiste und mit tiefer Sorge um ihre Gemeinde erfüllten Kirchenvorsteher mit dem Zentralvorstand des Gustav-Adolf-Vereins zum Ausdruck. Dieser beschränkte sich nicht allein auf geschäftliche Darlegungen und Mitteilungen. Nein, er atmet auch etwas von dem Geiste, in dem das alles geschah. In der Bittschrift heißt es: „Wir befehlen die Gemeinde, die nach Gottes Ratschluß bisher bestand, auch hinfort in dessen Schutz, der der Hirt seiner Herde ist und auch die zerstreuten Schafe nicht vergessen will." Was die Teilnahme des Gustav-Adolf-Vereins für sie bedeutete, kommt zum Ausdruck, wenn sie schreiben: „Die wir darin einen Trost finden, daß uns unsere evan­ gelischen Brüder im teuren Vaterlande bisher nicht vergessen und verlassen haben — dies erheiternde Bewußtsein soll uns Alle auch in Zukunft stärken, und Lehre, Zucht und gute Sitte unter uns fördern, daß wir im Glauben immer völliger werden." Und der Zentralvorstand schließt die Mitteilung von seiner Unterstützung mit den Sätzen: „Vertrauen Sie auch ferner der helfenden Liebe Ihrer deutschen Glaubensbrüder und lassen Sie sich durch deren Bereitwillig­ keit, Ihnen beizustehen, ermutigen und antreiben zum treuen Festhalten an unserm gemeinsamen Glauben." Das waren nicht leere Redensarten, wie sie

oft Briefschlüsse zu zieren pflegen, sondern das war ernst gemeint. Und hierin liegt in der Tat der Sinn und die Wirkung der Arbeit des Gustav-AdolfBereins: Innere Stärkung durch äußere Hilfe, Ermunterung des Glaubens­ eifers durch Beweise glaubensbrüderlicher Liebe! — Dank der Hilfe des Gustav-Adolf-Vereins konnte die Gemeinde nun, im Oktober 1850, Dr. Schmettau fest anstellen und ihn, zunächst für drei Jahre, verpflichten. In Anbetracht des geringen Gehaltes brauchte er jedoch vorerst — bis 1854 — nur zweimal im Monat zu predigen. In der Bittschrift an den Gustav-Adolf-Berein hatte der Kirchenvorstand gleichzeitig die Hoffnung ausgesprochen, daß es dem Zentralvorstand vielleicht gelingen möge, durch seinen Einfluß bei der preußischen Regierung die Ueber­ nahme des Protektorats durch den König zu bewirken. Tatsächlich übernahm der Zentralvorstand auch die Vermittlung und wandte sich noch am gleichen Tage, an dem er seine Unterstützung der Gemeinde zusagte, an das Mini­ sterium"). Denn auf die Dauer könne er neben der Unterstützung für die Schule nicht außerdem noch für das Pfarrgehalt aufkommen. Da aber die äußere Lage der Gemeinde wegen der immer noch andauernden Berfassungskämpfe in Portugal nicht genügend gesichert schien, hielt man es im Ministerium für be­ denklich, die Bewilligung der verheißenen Unterstützung zu beantragen, „solange die gegenwärtige Unentschiedenheit der politischen Zustände in Portugal fort­ dauert, und solange darüber keine Gewißheit vorhanden ist, ob die deutsch­ evangelische Gemeinde in Lissabon dabei eine Haltung bewahrt hat, resp, be­ wahren wird, welche sie einer huldreichen Berücksichtigung Seiner Majestät des Königs würdig erscheinen läßt")". So kam die Sache also wieder nicht vor­ wärts, und weitere Jahre gingen darüber hin. Inzwischen war der verdiente bisherige Kirchenvorstand, der unter dem Vorsitz des Majors v. Weyhe so tatkräftig die Ordnung der Gemeindeverhält­ nisse in die Hand genommen hatte und unermüdlich mit wirklichem Verständ­ nis für die Sache und weitschauender Politik für die Erhaltung des Kirchen­ lebens mit Erfolg bemüht gewesen war, durch den neuen Vorstand unter Dr. Keßlers Führung abgelöst worden. Dieser nahm im April 1853 auf An­ raten des Gustav-Adolf-Vereins die Verhandlungen mit der preußischen Regierung von neuem auf. In dem Gesuch an den preußischen Gesandten von Arnim wurde neben einer ausführlichen Darstellung der Geschichte der Gemeinde und ihres Verhältnisses zur Bartholomäusbrüderschaft vor allem die Notwendigkeit eines Neubaus der Kapelle dargestellt. Denn die alte Kapelle — „eigentlich nur eine armselige Betstube" — sei in so baufälligem Zustande, daß „nach Aussage Sachverständiger deren Besuch mit wirklicher Gefahr verknüpft" sei. Ferner beabsichtigte man, sämtliche protestantische Fürsten, Vereine und Glaubensgenossen um Beiträge für den Neubau zu bitten. Der Gesandte befürwortete das Gesuch. Daraufhin wurde ein vertrau­ licher Bericht über Dr. Schmettau vom Kirchenvorstande eingefordert, worauf dieser nur antworten konnte, daß die Gemeinde „denselben nicht allein wegen seines untadelhaften, höchst musterhaften Lebenswandels und seines ehren­ haften Charakters halber, sondern auch seiner würdigen Amtsvorstehung, namentlich seiner Geist und Gemüt belehrenden und anregenden Rednergabe

wegen hochachtet und hochschätzt". Dieses günstige Urteil über Schmettau unter­ streicht auch der Gesandte und spricht sich gegen eine Nichtberücksichtigung seiner Person zum Gesandtschaftsprediger aus. „Andernfalls" — so meint er — „würden hieraus Schwierigkeiten erwachsen und seine Wlehnung ungünstig auf die Beiträge für den Kapellenneubau wirken. Schon jetzt wollen die Leute hier an der Sache verzweifeln, weil die seit einer Reihe von Jahren gepflegten Verhandlungen, trotz aller Opfer, zu denen sich die Gemeinde bereit erklärt und trotz den bestimmten Zusicherungen, welche die kgl. Regierung hat machen lassen, in Berlin noch immer auf Hindernisse zu stoßen scheinen, indem bis jetzt immer noch keine Antwort auf das Jmmediat-Gesuch der Gemeinde erfolgt ist." Und es war wirklich zum Verzweifeln — der Hindernisse wollte es kein Ende nehmen! Als nach weiteren zwei Jahren"") glücklich aus Berlin der Bescheid kam, daß man definitiv das Protektorat der Gemeinde übernehme und auch einen Beitrag zu den Baukosten gewähren wolle, war die hannöversche Staats­ angehörigkeit nun wieder ein Hindernis — „auch abgesehen von den formalen für den Eintritt in den preußischen Kirchendienst erforderlichen Bedingungen, sei er ungeeignet, Seiner Majestät für diese Stelle, deren Besetzung Allerhöchtdieselben Sich vorzubehalten geruht haben, in Vorschlag gebracht zu werden. Doch wolle man seitens der preußischen Regierung seine Bewerbung um eine Anstellung in Hannover unterstützen." Es wurde der Gemeinde nichts Leichtes zugemutet, wenn sie ihrem treuen, in schwerer Zeit so verdienten und geliebten Seelsorger jetzt kündigen sollte, weil sein Scheiden die unerläßliche Vorbedingung zur endlichen Erreichung ihres sehnlichst erstrebten Zieles, des preußischen Protektorats, war, um so mehr, als eine Kündigung für Dr. Schmettau persönlich gerade jetzt sehr ungelegen sein mußte, da er sich inzwischen, auf Grund seiner festen Anstellung in Lissabon, mit der Tochter eines hier ansässigen englischen Kaufmanns verheiratet hatte. Doch sah er die peinliche Lage der Gemeinde ein und war von selbst bereit zu gehen. Nur bat er darum, daß ihm Zeit gelassen werde, sich nach einem passen­ den Wirkungskreis umzusehen und er deshalb noch bis Ende des nächsten Jahres bleiben dürfe. Nur durch die Gewährung dieser Bitte würde sein und der ©einigen Schicksal für die nächste Zeit der schweren Sorge enthoben. Die Generalversammlung vom Dezember 1855 ging bereitwilligst darauf ein und versprach ihm sogar, sein Gehalt bis zu dem erbetenen Termin zu zahlen, auch wenn sein Nachfolger schon früher eintreffen sollte. So war denn endlich der Weg zum Abschluß der Verhandlungen, die sich über 20 Jahre hingezogen hatten, frei. Nachdem der Kirchenvorstand sich noch einmal zur Zahlung von 400 Milreis für das Pfarrgehalt und Stellung der Pfarrwohnung der Regierung gegenüber bindend verpflichtet hatte, wurde durch kgl. Erlaß vom 21. Juni 1856 die Bestallung eines Gesandtschaftsgeist­ lichen in Lissabon genehmigt und 300 Thaler als Zuschuß zu seinem Gehalt gewährt. Der junge Wittenberger Kandidat, Lizentiat Hugo Th. Lüdecke, wurde für die Stelle ausersehen und sollte am 1. August des Jahres seinen Posten antreten. Pfarrer Schmettau verließ bereits am 1. August die Gemeinde, die ihm auf seinen Wunsch einen Urlaub zur Regelung seiner persönlichen Ver­ hältnisse erteilt hatte"'). Vom 26. September ab bis zur Ankunft des neuen

Pfarrers übernahm die Gottesdienste der bei dem Grafen Almeida in Lissabon als Hauslehrer angestellte Kandidat Philipp Anstett aus Straßburg i. E. Mit froher Erwartung und großen Hoffnungen sah die Gemeinde ihrer nunmehr gesicherten Zukunft entgegen. Ein Abschnitt voller Sorgen, Kämpfe und Nöte, aber auch voller Geduld, Glaubensmut und Opfer lag hinter chr. Die Wende an diesem Abschnitt im Leben der Gemeinde ist auch durch den Heimgang einer Reihe alter, treuer und bedeutender Gemeindeglieder gekenn­ zeichnet. 1849 starb der 77jährige Bremer Kaufmann Caspar Block, in dem „unsere Gemeinde einen braven Genoffen verlor"; 1850 Daniel Metzner, 80 Jahre alt, und Fr. Gerstlacher aus Baden, 75 Jahre alt. Ein besonders glänzendes Leichenbegängnis war die Beerdigung der Baronin de Seisal, einer geborenen Scherenwall aus Finnland, der Gemahlin des portugiesischen Gesandten in Petersburg. „Unsere kleine Gemeinde hat in dieser edlen, hoch­ begabten frommen Dame eine der fleißigsten und andächttgsten Kirchenbesucher verloren." 1853 starb in dem hohen Alter von 92 Jahren Johann Bernh. Hinr. Metzener, „ein durch wahre Religiosität und strengste Rechtlichkeit hoch­ geachteter Mann in der Gemeinde, deren Patriarch er hieß." 1855 war ferner der kürzlich hochverdiente Kirchenvorsteher Major Ernst v. Weyhe aus dem Leben geschieden; weiter starb der Schweizer Kaufmann Joh. Heinr. Schindler, 72 Jahre alt, „in dem die Gemeinde ein langjähriges Mitglied und einen der regelmäßigsten Kirchenbesucher verlor", ferner Wilhelmine Lindenberg, die Gatttn von Adolf Friedr. Lindenberg, eine Tochter des Pastors Müller. Mit ihr ging gleichsam ein Stück Tradition der alten Gemeinde dahin. Der Tod erinnert in einer Auslandsgemeinde insonderheit immer wieder an den doppelten Sinn der Diaspora: Wir leben in ihr in der Fremde, fern dem irdischen Vaterland und in einer andersgläubigen Umwelt. Und darüber hinaus: „Wir haben hier keine bleibende Statt, sondern die zukünftige suchen wir" — und gerade die Verlassenheit und Hilflosigkeit, in der unsere Gemeinde bis zu diesem Abschnitt ihrer Geschichte auf sich selber angewiesen war und unter Not und Sorge, Lauheit und Widerstand um ihre Existenz beständig kämpfen mußte, ist ein Sinnbild für diese Bedeutung der Diaspora und ein Hinweis auf die ewige Wirklichkeit, in der unser Dasein in der Zerstreuung zugleich tiefste Begründung und Erfüllung findet.

VI.

Unter königlich preußischem und kaiserlich deutschem Protektorat bis zum Eintritt Portugals in den Weltkrieg, 1856—1916 Der neue königlich preußische Gesandtschaftsprediger und Pfarrer der Ge­ meinde, Lic. Lübecks, traf im Oktober 1856 in Lissabon ein1). In dem bau­ fälligen Pfarrhause waren ein paar Zimmer für ihn instand gesetzt worden. Da er jedoch mit Frau kam — man hatte offenbar mit einem unverheirateten Geistlichen gerechnet —, mußte er zunächst in einem Gasthause Unterkunft suchen, bis die ganze Pfarrwohnung ausgebessert war. Die Wohnung im Gasthaus bezahlte die Gemeinde, während das Pfarrhaus auf Kosten der Bartholomäusbrüderschaft hergerichtet wurde. Am 19. Oktober hielt Lübecks seinen Antrittsgottesdienst. Der junge Pfarrer — er zählte erst 25 Jahre — nahm mit Feuereifer und großem Ernst seine Wirksamkeit auf. Aus Preußen kommend, wo nach Ueberwindung des Rationalismus eine neue Rechtgläubigkeit, verbunden mit einer strengen Kirch­ lichkeit unter dem landesherrlichen Kirchenregiment zur Herrschaft gelangt war, fand er in Lissabon eine völlig andere Geistes- und Lebenshaltung vor. Mangel an Erfahrung und Menschenkenntnis im allgemeinen und an Verständnis für die Ueberlieferung und Eigenart der Lissabonner Gemeinde im besonderen ließen ihn nicht den rechten Ton finden, um mit der Gemeinde in ein harmonisches Verhältnis zu kommen*). Der Unkirchlichkeit und Indifferenz glaubte er mit Strenge und Kirchenzucht entgegentreten zu müssen, „um Gottesfurcht an Stelle einer großen religiösen Verkommenheit zu pflanzen". Dafür fand er jedoch bei den Gemeindegliedern auch nicht das geringste Verständnis. Die selbst­ bewußten Kaufleute und alten Vertreter der selbständigen Kirchengemeinde ließen sich von dem preußischen Beamten und Lizentiaten der Theologie, der für sie nur der „Prediger Lüdecke" war, keinerlei Vorschriften machen. Bezeichnend für den Charakter der Gemeinde ist die neue Gemeinde­ ordnung, die gerade in dieser Zeit „in Berücksichtigung der in letzter Zeit viel­ fach modifizierten Gemeindeverhältnisse" vom Vorstande entworfen und von einer dazu besonders bestimmten Kommission ausgearbeitet wurde. In ihr wurde zwar vorgesehen, daß „bei allen innerkirchlichen Beratungsgegenständen der Geistliche von dem Gemeindevorstand zugezogen" werde, aber von einem Recht des Pfarrers auf Teilnahme an den Beratungen, oder gar von seiner vollen Mitgliedschaft im Vorstande ist keine Rede. Ebensowenig ist das Ver­ hältnis der Gemeinde zum preußischen Staat irgendwie berührt oder berück-

sichtigt. Man dachte auch nicht daran, die Gemeindeordnung dem preußischen Oberkirchenrat, der 1850 ins Leben gerufen worden und nunmehr die vor­ gesetzte Behörde war, zur Genehmigung einzureichen. Dieser hätte sie freilich auch niemals genehmigt und beurteilte sie, nachdem sie ihm zur Kenntnis ge­ kommen war, als „unzulänglich und keineswegs von kirchlichem Sinn zeugend". Es sollte noch lange dauern, bis eine neue Gemeindeordnung zustande kam, die in Berlin Billigung fand. Entsprechend der jene Gemeindeordnung bestimmenden Einstellung des Vorstandes wurde Lüdecke, nachdem man verschiedene Zusammenstöße mit ihm gehabt hatte, tatsächlich von den Beratungen ausgeschlossen. Eine Maßnahme Lüdeckes, durch die er die Gemeindeglieder zur Pünktlichkeit erziehen wollte, hatte die Spannung zum Zerreißen gebracht. Vielfach kamen Kirchenbesucher zu spät und erschienen erst während der Predigt im Gottesdienst. Die weiten Entfernungen von der Kirche infolge der bekannten Ausdehnung der Stadt, Verkehrshindernisse oder auch bloße Unpünktlichkeit nach portugiesischer Art mochten die Gründe dafür gewesen sein. Man hatte nie etwas dabei gefunden, und mancher betrachtete es „fast als ein bestehendes Recht"'), erst während der Predigt zu erscheinen. Lüdecke jedoch gedachte dem ein Ende zu machen und befahl dem Küster, nach Beginn des Gottesdienstes die Kirchentür zu ver­ schließen. Er hatte vorher von der Kanzel herab diese Maßregel angekündigt. Einige Kirchenbesucher mußten nun vor verschlossener Tür wieder umkehren, und es erhob sich eine allgemeine Empörung. Eine Beschwerdeschrift wurde dem Vorstand eingereicht, die Ersetzung des Pfarrers „durch einen anderen, passenden, gesetzten, humanen und Achtung einflößenden Geistlichen" gefordert. Der Vorstand selbst, der um so mehr aufgebracht war, als Lüdecke sich mit ihm vor Ergreifung jener Maßnahme nicht ins Benehmen gesetzt hatte, verlangte in außerordentlich scharfem Ton, unter Berufung auf die Gemeindeordnung, nach der ihm, dem Vorstande, die Ueberwachung der üblichen kirchlichen Ge­ bräuche zustehe, die Unterlassung jener „unerhörten Maßregel", die sich „die Gemeinde einfach nicht gefallen ließe". Der Gegensatz zwischen Vorstand und Pfarrer verschärfte sich noch dadurch, daß Lüdecke die Benutzung des Kirchensiegels für sich allein beanspruchte. Der Vorsitzende des Kirchenvorstandes, Dr. Keßler, wollte die von ihm verfaßten Bittschriften um Gaben für den Kirchbau an die protestantischen Fürsten siegeln. Der Pfarrer aber gab das Siegel nicht heraus, weil, wie er meinte, dieses nicht zu Privatzwecken benutzt werden dürfe, als welches er die Schreiben Dr. Keßlers auffaßte. Da aber die Inschrift des Siegels dieses ausdrücklich als Gemeindesiegel bezeichnet und nicht als Pfarramtssiegel, konnte Lüdecke seinen Anspruch nicht aufrechterhalten, zumal da sich der Gesandte auf feiten des Kirchenvorstandes stellte. Alle diese Zwischenfälle machten ein weiteres Arbeiten Lüdeckes in der Lissabonner Gemeinde unmöglich. „Da indessen die eifrige und treue Amtsführung Lüdeckes nirgends be­ stritten wurde und die Störung des guten Einvernehmens mindestens eben so sehr der anerkannt sehr schwer zu behandelnden, jeder pastoralen Autorität und kirchlichen Zucht abholden Gemeinde zur Last falle"4), wollte der Oberkirchenrat eine Demütigung des Pfarrers gegenüber seinen Gegnern auf jeden Fall ver-

Hermann Zchmettau

vnigo Viiberfe

Pfarrer der Gemeinde von 1818 — 1856

Pfarrer der Genieinde von 1856 — 1860

Hermann Bötticher

Rudolf Baxmann

Pfarrer der Gemeinde von 1860 — 1864

Hilfsprediger der Gemeinde von 1861—1862

meiden und veranlaßte ihn deshalb, selbst um seine Versetzung einzukommen. Am 14. Mai 1860 verließ er Lissabon und wurde dann Pfarrer zu Robe bei Treptow, wo er lange Jahre mit Segen gewirkt hat. Inzwischen hatte der Vorstand unter Führung des rührigen Dr. Keßler — seit 1847 unterschreibt er sich als Baron — der, seit 1853 Vorsitzender, nach 3 Jahren wiedergewählt worden war, die Vorbereitungen zum Neubau der Kirche eifrig betrieben. Die beiden anderen Mitglieder des Vorstandes waren die Kaufleute Heinrich Moser (aus Cannstatt i. Württbg.) und C. A. I. Schoenewald. Nach Mosers Tode im Jahre 1857 — er war auch württembergischer Generalkonsul gewesen — trat Bento G. Klingelhöfer (aus Heidel­ berg) in den Vorstand ein. Außerdem wurde auf Vorschlag Dr. Keßlers in der Generalversammlung vom Januar 1850 noch ein besonderer „Gemeinde­ ausschuß" ernannt, der bei außergewöhnlichen wichtigen Gemeinde-Angelegen­ heiten dem Vorstand zur Seite treten sollte. Neben dem Lehrer und dem Pfarrer sollten ihm von jetzt ab immer drei weitere Gemeindeglieder angehören. Zunächst wurden I. Finger, F. W. Koenig und Th. Albers dazu gewählt. Das erste, was der Vorstand in der Bauangelegenheit unternahm, war die Veranstaltung einer Subskription innerhalb der Gemeinde, die 1820 Milreis ergab — ein bei der schlechten wirtschaftlichen Lage der meisten Gemeindeglieder immerhin erfreuliches Zeichen von Opferwilligkeit. Sodann wurden außer an die preußische Regierung und den Gustav-Adolf-Berein an sämtliche protestan­ tischen Fürsten, Vereine und auswärtige Glaubensgenossen die erwähnten Bittschriften gesandt. Diese übertrafen den erwarteten Erfolg bei weitem. Die größte Gabe stiftete König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen mit 3000 Tha­ lern (1980 Milreis), dann kam der Gustav-Adolf-Verein mit 1200 Thalern (791 Milreis); es folgten: der Kaiser von Rußland (900 Milreis), der König von Hannover (375 Milreis), der König von Schweden (178 Milreis), der König von Dänemark (152 Milreis), der Herzog von Nassau-Wiesbaden (120 Milreis). Kleinere Beträge spendeten die Herzöge von Sachsen-Altenburg, Anhalt-Bernburg, Anhalt-Dessau, Sachsen-Meiningen, ferner die Hansestädte Hamburg, Bremen, Lübeck sowie die kleine holsteinische Gemeinde Schenefeldt und verschiedene Privatpersonen, unter denen die Baronin Johanna von Arnim-Spreewalde hervorragt, die 500 Thaler unter der Bedingung stiftete, daß für die Pflege des Grabes ihres auf dem deutschen Friedhof beerdigten Sohnes Sorge getragen würde. Ueber die Deckung der Baukosten brauchte sich der Vorstand nun keine Sorge mehr zu machen. In Anbetracht dessen, daß für viele Gemeindeglieder die bisherige Lage der Kapelle ungünstig gewesen war, zog man in Erwägung, ob die neue Kirche nicht besser im Zentrum der Stadt oder auf dem Friedhof erbaut werden solle. Man gab aber schließlich doch dem alten Platz den Vorzug, teils, weil ein besserer nicht zu finden war, teils aus Ersparnisgründen. Nun wurden zunächst einige an die alte Kapelle angrenzende Grundstücke für den Neubau in Aussicht genommen, doch kam man davon wieder ab. Um daraufhin die Möglichkeit des Neubaus auf dem bisherigen Grundstück an Stelle der alten Kapelle zu prüfen, wurde der französische Architekt Colsen herangezogen, der den Neubau durchaus für möglich erklärte und die entsprechenden Pläne für ihn entwarf. 8

113

Die Ausführung wurde dann dem Baumeister Manuel Roiz Pitta übertragen, der neben zwei anderen Bewerbern den bMgsten Kostenanschlag mit 4365 Mil­ reis gemacht hatte. Bevor aber der Bau durchgeführt wurde, suchte der Borstand, durch frühere Erfahrungen gewitzigt, das Verhältnis der Bartholomäusbrüderschast hinsichtlich des dieser gehörenden Grundstücks klarzustellen. Im April 1859 wurde zwischen Brüderschaft und Gemeinde das Abkommen getroffen, datz 1. die auf dem Grundstück befindlichen Gebäude zu kirchlichen Zwecken der Gemeinde überlasten bleiben sollten, ohne jede Abgabe an die Brüderschaft, daß 2. die Gemeinde die beabsichtigten Neubauten auf ihre eigenen Kosten ausführe, ohne dafür Forderungen an die Brüderschaft zu stellen, daß 3. die auf dem Grund­ stück lastenden Abgaben die Gemeinde zu tragen habe und 4. daß, falls das Grundstück nicht mehr für den protestantischen Gottesdienst benutzt werden sollte, dieses samt den darauf errichteten Gebäuden der Bartholomäusbrüderschaft wieder anheimfalle.

So waren denn alle Fragen geklärt. Am 20. April 1859 wurde der Bau begonnen. Für den Pfarrer — noch war Lüdecke im Amte — wurde, da gleich­ zeitig das Pfarrhaus vollständig erneuert werden sollte, eine Wohnung ge­ mietet. Die Gottesdienste fanden während der Bauzeit in der kleinen Fried­ hofskapelle statt. Die Einwechung der neuen Kirche sollte gleichzeitig mit der Antrittspredigt des neuen Pfarrers stattfinden, dessen Ankunft die Gemeinde „hoffnungs- und erwartungsvoll" im Frühjahr 1860 entgegensah.

Zum Nachfolger Lüdeckes war der Superintendent Hermann Bötticher auf Vorschlag des preußischen Hofpredigers Hengstenberg vom Oberkirchenrat ausersehen und am 18. April 1860 vom König ernannt worden, ein Mann von hoher Begabung, umfassender Bildung, reicher Erfahrung und tiefem religiösen Ernste. Er war ein Schüler von Tholuck und Julius Müller, dabei von gewandtem und einnehmendem Wesen, völlig anderer Art als Lüdecke. Bereits im 40. Lebensjahre stehend"), mußte er wegen eines schweren Lungen­ leidens südliches Klima aufsuchen und deshalb eine bedeutende Stellung als Superintendent zu Rogasen in Posen, die er schon mit 33 Jahren erhalten hatte, verlassen. Am 10. Juni traf er mit Frau und 2 Kindern in Lissabon ein6). Das erneuerte Pfarrhaus war zum Einzug bereit, und der erste Gottes­ dienst konnte wirklich in der neuen Kirche stattfinden. Es war am 7. Sonntag nach Trinitates, den 22. Juli 1860. Fast die ganze Gemeinde hatte sich vollzählig in ihrem neuen Gotteshaus eingefunden, in ihrer Mitte auch deutsche Katholiken sowie der österreichische und russische Gesandte. Der Kirchenvorstand — mit Ausnahme des in Deutschland befind­ lichen Vorsitzenden Dr. Keßler — und der Gemeindeausschuß versammelten sich mit dem Geistlichen im Pfarrhaus. Nachdem der preußische Gesandte von Rosenberg mit dem preußischen Generalkonsul und dem Kanzler der Gesandt­ schaft eingetroffen waren, wurde Pfarrer Bötficher feierlich in die Kirche geleitet. Der Gesandte stellte in einer längeren Ansprache dem Vorstand den Pfarrer vor, worauf der Kirchenvorsteher August Schoenewald, den Dank der Gemeinde zum Ausdruck bringend, Bötticher als Pfarrer der Gemeinde auf-

nahm und ihn dieser vorstellte, indem er ihn ihrem Wohlwollen und Vertrauen anempfahl. Nun erst begann die feierliche Einweihungsfeier. Lehrer Röder spielte die Orgel — anscheinend war ein Harmonium angeschafft worden —, die Gemeinde sang: „O heilger Geist, kehr bei uns ein", worauf Bötticher die Weiherede hielt. Dann begann der erste Gottesdienst, bei dem die Responsorien in der Liturgie nach der preußischen Agende von einem Männerchor unter Röders Leitung gesungen wurden. Nach dem Lutherlied „Ein feste Burg ist unser Gott" folgte die Predigt, der Röm. 1,16 zugrunde lag: „Ich schäme mich des Evangeliums von Christo nicht: denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben, die Juden vornehmlich und auch die Griechen." Der ausführliche Bericht über diese Feier im Protokollbuch der Gemeinde schließt mit den Worten: „Durch die Mitwirkung der hiesigen deutschen Lieder­ tafel .. . und durch die herzlichen und ergreifenden Worte des Pfarrers, sowohl bei der Einsegnung der Kapelle, als auch bei der Antrittspredigt, wird diese Feierlichkeit gewiß allen Anwesenden unvergeßlich bleiben." Alle waren sich wohl auch des bedeutsamen Tages bewußt, den die Gemeinde nach so vielen Mühen und Sorgen, Hoffnungen, Enttäuschungen und endlich überwundenen Schwierigkeiten erleben durfte. Und welch ein Glück war es für die Gemeinde, da sie sich zu einem neuen Aufschwung ihres kirch­ lichen Lebens anschickte, einen Geistlichen erhalten zu haben, der aus tiefstem seelsorgerischem Verständnis heraus ihr Gottes Wort nahezubringen verstand und in seiner achtunggebietenden Persönlichkeit ein eindrückliches Vorbild christ­ licher Lebensgestaltung darstellte. Die Bekannffchaft mit seiner Gemeinde wurde dem Pastor in Lissabon wesentlich durch die Sitte erleichtert, daß die hervorragenden Gemeindeglieder ihrem neuen Seelsorger zuerst ihren Besuch zu machen pflegten. Bald ver­ binden ihn herzliche persönliche Beziehungen mit manchen Gemeindegliedern, und ist er ganz vertraut mit seinem Wirkungskreis, über den er mit treffendem Urteil in seinem Tagebuche') schreibt, indem er sich zugleich grundsätzlich über seine Arbeit klar wird: „Der Stamm der Gemeinde sind Kaufleute, aus Ham­ burg, Lübeck, Frankfurt a. M., dann aus den verschiedensten deutschen Staaten und aus der Schweiz gebürtig. Der Sinn ist kaufmännisch, daher gilt das Kirchliche durchaus nicht in erster Stelle. Doch haben die Leute ein großes Interesse für die kirchlichen Einrichtungen als für ihr Werk. Es ist auch das etwas ganz Gutes, und es kommt nur darauf an, daß das Aeußere Leben bekomme und das selbstische Interesse in Liebe zu Gottes Sache umschlage. — Es begegnet mir Freundlichkeit von allen Seiten, und es scheint der aufrichtige Wunsch der Gemeinde zu sein, mit ihrem neuen Pfarrer in recht ungestörtem Frieden zu leben. Da auch ich den Wunsch habe, so wird es ja Gott wohl gelingen lassen. Sie werden sich die Predigt des Evangeliums wohl gefallen lassen; ich aber will nicht ungeduldig werden, wenn die gewünschten Früchte zuerst ausbleiben. Das mehr äußere Band der Freundlichkeit werde ich nie zerreißen lassen, solange es möglich ist, in der Hoffnung, daß es immer mehr nach innen wachse. Durch das Aeußere zum Innern, das muß hier mein Weg sein, — von der äußeren Kirche, deren sie sich freuen, zur inneren; vom äußeren Kirchengehen zum Lieben und Befolgen des Wortes; von der 8*

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äußeren Freundlichkeit zum Bande der Vollkommenheit, zur Liebe in dem Herrn." Böttichers Wirken zeigte bald sichtbare Früchte. Als der Pastor D. Fr. Liebetrut, heimkehrend von einer größeren Reise im Süden, Ende des Sommers 1860 nach Lissabon kam, konnte er an den Oberkirchenrat nach Berlin berichten'): „Die Kapelle war zum größeren Teile gefüllt; einige Gemeinde­ glieder wirkten zur Ausführung der Liturgie mit. Es zeigte sich bald, daß die ganze Gemeinde mit hoher Befriedigung ihren Pfarrer als einen Teil chres Selbst umschloß. Dies trat je länger je mehr hervor, und es war nur Eine Stimme der Freude, diesen Mann als Pfarrer zu besitzen. Das hatte sich äußerlich schon nach dem ersten Gottesdienste desselben bekundet, indem alsbald aus freier Bewegung eine namhafte Summe kirchlicher Jahresbeiträge zu den bisherigen gezeichnet wurde." In der Tat waren ältere Gemeindeglieder wieder eingetreten und neue gewonnen, wodurch eine jährliche Mehreinnahme von 100 Thalern erzielt wurde. Man sieht, was ein Pfarrer allein durch das rechte persönliche Wirken auch in dieser schwierigen Gemeinde erreichen kann. Mit der Durchsetzung der Autorität seines Amtes kommt er hier nicht weiter. Wer er wird seinem Amte Autorität verschaffen, wenn er Achtung und Vertrauen zu seiner Person zu erwecken vermag. So wurde denn Bötticher auch bald die beständige Mitglied­ schaft im Kirchenvorstand als Zeichen des Vertrauens durch Gemeindebeschluß in der Generalversammlung vom November 1860 auf Antrag des Vorsitzenden Dr. Keßler eingeräumt — jedoch ausdrücklich nur für seine Person. Als der Gesandte Sitz und Stimme im Kirchenvorstand später auch für Böttichers Nach­ folger forderte, wurde dieses Ansinnen als „ganz unzulässig" abgelehnt. Bei der erwähnten Generalversammlung erstattete der bisherige Vorstand vor seinem Abtreten durch Dr. Keßler einen ausführlichen Bericht über seine Tätigkeit. Mit berechtigter Befriedigung konnte er auf das Erreichte zurück­ blicken und auf die glückliche Durchführung der verschiedensten Unternehmungen zur Ordnung und Festigung der Gemeindeverhältnisse Hinweisen. Neben dem Neubau der Kirche und dem Umbau des Pfarrhauses war vor allem die Erweiterung und Erneuerung des Friedhofs von Bedeutung für die Zukunft. Diese Arbeit war mit dem Bauvorhaben von Anfang an verkoppelt worden, so daß die Kosten dafür in den Voranschlag mit ausgenommen waren. Manche Gaben, wie die schon erwähnte der Baronin von Arnim, waren deshalb über­ haupt nur mit Rücksicht auf den Kirchhof gegeben worden. Denn verschiedene ausländische nichtkatholische Nationen hatten ein Interesse daran, daß ihre in Lissabon verstorbenen Toten eine würdige Ruhestätte erhielten. So hatte der Kaiser von Rußland an seine Gabe ausdrücklich die Bedingung geknüpft, daß die Gemeinde sich schriftlich verpflichte, den Friedhof zu vergrößern und in Portugal verstorbenen russischen Untertanen die Bestattung auf dem deutschen evangelischen Kirchhof zu gewähren. Nach Ueberwindung starken Widerstandes — die Besitzerin sträubte sich hartnäckig aus konfessionellen Bedenken — gelang es, dank der Umsicht und den Bemühungen des Vorstehers B. G. Klingelhöfer, das angrenzende Grundstück für 1380 Milreis zu erwerben. In weiser Vor­ aussicht bestimmte der Vorstand durch eine Klausel im Kaufkontrakt, daß von

dem neuerworbenen Grundstück ein an den bisherigen Begräbnisplatz an­ schließender Teil bis zu einer bestimmten Grenze „nie und nimmer" verkauft werden dürfe, um zukünftigen Eventualitäten vorzubeugen. Wie klug diese Maßregel war, sollte die Gemeinde später mit Schmerzen erfahren, nachdem sie dann doch einmal außer acht gelassen wurde, und nun der Friedhof längst zu klein geworden war, ohne nochmalige Möglichkeit, ihn zu vergrößern. Der Bau der Mauer um den erweiterten Friedhof wurde von den Baukosten bezahlt. Die Anordnung und Bepflanzung des Grundstücks aber übernahm in uneigen­ nütziger Weise das Gemeindeglied Carl Moller aus eigenen Mitteln, „der als großer Blumenfreund und Nachbar des Gottesackers auch in Zukunft für die Instandhaltung und Ordnung desselben unablässig bemüht war".

Trotz sparsamster Wirtschaft und vorsichtiger Verwaltung der Baugelder hatte sich schließlich doch ein Fehlbetrag von 894$500 Milreis ergeben. Doch schon nach wenigen Monaten wurde die Gemeinde von dieser Last zum größten Teile befreit. In einem Erlaß vom 28. Februar bewilligte König Wilhelm I. von Preußen zur Deckung des Fehlbetrages 1000 Thaler. Das war dem Gesandten von Rosenberg zu verdanken, der den Antrag dazu gestellt hatte. Er zeigte überhaupt warmherziges Interesse für die Gemeinde und suchte sie in jeder Weise zu fördern. Sein Haus stand auch „in der innigsten und lebendig­ sten Gemeinschaft mit dem Pfarrhause". Der bisherige Vorstand legte in der erwähnten Gemeindeversammlung nach fast achtjähriger erfolgreicher Tätigkeit sein Amt nieder. An seiner Stelle wurden Justus Finger, A. W. Engerström — ein Schwede — und C. Albers (nachdem C. W. Moller die Wahl abgelehnt hatte) gewählt; zu Mitgliedern des „Ausschusses" H. Schalck, C. Stegner, Ph. Anstett.

Zu Beginn des neuen Jahres traf die Nachricht vom Tode des königlichen Protektors König Friedrich Wilhelms IV. in Lissabon ein. Am Sonntag darauf, dem 9. Januar 1861, gedachte die Gemeinde in feierlichem Trauer­ gottesdienst des Verewigten, dem sie nicht zum wenigsten die Errichtung ihrer neuen Kirche verdankte. Leider aber sollten dieser und der nächstfolgende vorläufig die letzten Gottesdienste sein, die Pfarrer Bötticher hielt. Denn in der Nacht des 1. Epi­ phaniassonntages kam sein altes Leiden wieder zum Ausbruch. Ein schwerer Blutsturz warf ihn darnieder. Erst nach längerer Zeit konnte er wieder die Kanzel besteigen. Aber im Herbst verschlimmerte sich sein Zustand wieder so sehr, daß man nur noch von einer Reise nach Madeira Besserung erhoffte. Dazu wurde ihm ein Urlaub von sechs Monaten erteilt. Die Vertretung über­ nahm zunächst der von Bötticher noch ordinierte Kandidat Philipp Anstett, bis im November des Jahres die Kirchenbehörde den Hilfsprediger am Witten­ berger Predigerseminar, Rudolf Baxmann, schickte. Ihm schrieb Bötticher von Madeira aus nach Lissabon, als Weisung für seine Amtsführung: „Ich trat ohne alle Ansprüche in die Gemeinde und verlangte gar Nichts, als daß man mir gestatte, das Evangelium von Jesu Christo zu predigen; — dort ist das Sammeln die wichtigste Aufgabe, und das geschieht am sichersten durch die Milde des Wortes, das immer anlockt und Nichts aufrückt')."

Bötticher selbst dachte auch auf Madeira trotz seiner schwachen Gesundheit an die geistliche Versorgung feiner dortigen Landsleute. Er fand hier eine Gemeinde von 82 deutschen Protestanten vor, die sich bald ihm anschlossen und um ihn sammelten. Am 1. Weihnachtsfeiertage predigte er zum ersten Male in der ihm freundlich überlassenen schottischen Kapelle. Karfreitag hielt er dort wieder einen Gottesdienst mit Abendmahlsfeier. Außerdem bestattete er auch manchen Glaubensgenossen auf der Insel — die meisten Ausländer wellten ja aus Gesundheitsgründen auf Madeira. Da sich Böttichers Zustand nicht wesent­ lich besserte, wurde sein Urlaub verlängert. Im nächsten Winter erreichte er noch eine geordnete Einrichtung regelmäßiger 14tägiger Gottesdienste in seiner Wohnung'"), die starke Beteiligung fanden, selbst von feiten deutscher Katho­ liken und von Skandinaviern. Auch den Unterricht von Konfirmanden nahm er auf, die am letzten Sonntage des Jahres eingesegnet wurden. Aber bald wurde die Arbeit für ihn zu anstrengend. Am 12. April 1863 hielt er seine letzte Predigt in seinem Leben „vor der Auferstehung". Da von dem Aufenthalt auf Madeira") nichts mehr zu hoffen war, kehrte er im Mai 1863 wieder nach Lissabon zurück, wo es dann allmählich mit ihm zu Ende ging. Seiner Gemeinde sollte es nicht mehr vergönnt sein, die Stimme ihres verehrten Seelsorgers von der Kanzel herab noch einmal zu vernehmen. „Mit Spannung und Teilnahme begleitete sie den langsam sich vollziehenden Ausgang seines Leidens, und es ist fraglich" — so schreibt sein Nachfolger, Pastor Rothe —, „ob das Anschauen des christlichen Duldens in ihrer Mitte ihr nicht zu größerer Erbauung und Stärkung gereicht hat, als es eine Wirk­ samkeit in voller Kraft vermocht hätte." Am 2. März 1864 wurde er endlich von seinem mit unendlicher Geduld und gläubiger Ergebung getragenen Leiden erlöst12). Seine Gemeinde"), auf deren Friedhof er unter allgemeiner, rühren­ der Teilnahme zur letzten Ruhe gebettet wurde, setzte ihm auf eigene Kosten ein würdiges Denkmal: ein Kreuz auf einem Felsen — „ein Hinweis auf das Kreuz, das er selbst getragen, gestählt durch die Kraft des anderen Kreuzes, dessen Sünde und Tod brechende Gewalt auf ewigem Felsengrunde göttlicher Barmherzigkeit ruht" —, darauf die Inschrift: „Das Kreuz hat er getragen, Durchs Kreuz ist er erlöset, Durchs Kreuz hat er gesieget." In der Vertretung des Pfarramtes hatten inzwischen die Hilfsprediger gewechselt. Baxmann hatte zwar in der kurzen Zeit seiner Amtsführung") „die Achtung und Liebe der Gemeinde sich erworben" und sein hervorragendes Interesse für wissenschaftliche Dinge schien „für einzelne Mitglieder dieser, dem geistigen Leben der Heimat so fern stehenden deutschen Kolonie, ein Bindemittel zu werden""). Wer gerade dieses war es auch, was ihn bald wieder fortzog — die Universität in Bonn berief ihn im Sommer 1862 zum evangelischen In­ spektor"). Bei seinem Abschied wurde ihm auf Vorstandsbeschluß eine goldene Repetieruhr zum Andenken und zum Dank für sein Wirken überreicht, zu deren Ankauf in der Gemeinde subskribiert worden war. Zu seinem Nachfolger ent­ sandte der Oberkirchenrat den Berliner Domhilfsprediger Wilhelm Rothe, der

am 11. November 1862 in Lissabon eintraf. In der Zwischenzeit hatte wiederum PH. Anstett") die Vertretung übernommen. Roche selbst schildert seinen für Lissabonner Verhältnisse so charakteristischen Einzug folgendermaßen"). „Als der Dampfer vor der Pra^a do Commercio vor Anker gegangen war, erschien ein Boot mit schwarz-weißer Flagge, darin der Kanzler der preußischen Gesandtschaft, der mich freundlich abholte und mit dem Boote nach dem Landungsplätze Pampulha brachte, wo der deutsche Küster Wepler mich erwartete. Indessen das Pfarrhaus war verschlossen. Den Schlüssel hatte Herr Finger, Vorsitzender des Gemeindekirchenrates, in seinem Büro. Da derselbe aber dort nicht mehr anwesend war, so entschloß ich mich, nach längerem Umherirren in den Straßen Lissabons, zunächst in ein Gasthaus zu gehen, wo ich über diesen seltsamen Empfang nachzudenken Muße hatte. Als ich am nächsten Tage Herrn Finger glücklich traf, war er anfangs keines­ wegs bereit, mir den Pfarrhausschlüssel einzuhändigen, da der Gemeinde­ kirchenrat von dem preußischen Gesandten keine Mitteilung über meine An­ kunft erhalten habe. Schließlich gelangte ich dann doch in das Haus und richtete mich darin ein, mit Hilfe eines ältlichen portugiesischen Dienstmädchens, mit der die Verständigung zum Teil durch Zeichensprache erfolgen mußte." Rothes erster Sonntag in Lissabon war der Totensonntag. „Das Kirchlein" — so erzählt er — „war gut besucht. Auf den Bänken nächst dem Altar saßen die Mitglieder des diplomatischen Korps: der preußische Gesandte von Arnim und seine liebenswürdige Gemahlin, geb. Gräfin Arnim-Boitzenburg, die Frau des russischen Gesandten von Ozeroff, geb. Gräfin Schlippenbach, und ihre Tochter Nadine, später vermählt mit dem preußischen Gesandten von Radowitz, sowie die Gräfin Carreiro, Gemahlin eines höheren Hofbeamten, eine Kurländerin. Den Hauptteil der Kapelle nahmen die Familien der deutschen Kaufleute und Handwerker ein. Auf der Seitenbank saßen drei alte Krieger, die Anfang des Jahrhunderts in der deutsch-hannoverschen Legion unter Wellington gegen die Franzosen gefochten hatten und in Portugal geblieben waren. Der eine war ein Siebziger, der andere ein Achtziger, der dritte ein Neunziger. Die beiden Jüngsten bekleideten die Aemter des Küsters und Kirchendieners. Auch Schweizer und Schweden hatten sich der deutschen Ge­ meinde angeschlossen." Ein deutliches Bild von der Zusammensetzung der Gemeinde beim Eintritt in das 2. Jahrhundert ihrer Geschichte") gibt ein Bericht Rothes an den Evan­ gelischen Oberkirchenrat. Danach „ist außer dem diplomatischen Korps noch der General Frh. von Wiederholdt nebst Schwester zu nennen, ferner der kgl. Leib­ arzt Dr. Keßler und der Kammerdiener des Königs Stegner. Der Kern der Kaufmannsgemeinde setzt sich aus zwei Gruppen zusammen: den Altein­ gesessenen und den Neueingewanderten. Bei der ersten Gruppe ist das deutsche Wesen größtenteils von dem portugiesischen oder englischen überwuchert, die deutsche Sprache ganz verloren oder nur unvollkommen bewahrt, und die Teil­ nahme an den Geschicken der Heimat schwach. Die Zeit, wo die Lindenbergs, Mollers usw. die Börsen von Lissabon beherrschten, wo ihre Häuser zu den opulentesten gehörten und durch großartige Gastfreiheit einen Mittelpunkt für alles bildeten, was hier deutsch war, ist vorbei, jener Reichtum dahin, und der

sehr mäßige Vermögensstand der jetzigen Generation hat zum Teil noch die väterlichen Häuser bewahrt, ohne doch im Stande zu sein, die alte Gastfreiheit und damit das Gefühl der nationalen Zusammengehörigkeit aufrecht zu er­ halten. Das vielfache Durcheinanderheiraten der eng verbundenen Familien hatte sich zudem in trauriger Weise dadurch an der jetzigen Generation bestraft, daß ein Teil derselben körperlich und geistig verkrüppelt ist. Die zweite Gruppe, die Neueingewanderten, fühlen sich noch durchaus als Deutsche. Die Mehrzahl sind Buchhalter oder Kommis. Biele sind ledig, andere mit Portugiesinnen oder Engländerinnen verheiratet, deren Einfluß oft die Kinder der deutschen Gemeinde entzieht. Bon den drei Mitgliedern des Kirchenvorstandes z. B. — es waren zu der Zeit Finger, Engerstroem und Albers — sprechen zu Hause weder Frau noch Kinder ein Wort deutsch. Schließlich gehören zur Gemeinde noch eine Anzahl gesellschaftlich unter den vorigen stehende Handwerker, be­ sonders Uhrmacher, Schneider, Wagenbauer, Bäcker, ferner Gastwirte, Gouver­ nanten und Dienstboten. Mes in allem etwa 150—200 Seelen." Immer sind es auch deutsche Katholiken, die zur Gemeindeeinrichtung bei­ tragen. Stand doch der deutsche Katholizismus dem deutschen Protestantismus näher als dem portugiesischen Katholizismus. Selbst der portugiesische KönigVater, Don Fernando, aus dem Hause Sachsen-Coburg-Gotha, obwohl Katholik, betrachtete sich als eine Art Protektor der deutschen evangelischen Gemeinde, unterstützte sie durch Gaben und legte Wert darauf, wenn an Festtagen, wie zu Neujahr und an seinem Geburtstag, der Pfarrer im Namen der Gemeinde Glückwünsche überbrachte"). Hinsichtlich der deutschen Katholiken war es in der Generalversammlung vom November 1860 ausdrücklich festgesetzt worden, daß deren Gaben zur Unterstützung der Gemeinde mit gebührendem Dank empfangen würden, ihnen jedoch damit noch nicht die Rechte von ordentlichen Gemeindegliedern, mithin auch nicht das Wahl- und Stimmrecht bei Ge­ meindeversammlungen, zuerkannt werden könnten. „Auch die Mitglieder der griechisch-orthodoxen Kirche" — so berichtet Rothe weiter — „halten sich zu uns. Die Matrosen russischer Schiffe, die hier sterben, finden ihre Ruhestätte auf unserm Kirchhof, und einzelne Anhänger der griechischen Konfession lassen sich ab und zu in unseren Gottesdiensten sehen. So sammelt die DeutschEvangelische-Gemeinde hier — neben der weit zahlreicheren englischen — in der Tat alles um sich, was sich dem hiesigen Katholizismus entgegenstellt, und ihre Einwirkung reicht weit über Lissabon hinaus, da sie die einzige auf der ganzen Pyrenäen-Halbinsel ist." Hemmnisse und Schwierigkeiten des kirchlichen Lebens sieht Rothe mit Recht in folgenden Umständen, die zum Teil noch heute die gleichen sind: 1. sind zu wenig deutsche Frauen und wirklich deutsche Familien vorhanden — die Frauen und Mütter seien ja überall vorzugsweise die Träger des religiösen Sinnes; 2. ist die Schwierigkeit, die deutsche Sprache zu bewahren, bei dem Angewiesensein auf portugiesische Dienstboten und dem Umgang mit portu­ giesischen Freunden groß, zumal die bestehende deutsche Schule in dieser Be­ ziehung ihren Zweck doch nicht voll erfüllt. Diese ist für viele Eltern zu weit entfernt gelegen, als daß sie ihre Kinder dorthin schicken könnten. Infolge mangelnder Kenntnis ihrer Muttersprache können manche Deutschen dem

Faden der Predigt nur mit Mühe folgen; 3. erweisen sich die riesigen Ent­ fernungen der ausgedehnten Stadt immer wieder als eine besondere Hemmung des kirchlichen Lebens. Bei den weiten Wegen der vom Mittelpunkt der Stadt sehr abgelegenen Kapelle ist bei Regen oder heißem Sonnenbrand für viele der über die ganze Stadt und die Vorstädte hin verstreut wohnenden Gemeinde­ glieder der Besuch des Gottesdienstes „fast unmöglich. Und auch bei gutem Wetter gehört sehr viel guter Wille dazu, die Entfernung zu überwinden, zu­ mal da man in Lissabon weite Wege scheut und die Fiaker außerordentlich teuer sind"; 4. sei der in der Gemeinde vorherrschende Kaufmannsstand im all­ gemeinen überhaupt für das Wort Gottes besonders schwer zugänglich; 5. falle eine unmittelbare Einwirkung auf die Häuser ganz fort, da keine Konfirmanden vorhanden sind und seelsorgerliche Besuche nicht erwünscht werden: Arme gibt es fast gar nicht — die wirtschaftliche Lage hatte sich im allgemeinen wieder gehoben; 6. wirke es sich noch aus, daß „das geistliche Amt sehr lange in einer seinem Ernst und seiner Würde sehr wenig entsprechenden Weise" geführt worden sei — was sich wohl auf Dr. Schütze bezieht, dessen Verdienste um das Deutschtum und die äußere Stellung der Gemeinde wir kennengelernt und ge­ würdigt haben, dessen theologische Einstellung wir aber in der Tat zur Be­ gründung einer echt evangelischen Amtsführung als unzulänglich erkennen mußten. Doch findet Rothe mit Rücksicht auf alle diese Umstände den inneren Zu­ stand der Gemeinde noch günstiger, als zu erwarten. Ein Gefühl für die Zusammengehörigkeit in der Gemeinde, ein Gemeindebewußtsein sei immerhin noch vorhanden, wenn auch weniger ein wirklich kirchliches Bewußtsein, als vielmehr das nationale Gefühl dabei vorherrschend sei und den Grund zur Teilnahme an den Angelegenheiten der Gemeinde bilde. Unter diesem Gesichts­ punkt wird von der Mehrzahl der Deutschen auf die nun fest begründete kirchliche Einrichtung ein hoher Wert gelegt. Auch diejenigen, die ohne tieferes religiöses Interesse sind, tragen bereitwillig zur Erhaltung derselben bei und haben ihre Freude daran, daß jetzt die Kapelle, Pfarrhaus und Kirchhof aus der früheren Verwahrlosung in einen geordneten und befriedigenden Zustand gebracht sind. In der Vereinzelung, in der die Deutschen sich hier befinden, halten sie die kirchliche Gemeinschaft als das einzige Band, das sie verbindet, hoch, und je tiefer sich int Auslande die Zersplitterung der Deutschen in so viele einzelne Staaten fühlbar macht, um so dankbarer sehen sie die Kirche unter dem Schutze der deutsch-evangelischen Großmacht, Preußens, das der Gemeinde in so reichem Maße Hilfe und Unterstützung gewährte. „So ist es vorherrschend ein nationales Interesse, das sie an der deutschen Gemeinde festhalten läßt. Und das Bewußtsein, selbst Opfer dafür zu bringen, macht ihnen dieselbe um so werter." Dieses vorwiegend nationale Interesse an der Kirche, das freilich auch deren Wert für das Volkstum zeigt, ist von jetzt ab überhaupt charakteristisch für die Gemeinde. „Kolonie" und „Gemeinde", „Gesellschaft" und „Kirche", die wir bereits mehr und mehr auseinandertreten sahen, als zwei grundsätzlich nebeneinander stehende, voneinander gesonderte Größen, die sich nicht mehr, wie früher, einander durchdringen und innerlich bedingen, decken sich jedoch

noch in der Praxis, indem das nationale Leben im kirchlichen seinen Ausdruck findet, und die Kirche den kulturellen Mittelpunkt der Kolonie bildet. So konnte denn ein nationaler Aufschwung auch dem kirchlichen Leben einen Auftrieb verleihen. Es sollte aber einmal eine Zeit kommen, da beides sich nicht mehr deckte, und eine tiefere Begründung der Einheit erst wieder gesucht und um sie gerungen werden muhte. Rothe, ebenfalls ein Schüler von Tholuck, war es gegeben, im Sinne seines Vorgängers Bötücher zu wirken, und das Gemeindeleben nahm weiter eine günstige Entwicklung. Eine starke Stütze fand er bei dem neuen preuhischen Gesandten, Frhr. von Werthern, dessen „gewinnendem Wesen und leutseligem Auftreten es zu verdanken war, daß lang eingewurzelte Bitterkeit und Eifer­ sucht, die zwischen Kirchenvorstand und Gesandtschaft bestanden hatte")" — bei der Ankunft Rothes, als Finger den Schlüssel nicht herausgeben wollte, merkten wir etwas davon — „überraschend schnell schwanden". Der Kirchenbesuch nahm zu. Bei den Schwierigkeiten „muh man sich vielleicht eher verwundern, daß noch immer so viele kommen, als daß nicht mehr kommen." Erwähnenswert und bezeichnend für den nationalen Charakter des kirchlichen Lebens ist ein unter großer Teilnahme gefeierter Gottesdienst zum 50jährigen Jubiläum der Völkerschlacht bei Leipzig am 18. Oktober 1863. So hatte sich denn Rothe schnell eingelebt und das Vertrauen der Gemeinde gewonnen. Zum Zeichen dessen wurde ihm, bereits als er noch Hilfsprediger war, Sitz und Stimme im Kirchenvorstand eingeräumt. Zu seinem „nicht geringen Erstaunen" hatte er bei seinem Amtsantritt die Mit­ teilung entgegengenommen, daß der Geistliche nicht Mitglied des Gemeinde­ kirchenrats sei, daß man ihn jedoch später zum Ehrenmitglied machen würde. „So verwunderlich diese Einrichtung vom kirchenrechtlichen Standpunkt auch war" — urteilt er selber hierüber — „praktisch war sie nicht so übel. Das Odium für mißliebige Maßnahmen hatte der Gemeindekirchenrat allein zu tragen. Und wenn mir an einem Beschluß besonders lag, brauchte ich nur Herrn Finger, einen klugen Kaufmann aus Frankfurt a. M., um seinen ein­ flußreichen Beistand zu bitten, und es geschah, was ich wünschte, sogar in sehr schwierigen Angelegenheiten, wie in dem ganz verfahrenen Gesangbuchstreit." Von letzterem werden wir noch hören. Als im März 1864 der bisherige Vorstand sein Amt niederlegte und ein neuer Vorstand gewählt wurde, wurde Rothe durch einstimmigen Beschluß der Generalversammlung auch in diesen ausgenommen und erhielt in ihm sogar als erster Geistlicher das Schriftführeramt. Die übrigen Vorstandsmitglieder wurden Justus Finger, der wiederum den Vorsitz übernahm, Heinrich Dähnhardt als Kassierer, dessen Name damit in die Geschichte der Gemeinde, in der er fortan eine bedeutende Rolle spielen sollte, eintritt, und E. Meumann. Zu Mitgliedern des Gemeindeausschusses wurden gewählt: A. Engerström, A. Schoenewald und Th. Albers. Nach Böttichers Tode wurde Rothe auf Wunsch der Gemeinde zum Nach­ folger vorgeschlagen und im Juni 1864 zum Gesandtschaftsprediger ernannt, mit einer Erhöhung seines Gehaltes von 300 auf 500 Thaler. Er begab sich darauf zunächst, um seine persönlichen Verhältnisse zu regeln, auf einen

Heimaturlaub, während dessen der englische Geistliche Pope die Vertretung über­ nahm. Rothes Rückkehr wurde durch seine Verlobung in der Heimat verzögert. Erst nach seiner Hochzeit im September kehrte er mit seiner jungen Frau nach Lissabon zurück. Er nahm diesmal seinen Weg über Land. Denn durch Vermittlung des preußischen Gesandten von Werthern, des früheren Gesandten in Lissabon, hatten sich die evangelischen Deutschen in Madrid und Barcelona an das Aus­ wärtige Ministerium in Berlin mit der Bitte gewandt, daß Rothe der Auftrag erteilt würde, an beiden Orten Gottesdienste abzuhalten. Für Barcelona wurde der daraufhin bereits gegebene Auftrag wieder zurückgenommen22), in Madrid dagegen fand am 16. Oktober in der preußischen Gesandtschaft tatsächlich Gottesdienst statt — der erste deutsch-evangelische Gottesdienst in Spanien22)! Am 23. Oktober traf Rothe dann nach einer Reise mit der von zwölf Maultieren gezogenen Postkutsche") glücklich wieder in Lissabon ein. Die junge Pfarrfrau wurde von den Kirchenvorstehern förmlich begrüßt und von der Gemeinde freundlichst ausgenommen. Mit vielen Familien der Gemeinde pflegten die Pfarrersleute persönliche freundschaftliche Beziehungen. Das Pfarrhaus selbst wurde für viele Deutsche in Lissabon auch gesellschaftlicher Mittelpunkt. Nach dem sonntäglichen Gottes­ dienst pflegte im Besuchszimmer der Pfarrwohnung eine Art Empfang der Kirchenbesucher stattzufinden, die, vielfach weit verstreut auseinanderwohnend, sich bei dieser Gelegenheit treffen und sprechen konnten. Auch in späteren Zeiten blieb dies ständiger Brauch — der Weg zur Kirche führte ja auch durch das Pfarrhaus hindurch. Besonders nahe standen Rothes zwei junge Schweizer Kaufleute, Theodor und Albert Deggeler aus Schaffhausen, die zu den fleißig­ sten Kirchenbesuchern gehörten. „Unzertrennlich von denselben war Herr Hintze, ein älterer Kaufmann. Seine Schwester war mit einem Portugiesen Ribeiro verheiratet, deren Sohn der spätere portugiesische Ministerpräsident HintzeRibeiro war." Außer diesen aber waren sie eng verbunden mit der Familie Klingelhöfer und fanden eine mütterliche Freundin in Madame Dubeux, einer Holländerin, die auch schon Böttichers viel Freundlichkeit und Hilfe erwiesen hatte. „Gern verkehrten sie auch mit einigen jüngeren Kaufmannsfamilien, wie Dähnhardts, Dulheuers und Costas." Auch zu den Deutschen in Oporto, die früher bereits von Schütze, Lübecks, Liebetrut und Baxmann gelegentlich besucht worden waren, wurden jetzt die Beziehungen des Lissabonner Pfarrers reger, seitdem die nördliche Hauptstadt des Landes durch eine Eisenbahnverbindung leichter zu erreichen war, wenn auch die Reise bei der großen Entfernung von 350 km immer noch 13 bis 15 Stunden dauerte (heute 6 Stunden). Hier lebten 60—70 evangelische Deutsche. Der deutsche Lehrer von Hase") hatte eine Schule eingerichtet, in der die evangelischen Kinder auch Religionsunterricht empfingen. Pfarrer Rothe wurde zur Einsegnung der Konfirmanden gerufen. Außerdem fanden viertel­ jährlich in der dortigen englischen Kirche Gottesdienste statt, wozu die Gemeinde nach einer Reformationsfeier am 5. November 1865, die im Hause des Kauf­ manns SBurmcfter26) stattgefunden hatte, Rothe ausdrücklich gebeten hatte. Doch mußte der Lissabonner Kirchenvorstand seine Zustimmung dazu geben. So

wandten sich denn die Portoenser in einem von Eduard von Hafe und Eduard Katzenstein unterzeichneten förmlichen Gesuch nach Lissabon. Der Vorstand maß der Sache große Wichtigkeit bei und rief den Gemeindeausschuß zur Beratung zusammen. Dieser beschloß, den Portoensern den Vorschlag zu machen, sich förmlich als Filialgemeinde von Lissabon zu konstituieren und zur Lissabonner Kirchenkasse beizusteuern, wodurch sie dann auch einen Rechtsanspruch auf den regelmäßigen Besuch des Pfarrers erlangen würden. Die Portoenser aber glaubten darauf nicht eingehen zu können, da die dortigen Verhältnisse der deutschen Kolonie zu unsicher seien, und der Mangel einer eigenen Kirche unter Umständen bedeutende Kosten für die Miete eines Raumes zu den Gottes­ diensten verursachen könnte, wenn auch vorläufig die englische Kirche zur Ver­ fügung stehe. Im übrigen baten sie die Lissabonner, ihr Gesuch zu genehmigen, wogegen sie versprachen, wenn irgend möglich einen Beitrag für die Lissabonner Kirchenkasie einzusenden. Daraufhin wurde die Sache der Generalversamm­ lung vorgelegt, die im Mai 1866 beschloß, „das Gesuch einstweilen zu bewilligen, in der Hoffnung, daß die Portoenser bald in der Lage sein werden, ihrerseits einen regelmäßigen Beitrag zur Gemeindekasse beizusteuern." Obgleich es nie dazu kommen sollte, hat der Lissabonner Vorstand doch seinen Pfarrer zum regelmäßigen Besuch der Portoenser beurlaubt, wobei er es als „eine Genug­ tuung für die Gemeinde betrachtete" — wie Heinrich Dähnhardt im Jahres­ bericht des Vorstandes sagte — „daß sie Gelegenheit gefunden, ihren Dank für die Hilfe, die sie von den heimischen Glaubensgenossen erfahren hat und noch erfährt, dadurch abzustatten, daß sie nun ihrerseits andern Glaubensgenossen, die sich in noch größerer Vereinzelung befinden, zur Förderung deutsch-evange­ lischen Lebens behilflich ist." Immerhin war es, wie man aus den Verhand­ lungen sieht, nicht so einfach, mit den Lissabonnern Gemeindevertretern fertig zu werden. Das sollte auch Rothe zur Genüge erfahren in der Frage der Agende und des Gesangbuchs. Schütze hatte seinerzeit neben der preußischen Agende das Berliner Gesangbuch eingeführt. Doch, noch ehe sich die des Singens und der Liturgie ungewohnte Gemeinde in diese Bücher wohl recht eingelebt hatte, war durch Schmettau das Bunsensche Gesangbuch, das zugleich im zweiten Teil eine Liturgie enthielt, eingeführt worden. Ein Gönner der Gemeinde hatte es ihr in einer Anzahl von Exemplaren geschenkt. Der gelehrte römische Legations­ sekretär und spätere preußische Gesandte am päpstlichen Hofe Chr. K. I. Frhr. von Bunsen hatte dieses Buch im Jahre 1833 als „Allgemeines Evangelisches Gesang- und Gebetbuch zum Kirchen- und Hausgebrauch" verfaßt und auch in der deutsch-evangelischen Gemeinde zu Rom eingeführt^). Als nun die in Lissabon vorhandenen Exemplare mit der Zeit nicht mehr ausreichten, kam die Frage einer Neuanschaffung von Gesangbüchern zur Sprache. Manche Gemeindeglieder, und zwar gerade die, die am seltesten in die Kirche kamen, nahmen an dem Bunsenschen Gesangbuch aus keinem anderen Grunde Anstoß, als daß es im „Rauhen Haus" zu Hamburg gedruckt war. Offenbar empfanden sie es als unter ihrer Würde, daß sie aus einem Buche singen sollten, das in einem Waisen- und Erziehungshause, ja einer Besserungsanstalt, erschienen war! Es bestand deshalb die Neigung, wieder das Berliner Gesang-

buch einzuführen. Jedoch Lübecks wie auch besonders Bötticher waren für das Bunsensche Gesangbuch eingetreten. Auf Wunsch des Vorstandes hatte Bötticher 1860 eine Anzahl verschiedener Probegesangbücher zur Auswahl kommen lassen. Aber infolge seiner Abreise nach Madeira und dann seines Todes war die Ent­ scheidung in dieser Frage immer wieder aufgeschoben worden. Roche hatte sich in Vertretung Böttichers ebenfalls für das Bunsensche Buch eingesetzt und gegen eine Einführung des Berliner Gesangbuchs protestiert. Er kam jedoch darüber in Konflikt mit seiner Behörde, der er hierüber berichtet hatte. Sie beschied ihn, daß eine Opposition gegen das Berliner Gesangbuch nicht gerecht­ fertigt sei und „es dem Gesandtschaftsprediger nicht wohl anstehen würde, die Wiedereinführung eines Gesangbuches zu bekämpfen, aus welchem S. M. der König sonntäglich Sich erbaut". Schließlich — in der Generalversammlung vom März 1864 — wurde die Angelegenheit einer besonderen Kommission zur Ent­ scheidung übergeben, die aus dem Kirchenvorstand, dem Gemeindeausschuß und Dr. Baron von Keßler zwecks Prüfung und eventueller Aenderung der Ge­ meindestatuten eingesetzt worden war. Diese Kommission entschied sich in ihrer Mehrheit zu der Ansicht, daß das Bunsensche Gesangbuch beizubehalten sei. In der Generalversammlung vom März 1865 wurde dafür folgende ausführliche Begründung gegeben: „Unser jetziges Gesangbuch ist, wie wenig auch die Art seiner Einführung gebilligt werden kann, doch tatsächlich seit etwa acht Jahren im Gebrauch, und in dieser Zeit nicht wenigen Gemeindegliedern lieb und ver­ traut geworden. Bei den traurigen Zerwürfnissen, welche durch Aenderung der Gesangbücher in so vielen Gemeinden unseres Vaterlandes, ja selbst in ganzen Provinzen entstanden sind, können nur Gründe von der zwingendsten Not­ wendigkeit zur Einführung eines neuen Gesangbuches bewegen; ohne das wäre es eine Art Vermessenheit, den jetzt Gottlob in unserer Gemeinde herrschenden Frieden durch Anregung dieser Frage zu gefährden. Sind nun solche zwingen­ den Gründe vorhanden? Alle Mitglieder der Kommission stimmten darin überein, daß der erste Teil unseres Gesangbuches nicht frei von Mängeln sei. Teils ist die Zahl der Lieder — 440 — eine beschränkte, teils eignen sich manche der aufgenommenen Lieder wegen veralteter Ausdrücke oder einseitiger reli­ giöser Färbung nicht zum Gesänge in unseren Gottesdiensten. Dagegen wurde aber geltend gemacht, daß von den eigentlichen Kernliedern unserer evan­ gelischen Kirche keines vermißt werde, daß neben den älteren Liederdichtern auch Gellert und sogar solche, die bis in unser Jahrhundert hineinreichen, ver­ treten sind, es also an Vielseitigkeit nicht fehle, und daß sich der ästhetische Geschmack des Herausgebers unseres Gesangbuches, des bekannten Freiherrn von Bunsen, trotz mancher Einseitigkeit dann doch im Ganzen bewährt habe. Besonders aber wurde hervorgehoben, daß es nicht leicht sein würde, ein un­ bestritten besseres Gesangbuch zu finden. Wo seien die objektiven, allgemein gültigen Grundsätze, um das beste Gesangbuch auszuwählen? Vielmehr trete hier, wo es sich um Beurteilung von Poesie handle, der poetische Geschmack jedes einzelnen mit Notwendigkeit in den Vordergrund und sei auf diesem Ge­ biete bei allen gleich berechtigt. So sei es sehr zweifelhaft, ob man nach langem Suchen, vieler Mühe und vielen Kosten ein Gesangbuch finden werde, das, um nicht zu sagen alle, auch nur die Mehrzahl befriedige. Außerdem sei die Art

einer solchen Prüfung sehr schwer festzustellen. Eine Kommission sei unzweifel­ haft nicht imstande, die Verantwortung in einer Frage auf sich zu nehmen, die das religiöse Gefühl jedes einzelnen so nahe berühre. Ja, es sei sogar zweifel­ haft, ob eine Generalversammlung sich dafür für kompetent erklären werde. Vielmehr müsse die ganze Gemeinde abstimmen, und namentlich auch die Stimmen der Frauen, welche als die im ganzen regelmäßigsten Kirchenbesucher das größte Interesse bei dieser Frage haben, besonders berücksichtigt werden. Da nun nicht wenige derselben sich das alte Gesangbuch auf eigene Kosten und zum Teil mit vieler Mühe angeschafft haben, so werden sie wenig mit einem Beschlusie zuftieden sein, der Mühe und Kosten vergeblich macht. Ueberhaupt sei es kaum abzusehen, auf welche Weise eine solche Gemeindeabstimmung zu einem gedeihlichen Ergebnis kommen solle. Verschiedene Gesangbücher, die man zur Probe kommen ließ und verteilte, zu prüfen, sei keine so leichte Sache, und es könnten Jahre darüber vergehen, bevor man sich über ein anderes Gesangbuch einige, wenn eine solche Einigung überhaupt erzielt werde. In der ganzen Zeit bis dahin würden dann viele Kirchenbesucher von der Teilnahme am Kirchen­ gesänge ausgeschlossen sein. Ferner wurde darauf hingewiesen, daß bei unsern 50 Gottesdiensten, die wir im Jahre halten, selbst, wenn jedesmal andere Lieder gesungen würden, doch nur 100 Lieder erforderlich seien. Scheide man nun also auch von den 440 Liedern unseres Gesangbuches ein Viertel als un­ sangbar aus, und das sei schon sehr hoch gegriffen, so bleiben noch über 300 gute Lieder übrig, wodurch das Bedürfnis überreichlich gedeckt sei. Nun sei aber ein besonderes Gewicht auf den zweiten Teil unseres Gesangbuches zu legen, der die vom Altar verlesenen Gebete, Sprüche, die Evangelien und Episteln ent­ halte. Dies sei gerade für unsere Gemeinde von besonderer Bedeutung, da eine Anzahl der Kirchenbesucher der deutschen Sprache nicht vollkommen mächtig sei. Ihnen werde das Verständnis des liturgischen Teils unseres Gottesdienstes durch diesen zweiten Teil wesentlich erleichtert. Und sie hätten Grund sich zu beklagen, wenn man ihnen diese Stütze nähme. Ein anderes Gesangbuch aber, das ebenfalls die Liturgie so vollständig enthalte, sei nicht bekannt. Das scheine auch wohl der vornehmlichste Grund gewesen sein, warum seinerzeit gerade dies Gesangbuch in unsrer Gemeinde eingeführt wurde. In Erwägung aller dieser Umstände war die Kommission der Ansicht, daß die unleugbar vor­ handenen Mängel des ersten Teils des Gesangbuches durch die ebenso unleug­ bar vorhandenen Vorzüge seines zweiten Teils ausgewogen werden. Zu dem allen kommt endlich noch die Berücksichtigung des Standes der Kirchenkasse, die jährlich mit einem nicht unerheblichen Defizit abschließt. Und so empfiehlt sich in Zweifelsfällen diejenige Entscheidung, welche der Kasse die geringsten Kosten aufbürdet, und das sei unstreitig die Beibehaltung des bisherigen Gesangbuchs." Der Vorschlag der Kommission wurde angenommen, und der Kirchen­ vorstand mit der Anschaffung von 50 neuen Exemplaren des Bunsenschen Gesangbuchs beauftragt. Nun hatte aber die preußische Behörde bei der Er­ nennung Rothes zum Gesandtschaftsprediger die Benutzung der preußischen Agende durch diesen ausdrücklich verlangt. Der preußische Gesandte wurde ferner dem Prediger als unmittelbarer Vorgesetzter hingestellt und damit die preußische Regierung als oberste vorgesetzte Stelle. Sollte darum die Ver-

bindung mit der preußischen Regierung aufrechterhalten werden, so mußte die Gemeinde sich in der Agendenfrage fügen. Man fand sich dann mit dem Kom­ promiß ab, daß zwar in der Liturgie die preußische Agende, für den Gemeinde­ gesang aber das Bunsensche Gesangbuch gebraucht wurde.

Hinsichtlich der Gemeindeordnung jedoch — bei ihrer Prüfung durch die genannte Kommission hatte es sich lediglich um die Gebührenordnung und die Einführung einer Taxe für die Ausstellung von Geburtsscheinen gehandelt — empfahl Rothe dem Oberkirchenrat, vorläufig nicht auf ihre Aenderung und Einreichung zur Genehmigung zu dringen. Besser sei es, daran nicht zu rühren! Es herrschte gegenwärtig eine gewisse Mißstimmung gegen Preußen — hervor­ gerufen Wohl durch den Kampf Preußens um die Neugestaltung des Deutschen Reiches. In der Gemeinde waren ja alle deutschen Stämme und Staaten ver­ treten, einschließlich der Schweiz und Oesterreichs. Die Preußen bildeten nicht einmal die Mehrzahl; hinzu kamen noch Holländer und Skandinavier. — Was Wunder, wenn sie in dieser Zeit, in der das neue Deutsche Reich aus Blut und Eisen geschmiedet wurde, nicht alle ohne weiteres für Preußen waren! Rothe glaubte daher, der Behörde mitteilen zu müssen, daß im Falle eines Druckes von feiten Preußens auf die Gemeinde wegen der Gemeindeordnung Bestrebun­ gen zu befürchten seien, die auf eine Loslösung der Gemeinde von Preußen und die Bildung einer freien Gemeinde ausgingen. Was dann aus der Gemeinde werde, sei den kirchlich uninteressierten Kaufleuten gleichgültig. Alle diese Schwierigkeiten verbitterten dem Pfarrer doch etwas das Leben. Wenn er sich auch gut in Lissabon eingelebt hatte und erfolgreich in der Ge­ meinde zu wirken verstand, so entrang sich ihm in seinem Bericht an die heimat­ liche Kirchenbehörde doch der Seufzer: „Es ist ein steiniger und dornichter Boden, eine solche kaufmännische Diaspora-Gemeinde im Auslande!"

Als dann die Ereignisse im Vaterlande mehr und mehr zur Entscheidung drängten, drohte die sich auch auf die Lissaboner Gemeinde, in der jede der kämpfenden Parteien vertreten war, übertragende Spannung diese selbst zu zerreißen und gefährdete ihren Bestand. Manche Gemeindeglieder trugen Be­ denken, den Gottesdienst zu besuchen, in dem für dasselbe Kriegsheer gebetet wurde, das den eigenen Landsleuten feindlich gegenüberstand. Von beiden Parteien wurde zum Besten der Verwundeten gesammelt: die Gemeindeglieder Dülheuer und Preßler veranstalteten eine Sammlung für die Preußen, die den größten Betrag von 600 Thalern ergab. Außerdem sammelte für Berlin der Hauptmann Harkort. Das österreichische und hanseatische Generalkonsulat — ebenfalls durch Gemeindeglieder vertreten — sammelte desgleichen und schickte das Ergebnis nach Wien und nach Hamburg. Der Bierwirt Jansen dagegen sandte den Ertrag von seiner Einnahme während eines ganzen Jahres nach München. Alles in allem brachte die kleine deutsche Kolonie die bedeutende Summe von 2000 Thalern auf. Doch „der überraschend schnelle und entscheidende Sieg der preußischen Waffen hat diese Aufregung bald beschwichtigt und auch die Nichtpreußen in ihrer großen Mehrzahl mit Stolz und Bewunderung auf denjenigen Staat blicken gelehrt, der den deutschen Namen im Auslande zu fast ungekanntem

Ansehen erhoben hat und den Handelsinteressen einen künftigen Schutz ver­ sprich^)". Ein besonders schwieriges Kapitel war mittlerweile die Rödersche Schule geworden. Ja, sie bedeutete — nach einer Aeußerung Rothes zu seinem Nach­ folger — für den Pfarrer das größte Kreuz seines Lissaboner Amtslebens. Die Schwierigkeit lag darin, daß die Anstalt als ausgesprochen kirchliche Einrichtung der evangelischen Gemeinde errichtet war — Röder war ja von dem kirchlichen Verein der Gustav-Adolf-Stiftung als evangelischer Lehrer entsandt worden! —, mit der Zeit aber doch über den Rahmen einer evangelischen Gemeindeschule hinauswuchs, ja hinauswachsen mußte, und kaum noch den Charakter einer kirchlichen Anstalt hatte, ohne doch den Zuschuß vom Gustav-Adolf-Verein entbehren zu können. Von Anfang an hatte Röder die von ihm selbst ins Leben gerufene Schule als selbständige Anstalt aufgebaut, die allen deutschen Kindern ohne Unter­ schied der Konfession dienen sollte. Kurz nach der Gründung der Schule war außerdem das Pfarramt in Lissabon vakant, so daß die anfängliche Entwick­ lung der Anstalt von vornherein ohne die Mitwirkung und den Einfluß des Pfarrers vor sich ging. Ein selbständiger Schulvorstand war eingesetzt worden. Als dann der Kirchenvorstand unter v. Weyhes Führung in Erkenntnis seiner Verantwortung für die unbedingte Erhaltung des kirchlichen Charakters der Schule, die er dem Gustav-Wolf-Verein gegenüber schuldete, im Jahr 1850 beschloß, daß er die Oberaufsicht über die Anstalt zu übernehmen und der Pfarrer sie zu inspizieren habe, war es nur zu verständlich, daß Röder, einmal im Besitze seiner selbständigen und verhältnismäßig unab­ hängigen Stellung, sich zunächst dagegen zu wehren suchte. Auf eine Anfrage des Vorstandes beim Zentralvorstand des Gustav - Adolf - Vereins deswegen gab dieser den Bescheid, daß er mit der Ansicht des Kirchenvorstandes vollkommen übereinstimme. Denn „es liegt schon eben darin" — so heißt es in seinem Schreiben —, „daß wir die Schulanstalt durch Gewährung eines jährlichen Zuschusses zum Lehrergehalt unterstützen, hinreichend ausgesprochen, daß der Gustav-Adolf-Verein als ein rein kirchlicher Verein diese Schule als eine vor­ wiegend kirchliche Anstalt betrachtet und auch von der Gemeinde in gleicher Weise betrachtet wissen will. Hiernach versteht es sich von selbst, daß die Schule mit der Kirchengemeinde und deren Organ, dem Kirchenvorstande, in der engsten Beziehung stehen muß. Nach unserer Ansicht kann sie unter gar keiner anderen Aufsicht und Oberleitung stehen als unter der des Organs der Kirchen­ gemeinde. Sollte dieser enge Verband zwischen Schule und Kirche aufgelöst und dadurch, daß eine Unterordnung der ersteren unter den Kirchenvorstand gerade­ zu abgelehnt würde, der wesentlich kirchliche Charakter der Schule aufgehoben oder wenigstens einer anderen Rücksicht nachgesetzt werden, so würden wir kaum imstande sein, eine fernere Unterstützung der Schule zu verantworten, da unser Verein ganz entschieden nur kirchliche Anstalten unterstützen kann". Daraufhin erklärte Röder denn formell am 23. Juli 1852, daß er sich „den Anordnungen und Beschlüssen des löblichen Kirchenvorstandes unter­ werfen werde". Doch es blieb eine gewisse Spannung zwischen Schule und Kirche bestehen, wenn auch Röder selbst sich durchaus aktiv an allen Gemeinde-

Blick auf die alte Kapelle unb Pfarrhaus

Inneres der alten Kapelle

Wilhelm Nöthe

Eduard Meyer-

Pfarrer der Gemeinde von 1864(1862)—1867

Pfarrer der Gemeinde von 1867 — 1873

Bento G. Klingelhofer

veinrich Doehnheirdt

Porfitzeuder der Gemeinde von 1867—1870

Kaiserlich-deutscher Generalkonsul Vorsitzender der Gemeinde von 1870—1907

Angelegenheiten beteiligte —, er war Protokollführer bei den Gemeindever­ sammlungen und gehörte dem Gemeindeausschuh an; später wurde er auch Organist und machte sich um die musikalische Ausgestaltung der Gottesdienste durch feine Liedertafel besonders verdient. — Aber sie ergab sich aus den Ver­ hältnissen. Da die Zahl der deutschen Kinder nicht groß, zeitweise sogar sehr gering war — manche deutschen Eltern schickten, wie erwähnt, ihre Kinder nicht in die Schule, weil sie ihnen zu abgelegen war —, war Röder auf die Gewinnung von ausländischen Kindern angewiesen. Unter Röders vorzüglicher Leitung hatte sich die Schule glänzend entwickelt. Es muhte ein gröheres Schulhaus gemietet werden, und über den Charakter und Geist der Anstalt wie über den Unterricht und die Leistungen der Schüler war nur das Beste zu berichten"). Aber mehr und mehr überwog das fremdländische Element, wobei jedoch an­ erkannt werden muh, dah Röder sich bemühte, den deutschen Knaben eine aus­ gesprochen deutsche Erziehung zukommen zu lassen und aus diesem Grunde einen Teil von ihnen als Pensionäre in fein Haus aufnahm. Durch die Ver­ größerung seiner Anstalt sah sich Röder ferner naturgemäß gezwungen, auch mehr Lehrkräfte einzustellen, zunächst für Portugiesisch, Französisch und Eng­ lisch, später auch noch einen zweiten deutschen Lehrer. 1865 setzte sich der Lehr­ körper aus 7 Lehrkräften zusammen, von denen 2 deutsche Lehrer waren, neben Röder Franz Schmieder für Deutsch und Elementarunterricht in den unteren Klassen. Die Zahl der Schüler betrug in diesem Jahre 45, darunter nur 9 deutsch-evangelische, 7 deutsch-katholische und 2 englische. Natürlich konnte Röder die Kosten für eine derartige Schule und außerdem für seinen und seiner Familie Lebensunterhalt — er hatte 1855 die Tochter des Kammerdieners des Königs Don Fernando, Stegner, geheiratet — von den wenigen aus der Gemeinde und dem Zuschuß des Gustav-Adolf-Vereins zur Verfügung stehenden Mitteln nicht bestreiten. Aus der Kirchenkasse selbst erhielt er nichts. Es kam nur das Schulgeld der Gemeindekinder in Frage neben den Beiträgen des Schulvereins, die jedoch mit der Zeit aushörten. Für die unbemittelten deutschen Kinder zahlte das Schulgeld der deutsche Hilfs­ verein. Für die Erhaltung seiner Schule mußte Röder deshalb immer mehr zahlende ausländische Kinder zu gewinnen suchen und außerdem für seinen eigenen Unterhalt auf Nebenverdienst bedacht sein. So Übernahm er den be­ zahlten Organistendienst in der englischen Kirche. Die deutsche Kapelle besaß damals keine Orgel, und nachdem sie eine solche im Jahre 1855 erhalten hatte, wurde ein gewisser Buch als Organist verpflichtet. Als aber Röder 1859 sein Verhältnis zur englischen Gemeinde löste, wünschten die deutsche Gemeinde und vor allem auch ihre Geistlichen, ihn zum Organisten zu gewinnen, „da es passend und seiner Stellung als evangelischer Lehrer entsprechend sei, seine Kräfte auch als Organist der deutschen evangelischen Kirche zu widmen und seine Nützlichkeit für die Gemeinde dadurch in hohem Grade gesteigert würde". Daß Röder bei seiner Berufung seinerzeit ausdrücklich außer zum Lehrer auch für später zum Organisten bestimmt worden war, hatte man mittlerweile ganz vergessen und deshalb auf Röders Organisteudienst nicht bestehen zu können gemeint. Es wurde ihm nun das Organistenamt mit einem besonderen Gehalt 9

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von jährlich 90 Milreis förmlich angetragen, was er, „der durch eifriges Selbst­ studium ein höchst tüchtiger Organist geworden war", auch sofort bereitwillig übernahm. Obgleich der Gustav-Wolf-Berein darauf hinwies, daß er dazu doch eigentlich ohne Entgelt verpflichtet sei, wollte der Kirchenvorstand ihm die für seinen Lebensunterhalt so notwendige Nebeneinnahme doch nicht entziehen. 1859 nahm Röder mit Zustimmung des Kirchenvorstandes die Stellung eines Professors am Kgl. Liceu Nacional an. Der Zentralvorstand befürchtete dadurch eine Beeinträchtigung seiner Wirksamkeit für die Gemeinde und machte seine Bedenken dagegen geltend. Da jedoch Röders Tätigkeit am Liceu Nacional sich auf 5 Deutschstunden in der Woche am Nachmittag, in seiner freien Zeit, beschränkte, glaubte der Borstand diese Bedenken zerstreuen zu können und ver­ sicherte, dafür Sorge zu tragen, daß Röder seine eigentliche Hauptbestimmung, nämlich als deutscher Lehrer der evangelischen Gemeinde vorzugsweise für religiöse Erziehung in derselben tätig zu sein, nie außer acht lasse, womit sich der Zentralvorstand einstweilen zufriedengab. Das Wenigste, was die Pfarrer hinsichtlich der Schule tun konnten, war, daß sie zum mindesten auf eine ge­ nügende Anzahl von Religionsstunden drangen. So empfand es schon Lüdecke als» einen Mangel, daß nicht mehr als eine Stunde in der Woche für den Religionsunterricht angesetzt war. Obgleich diesem Mangel bei der hohen An­ zahl von Stunden für den Unterricht in den verschiedenen Sprachen nur schwer abzuhelfen war, so richtete Röder doch neben der einen Katechismusstunde noch eine zweite für die biblische Geschichte ein. Angesichts der wachsenden Ansprüche, die an den Gustav - Adolf - Verein gestellt wurden, dachte dieser seit 1861 daran, seine laufenden Zuschüsse für das Gehalt Röders einzustellen oder zum mindesten bedeutend zu verringern, da die Mittel des Vereins es ihm „unmöglich machten, für immerwährende Zeiten einer einzelnen Gemeinde so bedeutende Zuschüsse zu leisten", zumal, da die Bedenken wegen der mittlerweile „ganz veränderten Stellung des Lehrers Röder" nicht zum Schweigen gekommen waren. Dagegen wandte der Kirchen­ vorstand jedoch ein, daß der Zuschuß des Gustav-Adolf-Vereins das Band sei, welches die Schule mit der Gemeinde verbinde, und daß bei dessen Wegfall die Schule ihren deutschen Charakter ganz verlieren würde. Außerdem würde ihr protestantischer Charakter nur erhalten bleiben können, wenn sie Gemeinde­ schule sei. Schließlich würde die Gemeinde auch ihren Organisten verlieren. Der Vorstand bat deshalb darum, den Zuschuß aufrechtzuerhalten. Auch Röder selbst bat dringend, ihm die Unterstützung nicht zu entziehen. Er sei jedoch eifrig bestrebt, den Zeitpunkt herbeizuführen, daß die Schule sich aus eigener Kraft erhalten könne, was er im Verlaufe eines Jahres zu erreichen hoffe. Zweifellos hatte die Schule auch in ihrer jetzigen Gestalt vielfache Vor­ züge und selbst für die Gemeinde immer noch ihre Bedeutung. Besonders wert­ voll war die Gewinnung des zweiten deutschen Lehrers, Franz Schmieder. Rothe schildert diese Vorzüge ausführlich in seinem Schulbericht von 1864. Er stellt zunächst fest, wie sehr der Charakter der jetzigen Schule ein wesentlich anderer ist, als er es bei ihrem Anfänge war. „Aus einer deutschen Elementar­ schule ist ein Colleg geworden, in dem 5 Sprachen gelehrt werden. Und es entsteht die Frage, ob diese Veränderung für die deutsche Gemeinde eine er-

sprießliche gewesen ist." „Ich glaube" — so führt Roche aus —, „die Frage mutz bejaht werden. Die Kenntnis verschiedener Sprachen ist nach den hiesigen Ver­ hältnissen eine so allgemein notwendige, daß eine Schule mit nur deutschem Unterricht nur von den wirklich armen Kindern besucht werden würde, deren es gegenwärtig nur ganz vereinzelte gibt. Schon irgend bemittelte Handwerker würden es vorziehen, ihre Kinder in andere Anstalten zu schicken, in denen Fran­ zösisch und Englisch gelehrt wird. Sie würden damit dem deutschen Wesen ent­ fremdet, und so der Kern des Nachwuchses unserer Gemeinde verlorengehen. Wir müssen es daher freudig begrüßen, daß es dem Lehrer Röder gelungen ist, seiner Schule eine Ausdehnung zu geben, die auch die Kinder des Mittelstandes anlockt, während für die ärmeren Kinder trotzdem eine Beschränkung auf die elementaren Lehrfächer möglich ist. Es ist bei einer so kleinen Seelenzahl — etwa 200 —, aus der unsere Gemeinde besteht, natürlich, daß zu Zeiten schulpflichtige Kinder in sehr geringer Zahl vorhanden sind. Gegenwärtig besuchen nur 5 die Rödersche Schule. Schon in wenigen Jahren aber wird diese Zahl sehr wachsen, und der deutsche Charakter der Schule auch in der Nationalität der Schüler sich aus­ prägen. Aber auch das ist von keinem geringen Vorteil, daß auch die Kinder deutscher Katholiken durch den Besuch der protestantischen Schule von dem bigotten Katholizismus ferngehalten werden, wie er in vielen portugiesischen Collegs herrscht. Besteht doch hier zwischen deutschen Protestanten und deut­ schen Katholiken ein sehr erfreuliches Einvernehmen und tragen manche der letzteren zu unseren kirchlichen Kosten bei und nehmen bisweilen an unseren Gottesdiensten teil. Auch das dürfte nicht gering angeschlagen werden, daß so vielen portugiesischen Kindern Gelegenheit gegeben wird, freiere Anschauungen und gerechtere Vorstellungen von dem Protestantismus zu erwerben. Es wird so ein Samen in die kommenden Geschlechter hineingestreut, der seiner Zeit nicht ohne Frucht bleiben kann. Es ist früher davon die Rede gewesen, ob die Tätigkeit des Lehrers Röder an dem hiesigen Lyzeum nicht seine Kraft in zu hohem Grade der Schule entzöge. Dieses Bedenken ist jetzt völlig geschwunden, da es ihm möglich geworden ist, einen zweiten deutschen Lehrer — Schmieder — anzustellen, der seine volle Kraft der Schule zuwendet. Ich muß diesem jungen Mann das Lob erteilen, daß an ihm der Ruf der Sächsischen Lehrerseminare — er ist ein Sachse — sich in vollem Maße bewährt. Es war keine leichte Aufgabe, sich in das Sprachgewirr hereinzufinden, das unter diesen deutschen, portu­ giesischen, englischen und französischen Kindern herrscht. Es ist ihm das bereits völlig gelungen; und es ist eine Freude, zu sehen, mit welchem Ernst und mit welchem Erfolge er, auf dem strengen Wege deutscher Methodik vorgehend, in dieser Schule tätig ist. Namentlich zeugt sein Religionsunterricht von erfreu­ lichem religiösem Interesse und Lehrgeschick. Die deutsche Gemeinde muß sich zur Erwerbung dieser Kraft Glück wünschen, und der hochwürdige Zentral­ vorstand wird mit Befriedigung ersehen, daß der von ihm so gütig gezahlte Beitrag zu der Besoldung dieses Lehrers eine seinen Intentionen so völlig ent­ sprechende Anwendung findet. Während die Stellung Röders am Lyzeum ihn nicht hindert, den größeren Teil seiner Zeit trotzdem der Schule zuzuwenden, gibt dieselbe der ganzen Schule in den Augen des portugiesischen Publikums Halt und Ansehen. Man ist hier in neuerer Zeit sehr mißtrauisch gegen pro-

testantische Lehrer geworden, und nur mit den größten Schwierigkeiten würde eine neue Lizenz an einen deutschen Lehrer erteilt werden. Es ist daher für unsere Gemeinde ein Glück, daß sie durch die befestigte Stellung Röders aller derartigen Anfechtungen enthoben ist und chm in der Wahl seiner Lehrer völlig freie Hand gelassen wird. Da Herr Schmieder namentlich auch im Gesänge sehr tüchtig ist, so hat seit seiner Ankunft auch unser Kirchengesang, dessen Pflege sich Röder mit anerkennungswertem Eifer angelegen sein läßt, eine wesentliche Stütze erhalten. Und ich habe gerade in letzter Zeit mehrere durch­ reisende Fremde ihr Erstaunen darüber aussprechen hören, daß in unserer Kapelle so gut gesungen wird. So sind denn also die deutsche Schule und ihre Lehrer nach wie vor eine wesentliche Stütze unserer deutschen Gemeinde, und wie groß die Opfer auch sind, die der hochwürdige Zentralvorstand zu ihrer Erhaltung so lange Zeit hindurch sich auferlegt hat, ihre Zurückziehung würde geradezu den Bestand der Gemeinde bedrohen, der einzigen deutschen auf der ganzen Pyrenäenhalbinsel." In dieser dem Gerechtigkeitssinn und sachlichen Urteil Rothes alle Ehre machenden Würdigung der Schule kommen die Sorgen und Schwierigkeiten chretwegen, die trotz alledem dem Pfarrer innerlich zu schaffen machten, nicht zum Ausdruck. Vielleicht wurden sie zum Teil auch durch das persönliche Ver­ hältnis zu Röder verstärkt, der bei aller allgemein anerkannten Bedeutung als Lehrer sowie seiner außerordentlichen Arbeitskraft und Energie von unberechen­ barem Temperament und heftiger Natur war, was sich bei der zunehmenden Ueberhäufung mit Arbeit offenbar mit den Jahren noch steigerte. Bon Anfang an nicht an Zusammenarbeit mit einem Pfarrer gewöhnt, machte er es diesem manchmal schwer, mit ihm auszukommen. Im letzten Jahre von Rothes Amtszeit traf die Gemeinde zwei schwere Verluste — der Vorsitzende des Kirchenvorstandes Ernst Meumann und das verdiente Gemeindeglied Carl Wilhelm Moller wurden ihr im besten Mannes­ alter durch den Tod entrissen. Meumann, ein Rheinländer, hatte als „Pianist" in Lissabon gelebt. Er vermachte in seinem Testament der Gemeinde ein Legat von 66 Milreis. „Das Andenken Mollers — eines Enkels des ehemaligen Pastors Müller — wird" — so heißt es in seinem Nachruf — „unter uns nicht nur durch die Erinnerung an sein reges Interesse für die kirchlichen Einrichtungen, sondern ganz besonders durch das Denkmal lebendig erhalten bleiben, das er sich selbst in der Bepflanzung des Kirchhofs gestiftet hat." Meumann war als Nachfolger Fingers Vorsitzender geworden, da dieser im Jahre vorher seinen Vorsitz niedergelegt hatte, weil — wie er selbst in das Protokoll eintrug — die Veränderung seiner Vermögensverhältnisse ihm nicht mehr gestattete, zur Gemeindekasse beizusteuern und er deshalb laut den Sta­ tuten nicht mehr dem Gemeindevorstande angehören könnte. Die Gemeinde­ versammlung beschloß jedoch auf Antrag des Vorstandes, ihm „als Beweis ihrer Dankbarkeit für seine derselben seit so langen Jahren bewiesenen treuen Dienste" auch nach dem Fortfallen des Beitrages die Rechte eines ordentlichen Gemeindemitgliedes zu übertragen. Früher hatte er zu den Wohlhabendsten gehört und bei der Subskription für den Kirchbau seinerzeit den zweithöchsten Betrag gezeichnet. Dann aber hatte er bankerott gemacht, wie so mancher

andere in der Gemeinde. „Seit Jahrzehnten schon" — schreibt Rothe — „hat es wie ein Verhängnis über den hiesigen deutschen Häusern gewaltet, die fast alle nacheinander dem Bankerott erlegen sind. Vielleicht freilich hat der Herr seine Absichten dabei gehabt und durch die Not die Herzen seinem Geiste er­ schließen wollen, die ihm in guten Tagen widerstrebten." Die neuen Kirchenvorsteher wurden 1867 gewählt: Heinrich Dähnhardt, der wiederum das wichtige Amt des Kassierers und Friedhofsverwalters über­ nimmt, Bento G. Klingelhöfer, ein Schwiegersohn Lindenbergs, der Vorsitzender wird, und W. Dülheuer. Im Frühjahr 1867 faßte Rothe, veranlaßt durch das ernste Befinden der Mutter seiner Frau, die ihre Tochter noch einmal vor ihrem Tode sehen wollte, den Entschluß, in die Heimat zurückzukehren. „Es war eine sehr schwere Ent­ scheidung" — so schreibt er in seinen Erinnerungen. „In Lissabon standen wir auf einer Art Höhe des Lebens. Von allen Seiten umgab uns Freundlichkeit und Vertrauen, dazu die Pracht des Südens, das herrliche Klima, die Groß­ stadt mit ihren internationalen Anregungen. Und eine Gemeindetätigkeit, die mich befriedigte, weil ich ein allmähliches Wachsen des Gemeindelebens wahr­ nahm. Nach langen Erwägungen beschlossen wir, heimzukehren. Es wurde uns nicht leicht, davon der Gemeinde Mitteilung zu machen. Sie wollten es nicht glauben, und merkten erst jetzt, wie fest wir zusammengewachsen waren." In der Tat bedauerte auch die Gemeinde Rothes Scheiden außerordentlich. H. Dähnhardt sandte ein von der Generalversammlung gutgeheißenes Schreiben an den Oberkirchenrat, in dem es heißt: „Der Vorstand kann nicht unterlassen, auszusprechen, wie schmerzlich es ihn wie die Gemeinde, deren Organ er ist, berührt, das schöne Verhältnis sich lösen zu sehen, welches sich in der kurzen Reihe von Jahren zwischen der Gemeinde und einem Seelsorger gebildet hatte, der, wie kaum irgendeiner seiner Vorgänger, in und mit der Gemeinde gelebt, und der sich die allgemeine innige Hochachtung und Liebe in einem Maße er­ worben, daß selbst die herzliche Freude über seine Berufung auf einen wichti­ geren Posten nicht imstande ist, die Gemeinde über den eigenen Verlust zu trösten, und die seinem Nachfolger zufallende Aufgabe, den Scheidenden zu ersetzen, zu einer sehr schwierigen wird." Rothes Persönlichkeit hatte etwas ungemein Anziehendes und Gütiges, ungeachtet eines scharfen Verstandes und der universellen Bildung seines Geistes. Seine in Gottes Wort gegründete theologische Haltung, verbunden mit einem tiefen Verständnis der Menschenseele, machten ihn zu einem idealen Seelsorger, der auch in einer so schwierigen Kaufmannsgemeinde wie der in Lissabon die Herzen zu gewinnen vermochte. Eine Art Abschluß seiner Tätigkeit, der das Wachstum und zunehmende Leben seiner Gemeinde zeigt, war am Sonntag nach Ostern 1867 die Ein­ segnung von 11 Konfirmanden — eine für Lissabonner Verhältnisse ungewöhn­ lich hohe Zahl. Das Glaubensbekenntnis wurde in drei Sprachen abgelegt: deutsch, portugiesisch und schwedisch. Die Mehrzahl der Kinder stammte aus Mischehen, mehrere waren sogar katholisch getauft, — „ein Zeichen" — wie Rothe selbst berichtet —, „daß die Anziehungskraft der evangelischen Gemeinde gewachsen ist". Am folgenden Sonntag hielt er seine Abschiedspredigt in

Oporto, wo ihm noch die Zusicherung mitgegeben wird, daß fortan ein regel­ mäßiger Beitrag zur Lissabonner Kirchenkaffe gezahlt werden solle. Nachdem er am 2. Juni „seiner lieben Gemeinde von der Kanzel .Lebe­ wohl' gesagt" und in demselben Gottesdienst noch seinen Nachfolger eingeführt hatte, verließ Roche dann am 6. des Monats Portugal. „Die treuen Freunde Deggeler und Herr Hintze" — so heißt es in seinem Tagebuch —, „auch Herr Dähnhardt und Herr Finger waren an Bord" — obgleich es 7 Uhr morgens war —. „Wir reichten ihnen die Hand zum letzten Abschied, auf Nimmerwieder­ sehen in diesem Leben. Dann wurden die Anker gelichtet. Noch einmal zog an unseren Blicken vorüber: unser Pfarrhaus, Necessidades, Pedrou^os. Dann entschwand die Stadt unseren Blicken. Lissabon lag hinter uns und mit ihm eine reiche, ach wie reiche, gnaden- und segensreiche Zeit unseres gemeinsamen Lebens'")." In seinem Schreiben an den Oberkirchenrat hatte Dähnhardt den häufigen Wechsel der Pfarrer als nachteilig und tiefeinschneidend in das religiöse Leben der Gemeinde beklagt, was ja auch schon Schütze bedauert hatte. „Schon bei den einfachen Verhältnissen in der Heimat" — so heißt es in seinen Ausführungen von grundsätzlicher Bedeutung — „wird immerhin eine gewisse Zeit vergehen müssen, bis der Geistliche zu der Gemeinde die richtige Stellung gefunden und sie zu ihm Vertrauen gewinnen. Wieviel mehr aber erst hier auf diesem äußersten Vorposten des evangelischen Bekenntnisses in Europa, wo unter uns viele nicht imstande sind, dem Gottesdienst in der deutschen Sprache zu folgen und gar vielen Kindern der Konfirmationsunterricht in portugiesischer Sprache erteilt werden muß. Es ist kaum anzunehmen, daß der neu ein­ treffende Geistliche von vornherein imstande ist, auch diesen Gliedern der Ge­ meinde ein rechter Seelsorger zu sein, und einem hochwürdigen Evangelischen Oberkirchenrat wird die Gefahr nicht entgehen, daß einzelne Angehörige unseres Bekenntnisses, welche entweder für ihr religiöses Bedürfnis kein Ge­ nüge finden oder denen keine Anregung geboten werden kann, uns verloren­ gehen und sich dem Katholizismus zuwenden." Der Vorstand sei gern zu einer Aufbesserung des Gehaltes bereit, um tüchtige Kräfte auf die Dauer in der teuren Stadt Lissabon festzuhalten, sehe sich aber selbst außerstande, mehr aufzubringen. Die Gemeinde könne nicht mehr als 1000—1100 Thaler aufbringen, „eine an sich nicht bedeutende Summe" — so fährt Dähnhardt fort —, „welche aber doch nur mit Mühe von den 65 beitragenden Mitgliedern herbeigeschafft wird. Die Gemeinde be­ steht zum großen Teil aus Handwerkern und jungen Kaufleuten, Angestellten hiesiger Handlungshäuser, während Kaufleute mit eigenem Geschäft weniger zahlreich vertreten sind und die großen deutschen Firmen, welche während der letzten Hälfte des vorigen und bis in die ersten Dezennien dieses Jahrhunderts die freigebigen Stützen unserer Gemeinde waren, von dem Strom der Zeiten verschlungen wurden. Wenn sonach die Gemeinde mit schmerzlichem Bedauern sich außerstande sieht, zur Verbesserung der Lage ihres Pfarres beitragen zu dürfen, so glaubt doch der Vorstand sich der Hoffnung hingeben zu dürfen, ein hochwürdiger Oberkirchenrat wolle bei der Regierung S. M. des Königs, des großmütigen Beschützers dieser Gemeinde, die Bitte befürworten, daß die könig-

liche Regierung sich geneigt finden lasse, ihrerseits die Stellung des König­ lichen Legationspredigers reichlicher auszustatten. Die Gemeinde lebt der Hoff­ nung, daß auch ihr die großen Ereignisse des vorigen Jahres zugute kommen werden (der siegreiche Feldzug von 1866), und daß der Umstand, daß nunmehr die große Mehrzahl ihrer Mitglieder preußische Untertanen, während alle mit verschwindenden Ausnahmen Angehörige des norddeutschen Bundesstaates sind, ihre Bitte ein geneigteres Ohr finden lassen wird." Es blieb jedoch vorläufig alles beim alten. Rothes Nachfolger wurde Eduard Franz Julius Meier"'), bisheriger Dia­ konus in Pritzwalk in Pommern und Pfarrer in Sarnau. Am 1. Juni 1867 traf er in Lissabon ein. Gleich am folgenden Tage, der ein Sonntag war, hielt er nach seiner Einführung durch Rothe eine herzliche Begrüßungsansprache an die Gemeinde, worauf er in der anschließenden Sitzung des Kirchenvorstandes sofort mit Sitz und Stimme in diesen ausgenommen und ihm das Schrift­ führeramt übertragen wurde. Auch übernimmt er, wie seine Vorgänger, den Vorsitz im Deutschen Hilfsverein. Eine äußerlich fest begründete und ihm freundlich entgegenkommende Gemeinde fand Pfarrer Meier vor, aber wie Rothe, so mußte auch er bald das nationale Interesse als den eigentlichen Grund für den kirchlichen Eifer erkennen. Man freute sich an dem Besitz der Kircheneinrichtungen aus nationalen Stolz, beteiligte sich jedoch an den Gottesdiensten nur wenig. Immerhin ist die durchschnittliche Besucherzahl von 45 Personen bei einer Gemeinde von etwa 220 Seelen verhältnismäßig günstig. Auch das portugiesische Volk begegnete dem deutschen Pfarrer mit freund­ licher Achtung, und in dem ganzen Stadtteil, in dem die deutsche Kapelle lag, wurde er, soweit man ihn kannte, allerseits höflich als der „padre alemäo“ be­ grüßt. Dieses freundliche Verhalten der Bevölkerung entsprach Wohl auch der Stellungnahme des kgl. Hofes zum deutschen protestantischen Kultus. Diese wurde in aller Oeffentlichkeit bei der Beerdigung der Frau des kgl. Leibarztes, des früheren Kirchenvorstehers, Baron von Keßler, bekundet. „Dabei" — so berichtet Meier — „wurde die Leiche selber nicht bloß auf einem vergoldeten Stabswagen nach unserem Kirchhofe gebracht, sondern auch für mich war ein gleicher (dem alten preußischen Krönungswagen täuschend ähnlich) vom Hofmarschallamt gesandt worden, und neben unseren beiden Wagen gingen Fackelträger in kgl. Livree. Kann man das anders nennen als eine tatsächliche offizielle Anerken­ nung unseres Gottesdienstes, der sonst nach dem Staatsgesetz öffentlich sich nicht bemerkbar machen darf?" Der regierende Prinzgemahl, Don Fernando, ließ sich im nächsten Jahre sogar mit einem Mitglied der evangelischen Gemeinde durch den protestantischen Pfarrer im Rittersaal des kgl. Schlosses Necessidades trauen! Es war die deutsche Tänzerin Elise Friederike Hänzler, spätere Gräfin Edla, die der verwitwete portugiesische Regent aus dem Hause Sachsen-CoburgGotha am 10. Juli 1869 heiratete. Da Don Fernando selbst katholisch war, wurde das Paar zuerst katholisch getraut, worauf kurz danach in aller Stille die evangelische Trauung erfolgte""). Bei Mischehen war es in letzter Zeit immer so üblich gewesen, daß eine zweifache Trauung erfolgte. Bei den Kindern wurden in der Regel die Knaben in der Konfession des Vaters und die Mädchen in der Konfession der Mutter

erzogen. Neuerdings aber verlangte die römische Kirche bei kacholischen Trauungen das Gelöbnis der katholischen Kindererziehung. Die Folge davon war jedoch, daß die deutschen Männer, die Portugiesinnen heirateten, diese be­ stimmten, auf die katholische Trauung zu verzichten, um sich nicht zu einer katholischen Erziehung ihrer Kinder zu verpflichten. Nach dem portugiesischen bürgerlichen Gesetz von 1867 erhielten die Portugiesinnen, die Ausländer heirateten, die Staatsangehörigkeit chres Mannes und wurden als Ausländer behandelt. Infolgedessen mußte auch die vor dem protestantischen Pfarrer ge­ schlossene Ehe als rechtsgültig anerkannt werden. Daß im Jahre 1869 bei sieben Eheschließungen, die sämtlich Mischehen evangelischer Männer mit Portugiesinnen waren, nicht eine einzige katholisch getraut wurde, und in einem Fall sogar die Braut auf Wunsch des Mannes zur evangelischen Kirche über­ trat, ist ein deutliches Zeichen für die Erstarkung des nationalen und prote­ stantischen Bewußtseins. Roms Stellung war damals in portugiesischen Kreisen überhaupt stark erschüttert. Der Kampf um die Dogmatisierung der Unfehlbarkeit des Papstes auf dem 1869 einberufenen Vatikanischen Konzil schlug auch nach Portugal hin seine Wellen. Kurz vor Eröffnung des Konzils kam ein Abgesandter meh­ rerer portugiesischer Geistlicher zu Pfarrer Meier, um ihm mitzuteilen, daß jene Geistlichen entschlossen seien, im Falle einer Dekretierung der Unfehlbar­ keit des Papstes einen Protest gegen diese und zugleich gegen andere Mißbräuche, wie Marienkultus, Zölibat u. a., zu erlassen. Da sie jedoch dann den Verlust ihrer Aemter zu erwarten hätten, fragten sie an, ob sie irgendwie auf einen Rückhalt bei der evangelischen Kirche rechnen dürften. Da Meier ihnen in dieser Hinsicht keine Hoffnungen machen konnte, wies er sie an den Lissa­ bonner Agenten der englischen Bibelgesellschaft. Der Abgesandte erklärte noch, jene also gesonnenen Geistlichen seien bedeutend an Zahl und über ganz Portu­ gal verstreut^). Doch aus dem beabsichtigten Protest wurde nichts. Denn es fand sich kein Führer unter der Geistlichkeit, der den Mut gehabt hätte, an die Spitze der Bewegung zu treten. Man hatte einige Hoffnung auf den Bischof von Vizeu gesetzt. Als aber auch dieser sich schweigend dem Unfehlbarkeits­ dogma beugte, fielen alle anderen um und fügten sich wider ihr Gewissen dem Konzilsbeschluß zu Rom. Ein sehr ernst gesinnter Priester kam später zu Pfarrer Meier, um ihm zu sagen, daß er und mehrere Kollegen in die zu jener Zeit in Lissabon begründete spanische evangelische Kapelle übertreten wollten, weil sie jede Hoffnung verloren hätten, die portugiesische Kirche aus den Banden des Jesuitismus zu retten. Tatsächlich traten auch vier Geistliche über. Daß die in ihrem Gewissen bedrängten Priester sich an den Vertreter der Deutschen Evangelischen Kirche wandten, zeigt, welche Stellung der deutsche evangelische Pfarrer in Lissabon damals hatte und welches Ansehen er genoß. So konnte denn die Gemeinde, von innen und von außen ungestört, sich einer ruhigen Weiterentwicklung erfreuen. Im Sommer des Jahres 1867 starb der langjährige Küster und Fried­ hofswärter Johannes Wepler, einer von den alten Legionären aus dem Peninsularkrieg. In anerkennender Dankbarkeit für seine langjährigen treuen Dienste beschloß der Vorstand, ihm das letzte Ehrengeleit zur Gruft zu geben, dem

sich auch etliche Gemeindeglieder anschloffen. An seiner Stelle wurde Johann Caspar Claussen, ein Bildhauer aus Bremen, angestellt. Die Schulverhältniffe litten unter den alten Schwierigkeiten. Pfarrer Meier erbot sich, den Religionsunterricht persönlich zu erteilen, was jedoch ab­ gelehnt wurde, aus Furcht, dadurch die katholischen Kinder zu verlieren. Erst nach zwei Jahren gelang es Meier, sich die Beteiligung am Religionsunterricht zu „erobern", wie er an die Kirchenbehörde berichtet. Da die Abteilung für Mädchen an der Schule nur vom Mai bis zum Oktober 1866 bestanden hatte, bemühte sich Meier um die Errichtung einer besonderen Kirchschule für Mädchen. Er hoffte dies zunächst durch Hinzuziehung der Frau des Küsters Claussen zu erreichen, was jedoch an deren Widerstand scheiterte. Im nächsten Jahre, am 1. Oktober 1869, kam sie dann glücklich doch zustande, nachdem Röder auf seine Kosten eine deuffche und eine englische Lehrerin aus Deutsch­ land und England hatte kommen lassen. Röder richtete den neuen Betrieb in einem besonderen Lokal selber ein und unterrichtete auch in ihm, während Meier den Religionsunterricht gab. Da ein dringendes Bedürfnis für diese Anstalt vorhanden war, entwickelte sie sich schnell und konnte schon im nächsten Jahre 28 Schülerinnen zählen, von denen 15 protestantisch waren. Nach Oporto kam Meier im ersten Jahre noch nicht, da die Portoenser ihre Abmachungen mit Rothe als rein persönliche Vereinbarung auffaßten. Vergebens wartete Meier auf eine Aufforderung zu einem Gottesdienst, bis er durch den Vorstand amtlich anfragen ließ, worauf jedoch keine Antwort erfolgte. Privatim erfuhr man, daß man dort nur auf die Fertigstellung des Ausbaues der englischen Kapelle wartete, die der Gemeinde für die Gottesdienste zur Ver­ fügung gestellt wurde. Am Palmsonntag 1869 hielt Meier dann seinen ersten Gottesdienst in Oporto, wozu 90 Personen erschienen waren. Die Gemeinde zählte insgesamt 109 Seelen. Einen Zuschuß für die Lissabonner Kirchenkasse zu zahlen, woran dieser so viel gelegen war, war sie immer noch nicht bereit oder in der Lage. Man hatte wohl begonnen, einen kleinen Fonds durch Bei­ träge zu sammeln, um daraus die Reisekosten für den Pfarrer zu bestreiten. „Sollte dieser Fonds einmal so angewachsen sein" — so erklärte Konsul Katzen­ stein, der die Geschäfte der Gemeinde führte —, „daß dann noch Ueberschüsse blieben, so seien sie nicht abgeneigt, diesen Ueberschuß der Lissabonner Kirchen­ kasse als Dank für die Ueberlassung des Geistlichen zu zahlen. Ein Mehreres hätten sie nie versprochen." Während Meier in Porto war, vertrat ihn in Lissabon Marinepfarrer Büttner. Dieser befand sich bei den beiden Briggs der norddeuffchen Kriegs­ marine, „Rover" und „Mosquito", die aus Anlaß der revolutionären Unruhen in Spanien an den Küsten der Halbinsel kreuzten und 1868 den Hafen von Lissabon anliefen, um dort für längere Zeit zu ankern. Die Besatzung beteiligte sich auch lebhaft an den Gottesdiensten der Gemeinde. Der Besuch der deutschen Marine wiederholte sich in den nächsten Jahren mehrfach und trug mächtig zur Hebung des nationalen Lebens der deutschen Kolonie bei. Das erreichte seinen Höhepunkt in den Kriegsjahren 1870/1871. Eine Welle der nationalen Begeisterung ging durch die ganze deutsche Kolonie. „Es war erhebend" — so berichtet Meier —, „wie mit dem Ausbruch

des großen Kampfes alle politischen Differenzen, die namentlich seit 1866 die Gemüter der den verschiedensten Teilen Deutschlands zugehörigen Gemeinde spaltete, verschwanden und verscheucht wurden vor dem einmütigen Hauch be­ geisterten Nationalgefühls." Von großer Opferwilligkeit zeugte eine Samm­ lung zum Besten der Verwundeten, die 7000 Thaler ergab. Außerdem wurden mehrere Sendungen guten Portweins gespendet. Als im Anfang des Jahres 1871 die deutsche Korvette „Arcona", von der Azoreninsel Fayal kommend, den auf sie lauernden französischen Kriegsschiffen glücklich entronnen, im Lissa­ bonner Hafen einlief, wurde sie mit Jubel empfangen, und Pfarrer Meier hielt an Bord einen Dankgottesdienst ab. Die nichtdeutschen Glieder der Gemeinde freilich wurden durch die auch das Gemeindeleben beherrschende nationale Begeisterung in ihrer Antipathie gegen die deutsche Sache nur bestärkt. Manche, die sonst gerne Gottes Wort in deutscher Sprache vernommen hatten, hielten sich jetzt von den Gottesdiensten fern, um nicht — auch nur dem äußeren Schein nach — für die deutsche Sache mitzubeten. Um ihnen diesen Anstoß zu nehmen, kam Meier auf den Ausweg, dem Gebet für das deutsche Vaterland die Worte voranzuschicken: „Wir Deutsche bitten dich", so daß die Nichtdeutschen sich in diesen Teil des Gebets nicht mit einzuschließen brauchten. Auch die portugiesische Bevölkerung nahm gegen Deutschland Stellung. Besonders die Presse erging sich seit Sedan in wütend­ sten Angriffen. Täglich wurde König Wilhelm als „Attila" betitelt und, weil er für die Siege Gott die Ehre gab, der „protestantische königliche Fanatiker" genannt. Die deutschen Heere bezeichnete man schon damals als „Barbaren­ horde" und dichtete ihnen alle möglichen Greueltaten an. Erst seit den von der Pariser Kommune verübten unsinnigen Taten wurden diese Schimpfereien zum Schweigen gebracht. Inmitten dieser Feindseligkeit aber schlossen sich die Deutschen aller Stämme nur um so fester zusammen. Zum ersten Male wohl wurde es allen Menschen deutschen Blutes in der Fremde, umgeben von Haß und Verleumdung, bewußt, daß es so etwas gibt, wie eine gesamtdeutsche Schicksalsgemeinschaft. „Die Zeiten sind hoffentlich für immer vorbei" — so schreibt Meier nach dem Erlebnis des Krieges —, „wo aus Gleichgültigkeit gegen seine Abstammung man allmählich die deutsche Sprache preisgab und dadurch wenigstens für seine Nachkommen eine fruchtbare Benutzung des deut­ schen Gottesdienstes hier unmöglich machte." Am 22. März wurde zum ersten Male gemeinsam Kaisers Geburtstag in der Kirche gefeiert, und auch die Nicht­ preußen und deutschen Katholiken beteiligten sich daran. Die großen Kaufleute hielten ihre Geschäftshäuser an diesem Tage geschlossen. Die Gemeinde stand nun unter dem Schutze des Deutschen Reiches, und ihr Pfarrer wurde kaiserlich deutscher Gesandtschaftsprediger. Der nationale Aufschwung wirkte sich auch in kirchlicher Beziehung belebend aus. Die Zahl der Gemeindeglieder stieg nach dem Kriege etwas an, da manche jungen Kauf­ leute aus Frankreich herüberkamen, wo der Aufenthalt für Deutsche noch erschwert war. Außerdem aber waren die geschäftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Portugal durch einen Handelsvertrag vermehrt worden. Die Gemeinde zählte jetzt 235 Seelen. Bor allem den deutschen Frauen stellt Pfarrer Meier ein lobendes Zeugnis aus. „Unter unsern deutschen Frauen" — so

schreibt er — „macht der bei weitem größte Teil dem deutschen Frauennamen volle Ehre. Ja man kann es nur mit vollstem Danke gegen Gott aussprechen, wie ihrer so viele ganz in ihrem Beruf als Ehegattin und Mutter aufgehen." „Auch die deutschen Gouvernanten, von denen es eine Anzahl in Lissabonner Familien gab, sind", wie Meier berichtet, „sowohl durch ihren persönlichen Charakter als auch durch den Einfluß auf ihre Zöglinge, eine wahre Zierde des deutsch-evangelischen Namens." „Bereitwilligkeit, für allerlei wohltätige Zwecke, sowohl allgemein menschliche, wie für speziell kirchliche, reichlich einzu­ treten, ist vielleicht der beste Zug in dem Gemälde, was mir die Gemeinde in diesen 6 Jahren darstellt", so urteilt Meier im Rückblick auf seine Amtszeit in Lissabon. Und so war es in der Tat. Nach all den Opfern zum Besten der Verwundeten des Krieges scheute man sich doch nicht, jetzt wiederum zu sammeln zur Ausbesserung der Kapelle. Dabei kam soviel zusammen, daß auch noch der Friedhof für die dürren Sommermonate mit einer Wasserleitung versehen werden konnte, „wodurch dieser an Umfang kleinste Lissabonner Friedhof in beständigem Blumenschmuck prangt und von allen hiesigen Friedhöfen den traulich-schönsten Eindruck macht". Auch ging man daran, für die Kapelle eine neue Orgel zu beschaffen. Den Anlaß dazu bot eine von einem Durchreisenden aus Neuenburg am Schluß eines Sonntagsgottesdienstes dem Pfarrer überreichte Uhr, die er für Gemeinde­ zwecke verlosen sollte. Der Ertrag der Verlosung wurde als Anfangskapital für die Beschaffung einer neuen Orgel bestimmt. Das bisherige Instrument stellte nicht eigentlich eine richtige Orgel dar, als vielmehr nur ein sogenanntes Aeolodicon, eine Art Harmonium, und war im Laufe der Jahre abgenutzt und veraltet. Da der Ertrag der verlosten Uhr nicht genügend einbrachte, veranstal­ tete man mehrfach Sammlungen, bis die nötige Summe beisammen war und ein neues besseres Aeolodicon für 600 Thaler angeschafft werden konnte. Diese Opferfreudigkeit erstreckte sich selbst über den eigenen nationalen und kirchlichen Kreis hinaus und betätigte sich in glaubensbrüderlicher Liebe auch an den Glaubensgenossen der fremden Nation. Ende der 60er Jahre war in Lissa­ bon eine evangelische Gemeinde enfftanden, die, ohne Anschluß an eine größere Kirchengemeinschaft, aber in Bekenntnis und Kultus sich an die anglikanische Kirche anlehnend, im Sommer 1870 die Duldung der portugiesischen Regierung erlangt hatte. Ihr Haupt war ein ehemaliger spanischer Priester, namens Angel Herreros de Mora, der längere Zeit in England und Amerika im Dienste der britischen Bibelgesellschaft tätig gewesen war. Die ganze Bewegung stand unter spanischem Schutz, um vor Angriffen von portugiesischer Seite gesichert zu sein. Denn es bestand damals in Portugal eine gewiffe Furcht, in irgend­ einer Weise das benachbarte Spanien zu reizen. Jene oben erwähnten vier portugiesischen Priester, die zu dieser Kirche übertraten, gaben auch ihre Nationalität auf und nahmen die spanische Staatsangehörigkeit an. Außerdem wurden sie noch unter den Schutz des amerikanischen Konsulats gestellt. Von diesen vier Geistlichen") ließ de Mora sich zum Bischof wählen und wurde der Begründer der Episkopalkirche in Portugal. Naturgemäß war die spanisch­ evangelische Gemeinde sehr arm, da sich vorwiegend Portugiesen aus den niederen Ständen der Bevölkerung zu ihr hielten. Aber ihr Wachstum nahm

ständig zu. Ihr wandte sich nun das Interesse der deutschen Glaubensgenosien zu. Zum ersten Male konnte Pfarrer Meier 1871 dem spanischen Pastor 24 Thaler als „schwesterliche Liebesgabe" seiner Gemeinde überweisen. Um aber die Bewegung dauernd zu unterstützen und nachhaltig zu fördern, wurde 1872 ein besonderer Frauenverein gegründet, der monatlich kleine Beiträge zum Besten der von fast lauter armen Kindern besuchten Schule der spanischen Gemeinde sammelte und, unter der Leitung der Pfarrfrau stehend, im Laufe des Jahres über 100 Thaler zusammenbrachte. So zeigte sich denn in der Gemeinde ein erfreuliches Leben, und Pfarrer Meier konnte nach sechs Jahren befriedigt auf seine Tätigkeit zurückblicken. Dennoch sehnte er sich nach der Heimat und bat zu Anfang des Jahres 1872 um seine Rückberufung. Einerseits war es die Sorge um die Erziehung und Zukunft seiner vier Kinder, die ihn nach Deutschland zurückzog. Andererseits fürchtete er eine Entfremdung vom kirchlichen Leben der Heimat, indem er, in den besten Mannesjahren stehend, den Wunsch hatte, „bei den gewaltigen Bewegungen der Gegenwart und den wichtigen Entwicklungen im kirchlichen Leben" mitzuarbeiten und „doch wenigstens in einer Zeit, wo chm das volle lebendige Verständnis der brennenden Fragen durch längeres Bleiben in der Fremde noch nicht zu sehr erschwert sei, seine geringe Kraft in den Dienst der heimatlichen Kirche zu stellen." Er wurde daraufhin nach Keuschberg bei Merseburg berufen und verließ im Sommer 1873 Lissabon"). Bor seinem Weggang hatten in der Gemeinde noch einige Veränderungen stattgefunden. Der Küster und Friedhofswärter Claussen hatte seinen Posten verlassen, und der das Amt eines Türstehers bei der Kapelle bekleidende ehe­ malige Husar bei der kgl. deutschen Legion, Heinrich Müller, war als ältestes Gemeindeglied im 92. Lebensjahr 1872 gestorben. Mit ihm war der letzte der alten Legionäre dahingegangcn. Als Friedhofswärter stellte man nun den evangelischen Portugiesen Francisco Duarte an, dessen Sohn noch heute dieses Amt bekleidet. Zur Erledigung der Formalitäten mit den portugiesischen In­ stanzen bei Beerdigungen hate es sich als zweckmäßig erwiesen, einen Portu­ giesen anzustellen. Der Kirchendiener- und Türsteherdienst dagegen wurde dem Deutschen Schlüter übertragen, der, ursprünglich ein Hamburger Grobschmied, auf der Wanderschaft in Lissabon hängen geblieben war und eine Portugiesin geheiratet hatte. Er war ein Original. Seine Unkenntnisse des Portugie­ sischen ersetzte er durch um so derberes Hamburger Platt, womit er auf die Portugiesen einredete und sich tatsächlich oft auf solche Weise verständlich machte"). Der 1870 gewählte Vorstand Dähnhardt, Dulheuer und Th. Deggeler legte nach Ablauf seiner Amtsperiode 1873 sein Amt nieder, worauf H. Dähn­ hardt wieder-, B. Preßler und Johannes Wimmer neu gewählt wurden. Damit erscheint der Name Wimmer, der später noch in der Gemeindegeschichte auf­ treten wird, zum ersten Male im Kirchenvorstand. H. Dähnhardt übernimmt wiederum das Amt des Vorsitzenden, das er bereits 1870 erhalten hatte, um es bis zu seinem Tode im Jahre 1907 zu behalten. Joh. Wimmer wird Kassen­ führer. In den Gemeindeausschuß werden gewählt: Dulheuer, Finger und Beeck. Manche neue Namen treten in den Anwesenheitslisten der Gemeinde-

Versammlungen auf, wie: George, Katzenstein, Justus, Schalck, Schroeter, Stegner, Liebemeister, Jansen, Koerner, Scholtz. Merkwürdig schnell veränderte sich das Gesicht der Gemeinde und wan­ delte sich die Lage, das Leben und die Stimmung innerhalb der deutschen Kolonie, so daß der neue Pfarrer fast eine neue Gemeinde vorfand und vor ganz andern Verhältnissen und Aufgaben stand als sein Vorgänger. Während Meier sich noch eben über einen gewissen Aufschwung des kirchlichen Lebens freuen konnte, und eine Welle nationaler Begeisterung die Deutschen zu Einheit und Gemeinsinn geführt hatte, ist beim Eintreffen seines Nachfolgers die Hoch­ flut des neuen Lebens schon wieder einer Ebbe gewichen. Es ist, als ob dem Hochschwung nationalen Lebens eine allgemeine Wspannung und Erschlaffung folgt. Dazu ist auch ein anderer Geist eingezogen mit der Zuwanderung vieler junger Leute, meistens Handlungsgehilfen, die aus dem neuen deutschen Kaiser­ reich ins Ausland gingen und eine kirchenfeindliche Einstellung und materia­ listische Gesinnung mitbrachten. Der neue Pfarrer, August Wernicke^), kam aus einer anderen Auslands­ gemeinde, in der er ein blühendes kirchliches Leben gewohnt war, und die in ihrer ganzen Art der Lissabonner Gemeinde wohl ebenso entgegengesetzt war wie in chrer geographischen Lage — aus der finnischen Hauptstadt Helsingfors. Um so stärker war der erste niederdrückende Eindruck bei seinem Amtsantritt. Zu seinem Einführungsgottesdienst am 21. September 1873, wobei der Kirchen­ vorstand mit dem Gesandten, Graf von Brandenburg, ihn feierlich zum Altar geleiteten, waren nicht mehr als 24 Personen erschienen, am folgenden Sonntag waren es noch weniger. „Es war mir des Herrn «Sorget nicht' sehr nötig", berichtet er an seine Behörde. So blieb es auch in der folgenden Zeit. „Wenn Claus Harms" — so bekennt er — „seiner Zeit eifrig bat: «Herr, nur keine leeren Bänke', so gab ich mich in Gedanken mit leeren Bänken schon zufrieden und bat: «Herr, gib nur einige; nur keinen Ausfall des Gottesdienstes!' Dazu ist es denn auch nie gekommen"). 12 bis 15 treue Gemeindeglieder, die sich nur durch Krankheit oder außerordentliche Ereigniffe von dem Besuch der Kirche abhalten ließen, fanden sich schließlich immer noch ein. Die sind für den Geist­ lichen ein «Trost und eine Stütze' und befreien ihn «von dem peinigenden Warten zu Beginn des Gottesdienstes, ob auch wohl jemand kommen werde'." Im nächsten Jahre schreibt er: „Jetzt habe ich mich bescheiden lernen und bin den hiesigen Verhältnissen gerecht geworden. Es ist ein Kreuz, das ich trage. Meine Seufzer weiß Gott." Kläglich war auch der Gesang, über den Wernicke urteilt: „Ich habe es früher kaum für möglich gehalten, daß eine Gemeinde von Deutschen so unmusikalisch sein könnte, wie die hiesige ist. Wären nicht 3 Sän­ ger in meiner Familie, so würde zu Zeiten bei den Chorälen kein einziger Ton laut werden", höchstens die Stimme des Organisten Röder, der „allerdings wohl 12 Stimmen ersetzt, damit aber nur umsomehr an den Mangel erinnert. Hätten nur wenigstens die Deutschen alle das Gesangbuch! Man lernt nirgends den Mangel an Einheit in den Kultusformen, in den Liedern, in den Chorälen so beklagen als im Auslande." Die jungen, aus der Heimat zugewanderten Deutschen sind größtenteils der Kirche gänzlich entfremdet und verhalten sich völlig ablehnend. Der Pfarrer

vermag zu ihnen keine Beziehungen zu finden und „alle Aufforderungen älterer Mitglieder, der Gemeinde beizutreten, beantworten sie mit Hohn und erklären, daß sie mit der Kirche nichts zu tun haben wollen, die ein veraltetes, über­ flüssiges Institut sei, das nach allen Zeiterscheinungen dem Untergange nahe sei u. dgl.". Sie sahen sich hierin auch bestärkt durch die neue Zivilstandsgesetz­ gebung vom 9. März 1874, wonach die bürgerliche Eheschließung eingeführt, die Geburten und Todesfälle in den Zivilregistern amtlich registriert wurden, und somit der staatliche Zwang zu den kirchlichen Handlungen aufhörte. Der deutsche Konsul wurde zum Standesbeamten — in Lissabon war es damals Dr. Jerosch und in Oporto Eduard Katzenstein. Aber auch außerhalb der Gemeinde „will kein einiges Zusammenleben gedeihen. Alle gemeinsamen Institute fristen nur ein kümmerliches Dasein, sogar der Kegelklub, obwohl der noch am meisten besucht wird". Selbst „ihren patriotischen Verpflichtungen kommen die jungen Deutschen durchaus nicht nach, obwohl sie gerne mit ihrem Patriotismus prahlen. Es kommt Wohl einmal das Bedürfnis über sie, dem Deutschtum hier «einen Aufschwung zu geben'. Dann gründen sie einen Verein, trinken und spielen, und jeder gibt seine Witze und Geschichten zum Besten. Nach einigen Monaten aber erfolgt ein allgemeiner Ueberdruß. Die Geschichten werden durch fortwährende Wiederholung widerlich, der Ton artet aus und stößt die besieren Elemente zurück. Es verletzt schon, daß die Jungen als die Meister der Alten auftreten wollen. Jedes der bartlosen Gesichtchen hätte am liebsten seinen eigenen Thron und alle Baterlandsgenossen als Vasallen. In der Tat scheitern alle Neuerungen in kurzer Zeit. Es besteht nur unsere Gemeinde und 2 Wohltätigkeitsvereine für hiesige Arme [bie Bartholomäusbrüderschafts und mittellose Durchreisende sder Hilfsvereins, zum Beweise, daß Glaube und Liebe doch die einzigen erhaltenden und beständigen Mächte sind." Einige meinten, wie Wernicke weiter berichtet, der Grund dafür, daß kein gedeihliches Zusammenleben zustande komme, liege darin, „daß die Qualität der ins Ausland gehenden jungen Deutschen gesunken sei, seitdem im Vater­ lande für strebende junge Leute ein günstiges Terrain sei". Die Ablehnung der jungen Generation gegenüber der Kirchengemeinde sieht Wernicke im Hinblick darauf, daß die jetzt mit ihren Familien den eigent­ lichen Grundstock der Gemeinde bildenden Deutschen einst auch als Ledige doch sämtlich ihren Kirchenbeitrag geleistet haben, neben dem Einfluß des modernen Unglaubens noch in einem anderen Umstand begründet. „Mir scheint" — so schreibt er — „ein gegen früher verändertes soziales Verhältnis bestimmend zu wirken, nämlich die Stellung, die jetzt die jungen Leute zu ihren Prinzipalen ein­ nehmen. Einst wurden solche mehr in die Familie gezogen, weil der Prinzipal sittlichen Gefahren derselben vorbeugen zu müssen glaubte. Auf jeden Fall war das Verhältnis der jungen Männer zu ihren Chefs ein pietätvolleres. Darum richteten sie sich eher nach dem Beispiele wie nach den Wünschen derselben. Es hätte für unbescheiden und unzulässig gegolten, den etwaigen Hinweis des Prinzipals auf die Kirchengemeinde unbeachtet zu lassen. Heute scheuen sich die Chefs, noch mehr Aufforderungen ergehen zu lassen, nachdem sie wiederholt mit Hohn abgewiesen worden sind. Ich glaube, daß diese Pietätlosigkeit und stille Opposition des zuwandernden Geschlechts die traurige Folge für die Kirche

herbeiführt. Namentlich schließe ich das auch daraus, daß alle gemeinsamen deutschen Bestrebungen jetzt wie in Stockung geraten sind." Merkwürdig genug ist es — so stellt Wernicke fest —, daß hier in Lissabon die Deutschen immer standhaft zusammengehalten haben, solange unser liebes Vaterland zerrissen war, daß sie aber seit dem großen Einigungswerke in Deutschland auseinanderzugehen scheinen. Vorher glaubten sie, sich persönlich im Auslande repräsentieren zu müssen. Jetzt fühlen sie sich eo ipso repräsen­ tiert. „Dabei ist unsere Gemeinde für die älteren und verheirateten evan­ gelischen Deutschen der einzige Sammelpunkt. Die sonstige Geselligkeit ist fast gleich Null. Diese Erscheinung erklärt sich aber aus der starken Konkurrenz, die sich eigentlich sämtliche deutschen Geschäfte hier machen." Bei besonderen patriotischen Feiern zeigte sich allerdings immer noch, daß die evangelische Kirche für alle Deutschen, ohne Unterschied der Konfession, den Sammelpunkt bedeutete und als das Zentrum des nationalen Lebens betrachtet wurde, so vor allem an den Kaisers-Geburtstagen. Als 1878 aus Anlaß des doppelten Mordanschlages auf Kaiser Wilhelm ein Dank- und Bittgottesdienst wegen der gnädigen Er­ rettung und für die fernere Bewahrung des Kaisers abgehalten wurde, war die Beteiligung so groß, daß auch Zugehörige anderer Nationen, z. B. viele der hiesigen Diplomaten erschienen, ohne besonders eingeladen zu sein. Unter den schwierigen Verhältnissen, unter denen das Leben der Gemeinde jetzt stand, war Pastor Wernicke ganz der rechte Mann, ihnen zu begegnen. Theologisch von einem streng biblischen Christentum, das dem respektlosen Wesen des modernen Unglaubens eine mannhafte lutherische Glaubenshaltung entgegensetzte und Achtung abgewann, war er zugleich menschlich ausgerüstet mit hohen Geistesgaben und nicht ohne Humor, eine gewinnende und Vertrauen einflößende Persönlichkeit. Unerschrockenheit und Energie hatte er im Kriege als junger Divisionspfarrer der bekannten Kavalleriedivision Rheinbaben be­ wiesen und bei Mars la Tour, wo er die zur Attacke sich formierenden Schwa­ dronen im Kugelregen schwungvoll angefeuert hatte, das Eiserne Kreuz er­ halten. So vermochte er wohl den jungen Leuten zu imponieren und verstand es auch — gesellschaftlich geschult als Lehrer im Hause des preußischen Kultus­ ministers — auf dem Wege des geselligen Verkehrs sich Geltung und Einfluß zu verschaffen. Dazu verhalf ihm vor allem auch sein ausgezeichnetes Klavier­ spiel — er war ein Schüler des bekannten Komponisten und Musikkritikers Louis Kindscher, dessen Tochter, eine ausgebildete Sängerin, er geheiratet hatte. Das musikalische Pfarrhaus wurde bald ein Mittelpunkt geselligen Lebens in der Gemeinde. Der hochgebildeten Pfarrfrau gelang es in ihrer taktvollen Art, manche Zwistigkeiten unter weiblichen Gemeingegliedern, die auf Grund von Klatschereien entstanden waren, bei einer Tee-Einladung im Pfarrhause zu schlichten, indem sie die streitenden Parteien dabei „zufällig" zusammenkommen ließ. „Die deutschen Frauen" — diese humoristische Erzählung des Sohnes Wernickes aus seinen Erinnerungen möge hier eingefügt sein — „waren damals herzensgut, aber überaus empfindlich. Sie waren durch die beinahe trubadourmäßige Höflichkeit der Portugiesen Damen gegenüber — verwöhnt. Auf die harmlose Frage: .Wie gefällts Ihnen hier?' mußte die Antwort lauten: ,Die Gegenwart Eurer Exzellenza macht mir den Ort zum Paradies.' Mithin ent«

hielt ein derbes, deutsches: ,Es könnte besser sein' schon eine kleine Kränkung der Fragestellerin. Mein Vater schimpfte oft darüber, wußte aber dann die Resultante zwischen Ehrlichkeit und Ritterlichkeit zu finden, und hatte damit den richtigen Weg eingeschlagen." So gelang es denn Pastor Wernicke mehr und mehr, Vertrauen zu gewinnen und auch die Fernstehenden zum kirchlichen Leben heranzuziehen. Eine Zeitlang schien es, als ob die äußeren Verhältnisse dem Werben des Seelsorgers für die Kirche entgegenkamen. Denn die schwierige wirtschaftliche Lage, die damals über die Geschäftswelt Portugals kam, blieb nicht ohne offen­ baren Einfluß auf das kirchliche Leben. 1875 trat eine so starke Krise ein, daß sämlliche Banken ihre Zahlungen einstellten. Zwei deutsche Handelshäuser brachen völlig zusammen. Andere konnten sich nur schwer halten. Da trieb manchen die Sorge und Not zu seinem Gott, indem er Hoffnung und Stärkung im Gotteshause suchte. Doch eine nachhaltige Erweckung erfolgte daraus nicht. Anfangs glaubte Pfarrer Wernicke, „als die Geschäftslage sich wesentlich ver­ schlechterte, das solle manchem eine Warnung und Mahnung Gottes sein. Wirk­ lich schien es auch, als wäre ein ernsterer Zug über einige gekommen". Bald aber zeigte es sich, daß der Trieb zur Kirche nichts war, als „nur ein letzter Ver­ such, durch einige Gebete zu Gott einem unheilvollen Bankerotte vorzubeugen. Der Zusammenbruch erfolgte und erwies, daß die ernstere Regung nur dem unwillkürlichen Notschrei des Ertrinkenden zu vergleichen war". Die persönlichen Beziehungen zu Gemeindegliedern und vor allem die Gewinnung der abseitsstehenden jungen Leute förderte ungemein ein kleiner Gesangverein für gemischten Chor, den Wernicke ins Leben rief, und der ab­ wechselnd in den Wohnungen der Mitglieder zu Uebungsstunden in geselligem Kreise zusammenkam. Bald zeigte sich, daß „der Einfluß der wenigen sich beteiligenden jungen Deutschen ein entschieden durchgreifender zugunsten der Kirche" war. „So erschienen an den Festtagen, wenn der Chor mitwirkte, wenigstens ein Dutzend von den jungen Leuten in der Kirche, von denen sich ftüher nicht einer hatte blicken lassen." Noch nach einer anderen Seite hin gewann dieser Gesangverein Bedeutung. „Bon hier aus nämlich" — so erzählt der Sohn des Pfarrers aus seinen Erinnerungen — „verbreitete sich über die Gesandtschaft bis an den Hof das Gerücht, daß meine Mutter als ausgebildete Sängerin und mein Vater als Pianist gute Interpreten deutscher Musik sein sollten. Der König Don Fernando — selbst ein Deutscher — und die Herzogin von Palmella, begeisterte Verehrer deutscher Kunst, luden zu Musikabenden ein, und mein Vater konnte wieder diese Beziehungen zum Besten der Ge­ meinde ausnutzen. So gestattete Don Fernando den Kindern der deutschen Gemeinde — und nur diesen — den herrlichen, wildromantischen Schloßpark, .Quinta das Necessidades' genannt, als Spiel- und Tummelplatz zu benutzen. Und mancher Beitrag für den deutschen Hilfsverein von .Ungenannt' stammte von diesen Gönnern. Bon dem zunehmenden Interesse für deutsche Musik profitierte auch die vorzügliche Piano-Firma Steglich, die einzige am Platz." Biel Zeit und Aerger kostete den Pfarrer die Tätigkeit im deutschen Hilfs­ verein, dessen Präsident er ja satzungsgemäß war. Es setzte damals ein starker Rückwandererstrom von Südamerika her ein, und die Tätigkeit des Hilfsvereins

August Wernicke Pfarrer der Gemeinde von 1873 — 1883

Mehrer Franz Zchmieder Organist der Gemeinde von 1877 — 1838

Reinhold Bindseil Pfarrer der Gemeinde von 1888 — 1893

Friedrich Boit Pfarrer der Gemeinde von 1893 —1902

erstreckte sich neben der Weiterschaffung von „Landstreichern" hauptsächlich auf die Fürsorge für die Rückwanderer, so daß er geradezu „Verein zur Ermög­ lichung der Rückreise in Südamerika gescheiterter Deutscher" hätte genannt werden können. Gelegentlich konnte Wernicke einzelnen Rückwanderern und Handwerksburschen Arbeit verschaffen. Aber alles, was er und der Hilfsverein tun konnten, war nur „wie ein Tropfen auf dem heißen Stein" angesichts der gewaltigen Rückwanderernot. Mit Landstreichern machte er unangenehme Er­ fahrungen. In einigen Fällen konnte er sich „nur durch polizeiliche Hilfe vor der Unverschämtheit und Frechheit der wandernden Landsleute retten". Einmal mußte er „eine Woche lang wie im Belagerungszustand das Haus hüten, um die ©einigen vor einem Strolche eventuell mit energischer Geltendmachung des Hausrechtes zu schützen". Eine endliche Lösung fand unter Wernickes Amtszeit die Schulfrage. Hier waren die Verhältnisse immer unhaltbarer geworden. Die Rödersche Schule, einst aus kirchlicher Initiative ins Leben gerufen und immer noch durch das Liebeswerk der Deutschen Evangelischen Kirche, den Gustav-Wolf-Berein, mit­ unterhalten, zeigte auch keine Spur mehr von einer evangelischen Gemeinde­ schule. Aus der Gemeinde besuchten bei einer Gesamtzahl von 93 Schülern außer Röders 4 eigenen Kindern nur noch 6 die Anstalt. Eine satzungsgemäße Inspektion durch den Pfarrer und öffentliche Schulprüfung war unmöglich noch durchzuführen. Religionsunterricht wurde seit 1873 überhaupt nicht mehr erteilt. Freilich war, wie wir mehrfach gesehen haben, Röder nicht schuld an dieser Entwicklung. Die Verhältnisse zwangen dazu. Röder selbst sah sich immer neuen Schwierigkeiten gegenüber. Die deutschen Familien selber schickten nicht alle ihre Kinder in seine Schule, wohl, wie Wernicke berichtet, weil sie den ungünstigen Einfluß von Brasilianern, die die Anstalt besuchten, fürchteten. Der Pfarrer unterrichtete, der Ersparnis halber, seine Kinder selbst. Außerdem taten sich mit der Zeit verschiedene Konkurrenzunternehmen auf. Röders eigener Schwager, Franz Schmieder, den wir bereits als Lehrer an der Röderschen Schule kennengelernt haben, und der Röders Schwester geheiratet hatte, gründete 1874 eine Töchterschule mit einem Pensionat, dem seine Frau Vorstand. Diese Anstalt entwickelte sich gut und bestand bis zum Jahre 1900. Mehr Ab­ bruch aber tat der Röderschen Anstalt eine Knabenschule, die Wüppermann, den Röder ebenfalls ursprünglich für seine Anstalt hatte kommen lassen, 1872 er­ öffnet hatte. Diesem gelang es, die meisten deutschen Kinder für seine Schule zu gewinnen, deren Schülerzahl bald so stark anwuchs, daß er ein eigenes Haus mit Garten mietete, wo er auch Schülern Wohnung und Kost gewährte. Leider war Wüppermann, im Gegensatz zu Röder, der doch im Grunde kirchlich gesinnt war und unbestreitbare Verdienste um die Gemeinde hatte, ganz unkirchlich, ja religionsfeindlich. Bei reichen Kenntnissen und gutem Lehrgeschick war er doch von unberechenbarem Charakter. Er starb bereits in den 80er Jahren in geistiger Umnachtung, womit dann auch seine Schule einging. Daß der Gustav-Wolf-Berein für die Rödersche Schule bei der Lage der Dinge immer noch jährlich 400 Thaler schickte, konnte mit gutem Gewiffen jetzt nicht mehr länger so hingenommen werden. Es war für den Pfarrer äußerst peinlich, hier persönlich einzugreifen und dieser Ungereimtheit ein Ende zu 10

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machen, was er doch als seine Pflicht empfand. Er erwirkte darum einen Be­ schluß des Kirchenvorstandes, Röder mitzuteilen, daß von feiten des Vorstandes eine weitere Befürwortung der Beihilfe beim Gustav-Wolf-Verein nicht mehr geschehen könne. Doch niemand getraute sich offenbar, Röder diesen Beschluß zu übermitteln, und so wurde er nicht ausgeführt, ja das Gesuch um die Bei­ hilfe weiter befürwortet. Der Zentralvorstand aber, dem die Entwicklung der Dinge nicht verborgen geblieben war, lehnte das Gesuch für weitere 3 Jahre ab und bewilligte den Zuschuß nur noch für ein Jahr. Als dann auf Beschluß der Gemeindeversammlung vom Mai 1876 noch einmal für das Jahr 1877 die übliche Unterstützung beantragt wurde, verhielt sich der Zentralvorstand ab­ lehnend. Doch sagt er wenigstens die Hälfte der Summe, 200 Thaler, noch für 1 Jahr zu. Röder nahm diese Entscheidung grollend hin, führte aber seine Drohung, das Organistenamt niederzulegen, noch nicht aus und tat weiter seinen Kirchendienst. Als er dann jedoch die 200 Thaler beim Kassenführer der Gemeinde erhob, geriet er mit diesem in einen heftigen Wortwechsel, der dazu führte, daß er am 1. Februar 1877 plötzlich sein Amt als Lehrer und Organist der Gemeinde kündigte. Damit hatte denn „diese Misere ihr Ende erreicht und war endlich ein dezennienlanges Uebel beseitigt worden", wie Wernicke berichtet. Fast 30 Jahre lang hatte die Schule in Verbindung mit der Gemeinde bestanden, und es soll nicht vergessen sein, was Lehrer Röder trotz aller Schwie­ rigkeiten, mit denen er zu kämpfen hatte, für das Deutschtum als deutscher Erzieher im fremden Lande geleistet hat. Nicht minder aber sei es unvergessen, daß Röder von der evangelischen Kirche entsandt worden war, und in wie groß­ zügiger Weise der Gustav-Adolf-Verein hier Tausende von Thalern zur Er­ haltung deutschen Volkstums geopfert hat. Alle Bestimmungen in der Ge­ meindeordnung, die die Schule betrafen, wurden nun aufgehoben. Röder, der wohl selber unter den Verhältnissen schwer gelitten hatte, war bei aller Heftig­ keit und Unberechenbarkeit seines Wesens doch ein innerlich anständiger und echter deutscher Mann. Er ließ die Verbindung mit der Kirchengemeinde auch jetzt nicht völlig abreißen. Seine Familie besuchte weiter die Kirche, und er selbst überwand sich soweit, nach dem Zwischenfall, doch noch einmal wieder den Gottesdienst zu besuchen. Er wurde später Lehrer am portugiesischen Lyzeum und nahm, um das Amt erhalten zu können, die portugiesische Staatsangehörig­ keit an. Doch seinem evangelischen Bekenntnis ist er treu geblieben, und seine Nachkommen leben noch heute in der Gemeinde. Das Organistenamt übernahm jetzt Franz Schmieder, der schon gelegentlich Röder vertreten hatte. Er erwarb sich durch „seine Sorgfalt, Gewissenhaftigkeit, seine Pünktlichkeit und Bescheidenheit" schnell das Vertrauen und die Zu­ friedenheit der Gemeinde. Der Vorstand suchte ihm ein höheres Gehalt zu ermöglichen und erreichte dazu vom Gustav-Adolf-Berein eine jährliche Beihilfe von 300 Mark. Um die Kinder der Gemeinde nicht ganz ohne Religionsunterricht auf­ wachsen zu lassen, richtete Wernicke des Sonntags vor dem Gottesdienst in der Kirche eine Kinderlehre ein, die sich wachsenden Zuspruchs erfreute. Die größeren Kinder blieben auch noch während des Gottesdienstes anwesend und gewöhnten sich so an das kirchliche Leben. Doch bedeutete das nur einen

schwachen Ersatz für eine richtige Gemeindeschule. Die Notwendigkeit einer solchen erweckte in Pfarrer Wernicke auch den Plan, selber eine neu zu gründen. Er war überzeugt, daß dieser Plan einmal zur Ausführung kommen werde, wenn auch jetzt die Stunde dafür noch nicht gekommen sei. 1880 schreibt er: „Ich bereite den Boden nach Kräften, indem ich die Eltern auf die Mängel des jetzigen Zustandes Hinweise und deutlich zeige, was geschehen müßte. In­ zwischen suche ich meine kleine Sonntagsschule zu erweitern." Noch 15 Jahre aber sollte es dauern, bis die Neugründung einer Schule zustande kam. Die Gottesdienste in Oporto wurden unter Wernickes Amtszeit zunächst nicht wieder ausgenommen. Einzelne Kinder dortiger Familien, wie Burmesters und Katzensteins, kamen zur Konfirmation nach Lissabon, wo sie für die Zeit des Unterrichts bei Verwandten ausgenommen wurden. Diese, nach Oporto als Konfirmierte zurückgekehrt, bemühten sich nun, es wenigstens dahin zu bringen, daß jährlich einige Male Gottesdienste stattfänden. Sie setzten eine Subskriptionsliste in Bewegung und brachten auf diese Weise eine ansehnliche Summe zur Deckung der Reisekosten des Pfarrers zusammen. Als Konsul Katzenstein beim Lissabonner Kirchenvorstand anfragte, ob Wernicke jährlich viermal kommen könne, wollte es dieser nur einmal dem Pfarrer ohne Zu­ stimmung der Gemeinde gestatten und sprach wiederum den alten Wunsch nach einem regelmäßigen Beitrag für die Lissabonner Kirchenkasse aus. Doch die Portoenser entschuldigten sich wie üblich damit, daß sie zur englischen Gemeinde beitragen müßten, weil sie nur dadurch auf dem englischen Friedhof für ihre Toten eine Ruhestätte und bei Beerdigungen einen Geistlichen erhielten. Sie baten darum, den Gesandtschaftsprediger als eine besondere Vergünstigung frei­ zugeben. Wenn es auch nicht zu bestimmten Abmachungen kam, so reiste doch Wernicke unter Billigung der Lissabonner Gemeindeversammlung dreimal im Jahre nach Oporto, und zwar zum Sonntag nach Himmelfahrt, Exaudi, zu einem Sonntag im Monat August und zum Sonntag zwischen Weihnachten und Neujahr oder nach Neujahr. Die Reise dauerte damals immer noch 13 bis 15 Stunden. In Oporto fanden die Gottesdienste, zu denen die englische Gemeinde ihre Kapelle zur Verfügung zu stellen pflegte, solchen Anklang, daß sie meist von 70 bis 90 Personen besucht wurden, d. h. von der gesamten dortigen deutschen Kolonie. „Jedenfalls" — so erklärte Wernicke auf der Gemeindeversammlung zu Lissabon im Juni 1882 — „üben wir mit der Ein­ richtung die Pflicht christlich brüderlichen und nationalen Entgegenkommens. Wenn dabei nicht alle unsere Wünsche bisher Befriedigung gefunden haben, so hoffen wir, daß die weitere Entwicklung uns zu Hilfe kommen werde." Auch nach Setubal, der südlich von Lissabon gelegenen Hafenstadt, kam Wernicke, 1875 zu einer Beerdigung dorthin gerufen. Hier lebte eine kleine Zahl protestantischer Deutscher, Schweden und Norweger, die das dort aus dem Meerwasser gewonnene Salz nach dem Norden exportierten. Sie hatten Teil an einem für Fremde eingerichteten kleinen Friedhof, der durch eine Mauer für Katholiken und Protestanten geteilt war. Früher hatte bei Beerdigungen der älteste der dortigen Protestanten wenigstens einige Gebete gelesen; einmal, im Jahre 1868, war auch schon Pfarrer Meier zu einer Beerdigung dort gewesen. io*

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Besonderer Erwähnung wert ist Wernickes Interesse und Anteilnahme an der evangelischen Bewegung in Portugal"). Die oben erwähnte spanisch­ evangelische Gemeinde unter dem „Bischof" Angel Herreros de Mora kam nicht recht voran in ihrer Entwicklung. Sie litt unter de Moras herrischem Wesen und wurde durch Streitigkeiten in ihrer Mitte zerrissen. Der Frauenverein der deutschen evangelischen Gemeinde unterstützte die Schule zwar immer noch mit einer jährlichen Summe von 300 Mark. Aber das Interesse flaute immer mehr und mehr ab. 1876 starb de Mora. Seine Beerdigung, an der auch Wernicke teilnahm, gestaltete sich zu einem Bekenntnisakt. „Die Leute sahen aus den Fenstern" — so erzählt Wernicke — „auf die vorüberziehende Schar von circa 200 Menschen, die alle ernst und traurig, ihre Bibel und ihr Gesang­ buch unterm Arm, dem Sarge folgten. Der Verstorbene hatte noch auf dem Totenbette ein letztes Wort an seine Gemeinde diktiert, worin er feine viele Arbeit in dem Herrn kurz vorführte und zur Treue mahnte. Auch den Männern gingen dabei die Augen über. Das war tief ergreifend!" Stärkere Bedeutung gewann eine andere Gemeinde, die an die Presbyte­ rianische Kirche angeschlossen war. Der englische Prediger Roberto Steward, der 1866 als Agent der britischen Bibelgesellschaft nach Lissabon gekommen war, hatte sie 1870 gegründet und gewann für sie einen vorzüglichen Evange­ listen, namens Manuel S. Carvalho. Zu diesem trat Wernicke in enge per­ sönliche Beziehungen. Er schätzte in ihm, einem ehemaligen Handwerker, „einen Mann von großem Ernste und großer Treue" und war der Ansicht, daß auf seiner Gemeinde die Zukunft des Protestantismus in Lissabon beruhte. „Hätte Carvalho nur mehr Kenntnisie" — so meinte Wernicke — „und wäre er als Lehrer fähiger, so könnte er in Wahrheit der Apostel Portugals werden." Wernicke bemühte sich persönlich um die theologische Fortbildung Carvalhos und gab ihm eine Zeitlang sogar Unterricht im Griechischen, damit er das Neue Testament in der Ursprache studieren könnte. Doch mußte er das bald wieder aufgeben, da sein Schüler zu wenig Zeit zum Lernen hatte und auch nicht das geringste Sprachtalent besaß. Carvalho kam aber regelmäßig zu Wernicke, um sich mit chm über alles, was ihm auf dem Herzen lag, zu besprechen. Interessant ist es, daß Wernicke im Interesse der portugiesischen evange­ lischen Kirche sogar an der Einführung der Zivilehe in Portugal mit beteiligt war. Es war für den Bestand der Gemeinden der Umstand gefahrdrohend, daß die von den protestantischen Geistlichen unter Portugiesen geschlossenen Ehen als nicht zu Recht bestehend angefochten werden konnten, da eine bürgerliche Eheschließung noch nicht eingeführt war und nur die vor dem römischen Priester geschlossenen Ehen gesetzlich anerkannt waren. Im neuen Codigo Civil war die Einrichtung der Zivilregister bisher nur in Aussicht gestellt. Da erfuhr Wernicke, daß der betreffende Minister auf die Frage, warum das in Aussicht gestellte Gesetz noch nicht zur Ausführung gekommen sei, erklärt habe, daß sich noch kein Bedürfnis danach im Lande gezeigt hätte. Würde eine Petitton ein­ gereicht, so sei die Regierung verpflichtet, das Gesetz durchzuführen. Daraufhin überlegte Wernicke die Sache mit Carvalho, worauf dieser die erforderliche Petttion mit der hinreichenden Zahl von Unterschriften einreichte. In der Tat trat das Gesetz am 1. Januar 1879 in Kraft. Dies war vor allem dem

Marineminister Thomas Ribeiro zu verdanken, der auf die Durchführung des Gesetzes energisch drang. Sein Bruder, ein ehemaliger katholischer Priester, war nämlich selbst evangelischer Prediger, und zwar bei der spanischen Gemeinde. Die evangelische Bewegung in Portugal wuchs immer mehr an. Eine Gemeinde entstand nach der andern. Die römische Kirche sah sich daher zu einer Gegenaktion veranlaßt. Fast sämtliche Bischöfe erließen warnende Hirtenbriefe, vor allem der Bischof von Oporto. Hier war ein besonders eifriger Evangelist am Werk, der englische Methodistenprediger Roberto Hawkey Moreton. Er war mancherlei Verfolgungen ausgesetzt, wurde mit Schmutz und Steinen beworfen und konnte sich einmal nur dadurch aus der Lebensgefahr retten, daß er in einem Hause Zuflucht suchte. Ein Bibelkolporteur in Braga wurde ins Gefäng­ nis gesteckt, mußte freilich wieder freigelassen werden. Trotz dieser Verfolgungen blühten die Gemeinden in Oporto und Vila Nova de Gaia auf. In Lissabon wandte die Episkopalkirche Englands erhebliche Mittel für die Evangelisation Portugals auf. Sie errichtete hier drei Kapellen und besoldete mehrere Geist­ liche. Es war nur beklagenswert, daß diese alle andern Gemeinden, die nicht anglikanisch waren, selbst die deutsche, als Sekten bezeichneten und damit die Einheit in der evangelischen Bewegung beeinträchtigten. Es bestanden nun bereits fünf Gemeinden in Lissabon"): die spanische, drei in Verbindung mit der anglikanischen Episkopalkirche stehende, die sich zu der Igreja Evangelica Lusitana zusammenschlossen, und die presbyterianische Gemeinde Carvalhos. Von dieser sonderte sich schließlich noch 1879 ein Teil ab, um ohne Anschluß an die Engländer eine selbständige portugiesische evan­ gelische Kirche zu gründen. Mit größten Opfern an Hab und Gut kauften sie ein eigenes Haus. Dieser Gemeinde gehörte auch der deutsche Friedhofswärter Francisco Duarte an. Wernicke setzte auf diese Gemeinde offenbar große Hoff­ nungen. Denn er erwirkte zu ihrer Unterstützung eine Summe vom GustavAdolf-Verein, dessen Liebestätigkeit an Glaubensgenossen sich auch über die nationalen Grenzen hinaus erstreckte. Er hoffte wohl auch, hier bei einer unabhängigen und selbständigen Gemeinde, im Gegensatz zu dem sonstigen überwiegend anglikanischen Einfluß reformatorisch-lutherischem Geist in der evangelischen Bewegung Portugals durch Verbindung mit dem deutschen Protestantismus Eingang verschaffen zu können. Mer leider löste sich die junge Gemeinde durch Uneinigkeit und durch das Eindringen von Darbysten auf, ehe er ihr noch die Unterstützung des Gustav-Adolf-Vereins zuwenden konnte. Wernicke wollte nun Carvalho das Geld zukommen lassen, aber nur unter der Bedingung, daß dieser sich seiner Leitung unterstellte. Andernfalls glaubte er die Verantwortung dem Gustav-Adolf-Verein gegenüber nicht übernehmen zu können. Er konnte dem portugiesischen Evangelisten dieses Anerbieten machen, da dessen bisheriger presbyterianischer Vorgesetzter, Rev. Steward, ihm die Unterstützung wegen Unbotmäßigkeit entzogen hatte. Carvalho wollte sich und seine Gemeinde jedoch nicht unter Wernickes Leitung oder Oberaufsicht stellen, und so fiel das Geld wieder an den Gustav-Adolf-Verein zurück. Es würde gewiß von großer Bedeutung für die Entwicklung des portugiesischen Evangeli­ sationswerkes geworden sein, wenn diese Verbindung mit dem deutschen

Protestantismus zustande gekommen wäre. Jedenfalls aber zeugt Wernickes Plan von dem weitschauenden ökumenischen Verantwortungsbewußtsein des Vertreters des deutschen Luthertums. Nach zehnjähriger gesegneter Tätigkeit kehrte Wernicke im Sommer 1883 nach Deutschland zurück. Er wurde in die Pfarrstelle zu Rohrbeck bei Potsdam berufen"). Anläßlich seines Scheidens schrieb der Vorstand an den deutschen Gesandten: „Obwohl der Kirchenvorstand sowohl als die Gemeinde schon seit längerer Zeit auf einen Wechsel in der Besetzung des Pfarramtes gefaßt sein mußten, so hat doch die nunmehr eingetretene Gewißheit alle auf das Schmerz­ lichste berührt. Denn es wird ihnen die Trennung schwer von einem Manne, dessen rastloses, treues Walten und dessen neben strenger Wahrung der Würde seines Amtes stets liebenswürdiges und entgegenkommendes Wesen ihm die allgemeine Liebe und Achtung erworben in einem Maße wie kaum einem seiner Vorgänger." Die Gemeinde widmete ihm zum Abschied ein prachwolles Silber­ geschenk. Aber noch wertvoller war für ihn der bleibende Zusammenhang, den viele Gemeindeglieder mit ihrem verehrten Seelsorger auch nach seiner Rück­ kehr in die Heimat wahrten. Der Vorstand der Gemeinde hatte sich in den letzten Jahren zweimal in seiner Zusammensetzung geändert. 1876 wurden an Joh. Wimmers und Bodo Preßlers Stelle Henry Katzenstein und der Uhrmacher A. Justus gewählt, Heinrich Dähnhardt behielt den Vorsitz. H. Katzenstein gab nach 3 Jahren das Amt des Kassenführers und Friedhofsverwalters an Gustav Liebermeister ab. 1882 wurde an A. Justus' Stelle H. Reck in den Vorstand gewählt. Von Todesfällen unter Wernickes Amtsperiode ist besonders zu erwähnen, der 1873 erfolgte Tod des portugiesischen Gesandten in Paris, des Grafen Jose Mauricio Correia Henrique de Seisal, der sich besuchsweise in Lissabon aufhielt. Dieser Todesfall erregte in Lissabon und ganz Portugal größtes Aufsehen, weil der Verstorbene Protestant war. Er war in der lutherischen St. JohannisKirche zu Stockholm, wo sein Vater Gesandter gewesen war, getauft worden und hatte auch nie ein Hehl daraus gemacht, Protestant zu sein. Vor seinem Tode wurde Wernicke gerufen, um ihm das Abendmahl zu reichen. Er blieb bis zu seinem Verscheiden bei ihm. „Dabei waren aber" — so berichtet Wernicke — „die aufregendsten Verhandlungen. Der Graf war kurz vorher in die Pairskammer eingetreten und hatte dabei den üblichen Eid geleistet, der auch zum Schutze der katholischen Religion als der Staatsreligion verpflichtet. Die Ab­ legung dieses Eides wurde im allgemeinen als Bekenntnis zum Katholizismus angesehen. Alle Entgegnungen und Erweise halfen bei den fanatischen Katho­ liken nichts. Namentlich die regierungsfeindliche Partei der Miguelisten schrieb viele und lange Zeitungsartikel über diesen Fall, um den Volkshaß zu erregen gegen einen König, der «einem Protestanten, einem Ketzer' einen so hohen Posten verliehen habe. Der Präsident der Pairskammer verweigerte die übliche Deputation, und die militärischen Ehrenbezeugungen wurden nicht gestattet. Die Beerdigung geschah auf unserem Gottesacker — auf dem auch seine längst vor ihm Heimgegangene Gattin ruhte — und — zur Empörung des französischen Gesandten — in deutscher Sprache." Auf dem Wege zum Friedhof mußte Wernicke sogar in Amtstracht in der vergoldeten Hofkutsche Platz nehmen, in

der sonst der Nuntius fuhr! 1875 starb der verdiente ehemalige Kirchen­ vorsteher Johann Justus Finger. 1877 wurde der Leutnant zur See auf der deutschen Korvette S.M.S. „Victoria", Carl Boisly, in Lissabon begraben. Hier­ bei bewegte sich der feierliche Leichenzug vom Hafen (dem Cais do Sodre) durch die ganze Stadt zum deutschen Gottesacker, begleitet von sämtlichen Offi­ zieren, der Gesandtschaft, dem Konsulat und der Schiffsmannschaft. Am 28. August 1883 traf der neue Pfarrer Reinhold Bindseil^) in Lissa­ bon ein. Wie sein Vorgänger, war er bereits im Auslande tätig gewesen, und zwar zunächst als Hilfsprediger in Pest, dann als Pfarrer in Turn-Severin in Rumänien. Am 2. September wurde er im Gottesdienst eingeführt. Nachdem er durch den Gesandten von Schmidthals und den Vorsitzenden der Gemeinde, Dähnhardt, zum Altare geleitet worden war, hielt er zunächst im Anschluß an das Wort 1. Kor. 4, 2: „Nun sucht man nicht mehr an den Haushaltern, denn daß sie treu erfunden werden" einen Rückblick auf die 10jährige Tätigkeit seines Vorgängers und predigte dann über Matth. 6, 10: „Dein Reich komme." Die Gemeinde hatte sich zahlreich eingefunden und war zum Teil von ihrem Sommeraufenthalt auf dem Lande hereingekommen. Es war ein anderer An­ fang als bei Wernickes Einführung. Dennoch enttäuschte ihn die Gemeinde nach dem ersten guten Beginn sehr. Jeder neue Pfarrer mußte erst langsam Ver­ trauen gewinnen. Er fand keine lebendige Gemeinde vor, die ihn als ihren Seelsorger freudig aufnahm und trug. Nach und nach erst knüpften sich durch persönliches Wirken die Fäden. Das mußte auch Bindseil erfahren. So bot sich ihm denn anfangs ein wenig erfreuliches Bild von seiner neuen Gemeinde. Sie zählte damals etwa 240 Seelen. Doch beteiligten sich davon nur wenige aktiv am kirchlichen Leben. Bei den Gemeindeversammlungen erschienen durch­ schnittlich 5 Mitglieder. Niemals fehlte der Konsul Heinrich Dähnhardt. Sonst fanden sich abwechselnd ein: Henry Katzenstein, Liebermeister, George, Deggeler, Schalck, Schmieder, Wimmer, Jerosch, Preßler, Blanck, Bruecher, Vogler, Mange, Justus, Fränkel, Reck und Capesius. An die leeren Bänke in der Kirche mußte er sich wie Wernicke auch erst gewöhnen. „Mein Vorgänger hat vor 8 Seelen gepredigt", so tröstet er sich; „dazu bin ich auch bereit und bitte Gott, mir jeden Sonntag so viel zu bescheren." In dem Bilde, das ihm die Lissabonner deutsche Kolonie bot, sah er, noch durch keine persönlichen Beziehungen mit einzelnen Gemeindegliedern näher verbunden und daher die ihm noch nicht vertrauten besonderen Verhältnisse mit den Augen des Fremden vielleicht allzu hart beurteilend, zunächst vor allem die dunklen Stellen. So fielen ihm die Deutschen auf, die ihr Volkstum mit der Zeit verloren hatten oder es verleugneten und damit auch ihren Glauben Preisgaben. Er muß dabei an Israel denken, „wie es einst nach Eroberung des heiligen Landes sich trotz aller Drohungen und Warnungen doch mit den Kananitern vermischte und dadurch abtrünnig ward von dem lebendigen Gott". — „So", meint er, „sind auch hier viele Deutsche zu Portugiesen geworden, haben in den hiesigen reichen Verhältnissen Genuß und Wohlleben, Geld und Reichtum zu ihrem Gott gemacht und dadurch am Glauben ihrer Väter kläglich Schiff­ bruch gelitten. Selbst die Heilige Nacht, die dem ersten Weihnachtsfeiertage vorauf geht, wird hier tanzend verjubelt in der deutschen Gemeinde, was meines

Wissens in der deutschen Heimat doch nicht geschieht." Das ist gewiß nur in einzelnen Häusern vorgekommen. Im deutschen Verein freilich ging es damals offenbar wenig erfreulich zu, so daß sein Name, wie Bindseil berichtet, bei allen Eingeweihten einen schlechten Klang hatte. Die sittlichen Zustände waren teil­ weise wohl ziemlich heruntergekommen. Bei der Jugend sah Bindseil Trunk und Unzucht herrschen und bei den Aelteren Geiz, Geldgier und Habsucht und zum Teil bittere Feindschaft, wenn ein Konkurrent dem andern zuvorgekommen war. Dem neuen Seelsorger erschien der Zustand der meisten Deutschen in Lissabon als „der des verlorenen Sohnes, nur mit dem doppelten Unterschied, daß sie nicht wie jener in Armut, sondern in Wohlstand und Reichtum geraten sind und sodann, daß ihre Stunde noch nicht gekommen ist, wo sie sprechen: ,Jch will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen'". Als Bindseil dem Sekretär der Gesandtschaft von Schweden und Norwegen, einem alten frommen Baron, einen Besuch machte, empfing ihn dieser mit den wenig ermuttgenden Worten: „Was wollen Sie hier? In Lissabon gibt's keine Frömmigkeit und Gottesfurcht!" Trotz allem aber schreibt Bindseil: „Ich bin in keiner Weise entmutigt oder verzagt." Er setzt seine Hoffnung auf die wenigen ®ctreuen seines Amts­ vorgängers und ist gewiß, Gott der Herr, der chm in Rumänien geholfen, werde chm auch hier in allerdings schwierigeren Verhältnissen seine Hilfe sein. Davids Wort soll jetzt seine tägliche Losung sein: „Ob ich gleich wandere im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn Du bist bei mir, Dein Stecken und Stab trösten mich." Wenn ihm die Gemeinde in geistlicher Hinsicht auch vor­ kommt wie eine „verschlossene Knospe und der Tag noch nicht nahe zu sein scheint, wo sie unter dem Strahl der göttlichen Gnade sich zur duftenden Blüte entfalten wird", so sagt er sich doch: „Ein guter Gärtner legt auch im Winter die Hände nicht in den Schoß, sondern denkt und arbeitet für den kommenden Frühling. Das tue ich auch und will's auch ferner tun, und Gott wird meine Kraft und Hilfe fein!" Mit großem Ernst und nicht ermüdender Treue geht er an die Arbeit, „entschlossen, vor keinen Hindernissen zurückzuschrecken, seines Amtes in Demut, Liebe und Geduld zu warten und die Fahne von Christo dem Gekreuzigten hoch zu halten". Wenn auch anfangs noch so wenige in die Kirche kamen, so betrat er doch selten die Kanzel ohne 20stündige Vorbereitung. Dabei war es sein „ernstliches Bemühen, nicht bloß den bereits christlich Ergriffenen und Geförderten zu predigen, sondern auch die, welche noch draußen stehen, zu locken, die Süßigkeit des Gnadenstandes ihnen anzupreisen und sie hinein zu nötigen in Gottes Reich", ohne jedoch dabei zu vergessen, daß „neben der Er­ lösungsgnade des Evangeliums aber auch Gottes Ernst und Abscheu vor jeder Sünde gepredigt werden muß". Regelmäßig besuchte er auch die Gemeinde­ glieder und widmete sich eifrig den Kindern in der Sonntagsschule. Nach drei Jahren seines Wirkens durfte er denn auch die Früchte der Arbeit reifen sehen, so daß er berichten konnte: „Es ist eine Freude zu sehen, wie das Eis bricht und der Frühling kommt, zu sehen, wie die lange ver­ schlossene Knospe der Gemeinde sich endlich ein klein wenig entfaltet, wie die so lange leeren Kirchenbänke sich wieder füllen, wie die Kinder in der Sonntags­ schule sich mehren, wie ein Baustein nach dem andern zum Tempel des Herrn

gesammelt wird. Und ein klein wenig von dieser Freude hat mir Gottes Gnade im verwichenen Jahre (1886) geschenkt." Auf diesen „fröhlichen Bericht" folgt im nächsten Jahre ein „noch fröhlicherer". Er trug für den Seelsorger ein doppeltes Schriftwort an der Stirn, nämlich das alttestamentliche: „Ich bin zu geringe aller Barmherzigkeit und aller Treue, die Du an Deinem Knecht getan hast", und das neutestamentliche: „Mir ist eine (große) Tür aufgetan ... und sind (viele) Widerwärtige da." Die durchschnittliche Zahl der Gottesdienst­ besucher stieg von 30 auf 50 und die der Kommunikanten von 60 bis 80 auf über 100, ja im achten Jahre betrug die Jahreszahl der Gottesdienstbesucher 3000 gegen 1700 im ersten Jahre, und 121 gingen zum Abendmahl. Doch weniger die zur Kirchenkasse beitragenden Kaufleute waren es, die zur Kirche kamen, als vielmehr „außer einer frommen deutschsprechenden portugiesischen Familie, einigen Schweizern, einzelnstehenden Personen und einer Anzahl Kon­ firmanden fast lauter Erzieherinnen und Dienstmädchen. Dazu kamen noch die Frauen und Kinder einzelner Kaufleute und der holländische Gesandte mit Frau und zwei Dienstboten". Ein „musterhaftes Beispiel im Kirchenbesuch" gab der damalige deutsche Gesandte, Baron Guido Richard von Schmidthals. Er selbst oder seine Familie waren sonntäglich in der Kirche vertreten. Wenn er Gäste hatte, brachte er auch diese mit. Nach dem Gottesdienst pflegte er sich mit dem Pfarrer stets über die Predigt auszusprechen. Da die Kirchenvorsteher sich weniger aktiv am kirchlichen Leben beteiligten und zum Teil geradezu unkirchlich waren, suchte Bindseil Baron von Schmidthals zu gewinnen und schlug ihn bei der Neuwahl des Borstandes 1885 als Kirchenvorsteher vor. Er war damals der Ansicht, daß der Schwerpunkt der Kolonie bei der Gesandtschaft liege. Doch mußte er sich später davon überzeugen, daß dieser vielmehr beim Konsulat lag. Der Konsul stellte das Haupt der Kolonie dar. Die bisherigen Vorsteher sahen es darum auch gar nicht gerne, daß der Gesandte von Schmidthals vom Pfarrer zum Kirchenvorsteher vorgeschlagen und auch gewählt wurde. Der Konsul, der außer ihm wiedergewählt wurde, nahm darauf die Wahl nicht an. Aber auch Schmidthals verzichtete. So wurde denn noch einmal gewählt, wobei der bis­ herige Vorsitzende Dähnhardt sowie der Kassierer Liebermeister wiedergewählt und an Rudolf Recks Stelle Henry Katzenstein neugewählt wurden. Bei der ersten Wahl war auch ein Engländer, namens Wheelhouse, vorgeschlagen und gewählt worden, der sich der deutschen Gemeinde angeschloffen hatte und ein fleißiger Kirchenbesucher war. Die Gemeinde und ihr Vorstand waren damals noch nicht auf die deutschen Reichsangehörigen beschränkt. Wheelhouse nahm jedoch die Wahl ebenfalls nicht an. Leider wurde Baron von Schmidthals der Gemeinde allzu bald durch den Tod entrissen. Am Stillen Samstag des Jahres 1888 starb er in Sintra an einem Herzleiden und wurde am 2. Ostertag auf unserm Friedhof beigesetzt. Halb Lissabon war auf den Beinen, um den Begräbniszug anzusehen. Der König schickte einen achtspännigen Leichenwagen, und Pfarrer Bindseil fuhr in einem sechsspännigen Hofwagen voraus, in dem sonst der Kardinalpatriarch von Lissabon bei ähnlichen Trauerfällen Platz nimmt. Das ganze diplomatische Korps war erschienen. Der König und die Prinzen hatten Vertreter entsandt

und die üblichen militärischen Ehrenbezeugungen wurden erwiesen. Es war das erste Mal, daß in Lissabon ein Vertreter des deutschen Kaisers bzw. des Königs von Preußen starb.

Im selben Jahre, am 18. März, beging die Gemeinde auch die Trauer­ feier für Kaiser Wilhelm I., dessen 25. Regierungsjubiläum sie noch vor zwei Jahren im Gottesdienst gefeiert hatte. Die gesamte deutsche Kolonie, ohne Unterschied der Konfession, füllte das schwarz drapierte") Gotteshaus, und auch die diplomatischen Vertreter der ausländischen Mächte nahmen an der Feier teil. Als dann nach drei Monaten die Gemeinde wiederum trauernd zum Gottesdienst zusammenkam, da Kaiser Friedrich seinem greisen Vater im Tode gefolgt war, erschienen außer dem diplomatischen Korps auch das gesamte portugiesische Ministerium, ja sogar die Prinzen des portugiesischen Herrscher­ hauses persönlich in ihrer Mitte. Daß Glieder des portugiesischen katholischen Königshauses am deutschen evangelischen Gottesdienst teilnahmen, war noch nicht vorgekommen. Erst beim Tode des Reichspräsidenten von Hindenburg sollten sich wieder einmal alle Nationen mit den Deutschen in dieser Weise zum Gedächtnis eines großen Toten ihres Volkes vereinigen. Beim Tode der regierenden Häupter der Gastnation fanden ebenfalls Trauergottesdienste in der deutschen evangelischen Kapelle statt, obgleich die Verstorbenen katholisch waren. So gedachte im Januar 1886 die deutsche Gemeinde des verstorbenen Vaters des regierenden Königs, Don Fernandos, in einem besonderen Gedächtnisgottesdienst, und Anfang November 1889 fand eine Totenfeier für den am 19. Oktober des Jahres verschiedenen König Don Luiz bei zahlreich versammelter Gemeinde statt. Der Tod Don Fernandos bedeutete einen besonderen Verlust für die Gemeinde, hatte er ihr doch, wie wir mehrfach gesehen haben, immer persönliches Interesse entgegengebracht und neben anderen Zuwendungen auch für den Hilfsverein jährlich fast 300 Mark gestiftet.

Nationale Anlässe waren es also immer wieder in erster Linie, die die Kirche füllten. Rein kirchliche Gedenktage fanden weniger Interesse. An Martin Luthers 400jährigem Geburtstag z. B., der am 4. November 1883 in der Kapelle gefeiert wurde, war die Teilnahme nur gering. Nicht einmal der Kirchenvorstand war erschienen. Einmal im Jahre nur, und zwar am Kar­ freitag, ging jeder zur Kirche, der sich überhaupt noch zur Gemeinde hielt. An diesem Tage kamen selbst im ersten Jahre, als Bindseil noch über leere Bänke so zu klagen hatte, 105 Personen, und 70 nahmen das Abendmahl. Das Kreuz des Erlösers hatte doch eine überwältigende Macht über die Menschen, und das Geheimnis des Opfertodes Christi zog sie mit unwiderstehlicher Gewalt an. Sonst aber waren es die patriotischen Feiern, bei denen niemand fehlen wollte. Kaisers Geburtstag wurde regelmäßig in einem Festgottesdienst gefeiert. Häufig war der Besuch deutscher Kriegsschiffe ein Anlaß zum Kirchenbesuch. So vereinigte sich am Sonntag Rogate des Jahres 1884 die Gemeinde mit der Besatzung des Kanonenbootes „Möve" zum Gottesdienst, in dem „die betenden Glieder der Gemeinde sie dem Schutze des allmächtigen Gottes befahlen, den sie im mörderischen Klima Afrikas, wohin ihre Mission sie führte, ganz be-

sonders nötig hatte". 1886 lief ein Geschwader von vier deutschen Kriegs­ schiffen im Tejo ein. Am Reformationsfest predigte Marinepfarrer Wange­ mann von der Fregatte „Prinz Adalbert" in der Kapelle, wobei 50 Matrosen die Gemeinde verstärkten und ein Teil der Bordkapelle den Gesang mit Posaunenbegleitung unterstützte. Dasselbe wiederholte sich im April 1887, wo Marinepfarrer Runze von S. M. S. „Nixe" predigte, und am letzten Sonntag im Juli, an dem Marinepfarrer Zierach von S. M. S. „Ariadne" die Predigt hielt. Neben dem nationalen Interesse in der deutschen Kolonie, zeigte sie auch immer wieder eine anerkennenswerte Tätigkeit in der Armenpflege. Die Wohl­ tätigkeit und Opferbereitschaft in besonderen Fällen war ja immer schon ein Ruhmesblatt in ihrer Geschichte gewesen. Ueber 2000 Mark jährlich wurden an fortlaufenden Unterstützungen in der Armenpflege aufgebracht, etwa hundert armen deutschen Handwerkern in jedem Jahre Beihilfen gewährt. Pfarrer Bindseil, als Präsident des Hilfsvereins, machte selbst Kollektengänge für Arme durch die Gemeinde von Kontor zu Kontor, was ihm freilich oft recht sauer wurde. Aber er tat dies zugleich aus seelsorgerischem Interesse. Denn er sagte sich: „Nur durch die Armenpflege ist es möglich, den Armen nahezukommen, da sie fast nur portugiesisch verstehen und nicht am Gottesdienst teilnehmen. Sie müssen durch die Tat überzeugt werden, daß der Pfarrer es gut mit ihnen meint." Daneben sammelte Bindseil auch noch eine Kollekte „für die dringend­ sten Notstände der evangelischen Kirche", wobei er 449 Mark zusammenbrachte. Der Oberkirchenrat ließ „der Gemeinde für die in so erfreulicher Weise be­ kundete Opferwilligkeit den aufrichtigen Dank zum Ausdruck bringen". Außer­ dem aber wurde noch für andere patriotische Zwecke gesammelt, z. B. für ein Bismarckdenkmal in Deutschland oder für die in der Heimat im Jahre 1890 durch Hochwasser Geschädigten. Auch für eine neue Altar- und Kanzelbekleidung wurde 1888 gesammelt, und zwar übernahm es diesmal die Frau des Konsuls, geb. von Weyhe, in eigener Person. Unter ihrem Protektorat wurde im selben Jahre ein Bazar veranstaltet, um die Mittel zu einer gründlichen Reparatur der Kirche zusammenzubekommen. Die Einnahme betrug 328$300 Reis (etwa 1650 Mark) und wurde, da sie zu dem zuerst gedachten Zweck doch nicht aus­ reichte, zur ebenso nötigen Instandsetzung der Friedhofskapelle und des Fried­ hofs verwandt. So war das Bild der Gemeinde doch wohl besser, als es dem Pfarrer anfangs erschien. Wenn es darauf ankam, war man zur Stelle und bewies seine Opferbereitschaft. Zugleich war es ein Zeichen des Vertrauens, das Pfarrer Bindseil sich bei den Gemeindegliedern erworben hatte, daß sie ihm gerne und reichlich spendeten, wenn er darum bat. Die finanzielle Lage der Gemeinde besserte sich dank der ruhigen Weiter­ entwicklung der Verhältnisse nach und nach. Das Vermögen vermehrte sich durch einige Legate von Freunden der Gemeinde. So hatte der Vater eines auf unserm Friedhof ruhenden jungen Mannes aus Lübeck, Hermann Pflueg, 2000 Mark der Gemeinde vermacht, die als „Pfluegsches Legat" angelegt wurden. Ferner hinterließen die Gräfin Carreiro, Chr. D. Klingelhöfer, A. L. Schroeter und F. Hesse der Gemeinde namhafte Summen. Als der Gustav-Adolf-Verein im Jahre 1885 die bisher geleistete jährliche Beihilfe von

1200 Mark kündigte, kam der Vorstand zunächst zwar noch in Verlegenheit und bat den Zentralvorstand, doch noch einmal wenigstens 900 Mark für drei Jahre als Zuschuß zum Pfarrergehalt zu gewähren, worauf 600 Mark bewMgt wurden. Inzwischen aber, im Jahre 1888, wurde ein Grundstück, das durch eine vom Kaiser von Rußland für die Bestattung in Liffabon verstorbener russischer Staatsbürger zur Verfügung gestellte Summe 1859 erworben worden war, das an den Friedhof angrenzte, verkauft und dabei das Dreifache der einst gezahlten Summe erzielt. Ms Begräbnisplatz konnte das Grundstück damals nicht benutzt werden, da die portugiesischen Behörden eine weitere Aus­ dehnung des Friedhofs, der inzwischen immer mehr in die wachsende Stadt hineingerückt war, nicht gestatteten. Die Camara Municipal hatte das Grund­ stück seit einiger Zeit gepachtet, nun jedoch den Kontrakt gekündigt, und eine neue Vermietung war nicht möglich. Das bisherige Friedhofsgrundstück schien auch völlig ausreichend für die Zukunft. Daß die Gemeinde sich einmal so ver­ größern würde, wie es nach dem Weltkriege geschah, und das Grundstück schmerzlich vermiffen sollte, konnte man damals nicht ahnen. Bon den Zinsen des angelegten Erlöses sah man sich in der Lage, den bevorstehenden Ausfall der Beihilfe des Gustav-Wolf-Bereins, mit dem man rechnen mußte, decken zu können. Die Notwendigkeit dazu trat denn auch im Jahre 1889 ein, mit dem die Zuschüfle des Gustav-Wolf-Vereins aufhörten. „Ist es uns auch schmerz­ lich", so schreibt der Vorstand in seinem Dankschreiben nach Leipzig, „daß wir die bisher erhaltene Bechllfe des Gustav-Wolf-Bereins nun entbehren müssen, so wollen wir doch keinen Augenblick vergesien, wie viel der Verein bereits für uns getan und wie lange Zeit er unsere kleine Gemeinde Jahr aus und Jahr ein mit Beiträgen unterstützt hat!" Die Gesamtsumme dieser fortlaufend ge­ währten Unterstützungen belief sich bis dahin auf 77 412 Mark"). Doch die ruhige äußere Entwicklung der Gemeinde in den letzten Jahren, die sie in eine so günstige finanzielle Lage gebracht hatte, wurde im Jahre 1892 durch die unerfreulichen innerpolitischen Verhältnisse Portugals empfindlich gestört. Nach Don Luiz' Tode waren die Zustände immer heilloser geworden. Die Parteien der Liberalen und Konservativen wechselten in den Ministerien einander ab in der Mißwirtschaft des Landes. Zudem bekämpften sie sich un­ aufhörlich. Hinzu kam nach dem Regierungsantritt Don Carlos I. neuerdings die republikanische Partei, die im Zusammenhang mit dem Sturz des Kaisers Pedro II. von Brasilien und der dortigen Errichtung der Republik im Jahre 1889 auch in Portugal auf der politischen Bildfläche erschien. In Oporto kam es 1891 bereits zu republikanischen Aufständen. Die Parteipolitik brachte den Staat völlig herunter. Aber auch der Hof wirtschaftete weit über seine Verhältnisse. Besonders die letzte Königin verschwendete Riesensummen, für die immer neue Mittel beschafft werden mußten — bis schließlich 1892 der Staatsbankerott eintrat. Dadurch wurde auch die Gemeinde stark in Mitleiden­ schaft gezogen. Die Kurse sanken, die Preise stiegen und der Handel stockte. Eine allgemeine Geschäftskrise trat ein. Kleinere Geschäftsleute verließen die Stadt, da sie sich nicht mehr halten konnten. Darunter waren auch mehrere Gemeindeglieder, so daß sie die Beiträge für die Kirchenkasse nicht mehr zahlen konnten, wofür allerdings andere, die nicht so schlimm dran waren, die ihrigen

erhöhten. Aber das Geld war weniger wert. An dem Kirchenvermögen waren durch den Sturz der Staatspapiere 200$000 Reis Kapital verloren. Die Ein­ nahmen des Pfarrers waren so gesunken, daß Bindseils Einkommen vor 18 Jahren nicht so gering gewesen war wie jetzt. Dabei war es gar nicht ab­ zusehen, wann wieder Bessere Zeiten kommen würden. Schon vorher, bereits 1891, hatte Bindseil um seine Abberufung gebeten. Er war nun bereits 49 Jahre alt und wollte nicht bis zu seinem Tode Aus­ landspfarrer bleiben, wobei er damals zudem noch keine Pensionsberechtigung hatte. Seine Kinder wollte er bei dem Mangel einer deutschen Schule auch nicht zu Portugiesen werden lassen. Seit 18 Jahren war er nicht mehr in Deutschland gewesen und litt nach so langer Zeit auch wohl unter Heimweh, zumal er sich als Geistlicher auf seinem Posten ganz allein fühlte. „In der ganzen Gemeinde" — so klagt er einmal — „ist auch nicht ein Haus, wo man über kirchliche Angelegenheiten, über innere und äußere Mission ein Wort sprechen könnte." Wenn er nach achtjährigem Wirken auch auf eine erfolgreiche Tätigkeit zurückblicken konnte und es ihm gelungen war, die Kirche zu füllen, so sehnte er sich doch nach den kirchlichen Verhältnissen in der Heimat. „Leicht ist das hiesige Amt allerdings nicht", schreibt er im Rückblick auf seine Lissa­ bonner Amtszeit. „Die Kirchlichen erwarten eine sehr gründlich vorbereitete Predigt; und der Herzensboden der Unkirchlichen ist hart und steinigt und kein Gartenboden, obgleich sie infolge ihrer Taufe auch zum Weinberge des Herrn gehören. Bon den Seelen aber, die ich für unsere Gottesdienste geworben und gewonnen hatte, haben viele wieder Stadt und Land verlassen und sind in alle Welt hinausgezogen. Andere sind lau geworden, haben ihr Konfirmations­ gelübde vergessen und sich selbst vom Gottesdienste ausgeschlossen. Einige aber sind treu geblieben, und ich bitte Gott, daß er sie treu erhalte bis ans Ende." Von einem Wechsel im Pfarramt aber erhofft er auch für die Gemeinde neue Anregung. Denn „jeder treue Geistliche" — so meint er — „wird ja wünschen, daß sein Nachfolger mehr Frucht schaffe als er selbst, und wird hoffen, daß derselbe mit Gottes Hilfe die Seelen für den Herrn gewinne, für deren Herz er selbst den Schlüssel nicht finden konnte". Nachdem Bindseil in das Pfarramt zu Beiersdorf in der Mark berufen worden war, verließ er Lissabon Ende Juni 1893. Die Gemeinde bedauerte sein Scheiden allerseits, war er ihr doch ein treuer Seelsorger gewesen, der mit großer Hingabe und tiefem Ernst seines Amtes gewaltet hatte. Während der folgenden Vakanz von zwei Monaten übernahmen einige Beerdigungen der englische Geistliche Canon Pope und der schottische Pfarrer Lithgow. Am 26. August 1893 traf Bindseils Nachfolger, Friedrich Boit, in Lissabon ein. Er kam unmittelbar aus Kairo, wo er bereits sieben Jahre lang Pfarrer der dortigen deutschen evangelischen Gemeinde gewesen war. Am 3. September hielt er seinen Antrittsgottesdienst, nachdem er von dem Gesandten, Graf Brey, und dem Kirchenvorstand in die Kapelle eingeführt worden war. Seiner Predigt legte er 2. Kor. 5, 18—22 zugrunde, worin es von dem Amte des Predigers heißt: „So sind wir nun Botschafter an Christi Statt; denn Gott vermahnet durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasset euch ver­ söhnen mit Gott." Anders als seinem Vorgänger traten Boit zunächst die

Vorzüge der Lissabonner Gemeinde entgegen, die er im Gegensatz zu Kairo in dem hohen Alter ihres Bestehens und der dadurch mitbedingten Festigkeit ihrer Einrichtungen sah. Ja, er fand ein „ausgesprochen festgefügtes Gepräge" in dem Bilde, das seine neue Gemeinde ihm darbot. So ging er mit frischem Mut an die Arbeit. Eine neue Aufgabe trat sogleich an ihn heran mit der neu ent­ standenen Arbeiterkolonie jenseits des Tejo bei der Glasfabrik in Amora, einem an einer Bucht des Flusses liegenden Dorf. Im September 1891 war bereits Pfarrer Bindseil einmal drüben gewesen und hatte dort 14 Familien, die zur Hälfte katholisch waren, mit 28 Kindern im schulpflichtigen Alter vorgefunden. Seiner Aufforderung, an Festtagen über den Fluß nach Lissabon zur Kirche zu kommen, hatten sie jedoch niemals entsprochen. Um ihre Kinder nicht ganz ohne Schulunterricht aufwachsen zu lassen, vertrauten die Eltern sie zunächst dem portugiesischen Ortsschullehrer an. Doch der Versuch mißlang. Dann hielt man einen weitgereisten Landstreicher, einen Buchbinder, der über die Balkanhalbinsel nach Kleinasien und bis nach Persien, von dort über Palästina, Aegypten, ganz Nordafrika, Gibraltar, Spanien, Südportugal gewandert war und bettelnd eines Tages dort auftauchte, in Amora fest und bestellte ihn zum Lehrer"). Er soll seine Sache zuerst auch ganz gut gemacht haben. Die Kinder lernten gern und gut bei ihm lesen, schreiben, rechnen. Bis eines Abends das alte Laster der Trunksucht bei ihm wieder zum Durchbruch kam und er am nächsten Morgen buchstäblich in der Gosse aufgefunden wurde. Damit endete seine Tätigkeit. Die Eltern wandten sich in ihrer Not an Pfarrer Boit, der nun die Sache tatkräftig in die Hand nahm. Die kleine Kolonie zählte damals 120 Seelen, und Boit hatte sofort erkannt, daß unbedingt etwas für ihre regelmäßige kirchliche Versorgung und vor allem für einen ordentlichen Schul­ unterricht getan werden müsse, wenn diese Volksgenossen dem Deutschtum er­ halten bleiben sollten. Wer aber nahm sich der Auswanderer an, wenn nicht die evangelische Kirche? Es gelang Boit, durch Vermittlung der Gesandtschaft die Unterstützung des Auswärtigen Amtes zugesichert zu erhalten. Darauf ver­ anlaßte er die beteiligten Familienväter, sich als Schulgemeinde zusammen­ zuschließen und einen Schulvorstand zu wählen. Als Lehrer wurde nun ein Predigtamtskandidat berufen, der zugleich Sonntags Gottesdienste halten und unter Aufsicht des Lissabonner Pfarrers stehen sollte. Der Gustav-Adolf-Berein bewilligte, zunächst für drei Jahre, eine jährliche Beihilfe von 600 Mark zum Gehalt des Lehrers. Dieser wurde gewonnen in dem Kandidaten Friedrich Hünemörder, der am 8. August 1894 über Hamburg nach Portugal hinausging. Lassen wir ihn selber erzählen"): „Am 14. war ich in Amora, konnte aber erst am 26. eingeführt werden, da weder Wohnung noch Unterrichtsraum rechtzeitig beschaffen worden waren. Zum Glück konnte das Obergeschoß eines Hauses im unteren Dorf alsbald gemietet und notdürftig eingerichtet werden. Notdürftig: mein Schlafzimmer hatte kein Fenster und mein Wohnzimmer befand sich unmittelbar unter dem schrägen Hinterdach. Leider war es nicht regendicht, so daß ich vom Oktober ab mehrfach der Durchnässung ausgesetzt war. Der Uebelstand hörte erst auf, als Weihnachten das von der Leitung der Glasfabrik neuerbaute und der Schul­ gemeinde kostenlos zur Verfügung gestellte Gebäude fertig war. Zu ebener

Erde umfaßte es den Schulraum; im ersten Stock war meine aus fünf kleinen Zimmern bestehende Dienstwohnung nebst Küche. Die Schule diente selbst­ verständlich auch als Kirche; das Harmonium wurde zur Einübung von Bolksund Kirchenliedern benutzt. Lehrbücher und Unterrichtsgegenstände, ebenso die Schulbänke waren auf Reichskosten beschafft, während mein Gehalt (1800 Mark) zu einem Drittel von der Schulgemeinde und zu zwei Dritteln vom Reich auf­ gebracht wurde, wozu noch der Zuschuß des Gustav-Adolf-Vereins kam. Ge­ sandtschaftspfarrer Boit hatte das alles vor meiner Ankunft bis ins kleinste geordnet. Die Glieder meiner Gemeinde setzten sich aus Deutschen vieler Mundarten zusammen. Es überwogen Sachsen und Rheinländer; doch auch Ostpreußen, Pommern, Hamburger, Holsteiner, Westfalen und Bayern waren vertreten. Die Kinder sprachen wie ihre Eltern nebenbei auch etwas portu­ giesisch. Doch reichten diese Sprachkenntnisse nur für den Ortsverkehr aus. Schwimmen und klettern konnten Jungen und Mädels gleich gut. Schul­ kenntnisse aber besaßen die meisten gar nicht bis zu 13 Jahren hinauf. Aber es war eine Lust, diesen Brachboden zu bearbeiten. Vom 1. September bis zum 1. Mai hatten wir ohne sonderliche Ueberanstrengung die Anforderungen der ersten beiden Schuljahre gemeistert. Die feierliche Schulprüfung in Anwesen­ heit Boits und seiner Frau, des Gesandtenpaares von Derenthall und des Generalkonsuls Dähnhardt nebst Familie sowie anderer Vertreter der deutschen Gemeinde in Lissabon bewies das zur allseitigen Freude." „Am Religionsunterricht nahmen auf Wunsch der Eltern auch die katholischen Kinder teil. Sie bestanden darauf, daß sie gleichfalls den Kon­ firmandenunterricht besuchen und sogar an der Konfirmandenprüfung sich be­ teiligen durften. Der Konfirmation und dem hl. Abendmahl wohnten sie zu­ schauend bei. Wie hat mich das Vertrauen dieser Eltern gerührt und bis zu dieser Stunde bewegt! — Natürlich kamen die Kinder jeden Sonntag ohne Zwang, katholische wie evangelische, zum Gottesdienst. Und dabei waren die Väter fast ausnahmslos Sozialdemokraten! Grundsatz: Unsere Kinder sollen später nicht sagen, wir hätten ihnen etwas vorenthalten!" (Hier draußen in der Fremde bekamen sie wohl auch eine Ahnung von dem Wert des Glaubens als Stütze und Halt für den Menschen und erkannten, in der Heimat verhetzt und der Kirche entfremdet, nun die Bedeutung der Kirche für die Erhaltung des Volkstums.) „Leider war die Trunksucht" — so fährt Hünemörder fort — „unter den Glasbläsern Berufslaster. Wären sie doch bei dem nicht so schäd­ lichen Wein als Getränk geblieben! Der Schnaps hat manch einem sittlich und wirtschaftlich das Genick gebrochen." Hünemörder verstand es ausgezeichnet, mit den Leuten umzugehen. „Er wirkte als Lehrer, Prediger und Seelsorger mit außerordentlicher Hingebung und Treue, unermüdlich und unverdrossen und freudig trotz aller Schwierig­ keiten, Enttäuschungen und Entsagungen, an denen es ihm in seiner Abgeschiedenheit unter der Arbeiterbevölkerung auf seinem harten Arbeitsfelde nicht fehlte" — so berichtete Boit. Am 14. Juli 1895 wurde er von Boit in der Lissabonner Kapelle ordiniert und dadurch auch seine kirchliche Tätigkeit erweitert. Bald zeigte sich der segensreiche Einfluß seiner Wirksamkeit auf die Arbeiter. Anfangs zogen sie den Pfarrer zu Beerdigungen nicht hinzu. Als

aber einmal ein katholischer Arbeiter seine Frau doch von dem evangelischen Geistlichen kirchlich beerdigen ließ und keine Ruhestörungen eintraten, wie man befürchtet hatte, war auch hier der Bann gebrochen. Beim Weihnachtsgottes­ dienst fehlte keiner auch der eifrigsten Sozialdemokraten. Eine christliche Bolksbücherei, die Hünemörder schon aus Deutschland mitgebracht hatte, wurde gern benutzt.

Leider verließ Hünemörder schon nach drei Jahren Amora. Der Tod seiner lungenkranken, zuletzt in Deutschland weilenden Frau trieb ihn früher zurück als er wollte. Sein Nachfolger wurde im September 1897 Johannes Hachtmann, auf den 1900 Martin Richter und, nachdem dieser zum Pfarrer nach Oporto berufen worden war, Hermann Priebe folgten. Letzterer kehrte jedoch bereits 1902 wieder nach Deutschland zurück, da infolge eines Streiks der portugiesischen Arbeiter in der Glashütte die Arbeit eingestellt wurde und die meisten deutschen Familien Amora verließen, so daß die Gemeinde sich im Frühjahr 1903 auflöste.

Die guten Erfahrungen mit der Schulgründung in Amora bestärkten Pfarrer Boit wohl in dem Plan, auch in Lissabon wieder eine deutsche Schule ins Leben zu rufen. Hier war der Mangel einer solchen besonders schmerzlich. Das Rödersche Unternehmen war längst eingegangen, Lehrer Röder selbst int Jahre 1892 im Alter von 63 Jahren nach furchtbarem Leiden an Zungenkrebs geswrben. Das Schmiedersche Mädchenpensionat trug keinen deutschen Cha­ rakter mehr und wurde fast nur von fremden Kindern besucht. Die Kinder der Gemeinde gingen, soweit sie nicht zu Hause unterrichtet wurden, wie bei Wimmer, wo ein Kandidat der Theologie, namens Muntschick, angestellt war, der auch gelegentlich im Gottesdienst den Pfarrer vertrat, in die öffentlichen portugiesischen Schulen, wo sie weder in Deutsch noch in Religion Unterricht hatten. Schon Bindseil hatte den Plan gefaßt, eine Gemeindeschule zu be­ gründen und hoffte damals, seine Absicht zum 1. April 1884 verwirklichen zu können. Er hatte bereits Verhandlungen angeknüpft, um Lehrkräfte zu berufen, wollte selbst sechs Stunden wöchentlich unentgeltlich geben und den früheren Zuschuß des Gustav-Wolf-Vereins für die neue Schule erbitten. Aber als er dem Vorstand gegenüber seine Wsicht erklärte, stieß er auf Wlehnung. Die Bedenken und Schwierigkeiten, die dem Plan entgegenzustehen schienen, waren zu groß. Auch Wernicke, wie wir gesehen haben, vermochte sie noch nicht zu überwinden. Auch jetzt noch bestanden Hemmungen genug. Die Hauptschwierig­ keit lag in der ungeheuren Ausdehnung der Stadt. Man hielt es für unmög­ lich, die Kinder ohne Begleitung über die Straße zu schicken oder allein mit der Pferdebahn zur Schule zu befördern. Dazu kamen die finanziellen Schwierig­ keiten. Kurz, im ersten Jahre sah selbst Boit die Hoffnung auf eine Schul­ gründung als aussichtslos an. Doch er ließ nicht locker und verfolgte sein Ziel mit zäher Energie.

Nach zwei Jahren, als schon die Schule in Amora sich so glücklich ent­ wickelt hatte, erreichte er es, daß im Juli 1895 elf Familienväter zusammen­ kamen, um eine Schulgemeinde zu bilden, von der die Gründung und Unter­ haltung der neuen Schule ausgehen und getragen sein sollte. Die Versammlung

wählte einen Ausschuß, der die zur Eröffnung der Schule notwendigen Schritte zu tun und alle erforderlichen Vorbereitungen zu treffen hatte. Eine Schul­ ordnung nebst Statuten sollte entworfen und womöglich noch im September einer weiteren Versammlung vorgelegt werden. Nun kam die Sache in Fluß. Anmeldungen von Kindern häuften sich, so daß man bald mit über 40 deutschen Kindern rechnen konnte. Beiträge wurden gezeichnet, ein günstig gelegenes Schullokal in der Rua Capello 5 gemietet, die nötigen Utensilien angeschafft und Lehrkräfte berufen. Am 1. November 1895 wurde die Schule feierlich eröffnet. Der erste Lehrer war der Kandidat der Theologie Oscar Helm aus Herscheid i. West­ falen, zweiter Lehrer der Mittelschullehrer Friedrich Boigtmann, der auch für den Organistendienst ausgebildet war. Als Lehrerin wurde Frl. Elise Goedecke gewonnen. Pfarrer Boit selbst hatte die Leitung der Schule inne und über­ nahm außerdem den Religionsunterricht. Die neue Schule war nicht, wie die Rödersche, eine evangelische Gemeindeschule, sondern Schule der Deutschen Kolonie. Aber der Charakter der Schule war ausgesprochen evangelisch. Das blieb schon dadurch gewährleistet, daß der evangelische Pfarrer satzungsgemäß neben dem Konsul Dähnhardt, dem Vorsitzenden der Gemeinde, zum Schul­ vorstand gehörte und fast alle Mitglieder der Schulgemeinde zugleich Mitglieder der Kirchengemeinde, schließlich die deutschen Lehrkräfte sämtlich protestantisch waren. Die finanzielle Lage der Anstalt war durch die Schulgelder, die Jahres­ beiträge der Schulgemeinde und einen Zuschuß aus dem Schulfonds des Aus­ wärtigen Amtes von jährlich 3000 Mark gesichert. So war denn der langgehegte Wunsch verwirklicht, und das junge Unternehmen gedieh aufs beste"). Die Leitung der Schule durch Boit war auch für die Gemeindearbeit des Pfarrers von Nutzen. Denn dadurch war sein Einfluß auf die Gemeinde be­ deutend verstärkt und bot sich ihm die Möglichkeit einer beständigen persönlichen Fühlung mit allen Gemeindegliedern. Auch sonst zeigte sich eine segensreiche Wirkung der Schule auf das Gemeindeleben. Da die Eltern meistens die Schul­ arbeiten der Kinder beauffichtigten, lernten sie auch das Pensum für die Reli­ gionsstunde mit und frischten so ihre eigenen Kenntnisse dabei auf. „Auf diese Weise half die Schule" — so berichtet Boit — „mit zur Belebung des religiösen Sinnes in der Gemeinde. Der Besuch der Gottesdienste besserte sich; manche Eltern, die früher nur selten zur Kirche kamen, stellten sich jetzt mit ihren Kindern häufiger ein." Kaum hatte Boit das Werk der Schulgründung glücklich durchgeführt, so griff er ein neues Arbeitsgebiet an — die Seemannsmission. Schon im Früh­ jahr 1895 hatte er an seine Kirchenbehörde berichtet, daß die Anstellung eines Seemannsmissionars erforderlich sei. Ueber 400 deutsche Schiffe besuchten jähr­ lich den Lissabonner Hafen mit etwa 14 000 Seeleuten, vorwiegend evangelischer Konfession. Für diese ihre Glieder fühlte sich die evangelische Kirche verantwort­ lich, auch wenn sie durch ihren Beruf äußerlich von ihr getrennt lebten. Bor wenigen Jahrzehnten erst war dieses Verantwortungsbewußffein für ihre see­ fahrenden Glieder in der evangelischen Kirche erwacht. Johann Hinrich Michern, der „Vater der Inneren Mission", hatte auch hierin bahnbrechend gewirkt und auf die Notwendigkeit der Seelsorge an den Matrosen in einer Denkschrift hin­ gewiesen. 1884 hatte der Zentralausschuß für Innere Mission begonnen, die ii

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Arbeit in die Hand zu nehmen. 1894 interessierte er weitere Kreise dafür und förderte die Bildung eines Komitees für deutsche evangelische Seemannsmission. Mit diesem Komitee setzte Boit sich nun im Jahre 1896 in Verbindung und erlangte von ihm die BewMgung von 1500 Mark für das Gehalt eines See­ mannsmissionars. 800 Mark blieben noch zu beschaffen für die Kosten, die durch den Besuch der meist weit vom Ufer entfernt liegenden Schiffe — es gab damals noch keine Kais — durch das Ein- und Ausbooten entstanden. Diese wurden zum Teil von den Reedereien, zum Teil von Gemeindegliedern auf­ gebracht. Zu dem Zwecke wurde ein Lokalkomitee gebildet, dem der General­ konsul Dähnhardt als Vorsitzender, Max Wiedemann als Kassierer und Boit als Schriftführer angehörten. Zunächst wurden von Boit Schriften und Blätter, die das Komitee geschickt hatte, auf den Schiffen verteilt. Ende Juni 1897 traf dann ein im Rauhen Haus zu Hamburg ausgebildeter Seemannsmissionar, namens Hoffmann, ein. Er besuchte durchschnittlich zehn Schiffe in der Woche. Mes das gelang nicht ohne mancherlei Schwierigkeiten, und es gehörte viel Geduld und Energie dazu, das einmal als notwendig erkannte Werk in Gang zu bringen. Die Teilnahme der Gemeinde an dieser Arbeit, mit der Boit stark gerechnet hatte, blieb weit hinter seinen Erwartungen zurück. „Dasselbe Mißtrauen" — so schreibt er — „und die gleiche Zurückhaltung, die in weiten Kreisen in der Heimat gegenüber den Werken der Inneren Mission und insbesondere der Seemannsmission sich zeigen, treten auch hier zutage." Dazu erkrankte der Missionar nach wenigen Monaten an Typhus und konnte erst zu Weihnachten seine Arbeit wieder auf­ nehmen. Aber Boit ließ sich nicht entmutigen. 1899 wurde die Arbeit durch das Ausbrechen der Pest in Oporto, was in allen portugiesischen Häfen Ab­ sperrungsmaßnahmen zur Folge hatte, unterbrochen, im nächsten Jahre jedoch wieder ausgenommen und noch erweitert durch die Einrichtung eines See­ mannsheimes im 1. Stock eines Hauses in der Rua da Prata Nr. 8. Es um­ faßte ein Lesezimmer und eine Logierstube in Verbindung mit der Wohnung des Hafenmissionars. Als solcher wurde jetzt der im Johannesstift zu Spandau ausgebildete Diakon Rauch berufen, der Ende April mit seiner Frau in Lissa­ bon eintraf und im Juli das neue Heim bezog. Die Ausstattung des Heimes übernahmen Glieder der Gemeinde, „die auch bei dieser Gelegenheit" — so berichtet Boit — „die so häufig gezeigte Opferwilligkeit bekundete". Da jetzt im Hafen ein Kai gebaut worden war, legten die Schiffe zum Teil an, was die Arbeit des Missionars sehr erleichterte. Doch, vermutlich wegen der hohen Kaigebühren, blieben auch nach Fertigstellung der neuen Hafenbauten die meisten Schiffe in der Mitte des Flusses liegen. Infolgedessen wurden die ständigen Bootsfahrten zum Besuch der Schiffe auf die Dauer zu teuer. Auch waren nur wenige Stunden am Tage dafür verwendbar, und gerade abends, wenn die Seeleute freie Zeit hatten, nicht. Außerdem hielten sich die Schiffe gewöhnlich nur kurze Zeit im Hafen auf und war Lissabon kein Heuerplatz für deutsche Matrosen. So lehrte die Erfahrung, daß die Lissabonner Verhältniße für eine Station der Seemannsmission besonders ungünstig waren. Man ent­ schloß sich daher im Jahre 1903, die Einrichtung wieder aufzugeben. Der Missionar wurde nach Amsterdam versetzt. Hier und an anderen Hafenplätzen

nahm die Arbeit mit der wachsenden deutschen Schiffahrt einen um so größeren Aufschwung. Den tatkräftigen Bemühungen Boits war es ferner zu verdanken, daß die Verhältnisse in Oporto sich weiterentwickelten und es hier endlich zur Bildung einer selbständigen Gemeinde kam. Seit langem hatte die Verbindung mit Lissabon aufgehört. Man war in dem Streit um eine Vergütung für die Ent­ sendung des Lissabonner Pfarrers steckengeblieben, und eine gewisse Eifersucht zwischen den beiden sich ganz unabhängig voneinander entwickelnden und in ihrem Charakter wesentlich verschiedenen Kolonien mag die kirchlichen Be­ ziehungen zueinander erschwert haben. Nach Wernicke war kein Pfarrer von Lissabon mehr zu einem Gottesdienst aufgefordert worden. Bindseil wurde im Jahre 1890 einmal zu einer Trauung gerufen, aber von einem Gottesdienst, zu dem am folgenden Tage, einem Sonntag, Gelegenheit gewesen wäre und mit dem Bindseil auch gerechnet hatte, war keine Rede. So fuhr er denn, nach­ dem er eine Nacht durch hingereist war, die nächste Nacht wieder zurück — jedes­ mal 11 Stunden —, um wenige Stunden nach seiner Ankunft in Lissabon hier den Sonntagsgottesdienst zu halten. 1895 hatten sich einige wohlhabendere Mitglieder der Kolonie zusammengetan und eine Summe zum Bau einer Kapelle und zur Anlegung eines Friedhofs gezeichnet. Man war auch bereits mit der Stadtverwaltung wegen Ueberlassung eines geeigneten Grundstücks in Verhandlungen getreten, die aber an der Preisforderung gescheitert waren. Als man sich dann für ein anderes Grundstück entschied, versagte die Behörde die Erlaubnis zur Anlegung eines Friedhofs und zum Bau der Kapelle, und so geriet die ganze Angelegenheit ins Stocken. Im Mai 1897 kam Boit von einer Pfarrkonferenz auf der Rückreise von Barcelona über Oporto und benutzte die Gelegenheit, dort einige Tage zu verweilen. Er hielt am Sonntag Kantate einen Gottesdienst in der Kirche der portugiesisch-methodistischen Gemeinde, die ihm von dem englischen Evangelisten Moreton zur Verfügung gestellt wurde. Die Teilnahme der Deutschen war sehr lebhaft. Es gab dort einzelne religiös lebendige Kreise, die sich zu Anfang des Jahres 1897 um einen jungen, geistlich erweckten Kaufmann gesammelt hatten, der selbständig alle drei Wochen Predigtgottesdienste abzuhalten begann. Freilich waren es nur 12 bis 15 Per­ sonen, die sich dazu einstellten. Der größte Teil der Gemeinde blieb fern, und im Juli des folgenden Jahres verließ der junge Mann Oporto wieder. Immer­ hin hatte es sich gezeigt, daß ein Verlangen nach Verkündigung des Wortes Gottes vorhanden war. Allein zur Unterhaltung eines eigenen Pfarramtes scheute man die Opfer. Hinzu kam der erwähnte Ausbruch der Pest, wodurch die Geschäfte zurückgingen. Viele Portoenser flüchteten nach Lissabon. Als der Schrecken sich wider Erwarten schnell verzogen hatte, begann man gegen die vermutlichen Herde der Seuche vorzugehen und die unsauberen Stadtviertel zu reinigen sowie gesunde Arbeiterhäuser zu errichten. Dazu wurden auch die deutschen Kaufleute zwecks Stiftung von Beiträgen herangezogen, so daß sie für die Errichtung eines Pfarramtes keine Mittel mehr übrig zu haben meinten. Auch hier also gab es genug Schwierigkeiten zu überwinden, und durfte Pfarrer Boit in seinen Bemühungen nicht müde werden. Er sann auf immer neue Wege. li»

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Ms im März 1901 der Portoenser Konsul Katzenstein nach Lissabon kam, vereinbarte Boit mit ihm, daß von Oporto aus über die Gesandtschaft in Lissabon ein Gesuch an das Auswärtige Amt gerichtet werden sollte, während 1 er selber an den Gustav-Adolf-Berein und das Komitee für Seemannsmission schreiben wollte. Denn er gedachte, die Pfarrstelle mit der Errichtung einer Schule und einer Seemannsmissionsstation zu verbinden. Das Auswärtige Amt stellte einen Zuschuß von 3000 bis 4000 Mark in Aussicht und der GustavAdolf-Berein bewilligte jährlich 500 bis 600 Mark. Das Seemannsmissions­ komitee jedoch gab einen abschlägigen Bescheid. Indessen hoffte Boit, diesen Ausfall durch die zu erwartenden Schulgelder auszugleichen. Er drang nun auf die schleunige Entsendung eines Geistlichen. „Denn nur, wenn ein solcher an Ort und Stelle die Sache in die Hand nähme" — so berichtete er an den Oberkirchenrat —, „könnte er sie zum Ziele führen." Doch dazu fehlten der Kirchenbehörde vorerst die Mittel. Da fand Boit den Ausweg, daß der Pfarr­ amtskandidat Richter, der sich bereits in Portugal zu Amora befand und von Boit am 14. April 1900 ordiniert worden war, nach Oporto berufen wurde, während Priebe nach Amora kam. Am 20. Okwber 1901 trat Richter sein Amt in Oporto an, und damit war auch diese Frage glücklich gelöst. Die Gemeinde Oporto entwickelte sich von nun an selbständig weiter und festigte sich unter Pfarrer Richters Führung in erfteulicher Weise. 1909 folgte ihm Pfarrer Olbricht, der dann bis zum Weltkrieg das Amt inne hatte. Die umfassende Tätigkeit Boits auf den verschiedenen, nicht unmittelbar mit der Lissabonner Gemeindearbeit zusammenhängenden Gebieten hinderten ihn jedoch nicht, auch das kirchliche Leben seiner Hauptgemeinde nach Kräften zu fördern. Bon den Gemeindegliedern, die ihm dabei mit Rat und Tat zur Seite standen, waren es immer wieder vor allem Heinrich Dähnhardt und seine Frau, geb. von Weyhe. Dähnhardt setzte sich selbst unter persönlichen Opfern für die Gemeinde ein. Als im Jahre 1893 der infolge der damaligen Geschäftskrise im Zusammenhang mit dem portugiesischen Staatsbankerott in Not geratene Kassierer der Gemeinde die in seiner Hand befindlichen Wert­ papiere der Kirche verpfändet hatte, weil er mit seiner zahlreichen Familie sich nicht mehr zu helfen wußte, löste Dähnhardt aus seiner eigenen Tasche die Papiere mit einem Betrag von 2.800$000 Reis wieder aus und erklärte, als die Gemeindeversammlung dieses Opfer von ihm nicht annehmen wollte, „daß er eher ohne den fraglichen Betrag auskommen könne als die Kirche und es keinesfalls zugeben werde, daß die Kirchenkasse diesen Verlust trage". Später half dann die Bartholomäusbrüderschaft der Gemeinde aus ihrer mißlichen Lage. Als Sicherheit hatte der Kassierer wenigstens seine Lebensversicherungs­ police hinterlassen, die von der Brüderschaft gegen den geleisteten Betrag über­ nommen wurde. Immerhin war die Gemeinde der Brüderschaft für ihr Ent­ gegenkommen zu großem Dank verpflichtet. Zum neuen Kassierer wurde der Kaufmann Carl Jerosch gewählt. Auch die Gattin des Generalkonsuls betätigte sich sehr zum Besten der Gemeinde. So veranstaltete sie am 28. April 1897 ein Fest mit einer Theatervorstellung von Mitgliedern der Kolonie zum Besten der Kirche, das einen Reinertrag von 351$700 Reis einbrachte, von dem zunächst

gründliche Reparaturen der Kapelle und des Friedhofs bestritten wurden. Der Rest wurde als Fonds für einen Umbau der Kapelle angelegt. Ferner hatte die Gemeinde an dem Gesandten von Derenthall eine starke Stütze. Er hielt sich treu zur Kirche und „gab der ganzen Gemeinde durch seinen frommen, gottes­ fürchtigen Wandel sowie durch seinen fleißigen Besuch der Gottesdienste ein treffliches Vorbild". Leider wurde er bereits 1897 wieder versetzt. An den Gemeindeversammlungen beteiligten sich jetzt etwas mehr Mit­ glieder als früher. Neue Namen tauchen auf, wie Wermuth, Reinhardt, Wiede­ mann, Dr. Lehrfeld. Den Organisten vertrat verschiedentlich in Krankheits­ fällen Schmieders der Kaufmann Carl Timm. Franz Schmieder legte am 1. Juli 1898 sein Amt nieder, das er, wie der Gemeindebericht sagt, „Anfang Februar 1877 unter sehr schwierigen Verhältnissen übernommen und länger als 20 Jahre ebenso treu wie meisterhaft verwaltet hatte. Dem tiefen Danke, zu dem unsere ganze Gemeinde Herrn Schmieder für seine opferwillige und ausgezeichnete Wirksamkeit an unserer Kirche verpflichtet ist, geben wir auch in diesem Jahresbericht geziemenden Ausdruck". Als sein Nachfolger über­ nahm das Organistenamt der neue Lehrer an der deutschen Schule, Ernst Heyer, dem im Oktober 1903 sein Bruder Arthur folgte, der wiederum im April 1909 von dem dritten der Gebrüder Heyer, Richard, abgelöst wurde. Für den Gottes­ dienst wurde 1895 die vom Evangelischen Oberkirchenrat geschenkte neue preußi­ sche Agende eingeführt, während für den Gemeindegesang Generalkonsul Dähnhardt 50 neue Exemplare des alten und bewährten Bunsenschen Gesangbuchs stiftete. Der Elementarlehrer Voigtmann unterstützte die Gottesdienste an den Festtagen durch einen von ihm geleiteten deutschen Männerchor, durch den auch mehr von den jungen Leuten herangezogen wurden. Vom 24. bis zum 28. April 1895 tagte die im Jahre 1894 neugegründete Konferenz der deutschen evangelischen Geistlichen auf der iberischen Halbinsel zum erstenmal in Lissabon. Die Pastoren Fliedner (Madrid), Amtsberg (Barce­ lona), Arndt (Malaga) waren dazugekommen. Hilfsprediger Hünemörder aus Amora nahm ebenfalls teil. Am Sonntag Misericordias Domini hielt Pastor Amtsberg aus Barcelona den Gottesdienst. Die Konferenz bot auch sonst den Gemeindegliedern mannigfache Anregungen. Im Frühjahr 1897 wurde die 400jährige Wiederkehr des Geburtstages Melanchthons festlich be­ gangen, wobei die Kollekte für das Melanchthon - Haus in Bretten bestimmt wurde. Ungewöhnlich groß war der Besuch des Gottesdienstes zur Feier des 100jährigen Geburtstages Kaiser Wilhelms I. am 21. März dieses Jahres. Eine große Genugtuung bereitete es Pfarrer Boit, daß es ihm gelang, end­ lich eine Aenderung der Gemeindeordnung herbeizuführen, die nicht nur den Wünschen des Pfarrers, sondern auch denen der heimatlichen Kirchenbehörde entsprach und von dieser genehmigt werden konnte. Das war die Voraussetzung für den Anschluß der Gemeinde an die preußische Landeskirche. Der von sämt­ lichen Pfarrern schon immer als für die Stellung des Geistlichen „geradezu unwürdig" empfundene Zustand, daß der Pfarrer nicht ordentliches Mitglied des Kirchenvorstandes war, wurde beseitigt und seine vollberechtigte Mitglied­ schaft satzungsgemäß festgelegt. Das war ein deutlicher Beweis für das Ver­ trauen und die Achtung gegenüber dem Amte, das Pfarrer Boit sich erworben

hatte. Die alte Gewohnheit der Gemeinde wurde jedoch darin gewahrt, daß das Amt des Vorsitzenden bei einem Laien verblieb und der Pfarrer nur als Schrift­ führer bestätigt wurde. So konnte denn Boit von dem kirchlichen Leben seiner Gemeinde eigentlich befriedigt fein. Biel Neues hatte er geschaffen, der Kirchenbesuch war erfreulich, das Vertrauen der Gemeinde trug ihn. Dennoch überkam nach aller Arbeit auch ihn, wie so manchen seiner Vorgänger, schließlich ein Gefühl der Müdig­ keit und zeitweilige Niedergeschlagenheit. Wohl war der Kirchenbesuch erfreu­ lich und die OpferwMgkeit der Gemeinde anerkennenswert, „doch" — so schreibt er 1899 — „frisches geistliches Leben in die mehr gewohnheitsmäßig kirchlichen Familien zu bringen, eine Erweckung weiterer Kreise zu entschiedenem, eifrigem Christentum herbeizuführen oder auch nur kleinere Kreise zur Pflege christ­ licher Gemeinschaft zu vereinigen, ist trotz aller Bemühungen noch nicht ge­ lungen; und diese traurige Erfahrung möchte gar oft den Geistlichen mutlos und verzagt, hoffnungslos und müde machen, zumal er, bei dem Mangel an Aussprache mit Amtsbrüdern, im Auslande noch mehr unter diesem geistlichen Notstände leidet als in der Heimat". So dachte er denn im Jahre 1899 daran, in die Heimat zurückzukehren. Auch seine Gesundheit verbot ihm einen längeren Aufenthalt im Süden. Denn er litt seit seiner Zeit in Aegypten an Malaria. Als jedoch im August des Jahres in Oporto, wie erwähnt, die Pest ausbrach und auch nach Lissabon zu kommen drohte, konnte er sich nicht dazu entschließen, um seine Abberufung zu bitten. Denn in solcher schwierigen Lage wollte er „seine Gemeinde nicht verlassen, sondern treu bei ihr aushalten und die Prüftmgszeit mit ihr durchmachen". Die Absperrungsmaßnahmen in den Häfen störten Handel und Verkehr. Mit Angst und Schrecken sah man dem Kommenden entgegen. „Doch wie alle Heimsuchungen" — so berichtet Boit — „gereichte diese uns auch zum Segen. Die drohende Gefahr lehrte manchen wieder beten und die gelockerte Verbindung mit Gott fester knüpfen und stärkte vielen das Vertrauen auf Gott. Während eines großen Teils der eingeborenen Bevölkerung hier sich eine unbegründete Angst bemächtigte und von ihnen allerlei Prozessionen unternommen und Ge­ lübde dargebracht wurden, um die Seuche fernzuhalten, getrösteten wir Evan­ gelischen uns des Beistandes unseres Gottes, ohne dessen Willen kein Haar von unserm Haupte fällt, kein Leid, keine Krankheit uns treffen kann. Und die Ent­ täuschungen und Verluste, die das Auftreten der Pest und die daraus ent­ standenen Stockungen im Handel manchem Geschäftsmann bereiteten, dienten dazu, die Unbeständigkeit und Unsicherheit alles Irdischen zu erweisen, der Menschen Unvermögen und Hilflosigkeit gegenüber dem allmächtigen Walten Gottes darzulegen und zur Demut zu leiten." Doch ebenso schnell, wie die Nachricht von der Pest die meisten traf, schienen auch mit dem Schwinden der Gefahr die Eindrücke verwischt zu sein, und im Frühjahr 1900 mußte Boit berichten: „Das kirchliche Leben unserer Gemeinde hat von jener schweren Zeit der Pest nicht den erhofften und erbetenen Gewinn gehabt." „Der irdische Sinn, die Geldgier und Genußsucht reißt auch in unserem Kreise immer mehr ein und beeinträchtigt das kirchliche Leben merklich." Hinzu kam der Wechsel der Gene­ rationen, der sich, wie wir es etwa alle 30 Jahre beobachteten, um die Jahr-

Hundertwende wiederum auswirkte und den Seelsorger mit banger Sorge um die Zukunft der Gemeinde erfüllte. „Die treuen, regelmäßigen Kirchgänger" — so schreibt er — „sterben allmählich dahin; an gleichgesinntem Nachwuchs fehlt es. Das junge Geschlecht ist gleichgültiger und vergnügungssüchtiger." „Die weitverbreitete Gleichgültigkeit und Lauheit in religiösen Dingen, das nur ver­ einzelt sich findende kirchliche Bewußtsein, der Mangel an Empfänglichkeit und Entgegenkommen für seelsorgerliche Einwirkung, die geringe geistige Anregung seitens der Gemeinde beeinträchtigen unmerklich die Schaffensfreudigkeit und machen kleinmütig und verzagt."

Wohl fehlt es nicht an Lichtblicken und Aufmunterungen: „Da sind die Lehrerinnen und Erzieherinnen. Da sind manche einfachen Leute, die hier ihre zweite Heimat gefunden haben und die Verbindung mit der Kirche aufrecht­ erhalten, die in ihren Nöten und Sorgen sich vertrauensvoll an ihren Pastor wenden und ihm hier nähertreten, als oft unter gleichen Verhältnissen im Vaterlande. Da ist die jetzt Heranwachsende Jugend, die in unserer Schule gründlichen Religionsunterricht erhält." Aber vorwiegend ist doch das Gefühl der Enttäuschung und die Sehnsucht nach der Heimat. So reichte Boit denn seine Bitte um Abberufung ein. Doch das Antwortschreiben des Oberkirchen­ rates, in dem Boit eine Stelle in der Heimat vorgeschlagen wurde, ging auf der Post verloren, so daß er das folgende Jahr über noch in Lissabon blieb. Inzwischen trat an der Schule ein Lehrerwechsel ein, und die Gemeindebildung zu Oporto war ins Stocken geraten, so daß Boits Anwesenheit noch länger er­ wünscht war, und er darum die Verzögerung seiner Abberufung durch die Post als eine Fügung Gottes betrachtete. Denn unter diesen Umständen hätte er die Stelle doch nicht annehmen können.

Er blieb also und arbeitete unverdrossen weiter, ja nahm neue Arbeit auf. In dem neu errichteten Seemannsheim sammelte er einen Jungfrauenverein aus den deutschen Dienstmädchen, deren sich das Ehepaar Rauch alle drei Wochen Sonntagsnachmittags dort annahm. Ferner ließ er die konfirmierten Söhne einmal im Monat zu biblischen Besprechungen im Pfarrhause zu­ sammenkommen, und für die deutschen Lehrerinnen hielt er am ersten Sonntag jeden Monats nachmittags Bibelstunde, woran sich zwanglose Unterhaltungen knüpften. Wenn auch nur ein kleiner Bruchteil der jungen Gemeindeglieder dabei war, so waren doch vielverheißende Anfänge gemacht. An der Jahrhundertwende ließ Pfarrer Boit die Gemeinde in seinem Jahresbericht auf das ganze Jahrhundert der Gemeindegeschichte eine Rück­ schau tun. „Das stimmte sie zu der Ueberzeugung" — so heißt es da —, „daß sie mit froher Zuversicht in das neue Jahrhundert eintreten konnten und im festen Vertrauen, daß der treue Gott, der unsere Gemeinde durch das ver­ gangene Jahrhundert so wunderbar gnädig hindurchgebracht hat, auch weiter mit uns gehen und bei uns bleiben wird mit seinem Schutz und Schirm, mit seinem Geist und Gaben und in Gnaden ferner über uns walten wird. Das Gotteswort, das der Predigt an der Grenzscheide der beiden Jahrhunderte zu­ grunde gelegt war: «Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit' bleibe das Losungswort unserer Gemeinde auch im neuen Jahr-

hundert, es sei für alle Zeit der feste Grund, auf dem sich unsere Gemeinde er­ baut, in dem ihr Fortbestand gesichert ist." Eine Neuerung im kirchlichen Leben zu Beginn des neuen Jahrhunderts war die Feier des Heiligen Wends in einer liturgischen Andacht, nachmittags um 4 Uhr, bei brennenden Tannenbäumen, wie sie am 24. Dezember 1901 zum erstenmal in Lissabon gehalten wurde. Im Januar 1901 wurde im Gottes­ dienst der 200jährigen Wiederkehr der Errichtung des Königsreichs Preuhen und der Bedeutung dieses Ereignisses für die ganze deutsche evangelische Christenheit, insbesondere aber für die Lissabonner Gemeinde, gedacht. Aus demselben Jahre sei noch erwähnt der Tod des alten Küsters und Friedhofs­ wärters Francisco Duarte, der im Alter von 70 Jahren starb, nachdem er über 30 Jahre lang den Kirchendienst versehen hatte. Zu seinem Nachfolger wurde sein Sohn, Thomas Duarte, bestimmt, der bis zum heutigen Tage dieses Amt innehat. Von großer Bedeutung für die Zukunft der Gemeinde war ihr förmlicher Anschluß an die Preußische Landeskirche, der nach Genehmigung der oben er­ wähnten Satzungen durch den Oberkirchenrat am 29. Dezember 1902 erfolgte. Nun konnte Pfarrer Boit ruhig in die Heimat zurückkehren. Er hatte viel erreicht und Bleibendes geschaffen. Mit großer Liebe und Verehrung hing seine Gemeinde an ihn. Anläßlich seines Scheidens schreibt der Vorsitzende Dähnhardt „in der Sorge der Ungewißheit über die Person des Nachfolgers" an den Präsidenten des Oberkirchenrats, indem er den Charakter der Gemeinde und die erforderlichen Eigenschaften des neuen Pfarrers schildert, „Se. Exzellenz werde die Wünsche unbescheiden finden, aber die Gemeinde habe an ihrem hoch­ verehrten Herrn Pastor Boit die Möglichkeit ihrer Verkörperung erfahren". In der Tat hätte sich die Gemeinde keinen besseren Seelsorger und Führer in allen kirchlichen Angelegenheiten wünschen können. Am 24. September 1902 verließ Boit Lissabon. Nach einem längeren Erholungsaufenthalt in Bad Nauheim übernahm er als Oberpfarrer die Stelle in Lippehne int Kreise Soldin"). Die Vertretung in Lissabon besorgte Hilfsprediger Priebe aus Amora, den Boit noch im Mai 1902 ordiniert hatte. Gottesdienst fand in dieser Zeit nur alle zwei Wochen statt. Am 6. März 1903 traf der neue Pfarrer, Hermann Garlipp"), in Lissabon ein, der, wie seinerzeit Bindseil, aus einer deutschen evangelischen Gemeinde in Rumänien, und zwar aus Rimnic-Bälcea, kam. Am 15. März führten in Vertretung des Gesandten der Legationssekretär von Below und der Vorsitzende Dähnhardt den neuen Pfarrer im Gottesdienst feierlich ein, worauf er seine Antrittspredigt hielt über Röm. 1,16: „Ich schäme mich des Evangeliums von Christo nicht." Ein wohlgeordnetes und leidlich reges kirchliches Leben fand Garlipp vor. Die Gemeinde zählte damals 450 Seelen. Der Kirchenbesuch hielt sich im Jahre 1903 zwischen 30 und 50 Personen durchschnittlich an gewöhnlichen Sonn­ tagen. 105 Kommunikanten nahmen an fünf Wendmahlsfeiern das heilige Mahl. Auch die äußere Lage der Gemeinde verbesserte sich ständig. Schon seit einigen Jahren verzeichnete die Kirchenkasse am Jahresabschluß Ueberschüsse, die dem Gemeindevermögen zugeschlagen wurden, das außerdem noch durch ein

Teutsche Gräber auf dem Friedhof in Amora

Photo Heim

Tie ^riedhafskapelle

bedeutendes Legat des 1901 verstorbenen Kaufmanns und holländischen Generalkonsuls Ernst George vermehrt worden war. Als erste Aufgabe trat an Garlipp im nächsten Jahre die Ordnung der Verhältnisse in Amora heran, wo sich nach Einrichtung einer neuen Glasfabrik wiederum eine deutsche Arbeiterkolonie gebildet hatte. Einige alte Familien waren nach Stillegung der ersten Fabrik noch dort geblieben, und viele von denen, die Amora damals verlassen und sich zum Teil nach Spanien gewandt hatten, waren zurückgekehrt. Mit Mühe gelang es Garlipp, die zuständigen Behörden dazu zu bewegen, aufs neue Mittel für die Anstellung eines Predigers und Lehrers für die Arbeiter zur Verfügung zu stellen. Im Dezember 1904 trat dann aber der Kandidat Johannes Hammer die dortige Stelle als Hilfs­ prediger an und wurde am 21. Mai in Lissabon durch Garlipp ordiniert. Die Gemeinde in Amora wuchs noch einmal rasch an. Sie erreichte zur Zeit Hammers ihre größte Ausdehnung mit fast 300 Seelen. Die dortige Schule wurde von über 60 Kindern besucht. Nachdem Hilfsprediger Hammer im Juli 1907 zum Pfarrer der deutschen evangelischen Gemeinde in Windhuk berufen worden war, ersetzte ihn der Predigtamtskandidat Rudolf Schmidt. Infolge schlechter Geschäftslage wurde jedoch 1908 der Betrieb in der Fabrik ein­ geschränkt und der Lohn um ein Drittel gekürzt, worauf der größte Teil der Arbeiter nach Deutschland zurückkehrte. Die Seelenzahl der Gemeinde fiel von 218 auf 56, und die Schule verlor die meisten Kinder. Als Kandidat Schmidt im Dezember 1908 Amora verließ, nahm man unter diesen Umständen von der Berufung eines neuen Hilfspredigers Abstand und besetzte die Stelle nur noch mit einem seminaristisch vorgebildeten Lehrer, während die weitere kirchliche Versorgung von Lissabon aus geschah. Als Lehrer wirkte vom 1. November ab Paul Fichter, bis nach einigen Jahren die Fabrik ganz ein­ ging, und sich die dortige deutsche Arbeitergemeinde endgültig auflöste. Noch heute zeugen außerhalb des stillen Dorfes, das durch die teils gesprengten, teils verfallenen Fabrikgebäude und Arbeiterhäuser einen trostlosen Anblick bietet, auf einsamem Friedhof einige Gräber mit deutschen Namen auf den Steinkreuzen von dem Leben, das hier ehemals blühte, und von dem Dienst der Evangelischen Kirche an deutschen Arbeitern im Ausland. Wie sein Vorgänger, so übernahm auch Pfarrer Garlipp die Leitung der Lissabonner deutschen Schule. Diese zählte jetzt 66 Kinder, obgleich damals nur deutsche Kinder ausgenommen wurden, um den nationalen Charakter der Er­ ziehung zu wahren. Erst vom Jahre 1909 ab beschloß man, auch portugiesische Kinder zuzulassen, um die Einnahmen zu erhöhen. Doch durften die fremden Kinder nicht über 10 Jahre alt sein und ihre Zahl niemals 20 Prozent der Gesamtzahl übersteigen. Trotz des starken Andrangs — 52 portugiesische Kinder wurden angemeldet — nahm man zunächst nur sechs auf, und zwar zwei Kinder des portugiesischen Finanzministers, zwei des Stadtkommandanten und zwei des Kultusministers — „gewiß eine schöne Anerkennung des deut­ schen Erziehungs- und Unterrichtswesens" — so schreibt Garlipp —, „wenn der höchste portugiesische Schulbeamte seine Kinder unserer Schule anvertraute. Die deutsche Schule galt eben für die beste." Bereits im Frühjahr 1906 ge­ dachte Garlipp die Leitung der Schule niederzulegen, da sie ihn zu sehr mit

Arbeit überhäufte. Aber die Schulvorstand bat ihn, wenigstens noch bis zum Herbst zu bleiben, um noch die Einrichtung eines Kindergartens und andere Organisationen durchzuführen. Auch der Oberkirchenrat wünschte, daß Garlipp die Schulleitung möglichst behalten möchte wegen der damit verbundenen Ver­ stärkung der Wirksamkeit des Pfarres in der Kolonie. Die Wahl zum Leiter der Schule, so meint er, beweise doch auch das Vertrauen chm gegenüber. Er möge nur zur Entlastung helfende Kräfte für den Verwaltungsapparat heran­ ziehen. So behielt denn Garlipp das arbeitsreiche und wachsende Ansprüche stellende Amt des Schulleiters bei und war weiterhin für die Förderung und den Ausbau der Anstalt tätig. Auf seine Anregung hin wurde im Jahre 1906 aus Anlaß der Silberhochzeit des deutschen Kaiserpaares ein Fonds für den Neubau eines eigenen Schulgebäudes unter dem Namen „Wilhelm-AugusteBiktoria-Stiftung" begründet, der am Ende des Jahres die hohe Summe von 35 000 Mark erreichte. Hiervon und mit anderen Beihilfen wurde 1909 das Haus in der Rua da Emenda 39, in dem sich die Schule seit 1905 schon miets­ weise befand, angekauft. Die Anstalt stand jetzt völlig gesichert in ihrem Be­ stände da. Die günstige Entwicklung der Schule aber war nur ein Zeichen des all­ gemeinen äußeren Aufschwungs der deutschen Kolonie in diesen Jahren. In dem Maße, wie sich die äußere Macht des deutschen Vaterlandes entfaltete, Handel und Schiffahrt blühten sowie Reichtum und Wohlstand in weiten Schichten des Volkes sich ausbreiteten, hob sich auch die Lage der deutschen Kaufleute im Auslande. Ein Höhepunkt dieser Zeit in dem Leben der Lissa­ bonner Kolonie war der Besuch Kaiser Wilhelms II. auf seiner Marokkoreise im Jahre 1905. Vom 27. bis 30. März weilte der Herrscher zu Gast beim König Karl von Portugal. Der Kaiser empfing im Schlosse zu Belem eine Abordnung der deutschen Kolonie, die ihm eine prunkvoll ausgestattete Adresse durch Pfarrer Garlipp überreichen ließ. Der Kaiser, der wenig Zeit fand, sich den Deutschen zu widmen, äußerte, „daß er bisher nur Gutes von der deutschen Kolonie in Lissabon gehört, und daß auch S. M. der König von Portugal sich ihm gegenüber lobend über dieselbe ausgesprochen habe. Er hoffe, daß die Deutschen in Lissabon auch fernerhin ihr Deutschtum hochhalten und dem deutschen Namen allezeit Ehre machen würden'"." Auch die deutschen Arbeiter in Amora überreichten dem Kaiser einen silbernen Teller, worauf dieser ihnen 400 Mark überweisen ließ. „Es waren herrliche, unvergeßliche Tage", so schließt Garlipp seinen Bericht, „getragen von hoher vaterländischer Begeiste­ rung, die die deutsche Kolonie in Lissabon damals durchleben durfte." Der Wohlstand vieler Gemeindeglieder zeigte sich mehrfach auch in Stiftungen zum Besten der Kirche. So schenkte die Tochter des verstorbenen holländischen Generalkonsuls, Emmi George, ein neues großes Orgel­ harmonium, die Schwestern Klingelhöfer stifteten Kruzifix und silberne Leuchter für die Friedhofskapelle, und Frau Dähnhardt veranstaltete wiederum einen Bazar, der so viel einbrachte, daß die Friedhofsgebäude ausgebessert und an der Rückseite des Pfarrhauses eine geräumige Veranda angebaut werden konnte. Ein Kirchenkonzert, von Mitgliedern der Gemeinde im Februar 1905 ver­ anstaltet, ergab einen Gewinn von 600 Mark, wovon eine Schülerbibliothek für

die deutsche Schule angeschafft wurde. — An Geld fehlte es damals nicht, und wo es gebraucht wurde, floß es reichlich zusammen. Ein schwerer Verlust war für die Gemeinde der Tod ihres langjährigen Vorsitzenden, des kaiserlichen Generalkonsuls Heinrich Dähnhardt, der am 26. Januar 1907 im Alter von 71 Jahren starb. „Seit 1864" — so schreibt Garlipp — „hatte er dem Kirchenvorstande angehört, seit 1870 war er Vor­ sitzender der Gemeinde. Was er für die Gemeinde getan hat, wie er stets bereit war, sein Wissen, seine Zeit und seine Kräfte in den Dienst der Gemeinde zu stellen, mit Rat und Tat zu helfen, wo es not tat, und auch nach außen hin seinen weitreichenden Einfluß geltend zu machen, wo es sich um das Wohl und Wehe der Gemeinde handelte, das ist unauslöschlich in den Jahrbüchern der Ge­ meinde eingezeichnet")." Er verkörperte die große Tradition der Gemeinde und setzte die Reihe der Männer, die ihren Charakter aufs beste in ihrer Person zur Darstellung brachten, wie Gildemeester, Lindenberg, von Weyhe und Keßler, in würdigster Weise fort. Mögen ihr immer wieder solche Männer geschenkt werden! Auch der Evangelische Oberkirchenrat nahm an dem Verlust der Gemeinde teil, indem er schrieb: „Es ist uns Bedürfnis, anläßlich des zu unserer Kenntnis gelangten Heimganges des langjährigen und hochverdienten Vorsitzenden, des Herrn Kaiserlich Deutschen Generalkonsuls Heinrich Dähnhardt, dem Vorstände unsere warme Teilnahme auszudrücken. Wir tun es mit dem Wunsche, daß Gottes Gnade der Gemeinde treue Männer schenken wolle, die, freudig bereit, in die entstandene Lücke einzutreten, wie er in reichem Segen wirken mögen." Den Vorsitz übernahm nun Henry Katzenstein, der bereits seit 1885 dem Kirchenvorstande angehörte. Er war verheiratet mit einer Lindenberg, Ur­ enkelin des ersten deutschen Pfarrers der Gemeinde, Müller, und Enkelin Adolf Friedrich Lindenbergs und dadurch mit der Tradition der Gemeinde besonders verbunden. „Doch nur wenige Wochen sollte er an der Spitze der Gemeinde stehen; schon am 3. April desselben Jahres raffte der Tod diesen allgemein beliebten und geachteten Mann dahin"*)." Sein Nachfolger wurde Carl Jerosch, der seit 1893 dem Vorstand angehörte und bisher die Kasse ver­ waltet hatte. Er behielt das Amt des Vorsitzenden bis zum Weltkriege. Die Kasse übernahm an seiner Stelle Max Wimmer. Bei aller glücklichen äußeren Entwicklung der Gemeindeverhältnisse ging jedoch das innere Leben zurück. Der Besuch der Gottesdienste ließ mehr und mehr nach, und wirkliches kirchliches Leben war immer weniger vorhanden. Zu Pfingsten 1906 besuchte einmal der holländische Staatsmann und berühmte reformierte Theologe Abraham Kuhper, der auf der Durcheise in Lissabon weilte, den deutschen Gottesdienst und nahm auch am Wendmahl teil. Er traf dort aber, wie er berichtet), „fast nur Gouvernanten, und die verließen dann noch alle das Kirchengebäude, sobald das Nachtmahl anfing." Außer einigen Fräulein war er der einzige Kommunikant! Dabei ist allerdings in Betracht zu ziehen, daß die Gemeinde gewohnt war, im allgemeinen nur einmal, und zwar am Karfreitag, zum Tisch des Herrn zu gehen. Von nachteiligem Einfluß auf die Gemeinde waren im Jahre 1907 die innerpolitischen Unruhen in Portugal. Wieder einmal zerrütteten unaufhör­ liche Parteikämpfe und revolutionäre Bewegungen gegen das absolutistische

Regime des damaligen Ministerpräsidenten JoLo Franco das Land. Handel und Verkehr litten darunter stark und lagen schließlich völlig danieder. Die Erwerbsverhältnisse wurden immer ungünstiger, und viele von den kleineren Geschäftsleuten, Handwerkern und Angestellten sahen sich gezwungen, die Stadt zu verlassen. Dadurch ging die Seelenzahl der Gemeinde um etwa 80 Seelen zurück und 16 beitragende Mitglieder schieden aus. Die Einnahmen der Gemeindekafse verringerten sich um etwa 1500 Mark. Die größeren Geschäfts­ häuser hofften, die Krise zu überstehen, wenngleich ihr Ende gar nicht abzusehen war. Zunächst freilich hob sich der Kirchenbesuch unter diesen Umständen, wie schon früher in einer ähnlichen Zeit. Vor allem fiel eine regere Teilnahme der Männer auf, von denen insgesamt 224 mehr als im vorigen Jahre den Gottes­ dienst besuchten. Dies war auch darauf zurückzuführen, daß die Männer jetzt am Sonntagvormittag in ihren Kontoren nichts mehr zu tun hatten, während sie sonst auch an diesem Tage die eingehende Post durchzusehen pflegten. Be­ sonders stark besucht war der Festgottesdienst zur Feier des 300jährigen Ge­ burtstages Paul Gerhardts, der in diesem Jahre begangen wurde, wobei der Kinderchor der deutschen Schule mitwirkte. Doch diese Wirkung der schlechten Verhältnisse auf den Kirchenbesuch war auch diesmal nur vorübergehend. Als zudem im nächsten Jahre die Zustände in der Stadt so wurden, daß sich mancher nicht mehr auf die Straße getraute, wurde die Kirche immer leerer. Am 1. Februar 1908 fielen der König Don Carlos und der Kronprinz Don Lutz, als sie von Vila Vi?osa zurückkehrten und sich auf dem Wege zum Stadtschloß befanden, einem von anarchistischen Elementen verübten Attentat zum Opfer. Die deutsche Gemeinde veranstaltete am 9. Februar einen Trauer­ gottesdienst für die Toten. Dem jungen Nachfolger Don Manuel gelang es nicht, geordnete Zustände herbeizuführen. Vielmehr wurde die Lage immer schlimmer. Am 4. Oktober 1910 wurde die Monarchie beseitigt und die Republik ausgerufen. Der König floh nach England. Doch in der Republik wurde es keineswegs besser, ja, wie Garlipp berichtet, „seit der Einführung der Republik herrschte ein Wirrwarr, der jeder Beschreibung spottet". Mit der Zeit aber gewöhnte man sich wohl an diese Zustände. Jedenfalls ging das Gemeindeleben ruhig weiter und nahm ein fortdauernd günstige äußere Entwicklung. Im Jahre 1910 ging ein langgehegter Wunsch in Er­ füllung mit der Anstellung einer Krankenschwester. Man gewann vom Städti­ schen Krankenhaus in Frankfurt a. M. Schwester Klara Gentzen, die Anfang April ihren Dienst als Gemeindeschwester antrat. Sie erhielt ein Gehalt von 540$000 Reis — etwa 2160 Mark aus der Gemeindekasse. Ein Fonds für ihre Anstellung wurde durch ein Fest in den Räumen des Deutschen Vereins ge­ gründet, das einen Reingewinn von etwa 1340 Mark ergab. Außerdem ver­ pflichtete sich die Bartholomäusbrüderschaft zu einem jährlichen Zuschuß von 200$000 Reis (etwa 800 Mark). Für die Pflege wurden Gebühren erhoben, die für Mitglieder der Gemeinde 1000 Reis, für nicht der Gemeinde an­ geschlossene Deutsche 1500 Reis und für Ausländer 2000 Reis für den Tag be­ trugen. Obgleich das Konto der Krankenpflege jedes Jahr ein Defizit brachte, ent­ schloß man sich doch, nachdem Schwester Klara Gentzen nach dreijähriger Tätigkeit in die Heimat zurückgekehrt war, mit Schwester Anna Lange eine neue Schwester

einzustellen. Ja man plante sogar den Bau eines eigenen Krankenhauses, wo­ mit aus Anlaß des 25jährigen Regierungsjubiläums Kaiser Wilhelms II. begonnen werden sollte. Doch kam dieser Plan nicht zur Verwirklichung. Den Höhepunkt dieser glücklichen äußeren Entwicklung der Gemeinde bildete die Feier ihres 150jährigen Bestehens im Jahre 1911. Am 19. November wurde das Jubiläum mit einem Festgottesdienst feierlich begangen. Außer der gesamten Gemeinde waren auch viele Freunde und Gäste von außerhalb er­ schienen. Der Oberkirchenrat konnte der Einladung leider nicht Folge leisten. In seiner Festpredigt, der er den 100. Psalm zugrunde legte, gab Pfarrer Garlipp einen Rückblick auf die Vergangenheit unter dem Leitwort: „Bis hier­ her hat der Herr geholfen", und hieß die Gemeinde in die Zukunft blicken mit der Zuversicht: „Der Herr wird weiter helfen." Folgende Sätze aus seiner Predigt sind charakteristisch für die Stimmung der Zeit: „Gar manches ist anders geworden, seit unsere Gemeinde ihren Pilgerweg antrat durch die Jahr­ hunderte. Viel Altes ist untergegangen, viel Neues aufgekommen. Auf Flügeln des Dampfes, der Elektrizität, ja der Luft eilt die Menschheit rastlos vorwärts. Aber eilt sie ihrem Glück entgegen? Gewaltige Fortschritte hat die Welt ge­ macht in Künsten, Wissenschaften und Gewerben. Aber ist's dadurch besser geworden auf Erden? Wir glauben, wünschen und hoffen es! Das aber wissen wir und dürfen's freudig bekennen: Unserer Gemeinde ist die fortschreitende Entwicklung der Menschheit ein Segen geworden. Durch die großen Erfin­ dungen auf dem Gebiete der Technik und des Verkehrs sind die hemmenden Schranken der Entfernung niedergeworfen, also daß unsere Gemeinde aus ihrer früheren Vereinsamung und Verlassenheit herausgehoben wurde und aus enger, stetiger Verbindung mit der Heimat nun immer neue Kraft und Anregung schöpfen kann. Durch das siegreiche Vordringen freierer Gedanken und An­ schauungen auf geistigem Gebiete sind ferner die einengenden Fesseln, die unserer Gemeinde in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens durch die In­ quisition, in späteren durch unduldsame Gesetze angelegt wurden, mehr und mehr gelockert worden, bis ihr schließlich in jüngster Zeit, gleichsam als ein Jubiläumsgeschenk, völlige Glaubens-, Gewissens- und Kultusfreiheit beschert wurde." Weiter heißt es am Schluß der Predigt: „Zwar klingt's heutzutage auf Straßen und Gassen, und in Büchern und Zeitungen kann man es lesen: Es ist kein Gott! Die Erde sucht man ihm abzustreiten und aus seiner eigenen Schöpfung ihn hinauszuleugnen. Jst's möglich, so möchte man fragen, wider Gott zu streiten, wider den Gott, der sie zertreten kann im Nu, wie einen Wurm im Staube? Nein, Gemeinde des Herrn, der alte Gott lebt noch; er lebt noch all seinen Verächtern zum Trotz in seiner ewigen Majestät, Kraft und Herrlichkeit. Laß ihn dir nicht rauben, diesen Gott, dessen Treue und Gnade du selbst im Laufe der Jahrhunderte so oft erfahren, dessen heilige Fußtapfen du in deiner eigenen Geschichte so mannigfach verspürt hast. Möge diese Stunde, da du auf der Markscheide von anderthalb Jahrhunderten stehst, nicht vergeblich mit ihrem Hammerschlag an die Herzen pochen. Bleibe treu deinem Gott; in seine Hände lege all dein Wünschen und all deine Sorgen, und dann getrost der Zukunft entgegen und allem, was sie bringt, sei's Freud oder Leid, Leben oder Tod. Und sollte es dir durch Gottes Gnade beschieden sein, nach weiteren

50 Jahren an der Grenze von zwei Jahrhunderten ein neues Dank- und Jubel­ fest zu feiern, o möchtest du auch dann freudig rühmen*können: Bis hierher hat der Herr geholfen, ihm sei die Ehre! Bon uns Erwachsenen, die wir heute hier versammelt find, werden dann wohl nur wenige noch, vielleicht auch keiner mehr dabei sein; wir sind dann stille Leute geworden und anderswo versammelt. Wer ihr, Kinder der Gemeinde, die ihr heute mit uns feiert, wenn ihr dereinst nach 50 Jahren wieder steht an heiliger Stätte zu froher Dank- und Jubelfeier, dann alt, grau und vielerfahren, o möchte auch dann Gottes Vaterauge in aller Liebe und Treue Herabschauen auf ein ehrenwertes, dankbares Geschlecht, würdig des Gottessegens, fromm, gut und wahr, sittlich, treu und fest!" Ueber den weiteren Verlauf des Jubelfestes berichtet der Jahresbericht: „Der Wend vereinigte die Festteilnehmer zu einem gemeinsamen Mahle in den schön geschmückten Räumen des Deutschen Vereins. Reden wechselten mit Musikvorträgen, gar manches gute Wort wurde gesprochen. Viele Glückwunsch­ schreiben und Telegramme von Behörden, Gemeinden und einzelnen Personen waren eingegangen und wurden gegen den Schluß des Festmahls verlesen." Anläßlich des Jubiläums wurde die Anregung laut, eine neue Kirche mit Pfarrhaus zu erbauen, und auch sofort allerseits zustimmend aufgegriffen — ein deutliches Zeichen dafür, wie stark sich die Gemeinde fühlte und wie gewiß sie an ihre Zukunft glaubte. Der Stein kam auch dadurch sogleich ins Rollen, daß der österreichische Generalkonsul Johannes Wimmer am Wend des Jubiläums­ tages mitteilte, es wären ihm für den Bau einer neuen Kirche 40 000 Mark zur Verfügung gestellt worden — der hochherzige Spender war er selbst! Durch weitere Zeichnungen kamen bald 70 000 Mark zusammen und weitere 30 000 Mark gedachte man noch aus eigenem Vermögen aufzubringen. Um aber auch von außerhalb noch Mittel zu erhalten, erließ per Vorstand und die aus Johannes Wimmer, Otto Marcus und Hans Wimmer jr. zusammen­ gesetzte Baukommission zu Weihnachten 1913 einen Aufruf, in dem es nach einem Ueberblick über die Geschichte der Gemeinde heißt: „So entspricht denn die Kapelle, die noch heute den gottesdienstlichen Feiern der Gemeinde dient, in keiner Weise der Ehre des deutschen Namens und dem Ansehen, dessen sich die deuffche Kolonie in Lissabon erfreut, vielmehr fordert sie mit ihrem würde­ losen Aeußeren und ihrem mehr als bescheidenen Innern geradezu den Spott der Nichtdeutschen heraus. Es ist deshalb ein berechtigter Wunsch der Ge­ meinde, jetzt, wo nach Errichtung der Republik in Portugal die hemmenden Gesetzesbestimmungen aufgehoben sind und volle Religionsfreiheit gewährt ist, sich eine neue des deutschen Namens würdige und den kirchlichen Bedürfnissen der Gemeinde genügende Kirche zu schaffen, und das um so mehr, als die jetzige Kapelle sich in einem Zustande befindet, daß eine baldige, gründliche und kost­ spielige Erneuerung derselben ohnehin nicht zu umgehen wäre. Die Kosten der neuen Kirche betragen mit Einschluß derjenigen für den Bauplatz 160 000 Mark. Davon hat die Gemeinde, die wenig mehr als 400 Seelen zählt, bisher 70 000 Mark aufgebracht, weitere 30 000 Mark denkt sie noch aufzubringen. So hat denn die Gemeinde, die stets, wenn es sich um die Förderung des Deutschtums, die Ehre des deutschen Namens handelte, willig und freudig bereit war, Opfer zu bringen, die jederzeit in Freud und Leid treu und fest

zum deutschen Vaterlande gestanden hat, auch dieses Mal nicht versagt. Ganz aus eigenen Kräften aber den Bau der neuen Kirche durchzuführen, geht über ihr Vermögen. Darum wendet sie sich an die deutschen Volksgenossen daheim im Baterlande und überall in der Welt mit der herzlichen Bitte, dem Bau einer deutschen evangelischen Kirche in Lissabon chre Teilnahme zu schenken und durch gütige Spenden dieses Werk, das zu seinem Teile michelfen soll, von Deutschlands Macht und Größe auch hier im äußersten Südwesten Europas zu zeugen, fördern zu wollen." Wenn man auch noch nicht alle Mittel beisammen hatte, so schien der Bau doch gesichert. In einigen Monaten sollte der Grundstein gelegt werden. Ein neues Grundstück von 4000 Quadratmeter Größe war bereits in der nahe bei der alten Kapelle liegenden Rua Torre de Polvora für 10 000 Escudos gekauft und die Ausarbeitung der Pläne der bekannten Dresdener Baufirma Schilling & Graebner übertragen. Baurat Graebner kam persönlich nach Lissabon, um sich über die örtlichen Verhältnisse zu unterrichten, und stellte danach einen Entwurf für das Projekt her. Die Kirche sollte etwa 250 Sitzplätze haben und mit einem Glockenturm versehen sein, als erste evangelische Kirche auf der Iberischen Halbinsel. Um das portugiesische Gesetz, nach dem Kirchen­ bauten nach 99 Jahren dem Staate verfallen, auf die Kirche unanwendbar zu machen, sollte sie als Gesandtschaftskirche errichtet werden. So sah sich denn die Gemeinde im Jahre 1914 vor der Verwirklichung großer Hoffnungen und stand vor der Durchführung weitgehender Pläne. Ein neues Schulgebäude besaß man bereits. Der Bau eines Krankenhauses"") war für die Zukunft geplant, und nun ging die Gemeinde auch noch daran, sich eine neue prächtige Kirche zu errichten! Aber vielleicht waren die Hoffnungen zu stolz und der Sinn zu sehr auf das Aeußere gerichtet. Die christliche Gemeinde selbst war verweltlicht und das gesellschaftliche Leben stärker als das Leben aus dem Glauben in der Kirche. Die Religion betrachtete man vielfach nur als Bestätigung der eigenen Wohl­ anständigkeit und nahm die göttliche Hilfe für das selbstgefällige Handeln und selbstgerechte Streben des Menschen in Anspruch. Auch in der Predigt zum 150jährigen Gemeindejubiläum tritt uns der Zeitgeist entgegen, der vom Fort­ schrittsoptimismus erfüllt ist und für die reformatorische Verkündigung von Gericht und Erneuerung durch das Kreuz Christi wenig Verständnis hat. Den Neubau einer Kirche betrachtete man daher vor allem unter nationalem Gesichtspunkt: „Von Deutschlands Macht und Größe" soll das Gotteshaus zeugen, „zur Ehre des deutschen Namens" soll es errichtet werden! Wer es kam die Wende. Der Weltkrieg brach aus, machte alle schönen Hoffnungen zu­ schanden und vernichtete viele großzügige Pläne. Deutschlands Macht und Größe zerbrach, auf daß es sich von innen her erneuere. Nach Ausbruch des Krieges hielt sich Portugal zunächst noch offiziell neu­ tral, wenn es auch infolge seiner Abhängigkeit von England von vornherein in seiner Stellungnahme gebunden war. Doch die Deutschen konnten einstweilen unbehelligt im Lande bleiben. Am 17. Februar 1916 aber befahl England Portugal, 72 deutsche Schiffe, die in seinen Häfen Zuflucht gesucht hatten, zu beschlagnahmen. Die Engländer nahmen von dem Raub 80 Prozent für sich

in Anspruch. Daraufhin war Deutschland gezwungen, am 9. März 1916 Por­ tugal den Krieg zu erklären. Das portugiesische Volk freilich wollte nichts von einem Krieg gegen Deutschland wissen. Was hatte dieses ihm auch zuleide ge­ tan? Es kam zu Revolten, und die portugiesischen Truppen mutzten zum Teil mit Gewalt nach Frankreich eingeschifft werden. Aber die englandfreundliche Partei des sich diktatorische Gewalt anmaßenden Ministers Alfonso Costa setzte die Beteiligung am Kriege rücksichtslos durch. Nach der Kriegserklärung mußten die Deutschen innerhalb von 48 Stunden das Land verlassen. Die dienstpflichtigen Männer und solche Familien, die Portugal nicht rechtzeitig verlassen hatten, wurden in einem Konzentrations­ lager auf der Azoreninsel Terceira interniert. Die meisten Familien flüchteten unter Zurücklassung von Hab und Gut nach Madrid, viele nach Bigo, andere nach Barcelona und sonstigen spanischen Städten. Einigen jungen Leuten ge­ lang es, zum Teil auf abenteuerliche Weise, sich nach Deutschland durchzu­ schlagen, um sich zur Front zu melden. Pfarrer Garlipp ging ebenfalls nach Madrid, wo er zunächst den Lissabonner Kindern Schul- und Konfirmandenunter­ richt erteilte und den dortigen Pfarrer Albrecht in der pfarramtlichen Tätigkeit unterstützte. Nach einem halben Jahre aber gelang es ihm in seiner Eigenschaft als Gesandtschaftspfarrer, mit einem von der englischen Botschaft in Madrid ausgestellten Paß auf einem holländischen Dampfer über Amsterdam heimzu­ kehren. Er wurde Garnisonpfarrer in Metz, später in Bukarest. Seine Lissa­ bonner Gemeinde sollte er nicht Wiedersehen"). Das gesamte Eigentum der Deutschen in Portugal wurde von der Regie­ rung beschlagnahmt und versteigert. Auch die deutsche Kapelle und das Pfarr­ haus gingen so der Gemeinde verloren, obgleich die Gebäude zum Zwecke der Steuerfreiheit auf den Namen der Gesandtschaft eingetragen waren und somit eigentlich als exterritorial gelten sollten. Aber was galten Recht und Verträge! Das neue für den Kirchenneubau angekaufte Grundstück war natürlich ebenfalls verloren. Besonders schmerzlich war auch der Verlust der Akten und Dokumente aus der Geschichte der Gemeinde. Nur die Kirchenbücher konnten noch in Sicherheit gebracht werden. Auch der Friedhof wurde beschlagnahmt und sollte auf Grund des Gesetzes über die Trennung von Kirche und Staat in Portugal staatlich eingezogen werden. Doch ließ man die Frage vorläufig auf sich be­ ruhen. Der Friedhofswärter Duarte konnte jedenfalls bleiben und die Gräber in Ordnung halten. Der Vorstand ließ ihm, der von der Stadtverwaltung nur ein ganz geringes Gehalt bekam und sich, wie man in Erfahrung gebracht hatte, in Not befand, von Madrid aus gelegentlich auf Umwegen Unterstützungen zukommen, um ihn der Gemeinde zu erhalten. Denn man betrachtete die Kirchengemeinde nicht als aufgehoben und hoffte auf baldige Rückkehr und Wiederherstellung der alten Verhältnisse. Die nach Madrid übergesiedelten Vorsteher, Konsul Ernst Daehnhardt, der inzwischen seinem Vater nachgefolgt war, und Max Wimmer — Carl Jerosch weilte in Hamburg — hielten dort in den Räumen des „Zentralhilfsausschusses für die Deutschen aus Portugal", Calle Hortaleza 9, mehrmals Vorstandssitzungen ab, um die Angelegenheiten der Gemeinde zu ordnen, eine Schadenersatzaufstellung zu machen sowie das in Deutschland befindliche Vermögen zu verwalten.

Verma im Garlipp

Johannes Arlt

Pfarrer der Gemeinde Don 1903 — 1916

Pfarrer der Gemeinde von 1925 — 1929

'VOoto Meiler

Blick auf Lissabon

VII.

Der Wiederaufbau nach dem Kriege, 1922—1936 In den ersten Jahren nach dem Kriege kehrten die früher in Portugal ansässigen Deutschen nach und nach wieder aus der Verbannung zurück. Es war eine traurige Heimkehr! Was man damals verlassen hatte in der festen Hoffnung, nach wenigen Wochen wieder in seinem Besitze zu sein, fand man in fremden Händen. Liebgewordene Häuser und Besitzungen waren verkauft, die Möbel versteigert, wertvolle Erinnerungsstücke verschleudert. Die Bücher Pfarrer Garlipps z. B. waren auf den Trödelmarkt gewandert, die sonstige Einrichtung des Pfarrhauses verschwunden. Einige Familien, die sich vorher in wohlhabenden Verhältnissen befunden hatten, waren gänzlich verarmt. Aber auch Verluste an Leben hatte die Gemeinde zu beklagen. Vier Söhne aus ihrer Mitte, von in Lissabon ansässigen evangelischen Familien, hatten im Kampf für das Vaterland ihr Leben geopfert. Es waren: Kurt Eisen, Oskar Wermuth, Erich Wermuth und Willi Jerosch. Das Vaterland lag nun danieder. In Schmach und Schande war Deutsch­ lands Macht und Glanz von ehedem versunken. Haß und Hohn, statt des ein­ stigen Ansehens und der Achtung, begegneten dem Deutschen in der Welt. Das portugiesische Volk freilich, das niemals feindselig gegen die Deutschen eingestellt gewesen war, nahm jetzt, wenn man sich inzwischen auch gerne an dem Vermögen der Vertriebenen bereichert hatte, die Zurückkehrenden doch wieder mit Freund­ lichkeit und Hilfsbereitschaft auf, soweit man nicht allzusehr von der feindlichen Lügenpropaganda verhetzt worden war. Waren die Deutschen doch auch immer gute Kunden von Portugal und die deutschen Kaufleute dem Lande vielfach von Nutzen gewesen. Immerhin war es für die Zurückkehrenden schwer genug, wieder von vorne anzufangen und ihre Existenz von neuem aufzubauen. Wer mit frischem Mut und Tatkraft gingen sie ans Werk. Bald hatten die meisten von ihnen wieder festen Fuß gefaßt und sich wirtschaftlich leidlich erholt, wenn auch die guten alten Zeiten nicht wiederkamen. Nach Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen bemühte sich der deutsche Gesandte Dr. Voretzsch sogleich nachdrücklichst um die Wiedererlangung des Eigentums der Gemeinde. Im Frühjahr 1922 konnte ein Wkommen ge­ troffen werden, nach welchem die portugiesische Regierung sich bereit erklärte, „daß sie das Mögliche tun werde, um zum Zwecke ihrer Rückgabe die deutsche Kirche und Schule zu kaufen oder, falls ihr das nicht gelinge, daß sie sich ver­ pflichte, die Immobilien und Mobilien durch andere gleichwertige zu ersetzen"^). Doch bei dem Rückkauf der Kirche und des Pfarrhauses kam die portugiesische Regierung in Schwierigkeiten, da die Gebäude bei der Versteigerung in den 1'2

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Besitz einer brasilianischen Malerfamilie gekommen waren. Diese hatte die ehemalige Kapelle als Gemäldegalerie eingerichtet, als welche sie noch heute besteht. So mußte die Entscheidung darüber vorläufig noch aufgeschoben werden. Anders verhielt es sich mit dem Friedhof. Diesen hatte der Staat noch nicht liquidiert. Ihn konnte die Gemeinde darum zurückerhalten. Während des Krieges waren auf ihm verschiedene nichtdeutsche Angehörige der Gemeinde oder portugiesische Nachkommen von früheren Gemeindegliedern, die dort noch Erbbegräbnisse besaßen, beigesetzt worden, so z. B. Nachkommen des ehemaligen Kirchenvorstehers Futscher und eine Tochter des Lehrers Roder, die einen Holländer, namens Springer, geheiratet hatte. Auch nach dem Kriege wurden, noch vor der Rückgabe des Friedhofs, aus der Verbannung zurückgekehrte Deutsche hier bestattet. Das erste Gemeindeglied, das nach der Rückkehr in Lissabon heimging, war eine Tochter des verstorbenen Generalkonsuls Daehnhardt, Frau Luise Jordan. Die Leiden und Entbehrungen während der Flucht und der Zeit der Verbannung in Vigo hatten ihre Kräfte frühzeitig gebrochen. Die Grippe raffte Ende 1921 auch die Gattin Dähnhardts, geb. von Weyhe, die, selbst Tochter eines Kirchenvorstehers, stets mit warmem Jnteresie an dem Leben der Kirchengemeinde teilgenommen hatte, im Alter von 81 Jahren dahin. Am Neujahrstage 1922 wurde sie zur letzten Ruhestätte geleitet. Im Frühling desselben Jahres erfolgte dann die Rückgabe des Friedhofs als ausdrückliches Eigentum der Deutschen Evangelischen Kirchengemeinde. Das war schon ein großer Erfolg und ein wichtiger Schritt vorwärts. Nun galt es, die Gemeinde selbst wieder zu sammeln und von neuem auf­ zubauen. Zu dem Zweck rief der alte Kirchenvorstand, Carl Jerosch-Herold, Ernst Daehnhardt und Max Wimmer, die zurückgekehrten ehemaligen Mitglieder zu einer Gemeindeversammlung am 20. Juli 1922 zusammen. Es erschienen außer den Vorstehern: Hans Wimmer, Otto Marcus, Eduard Katzenstein, Max Wiedemann, Richard Eisen, Fr. Issel, Richard Reinhardt, Eduard Merck und Oswald Schmieder. Man orientierte sich zunächst einmal über die Lage der Gemeinde sowie das ihr verbliebene Vermögen und beschloß, für die Erhaltung des Friedhofs auch unter anderen Konfessionen Mitglieder zu werben, die zu einem Friedhofsfonds beitragen sollten, jedoch unter der ausdrücklichen Fest­ stellung, daß der Friedhof den Charakter einer protestantischen Begräbnisstätte nicht verliere. Sodann wurde ein neuer Vorstand gewählt, wobei Konsul Ernst Daehnhardt, Max Wimmer und Richard Reinhardt aus der Wahl hervor­ gingen. Sogleich wurde auch der Wunsch nach einem Pfarrer laut. Doch sah man ein, daß man sich damit noch einige Zeit gedulden müsse, bis die Schulden bezahlt seien und vor allem die Verhältnisse der Kolonie es wieder erlaubten, Jahresbeiträge für das Gehalt eines Pfarres aufzubringen. Das erste Werk des neuen Vorstandes war, daß er den Friedhof, der während des Krieges doch einigermaßen verwahrlost war, ordentlich instand­ setzen ließ, neue Bestattungsgebühren bestimmte und die Rechte der Besitzer von Gräbern festlegte. Am Ostersonntag des nächsten Jahres, 1923, konnte sich die Gemeinde auch zum erstenmal wieder zu einem Gottesdienst versammeln, den der in einer deutschen Familie als Hauslehrer tätige Kandidat der Theologie Tzschucke im

Sitzungssaal des Geschäftshauses Wimmer & Co. hielt. Im Juli 1924 kam von Madrid auf Weisung des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses der Pfarrer der dortigen deutschen evangelischen Gemeinde Dr. Thom herüber, um deutschen Gottesdienst zu halten und mehrere Kinder zu taufen, was in der portugiesischen protestantischen Kirche in der Rua das Taipas geschah. Auch Oporto besuchte er bei dieser Gelegenheit. Im Dezember des Jahres wieder­ holte er seinen Besuch und vollzog gleichzeitig zwei Trauungen. 1925 diente der Gemeinde bei verschiedenen Taufen und Beerdigungen der Kandidat Wilm Hansen, der sich im Hause Wimmer als Hauslehrer befand. Im Mai 1925 fand unter dem Vorsitz des Gesandten Dr. Voretzsch eine wichtige außerordentliche Generalversammlung der Gemeinde statt, in der die Entschädigungsfrage zur Sprache kam. Der Gesandte erklärte, daß es nicht möglich sei, Kirche und Pfarrhaus wieder herauszubekommen. Doch legte er folgenden Plan vor. Wenn die Kirchengemeinde auf ihre kirchlichen Gebäude oder eine Entschädigung für sie verzichte, sei die portugiesische Regierung bereit, die Gebäude der Deutschen Atlantischen Kabelgesellschaft auf der Azoreninsel Fayal wieder herauszugeben. Dafür könne er, der Gesandte, dann die Ge­ meinde entschädigen aus einem größeren ihm zur Verfügung stehenden Fonds. Aus diesen Mitteln solle dann ein „Deutsches Haus" gegründet werden, das neben einem Schulgebäude einen Kapellensaal und womöglich auch ein Hospital enthalte. Die Gemeinde nahm diesen Vorschlag an. Es wurde ein dement­ sprechender Antrag Hans Wimmers einstimmig angenommen, der lautete: „Die Versammlung beschließt nach dem Vorschlag des Herrn Gesandten, zu­ gunsten der Errichtung eines .Deutschen Hauses' auf den Wiedererwerb des alten deutschen Kirchengebäudcs zu verzichten. Das Deutsche Haus soll möglichst aus einem oder mehreren Gebäudekomplexen bestehen, die eine moderne Schule, einen Kapellensaal und ein deutsches Hospital oder wenigstens die Anfänge dazu enthält. Der Vorstand wird ermächtigt, die hierfür notwendigen Ver­ handlungen, insbesondere auch mit dem Vorstand des deutschen Schulvereins oder einem anderen hierzu etwa gebildeten Komitee zu führen." Damit war die Grundlage für den Wiederaufbau der Deutschen Kolonie und dessen nächst­ folgende Entwicklung gegeben. Freilich lagen in dieser Lösung der Entschädigungsfrage noch verschiedene Probleme beschlossen. Die Vermögensanteile der einzelnen an dem Projekt beteiligten Partner waren noch nicht genau festgelegt, wie überhaupt die ganzen finanziellen Verhältnisse wegen der Verkoppelung der verschiedenen deutschen Institutionen, Kirche, Schule und Bartholomäusbrüderschaft, miteinander äußerst verwickelt und für einen Nichteingewechten undurchschaubar waren. Das Verhältnis der Kirche zur Brüderschaft war noch dadurch kompliziert, daß das ehemalige Kirchengrundstück der Brüderschaft gehörte, und diese es der Kirchengemeinde nur zur Nutznießung überlassen hatte. Andererseits aber waren die Gebäude aus den Mitteln der Gemeinde errichtet und die Einrichtung von Kirche und Pfarrhaus kirchliches Eigentum gewesen. So kam es denn darauf an, mit Klugheit und Takt die verwickelte Lage zu meistern und zu einer alle Teile befriedigenden Lösung zu bringen. Hans Wimmer, als Kassen­ verwalter der Bartholomäusbrüderschaft, die den stärksten finanziellen Rückhalt 12*

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der deutschen Kolonie bildete und es auch für die Zukunft bleiben sollte, fiel diese schwierigste Ausgabe zu, der er sich mit Umsicht und diplomatischem Geschick unterzog. Der Plan des Gesandten kam jedoch nicht in der von ihm gedachten Gestalt zur Durchführung, sondern nahm in der Folge der Entwicklung eine andere Form an, wenn er auch in seinen Grundzügen erhalten blieb. Die Jahresversammlung der Gemeinde vom Mai 1925 faßte dann den Beschluß, nun auch wieder zur Berufung eines Pfarrers zu schreiten, und er­ mächtigte den Vorstand unter Hinzuziehung von Otto Marcus und Oswald Schmieder, die nötigen Schritte dazu einzuleiten. Die Initiative ging also von der Gemeinde selber aus. Der Deutsche Evangelische Kirchenausschuß sandte auf den Anttag der Gemeinde den Superintendenten a. D. Pfarrer Johannes Arlti), zunächst als kommissarischen Verwalter des Pfarramts. Am 3. Dezember 1925 traf Arlt in Lissabon ein, von dem Kirchenvorsteher Richard Reinhardt bei der Ankunft freundlich begrüßt. Der erste Gottesdienst fand am vierten Adventssonntag, dem 20. Dezember, im Saal des Deutschen Vereins statt, der von jetzt ab regel­ mäßig auch für kirchliche Zwecke diente. Der Saal wurde dazu würdig her­ gerichtet, indem vor der geschlossenen Bühne ein Altartisch aufgebaut und an die Seite eine zerlegbare Kanzel gestellt wurde. Die Altargeräte schenkte Wil­ helm Harting. Ein Harmonium ließ man aus Deutschland kommen, und der Kaufmann Hans Stühlmacher stellte sich ehrenamtlich als Organist zur Ver­ fügung, womit er der Gemeinde aus einer großen Verlegenheit half. Arlt war jetzt nicht mehr Gesandtschaftsprediger. Nach dem Krieg waren den Berttetungen des Reiches im Ausland keine Geistlichen mehr beigegeben. Das Wahlrecht blieb der Gemeinde Vorbehalten, und so wurde Arlt denn erst durch die nächste Generalversammlung im Frühjahr 1926 zum ordentlichen Pfarrer der Gemeinde gewählt. Nachdem zu Himmelfahrt 1922 in der Lutherstadt Wittenberg der Zu­ sammenschluß aller deutschen evangelischen Landeskirchen zustande gekommen und der Deutsche Evangelische Kirchenbund geschlossen worden war, übernahm dieser auch die Fürsorge für die Auslandsgemeinden. Die Lissabonner Ge­ meinde wurde deshalb nunmehr nicht, wie früher, der altpreußischen Landes­ kirche, sondern dem Deutschen Evangelischen Kirchenbund angeschlossen, was, nachdem die Satzungen dementsprechend geändert und genehmigt worden waren, am 9. Juni 1928 bestätigt wurde. Der Deutsche Evangelische Kirchenbund leistete für die Aufbringung des Pfarrgehalts jährlich bedeutende Beihilfen. In den ersten Jahren hatte noch die Bartholomäusbrüderschaft, eingedenk ihrer alten Verbundenheit mit der evangelischen Gemeinde, die Fehlbeträge der Kirchenkasse gedeckt. Ihr ist die Kirchengemeinde für so manche Hilfe bei ihrem Wiederaufbau zu großem Dank verpflichtet. Andererseits aber verdankt die Brüderschaft selber ja auch ihren Bestand und ihre Erhaltung durch die Jahr­ hunderte hindurch, wie wir gesehen haben, den protestantischen Kaufleuten, Mitgliedern der Gemeinde! So ist die besondere Verbundenheit und gegen­ seitige Hilfeleistung dieser beiden Institutionen wohlbegründet und berechtigt. Arlt fiel als erstem Pfarrer nach dem Kriege die schwere Aufgabe zu, die alte Gemeinde von neuem zu sammeln und auch die Neuhinzugekommenen

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heranzuziehen. Er ging trotz seines vorgeschrittenen Alters mit unermüdlichem Eifer an diese Aufgabe heran. Durch mannigfache Umstände wurde die Arbeit erschwert. Der Umfang der Stadt hatte sich gegenüber der Vorkriegszeit un­ geheuer erweitert. Die Gemeindeglieder wohnten nach allen Richtungen hin verstreut, und oft waren ihre Anschriften unbekannt. Zahlreiche Kaufleute, Vertreter deutscher Firmen, kaufmännische und technische Angestellte waren in den Jahren nach dem Kriege nach Portugal gekommen und hatten hier, in dem nach Waren ausgehungerten Lande, reichliche Geschäfte und guten Verdienst gefunden. Die Zahl der Deutschen schätzte man jetzt auf rund 1000. Der Zusammenhalt innerhalb der Kolonie aber ließ noch viel zu wünschen übrig. Die altansässigen Deutschen aus der Vorkriegskolonie und die neu zugewanderten standen sich zunächst noch fremd gegenüber. In manchem brachten die letzteren einen anderen Geist mit, der das Verständnis zwischen den beiden Gruppen erschwerte. Zunächst hatten die alten Auslanddeutschen die Führung innerhalb der Kolonie in der Hand. Das konnte ja auch gar nicht anders sein. Waren sie es doch, die die zerstörten Einrichtungen der Kolonie wieder auf­ bauen, alte Fäden anknüpfen und dank ihrer Erfahrungen und ihrer Kenntnis des Landes den Grund für die zukünftige Entwicklung legen mußten. Die Jüngeren aber mußten sich erst in die Verhältnisse hineinfinden und mit der Zeit in das Leben der Kolonie hineinwachsen. Denn jede auslanddeutsche Volks­ gruppe hat ihre eigenen Lebensgesetze und ihre besondere Eigenart. Mitten darin stand nun der Pfarrer. Auch er mußte sich einerseits in die aus der Vorkriegszeit noch herstammenden Verhältnisse der Kolonie und die Auffassungen der alteingesessenen Deutschen einfühlen, mußte der geschichtlich gewachsenen Eigenart und Autonomie der Gemeinde Verständnis entgegen­ bringen, und anderseits die jüngeren Glieder heranziehen und für das kirch­ liche Leben gewinnen, um dann aus beiden Elementen die neue Gemeinde auf­ zubauen. Auf der einen Seite trat ihm dabei selbstbewußte Tradition entgegen, auf der anderen Seite aber vielfach Ablehnung und Unverständnis aus Mangel an kirchlichem Sinn oder gar kirchenfeindliche Gesinnung. In dieser schwie­ rigen Stellung um den Neuaufbau der Gemeinde ringend, hat Arlt seine letzten Kräfte verzehrt. Manches aber von dem, was er begonnen hatte, wurde der Grund, auf dem später weitergebaut werden konnte. So vor allem die Anstellung einer evan­ gelischen Gemeindeschwester. Um dieses Ziel zu erreichen, gründete er im November 1926 einen „Evangelischen Frauenbund", der den Zweck hatte, die Frauen der Gemeinde zu sammeln und durch Mitgliedsbeiträge die Mittel zum Unterhalt der Schwester zu beschaffen. Es erhob sich gegen die konfessionelle Begrenzung des Bundes jedoch aus Kreisen der Kolonie wie auch der Gemeinde selbst Widerspruch. Nie seien in der Lissabonner Kolonie konfessionelle Unter­ schiede gemacht worden, und dabei solle es bleiben. In der Tat hatte ja auch seit 100 Jahren keine deutsche katholische Gemeinde mit einem eigenen Priester mehr in Lissabon bestanden, und konfessionelle Gegensätze hatten den Frieden innerhalb der Kolonie nie gestört. Die wenigen katholischen Volksgenossen hatten sich, wie wir im Lauf der Geschichte immer wieder gesehen haben, an der Erhaltung des evangelischen Kirchenwesens mitbeteiligt und gelegentlich auch

an den evangelischen Gottesdiensten teilgenommen. Ja, es kam auch vor, daß sie den seelsorgerlichen Zuspruch des evangelischen Pfarrers begehrter?), den dieser ihnen in selbstloser Weise gewährte, ohne bei der Gelegenheit Proselyten­ macherei auch nur zu versuchen. Auch jetzt gab es noch keinen deutschen katholischen Priester in Lissabon, und darum wollten die alten Deutschen keine kon­ fessionellen Unterschiede gemacht wissen. Pfarrer Arlt gab nach, so daß aus der evangelischen Bereinigung ein allgemeiner „Deutscher Frauenbund" wurde. Die Verwaltung der Kasse und das Schriftführeramt übernahm Frau Marcha Brücher geb. Daehnhardt. Im Oktober 1927 aber kam ein deutscher Priester als Seelsorger der nach dem Kriege durch Zuzug aus Deutschland an­ gewachsenen kacholischen Gemeinde. Das Verhältnis der deutschen Katholiken zu den Protestanten betrug jetzt etwa ein Drittel zu zwei Dritteln. Arlt zog nun den katholischen Pfarrer, Rektor Viktor Wurzer, folgerichttg zur Mitarbeit und zur Teilnahme an den Versammlungen des Frauenbundes hinzu. Die Zusammenarbeit aber erwies sich bald als undurchführbar. Als Rektor Wurzer den Vorschlag machte, aus Gründen geringerer Kosten katholische Schwestern zu berufen, begegneten auch die Gutgläubigsten diesem Vorschlag mit entschie­ dener Ablehnung. Damit hörte die Zusammenarbeit ganz auf. Die katholischen Frauen wurden aus dem Frauenbund herausgezogen, so daß er seit Mai 1928 wieder rein evangelisch war. Die durch die Mitgliedsbeiträge gesammelten Mittel waren inzwischen soweit angewachsen, daß man an die Anstellung einer Schwester denken konnte. Arlt setzte sich nun mit dem deutschen Roten Kreuz in Verbindung, das chm das Mutterhaus „Märkisches Haus für Krankenpflege" in Berlin zur Gewinnung einer geeigneten Schwester empfahl. Mit diesem Mutterhaus schloß Arlt einen Vertrag ab, und als erste Gemeindeschwester wurde im Herbst 1928 Schwester Charlotte Bäuerlein nach Lisiabon entsandt. Der Frauenbund mietete sie privat ein und bezahlte ihren Unterhalt sowie die Vergütung an das Mutterhaus, so daß sie für den Krankendienst in der Ge­ meinde und Kolonie vollkommen frei zur Verfügung stand. Sogleich wurde sie auch durch schwerste Pflegen in Anspruch genommen und nahm ihre Tätigkeit in hingehendster Weise auf. Das Wirken der evangelischen Gemeindeschwester ließ die alte Idee der Schaffung eines deutschen Hospitals wieder Gestalt annehmen und endlich zur Verwirklichung kommen. Wilhelm Harting, Inhaber mehrerer deutscher Schiffs­ agenturen in Lissabon, unterstützt von dem Kaufmann Benno Weinstein und beraten von dem deutschen Arzt Dr. Carl Jerosch-Herold — einem Sohn des letzten Vorsitzenden der Gemeinde —, war die treibende Kraft dabei. Im Juli 1929 wurde ein „Aufruf an die Deutsche Kolonie in Lissabon zur Gründung eines deutschen Krankenheims" unter dem Protektorat der Gattin des deutschen Gesandten erlassen. Außer von den Genannten war er von dem Gesandten von Baligand, dem Kaufmann Otto Marcus und Hans Wimmer unterzeichnet. Dieser Aufruf fand starken Widerhall. Zahlreiche Spenden wurden gestiftet; die meisten Mitglieder der Kolonie zeichneten jährliche Beiträge. Ein auf dem neuerworbenen Grundbesitz der Deutschen Kolonie zur Verfügung stehendes Gebäude wurde entsprechend umgebaut und eingerichtet. Im Frühjahr 1930 konnte das neue Krankenheim in Betrieb genommen werden. An der ganzen

Entwicklung der Sache war die evangelische Gemeindeschwester Charlotte Bäuer­ lein ständig stärkstens beteiligt, indem sie persönlich aufs lebhafteste für die Idee warb und sich für ihre Verwirklichung einsetzte. Noch waren die Bau­ arbeiten nicht völlig beendet, als sie schon in das neue Heim einzog, um dessen Fertigstellung zu beschleunigen. Nach der Eröffnung übernahm sie dann die Leitung des inneren Betriebes. In der deutschen Schule übernahm Arlt von Anfang an, wie es vor dem Kriege üblich gewesen war, den Religionsunterricht. Er erteilte zwei Stunden wöchentlich in jeder Klasse. Bis dahin hatten den Religionsunterricht die be­ treffenden Lehrkräfte in den einzelnen Klassen gegeben. Die deuffche Schule war als erste von allen deuffchen Institutionen nach dem Kriege wieder ins Leben gerufen worden. Sie war bereits am 1. Mai 1922 neu eröffnet worden und befand sich bei Artls Ankunft in dem neu erworbenen Gebäude des Deutschen Vereins, Rua do Passadi^o 86. Jetzt war sie vollkommen unab­ hängig von der Kirchengemeinde und deren Pfarrer nicht mehr ihr Leiter. Doch zeigte sich der ursprüngliche Zusammenhang mit der Gemeinde immer noch darin, daß die maßgeblichen Schulvorsteher, wie Konsul E.Daehnhardt und Max Wimmer, zugleich auch Kirchenvorsteher waren oder zum mindesten Mit­ glieder der Kirchengemeinde, wie Otto Marcus, der sich um die Schule be­ sonders verdient gemacht hatte und, seit 1925, regelmäßig zum Vorsitzenden der Gemeindeversammlungen gewählt wurde. Auch die Lehrkräfte waren, dem vorwiegend protestantischen Charakter der Kolonie entsprechend, in der Regel evangelisch, wie auch die Leiter der Anstalt, zunächst Dr. Fritz Kormann und seit 1929 Dr. Fritz Diehm. Neben der Arbeit in der Lissabonner Gemeinde hatte der Pfarrer jetzt auch ausgedehnte Reisen zu unternehmen. Denn auf der ersten Tagung der nach dem Kriege wieder ins Leben gerufenen deuffchen iberischen Pfarrkonferenz zu Madrid im Herbst 1926 wurde im Einvernehmen mit dem Deutschen Evan­ gelischen Kirchenbund die iberische Halbinsel in drei große Seelsorgebezirke ein­ geteilt, von denen der westliche mit Oporto, Vigo und La Coruna Lissabon zu­ fiel. In Oporto war nach dem Kriege keine selbständige Gemeinde wieder gebildet worden. In Vigo waren mehrere deuffche Familien aus der Zeit zurückgeblieben, als während des Krieges dort eine größere Kolonie enfftanden war, der Pfarrer Olbricht als Seelsorger gedient hatte. Außerdem befindet sich dort eine Station der Deutschen Atlantischen Kabelgesellschaft mit einer Anzahl Telegraphisten. Auch haben sich einzelne Kaufleute neuerdings dort nieder­ gelassen. In La Coruna endlich befindet sich eine kleine Gemeinde von einzelnen Kaufleuten, einigen Familien, Handwerkern und Angestellten. Diese drei Ge­ meinden wurden nun Filialgemeinden von Lissabon. Oporto hat Arlt mehr­ mals besucht, nach Vigo und La Coruna ist er jedoch nur einmal gekommen. Während dieser Reisen fanden keine Gottesdienste in Liffabon statt. Auch sonst mußte der Gottesdienst manchmal ausfallen, wenn am Sonnabendabend der Saal des Deutschen Vereins für Tanzveranstaltungen in Anspruch ge­ nommen war und für den Gottesdienst am nächsten Morgen noch nicht wieder enffprechend hergerichtet werden konnte. Das brachte den Mangel an einer Kirche immer wieder besonders fühlbar zum Bewußtsein. Der Besuch der

Gottesdienste ließ viel zu wünschen übrig. Die Gemeinde war ja zum großen Teil des Kirchenbesuchs ganz entwöhnt. Außerdem bedeuteten die großen Entfernungen, die gegen früher noch zugenommen hatten, besonders seitdem immer mehr Gemeindeglieder nicht mehr in der Stadt selbst, sondern in den Vororten an der Mündung des Tejo entlang wohnten, ein starkes Hemmnis. Die Durchschnittszahl der Gottesdienstbesucher betrug 40. Doch fanden sich an den gewöhnlichen Sonntagen manchmal nur einige wenige Seelen ein. Nur an Festtagen erschienen diejenigen, die sich überhaupt noch zur Kirche hielten, einigermaßen vollzählig. Am Abendmahl nahmen jährlich 85 Personen teil. Die Zahl der beitragenden Mitglieder betrug 64. Seinen dringendsten Wunsch, die Errichtung einer eigenen Pfarre, sollte Arlt nicht mehr in Erfüllung gehen sehen. Ursprünglich war das zum Kranken­ heim hergerichtete Gebäude zum Ausbau als Pfarrhaus in Aussicht genommen worden, nachdem das dazugehörige Grundstück aus den dem Gesandten Dr. Boretzsch zur Verfügung stehenden Mitteln, aus denen auch die Kirchen­ gemeinde entschädigt werden sollte, 1927 erworben worden war. Außerdem aber hatte auch der Deutsche Evangelische Kirchenbund zum Ankauf eines Kirchen- und Pfarrgrundstücks 15 000 Mark zur Verfügung gestellt, die zum Erwerb jenes Grundbesitzes mitverwandt wurden. Es war dies ein größeres Gelände, die ehemalige „Quinta do Meio“, das in einem neu entstandenen Stadtteil im Nordwesten von Lissabon, genannt Palhava, gelegen und zu einem äußerst günstigen Preise käuflich gewesen war. Hier sollte das ursprüng­ lich geplante „Deutsche Haus" erstehen. Inzwischen aber war das Gelände durch eine neu angelegte Straße durchschnitten und in zwei Teile geteilt worden, deren einer für den Neubau der Deutschen Schule mit Turnplatz bestimmt wurde. Auf dem andern Teil des Geländes sollten nun das Krankenhaus und die Kirche mit Pfarrhaus errichtet werden. Da der Plan für die letzteren aber noch nicht reif und auch die finanzielle Lage der Kirchengemeinde, die Frage der Höhe ihres Anteils an dem Grundbesitz usw. noch nicht geklärt waren, nahm man zunächst den Bau des Krankenhauses in Angriff, für das das auf dem Grundstück bereits befindliche alte Gebäude auch besonders geeignet erschien. Auf der Generalversammlung im Juni 1929 verzichtete darum die Gemeinde ausdrücklich auf dieses Haus als Pfarrhaus. Der Gesandte Dr. Boretzsch hatte inzwischen Gelegenheit gehabt, eine alte katholische Kirche käuflich zu erwerben, die er der Gemeinde zum Geschenk machte. Es war die ehemalige Kirche S. Antonio da Convalescen^a in Bemfica, einem in der Richtung des neuen deutschen Geländes noch weiter hinausliegen­ den Borort Lissabons. Diese Kirche war offenbar bei der Revolution von 1911 enteignet und anderweitig verkauft worden. Eine Tischlereifirma hatte sie ge­ mietet und ihre Werkstatt darin eingerichtet. Es war wohl ein schöner Gedanke, der den Gesandten, der selber bewußt protestantisch war, bewegte, eine ehemals römische Kirche für die Verkündigung des Evangeliums in der Sprache des Reformators zu gewinnen. Mer zur Benutzung für evangelische Gottesdienste war sie völlig ungeeignet und hätte mit großem Aufwand an Kosten umgebaut werden müssen. Außerdem lag sie auch viel zu weit außerhalb der Stadt. Die Generalversammlung vom Mai 1927 faßte darum folgenden Beschluß: „Die

Gemeinde übernimmt die Kirche und dankt für das Geschenk, kann aber keine Verpflichtungen übernehmen, die Kirche auszubauen oder dauernd zu behalten." Immerhin bedeutete das Gebäude für die Gemeinde ein Wertobjekt, das zu­ nächst infolge der weiteren Vermietung an den Tischlereibetrieb Zinsen brachte und später wieder verkauft werden konnte, was im Jahre 1932 möglich wurde.

Die verwickelte Frage der Vermögensteilung des aus den Entschädigungs­ geldern erworbenen gemeinsamen Besitzes der Deutschen Kolonie wurde im Sommer 1927 geklärt. Ein aus den Vorständen der Bartholomäusbrüderschaft, des Deutschen Schulvereins und der Evangelischen Kirchengemeinde gebildeter Verwaltungsrat setzte die Anteile der einzelnen Körperschaften an dem Grund­ besitz der Kolonie nach einem Verteilungsschlüssel fest, der auf Grund der den verschiedenen Partnern aus dem gesamten Entschädigungsfonds zustehenden Summen errechnet toar4). Dieses Abkommen wurde im Juni 1929 von der Gemeindeversammlung bestätigt. Da aber der Wunsch bestand, für die Zukunft eine klare Scheidung des Besitzes der Kirchengemeinde von dem der Kolonie herbeizuführen, wurde die Gemeinde nach den ihr zugesprochenen Werten ab­ gelöst, wodurch sie aus der Grundbesitzgemeinschaft austrat. Sie erhielt ein von ihr gewünschtes Grundstück von 2000 Quadratmetern für den Bau von Kirche und Pfarrhaus und den noch verbleibenden Anteil, der von der Bartholomäusbrüderschaft übernommen wurde, in 6at$). Diese Summe bildete später die Grundlage für den Baufonds. Das letzte Abkommen wurde von der Jahresversammlung der Gemeinde im Frühjahr 1930 bestätigt.

Diese Regelung wurde ohne Beteiligung und gegen den Willen Artls voll­ zogen. Bei der Beschlußfassung über das erste Abkommen hinsichtlich der Ver­ teilung des Vermögens war er abwesend in Oporto, und bei der zweiten, durch die die Gemeinde endgültig abgefunden wurde, war er schon nicht mehr Pfarrer der Gemeinde. Er hatte von der ganzen Sache eine andere Auffassung, die er nicht durchsetzen konnte. Das hat ihn, der sich mit seiner ganzen Person für die nach seiner Ansicht bestehenden Rechte seiner Gemeinde einsetzte, stark auf­ gerieben. Seiner Gesundheit — er war herzleidend — bekam auch das Klima nicht gut. Da er ferner, in der Hoffnung, bald ein eigenes Pfarrhaus beziehen zu können, draußen am Meere in Estoril ein Haus gemietet hatte, zunächst für vorübergehende Zeit, die sich jedoch immer länger hinzog, wurden die weiten Fahrten in die Stadt und zur Schule für ihn auf die Dauer zu anstrengend. Es wurde ihm darum 1928 zur Hilfe ein Vikar von der Kirchenbehörde zur Verfügung gestellt, der den Schuldienst übernahm und Arlt auch häufig im Gottesdienst vertrat. Zunächst wurde der Kandidat W. Preuß entsandt, ihm folgte 1929 Hans Radtke. Der Gesundheitszustand Arlts verschlechterte sich jedoch immer mehr, so daß er sein Amt in Lissabon aufgeben und in die Heimat zurückkehren mußte. Am 23. Juni 1929 hielt er seinen letzten Gottesdienst. In der Heimat erholte er sich noch einmal, so daß er die Pfarrstelle zu Hindenburg in der Mark über­ nehmen konnte. Doch reichten seine Kräfte nur noch für ein paar Jahre. Im Januar 1933 wurde er zu Berlin im Alter von 67 Jahren heimgerufen. Bis zuletzt hatte er seiner Lissabonner Gemeinde gedacht. Es war ihm besonders

schmerzlich gewesen, daß er die Erfiillung ihrer Wünsche nach Kirche und Pfarr­ haus, wofür er sich so stark eingesetzt hatte, nicht mehr erleben durste. Zu seinem Nachfolger wurde im Herbst 1929 Lic. Paul Wilhelm Gennrich'), zunächst als kommiflarischer Verwalter des Pfarramtes, entsandt. Er war feit 1928 Hilfsprediger an der Deutschen Evangelischen Gemeinde zu Rom gewesen. Am 15. September traf er in Lissabon ein und hielt am 6. Oktober seine Antrittspredigt über den Text 2. Timoth. 2, 9: „Gottes Wort ist nicht gebunden". In der Generalversammlung vom Frühjahr 1930 wurde er ein­ stimmig zum ordentlichen Pfarrer der Gemeinde gewählt. Die alte Borkriegsgemeinde war immer noch der Kern und Stamm, an den angeknüpft und in Verbindung mit dem die Gemeinde in organischer Ent­ wicklung weitergeführt und aufgebaut werden mußte. Was waren es denn für Familien, die noch aus alter Zeit stammten und durch Generattonen hindurch bis zur Gegenwart wirklich deutsch geblieben waren? Nur solche, die bewußt protestanttsch waren und zur evangelischen Gemeinde gehörten; nur solche, denen ihr evangelischer Glaube ein Halt gewesen war, der sie sitüich und völkisch gesund und stark erhalten hatte. Die andern waren in der Regel im fremden Volkstum untergegangen oder hatten zum mindesten ihre völttsche Eigenart stark eingebüßt. Das sprang bei einem tieferen Blick in die Geschichte deutlich in die Augen und wurde durch den gegenwärttgen Bestand der Gemeinde bestätigt. Der alte Stamm der Gemeinde und die fest ansässigen Familien stellten auch, wie die Geschichte der Gemeinde lehrte, die Grundlage für ihren äußeren Fortbestand dar. Die Neuhinzugewanderten aber wurden dann mehr und mehr herangezogen, damit sie in die Tradition der Gemeinde hineinwüchsen und mit der Zeit selber an ihrer Weiterentwicklung sich aktiv beteiligten, ja, später, wenn die Reihe an sie kommen würde, die Führung übernähmen. Wie wir es nun schon oftmals, etwa alle 30 Jahre, im Laufe der Entwicklung beobachteten, so befand sich die Gemeinde auch jetzt wieder in einer Uebergangszeit, in der die Ablösung der Generationen voneinander sich vollzieht, was nie ganz ohne Reibungen und auch Konflikte vor sich geht. All das freilich konnte sich nur auf die äußere Gestalt der Gemeinde beziehen. Diese ist jedoch niemals einerlei mit der wirklichen Gemeinde Jesu Christi. Der Herr selber ist allein in Wahrheit ihr Haupt, und sein Heiliger Geist, der über der Zeiten Wechsel erhaben ist, schafft sich, wann und wo er will, die lebendigen Bausteine zu seinem heiligen Tempel, der Kirche. Doch er wirkt durch Menschen und innerhalb der natür­ lichen Ordnungen des Lebens. Darum müssen diese beim äußeren Aufbau der Gemeinde beachtet und die Gemeindearbeit danach ausgerichtet werden. Das erste Bemühen war darauf gerichtet, mittels Rundschreiben und persönlicher Werbung die Zahl der beitragenden Mitglieder zu erhöhen. Sie konnte von 64 auf 139 gebracht werden und stieg später, bis zum Jahre 1936, noch auf 225 Mitglieder. Um eine Verbindung mit allen Gemeindegliedern herzustellen, wurde im Oktober 1930 ein Gemeindeblatt eingeführt, das sämt­ lichen evangelischen Deutschen im Pfarrbezirk monatlich kostenlos zugesandt wird. Zunächst hatte die Kostenstage und die Wahl einer geeigneten Druckerei Schwierigkeiten bereitet. Doch der Deutsche Evangelische Kirchenausschuß sagte

zur Einführung des Blattes eine einmalige Beihilfe von 500 Mark zu, und gelegentlich eines persönlichen Besuchs des Pfarrers Lahusen aus Madrid wurde mit diesem vereinbart, das Blatt gemeinsam herauszugeben, um eine höhere Auflageziffer zu erzielen, ferner einer Madrider Druckerei, die sich als die billigste herausgestellt hatte, den Druck zu überlassen. Die Schriftleitung wurde infolgedessen auch nach Madrid verlegt, wo sie der alsbald auf Lahusen folgende Pfarrer Peschel übernahm. Das Kirchenblatt führte sich gut ein und erwies sich bald als unentbehrlich. Zur Aufbringung der Kosten steuerten manche Leser freiwillige Gaben bei, außerdem gelang es noch, von den GustavWolf-Hauptvereinen Stuttgart und Dresden gelegentliche Unterstützungen zu erhalten. Um jüngere Glieder der Gemeinde heranzuziehen und in weiteren Kreisen Jntereffe für die Gemeindeangelegenheiten zu wecken, regte der Pfarrer an, den Kirchenvorstand von 3 auf 8 Mitglieder außer dem Pfarrer zu erweitern. Es war nötig, beizeiten neue Mitarbeiter zu gewinnen. Die Zahl der alten Stützen verringerte sich mehr und mehr. Im März 1930 wurde der langjährige Vorsitzende der Gemeindeversammlungen, Otto Marcus, durch einen tragischen Unfall hinweggerissen, und im August desselben Jahres starb der Kassierer der Gemeinde, Max Wimmer, mit nur 51 Jahren. In der Gemeindeversammlung vom Dezember 1930 wurden nun folgende Mitglieder hinzugewählt: Hans Wimmer, Kurt Porst, Hans Stühlmacher und Hermann zum Hingste, ferner Frau Lola Harting und Frau Luise Zickermann. Hans Wimmer übernahm das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden, Kurt Porst das des Kassierers und Friedhofsverwalters. Vorsitzender blieb Konsul Ernst Daehnhardt. Das Schrift­ führeramt übernahm Pfarrer Gennrich, während Richard Reinhardt, der bis­ herige Schriftführer, im Vorstand als Beisitzer verblieb. Eine besondere Neue­ rung war es, daß jetzt auch Frauen das aktive und passive Wahlrecht erhielten. Die Mitarbeit von Frauen in den Gemeindeangelegenheiten ist ja besonders wichtig und werwoll. Die Satzungen wurden dahin umgeändert, daß von den acht Vorstandsmitgliedern mindestens zwei weibliche Mitglieder sein müssen und bis zu vier sein können. Der neue Vorstand sollte in den kommenden wichtigen Dingen der weiteren Entwicklung der Gemeindeverhältnisse bald von großem Nutzen sein. Nach Fertigstellung des neuen Schulgebäudes im Früh­ jahr 1930 wurden vom 1. Juni ab die Gottesdienste in die Aula der Schule verlegt, die der Schulvorstand der Kirchengemeinde freundlichst zur Verfügung stellte. Nun brauchten die Gottesdienste nicht mehr auszufallen, wenn im Deutschen Verein am Sonnabendabend eine Festlichkeit stattfand. Trotz des weiten Weges war der neue Raum den Kirchgängern doch lieber als der bis­ herige Saal, und der Gottesdienstbesuch hob sich mit der Zeit etwas. Der zweite Gottesdienst an der neuen Stätte, am Pfingstsonntag 1930, wurde durch ein tragisches Ereignis zu einem besonderen Erlebnis. Ein deutsches Geschwader befand sich zu einem Besuch im Hafen von Liffabon. Mes war in festlicher Stimmung und voll nationaler Begeisterung. Da wurde der deutsche Ge­ sandte, Baron von Baligand, als er nach dem Verlassen des Kreuzers „Königs­ berg" soeben seinen Wagen bestiegen hatte, durch die Kugel eines Irren tödlich verwundet. Noch am Wend desselben Tages verschied er im deutschen Kranken-

heim. So wurde der Festgottesdienst am nächsten Pfingstmorgen, an dem auch ein Teil der Besatzung der Kriegsschiffe und Offiziere, an ihrer Spitze Admiral Gladisch, teilnahmen, zu einem ergreifenden Trauergottesdienst. Gesandter von Baligand hatte der Gemeinde, obwohl er katholisch war, doch als Vertreter des Reiches warmes Jnterefle entgegengebracht und pflegte bei ihren Fest­ gottesdiensten zu erscheinen. Zu den meistbesuchten Gottesdiensten gehörten jetzt vor allem die am deutschen Bolkstrauertag, dem Sonntag Reminiszere. Die kirchlichen Feiern waren damals die einzigen, in denen das Gefallenen­ gedächtnis in Lissabon gefeiert wurde. War doch hier auch jetzt noch, ja, in der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Kriege ganz besonders, die Kirche der Hort des Volkstums und die Gemeinde das innerste Zentrum der sonst noch vielfach zerriffenen Volksgemeinschaft! Ostern 1931 predigte der in Lissabon zu Besuch weilende Vater des Pfarrers, der Generalsuperintendent von Ost­ preußen und Professor an der Universität Königsberg i. Pr. D. Gennrich.

Aus dem kirchlichen Leben des Jahres 1932 sind besonders zu erwähnen der Gottesdienst anläßlich des 85. Geburtstages des Reichspräsidenten von Hindenburg im Okwber und der zum Gedächtnis des 300. Todestages des Retters des Protestantismus, König Gustav Adolfs von Schweden, am 6. November. An ihm nahm als Vertreter der schwedischen Nation der schwedische Konsul Hansen teil.

Wichtig ist ein Beschluß der Generalversammlung im Frühjahr 1932, nach dem auf Antrag des Pfarrers die Gebühren für kirchliche Handlungen, sofern sie in der Kirche oder in kirchlichen Amtsräumen stattfinden, aufgehoben wurden. Es war die Erfahrung gemacht worden, daß manche um der Kosten willen von kirchlichen Handlungen bei Taufen und Trauungen Abstand nahmen, und außerdem der Kirche vorgeworfen wurde, sie wolle bei allem ein Geschäft machen. Der Hinweis auf ein Dankopfer brauchte anläßlich kirchlicher Hand­ lungen nicht ausgeschlossen zu bleiben, dem tatsächlich auch immer gerne ent­ sprochen wurde. Am 3. Dezember 1932 wurde in den Räumen des Deutschen Vereins das 25jährige Amtsjubiläum Konsul Ernst Dähnhardts gefeiert. Auch die Ge­ meinde hatte Anlaß mitzufeiern. Denn gleichzeitig gehörte Daehnhardt auch 25 Jahre dem Kirchenvorstand an und war seit 10 Jahren dessen Vorsitzender. Als Glied einer mit dem Leben der Gemeinde seit alter Zeit so engverbundenen Familie, blutsverwandt mit den ältesten deutschen Geschlechtern in Lissabon, verkörpert er gleichsam die alte Tradition. Wie sein Vater, so hat auch er der Gemeinde große Dienste geleistet. Den Dank und die Segenswünsche der Ge­ meinde brachte Pfarrer Gennrich bei dem Fest zum Ausdruck. Auch der Vor­ sitzende des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes D. Dr. Kapler hatte Dähnhardt ein anerkennendes und seine Verdienstte von der Heimatkirche aus würdigendes Schreiben gesandt. Um auch an der kulturellen Deutschtumsarbeit innerhalb der Kolonie mitzuarbeiten sowie mit weiteren der Kirche fernstehenden Kreisen in Fühlung zu kommen, bemühte sich der Pfarrer, auf dem Boden des Deutschen Vereins durch Vorträge über verschiedene Gebiete des kulturellen Lebens seinen Lands-

leuten zu dienen. So hielt er im Mai 1931 einen Lichtbildervortrag über „Religiöse Kunst des 19. Jahrhunderts", im nächsten Winter Lichtbilder­ vorträge über „Das festliche Jahr", „Deutsche Volkskunst und Volksbräuche im Kreislauf des Jahres" und „Die Kunst im Dienste des Kaufmanns". Die letzten Lichtbilderreihen waren von der Ausländsabteilung des Deutschen Bild­ spielbundes zusammengestellt und bearbeitet. Bon dieser Stelle ließ er auch noch später verschiedene Bildreihen kommen, um sie für die kulturelle Arbeit zur Verfügung zu stellen. Besondere Befriedigung bereitete ihm die Tätigkeit als Leiter eines deutschen Männerchors, den er im Oktober 1931 als „Gesangs­ abteilung des Deutschen Vereins" ins Leben rief. Hier kam er mit einer An­ zahl junger Leute in engste Berührung, die allezeit treu zusammenhielten, und nicht nur bei den verschiedenen Festen im Deutschen Verein, sondern auch, unter der Leitung Werner Kochs, immer bereit waren, wenn es galt, besondere gottesdienstliche Feiern musikalisch auszugestalten. Gelegentlich sangen sie auch bei der Trauung eines Vereinsmitgliedes oder der Taufe des Kindes eines Sangesbruders. Bor allem wichtig aber war dem Pfarrer bei seiner Tätigkeit im Gesangverein die Pflege der Gemeinschaft durch das Mittel des deutschen Liedes und die Uebung wahren deutschen Bolksgesanges als der tiefsten Quelle echter völkischer Kultur. Viel Zeit erforderte die Pastoration der ausgedehnten Diaspora im Lissa­ bonner Pfarrbezirk. In der Regel zweimal im Jahre, zur Weihnachts- und zur Osterzeit, wurden 10—14tägige Reisen nach dem Norden unternommen, um die dortigen Gemeinden zu besuchen. Die Kosten dazu trugen zum Teil die Gemeinden selber, sonst der Deutsche Evangelische Kirchenausschuß und später das Kirchliche Außenamt. In Oporto fand der Pfarrer eine starke Stütze und weitgehendste Hilfe vor allem an dem Hause Franz Burmester. Bor 70 Jahren hatte ja schon Rothe im Hause seines Vaters Gottesdienst gehalten. Für die Gottesdienste stellt jetzt regelmäßig die portugiesisch-evangelisch-methodistische Gemeinde ihre Kapelle „do Mirante" durch ihren Pfarrer Alfredo da Silva zur Verfügung, der auch sonst der Gemeinde durch gelegentliche Amtshand­ lungen dient. Es ist die Gemeinde, die seinerzeit, wie früher erwähnt, Moreton gegründet hatte. Nach Fertigstellung des neuen deutschen Schulbaus kann aber auch dessen großer Saal für kirchliche Zwecke benutzt werden, so daß die Gemeinde nun auch hier auf deutschem Boden zu ihren Gottesdiensten zusammenkommt. In Vigo finden die Gottesdienste im Beamtenhaus der Deutschen Kabel­ station statt. Die dort wohnenden jungen Beamten wurden mit neuer pro­ testantischer Literatur versorgt, indem von dem Bolksbund für das Deutschtum im Ausland sowie dem Kirchlichen Außenamt Bücherspenden für die dortige Bibliothek vermittelt wurden. Häufig hielt der Geistliche auch hier Lichtbilder­ vorträge über religiöse und völkische Fragen. In La Coruna finden von Zeit zu Zeit Gottesdienste in einer Privatwohnung oder gelegentlich zur Verfügung stehenden Räumen für die kleine Gemeinde statt. Aber auch hin und her im Lande befinden sich noch einzelne Glaubensgenossen, so in Santiago da Compostella, El Ferrol und Monforte de Lemos, die alle durch regelmäßige Besuche von Zeit zu Zeit an ihre Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche erinnert werden.

Im Süden gehören die portugiesischen Inseln im Atlantischen Ozean ebenfalls zum Lissabonner Pfarrbezirk. Die Verbindung mit ihnen wurde im September 1932 zum erstenmal wieder durch eine Rundreise nach Madeira und den Azoren ausgenommen. Später wurde der Besuch auf Madeira bsschränkt. da die Reise nach den Azoren zu weit ist im Verhältnis zu der geringen Zahl der dort lebenden Deutschen und der kurzen Zeit des Aufenthaltes, den das Schiff in den einzelnen Häfen nimmt. Dafür kann der Aufenthalt auf Madeira verlängert werden, wo der deutsche Konsul Emll Gesche dem Pfarrer eine gastliche Stätte bietet und in der schottischen Kirche einmal im Jahre Gottesdienst stattfindet. Die vor 70 Jahren, als Pfarrer Boetticher seinerzeit dort eine Gemeinde gesammelt hatte, von der Königin - Witwe von Preußen gestifteten Wendmahlsgeräte, die solange im Keller des deutschen Konsulats verpackt lagen, haben nun wieder erneute Verwendung gefimden. Auch mit dem Deutschen Institut an der portugiesischen Universität in Coimbra wurde im April 1932 Fühlung genommen. War die Errichtung von deutschen Lehrstühlen an portugiesischen Hochschulen doch seinerzeit durch das Wirken des evangelischen Pfarrers Dr. Schütze veranlaßt worden. Außer den Lektoren am Deutschen Institut befinden sich in Coimbra auch noch einzelne Gemeindeglieder. Für alle diese weiwerstreuten Glaubensgenossen bedeutet das Gemeindeblatt ein werwolles Verbindungsmittel, das für viele das einzige Band darstellt, das sie noch mit ihrer Heimatkirche, ja zuweilen mit der Heimat überhaupt verbindet. Während dieser weiten Reisen muß der Gottesdienst in der Hauptgemeinde Lissabon ausfallen. Bei Sterbefällen übernimmt dann der portugiesische evan­ gelische Pastor Josue Ferreira de Souza, der zur Jgreja Lusitana gehört, die Vertretung. Mit der evangelischen Kirche Portugals suchte der Geistliche wieder engere Beziehungen zu knüpfen, eingedenk der Verbindung früherer Pfarrer mit der portugiesischen evangelischen Bewegung und der ökumenischen Verpflichtung des deutschen Protestantismus. Doch war es hier schwer, eine gewisse Fremdheit und Zurückhaltung auf der anderen Seite zu überwinden, wenn auch mit ein­ zelnen Vertretern der portugiesischen evangelischen Kirche freundliche Be­ ziehungen angeknüpft wurden. Gelegenllich konnte dadurch wenigstens für deutsche Belange Verständnis geweckt und eine öffentliche Protestkundgebung gegen die angebliche Judenverfolgung im neuen Deutschland verhindert werden. Um, wie es in früheren Zeiten der Fall gewesen war, auch die ausländi­ schen Protestanten wieder für die deutsche Gemeinde zu gewinnen, wurden die Vertreter sämtlicher auswärtigen protestantischen Staaten aufgesucht und an alle in Lissabon lebenden protestantischen Holländer, Skandinavier, Schweizer und andere Aufrufe zum Anschluß an die Gemeinde gesandt. 1931 wurde die Friedhofskapelle erneuert und erweitert. Sie hatte sich bei Trauerfeiern, an denen oft fast die ganze Kolonie teilnahm, längst als viel zu klein erwiesen. Eine Sammlung von Spenden zum Besten des Friedhofs ergab den erfreulichen Betrag von fast 6000 Escudos. Eine wichtige Regelung wurde in der Frage der Gemeindeschwester und der des Verhältnisses der Gemeinde zum Deutschen Krankenheim getroffen. Nach-

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dem Schwester Charlotte Bäuerlein die Arbeit im Deutschen Krankenheim übernommen hatte, hörte ihr Dienst als Gemeindeschwester im eigentlichen Sinne auf. Aus den für den Unterhalt des Krankenheimes beitragenden Mit­ gliedern war ein Krankenhausverein gebildet worden, und der deutsche Frauen­ bund hatte sich, nachdem seine Aufgabe der Berufung einer Krankenschwester erfüllt war, aufgelöst. Der Rest seines Vermögens wurde zur weiteren Be­ zahlung der Schwester aufgewendet. Durch die Uebernahme der Gemeinde­ schwester in den Dienst des Krankenheims erwies sich jedoch bald eine zweite Schwester als notwendig für die Pflege in den Häusern der Gemeinde. Außer­ dem brauchte die zeitweise stark überlastete Schwester im Krankenheim auch einen Ersatz und Ablösung. Schon Schwester Charlotte Bäuerlein hatte ihre Kräfte aufgerieben und mußte krankheitshalber in die Heimat zurückkehren. Ihre Nachfolgerin Marie Wevers war ebenfalls stark in Anspruch genommen und brauchte Entlastung. Das führte zu dem Entschluß des Geistlichen, im Sommer 1931 in Deutsch­ land die Anstellung einer zweiten Gemeindeschwester zu erwirken. Nachdem er vom Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß eine einmalige Beihilfe von 500 RM zur Verfügung gestellt erhalten hatte, gewann er, indem er zugleich mit dem Mutterhaus einen neuen, günstigeren Vertrag abschloß, als neue Ge­ meindeschwester Sophie Nienstedt, die er bei seiner Rückkehr aus Deutschland im Oktober nach Lissabon mitnahm. Die zweite Schwester wohnte zunächst ebenfalls im Krankenheim und arbeitete dort mit, wenn sie nicht durch Haus­ pflege in Anspruch genommen wurde. Später erhielt sie eine eigene Wohnung im neuen Pfarrhaus. Da die Gemeindeschwestern nach drei Jahren auf Grund konttaktlicher Verpflichtung in die Heimat zurückkehren müssen, wechseln sie verhältnismäßig häufig. Dabei rückt jedesmal, wenn die im Krankenheim tätige Schwester heimkehrt, die nächstfolgende Gemeindeschwester in dem Krankenheimdienst nach und scheidet, nachdem seit 1936 das Krankenheim von der Gemeinde ganz gelöst ist, aus ihrem Dienstverhältnis zur Gemeinde aus. Bis 1936 waren außer den bereits genannten noch folgende Schwestern im Dienst der Gemeinde: Elisabeth von Rosenberg, Martha Gleichmar und Elisa­ beth Schaller. Um nun den Unterhalt für die zweite Schwester in Zukunft, unabhängig von der Heimat, aus eigenen Mitteln aufzubringen, wurde eine Evangelische Frauenhilfe ins Leben gerufen, die zugleich dem Zusammenschluß der evan­ gelischen Frauen und der Förderung des Gemeindelebens durch regelmäßige Zusammenkünfte dienen sollte. Auf einen Aufruf zum Beitritt zur Frauenhilfe im Advent 1931 meldeten sich 45 Frauen der Gemeinde, später wuchs ihre Zahl auf 80, die sich zu monatlichen freiwilligen Beiträgen verpflichteten. Da­ durch kam eine bettächtliche Summe zusammen. Gelegentlich spendete auch der Gustav-Adolf-Hauptverein, Königsberg i. Pr., eine Beihilfe. Zu Wechnachten wurden durch die Frauenhilfe auch einzelne unbemittelte Familien der Ge­ meinde unterstützt. In den möglichst zweimonatlichen Versammlungen, die in der Pfarrwohnung stattfanden, wurden neben der Besprechung von Fragen des Gemeindelebens Vorträge, zum Teil mit Lichtbildern'), gehalten über die ver­ schiedensten Gebiete des kirchlichen und sonstigen kulturellen Lebens, vor allem

anläßlich besonderer Gedenktage. Von den Themen seien genannt: „Die Frau im modernen Geistesleben", „Mbert Schweitzer, ein modernes Heldenleben", „Joseph Haydns Leben und Werk" (zu seinem 200. Geburtstag), „Gustav Adolf und der Gustav-Adolf-Verein" (zum 300. Todestag), „Weihnachten in der bil­ denden Kunst", „Joh. Brahms' Leben und Werk" (zum 100. Geburtstag), „Joh. Hinr. Wicherns Leben und Werk" (zum 100. Jubiläum des Rauhen Hauses), „Das deutsche Kinder- und Wiegenlied", „Mutter und Volk", „Aus der Geschichte der Gemeinde", „Eine Reise ins Heilige Land" (Lichtbildervortrag, gehalten von Generalsuperintendent D. Gennrich), „Frauengestalten in der Geschichte der christlichen Kirche", „Glaube oder Aberglaube". Um die Verbundenheit der Evangelischen Frauenhilfe mit der Heimat und mit der Gesamtarbeit der Evangelischen Kirche zu bewnen, wurde sie im Früh­ jahr 1935 der „Deutschen Evangelischen Reichsfrauenhilfe" angeschlossen. Die Evangelische Frauenhilfe dient der religiösen Vertiefung als wertvolles und notwendiges Organ der kirchlichen Gemeindearbeit — das freilich noch einer stärkeren Belebung und Entwicklung bedarf. Es kam das Jahr 1933, in dem ein neues Deutsches Reich unter dem Führer Adolf Hitler erstand. „Wie das Leben der Gemeinde" — so hieß es in dem Jahresbericht auf der Generalversammlung des folgenden Jahres — „immer in stärkstem innerem Zusammenhang mit den Geschicken der Heimat stand, so konnte auch die nationale Revolution von 1933 nicht ohne Aus­ wirkung auf die Deutsche Kolonie in Lissabon bleiben. Denn sie bedeutet ja das Erwachen des deutschen Volkes zur Einen deutschen Nation, die alle die 100 Millionen Volksgenossen in der ganzen Welt als eine Volksgemeinschaft umfaßt, deren Glieder im Binnen-, Grenz- und Ausland alle zusammen­ gehören. So ist auch die Volksgemeinschaft bei uns naturgemäß mit neuem Leben erfüllt worden, das Gemeinschaftsbewußtsein ist stärker und die Be­ teiligung der einzelnen an dem Leben der Gesamtheit größer geworden. Zur Volksgemeinschaft aber gehört die Gemeinde. Beide sind aufeinander an­ gewiesen. .Echte Gemeinde ist das Herz der Volksgemeinschaft^).' Denn sie

lebt aus den tiefsten Kräften des Seins, aus Wort und Geist des Schöpfers, der auch das Volk ins Dasein rief und allem Leben in Volk und Staat erst Sinn und Ordnung verleiht. Die Gemeinde richtet Sinn und Wirken des Volkes aus nach Gottes Gebot und Verheißung. Selbst sich erneuernd aus Gottes Wort, trägt sie die Kräfte der Erneuerung und Läuterung hinein in Beruf und Werk, in alle Lebensbeziehungen der Menschen. So ist der Kirche im Dritten Reich eine neue, große Aufgabe gegeben." Das Bewußtsein dieser Zusammengehörigkeit von Volksgemeinschaft und Gemeinde kam im Jahre 1933 darin zum Ausdruck, daß die Trägerin des neuen gesamtdeutschen Wollens, die Ortsgruppe der NSDAP in Lissabon, geschlossen an den Festgottesdiensten der Gemeinde, die zugleich von besonderer Bedeutung für die Volksgemeinschaft waren, teilnahm, so am Deutschen Helden­ gedenktag und am Deutschen Luthertag, an dem zugleich die Grundsteinlegung der neuen Kirche stattfand. Wenn das auch erst den Anfang zu einer neuen, stärkeren Verbindung von Volksgemeinschaft und Gemeinde bedeutete — denn die Beteiligung an dem gewöhnlichen gottesdienstlichen Leben der Gemeinde

Deutsche evangelische .Uirdje Lissabon

Architekt Prvf. D. Bartuiug»
Geschenk des Gustav Adolf-FrauenGeschenk des deutschen Gesandten, Vereins Königsberg i. Pr. Baron von Hoyningen-Huene

47) NicolLo Rufo gegen Mestre JoLo, 23. November 1644, Caderno do Pro­

motor 29, S. 466. “) Schäfer, a. a. O., Bd. IV, S. 525. “) Gesandtschaftsakten, nach freundl. Mitteilung des Herrn Oberpfarrer Frhrn. C. G. Lagerfelt. ®°) Nach dem Urteil des Herrn C. G. Lagerfelt. 51) Schreiben an den Reichskanzler Graf Axel Oxenstierna vom 6. 3. 1650, mitgeteilt durch C. G. Lagerfelt. M) Den. Gabriel Grislev, 1652, Caderno do Promotor 32, S. 106 ff. M) Artikel 15, vgl. Schäfer, a. a. O., Bd. IV, S. 684. M) Die Inquisition beschäftigte sich auch mit seiner Person, vgl. P. Müller, a. a. O., S. 33. M) Diese und die folgenden Angaben über die holländischen Prediger beruhen auf der freundlichen Auskunft des Herrn Archivar Bijlsma am Reichsarchiv im Haag. 5e) „Für die meisten Gesandtschaftsprediger in Lissabon war das Amt ihre erste Pfarrstelle. Zu der Zeit, da sie von den General-Staaten ernannt wurden, waren sie meistens nur «Proponent'. Die Proponenten wurden vom kirchlichen Vorstand der .Classis', 's Gravenhage, ordiniert; diese Ordination (.Berestiging') geschah durch Hand­ auflegung. Uebrigens unterstanden die Gesandtschaftsprediger keiner Äirchenbehörde. Ihr Gehalt wurde von der Provinz Holland bezahlt." Bijlsma, a. a. O. 57) Im Wortlaut nach G. Freytag, B. a; d. D. V. III, S. 367 ff., Ausgabe Hirzel, Leipzig 1922. Die folgenden, bei Frehtag nicht zitierten Stellen s. im Original: Joh. Schulte „Briefe an seinen Sohn in Lissabon", Hamburg 1856. “) a. a. O., S. 131. ®°) a. a. O., S. 140. 61) a. a. O., S. 135, 196. ®2) Weber-Baldamus, „Handbuch der Weltgeschichte" II, S. 586. ®3) Besche stammle aus einem flämischen Geschlecht, das während der Religions­ verfolgungen aus den Niederlanden nach Schweden auswanderte und seinem neuen Vater­ lands mehrere tüchtige Mitbürger schenkte. C. G. Lagerfelt, Andreas Silvius, Ett blad ur

svenska Kyrkans diasporaverksamlet, in: Ute och Hemma, Tidning för svenskt sjörfolk, Uppsala 1931, No. 3, S. 74. (Durch freundl. Uebermittlung des schwedischen Konsuls Hansen rn Lissabon.) ®*) Lagerfelt, a. a. O. to) Die Titel der Schriften lauten: 1. Nägn betraktelser över dessa bedröfliga tider, Hamburg 1718. 2. Milch und stärkere Speise aus dem Schatz des göttlichen Wortes u Erquickung derer christlichen Lieben insonderheit seiner Glaubensgenossen in Portugal, Hamburg 1721. 3. Der jetzige selige christliche Zustand, Hamburg 1721. ®®) Am 1. Sept. 1719 schreibt er: „Der Allerhöchste schütte über Jhro Königliche Majestät Seegen herab die fülle / zu einem langwierigen Leben / Seelen- und LeibesWohlfahrt / und allen erwünschten Königlichen Wohlergehen / damit unsere allhie Be­ drängte / bei / Gott gebe! aefälliaer Gelegenheit noch in Gnaden mögen gedacht werden. Es sey ferne von mir / datz ich sollte ablassen für Jhro Königliche Majestät / und die Christliche Kirche zu beten / und zu lehren den guten und richtigen Weg. Andreas Silvius W-Gotthus B. D. M. in Lusitania"

in: Aux Fidels de L'Eglise Evangelique de la Confession d*Augsburg ä Lisbonne Par un des ses membres. (Nach freundl. Mitteilung von Frau Dr. Gr. Krönig aus der Staatsbibliothek zu Hamburg.) In diesem Buche finden sich auch folgende Stücke, auf die im Text Bezug genommen ist:

Aproche toy Trouppeau de la faine Doctrine Ne t'oppose jamais au conseil de ton Pasteur Dont dans cet Expose la loy la plus Divine Retantit sans deffaut pour le retour du pächeur Erige ce Traittä, toy mesme pour ta regle Ainsy que l'Auteur fait plein de zele et Science Suivez luy päs a päs quoy qu'il s'esleve en Aigle Sans touttefoix aller, hors dd ta Competence II saut en et par tout, avec Piete et Foy. 14

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Laisser agir l’Esprit de ce Grand Dien tont puissant Vivre Moralement suivant sa Divine Loy Imiter Jesus Christ qui s’est luy mesm£n mourant Une fois tout offert, pour les pechfcz du monde Suivant quoy aujourdhuy en tous sa Grac'Afoonde Glorifions Dieu tous qui particulierement En ces lieux 61oign€z, Jouissons tranquillement Outre des biens Moudains, des bonnes Instructions Redoutables a tous pour leurs Consolations Grand Certainement est, le bien Evangelique Expose par L’Auteur, habil et Energique Soyons bien attentifs. Etudions avec söing Tout ce qu’il Nous apprend, et Nous arriverons loing Apres avoir Vecüz, en touttes confiances, Tout afait bien et Droits et pures consciences. Tachans a Convaincre Nos plus grands adversaires Malgr£ leurs feaux supposts, soyons les Debonnaires Imitateurs de Christ, pour que Nostre Lumierre Luisse par tous lieux, tel soit Nostre Carrierrre L’Auteur serä Coutant et Dieu Nous assistera En Nous recompeus aut chaqu'un qui persistera Religieusement, En foy et Esperance. G. S. Campidonensis Ao. MDCCXIX. Ferner: Sur le mesme Sujet. Seht hie den rechten Weg / der euch zum Himmel leitet / Folgt ihn / und seht nicht ümb / bleibt auch nicht stille stehn / Ihr werdet finden selbst, wohin er euch begleitet / Und selber Zeugen seyn von was kein Aug gesehn. Beglückt und abermahl beglückt ich mag euch heißen / Ihr Christen, die allhie so weit entfernet sehn / Wo vor man Gott nach Pflicht und Recht kan Ehr beweisen / Daß ihr die Wahrheit seht ohn allen falschen Schein. Lebt lang Herr Silvius, der Himmel euch behüte / Fahrt forth und geht uns vor / wir folgen gerne nach, Und laßt nicht ab / bis baß der Himmel euch zu gute / Versetzen wil, wo Freud und Lust ist tausendfach! C. H. Härmens.

I. N. J. 67) Auf der Heimreise geriet Silvius noch in russische Gefangenschaft durch ein feind­ liches Kaperschiff, kam jedoch bald wieder frei. In Stockholm predigte er vor dem Königs­ paar in schwedischer und deutscher Sprache. 1724 wurde er Pfarrer in Stora Dala in Vestergötland, wo er 1746 starb und in der Kirche zu Dala beigesetzt wurde. Lagerfelt a. a. O. 68) Dieses und das Folgende nach den frdl. Mitteilungen des Herrn Archivar Bijlsma aus den holländischen Gesandtschaftsakten im Reichsarchiv un Haag. 69) Bericht Gildemeesters an die General-Staaten vom 1. 9. 1761. 70) Vgl. M. A. H. Fitzler, Die Handelsgesellschaft, Felix v. Oldenburg & Co. 1753—1760. Stuttgart 1931. S. 41 ff. 71) So beginnt die Schilderung des engl. Kaufmanns Braddock, mitgeteilt von E. H. Petri im „Berliner Lokalanzeiger" 1. 11. 1930. Abgedruckt bei Garlipp, Festschrift, S. 17. 73) Andere hatten weniger Glück. So berichtet M. A. H. Fitzler, a. a. O. S. 73: „Das stolze Schiff Nossa Senhora do Bon Despacho (von der Firma Oldenburg & Co.) war von dem Meere, das kurz nach 9 Uhr morgens stark aus dem Hafen zurückwich, um sich dann mit voller Wucht in haushohen Wogen über die Stadt zu werfen, in den tiefer gelegenen Stadtteil hineinaetrieben worden, und verschwand dann bei einem zweiten Ein­ bruch des Meeres spurlos für immer." 74) Brief aus Chelas vom 4. Nov. 1755, abgedruckt in den Leipziger Zeitungen vom 15. u. 16. Dez. 1755. (Nach frdl. Uebermittlung durch Alfred Krüger, Berlin-Steglitz.)

75) Brief des Herrn Busch an Herrn Nath in Lissabon, Campo, d. 1. Nov. 1755, in: „Sammlung authentischer Briefe, welche während und kurz nach dem Erdbeben zu Lissabon in dieser unglücklichen Stadt und in der Nähe derselben geschrieben worden." „Hannove­ risches Magazin" 1779, 65. Stück, S. 1026. w) „Hannover. Magazin", 70. Stück, S. 1115. 77) a. a. O. 78) a. a. O., S. 73. ”) „Zeitschrift d. Vereins für Hamburgische Geschichte", 4, 1858, S. 276 ff. Dieselben Namen befinden sich auch in dem erwähnten Brief aus Chelas sowie in „Beschreibung des Erdbebens, welches die Hauptstadt Lissabon und viele andere Städte in Portugal und Spanien theils ganz umgeworfen, theils sehr beschädigt hat". Danzig, bei Joh. Chr. Schuster, 1756. 80) Vgl. Immanuel Kant „Geschichte und Naturbeschreibung der merkwürdigsten Vorfälle des Erdbebens, welches an dem Ende des 1755sten Jahres einen großen Theil der Stadt erschüttert hat". Königsberg 1756. Vgl. auch Goethe „Dichtung und Wahrheit", I. Teil, 1. Buch. 81) Kitzler, a. a. O., S. 73. 82) Kitzler, a. a. O. M) „Hannov. Magazin", 78. Stück, S. 1246. M) Nach der gen. Schrift bei Schuster, Danzig 1756. Daß bei den Berichten auch manche falschen Gerüchte mit unterliefen, zeigt der erwähnte Brief aus Chelas, in dem der Tod des schwedischen und holländischen Konsuls gemeldet wird. to) Bericht Daniel Gildemeesters vom Januar 1760, Bijlsma, a. a. O. Im ersten Kirchenbuch der Gemeinde finden sich auch noch auf den ersten Seiten Abschriften von Urkunden über Amtshandlungen Rochemonts aus dem Jahre 1759. M) Bijlsma, a. a. O. 87) Bericht Gildemeester 1. 9. 1761. w) a. a. O. 8e) „Hannov. Magazin", 1773, 9. Stück, S. 129.

Kapitel HL

*) Erwähnt in einem Bericht des Gesandten P. Saurin vom 25. 8. 1772. Bijlsma a. a. O., s. Beilage 2. Dies wird auch bestätigt durch einen Bericht des dänischen Gesandten v. Johnn vom 17. 10. 1780, s. Beilage 3. 3) Bijlsma, a. a. O. Hierzu bemerkt Chr. Wilh. Fr. Walch, „Neueste Religions­ geschichte", II. Teil, Lemgo 1772, S. 395: „Dieses war so anzusehen, als wenn ein gewisser Abgesandte an einem Hofe die Erlaubnis geben würde, daß m seinem Hotel auch von einem Prediger einer andern Religion der Gottesdienst verrichtet würde, als wozu die Erlaubnis des Hofes, bey welchem der Gesandte residirt, eben nicht erforderlich seyn wird. Um deßwillen hat es das Amsterdammer Consistorium nicht leiden wollen, daß Herr P. Schieving auf dem Titel seiner daselbst gehaltenen ersten Predigt die Bersamlung in der Gesandtschaftskapelle die Gemeinde der unveränderten Augspurgischen Zugethanen genennet hat, und es ist durch einen förmlichen Ausspruch dieses Consistorii geschehen, daß er sich nachher hat nennen müssen: Prediger bey denen, welche in Lissabon der Augsp. Conf. zugethan sind." 3) Geb. in Emden, ordiniert 1756 zu Amsterdam, Pastor in Wildervank. 4) Walch, a. a. O. „Hannov. Magazin" 1773, 9. Stück. 5) Aus der Predigt, gedruckt zu Amsterdam 1762, Nr. 1384, Cat. v. d. Bibliothek, v. h. Evang. Luth. Seminarium, Universitäts-Bibl. Singel-Amsterdam. Aufgefunden durch frdl. Bemühungen des Herrn Prof. Dr. I. W. Pont, Bussum (Holland). 6) W. Rothe bemerkt hierzu in s. Chronik, „daß in Lissabon somit thatsächlich schon eine Art Union der beiden Konfessionen vollzogen zu sein scheint, lange bevor dieser Ge­ danke in den evangelischen Ländern auch nur ernstlich angeregt wurde. Die kleine Minder­ zahl der geschlossenen Römischen Kirche gegenüber machte eben ein enges Aneinanderschließen der beiden Konfessionen notwendig". 7) In der Vorrede der Ausgabe seiner Predigten heißt es: „Daß es wohl der Mühe wert sei, dieselben durch den Druck einem jeden, aber ganz besonders den lutherischen Gemeinden zu Wildervank und zu Lissabon zur Verfügung zu stellen, damit beim Durch14*

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lesen alle die ernsten und herzlichen Ermahnungen ihres geliebten Lehrers an die ersten nochmals zum Borschein treten und [ontit stets in Erinnerung bleiben, mit welchem Eifer und heiligem Verlangen seine Ehrwurden zu ihrer beiden Wohl, bis auf den letzten Tag hin, unter ihnen gearbeitet hat und damit sein Name von ihnen nie vergessen werde." 8) „Hannov. Magazin", 1773, 9. Stück. •) Walch, a. a. O. 10) In seinem Nachruf im Kirchenbuch unterm 7. 6. 1788 heißt es: „Thomas Gildemeester, Bruder des gegenwärtigen holländischen Exkonsuls Daniel G. und Chef eines aandelshauses, welches die Firma Gildemeester & Co. führte. Er hatte sich um unsre emeinde bei ihrer Stiftung und Berufung des ersten lucherischen Predigers verdient gemacht, ist lange Vorsteher derselben gewesen und hat derselben ein Kapital von 800 000 Reis in seinem Testamente hinterlassen. Utrecht war sein Geburtsort." n) Nach der Chronik von W. Roche. ") Garlipp, a. a. O., S. 10. 13) So der Graf Carl August von Oeynhausen, Christian Friedrich von Weinholtz, Carl Ludwig von Ammon, Johann Forbes, der das Spanien im Feldzuge von Roussillon 1793/94 gegen Frankreich unterstützende portugiesische Hilfsheer führte; später, 1801—1802, war der Leiter der portugiesischen Armee General Graf Carl Alexander von der Goltz, der noch unter Friedrich d. Gr. gedient hatte. 14) „Denkwürdigkeiten des Grafen Wilhelm zu Schaumburg-Lippe", Hannover 1783, S. 45 f. 16) Nach einer frdl. Mitteilung des Konsistoriums zu Amsterdam.

Kapitel IV. *) „Hannov. Magazin", a. a. O.

a) Memorias da Academia das Sciencias de Lisboa Tom IV 1816. 3) Geb. d. 12. 5. 1752 in Göttingen, Sohn des Hans Michael Müller aus Augsburg, seinerzeit Professor der Mathematik an der Universität Gießen und später Oberingenieur i. d. Grafschaft Grubenhagen u. Kalenberg i. Dienst des Königs von England, Architekt b. d. Universität Göttingen, und der Barbara Marg. Kath. Köhler, aus einet Gelehrten­ familie in Nürnberg. Studierte in Göttingen bei Walch, Leß, Miller u. Michaelis, gedachte sich, mit nur 20 Jahren, an der Universität Göttingen zu habilitieren. Memorias a. a. O. *) „Hannov. Magazin", a. a. O. ®) Bijlsma, a. a. O., s. Beilage 2. e) Sein Bruder Christian Gottlieb Daniel Müller, „Capitain der königl. großbrittanischen Elbzollfregatte", der Pastor Müller nach Portugal nachgefolgt war, heiratete hier ebenfalls eine Tochter Mollers, Anna Christina, und wurde von seinem Bruder getraut, 1779. *) Diercks, a. a. O., S. 136 ff. M) „Skizzen der Sitten und des gesellschaftl. Lebens in Portugal", in Briefen von dem Kapitän Arthur Wilhelm Costtgan an seinen Bruder in London. Aus dem Englischen, Leipzig (Caspar Fritsch) 1788/89. *) In der Vorrede der Ausgabe der zwei Predigten Müllers z. Besten der Kirche in Brünn, 1787, erwähnt. Aus der Chronik Rothes. 10) a. a. O. n) Bijlsma, a. a. O. ia) Bericht des Gesandten v. Johnn am 17. 10. 1780. Gesandtschaftsakten Kopen­ hagen, s. Beilage 3. 1S) a. a. O. “) a. a. O. 18) Der holländische Gesandte Smissaert berichtet am 12. 9. 1780, daß es ihm nicht gelungen sei, in der Stadt ein Haus zu mieten. Am 26.12.1780 schreibt er: „Mein Vor­ gänger hatte keine Miete für sein Haus zu zahlen, zufolge einer privaten Abmachung mit der lutherischen Gemeinde, welche jetzt, für die freie Uebung des Gottesdienstes, diese Begünstigung dem dänischen Minister geschenkt hat." Bijlsma, a. a. O. le) Nach frdl. Mitteilung von Madame v. d. Hude aus den Akten der „Deutschen Kanzeley" in Kopenhagen.

17) Wiedergegeben in der Chronik von W. Rothe. ") Die Schlußstrophen des Liedes lauten (zitiert i. d. Chronik Rothes):

Er aber, der Getreue sieht Daß endlich wir mit frohem Mut Uns an; Er hat im Stillen Ein Bechaus ihm erbauen, Gehört das arme Tränenlied Dem sie geopfert Gut und Blut Um unsrer Väter willen. In christlichem Vertrauen. Um unsrer Väter willen denkt Wir alle flehen, klein und groß, Ihr Brüder auch an uns und schenkt Der Säugling in der Mutter Schoß Uns eine kleine Gabe. Verdankt es Eurer Asche. Und er belohnts in seinem Reich, Zu welchem der Betrübte Gen Himmel weint, der uns und euch Bis an sein Ende liebte; Der mit durchbohrter, blut'ger Hand Ein innig festes Liebesband Für seine Freunde knüpfte.

ie) Memorias da Academia das sciencias de Lisboa a. a. O. 20) a. a. O. 21) C. I. Ruders, Kgl. Schwedischer GesandtschaftsPrediger in Lissabon, „Reise durch Portugal". Nach dem Schwedischen bearbeitet von H. S. A. Gerken, Berlin 1808. (Die beschriebene Reise geschah im Jahre 1798.) 22) Bericht des dänischen Geschäftsträgers von Kaas vom 13. 12. 1791. 23) S. Anm. 36. 2*) Memorias, a. a. O. 26) Müllers weitere Karriere war nicht glücklich und von einem wechselvollen Schicksal bestimmt. Aus seiner Stellung als kal. Prinzenerzieher war nichts geworden, da dieser vorzeitig starb. Er wurde zunächst Deputierter des Ausschusses der General­ kommission der Bücherzensur, doch bereits 1794 wurde diese Institution wieder auf­ gehoben und die Zensur wie früher dem Jnquisitionsgerichtshof unterstellt. Darauf wurde er im Sekretariat der Admiralität als Uebersetzer und Dolmetscher verwandt mit dem Titel eines Stabsoffiziers und der Erlaubnis, die Uniform eines Fregattenkapitäns zu tragen — eine seiner geistigen Bedeutung und umfassenden Gelehrsamkeit wenig ent­ sprechende Stellung. Dieser Posten wurde jedoch infolge einer Verkleinerung der portu­ giesischen Marine bald wieder eingezogen. Dann wurde er dem Prinzen von Waldeck, Feldmarschall des portug. Heeres, als Begleiter beigegeben, der aber schon im Jahre darauf starb. Hiernach verwandte man ihn zur Begründung einer königl. Druckerei, wobei man umfassende literarische Pläne im Auge hatte. Aber die unruhigen Zeitverhält­ nisse führten die Auflösung auch dieses Instituts herbei, ehe es noch recht zum Leben gekommen war. Schließlich, 1802, wurde er zum Kammerherrn des in Lissabon weilenden englischen Prinzen Herzog von Sussex bestimmt, den er auch nach London begleitete. Bon dort kehrte er aber 1806 wieder nach Lissabon zurück, wo er dann Sekretär oer Akademie der Wissenschaften wurde. M) Zitiert bei Lappenberg „Der evangelisch-lutherische Gottesdienst zu Lissabon", in „Zeitschrift d. Vereins f. Hamburg. Gesch." 4, 1858, S. 293. 27) Memorias, a. a. O. 28) 1. „Ueber portug. Medaillen", Abhandl. d. Akademie. — 2. „Ueber die orientalische Abstammung der Port. Wörter", Abhandl. d. Akademie 1788. — 3. „Ueber die kirchliche Literatur der Port. Juden", Abhandl. d. Akademie 1790. — 4. „Ueber die Port. Literatur", Abhandl. d. Akademie 1810. — 5. „Anmerkungen zu einem Wörterbuch über die Wörter und Wendungen franz. Ursprungs, die sich durch Unwissenheit oder Trägheit in die portug. Sprache eingeschlichen haben", Abhandl. d. Akademie. — Ferner zahlreiche Vorlesungen in den Sitzungen der Akademie, Gutachten u. a. In deutscher Sprache verfaßte er einen Kommentar zu den Lusiaden des Camoes (ungeoruckt, verloren) und Uebersetzungen in Versen von Oden des Anakreon, Horaz u. a. 2g) In seinem Nekrolog in den „Memorias" heißt es über seine Krankheit: „Kleine epileptische Anfälle, wenn auch von kurzer Dauer, hielten ihm täglich den Tod vor Augen. Sein Magen wurde zugrunde gerichtet, da er nichts mehr aufnehmen wollte und das Wenige nur sehr schlecht verdaute. Seine rechte Hand, dann die linke und allmählich die Füße verdorrten ihm und verloren ihre Empfindlichkeit derart, daß er ständig fremde Hilfe für alle seine Lebensfunktionen brauchte."

30) Bericht des dän. Geschäftsträgers v. Kaas vom 13. 12. 1791. 31) Gesandtschaftsakten, a. a. O. ”) Vorstellung des Depart. f. ausw. Angel, an den König vom 16. 3. 1792. Ge­ sandter v. Johnn wurde am 12. 11. 1790 von Pastor Müller beerdigt. Im Kirchenbuch heißt es dazu: „Die Evangelische Gemeine verlrert an demselben einen vieljährigen Gönner, Beschützer und Beförderer ihrer Dauer und ihres Wohlstandes hiesigen Ortes." ”) Bericht vom 2. 2. 1792. M) Durch die Deutsche Kanzlei am 30. 3. 1792.

M) G. CH. Dose, geb. zu Rendsburg den 11. 10. 1760, studierte Theologie in Kiel, 1784—1791 Konrektor zu Rendsburg. ”) Bericht v. Kaas vom 31. 7. 1792. •*) Bericht v. Kaas vom 14. 8. 1792. 38\ Q

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M) Garlipp, a. a. O., S. 28. *°) 9. 3. 1796. ") Bericht v. Warnstedt vom 24. 10. 1797. ") Bon Dose unterstrichen. M) Noch bis zum Weltkrieg trug ein portug. Regiment den Namen des Grafen von Lippe. **) Ruders, a. a. O., S. 162. Ruders vertrat übrigens auch Dose bei einer Beerdigung im Jahre 1801. «) Ruders, a. a. O., S. 162 ff., vom 18. 10. 1800. 47) Nach einem Bericht von Pastor Schütze an das preuß. Ministerium f. Ausw. Angel, vom August 1846. Preuß. Geh. Staatsarchiv. **) Hinsch, a. a. O., S. 13. ") Vorstell, d. Deutsch. Kanzlei vom 18. 2. 1803. M) Hiermit beginnt das erste Protokollbuch der Gemeinde. 81) Er war ein Sohn des bedeutenden Bürgermeisters von Lübeck, Johann Caspar Lindenberg. 62) Garlipp, a. a. O., S. 35. M) Hinsch, a. a. O., S. 15. M) 20. 9. 1803. M) 22.11. 1803. M) 3.12. 1803. 67) Protokollbuch Nr. I, S. 29. M) Nach d. Vorstellung d. Dep. f. Ausw. Ang. vom 1. 6. 1808. 69) Vorstellung d. Dep. f. Ausw. Ang. vom 3. 1. 1811. M) P. Müller, a. a. O., S. 36. 61) Siehe Anm. 74. 62) Nach einer Eintragung in der Chronik der Gemeinde Neuenbrook, frdl. über­ mittelt durch Herrn Pfarrer Dr. Ferd. Schröder-Neuenbrook. 63) Manchen verstorb. Gemeindegliedern hat Dose rührende Nachrufe im Kirchenbuch gewidmet und manchmal heißt es dabei: „Schreiber dieses verliert in ihm einen wahren Freund", so z. B. bei Frantz Steets aus Hamburg oder Joh. Jllius aus Bremen. M) Zuverlässige Nachrichten über Lissabon, in „Politisches Journal", Jahrg. 1811, I, S. 300 ff. Hamburg 1811.

Kapitel V. x) Gest, am 5. 11. 1820 zu Auleben in Schwarzburg-Rudolstadt. 2) Gest, am 17. 4. 1835 zu Wunstorf bei Hannover als Feldpropst und Superintendent. 3) Schütze übertreibt, wenn er in seinem Gesuch an den König von Preußen vom 15. 2. 1836 schreibt: „Die in jenen Jahren Geborenen sind sämtlich durch kath. Priester getauft!" *) Der preußische Baron Friedr. v. Eben aus Kreuzburg i. Schles., der unter Wellesleh mit der Deutschen Legion nach Portugal gekommen war, beteiligte sich an einer Verschwörung gegen ihn und wurde des Landes verwiesen. Diario de Noticias 27. 3. 1932. 6) Hinsch, a. a. O., S. 15.

®) 1826 wurde die Stellung der Protestanten gesetzlich festgelegt. Die „Carta Constitutional" vom 29.4.1826, Art. VI, I. Titel, lautet: „Die Römisch-Katholische-Apostolische Religion bleibt die Staatsreligion. Alle übrigen Religionen sind den Fremden als Haus­ andacht erlaubt, sei es in ihren Privathäusern oder rn zu diesem Zweck bestimmten Ge­ bäuden, deren äußere Form jedoch nicht die eines Gotteshauses sein darf." Zitiert i. d. Chronik von W. Rothe. 7) Sohn des Konsistorialrats und Direktors am Grauen Kloster zu Berlin, geboren 8. 7. 1793 in Erfurt. 8) Auf der Hauptversammlung des Gustav-Adolf-Vereins in Coburg 1853. *) Im Vorwort zu seiner Schrift „Erinnerungen aus Südeuropa, geschichtliche, topo­ graphische und literarische Mitteilungen aus Italien, dem südlichen Frankreich, Spanien und Portugal", Berlin 1851.

10) In „Erinnerungen aus Südeuropa". ") Nach Alexander Wittich „Erinnerungen an Lissabon", Berlin 1843, S. 42. 12) Protokollbuch Nr. I, S. 61. 13) Anfangs war der Friedhof noch ohne Baum- und Pflanzenschmuck, noch 1838 berichtet Al. Wittich a. a. O.: „Wie der Cemiterio dos Prazeres, so ist auch der deutsche Friedhof eine sonnenverbrannte, traurige Fläche." ") Bellermann wurde dann preuß. Gesandtschaftsprediger in Neapel, 1827—1835; 1835—1858 Pfarrer an der St. Vaulskirche in Berlin; seit 1858 im Ruhestande, starb er am 24. 3. in Bonn. Eine Straße in Berlin-Gesundbrunnen trägt seinen Namen; siehe auch Ernst Schubert „Aus der Geschichte der Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in Neapel", Neapel 1926, S. 21 ff. 15) Johann Friedrich Bachmann, geb. 21. 7. 1799 zu Drossen (Neumark), 1819 Famulus bei Direktor Bellermann am Grauen Kloster zu Berlin, Universität Halle, Berlin, 1824 Lehrer am Schindlerschen Waisenhause in Berlin, 1825 ordiniert. 16) Zum Gedächtnis des Joh. Fr. Bachmann, Nekrolog i. d. „Neuen Ev. Kirchen­ zeitung", Berlin 1876. 17) Friedrich Sommer, Wilhelm Ludwig von Eschwege „Das Lebensbild eines Aus­ ländsdeutschen", Stuttgart 1927.

lfl) Zitiert in dem Nekrolog. 19) a. a. O. 20) „Ueber das religiöse Leben und Kirchenwesen der Portugiesen", in „Ev. Kirchen­ zeitung", 1828, Nr. 7 u. 8. 21) Julie Lieder, Tochter des Kriegsrats Lieder i. Berlin. 22) 1845 wurde er Pfarrer an der St. Jakobikirche in Berlin; seit 1852 Konsistorialrat und Mitglied des Brandend. Konsistoriums, später Geheimer Oberkonsistorialrat, 1860 D. theol. h. c., gest. 1876. 23) Diercks, a. a. O., S. 148. 2t) Geb. 1803 in Berlin, Studium in Rostock, Heidelberg, Greifswald, aufgewachsen bei einem Onkel in Greifswald. 25) Brief an s. Onkel vom 12. 2. 1832. Uebermittelt durch die frdl. Bemühungen des Herrn Professor D. Dr. Hermann Wolfgang Beyer i. Greifswald. 2e) a. a. O. 27) Nach dem Gesuch Schützes an den König vom 15. 2. 1836, aus den Preuß. Gesandtschaftsakten i. Preuß. Geh. Staatsarchiv in Berlin-Dahlem. 28) Gesandtschaftsarten, a. a. O. 2g) Gustav von Heeringen „Meine Reise nach Portugal im Frühjahr 1836", Leipzig, Brockhaus, 1838, T. II, S. 196. 30) Im selben Jahre richtete auch die Gemeinde Neapel ein Gesuch an den König, der sie schon vorher unterstützt hatte. Vgl. Schubert, a. a. O., S. 31 ff. 31) Erlaß vom 2. 11. 1836. 32) Gesuch Schützes an Gesandten Graf Raszynski i. Lissabon vom 5. 10. 1842. 33) Chronik Rothes. 34) Schütze an den König 1. 5. 1839. 35) Erlaß vom 2. 1. 1838. 3e) Brief vom 1. Mai 1838.

’7) *) ”) *)

Am 5. 10. 1840. Gesuch vom 5. 10. 1842. Bericht vom 5. 12. 1842. Wittich, a. a. O., S. 169.

u) Hierzu schreibt Wittich: „Mit diesem regelmäßigen Kirchenbesuch glauben unsere Landsleute in Lissabon den Anforderungen ihres Gewissens Genüge zu leisten. Der Deutsche ist eben überall derselbe, auch in unserm Vaterlande wird ja lewer! der Gottes­ dienst nicht fleißig besucht. Es ist wahr, das Innere des Gemüthes ist der heilige Vesta­ herd der Religiosität, und zu tugendhaftem, frommem Wandel scheint Kirchenbesuch mcht unumgänglich nötig; vergesse man aber doch ja nicht, daß der Schwung religiöser Be­ geisterung — die erhabenste Gefühlsstimmung, dessen die menschliche Brust fähig ist! — uns nicht leicht ergreift innerhalb der profanen Räume der gewöhnlichen Wohnung, daß aber das Gotteshaus und die versammelte Menge und die Predigt und der Gesang, jene religiösen Gefühle hervorzurufen mehr geeignet sind. Es ist keine Todsünde, wie man wohl in England anzunehmen scheint, einmal nicht zur Kirche zu gehen . . . Doch soll man nicht leichtfertig über diesen wichtigen Gegenstand denken. Dem Engländer gilt es in seinem Vaterlande als Gesetz, dem Früh- und Nachmittagsaottesdienst jeden Sonntag beizu­ wohnen, und die englische Gemeinde in Listabon ist jedenfalls sehr regelmäßig in ihrem Kirchenbesuch." — Stricker bemerkt hierzu (in „Die Deutschen in Spanien und Portugal", Leipzig 1850, S. 203, Anm.): „Sollte der wahre Grund dieser Erscheinung nicht derselbe sein wie in Rom u. a. O., daß nämlich bei Besetzung der Pfarrstellen von Seite Preußens zu sehr auf die religiösen Ansichten der »bestimmenden Personen', zu wenig auf die der Mehrzahl der Gemeinde geachtet wird?" ") •3) ") ") ") ♦7) w) ") M) 51) “) M) M)

Bericht Rafzynfki 2. 11. 1842. Bericht Schutzes an d. Minist, vom 10. 11. 1845. Schreiben d. Borst, an d. Min. vom 3. 11. 1845. Ordre vom 31. 11. 1845. Schreiben des Brand. Gustav-Adolf-Vereins an Minister Eichhorn vom 16.5.1846. Erlaß vom 3. 5. 1847. Erlaß vom 2. 7. 1847. Bemerk. Schützes z. Bericht Raszhnskis vom 16. 6. 1846. Zitiert in der Chronik Pfarrer Rothes. Jahresbericht Schützes vom 16. 2. 1847. Bericht Schützes vom 10. 10. 1845. Wittich a. a. O. Schreiben vom 12. 8. 1844, i. Archiv des Gustav-Adolf-Bereins zu Leipzig.

M) Im selben Jahre noch wurde Roeder auch als Turnlehrer der kgl. Prinzen angestellt und durch ihn der Turnunterricht in den portug. Schulen eingeführt, wo man ihn bisher nicht kannte. Später erhielten die Prinzen bei Roeder auch Unterricht im Deutschen, denn der König legte Wert darauf, daß sämtliche Prinzen und Prinzessinnen die deutsche Sprache reden uno schreiben und die Klassiker der deutschen Literatur kennen und würdigen lernten. “) Bericht Roeders i. Archiv d. G. A. V.

57) Nach seiner Rückkehr nach Deutschland unternahm Schütze ausgedehnte Reisen durch Deutschland sowie nach Italien, Griechenland, der Türkei und Palästina; er predigte an vielen Orten, doch scheint er ein Pfarramt nicht mehr bekleidet zu haben. 1866 heiratete er in Dresden und ist hier 1875 gestorben. Im Druck erschien von ihm: 1. „Eine Konfirmationshandlung.. 1848 in Lissabon", Leipzig 1848, Hartmann-Verl. 2. „Drei Pre­ digten .. in Athen, Konstantinopel und Jerusalem gehalten i. Jahre 1850", Leipzig 1850. 3. „Predigten vor deutschen Gemeinden tm Auslarw gehalten..", Leipzig 1851. 4. „Eine Taufhandlung am 14. 2. 1848 in Lissabon..", Leipzig 1848. Außer der letzten war keine der Schriften mehr aufzufinden.

M) M) ®°) 61) “)

An d. Gesandt, v. Raszynski 23. 10. 1843. Siehe Anm. 57. Bayer. Staatsbibl. München. Bestätigt v. Konsistorium Hannover d. 21. 11. 1848. Geb. 1. 6. 1822 i. Hannover. 5. 3. 1849, Archiv d. G. A. V.

63) Die Gebühren wurden nach dem Muster der in der englischen Kirche üblichen festgesetzt.

M) Hinsch, a. a. O., S. 19.

w) Protokollbuch der Gemeinde Nr. 1. Hier ist auch der ganze folgende Schriftwechsel festgehalten. “) Schreiben vom 3. 8. 1850, Gesandtschaftsatten. ®7) Schreiben des Ministers vom 19. 6. 1851. w) Am 7. 12. 1855, Chronik. 6e) Schmettau wurde dann foreign secretary der Evangelical Alliance in London.

Kapitel VL *) Die folgende Darstellung beruht von nun an fast ausschließlich auf den Protokoll­ büchern der Gemeinde und den Akten des Evangelischen Oberkirchenrats in Berlin. Die Herkunft der Nachrichten und Zitate aus den Berichten der Pfarrer werden darum im einzelnen jetzt nicht mehr besonders angegeben, sondern nur noch andere als diese Quellen angemerkt. 2) Bericht Roeders an Min. v. Arnim, 28. 10. 1857, Gesandtschaftsakten. 3) Bericht des Minist, an E. O. K. 14. 3. 1859. *) Der Gesandte berichtete (2. 9. 1859, Gefandschaftsakten): „Die Gemeinde ist jeder kirchlichen Zucht abgeneigt und an eine strengere Auslegung und Handhabung des Evangeliums nie gewöhnt gewesen. Der kirchliche Sinn war stets gering, und locker die Bande zwischen dem Geistlichen und der Gemeinde. Der Pfarrer Lüdecke seinerseits hat versucht, diesem Uebelstande nach Kräften abzuhelfen, und nicht nur die Stellung des Pfarrers der Gemeinde gegenüber, sondern überhaupt das ganze Gemeindeleben so zu gestalten, wie es in Deutschland vielen Geistlichen gelungen ist. Bei diesem löblichen Bestreben hat er Fehlgriffe nicht vermieden, sein guter Wille ist verkannt worden.. ®) Hermann Bötticher, geb. 5. 5. 1821 zu Cammerforst i. preuß. Thüringen, nach Beendigung des Studiums in Halle Hauslehrer bei dem Grafen v. Schönburg-Glauchau, Hilfsprediger in Gusow, 1851 Pfarrer zu Rogasen in Posen, 1854 Superintendent dort­ selbst. 1856 Ausbruch eines alten Lungenleidens, 1858 in Meran und Ems, 1859 in Reinerz, dann wegen seines Leidens für Lisiabon vorgeschlagen, in der Hoffnung, daß der Süden ihm Heilung bringe. 6) Die Reise ging damals gewöhnlich über Land, durch Frankreich nach St. Nazaire an der Mündung der Loire) und von dort mit dem Dampfer über Vigo nach Lissabon. 7) Erinnerungen an Hermann Bötticher, „Ein Beitrag zur Apologie des Christen­ tums", von Bork, Militär-Oberprediger in Posen, Posen 1856. ®) a. a. O. ®) a. a. O. 10) Die Einrichtung der Gottesdienste auf Madeira wurde unterstützt durch den vom Kammerherrn v. Moltke gegründeten holsteinischen Gustav-Adolf-Berein. Erinnerungen, a. a. O. n) Im nächsten Winter predigte auf Madeira Pfarrer Liebetrut aus Wittbrietzen bei Beelitz auf Veranlassung des Pfarrer Bersmann in Itzehoe, der zu diesem Zweck Sammlungen veranstaltet hatte (Chronik). Im Frühjahr 1864 ftifftete die KöniyinWitwe von Preußen auf Bitten des Gesandten von Werthern m Lissabon Kruzifix, 2 Altarleuchter, 24 Gesangbücher und 1 Altarbibel (Staatsarchiv, Rep. 81, Lisiabon II, 17 g). Auch Abendmahlsgeräte kamen später hinzu. 1864 predigte hier auch Pfarrer Billroth, früher Pastor der deutsch, ev. Gemeinde in Rio de Janeiro, der auf der Durchreise in Funchal weilte und sich um die ständige Paswrisierung der dortigen Deutschen bemühte, ohne jedoch etwas erreichen zu können (s. „Ein Evangelist in Brasilien", aus dem Nach­ laß von Hermann Billroth, herausgeaeben von Albert Billroth, Prediger zu Naumburg, Bremen, bei Müller, zitiert in der Chronik von Rothe). 12) Kurz vor seinem Tode war ihm noch die Leitung einer Agentur der englischen Bibelgesellschaft übertragen worden, wozu ihn Schmettau, der ein Jahr zuvor wieder in Lisiabon gewesen war, vorgeschlagen hatte. „Erinnerungen", a. a. O. 13) In der Chronik wird besonders erwähnt, daß die Gemeinde der Witwe Böttichers noch das volle Gehalt für das ganze folgende Vierteljahr gewährte. 14) Baxmann begann seine Tätigkeit in Lisiabon mit einem am 17. Nov. 1861 gehaltenen Trauergottesdienst für den verstorbenen König Don Predro V. Auch im Leichen­ zuge des Königs schritt er mit im Talar, und „dieses erste öffentliche Erscheinen des deutsch­ protestantischen Geistlichen bei dieser Gelegenheit wurde mit großem Beifall ausgenommen" (Chronik).

1S) Bericht des Gesandten in Lissabon an das Minist. 6. 3. 1862. ie) Baxmann veröffentlichte in v. Sybels „Historischer Zeitschrift" einen Vortrag „über Alexandro Herculano als Historiker". 17) Erinnerungen, ausgezeichnet für seine Kinder, freundlichst übermittelt von seinem Sohn, Geh. Oberregierungsrat Robert Rothe in Berlin. 18) Anstett kehrte Ende 1863 nach Lissabon zurück, um daselbst ein Colleg zu gründen. 1866 siedelte er nach Vilhao de Pararso bei Oporto über, um dort die Erziehung einiger Kinder zu übernehmen und an der neuesten Geschichte Portugals zu arbeiten (Ehromk). Er wurde später Professor am Lyzeum zu Lyon und schrieb eine „Anleitung zur Erlernung der portugiesischen Sprache", Frankfurt 1863, die mehrere Auflagen erlebte. (Revista da Historia, 1921, Os estudos portuguezes em Allemanha, von Ed. P. Salzer.) ie) Eine Jubelfeier ist nicht gehalten worden, was Rothe in seiner Chronik mit Be­ dauern feststellt. 20) Pfarrer Schütze hatte er seinerzeit zum Bibliothekar herangezogen. 21) Bezeichnend für die Haltung des Kirchenvorstandes gegenüber der Gesandschaft war es z. B., daß, als der Gesandte v. Rosenberg 1862 an einem Sonnabend in der Kapelle eine König-Geburtstagsfeier für die Mannschaft des gerade im Hafen befindlichen preuß. Kriegsschiffes „Iltis" wünschte, dies nur Lugestanden wurde, nachdem man ausdrücklich die Erklärung verlangt hatte, daß dieses Zugeständnis keineswegs als ein Präzedenzfall angesehen werden solle. Im Protokollbuch wurde auherdem dieses Entgegenkommen aus­ führlich mit der Rücksicht auf ein Unwohlsein des Gesandten begründet, das ihn daran hinderte, an Bord der Korvette zu gehen, während jedoch das Reglement der Kriegsschiffe vorschreibe, daß eine Predigt am Tage des Geburtstags des Königs stattfinde. 22) „Weil der dortige preuh. Konsul bei der augenblicklichen Stimmung der katho­ lischen Geistlichkeit Bedenken trage, protestantischen Gottesdienst in seinem Hause ab­ gehalten zu sehen. Der Pöbel würde ihm das Haus stürmen" (Bericht Rothe). 23) Ein ausführlicher Bericht darüber findet sich in der von Pfarrer Albrecht heraus­ gegebenen Schrift zur Geschichte der Gemeinde Madrid. 24) Nach einer frdl. Mitteilung einer Tochter Rothes, jetzigen Frau Pfarrer Hoch­ baum in Brinnis bei Delitzsch. 25) v. Hafe übersetzte verschiedene Protest. Kernlieder ins Portugiesische, darunter auch „Ein feste Burg", die in das Gesangbuch der portug.-evangel. Allianz ausgenommen wurden. 26) Rothe erzählt in seinen Erinnerungen: „Wir wurden jeden Tag in ein anderes Haus eingeladen; am gelungensten war das Fest, das uns der holländische Konsul van der Niepoort in seiner prachtvollen Billa gab. Niemals wieder sind wir mit solcher Ehrung umgeben worden, als in jenen Tagen. Der einzige Kummer war, daß wir am Tanz nicht teilnahmen, was die Leute bei einer so jungen Frau nicht begreifen konnten. Mit Bedauern schieden wir von diesem liebenswürdigen Kreise und von der malerisch am Douro gelegenen Stadt. Ich freute mich alle Vierteljahre auf meine Filialreise." 27) Vgl. E. Schubert „Geschichte der deutschen evangelischen Gemeinde in Rom", Leipzig 1930, S. 50 ff. 28) Bericht Rothes an den E. O. K. 19. 12. 1866. 29) „Es gewährte einen wahren Genuß, dem Unterricht beizuwohnen; das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler, die Teilnahme und Lust der Kinder am Lernen zu beobachten, und in der Zwischenzeit Lehrer und Schüler sich auf dem Turnplatz auf dem Hofe tummeln, oder mit leichten Arbeiten im Garten beschäftigen zu sehen. Die lebenslustige Jugend zwischen Bäumen und Sträuchern, unter dem prachtvollen Zelte des portugiesischen Himmels — ein wahrhaft erfrischendes Bild." Joh. Frh. v. Minutoli „Portugal und seine Kolonien im Jahre 1854", Stuttgart u. Augsburg 1855, S. 398. ®°) Rothe wurde zunächst Pfarrer in Prosen bei Zeitz, dann in Eisleben, später daselbst Superintendent und Kreisschulinspektor, wo er bis 1906 wirkte. Er starb am 12. 5. 1915 im Alter von 80 Jahren in Wernigerode, wo er bis zuletzt in körperlicher und geistiger Frische seinen Ruhestand verlebte. 31) Eduard Franz Julius Meier, geb. 18. 11. 1833 zu Belgard (Pommern). 1856 Subrektor in Belgard, 1860 Diakonus in Pritzwalk. 32) Die Hänsler war seit 10 Jahren die Mätresse des Regenten gewesen. Im Sommer 1871 trat sie zur römischen Kirche über, „ein Verlust, den unsere Kirche nicht gerade sonderlich zu beklagen hat, da dieselbe überhaupt nur nominell bisher unserer Kirche

angehört, der Uebertritt offenbar auch aus nur sehr äußerlichen, eitlen Motiven erfolgte" (Bericht Meier). ”) Bericht an den E. O. K. 20. 1. 1870. M) Später haben sich die vier Geistlichen ganz von de Mora getrennt; einer aing nach Sevilla in den Dienst der Episkopalkrrche. Die andern blieben in Lissabon, ooch genossen sie wenig Vertrauen. Jeder der Uebergetretenen verheiratete sich sogleich. Nur der nach Sevilla übergesiedelte war ernster und kenntnisreicher (Bericht Wernicke). to) Meier wirkte in Keuschberg lange Jahre und starb in Halle am 11. 4. 1902 im Alter von 68 Jahren. Seine Leiche wurde von dort nach Keuschberg unter großer Feier­ lichkeit überführt. A. Lippold „Geschichte der Kirche Keuschberg", Bad Dürrenberg 1930. 36) Nach den freundlichst auf Wunsch des Verfassers ausgezeichneten Erinnerungen eines Sohnes Wernickes, des jetzigen Majors a. D. Rudolf Wernicke in Berlin. 37) August Chr. R. Wernicke, geb. in Güsten 9. 9. 1840; besuchte zunächst das Lehrer­ seminar in Köthen, wo er sich auch zum fertigen Musiker ausbildete. Durch Klavierstunden verschaffte er sich darauf das Geld zum Studium, das er in Halle und Berlin absolvierte. Nach dem Besuch des Domkandidatenstifts in Berlin wurde er Hilfsprediger in Pankow, darauf Divisionspfarrer im 70er Kriege. 1871—1873 Pfarrer der deutschen evangelischen Gemeinde in Helsingfors. M) Minutoli a. a. O. erwähnt, daß in der Lissabonner Gemeinde nur alle 14 Tage Gottesdienst stattfinde und daß dieselbe es sich gefallen lasse, an den Festtagen immer dieselbe Predigt zu hören. Dazu schreibt jedoch Wernicke (Bericht an den E. O. K.): „So ist es auch nicht zur Zeit der Abfassung jenes Buches gewesen, denn so viel man auch von der Schroffheit u. dgl. des damaligen Pfarrers Lübecks sagen mag, so hat er es an treuer und gewissenhafter Predigtarbeit sicher nicht fehlen lassen. Es ist aber betrübend zu sehen, unter welchen Beeinflussungen Bücher entstehen, so daß unrichtige Nachrichten verbreitet werden." M) Nach den Berichten Wernickes an den E. O. K. 40) Vgl. Eduardo Moreira „Notas historicas sobre a origem das igrejas evangelicas em Portugal“, Sonderdruck der „Revista de Historia“, Braga 1913. 41) Wernicke starb dortselbst als Superintendent am 5. 5. 1905. *2) Reinhold M. Th. Bindseil, geb. 2.8.1842 in Königsmühl bei Cammin. Studium in Tübingen und Halle. Pfarrer tn Lauenburg, 1876/77 Hilfsprediger in Budapest, 1877—1883 Pfarrer der deutschen evangelischen Gemeinde in Turn-Severin. “) Zur Deckung der durch die Drapierung der Kirche für die Trauerfeier entstandenen Unkosten bewilligte das Auswärtige Amt auf Gesuch des Gesandten Baron v. GärtnerGriebenow eine Beihilfe von 600 Mark, wonach man sich eine Vorstellung davon machen kann, wie reich die Kapelle ausgeschmückt gewesen sein muß. ") Errechnet von Garlipp, a. a. O., S. 42. *’) Nach auf Wunsch des Verfassers freundlichst ausgezeichneten Erinnerungen Pfarrer Hünemörders, jetzt in Frankfurt a. M. ") a. a. O. 47) Eine ausführliche Schilderung der Schulverhältnisse und ihrer weiteren Ent­ wicklung würde hier zu weit führen und geht über den Rahmen der Gemeindegeschichte hinaus. Zu einer besonderen Geschichte der Deutschen Schule in Lissabon hat ihr jetziger Leiter, Dr. Fritz Diehm, einen Anfang gemacht im Jahresbericht über das 10. Schuljahr nach dem Kriege, 1931/32. **) Boit wurde später Pfarrer in Merseburg und lebt heute im Ruhestände in Halle a. S. ") Hermann G. A. Garlipp, geb. 5. 4. 1865 in Gr.-Quenstedt bei Halberstadt; seit 1900 in Rumänien. 50) Garlipp, a. a. O., S. 59. 51) Garlipp, a. a. O., S. 59. 52) a. a. O. M) „Om de oude wereldzee“, S. 495 f. Nach frdl. Mitteilung der Dr. Abraham Kuyper Stichling, 's Gravenhage. M) Nach Fertigstellung der neuen Kirche plante man, die alte Kapelle als Kranken­ haus auszubauen. M) Garlipp starb in Jüterbog als Militär-Oberpfarrer im Jahre 1926.

Kapitel VH i) Schreiben -es Auswärtigen Amtes an den Evangel. Oberkirchenrat vom 23.2.1922 *) Johannes Arlt, geb. 22. 5. 1866 in Soldin (Neumark). 1892 Pfarrer in Kaschmir (Posen), 1912 Superintendent in Crone a. Brahe (Posen), welches Amt er 1916 weger Herzleiden aufgeben mußte, worauf er am Diakonissenhaus in Hermannswerder b. Pots dam tätig war. Wiederhergestellt, wurde er 1919 zum Fürsorge-Kommissar für die deutscher Auswanderer, Gefangenen und Internierten in Posen ernannt, von wo er 1922, wieder am Herzleiden zusammengebrochen, nach Neubabelsberg b. Berlin zurückkehrte, wo er sich wieder soweit erholte, daß er sich dem Ev. Oberkirchenrat zur Verfügung stellen und 192k den Ruf nach Lissabon annehmen konnte. 8) Dies wird ausdrücklich bezeugt von Bindseil in einem Bericht an den E. O. K. vom 3. 1. 1888. *) Der Verteilungsschlüssel wurde folgendermaßen errechnet: Der Gemeinde standen insgesamt zu 345 000 Esc. (275 000 vom Gesandten Dr. Boretzsch zugesagt und 70 000 Esc —15 000 Mark von der Kirchenbehörde). Davon galten 100 000 Esc. als Anteil an dem Grundstück, wo sich der Deutsche Verein befindet, wonach 245 000 Esc. Anteil an dem neuen Grundbesitz in Palhava blieben. Der Bartholomäus-Brüderschaft standen zu 700 000 Esc. für das bisher von Up Geleistete. Davon fielen 300 000 Esc. als Anteil auf das erste Grundstück und 400 000 Esc Anteil an dem Grundbesitz Palhava. Dem Deutschen Schulverein wurden ebenfalls 100 000 Esc. Anteil an dem erster Grundstück zugesprochen und 400 000 Esc. an dem Grundbesitz Palhava. Der Gesamtwert des Grundbesitzes Palhava, einschließlich des neuen Schulgebäudes wurde auf 1080 000 Esc. festgelegt. Diese Summe wurde verteilt auf die verschiedener Anteile an dem Grundbesitz, wobei, die Zahlen ausgeglichen, sich die einzelnen Poster folgendermaßen darstellten:

1080 000 Esc. Diese Zahlen stellen zueinander das Verhältnis von 77/2oo: 77/aoo: "/roo dar, was alr Verteilungsschlüssel galt.

6) Der Grundstückswert wurde auf 80 Esc. für den Quadratmeter angesetzt, du 2000 qm stellten somit einen Wert von 160 000 Esc. dar. Für die darüber hinaus bei Gemeinde noch zustehenden Quadratmeter erhielt diese von der Brüderschaft dann noch 85 000 Esc. ausgezahlt. 6) Paul-Wilhelm Eduard Gennrich, geb. 16. 11. 1902 in Dembowalonka (Wittenburg) Westpr. 1922 Architektur-Volontär in Bremen. Studium in Göttingen, Tübingen, Berlin Königsberg i. Pr. 1928 Hilfsprediaer in Heinrichswalde (Ostpreußen), 1928/29 Hilfs Prediger der deutschen evangelischen Gemeinde in Rom. 7) Das Kirchliche Außenamt schenkte der Gemeinde einen Lichtbildapparat für Bild bänder. 8) Nach einem Grußwort des Herrn Bischof v. Heckel. 9) Die Feier wurde wegen der Wahlen am 10. 11. in Deutschland auf eine Wochc später verschoben, um sie in innerer Verbundenheit mit der Heimat zu begehen. 10) In „Die evangelische Diaspora" 1935, Heft 1, S. 34 ff. n) Die Orgel hat folgende Disposition: I. Manual C—a"' 58 Tasten: 1. Principal 8', 2. Flöte 8', 3. Gemshorn 8', 4. Oktav 4' 5. Mixtur 3—5fach. II. Manual C—a'" 58 Tasten, Schwellwerk, Ausbau bis a"" 70 Töne: 6. Gedackt 8' 7. Quintatoen 8', 8. Salicional 8Z, 9. Spitzflöte 4', 10. Nazars 23/3', 11. Flautino 2' 12. Oboe 8', Tremolo II. Pedal C—V 30 Tasten: 13. Subbaß 16', 14. Oktavbaß 8' von Nr. 1, 15. Choralbaß 4 von Nr. 4. Insgesamt 986 Pfeifen! Koppeln: II an I; Ober I; Ober II an I; Unter II an I; I an Pedal; II an Pedal: Baßkoppel an I; Melodiekoppel an II/I. Registerhilfen: 1 freie Kombination; Piano; Mezzoforte; Forte, Tutti, Crescendo walze mit Zeiger; Schwelltritt für II. Manual.

") Die Taufschale war von folgendem Gedicht begleitet: Ein Stein gewordenes Dankgebet Und Dienst dem Herren Jesus Ehrist, Die neue Deutsche Kirche steht! Der auch der Kinder Heiland ist. Im Glauben ward das Werk gewagt, Nun grüß euch Gott am hohen Fest! Der nie vor einem Hemnis zagt! Er, der die Seinen nie verläßt. Dann rieft, daß Helferin sie sei, Zumal die „in Zerstreuung" nicht, Die Bruderliebe ihr herbei! Bleib' eure Burg und Zuversicht! Auch Ostland euren Ruf vernahm! Er sei dein Schild und Gnadensonn', Zum Zeugnis des die Schale kam; Deutsche Gemeinde zu Lissabon! Durch sie werd' heil'ger Dienst getan, )-Adolf-Frauenverein Königsberg. Pr.

13) Die Firmen, welche für den Bau spendeten, waren, außer der bereits genannten zum Hingste-Bremen, folgende: M. Merck, Darmstadt; Kabelwerk Rheydt, Rheydt; Gustav Hammel, Eisengießerei und Fittingswerk, Velbert; Süddeutsche Kabelwerke, Mannheim; Fa. Seidel L Naumann, Dresden; Buderus Jungsche Handelsges. m. b. H., Wetzlar; H. Propfe L Co. G. m. b. H., Hamburg; R. L O. Lux, Metallwaren- und Maschinenfabrik A.-G., Marienthal-Bad Liebenstein. Dre Fa. Gebrüder Kaiser L Co. A.-G., Neheim-Ruhr, stiftete Beleuchtungskörper für das Pfarrhaus. Die Spenden wurden durch die deutschen Vertretungen der betr. Firmen in Lissabon freundlichst vermittelt. In Lissabon selbst stiftete die Sociedade Lusitana de Electricidade A. E. G. eine Geldspende.

Beilage 1 Beispiel eines Jnquisitionsprozesses Vollständige Abschrift des Originals

Aus dem National-Archiv in der „Torre do Tombo“ zu Lissabon. Prozeh der Inquisition von Lissabon Nr. 10 369 gegen Hans Koch, aus dem Jahre 1559.

Processe e comfisäo de Hans Quoque alemäo preso no cärgere da Santa Inquysi^äo. Os Inquysydores apostolycos em este Arcebispado de Lixboa e sua comarca etc / mandamos a vos Pero Fernandez solecytador de Santo Oficyo que premdaes a Hans Quoque mercador alemäo de idade de trinta e dous annos gordo do rrosto e rrefeyto de barba castanha vermelho do rrosto e tras huma chamara de sargea guameeyda de veludo agora pode ser que sera jdo a setuval a caregar de sal em huma hurca que se chama a serpente de hanburque / cujo mestre he Sylvester Franque e daram novas delle em casa de Tilmäo o mo?o / E asy premderes a Sylvestre Franco alemäo mestre da dita hurca A Serpente de Hanburque / E asy premdarys majs a hum frances que se chama Joanis / criado de Joham Gudete mercador morador em Bordeos o quäl Joanis esta agora em esta Cidade e vemde trigo no Terreiro e he hörnern alto de corpo e rrosto longo e tem huma cutilada por eile que lhe atravesa da testa ate a boca e tem a barba castanha e clara e tras hum colete de couro cortado com ho carnaz pera fora e as vezes tras hums cal^öes azues comprydos como marynheiro / e pousa ho dito Joanis em esta eydade em casa de Luis Papineo ourivez douro frances e daräo novas do dito Papineo em casa de mestre Nycoläo Botar frances que vive na Rua nova e vemde papel e len^o e outras cousas / e presos a bom rrecado os trareys ao car^ere deste Santo Officyo e emtregareys ao alcayde delle por culpa que delles ha em esta samta Imquesy